Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde
Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema
'Haltung der Bundesregierung zum Waldschadensbericht
verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schulte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin schon entsetzt, diese Debatte vor so wenig Publikum eröffnen zu müssen,
und ich nehme da unsere Fraktion nicht aus, obwohl bei uns die Anwesenheitsquote bei weitem höher ist als bei Ihnen.Wer sich den vorliegenen Waldschadensbericht von der Bundesregierung kommentieren läßt, könnte glauben, mit den Wäldern ginge es wieder bergauf. O-Ton Spranger: Ein Waldsterben wird es nicht geben. Herr Spranger, ein wahres Glanzstück Orwellscher Sprachverdrehung! Wer aber die Tricks zur Beschönigung der Statistik kennt, wer sich im Wald umsieht und wer mit Forstleuten spricht, der weiß, das sich die Situation leider drastisch verschlechtert. Fazit der diesjährigen Vorstellung des Waldschadensberichts: Je mehr die Wälder sterben, desto unverschämter werden die Beschönigungsversuche dieser Bundesregierung.Kommen wir zu den Fakten: Erstens. Trotz des günstigen Wetters stieg die Schadensfläche um 4% auf 52 % an, wobei die Schäden bei den Buchen um 9 % und bei den Eichen sogar um fast 30 % zunahmen.Zweitens. Besonders stark sind die älteren, wertvolleren Bäume über 60 Jahre betroffen. Bei den Buchen sind nur noch 36,5% gesund, bei den Fichten noch ganze 16,4 % und bei den älteren Tannenbäumen gerade noch 4%.Drittens. Obwohl alle notgeschlachteten Bäume in der Waldschadensstatistik nicht mehr berücksichtigt werden, hat die Fläche mit stark geschädigten und abgestorbenen Bäumen im letzten Jahr um 46,6% zugenommen. Fast 50 % mehr Geisterwälder, und Sie, Herr Spranger, behaupten frech und dreist: Ein Waldsterben wird es nicht geben.
Mit dieser abgebrühten Tatsachenverdrehung übertrumpfen Sie sogar alle sozialistischen Propagandalügen zum Zustand der Wälder im Ostblock.
Meine Damen und Herren, einige Gegenden sind besonders dramatisch vom Waldsiechtum betroffen. Besonders der Zustand der Schutzwälder in den Alpen verschlechtert sich extrem schnell. Verheerende ökologische und volkswirtschaftliche Schäden zeichnen sich ab. Im Schwarzwald, im Bayerischen Wald und im Harz ragen bereits die kahlen Baumgerippe, die wir aus dem Erzgebirge kennen, in den Himmel.Meine Damen und Herren, die Waldschadenserhebung muß als ein eindringlicher Appell verstanden werden, alles nur Menschenmögliche zu tun, um mit einschneidenden Maßnahmen das zu retten, was noch zu retten ist.
Vor allem kommt es auf sofort wirksame Maßnahmen an. Ein Tempo 100 auf Autobahnen und ein Tempo 80 auf Landstraßen müssen kommen — dem Wald und den Menschen zuliebe.
Wenn diese Regierung noch ein bißchen ernstgenommen werden will, muß sie die Ergebnisse ihres Großversuchs akzeptieren.Glauben Sie ja nicht, die Tempolimit-Diskussion wäre im Falle einer negativen Entscheidung beendet. Wir jedenfalls werden uns von dem Geschrei
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12754 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Schulte
der Automobilindustrie nicht irritieren lassen. Schadstoff- und Lärmminderung, Energieeinsparung, aber besonders die jährliche Rettung von über 1 000 Menschenleben bleiben nicht wegzudiskutierende Argumente für Geschwindigkeitsbegrenzungen.
Überhaupt geht es bei der Luftreinhaltepolitik schon lange nicht mehr nur um die Rettung unserer Wälder. Die heutige Luftvergiftung schädigt selbstverständlich auch die menschliche Gesundheit, schädigt Tiere und Pflanzen. Alle Schönfärberei der Bundesregierung kann nicht verheimlichen, daß die gesamten Lebensgrundlagen auf dem Spiel stehen.
In dieser sich ständig verschlechternden Situation versteigen sich die CDUler wie Laufs und Schmidbauer in einer Presseerklärung zum Stand der Kfz-Abgasentgiftung zu der Behauptung: „Immer deutlicher wird: Unsere Politik zur raschen drastischen Senkung der Luftschadstoffe führt zum Erfolg."
Meine Herren von der CDU/CSU, am besten schreiben Sie diesen Text zusammen mit dem SprangerSpruch „Ein Waldsterben wird es nicht geben" auf ein Wahlplakat und bitten die Förster im Schwarzwald, es an kaputte Bäume in ihren Forstbezirken zu nageln.
Die um die Existenz bangenden Forstmänner werden Ihnen dann sicher klar machen, was sie von Ihren Scheinaktivitäten in Sachen Luftreinhaltung halten.
Abschließend mein dringender Appell trotz des leeren Hauses hier an alle Regierenden: Ökologische Überlebensinteressen und nicht ökonomisches Profitstreben müssen von sofort an die Richtlinien der Politik bestimmen.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sauter .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Waldschadensbericht steht auf der Tagesordnung. Wir sollten über diese Probleme nüchtern reden und der Bundesregierung dafür danken, daß sie einen unfrisierten und ungeschönten Bericht gegeben hat. Dieser Waldschadensbericht ist eine exakte — —
— So etwas haben Sie in Ihrer Regierungszeit nie zuwege gebracht.
Dieser Waldschadensbericht ist eine exakte Analyse, und, Herr Vogel, diese Bundesregierung hat daraus die notwendigen Konsequenzen gezogen.
Ich gebe zu, daß wir das Problem des Waldschadens noch nicht im Griff haben. Wir verstehen auch die Sorgen, die die Bürger draußen um die Zukunft unserer Wälder haben, und wir teilen diese Sorgen.
Wir verstehen auch, wenn die Bundesregierung aufgefordert wird, rasch, entschieden und entschlossen zu handeln. Nur, Herr Schäfer, da hilft kein Gesundbeten, und da hilft auch nicht die Beschwörung irgendeiner Untergangsstimmung.
Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sehen die Waldschäden, das Waldsterben als eine der gewaltigsten Herausforderungen der Gegenwart und der nahen Zukunft neben der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit an.
— Wir dürfen, verehrte Frau Hönes, in diesem Zusammenhang aber auch nicht die wirtschaftlichen Folgen und die wirtschaftlichen Schäden für die Privatwaldbesitzer, für die Gemeinden und für den Körperschaftswald vergessen.
Zu den Schäden ist in diesem Bericht richtig gesagt worden, daß in Baden-Württemberg, in Bayern und in der Rhön die Schäden besonders groß sind. Nur, alle Betroffenen wehren sich, wenn gesagt wird, der Wald sei tot. Dies ist, glaube ich, eine nicht zutreffende Beurteilung.
Bevor ich ein paar Bemerkungen zu dem mache, was im Waldschadensbericht steht und welche Konsequenzen daraus gezogen werden, nur noch ein Hinweis. Ich glaube, wir haben Veranlassung, der Bundesregierung, vor allem dem Bundeskanzler, dafür zu danken, daß der Bundeskanzler das Thema der Luftschäden und das Thema des Waldsterbens zu einem europäischen Thema gemacht hat. Wir wissen alle, daß die Maßnahmen, die die Bundesregierung trifft und die wir in der Bundesrepublik Deutschland gemeinsam treffen, Stückwerk bleiben, wenn dieses Problem nicht ein europäisches wird. Ich meine, daß in erster Linie der Bundeskanzler derjenige gewesen ist, der dies in den letzten Monaten und Jahren zu einem europäischen Thema gemacht hat, so daß ein europäisches Umweltbewußtsein inzwischen entstanden ist.
Früher wurde das Thema Waldschäden auf den europäischen Gipfeln ja überhaupt nicht diskutiert.
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Sauter
Bekämpfung der Waldschäden bedeutet aber auch, waldbauliche und forstliche Maßnahmen zu treffen, um hier Dauerschäden zu verhindern. Ich weise hierzu darauf hin, daß die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" eine Reihe von Maßnahmen waldbaulicher und forstlicher Art eingeleitet hat, beispielsweise Zuschüsse für Neuaufforstung, für Düngung, auch für Wiederaufforstungsmaßnahmen sowie für Unterbau- und Vorbaumaßnahmen.
Ich halte es in der jetzigen Situation für ganz wichtig, daß wir nicht resignieren und daß wir verhindern, daß die Waldschäden, die wir zur Zeit haben, zu Dauerschäden werden. Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben einschlägige Erfahrungen gemacht, daß nämlich diese Schäden dann, wenn wir großräumige Kahlflächen haben — wir haben solch schlimme Erfahrungen in Südeuropa vor Jahrtausenden sammeln müssen —, nicht mehr zu beheben sind. Bevor die Probleme der Luftreinhaltepolitik endgültig im Griff sind, ist es wichtig — dazu möchte ich auffordern und ermuntern —, daß alles Menschenmögliche an waldbaulichen und forstlichen Maßnahmen getan wird, um Dauerschäden zu verhindern.
Die Bundesregierung, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird alles in ihren Kräften Stehende tun, um die betroffenen Waldbesitzer zu ermuntern und ihnen Hilfestellung zu geben, solche Maßnahmen einzuleiten.
Ich danke Ihnen schön.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Hartenstein. Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Regierungserklärung am 4. Mai 1983 hat Bundeskanzler Kohl gesagt: „Die Schäden an unseren Wäldern sind alarmierend, ... ". Damals waren knapp 8% der bundesdeutschen Waldbestände krank. Ich frage mich: Was müßte er eigentlich heute sagen?
Es ist unbegreiflich, wenn man heute, wo die Schadflächen fast siebenmal so hoch sind, glaubt, bereits wieder Beruhigungspillen ausgeben zu können.
Tatsache ist nun einmal, daß die beschlossenen Maßnahmen a) zu spät greifen, nämlich erst in den 90er Jahren,
und b) zu einer zu geringen Reduzierung der Luftschadstoffe führen. Heute ist die Tanne zu 87 % geschädigt, also praktisch vom Aussterben bedroht. Heute sind nicht nur die Nadelbäume zu mehr alsder Hälfte betroffen, sondern — und das ist das Erschreckende — auch die Laubbäume, Buche und Eiche, sind ebensostark betroffen wie die Nadelbäume.
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß eben nicht fehlerhafte Waldbewirtschaftung, Herr Kollege Sauter, sondern die vom Menschen gemachte Luftverschmutzung die Ursache der galoppierenden Waldkrankheit ist, dann ist er dadurch erbracht. „Wenn die Geduld der Natur erschöpft ist", sagt Jack London, „antwortet sie mit Katastrophen." Leider bestätigt das Waldsterben diese schlimme Wahrheit.Dem, der angesichts dieser Entwicklung sogar noch frohgemut, Herr Staatssekretär Spranger, von einer „Erholung" des Waldes reden kann, ist das Alarmsignal von 1983 offenbar nicht sehr tief unter die Haut gegangen.
Oder hat man vielleicht nur nicht den Mut, die ganze Wahrheit zuzugeben? Es stimmt doch sehr nachdenklich, daß der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vorsorglich verkünden läßt, er habe „Schritte zur Erhaltung forstlicher Genressourcen, einschließlich einer forstlichen Genbank, eingeleitet".
Das heißt wohl auf gut deutsch: Man sammelt Samengut an, um aussterbende Baumarten in eine ungewisse Zukunft hinüberzuretten.Meine Damen und Herren, Handlungsbedarf ist in der Tat gegeben. Aber der Handlungsbedarf besteht nicht im Horten von Baumsamen, sondern er besteht in der Bekämpfung der Gifte, und zwar sofort.
Wir befinden uns doch in einem Wettlauf mit der Zeit. Warum ist diese Bundesregierung nicht bereit, die Notbremse zu ziehen? Warum ergreift sie nicht die dringendsten Sofortmaßnahmen?
— Hören Sie doch einmal zu! — Hier wären zu nennen: eine kräftige, nicht eine halbherzige Senkung der Mineralölsteuer für bleifreies Benzin,
ein Tempo-Limit ab morgen — wenigstens für einige Übergangsjahre —, die Erhebung einer Schadstoffabgabe — lange gefordert —, eine konsequente Energieeinsparpolitik
und — ich sage auch das — Drosselung des weiteren Straßenbaus zugunsten der Förderung der
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Frau Dr. HartensteinSchiene. Das Nichtstun wird uns teuer zu stehen kommen.
Für Süddeutschland, wo heute schon 66 % bis 70 % der Wälder geschädigt sind, sagen die Forstfachleute uns voraus, daß innerhalb der nächsten 5 Jahre ein großflächiges Absterben beginnt, wenn nichts Zusätzliches geschieht. Meine Damen und Herren, die Frage „Was kostet der Tod unserer Wälder?" ist keine rhetorische, sondern eine sehr realistische Frage.
Schweizer Untersuchungen haben gezeigt, daß beim Absterben des Bergwaldes in den Alpen Schutzbauten gegen Lawinengefahr und Geröllhalden, gegen Hochwasser, gegen Bodenerosion usw. nötig wären, die eine Summe von sage und schreibe 120 bis 130 Milliarden Schweizer Franken verschlingen würden. Dabei sind die Schäden im Tourismus und Fremdenverkehr, in der Holz- und Forstwirtschaft, die Verschlechterung von Wasser-und Bodenqualität noch gar nicht eingerechnet, auch nicht die Schäden an Gebäuden und Kulturdenkmälern.In der Bundesrepublik kommen wissenschaftliche Studien, Herr Laufs, zu ähnlich astronomischen Zahlen.
Dies hat ein vom Bundesinnenminister kürzlich durchgeführtes Symposium klar gezeigt. Nein, da haben Sie recht, Herr. Sauter: Gesundbeten hilft dem Wald nicht. Vielleicht hilft aber eine nüchterne, knallharte volkswirtschaftliche Nutzen-KostenRechnung, um die Verantwortlichen aus ihrer Lethargie aufzurütteln.Wir haben deshalb bereits im Frühjahr eine Große Anfrage eingebracht: Volkswirtschaftliche Verluste durch Luftverschmutzung. — Bis heute warten wir vergeblich auf Antwort.Ist es denn so schwer zu begreifen, meine Damen und Herren, daß es auch ein Gebot der ökonomischen Vernunft ist, das ökologisch Notwendige zu tun? Handeln wir gemeinsam! Handeln wir rasch! Sonst wird der Schaden irreparabel und die Rechnung unbezahlbar.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rumpf.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man kann zwei Dinge mit Fug und Recht feststellen.
Erstens. Die Waldschadensentwicklung, der Fortschritt, die Ausbreitung der Waldschäden hat seit dem vorigen Jahr abgenommen. Es hat allerdings innere Verschiebungen gegeben.
Es ist für einen Forstmann und einen Biologen aber keine besondere Überraschung gewesen, daß diese Verschiebungen stattgefunden haben. Es ist nicht so, Herr Schulte, wie Sie meinen, daß sich durch das Fällen der kranken Bäume die ganze Statistik verschoben hätte, denn selbstverständlich ist dies in den Versuchsflächen nicht gemacht worden. Das wäre ja sonst sinnlos.
Zweitens kann ich feststellen, daß bei der Diskussion über den Waldschadensbericht zum ersten Mal das Klima — und damit auch die Niederschläge —als ein wichtiger Faktor angesehen worden sind. Das ist in der Vergangenheit von den Umweltverbänden immer abgestritten worden. Ich finde, es ist sehr wichtig, daß wir so weit sind, wenigstens jetzt festzustellen, daß es sich bei den Waldschäden um eine Komplexwirkung handelt.
Da wir das Klima aber leider oder Gott sei Dank nicht ändern können, müssen wir eben die Faktoren ändern, die anthropogen, vom Menschen gemacht sind. Da, meine Damen und Herren, ist die Bundesregierung unseres Erachtens auf dem richtigen Weg.
Man kann nur etwas erreichen, wenn man mit ökonomischen Anreizen eine möglichst große ökologische Wirkung erzeugt.
Dies wird im Bereich des Autos zum Beispiel über den Katalysator, die verbilligten Angebote, über steuerliche Erleichterungen versucht. Daß die Bürger dies nicht so annehmen, wie wir das erwartet haben, ist eine sehr interessante Tatsache.
Wenn man nämlich ein Mikrophon vor dem Mund hat, dann ist man leicht bereit zu sagen:
Wir werden für den Wald 500 DM oder 1000 DM mehr pro Jahr ausgeben.
In dem Moment aber, wo es wirklich an den Geldbeutel geht, ist man sogar schon nicht mehr bereit, wenige Pfennige für das bleifreie Benzin mehr auszugeben.
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Dr. Rumpf
Meine Damen und Herren, der Bürger läßt sich nur über seinen eigenen Geldbeutel in eine bestimmte Richtung bringen. Der ökonomisch sinnvolle Impuls kann nur durch steuerliche Erleichterungen oder durch Bonus/Malus-Systeme, Zertifikate oder ähnliche Systeme erfolgreich gegeben werden.
Ich bin übrigens auch gar nicht damit zufrieden, daß sich in der ganzen Waldschadensdiskussion alles auf den Autofahrer konzentriert — als ob mit dem Tempolimit der Wald gerettet werden könnte. Wir Freien Demokraten sind genauso wie die CDU/ CSU-Fraktion gegen Verbote und gegen die Regulierung
und die Errichtung eines absoluten Überwachungsstaates.
Wir können hier nur über wirtschaftliche Anreize etwas erreichen.
Im übrigen ist uns bei der ganzen Diskussion etwas zuwenig die Rede von dem Luftverkehr. Sowohl der zivile als auch der militärische Luftverkehr müßten bei der ganzen Waldschadensdiskussion stärker eingebracht werden.
Denn es sind j a gerade die Flugzeuge mit ihren Abgasen und mit dem Ablassen von irgendwelchen Treibstoffen, die die Bergwälder am meisten schädigen. Es wird also praktisch in die Atmosphäre hineingeimpft.
— Ich würde Ihnen raten, einmal zuzuhören, wenn ein Forstmann spricht, der vielleicht etwas mehr davon versteht als gerade Sie.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter Dr. Rumpf. — Ich darf bitten: Lassen Sie doch wenigstens die fünf Minuten bei den Aktuellen Stunden ohne Störungen ablaufen. — Bitte schön, fahren Sie fort.
Herr Präsident, ich bedanke mich. — Ich will es einmal auf eine ganz kurze Formel bringen: Die GRÜNEN tun so — und taten vor einigen Jahren so —, als ob schon in diesem Jahr überhaupt kein Wald mehr vorhanden sei. Wenn das stimmte, was Sie gesagt haben, dann wäre dem so.
Aber eines will ich Ihnen sagen: Der deutsche Wald wird durch die Maßnahmen der Bundesregierung gerettet werden, und er wird nicht sterben, damit die GRÜNEN leben können.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Gallus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier in aller Sachlichkeit wie auch schon in der Pressekonferenz zur Waldschadenserhebung einige Dinge klarstellen.
Zunächst einmal zu Ihnen, Herr Schulte. Die von Ihnen genannten Prozentsätze beziehen sich auf die geschädigte Fläche. Deshalb sind Sie beim Zuwachs zu doppelt so hohen Prozentsätzen gekommen wie wir, denn wir haben, seitdem wir Erhebungen durchführen, die Schadensfläche jeweils in Beziehung zu der gesamten Waldfläche gesetzt.
Des weiteren dürfen wir von seiten der Bundesregierung sagen, daß wir, obwohl es Stimmen in den Ländern gegeben hat, wir sollten nicht in jedem Jahr eine Waldschadenserhebung durchführen, streng daran festgehalten haben, jedes Jahr eine Waldschadenserhebung durchzuführen.
Meine Damen und Herren, es ist tatsächlich so, daß wir — das wird doch nicht geleugnet; wir haben das erklärt — bei der Eiche einen gewaltigen Zuwachs gehabt haben, aber daß sich der Zuwachs bei der Fichte — wenn man schon die einzelnen Baumarten nimmt — erheblich verlangsamt hat. Es kann auch nicht geleugnet werden, daß quer durch die Bundesrepublik Deutschland eine sehr unterschiedliche Entwicklung festzustellen ist. Tatsache ist, daß wir Gebiete mit gewaltigen Verschlechterungen haben, wie z. B. in den bayerischen Alpen mit plus 16 Prozent bei den insgesamt geschädigten Flächen, daß wir aber auch andere Gebiete haben, in denen weniger Schäden zu verzeichnen sind. Ich nenne z. B. das oberfränkische Hügelland mit minus 11,2 % oder das Weserbergland mit minus 7,3 % oder das Saarland mit minus 6,2 %.
Dem stehen auf der anderen Seite Verstärkungen gegenüber, so daß es insgesamt leider zu einer Ausdehnung der Schäden im mittleren und stark geschädigten Bereich von plus 2 % gekommen ist. Das ist nie geleugnet worden, und es ist von dieser Bundesregierung eindeutig klargestellt worden.
Meine Damen und Herren, ich habe in der Pressekonferenz deutlich gemacht, daß das hohe Schadensniveau fortbesteht und daß keine Entwarnung gegeben werden kann. Ich darf hier in bezug auf die Genbanken, die hier j a etwas angegriffen worden sind, auch sagen: Das ist eine Einrichtung, die wir nicht allein in bezug auf den Wald vollziehen, son-
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Parl. Staatssekretär Gallus
dern in bezug auf alle Kulturpflanzen und Wildpflanzen.
Ich glaube, das ist die richtige Vorsorge, die eine Regierung hier zu treffen hat.
Fazit der ganzen Geschichte ist die Frage: Was kann man aus dieser Waldschadenserhebung ablesen? Die Schadenserhebung dieses Jahres zeigt, daß Regenerierung möglich ist. Man kann aus ihr außerdem ablesen, daß sich der Schadenszuwachs verlangsamt hat. Das möchte ich dahin gehend kommentieren: Wenn es einem Menschen schlecht geht, wenn er krank ist, dann ist die Frage — so ist es auch beim Wald —: Kann man noch Hoffnung haben? Ich glaube, die Erhebung in diesem Jahr hat uns gezeigt, daß wir Hoffnung haben können, den Wald zu retten. Ich finde, das ist das Positive an der Gesamtsituation.
Man hat gerade den Eindruck, als gebe es in Deutschland Kräfte, die überhaupt nicht damit einverstanden sind, daß man diese Hoffnung haben kann.
Meine Damen und Herren, ich kann nur eines sagen: Wenn diese Regierung sagt: Wir wollen keine Entwarnung geben, und wir wollen unsere Anstrengungen zur Luftreinhaltung und zu allem, was dazugehört — Herr Spranger wird noch dazu sprechen —, noch verstärken, dann kann man dieser Regierung in dieser Hinsicht keinen Vorwurf machen.
Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Freiherr von Schorlemer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir alle sind uns darüber im klaren, daß dieser Bericht über die Waldschäden im Jahre 1985 kein Jubelbericht ist. Er enthält nüchterne Feststellungen, und wir sind dankbar für die Kommentierung, die uns die Bundesregierung soeben durch Staatssekretär Gallus zu diesen nüchternen Feststellungen gegeben hat. Der Bericht kann auch deshalb kein Jubelbericht sein, weil die eingeleiteten Maßnahmen zur Schadstoffreduzierung einfach nicht von heute auf morgen und auch nicht von einem zum anderen Jahr wirken können. Wir haben hier nie unrealistische Erwartungen geweckt.
Werte Frau Kollegin Hartenstein, über eines sind wir uns doch wohl im klaren: daß Waldschäden nicht erst seit dem 1. Oktober 1982 vorhanden und sichtbar sind.
Sie wissen doch ganz genau, daß es sie schon früher gegeben hat. Die Bereisung des Schwarzwaldes vor einigen Jahren hat uns dies doch klar vor Augen geführt. Deshalb ist Ihr Satz: „Nichtstun wird uns teuer zu stehen kommen" ein Satz, der auf Sie selber zurückfällt.
Für mich ist dies aber auch ein Bericht zum Nachdenken. 48,1 % der Waldflächen sind ohne Schadensmerkmale. 32,7 % der Waldfläche sind schwach geschädigt. 17 % der Waldfläche sind mittelstark geschädigt. 2,2 % der Waldfläche sind stark geschädigt.
Nun einige Punkte positiver wie negativer Natur zu diesem Bericht. Einmal können wir feststellen: Das Tempo der Zunahme der Waldschäden hat sich nicht fortgesetzt.
Die günstige Witterung des letzten Jahres hat da bestimmt mitgewirkt. Wenn dies aber so ist, hat die ungünstige Witterung in früheren Jahren das Tempo der Zunahme der Waldschäden doch wohl auch entsprechend erhöht. Bei den mittelstark und stark geschädigten sowie den abgestorbenen Beständen hat die Schädigung zugenommen. Dagegen ist die Schadstufe bei den schwach geschädigten Beständen zurückgegangen. Der Zustand der Eichen hat sich verschlechtert, bei den Kiefern hat sich die Lage verbessert. Wir haben ein Süd-NordGefälle. Die Steigerung ist in den Stadtstaaten am höchsten. In meinem Heimatland Niedersachsen z. B., hat sich die Schadenskurve abgeflacht. Vor allem in den Höhenlagen über 500 m ist die Schadensstärke um vieles höher als im Flachland. Auch in den Gebieten an den Grenzen zu unseren Nachbarn nach West und Ost haben die Waldschäden zugenommen.
Ich möchte jetzt einige forstliche flankierende Maßnahmen ansprechen, die wir in diesem Jahr und in den letzten Jahren beschlossen haben. Diese Maßnahmen sollen den Schadensablauf mildern und die Widerstandsfähigkeit von Waldflächen verbessern. Sie können aber nicht die Ursachen beseitigen und sollen auch nicht die Ursachenbeseitigung als Alibi wegdrücken. Wir haben in diesem Frühjahr das Forstschädenausgleichsgesetz im finanziellen und steuerlichen Bereich wesentlich verbessert. Dadurch können wir jetzt schneller und besser reagieren, um denjenigen Waldbesitzern zu helfen, deren Waldflächen so schwer geschädigt sind, daß sie abgeholzt werden müssen. Alle Maßnahmen, die wir durch Förderung anbieten, sollten von den Waldbesitzern noch mehr angenommen werden. Naturverjüngung, Vor- und Unterbau von Beständen, Düngung, Maßnahmen, die den Krankheitsverlauf aufhalten können —, rechtzeitige Durchforstung, die die Widerstandsfähigkeit der Bestände stärkt, auch die Wiederaufforstung mit art- und standortgerechten Forstpflanzen müssen wieder neue Wälder enstehen lassen. Auch dies ist
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Freiherr von Schorlemer
ein Stück Hoffnung, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Zu den notwendigen Maßnahmen gehört aber auch der Schutz von Jungpflanzen vor Verbißschäden und Fegen sowie das Schälen durch Schalenwild bei älteren Beständen.
Trotzdem betrachten alle Forstpolitiker und Forstfachleute die Schadensentwicklung mit Sorge, trotz hoffnungsvoller Abflachung der Kurve. Ich will auch dies ganz offen sagen. Ich möchte deshalb die Bundesregierung ermuntern, j a auffordern, die Schadensentwicklung als große Herausforderung zu sehen und weiterhin in ihren Maßnahmen zur Bekämpfung der Ursachen entschieden und entscheidend vorzugehen.
Die Erhaltung unserer Wälder darf kein Thema für billige Parteitaktik sein, sondern sie muß immer ein Thema sein für die positive Zukunft unserer Kulturlandschaft im gesamten Ökosystem.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion um das Waldsterben, so wie wir sie in den letzten Wochen erlebt haben, darf jetzt nicht auf die parteipolitische Ebene gebracht werden, daß wir die Waldschadenserhebung angeblich nur miesmachen — es sind aber auch keine Fortschritte erzielt worden, sondern bestenfalls ein Abflachen — und andere das angeblich nur bejubeln. Das wäre falsch. Ich glaube allerdings, daß wir insgesamt die Dimension des Waldsterbens, wie sie auch in den letzten Beiträgen und insbesondere in den Berichterstattungen über die Erklärung der Regierung wiedergegeben ist, noch nicht begriffen haben. Das ist eigentlich der entscheidende Punkt.Ich glaube, daß ein Vergleich, eine Verbindung naheliegt: daß die Schadstoffe, die die Bäume, d. h. die Lungen unseres Landes, zerstören, zunehmend auch die Atemwege, die Lungen der Menschen gefährden. Wir bekommen immer mehr Untersuchungen und Studien, wonach vor allem die Schwächsten, d. h. Kinder, Kranke, alte Menschen, von der Luftverunreinigung betroffen sind. Ich möchte auf die Untersuchung von Prof. Dr. Meister hinweisen, der durch eine Repräsentativerhebung nachgewiesen hat, daß es eine fast synchrone Entwicklung zwischen der Zunahme von Waldschäden und der Zunahme von Bronchialerkrankungen gibt. Ich finde, das müssen wir sehr viel ernster nehmen, als wir das bisher in diesem Hause tun.
Das bedeutet meines Erachtens, daß wir die Entwicklung mit dem Begriff des Waldsterbens, der wirklich schon schlimm genug ist, einfach noch zu kurz fassen, daß er das, was tatsächlich passiert, eigentlich noch verniedlicht. Denn was passiert? Es stirbt organisches Leben. Der Wald ist nur ein Indikator dafür, daß die Krankheiten der Luft zu Gefährdungen für die biologischen Systeme insgesamt werden.
Wenn hier ein Anstieg auf 52 % zu verzeichnen ist, dann kann es deshalb keine Relativierung oder Verharmlosung geben.
Dann kann es nur ein gemeinsames Bemühen ohne jeden' vordergründigen parteipolitischen Streit geben, wie wir gemeinsam die sich daraus entwickelnden Gefahren auch für andere biologische Systeme abwenden. Hier kommt es darauf an, zu zeigen, ob wir die Lektion Waldsterben begriffen haben.
Beispiele der heutigen Diskussion scheinen mir eher das Gegenteil zu beweisen.
— Doch, dies hat nichts mit Moralismus zu tun,
sondern es hat damit zu tun, daß die Politik endlich die Kraft finden muß, Eigennutz und Eigeninteressen zurückzudrängen. Es ist für uns beispielsweise wichtig, Kollege Fellner, nicht das Hochgeschwindigkeitsauto, sondern den Wald zu retten. Es ist für uns wichtiger, etwas gegen Einzelinteressen der Mineralölindustrie und der Kraftwerke zu machen um dafür Leben zu schützen.
Das ist die zentrale Problematik: ob diese Gesellschaft fähig ist, angesichts dieser erkannten Gefahren Solidarstrukturen aufrechtzuerhalten,
ob es ihr möglich ist, vordergründige Eigeninteressen im Interesse der Bewahrung einer lebenswerten Zukunft zurückzustellen. Das dürfen wir nicht allein auf die Frage des Waldsterbens reduzieren. Die Dimension ist weitaus größer.
Ich habe hier bewußt den Zusammenhang zwischen der gesundheitlichen Problematik und der Luftverunreinigung angesprochen. Ich weise darauf hin, daß wir beispielsweise noch im Oktober 1984 ein makabres Stück Bonn erlebt haben. Da hat der damalige Gesundheitsminister Geißler erklärt, daß es überhaupt keine Beweise gebe, daß das Ansteigen der Luftverunreinigung an der Zunahme der Erkrankungen schuld sei. Auf die Hinweise auf verschiedene nationale und internationale Studien hat er gesagt, das sei die übliche altbekannte Vorwegsterblichkeit. Eine solche makabre Aussage macht für uns nichts anderes deutlich, als daß die Dimension nicht begriffen ist.Wir fordern Sie nach wie vor auf: Versuchen wir gemeinsam, wirklich konsequente Schritte zu tun! Da stehen wir auch bei unpopulären Maßnahmen
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Müller
an Ihrer Seite. Aber für Verharmlosung werden Sie in uns keinen Bündnispartner finden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie fordern uns zu Gemeinsamkeit auf. Dann machen Sie doch mal Vorschläge. Was sollen wir denn noch tun?
Sie haben hier das Tempolimit erwähnt. Da gibt es einen Großversuch. Nehmen Sie den ernst und warten Sie bitte mit Entscheidungen, bis die Ergebnisse vorliegen!
Außerdem gibt es Unsicherheitsfaktoren, die wir jetzt schon kennen. Mein Kollege Rumpf hat gefragt: Wie verhalten sich denn die Bürger, wenn wir ihnen Tempo 100 auferlegen? — Ich habe da meine Zweifel, trotz allen Umweltbewußtseins. — Wie fahren sie denn? Müssen wir dann eine Überwachung einrichten, die uns auf den Autobahnen in die Nähe eines Polizeistaates brächte?
Ich will jetzt kein Urteil vorwegnehmen. — Sie können keine Entscheidungen treffen, die an der Lebenswirklichkeit vorbeigehen. Dann nützen sie niemandem.
Sie haben zweitens gesagt: weitere Spreizung der Mineralölsteuer. Das ist eine Vergeudung von Steuergeldern, meine Damen und Herren. Außerdem begünstigen Sie Altfahrzeuge, die bleifrei fahren können. Warum, um Himmels willen? Wichtig ist, daß das bleifreie Benzin billiger als das bleihaltige wird. Das werden wir auch erreichen. Und damit ist jeder weitere Vorschlag unnütz.
Sie haben nichts mehr. Ihnen ist die Luft ausgegangen, da wir bereits alles tun.
Damit müßte auch aufhören, daß man das Waldsterben sozusagen als politische Waffe vor sich herträgt und dem anderen Vorwürfe macht, als sei er verantwortlich. Wir alle sind doch Kinder dieser Industriegesellschaft. Die GRÜNEN sind dafür genauso verantwortlich wie die SPD und die anderen Fraktionen. Wir haben uns eine bestimmte Form des Lebens, des Wirtschaftens und Produzierens angewöhnt, die umweltschädlich ist. Das müssen wir umstrukturieren, und auf diesem Wege sind wir.
Der Sinn dieser Aktuellen Stunde — ich begrüße sie wirklich — liegt schon darin, daß Herr Gallus hier sehr nüchtern die Entschlossenheit der Bundesregierung vorgetragen hat, auf diesem Wege weiterzugehen. Hier wird von uns nichts verharmlost. Dabei werden Sie uns nicht ertappen. Wir sehen ganz klar, daß kein Anlaß gegeben ist, zu entwarnen. Aber wir lehnen es ab, daß man das Waldsterben zu einer politischen Waffe gegen den politischen Gegner macht, so als ob er dafür verantwortlich wäre und als ob es noch x Möglichkeiten gäbe, hier etwas zu tun.
Die von uns beschlossenen Maßnahmen bewirken Investitionen in einem Umfang von Milliarden DM, etwa bei Großfeuerungsanlagen. Wir sind dabei, den ganzen Kraftfahrzeugmarkt umzustrukturieren. Das geht — das haben wir leidvoll in der Debatte mit der Europäischen Gemeinschaft erfahren — nicht schneller.
Das müssen Sie anerkennen. Die Bundesregierung tut, was zu tun ist.
Sie müssen endlich anerkennen, daß sich dieses Thema nicht mehr als politische Waffe gegen die Regierung eignet.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Spranger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Vorwurf, der Waldschadensbericht der Bundesregierung würde die Situation verharmlosen, halte ich für völlig unbegründet. Der Waldschadensbericht ist eine nüchterne Feststellung der Fakten, die aus den Ländern geliefert worden sind. Sie weisen nach wie vor ein hohes Schadensniveau im deutschen Wald aus, weisen aber auch aus, daß die Maßnahmen, die die Bundesregierung zur Bekämpfung der Waldschäden getroffen hat, notwendig und richtig waren, trotz der enormen Belastungen, die unserem Volk dadurch auferlegt werden. Dieser Waldschadensbericht weist auch aus, daß die Wachstumsraten bei den Schäden nicht mehr dieselben sind wie in den vergangenen Jahren. Er weist aus, daß wir in verschiedenen Regionen nicht nur eine Stabilisierung der Situation haben, sondern auch einen Rückgang von Schäden bei bestimmten Baumsorten, wobei auch hier Differenzierungen notwendig sind.Ich bin schon der Meinung, daß man diese positiven Fakten neben den negativen Fakten zur Kenntnis nehmen muß und die Hoffnung, die sich aus diesen positiven Fakten für die weitere Entwicklung entnehmen läßt, nicht ausschließen sollte.
Wir sollten froh sein, daß sich hier eine Situation abzeichnet, die deutlich macht, daß die Maßnahmen der Bundesregierung zu greifen beginnen. Diese Maßnahmen sind vielfältig. Ich habe schon darauf hingewiesen.Ich bin auch sehr froh darüber, daß diesem Waldschadensbericht zu entnehmen ist, daß auf jeden Fall diejenigen Unrecht haben, die der Bevölkerung einzureden versuchen, der deutsche Wald sei im
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Parl. Staatssekretär SprangerGrunde nicht mehr zu retten. Das ergibt der Waldschadensbericht eindeutig.Der Waldschadensbericht bestätigt auch die Maßnahmen der Bundesregierung. Auch das Gutachten der . Sachverständigen für Umweltfragen weist aus, daß die erteilten Empfehlungen von der Bundesregierung umgesetzt werden. Zum Teil ist sie weit über die Empfehlungen der Sachverständigen hinausgegangen. Ich erwähne die Reduzierung der Schwefeldioxidemissionen durch die Großfeuerungsanlagenverordnung, die TA Luft sowie die Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen auf Grund des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und Teil III der TA Luft.Es ist dargelegt worden, daß auch zahlreiche internationale Aktivitäten zu einer Stabilisierung der Situation führen, daß es greifbare Ergebnisse gegeben hat. Ich nenne die multilaterale Umweltkonferenz in München und ihre Fortsetzung im Juli in Helsinki, wo sich 21 Staaten aus Ost und West zu weiteren Maßnahmen der Reduzierung der Luftverschmutzung verpflichtet haben. Ich erinnere an die Aktivitäten zur Reduzierung der Stickoxidemissionen, und zwar nicht nur was die Einführung des umweltfreundlichen Autos anlangt. Auch hier ist schon dargelegt worden: Es sind alle Voraussetzungen dafür geschaffen, daß der Bürger der Bundesrepublik Deutschland auf das umweltfreundliche Auto umsteigen kann, daß er nachrüsten kann, sofern er ein Altfahrzeug hat, daß er ausreichend Tankstellen zur Verfügung hat, an denen er tanken kann. Die steuerlichen Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung sorgen dafür, daß derjenige, der sich umweltfreundlich verhält, nicht noch durch Mehrkosten belastet wird. All das sind doch Fakten,
die nur zu der Schlußfolgerung führen: Jeder, der hier seine Opferbereitschaft im Interesse des deutschen Waldes bekundet hat, kann einen sehr persönlichen Beitrag durch den Kauf eines umweltfreundlichen Autos oder durch die Umrüstung seines Altfahrzeugs leisten, ohne daß er dadurch finanzielle Nachteile erleidet.
Meine Damen und Herren, hier wurde wieder das Tempolimit ins Gespräch gebracht. Ich bin der Meinung: Der Großversuch wird bald ausgewertet sein.
Dann sind die Entscheidungen zu treffen. — Sie wissen genau, daß das bis Ende November der Fall sein wird. So ist es angekündigt. Der Zeitplan wird eingehalten. Aber bevor wir hier voreilig, ohne diese Ergebnisse zu kennen, Maßnahmen fordern — —
— Ich habe mich nie in der Richtung geäußert, HerrVogel. Stellen Sie nicht wieder falsche Behauptungen auf, wie Sie es auch in anderen Zusammenhängen tun.
Hier sollte man klar die Ergebnisse abwarten und auch zur Kenntnis nehmen, daß die Maßnahmen der Bundesregierung im Umfang von Hunderttausenden von Tonnen zur Minderung der Stickoxid-emissionen führen.
— Ich erinnere daran, daß das Gutachten des TÜV Rheinland schon bis 1988 und jetzt fortlaufend in hohen Quoten eine Minderung der Pkw-Emissionen von 840 000 t um 480 000 t jährlich erwarten läßt.
Meine Damen und Herren, auch bei den Kohlenwasserstoffemissionen hat die Bundesregierung gehandelt. Die TÜV-Studie bestätigt für die nächsten Jahre Minderungen um bis zu 64 %.Die Waldschadensforschung wird weitere Erkenntnisse bringen und die Richtigkeit der Maßnahmen der Bundesregierung bestätigen.Ich darf mit der Bemerkung abschließen, daß wir auf Grund der schon getroffenen Maßnahmen zuversichtlich sein können, daß uns der deutsche Wald auch zukünftig erhalten bleibt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schäfer .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! 52 % des deutschen Waldes sind krank, inzwischen schwerkrank. Dies ist die nüchterne Bestandsaufnahme des Waldschadensberichts. Daran gibt es nicht zu deuteln.Niemand von uns hat behauptet, der Wald sei nicht zu retten. Worum es in dieser Debatte geht, ist doch, herauszufinden, ob tatsächlich alles, was zur Gesundung des Waldes notwendig ist, von der Regierung eingeleitet wird. Da will ich mich jetzt auf einen Punkt beschränken, der deutlich macht, daß Sie in dieser Hinsicht Unterlassungen begehen.Es besteht überhaupt kein Zweifel, daß ein Tempolimit dem schwerkranken Patienten Wald hilft.
Es hilft schnell, wirksam und ohne Kosten. Jeder Sachverständige weiß dies, mit Ausnahme der Bundesregierung und eines Teiles der Automobilindustrie. Dehalb betreiben Sie ein Verwirrspiel.Erinnern wir uns an 'die Zeit, die annähernd ein Jahr zurückliegt. Ihnen gingen damals die Argumente gegen das Tempolimit aus. Die Mehrheit der Bevölkerung befürwortete angesichts des Waldsterbens eine Geschwindigkeitsbegrenzung.
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12762 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
SchäferDaraufhin erfinden Sie eine neue Form des Aussitzens: Ein 14 Millionen DM schwerer Großversuch wird beschlossen. Er soll helfen, Zeit und Argumente gegen das Tempolimit zu gewinnen.
Heute, meine Damen und Herren, ist die Bundesregierung offenbar dabei, Angst vor ihrem eigenen Großversuch zu entwickeln.
Heute betreiben Sie nämlich ein Verwirrspiel, um die Ergebnisse des Großversuchs schon im vorhinein zu entwerten.
Ich will drei Beispiele bringen. Erstens. Ursprünglich hieß es, bis zum 21. November sollen die ersten Ergebnisse — Hochrechnungen — vorgelegt werden, und bis zum 31. Dezember 1985 soll -der Gesamtbericht vorgelegt werden. Dann soll entschieden werden.Jetzt — Herr Spranger hat es eben bestätigt — drängt die Regierung darauf, bereits am 18. November dieses Jahres die ersten Ergebnisse zu bekommen — Hochrechnungen, Trendaussagen —, und dann soll am 19. oder am 21. November bereits die Entscheidung der Bundesregierung gleichsam über Nacht getroffen werden. Sie wollen die Details Ihres eigenen Großversuchs, meine Damen und Herren, gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen, beispielsweise, Herr Kollege Baum, was die Gründe für die Einhaltung oder Nichteinhaltung der Geschwindigkeitsbegrenzung sind, beispielsweise was Klima und Topographie und ähnliches angeht.
Ich will ein Zweites hinzufügen. Sie treiben ein Verwirrspiel mit Zahlen, Herr Kollege Spranger. Sie sind ja ein Meister im Betreiben des Verwirrspiels.
Sie sagen, 120 000 t Stickoxidentlastung seien nur etwa 3,6 % der gesamten Stickoxidbelastung. Das sei zu vernachlässigen, das bringe nichts. Gleichzeitig feiern Sie und Ihr Minister bei der Vorlage der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft eine Stickoxidminderung um 3 % als große Heldentat. Ich frage Sie: Wie paßt das zusammen, daß Sie im Falle des Tempolimits sagen, 3,6 % — ich nehme Ihre niedrig geschätzten Zahlen — seien zu wenig und brächten nichts, während im Zusammenhang mit der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft 3 % ein wichtiger und richtiger Schritt zur Entlastung sein sollen?
Ich will ein drittes Beispiel anführen und auf die Gefahren hinweisen. Der Großversuch beschränkt sich nur auf Einsparungen beim Autoverkehr auf den Bundesautobahnen. Es gibt mehr als Hinweise, daß die Entlastungen auf den Außerortsstraßen, auf den Landstraßen bei einem Limit von 80 km/h schätzungsweise 40 000 bis 60 000 t Stickoxid ausmachen. Das wollen Sie bei Ihrer Entscheidung außen vorlassen.Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Das Tempolimit wird kommen. Der Großversuch wird die Entlastung des Waldes durch eine Geschwindigkeitsbegrenzung erweisen.
Sie werden dann das Problem haben von dem törichten Kanzlerwort herunterzukommmen,
unter seiner Regierung werde es kein Tempolimit geben.
Dieses Wort des Bundeskanzlers ist übrigens eine zusätzliche Gewähr dafür, daß das Tempolimit tatsächlich kommen wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidbauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Schäfer, ich möchte Sie zuerst etwas korrigieren. Sie haben hier erklärt, 52 % des Waldes seien schwer geschädigt.
— Seien krank. Richtig ist: Von der Zunahme der Schäden entfallen 2 % auf den Bereich der mittleren und starken Schäden — Schadstufen 2 bis 4 —, und knapp zwei Drittel der geschädigten Fläche entfallen wie im Vorjahr auf die Schadstufe 1, bei der gute Chancen der Revitalisierung bestehen. Es verbleiben 19% der Waldflächen mit deutlichen Schäden.Dies ist eine nüchterne Bilanz. Ich will dies gar nicht weiter bewerten. Ich sage das nur, damit Ihre Dramaturgie hier ein bißchen zurechtgerückt wird.Herr Kollege Schäfer, Sie haben hier wieder behauptet, daß es Sofortmaßnahmen gebe, die dem Wald helfen. Sie argumentieren in einer Art und Weise, die völlig an den Fakten vorbeigeht. Bleiben wir einmal bei der breiten Skala der Einsparungen an Stickoxid — das Beispiel haben Sie ja erwähnt; diesbezüglich hat der Kollege Spranger völlig recht —, ohne alle anderen Schadstoffe einzubeziehen, die aber ebenfalls wichtig sind, wie Sie wissen — neuere Studien in den Vereinigten Staaten weisen gerade auf das Problem der Kohlenwasserstoffe hin —: Sie behaupten, es sei nicht richtig, daß die Spannweite in der Größenordnung von 3 % liege.
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SchmidbauerDas ist eine ganz einfache Rechnung, die Sie anstellen müssen.
— Sie haben eben behauptet, das werde heruntergespielt und die 3,6 % stimmten nicht.
Ich komme gleich auf die TA Luft.
— Sie brauchen keine Frage zu stellen; außerdem ist das gar nicht zulässig.
— Ich habe sehr genau zugehört.
Es ist in der Tat so, daß die Stickoxide eine Reduziermöglichkeit in einer Bandbreite zwischen 80 000 und 120 000 Tonnen überhaupt hergeben, wenn wir alte Gutachten zugrunde legen. Jetzt sind Sie übergeschwenkt und haben behauptet, wir würden bei der TA Luft gleichzeitig eine Reduzierung um 100 000 Tonnen im Bereich der Stickoxide als eine großartige Leistung verkaufen. Ihnen ist entgangen, Herr Kollege Schäfer, daß nach der TA Luft ganz andere Stoffe reduziert werden müssen und die Priorität der Reduzierung der Stickoxide im Bereich der Großfeuerungsanlagen-Verordnung und im Bereich der Pkws mit Katalysator liegt. Was soll also dieser Vergleich? Die TA Luft ist deshalb wichtig, weil dadurch Schadstoffe mit hohem Risikopotential zusätzlich vermindert werden: Kohlenwasserstoffe, Schwermetalle. Dabei kommt es letztendlich auch — das ist gut — zu einer weiteren Reduzierung der Stickoxide.
Im Bereich der Umweltpoltik hat die Luftreinhaltung Vorrang. Durch ein breit angelegtes Maßnahmenbündel, durch ein breit angelegtes Programm werden wir die Luftverschmutzung deutlich reduzieren. Frau Kollegin Hartenstein, das hat auch der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung ausgeführt. Er hat nicht nur eine Analyse vorgetragen, sondern er hat auch auf die Konsequenzen hingewiesen.Wir können heute in der Tat eine sehr positive Bilanz ziehen. Ich werde nachher gern einige Zahlen zu der neuesten TÜV-Studie nennen, die der Kollege Spranger herangezogen hat. Herr Kollege Schulte, nicht die Hektik und Hysterie Ihrerseits wird unserem Wald helfen, sondern unsere Maßnahmen, die wir auf den Weg gebracht haben. Nicht babbeln, schaffen müssen Sie.
Mit unseren Maßnahmen der Schadstoffreduzierung an der Quelle, den forstlichen Maßnahmen, die der Kollege von Schorlemer schon dargelegt hat, sowie der Intensivierung und Koordinierung der Schadensforschung ist es uns in der Tat in kurzer Zeit gelungen, wesentliche Voraussetzungen zur Erhaltung unseres Waldes zu schaffen.
— Ich mache das leidenschaftslos, Herr Kollege Duve, weil ich denke, daß das ein ernstes Thema ist, bei dem man nicht, wie Sie es tun, mit Emotionen, sondern mit Fakten operieren sollte.Es zeichnet sich bereits heute eine sehr deutliche Verbesserung der Luftqualität ab. Nur das hilft dem Wald, nicht die verbale Beteuerung und das ImWald-Spazierengehen.
Entscheidende Vorschriften zur Luftreinhaltung wie die Großfeuerungsanlagen-Verordnung, die umfassende Novelle zur Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft, die Änderung des BundesEmissionsschutzgesetzes und die Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen sind bereits in Kraft getreten. Unsere Maßnahmen für die Schadstoffbegrenzung bei Kraftfahrzeugen wurden in einem Sachverständigengutachten als außerordentlich wirkungsvoll beurteilt. Die neueste TÜV-Studie bestätigt die Umweltauswirkungen unserer Beschlüsse.
— Die haben Sie ja noch gar nicht gelesen, Herr Schulte; sonst könnten Sie nicht diese dümmlichen Zwischenrufe machen. — Ich darf Ihnen die Zahlen nennen. Bezogen auf die derzeit geschätzte jährliche Gesamtemission an Stickoxiden durch den Pkw-Verkehr von 840 000 Tonnen beträgt die Reduzierung 480 000 Tonnen jährlich. Das entspricht einer Minderung um 57 %. Hier sind wir in ganz anderen Dimensionen als mit den sogenannten Notprogrammen, Sofortprogrammen mit etwa 3 %.
Herr Abgeordneter, kommen Sie zum Schluß.
