Rede von
Dr.
Helmut
Bertram
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vom Herrn Präsidenten eben verlesene Änderungsantrag zu § 1 ist ein Eventualantrag für den Fall, daß unser Antrag auf Umdruck Nr. 364, die Teile I und II mit den Paragraphen 1 bis 35 zu streichen, der Ablehnung verfallen sollte. Ich werde deshalb zunächst nur den weitestgehenden Antrag zu begründen haben, die §§ 1 bis 35 zu streichen.
Zunächst halte ich das Gesetz in verschiedenen Punkten nicht für mit dem Grundgesetz in Übereinstimmung stehend. Man kann darüber streiten, ob es sich bei der Investitionshilfe um eine Steuer oder um eine öffentliche Abgabe besonderer Art handelt. Jedenfalls fällt sie unter den Begriff der öffentlichen Abgaben im Sinne des § 18 der Reichsabgabenordnung und ist deshalb eine Abgabe, die den entsprechenden Bestimmungen des Grundgesetzes unterliegt, und zwar hier insbesondere dem Artikel 110 des Grundgesetzes, der die Totalität des Haushalts vorschreibt. Nach Art. 110 des Grundgesetzes ist die Verwaltung der aufkommenden Beträge durch ein Kuratorium ohne weiteres nicht möglich. Die Verwaltung, wie sie hier vorgesehen ist, verstößt gegen den Grundsatz der Totalität des Haushalts, da alle Ausgaben in den Haushaltsplan eingesetzt werden müssen.
Das Gesetz verstößt auch gegen Art. 14 des Grundgesetzes insofern, als es einen Entzug von Vermögenswerten vorsieht, eine Enteignung also, ohne daß auf der anderen Seite eine gleichwertige Gegenleistung gewährt wird. Nach. Art. 14 des Grundgesetzes ist eine Enteignung ohne vollwertige Entschädigung nicht möglich. Daß es sich hierbei nicht um eine vollwertige Entschädigung handelt, liegt auf der Hand und ist in dem Gesetz selbst ja auch zum Ausdruck gekommen, indem bestimmt worden ist, daß etwaiger Minderwert bei der Steuerbilanz nicht zum Abzug gebracht werden kann. Der Verfasser des Gesetzes ist also von vornherein davon ausgegangen, daß die gewährten Gegenleistungen nicht vollwertig sind, sondern einen entsprechenden Minderwert darstellen. Dieser Minderwert kann von jedem Verpflichteten — wenn wir uns nicht auf den Standpunkt stellen, daß es sich um eine in den Haushalt einzustellende öffentliche Abgabe handelt — sogar vor den ordentlichen Gerichten verfolgt werden, und die ordentlichen Gerichte wären in der Lage, hier festzustellen, daß insofern das Gesetz dem Grundgesetz widerspricht. — Diese rein rechtlichen Betrachtungen nur zuvor.
Aber auch die volkswirtschaftlichen Grundlagen des Gesetzes sind mehr als umstritten. Zunächst beweist die Produktionsentwicklung in der eisenschaffenden Industrie nichts für die Kapazität in der eisenschaffenden Industrie. Bei der eisenschaffenden Industrie sind große Kapazitätsreserven vorhanden, die sich aus der Zahl der stillliegenden Hoch- und Siemens-Martin-Öfen infolge der Kohlennot ergeben.
Die entscheidende Differenz liegt darin, daß die innerdeutsche Kohlenförderung nicht ausreicht, um die eisenschaffende Industrie voll auszulasten. Die Produktion der eisenschaffenden Industrie ist in den letzten Monaten zu 30% auf ausländischem Brennstoff aufgebaut worden. Das beweist doch eindeutig, daß der eigentliche Engpaß zur Zeit jedenfalls nicht in der eisenschaffenden Industrie, sondern in der Kohlenindustrie liegt.
Dazu ist zu sagen, daß die Gesamtkapazität der eisenschaffenden Industrie einschließlich der Kohlenindustrie bei weitem nicht ausreicht, um die Bedürfnisse der deutschen Wirtschaft zu decken. Das Problem ist hier aber auch nicht aktuell, sondern hier, bei der Investitionshilfe, ist die Frage aktuell, wo die Mittel schwerpunktmäßig eingesetzt werden müssen, um im gegenwärtigen Zeitpunkt die vorhandenen Engpässe zu beseitigen; und diese Engpässe sind nicht bei der eisenschaffenden Industrie, sondern — das beweisen die Kohleneinfuhren ganz deutlich — bei der Kohlenindustrie zu suchen.
Es kommt hinzu, daß die Demontagen ganz bestimmte Werke viel härter getroffen haben als andere Werksgruppen. Die Kapazitätsausweitung gerade bei den durch die Demontage am härtesten betroffenen Werken ist aber zur Zeit noch gar nicht möglich.
Der entscheidende Grund für die sogenannte Investitionshilfe ist aber die Behauptung, daß die verarbeitende Industrie stark begünstigt warden sei, da sie dem Preisstop nicht unterlegen habe, während die Grundstoffindustrie dem Preisstop unterlegen habe.