Ich komme zum Schluß. Die bisherigen Forschungsergebnisse bestätigen die Umweltpolitik der Bundesregierung, die sich am Vorsorgeprinzip orientiert und die der Luftreinhaltung höchste Priorität eingeräumt hat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Penner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich sind wir alle an dem Thema, nämlich dem Waldsterben, interessiert. Dabei kommt es nicht so sehr darauf an, daß die Initiative zu dieser Aktuellen Stunde von nur einer Fraktion
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Dr. Pennerausgegangen ist. Nein, der Verlauf auch dieser politischen Debatte, die Behandlung des politischen Themas ganz allgemein beweist: Hohes Sachinteresse ist auf allen Seiten des Hauses da. Gewiß, das war nicht immer so; wir alle wissen das.Aber warum kommen wir trotz allgemeinen Sachinteresses nicht so recht weiter? Warum ist es so, daß wir trotz allen Fleißes in Amtsstuben und Laboratorien anscheinend auf der Stelle treten, j a aus dem Rückwärtsgang offenbar nicht mehr herauskommen, was Fortschritte in Teilbereichen nicht ausschließt? Ich denke, daß ein guter Teil dieser Fehlentwicklungen politisch verantwortbare Gründe hat. Anders ausgedrückt: Das bloße Sachinteresse reicht zur Lösung nicht mehr aus. Wir müssen lernen und erkennen, daß es um Betroffensein bei jedem einzelnen geht; es geht um existentielle Fragen.
Erst dann werden wir begreifen, erst dann werden wir erfassen, daß der Wald kein Tarifpartner ist, mit dem man Kompromisse über jährliche Schadenszuwachsraten machen kann. Nur politisch verstandene Betroffenheit kann es verhindern, daß auch dieser Waldschadensbericht zum bürokratischen Vorgang verkümmert, einer jährlichen routinemäßigen Abgasuntersuchung durch den TÜV gleich, ohne präsente Heilmittel, den Blick dafür verstellend, daß der Wald mehr als nur eine statistische Ansammlung von Bäumen ist.
Wer einschlägige regierungsamtliche Äußerungen zu dieser Frage durchleuchtet, stößt auf Verdrängen, Vernebeln und Beiseiteschieben. Noch im Mai 1983 stellte Bundeskanzler Kohl vor dem Bundestag fest: Die Schäden an unseren Wäldern sind alarmierend. — Wir haben dem zugestimmt. Damals waren 34 % der Waldfläche geschädigt.
Am 30. Oktober 1985 stellt dieselbe Bundesregierung vor dem Deutschen Bundestag fest: Die Ergebnisse der diesjährigen Waldschadenserhebung widerlegen die, die der Bevölkerung immer wieder einzureden versuchen, daß der Wald nicht zu retten sei. — Wie das, wenn im Jahre 1985 52 % der Waldflächen geschädigt sind, fast 20% mehr als im Jahre 1983, als Kohl alarmiert war? Will die Bundesregierung allen Ernstes glauben machen, daß 1985 das Jahr der Entwarnung für den Wald sei? Das Gegenteil ist richtig.
Die Bundesregierung ist in der Luftreinhaltepolitik mit unverbindlichen Worthülsen aufgelaufen. Ihr geht die Fähigkeit ab, die Überlebenschancen des Waldes wirklich zu verbessern.
Schlimmer noch: Sie ist nicht einmal bereit, sich der Wirklichkeit zu stellen und, darauf fußend, glaubwürdige Politik zu machen. Ihr kleinkrämerisches Politikastern wird den Tod des Waldes eher noch beschleunigen. Jammervoll, wie die Bundesregierung demokratisch legitimierte Macht gerade da, wo Handeln geboten und möglich wäre, zu siechender Ohnmacht verkommen läßt!
Ihr schielender Ahnungsgehorsam vor den GeßlerHüten der Wirtschaft ist zum Schütteln, wirklich!Schönen Dank für die Geduld.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fellner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Schluß dieser Aktuellen Stunde noch einmal auf das Thema zurückkommen. Das Thema heißt: Haltung der Bundesregierung zum Waldschadensbericht. Was die Initiatoren dieser Debatte jetzt geboten haben, ist bestenfalls ein etwas müder Auftakt zur Diskussion über das Tempolimit; denn heute ist nichts genannt worden, was die Bundesregierung noch tun könnte. Es herrscht offenbar mit uns Einverständnis darüber, daß diese Bundesregierung Luftreinhaltemaßnahmen in breiter Palette in die Wege geleitet hat, daß sie all die Vorschläge umgesetzt hat, die zu diesem Thema überhaupt gemacht worden sind.
— Von Ihnen ist nichts anderes gesagt worden. Jetzt müssen wir natürlich noch darüber diskutieren, ob ein Tempolimit etwas bringen würde. Von den Kollegen in der Regierung und in den Koalitionsparteien, die sich mit der Umweltpolitik beschäftigen, haben Sie bestimmt nicht gehört, daß wir das Ergebnis des Großversuchs vorwegnehmen würden.
Sie haben von den Umweltpolitikern der Regierungsfraktionen zu diesem Thema nichts gehört! Wir warten das Ergebnis des Großversuchs ab und werden uns dann darüber unterhalten, ob es notwendig ist, Maßnahmen zu ergreifen.
— Herr Kollege Duve, ich weiß, Sie gerieren sich gelegentlich auch als Umweltpolitiker, ebenso wie der Kollege Hauff, der natürlich, wenn es um dieses Thema geht, wieder nicht da, sondern mit seinem Hochgeschwindigkeitsauto unterwegs ist. Auch Sie, Herr Kollege Müller, sind heute morgen mit einem Hochgeschwindigkeitsauto hierher gekommen. Geben Sie es doch zu!
Lassen Sie doch diese klassenkämpferischen Parolen! Wenn Sie das Schnellfahren mit einem Hoch-
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Fellnergeschwindigkeitsauto verbieten wollen, dann sagenSie es doch gleich, damit die Industrie und unsereArbeitnehmer wissen, was Sie eigentlich vorhaben.Es ist also von den großen Umweltpolitikern wieder einmal keiner da; diejenigen, die von der Sache etwas verstehen, dürfen meist nicht reden.
Lassen Sie mich zum Kern kommen: Die Waldschäden haben um 2 % zugenommen. Das ist wahrlich kein Ergebnis, das uns freuen kann. Aber Sie sollten sich an das erinnern, was Sie uns prophezeit haben. Nach Ihren Prophezeiungen lägen wir im nächsten Jahr schon bei 120 %. Natürlich können wir uns über das gegenwärtige Ergebnis nicht freuen, aber was uns zuversichtlich macht, ist — und das dürfen wir wohl auch sagen —, daß die Luft sauberer geworden ist; das kann man jetzt schon feststellen. Was uns weiter zuversichtlich macht, ist die Tatsache, daß geschädigte Flächen nachweislich wieder gesund werden können. Ich verweise da insbesondere auf viele Gebiete in Bayern. Wir haben südlich der Donau generell — mit Ausnahme der Hochgebirgsregionen — eine Verbesserung der Situation.Herr Kollege Müller, gerade weil Sie hier so geredet haben: Unsere Region — Bayern, insbesondere die Alpenregionen — hätte natürlich das größte Recht, hier ganz massiv aufzutreten und zu verlangen, daß überall dort, wo noch Luftverschmutzung stattfindet, wirklich die Kamine dichtgemacht werden.
Nur, wenn Sie das in Ihrer Region dann auch so vertreten und sich vor Ihre Leute hinstellen, sind wir bei diesem Thema schon beieinander!
Wenn wir heute bei diesem Schadensbericht eine Bilanz ziehen, ist es auch wichtig, daran zu erinnern, daß es vor zwei Jahren ein Sachverständigengutachten zum Thema „Waldschäden und Luftverunreinigungen" gab, das eine Fülle von Vorschlägen enthielt. Die Bundesregierung hat jetzt einen Bericht vorgelegt — den wir j a diskutieren werden, Herr Kollege Schäfer —, aus dem sich ergibt, daß die damals vorgeschlagenen Maßnahmen in vielen Punkten bei weitem übertroffen worden sind. Das ist es, was wir hier festzustellen haben! Deshalb meinen wir, daß die Konsequenz aus diesem Waldschadensbericht für die Bundesregierung sein muß, daß sie auf diesem Weg, den sie eingeschlagen hat und den wir mit ihr eingeschlagen haben, weitergehen soll.Danke schön.
Für die letzten drei Minuten hat der Herr Abgeordnete Boroffka das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem die effektiven Maßnahmen, die diese Bundesregierung getroffen hat, hier schon dargestellt worden sind, lassen Sie mich auf einen anderen Punkt hinweisen.
Als diese Bundesregierung vor rund drei Jahren die Verantwortung übernahm, waren im Haushalt für die Waldschadensforschung ein paar hunderttausend Mark eingesetzt, und die Forschung — soweit überhaupt vorhanden — war zersplittert. Innerhalb von drei Jahren hat diese Bundesregierung nicht nur die Forschung effektiv zentralisiert bzw. koordiniert, sondern hat überdies im Jahre 1985 für 253 Vorhaben im engeren Bereich der Ursache-Wirkung-Forschung 63 Millionen DM eingesetzt. Innerhalb von drei Jahren von weniger als 1 Million auf 63 Millionen DM nur im Forschungsbereich!
Meine Damen und Herren, Herr Professor Grzimek hat einmal gesagt: Die Liebe eines Ministers zur Natur muß sich in seinem Haushalt ausdrücken. Wenn man dem folgt — und ich glaube, das kann man —, muß man dieser Bundesregierung eine besondere Liebe zur Natur und eine besondere Waldverbundenheit allein aus diesem Grunde bestätigen.
Vielen Dank.
Wir sind am Ende der Aktuellen Stunde.
Meine Damen und Herren! Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, darf ich zwei Kollegen beglückwünschen. Der Abgeordnete Zink hat am 31. Oktober 1985 seinen 60. Geburtstag gefeiert,
der Abgeordnete Dr. Czaja am 5. November 1985 seinen 71. Geburtstag.
Ich darf den Kollegen die herzlichen Wünsche des Hauses übermitteln.Zweitens darf ich mitteilen: Die Amtszeit des Verwaltungsrates der Filmförderungsanstalt läuft am 11. November 1985 aus. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 des Filmförderungsgesetzes vom 25. Juni 1979 gehören dem Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt drei Mitglieder und drei Stellvertreter an.Die Fraktion der CDU/CSU schlägt zur Wiederwahl den Abgeordneten Dr. Waigel als ordentliches und den Abgeordneten Daweke als stellvertretendes Mitglied vor.Die Fraktion der SPD schlägt zur Wiederwahl die Abgeordnete Frau Dr. Martiny-Glotz als ordentliches und den Abgeordneten Duve als stellvertretendes Mitglied vor.Die Fraktion der FDP schlägt zur Wiederwahl den Abgeordneten Wolfgramm als or-
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12766 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Präsident Dr. Jenningerdentliches und den Abgeordneten Baum als stellvertretendes Mitglied vor.Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Damit sind die Abgeordneten Dr. Waigel, Frau Dr. Martiny-Glotz und Wolfgramm als ordentliche Mitglieder, die Abgeordneten Daweke, Duve und Baum als stellvertretende Mitglieder in den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt gewählt.Drittens. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Liste „Zusatzpunkte zur verbundenen Tagesordnung" aufgeführt.Darüber hinaus ist interfraktionell vereinbart worden, Punkt 5 der Tagesordnung „Beratung der Großen Anfrage zur Lage und Forderungen der Sinti, Roma und verwandter Gruppen" vor Punkt 4 unmittelbar nach der Mittagspause um 14 Uhr aufzurufen.Sind Sie damit einverstanden? -Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Die Beschlußempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Wirtschaft zu Tagesordnungspunkt 2f konnten erst gestern verteilt werden. Ich gehe davon aus, daß von der Frist für den Beginn der Beratung gemäß § 78 Absatz 5 der Geschäftsordnung abgewichen werden soll.Sind Sie damit einverstanden? — Es ist mit der erforderlichen Mehrheit so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 g:a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Windenergie— Drucksache 10/2255 —Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 10/3826 —Berichterstatter:Abgeordnete Scheu Vogel
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Nukleare Entsorgung— Drucksachen 10/906, 10/3893 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Laufs Reuterc) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu der Unterrichtung durch die BundesregierungMitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat über einForschungs-Aktionsprogramm zum Ausbauder Energiegewinnung aus Kernspaltung
— Drucksachen 10/376 Nr. 82, 10/3103 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Warrikoff Hansen
KohnFrau Dr. Bardd) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für einen Beschluß des Rates zur Änderung des Beschlusses 77/271 EURATOM hinsichtlich des Höchstbetrags der EURATOM-Anleihen, welche die Kommission im Hinblick auf einen Beitrag für die Finanzierung von Kernkraftanlagen aufnehmen kann
— Drucksachen 10/3116 Nr. 12, 10/3372 —Berichterstatter:Abgeordnete Esters Borcherte) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu dem Bericht der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" über den Stand der Arbeit gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 26. Mai 1981 — Drucksachen 9/2438, 9/2439, 10/154 —— Drucksache 10/3409 —Berichterstatter:Abgeordnete Gerstein Catenhusenf) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die BundesregierungNeue energiepolitische Ziele für die Gemeinschaft— Drucksachen 10/3592 Nr. 4, 10/4131 —Berichterstatter:Abgeordnete Müller Wolfram (Recklinghausen)g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktion der SPDSicherung umweltfreundlicher Energieversorgung— Drucksachen 10/1476, 10/3031 —Berichterstatter:Abgeordneter Wolfram
sowie den Zusatz-Tagesordnungspunkt 2 auf:Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Schnellbrüter-Reaktortechnologie— Drucksache 10/4122 —
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12767
Präsident Dr. JenningerInterfraktionell und gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 g sowie des Zusatz-Tagesordnungspunktes 2 und eine Aussprache von drei Stunden vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Wird das Wort zur Berichterstattung oder zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte befaßt sich mit einer Vielzahl unterschiedlicher energiepolitischer Einzelpunkte. Ich glaube, es wird auch der Debatte in diesem Hause nützen, wenn ich den Versuch mache, am Anfang in einer Zusammenschau die energiepolitische Gesamtlinie auszuziehen.Wir haben in der Energiepolitik in den letzten Jahren, wie sicher auch aus der Debatte hervorgehen wird, eindeutige und mit Zahlen klar belegbare Erfolge erzielt. Wir sind dem Ziel einer zugleich sicheren und preisgünstigen, aber auch umweltgerechten Energieversorgung ein beträchtliches Stück näher gekommen. Wir verbrauchen heute z. B. nicht mehr Primärenergie als 1973 obwohl sich in derselben Zeit das Bruttosozialprodukt um über 20 % gesteigert hat. Das ist sicher ein Erfolg der Energieeinsparung, der damals, als die Debatte über die Energieeinsparung begann, kaum vorherzusehen war. Wenn man das mit den Einschätzungen der Einsparmöglichkeiten vergleicht, die die erste Enquete-Kommission damals, 1979, sah, dann muß man sagen, daß die Vorschläge, die eine drastische Verminderung des Energieverbrauchs auf administrativem Wege vorsahen, der sogenannte Pfad drei, sicherlich ein weniger gutes Ergebnis erzielt hätten als das, was wir damals durchgesetzt haben, vor allem meine beiden Vorgänger in diesem Amt,
nämlich eine marktwirtschaftliche Regelung dieser Knappheitsprobleme. Das sollte man hier einmal, vor allen Dingen auch mit Blick auf das SPD-Wirtschaftsprogramm des Herrn Roth, deutlich hervorheben. Herr Roth als der entschiedene Unterstützer der Marktwirtschaft wird sicher gleich das Loblied von Friderichs und Lambsdorff singen.
Der Kurs des starken Energieeinsparens durch Staatseingriffe
— der unschöne Katalog reichte schon damals von staatlich verordneten Preiserhöhungen bis zu einer allgemeinen Energieverbrauchsordnung, natürlich eine herrliche Spielwiese für Bürokraten und solche, die es werden wollen —
wäre verhängnisvoll geworden. Daß wir uns damals— übrigens mit der SPD und mit der Unterstützung der damaligen Opposition — für diesen Kurs eingesetzt haben, versetzt uns heute in eine vernünftige Situation.
— Sie sind auch in der Opposition zeitweilig durchaus in der Lage gewesen, die Notwendigkeiten zu erkennen, was richtige Politik ja voraussetzt.
Heute zeichnet sich die Richtigkeit der damaligen Aussagen durchaus deutlich ab. Ich denke, wir sollten das hier zunächst einmal feststellen. Auch die EG-Kommission erwartet in den nächsten Jahren weitere gute Resultate, und wir werden dafür sorgen, daß wir diese Politik vernünftig fortsetzen können. Diese Ergebnisse sind allerdings nicht vom Himmel gefallen. Sie sind das Ergebnis dieser kontinuierlichen und die Rahmendaten langfristig setzenden marktwirtschaftlichen Position.Ich denke, daß wir, auch wenn wir die Situation der OPEC betrachten, die damaligen Vorschläge zu einem Anti-OPEC-Kartell endgültig zu den Akten legen können; denn auch hier hat sich der Markt durchgesetzt. Auch dieses mächtige Kartell — damals übermächtig erscheinende Kartell — hat nicht alles durchsetzen können, was nur in seinem Interesse lag.Natürlich brauchen wir eine Koordinierung dieser energiepolitischen Ziele, insbesondere zwischen den Industriestaaten. In der Internationalen Energie-Agentur haben wir eine Organisation, die sich auch dieser Aufgabe widmet. Sie wird derzeit übrigens, wie Sie wissen, von einer Deutschen geleitet, und zwar mit sehr gutem Ergebnis, was auch nicht verwundert; denn die Präsidentin war zuvor in meinem Hause tätig.
— Verehrte Kollegen von der SPD-Fraktion, wenn ich alle die aufzähle, die heute bei Ihnen sind und einmal in meinem Hause tätig waren, dann werden Sie sehen, daß das Bundeswirtschaftsministerium keine schlechte Lehrwerkstätte ist.
Nicht immer hält diese gute Lehre vor. Wenn man lange Zeit in der SPD-Fraktion war, dann verschwinden diese marktwirtschaftlichen Kenntnisse wieder etwas.
— Immerhin, Herr Roth: Wenn Sie schon einmal so weit sind, dann sind Sie auf dem Weg der Besse-
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12768 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Bundesminister Dr. Bangemannrung. Da sich Ihre Urteile über mich jetzt schon wesentlich von dem unterscheiden, was Sie zu Anfang gesagt haben, werde ich Sie irgendwann einmal in meinen Fan-Club aufnehmen.
Wir haben, meine Damen und Herren, einen Bericht der EG-Kommission zur Energiewirtschaft der EG vorliegen; wir werden darüber diskutieren. Aber auch dieser Bericht zeigt: In der Energiepolitik der EG besteht heute große Übereinstimmung; es gibt keine unterschiedlichen Positionen mehr. Weltmarktgerechte Preise, mehr Energieeinsparung, die Möglichkeiten der Versorgung breiter zu streuen und damit eine Minderung der Ölabhängigkeit zu erreichen, sind heute Schwerpunkte in allen Industriestaaten, insbesondere in der EG.Wir können auch, was die Umweltauswirkungen angeht, mit Befriedigung feststellen: Die Belastung hat in den letzten Jahren abgenommen. Immer wieder wird übersehen, immer wieder wird vergessen, daß die Umweltpolitik der Regierung bereits Erfolge zeigt.
Daß über Jahrzehnte aufgebaute Schäden von heute auf morgen nicht verschwinden können, müßte eigentlich jeder anerkennen. Daß wir ganz wesentliche Erfolge bei Luftreinhaltung, bei der Reinhaltung von Gewässern und bei den übrigen Problemen des Umweltschutzes erzielt haben, kann niemand bestreiten.Vor allen Dingen hat sich auch die Struktur des Energieverbrauchs beträchtlich zugunsten emissionsärmerer Energieträger gewandelt. Das ist mit ein Erfolg von Umweltschutzvorschriften, die natürlich Rahmendaten sind. Niemand wird eine Umweltschutzpolitik für wirkungsvoller halten, die sich außerhalb der Marktwirtschaft vollzieht. Die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie ist nämlich möglich, und zwar zugunsten der Umwelt. Wenn Sie sich einmal die Umwelterfolge von dirigistischen Zentralverwaltungswirtschaften ansehen — die wir j a in unserer unmittelbaren Nachbarschaft haben — und sie mit den Erfolgen vergleichen, die wir in einem marktwirtschaftlichen System erzielen, so kann man sagen: Marktwirtschaft ist auch für Umweltschutz besser als jeder staatliche Dirigismus.
Meine Damen und Herren, der steigende Beitrag des Erdgases, der sicher nicht umstritten wird, wird ergänzt durch einen steigenden, umweltgünstigen Beitrag der Kernenergie. Auch in dieser Diskussion sollte man einmal anerkennen, daß der Beitrag der Kernenergie zu einer besseren Umwelt immer wieder unterschätzt, manchmal sogar minimiert wird, und zwar von denjenigen, die immer wieder behaupten, die Kernenergie sei der größte umweltschädliche Energieträger — was nicht stimmt, was eindeutig falsch ist.
Die Bundesregierung hat den gesetzgebenden Körperschaften nach 1983 entscheidende, strengere Grenzwerte vorgeschlagen und sie übrigens auch in internationale Verpflichtungen eingeführt. Die 1983 erlassene Großfeuerungsanlagen-Verordnung zeigt diese Ergebnisse ganz eindeutig. Die Umrüstung der Kraftwerke verläuft zügig — viel schneller übrigens, als viele selbsternannte Umweltschützer die Öffentlichkeit glauben machen wollten. Wenn sich jetzt jemand von der Opposition, die damals in der sogenannten Buschhaus-Debatte so vehement auftrat, hier an dieses Podium stellt und sagen würde: Die Bundesregierung hat mit ihren damaligen Vorausschätzungen recht gehabt, Buschhaus ist heute für die Umweltpolitik kein Thema mehr, dann würden wir damals eine sinnvolle Debatte geführt haben. Aber es ist wohl zuviel, das zu erwarten.
— Doch, ich verlange das. Sie werden es trotzdem nicht tun. In der Umweltschutzpolitik würden wir viel wirkungsvollere Ergebnisse erzielen, wenn man auch einmal gemeinsam Erfolge feststellte und nicht immer nur beklagte, daß nichts geschieht.
Zu einer 70%igen Verminderung des Ausstoßes von Schwefeldioxid und Stickstoffoxiden werden wir bis 1995 kommen. Die Novellierung wird auch für kleinere Feuerungsanlagen der übrigen Industrie schärfere Emissionsgrenzwerte vorschreiben. Auch der Staubauswurf wird bis 1993 um etwa 40 % zurückgehen. Die finanziellen Lasten für all diese Erfolge zahlt nicht der Steuerzahler, sondern das wird nach dem Verursacherprinzip von der Industrie selber aufgebracht werden.Das sind sicherlich Erfolge einer vernünftigen Umweltpolitik. Wir haben heute für die Kraftwirtschaft die strengsten Vorschriften in der Welt. Diese Umweltstandards stellen hohe Anforderungen, und die Wirtschaft erfüllt diese hohen Anforderungen. Um so mehr begrüße ich es, daß trotz dieser hohen Belastungen der Jahrhundertvertrag über die Verstromung der deutschen Steinkohle von der Elektrizitätswirtschaft erfüllt und nicht in Frage gestellt wird. Das ist ein erheblicher Beitrag auch für die Sicherung der deutschen Energieversorgung, denn Sie wissen, daß dieser Energieträger für uns eine heimische Energiequelle darstellt.
— Ja, wenn Sie das wollen, selbstverständlich. Ich habe das an dieser Stelle in meinem Redetext nicht, aber ich bin gern bereit, zu sagen, daß es unverzichtbar ist.Sie müssen sich einmal anschauen, was wir in den vergangenen Wochen an Beiträgen zur deutschen Kohlepolitik geleistet haben — übrigens auch entgegen dem, was Sie an Erwartungen geäußert haben. Ich kann mich noch an den nordrheinwestfälischen Landtagswahlkampf erinnern. — Jetzt hören Sie mir einmal vorübergehend zu! — InDeutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12769Bundesminister Dr. Bangemanndiesem Wahlkampf sind Sie durch die Gegend gelaufen und haben so getan, als ob sich die Bundesregierung die ersten Überlegungen der Kommission — die in der Tat unmöglich gewesen sind — zu eigen machen würde. Ich habe damals gesagt: Wir werden diese Überlegungen der Kommission nicht nur nicht akzeptieren, sondern wir werden sie aktiv beeinflussen in Richtung eines besseren Konzeptes. Wir haben es erreicht. Jetzt liegt das bessere Konzept vor. Jetzt wäre es an der Zeit
— da kommt schon jemand —, in der Opposition einmal aufzustehen und zu sagen: Wir entschuldigen uns bei der Regierung, und wir bedanken uns dafür, daß die Regierung dafür gesorgt hat, daß die deutsche Kohle wieder eine Zukunft hat.
Herr Bundesminister, wollen Sie dem Herrn Abgeordneten Wolfram Gelegenheit zú einer Zwischenfrage geben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, nur wenn diese Frage auch den Dank enthält, den ich gerade angesprochen habe. — Bitte schön.
Sie müssen das dem Zwischenfrager überlassen. — Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Herr Bundesminister, wenn Sie Dank nötig haben, sollen Sie ihn bekommen, falls Sie ihn verdienen. —
Ich frage Sie: Teilen Sie meine Auffassung, daß in der Tat monatelang die begründete Sorge bestand, daß die EG-Kommission wahnwitzige Ideen verfolgt und daß es uns — der nordrhein-westfälischen Landesregierung, der IG Bergbau und Energie und anderen politischen Kräften — gemeinsam mit Ihnen gelungen ist, die „Giftzähne" aus diesen Papieren herauszuziehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin gerne bereit, Ihnen das zu bestätigen. Ich will das der nordrhein-westfälischen Landesregierung oder Ihnen oder meinem Freund Adolf Schmidt schon gar nicht absprechen. Ich habe zu ihm gesagt: Adolf, wir müssen das gemeinsam machen.
— Herr Fraktionsvorsitzender der SPD, in der SPD-Fraktion ist es j a eine Regel, daß man sich duzt. Insofern kann man nicht besonders stolz darauf sein, wenn man sich mit jemandem duzt. Bei mir ist das keine Regel. Adolf Schmidt und ich duzen uns, was zeigt, in welcher engen Gemeinschaft wir diese Ziele erreicht haben.Ich bestätige das, und ich bin Ihnen dankbar, daß Sie gesagt haben, daß auch die Regierung ihren Anteil daran hat. Mehr wollte ich j a gar nicht hören.
Der Hüttenvertrag, meine Damen und Herren, wird auch bis zum Ende dieses Jahrhunderts gelten. Er gibt der Kohle eine vernünftige Grundlage für Kalkulationen.
Daß wir die Kohleexporte nicht mehr subventionieren und einen langsamen Abbau dieser Exporte vornehmen, der übrigens sozial verträglich sein wird, muß jeder verstehen, denn zur unverzichtbaren Sicherheit der Energieversorgung durch Kohle kann ja nicht gehören, daß wir auch Exporte in andere Länder subventionieren. Das hat mit der Sicherheit der heimischen Energieversorgung nichts zu tun.
— In bezug auf die Beschäftigung — das habe ich ja gerade gesagt — haben wir uns darüber geeinigt, daß der Abbau der Subventionierung der Exporte sozial verträglich, ohne negative Auswirkungen auf die Beschäftigten vorgenommen wird. Auch diesbezüglich brauchen Sie sich nicht zu beunruhigen.Wir werden diese Kohlepolitik fortsetzen; wir werden sie in der Europäischen Gemeinschaft durchsetzen. Der Energierat, der nächste Woche zum erstenmal die energiepolitischen Vorstellungen der Kommission besprechen wird, hat sicherlich eine gute Grundlage. Ich sehe diesen Besprechungen zuversichtlich entgegen.Alle Einzelheiten kann ich hier jetzt nicht behandeln, weil die Zeit dazu nicht ausreicht, denn sonst kämen Sie in die Verlegenheit, der Regierung noch in anderen Fragen Lob spenden zu müssen. Das will ich Ihnen ersparen.Meine Damen und Herren, die Mineralölindustrie steht heute vor dem Problem der Anpassung der Kapazitäten der Raffinerien. Auch dieses Problem können wir nicht durch staatliche Interventionen lösen. Die bisher vorgenommenen Anpassungen sind bereits von der Wirtschaft allein getragen worden. Was wir allerdings machen und worauf die Mineralölwirtschaft einen Anspruch hat, ist, dafür zu sorgen, daß die Wettbewerbsbedingungen fair sind. Auch dort ist der Weltmarkt liberal, frei, und hängt zusammen.Das bedeutet zweierlei.Erstens. Die Umweltschutzvorschriften in der EG müssen vergleichbare Standards haben. Es geht natürlich nicht an, daß unsere schärferen Umweltschutzvorschriften dazu führen, daß Raffineriekapazität bei uns stillgelegt wird und in Ländern der EG aufgebaut wird, wo die Umweltvorschriften weniger strickt sind. Das geht nicht.Zweitens. Der Weltmarkt muß funktionieren. Es geht nicht an — ich sage das hier in aller Deutlichkeit —, daß sich z. B. die Japaner vor den Raffine-
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12770 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Bundesminister Dr. Bangemannriekapazitäten abschirmen, die Erdöl produzierende arabische Länder aufbauen, und daß dann ein Marktdruck bei uns entsteht, der nicht entstünde, wenn der japanische Markt genauso liberal wäre wie der unsere. Deswegen haben wir bei allen Gelegenheiten, bei denen wir dieses Problem mit den Japanern besprechen konnten, darauf hingewiesen, daß wir Protektionismus dort genauso wenig wie auch in anderen Bereichen akzeptieren.Meine Damen und Herren, diese Politik wird nur dann Erfolg haben, wenn sie stetig und verläßlich weiterbetrieben wird. Sie darf nicht kurzatmig von heute auf morgen immer wieder geändert werden, sondern sie muß der Energiewirtschaft, die langfristige Investitionen vornimmt, die Sicherheit geben, diese Investitionen auch mit Aussicht auf Erfolg machen zu können. Das nützt übrigens auch der Umwelt. Denn Umweltinvestitionen sind teuer, und wenn man nicht die Gewähr hat, daß eine solche Politik verläßlich ist, kann man solche Umweltinvestitionen gar nicht vornehmen.Ein Thema dieser Umweltdebatte, das ich, jedenfalls am Rande, schon angesprochen habe, ist die Kernenergie. Auch die Kernenergie ist eine Energie, die nur langfristig getragen und zu Erfolgen geführt werden kann.
Um so bedauerlicher und auch unbegreiflicher ist es, daß nach den GRÜNEN nunmehr auch die SPD zu einer Politik auf Distanz geht, die sie früher als eigene Regierungspolitik — auch mit uns zusammen — vertreten hat. Wer geglaubt hat, das Beispiel der Energiepolitik von Hessen oder der Beschluß des Parteitages von Essen mit dem langfristigen Ausstieg aus der Kernenergie seien nur Ausrutscher, muß sich heute enttäuscht sehen. Der ja bereits veröffentlichte Entwurf des neuen Wirtschaftsprogramms der SPD bestätigt diese Linie. Die Kernenergie wird nur noch für eine Übergangszeit akzeptiert.
— Daß Ihnen das zuviel ist, weiß ich, Herr Müller.— Mehr Subventionen und mehr staatliche Eingriffe sind die Devise. Damit hat sich die hessische Linie ganz eindeutig auch in der Bundes-SPD durchgesetzt.In diesem Zusammenhang werden Sie auch über den Schnellen Brüter diskutieren. Dazu kann ich mich jetzt hier nicht im einzelnen äußern; das wird der Kollege Riesenhuber tun. Die Bundesregierung jedenfalls hat hierzu mehrmals eindeutig Stellung bezogen, und dem ist nichts hinzuzufügen. Es ist nun Sache der Landesregierung des Landes Nordrhein-Westfalen, die durch Recht und Gesetz vorgesehene Entscheidung zu treffen. Niemand kann sich dem entziehen.
— Na wunderbar.Lassen Sie mich ein Wort zum langfristigen Ausstieg aus der Kernenergie sagen. Die Realisierung einer solchen Politik wäre nicht nur energiepolitisch, sondern auch industrie- und umweltpolitisch unverantwortlich. Sie hätte für Volkswirtschaft und Arbeitsplätze unabsehbare Konsequenzen.
Energiepolitisch bedeutet dieser Ausstieg eine Absage an eine sichere und preisgünstige Energieversorgung.
Bereits heute deckt die Kernenergie bei uns, aber auch in der EG, ein Drittel der Stromerzeugung, und dieser Anteil wird in den nächsten Jahren noch steigen. Die Kostenvorteile werden zunehmen.
Mitgliedstaaten der EG wie Frankreich können in der Tat mit stabilen Strompreisen rechnen. Sie denken auch nicht daran, auf diesen Vorteil zu verzichten. Das gilt übrigens auch für die französische Energiepolitik unter der sozialistischen Regierung.
— Dann sagen Sie doch hier, daß auch Sie für die Kernenergie sind. Dann müssen Sie aber erst einmal Ihre Parteitagsbeschlüsse ändern.
Meine Damen und Herren, das geht natürlich auch nicht: daß Sie Dokumente verfassen, mit denen Sie Ihre linken Mitglieder beruhigen, und wenn es hier zur Debatte kommt, sagen Sie, auch Sie wollten nicht aus der Kernenergie aussteigen. Diese Art von Unzuverlässigkeit der SPD-Position, daß man gar nicht mehr weiß, was die Partei eigentlich will, ist auch kein Beitrag zur sicheren Energieversorgung.
Industriepolitisch würde ein Ausstieg aus der Kernenergie langfristig die Existenz der deutschen Kernenergiewirtschaft in Frage stellen.
Das wird ja wohl nicht bestritten. Diese Industrie aber sichert schon heute viele zehntausend Arbeitsplätze, übrigens auch durch Exportaufträge aus anderen Ländern.Umweltpolitisch — das habe ich schon gesagt — heißt langfristiger Ausstieg aus der Kernenergie Verzicht auf einen Energieträger, der weder Schwefel noch Stickoxide emittiert
und beträchtlich zur Entlastung der Umwelt beigetragen hat. Das muß man hier mal in aller Deutlich-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12771
Bundesminister Dr. Bangemannkeit sagen, damit diese Diskussion etwas rationaler geführt wird.
Sie haben vorhin gerade über die Wälder diskutiert, meine Damen und Herren. Wenn man sich einmal — nur theoretisch — vorstellt, daß der Beitrag der übrigen Kraftwerke in der Vergangenheit ausschließlich — was man praktisch nicht kann — durch Kernenergie ersetzt worden wäre, dann wäre diese Debatte sicherlich vor einem anderen Hintergrund geführt worden. Die Zahlen haben Sie j a gerade im einzelnen behandelt.Übrigens ist das auch ein Beitrag zur Konsequenz: Man kann nicht auf der einen Seite die Krankheit der Wälder, den Tod der Wälder in den Alpen beklagen, sich aber zugleich gegen Energieträger wenden, die diesen Tod vermeiden würden. Das geht auch nicht.
Als für die Energiepolitik verantwortlicher Minister möchte ich die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen jedenfalls an das erinnern, was die Länderwirtschaftsminister erst kürzlich, und zwar mit Zustimmung meines von mir geschätzten Kollegen Professor Jochimsen, beschlossen haben.
— Nein. Wenn Sie Wert darauf legen, daß ich das hier sage: Mit Herrn Professor Jochimsen bin ich noch nicht per du.
— Das brauchen Sie nicht, Herr Roth. Ich habe j a gesagt: noch nicht. Es besteht eine gewisse Aussicht, daß wir diesen Zustand noch erreichen.Ich zitiere aus einer auch von Professor Jochimsen mitgetragenen Entschließung:Eine von den Ländern gemeinsam mitgetragene deutsche Kohlepolitik kann auf Dauer nur dann erwartet werden, wenn auch andere Energienutzungen, so auch Kernenergie einschließlich Entsorgung, von allen Ländern mitgetragen werden.
— Einschließlich Kernenergie. Meine Damen und Herren, an Ihrer Reaktion sehe ich: Zu dieser Politik gibt es keine überzeugende Alternative.
Weder in Ihrem neuen Wirtschaftsprogramm noch in der grün inspirierten Politik in Hessen werden Sie so etwas finden. In der Praxis heißen alle diese Schlagworte wie etwa „Dezentralisierung" in Wahrheit: mehr staatliche Steuerung und vor allem mehr Subventionen, die der kleine Mann dann bezahlen müßte. Das Programm „Arbeit und Umwelt" hat das ganz deutlich gemacht. Der kleine Mann, der in seinem Haushalt auf Elektrizität angewiesen ist, sollte das bezahlen. Das wollen wir nicht. Wir wollen über die Marktwirtschaft und auch durch die Energiepolitik erreichen, daß die Verursacher von Umweltschäden das bezahlen
und nicht diejenigen, die dafür gar nichts können.
— Ich komme zum Ende, Herr Präsident.
Sie gestatten keine Zwischenfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, diese Linie steht in Übereinstimmung mit der internationalen und mit der europäisch vertretenen und verabredeten Politik. Sie hat in der Vergangenheit unbezweifelbare Erfolge erzielt, übrigens auch mit der Unterstützung der Opposition. Die wichtigsten Entscheidungen wurden gemeinsam getragen. Wir wollen bei dieser klaren Linie bleiben. Ich rufe die Opposition auf, sich nicht bei diesen Erfolgen zu verabschieden, sondern weiter gemeinsam mit der Regierung die künftigen energiepolitischen Aufgaben zu lösen. Denn daß eine Lösung dieser Aufgaben eine gute Grundlage für eine gute wirtschaftliche Entwicklung und damit für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist, sollte unbezeifelt sein. Gute Energiepolitik bedeutet eine gute Grundlage für zukünftige Arbeitsplätze. Wer die Arbeitslosigkeit wirklich bekämpfen will, wer dieses Grundproblem der Wirtschaftspolitik entschieden angehen will, der muß sich für diese Energiepolitik der Bundesregierung einsetzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfram .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen, liebe Kollegen! Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt diese Debatte. Wir hoffen, daß sie in der Sachlichkeit abläuft, wie es vom Thema her geboten ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In den 70er Jahren haben wir eine erfolgreiche Energiepolitik entwickelt; wir haben zwei Olkrisen bewältigt.Wenn heute Einsparerfolge zu verzeichnen sind, dann sind in den 70er Jahren — übrigens von uns gemeinsam, von der sozialliberalen Koalition — dafür die Grundlagen gelegt worden. Das sollten Sie bitte anerkennen. Sie sollten aber auch nicht in der Ihnen eigenen Art verharmlosen, verniedlichen und verallgemeinern. Es gibt nach wie vor gravierende Energieprobleme und Sorgen — vielleicht nicht heute, aber für die Zukunft —, mit denen wir uns ernsthaft befassen müssen. Ich will in meinem Beitrag dazu etwas sagen.
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12772 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Wolfram
Für uns Sozialdemokraten gelten unsere energiepolitischen Leitziele unverändert fort. Energieeinsparen ist der beste Beitrag zum Umweltschutz. Wir wollen den Importanteil und die Importabhängigkeit verringern. Wir wollen nicht von einer Verringerung der Importabhängigkeit beim Rohöl zu einer Importabhängigkeit bei den Produkten kommen.Für uns gilt der Kohlevorrang, wobei wir unter Kohlevorrang selbstverständlich die umweltverträgliche Nutzung der Kohle verstehen und uns für eine „saubere" Kohle einsetzen, in der Gewißheit und im Wissen, daß das Geld kostet.Wir sind für Kohleveredelung. Zu dieser Problematik haben Sie kein Wort gesagt.Wir wollen die Energieforschung und -entwicklung vor allem im nichtnuklearen Bereich und bei regenerierbaren Energien weiter fördern. Ich nehme an, daß dazu Minister Riesenhuber noch etwas sagen wird. Über allem steht bei uns die Schonung und Erhaltung einer gesunden Umwelt, eine umweltverträgliche Nutzung aller fossilen Energien.Meine Damen und Herren, alle diese Gedanken finden Sie in unserem „Antrag zur Sicherung einer umweltfreundlichen Energieversorgung", der Ihnen heute vorliegt. Wir bitten Sie um Ihre Zustimmung. Sie könnten nach dem, was der Bundesminister Bangemann gesagt hat, ohne weiteres zustimmen.Zur aktuellen Lage auf dem Energiemarkt möchte ich feststellen, daß in der Tat im Moment ein Überangebot an Energie da ist. Das hat verschiedene Gründe. Aber es gibt für die Zukunft auch Risiken, die wir sehen müssen. Die derzeitige Überflußlage darf uns nicht zu falschen Verhaltensweisen verleiten. Das Energiebewußtsein muß bei Verbrauchern wie bei Produzenten, bei öffentlichen Händen wie bei der Industrie nach wie vor weiter geschärft werden, damit wir nicht morgen im Falle einer neuen Ölkrise alles teuer bezahlen müssen.Wir erkennen an, daß private, industrielle Energieverbraucher bisher gut mit Energie versorgt worden sind. Aber der letzte Winter hat gezeigt: Auch bei uns kann es Engpässe geben.Herr Bundesminister Bangemann, wir behaupten, daß es noch ein beträchtliches Energieeinsparpotential gibt, das weiter ausgeschöpft werden muß. Wir geben uns nicht zufrieden mit den bisher erzielten Erfolgen.Wir begrüßen, daß bundesweit der Kohleverstromungsvertrag anerkannt wird. Wir erwarten, daß rechtzeitig vor Auslaufen eine korrekte und akzeptable Anschlußregelung getroffen wird. Wir erwarten vor allem, daß nicht zugelassen wird, daß durch den Bau von Überkapazitäten im Kernkraftwerksbereich oder durch verstärkte Importe von Kernenergiestrom aus Frankreich die heimische Kohle im Mittellastbereich verdrängt und gefährdet wird.
Es wäre gut, wenn die Bundesregierung und dieKoalitionsfraktionen schon heute erklären würden,daß auch nach ihrer Auffassung aus einem „15-Jahre-Kohleverstromungsvertrag" ein echter „Jahrhundertvertrag" werden muß.Wir begrüßen, daß sich Bergbau, Stahlindustrie, Bund und Kohleländer auf eine Anschlußregelung zum Hüttenvertrag verständigt haben. Zum Jubel, Herr Bundesminister, besteht aber kein Anlaß. Sie haben in dieses Vertragswerk Fußangeln gelegt. Sie haben sich Hintertüren offengelassen, über die Sie hier nur nicht offen geredet haben.Was wir Sozialdemokraten vor allem kritisieren, ist die Tatsache, daß die Bundesregierung mit massivem Druck den Bergbau zwingt, seine Exporte in die Länder der EG abzubauen. Das ist kein gemeinschaftliches Verhalten. Das gefährdet Arbeitsplätze im Bergbau. Ihr Hinweis, daß sich das sozialverträglich abwickeln werde, ist irreführend. Natürlich wird nichts geschehen, wodurch Bergleute ins Bergfreie fallen. Aber weitere Tausende von Arbeitsplätzen, für die es keinen Ersatz gibt, werden vernichtet. Das ist das Problem, mit dem wird uns auseinanderzusetzen haben.Meine Damen und Herren, in der Kohleveredelung gibt es einen Entscheidungsbedarf der Bundesregierung. Wir warten darauf, daß Sie sich heute dazu äußern. Von der Bundesregierung und den Nichtkohleländern erwarten wir, daß sie sich solidarisch erklären mit den Kohleländern Saarland und Nordrhein-Westfalen. Diese beiden Länder können die finanzielle Last nicht allein tragen.Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten sind gegen die Koaltionspolitik — die Sie nicht offen aussprechen — Kernenergie vor Kohle. Die Koalition will die Kernenergie weiter pushen.
— Nein, nein, für Sie hat Kernenergie Vorrang. Geben Sie das zu.
Ich möchte ein Wort zur Lage auf dem Mineralölmarkt sagen. Herr Minister, ich bedauere, daß unsere „Große Anfrage" erst im Dezember beantwortet werden soll. Sie beweisen damit einmal mehr, wie wenig ernst die Bundesregierung die viel zu große Vernichtung von inländischen Raffineriekapazitäten nimmt.Daß ein Handlungsbedarf besteht, beweist doch das Land Niedersachsen, dessen Wirtschaftsministerin, Frau Breuel, German Oil aus der Taufe gehoben hat, mit staatlichen Mitteln eine Raffinerie kaufen will und bereits Rohöllieferverträge mit den Ayatollahs geschlossen hat.
Ich frage Sie: Wie ist das mit Ihren ordnungspolitischen Vorstellungen vereinbar?Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12773Wolfram
Ich frage Sie: Was sagen Sie zu Herrn Pieroth, der in Berlin praktisch eine staatliche Tankstellenkette aufbauen möchte?
Äußern Sie sich doch einmal zu diesen Fragen.Ich hätte auch begrüßt, wenn Sie an dieser Stelle endlich einmal ein Bekenntnis zur Existenzberechtigung der kleinen und mittleren, freien und unabhängigen Tankstellenbesitzer und Mineralölhändler abgegeben hätten. Ich frage Sie: Sind Sie bereit, die Umstellungsbeihilfen für Zapfsäulen mit unverbleitem Benzin zu erhöhen, nachdem Sie wissen, daß die zweimal 10 Millionen DM schon ausgebucht sind und nicht ausreichen. Und ich frage Sie: Was tun Sie gegen die Untereinstandspreisverkäufe an verschiedenen SB-Märkten, die den Wettbewerb verzerren?Ich möchte eine Bemerkung zum Gas machen. Wir sind dafür, daß der Anteil des Gases auf dem Niveau der bisherigen Größenordnung stabilisiert wird. Mit Sorge erfüllt uns allerdings der zunehmende Druck des Gases im industriellen und kommunalen Bereich. Wir sehen darin eine Gefährdung des Verstromungsvertrages.Meine Damen und Herren, wir behandeln heute in dieser Debatte auch ein EG-Papier mit den energiepolitischen Zielen mit Blick auf das Jahr 1995. Mir liegt hier ein vergleichbares Papier der EG-Kommission vom 29. Mai 1974 vor. Darin geht es um die damaligen Ziele für 1985. Die Kommission wäre gut beraten gewesen, dieses Papier vor der Abfassung ihres neuen Papiers zu lesen.Das heute vorliegende Papier ist wesentlich besser als seine Vorläufer. Ich anerkenne alle Bemühungen derer, die sich in Brüssel für eine Änderung eingesetzt haben. Die „Giftzähne" sind gezogen. Ich bin vor allem auch unseren politischen Freunden im Europäischen Parlament dankbar, daß sie uns dabei tatkräftig unterstützt haben.Trotzdem ist der Kommissionsentwurf noch verbesserungsbedürftig. Wir haben uns im Wirtschaftsausschuß sehr eingehend damit befaßt. Herr Bundesminister Bangemann, ich hoffe sehr, daß Sie diese Anregungen aufgreifen und zu verwirklichen versuchen. Es genügt uns nicht, die Beihilferegelung nur um ein halbes Jahr zu verlängern. Die Bundesregierung soll doch sagen, wie sie sich die Anschlußregelung vorstellt. Für uns ist eine Verlängerung um ein halbes Jahr zu kurz.Wir sind der Meinung, daß in die offiziellen Ziele der neuen Beihilferegelung, die für die Politik der Kommission maßgeblich sein werden, neben der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit ausdrücklich auch die Erhaltung des Beitrags der inländischen Kohle zur Versorgungssicherheit und ihre positiven Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation einbezogen werden müssen.In dem Kommissionspapier wird nichts zur Raffinerieproblematik gesagt. Auch hier erwarten wir, daß nicht nur in der Bundesrepublik überproportional stillgelegt wird, sondern daß Raffineriekapazitäten in Europa gleichmäßig und ausgewogen abgebaut werden.Wir erwarten von der Bundesregierung vor allem, daß sie sich dafür einsetzt, daß in dem Kommissionspapier dem Umweltschutz ein höherer Stellenwert eingeräumt wird. Zum Umweltschutz und zur Harmonisierung der Umweltschutzbestimmungen wird in diesem Papier so gut wie nichts ausgesagt.Wir lehnen strikt das Plädoyer für mehr Kohleimporte aus Drittländern — z. B. aus Südafrika — ab. Wie Sie wissen, ist dies noch nicht vom Eis. Bei der Kommission besteht nach wie vor die Absicht, europäische Kohleförderkapazitäten durch noch mehr Importe aus Drittländern zu ersetzen.Strom kann auch nicht, wie es die Kommission offensichtlich will, willkürlich und frei über die Grenzen gehandelt werden. Der bisherige europäische Verbund und seine praktische Handhabung haben sich bewährt.Die Favorisierung der Kernenergie in dem EG-Papier lehnen wir ab. Zur Entsorgungsproblematik schweigt sich die EG-Kommission aus.Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, für uns Sozialdemokraten hat die Sicherung der zukünftigen Energieversorgung den höchsten Stellenwert. Es wäre sinnvoll, wenn es in den Grundfragen der Energiepolitik einen weiten und breiten Konsens gäbe. Wir sind zur Zusammenarbeit bereit, wenn es darum geht, zukunftsorientierte Entscheidungen zu treffen.
— Nun lassen Sie mich doch einmal ausreden. Es ist doch Quatsch, was Sie sagen.
— Lassen Sie mich doch bitte ausreden! Die Koalition sollte Ihre ideologischen Scheuklappen ablegen.Lassen Sie mich ein letztes Wort zu der im Laufe des Vormittags anstehenden Abstimmung zum „Schnellen Brüter" sagen. Sie wissen, eine Reihe von SPD-Bundestagsabgeordneten haben hier eine andere Meinung als die Mehrheit unserer Fraktion. Wir bitten um Respektierung unserer abweichenden Meinung. Mit Interesse nehmen wir zur Kenntnis, daß der geschätzte Herr Kollege Hirsch eine abweichende Meinung zur Mehrheitsmeinung der Koalition vertreten wird.
Das respektieren wir. Wir bitten darum, daß dieser Respekt gegenseitig gilt. Wir werden unser abweichendes Abstimmungsverhalten begründen und in einer schriftlichen Erklärung zu Protokoll geben.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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12774 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Das Wort hat Herr Abgeordneter Gerstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich möchte zunächst auf meinen Vorredner eingehen und sagen: Herr Wolfram, an dem persönlichen Respekt davor, daß Sie mit einigen anderen Kollegen von der Mehrheit Ihrer Fraktion abweichende Meinungen vertreten, soll es nicht fehlen. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß die Behauptung in Ihrer Rede, die Sozialdemokratische Partei halte unverändert an den Leitzielen ihrer Energiepolitik fest, nicht stimmt.
Sie haben in Ihrer sonst sehr angemessenen Rede sehr sorgsam den gesamten Sektor der Kernenergie ausgeklammert. Ich glaube zu verstehen, warum. Wir werden darauf später noch eingehen können.Herr Wolfram, Sie haben trotz der angeblich bestehenden unveränderten Leitziele der SPD um Zustimmung zu dem Antrag der SPD zur Sicherung umweltfreundlicher Energieversorgung gebeten. Diese Zustimmung können weder Sie noch Ihre Fraktion in irgendeiner Weise erwarten; denn dieser Antrag wendet sich nach seinem Wortlaut voll und ganz gegen den weiteren Einsatz der Kernenergie. Sie unterscheiden sich in dieser Sache von den GRÜNEN nur dadurch, daß Sie das nicht schon heute, sondern erst übermorgen wollen. Aber im Prinzip kommt es auf dasselbe heraus.
— Meinetwegen auch überübermorgen. Ich komme darauf gleich noch zurück.Sie, Herr Wolfram und liebe sozialdemokratische Kollegen, haben den Versuch gemacht, im Wirtschaftsausschuß darzustellen, daß dieser Antrag zur Sicherung umweltfreundlicher Energieversorgung ganz anders zu interpretieren sei, nämlich daß sich die SPD-Fraktion gar nicht gegen die Wiederaufarbeitung wende. Das steht aber im Text des Antrags. Ich frage Sie: Wie können Sie von uns verlangen, daß wir diesem Antrag zustimmen? Das wird nicht geschehen.
Meine Damen und Herren, der Wirtschaftsminister hat hier schon von der Stetigkeit und Verläßlichkeit unserer Energiepolitik gesprochen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt diese Äußerungen der Bundesregierung. Wir stützen ihre Energiepolitik. Diese Energiepolitik hat gezeigt, daß in der Bundesrepublik Deutschland die Energieeinsparung durch den Markt auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern am erfolgreichsten gelungen ist. An der Steuerung durch den Markt wollen wir auch in Zukunft soweit wie möglich festhalten.Wir halten auch fest an der ausgewogenen Struktur unserer Energieversorgung. Der Wirtschaftsminister hat darauf hingewiesen. Diese Struktur schließt Bemühungen ein, die Möglichkeiten des Einsatzes auch regenerativer Energieträger weiterzuentwickeln, ohne daß wir dazu besondere neue Gesetze benötigen, wie das im Gesetzentwurf der GRÜNEN steht.
In meinen Bemerkungen heute möchte ich zwei Aspekte besonders hervorheben, und zwar zum einen Fragen der Kernenergiepolitik, zum anderen Fragen der Kohlepolitik.Verläßlichkeit und Stetigkeit sind in einem so sensiblen Bereich wie der Energiewirtschaft unabdingbare Voraussetzung, um wirklich ein Höchstmaß an Sicherheit der Versorgung mit umweltfreundlicher und kostengünstiger Energie zu gewährleisten. Sie, die Sozialdemokraten, haben aber in den letzten Jahren in Ihrer Energiepolitik und ganz besonders im Bereich der Kernenergie eine Kehrtwendung vollzogen, die Verläßlichkeit und Stetigkeit nicht mehr zum Inhalt hat.Unzuverlässigkeit und mangelnde Stetigkeit sind heute Markenzeichen sozialdemokratischer Energiepolitik geworden. Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich aus einem Protokoll des Landtages von Nordrhein-Westfalen, in dem es heißt:Die friedliche Nutzung der Kernenergie — ich muß nicht wiederholen, wie groß der Anteil gerade des Landes Nordrhein-Westfalen an der Entwicklung der friedlichen Nutzung der Kernenergie ist — ...Nach der Feststellung, es sei gegenüber dem Bund gelungen durchzusetzen, daß jede Diskriminierung des Hochtemperaturreaktors unterbleibe, wird am Ende des Absatzes ausgeführt — ich zitiere wieder —:... wobei ich unsere Politik der Gleichbehandlung der beiden Linien, nämlich Brüter und Hochtemperaturreaktor, zu der ich auch alle Bundesländer auffordere, hier noch einmal unterstreiche.Meine Damen und Herren von der Opposition, das sind Ausführungen des Ministers für Wirtschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, Herrn Jochimsen, vom 15. September 1982, genau 14 Tage vor dem Regierungswechsel in Bonn.Dazu gehört noch ein Landtagsbeschluß. Ich bringe ihn im Zusammenhang mit dem Antrag, der heute von der SPD-Bundestagsfraktion gegen den Schnellen Brüter eingebracht worden ist. Das ist ein Landtagsbeschluß vom 16. September 1982, in dem es heißt:Der Landtag— es handelt sich um den nordrhein-westfälischen Landtag —erwartet, daß beide in Nordrhein-Westfalen befindlichen Projekte fertiggestellt werden. Beide Reaktorlinien— ich füge hinzu: der Hochtemperaturreaktor und der Schnelle Brüter —sind Bestandteil der gemeinsamen Politik von Bund und Land— und jetzt hören Sie gut zu —
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12775
Gersteinzur Entwicklung zukunftsweisender Technologien, deren Bedeutung weit über den Energiebereich hinaus reichen.Der Gegensatz zwischen diesem noch gültigen Beschluß des Landtages von Nordrhein-Westfalen und Ihrem Beschluß, den Sie heute eingebracht haben, ist kennzeichnend für die Zwiespältigkeit Ihrer Energiepolitik und für die unterschiedlichen Auffassungen zur Kernenergie in Ihrer Partei.
Lassen Sie mich dazu noch einmal ganz deutlich sagen: Der Ausstieg aus der Kernenergie, der von Ihnen zunehmend mehrheitsfähig vorgetragen wird, wird mit uns nicht stattfinden,
weder sofort, wie Sie, DIE GRÜNEN, es wollen — ich erinnere an Ihren Antrag zur sofortigen Stillegung der Kernenergieanlagen —,
noch bald, wie es große Teile der Sozialdemokraten vorhaben, noch in 50 Jahren, wie es neulich der Wirtschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen in einem Interview etwas behutsamer in Aussicht gestellt hat.
Der Wirtschaftsminister hat deutlich gemacht: Kernenergie ist mit einem Anteil von 33 % inzwischen ein wichtiger Teil unserer öffentlichen Stromversorgung geworden. Sie zeichnet sich durch eine hohe Zuverlässigkeit und Sicherheit aus.
Die Verfügbarkeit deutscher Kernkraftwerke liegt bei 83 %. Der hohe Sicherheitsstandard deutscher Kernkraftwerke ist weltweit anerkannt.
Ich möchte das noch einmal mit aller Deutlichkeit sagen, weil immer Angst gemacht und versucht wird, Panik zu erzeugen. Die Bürger der Bundesrepublik können sich auf die Sicherheit deutscher Kernkraftwerke — das wird auch für den Brüter gelten — in jeder nur denkbaren Hinsicht verlassen. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel.
Der Bundeswirtschaftsminister hat schon einige weitere Fakten zur Bedeutung der Kernenergie vorgetragen. Lassen Sie mich heute nur noch einmal sagen: Kernenergie ist heute in der Bundesrepublik und weltweit eine preiswerte Vollwertenergie. Vielleicht sollten wir uns einen Moment daran erinnern, welche erstaunliche Entwicklung gerade die Kernenergie in der Bundesrepublik in den letzten 30 Jahren genommen hat. Ich darf noch einmal zum Ausdruck bringen: Kernenergie ist der einzige Primärenergieträger, der es geschafft hat, sich neben den klassischen Primärenergieträgern wieKohle, Gas, Öl und Wasser in bemerkenswertem Umfange neu zu etablieren.
Meine Damen und Herren, sowohl bei den GRÜNEN als auch bei der SPD, gelegentlich habe ich den Eindruck, daß Ihnen bei Ihren Bemühungen um den Ausstieg aus der Kernenergie völlig entgangen ist, was für eine außerordentlich große Leistung die deutsche Wissenschaft und die Technik bei der Entwicklung der Technologie zur friedlichen Nutzung der Kernenergie vollbracht haben. Das muß auch hier von diesem Pult einmal ausdrücklich anerkannt werden.
— Daß Sie, Herr Stahl, darüber etwas anderes als Ihre Fraktion denken, weiß ich j a. — Jetzt will man diese Leistungen mit dem Aus für den Schnellen Brüter, mit der Ablehnung des Baus einer Wiederaufarbeitungsanlage und mit Programmen zum Auslaufen der Kernenergie sozusagen belohnen.Lassen Sie mich jetzt noch ein paar Bemerkungen zum Kanzlerkandidaten der SPD machen.
— Sagen Sie das später, wenn ich meine Bemerkungen gemacht habe!
Der Ministerpräsident hat trotz aller dieser Versuche des Ausstiegs noch am 24. Oktober 1985 in einem Interview mit der „Hamburger Rundschau" ganz unschuldig zur Kernenergie erklärt: „Niemand kann behaupten, die SPD sei gegen die Atomenergie". Dies, meine Damen und Herren, ist ein Widerspruch von Herrn Rau in vielerlei Hinsicht. Dies ist zunächst ein Widerspruch zu dem hessischen Ministerpräsidenten Herrn Börner, der den Ausstieg aus der Kernenergie in seiner Koalition vorbereitet. Dies ist ein Widerspruch von Herrn Rau gegen das Wirtschaftsprogramm, das hier schon zitiert worden ist, in dem ein Auslaufprogramm in der Kernenergienutzung gefordert wird. Dies ist auch ein Widerspruch zwischen Herrn Rau und dem heute vorliegenden Antrag zum Ausstieg aus dem Schnellen Brüter. Dies ist ein Widerspruch von Herrn Rau gegen sich selbst — das macht er ja öfter —, denn im gleichen Interview mit der „Hamburger Rundschau" spricht sich Herr Rau gegen den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf aus.Ich glaube, es ist logisch: Wer gegen die Entsorgung ist, der ist auch gegen die Kernenergie.
Wie kann Herr Rau ernsthaft behaupten, die SPD sei nicht gegen die Atomenergie? Es würde für Herrn Rau auch genügen, einmal eigene Parteitagsbeschlüsse zur Kenntnis zu nehmen. Dann würde er bemerken, wie absurd seine Behauptung ist, die
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12776 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
GersteinSPD sei nicht gegen die Atomenergie. Aber Herr Rau produziert eben eine ganze Reihe von Widersprüchen, und von daher kann man auch Herrn Rau weder Stetigkeit noch Verläßlichkeit bescheinigen. Herr Rau wird dem Anspruch an Stetigkeit und Verläßlichkeit nicht gerecht, wie dieser Exkurs in die Auffassungen des Herrn Rau zur Energiepolitik seiner eigenen Partei, glaube ich, deutlich macht.
— Herr Rau war sogar 1978 an diesem Pult und hat den Brüter verteidigt, was ich durchaus anerkennend bemerken möchte. Aber was tut er denn jetzt?
Lassen Sie mich noch weiter auf Ihren Antrag eingehen, meine Herren von der SPD. Sie unternehmen in Sachen Schneller Brüter nun wirklich alles, um die Inbetriebnahme zu verhindern. Das macht auch nicht vor den Ausdrücken halt, die Sie in diesem Zusammenhang verwenden. Herr Farthmann spricht vom „Höllenfeuer", und der Herr Kanzlerkandidat Rau bezeichnet den Schnellen Brüter gar als „Pannenreaktor".
Haben Sie eigentlich schon einmal über Ihre Argumente nachgedacht, die von Ihnen gegen den Schnellen Brüter und gegen die Kernenergie vorgetragen werden und die immer noch von den gleichen Wissenschaftlern stammen, die schon im Rahmen der Beratungen zur Enquete-Kommission Kernenergie als unglaubwürdig, übrigens bisher unwidersprochen, eingestuft worden sind?Lassen Sie mich dazu ein Zitat von Christian Friedrich Hebbel bringen, der einmal festgestellt hat: „Es ist unglaublich, wieviel Geist in der Welt aufgeboten wird, um Dummheiten zu beweisen."
Dies trifft genau auf das zu, was Sie schon seit Jahren und zum wiederholten Male gegen die Brüter-technologie vortragen.
Deswegen, meine Herren Kollegen von der SPD, ist Ihr Antrag heute abzulehnen. Er ist auch abzulehnen, weil eine neue Beschlußfassung zur Inbetriebnahme des Brüters im Parlament gar nicht erforderlich ist. Es gibt eine klare Beschlußlage, und das ist die Entschließung vom 3. Dezember 1982 im Anschluß an die Beratung der Enquete-Kommission, in der ein klares Votum zur Inbetriebnahme des Schnellen Brüters abgegeben worden ist. Heute gilt es, entsprechend der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie den Schlußstrich unter die Beratung der Enquete-Kommission zu ziehen und den weiteren Ablauf vor allem der Genehmigungsbehörde Nordrhein-Westfalen zu überlassen.Meine Damen und Herren, wir sind sicher — auf diesen Satz kommt es mir sehr an —, daß, wenn nach Recht und Gesetz entschieden wird, die Inbetriebnahme des Schnellen Brüters erfolgen kann. Mit uns wird es die von Ihnen so eifrig betriebene Aufgabe des Schnellen Brüters aus politischen Gründen nicht geben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zur Kohlepolitik sagen, denn auch bei der Kohle betreiben Sie, meine Damen und Herren, j a eine Politik, die entgegen manchen lauten Erklärungen über den absoluten Vorrang der Kohle nicht die Sicherung des Kohleabsatzes, sondern den Abschied von der Kohle zur Folge haben würde.
— Herr Wolfram, lesen Sie einmal ganz genau — bei dem Antrag zur umweltfreundlichen Energieversorgung haben Sie das j a leider auch nicht getan— Ihr Wirtschaftsprogramm! Dort wird doch gefordert: erstens absolute Kohlevorrangpolitik, zweitens Ausstieg aus der Kernenergie bzw. Strategien, die das ermöglichen. Sie als Kenner der Materie wissen ganz genau, daß ein Ausstieg aus der Kernenergie auch und in erster Linie die Verstromung der Steinkohle gefährdet.
— Herr Wolfram, Sie sind in Recklinghausen Bürgermeister. Es gibt in den Aufsichtsräten der Energieversorgungsunternehmen — —
— Eben, das ist der Grund für meine Bemerkung, die jetzt kommt: Es gibt in den Aufsichtsräten der Energieversorgungsunternehmen — nicht nur in Nordrhein-Westfalen, aber auch dort — ja noch eine Reihe von Oberbürgermeistern. Diese Elektrizitätsversorgungsunternehmen haben im Jahresbericht 1984 folgendes erklärt:Auf Grund der Aufwendungen für den Umweltschutz wächst der Kostenvorsprung des Grundlaststroms aus Kernkraftwerken.
Kernenergie trägt damit
— jetzt kommt es —entscheidend dazu bei, die Strompreise stabil zu halten.So Oberbürgermeister der SPD in Aufsichtsräten.
Die Schlußfolgerungen daraus sind doch ganz klar:Wer auf eine absolute Kohlevorrangpolitik setztund aus der Kernenergie aussteigen will, kann die
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12777
GersteinKosten für die Verstromung und den neuen Umweltschutz nicht aufbringen,
ohne daß er die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und damit die Arbeitsplätze gefährdet.
Es ist bedauerlich, daß Sie immer noch nicht begreifen wollen, daß wir zur umweltfreundlichen Verstromung der Kohle nicht auf die Kernenergie verzichten können.
— Sie müssen nur einmal aufmerksam die Geschäftsberichte der großen Energieversorgungsunternehmen lesen,
um festzustellen, daß das in der Praxis so ist!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfram?
Ja, bitte. Ich gehe davon aus, daß das zeitlich nicht erschwerend wirkt.
Wie immer! — Bitte sehr.
Herr Kollege Gerstein, wollen Sie bestreiten, daß zur Zeit und auch mittel- und langfristig eher die Gefahr besteht, daß Überkapazitäten im Kernkraftwerksbereich die Kohle verdrängen,
als die umgekehrte Möglichkeit,
und wollen Sie bitte auch anerkennen, daß natürlich die Aufwendungen für die Entschwefelung und die Entstickung der Kohlekraftwerke viel Geld kosten und daß es deshalb notwendig ist, die Lasten nicht nur auf Nordrhein-Westfalen abzuladen, sondern solidarisch bundesweit zu verteilen und zu tragen?
Herr Wolfram, zum ersten Teil Ihrer Frage würde ich gerne bemerken, daß es bei der Struktur der Energieversorgung in der Bundesrepublik nach wie vor zu wenig Kapazitäten für die Grundlast gibt. Von daher kann, da es eine klare und saubere Arbeitsteilung — die zwischen Kernenergie und Kohle auch verabredet ist — gibt, nämlich Grundlast Kernenergie/Mittellast Kohle, die Kernenergie die Kohle überhaupt nicht gefährden.
Zum zweiten: Natürlich haben Sie recht, wenn Sie sagen, daß die Kosten für den Umweltschutz bei der Umrüstung der Kohlekraftwerke — wobei es sich ja nicht nur um Steinkohle-, sondern auch um Braunkohlekraftwerke handelt — eminent hoch sind und daß es auch und gerade für das Land Nordrhein-Westfalen schwierig ist — und zwar schwierig wegen fehlender Kernkraftwerke —, diese Kosten zu tragen.
Aber, Herr Wolfram, gerade die Bemerkungen aus den Aufsichtsräten und die Bemerkungen der Energieversorgungsunternehmen zielen ja darauf hin, daß alle Elektrizitätsversorgungsunternehmen, die innerhalb der Grundlast einen ausreichenden, normalen Sektor Kernenergie haben, in der Lage sind — wie deren Geschäftsberichte inzwischen ausweisen —, die hohen Kosten für den notwendigen Umweltschutz aus der eigenen Tasche zu bezahlen. Das ist der wahre Sachverhalt.
Daher die Schlußfolgerung — ich bleibe dabei, auch wenn Sie immer versuchen, das umzudrehen —: Es kommt sehr darauf an, daran festzuhalten: Kohle und Kernenergie. Das heißt nicht: Kohle vor Kernenergie. Es heißt aber auch nicht: Kernenergie vor Kohle. Darauf legen wir ganz großen Wert.
Herr Abgeordneter Gerstein, gestatten Sie noch mal eine Zwischenfrage?
Nein, danke; ich möchte gern mit meinen Ausführungen zu Ende kommen.
Sie gestatten keine weitere Zwischenfrage.
Sie haben ja die Möglichkeit, gleich zu reden.
Meine Damen und Herren, Sie werden mit Ihrer Politik den Belangen des deutschen Steinkohlenbergbaus nicht gerecht; das wird die Bundesregierung, und das wird in aller erster Linie der Bundeskanzler selber.Am Jahrhundertvertrag wird nicht gerüttelt, und der Hüttenvertrag kann nun endgültig abgeschlossen werden. Beide Vertragswerke sichern über Jahrzehnte den Absatz von zwei Dritteln deutscher Steinkohle in der Bundesrepublik Deutschland.
— Natürlich gibt es Probleme. Wo ist diese Welt undwo ist die Wirtschaft problemfrei? Aber wir habenja gesehen, wie sehr wir gemeinsam in der Lage
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12778 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Gersteinsind, Probleme des deutschen Steinkohlenbergbaus auch sehr langfristig zu lösen.Über die Möglichkeiten und das Ergebnis der Verhandlungen in Brüssel ist hier gesprochen worden. Ich darf hier noch einmal die Bemerkungen des Vorstandsvorsitzenden der Ruhrkohle AG, Herrn Horn, zitieren, der die Leistungen der Bundesregierung folgendermaßen gewürdigt hat: Der Steinkohlenbergbau hat feststellen können, daß der politische Wille, die Kohlepolitik wie bisher fortzusetzen und die deutsche Steinkohle als den Grundsockel — ich füge gern hinzu: den unverzichtbaren — zu bestätigen, unverändert vorhanden war und sich durchgesetzt hat.Lassen Sie mich noch einmal darauf hinweisen, daß wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der Bundesregierung und den beteiligten Ministerien dankbar sind, daß sie gemeinsam mit dem Bergbau nach langwierigen und schwierigen Verhandlungen über die Kokskohlenbeihilfe Lösungen gefunden haben, die trotz aller verbleibenden Probleme die künftige Entwicklung des Bergbaus, seinen Belegschaften, aber auch den Ansprüchen, die eine sparsame Haushaltsführung stellt, gerecht werden.Unser Dank gilt auch — das sage ich mit allem Nachdruck — dem Bundeskanzler für seinen sehr persönlichen Einsatz in dieser Frage. Die Bergleute in den Revieren können sich entgegen vielerlei Unkenrufen aus der linken Ecke des Hauses auf die CDU/CSU-Bundestagsfraktion verlassen. Sie können sich auch auf die Bundesregierung und auf den Bundeskanzler verlassen.
Mit uns wird es den von Ihnen so oft unterstellten Abschied von der Kohle nicht geben, wie es auch den Ausstieg aus der Kernenergie nicht geben wird.Zum Schluß möchte ich bemerken, daß die neue Situation, die dadurch eingetreten ist, daß die Sozialdemokraten den alten Konsens in Sachen Kernenergie verlasssen haben, uns große Sorgen macht. Lebenswichtige Fragen der Bundesrepublik wie Fragen der Energieversorgung lassen sich natürlich besser im Konsens der Parteien lösen, als es jetzt geschieht. Wir werden trotz dieser Erschwerung auch in Zukunft zusammen mit der Bundesregierung unsere Energiepolitik durchsetzen — zum Wohl aller Bürger unseres Landes.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwar würden die Lichter in der Bundesrepublik in den nächsten Jahren ohne Windenergie nicht ausgehen, aber ich habe noch in den Ohren, daß bezüglich anderer Energieformen auf diese Art und Weise argumentiert worden ist, Energieformen, die uns jetzt erhebliche Probleme bringen und bei denen man eines bitte unterlassen sollte, Herr Bangemann: Reden Sie im Zusammenhang mit Atomenergie nicht von Marktwirtschaft! 30 bis 35 Milliarden DM Steuergelder sind da hineingepumpt worden. In den USA, wo es noch marktwirtschaftlich hergeht, finden Sie keinen mehr, der auch nur einen müden Dollar in die Kernenergie investieren würde. Denn dort hat man erkannt, daß die Kernenergie nicht nur gefährlich, sondern auch völlig unökonomisch ist. Sie wäre ohne staatliche Subventionierung, ohne staatliche Steuergelder nie ins Leben gerufen worden. Das erst einmal an den Anfang.
Wir haben hier einen Gesetzentwurf eingebracht, von dem wir erwartet hätten, daß er die Zustimmung des gesamten Hauses findet; denn es geht darum, einer alternativen Energieform, für die ja sonst häufig geredet wird, zum Durchbruch zu verhelfen. Es geht darum, der Windenergie — trotz aller bürokratischen Hemmnisse, die bestehen — eine Chance zu geben.Unser Gesetzentwurf soll die Windenergie nicht nur fördern — das auch, etwa durch steuerliche Abschreibung und dergleichen; das ist in den USA alles schon der Fall —, sondern er soll inbesondere auch eine Situation der Rechtsunsicherheit beheben. Denn jeder kleine Windenergiebetreiber ist heute immer häufiger gezwungen, den langen Instanzenweg durch die Gerichte zu gehen, um zu einer Genehmigung zu kommen. Wir wären froh gewesen, wenn es für jeden Strommast eines AKW, ein derartiges aufwendiges Genehmigungsverfahren gegeben hätte, wie es heute bei Windenergie der Fall ist. Das Problem, das da besteht, ist schlicht die Monopolsituation der Energieversorgungsunternehmen, die eben schlichtweg nicht wollen, daß Windenergie in diesem Land genutzt wird.
Dabei ist es so, daß nach Studien der EG immerhin die Möglichkeit besteht, daß alle sogenannten alternativen Energieformen insbesondere aber all diejenigen, die sich auf regenerierbare Energien beziehen, bis zum Jahre 2000 7 % bis 8 % der Primärenergieversorgung abdecken werden. Überlegen Sie doch bitte einmal, was insbesondere an der Küste für eine Möglichkeit besteht, wenn Windenergie in ähnlicher Art und Weise wie in Dänemark genutzt würde.
— Unter Einschluß der Wasserkraft, aber insbesondere unter Einschluß all derjenigen Energieformen, die durch Ihre bürokratische Politik verhindert werden, meine Damen und Herren von der CDU. Das ist das Problem, das wir mit der Windenergie haben.Um zurückzukommen: 7 % bis 8 % bis zum Jahre 2000 wären sehr viel. Und Sie scheinen ja die Zeit vergessen zu haben, als von der Ölkrise geredet wurde, als die Straßen in Deutschland — Gott sei Dank, muß man sagen — sonntags leer waren und
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Dr. Müller
als alle Welt über alternative Energien gesprochen hat — aber eben nur gesprochen und nichts dafür getan hat.Windenergie ist heute marktreif; die Dänen haben uns das vorgemacht. Bedenken Sie, was für eine Industrie sich hier im ökologisch-fortschrittlichen Sinne entwickeln könnte, insbesondere in strukturschwachen Gebieten in Norddeutschland und selbstverständlich auch in Rheinland-Pfalz.
— Danke schön. — Es geht darum, daß diejenigen, die Windenergie wollen, die bereit sind, dafür zu investieren, heutzutage auch die Möglichkeit bekommen, diese Energie in die öffentlichen Netze einzuspeisen; daran scheitert es ja. Selbstverständlich ist uns bekannt, das Windenergie nicht ständig zu bekommen ist. Selbstverständlich ist uns bekannt, daß die regelmäßige Belieferung bei der Windenergie Probleme schafft. Wir wissen heutzutage aber, daß es moderne technische Verfahren gibt, die dieses Problem weitgehend ausgleichen können. Aber was entscheidend ist: Windenergie ist nicht so störanfällig, meine Damen und Herren, wie die gesamte Atomenergie, die Sie gefördert haben.
Vielleicht einige wirtschaftliche Daten, die in diesem Zusammenhang wichtig sind, um Ihnen die Möglichkeit zu geben, dem Gesetzentwurf mit uns zuzustimmen. In Dänemark, im kleinen Land Dänemark, sind 1984 immerhin 250 Anlagen für das Inland hergestellt worden; das ist dort eine blühende Industrie geworden. 350 Anlagen sind zusätzlich für den Export in die USA hergestellt worden, die auf die Windkraftanlagen, die aus Dänemark kommen, großen Wert legen, weil sie so zuverlässig sind. Warum haben wir diesen Anschluß verpaßt? Wir haben ihn deswegen verpaßt, weil eine kostengünstige Produktion von Windenergieanlagen in der Bundesrepublik nicht möglich ist, weil die bürokratischen Hemmnisse zu groß sind, weil es ein riesiges Risiko geworden ist, eine Windenergieanlage zu installieren.Um zum Schluß zu kommen, meine Damen und Herren, auch auf die Gefahr hin, von Herrn Roth als Windbeutel bezeichnet zu werden: Es ist so einfach. Schauen Sie einmal zu! Jedes Kind weiß das.
Herr Abgeordneter, bitte stellen Sie diesen Unfug ein.
Ich komme damit zum Schluß. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Abgeordneter Roth, wir befinden uns hier nicht im Kindergarten. Da pflegt man solche Dinge zu tun.
— Herr Abgeordneter Müller, die Spielstraße ist abgeschafft worden. Das wissen Sie.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Demonstration war j a überzeugend und einleuchtend. Bei dem Wind, den die GRÜNEN immer machen, kann man schon einiges ins Rotieren bringen, schließlich auch sich selbst.
Nur das Problem für die GRÜNEN besteht darin, daß sie vieles von den Vorläufen, von den Maßnahmen, die wir eingeleitet haben, nicht wissen, sich offenbar auch nicht nach rückwärts orientieren.
Wir haben uns mit der Windenergie und ihren Möglichkeiten schon seit Jahren auseinandergesetzt, Maßnahmen eingeleitet und unsere Positionen auch an die Länder weitergegeben, nämlich das Baurecht dahin gehend zu novellieren, daß der rechtliche Instanzenweg vereinfacht wird. Steuerliche Maßnahmen im Rahmen aller anderen steuerlichen Vergünstigungen für energieeinsparende Maßnahmen und alternative Energiequellen sind seit Jahren auf den Weg gebracht worden. Ich denke, hier ist eine ganze Menge an Anreizen geschaffen; die sollten erst einmal ausgenutzt werden.
Im übrigen geht es nicht nur um die Konzerne, Herr Kollege Müller, sondern es geht auch um die Nachbarn. Sie sollten einmal die Anlieger einer Windkraftanlage fragen, bei denen eine solche Anlage erstellt werden soll.
Das ist auch ein nachbarschaftliches Problem.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in dieser Debatte zunächst noch ein Wort zur Kohlepolitik sagen. Der Bundeswirtschaftsminister und der Kollege Gerstein sind sehr eingehend darauf eingegangen. Ich betone noch einmal: Die kürzlich erzielte Einigung zwischen der Bundesregierung und der Ruhrkohle AG zur Anschlußregelung des Hüttenvertrages und der Kokskohlenbeihilfe unterstreicht doch wohl eindeutig die Kontinuität der
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Dr.-Ing. Laermannlangfristig angelegten Kohlepolitik der Bundesregierung.
Ich darf nicht ohne einen gewissen Stolz hinzufügen, daß das Ergebnis sowohl bei Unternehmen wie auch bei der IG Bergbau und Energie auf Beifall trifft. Durch die unverzichtbare finanzielle Flankierung aus den öffentlichen Haushalten wird der Einsatz heimischer Steinkohle in der deutschen Stahlindustrie auch künftig ermöglicht, und damit wird zugleich ein wichtiger Beitrag zur Sicherstellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der deutschen Steinkohlenreviere geleistet.Ebenso nachdrücklich darf ich klar herausstellen, daß die FDP mit Befriedigung feststellt, daß der sogenannte Jahrhundertvertrag zur Kohleverstromung — zur Steinkohleverstromung — erfüllt wird. Ich denke, wir müssen rechtzeitig die Weichen dafür stellen, daß dies auch über 1995 hinaus so weitergeht.
Damit, meine ich, sind die beiden wichtigsten Absatzbereiche der heimischen Steinkohle gesichert. Die bewährte Kohlepolitik — ich wiederhole das — wird fortgesetzt. Mit Bezug auf einen Zwischenruf, der hier vorhin kam, erkläre ich auch hier für meine Fraktion, daß diese Kohlepolitik unverzichtbarer Bestandteil unserer energiepolitischen Vorstellungen ist.
Ich möchte gleichzeitig hinzufügen, daß uns daran gelegen ist, neue Verwendungsmöglichkeiten, neue Märkte für die Kohle zu erschließen. Hier ist an den Wärmemarkt zu denken; ich komme noch einmal darauf zurück. Hier ist aber insbesondere auch an zukünftige Energietechniken zu denken.Wir werden auch gleichzeitig mit den marktwirtschaftlichen Instrumenten, die sich bisher sehr bewährt haben, unsere Energieeinsparpolitik fortsetzen wie auch die Politik zur rationellen Energieverwendung. Dies ist für uns eine permanente Verpflichtung zur Schonung nicht erneuerbarer Energieressourcen; denn Kohle, Steinkohle und Braunkohle, sind wertvolle Rohstoffe. Damit leisten wir einen ganz wesentlichen Beitrag zur Schonung der Umwelt und zur konsequenten Fortsetzung der Umweltpolitik.Wir meinen auch, daß die Bundesrepublik im Vergleich zu anderen Ländern, auch innerhalb der EG, bei der Energieeinsparung einen Spitzenplatz einnimmt. Das ist international wohl unbestritten. Wir haben dies nicht mit der Einführung von Abgaben, von „Pfennigen", von Energieverbrauchsordnungen, Verboten, Geboten, staatlichen Kontrollbürokratien erreicht, sondern wir haben dies — ich betone dies noch einmal ausdrücklich — mit marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen erreicht.Daß die Einsparerfolge nicht ohne Einfluß auf die Anteile einzelner Energieträger sein konnten, mußte doch von vornherein klar sein. Daß dies insbesondere den Energieträger Mineralöl nach zweiPreisexplosionen besonders treffen würde, ist doch wohl auch nicht verwunderlich. Im Gegenteil, wir haben doch jahrelang gemeinsam eine Politik des „Weg vom Öl" betrieben; wir wollten doch die hohe Importabhängigkeit nicht mehr.
— Eben. — Und wer das will, der muß sich auch darüber im klaren sein, daß das konsequenterweise zu Überkapazitäten bei den Raffinerien führt und daß es hier auch zu Stillegungen kommen muß. Dazu müssen Sie sich dann auch bekennen.Herr Bundeswirtschaftsminister, wir stimmen Ihnen zu, wir teilen Ihre Auffassung, daß das gleichzeitig natürlich auch eine Verpflichtung für staatliche Organe, aber natürlich auch für die Parlamente ist, dafür zu sorgen, daß es keine Wettbewerbsverzerrungen innerhalb oder auch außerhalb der EG gibt, die dann natürlich zu überproportionalen Kapazitätsstillegungen in unserem Lande führen müssen.Umweltprobleme, Umweltfragen, und die Harmonisierung dieser Bestimmungen sind ja hier auch schon angesprochen worden. Wir müssen uns bei der Fortsetzung der Umweltpolitik und der Einsparpolitik aber auch darüber im klaren sein, daß eine solche Politik notwendigerweise zu höheren Energiekosten führt. Umweltschutzinvestitionen zur Reinhaltung der Luft im rheinischen Braunkohlerevier in Höhe von 7 bis 8 Milliarden DM bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die Preise. Bisher konnten wir in Nordrhein-Westfalen noch davon ausgehen, daß die Braunkohle-Strompreise im Grundlastbereich in der Tat gewisse Standortvorteile lieferten.Ich denke — dies wird ein weiterer Punkt sein, über den wir uns dann zu unterhalten haben —, daß es bei der Braunkohle und bei der Braunkohleverstromung nicht allein damit getan ist, die Luftreinhaltung weiter zu verfolgen. Machen wir uns keine Illusion, welche gewaltigen ökologischen Auswirkungen ein Fortschreiten des Tagebaus der rheinischen Braunkohle hat,
wie viele Tausende von Menschen dort betroffen sind und welche Einwirkungen auf Grundwasser und Ökologie sich hierbei ergeben.
Ich möchte diejenigen, die mit einem gewissen Zynismus darauf setzen, daß hier weiter Braunkohle abgebaut wird, fragen, wie sie es denn eigentlich mit diesen Problemen halten und ob es nicht sinnvoller wäre, die Braunkohle als Energierohstoff in zukünftigen Technologien zu nutzen und möglicherweise den Grundlastbereich mehr der Kernenergie zu überlassen.
Ich frage Sie: Wie soll die Zukunft in diesem Braunkohlebereich aussehen? Wir brauchen — das ist die Konsequenz, die wir aus diesen Erkenntnissen ziehen — neue Energietechniken und neue um-Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12781Dr.-Ing. Laermannweltfreundliche, das Energiepotential der Stein- wie der Braunkohle in weit höherem Maße ausnutzende Kraftwerkstechniken. Deshalb setzen wir für die Zukunft mit Nachdruck auch auf die Kraft-WärmeKopplung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vosen?
Wenn sie mir nicht angerechnet wird, gerne, Herr Präsident.
Ich rechne Zwischenfragen grundsätzlich nicht an.
Herr Kollege, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie gerade gesagt haben, Sie wollten die Braunkohle im Grundlastbereich durch die Kernenergie ersetzen? Habe ich Sie da richtig verstanden?
Da haben Sie mich richtig verstanden.
Ich komme noch darauf zurück, mit welchen Ansätzen das geschehen soll. Das geht ja nicht von heute auf morgen.
Wir setzen auch für die Zukunft auf alternative Energietechnik. Wir setzen auf die Kraft-WärmeKopplung. Aber ich möchte hier auch erwähnen: Das kann j a nicht darin münden, daß wir immer wieder die Forderung nach kleineren dezentralisierten Kraftwerkseinheiten erheben.
Ich möchte nämlich darauf hinweisen, wie die Kraftwerkslandschaft tatsächlich aussieht.
Lassen Sie eine weitere Zwischenfrage zu?
Nein.Von 1 003 Kraftwerken der öffentlichen Stromversorgung einschließlich der Wasserkraft liegen 864 Einheiten unter 100 MW, 41 Einheiten unter 2 MW und nur 98, d. h. ganze 10% der Kraftwerke, liegen über 200 MW Leistung. Ich denke, wir haben in der öffentlichen Stromversorgung eine durchaus differenzierte Kraftwerksstruktur.In der zukünftigen Weiterentwicklung der Energietechniken setzen wir — nun hören Sie gut zu, meine Kollegen von der Opposition — auf die Kohleveredlung, auf die Entwicklung von Kombikraftwerken, setzen auf die Vergasung von Braunkohle, um eine höhere Ausnutzung des Energiepotentials der Braunkohle zu erreichen. Man muß auch in die Zukunft denken. Denn dies geschieht natürlich nicht in den nächsten fünf Jahren, aber wir diskutieren in diesem Bereich j a auch über den Zeitraum der nächsten 50, 60 und 70 Jahre, über neue Abbaufelder wie beispielsweise Frimmersdorf West-West. Dafür müssen wir neue Konzeptionen entwickeln.Herr Kollege Wolfram hat hier vorhin von Kohleveredlung gesprochen. Ich stimme ihm zu. Aber wenn er das langfristig auch ökonomisch und technisch vernünftig machen will, muß er auf die Kernenergie, auf den Verbund von Kohle und Kernenergie setzen. Anders ist dieses nicht zu bewältigen.
Wer wie Ministerpräsident Rau Nordrhein-Westfalen zum Zentrum der Energietechniken machen will, kann deshalb nicht für den Ausstieg aus der Kernenergie sein.
Denn dies sind zukünftige Entwicklungen auch im Hinblick auf emissionsarme neue Kraftwerkstechniken, die den Rohstoff Kohle vollwertiger ausnutzen. Und wer wie Ministerpräsident Rau den Industriestandort Nordrhein-Westfalen nicht in Frage stellen will, muß zunächst einmal dafür sorgen, daß die Energie für die Produktionsbereiche zu wirtschaftlich konkurrenzfähigen Konditionen und Preisen angeboten wird. Daran führt dann kein Weg vorbei, auch nicht an der Nutzung der Kernenergie, die in der Mischpreiskalkulation j a tatsächlich die Möglichkeit eröffnet, in Fortsetzung der Ansätze, die im Jahrhundertvertrag niedergelegt sind, in verstärktem Maße Steinkohle zur Verstromung einzusetzen. Zweitens darf er — auch dies möchte ich dem Ministerpräsidenten Rau sagen — nicht den Bau und die Inbetriebnahme neuer, zukunftsorientierter Techniken aus politischen — nicht aus sachlichen, insbesondere nicht aus sicherheitstechnischen — Gründen behindern oder gar verhindern wollen. Hier beziehe ich mich ganz aktuell auf die Entwicklungen und die derzeitigen Positionen zur Inbetriebnahme des Schnellen Brüters. Eine solche Position wird unweigerlich negative Folgen auch für andere industrielle Entwicklungen haben.
— Das ist kein Quatsch. Verehrte Kollegen von der Opposition, wie war es denn bei den Beratungen der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik"? Aus Nordrhein-Westfalen kam doch der Ansatz: Behindert bloß nicht unser Genehmigungsverfahren!
Wir waren Mitte der 70er Jahre doch skeptisch gegenüber dem Brüter. Wer hat uns den denn aufs Auge gedrückt, die Vereinbarungen von Nizza und Dernbach geschlossen? Ein sozialdemokratischer Bundeskanzler und sozialdemokratische Forschungsminister! Wir haben gefragt: Wie sieht es denn aus, wenn wir zu einem frühen Zeitpunkt aus der Büterentwicklung aussteigen? Da wurde uns gesagt: Das Aus für den Brüter bedeutet automatisch auch das Aus für den THTR 300. Selbst Herr von Bülow hat das gesagt. Und das ist schriftlich belegt. Herr Stahl, hören Sie gut zu; auch Sie haben das mit vertreten. Deswegen können Sie nicht aus-
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Dr.-Ing. Laermannschließen, daß ein Ausstieg aus dem Brüter und eine Verweigerung der Inbetriebnahme unweigerlich und automatisch auch Auswirkungen auf andere industrielle Entwicklungen haben wird. Dazu muß Herr Ministerpräsident Rau stehen.Ich möchte den Ministerpräsidenten auch fragen, ob er denn etwa entgegen seinen öffentlichen Bekundungen mit dieser seiner zögernden und nicht klaren und eindeutigen Haltung und Entscheidung, die wir hier und heute von ihm verlangen, die Tür für eine Zusammenarbeit mit den GRÜNEN in der Zukunft offenhalten will. Ist Hessen Vorbild? Diese Frage wird erlaubt sein, wenn ich höre, was da inzwischen so alles läuft.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfram?
Bitte schön.
Verehrter Herr Kollege Laermann, wollen Sie bitte aufhören, eine falsche Behauptung ständig zu wiederholen, und wollen Sie mir bitte bestätigen, daß der Minister Jochimsen klipp und klar erklärt hat, daß das atomrechtliche Verfahren zügig nach Recht und Gesetz abgewickelt wird?
Verbreiten Sie doch hier keine Märchen!
Ich habe nicht wiederholt eine Behauptung aufgestellt, ich habe auch kein Märchen verbreitet, sondern ich habe eine Frage gestellt.
Diese Frage wird im Verlaufe dessen, was sich abgespielt hat, zulässig sein, auch vor dem Hintergrund von Parteitagsbeschlüssen in Essen, vor dem Hintergrund Ihres Antrags, der hier und heute auf dem Tisch liegt. Nun machen wir doch kein Wischiwaschi, Herr Kollege Wolfram! Bleiben wir bei der Sache! Bleiben wir bei Ihrem Antrag! Denn die SPD-Fraktion hat hier und heute einen Antrag zur Neubewertung der Brütertechnologie vorgelegt.
Ich verweise noch einmal darauf, daß unsere Beratungen in der Enquete-Kommission zur Sicherheit eines Schnellen Brüters das Genehmigungsverfahren ausdrücklich nicht tangieren sollten. Aber Ihr Antrag ist hinterhältig. Sie wissen ganz genau, daß auf Grund der Finanzvereinbarung 1983 die Kosten gedeckelt sind. Jetzt sagen Sie: Keine Inbetriebnahme bis dahin.
Das bedeutet Verzögerungen; die Baukosten steigen; die Bauzinsen steigen.
— Sie sparen keine zwei Milliarden. Sie müssen nämlich draufsatteln.
Wenn Sie hier sagen, es sei nicht zu verantworten, daß da so viele Forschungsgelder hineingesteckt worden sind: Uns hat es immer geschmerzt, all die Jahre, daß der Forschungshaushalt so hat bluten müssen.
— Nein. Jetzt geht es darum, das, was investiert worden ist, zu retten. Denn sonst ist das wirklich alles Nonsens gewesen. Das müssen Sie dann vertreten.
Herr Abgeordneter Laermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stahl? — Bitte sehr, ich gebe Ihnen die Möglichkeit, diese Frage noch zu beantworten. Das Wort hat der Abgeordnete Stahl.
Herr Kollege Laermann, wollen Sie allen Ernstes hier vor dem Deutschen Bundestag behaupten, daß die nordrhein-westfälische Landesregierung — hier: der Wirtschaftsminister — dieses Genehmigungsverfahren nicht nach Recht und Gesetz durchführen will?
Herr Kollege Stahl, ich kann mich nicht erinnern, daß ich in meinen Ausführungen auch nur die Andeutung einer solchen Bemerkung gemacht hätte.
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Lennartz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege, ich weiß nicht, für welche Lobby Sie sprechen. Ich spreche für die Wählerinnen und Wähler meines Wahlkreises. Ich nehme an, daß das auch berechtigt sein dürfte.Mein Diskussionsbeitrag sollte sich auf Ihren Entwurf zur Förderung der Windenergie beziehen, Herr Kollege. Ich erlaube mir aber zwei, drei Anmerkungen zu den Aussagen von Herrn Laermann und von Herrn Gerstein zu machen.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir müssen einmal einer Mär ein Ende bereiten. Herr Gerstein, jetzt spreche ich
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12783
LennartzSie persönlich an. Rheinbraun — RWE — ich beziehe mich auf die Aussagen von Herrn Gieske und Herrn Klätte. Sie haben die Frage gestellt: Wie sieht es mit der Wettbewerbsfähigkeit der Braunkohle bei den Umweltauflagen in der Frage der Entschwefelung und der Entstickung aus? Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß mit allen umweltpolitischen Auflagen für die Entschwefelung und die Entstickung die Braunkohle noch immer 3 Pf preiswerter ist als die Kernenergie, Herr Gerstein. Das sind die Fakten.
Jetzt spricht der Kollege Laermann davon, die Braunkohle aus dem Grundlastbereich wegzunehmen. Herr Kollege Laermann, ist Ihnen denn nicht bewußt, daß Sie, wenn Sie die Braunkohle aus dem Grundlastbereich wegnehmen, einen Ausstieg der Braunkohle aus dem Grundlastbereich prognostizieren? Als zweiter Schritt kommt hinzu, daß Sie gleichzeitig den Ausstieg der Steinkohle aus dem Mittellastbereich programmieren, weil die Wettbewerbsfähigkeit der Steinkohle nur durch den Einsatz der Braunkohle im Grundlastbereich gerechtfertigt ist.
Aber dies, Herr Kollege, werden wir sorgfältig beachten. Wir werden über diesen Punkt im Deutschen Bundestag eventuell eine Aktuelle Stunde beantragen, um diese widersprüchlichen Aussagen von Ihnen zu klären.
Sie machen eine Abkehr von der Kohlevorrangpolitik der sozialliberalen Koalition. Das ist ein Ausstieg aus dem, was der Bundeskanzler bisher hier formuliert hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Laermann?
Aber selbstverständlich, Herr Kollege.
Bitte sehr, Herr Kollege Laermann.
Ich will das, was ich in meinem Debattenbeitrag nicht mehr sagen konnte, weil die Zeit nicht reichte, Herr Kollege, jetzt in die Form einer Frage bringen: Sind Sie mit mir der Auffassung, daß wir uns für die Zukunft durchaus anstrengen müßten, neue Energietechniken, ressourcen- und umweltschonend, zu entwickeln, daß dazu in besonderem Maße die Kohleveredelungstechnik, auch die Kohlevergasung, insbesondere die Vergasung der Braunkohle, einen ganz wichtigen Beitrag darstellen könnte und dies zu einem Verbundsystem Kohle-Kernenergie führte, und wie wollen Sie eigentlich die ökologischen Wirkungen eines fortschreitenden Tagebaus verantworten?
Herr Kollege, es gibt das ökologische Anforderungsprofil der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, bestehend aus 35 Punkten. In diesen 35 Punkten ist genau festgelegt, unter welchen Voraussetzungen weiterhin Tagebau durchgeführt werden kann.
Wir gehen auf Grund der Gespräche, die wir geführt haben, davon aus, daß dieses ökologische Anforderungsprofil erfüllt wird und demzufolge der weitere Abbau im Tagebau eine große Akzeptanz bei der Bevölkerung finden wird, nicht nur aus Gründen der Arbeitsplatzsicherheit, sondern auch aus marktwirtschaftlichen Erwägungen.
Der zweite Punkt, Herr Kollege Laermann: Sie sprechen von einer absolut falschen Dimension. — Ich bin noch immer bei Ihrer Frage. — Wissen Sie eigentlich nicht, daß jährlich 120 Millionen t Braunkohle gefördert werden, daß davon 100 Millionen t in die Verstromung eingehen, daß das ca. 22 % der gesamten Primärenergie dieser Republik sind? Wissen Sie nicht, daß im November dieses Jahres bei uns im Erftkreis die erste Großanlage zur Durchführung der Veredelung errichtet wird? Wissen Sie nicht, daß auf Grund der Kostensituation — Preise der OPEC-Länder — diese Veredelung zur Zeit noch nicht wirtschaftlich ist? Wissen Sie eigentlich nicht, daß die Unternehmen Rheinbraun und Union Kraftstoff jährlich Hunderte von Millionen DM, zusätzlich subventioniert, aufwenden, um diese technologische Option aufrechtzuerhalten? Ist Ihnen all das unbekannt? Wollen Sie demnächst den Wirtschaftsminister bitten, jährlich eine halbe Milliarde DM zusätzlich bereitzustellen, damit die Veredelungstechnologie, die zur Zeit unwirtschaftlich ist, aus dem Bundeshaushalt finanziert werden kann? Wollen Sie das alles, Herr Kollege Laermann? Ich bitte Sie, überlegen Sie sich die Aussage, die Sie getroffen haben, doch einmal in einer stillen Stunde,
und treten Sie dann vor dieses Parlament.
Das war eine lange Antwort auf eine lange Frage.
Das war eine sehr lange Frage. — Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, das ist nicht auf die Redezeit angerechnet worden, da es die Antwort auf eine Frage war.
Nein, Herr Kollege, ich rechne das nicht an.
Meine Damen und Herren, ich komme dann zu dem Gesetzentwurf der GRÜNEN. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat einen Gesetzentwurf zur Förderung der Windenergie vorgelegt, der
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12784 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Lennartzsachlich, meine Herren von den GRÜNEN, als konstruktiver Beitrag zur Energiewirtschaft in der Bundesrepublik gesehen werden kann.
Diese positive Würdigung bezieht sich auf die konstruktiven Vorschläge im Gesetzentwurf, also auf diejenigen Passagen, die die gesetzlichen Voraussetzungen für einen verstärkten Einsatz der Windenergie schaffen sollen. Wie es jedoch leider bei der grünen Energiepolitik des öfteren der Fall ist, haben diese konstruktiven Vorschläge falsche Grundannahmen und falsche Prognosen zur energiewirtschaftlichen Situation in unserem Land zur Basis.
Die SPD-Bundestagsfraktion ist der Auffassung, daß demjenigen, der ein Windrad bauen will, von Staats wegen mehr geholfen werden soll, als dies bisher der Fall gewesen ist. Das gilt sowohl für die offensichtlich notwendige Konkretisierung des Bundesbaugesetzes als auch für eine Verbesserung der steuerlichen Abschreibungsmöglichkeit. Wir Sozialdemokraten sind allerdings nicht der Auffassung, daß mittel- und langfristig die Windenergiegewinnung, würde sie auch noch so sehr gefördert, eine nennenswerte Umschichtung bei den Primärenergieträgern bewirken könnte. Es ist bekannt, meine Damen und Herren, daß in der Bundesrepublik Deutschland heute schätzungsweise 300 bis 400 Windkraftanlagen existieren und daß solche Anlagen bis zu einer Kapazität von ca. 20 kW auch technisch ausgereift sind. Auch Sie wissen, meine Damen und Herren, daß Windkraftanlagen mit einer darüber hinausgehenden Kapazität technisch noch nicht ausgereift sind. Die Utopie einer windgetriebenen Bundesrepublik, die Ihrem Gesetzentwurf zugrunde liegt, wird immer eine Utopie bleiben.