— Ich will das bestreiten. Ich will Ihnen gleich die Gründe dafür sagen, Herr Preusker. Die Behauptung, daß ein Teil der Wirtschaft dem Preisstop unterlegen hat, ein anderer nicht, ist zwar richtig. Es ist aber nicht richtig, daß etwa die unter dem Preisstop liegende Wirtschaft schlechtere Preise erzielt hätte als andere.
— Das ist zwar der Sinn des Preisstops; der Preisstop ist aber seit langem in sein Gegenteil verwandelt worden, wie der Preisindex für Stahl beweist, der mit 291 ganz erheblich über dem Preisindex für die verarbeitende Industrie von 202 liegt.
Ich bitte, das in den letzten statistischen Monatsberichten des Statistischen Bundesamtes nachzulesen. Ich bitte, es nachzulesen; Sie können sich überzeugen.
Ich behaupte nur, daß die Preisentwicklung bei der eisenschaffenden Industrie wesentlich stärker nach oben tendiert hat — trotz Preisstops! — als bei der eisenverarbeitenden Industrie. Und die eisenverarbeitende Industrie hat ja auch diese Rohstoffe, dieses Eisen verarbeiten müssen.
Es kommt ein weiterer Gesichtspunkt hinzu. Das Eisen ist ja von der eisenschaffenden Industrie an die eisenverarbeitende Industrie zum großen Teil zu erheblichen Überpreisen geliefert worden. Außerdem sind große Mengen in das Exportgeschäft gegangen, Mengen von monatlich 180 000 t,
die ganz außerordentliche Überpreise ermöglicht haben, wenn man davon ausgeht, daß der durchschnittliche Mehrerlös des Exports bei rund 250 DM je Tonne gelegen hat. Es ist also zweifellos nicht richtig, wenn man behauptet, daß der Preisstop eine unterschiedliche Begünstigung der Grundstoffindustrie und der verarbeitenden Industrie, zum mindesten was die Eisenindustrie anlangt, bewirkt habe.
Die Art der Entschädigung ist ebenfalls so, daß wir sie nicht akzeptieren können. Es ist vorgesehen, daß neben Aktien, also neben wertbeständigen Sachwerten, auch Entschädigungsbeträge in Form von Darlehen, die allerdings durch Hypotheken gesichert sein sollen, gewährt werden. Derartige Darlehen basieren aber auf der Verrechnungseinheit D-Mark und sind in keiner Weise sachwertgesichert. Während die Darlehensempfänger berechtigt sind, sich ihrerseits Sachwerte mit den Mitteln der Investitionshilfe anzuschaffen, ist der sogenannte Verpflichtete nicht gegen irgendwelche Preisänderungen geschützt.
Die Einschaltung des Kuratoriums kann daran nichts ändern, da auch das Kuratorium — —
— Gestatten Sie bitte, wenn Sie von Währungssabotage reden, dann wären Sie als Mitglied der Regierungskoalition wahrscheinlich in der Lage gewesen, die Preisentwicklung, die in den letzten Jahren den Wert der D-Mark entsprechend herabgesetzt hat, zu verhindern.
— Herr Kollege, es dreht sich nicht um Währungssabotage, sondern um die Preisentwicklung.
— Also darüber mag ich mit Ihnen hier nicht streiten. — Es kommt lediglich darauf an, daß die Preise in der letzten Zeit in erheblichem Maße in die Höhe gegangen sind und daß niemand von uns sagen kann, wie die Preisentwicklung in Zukunft angehalten werden kann.
— Ich behaupte ja auch nicht, daß im Ausland eine andere Entwicklung als in Deutschland gewesen sei. Ich behaupte lediglich, daß hier keine Wertsicherung vorgenommen worden ist, sondern daß die empfangende Industrie in der Lage ist, reine D-Mark-Verbindlichkeiten zu kontrahieren, für die eine Wertsicherung in dem Gesetz nicht vorhanden ist.
— Ich kenne genau die Art der Behandlung dieses Gesetzes in den verschiedenen Ausschüssen, insbesondere die Art der Abstimmung, Herr Kollege. Wir haben uns darüber in den Ausschüssen schon unterhalten.
Der entscheidende Gesichtspunkt aber, der gegen die §§ 1 bis 35 dieses Gesetzes spricht, ist doch der, daß von Freiwilligkeit auch nicht mehr das geringste übriggeblieben ist. Damals wurde behauptet, der Gemeinschaftsausschuß des Bundesverbandes der Deutschen Industrie habe freiwillig eine
Leistung versprochen, habe freiwillig eine Leistung bestimmter begünstigter Industriezweige zugunsten der benachteiligten Grundstoffindustrien zugesagt. Wir haben das angebliche Versprechen im Sommer vorigen Jahres gehört. Ganz abgesehen davon, daß die Versprechenden zu diesem Versprechen nicht legitimiert waren - sie waren dazu weder gewählt, noch hatten sie sonst irgendeine Vollmacht zu diesem Versprechen —, ist doch das Entscheidende, daß dieses Versprechen in keiner Weise innegehalten wurde. Wir haben jetzt über das Gesetz fast ein halbes Jahr debattiert. In diesem halben Jahr hätten von denjenigen, die sich so groß hingestellt haben, schon einmal irgendwelche Beträge geleistet werden können.