Es zeugt nicht gerade von einem ausgeprägten Realitätssinn, meine Herren von den GRÜNEN, wenn Sie zur Begründung für den Einsatz der durchaus begrüßenswerten Förderungsinstrumente für Windenergieanlagen das angebliche „Versiegen fossiler Energievorräte" heranziehen. Sollten Sie bei Ihren Überlegungen denn wirklich verdrängt haben, daß die von Ihnen so arg gebeutelte Braunkohle — da haben Sie mittlerweile einen Verbündeten bei Herrn Laermann gefunden — noch für ca. 200 bis 250 Jahre wirtschaftlich gewinnbar ist? Sind Sie tatsächlich der Auffassung, daß mit der Förderung der Windenergie die — jetzt zitiere ich aus Ihrem Gesetzentwurf — „Errichtung umweltschädigender Großkraftwerke" zurückgeht? Hier sei am Rande erwähnt, daß Sie bis zum heutigen Tag immer noch den Beweis dafür schuldig geblieben sind, daß viele kleine Kraftwerke weniger emittieren als Großkraftwerke, und zwar bei gleicher Leistung.Vom Landschaftsverbrauch schweigen wir besser.
20 Kleinkraftwerke würden einen größeren Landschaftsverbrauch ausmachen als ein Großkraftwerk. Bis zum heutigen Tage äußern Sie sich zu solchen Widersprüchen nicht.
Es ist bedauerlich, meine Damen und Herren, daß Sie hier landschaftsgestalterische Geschmacksfragen offensichtlich als Leitlinie für Ihre energiepolitischen Visionen ausgeben. Ich maße mir jedenfalls kein Urteil darüber an, ob Tausende von Windrädern in dieser oder jener Landschaft besser passen würden als Hochspannungs-Überlandleitungen.
Ich bin im übrigen äußerst darauf gespannt, wie Sie die Zahl der sogenannten „landschaftszerstörenden Hochspannungsmasten" verringern wollen, wenn Sie statt eines 600-MW-Kraftwerkblocks demnächst 20 dezentrale Kleinkraftwerke fordern. Das müssen Sie uns erst einmal erklären.
— Hier ist das Podium, hier können Sie reden.
Trotz all dieser Ungereimtheiten, meine Damen und Herren, sagen wir Sozialdemokraten ja zur Förderung der Windenergie. Es ist richtig, daß die Genehmigungsverfahren unbürokratischer gemacht werden müssen und auch eine größere Rechtssicherheit bei der Genehmigung von Windenergieanlagen erforderlich ist. Darin stimmen wir mit Ihnen überein.Es ist richtig, daß das Energiewirtschaftsgesetz geändert werden muß, wenn man die Windenergie fördern will. — Es muß — das ist unsere Auffassung, die Ihre leider noch nicht — übrigens nicht nur in diesem Punkt geändert werden. Denn Windenergieanlagen werden nur dann wirtschaftlich sein, wenn eine Einspeisung überschüssiger Energie ins öffentliche Stromnetz möglich sein wird, ansonsten nicht.Es ist richtig, daß für Investitionen in Windenergieanlagen steuerliche Abschreibungen geschaffen werden müssen, wie es auch bei vielen anderen Investitionen der Fall ist. Aber, meine Damen und Herren, eine Förderung am Markt vorbei, d. h. eine in der Relation übermäßige Förderung übermäßig hoher Investitionskosten muß ausgeschlossen werden. Die Gefahr einer solchen übermäßigen Förderung besteht, weil im Augenblick die Investitionskosten je Kilowatt bei Windenergieanlagen weit über denen herkömmlicher Energieerzeugungsanlagen liegen.Niemand jedoch, meine Damen und Herren, sollte sich Illusionen darüber machen, daß die Windenergie mehr als eine Ergänzung des energiewirtschaftlichen Systems der Bundesrepublik Deutschland sein könnte. Es wird niemals dazu
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12785
Lennartzkommen, daß Windenergie irgendeinen der vorhandenen Primärenergieträger ersetzt.Windenergie wird entgegen der Behauptung der GRÜNEN auch nie eine Alternative zu einem der vorhandenen Primärenergieträger sein. Das ist eine glatte Utopie.
— Herr Kollege, Sie wollen weder Braunkohle noch Steinkohle, noch Kernenergie. Wo ist denn eigentlich Ihre Alternative? Windenergie hat unter allen regenerierbaren Energiequellen in dieser Republik zur Zeit einen Anteil von nur 1 /o.
Kommen Sie also endlich einmal zu einer objektiven Darstellung Ihrer Energiepolitik! Kein Atom, keine Braunkohle, keine Steinkohle! Was wollen Sie eigentlich?
Meine Damen und Herren, trotz dieser Unterschiede sind wir bereit, das eine oder andere zu unterstützen. Wir wünschen Ihnen demnächst allerdings etwas mehr Realitätssinn, und zwar nicht nur in der Frage der Windenergie, sondern auch in den anderen energiepolitischen Fragen. Trotzdem stimmen wir dem Gesetzentwurf, der hier vorliegt, in dieser Frage zu, und zwar mit den Formulierungen, wie ich sie in der Begründung gebracht habe.Ich bedanke mich bei Ihnen.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Forschung und Technologie.
Herr Präsident! Meine, sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Bangemann hat dargelegt, wie sich die Energiepolitik der Bundesregierung insgesamt marktwirtschaftlich ordnet. Energieforschung und Technologieentwicklung haben die Aufgabe, die Energiepolitik entsprechend zu unterstützen. Die Bedingungen hierbei sind un- streitig: Die Energieversorgung muß umweltfreundlich sein, sie muß Sicherheit und Entsorgung gewährleisten. Sie muß krisenfest sein, und sie muß sicher sein. Sie muß rationell und volkswirtschaftlich günstig sein. Sie muß technologisch auf Dauer wettbewerbsfähig sein. Dies sind die Rahmenbedingungen.
Diese Rahmenbedingungen werden nur begrenzt vom Staat gestaltet. Sie werden nur begrenzt durch eine Technikförderung erreicht.
Sie werden im wesentlichen durch die Industrie, durch die Wissenschaft und durch die Technik ausgefüllt. Der Rahmen des Staates ist in einem hoheitlich eindeutigen Bereich gegeben, beispielsweise beim Umweltschutz, bei der Sicherheit und der Entsorgung.
Ich greife bezüglich dessen, was hier getan werden kann, die Bemerkung des Kollegen Lennartz auf, der soeben festgestellt hat, daß bei der Förderung der Energietechnik nicht gegen den Markt gefördert werden kann.
Dies ist eine zutreffende Aussage.
— Das spricht für die konstruktive Intelligenz der Opposition.
Wir haben die Frage von Herrn Kollegen Wolfram gehört, wie wir bei den nichtnuklearen und regenerativen Energien vorgehen wollen. Auch hier stellt sich die Frage: Wann fördern wir mit dem Markt, und wann fördern wir gegen den Markt? Die Frage lautet: Was kann der Markt leisten, wenn wir Techniken bereitgestellt haben?
Die Programme, die wir angelegt haben, waren sehr groß. Die Förderung der regenerativen Energien beläuft sich insgesamt auf vielleicht 1 Milliarde DM. Für diese Techniken, die jeweils klein sind, wo ein Aggregat vielleicht 10 000 DM oder allenfalls mal 100 000 DM kostet, sind dieses phantastische Beträge. Der Anteil, den diese Techniken am Markt gewonnen haben, ist - Herr Lennartz hat es gesagt — winzig. Ein Vergleich mit anderen Ländern zeigt, daß in Dänemark oder Kalifornien nur durch massive Subventionen ein größerer Anteil erreicht werden konnte.
Gegen den Markt zu fördern bedeutet, volkswirtschaftliche Ressourcen fehlzulenken. Gegen den Markt zu fördern bedeutet nichts anderes, als daß man Programme dauerhaft auch dann weiterführt, wenn sie eigentlich enden müssen. Programme sind nur dann gut, wenn sie enden; sie enden entweder im Erfolg — dann sind sie überflüssig geworden und dürfen nicht weitergeführt werden — oder sie enden im Mißerfolg, dann dürfen wir sie nicht gegen den Markt weiterführen.
Deshalb ist es richtig, daß wir in unserem Haushalt die Ansätze zur Förderung der klassischen nichtnuklearen Energien zurückfahren. Die Photovoltaik ist ein Thema für sich.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Roth?
Herr Kollege, gern.
Herr Bundesminister, es beeindruckt mich sehr, daß man nicht gegen den Markt fördern kann. Ich stelle deshalb die Frage: Warum fördern Sie dann weiter den Schnellbrutreaktor, obwohl doch abzusehen ist, daß nach Schätzungen auch Ihrer Experten der künftige große Reaktor etwa 60 % teureren Strom produziert als ein heutiger Leichtwasserreaktor?
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12786 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Verehrter Herr Kollege Roth, ich werde darauf sehr gerne eingehen. Lassen Sie mich im einzelnen nur eines sagen: Staatliche Technikförderungspolitik ist eine sehr langfristige Politik. Ob wir von der Kohleverflüssigung oder vom Schnellen Brüter sprechen: Wenn wir lange technologische Stränge haben, die sich über Jahrzehnte hinziehen, dann dürfen wir unser Urteil über die Chancen einer Technologie nicht aus der Extrapolation einer momentanen Energieversorgungslage herleiten.
Es wäre ebenso falsch, aus den jetzigen Erwartungen im Zusammenhang mit den Ölmärkten unsere künftige Strategie zur Kohleveredelung herzuleiten, wie es falsch ist, aus den jetzigen Beschreibungen der Uranmärkte eine Aussage zur langfristigen Nützlichkeit des Schnellen Brüters herbeizuführen. Im einzelnen werde ich gerne noch darauf eingehen.
Die Chancen für die nichtnuklearen regenerativen Energien liegen in zwei Punkten, und da setzen wir auch an. Das ist bei der Photovoltaik, bei der direkten Umwandlung von Sonnenergie in Strom, und das ist die Chance, nichtnukleare Energien, Sonne und Wind, dort einzusetzen, wo es viel Sonne und viel Wind gibt, wo andere Energien nicht hinreichend verfügbar sind. Deshalb haben wir die Möglichkeiten, in Ländern der Dritten Welt diese Technologien zu demonstrieren, erweitert. Deshalb haben wir das Sonderprogramm mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau und dem BMZ angelegt. Deshalb haben wir 100 Windkraftwerke in Ländern der Dritten Welt in Gruppen zu je zehn so angelegt, daß sie dort demonstriert und genützt werden können. Damit können in den Ländern selbst Chancen entwikkelt werden wie auch in der Zusammenarbeit mit unserer Industrie.
Herr Wolfram hat die Frage gestellt, was mit der Energieeinsparung sei. Herr Wolfram, ich darf das nur auf einen Punkt bringen. Auch für rationelle Energieverwendung haben wir Hunderte von Millionen über die Jahre ausgegeben. Aber hier haben wir einen Standard erreicht, der es offenkundig rechtfertigt, daß das jetzt überwiegend als Sache der Wirtschaft läuft. Es gibt noch bestimmte, sehr vorgeschobene Technologien, die ich hier in der begrenzten Zeit nicht im einzelnen darstellen kann. Aber die Erfahrung hat in der Tat gezeigt, daß die Intelligenz der Märkte in kürzerer Zeit mehr Energieeinsparung erreicht hat, als irgendwelche Maßnahmen des Staates es gekonnt hätten. Was wir in diesen Jahren erfahren haben, ist, daß die Entkoppelung, die man durch staatliche Maßnahmen erzwingen wollte, aus der Logik der Märkte heraus deshalb stattgefunden hat, weil die Energiepreise so gestiegen sind, daß es sich gelohnt hat, wirtschaftliche Alternativen zu entwickeln, Kraftwerkstechniken mit sehr hohem Wirkungsgrad.
Sie brauchen sich nur das Beispiel der Automotoren anzusehen, Herr Catenhusen. Was war das damals für eine Verhandlung über die Auflagen an die Automobilindustrie zu energiesparenden Automotoren! Tatsächlich erreicht worden ist, daß die Automotoren wesentlich schneller mit wesentlich höheren Wirkungsgraden, d. h. mit höherer Kilometerleistung an den Markt gekommen sind, weil es nicht erzwungen worden ist, sondern ein Verhandlungsargument, ein Verkaufsargument der Industrie gewesen ist.
— Ich habe nie behauptet, daß ein Knüppel hinter der Tür ein Fehler ist. Ich habe nur behauptet, daß es weise ist, die Kräfte des Marktes dort, wo sie funktionieren, zu ermutigen. Daß die Methoden hier durchaus verschieden sein können, räume ich freimütig ein.
Herr Wolfram, Sie haben nach Kohle gefragt. Sie haben gesagt, wir betrieben eine Politik, die Kernkraft vor Kohle behandele.
Herr Wolfram, das ist uneingeschränkt falsch. Die Politik, die wir in der Opposition betrieben haben und die wir in der Regierung betreiben, ist eine Politik aus Kernkraft und Kohle in dem gemeinsamen Verbund in der Energiewirtschaft, in der Verteilung der Lasten und Aufgaben und in ihrer langfristigen Perspektive, vielleicht sogar in einer gemeinsamen Technologie, auf die wir hinarbeiten. Nur dann, wenn jede Energie innerhalb der Rahmenbedingungen des Staates ihren Platz im Markt findet, kriegen wir die Chancen für unsere Technik, für unsere Wirtschaft. Nur dann können wir die Chance, unsere Ressourcen bestmöglich zu nützen, wirklich wahrnehmen. Und die einzige Ressource, die wir als Bodenschatz besitzen, ist die Kohle.
Schauen wir, wo wir die Möglichkeiten für Kohle zu erweitern suchen: Kohle im Wärmemarkt. Ich weiß, daß das schwierig ist, daß das langsam geht. Kohle im Wärmemarkt ist ein Potential, das vielleicht noch 4 oder 8 Millionen Jahrestonnen haben kann. Vielleicht nicht gewaltig, aber eine Chance, wenn es uns gelingt, Kohle so anzubieten, daß sie verbrauchernah, daß sie verbrauchsfreundlich, umweltfreundlich, daß sie hochautomatisierbar und in kleinen Einheiten handhabbar ist. Hier setzt unsere systematische Technologieförderung an. Ich freue mich, daß das von der Industrie aufgegriffen worden ist.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfram?
Gerne.
Herr Bundesminister, ich begrüße dieses Bekenntnis zur Kohle im Wärmemarkt. Wenn dem so ist, dann frage ich nur: Warum lehnen denn dann Ihre Kolleginnen und Kollegen unsere Anträge auf finanzielle Anreize zur Einführung dieser umweltfreundlichen, auf Wirbelschichttechnologie basierenden Kohletechnik im Wärmemarkt ab? Warum helfen Sie dann nicht, damit das geschieht?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12787
Weil, Herr Kollege Wolfram, die Lage hier in der Tat so ist: Wir haben die Vorleistungen in der Technologieentwicklung auch bei der Wirbelschicht weitgehend gebracht. Die Techniken sind fertig, und wir schieben' sie weiter; natürlich in einer Kontinuität. Ich spreche nicht von einer schwarzen oder grünen oder roten Kohlepolitik. Ich spreche von einer vernünftigen Entwicklung einer Kohletechnik. Hier ist es so, daß die Voraussetzungen in der Technik geschaffen sind, und jetzt ist diese Sache allerdings nicht mehr eine Frage der Entscheidung des Staates, sondern des Marktes und der Unternehmen, und nur so kann es angelegt sein.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Laermann?
Ich tue das gerne, Herr Präsident. Ich gehe aber davon aus, daß die vereinbarte Zeit dann entsprechend verlängert wird. Ich möchte nicht zu Lasten der Fraktion diskutieren.
Da Sie unbegrenzte Redezeit haben, muß ich Ihnen das nicht in irgendeiner Weise anrechnen.
Herr Bundesminister, können Sie mir bestätigen, daß die Schwierigkeit, Kohle verstärkt in den Wärmemarkt zu bringen, auch darauf zurückzuführen ist, daß etwa Kommunalverwaltungen, Oberbürgermeister natürlich dann auf Konzessionseinnahmen aus Gas und Strom verzichten müssen?
Nachdem mir dies von kundigen Leuten auf dem Steinkohletag vor wenigen Tagen versichert worden ist, fällt es mir außerordentlich schwer, hier gegen das Urteil kundiger Leute zu argumentieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kollegen, wenn wir Kohle dauerhaft und sicher einführen wollen, müssen wir — ich kann es hier nur in Stichworten sagen — die sichere, umweltfreundliche Verbrennung gewährleisten, und dies bedeutet einen Verbund von ökologischer Wirkungsforschung. Herr Kollege Boroffka hat heute früh in der Aktuellen Stunde darauf hingewiesen, daß wir nicht rechtzeitig geprüft haben, wo Schäden entstehen und woher sie kommen. Wenn wir nicht begreifen, woher die Waldschäden kommen, können wir sie nicht sinnvoll bekämpfen. Wir müssen die Technologien entwickeln, und wir müssen sie dann umsetzen. Hier wird von der Opposition ein ProgrammArbeit und Umwelt vorgeschlagen. Dies kann nicht hilfreich sein.
In dem Moment, wo Sie neue Kassen errichten, werden Sie nichts erreichen.Die Politik der Bundesregierung ist anders, erreicht mehr mit weniger staatlichen Mitteln, ist erfolgreicher bei Auswahl der Techniken durch den Markt. Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung, die TA Luft werden, wie mir Fachleute sagen, insgesamt 40 Milliarden DM Investitionen in umweltschonender Technik bedeuten, und dies bedeutet nichts anderes, als daß der Staat von seiner hoheitlichen Pflicht, von seinem Recht, Rahmenbedingungen zu setzen, Gebrauch gemacht hat, daß sich die Industrie daran hält, daß daraus Schübe von neuen Technologien und gesicherten Arbeitsplätzen entstehen. Das geht aber nicht durch eine verordnende Administration. Dadurch, daß der Staat seine Aufgabe, Recht zu setzen, erfüllt, kriegen wir den Umweltschutz und gleichzeitig die Arbeitsplätze, kriegen wir eine konkurrenzfähige Technologie, die in den Weltmärkten ausstrahlt; denn niemand soll unterstellen, daß wir dauerhaft erfolgreich Technologien verkaufen können, wenn sie nicht zugleich technisch gut, wirtschaftlich gut und umweltfreundlich handhabbar sind. Dies kann aber nur die Industrie innerhalb der Gesetze des Marktes und der Rahmenbedingungen des Staates leisten.
Wir entwickeln die Kraftwerkstechnik in einer Kontinuität weiter, die ich ausdrücklich anerkenne, Herr Kollege Wolfram. Dies gilt für Völklingen, dies gilt für die Wirbelschicht in Lünen, dies gilt für die druckgefeuerte Wirbelschicht bei der RWTH in Aachen, dies gilt für die Zusammenspiele verschiedener Techniken, dies gilt für das Umweltkraftwerk, an dem wir jetzt bauen, die Kombination der Gasturbine mit der Wirbelschicht, dies gilt für die Möglichkeit, die Natriumtechnologie, die wir beim Brüter entwickelt haben, in der Kohletechnik einzuführen, so daß wir zu extremen Wirkungsgraden kommen, die die Kohletechnik in ihrer Wirtschaftlichkeit weiter voranbringen und damit Kohle dauerhaft sichern. Wir bringen eine Fülle von Innovationen in ihrem Zusammenspiel, aber in dem Rahmen einer staatlichen Vorleistung in Technik, die von der Industrie weitergetragen werden muß und letzten Endes dem Urteil der Industrie über ihre sinnvolle Anwendbarkeit unterworfen ist. Wir können dies.Herr Kollege Wolfram, Sie fragten nach der Kohleveredelung. Der Entscheidungsbedarf entsteht in dem Moment, wo die Anträge vorliegen. Was wir bis jetzt tun: Wir haben in Bottrop gefördert. Das kam aus einer nordrhein-westfälischen Förderung, als das Geld in NRW ausgegangen ist. Wir haben die Hälfte der Kosten übernommen. Wir fördern in Fürstenhausen, und wir fördern in Salzgitter. Wir fördern die Technologien zur Kohleverflüssigung, die überhaupt da sind, auf dem bestmöglichen Stand. Wir werden dann die Entscheidungen fällen, wenn Anträge von der Industrie da sind, die zeigen, wie
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12788 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Bundesminister Dr. Riesenhuberwir industriepolitisch und vielleicht auch energiepolitisch Kohleverflüssigung in eine Zukunft führen. Aber Kohlverflüssigung darf keine Staatstechnik werden. Jede Staatstechnik, die wir eingeführt haben, degeneriert die Technik und entfremdet den Staat.
— Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Brüter komme ich gleich noch; aber daß Sie bei der ganzen Energiepolitik ausschließlich auf den Brüter fixiert sind,
zeigt eine Verzerrung der Perspektiven, die Sie wirklich nicht mehr zu politischen Entscheidungen befähigt. Wir müssen das Ganze sehen; nur so können wir das einzelne richtig entscheiden.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stahl?
Gerne.
Herr Bundesminister, darf ich Sie fragen, ob Sie noch zu der Ansicht stehen, die Sie im Ausschuß für Forschung und Technologie geäußert haben, als Sie noch auf der Oppositionsbank saßen, als Sie nämlich gegenüber der Bundesregierung laufend betont haben, daß es zur besseren Einbringung neuer Technologien in den Markt notwendig ist, staatlicherseits besondere Zuschüsse und Anreize zu geben? Dies haben Sie damals gefordert. Stehen Sie heute eigentlich noch zu Ihrer damaligen Aussage?
Verehrter Herr Kollege Stahl, jetzt möchte ich einmal darstellen, was ich damals gesagt habe und heute sage, und ich möchte das am Beispiel der Windenergie zeigen. Ich habe gesagt, daß zur Überwindung von Marktschwellen durchaus staatliche Maßnahmen erforderlich sein können.
Jetzt habe ich Ihnen die Beispiele genannt. Wir haben bei der Windenergie das Investitionszulagegesetz angewandt; wir haben § 82 a entsprechend neu eingebracht. Das ist eine Möglichkeit, auf begrenzte Zeit zu fördern, und das ist richtig.Herr Stahl, alles, was darüber hinaus Subventionstatbestände so festschreibt, daß etwas staatlich gefördert wird, was seinen Weg im Markt selbst finden kann, fördert nicht Energietechnologien, sondern verhindert sie, fördert nicht Dynamik, sondern behindert sie, fördert nicht Innovation, sondern behindert sie, kostet uns dauerhaft Arbeitsplätze, statt sie zu schaffen.
Meine sehr verehrten Kollegen, ich kann jetzt nicht im einzelnen auf das eingehen, was zum Leichtwasserreaktor gefragt worden ist. Ich kann nur eines feststellen: Die Leichtwasserreaktortechnik ist reif, und insofern können wir die entsprechenden Ansätze im Haushalt rigoros zurückfahren. Die Projektförderung wird in wenigen Jahren halbiert, und diese Halbierung ist bei der Nukleartechnik sachlich begründet, weil diese, nachdem sie sich so entwickelt hat, ihr Geld im Markt verdienen kann.Ich möchte aber die zwei Fragen, die zusammengehören, aufgreifen, die nach dem Hochtemperaturreaktor und die nach dem Schnellen Brüter. Über den Hochtemperaturreaktor wird nicht viel geredet. Was entwickelt sich hier? Hier wird eine Technik auf leisen Sohlen zum Erfolg gebracht. Warum? Weil nicht der Staat, sondern die Industrie die Verantwortung dafür übernommen hat. Da entwickelt sich eine langfristige Strategie, eine komplementäre, die Seite der Reaktoren und die Seite der Kohleveredlungstechnologien umfassende Strategie, eine Strategie mit einzelnen, einander zugeordneten Schritten von der Teilvergasung bis zur Vollvergasung der Kohle, eine vernünftige langfristige Strategie, bei der jeder Schritt in sich selbst vernünftig und in sich selbst wirtschaftlich ist, eine Strategie, die in eine mögliche Technologielandschaft mit einer echten Kombination von nuklearer Prozeßwärme und Kohleverarbeitung einmündet. Dies scheint mir eine vernünftige Sache zu sein, bei der wir helfen und unterstützen, und ich bin davon beeindruckt, in welchem Maße von dem Moment an, in dem die Industrie den HTR als ihre eigene Aufgabe und Verpflichtung angesehen hat, Innovationskraft, Ideen und Konzepte entstanden sind und vorwärtsgebracht werden.Ich will aber in diesem Zusammenhang durchaus auch noch einmal die Frage nach dem Schnellen Brüter aufgreifen. Die Diskussion, die wir hier führen, ist von einer gewissen Seltsamkeit. Es gibt in Deutschland, es gibt in der deutschen Politik keine andere Technik, die vom Bundestag politisch so sorgsam bearbeitet worden ist, und zwar mit Entscheidungen des Deutschen Bundestages in mehreren Wahlperioden, durch Enquete-Kommissionen, Beratungen zwischen Abgeordneten und Sachverständigen mit Zweidrittelmehrheitsentscheidungen in der Enquete-Kommission, mit Entscheidungen von Abgeordneten aller Fraktionen, mit der letztlichen Entscheidung, diese Technik sei überprüft und verantwortbar. Wir haben sie im Frühjahr 1983 neu bewertet, wir haben sie im Zusammenwirken mit der Landesregierung NRW neu bewertet, und das, was wir hier vorgelegt haben, ist eine geschlossene Bilanz, die vor aller Augen offenliegt.Ich erkenne kein einziges Argument, das neu wäre. Das gilt auch für die Bedenken, die hier diskutiert werden. Ich bin froh darüber, daß hier niemand mehr ernsthaft Sicherheitsbedenken vorbringt. Es gibt kein Genehmigungsverfahren, das so streng und anspruchsvoll ist wie das deutsche.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12789
Bundesminister Dr. RiesenhuberWenn Herr Farthmann dieses Genehmigungsverfahren selbst gefahren hat, glaube ich nicht, daß irgend jemand ihm unterstellt, daß er aus Industrieoder Brüterfreundlichkeit zu leichtfertig darüber hinweggeredet hat.
Über die Verfügbarkeit von Uran habe ich gesprochen. Wir dürfen nicht „kurzfristig" auf „langfristig" extrapolieren.Die Plutoniumwirtschaft: Wir sind jetzt schon in einer Situation, in der wir in der Leichtwassertechnologie ein Mehrfaches des Plutoniums hier erzeugen und beherrschen.Die Nichtwirtschaftlichkeit: Das zu beurteilen ist nicht die Sache des Staates. Das zu beurteilen ist die Sache der Industrie, die erklärt hat, daß sie bereit ist, ihr Geld darauf zu setzen.
— Das gilt für den Hochtemperaturreaktor in der gleichen Weise.
Zu der Meinung, dies hier sei etwas, was nur wir betrieben: Japan hat in diesen Tagen begonnen, den Monju-Reaktor zu bauen.Zu der Tatsache, daß wir hinter Frankreich zurück sind: Nur dadurch, daß wir Kalkar bauen, behalten wir den Zugang zu der französischen Technologie auf Grund der Verträge, die frühere Regierungen abgeschlossen haben.Nicht eines der Argumente ist neu. Nicht eines der Argumente trägt. Nicht eines der Argumente trägt irgend etwas zur Sache bei. Eine Begründung aus der Sache habe ich in all den Diskussionen in den letzten Monaten nicht gehört. Wenn wir nicht mehr in der Sache stringent diskutieren können, können wir den Streit über die Politik zwar auf eine andere Ebene verlagern, aber nicht in diesem Bundestag führen.
Als letztes greife ich das auf, was Ludwig Gerstein aus einem Beschluß des Landtages Nordrhein-Westfalen zitiert hat. Es ist in der Tat eine Frage, ob die Bedeutung des Schnellen Brüters nicht über die Energiepolitik hinausgeht. Für viele scheint er eine Art Symbol geworden zu sein.
— Herr Catenhusen, vielleicht auch das. Jetzt möchte ich es Ihnen einmal sagen. Wenn wir im Blick auf eine Hochtechnologie vor der Weltöffentlichkeit sagen: „Leider können wir dies nicht beherrschen; bitte habt Verständnis für uns!"
und wenn eine Industrienation erklärt, sie werde mit einer Technik, die sie entwickelt hat, nicht fertig, dann hat sie an dieser Stelle abgedankt.
Wenn eine Industrienation die Sache so anlegt, daß wir unterschiedliche Standortqualitäten in unterschiedlichen Bundesländern bekommen, dann wäre das eine ganz verheerende Entwicklung.Deshalb bin ich dankbar, Herr Kollege Wolfram, daß Sie nochmals unterstützend darauf hingewiesen haben, daß die Landesregierung NRW nach Recht und Gesetz und zügig entscheiden wird, so daß dies hier im Genehmigungsverfahren und im Betrieb rechtzeitig und sicher ankommt.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Catenhusen, ich bekomme hier eine Mahnung von meiner Fraktion. Ich kann keine Frage mehr zulassen.
Gut.
Ich bitte um Nachsicht. Aber ich bekomme eine Mahnung von meinen Kollegen.
Ich möchte als letztes noch eine einzige Berner-kung machen. Wir haben hier die Chance, mit einer Fülle von Energietechniken Infrastruktur für unsere Wirtschaft aufzubauen, gleichzeitig auch in diesem Bereich unsere starke Position als Industrienation und als Exportnation zu halten, dauerhafte Arbeitsplätze zu schaffen, wenn wir beweisen — und wir haben es bewiesen —, daß wir eine exzellente Technik nicht nur wirtschaftlich und technisch, sondern auch umweltfreundlich und sicher herstellen können. Das ist die Voraussetzung dafür, daß wir auch in diesem Bereich eine verantwortliche Zukunft gestalten, die von den Bürgern akzeptiert und gern mitgetragen wird.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tatge.
Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen!
Bei der unverantwortlichen Art und Weise, wie die Bundesregierung und der bayerische Atompapst Strauß mit der Atomenergie umgehen, kann ich Ihnen eine Debatte über die Gefahren und Risiken der Atomenergie nicht ersparen.Sie sind auch mit der Exekution der energiepolitischen Zielsetzung des vorliegenden EG-Papiers auf dem Weg in den Atomstaat. Nicht einmal auf die Zukunft gerichtet ist bei der Regierung die kleinste Lernfähigkeit festzustellen. 15 Jahre kritische Atomenergiediskussion, 15 Jahre Ökologiebewegung sind an Ihnen gedanklich vorbeigegangen.
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12790 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
TatgeAllenfalls Verbalakrobatik haben Sie gelernt.Das gilt auch für die Sozialdemokratie und ihre atompolitischen Eiertänze.
Die einzige richtige Schlußfolgerung ist: Wer Energieeinsparung, regenerative Energiequellen, kurzum eine andere Energiepolitik will, der muß auf das Anwachsen und das weitere Erstarken der GRÜNEN setzen.Der Bericht zu unserem Antrag „Nukleare Entsorgung" ignoriert die ökologischen und gesundheitlich nachweisbaren Schäden, die in Großbritannien entstanden sind. Wir wollen unterbinden, daß in der Todesanlage von Windscale weiterhin mehrere 100 Tonnen abgebrannter Kernbrennstoffe aus deutschen Kraftwerken zur Wiederaufarbeitung gebracht werden.Im November 1983 — darauf verweigern Sie jede Antwort — hat Windscale die Irische See und große Landflächen radioaktiv verseucht. Leukämieerkrankungen sowie Krebserkrankungen treten verstärkt auf und werden viele Menschen zu Tode bringen. Sie übernehmen für diesen Tod der Menschen ein Stück Verantwortung.
Ihre Politik ist gnadenlos industriefreundlich, ignorant und - durch die Kalkulation mit dem Tod — in hohem Maße zynisch. Im November 1983 wurden — unbestritten — 4 500 Curie Betastrahlen abgegeben. Der atomfreundliche Black-Report fordert zumindest verstärkte Forschung über den Zusammenhang zwischen radioaktiven Emissionen und dem Anstieg der Leukämierate. Sie aber wiegeln ab, desinformieren, täuschen, natürlich deshalb, weil Sie und Ihr Kumpane Strauß beschlossen haben, die WAA in Wackersdorf um jeden Preis durchzusetzen.
Welche Perspektive bringt die WAA den Menschen und ihren Problemen in der Oberpfalz? Nach höchstens 20 kurzen Betriebsjahren ist der Goldrausch vorbei. Aber für alle Zeit muß die Oberpfalz vom Grundwasser der Bodenwöhrer Senke leben, und in diesem Schutzgebiet wollen Sie die WAA betonieren. 44 000 Kubikmeter verseuchter Abwässer werden jährlich in die Naab einfließen. Die Umweltbelastung mit Radioaktivität durch die WAA entspricht der von zwölf Atomkraftwerken. Hinzu tritt der demokratiezerstörende Alltag des Atomstaates.
Polizei mit CS-Gas, Hubschraubereinsätze, Panikmacher,
ständige Kontrollen, Eingriffe in die elementaren Grundrechte setzen Sie auf die Tagesordnung.Nun zu den atompolitischen Eiertänzen der Sozialdemokratie: Heute, meine Damen und Herren von der SPD, erleben wir eine neue Aufführung Ihrer bekannten inkonsequenten Haltung. Wenn Sie konsequent wären, müßten Sie den Baustopp von Kalkar, die Stillegung des THTR klipp und klar fordern; wenn Sie konsequent wären, müßten Sie schon heute das HTR-Nachfolgeprojekt, das im Forschungs- und Technologiehaushalt mit 46 Millionen DM vorgesehen ist, ablehnen. Doch dazu hört man von Ihnen eindeutig nichts.Wieso verwenden Sie in Ihrem vorliegenden Antrag kein Wort auf die ungelöste sogenannte Entsorgung der Reaktoren und die sicherheitstechnischen Probleme des Reaktors in Kalkar?
Wollen Sie sich aus dem Konflikt mit der Bundesregierung, mit Herrn Zimmermann wieder einmal herausstehlen?Der Hochtemperaturreaktor 300 wie der geplante Hochtemperaturreaktor 500 sind eindeutig für die Stromerzeugung vorgesehen. Die Inbetriebnahme, das Ans-Netz-Gehen ist gleichbedeutend mit Arbeitsplatzabbau im Steinkohlebergbau.
Sonntags reden Sie dagegen, werktags herrscht bei Ihnen betretenes Schweigen.
Nun zu Herrn Rau: Er setzt in bester Schmidt-Manier auf den HTR. Rau und seine NRW-Atompolitik stehen im Widerspruch zu Ihrem eigenen Essener Bundesparteitagsbeschluß von 1984.
Rau und seine Atompolitik greifen damit die alte Schmidt-Atompolitik wieder auf. Darüber täuschen Sie auch mit leisetreterischen Anträgen hier im Bundestag nicht hinweg. Sie heucheln, wenn Sie sagen, die großtechnische und kommerzielle Nutzung des HTR werde erst im Jahre 2030 lohnend sein, und gleichzeitig immer wieder beteuern, daß Sie den mittelfristigen Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahre 2015/2020 fordern. Sie haben heute die Möglichkeit — wir geben Ihnen die Chance —, sich zu entscheiden. Sie brauchen nur unserem vorliegenden Änderungsantrag zuzustimmen.
Wer — meinen Sie — ist denn noch so dumm, dem kräftigen sozialdemokratischen Sowohl-Als-auch zu glauben? Reicht es immer noch nicht, daß Sie — Hand in Hand mit der CDU — jahrelang 11 Milliarden DM für die Wiederaufarbeitungsanlage in den Sand setzen wollten? Reicht es nicht, daß Sie über 7 Milliarden DM für den Schnellen Brüter in Kalkar in den Sand gesetzt haben? Reicht es nicht, daß Sie über 4 Milliarden DM für den Hochtemperaturreaktor in Hamm in den Sand gesetzt haben?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12791
TatgeWas muß bei den bekannten ökologischen Schäden, dem ökonomischen Unsinn und den sozialen und demokratischen Problemen, die die Atomtechnologie mit sich bringt, noch passieren, daß Sie sich einmal entscheiden können?Es gilt noch unvermindert, was ein wütender und enttäuschter Erhard Eppler vor über zehn Jahren nach seinem Ausscheiden aus dem gerade etablierten Kabinett Schmidt zu Papier gebracht hat:Unsere Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit werden immer unangemessener, verzagter, auch unredlicher; der Abstand zwischen dem Zeithorizont politischer Entscheidungen und dem Zeithorizont unserer Aufgaben unerträglicher.Das politische Establishment jener, die im Wirtschaftswunderrausch groß geworden sind, das politische Establishment von CDU, FDP, CSU und SPD mit dem Blick fest auf die nächste Kommunal-, Landtags- oder Bundestagswahl zeigt tagtäglich — auch hier in diesem Parlament — ihre Unfähigkeit umzulernen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelsberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was eben der Herr Kollege Tatge an Schwarzmalerei, Angstschüren und Panikmache von sich gegeben hat, gehört zum energiepolitischen Szenario der GRÜNEN. Ich möchte aber den Damen und Herren von der SPD zu bedenken geben, mit wem Sie sich da in Hessen eingelassen haben, mit wem Sie sich in der hessischen Landesregierung sozusagen in ein gemeinsames Bett gelegt haben. Das wird Ihnen energiepolitisch und gesamtpolitisch noch schwer zu schaffen machen.
Der Nestor der deutschen Physik, Professor Maier-Leibnitz, hat schon Ende der 70er Jahre besorgt darauf hingewiesen, daß die Atomdiskussion bei uns deshalb so unbeschreiblich polarisiert ist, weil es dabei oft weniger um Kernenergie als um Macht, um Kampf gegen Autoritäten und um gesellschaftliche Veränderungen geht. Das wollen Sie ja, meine Damen und Herren von den GRÜNEN.
An dieser Einschätzung hat sich offenbar nichts geändert, wenn ich etwa im Gesetzentwurf der GRÜNEN zur Förderung der Windenergie lese: „Die Atomenergie ist ohnehin weder wirtschaftlich noch von den Gefahren her tragbar" oder wenn die SPD in ihrem Antrag zur Sicherung umweltfreundlicher Energieversorgung kategorisch erklärt: „Die Nutzung der Kernenergie ist nur für eine Übergangszeit zu verantworten."
Meine Damen und Herren von der Opposition, es ist zwar Ihre Sache, was Sie in Ihren Anträgen und Entwürfen zu Papier bringen,
und es ist auch Ihre Angelegenheit, mit welchen Schlagworten und Phrasen Sie an Ihrer Parteibasis oder draußen im Lande die Emotionen glauben anheizen zu müssen. Nur sollten Sie achtgeben, daß Sie dabei argumentativ nicht zu sehr ins Abseits geraten.
Sie, meine Damen und Herren von der SPD, sollten sich davor hüten, aus ideologischer Verblendung und rot-grünem Opportunismus die existentiellen Lebensfragen unseres Volkes zu mißachten.
— Ich bin dabei.
Halten wir uns deshalb an die energiepolitischen Fakten, durch die Ihre irrationalen Antikernkraftparolen von Jahr zu Jahr mehr ad absurdum geführt werden.
Erstens. Wer die friedliche Nutzung der Kernenergie immer noch nicht für verantwortbar oder von den Gefahren her für tragbar hält, der sollte endlich zur Kenntnis nehmen, daß die gesamten Betriebserfahrungen mit friedlicher Nutzung der Kernenergie Ende 1984 weltweit bereits 3470 Reaktorjahre betragen haben. Ich wiederhole: 3470 Reaktorjahre Betriebserfahrung in der nunmehr nahezu 40jährigen Geschichte der friedlichen Kernenergienutzung. In diesen 40 Jahren friedlicher Kernenergienutzung gab es auf der ganzen Welt kein einziges Menschenleben zu beklagen,
während allein im Kohlebergbau in der Bundesrepublik nach dem Kriege ca. 15 000 Bergleute tödlich verunglückt sind.
Meine Damen und Herren, halten wir uns doch bitte einmal vor Augen: Ende 1984 waren in 26 Ländern 322 Kernkraftwerksblöcke mit zusammen 230 000 Megawatt in Betrieb, und in Bau waren 190 Kernkraftwerksblöcke mit zusammen 183 000 Megawatt in 29 Ländern. Und da wollen Sie, daß ausgerechnet die Bundesrepublik Deutschland mit den sichersten und fortschrittlichsten Kernkraftwerken der Welt aus der Kernenergie aussteigt!
Zweitens. Wer die friedliche Nutzung der Kernenergie stereotyp auch wirtschaftlich für nicht tragbar erklärt, sollte endlich zur Kenntnis nehmen, daß der Kostenvorteil der Kernenergie gegenüber der deutschen Kohle bereits heute 20 % bis 25% beträgt und daß dieser Kostenvorteil aus Gründen des Umweltschutzes in Zukunft noch größer werden wird.
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Engelsberger
Er sollte ferner zur Kenntnis nehmen, daß die Stromerzeugung in der Bundesrepublik inzwischen zu 35 % durch Kernenergie sichergestellt wird, wobei der Anteil in einigen Regionen des Nordens und Südens bereits die 50-Prozent-Marke überschritten hat. Daran wird besonders deutlich, daß die Bundesländer mit dem höchsten Kernenergieanteil heute zugleich die Regionen mit den stabilsten Strompreisen sind.
— Meine Herren von den GRÜNEN, wenn Sie solche Bemerkungen machen, dann kann ich nur feststellen, daß Sie von der Energiepolitik und von den Energiepreisen überhaupt keine Ahnung haben.
Drittens. Wer immer wieder behauptet, die Kosten für die nukleare Entsorgung sowie die spätere Stillegung und Beseitigung von Kernkraftwerken würden nicht in den Strompreisen berücksichtigt, sagt schlichtweg die Unwahrheit, denn genau das Gegenteil ist der Fall.
Wer immer wieder kritisiert, daß die staatlichen Aufwendungen — ich komme jetzt zu Ihrem Zwischenruf — für Forschung und Entwicklung im Bereich der Kerntechnologie in den Kostenberechnungen des Kernenergiestromes nicht enthalten sind, der sollte fairerweise aber auch die weit höheren staatlichen Aufwendungen für die Erhaltung des deutschen Steinkohlebergbaus in den Kostenvergleich mit einbeziehen. Denn dadurch würde sich der Kostenvorteil im Vergleich zur Kernenergie noch erhöhen, weil die Kohlesubventionen im Gegensatz zu den Aufwendungen für die Entwicklung der Kernenergie auch künftig als Dauersubventionen anfallen werden.
Viertens. Wer heute das Konzept der Wiederaufarbeitung mit anschließender Endlagerung entgegen verbindlichen Zusagen in früheren Zeiten, Herr Kollege Vosen, kompromißlos ablehnt, torpediert das fortschrittlichste Entsorgungskonzept der Welt und setzt die Sicherheit der deutschen Energieversorgung unkalkulierbaren Risiken aus. Es wäre deshalb verantwortungslos, den bereits heute möglichen und technologisch gesicherten Weg der Entsorgung über Wiederaufarbeitung dadurch in Frage zu stellen, daß auf eine andere mit noch vielen Fragezeichen behaftete Entsorgungsmöglichkeit gewartet wird.
Fünftens. Wer immer wieder behauptet, der Ausbau der Kernenergie gefährde die Erfüllung des Jahrhundertvertrages, irrt auch hier gründlich, denn die mit dem Jahrhundertvertrag verbundene Kostenbelastung der Stromversorgung kann nur auf der Basis einer vernünftigen Mischkalkulation mit der wesentlich kostengünstigeren Kernenergie ausgeglichen werden.
Wer sich deshalb dem vernünftigen Einsatz der Kernenergie in den Weg stellt, muß wissen, daß er damit dem kohlepolitischen Konsens in der Bundesrepublik Deutschland ökonomisch wie politisch die Basis entzieht.
Sechstens. Wer durch Energiesparen, durch die Kraft-Wärme-Kopplung oder durch den Einsatz von Blockheizkraftwerken die Kernenergie ersetzen zu können glaubt, dem fehlt jedes Verständnis für energiewirtschaftliche Proportionen, denn sparen kann man auf die Dauer nur das, was man hat, und jede noch so intensive Fastenkur stößt irgendwann an ihre physischen Grenzen.
Die Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung und der Ausbau der Fernwärme mögen energie- und umweltpolitisch durchaus sinnvoll sein, aber auch hier sollte die Grenze der Wirtschaftlichkeit gerade unter Berücksichtigung des Umweltschutzes auf die Dauer nicht überschritten werden. Wenn sich Hessens Wirtschaftsminister, Herr Dr. Steger, neuerdings so sehr für Blockheizkraftwerke erwärmen kann, so möchte ich nicht nur vor rot-grünen Illusionen, sondern auch davor warnen, daß die bisher erreichte Reduzierung des 01- und Gaseinsatzes bei der Stromerzeugung nicht wieder rückgängig gemacht werden darf.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Im Moment nicht. Ich möchte gerade den Satz zu Ende führen.
Was werden wir da erst noch von dem neuen grünen Energieminister Josef Fischer an tagträumerischen Zukunftsperspektiven erfahren, nachdem sogar seine Freunde behaupten, daß er von der Sache nichts versteht?
Herr Vosen, bitte.
Herr Kollege, sehen Sie die Möglichkeit, mit dem von Ihnen beschriebenen billigen Atomstrom demnächst die arbeitslosen Bergarbeiter zu bezahlen?
Herr Kollege Vosen, der Bundesminister für Forschung und Technologie, Herr Riesenhuber, hat gerade ein Szenario aufgezeigt, in welcher Weise Kernenergie und Kohle bei der Kohleveredlung kombiniert werden können, und da liegt auch eine Zukunft für die Kohle. Darüber hinaus haben wir nie den Ausstieg aus der Kohlepolitik befürwortet, sondern wir haben gesagt: in der Mittellast Kohle, in der Grundlast Kernenergie. Das ist auch unsere Vorstellung für die
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Engelsbergerkünftige Entwicklung der Energieversorgung in der Bundesrepublik Deutschland.
Siebtens. Wer schließlich immer noch glaubt, mit regenerativen Energiequellen — wo lediglich die Wasserkraft wirtschaftliche Bedeutung besitzt und Solarenergie, Windenergie und Energie aus Biomasse unbedeutend sind — den Ausstieg aus der Kernenergie wagen zu können, und wer andere glauben machen will, die geringe Effizienz der alternativen Energien sei auf mangelnde Forschungsbemühungen zurückzuführen, der ist entweder ein energiepolitischer Phantast oder ein unbelehrbarer Ignorant.
Denn die nachweisbar geringe Effizienz der alternativen Energien, deren Beiträge zur Deckung des Primärenergieverbrauchs in der Bundesrepublik gegen Null tendieren, ist bei uns sowohl strukturell als auch geographisch bedingt, und hieran haben auch die dreistelligen Millionenprogramme des BMFT nichts zu ändern vermocht. Wir haben ja dreistellige Millionenprogramme mit Bezug auf die alternativen Energien aufgestellt.
Auch ich bin ein Anhänger der alternativen Energien. Aber man muß auch sehen, meine Kollegen von den GRÜNEN: Wenn wir pro Jahr einen Zuwachs des elektrischen Energieverbrauchs von 4,4% haben, was rund 20 Milliarden kWh bedeutet, dann können Sie diesen Zuwachs weder durch Windenergie noch durch Biogas decken. Das sollte man in aller Deutlichkeit hier sagen. Insgesamt gesehen kommt es doch darauf an, daß wir genügend Energie zu bezahlbaren Preisen unserer Wirtschaft zur Verfügung stellen können. Nur dann bekommen wir unsere Arbeitslosen weg von den Straßen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte?
Ich beantworte sie gerne, wenn meine Redezeit dadurch nicht zu sehr eingeschränkt wird.
Eingeschränkt wird sie nur zum Teil. Das gilt aber nicht für alle weiteren Fragen; sonst kommen wir in Zeitnot.
Eine Frage lasse ich noch zu, dann muß Schluß sein.
Da Sie gerade die Alternativenergien kritisierten und jede andere Form der Energieerzeugung, insbesondere der Stromerzeugung, Umweltbelastungen mit sich bringt, frage ich Sie: Was wollen Sie tun, damit man diesen 4,4 %igen Zuwachs, den Sie gerade in den Raum gestellt haben, in Zukunft verhindert?
Herr Kollege, wenn Sie heute vormittag bei der Rede des Bundeswirtschaftsministers Bangemann aufgepaßt hätten, wäre Ihnen nicht entgangen, daß er deutlich gemacht hat, daß im Primärenergieverbrauch bei uns deutliche Sparerfolge eingetreten sind, daß wir erheblich weniger Primärenergie verbrauchen als vor sechs oder sieben Jahren,
daß wir aber gerade in bezug auf die Verwendung der elektrischen Energie einen Zuwachs haben, der erst die Sparmaßnahmen beim Primärenergieverbrauch ermöglicht hat, um zu dem heutigen Ergebnis zu kommen.
Wenn Sie meinen, ich wäre gegen die regenerativen Energien: Ganz im Gegenteil, ich bin ein bewußter Anhänger der Wasserkraft. Aber ganz gleich, wo ein Wasserkraftwerk geplant wird, meine Damen und Herren: Dann kommen die GRÜNEN und die Umweltschützer und protestieren dagegen.
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland noch ein Potential an Wasserkraft in Höhe von 10 Milliarden kWh. Wird aber ein Wasserkraftwerk geplant, etwa an der Salzach, wo wir 1,2 Milliarden kWh aus Wasserkraft erzeugen könnten, kommen Sie mit Ihren Transparenten und demonstrieren dagegen. Hier aber sind Sie die Befürworter regenerativer Energien. Das muß man doch auch einmal sagen.
— Herr Präsident, darf ich in meiner Rede fortfahren? Sonst komme ich mit meiner Zeit nicht zu Rande.
Achtens. Wer last not least wie die SPD und die GRÜNEN auch unter Umweltschutzgesichtspunkten gegen die Kernenergie zu Felde zieht, der macht sich vollends unglaubwürdig, wenn nicht sogar lächerlich. Denn die Kernenergie ist abgesehen von der Wasserkraft der umweltfreundlichste Energieträger von Rang, den wir kennen.
Die vor allem die von den GRÜNEN bei jeder Gelegenheit geforderte Verringerung des Ausstoßes der Schadstoffe SO2, NOx, CO und Schwermetalle ist hier in jeder Hinsicht zu 100 % bereits erfüllt. Wer deshalb wie die Oppositionsparteien mit dem Waldsterben stets aufs neue politische Emotionen zu schüren versucht, der muß sich den schweren Vorwurf gefallen lassen, daß er selbst mit der Kernenergie ausgerechnet jenen Energieträger ausschalten will, der den Wald wie keine andere Energiequelle von Gewicht schont, meine Damen und Herren.
Das muß man einmal feststellen.
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Herr Staatssekretär Grüner hat in der vorletzten Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestages klarzumachen versucht, was ein Verzicht auf Kernenergie für die Umweltpolitik bedeutet. Ich zitiere daraus mit Genehmigung des Herrn Präsidenten:
Würden wir einmal unterstellen, daß die heute bei uns vorhandenen Kernkraftwerke nicht existieren würden und daß an ihrer Stelle Kohlekraftwerke in Betrieb wären ..., dann würde das für uns in der Bundesrepublik als Orientierungsgröße bedeuten: 450 000 t Schwefeldioxid mehr im Jahr,
250 000 t Stickoxide mehr im Jahr und 50 000 t Stäube mehr im Jahr.
Weiter führte Staatssekretär Grüner aus, daß sich die von ihm als Orientierungsgröße genannten Umweltbelastungswerte verdreifachen würden, wenn etwa unsere unmittelbaren Nachbarn, die Schweiz, Frankreich, die Niederlande, Belgien, die CSSR und die DDR nicht auch einen Teil ihrer Energie mit Kernkraft erzeugen würden.
Meine Damen und Herren, angesichts dieser Fakten ist es eine Unverfrorenheit, wie GRÜNE und SPD rein aus parteitaktischen Gründen wider besseres Wissen die Bürger zu täuschen versuchen.
— Herr Roth, ich habe leider nicht mehr die Zeit. Ich würde gern, aber hier leuchtet bereits das rote Licht auf.
Diese Unverfrorenheit führt bedauerlicherweise auch noch dazu, daß man uns Deutsche im Ausland
— nicht ganz zu Unrecht — immer wieder den fatalen Hang zur Maßlosigkeit, zur Selbstüberschätzung nachsagt. Offenbar soll nach Auffassung der SPD und der GRÜNEN auch in der Frage der friedlichen Nutzung der Kernenergie wieder einmal die ganze Welt am deutschen Wesen genesen. Ich danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vosen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben hier feststellen dürfen, daß die CDU ganz klar die Kernkraft in den Mittelpunkt ihrer Energiepolitik stellt.
Wir haben feststellen können, daß die GRÜNEN ganz klar eine Energiepolitik aus Nichts machen wollen, aus Nichts, vielleicht höchstens aus Wind. So scheint sich das darzustellen. Nun stelle ich fest, daß die SPD wohl als einzige Partei — nachdem die FDP nun auch den Braunkohlentagebau schließen will, wie wir eben gehört haben — die eigentlichrealistische, machbare, mit Augenmaß machbare Energiepolitik, sicherlich auch erfahrungsgemäß begründet, hier vortragen kann.
Meine Damen und Herren, ganz kurz zur Tagesordnung. Wir werden den Punkt 2 c — das ist das Forschungsprogramm der EG zum Ausbau der Energiegewinnung aus Kernspaltung — nur zur Kenntnis nehmen, und wir werden den Punkt 2 d — das ist das Problem der Euratom-Anleihen — ablehnen.Nun möchte ich vorrangig zum Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung reden, nämlich zum Problem des Antrags der Fraktion der SPD zum Schnellen Brüter in Kalkar.
— Das ist ein Problem. Ich versuche es Ihnen jetzt zu erklären. Es ist wissenschaftlich begründet. Sie müssen gut aufpassen.
Meine Damen und Herren, die SPD-Bundestagsfraktion hat den Antrag zur Beendigung des Projekts in Kalkar eingebracht. Die SPD hat damit einen langjährigen Analyse- und Bewertungsprozeß zu Ende geführt,
den sie im Parlament, aber auch im Dialog mit den Bürgern und in stetigen Auseinandersetzungen mit nationalen und internationalen Forschungsergebnissen durchgeführt hat. Dieser politische Prozeß der sorgfältigen Aufnahme und Verarbeitung ökonomischer, ökologischer, sicherheitsmäßiger, verfassungsrechtlicher und gesellschaftspolitischer Argumente zu dieser Technologie erfordert eine so eingehende Auseinandersetzung, daß die mir zustehende Redezeit nicht ausreicht. Ich möchte mich deshalb auf die wesentlichen Gründe beschränken und sie noch einmal in Kürze darlegen.Für meine Fraktion möchte ich verdeutlichen, warum wir in den 70er Jahren Anlässe hatten, parallel zu Baufortschritten des Brüters die Überprüfung von Bedenken und neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen in unsere Arbeit aufzunehmen, und warum dies heute zu einer ablehnenden Haltung gegenüber der weiteren Förderung der Brütertechnik führt.Am 14. Dezember 1978 haben wir zusammen mit der FDP einen Inbetriebnahmevorbehalt beschlossen und zugleich eine Enquete-Kommision eingesetzt. Am 3. Dezember 1982 wurde der Vorbehalt durch die neue Mehrheit gegen unsere Stimmen in diesem Plenum aufgehoben. Die SPD-Fraktion hat
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Vosendamals mit folgenden Argumenten gegen die Aufhebung gestimmt:Erstens. Wir wollten die Bewertung der Kosten und des Nutzens mehr klären als bisher. Die Finanzierung war damals nicht gesichert. Die Fragen der Sicherheitsanalyse bedurften weiterer Klärung. Und wir meinten, daß auch das Gesamtrisiko etwas näher untersucht werden müsse. — Schon damals haben wir also sehr starke Bedenken angemeldet.1983 schließlich wurde die Neubewertung, wiederum durch die Bundesregierung, durchgeführt, obwohl damals ebenfalls keine neuen Argumente vorgetragen werden konnten, Herr Minister Riesenhuber. Das war im Grunde genommen eine Absichtserklärung ohne wirkliche Analyse.Nachdem nunmehr die Erteilung der Genehmigung zur Einlagerung der Brennelemente auf der Baustelle bevorsteht — das ist ein gravierender Eingriff —, sieht die SPD jetzt den Zeitpunkt gekommen, sich endgültig ein Urteil über die Verantwortbarkeit des Brüters zu bilden. Dieses Urteil lautet: Der Brüter ist unter Risikoabwägungen und unter Wirtschaftlichkeitserwägungen nicht zu verantworten.
Wir plädieren dafür, daß in eine öffentliche Neubewertung unsere Argumentation aufgenommen wird und sich auch bei Ihnen die Vernunft durchsetzt, die zu der Erkenntnis führt, daß die moderne technische Entwicklung Probleme aufgeworfen hat, die an ihrem Anfang noch nicht verstanden worden waren.Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat ihre Verantwortung in diesem gesellschaftlichen Lernprozeß im Bereich der politischen Bewertung der Kernenergie wahrgenommen. Wir stehen heute vor der Erkenntnis, daß die noch bestehenden Kontroversen nach intensiver Diskussion und Forschungsarbeit vorrangig nicht ökonomische und technische Sachverhalte zum Inhalt haben, sondern die grundlegende Frage, ob sich die Politik auch bei großen Forschungsprojekten das Recht vorbehalten sollte, lernfähig zu werden und zu bleiben. Meine Damen und Herren von der Koalition, ich fordere Sie auf: Werden Sie lernfähig.Insbesondere widersprechen wir jeder isolierten Betrachtung zum SNR 300, die diesen nicht in einen Gesamtzusammenhang der Energiepolitik stellt. Hauptsächlich muß er im Zusammenhang mit der Frage gesehen werden, wie es um den langfristigen Energiebedarf und seine Deckung steht.Wir zweifeln nicht daran — ich sehe, auch Sie nicht —, daß die Genehmigungsbehörde in Nordrhein-Westfalen mit großer Sorgfalt nach Recht und Gesetz prüfen wird, ob der SNR 300 in Betrieb gehen darf.
Wir wollen aber auch keinen Zweifel aufkommenlassen, daß die Bundespolitik ihre darüber hinausgehende Verantwortung für den SNR 300 auch außerhalb des Genehmigungsverfahrens wahrnimmt. Auch wir haben hier Verantwortung.Falsch liegen alle unsere Kritiker, die behaupten, die SPD habe eine Kehrtwendung in der Brütertechnologie vollzogen.
Unsere Vorbehalte haben wir kontinuierlich ausgedrückt. Das hat Volker Hauff als Bundesforschungsminister am 5. Dezember 1978 getan. Sie können es in seiner Rede nachlesen. Wir haben damals sehr klar unseren Vorbehalt gegen die Inbetriebnahme ausgesprochen. Insbesondere haben wir das deshalb getan, weil uns die Experten für 1977 einen Bericht erstellt hatten, in dem sie gesagt hatten, die Einstellung der Baumaßnahmen am Schnellen Brüter würde genausoviel kosten wie die Fertigstellung. Da haben Sie sich leicht um 4 Milliarden DM verschätzt. Das war 1977. Nur deshalb haben wir nicht schon damals gesagt: Laßt uns mit diesem Schnellen Brüter aufhören.
Meine Damen und Herren, es war die Aufgabe der Enquete-Kommission, zu prüfen, ob der Schnelle Brüter letztendlich zu verantworten war. Die erste Kommission hat das sehr sorgfältig getan. In einer zweiten Kommission wurden dann die Schwierigkeiten in der Bewertung dieses Brüters mehr als deutlich. Denn wir erhielten nicht eine Studie, wie der Auftrag lautete, sondern zwei Studien, in denen letztlich die Gefahren unterschiedlich dargestellt wurden. So wurde die Frage der Explosionspotentiale, also dessen, was bei einem Unfall geschehen kann, völlig unterschiedlich dargestellt. Es ist unbestritten, daß der Schnelle Brüter durchgehen kann. Die dabei entstehenden Schäden wurden gänzlich unterschiedlich beurteilt.Da die übrigen Risikobeiträge durch nicht geplante Eingriffe des Betriebs oder des Wartungspersonals sowie Einwirkungen Dritter oder andere unvorhergesehene, unerwünschte soziale und politische Entwicklungen in diesen Studien nicht berücksichtigt wurden, welche alle die in den Studien in Rechnung gestellten Risiken um ein Vielfaches übertreffen können, war und ist es überhaupt nicht möglich, eine wirklich verläßliche Risikoanalyse abzugeben.Unser Ergebnis der vertiefenden Analysen ist, wie gesagt: Wir können es nicht verantworten. Ich will Ihnen sagen: Wenn die Prognosen gestimmt hätten, hätten wir im Jahr 2000 270 Kraftwerke des Typs Schneller Brüter in der Welt. Diese müßten schon heute im Bau sein. Alle Prognosen waren falsch. Auch die Uranvorräte sind heute normalerweise für 200 Jahre als gesichert anzusehen. Das gilt für die heutige Förderung.12796 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985VosenWir sparen Milliarden ein, wenn wir diese Brütertechnologie in der Bundesrepublik nicht in Betrieb nehmen.
— Nahezu 2 Milliarden DM, Herr Riesenhuber, könnten Sie für sinnvolle Forschung nutzen. Sie wissen es selbst und haben es selber gesagt, daß diese Technologie nicht marktkonform ist. Sie ist gefährlich, risikoreich und energiewirtschaftlich sinnlos. Diese Technologie ist ein fehlgeschlagener Forschungsversuch.
Fördern Sie mit den 2 Milliarden DM, die Sie einsparen, sinnvolle Technologien!
Herr Abgeordneter Vosen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Laermann?
Selbstverständlich, Herr Laermann. Ich habe extra etwas schneller geredet, um Ihnen diese Möglichkeit einzuräumen.
Danke schön! Ich habe gedacht, Sie hätten schneller geredet, damit Sie uns eher erlösen.
Ich habe folgende Frage, Herr Kollege Vosen: Können Sie mir erklären, warum, wenn, wie Sie behauptet haben, die Brütertechnologie unwirtschaftlich ist — Sie haben j a generell von Brütertechnologie gesprochen —, in der Welt schon zehn Brüter in Betrieb sind, fünf weitere sich mit 1 800 MW im Bau befinden und sieben weitere bis zum Ende dieses Jahrhunderts mit etwa 8 000 MW in der Planung sind. Sind das alles Dummköpfe, die diese Brüter entwickeln und bauen?
Herr Laermann, ich weiß nicht, aus welchem Lobbybericht Sie diese Horrorzahlen vorlesen. Es muß ein Märchenbuch irgendeines Verbandes zum Ausbau der Kernenergie sein.
Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen.
Nun ein Letztes, Herr Laermann. Sie sind ja auch ein sehr vernünftiger Mann. Ich kenne Sie. Nehmen Sie in Sachen Bruttechnologie Vernunft an! Folgen Sie der sinnvollen Konzeption der SPD,
die Ihnen wirklich weise Ratschläge erteilt! Dem Minister, - den ich auch sehr schätze — er ist wirklich sehr engagiert, aber auf der falschen Fährte —, sage ich: Lassen auch Sie sich überzeugen, und stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu!
Herzlichen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Warrikoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sozialdemokraten und die GRÜNEN treten an mit dem Anspruch auf eine veränderte Energiepolitik. In Hessen haben sie Gelegenheit, zu zeigen, was sie meinen. Sie haben gemeinsam — übrigens vor der Koalition zwischen SPD und GRÜNEN — das hessische Energiegesetz verabschiedet, und sie haben sich entschlossen, einen hessischen grünen Energieminister zu etablieren.
— Daß Ihnen das gefällt, weiß ich.
Dieser Veränderungsdrang wäre verständlich, wenn die Energieversorgung in Hessen im argen läge. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Wir erkennen gern an, daß hessische SPD-Landesregierungen im Laufe der Jahrzehnte eine vielseitige verbraucherorientierte Energieversorgung geschaffen haben. Georg-August Zinn, Albert Osswald und der jüngere Holger Börner waren stolz auf die Rolle, die die Kernenergie in Hessen spielt. Immerhin werden 60 % des Stroms in Hessen durch Kernenergie erzeugt.
Sie haben sich extrem darum bemüht und waren stolz darauf, die kernbrennstoffverarbeitende Industrie nach Hanau zu bringen.
Bei soviel Erfolg, meine Damen und Herren, mußte der rot-grüne Besen her. Der rot-grüne Besen hat auch einen Namen. Er heißt: dezentral, verbrauchernah und vor allem klein.
Nun haben wir nichts dagegen, daß die Energieversorgung dezentral durchgeführt wird, wenn dies sinnvoll ist. Wenn es aber sinnvoll ist, dann geschieht es ohnehin. Was hier geschehen soll, ist eine dezentrale, vor allem kleine Energieversorgung, soweit sie nicht sinnvoll ist. Die Vorstellung, daß etwas nur deswegen gut ist, weil es klein ist, ist ebenso abenteuerlich wie falsch. Da das natürlich erkannt wird und die Kleinheit nicht von selbst kommt, muß es mit Subventionen herbeigefördert werden.
Die hessische Landespolitik gibt auf einem Gebiet Subventionen, auf dem diese weder von den Verbrauchern noch von den Erzeugern gefordert werden. Es ist herausgeschmissenes Steuergeld. Es hat die zusätzliche Konsequenz, daß der Verbraucher auch noch belastet wird.
In der ganzen Energiepolitik der Rot-GRÜNEN in Hessen spielt der Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit und der Versorgungssicherheit keine Rolle. Daher ist es auch kein Wunder, daß sich diese Politik gegen die deutsche Steinkohle richtet, bei der aus vielen Gründen kleine, dezentrale und verbrauchernahe Kraftwerke nicht sinnvoll sind. Das bedeutet eine Abkehr von der Kohle und eine Hinwendung zu Gas und 01. Man ist erstaunt und verblüfft, daß im hessischen Energiegesetz sogar der Bau von Öl-
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Dr. Warrikoff
und Erdgaskraftwerken finanziell gefördert werden soll. Das ist eine Politik hin zum Öl mit staatlicher Förderung — eine ganz ungeheure Sache.
Aber ich erkenne an, daß die hessische Landesregierung nicht nur redet, sondern auch handelt. Vorgestern stand in allen hessischen Zeitungen, daß die TH Darmstadt, die ein Kohlekraftwerk hatte, dieses mit Hilfe des hessischen Staates auf Erdgas umrüsten wird. Es ist ein klassisches dezentrales kleines Kraftwerk, genau nach dem Programm. Es wird also Kohle durch Erdgas ersetzen.
Dieser Kleinheitsfetischismus, den die SPD von den GRÜNEN übernommen hat, geht u. a. darauf zurück, daß sie sich mit tiefer Leidenschaft von den Kernkraftwerken abwenden, die nun einmal nicht klein vorstellbar sind. Da Kernkraftwerke groß sind, muß man gegen die Größe sein, ganz egal, was das auch kosten mag.
Ähnliche Kapriolen werden auf dem Gebiet der Entsorgung geschlagen, wo die SPD ihre Position zur Entsorgung durch Wiederaufarbeitung, die im Jahre 1977 in § 9 a des Atomgesetzes verankert wurde, vollkommen aufgegeben hat. Ich darf mit großem Nachdruck daran erinnern, daß Hessen das erste Bundesland war, das die DWK herzlichst eingeladen hat, ihre Wiederaufarbeitungsanlage doch bitte in Hessen zu bauen. Was waren das noch für Zeiten!
Neuerdings hat die SPD gemeinsam mit den GRÜNEN das Wegwerfkonzept für die Entsorgung der bestrahlten Brennelemente erfunden. Wenn wir uns entschließen würden — das werden wir ganz sicher nicht tun —, dieses Wegwerfkonzept zu akzeptieren, würde sich ein ungeheures Feldgeschrei erheben, daß die Kernenergie nicht verantwortbar sei, weil die Entsorgung nicht gesichert sei. Dieses Feldgeschrei wäre zum Teil sogar begründet; denn das Wegwerfkonzept ist weder entwickelt noch technisch erprobt. Das einzige technisch Erprobte und Zuverlässige ist die Wiederaufarbeitung, wie sie jetzt in Wackersdorf in Bayern geschieht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Bitte sehr, aber eine kurze Frage, bitte.
Herr Kollege Warrikoff, da Sie das Problem von Kleinheit und Größe in Ihrer Rede aufgezeigt haben, die Frage an Sie: Halten Sie es für auch in der Zukunft erstrebenswert, mit einem Aufwand, der bei der Atomenergie bisher 30 Milliarden DM beträgt, weiter Energieerzeugung zu planen?
Herr Kollege, der Sachverhalt ist der, daß nicht ein einziger Pfennig aus öffentlichen Mitteln mehr in die Technik des Leichtwasserreaktors fließt. Diese Technik ist voll entwickelt und voll wirtschaftlich.
— Die wird bei den Preisen völlig berücksichtigt.
Meine Damen und Herren, in Hessen haben wir nicht nur eine neue Politik, sondern wir haben auch einen grünen Minister, der diese Politik verwirklichen soll. Er wird sich durch folgende Besonderheiten auszeichnen: einmal durch einen militanten Widerstand gegen die Kernenergie, zweitens aber auch dadurch, daß die Wirtschaftlichkeit in der Energieversorgung überhaupt keine Bedeutung mehr haben wird. Denn die GRÜNEN sind ja der Ansicht, daß man die Energie möglichst teuer machen soll, damit sie möglichst wenig verbraucht wird. Die Vorstellung, daß sich ein hessischer grüner Energieminister z. B. Sorgen darüber macht, daß die für Hessen besonders wichtige chemische Industrie ihre Energie preiswert und versorgungssicher bekommt, könnte Heiterkeit auslösen, wenn sie nicht so ernst wäre. Oder wollen Sie etwa behaupten, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, daß Sie der chemischen Industrie in Hessen eine preiswerte Energie bereitstellen wollen? Ich würde mich freuen.
— Ich danke Ihnen für diese Bestätigung.
Die SPD-Energiepolitik, die jahrzehntelang vernünftig gewesen ist, geht einen schlimmen, schlechten Weg. Die sozialdemokratische Politik, neuerdings gekoppelt mit der Politik der GRÜNEN, auf dem Gebiet der Energie ist verhängnisvoll.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Catenhusen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man die Unruhe im Saal hört, dann ist das offensichtlich nicht der Grund.
Herr Abgeordneter Catenhusen, darf ich Sie unterbrechen.
Die Unruhe hat ihren Grund nicht darin, daß sie jetzt das Wort ergriffen haben. Das liegt daran, daß die Abgeordneten schon zur Abstimmung kommen.
Ich darf alle Abgeordneten, die anschließend an den Abstimmungen teilnehmen wollen, bitten, ihre Plätze einzunehmen. Das gilt ganz besonders für den rückwärtigen Teil rechts. Ich darf bitten, die Plätze einzunehmen.
Herr Catenhusen, Sie fahren bitte noch nicht fort. — Jetzt noch auf der linken Seite.
Bitte schön, Herr Catenhusen, Sie haben das Wort.
Meine Damen und Herren, der Wirtschaftsverband Kernbrennstoffkreislauf, dem Sie, Herr Warrikoff, auch angehören, wird Ihnen nach dieser Rede sicherlich das „Gut-gebrülltLöwe" zurufen können. Ich denke, Ihre Rede war
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Catenhusendoch sehr von Ihrer beruflichen Position her bestimmt.
Zur Energiepolitik gehört Stetigkeit. Das gilt auch für uns Sozialdemokraten. Da stimmen wir sowohl Herrn Gerstein wie auch dem Forschungsminister Riesenhuber zu. Zur energiepolitischen Vernunft gehört aber auch, daß wir uns rechtzeitig auf grundlegende Veränderungen der Rahmenbedingungen für die Energiepolitik einstellen. Wir Sozialdemokraten bleiben dabei, daß unser Ziel in der Energiepolitik eine sichere, eine preiswerte, eine umweltverträgliche und eine sozial verträgliche Energieversorgung ist. Aber es ist überfällig, daß wir die eingetretenen Veränderungen der Rahmenbedingungen in der Energiepolitik zur Kenntnis nehmen. Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, daß sich die Einstellung der Bevölkerung zu einem massiven Ausbau der Kernenergie deutlich geändert hat.
Zur Veränderung der Rahmenbedingungen: Die Entsorgung ist heute durch Wiederaufarbeitung nicht gesichert. Daraus ziehen wir Sozialdemokraten die Konsequenz, uns für eine direkte Endlagerung der abgebrannten Kernbrennstoffe auszusprechen. In dieser Position können wir mit dem Nein der GRÜNEN zur Endlagerung nichts anfangen; denn selbst wenn Sie ernstgenommen werden wollen mit Ihrer Absicht, die Kernkraftwerke schon heute abzuschalten, brauchen Sie eine Endlagerung für die Tausende von Tonnen radioaktiven Materials, die wir bereits heute in der Bundesrepublik haben.Wir sind damit konfrontiert, daß sich die Bedarfsprognosen grundsätzlich geändert haben. Darin stimmen wir auch mit der CDU offensichtlich überein. Aber wir ziehen daraus die logische Konsequenz, daß wir auf Grund der Energiebedarfssituation keinen ökonomischen Bedarf am Schnellen Brüter haben und daß wir auch keinen Bedarf an neuen Kernkraftwerken haben, die über die schon vorhandenen oder im Bau befindlichen Kernkraftwerke hinausgehen.Schon in der 90er Jahren könnte sich das Bild vom Verbund zwischen Kohle und Kernenergie, das heute so oft beschworen wird, in der Wirklichkeit in einen Verdrängungswettbewerb zwischen Kohle und Kernenergie verändern, bei dem die Kohle und nicht die Kernenergie nach dem Willen dieser Regierung auf der Strecke bleiben wird.
Ich glaube, Herr Minister Riesenhuber ist in seiner Rede fast auf den eigentlichen Punkt der Debatte über den Schnellen Brüter vorgestoßen. Warum beharren wir eigentlich in der Bundesrepublik so unverrückbar auf dem Schnellen Brüter, obwohl in der Sowjetunion, die uns in diesem Zusammenhang von der CDU immer entgegengehalten wird, Pläne, eine Serie von Schnellbrutreaktoren zu bauen, längst ad acta gelegt wurden? Warum beharren Sie auf dem Schnellen Brüter, obwohl in denUSA der Kongreß im Oktober 1983 den Plan eines Demonstrationsbrüterkraftwerks endgültig begrub? Warum beharren Sie auf dem Schnellen Brüter, obwohl in Großbritannien 1982 der Plan eines großen kommerziellen Brüters aufgegeben wurde, und warum beharren Sie auf dem Bau und der Inbetriebnahme des Schnellen Brüters, obwohl in Frankreich Pläne, nach dem Superphénix weitere Schnelle Brüter zu bauen, aufgegeben worden sind?Meine Damen und Herren, es geht in dieser Diskussion ganz offensichtlich darum, daß auch vom Forschungsminister hier Durchhalteparolen ausgegeben werden aus Angst, hier würde die Tür dazu geöffnet, daß großtechnische Projekte in unserem Land unmöglich gemacht würden und daß die Akzeptanz neuer Technologien in der Bundesrepublik grundsätzlich ins Rutschen geriete. Ich halte diese Gefahr für völlig abwegig und will dies mit zwei Argumenten begründen. Es kommt niemand außerhalb der Bundesrepublik heute noch auf die Idee, der Schnellbrütertechnologie den High-Tech-Charakter zu verleihen, ihn also in die Reihe von Zukunftstechnologien aufzunehmen. Das Programm der japanischen Regierung zur zweiten Generation von Zukunftstechnologien enthält keinen Hinweis auf den Schnellen Brüter.
Herr Abgeordneter Catenhusen, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schulte?
Ich führe den Gedanken eben noch zu Ende.
Die Pläne für die künftige Industriestruktur in Frankreich, in den USA enthalten keinen Hinweis darauf, daß der Schnelle Brüter eine volkswirtschaftliche Bedeutung oder technologiepolitisch eine Bedeutung hat. Er fehlt in ESPRIT, er fehlt in Eureka, er fehlt in allen Zukunftstechnologieprogrammen.
Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege, stimmen Sie mit mir darin überein, daß es hier in diesem Saal viel zu laut ist und diese Debatte eine wesentlich größere Aufmerksamkeit verdient hätte?
Herr Abgeordneter Schulte, das ist erstens keine Zwischenfrage, und zweitens sollten Sie es dem Präsidenten überlassen, sich dafür einzusetzen.
Herr Kollege, auch ich bin der Meinung, daß das eigentlich dem Präsidium überlassen bleiben sollte.
Zum zweiten muß man folgendes deutlich sehen. Ich glaube, daß das Festhalten an einer Technologie, deren volkswirtschaftliche und technologische Bedeutung längst durch die Veränderung der Rah-
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Catenhusenmenbedingungen ad acta gelegt worden ist, daß ein Festhalten an einer solchen verfehlten Technologieentwicklung nur die Skepsis und die Sorge der Bevölkerung verstärkt, daß einmal begonnene technische Entwicklungen auch dann, wenn die Gründe für sie entfallen sind, unbeirrbar und ohne Beeinflußbarkeit durch die Gesellschaft fortgesetzt werden.Meine Damen und Herren, es hatte schon Gründe, daß sich fünf Jahre lang eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages um die Frage einer zukünftigen Kernenergiepolitik gekümmert hat. Zumindest vor sieben Jahren gab es eine Übereinstimmung in diesem Hause, daß die Entscheidung über neue Energietechnologien auch eine Entscheidung über künftige gesellschaftliche Strukturen in unserem Lande bedeute.Ich habe heute in der Debatte auch von seiten der Union die Bereitschaft vermißt, auch die Technologie des Schnelles Brüters nach der Wirtschaftlichkeit, aber auch nach der Umweltverträglichkeit, nach der sozialen Verträglichkeit oder nach der internationalen Verträglichkeit zu bewerten. Vor sieben Jahren bestand mal Einigkeit in diesem Hause, daß eine energiepolitische Zukunft unseres Landes ohne den Einstieg in eine Nutzung der Plutonium-wirtschaft, also ohne Schnellbrutreaktoren und Wiederaufarbeitungsanlagen, möglich ist. Das heißt, unsere Entscheidung gegen den Einstieg in die Plutoniumwirtschaft ist eine Entscheidung zwischen verschiedenen technischen Optionen für die Zukunft unserer Energieversorgung, ist aber keine Absage an neue Energietechnologien. Ich denke auch, daß es bei der heute anstehenden Entscheidung, ob sich der Bundestag für eine Inbetriebnahme des Schnellen Brüters ausspricht, gerade um die Frage geht, ob wir gesellschaftlich eine Plutoniumwirtschaft verantworten können oder nicht.Lassen Sie mich auf einen letzten Aspekt hinweisen: Die Arbeit der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergiepolitik", die sich fünf Jahre lang bemüht hat, ist ein Torso geblieben. Zwar hat sie für eine größere Rationalität beim Austragen des Konflikts über neue Großtechnologien im Energiebereich gesorgt, aber es sind wichtige Arbeitsfelder unerledigt geblieben. Ich will nur zwei aufführen, die auch heute, in dieser Debatte, wichtig sind:Die Ford Foundation hat 1977 die amerikanische Öffentlichkeit darauf hingewiesen, die große Nähe des Brüters zur militärischen Nutzung lasse es angeraten erscheinen, erst die außen- und militärpolitischen Auswirkungen zu klären, bevor man einen weiteren Schritt in die Proliferation des Zugangs zu Atomwaffen hineinstolpert. Ich denke, die grundsätzliche Klärung, welche Proliferationsrisiken sich mit verschiedenen Energietechnologien verbinden, muß auch im Rahmen der weiteren Arbeit des Bundestages fortgesetzt werden.Lassen Sie mich mit einem letzten Hinweis auf einen durch die Arbeit dieser Enquete-Kommission nicht erledigten Bereich schließen: Wir sind doch auch in der heutigen Diskussion — das sage ich den Kolleginnen und Kollegen von der Union, insbesondere ihren heutigen Rednern, ganz deutlich — sehr oberflächlich in der Frage, welches die volkswirtschaftlichen Konsequenzen verschiedener Energieversorgungskonzepte sind. Unsere Überzeugung ist, daß ein Energieversorgungskonzept, das auf den Einstieg in die Plutoniumwirtschaft verzichtet, das die Kernenergienutzung in unserem Lande begrenzt und das mittel- und langfristig den Versuch unternimmt, die Kernenergie überflüssig zu machen, auch und gerade volkswirtschaftlich vertretbar ist und die volkswirtschaftlichen Ressourcen auf die Entwicklung der Technologien lenkt, die für die Zukunft unseres Landes wirklich entscheidend sind. Dazu gehört nach meiner Überzeugung der Schnelle Brüter nicht.Schönen Dank.
Meine verehrten Damen und Herren, wir haben noch eine Wortmeldung. Ich möchte darum bitten, daß wir trotz der Fülle im Saal auch dem letzten Redner noch volle Aufmerksamkeit widmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reuter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Rahmen der heutigen Energiedebatte will ich mich auf das Thema „Entsorgung von Kernkraftwerken" beschränken, und ich will zum Antrag der GRÜNEN, der ja der Debatte zugrunde liegt, nur wenige Sätze sagen.Dieser Antrag ist meines Erachtens wieder ein Beispiel dafür, wie die GRÜNEN ihre Anträge auf der Grundlage von Tagesaktualitäten erstellen. Da gab es vor anderthalb Jahren einmal Zeitungsmeldungen darüber, daß möglicherweise in den Dörfern in der Nähe von Windscale in erhöhtem Maße Krebs- und Leukämieerkrankungen aufgetreten seien; schuld daran sollten radioaktive Emissionen aus der Wiederaufarbeitungsanlage BNFL sein. Zwar gibt es dafür keine Beweise; dennoch sahen sich die GRÜNEN veranlaßt, die Forderung nach einer Kündigung der Verträge mit der BNFL zu erheben.
Inzwischen ist dieses Problem wohl nicht mehr aktuell, denn bei den GRÜNEN gibt es hier jede Woche eine andere Schau mit spektakulärer Außenwirkung.
Dieser Antrag ist jedenfalls inkonsequent, unlogisch und nicht seriös. Wir werden ihn deshalb — wie auch im Innenausschuß — ablehnen.
Jedoch möchte ich, meine Damen und Herren, die Gelegenheit nutzen und insgesamt die Position der SPD im Hinblick auf die nukleare Entsorgung darstellen. Wir leugnen keinesfalls — wie die verehrten Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU es tun —, daß die nukleare Entsorgung die Schwachstelle der Kernenergienutzung ist. Wir wollen aber auch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, wie
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12800 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Reuteres die GRÜNEN immer wieder verlangen, die gegen jede Art von Entsorgung sind. Meine Damen und Herren, Sie schreien zwar immer nach einer Lösung des Entsorgungsproblems; in Wirklichkeit wollen Sie aber das Problem gar nicht lösen. Wie sollten Sie auch?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön, Herr Kollege Mann. Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr.
Herr Kollege Reuter, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß unsere Fraktion in der Frage von Kalkar die einzige Gruppierung ist, die — auch nach Ihrem eigenen Antrag — im Ergebnis recht behält?
Also, Herr Kollege Mann, bei Ihnen bin ich immer bereit, etwas zur Kenntnis zu nehmen. Ob das sinnvoll ist, wird sich natürlich erst herausstellen.
— Ich bin ja auch nicht so gebildet wie Sie, Herr Kollege.Ich habe darauf hingewiesen, daß DIE GRÜNEN nicht bereit sind, sich bei der Entsorgungsfrage hier der Problematik zu stellen. Was Sie aufgeben müßten, wäre ja eines der wenigen Felder, wo Sie sich noch in Konkurrenz zur SPD befinden. Ich kann nur feststellen, daß das, was DIE GRÜNEN im Innenausschuß dargelegt haben, nach meinem Dafürhalten der Sache nicht gerecht wird. Sich an einer Entsorgung erst dann zu beteiligen, wenn keine nuklearen Reststoffe mehr anfallen, würde nämlich das totale Abschalten aller kerntechnischen Anlagen bedeuten. Und das ist Utopie.
— Vielleicht bei Ihnen!Ich kann nur feststellen, daß aus meiner Sicht die Frage der Entsorgung von Kernkraftwerken nach wie vor ungelöst ist, weil die Möglichkeit, Brennelemente zur Wiederaufarbeitung nach Frankreich und England zu schicken, nur als eine gewisse zeitliche Überbrückung von Schwierigkeiten im eigenen Land anzusehen ist, da bei diesen Verträgen ja auch die Verpflichtung besteht, den anfallenden radioaktiven Abfall zurückzunehmen. Die Wiederaufbereitung abgebrannter Brennelemente bei uns in der Bundesrepublik stellt keinen Beitrag zur Lösung des Entsorgungsproblems dar, weil der Bau und der Betrieb von Zwischenlagern durch gerichtliche Anordnung ins Stocken geraten ist und verzögert wurde und weil der für die Endlagerung vorgesehene Salzstock in Gorleben offensichtlich nicht die anfänglich an ihn gestellten Erwartungen erfüllt. Aus diesen Gründen stellt die SPD-Fraktion für die Lösung der Entsorgungsfrage im Kernenergiebereich folgende Forderungen:Erstens. Über den derzeit vertraglich festgelegten Rahmen hinaus sollen keine weiteren abgebrannten Brennelemente zur Wiederaufarbeitung nach Großbritannien und Frankreich gebracht werden. Hier unterscheiden wir uns von dem Antrag der GRÜNEN, der ja nur den Export der abgebrannten Brennelemente nach England zum Inhalt hat. Neue Verträge zur Auslandsentsorgung, z. B. mit China, wie gerüchteweise immer wieder mal verlautet, können wir nicht unterstützen. Das würde j a auch heißen, daß wir Probleme, die wir im eigenen Land nicht lösen können oder nicht lösen wollen, anderen aufbürden.Zweitens. Der Bau und der Betrieb von Zwischenlagern müssen auch formalrechtlich abgesichert werden. Außerdem ist zu prüfen, ob nicht eine längere Zwischenlagerung, als bislang vorgesehen, erfolgen sollte und ob man nicht die Zwischenlagerkapazitäten erhöhen kann. Dies wäre ein Weg, der sich auch aus ökonomischen Gründen anbietet.Drittens. Die Wiederaufarbeitung nuklearer Brennelemente kann keine Entsorgung von Kernkraftwerken sein. Auf den Bau einer nuklearen Wiederaufarbeitungsanlage sollte deshalb verzichtet werden. Die direkte Endlagerung abgebrannter Brennelemente sollte daher als alleiniger Entsorgungsweg gesetzlich verankert werden.Lassen Sie mich die Gründe dafür noch einmal nennen. Die Wiederaufarbeitung ist betriebswirtschaftlich nicht zu verantworten. Auch die Prüfung gesamtwirtschaftlicher Gesichtspunkte wie Exportchancen, Beschäftigungswirkung, Einsparung von Primärenergieträgern oder Versorgungssicherheit hat gezeigt, daß der Entsorgungsweg mit Wiederaufarbeitung auch unter volkswirtschaftlichen und energiewirtschaftlichen Aspekten unsinnig ist. Die sicherheitstechnischen Risiken der direkten Endlagerung sind geringer als bei der Entsorgung mit Wiederaufarbeitung. Das gilt für die individuelle Strahlendosis. Das gilt für die Kollektivdosis der Bevölkerung. Das gilt für die kollektive Strahlenbelastung der in den Wiederaufarbeitungsanlagen Beschäftigten. Das gilt auch für die Zahl der Störfallmöglichkeiten.In diesem Zusammenhang verlangen wir auch eine Änderung des § 9 a des Atomgesetzes, mit der klargestellt wird, daß die direkte Endlagerung abgebrannter Brennelemente als alleiniger Entsorgungsweg gilt und die Wiederaufarbeitung nicht mehr als Entsorgung anerkannt wird, was der Kollege Gerstein hier heute morgen wieder gefordert hat.Viertens. Die Verwirklichung der direkten Endlagerung abgebrannter Brennelemente muß aus meiner Sicht zügig vorangetrieben werden. Deshalb sollten die im Haushalt bereitgestellten Mittel für den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage und für die die Wiederaufarbeitungsanlage begleitende Forschung zugunsten des Baus einer Konditionierungsanlage für abgebrannte Brennelemente umgewidmet werden. Einen entsprechenden Antrag haben wir bereits im Innenausschuß des Deutschen Bundestages gestellt.
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ReuterFünftens. Wegen der Unsicherheiten hinsichtlich der Eignung des Salzstocks in Gorleben als Endlager für hochradioaktive Abfälle sollte unverzüglich damit begonnen werden, mindestens einen weiteren Salzstock zu untersuchen. Aber hier sage ich, auch an die Adresse der GRÜNEN: Wenn man das ernsthaft betreiben und die Entsorgung sicherstellen will, dann kann es nicht so sein, daß Sie Ihre Truppen an der Basis mobilisieren, um dagegen vorzugehen, wenn dort verantwortungsbewußt untersucht wird.
Wir Sozialdemokraten, meine Damen und Herren, lehnen eine Politik des Alles oder Nichts im Kernenergiebereich ab. Wir sind bereit, unseren Teil an Verantwortung dafür zu übernehmen, daß eine konstruktive Lösung für den Entsorgungsbereich gefunden wird; dazu haben wir in den letzten Monaten wiederholt Vorschläge unterbreitet. Leider haben die Koalitionsfraktionen keinem unserer diesbezüglichen Anträge zugestimmt und damit ständig neue Beweise für ihre Politik der Kernenergienutzung ohne jedes Wenn und Aber geliefert. Wir Sozialdemokraten, meine Damen und Herren, treten jedoch für eine ausgewogene Energiepolitik ein, die alle vorhandenen Ressourcen optimal nutzt.Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 2 a, und zwar über den von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Windenergie auf Drucksache 10/2255. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Meine Damen und Herren Abgeordneten, sind Sie sich alle im klaren, wie die Abstimmung gelaufen ist? — Gut, dann darf ich feststellen, daß der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt worden ist. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung jede weitere Beratung.Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 2 b.Der Innenausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/906 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/3893 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — So wie ich hier feststellen kann, ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses mit großer Mehrheit ohne Enthaltungen angenommen.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 2 c.Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie auf Drucksache 10/3103 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit zugestimmt worden.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 2 d, und zwar über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/3372. Wer dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist mit großer Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, ich weiß, es sind komplizierte Zusammenhänge. Daher bitte ich um ganz besondere Aufmerksamkeit.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 2 e, und zwar zuerst über den zwischenzeitlich vorliegenden Änderungsantrag des Abgeordneten Tatge und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4141. Dazu ist getrennte Abstimmung über die beiden Teile des Antrags sowie jeweils namentliche Abstimmung über Nr.4 und 5 beantragt.Ich lasse zuerst über Abschnitt I abstimmen. Wer diesem Teil des Antrags zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Teil ist mit großer Mehrheit abgelehnt.Wir kommen nun zu den namentlichen Abstimmungen, zunächst über die Nr. 4 unter Ziffer II des Änderungsantrags der Fraktion DIE GRÜNEN. Wer der Nr. 4 zustimmen will, muß mit Ja stimmen, wer dagegen ist, mit Nein, und wer sich der Stimme enthalten will, entsprechend.Ich eröffne die namentliche Abstimmung.Meine Damen und Herren, ich frage: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das abzustimmen wünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen. —Meine Damen und Herren, ich bitte Platz zu nehmen. — Aus zeit-ökonomischen Gründen würde ich vorschlagen, daß wir die zweite namentliche Abstimmung unmittelbar anschließen, während hier ausgezählt wird. Ist das Haus damit einverstanden?
Wir haben nicht genügend Schriftführer. Es muß erst ausgezählt werden. Ich mache darauf aufmerksam, daß nach der zweiten namentlichen Abstimmung noch eine dritte namentliche Abstimmung kommt.In der Geschäftsordnung ist vorgesehen, daß der amtierende Präsident die Möglichkeit hat, ad hoc Schriftführer zu ernennen, wenn die Schriftführer — ganz gleich, aus welchen Gründen — nicht greifbar sind. — Ich sehe hier z. B. zwei erfahrene Abge-12802 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985Vizepräsident Stücklenordnete aus den Reihen der SPD, nämlich Herrn Vosen und Herrn Roth.
— Herr Müller , ich darf Sie bitten, an dieser Urne Aufstellung zu nehmen. — Dazu bitte noch ein Herr von der SPD, Herr Roth oder Herr Vosen. — Bitte noch einen Abgeordneten von der FDP. Herr Abgeordneter Hoffie, darf ich Sie bitten, als Schriftführer zu fungieren. — Sind alle Urnen besetzt? —Damit können wir mit der namentlichen Abstimmung über die Nr. 5 unter Abschnitt II des Änderungsantrags der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4141 beginnen. Ich eröffne die Abstimmung. —Meine Damen und Herren, ich frage, ob alle Abgeordneten, die an der Abstimmug teilnehmen wollen, ihre Abstimmung vollzogen haben. — Ich mache darauf aufmerksam: Wir haben in etwa 15 bis 20 Minuten eine dritte namentliche Abstimmung. —Meine Damen und Herren, ich frage zum letztenmal: Ist noch ein Mitglied des Hauses hier, das sich an der Abstimmung beteiligen will und seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? — Das ist nicht der Fall. Die zweite namentliche Abstimmung ist geschlossen.
— Meine Damen und Herren, ich bitte, Platz zu nehmen. Wir können sonst die Verhandlungen nicht fortführen.Ich gebe jetzt das von den Schriftführern mitgeteilte Ergebnis der ersten namentlichen Abstimmung bekannt. Abgegebene Stimmen: 415. Mit Ja haben gestimmt: 20. Mit Nein haben gestimmt: 394, mit Enthaltung: 1.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 415; davonj a: 20nein: 394enthalten: 1JaDIE GRÜNENAuhagenBuebFrau DannFrau Hönes Kleinert LangeMann RuscheDr. Schierholz Schily
Schulte SenfftStröbeleTatgeTischerVogel VolmerFrau WagnerWerner
NeinCDU/CSUDr. AbeleinFrau AugustinDr. BarzelBayhaDr. Becker BergerBiehleDr. BlensDr. BlümDr. BötschBohlBohlsen Boroffka BraunBreuerBrunnerBühler
Dr. Bugl BuschbomCarstensen ClemensDr. Czaja DawekeFrau Dempwolf DörflingerDossDr. DreggerEchternachEigenEngelsbergerErhard
Eylmann
Dr. FaltlhauserFeilckeFellnerFrau FischerFrancke Ganz (St. Wendel)Frau GeigerDr. GeißlerDr. von GeldernGerlach GersteinDr. GöhnerGötzerGünther Dr. Häfelevon HammersteinHanz
HaungsHauser Freiherr Heeremanvon Zuydtwyck HelmrichDr. HennigHerkenrathHinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau HürlandDr. Hüsch Dr. Hupka Graf HuynJäger
JagodaDr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJung
Kalisch Dr.-Ing. KansyFrau KarwatzkiKellerKittelmannKlein
Dr. Köhler Dr. Köhler (Wolfsburg) KolbKrausKreyKroll-SchlüterFrau Krone-AppuhnDr. KronenbergDr. Kunz LamersDr. LammertDr. Langner Lattmann Dr. LaufsLink LinsmeierDr. LippoldLohmann Dr. h. c. LorenzLouvenLowackMaaßFrau MännleMaginMarschewskiDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. Mikat Dr. Miltner MilzDr. Möller Dr. MüllerMüller Müller (Wadern)Müller
NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. Olderog Frau Pack Pfeffermann PfeiferDr. Pinger PöpplPohlmannDr. PohlmeierDr. Probst RaweReddemann RegenspurgerRepnikDr. RiesenhuberRode
Frau Rönsch Frau Roitzsch
RüheRufSauer
Sauer
SaurinSauter Sauter (Ichenhausen) Dr. Schäuble ScharrenbroichSchartz SchemkenScheuSchlottmann Schmidbauervon SchmudeSchneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schultz (Wörrstadt) Schwarz
Dr. Schwörer SeehoferSeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerSpranger Dr. Sprung Dr. Stark
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12803
Vizepräsident StücklenDr. StavenhagenDr. Stercken Stockhausen StommelStraßmeir StücklenStutzerSussetTillmannDr. TodenhöferUldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. WarrikoffDr. von Wartenberg WeirichWeißWernerFrau Will-FeldWilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. WittmannWittmann Dr. WörnerWürzbach Dr. Wulff ZiererZinkSPDAmlingDr. ApelBahrBambergBecker BernrathBerschkeit BindigFrau Blunck BrandtBrückBuckpesch Büchler
Dr. von BülowBuschfort Catenhusen ColletConradiFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDelormeDreßlerDuveEgertDr. Ehmke EickmeyerDr. EmmerlichDr. Enders EwenFiebigFischer Fischer (Osthofen)Frau Fuchs
Frau Fuchs GanselGerstl
GilgesGlombigDr. Glotz GrunenbergDr. Haack HaarHaase
HaehserHansen Frau Dr. Hartenstein Dr. HauchlerHauckHeimann HeistermannHettling Heyenn Hiller
HornFrau HuberHuonker IbrüggerImmer Jahn (Marburg)JansenJaunich Dr. JensJung Junghans Jungmann KastningKiehmKirschnerKisslingerDr. KlejdzinskiKloseKolbow Kretkowski Dr. Kübler Kuhlwein Lambinus Lennartz LeonhartFrau Dr. Lepsius LiedtkeLohmann
LutzFrau LuukFrau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier MatthöferMeininghausMenzelDr. Mertens Dr. Mitzscherling Müller (Düsseldorf) Müller (Schweinfurt) Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNeumann Dr. NöbelOostergeteloPaterna PauliDr. PennerPfuhlPorzner PoßRankerRapp Rappe (Hildesheim) ReimannFrau RengerReschke ReuschenbachReuterRohde
RothSanderSchäfer SchanzDr. Scheer Schlaga Schlatter SchluckebierDr. Schmidt Frau Schmidt (Nürnberg) Schmitt (Wiesbaden)Dr. Schöfberger SchreinerSchröder Schröer (Mülheim) Schulte (Unna)Dr. Schwenk SielaffFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellDr. Sperling Dr. SpöriStahl
SteinerFrau SteinhauerStieglerStobbeStockleben Dr. StruckFrau Dr. Timm Toetemeyer UrbaniakVahlbergVerheugen Dr. VogelVogelsangVoigt
VosenWartenberg WeinhoferWeisskirchen Dr. WernitzFrau Weyel Wiefelvon der Wiesche Wimmer WischnewskiDr. de With Wolfram
Zander Zeitler
FDPFrau Dr. Adam-SchwaetzerBaumBeckmann BredehornCronenberg Eimer (Fürth) EngelhardGallusGenscher GrünerDr. HaussmannHoffieKleinert KohnDr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen PaintnerRonneburgerDr. Rumpf Schäfer
Frau Dr. SegallDr. SolmsWolfgramm
EnthaltenFDPDr. HirschDamit ist die Nr. 4 unter II des Änderungsantrages der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4141 abgelehnt.Die zweite namentliche Abstimmung ist bereits vollzogen. Ich erteile das Wort nach § 31 der Geschäftsordnung dem Abgeordneten Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde dem Antrag der Fraktion der SPD aus folgenden Gründen zustimmen.Erstens. Die in Kalkar angewendete Technologie ist überholt. Es wird kein Brüter dieser Bauart mehr gebaut werden. Jeder weiß das.
Der Grund für die Beteiligung der RWE am Superphénix ist genau dieser. Die Inbetriebnahme Kalkars würde also weder wissenschaftliche noch technische Erkenntnisse oder gar Exportmöglichkeiten eröffnen. Sie führt uns aber einen Schritt weiter in die enormen gesellschaftlichen, politischen und technischen Probleme der industriellen Nutzung des Plutoniums.Zweitens. Nicht nur die technischen, sondern auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für den Bau des Brüters sind überholt. Die angebliche Uranknappheit, zu deren Überwindung der Brüter entwickelt werden sollte, ist nicht eingetreten. Es steht fest, daß sie bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts nicht eintreten wird. Auch der spezifische
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12804 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Dr. HirschEnergiebedarf ist weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Bei korrekter betriebswirtschaftlicher Kalkulation würde der Brüter hohe Verluste produzieren. Weder die Bundesregierung noch die Betreibergesellschaft haben bisher klare konkrete Angaben zur Kostenrechnung des Brüters veröffentlicht.Drittens. Die Entsorgung des Brüters ist nicht gesichert. Die Wiederaufarbeitung der Brennelemente muß in Frankreich erfolgen, kann also nur durch Verträge gesichert werden. Diese Verträge sind bisher nicht veröffentlicht worden und diesem Hause nicht bekannt. Sie enthalten Auflösungsmöglichkeiten. Ihre Geheimhaltung beruht meines Wissens auf Regelungen über den Plutoniumverbleib. Der Brüter, der Unabhängigkeit schaffen sollte, schafft in Wirklichkeit eine wachsende Abhängigkeit von denen, die die Aufarbeitung in der Hand haben.
Viertens. Für diese technisch und wirtschaftlich überholte und widersinnige Anlage ist der Forschungsetat des Bundes in unverantwortlicher Weise — nicht von dem jetzigen Wissenschaftsminister, sondern noch von seinen Vorgängern — zu Lasten vieler kleiner realistischer Projekte jahrelang geplündert worden. Die jahrelangen Warnungen haben sich weitgehend erfüllt. Die Fortsetzung dieser Plünderung belegt die Unfähigkeit einzugestehen, daß das wirtschaftliche und technische Konzept des Kalkarer Brüters tatsächlich gescheitert ist.