Davon ist nicht die Rede. An Freiwilligkeit hat im Ernst wahrscheinlich niemand gedacht, sondern im Ernst war von vornherein eine Art von Zwangssparen vorgesehen. Der Zwangssparcharakter dieses Gesetzes ist es, der uns am meisten mißfällt. Wir sind grundsätzlich gegen derartige kollektivistische Maßnahmen
— ja, immer schon, Herr Etzel —, auch wenn sie von rechts kommen. Es kommt gar nicht darauf an, von wem derartige Maßnahmen ausgebrütet werden, sondern es kommt darauf an, daß hier das System der Freiwilligkeit durchbrochen worden ist und daß wir es hier mit einem rein kollektivistischen Zwangssparen zu tun haben, wie wir es aus vergangenen Zeiten bei uns in höchst unguter Erinnerung haben und wie wir es aus östlichen Nachbarländern kennen. Der Erfolg wird der sein, daß der gesamte Kapitalmarkt weiter in Verfall gerät, wenn die Methode des Zwangssparens mit diesem Gesetz überhaupt begonnen wird. Auch wer am Kapitalmarkt gespart hat, wer Aktien gezeichnet hat, muß nach diesem Gesetz Investitionshilfe leisten. Der Sparsame wird wieder einmal zugunsten des leichtsinnigen Finanziers bestraft. Der Kreis der Berechtigten ist im übrigen weit über die ursprünglich vorgesehene Grenze hinaus erweitert worden.
— Sie sagen: Im Gegenteil! Nach den jetzt vorliegenden Bestimmungen muß beispielsweise ein Elektromeister mit mitarbeitender Ehefrau bei einem Jahresumsatz von 80 000 DM 840 DM Investitionshilfe bezahlen.
— Das will ich gern tun. Bei einem Elektromeister mit mitarbeitender Ehefrau, der 80 000 DM Umsatz hat, beträgt der Gewinn plus Abschreibung plus 4% vom Umsatz rund 20 %; macht 32 000 DM. Minus Freibetrag 20 000 DM macht 12 000 DM. Davon die 7 %!
— Die Zahlen, die ich Ihnen hier vortrage, stammen von einer Buchstelle des Handwerks und sind nicht gegriffen, sondern aus den tatsächlichen Buchführungsunterlagen entnommen. Ich kann auch auf das Beispiel eines Kürschners verweisen, der bei einem Umsatz von 60 000 DM bereits 623 DM Investitionshilfe zu zahlen hätte, will aber die Einzelaufzählung hier nicht durchführen, um Sie nicht aufzuhalten. Jedenfalls ist doch sicher richtig: Was hat der Kürschner mit der Investitionshilfe zu tun?
Er muß aber bezahlen, ohne daß irgendeine innere Gerechtigkeit dafür spricht.
Ein anderes Beispiel! Wenn eine ländliche Konsum- und Absatzgenossenschaft im Norden unseres Vaterlandes einen Jahresumsatz von 45 Millionen DM und eine Abschreibung von 300 000 DM hat, so muß sie bei dem jetzigen System 147 000 DM abführen. Daß das gar nicht möglich ist und daß bei einer solchen Berechnung die betreffende Genossenschaft ohne weiteres Konkurs anmelden müßte, liegt auf der Hand. Aber man sagt, nach § 10 bestehe die Möglichkeit, entsprechende Erleichterungen zu gewähren. Meine Damen und Herren, wenn Sie so auf § 10 verweisen, dann müssen Sie praktisch die eigentliche Steuergrundlage in den § 10 hineinsetzen, und für den Normalfall bleibt nicht mehr viel übrig. Und das darf doch nicht der Sinn eines Steuergesetzes sein, daß die Ausnahmefälle die Regel werden und die Regel, wie sie im Gesetz vorgesehen ist, die wirtschaftliche Ausnahme ist.
Die §§ 1 bis 35 entsprechen also nicht unserer grundsätzlichen Einstellung. Entscheidend ist, daß es sich um eine zwangswirtschaftliche Maßnahme handelt, die wir unter allen Umständen vermeiden wollen,
die Zwangswirtschaft, die wir fürchten, auch wenn sie von rechts kommt. — Sie haben sich so auf die Marktwirtschaft berufen, Herr Preusker, und jetzt lachen Sie, wenn ich Sie an Ihre eigenen Versprechungen in bezug auf die Marktwirtschaft erinnere! — Wir haben deshalb den Antrag gestellt, zunächst die §§ 1 bis 35 zu streichen, haben aber nicht das absolut vorhandene Investitionsbedürfnis übersehen und deshalb beantragt, eine Bestimmung in § 37 a einzusetzen. Eine solche Bestimmung wird das Investitionsbedürfnis, das vorhanden ist, besser und marktgerechter zu befriedigen gestatten, als es auf dem Wege über das hier befohlene Zwangssparen möglich wäre. Ich werde mir erlauben, zu diesen unseren weiteren Anträgen die Begründung zu geben, wenn die betreffenden Paragraphen aufgerufen sein werden.