Meine Damen und Herren, daß Herr Hirsch das Wort bekommen hat, geht auf einen Irrtum zurück. Ich konnte und habe angenommen, daß er zu den jetzt bereits vollzogenen beiden namentlichen Abstimmungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung eine Erklärung abgeben wolle. Er hat aber zu einem Antrag gesprochen, der erst zur Abstimmung ansteht. Das wäre nach der Auslegung des Geschäftsordnungsausschusses und nach einstimmiger Meinung des Präsidiums so nicht gerechtfertigt gewesen. Da aber der Irrtum bei Herrn Hirsch begangen worden ist, möchte ich, dem Gleichheitsgrundsatz Rechnung tragend, den Irrtum noch auf die Erklärung des Herrn Wolfram ausweiten. Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Reihe sozialdemokratischer Abgeordneter kann sich aus vielen Gründen der Mehrheitsmeinung ihrer Fraktion nicht anschließen. Ich gebe eine Begründung schriftlich zu Protokoll.*)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der zweiten namentlichen Abstim*) Anlage 2mung über die Nr. 5 unter Abschnitt II des Änderungsantrages der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4141 liegt vor: Abgegebene Stimmen 413, davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben gestimmt 20, mit Nein haben gestimmt 390. Enthalten haben sich 3 Abgeordnete.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 407; davonja: 20nein: 384enthalten: 2ungültig: 1JaDIE GRÜNENAuhagen BuebFrau DannFrau HönesKleinert LangeMannRuscheDr. SchierholzSchilySchmidt
Schulte
SenfftStröbele TatgeTischerVogel
VolmerFrau WagnerWerner
NeinCDU/CSUDr. AbeleinFrau AugustinBayhaDr. Becker BergerBiehleDr. Blens Dr. Blüm Dr. Bötsch BohlBohlsen Boroffka BraunBreuerBrunnerBühler
Dr. Bugl BuschbomCarstensen ClemensDr. Czaja DawekeFrau Dempwolf DörflingerDr. DreggerEchternachEigenEngelsbergerErhard
Eylmann
Dr. Faltlhauser FeilckeFellnerFrau Fischer Francke
Ganz
Frau Geiger Dr. GeißlerDr. von Geldern Gerlach
GersteinDr. GöhnerGötzerGüntherDr. Häfelevon HammersteinHanz HaungsHauser
Freiherr Heeremanvon ZuydtwyckHelmrichDr. HennigHerkenrath HinrichsHinskenHöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann
Dr. Hornhues HornungFrau Hürland Dr. HüschDr. HupkaGraf HuynJäger JagodaDr. Jahn
Dr. Jenninger Dr. JobstJung KalischDr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki KellerKittelmannKlein
Dr. Köhler
Dr. Köhler
KolbKrausKreyKroll-SchlüterFrau Krone-AppuhnDr. Kronenberg Dr. Kunz
LamersDr. Lammert Dr. Langner LattmannDr. Laufs
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12805
Vizepräsident StücklenLink LinsmeierDr. LippoldLohmann Dr. h. c. LorenzLouvenLowackMaaßFrau Männle MaginMarschewskiDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. MikatDr. Miltner MilzDr. MöllerDr. MüllerMüller Müller (Wadern)Müller
NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. Olderog Frau PackPfeffermann PfeiferDr. PingerPöpplPohlmannDr. Pohlmeier Dr. ProbstRaweReddemann Regenspurger RepnikDr. RiesenhuberRode Frau Rönsch Frau Roitzsch
Rühe
RufSauer
Sauer
SaurinSauter Sauter (Ichenhausen) Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz (Trier) SchemkenScheuSchlottmann Schmidbauer von Schmude Schneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schultz (Wörrstadt) Schwarz
Dr. Schwörer SeehoferSeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerSprangerDr. SprungDr. Stark Dr. Stavenhagen Stockhausen StommelStraßmeirStücklenStutzerSussetTillmannDr. TodenhöferDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. WaffenschmidtDr. Waigel Dr. Warnke Dr. WarrikoffDr. von Wartenberg WeirichWeißWerner
Frau Will-FeldWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. WittmannWittmann Dr. WörnerWürzbach Dr. Wulff ZiererZinkSPDAmlingDr. ApelBahrBambergBecker BernrathBerschkeit BindigFrau Blunck BrandtBrückBuckpesch Büchler
Dr. von BülowBuschfort Catenhusen ColletConradiFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDelormeDreßlerEgertDr. Ehmke EickmeyerDr. EmmerlichDr. Enders EwenFiebigFischer Fischer (Osthofen)Frau Fuchs
Frau Fuchs GanselGerstl
GilgesGlombigDr. GlotzGrunenberg Dr. Haack HaarHaase
HaehserHansen Frau Dr. Hartenstein HauckHeimann HeistermannHettling Heyenn Hiller
HornFrau HuberHuonker IbrüggerImmer Jahn (Marburg)Jaunich Dr. JensJung Junghans Jungmann KastningKiehmKirschner Kisslinger Dr. KlejdzinskiKloseKolbowKretkowski Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Frau Dr. LepsiusLiedtkeLohmann
LutzFrau LuukFrau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier MatthöferMeininghausMenzelDr. Mertens
Dr. MitzscherlingMüller Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNeumann Dr. NöbelOostergeteloPaterna PauliDr. Penner PfuhlPorzner PoßRankerRapp
Rappe ReimannFrau RengerReschke ReuschenbachReuterRohde
RothSanderSchäfer SchanzDr. Scheer Schlaga Schlatter SchluckebierDr. Schmidt Frau Schmidt (Nürnberg) Schmitt (Wiesbaden)Dr. Schöfberger SchreinerSchröder Schröer (Mülheim) Schulte (Unna)Dr. Schwenk SielaffFrau Dr. Skarpelis-SperkDr. Soell Dr. Sperling Dr. SpöriStahl
SteinerFrau SteinhauerStieglerStobbeStockleben Dr. Struck Frau Dr. TimmToetemeyer Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Vogelsang Voigt
VosenWartenberg WeinhoferWeisskirchen
Dr. Wernitz Frau Weyel Wiefelvon der WiescheWimmer WischnewskiDr. de With Wolfram
ZanderZeitlerFDPFrau Dr. Adam-SchwaetzerBaumBeckmann BredehornCronenberg Eimer (Fürth)Engelhard GallusGenscher GrünerDr. HaussmannDr. Hirsch HoffieKleinert
KohnDr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen PaintnerRonneburgerDr. Rumpf Schäfer
Frau Dr. SegallDr. SolmsWolfgramm
EnthaltenSPDDr. Hauchler JansenungültigSPD Duve12806 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985Vizepräsident StücklenDamit ist auch dieser Antrag der GRÜNEN in namentlicher Abstimmung abgelehnt.Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie auf Drucksache 10/3409 ab. Wer dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht — —
— Ich muß darauf bestehen, daß die Abgeordneten, die an der Abstimmung teilnehmen, Platz nehmen. Wer nicht an der Abstimmung teilnehmen will, muß — daran muß ich festhalten — sich entweder setzen oder sich zurückziehen.Aufgerufen ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie auf Drucksache 10/3409. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich?Das erste war die Mehrheit. Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen.Wir kommen zur Abstimmung zu Punkt 2 f der Tagesordnung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 10/4131 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Damit ist diese Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft mit Mehrheit angenommen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung zu Punkt 2 g der Tagesordnung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/3031, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/1476 abzulehnen Wer dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen der Fraktion DIE GRÜNEN und Gegen-. stimmen der SPD, mit einer Ausnahme, ist diese Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen.Wir kommen zur Abstimmung zu Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung, also über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4122. Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Sie wissen, wie die Abstimmung vor sich geht. Die Abstimmung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses da, das seine Stimme abzugeben wünscht? — Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die namentliche Abstimmung und bitte die Schriftführer, auszuzählen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der dritten namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4122 liegt vor. An der Abstimmung haben 412 Abgeordnete teilgenommen. Mit Ja haben 157, mit Nein 236 Abgeordnete gestimmt. 19 Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 410; davonja: 156nein: 235enthalten: 19JaSPDAmling Dr. Apel BahrBambergBecker BernrathBerschkeitBindigFrau BlunckBrückBuckpeschBüchler
Dr. von BülowBuschfort CatenhusenColletConradiFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDelorme Dreßler DuveEgertDr. Ehmke
Dr. EmmerlichDr. EndersEwenFiebigFischer Fischer (Osthofen)Frau Fuchs
Frau Fuchs
GanselGerstl
GilgesGlombig Dr. Glotz Dr. HaackHaarHansen
Frau Dr. HartensteinDr. HauchlerHauckHeimann HeistermannHettling Heyenn Hiller
HornFrau HuberHuonker IbrüggerImmer Jahn (Marburg)Jansen Jaunich Dr. JensJung Junghans JungmannKastning KiehmKirschnerKisslingerDr. KlejdzinskiKloseKolbow KretkowskiDr. KüblerKuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Frau Dr. LepsiusLiedtkeLohmann
LutzFrau LuukFrau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier MatthöferMeininghausMenzelDr. Mertens
Dr. MitzscherlingMüller Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-Emmert MünteferingNeumann Dr. NöbelOostergeteloPaterna PauliDr. Penner PfuhlPorzner PoßRankerRapp ReimannFrau RengerReschke ReuterRohde
RothSchäfer SchanzDr. Scheer Schlaga Schlatter SchluckebierDr. Schmidt Frau Schmidt (Nürnberg) Schmitt (Wiesbaden)Dr. Schöfberger SchreinerSchröder Schröer (Mülheim) Schulte (Unna)Dr. Schwenk SielaffFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellDr. SperlingDr. Spöri SteinerFrau SteinhauerStiegler StobbeStockleben Dr. StruckFrau Dr. Timm ToetemeyerUrbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Vogelsang Voigt
VosenWartenberg
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12807
Vizepräsident StücklenWeinhoferWeisskirchen Dr. WernitzWestphalFrau Weyel Wiefelvon der Wiesche Wimmer WischnewskiDr. de With ZanderZeitlerFDPDr. Haussmann Dr. HirschNeinCDU/CSUDr. AbeleinBayhaDr. Becker BergerBiehleDr. Blens Dr. Blüm Dr. Bötsch BohlBohlsen Boroffka BraunBreuerBrunnerBühler
Dr. Bugl BuschbomCarstensen ClemensDr. Czaja DawekeFrau Dempwolf DörflingerDossDr. DreggerEchternachEigenEngelsbergerErhard
Dr. FaltlhauserFeilcke Fellner Frau FischerFrancke Ganz (St. Wendel)Frau GeigerDr. GeißlerDr. von GeldernGerlach GersteinDr. GöhnerGötzerGünther Dr. Häfelevon HammersteinHanz
HaungsHauser Freiherr Heeremanvon Zuydtwyck HelmrichDr. HennigHerkenrath _Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau HürlandDr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger
JagodaDr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJung
KalischDr.-Ing. KansyFrau KarwatzkiKellerKittelmannKlein
Dr. Köhler Dr. Köhler (Wolfsburg) KolbKrausKreyKroll-SchlüterFrau Krone-AppuhnDr. KronenbergDr. Kunz LamersDr. LammertDr. Langner Lattmann Dr. LaufsLink LinsmeierDr. LippoldDr. h. c. LorenzLouvenLowackMaaßFrau MännleMaginMarschewskiDr. Meyer zu Bentrup Dr. MikatDr. Miltner MilzDr. Möller Dr. MüllerMüller Müller (Wadern)Müller
NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. Olderog Frau Pack Pfeffermann PfeiferDr. Pinger PöpplPohlmannDr. PohlmeierDr. Probst RaweReddemann RegenspurgerRepnikDr. RiesenhuberRode
Frau Rönsch Frau Roitzsch
RüheRufSauer
Sauer
SaurinSauter Sauter (Ichenhausen) Dr. SchäubleScharrenbroichSchartz
Schemken ScheuSchlottmann Schmidbauer von Schmude Schneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schultz (Wörrstadt) Schwarz
Dr. Schwörer SeehoferSeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerSprangerDr. SprungDr. Stark
Dr. StavenhagenDr. Stercken Stockhausen StommelStraßmeir StücklenStutzerSussetTillmannDr. TodenhöferUldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. WarrikoffDr. von Wartenberg WeirichWeißWerner Frau Will-FeldWilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. Wittmann Wittmann Dr. WörnerWürzbach Dr. WulffZiererZinkSPDNagelStahl FDPFrau Dr. Adam-SchwaetzerBaumBeckmann BredehornCronenberg Eimer (Fürth)Engelhard GallusGenscher GrünerHoffieKleinert
KohnDr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen PaintnerRonneburger Dr. Rumpf Schäfer
Frau Dr. SegallDr. SolmsWolfgramm
DIE GRÜNENBuebFrau Dann Frau Hönes RuscheDr. Schierholz SchilySchmidt
TatgeVogel
EnthaltenSPDEickmeyerGrunenbergHaase
HaehserRappe ReuschenbachSanderWolfram
DIE GRÜNENAuhagenKleinert
Lange Mann Schulte
Senfft StröbeleTischer Volmer Frau WagnerWerner
Damit ist dieser Antrag abgelehnt.Meine Damen und Herren, wir wollen jetzt in die Mittagspause eintreten und die Sitzung um 14 Uhr fortsetzen. Die Parlamentarischen Geschäftsführer sind noch dabei, die Tagesordnung für den Rest des heutigen Plenarsitzungstages zu erstellen.Ich unterbreche die Sitzung.
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12808 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Die unterbrochene Sitzung ist wiedereröffnet.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die Zahl der Schriftführer auf 25 erhöht werden. Für die Fraktion der CDU/CSU wurden vorgeschlagen die Abgeordnete Frau Rönsch und Abgeordneter Schemken, für die Fraktion der SPD die Abgeordnete Frau Steinhauer und der Abgeordnete Eickmeyer, für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Kohn und für die Fraktion DIE GRÜNEN Frau Zeitler. Sind Sie damit einverstanden, daß diese Kolleginnen und Kollegen als Schriftführer gewählt werden? — Widerspruch erhebt sich nicht. Dann kann ich die Kolleginnen und Kollegen, die anwesend sind, beglückwünschen.
Sie sind damit zum Schriftführer gewählt.
Interfraktionell ist zur Tagesordnung vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 3, den wir nicht wie geplant vor der Mittagspause behandeln konnten, heute nach dem Tagesordnungspunkt 4 aufzurufen. Das wird voraussichtlich gegen 17 Uhr sein. Ist das Haus damit einverstanden? — Auch hier erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 5 sowie die Zusatzpunkte 3 und 4 der Tagesordnung auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Fischer , Schily, Frau Reetz und der Fraktion DIE GRÜNEN
Lage und Forderungen der Sinti, Roma und verwandter Gruppen
— Drucksachen 10/2032 , 10/3292 — Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Verbesserung der Situation der Sinti und Roma
— Drucksache 10/4127 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Innenausschuß
Finanzausschuß
Haushaltsausschuß
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Lage der Sinti, Roma und verwandter Gruppen
— Drucksache 10/4128 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Innenausschuß
Finanzausschuß
Haushaltsausschuß
Ich mache darauf aufmerksam, daß Drucksache 10/2032 neu ist.
Zu Tagesordnungspunkt 5 liegt ein Entschließungsantrag der Abgeordneten Ströbele, Frau Dann, Mann und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4129 vor.
Gemäß einer interfraktionellen Vereinbarung und gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung des Tagesordnungspunktes 5 sowie der Zusatztagesordnungspunkte 3
und 4 und zwei Beiträge von jeweils bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist auch das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute über die Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage zu Lage und Forderungen der Sinti, Roma und verwandter Gruppen. Ich habe mich zu Wort gemeldet, um die Bedeutung dieses Themas zu unterstreichen und weil es hier auch um Fragen geht, die mich persönlich seit langem bewegen.Im März 1982 hatte ich als damaliger Oppositionsführer und Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag ein längeres intensives Gespräch mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Im Blick auf die leidvolle Geschichte dieser Bevölkerungsgruppe habe ich meinen Gesprächspartnern zugesichert, ihre Anliegen soweit wie möglich zu unterstützen. Ich fühle mich auch als Bundeskanzler und Regierungschef selbstverständlich in diesem Sinne verpflichtet.Am 21. Dezember 1982 stellte die Bundesregierung ebenso grundsätzlich wie eindeutig fest: „Den Sinti und Roma ist durch die NS-Diktatur schweres Unrecht zugefügt worden. Sie wurden aus rassischen Gründen verfolgt, und viele von ihnen wurden ermordet. Diese Verbrechen sind als Völkermord ... anzusehen."Die Erinnerung an diese wie an die unzähligen anderen Opfer von Gewaltherrschaft und Rassenwahn darf niemals verlorengehen.In diesem Jahr haben wir ihrer bei verschiedenen Anlässen in besonderer Weise gedacht. Für mich war es selbstverständlich, in Bergen-Belsen anläßlich des 40. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers auch an die Verfolgung und an die Ermordung so vieler Sinti und Roma zu erinnern. Ich habe damals die Worte zitiert, die ihnen auf der Inschriftenwand in Bergen-Belsen gewidmet sind — ich zitiere —:Durch ihren gewaltsamen Tod sind sie den Lebenden Mahnung zum Widerstand gegen das Unrecht.Etwa 500 000 Sinti und Roma wurden von der Hitler-Diktatur in einen gewaltsamen Tod geschickt, aber das Unrecht, das sie erlitten, begann lange vor den Verbrechen gegen Leib und Leben. Sie wurden erniedrigt und verfolgt, ausgegrenzt und schließlich ausgestoßen. Die Machthaber wollten ihre Würde zerstören, weil sie sie letztlich nicht als Mitmenschen akzeptierten.Rassendiskriminierung darf es auf deutschem Boden nie wieder geben.
Das ist nicht nur die Lehre der Geschichte, sondern ergibt sich auch ganz selbstverständlich aus dem Menschenbild, zu dem wir uns alle gemäß unserer Verfassung, unserem Grundgesetz, bekennen. Wir
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12809
Bundeskanzler Dr. Kohlhaben hier im freien Teil unseres Vaterlandes nach 1945 einen demokratischen Rechtsstaat geschaffen und uns dem Schutz der Menschenwürde verpflichtet. Mit und in dieser Republik haben wir die Chance der Versöhnung mit denen gesucht, die unter der NS-Diktatur besonders gelitten haben. Im Vordergrund stand dabei die Aussöhnung mit den Juden und mit dem Staat Israel. Dafür, daß sie möglich wurde, sind wir dankbar.Aber ich glaube, wir sollten uns auch eingestehen, daß nach 1945 den Sinti und Roma Solidarität keineswegs in gleichem Maß zuteil wurde. Da waren gelegentlich sehr fragwürdige, auch unerträgliche Formulierungen zu hören.
Verirrungen und Verwirrungen, glücklicherweise längst korrigiert, gab es auch in der Rechtsprechung. Gesetze und Verordnungen, so glaube ich, sind dabei nicht das eigentliche Problem. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es keine Gesetze, die die Sinti und Roma als besondere ethnische Gruppe diskriminieren. In unserem demokratischen Rechtsstaat wird niemand unter ein Sonderrecht gezwungen, und niemand kann für sich ein Sonderrecht beanspruchen. Es kann allerdings vorkommen, daß bei der Anwendung von Gesetzen im Einzelfall auf Traditionen und auf Lebensweise von Minderheiten zu wenig Rücksicht genommen wird.Mir geht es hier in erster Linie um mehr Sensibilität im alltäglichen Umgang miteinander. Unsere freiheitliche Demokratie lebt von Tugenden wie Aufgeschlossenheit und Toleranz, Anteilnahme und Hilfsbereitschaft und ganz allgemein von dem Respekt vor der Eigenheit jeder Einzelpersönlichkeit, von gegenseitiger Rücksichtnahme.
Sicher gibt es viele Anzeichen dafür, daß das Verständnis für Kultur und Tradition der Sinti und Roma zunimmt, aber leider — das gehört auch in diese Stunde — werden auch hin und wieder Beispiele von Zurücksetzung und Schikanen bekannt, und sie beruhen nicht allesamt auf Gedankenlosigkeit. Pauschale Vorurteile, als solche immer ungerecht, stören mancherorts das friedliche Miteinander. Auch die eine oder andere Behörde — das gilt für alle Ebenen unseres Gemeinwesens — könnte durchaus in diesem oder jenem Fall flexibler und unbürokratischer handeln und auch mehr Einfühlungsvermögen beweisen.
Meine Damen und Herren, wir sollten den Kirchen dankbar dafür sein, daß sie uns immer wieder auf diese Sachverhalte hinweisen. Die Bundesregierung ist sich der besonderen Verantwortung bewußt, die staatliche Stellen tragen. Sie führt Gespräche mit Vertretern deutscher Sinti und Roma. Aus dem Bundeshaushalt werden Selbstorganisation, Selbsthilfe, insbesondere eine Soziale Beratungsstelle für diese Gruppe unserer Bevölkerung, auch finanziell gefördert. Ich bin sehr dafür, daß auch in den Bundesländern und natürlich in den Städten, Gemeinden und Kreisen die Chance für einen verständnisvollen Meinungsaustausch ermöglicht wird.Meine Damen und Herren, im staatlichen Bereich geht es darum, den besonderen Anliegen der Sinti und Roma und verwandter Gruppen gerecht zu werden, ohne Behörden zu überfordern und ohne die Grenze von der Flexibilität zur Bevorzugung zu überschreiten. Dazu verweise ich auch auf die Anregungen, die die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage gegeben hat.Auch der Deutsche Städtetag hat — ich will das dankbar erwähnen — Empfehlungen an seine Mitgliedstädte gerichtet, die darauf abzielen, alltägliche Schwierigkeiten ohne großen Aufwand zu beheben bzw. ihnen entgegenzuwirken.Mehr noch aber, meine Damen und Herren, kommt es auf das Miteinander von uns allen, auf das Miteinander der Bürger unserer Republik an. Wir alle sollten uns bemühen, auch nur den Anschein einer Diskriminierung zu vermeiden.
Unsere Einstellung Minderheiten gegenüber — von Staats wegen wie auch sehr persönlich — ist kennzeichnend dafür, welche Achtung wir für die Einzelpersönlichkeit und ihre Würde empfinden,
und das ist immer ein Beweis für die politische Kultur unseres Landes.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundespräsident hat in seiner Rede vom 8. Mai 1985 ausgeführt, die Erinnerung an das, was in den Jahren zwischen 1933 und 1945 geschehen ist, das Gedenken an die Opfer dieser Jahre, stelle große Anforderungen an unsere Wahrhaftigkeit.Diese Wahrhaftigkeit gebietet nicht nur, die bereits von Helmut Schmidt als Bundeskanzler getroffene Feststellung zu bekräftigen, daß die Sinti und Roma in der Zeit der NS-Gewaltherrschaft aus rassischen Gründen unmenschlichen Verfolgungen ausgesetzt waren und daß an ihnen durch massenhafte, auf Ausrottung abzielende Vernichtung, die mindestens 500 000 Sinti und Roma das Leben gekostet hat, Völkermord begangen worden ist. Im Sinne dieser Wahrhaftigkeit müssen wir vielmehr auch bekennen, daß zwar die allgemeinen Wiedergutmachungs- und Entschädigungsregelungen auch für diesen Personenkreis gelten, daß aber die Verfolgung und der Völkermord an den Sinti und Roma über lange Jahre kaum und dann nur in einem schwierigen und für die Betroffenen mitunter quä-
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12810 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Dr. Vogellenden Prozeß Eingang in das öffentliche Bewußtsein gefunden haben.Ebenso wahr ist leider, daß geschichtlich überkommene Vorurteile gegen diese Minderheit, die es schon vor 1933 gab, auch nach den Jahren der Verfolgung angedauert und bis in die Gegenwart hinein die Menschenwürde von Sinti und Roma berührt haben.
Dabei entschuldigt es uns nicht, daß solche Vorurteile auch bei anderen Völkern zu finden waren und zu finden sind und daß Gedankenlosigkeit mehr noch als böser Wille die Überwindung dieser Vorurteile verzögert.Deshalb ist es zu begrüßen, daß die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag heute übereinstimmend das an den Sinti und Roma begangene Unrecht bezeugen und die sich daraus ergebende Verantwortung unseres Gemeinwesens in dieser öffentlichen Form anerkennen.
Der Wert und die Bedeutung dieses Schrittes sollten heute nicht durch gegenseitige Vorwürfe oder Betrachtungen darüber gemindert werden, wer zuerst bestimmte Initiativen ergriffen hat. Notwendig ist vielmehr, daß wir jetzt so rasch wie möglich konkrete Folgerungen aus den übereinstimmenden Erklärungen des heutigen Tages ziehen.
Das gilt für den Bereich der materiellen Wiedergutmachung. Hier müssen die Härtefallrichtlinien vom August 1981 geändert und der Mißstand beseitigt werden, daß Wiedergutmachungsleistungen auf andere staatliche Leistungen angerechnet werden und der Verfolgte deshalb im Ergebnis ebenso steht, als ob er nicht verfolgt worden wäre.Notwendig ist weiter die Entfernung aller auf die Zeit der Gewaltherrschaft zurückführenden Sonderakten, die Unterbindung diskriminierender Kennzeichnungen in behördlichen Verfahren und Informationssystemen und die Lösung der sozialen und der statusrechtlichen Probleme.Vor allem aber müssen wir die ethnische und die kulturelle Eigenständigkeit der Sinti und Roma stärken und fördern.
Der von uns eingebrachte Antrag unterbreitet zu all diesen Fragen konkrete Vorschläge. Wir würden es begrüßen, wenn es bei den weiteren Beratungen soweit wie nur irgend möglich zu übereinstimmenden Beschlüssen käme. Dazu sollte eine sorgfältige und umfassende Anhörung der Sprecher der Sinti und Roma in den Ausschüssen beitragen.Für ihr beharrliches Engagement, das die Gräben des Vorurteils und des Schweigens allmählich überbrückt und den heutigen Tag — den sie zu Recht als einen in der Geschichte ihrer Gruppe besonders bedeutsamen Tag empfinden — möglich gemacht hat, danke ich den Sprechern dieser Gruppe ausdrücklich.
Ich danke daneben den Kirchen, und ich danke denMitgliedern der Gesellschaft für bedrohte Völker,die schon seit langem in diesem Sinne tätig waren.
Es ist wichtig, daß wir Beschlüsse fassen und, wo es geboten ist, auch Paragraphen ändern. Wichtiger aber noch ist, daß wir unser Bewußtsein ändern, daß wir den anderen in seiner Eigenart anerkennen und annehmen, und zwar gerade auch dann, wenn uns das nicht von selbst zufällt.Freiheit — so hat Rosa Luxemburg einmal gesagt— ist immer zuerst die Freiheit des anderen. Menschenwürde — so läßt sich dieser Satz abwandeln— ist immer zuerst die Menschenwürde des anderen.
Wer die Menschenwürde seiner Mitmenschen achtet, rechtfertigt damit am überzeugendsten den Anspruch auf die Achtung seiner eigenen Menschenwürde.In diesem Sinne kann die heutige Debatte ein Anstoß sein, ein Zeichen, das den Sinti und Roma, das uns allen Mut und Hoffnung gibt, und ein Beweis dafür, daß wir fähig sind, gemeinsam aus unserer Geschichte zu lernen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kroll-Schlüter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Geheimnis der Versöhnung heißt Erinnerung — und, ich darf hinzufügen, Gerechtigkeit.
Zur Erinnerung: Die Sinti und Roma sind nicht erst seit gestern, seit einigen Jahren deutsche Bürger, sondern seit Jahrzehnten und Jahrhunderten. Schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts wanderten aus Indien über die Türkei und Griechenland diese Menschen ins deutschsprachige Mitteleuropa. Die Roma kamen größtenteils vor 100 bis 150 Jahren aus dem ungarischen Raum hierher und in den 50er Jahren aus dem Osten unseres Vaterlandes und aus Polen
Die Leidensgeschichte von Sinti und Roma ist lang. Auf dem Reichstag von Landau zu Verrätern erklärt, konnten sie Ende des 15. Jahrhunderts als Freiwild gejagt und getötet werden. Der Versuch Friedrichs des Großen, die Sinti und Roma einzugliedern und seßhaft zu machen, scheiterte. In den folgenden Jahrzehnten sind Sinti und Roma zwar nicht mehr völlig rechtlos, aber doch weiterhin besonderen Schikanen ausgesetzt. Während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gab es die Nürnberger Gesetze, die Erfassung und Untersuchung durch die rassenhygienischen Forschungsstellen des Reichsgesundheitsamts, Beginn der Deportation nach Polen, Auschwitz-Erlaß und dessen Ausführungsbestimmungen. Sinti und Roma wur-
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12811
Kroll-Schlüter
den in Buchenwald, Auschwitz, Kulmhof, Bergen-Belsen und Ravensbrück gefoltert und gemordet. Angesichts des grenzenlosen Leides und der grenzenlosen Qualen. denen diese Menschen ausgesetzt waren, müssen Diskussionen hinsichtlich der Zahl der Opfer verstummen. Hierzu hat die Bundesregierung im Dezember 1982 ausgeführt:
Den Sinti und Roma ist durch die NS-Diktatur schweres Unrecht zugefügt worden. Sie wurden aus rassischen Gründen verfolgt und viele von ihnen ermordet. Diese Verbrechen sind als Völkermord anzusehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der heutigen Debatte diskutieren wir die Große Anfrage zur Lage der Sinti und Roma und bekräftigen — wie die Bundesregierung — eine besondere Haltung. Bewußt und zu Recht hat der Bundespräsident die Sinti und Roma in seiner Rede zum 8. Mai gewürdigt und in sein Gedenken eingeschlossen. Angesichts des „Gebirges menschlichen Leides", wie er es nannte, das der Nationalsozialismus hinterlassen hat, muß der Satz „Die Zeit heilt alle Wunden" fragwürdig erscheinen. Zumindest was das individuelle Schicksal betrifft, wird es wohl Wunden geben, die niemals ganz verheilen können. Wir leben jedoch in der Hoffnung, daß die nachgeborenen und zukünftigen Generationen die offenen Wunden ihrer Geschichte schließen können; die verbleibenden Narben werden uns wohl immer begleiten. Wir können vergangenes Unrecht nicht ungeschehenen machen, aber wir können versuchen, in redlicher Weise zur Versöhnung beizutragen.
Freilich, Worte füllen den Kopf, vielleicht auch das Herz; daneben waren und sind aber finanzielle Entschädigungen nötig. Die von den Nationalsozialisten aus rassischen Gründen verfolgten Sinti und Roma konnten und können — ebenso wie andere verfolgte Gruppen — die ihnen nach dem Bundesentschädigungsgesetz zustehenden Entschädigungsleistungen erhalten. In Ergänzung hierzu haben die damals drei Fraktionen des Bundestages bestimmte Maßnahmen in der sogenannten Härteregelung beschlossen; diese ist 1981 verabschiedet worden.
Jetzt begrüßen wir in besonderer Weise eine Fortführung. Wir begrüßen die vom Land Niedersachsen im Oktober dieses Jahres im Bundesrat beschlossene Initiative zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes mit dem Ziel der Gleichbehandlung der durch den Nationalsozialismus Verfolgten mit den Kriegsopfern. Das ist eine gute Initiative, nach der Renten nach dem Bundesentschädigungsgesetz zukünftig teilweise nicht mehr auf die Sozialhilfe angerechnet werden.
Ungeachtet der finanziellen Regelungen und der Anerkennung des NS-Völkermordes an Sinti und Roma müssen wir uns unvoreingenommen fragen, ob die Diskriminierung dieser Menschen in der Bundesrepublik Deutschland seit 1945 beseitigt ist. Richtig ist, so glauben wir, daß von einer generellen Diskriminierung von Sinti und Roma nicht gesprochen werden kann. Es hieße jedoch die Augen vor der Realität verschließen, wenn wir vorurteilsgesteuerte Handlungen beim Umgang mit Sinti und
Roma bei deutschen Mitbürgern und Behörden einfach leugnen würden. Hier ist noch einiges verbesserungsfähig. Wir wollen uns da anstrengen.
Wir begrüßen in diesem Zusammenhang die Klarstellung der Bundesregierung, daß Sinti und Roma im Informationssystem INPOL nicht gesondert erfaßt werden und die Länder — entsprechend dem anliegen des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma — den Zusatz ZN, also Zigeunername, gestrichen haben. Durch mehr Toleranz, durch Mehr-aufeinander-Zugehen und vor allem durch den Willen, sich gegenseitig zu verstehen, müssen, wollen und können wir zu einer weiterreichenden, gleichberechtigten Teilnahme der Sinti und Roma am gesellschaftlichen, politischen und auch am wirtschaftlichen Wohlstand beitragen.
In diesem Sinne begrüßen wir es auch, daß in dem geplanten „Haus der Geschichte" in der vorgesehenen Ausstellung „Last der Vergangenheit" die Verfolgung dargestellt werden soll.
Darüber hinaus fordern wir, bitten wir die Bundesregierung, zu prüfen, ob weitere Maßnahmen ergriffen werden können, die dazu beitragen, daß auch vereinzelte Fälle von Diskriminierung in Zukunft unterbleiben, die Bevölkerung über die Herkunft und Lebensweise der Sinti und Roma noch umfassender informiert wird, das kulturelle Erbe der Sinti und Roma erhalten bleibt, die Lebenssituation dieser Menschen in bezug auf die Bereitstellung von Wohnungen, Ausbildung, Berufsberatung und Berufsausbildung sowie die Gesundheits- und Sozialfürsorge verbessert werden können.
Unter uns leben 30 000 Sinti und etwa 10 000 Roma. Sie sind mit ihrer Kultur seit langer Zeit ein Teil Deutschlands. Die Bundesregierung hat bereits durch die Bereitstellung finanzieller Mittel die Selbsthilfe, Selbstdarstellung und Selbstorganisation gefördert, z. B. beim Aufbau der Geschäftsstelle, der sozialen Beratungsstellen.
Aufarbeitung und Abbau der Vorurteile kann jedoch nicht nur Aufgabe der Parteien, der Fraktionen sein, es ist eine Aufgabe aller Bürger. Nur allzuoft war es Unkenntnis über die Fremden, den anderen, die zu einer ungerechten Behandlung und gegenseitigen Abschottung geführt hat. Versuchen wir, Unbekanntes in Bekanntes zu wandeln! Helfen wir, wirkliche Begegnung herzustellen! Lernen wir, miteinander zu leben, nicht gegeneinander!
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Ströbele.
Liebe Frauen und Männer aus den traditionsreichen Völkern der Sinti und Roma! Ich sage Ihnen an diesem Tag von dieser Stelle im Deutschen Bundestag: Ich fühle mich verantwortlich für das, was deutsche Faschisten Ihnen selbst und Ihren Angehörigen angetan haben. Diese Verantwortung wurde mir klar, als wir am 8. Mai
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12812 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Ströbeledieses Jahres in Auschwitz waren und als uns Angehörige Ihrer Völker in Auschwitz die Stelle zeigten, wo SS-Männer sich erst Zigeunermusik haben vorspielen lassen, und dann 40 000 Sinti und Roma in die Gaskammern zu führen und zu ermorden. Ich berufe mich nicht auf die Gnade der späten Geburt. Für mich ist diese unsere Geschichte nicht erledigt. Für mich ist nicht erledigt, was Ihren Völkern angetan wurde und was unsere deutschen Väter Ihnen angetan haben.Verantwortung heißt für uns die Wahrheit sagen über das, was bis 1945 und auch danach geschehen ist und warum, und alles zu tun, damit Diskriminierung, Registrierung und Kriminalisierung wirklich verschwinden und durch besondere Hochachtung Ihnen gegenüber ersetzt werden. Verantwortung heißt die materiellen Voraussetzungen schaffen, damit alle die, die unter den deutschen Nazis gelitten haben, in Würde und materiell gesichert leben können.Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, in Europa wurden Hunderttausende von Angehörigen der Sinti und Roma in den Gaskammern, KZs, bei medizinischen Versuchen oder durch Zwangsarbeit grausam ermordet. Dieser Völkermord an Sinti und Roma wurde in der „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerwesens" und im „Reichshygieneinstitut" geplant und angeleitet. Totalerfassung und Stammbaumtafeln waren die Hilfsmittel; die Wissenschaft der Rassenhygiene lieferte die Ideologie und die konkrete Anleitung zum Handeln. Aber der Rassismus der Deutschen gegenüber den Sinti und Roma blieb auch nach 1945 lebendig, und die Wissenschaft der Rassenhygiene wurde — das muß man leider sagen — fortentwickelt.Der Verantwortliche für Zigeunerfragen beim Reichssicherheitshauptamt, Josef Eichberger, war nach dem Krieg erster Leiter der Landfahrerzentrale in München. Für ihn wie für viele andere Deutsche blieben Zigeuner — ich zitiere — „chronisch verlogen, arbeitsscheu, weitgehend kriminell und asozial". Diese Landfahrerzentrale arbeitete mit den alten Akten und Karteien; erst 1970 wurde sie aufgelöst.Aber sogenannte Zigeunerspezialisten gab es in allen Landeskriminalämtern weiter. So führte z. B. das Landespolizeiamt Niedersachsen im April 1961 eine Arbeitstagung mit den Themen „Der Zigeuner und seine Welt" — „Arbeitsweise des Landfahrers auf dem Gebiet des Diebstahls und des Betrugs" — „Rechtsgrundlagen für die repressive und präventive Bekämpfung des Landfahrerunwesens" durch.Noch 1983 waren Sinti und Roma beim Bundeskriminalamt unter dem stigmatisierenden Kürzel ZN — Zigeunername — erfaßt, und heute heißt das HWAO, häufig wechselnder Aufenthaltsort. Noch heute werden in Hessen bei der Polizei Formulare für Vernehmungen ausgegeben, in denen anzukreuzen ist: Landfahrer; ja oder nein. Und 1983 wirft der SPD-Oberbürgermeister von Darmstadt, ein Herr Metzger, vier Roma-Familien samt Mobiliar aus einem Haus, läßt das Haus abreißen und zwingt die Roma-Familien, die Stadt zu verlassen.Das alles soll mit Rassismus nichts zu tun haben? Wen wundert es da, daß der Bundesgerichtshof 1956 feststellt, Roma und Sinti seien vor 1943 nur als Spione, als Asoziale, Saboteure und Kriminelle in die KZs gekommen, und deshalb stünden ihnen Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz auch nicht zu. Immerhin das höchste deutsche Gericht.Aber auch als der Bundesgerichtshof 1964 von dieser Meinung abrückte, wurden ehemals langjährigen KZ-Häftlingen Renten zwischen 50 DM und 100 DM zugesprochen, und einmalige Zahlungen wurden gar nicht erst ausgezahlt, sondern mit der Sozialhilfe verrechnet.Die Wiedergutmachungsregelung insgesamt war ungerecht, und der Gesamtansatz war unmenschlich. Die Opfer waren, wenn sie wenigstens eine Chance haben wollten, häufig gezwungen, nachzuweisen, daß Angehörige ermordet oder gefoltert wurden. Und was sich in den Gerichtsverfahren abspielte: Dort traten Zeugen auf, die ehemalige Zigeunerspezialisten beim Reichssicherheitshauptamt waren und die nun als Zeugen gegen Sinti und Roma auftreten durften.Herr Bundeskanzler und Ihre Regierung, Sie setzen diese Praxis fort, wenn Sie sich weigern, den Roma und Sinti wie allen politisch Verfolgten der deutschen Nazis wenigstens ein menschenwürdiges, materiell gesichertes Leben zu garantieren.Wir haben in einer Gesetzesinitiative für alle politisch Verfolgten des Nationalsozialismus eine einheitliche Grundrente in Höhe von 2 000 DM sowie freie Kranken- und Kurbehandlung und Geld für Urlaub und Erholung sowie weitere Ehrenrechte gefordert. Das wäre etwas, was über das hinausgeht, was Roma und Sinti selbst fordern. Aber selbst das wäre nur eine minimale Geste.Ich frage die CDU/CSU, die heute einen Antrag vorgelegt hat, und auch die SPD: Warum gehen Sie nicht auf diese Vorschläge ein, und warum verlangen Sie statt dessen von der Bundesregierung nur neue Untersuchungen, wo doch seit Jahren alle Fakten unbestritten bekannt sind?
Und ein Professor Arnold konnte mit den alten Akten aus dem Reichssicherheitshauptamt seine Wissenschaft der Rassenhygiene hier in der Bundesrepublik weiter betreiben, derselbe, der für Sinti und Roma festgestellt hatte, das seien „Wildbeuter und Bastarde", „eine Krankheit des Volkskörpers" gewesen. Die Bundesregierung bezeichnet das, was dieser Kerl getan hat, nach wie vor als „Wissenschaft", wenn sie auch nicht in allen Punkten dem folgen kann, was dieser Professor verbreitet.Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage vermeidet es ganz einfach, zu sagen, was mit Sinti und Roma geschehen ist, nämlich Völkermord. Sie bezeichnet sie als „Opfer". Opfer für wen? Für diese deutsche Demokratie oder für was?
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StröbeleDiese Zweideutigkeiten und Floskeln sind der ideologische Hintergrund, auf dem Polizeibeamte, Bürgermeister und Richter die rassische Diskriminierung der Sinti und Roma umsetzen. Darüber können die schönsten Formulierungen vom heutigen Tage nicht hinwegtäuschen.Die Roma und Sinti verlangen von uns, als ethnische Minderheit eigener Sprache, Kultur, Geschichte und Identität ausdrücklich anerkannt zu werden. Wenn wir uns gemeinsam zu dieser Anerkennung durchringen könnten, dann müßten wir die Roma und Sinti neben Bayern, Sachsen, Juden und Ostpreußen in unser Leben integrieren. Wir sollten mit unserer unheilvollen Geschichte brechen und dies tun.Ich versichere Ihnen, liebe Frauen und Männer aus den Völkern der Sinti und Roma, daß wir Sie bei der Durchsetzung Ihrer Forderungen unterstützen werden. In den Ausschüssen werden wir Ihre Sachverwalter sein.Danke sehr.
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war wichtig, daß heute der Bundeskanzler mit der Autorität seines Amtes für die Bundesregierung klar ausgesprochen hat, was gewesen ist, nämlich Völkermord. Es war wichtig, daß er sich für die Gleichbehandlung und gegen jede Diskriminierung eingesetzt hat. Es war auch wichtig, daß der Führer der Opposition, Herr Vogel, die Gemeinsamkeit in diesem Hause bekundet hat. Ich hoffe, daß es uns gelingt, in dieser wichtigen Frage auch zu einer gemeinsamen Entschließung zu kommen.
Den Sinti und Roma ist in der Nazidiktatur schweres Unrecht zugefügt worden, das als Völkermord anzusehen ist. Sinti und Roma sind Opfer von rassisch begründeter Verfolgung und von Mord geworden. Diese Tatsache ist spät, viel zu spät ins öffentliche Bewußtsein gerückt worden und noch heute vielen Bürgern unseres Landes gar nicht genau bewußt. Aber nach alledem, was in deutschem Namen an schrecklichem Unrecht geschehen ist, können wir uns Gedankenlosigkeit und Gleichgültigkeit nicht leisten.
Die heutige Debatte leistet einen wichtigen Beitrag dazu, an die Leidensgeschichte der Sinti und Roma zu erinnern und das Verständnis für sie zu verbessern.
Es gilt, was der Bundespräsident am 8. Mai 1985 im Deutschen Bundestag im Zusammenhang mit der Vernichtung der jüdischen Mitbürger gesagt hat. Er hat gesagt:
Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oder
jung, müssen die Vergangenheit annehmen.
Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen.
Damit, meine Kolleginnen und Kollegen, tun wir uns mitunter sehr schwer. Das zeigt zur Zeit die aufwühlende Diskussion um das Faßbinder-Stück in Frankfurt. Ich erwähne das hier, weil es einen unmittelbaren Zusammenhang mit unserem heutigen Thema hat.
Legt uns nicht unsere besondere Betroffenheit für die Folgen, legt uns nicht unsere Haftung, von der der Bundespräsident spricht, die Pflicht auf, alles zu vermeiden, bei denen, die Opfer des Völkermordes waren, die Furcht vor erneuter Ausgrenzung zu wecken?
Ich lehne Zensur strikt ab, aber ich sage denen, die dort für die Aufführung des Stückes eintreten: Unsere Vergangenheit verpflichtet uns zu behutsamem Umgang mit denen, die Opfer waren. Nicht alles, was erlaubt ist, sollte auch geschehen.
Ein Rechtsstaat, eine Demokratie werden daran gemessen, wie sie mit Minderheiten umgehen,
wie sie sie ertragen, wie sie sie respektieren. Wir sollten uns auf unsere Verfassung besinnen:
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.
Seit vielen hundert Jahren leben Sinti und Roma als ethnische Minderheit mit eigener Sprache und Kultur in Deutschland; aber noch immer begegnen sie Vorurteilen und Benachteiligungen in unserer Gesellschaft. Es ist unsere demokratische Pflicht, mit allen Mitteln dagegen vorzugehen.
Die Überlebenden haben Anspruch darauf, daß materielle Schäden ausgeglichen werden. Das ist mit dem Bundesentschädigungsgesetz auch im Hinblick auf die Sinti und Roma geschehen. Wir fordern die Bundesregierung auf, einen Bericht über die Praxis der Härteregelung von 1981 zu geben. Wir möchten wissen, wie der Wiedergutmachungsdispositionsfonds funktioniert und ob hier nicht im Interesse der Betroffenen eine erleichterte Härteregelung — sie bedarf keiner Gesetzesänderung — Platz greifen kann.
Wichtig sind alle Bemühungen zur Stärkung der kulturellen und sozialen Identität der Roma und Sinti. Das Schicksal der Sinti und Roma während der NS-Diktatur sollte noch umfassender als bisher erforscht werden. In dem geplanten „Haus der Geschichte" sollte das Schicksal der Sinti und Roma während der Nazizeit dargestellt werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, daran mitzuwirken, das kulturelle Erbe der Sinti und Roma zu erhalten
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Baum
und zu fördern, auch im Hinblick auf die Errichtung eines Kultur- und Dokumentationszentrums. Wir erwarten, daß dazu umgehend Gespräche mit den Ländern aufgenommen werden.
Wir begrüßen die Bereitschaft der Bundesregierung, finanzielle Mittel zur Förderung von Selbsthilfe, Selbstdarstellung und Selbstorganisation der Sinti und Roma bereitzustellen. Wir unterstützen die Initiative des Deutschen Städtetages aus dem Jahre 1984 und die Initiative des Landes Niedersachsen zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes.
Wir wissen, auch heute begegnen die fünfzigtausend Menschen, über die wir reden, in der Bundesrepublik Deutschland vielen Vorurteilen und manchen Benachteiligungen. Wir appellieren an unsere Mitbürger, an die staatlichen Stellen in Bund, Ländern und Gemeinden, jegliche Diskriminierung zu unterlassen und für die Gleichbehandlung dieser Menschen einzutreten. Auch in den Gesetzen und im staatlichen Verwaltungshandeln darf Diskriminierung nicht zugelassen werden. Wir begrüßen die Absicht der Bundesregierung, das Ausländerrecht entsprechend zu ändern wie auch in den polizeilichen Informationssystemen Diskriminierung nicht mehr zuzulasen.
Meine Damen und Herren, der Umgang mit Minderheiten ist ein Prüfstein für die Reife unserer Demokratie und für unsere politische Kultur.
Meine Damen und Herren, bevor ich dem Abgeordneten Jaunich das Wort gebe, möchte ich auf etwas aufmerksam machen. Ich habe sehr, sehr viel Verständnis dafür, wenn unsere Gäste auf der Tribüne durch Beifalls- oder Mißfallensäußerungen ihre Anteilnahme an den Reden zum Ausdruck bringen wollen. Aber die Ordnung, die sich dieses Haus selbst gesetzt hat, läßt es nicht zu, daß solche Beifalls- und Mißfallenskundgebungen auf der Zuschauertribüne zum Ausdruck gebracht werden. Das gilt auch für das Präsidium. Deswegen möchte ich Sie sehr herzlich bitten, sich an diese Ordnung zu halten.
Das Wort hat der Abgeordnete Jaunich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dieser außergewöhnlichen Stunde ist es sicherlich erlaubt, auch von hier aus die Vielzahl unserer Gäste aus dieser ethnischen Minderheit in besonderer Weise zu begrüßen.
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma erblickt in dem heutigen Tag, an dem zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland über dringende Fragen dieser ethnischen Minderheit im Deutschen Bundestag debattiert wird, einen Tag von historischer Bedeutung. Dieser Bewertung kann man nur zustimmen — spät, für manche dieser unserer Mitbürger, die durch das Inferno der NS-Barbarei gegangen sind und überlebt haben, leider zu spät, und keiner von uns hier im DeutschenBundestag ist daran ohne Schuld. Es ist zu einem großen Teil darauf zurückzuführen, daß sich erst Anfang der 80er Jahre in den Landtagen, aber auch hier im Deutschen Bundestag Fraktionen mit diesen Fragen beschäftigt haben, daß es erst zu diesem Zeitpunkt eine wirksame Interessenvertretung dieser Volksgruppen gegeben hat.Wenn es richtig ist, daß man die demokratische Substanz einer Gesellschaft u. a. daran erkennt, wie sie mit Minderheiten umgeht, haben wir, wenn wir uns vor Augen führen, welches Unrecht an Sinti und Roma begangen wurde und teilweise immer noch begangen wird, ernsthaft Grund, uns um die demokratische Substanz unserer Gesellschaft Sorgen zu machen.
Um so wichtiger ist es, daß wir als Deutscher Bundestag in seiner Gesamtheit uns bewußt sind, was wir auch als Akt der Wiedergutmachung an Sinti und Roma noch zu leisten haben.
Die diesem Parlament zur heutigen Debatte vorliegenden Anträge bieten eine Grundlage, auf der wir in kürzester Zeit zu Beschlüssen kommen müssen, die dem Schicksal und den verfolgungsbedingten Leiden dieser Gruppe angemessen sind.Ich bin sehr dafür, daß wir die heutige Debatte nicht nutzen, um uns polemisch auseinanderzusetzen. Ich habe eben betont, daß wir alle ein Teil Schuld daran tragen, daß wir uns als Parlament, zumindest hier im Plenum, erst jetzt erstmalig mit solchen Fragen beschäftigen.Aber ich will eine Bitte, eine Hoffnung, einen Wunsch ausdrücken. Ich hoffe zuversichtlich, daß das, was Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, in Ihrem Antrag ausgedrückt haben, nicht Ihr letztes Wort sein möge.Ich will anhand unseres Antrages auf Drucksache 10/4127 die Schwerpunkte dieser zu leistenden Arbeit kurz aufzeigen. Zunächst aber noch eine Vorbemerkung.Da wir in unserem Antrag vom Deutschen Bundestag erwarten, daß er seine Besorgnis darüber zum Ausdruck bringt, daß es manchen Bürgern und manchen Behörden offenbar schwerfällt, in Sinti und Roma gleichberechtigte Mitbürger zu sehen, will ich versuchen, kurz zu erläutern, was wir damit meinen. Vieles ist schon gesagt worden. Aber es ist einfach nicht hinnehmbar, daß Darstellungen in den Medien von Fehlverhalten einzelner Angehöriger dieser Volksgruppe — und hier richte ich mich also an die Journalisten aller Medien — dazu benutzt werden, auch die Volksgruppenzugehörigkeit einfließen zu lassen, weil man eben wissen muß, was sich damit verbindet, nämlich die Zementierung von Vorurteilen.
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JaunichWenn auch Polizeiberichte in dieser Art abgefaßt werden, ist es höchste Zeit, daß wir alle darauf Einfluß nehmen, daß so etwas für die Zukunft abgestellt wird.
Meine Damen und Herren, worum geht es im wesentlichen? Ich kann in der Kürze der Zeit nur Schwerpunkte nennen.Erstens zum Sozial- und Entschädigungsbereich: Durch die unverständliche und von uns zu bedauernde Entscheidung des Bundesgerichtshofes von 1956, nach der vor dem sogenannten Auschwitz-Erlaß vom 1. März 1943 sicherheitspolitische Gründe für die gegen Sinti und Roma ergriffenen Maßnahmen bestimmend gewesen seien, ist für diese Personengruppe ein weitgehender Ausschluß von den Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz bewirkt worden. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen, meine Damen und Herren. Natürlich sind sie formal eingebunden in die Regelungen des Bundesentschädigungsgesetzes, aber durch diese obergerichtliche Feststellung waren viele gehindert, ihre berechtigten Ansprüche geltend zu machen. Wenn wir uns dann die besonderen Lebensumstände dieser Volksgruppe noch vor Augen führen und fernerhin berücksichtigen, daß sie keine schlagkräftige Organisation zur Anmeldung und Durchsetzung von Ansprüchen hatten, und uns bewußt ist, daß es das BEG-Schlußgesetz gab, nach dem Anträge nach dem BEG nicht mehr zulässig waren, wird uns klar, daß es einen Handlungsbedarf gab, insbesondere auch für diese Volksgruppe zu Regelungen zu kommen.Ich verhehle nicht, daß die Angehörigen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, die seinerzeit dankbar waren, daß die sozialliberale Regierung eine Abschlußgeste konzipiert hatte, mit dem Verlauf und mit der Praxis, die sich dort entwickelt hat, nicht voll zufrieden sind und nicht voll zufrieden sein können.
Deswegen sind die Richtlinien zur Überarbeitung fällig. Dieser Aufgabe muß sich die Bundesregierung stellen. Ich habe mit Befriedigung vermerkt, daß der Herr Bundeskanzler mit seiner Amtsautorität in seinem Beitrag Worte gefunden hat, die dem nicht entgegenstehen können. Allerdings läßt das, was Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Voss, in dem Fernsehbeitrag, der vorigen Sonntag ausgestrahlt worden ist, dazu gesagt haben, diese Sensibilität vermissen.
Von großzügiger Entschädigungspraxis kann nicht die Rede sein.Auch wir begrüßen, daß dem Bundesrat eine vom Land Niedersachsen ausgehende Initiative vorliegt, die die Anrechnung für die Zukunft ausschließen soll. Nur betrachten wir dies als eine Grundlage, auf der wir im zuständigen Ausschuß noch vertiefend arbeiten müssen. Denn die Forderung der Betroffenen, ein bißchen auch daran zu denken, daß sie durch Anrechnungsbestimmungen jahrzehntelang davon ausgeschlossen waren, können wir nicht einfach dadurch aufheben, daß wir sagen: Dieses Gesetz tritt am Soundsovielten in Kraft. Ich glaube, wir müssen uns in diesem Zusammenhang schon Gedanken über eine Rückwirkung machen.
Im übrigen sind es nicht nur die Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz, die nicht anzurechnen sind, sondern wir haben dabei auch zu überprüfen, welche anderen staatlichen Leistungen gefälligst nicht angerechnet werden sollten, damit Ver- folgte, die spät und sehr spät zu materiellen Entschädigungsleistungen gekommen sind oder künftig noch kommen sollen, davon auch wirklich etwas haben. Wir sind uns dessen bewußt, daß man mit diesen materiellen Leistungen das, was ihnen widerfahren ist, nicht wiedergutmachen kann. All dies können nur bescheidene Beiträge sein.
Wenn wir in unserem Antrag fordern, daß dem Beirat, der beim Bundesminister der Finanzen zur Vergabe der Mittel aus § 8 der Richtlinien — sogenannter Härtefonds — gebildet ist, ein Vertreter dieser Volksgruppe angehören soll, dann korrigieren wir damit eigenes Fehlverhalten aus der Vergangenheit genauso, wie wir Sie bitten, nicht auf einem solchen falschen Standpunkt zu beharren. Denn wenn diese Personengruppe — das hat heute niemand bestritten und kann niemand bestreiten — in besonderer Weise fortwirkend über 1945 hinaus zu leiden hatte, dann müssen wir auch durch eine solche Beteiligung, durch eine solche Einbindung in die konkrete Praxis unseren Beitrag zu leisten versuchen. Meine herzliche Bitte: Verschließen Sie sich dem nicht!
Wir haben neben diesen Sozial- und Entschädigungsfragen auch im innenpolitischen Bereich Maßnahmen zu ergreifen — auf einige ist hier eingegangen worden —, und zwar bei den Nachrichten- und Informationssystemen der staatlichen Stellen. Wir müssen höllisch aufpassen, daß nicht synonyme Begriffe eingeführt werden, die wiederum nur zur Diskriminierung ethnischer Minderheiten und Volksgruppen mißbraucht werden können. Da sind durch die bisher erfolgten Beschlüsse von Innenministerkonferenz und Arbeitsgemeinschaft Kripo noch nicht alle Fallstricke ausgeräumt, meine Damen und Herren. Wir sollten uns hier keine falschen Hoffnungen machen.
Wenn es um Statusfragen geht, dann meine ich auch, wir sollten förmlich anerkennen, daß es hier in unserem Volk eine ethnische Minderheit gibt. Die Definition der Vereinten Nationen ist exakt auf diese Gruppierungen anzuwenden; denn es sind Gruppierungen mit eigener Kultur und eigener Sprache. Von daher ist die Anerkennung als ethnische Minderheit nicht nur gerechtfertigt, sondern
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Jaunichnach meiner Auffassung auch rechtlich durchaus begründet.
Meine Damen, meine Herren, es gibt darüber hinaus noch eine Vielzahl von Dingen — einige davon sind angesprochen worden —, z. B. die Einrichtung des Dokumentations- und Kulturzentrums. Wie Herr Dr. Vogel bereits gesagt hat, muß gewährleistet sein, daß all das, was an Schrecklichkeiten in sogenannten Zigeunerakten vorhanden war und vorhanden ist, sichergestellt wird, erstens für Forschungszwecke und zweitens, damit nicht erneut Mißbrauch damit getrieben werden kann.Meine Damen, meine Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir miteinander feststellen, daß wir hier spät, allzu spät ans Werk gehen, verbinde ich damit die Hoffnung und die Bitte, daß es uns gelingt, die noch offenen Fragen in relativ kurzer Zeit zu einem befriedigenden Ergebnis zu bringen, das dann auch den Ansprüchen gerecht wird, die in dieser Debatte quer durch alle Fraktionen erhoben worden sind. Es wäre fürchterlich, insbesondere für die Angehörigen dieser Volksgruppe, wenn den Reden, die wir hier heute gehalten haben, nicht in absehbarer Zeit die Taten folgen würden.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Götzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist zu begrüßen, daß sich der Deutsche Bundestag erneut mit der Lage der Sinti, Roma und verwandten Gruppen befaßt. Die heutige Aussprache kann Anstöße für ein neues Miteinander und für eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen geben. Ungeeignet ist sie mit Sicherheit als Exerzierfeld für parteipolitische Auseinandersetzungen. Solche Bestrebungen haben zu verstummen angesichts des Leides, das die nationalsozialistische Gewaltherrschaft auch über Sinti und Roma gebracht hat.
Die Bundesregierung ist schon frühzeitig zu der Auffassung gelangt, daß Sinti und Roma Opfer von rassisch begründeter Verfolgung und Mord wurden und daß die an ihnen begangenen Verbrechen als Völkermord anzusehen sind. Daß das den Sinti und Roma zugefügte Leid bisher nicht in vollem Umfang in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gelangt ist, beginnt sich spätestens zu ändern, seitdem der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma gebildet wurde. Die Bundesregierung fördert die Arbeit des Zentralrates, der freilich nicht alle Sinti und Roma vertritt, mit finanziellen Mitteln. Wir begrüßen die Bereitstellung von Mitteln zur Förderung der Selbsthilfe, Selbstdarstellung und Selbstorganisation der Sinti und Roma im Rahmen des Aufbaus einer Geschäftsstelle und sozialen Beratungsstellen des Zentralrates.
Ein wichtiger Beitrag zur finanziellen Wiedergutmachung des an Sinti und Roma begangenen Unrechts ist darüber hinaus mit dem Bundesentschädigungsgesetz geleistet worden, das für alle aus rassischen Gründen verfolgten Gruppen gilt. Die Wiedergutmachungsbehörden haben sich gemäß den Richtlinien des BEG dafür eingesetzt, daß die Sinti und Roma als Verfolgtengruppe im Rahmen der Praxis der Wiedergutmachung keine Benachteiligungen gegenüber anderen Verfolgtengruppen hinzunehmen hatten. Die Richtlinien vom 26. August 1981 für die Vergabe von Mitteln an Verfolgte nichtjüdischer Abstammung zur Abgeltung von Härten in Einzelfällen dienen diesem Zweck. Über die Ausführung dieser Richtlinien soll die Bundesregierung, so fordern wir auch in unserem Entschließungsantrag, einen Bericht vorlegen.
Wir begrüßen außerdem die vom Bundesrat vom 18. Oktober 1985 beschlossene Initiative des Landes Niedersachsen zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes mit dem Ziel der Gleichbehandlung der durch den Nationalsozialismus Verfolgten mit den Kriegsopfern.
Meine Damen und Herren, auch wenn es verständlich ist, daß für den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma Fragen der Wiedergutmachung für das erlittene Unrecht einen hohen Stellenwert einnehmen, so sollte die Debatte um die Situation dieser Gruppen doch nicht nur unter dem Aspekt der Verfolgung durch die Nationalsozialisten geführt werden. Die Probleme der Sinti, Roma und verwandter Gruppen sind älter und existieren nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern. Soweit diese auf vorurteilsgesteuerten Verhaltensweisen beruhen, ist es unser aller Aufgabe, an ihrer Bewältigung mitzuarbeiten. Freilich brauchen wir dazu auch die Mitwirkung der Sinti und Roma, die wir bei allem Verständnis bitten müssen, nicht von vornherein jede schwierige soziale Situation oder behördliche Maßnahme als Folge oder Fortsetzung von Verfolgungen im Nationalsozialismus zu betrachten.
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es keine Gesetze, die die Sinti, Roma und verwandte Gruppen als besonders ethnische Gruppe diskriminieren. In der Verwaltungspraxis unseres Staates gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung. Jeder Sinti oder Roma deutscher Staatsangehörigkeit ist Deutscher mit allen Rechten und Pflichten.
Für ausländische Sinti und Roma gelten die allgemeinen ausländerrechtlichen Regelungen. Soweit es sich um Heimat- und Staatenlose handelt, genießt dieser Personenkreis denselben rechtlichen Status wie sonstige in der Bundesrepublik lebende Ausländer.
Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, daß allgemein geltende Gesetze und sonstige Vorschriften bei ihrer Anwendung im Einzelfall nachteilige Auswirkungen auf Sinti und Roma mit traditioneller Lebensweise haben können. Es ist unsere Überzeugung, daß dieses Problem an Schärfe verlieren wird, wenn die Gesetze und Vorschriften im Einzelfall in Kenntnis der Traditionen der Sinti und Roma angewandt werden und die Integration der Sinti und Roma in das Sozial- und Bildungssystem unseres Landes unter Respektierung ihrer kulturellen und
Götzer
sozialen Besonderheiten weitere Fortschritte macht.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang insbesondere zum Polizeibereich feststellen: Die Innenminister des Bundes und der Länder haben in den vergangenen Jahren die Anregungen und Forderungen des Zentralrats deutscher Sinti und Roma aufgegriffen und alles unternommen, was möglich war, um bereits den Anschein einer Diskriminierung dieser Gruppen zu vermeiden. So ist der Begriff Landfahrer, der vielfach synonym für Zigeuner verwandt wurde, als Begriff im polizeilichen Informationssystem INPOL gestrichen worden und wird auch in der polizeilichen Kriminalstatistik nicht mehr gesondert ausgewiesen.
Ebenso gestrichen wurde das Zusatzkennzeichen ZN für Zigeunername im INPOL-System. Das Bundeskriminalamt verwendet den Begriff Landfahrer oder ähnliches auch nicht mehr im amtlichen Sprachgebrauch. Es ist sicherzustellen, daß auch in anderen und neuen Dateien keine Diskriminierung erfolgt.
Das Grundanliegen der Sinti und Roma, nicht anders behandelt zu werden als alle anderen Bürger, findet unsere volle Unterstützung.
Eine Verkürzung von Rechten, die jedermann zustehen, darf es für sie nicht geben und gibt es auch nicht. Freilich unterliegen auch Sinti und Roma wie wir alle den Verpflichtungen und Grenzen, die unsere Rechtsordnung setzt. Auch wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen sind, daß die Sinti und Roma in der Bundesrepublik Deutschland ihr Lében frei von Diskriminierung und Benachteiligungen gestalten können, so sind wir alle gleichwohl in dem Bemühen gefordert, durch Aufklärung zum Abbau von Vorurteilen beizutragen, die möglicherweise immer noch in unserer Gesellschaft gegenüber Sinti und Roma vorhanden sind.
Auch die Bundesregierung ist aufgefordert, weitere Maßnahmen zu ergreifen, die zu mehr Verständnis für die Sinti und Roma beitragen können. Eine grundlegende Verbesserung der Situation dieser Gruppen kann allerdings nur erreicht werden, wenn wirklich eine dauerhafte und von den Betroffenen selbst gewollte Integration gelingt, die für Sinti und Roma ein gleichberechtigtes Leben in der Gemeinschaft gewährleistet.
Wesentliche Voraussetzung hierfür ist die Verbesserung der Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten gerade auch für junge Sinti und Roma. Für sie sind berufliche und Ausbildungsförderungsmaßnahmen von besonderer Wichtigkeit. Bei diesen Ausbildungsmaßnahmen könnten und sollten im Rahmen von anerkannten Ausbildungsberufen mit Werkstättenmodellen berufliche Traditionen berücksichtigt bzw. traditionelle Berufe gefördert werden.
Meine Damen und Herren, Aufgeschlossenheit gegenüber berechtigten Belangen einerseits und andererseits Verständnis für das, was finanziell und gesetzlich möglich ist und was nicht — das sind die besten Garanten für einen fruchtbaren Dialog. Die heutige Aussprache leistet dazu einen wichtigen Beitrag.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schily.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute in dieser Form erstmals in der Geschichte des Deutschen Bundestages über das Schicksal der Roma und Sinti sprechen, verdanken wir das zuallererst der unermüdlichen Arbeit des Zentralrats der Roma und Sinti, dem wir großen Dank schulden.
Ich fände es deshalb gut, wenn sich die Liga für Menschenrechte dazu entschließen könnte, Herrn Romani Rose stellvertretend für den Zentralrat der Roma und Sinti mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis auszuzeichnen.
Romani Rose hat sich wahrlich um den Rechtsstaat, um die Menschenrechte verdient gemacht — im Gegensatz zu den leider zahlreichen fürchterlichen Volljuristen und bornierten Beamten auch in dieser Republik.
Von manchem wird unsinnigerweise behauptet, Roma und Sinti seien von Natur aus Analphabeten. Zu fragen wäre jedoch, ob nicht wenige in Gerichten und Amtsstuben ungeachtet akademischer und sonstiger Ausbildung Gerechtigkeit nicht einmal buchstabieren können und Analphabeten des Gewissens geblieben sind.
Herr Abgeordneter Schily, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Hürland?
Ich habe eine so kurze Redezeit, daß ich um Verständnis bitte, wenn ich keine Zwischenfragen zulassen kann.Es war in der Bundesrepublik möglich, daß der juristische Wegbereiter des Holocausts an Juden und Roma und Sinti Globke, der in seinem Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen zu der Erkenntnis gelangt war, daß — ich zitiere — „in Europa regelmäßig nur Juden und Zigeuner artfremden Blutes seien", zum Staatssekretär im Bundeskanzleramt berufen wurde.Es war möglich, daß der Euthanasiearzt Borm, der für die Ermordnung Tausender psychisch Kranker verantwortlich ist, vom Bundesgerichtshof freigesprochen wurde, weil er seinerzeit partout das Unrechtmäßige seines Handelns nicht einzusehen vermochte.
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SchilyEs war möglich, daß der Bundesgerichtshof den Henker der Widerstandskämpfer des 20. Juli, den sogenannten Chefrichter des SS- und Polizeigerichts München Thorbeck der u. a. Dietrich Bonhoeffer ermorden ließ, mit Urteil vom 25. Mai 1956 mit folgender Begründung freisprach — ich zitiere —:Einem Richter, der damals einen Widerstandskämpfer wegen seiner Tätigkeit in der Widerstandsbewegung abzuurteilen hatte und ihn in einem einwandfreien Verfahren für überführt erachtete, kann heute in strafrechtlicher Hinsicht kein Vorwurf gemacht werden, wenn er angesichts seiner Unterworfenheit unter die damaligen Gesetze nicht der Frage nachging, ob dem Widerstandskämpfer etwa der Rechtfertigungsgrund des übergesetzlichen Notstands unter dem Gesichtspunkt eines höheren, den Strafdrohungen des staatlichen Gesetzes vorausliegenden Widerstandsrechts zur Seite stehe ...Im selben Jahr 1956 verkündete ein anderer Senat des Bundesgerichtshofes ein Urteil, wonach die im April 1940 durchgeführte Umsiedlung von Zigeunern aus der Grenzzone und den angrenzenden Gebieten nach dem Generalgouvernement keine nationalsozialistische Gewaltmaßnahme aus Gründen der Rasse im Sinne des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes sei. In den Urteilsgründen hieß es u. a. — ich zitiere —:Da die Zigeuner sich im weiten Maße einer Seßhaftmachung und damit der Anpassung an die seßhafte Bevölkerung widersetzt haben, gelten sie als asozial. Sie neigen, wie die Erfahrung zeigt, zur Kriminalität, besonders zu Diebstählen und Betrügereien. Es fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe der Achtung vor fremdem Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist. Sie wurden deshalb allgemein von der Bevölkerung als Landplage empfunden. Das hat die Staatsgewalt, wie schon erwähnt, veranlaßt, gegen sie vorbeugende Sondermaßnahmen ... zu ergreifen ...
Dem Bundesgerichtshof fiel seinerzeit, wie sich aus den Urteilsgründen ergibt, auch auf, daß sich die staatlichen Maßnahmen — ich zitiere — „gegen die Zigeuner als solche richten und von der Individualität des Betroffenen und seinen sozialen und asozialen Eigenschaften mehr oder weniger absehen". Das hat nach Meinung des Bundesgerichtshofes — ich zitiere — „seinen auch rechtsstaatlich nicht zu beanstandenden Grund darin, daß schon das Volk der Zigeuner in seinen Stämmen und Sippen als solches und seine Lebensweise den wirklich kriminellen Volksangehörigen einen Rückhalt bietet und die Möglichkeit verschafft, sich der Strafverfolgung zu entziehen".
Ich stehe nicht an, meine Damen und Herren, dieses unheilvolle Urteil bundesrepublikanischer Oberrichter ein juristisches Verbrechen zu nennen, ebenso wie den Freispruch für den Euthanasiearzt Borm oder die Mörder in Richterrobe Thorbeck und Rehse.
Bei wem war in der Vergangenheit, meine Damen und Herren, ein „ungehemmter Okkupationstrieb" vorhanden? Vielleicht nicht doch eher bei jenen Hitlergenerälen, die heute fette Pensionen verzehren dürfen, oder bei jenem Herrn Gehlen, der einst im Gefolge Hitlers einen heftigen Okkupationstrieb in Richtung Osten entwickelt hat, was ihn später geeignet erscheinen ließ, ihm die Leitung des bundesdeutschen Geheimdienstes anzuvertrauen?
Es war möglich, meine Damen und Herren, Hunderttausende von sogenannten Richtern, Beamten und Militärs, die aus Überzeugung oder aus Feigheit die nazistischen Verbrechen unterstützt oder ausgeführt haben, wieder in den Staatsdienst aufzunehmen oder ihnen opulente Ruhestandsbezüge zuzuweisen. Es war möglich, daß ein Kriminalobermeister im Jahre 1962 in der Polizeizeitung „Kriminalistik" über die Ergebnisse seiner Arbeit wie folgt schrieb:Bei der zur Beobachtung zur Verfügung stehenden Personengruppe handelt es sich um Zigeunermischlinge mit Elternteilen deutschblutiger, jüdischer, aber auch kombinierter Zusammensetzung, letztlich also Mischvolk aus 3 Blutstämmen, bei denen — biologisch unterstellbar — ein Konzentrat negativer Erbmasse zu verzeichnen sein dürfte .Es war möglich, daß ein Kriminalinspektor über das Schicksal einer rassisch verfolgten Sinti zu Papier brachte — ich will es jetzt nicht im Wortlaut zitieren, aber in etwa so sagte er es —, es sei der Vorwurf zu erheben, daß sie sich einer Aufenthaltsverfügung des nazistischen Terroregimes nicht gefügt hat, weshalb sie sich strafbar gemacht habe, was wiederum zu dem Ergebnis führe, daß eine Verfolgung aus rassischen Gründen nicht vorlag. — Meine Damen und Herren, das ist eine katastrophale zynische Logik: Wer sich nicht freiwillig den nazistischen Aufenthaltsvorschriften unterwarf, um seine spätere Ermordung in den Gaskammern vorzubereiten, ist selber schuld, wenn er sofort ins KZ gebracht wurde. Wie soll ein deutscher Kriminalbeamter darin denn eine rassische Verfolgung erkennen?Es war und ist möglich, daß ein beim Landeskriminalamt in Bayern angestellter Kriminalinspektor, der früher beim Reichssicherheitshauptamt für die Zigeunerdeportationen zuständig war, später Gutachten in Wiedergutmachungsverfahren erstattete. Der Kollege Ströbele hat hier darauf aufmerksam gemacht.Es war und ist möglich, daß in einem vom Bundeskriminalamt Wiesbaden 1967 herausgegebenen Leitfaden für Kriminalbeamte, der sich noch heuteDeutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12819Schilyin Bibliotheken von Polizeischulen und Landeskriminalämtern befindet, folgendes zu lesen ist — ich zitiere —:Die Zigeuner leben in Sippen und Horden, haben einen Häuptling, dem sie bedingungslosen Gehorsam schulden, und eine Stammesmutter, die als Hüterin der Stammessitte gilt. Die Zigeuner haben weder einen festen Wohnsitz, noch gehen sie einer geregelten Berufstätigkeit nach. Der Hang zu einem ungebundenen Wanderleben und eine ausgeprägte Arbeitsscheu gehören zu den besonderen Merkmalen des Zigeuners.Es war und ist möglich, daß eine große Stadt den aus Bergen-Belsen zurückgekehrten Zigeunern ein Gelände nahe einer Mülldeponie als Wohnstätte zuwies und später die Forderung erhob, alle Zigeuner zu registrieren, ihnen die Unterstützung zu versagen und das Lager mit Stacheldraht zu umzäunen. Es war dieselbe Stadt, in der die jährlichen Zusammenkünfte der „Leibstandarte Adolf Hitler" abgehalten werden durften; diese zählte im Jahre 1982 den Bürgermeister zu ihren Ehrengästen und durfte 1983 in der Stadthalle der „Opfer des Besatzungsterrors und der Rachejustiz" gedenken.Es war und ist leider möglich, daß die früheren Financiers des nazistischen Mordregimes, die industriellen Zuhälter und Gehilfen Hitlers, ihr Vermögen, ihre Tantiemen und Dividenden über den Zusammenbruch des Dritten Reiches hinüberretten konnten. Viele von ihnen kamen nach 1945 in führende Stellungen in der Industrie, während Verfolgte des Naziterrors, die seinerzeit Zwangsarbeit leisten mußten, keine oder nur kärgliche Zahlungen erhielten.Meine Damen und Herren, es ist nicht möglich, angesichts dieses Versagens bundesdeutscher Regierungen, bundesdeutscher Behörden und bundesdeutscher Juristen nicht ohnmächtigen Zorn, Erbitterung und tiefe Scham zu empfinden. Das Mindeste, was wir deshalb erwarten, ist eine so unbürokratische und substantielle Ankerkennung der Rechte der Roma und Sinti, daß sie wenigstens einen gewissen Symbolwert erhält.Die Roma und Sinti sind unsere Nachbarn und Freunde. Sie müssen gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger unseres Staates sein. Wir können von ihrer Kultur, von ihrer Liebe zu Kindern und älteren Menschen außergewöhnlich viel lernen,
gerade in einer Zeit, in der der kalte Sachverstand die satanischsten Verbrechen verübt hat. Ich appelliere daher an Sie alle, die berechtigten Forderungen der Roma und Sinti ohne Wenn und Aber zu erfüllen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Segall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohl nunmehr nahezu 40 Jahre vergangen sind, seit die Naziherrschaft ihr Ende fand, müssen wir uns immer wieder mit diesem düsteren Teil deutscher Geschichte auseinandersetzen. Und das ist gut so.Das Unrecht, das auch den Sinti und Roma durch die NS-Diktatur widerfahren ist, der Versuch, diese Bevölkerungsgruppe als rassenbiologisch unwertes Leben zu vernichten, der organisierte Völkermord wirken in vielen Einzelschicksalen bis heute fort.Sicher ist es kaum möglich, seelische und körperliche Verletzungen der Überlebenden jemals zu heilen. Erforderlich ist aber, die Überlebenden und Angehörigen so zu stellen, daß materielle Schäden möglichst ausgeglichen werden und alles getan wird, um in Sinti und Roma gleichberechtigte Bürger zu sehen.Dementsprechend weist der Entschließungsantrag der CDU/CSU und der FDP darauf hin, daß mit dem Bundesentschädigungsgesetz, das für alle aus rassischen Gründen verfolgten Gruppen gilt, ein wichtiger Beitrag zur finanziellen Wiedergutmachung des an Sinti und Roma begangenen Unrechts geleistet worden ist.Entscheidend ist, daß die Sinti und Roma als verfolgte Gruppe im Rahmen der Praxis der Wiedergutmachung keine Benachteiligung gegenüber anderen verfolgten Gruppen hinzunehmen haben. Diesem Zweck dienen u. a. die Richtlinien vom 26. August 1981 für die Vergabe von Mitteln an Verfolgte nichtjüdischer Abstammung zur Abgeltung von Härten in Einzelfällen.Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der GRÜNEN bestätigt, kommen die Leistungen nach diesen Richtlinien zu einem erheblichen Teil den Sinti und Roma zugute. Sinn und Zweck dieser Richtlinien ist es, die Mittelvergabe auf solche Personen zu begrenzen, die aus formellen Gründen keine Wiedergutmachung erhalten haben bzw. erhalten können, weil sie außerstande sind, Antragsfristen einzuhalten oder Stichtags-und Wohnsitzvoraussetzungen des Bundesentschädigungsgesetzes zu erfüllen.Wir werden die Diskussion über diese Richtlinien sicherlich noch vertiefen müssen. Dem dient unsere Forderung unter Ziffer 10 des Entschließungsantrags der Koalitionsfraktionen, worin die Bundesregierung aufgefordert wird, einen Bericht über die Ausführung der Richtlinien vom 26. August 1981 vorzulegen, insbesondere zum WiedergutmachungsDispositions-Fond, über Anzahl und Art der Fälle und den Umfang der Leistungen an einzelne Personenkreise. Ich halte es für sinnvoll, erst nach Vorlage dieses Berichts über weitergehende Maßnahmen, wie sie etwa DIE GRÜNEN in ihrem Antrag zur Regelung einer angemessenen Versorgung für alle Opfer nationalsozialistischer Verfolgung fordern, zu diskutieren. Dies wird uns dann auch im Ausschuß beschäftigen. Wir werden in dieser Angelegenheit also am Ball bleiben:Die FDP unterstützt die Initiative des Landes Niedersachsen, die darauf abzielt, daß die nach dem Bundesentschädigungsgesetz gezahlten Renten auf
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12820 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Frau Dr. SegallLeistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz —§ 90 — in Zukunft nicht voll angerechnet werden. Ich gebe zu, daß man diesen Gedanken schon früher hätte verfolgen können. Die Finanznot mancher Kommunen hat den Blick jedoch oft auf das Nächstliegende gerichtet. Um so erfreulicher ist es, daß der jüngste Vorstoß hierzu von Länderseite kommt.Obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen sind, damit die Sinti und Roma in der Bundesrepublik Deutschland ihr Leben frei von Diskriminierung im Sinn des Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes gestalten können, verkennen wir nicht, daß es nach wie vor bei vielen Vorurteile und Verständnislosigkeit gegenüber diesen Mitbürgern gibt.Daher fordert der Entschließungsantrag dazu auf, weitere Maßnahmen zu ergreifen, die dazu beitragen können, das Verständnis für die Sinti und Roma zu verbessern, weitere Informationen über ihre historische Entwicklung zu gewinnen und ihnen ein gleichberechtigtes Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Wir haben dazu einen ganzen Katalog von Einzelmaßnahmen exemplarisch aufgezählt: Streichung des Ausweisungstatbestands; keine Diskriminierung in Dateien durch Zusätze oder besondere Bezeichnungen; Unterstützung und Förderung der Erforschung des Schicksals der Sinti und Roma während der NS-Diktatur; Verbesserung der Lebenssituation von Sinti und Roma in bezug auf die Ausbildung, Berufsberatung und Berufsausbildung und Gesundheits- und Sozialfürsorge; Unterstützung der Errichtung eines Kultur- und Dokumentationszentrums in Zusammenarbeit von Bundesregierung und Ländern; umfassende Information der Bevölkerung über Herkunft und Lebensweise der Sinti und Roma; Förderung der Selbsthilfe, Selbstdarstellung und Selbstorganisation der Sinti und Roma durch organisatorische Unterstützung im Rahmen des Aufbaus einer Geschäftsstelle und sozialen Beratungsstelle des Zentralrats deutscher Sinti und Roma.Noch vor der Bundesregierung sind besonders die Länder, aber auch die Städte und Gemeinden gefordert. Sie sind mit den Problemen der Sinti und Roma am unmittelbarsten konfrontiert und könnten Diskriminierung und Vorurteile durch sinnvolle Beratung und verständnisvolle Gemeindeverwaltungen am besten abbauen.
Es bedarf eines Aufeinanderzugehens aller Beteiligten. Oft wird beklagt, daß sich Sinti und Roma abkapselten. Möglicherweise ist dies eine Ursache für Mißverständnisse. Zu beklagen ist auch, daß mitunter fehlende Neugier auf die Lebensweise von Sinti und Roma auf der anderen Seite zu Pauschalurteilen und Ablehnung führt. Dabei sind auch sie unsere Mitbürger, nur leben sie halt etwas anders; Toleranz ist also gefragt.Weiter können die Kommunen viel tun, gegenseitige Berührungsängste abzubauen. Integration, ohne jemandem seine Eigenart zu nehmen, erfordert Verständnis, die Bereitschaft, zuzuhören, und auch das ehrliche Bemühen, zu helfen. In diesemSinne sind viele Angehörige von Gemeindeverwaltungen für ihre Aktivitäten zu loben; auch dies sollte Anerkennung finden.Gestatten Sie mir abschließend die Bemerkung, das pauschale Schuldzuweisungen — wie so oft — auch hier nicht weiterhelfen. Das, worüber wir hier reden, ist nämlich keine administrative Angelegenheit und schon gar keine, die man grundsätzlich mit neuen Paragraphen regeln kann. Auch insofern geht der Antrag der GRÜNEN fehl. Er zeigt ein Verständnis von Politik mit Minderheitenschutz,
das sich weitgehend am Verwaltungshandeln orientiert. Wenn wir ein gedeihliches Zusammenleben aller wollen, benötigen wir dazu eben auch die Mitwirkung aller. Das gilt für Sinti und Roma, aber nicht nur für sie.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Zu den Zusatz-Tagesordnungspunkten 3 und 4 wird interfraktionell vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 10/4127 und 10/4128 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu aus dem Hause noch weitere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Wir kommen nun noch zum Entschließungsantrag der Abgeordneten Ströbele, Frau Dann, Mann und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4129.
Es ist beantragt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 10/4129 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Finanzausschuß und den Haushaltsausschuß zu überweisen. Bestehen noch zusätzliche Wünsche? — Das ist nicht der Fall. Dann ist auch dieser Überweisungsvorschlag so beschlossen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Aussprache zum 40. Gründungstag der Vereinten Nationen
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Geiger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Vereinten Nationen sind 40 Jahre alt geworden, und auch der Deutsche Bundestag reiht sich heute in die Schar derer ein, die dazu gratulieren wollen. Das Aufgebot an Gratulanten und Festgästen war beachtlich.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12821
Frau Geiger95 Präsidenten, Könige, Premierminister, Außenminister, Botschafter und Generäle haben der UNO zu Ehren mehr als 1,3 Millionen Worte gesprochen.Inzwischen sind die Feiern überstanden, in New York ist wieder der Alltag eingekehrt. Jetzt ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen und die Konsequenzen aus den vielen guten Ratschlägen und Mahnungen der Festredner zu überdenken.Aber schauen wir erst zurück in die Zeit vor 40 Jahren. Wie ist es zur Gründung der Vereinten Nationen gekommen? Im Mai 1945 wurde in Europa der Zweite Weltkrieg beendet. Dieser grausame Krieg brachte Millionen von Menschen den Tod. Eine brutale und schrankenlose Machtanwendung bedeutete für die Völker Europas unendliches Leid. Millionen wurden Opfer des Krieges, des Völkermordes und der Vertreibung.Diese Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges veranlaßten die betroffenen Staaten, einen internationalen Sicherheitsmechanismus einzurichten, der eine Wiederholung einer solchen Katastrophe ein für allemal verhindern sollte. Der Völkerbund hatte vor dem Zweiten Weltkrieg die hohen Erwartungen, die in ihn gesetzt wurden, nicht erfüllen können. Er kam mit einem schweren Geburtsfehler zur Welt: Die stärkste Macht, die Vereinigten Staaten, traten ihm nicht bei. Auch Deutschland und die Sowjetunion gehörten ihm nur zeitweise an.Bei der Gründung der Vereinten Nationen 1945 war man entschlossen, die Fehler des Völkerbundes unter allen Umständen zu vermeiden. Die Aufrechterhaltung des Weltfriedens wurde daher nicht der Generalversammlung übertragen, sondern einem kleineren Gremium, dem Sicherheitsrat. Oberstes Ziel der UN-Charta war und ist nach Art. 1 die Erhaltung und gegebenenfalls die Wiederherstellung des Weltfriedens.Hat die UNO in den letzten 40 Jahren dieser Herausforderung gerecht werden können? Die Vereinten Nationen können in den vier Jahrzehnten ihrer Geschichte tatsächlich beachtliche Leistungen vorweisen. Das internationale Recht wurde wesentlich fortentwickelt; Flüchtlinge in aller Welt leben von den Hilfsgütern der Organisation, Krankheiten konnten ausgemerzt werden, Kindern wurde ein besseres Leben ermöglicht, und wichtige Kulturgüter der Menschheit wurden vor dem Untergang bewahrt.Die Vereinten Nationen haben also unbestreitbar ihre Meriten, schon allein deshalb, weil das Gespräch auch zwischen Gegnern unter dem gemeinsamen Dach der UNO auch dann noch möglich war, wenn die offiziellen Beziehungen längst aufgekündigt waren.Leider ist es nicht möglich, am Geburtstag der Vereinten Nationen ein reines Loblied anzustimmen; denn wenn einem an dieser Organisation liegt, wenn man gerne sähe, daß sie einflußreicher, daß sie wirkungsvoller wäre, dann muß man auch von den Schwachstellen sprechen. Niemand kann die Augen vor der Tatsache verschließen, daß es zahlreiche Enttäuschungen gegeben hat. Zwar wurde der Menschheit das schlimmste Übel, ein weitererWeltkrieg, erspart, aber das kann diejenigen nicht trösten, die unter den mehr als 140 begrenzten Konflikten litten und noch leiden, deren Angehörige getötet oder verstümmelt wurden oder die ihre Heimat verlassen mußten.Es ist eine traurige Tatsache, daß die Vereinten Nationen auf dem Gebiet, das sie als ihre erste und wichtigste Aufgabe ansahen, auf dem Gebiet der Friedenssicherung, am wirkungslosesten blieben. Selbst wiederholte, von großen Mehrheiten getragene Appelle der UN-Vollversammlung gegen Gewaltanwendung und Unterdrückung verhallten immer wieder wirkungslos, wie das Beispiel Afghanistan zeigt.Es ist auch eine traurige Tatsache, daß sehr viele der heutigen Mitglieder mit echter Demokratie wenig im Sinn haben. Die erdrückende Mehrzahl der Mitgliedstaaten wird nicht nach demokratischen Grundsätzen regiert und hätte eigentlich allen Anlaß, vor der eigenen Tür zu kehren. Das hindert diese Staaten aber nicht, über Israel, Südafrika, Chile und andere weniger beliebte Kinder der Völkerfamilie selbstgefällig zu Gericht zu sitzen. Diese doppelte Moral in der Menschenrechtsfrage trägt ganz gewiß nicht zur Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen bei.Die Amerikaner haben bei der Gründung wahrscheinlich die höchsten Erwartungen in die Vereinten Nationen gesetzt, als sie anfangs freiwillig 40% der finanziellen Bürde übernahmen. Verständlich, daß sie nun von den relativ mageren Ergebnissen am meisten enttäuscht sind. Die Finanzleistungen der Bundesrepublik haben sich in den ersten zehn Jahren ihrer Zugehörigkeit als Vollmitglied verdoppelt. Mit 8,54 % des Gesamtbudgets stehen wir nach der Sowjetunion mit 10,54% und nach Japan mit 10,32 % bereits an vierter Stelle der größten Beitragszahler.Ich verhehle in diesem Zusammenhang nicht, daß sich mancher im westlichen Lager angesichts des Abstimmungsverhaltens in der UNO schon gefragt hat, ob es sinnvoll ist, daß der Westen den Knüppel, mit dem er oft genug geprügelt wird, auch noch selber finanziert.Die Unsummen, die die UN-Verwaltung schluckt, sind ein weiteres Ärgernis. Viele Tausende oft nicht einmal koordinierte Programme und Projekte werden in Gang gesetzt, die dann wieder von einem Heer von 50 000 Mitarbeitern verwaltet werden. Allein 16 000 von ihnen sind im Sekretariat der UN in New York beschäftigt. Drei Viertel des Haushalts werden für hohe Besoldungen und geradezu fürstliche Pensionen ausgelegt. Eine genaue Kontrolle über die Verwendung von Geldern hat der Steuerzahler nicht.Ein guter Kenner der Vereinten Nationen, UNO-Kontrollinspekteur Maurice Bertrand, hat anläßlich des 40jährigen Bestehens der Vereinten Nationen einen Bericht vorgelegt, der uns mit seiner umfassenden Kritik an den bestehenden Verhältnissen alarmieren muß. Er weist u. a. darauf hin, daß wirtschaftliche Hilfsleistungen in ein und demselben Land manchmal durch 15 verschiedene UNO-Stel-12822 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985Frau Geigerlen angeboten würden und daß ein einziger Experte der Organisation bis zu 100 000 Dollar im Jahr koste. Das umfangreiche Papiermaterial, das tagtäglich produziert werde, sei seiner Meinung nach von bedenklich schlechter Qualität. Die berufliche Qualifikation der Beamten und Experten entspreche den Erfordernissen nicht, was schon die „lächerlich niedrigen" Verkaufsauflagen der im Handel angebotenen UNO-Berichte zeigten.
- Das mag sein, Frau Dr. Timm.Maurice Bertrand verwirft das UNO-System nicht in Bausch und Bogen. Er möchte Mängel und Illusionen aufzeigen und damit einen Denkprozeß auslösen, der in eine Strukturreform der UNO überleiten könnte. Seiner Meinung nach genügten administrative Retuschen und neue Koordinierungsausschüsse diesmal allerdings nicht; ein Neuüberdenken der Ziele und Aktionsmöglichkeiten sei vielmehr dringend notwendig.Diese Mahnungen sollte die Organisation ernst nehmen, wenn sie nicht Gefahr laufen will, mehr und mehr von ihrem Ansehen und von ihrer Wirksamkeit zu verlieren.Am 40. Geburtstag der Vereinten Nationen müssen wir uns sagen, daß die UNO die großen Herausforderungen nur zum Teil bewältigt hat. Trotzdem möchte kein Mitgliedstaat die Vereinten Nationen missen, denn sie dienen als Forum in der Welt, auf dem jeder seine Ansichten verkünden und für sie werben kann und auf dem wirkliche oder auch angebliche Mißstände nach Herzenslust angeprangert werden können. Viele UN-Mitglieder haben keine diplomatischen Beziehungen miteinander. Die UNO bietet die Möglichkeit, auch in ganz schwierigen Zeiten noch Kontakt zu halten. Darüber hinaus haben viele der Sonderorganisationen der UNO in den vergangenen 40 Jahren Großes geleistet.Neben der wichtigsten Aufgabe, der Friedenssicherung, gibt es für die Vereinten Nationen noch viel zu tun. Ich nenne z. B. die Bekämpfung des Rauschgifthandels und des internationalen Terrorismus, den Kampf gegen alte Seuchen und neue Krankheiten, die Bekämpfung des Hungers in der Welt und die Durchsetzung der Menschenrechte in allen Mitgliedstaaten. Auch der grenzübergreifende Umweltschutz muß eine größere Bedeutung erlangen.Dies alles kann nur gelingen, wenn sich die Vereinten Nationen auf die Worte eines ihrer Gründerväter, Winston Churchills, besinnen, der in seiner Rede in Fulton 1946 sagte:Wir müssen die Gewähr dafür bieten, daß dieArbeit der Vereinten Nationen Früchte trägt,— daß sie Wirklichkeit werden und nicht leerer Schein bleiben,— daß sie zu einer handelnden Kraft werden und nicht lediglich Schaumschlägerei mit Worten betreiben,— daß sie zu einem echten Tempel des Friedens werden, in dem eines Tages die Waffenschilde vieler Nationen hängen, und nicht lediglich zu einer Hahnenkampfarena im Turmbau zu Babel.Danke schön.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Timm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schade, ich hatte mehr Widerhall bei den Kolleginnen und Kollegen erhofft.
Aber vielleicht gelingt es noch.Die SPD-Fraktion begrüßt diese Aussprache im Deutschen Bundestag aus Anlaß des Inkrafttretens der Charta der Vereinten Nationen vor 40 Jahren.Mit der Ansprache von Bundestagspräsident Jenninger am 24. Oktober, dem eigentlichen Tag des Inkrafttretens, und dieser Debatte heute hat der Deutsche Bundestag die Anregung der IPU, unserer Interparlamentarischen Union, aufgenommen. Damit haben wir einen Anlaß dafür, daß der Bundestag endlich einmal wieder zu Problemen der Vereinten Nationen Stellung nimmt, denen es j a wirklich an Aktualität nicht mangelt. Es ist höchste Zeit, daß wir uns strittigen Fragen der Vereinten Nationen stellen und auch die UN-Politik der Bundesregierung prüfend begleiten.Wann haben wir das eigentlich gemacht? Erstmals 1973, als es damals um die Beitrittsfrage ging, die überhaupt erst spruchreif werden konnte, nachdem die sozialliberale Bundesregierung mit ihrer neuen Ostpolitik die Ostverträge und den Grundlagenvertrag mit der DDR abgeschlossen hatte. Es ging damals um die Aufnahme der beiden deutschen Staaten und damit um die endgültige Absage an die Hallstein-Doktrin. Dementsprechend strittig war damals die Debatte. Sie stand auch wesentlich unter dem Aspekt der Deutschlandpolitik und weniger unter dem des Sinns und Nutzens der Vereinten Nationen als Organisation internationaler Politik.In Aktuellen Stunden hatten wir dann kürzlich Auseinandersetzungen, als es um die Tätigkeit des Hohen Flüchtlingskommissars in der Bundesrepublik oder um die Zeichnung der UN-Seerechtskonvention ging.Diese wenigen Beispiele zeigen, daß, wenn es um nationale Belange geht, recht unterschiedliche Auffassungen auch unter uns zutage treten können. Um so wichtiger ist es, daß sich in Zukunft der Bundestag solcher Fragen annimmt, zumal die großen Probleme und Aufgaben, die uns alle bedrängen, weder national noch bilateral wirklich zu bewältigen sind. Die Interdependenz, die gegenseitige Abhängigkeit, wird immer spürbarer.Von Anfang an war die Grundstruktur der Vereinten Nationen den machtpolitischen Verhältnissen angepaßt. In der Vollversammlung hat zwar je-
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Frau Dr. Timmdes Mitgliedsland eine Stimme, aber im Sicherheitsrat, dem eigentlichen Instrument der Friedenssicherung, haben sich die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, USA, UdSSR, Vereinigtes Königreich, Frankreich und China, das Vetorecht vorbehalten. Aus den Verbündeten im Kampf gegen Nazi-Deutschland und Japan sind dann sehr schnell die neuen großen Gegenpole der Supermächte mit ihren Blocksystemen geworden.Trotzdem meine ich, hat das System der Vereinten Nationen geholfen, in den vergangenen vier Jahrzehnten einen dritten Weltkrieg, ein Aufeinanderprallen der Supermächte, zu verhindern.
Gegen die vielen schlimmen regionalen und lokalen kriegerischen Auseinandersetzungen dieser Welt außerhalb Europas zeigte es sich dagegen oft machtlos. Der Ost-West-Konflikt hat sowohl machtpolitisch als auch ideologisch das UN-Geschehen beeinflußt, ja teilweise auch blockiert.Dagegen wurde der Prozeß der Entkolonialisierung beschleunigt und gefördert. Mit der Aufnahme der vielen jungen, neuen Staaten als Mitglieder hat sich die Integrationskraft und -funktion der Vereinten Nationen im Rahmen der Völkergemeinschaft bewährt. Die Vereinten Nationen sind für sie das einzige Forum, in dem sie gleichberechtigt ihre Stimme erheben und ihre Forderungen geltend machen können.Durch diesen Prozeß ist in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend der Nord-Süd-Konflikt, sind die sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen Auseinandersetzungen zwischen Arm und Reich als zusätzliches Spannungsfeld intensiviert worden. Die Vereinten Nationen und alle ihre Sonderorganisationen sind Hauptaustragungsorte dieses dramatischen Konflikts.Die Vereinten Nationen sind damit das offene Forum weltpolitischer Auseinandersetzungen. Diese Transparenz macht Weltpolitik berechenbarer. Dieser Tatsache können sich offenbar selbst die Großmächte nicht mehr ganz verschließen. Die USA und die UdSSR haben gleichsam, wie mir scheint, als Rechtfertigung vor der Weltöffentlichkeit jetzt im Oktober die Vereinten Nationen benutzt, ihre Vorstellungen für Verhandlungen in Genf — außerhalb der Vereinten Nationen — zu bekräftigen, nämlich einen Rüstungswettlauf im All zu verhindern und auf Erden zu beenden, die Nuklearwaffen zu begrenzen und zu verringern sowie die strategische Stabilität zu festigen.In der Tat: Das ist es, was die Weltöffentlichkeit, was die Völkergemeinschaft von ihnen erwartet. Die Großmächte müssen endlich ihrer Verantwortung gerecht werden. Sie haben die Macht. Sie haben die Waffenarsenale. Sie sind im Besitz der wirtschaftlichen Ressourcen und der Nuklearwaffen, die bisher im Gleichgewicht des Schreckens als Instrument der Friedenssicherung benutzt wurden, aber inzwischen zunehmend tiefen Zweifel in Sinn und Beherrschbarkeit hervorrufen, ja, immer mehr als Bedrohung erkannt und in ihrer neuen Qualität gesehen werden, daß sie nämlich die Möglichkeit in sich bergen, das Leben auf der Erde auszulöschen. Die Verantwortung der Großmächte für die Friedenssicherung ist vorrangig, übergroß und unmittelbar, gerade auch deshalb, weil das Konzept der Vereinten Nationen, zur Friedenssicherung von vornherein darin bestanden hat, daß eben auch die Ursachen kriegerischer Konflikte, die in sozialen, wirtschaftlichen, in kulturellen und geistigen Beziehungen liegen, erkannt und gelöst werden müssen.Dafür zeugen die zahlreichen Sonderorganisationen wie Weltgesundheitsorganisation, ILO, Welternährungsorganisation sowie Hochkommissar für Flüchtlinge, UNICEF. Dazu gehört auch die UNESCO, aus der sich jetzt eine der Großmächte schmollend zurückgezogen hat. Die UNESCO-Präambel besagt: Kriege entstehen in den Köpfen der Menschen, „in the minds of men". Ich sehe in diesem Rückzug ein Alarmzeichen, besonders deshalb, weil dieses Beispiel Schule zu machen beginnt, auch in konservativen Kreisen hier bei uns. Wenn in diesem Zusammenhang mit Verschwendung von Geld argumentiert wird, Frau Kollegin Geiger, und mit ideologischer Verfremdung der Organisation, gleichzeitig aber die wirtschaftlichen und finanziellen Mittel für immer mehr und immer kostspieligere und immer sinnlosere Rüstung aufgebracht werden, weil das Mißtrauen, weil die ideologische Feindschaft, weil das Hochschrauben des jeweiligen Sicherheitsbedürfnisses nicht abgebaut werden, dann schließt sich hier der Teufelskreis.
Ich fürchte, wir durchbrechen ihn nicht, wenn die Verantwortung vornehmlich den kleineren Ländern aufgebürdet wird, weil sie über Mehrheitsbeschlüsse in der Vollversammlung der UN die angeblich nationalen Interessen der Großmächte konterkarieren können. Ich kann dem Herrn Außenminister daher nicht ganz folgen, wenn er in seiner Rede jetzt vor den Vereinten Nationen meint, aus dem gleichen Stimmrecht für alle, das er — wie auch ich — für richtig hält, erwachse eine große Verantwortung der kleineren Länder. Er sagte:Wer sich dieser Verantwortung nicht stellt, der stärkt die Tendenz zum Rückzug in bilaterale Verhandlungsprozesse, er schwächt die Vereinten Nationen und schwächt damit das Forum, in dem die eigenen Vorstellungen wirksam zum Ausdruck gebracht werden sollen. Die Arbeit der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen darf nicht ideologisiert werden.Ich sehe in dieser Argumentationskette eine Umkehrung von Ursache und Wirkung und in dieser Mentalität auch den eigentlichen Kern, wenn von Krise die Rede ist. Von den kleineren Ländern wird die große Verantwortung erwartet. Sie, die gegen Hungertod, Unterernährung, für bloße Überlebenschancen kämpfen, sie sollen lernen, dieses einzige Weltforum, das sie haben, verantwortungsvoll zu benutzen, damit sich die reichen nicht allzu bedrängt fühlen. Spricht aus solcher Mentalität Ironie, Sarkasmus oder einfach Anerkennung politischer Realitäten?
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12824 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Frau Dr. TimmEs ist sicherlich notwendig, das UN-System nach nunmehr vier Jahrzehnten stürmischer weltpolitischer Veränderungen zu überprüfen, zu modernisieren, auch zu reformieren. Auch Herr Außenminister Genscher sprach am 21. Oktober in New York vor der Generalversammlung von selbstgemachten Problemen, unter denen die Organisation leide. Wir alle kennten ihre Schwächen. Sie sei reformbedürftig. Aber wie sollen solche Reformen aussehen?Gerade unter diesem Aspekt bin ich der Meinung, daß die Vereinten Nationen und ihre Zukunft nicht länger nahezu allein der Regierung und ihren Beamten überlassen bleiben dürfen. Ich glaube, diese wären damit auf Dauer auch überfordert. Es gibt unter Fachleuten manche inhaltlichen Reformvorschläge. Ich meine, der Bundestag sollte sich mit ihnen beschäftigen, sie politisch aufgreifen.Wir sind hier politisch gefordert, weil wir uns auch intensiver mit den Vorstellungen und Forderungen der Bundesregierung befassen sollten. Weiß sich eigentlich die Bundesregierung ganz in Übereinstimmung mit dem Parlament, wenn sie z. B. wie jetzt bei der Generalversammlung die Ächtung der Todesstrafe vorschlägt oder wenn sie die Einsetzung eines Hohen Kommissars für Menschenrechte und einen Internationalen Menschenrechtsgerichtshof bei den Vereinten Nationen fordert? Darüber müssen wir hier doch reden.Ich glaube, wir haben uns auch deshalb so wenig damit beschäftigt, weil wir bisher noch keine Form gefunden haben, wie der Bundestag es tun könnte. Ich schlage vor, daß wir den Auswärtigen Ausschuß und unsere IPU-Delegation beauftragen, uns recht bald konkrete Vorschläge zu machen, wie wir uns in Zukunft kontinuierlicher mit UN-Problemen beschäftigen können. In diese Richtung zielt wohl auch der Gedanke von Frau Kollegin Hamm-Brücher, den sie bei der Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen kürzlich vortrug, eventuell einen Unterausschuß des Auswärtigen Ausschusses einzusetzen. Ich bin mir selber noch nicht ganz klar, welche Form wir hier wählen sollten. Aber wir sollten wirklich darangehen, in Zukunft den Bundestag für UN-Politik mehr einzusetzen.Herr Präsident, ich meine, der Deutsche Bundestag hat darüber hinaus eine ganz besondere Verpflichtung. Als am 26. April 1945 die Konferenz von San Franzisko eröffnet wurde, war in Europa immer noch Krieg, waren es noch knapp zwei Wochen bis zur deutschen Kapitulation am 8. Mai. Und als am 26. Juni 1945 51 Staaten die Charta der Vereinten Nationen unterzeichneten, waren die Atombomben über Hiroshima und Nagasaki noch nicht abgeworfen. Das Ende nationalsozialistischer Terrorherrschaft, die Gründung einer die Hoffnung der Menschen verkörpernden Weltorganisation und der Beginn des Atomzeitalters mit seiner Schreckensvision einer globalen Katastrophe drängten sich in einen kurzen, nur wenige Wochen umfassenden Zeitraum zusammen.Die historischen Tatsachen gebieten, daß gerade uns Deutschen stets bewußt bleibt, wie eng die Vereinten Nationen mit der dunkelsten Zeit unsererGeschichte verbunden sind. Ihre Wurzeln liegen in den Schlachtfeldern des von Deutschen verursachten Zweiten Weltkrieges, in den Ruinen zahlloser europäischer Städte, im Tod und Leiden von Millionen und aber Millionen Menschen.Die Vereinten Nationen sind mit unserer jüngsten Geschichte verflochten, als Organisation der Siegermächte über die Achsenstaaten, aber gleichzeitig als diejenige Organisation, durch die wir wieder gleichberechtigte Aufnahme in die Völkergemeinschaft gefunden haben. Bereits 1950/51 war es die UNESCO, die als erste Sonderorganisation im UN-System der jungen Bundesrepublik ihre Tore öffnete. Ich meine: So wenig wie wir die Nazi-Zeit aus unserer Geschichte streichen können, so wenig können und dürfen wir uns unserer besonderen moralisch-politischen Verantwortung für das Bestehen, das Funktionieren und die Weiterentwicklung der Vereinten Nationen entziehen.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben trotz vieler Rückschläge und mancher Kritik Grund, an diesem 40. Geburtstag das Interesse der Weltöffentlichkeit in positivem Sinn auf die Arbeit der Vereinten Nationen zu lenken, die im Jahre 1945 in San Franzisko mit dem sehr ehrgeizigen Ziel gegründet wurde, eine bessere Welt zu schaffen.Die leidvollen Erfahrungen zweier Weltkriege waren sicher ein entscheidender Anlaß für die Gründung dieser Organisation.Die Vereinten Nationen haben sich in den 40 Jahren seit ihrer Gründung als ein bedeutendes Forum für alle Völker der Welt erwiesen, das zur Bewahrung des Friedens, für Verhinderung gewaltsamer Auseinandersetzungen und zum Ausgleich wirtschaftlicher und sozialer Interessen entscheidend beigetragen hat.Vor zwölf Jahren, am 18. September 1973, wurden die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik als Vollmitglieder in die Vereinten Nationen aufgenommen. Für die Bundesrepublik bedeutete dies die letzte Stufe der offiziellen Anerkennung ihrer schon seit den 50er Jahren bestehenden aktiven Mitarbeit in den zahlreichen UN-Sonderorganisationen, auf die sie viel Mühe und beachtliche Mittel verwandt hatte.Die beiden neuen Mitgliedstaaten waren sich von vornherein einig gewesen, keine innerdeutschen Streitigkeiten, keine querelles allemandes, vor der Weltöffentlichkeit auszutragen. Diese Haltung hat sich bewährt. Die Mitarbeit beider deutscher Staaten in der Weltorganisation wurde von deutschdeutschen Belastungen freigehalten. Ich meine, die beiderseitige Zusammenarbeit in dieser Organisation hat sogar für die beiden deutschen Staaten ein Stück Annäherung gebracht.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12825
Schäfer
Alle Bundesregierungen haben die Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen — Gewaltverbot, Friedenswahrung und Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Völkern — zur Richtschnur ihrer Politik gemacht. Hierin kam und kommt die von den Deutschen empfundene besondere Verantwortung für die Erhaltung und die Sicherung des Friedens zum Ausdruck.Wir sehen unsere Aufgabe in den Vereinten Nationen darin, diese Grundforderungen für eine konstruktive, weltweite Zusammenarbeit in praktische Politik umzusetzen. Die Bundesrepublik betreibt daher in den Vereinten Nationen insbesondere eine Politik der aktiven Friedenssicherung und wendet sich gegen den Versuch jeglicher Vorherrschaft und Majorisierung, aber auch gegen jegliche Interventionspolitik. Wir befürworten eine gleichberechtigte Partnerschaft der Mitgliedstaaten und einen gerechten Interessenausgleich zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern.Nach unserer Auffassung erfüllen die Vereinten Nationen eine ganz wesentliche Funktion im Rahmen der weltweiten Bemühungen zur Friedenssicherung. Sie ergänzen durch ihre Institutionen und Verfahren zur Konfliktregelung die Sicherheitsstrukturen, die auf dem Gleichgewicht der Großmächte beruhen, und leisten einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der internationalen Beziehungen.Sicher konnte die Weltorganisation die weitgespannten Erwartungen nicht erfüllen, die ihre Gründer in sie gesetzt hatten und die sich vor allem an das System kollektiver Sicherheit unter Verantwortung des Sicherheitsrates knüpften. Gleichwohl konnten die Vereinten Nationen — wir sollten das heute nicht vergessen — in einem begrenzten Rahmen zur Beilegung, Eindämmung oder zumindest Entschärfung von zahlreichen internationalen Streitigkeiten und regionalen und weltweiten Krisen oder offenen Konflikten beitragen.Leider hat dieses friedenserhaltende Instrumentarium der Vereinten Nationen in Krisen, die nicht oder jedenfalls nicht unmittelbar die Gefahren einer direkten Konfrontation zwischen den beiden Großmächten und den von ihnen angeführten militärischen Allianzen in sich bargen, weniger zufriedenstellend und erfolgreich funktioniert. Das zeigen die vielen kriegerischen Auseinandersetzungen, die in den letzten Jahrzehnten in vielen Teilen der Welt stattfanden.Der Vorwurf, die Vereinten Nationen trügen mehr zur Verhärtung als zur Entspannung von Krisen bei, entzündet sich deshalb vor allem an der Frustration mancher Staaten über die Majorisierung der Generalversammlung durch die Dritte Welt sowie über die häufig sehr emotionalen und nicht endenwollenden Debatten in der Generalversammlung, mit der Dispute vor der Weltöffentlichkeit ausgetragen werden. Gerade in großen politischen Konflikten der letzten Jahre — ich erinnere hier an Afghanistan und Kambodscha — hat sich jedoch gezeigt, daß es jedenfalls keine automatischen Mehrheiten der Dritten Welt gegen den Westen gibt, wie gelegentlich unterstellt wird.Ich verstehe diesen Vorwurf auch nicht ganz. Die Interessen der Staaten der Dritten Welt, meine Damen und Herren, decken sich eben häufig nicht mehr mit den Interessen der Industrienationen.
Welches andere Forum bietet sich ihnen als die UN, wenn sie ihren Selbstbehauptungswillen, ihren verletzten Stolz, ihren oft verzweifelten Mut zur Selbstbehauptung zum Ausdruck bringen wollen? Es wäre töricht, zu glauben, diese wirtschaftlich oft hoffnungslos unterlegenen, politisch um ihre Existenz ringenden Länder zu Wohlverhalten auf der einen oder anderen Seite zwingen zu wollen. Je mehr es dem Westen dagegen gelingt, sich durch partnerschaftliche Zusammenarbeit und Unterstützung der echten Blockfreiheit das Vertrauen der Länder der Dritten Welt zu erwerben, desto weniger werden wir Anlaß haben, eine angeblich automatische Mehrheit gegen unsere Interessen zu beklagen.
Meine Damen und Herren, ein besonders wichtiges Arbeitsgebiet der Vereinten Nationen sind die Förderung und der Schutz der Menschenrechte. Botschafter von Wechmar hat in einer Rede 1979 vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen gesagt: Es ist gut, sich daran zu erinnern, daß sich die Mehrheit der Staaten nach dem Ersten Weltkrieg noch weigerte, auch nur die Idee der Menschenrechte in der Satzung des Völkerbundes zu verankern. Heute sind Selbstbestimmung und Menschenrechte beherrschendes Thema der Weltpolitik. Heute hängt das Ansehen eines Staates auch davon ab, wie er mit den Menschenrechten umgeht.Die Bundesrepublik Deutschland ist selbstverständlich schon lange Mitglied der UNO-Menschenrechtskommission und spielt allein und im Rahmen der Gemeinschaft der europäischen Länder eine wesentliche Rolle in diesem Gremium.Meine Damen und Herren, ich glaube, daß uns allen bewußt ist, wie furchtbar überall in der Welt immer noch die Menschenrechte verletzt werden. Entsprechend dem hohen Wert, den wir, die FDP, im Rahmen unserer Außenpolitik der weltweiten Verteidigung der Menschenrechte beimessen, sehen wir darin auch einen Schwerpunkt unserer Tätigkeit in den Vereinten Nationen. Wir haben daher die von den Bundesregierungen in den Vereinten Nationen ergriffenen Initiativen wie z. B. das Internationale Übereinkommen gegen Geiselnahme, oder die Initiativen zur Vermeidung neuer Flüchtlingsströme und zur Abschaffung der Todesstrafe nach Kräften unterstützt.Minister Genscher hat sich in der Feier aus Anlaß des 40. Jahrestages in New York für wirksame und objektive Einrichtungen in den Vereinten Nationen zur Durchsetzung der Menschenrechte ausgesprochen. Sein Vorschlag der Schaffung eines Menschenrechtsbeauftragten und eines UN-Menschenrechtsgerichtshofs ist sehr bemerkenswert,
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und wir hoffen, daß es gelingt, diesen Vorschlag auch in die Praxis umzusetzen.
Die Bundesrepublik hat sich in den letzten Jahren vor allem im Verbund der Europäischen Gemeinschaft im Rahmen der Vereinten Nationen zu einem wichtigen Gesprächspartner für die Dritte Welt entwickelt. Aus diesem Grunde ist nach liberaler Auffassung wesentlich, daß wir den Nord-Süd-Dialog auch im Rahmen der Vereinten Nationen fortsetzen, gerade in einer Zeit, in der weltwirtschaftliche Spannungen anhalten. Die Industriestaaten leiden weiterhin unter Wachstumsschwächen, Arbeitslosigkeit, Inflation und hohen Haushaltsdefiziten. In den Entwicklungsländern wächst das Pro-Kopf-Einkommen nicht mehr und geht teilweise zurück. Der Schuldendienst verschlingt die kärglichen Exporterlöse. Dabei müssen wir uns vor Augen halten: Während es im Norden um Wohlstandseinbußen geht, handelt es sich im Süden um das Überleben von Hunderten von Millionen Menschen. Wir Liberale wissen, daß es ohne Entwicklung keine stabile Weltwirtschaft und keinen dauerhaften Frieden gibt. Deshalb ist die mit der NordSüd-Politik angestrebte Lösung der internationalen sozialen Frage ein Beitrag zu unserer eigenen Sicherheit und zur Sicherheit unserer Zukunft.Sosehr wir alle bedauern, daß die Vereinten Nationen nur einen relativ schwachen Einfluß haben, wenn es darum geht, die ganz großen Probleme unserer Zeit zu überwinden oder schwierige internationale oder regionale Krisen zu lösen, weil sie in Wahrheit abhängig sind vom Willen der Groß- und Supermächte, weil sie über keine ausreichenden finanziellen Mittel verfügen oder gar über militärische Macht, weil sich in ihnen immer noch ideologische, politische und wirtschaftliche Gegensätze unserer Zeit spiegeln, die nicht durch Mehrheitsbeschlüsse lösbar sind, so ist andererseits die ganz wichtige Rolle der Vereinten Nationen als ein Forum für die Begegnung aller Staaten, als eine Stätte des Dialogs, als eine Quelle vieler Anstöße und Anregungen wenigstens zur Lösung der großen Menschheitsfragen nicht hoch genug einzuschätzen. Wir alle wollen, daß diese Weltorganisation trotz mancher Probleme erhalten bleibt und vielleicht eines Tages wirklich den Einfluß nehmen kann, den sich ihre Gründer von ihr erhofft haben.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tatge.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die UNO wurde in einer Zeit konzipiert, als die alte Welt in den Fugen krachte. Damit konnte ihr auch von vornherein keine ruhige Entwicklung bestimmt sein.
Gemessen an ihrem Hauptauftrag, der Friedenssicherung, steht die UNO heute leider als Versager da. Die politischen Konfliktherde in Südafrika, Kambodscha, am Persischen Golf, in Afghanistan oder in Chile hat sie weder vermeiden noch entschärfen können. Leider ist die UNO auch im Bereich der Menschenrechtsfragen über den Stand von Appellen nicht hinausgekommen. Sicher ist generell die diplomatische Arbeit der UNO hinter den Kulissen zum Teil positiv hervorzuheben. Eine große Gefahr besteht aber darin, daß die Großmächte der Welt die UNO entweder als Propagandainstrumentarium oder zur Durchsetzung ihrer eigenen nationalegoistischen Interessen mißbrauchen.
Gerade in der letzten Zeit haben die USA massiv politisch interveniert. So wurde von seiten der USA zeitweise die Mitarbeit in der ILO versagt. Die USA haben ebenso versucht, die UNESCO zu boykottieren, indem sie dort ihre Mitarbeit versagt und auch die Mittel abgezogen haben.
Wichtig an der UNO sind aus unserer Sicht eben gerade die vielen Unterabteilungen, die oft wichtige Aufklärungsarbeit leisten, die oft wichtige wissenschaftliche Arbeit leisten und die heute schon — das finde ich positiv — eigentlich als nahezu selbstverständlich hingenommen werden. Organisationen wie die UNESCO, UNICEF, ILO oder die WHO geben oftmals wichtige weltweite Anregungen, Anregungen auch für dieses Parlament im Hinblick auf umweltpolitische und friedenspolitische Diskussionen. Das ist für uns etwas, das wir positiv beurteilen.
Jedoch ist hier auch der Platz, jeder Wahnidee eines supranationalen Staates eine Absage zu erteilen,
nach der ein weltweiter Staat gegründet werden soll, was j a ursprünglich durchaus Grundlage der Völkerbund- und auch der späteren UNO-Gründung war. Wir meinen, es ist gut, daß solche Ideen — Gott sei Dank — beerdigt sind und daß mit einer solchen Gefahr nicht mehr gedroht wird.
Wir begrüßen auch, daß die UNO zu einem Forum der Länder der sogenannten Dritten Welt geworden ist. Durch das Einbringen ihrer politischen Vorstellungen, durch das Darlegen der Situation in den sogenannten Dritte-Welt-Ländern wurde es möglich, daß die Lage in diesen Ländern nicht mehr wie bisher von den übrigen Staaten der Welt ignoriert werden konnte. Die Auseinandersetzungen in der UNO haben auch deutlich gemacht, daß die Armut und der Hunger in der sogenannten Dritten Welt sehr viel damit zu tun haben, wie wir hier leben, wie wir hier produzieren und wie wir hier auch konsumieren.
Abschließend möchte ich auf Grund auch der aktuellen Ereignisse, die wir in den letzten Monaten im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um die UNESCO und andere Organisationen mitbekommen haben, noch vor der egoistischen Dominanz der westlichen Industrienationen wie aber auch der Supermächte warnen, die sich auch in der Wahrnehmung ihrer Interessen, ihrer industriepoli-
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tischen Interessen, in GATT und IWF zeigt, die ja zum Teil mit der UNO in Kontakt stehen, wobei ursprünglich geplant war, daß alle Länder mitarbeiten können. Solange der IWF oder auch das GATT eine solche Politik betreiben, wie sie das im Augenblick tun, ist nicht zu erwarten, daß es dazu dient, eine längerfristige, wirklich friedliche Weltordnung zu erreichen, und es ist nicht damit zu rechnen, daß ein wirklicher Interessenausgleich zwischen den Industrienationen und den armen, den sogenannten Dritte-Welt-Ländern stattfindet. Hier muß eine Änderung der Politik ansetzen, und diese Änderung kann nur durch die Länder herbeigeführt werden, die in der westlichen Welt das Sagen haben, die hier Industrienationen sind.
Danke schön.
Ich erteile dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute über 40 Jahre Vereinte Nationen Bilanz ziehen, können wir feststellen: Sie sind unverzichtbar, aber sie haben viele Erwartungen nicht erfüllt. Sie sind auf jeden Fall reformbedürftig. Sie haben einen großen Beitrag zur Entwicklung des Völkerrechts geleistet. Die Vereinten Nationen haben wesentlich dazu beigetragen, daß das Kolonialzeitalter beendet werden konnte. Für viele Völker, die über Jahrhunderte unter kolonialer Vorherrschaft gestanden haben, wurde die Aufnahme in die Vereinten Nationen das Symbol für neugewonnene Unabhängigkeit.Die Vereinten Nationen sind das Zentrum universaler Zusammenarbeit bei der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungspolitik. Sie haben in ihren Sonderorganisationen umfassende Regelungen für die internationale Zusammenarbeit entwickelt, auf den Gebieten des Handels, der Währungen, des Verkehrs. Die Vereinten Nationen sind aber auch das zentrale Forum der weltweiten Diskussion über große Fragen der Abrüstung und Sicherheit geworden. Sie haben unmittelbar am Zustandekommen wichtiger multilateraler Rüstungskontrollvereinbarungen teilgenommen.Aber das alles ändert nichts an den Schwächen des Systems. Die Vereinten Nationen sind ihrer zentralen Aufgabe, der Friedenssicherung, den Erwartungen nicht gerecht geworden. Aber, meine Damen und Herren, muß dieser Vorwurf die Vereinten Nationen treffen, oder sind sie nicht vielmehr ein Spiegelbild der nach wie vor durch schwerwiegende Gegensätze gekennzeichneten Weltlage?Das in der UNO-Satzung verankerte System der kollektiven Sicherheit beruht auf der konventionellen Ordnungsvorstellung, nach ' der einige Großmächte den universalen Frieden sichern sollten. Diese Entwicklung und diese Erwartung haben sich in der politischen Wirklichkeit der West-Ost-Auseinandersetzungen nicht erfüllen lassen. Die Hilfe der Vereinten Nationen für die von Hunger und Not betroffenen Menschen könnte wirkungsvoller sein.Vor allen Dingen brauchen wir Strukturreformen im Wirtschaftbereich. Der Nord-Süd-Dialog könnte wesentlich effizienter werden, wenn es gelingen würde, die vielfältigen Aktivitäten der Vereinten Nationen besser zu koordinieren und zu straffen. Wir müssen auch feststellen, daß die Sonderorganisationen der UNO. immer wieder für politische Zwecke genutzt und damit an ihrer sachlichen Arbeit gehindert werden,
während die politischen Diskussionen in die Plenarsitzung der Vereinten Nationen gehören.
Wir bemühen uns um Reformen, die sachfremde Politisierung von Sonderorganisationen zu überwinden.Die Bundesrepublik Deutschland, die an der Gründung der UNO nicht beteiligt war, arbeitet seit ihrem Bestehen für die Erfüllung des Weltfriedensauftrages der Vereinten Nationen.
Das tun wir mit unserer weltweiten Friedenspolitik. Unser Konzept der Vorbeugung von Konflikten manifestiert sich in unseren Bemühungen um eine Stärkung und einen Ausbau der verfügbaren Instrumente der Friedenssicherung der Vereinten Nationen. Wir setzen uns nachhaltig für eine Stärkung der präventiven Funktion des Sicherheitsrates und des Generalsekretärs der Vereinten Nationen ein. Der Generalsekretär hat dazu in den vergangenen Jahren eine Reihe von konkreten Vorschlägen vorgelegt, die wir unterstützen.Wir selbst haben der Generalversammlung Vorschläge zur Vorbeugung von internationalen Konflikten unterbreitet. Sie zielen auf ein frühzeitiges eingreifen von Sicherheitsrat und Generalsekretär in Krisenfällen ab. Wir brauchen auch ein effektives Frühwarnsystem für Konflikte. Der Sicherheitsrat sollte in stärkerem Maße als Verhandlungsforum auch für die Streitparteien drohender Konflikte genutzt werden. Informelle Verhandlungen in der Entstehungsphase von Konflikten können zu größerer Transparenz der Absichten von Konfliktparteien und zum Abbau von Unsicherheit beitragen. Dazu sollten auch die Möglichkeiten stiller Diplomatie des Generalsekretärs in stärkerem Maße genutzt werden;
er sollte zunehmend als objektive dritte Kraft agieren. Dem Ziel der Vorbeugung von Konflikten dient auch unsere Flüchtlingsinitiative.Die Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Staatengemeinschaft und die Vertragspolitik mit unseren östlichen Nachbarn haben die Grundlage für unseren Beitritt zu den Vereinten
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Bundesminister GenscherNationen geschaffen, so daß wir nunmehr direkt und unmittelbar an den weltweiten Friedens- und Entwicklungsaufgaben mitarbeiten können. Dabei ist es unser Ziel, daß der West-Ost-Gegensatz nicht auf die Dritte Welt übertragen wird, weil wir wissen, daß wirkliche Blockfreiheit der Staaten der Dritten Welt ein unverzichtbarer Beitrag zum Weltfrieden und zur Verwirklichung der Ziele der Vereinten Nationen ist.Bei den Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle dürfen wir das globale Ausmaß dieser Probleme nicht aus den Augen verlieren. Deshalb treten wir z. B. im Bereich der Achtung der chemischen Waffen für eine weltweite Ächtung dieser Waffen ein, weil wir keinen Sinn darin sehen können, gerade die Regionen vom Verbot auszuklammern, in denen heute Menschen Opfer dieser grausamen Waffen werden.
In Europa wie in den Vereinten Nationen müssen Maßnahmen zum Abbau des Mißtrauens gefördert werden. Das tun wir in Stockholm, das tun wir bei dem KSZE-Nachfolgetreffen in Wien. Wir haben auch in den Vereinten Nationen Initiativen zu vertrauensbildenden Maßnahmen und zur Vorbeugung internationaler Konflikte ,ergriffen. Wir arbeiten aktiv im Gewaltverzichtsausschuß der Vereinten Nationen mit, und wir unterstützen die von den Vereinten Nationen eingesetzten Friedenstruppen.In der Welt, in der wir leben, könnte ein dauerhafter Frieden nicht entstehen, wenn sie auf Dauer in reiche und arme Nationen gespalten bliebe. Deshalb muß die Überwindung von Hunger und Armut eine der hervorragenden Zielsetzungen der Vereinten Nationen sein. In der Tat sind in vielen Krisenregionen soziale Spannungen und wirtschaftliche Probleme die eigentliche Ursache der Krisensituation.Im Mittelpunkt der diesjährigen Generalversammlung stehen zwei Themen, die das Nord-SüdVerhältnis betreffen, die Verschuldenskrise und die Lage in Afrika. Die Verschuldenskrise tickt als Zeitbombe in der Weltwirtschaft. Sie gefährdet Wachstum und soziale Stabilität der Entwicklungsländer wie übrigens ebenso die Stabilität des Bankensystems der Industrieländer. In Lateinamerika gefährdet die wachsende Schuldenlast den hoffnungsvollen Prozeß der Demokratisierung. Hier sind wir alle aufgerufen, nach Wegen zu einer Lösung zu suchen.Zur Linderung der Hungersnot in Afrika hat gerade die Bundesrepublik Deutschland mit Nahrung, Transport und Medikamenten einen wesentlichen Beitrag geleistet. Unzähligen Bürgern unseres Landes gebührt unser Dank für ihre großzügige Hilfe und Spende für die Hilfsaktionen für die bedrohten Gebiete Afrikas.
Meine Damen und Herren, ein zentrales Thema unserer UNO-Politik ist die Sicherung der Menschenrechte. Wir setzen uns für die Achtung der Menschenrechte ein — ohne Blindheit auf dem einen oder dem anderen Auge. Wir fordern das Selbstbestimmungsrecht für alle Völker,
auch für das deutsche Volk.
Wir haben in den Vereinten Nationen eine Konvention gegen die Todesstrafe vorgeschlagen. Wir wissen, wie schwierig dieses Thema ist, weil es in dieser Frage unterschiedliche Vorstellungen — auch religiöse Vorstellungen — gibt. Trotzdem hat diese Initiative das Ziel, langfristig ein völkerrechtliches Instrument zu schaffen, das zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe beiträgt. Was wir brauchen, ist eine unabhängige Institution, eine international beauftragte Persönlichkeit, die sich der Rechte der einzelnen annehmen kann. Deshalb fordert die Bundesregierung die Einsetzung eines Hochkommissars für Menschenrechte,
und wir fordern nach den jüngsten Erfahrungen im Europarat die Schaffung eines internationalen Menschenrechtsgerichtshofs bei den Vereinten Nationen.
Wir dürfen nicht müde werden, die Wirkungsweise der Vereinten Nationen zu verbessern und ihre Mängel abzubauen. Wir dürfen keine Anstrengungen scheuen, aktiv in den Gremien mitzuarbeiten, auf die sich die Hoffnung der Völker richtet. Das ist das Gebot unserer weltweiten Friedensverantwortung, deren wir uns gerade an diesem 40. Jahrestag des Bestehens der Vereinten Nationen besonders bewußt sein müssen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Huber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seien wir ehrlich: Das 40jährige Jubiläum der UNO reißt niemanden auf der Welt zu Begeisterungsstürmen hin.Die Rooseveltsche Vision von der Sicherung des Friedens durch die Großmächte, für die er in Jalta um Bundesgenossen warb, hat nicht zur Beendigung von Kriegsangst geführt und schon gar nicht zur Abrüstung und Einsparung von Finanzen zugunsten einer besseren Versorgung in einer glücklicheren Welt.
Im Gegenteil. 40 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs starrt Europa diesseits und jenseits der Elbe von Waffen. Dahin ist der Glaube an den
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Frau Huberatomaren Schirm, der uns mit seiner Schrecklichkeit alle schützt. Immer neue Varianten atomarer Waffen haben neue denkbare Konfliktmöglichkeiten, neue Risiko- und Erfolgsberechnungen ausgelöst, und das neue Weltraumprogramm SDI, als reines Abwehrsystem gedacht, hat nach unserer Meinung schon jetzt mehr neue Unsicherheit gebracht als den Frieden gesichert.
Und wenn, was zu hoffen ist, Amerika und die Sowjetunion sich jetzt in Genf einander nähern, so ist auch dies kein Ergebnis von UNO-Politik, aber immerhin erfreulich für die UNO, weil der Ost-West-Konflikt ihre Debatten immer überlagert hat.Auch lokale Kriege sind in den letzten 40 Jahren nicht eingedämmt worden. Es waren insgesamt über 140, die an vielen Stellen der Welt aufgeflakkert sind, und einige dauerten etliche Jahre, so der irakisch-iranische Konflikt, der j a immer noch schwelt. Lokale Kriege, das klingt so unwichtig. Aber auch sie haben einige Millionen Tote unter den Menschen gefordert, die das Unglück haben, in diesen Regionen zu leben.Was gibt es da eigentlich zu feiern?Die UNO konnte nichts tun in Ungarn, nichts in der Tschechoslowakei, nichts in Afghanistan und nichts in Kambodscha. Sie hat keinen Einfluß auf die amerikanische Mittelamerika-Politik, keine Lösung für Nahost und auch nicht für das brodelnde Südafrika. Und sie hat kein Rezept gegen den internationalen Terrorismus.
Wie viele Resolutionen haben nichts gebracht! Wie oft hat das Veto-Recht im Sicherheitsrat uns die Ohnmacht der UNO vorgeführt! Und immer noch ist die Gefahr nicht gebannt, auch nicht durch die UNO, daß lokale Konflikte sich zu Weltkriegen erweitern.Das Ärgerliche ist nur: Wir haben keine andere Weltorganisation. Es wäre zwecklos, diese aufzugeben, um eine neue, ganz ähnliche zu gründen.Die UNO ist keine Firma, die für den Markt produzieren kann, der die Ware Frieden gern hätte, ohne dafür richtig zu zahlen.Die UNO ist keine Weltmacht, die mit ihren Truppen, ihren Waffen drohen kann.Die UNO ist keine Weltregierung. Sie hat keine Souveränität, außer in dem Haus, in dem sie wohnt und das Barbara Ward das „Weltdorf" genannt hat.Aber wie gut oder wie schlecht die UNO ist, hängt nicht von der Zahl ihrer Mitarbeiter ab, die auch nichts dafür können, daß die Mittelfrage hier beklagt werden müßte. Die Qualität der UNO hängt allein davon ab, welchen Grad von Friedensfähigkeit die Völker erlangt haben, die in der UNO versammelt sind.
Schon 1945 spiegelte die Charta der Vereinten Nationen nur den Willen der Großmächte zu einemZusammenspiel wider, bei dem sie sich selbst jede Rückzugsmöglichkeit durch das Vetorecht offenließen. Die Enttäuschung war deshalb vorprogrammiert. Sie wurde nur durch die unerwartete Enttäuschung ergänzt, daß ihr eigener Einfluß, der Einfluß der Großmächte, so schnell dahinschwand. Die Großmächte als Friedensgaranten zu sehen, wie Roosevelt es noch getan hatte, war höchstens noch regional und höchstens noch von denen akzeptiert, die immer noch auf die Abschreckung bauen. Die zum Teil aus geringfügigem Anlaß praktizierte Anwendung des Vetorechts trug der ganzen UNO bisweilen das Odium des Niedergangs und den Vorwurf der Morallosigkeit ein.Statt dessen erwies sich jedoch die Blockfreiheit der Staaten als ein immer wichtigerer Beitrag zur Sicherung des Friedens und zur Sicherstellung des Funktionierens der UNO. Denn anders als es den Gründern vorschwebte, sind Konfliktbeherrschung, Vertrauensbildung, Rüstungskontrolle keineswegs bloß Sache der Großmächte, auch wenn diese unverändert wichtig bleiben. Da die meisten kleineren Völker aber mit größerer Sorge auf die Bedrohung reagieren, ist das Friedensengagement der kleineren und mittleren Staaten glaubwürdiger, auch wenn die Fülle der Probleme, die die vielen kleinen Länder mit in die UNO gebracht haben, inzwischen zu mehr Arbeit und auch zu mehr Sorgen geführt hat. Wenn die UNO je eine umfassend funktionierende Clearing-Stelle wird, meine Damen und Herren, so nicht wegen ihrer Truppenzahl, sondern weil Moral und Vernunft über Aggression und Kriegsangst gesiegt haben.
Diese Hoffnung darf man nicht aufgeben, darf man gerade im Atomzeitalter nie aufgeben. Deshalb ist es gut, daß die kleineren Staaten in der UNO mit dafür gesorgt haben, daß sie den Weg des Völkerbundes nicht gehen mußte. Daß sie dabei versucht haben, das Nord-Süd-Verhältnis über die Weltorganisation zu ihren Gunsten zu beeinflussen, ist ihnen sicherlich nicht zu verübeln.Im 40. Jahr des Bestehens wird der UNO nun in mancher Feierstunde Kritik und auch Hoffnung mitgegeben. Kritik ist berechtigt, und sei es nur, daß sie deutlich macht, wie sehr die Völker in Wirklichkeit ihre eigenen Unzulänglichkeiten beklagen, ihr altmodisches Verständnis von Souveränität sowie ihre zum Teil extensive Auslegung der Ausnahmeklausel des Gewaltverzichts.
Aber die Hoffnung ist wichtiger. Bei aller Unzufriedenheit darüber, wie polemisch und unklug Debatten in New York — ich habe das selbst miterlebt — über Ost und West und über das Nord-SüdVerhältnis oft sind, in denen vieles breitgetreten, statt aufgearbeitet wird, bei aller Enttäuschung: Wir dürfen nicht schimpfen, wir müssen arbeiten. Wer soll denn die Fragen einer umfassenden Abrüstung und Friedenssicherung bewältigen? Wer die Kampagne gegen den Hunger auf der Welt siegreich beenden? Wer wird den Umweltschutz grenzüberschreitend und multilateral koordinieren? Wer die
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12830 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Frau Huberin weiten Teilen der Welt noch unterdrückten Menschenrechte wirklich schützen und die Abschaffung der Todesstrafe letztlich durchsetzen? Wo soll notwendiges internationales Recht sonst entstehen?Die Welt ist durch die technische Entwicklung noch enger zusammengerückt, als dies vor 40 Jahren absehbar war. Es gibt kein Land, das Sicherheit und Wohlstand auf Dauer ohne seine Nachbarn sichern kann. Und Nachbarn, liebe Kollegen, sind wir nun alle.
Offene Märkte, Lösungen der gefährlich gewordenen Schuldenproblematik sind für die Entwicklungs- wie für die Industrieländer gleich wichtig.Deshalb wären internationale Mechanismen angebracht, mit denen es gelingt, in Zukunft mehrheitlich nicht nur unliebsame Zwischenfälle von gestern zu beklagen und zu rügen und eingetretene Schäden zu reparieren, sondern sie auch zu verhindern. Das ist ein weiter Weg, der auch substantielle Veränderungen erfordert, z. B. im Sicherheitsrat, damit aus dem zahnlosen Tiger ein verläßlicher Schiedsrichter wird. Auch hier ist den kleinen und mittleren Staaten dafür zu danken, daß sie sich seit 1970 um die Reform der UNO mehr gekümmert haben als die Großmächte.Aber es ist nun nicht so, daß man am 40. Jahrestag der UNO, den wir hier heute spät und zu ungünstiger Stunde begehen, gar nichts Gutes vermelden könnte. Die UNO war in Korea erfolgreich. Ihre Blauhelme standen in vielen Spannungsgebieten der Welt, manchmal jahrelang, und auch dann, wenn große Staaten vergaßen, ihre Beiträge dafür zu bezahlen. Die UNO hat in ihren Unterorganisationen gegen den Hunger auf der Welt gewirkt und dazu beigetragen, daß in Asien, Afrika und Lateinamerika die Kindersterblichkeit um die Hälfte zurückging, daß die Ausbildung und Erziehung dort vorwärtsgebracht wurde, wo sich sonst niemand um die Chancen der Kinder gekümmert hat. Mit dem Geld, das ein Bomber kostet, konnte die WHO in zehn Jahren die Pocken ausrotten und über 400 Millionen Menschen retten.Auch als Notar betätigt sich die UNO, wenn man an den Konflikt England/China über Hongkong denkt, der nun beigelegt ist. Die UNO hat auf ihrer 3. Seerechtskonferenz ein Drittel der Erde, nämlich die Wirtschaftszonen an den Küsten, neu verteilt. Sie regelt die Durchfahrts- und Überflugrechte an über hundert Meerengen und Wasserstraßen und hat auch auf dem Gebiet der friedlichen Weltraumnutzung Beachtliches geleistet.Die UNO betreibt unter anderem lebenswichtige Schiffahrts- und Wetterorganisationen, sie liefert Weltkarten, Weltdaten, vereinbart Namen, sie kümmert sich um die Drogenszene und führt Kulturgüter in ihre Heimatländer zurück.In vielem sind die Vereinten Nationen über das hinausgegangen, was die Charta eigentlich hergab. Sie haben sich so auf eine Weise nützlich gemacht, von der weniger Aufhebens gemacht worden ist als von den zirka 200 Vetos im Sicherheitsrat.So hat die Vision von der geeinten Welt doch Blüten getrieben, auch wenn der Garten Eden noch weit ist und wahrscheinlich niemals ganz erreicht werden wird.Jeder Realist weiß, daß es bei solcher Zusammenarbeit auch zu Ärgernissen kommt. Aber wir glauben, daß es besser ist, solche Ärgernisse, solche Schwierigkeiten aufzuarbeiten, als z. B. aus der UNESCO auszutreten.
Die Bundesrepublik Deutschland, die erst 1973 Mitglied wurde, sich aber schon 1949 dem Völkerrecht und damit den Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen unterwarf, setzt sich für eine Stärkung der UNO ein. Unsere geschichtlichen Erfahrungen und unsere gegenwärtige Lage geben uns einen ganz besonderen Grund, für den Frieden, für eine für alle wichtige Kooperation zur Eröffnung von Chancen und Vermeidung von Schäden sowie für Menschenrechte zu arbeiten.Wir, die Bundesrepublik Deutschland, deren Parlament heute nach mehr als einem Jahrzehnt wieder einmal grundsätzlich über die UNO debattiert, wollen auf alle Fälle immer zu den Völkern gehören, die sich durch Schwierigkeiten, durch Negatives nicht abschrecken, sondern eher anspornen lassen. Regierung und Parlament müssen sich daher fragen lassen, ob sie in den vergangenen Jahren genug getan haben. Dies sollte uns in der Tat konkreter und öfter beschäftigen.Die UNO zeigt wie ein Spiegel die Welt, wie sie ist. Aber deshalb müssen wir nicht resignieren. Das Bild kann sich ändern, wenn der Glaube an die Unabdingbarkeit friedlicher Problemlösungen den Völkern unterschiedlichster Kulturen und Traditionen das beschert, was doch alle gemeinsam wollen: Frieden ohne latente Bedrohung, Freiheit unabhängig von militärischer Macht und Größe, wirtschaftliche Chancen durch multilaterale Kooperation, soziale Sicherheit als Grundlage für Angstlosigkeit und Menschenwürde und kulturelle Entfaltung durch gegenseitige Befruchtung.Vor 40 Jahren hätte es vielleicht noch übertrieben geklungen, zu sagen, daß die Durchsetzung dieses Glaubens unsere einzige gemeinsame Zukunftschance ist. Aber heute wissen wir ganz sicher, daß wir uns morgen alle vernichten können. Seien wir wenigstens zuversichtlich, daß wir uns trotzdem auch retten können.Deshalb: Gäbe es die UNO nicht, so müßte man sie gründen. Schöneres kann man ihr zum Geburtstag nicht sagen. Aber ich wünsche doch, daß zum 50. Jahrestag weniger Kritik und mehr frohe Botschaften uns erreichen mögen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Fischer.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hoffen wir, Frau Huber, daß wir alle den 50. Geburtstag der UNO auch noch selber mitfeiern können.Als die Charta der Vereinten Nationen am 24. Oktober 1945 in Kraft trat, gehörten der UNO 51 Nationen an; seitdem hat sich die Zahl der Mitglieder mehr als verdreifacht, nämlich auf 159 Mitgliedstaaten. Bis auf wenige Staaten ist die Universalität fast erreicht.Die Mitglieder verpflichten sich in der Charta, ihre zwischenstaatlichen Streitigkeiten auf friedlichem Wege, d. h. auf solche Weise zu schlichten, daß internationaler Friede und internationale Sicherheit und Gerechtigkeit nicht gefährdet werden.
Das ist — gemessen an der Realität — in weiten Teilen nicht erreicht worden.Die UNO ist zu einem bedeutenden Forum geworden, zu dessen Aufgabenbereich außer der Friedenssicherung und dem Schutz der Menschenrechte auch ein weiteres Aufgabenfeld gehört, nämlich die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Industriestaaten und den Entwicklungsländern. Der 40. Jahrestag der Gründung der Vereinten Nationen bietet Gelegenheit zu Rückblick und Bilanz.Man fragt sich: Wie sind die Vereinten Nationen den Herausforderungen — insbesondere jenen der Entwicklungspolitik — gerecht geworden? Realität ist, daß die United Nations für die Entwicklungsländer ein Forum internationaler Art bieten, wo sie auf ihre Probleme gegenüber der ersten und zweiten Welt aufmerksam machen können. Alle Entwicklungsländer hätten die Möglichkeit, ihre Anliegen solidarisch vorzubringen, und sie könnten versuchen, die Gewissen der Menschen in den Industriestaaten wachzurütteln.Das Jubiläum bietet Anlaß, in die Zukunft zu schauen und zu prüfen, ob die bisher gemachten Erfahrungen eine Orientierungshilfe sein könnten und ob sich die Anstrengungen der UNO gelohnt haben oder ob es Chancen gibt, daß sich die UNO glaubhaft, glaubwürdig darstellen kann.Die Vereinten Nationen eröffnen auch ein Forum, um nachzuweisen, daß innerhalb der Entwicklungspolitik der Länder die Anstrengungen, die der Ostblock in der Entwicklungshilfe unternimmt, nur verbaler und nicht tatsächlicher Art sind, denn, meine Damen und Herren, es stimmt noch immer, daß die Ostblock-Staaten weniger Entwicklungshilfe leisten als die Bundesrepublik Deutschland allein.
Darüber hinaus wird die geringe Entwicklungshilfe des Ostblocks nur an die kommunistischen Staaten wie Nord-Korea, Vietnam oder Kuba und dann vornehmlich als Militärhilfe geleistet. Das heißt: Wir sollten immer wieder darauf hinweisen, daß die Ankündigung von Hilfe und die tatsächliche Gewährung von Hilfe in den UN noch sehr weit auseinanderliegen.Mit dem Entwicklungsprogramm setzt sich die Organisation der Vereinten Nationen dafür ein, daß die Fähigkeiten der Menschen in der Dritten Welt entfaltet werden und daß sie in die Lage versetzt werden, Probleme selber zu erkennen und zu bewältigen, daß ihnen Möglichkeiten der Hilfe zur Selbsthilfe gegeben werden. So sollen Menschen in der Dritten Welt private und staatliche Einrichtungen schaffen, die langfristig Entwicklungsprozesse tragen können.Neben technischer Hilfe hat sich die UNO auch auf den Bereich der Nahrungsmittelhilfe konzentriert. Es entstand das Welternährungsprogramm. Beide Programme — um nur einige zu nennen: UNDP und WFP — sind wichtige Errungenschaften im Bereich der Entwicklung.Es entstanden darüber hinaus weitere wichtige Unterorganisationen, die auch schon erwähnt wurden: das Kinderhilfswerk; der Herr Außenminister hat soeben die Frage der Einrichtung eines Menschenrechtsgerichtshofes dargestellt. Bislang haben wir nur den Hohen Kommissar für Flüchtlingsfragen, der in allen Teilen der Welt weiß Gott ein erhebliches Aufgabengebiet vorfindet.Eine wesentliche Problematik der UNO besteht allerdings in ihrem Innenleben. Das klang hier auch schon einige Male an. Es gilt nicht nur, daß Länder wie die USA, Großbritannien, Frankreich und die Bundesrepublik im allgemeinen Vertretungsorgan das gleiche Stimmrecht wie ein pazifischer Kleinstaat mit nur wenigen hunderttausend Einwohnern haben — —
— Das ist keine Frage von Diskriminierung, sondern diese Kleinstaaten haben gemeinsam mit anderen Staaten ihrer Region ohne weiteres die Möglichkeit, mit Zwei-Drittel-Mehrheit Empfehlungen und Beschlüsse über wichtige Fragen — einschließlich des Haushaltsplanes, zu dem sie oft nur wenig beitragen — zu verabschieden.
Damit können Großmächte, lieber Herr Ströbele, zur Finanzierung von Projekten gezwungen werden, und zwar selbst dann, wenn sie nicht bereit sind, solche Projekte zu unterstützen oder sie politisch ablehnen.
Sie können auch mit diesen „fremden Geldern" Ausschüsse mit Tätigkeiten beauftragen, die den nationalen Interessen der geldgebenden Länder völlig entgegenstehen.
Das sind Konfliktfälle, mit denen man sich beschäftigen muß.
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12832 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Frau Fischer— Ich weiß gar nicht, warum Sie so konfliktscheu sind. Man muß diese Dinge doch nennen dürfen.Viele Staaten sind zu einer wirksamen Mitarbeit an der von ihnen beschlossenen Tätigkeit der Weltorganisation leider vielfach auch nicht imstande. Fehlende Fähigkeit zur verantwortlichen Mitwirkung versuchen sie dann nicht selten — ich hätte fast gesagt: man kennt das j a —, durch verbale Regsamkeit während offizieller Erörterungen in dem Vertretungsorgan wettzumachen. Deswegen wird gerade in der UNO — wie auch in anderen Teilen der Welt — vieles zerredet, und viele wichtige Tagesordnungspunkte bleiben ungelöst.Zu den Ungereimtheiten der Weltorganisation gehört für mich auch die Frage der Zulassung revolutionärer Bewegungen als Quasi-Mitglieder sowie des versuchten Ausschlusses von Mitgliedstaaten, die sich den politischen Wünschen der die Hauptversammlung majorisierenden Staaten entziehen.
— Machen sie sich sachkundig, dann brauche ich auch nicht so viel Redezeit.Nach allgemeinem Völkerrecht ist die Mitgliedschaft in einer internationalen Organisation nur möglich, wenn sich der beitretende Staat dem geltenden Organisationsrecht unterordnet. Und es ist notwendig, daß die UNO glaubwürdig bleibt. Denn nur dann kann sie sich für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt erfolgreich einsetzen. Eine unglaubwürdig gewordene UNO wäre das Ende einer wirklich großen Hoffnung der Menschheit.Zur Glaubwürdigkeit gehört für mich auch, daß sich die Mitgliedstaaten nicht in harten, unversöhnlichen, von der Mehrheit oft rücksichtslos diktierten Resolutionen darstellen, ohne die Interessen anderer Minderheiten zu berücksichtigen. Die Vereinten Nationen können nicht von einzelnen Nationen die Bereitschaft und Fähigkeit zu konfliktregelndem Verhalten glaubwürdig fordern, wenn die zahlenmäßige Mehrheit innerhalb der Gremien der Vereinten Nationen selbst nicht zu Kompromissen und zur Konfliktlösung bereit und in der Lage ist. Es muß mit aller Deutlichkeit auch gesagt werden, daß kein Staat der Erde das moralische Recht hat, mit unversöhnlichen, haßerfüllten Worten von anderen Staaten Friedfertigkeit zu verlangen. Das geht einfach nicht.
Ich finde es sehr wichtig, daß wir heute diese Aussprache über die Vereinten Nationen haben. Ich finde es auch wichtig, hinzuweisen auf die Arbeit und die Aufgaben der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, die hier in der Bundesrepublik als Nichtregierungsorganisation für die Vermittlung von Sinn und Inhalt der Arbeit der UN und ihrer Sonderorganisationen eintritt und dafür Sorge trägt, daß die Einwirkungsmöglichkeiten, die wir von hier aus haben, auch bekannt werden. Ich finde, es ist in der deutschen Öffentlichkeit viel zu wenig bekannt, daß die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen die Aufgaben einer zentralen Informationsstelle für die Vereinten Nationen erfüllt und über ihre Sonderorganisationen berichtet.
Abschließend möchte ich die Bundesregierung bitten, sich auch weiterhin im Bereich der Vereinten Nationen zu engagieren und hier einen Schwerpunkt ihres außenpolitischen Denkens und Handelns zu sehen. Es bleibt entscheidend, die Möglichkeiten der Weltorganisation zum universalen Ausgleich der Interessen voll zu nutzen. Hierbei geht es darum, daß sich die Mitglieder der Vereinten Nationen in einem fortlaufenden und umfassenden Verhandlungsprozeß und in konstruktivem Dialog innerhalb der Weltorganisation ehrlich bemühen, Schritt für Schritt die gemeinsamen Ziele des Friedens, des sozialen Fortschritts und der Stärkung von Recht und Gerechtigkeit zu erreichen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ströbele.
Herr Bundesaußenminister, Sie haben hier heute zum 40. Jahrestag des Bestehens der Vereinten Nationen eine richtig schöne, langweilige Jubiläumsrede gehalten. Die eigentlichen Probleme, die mit den Vereinten Nationen und ihren Hilfsorganisationen und mit dem Verhalten der Bundesregierung in diesen Zusammenhängen verbunden sind, haben Sie sauber ausgespart. Sie haben kein Wort dazu gesagt, warum Ihre US-amerikanischen Freunde die UNO-Organisationen ILO und UNESCO verlassen haben, warum sie ihnen das Geld gesperrt haben und jetzt auch noch die britische Regierung dazu drängen, sich genauso zu verhalten. Dazu hätte ich gerne Ihre Meinung gehört. Wie steht die Bundesregierung dazu? Wie wird sich die Bundesregierung verhalten? In welchem Maße unterstützt die Bundesregierung ein solches Verhalten?
Sie haben auch kein Wort dazu gesagt, wie sich die Bundesregierung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verhalten hat. Für welche UNO-Resolutionen hat die Bundesregierung nicht gestimmt, bei welchen hat sie ein US-amerikanisches oder ein anderes Veto unterstützt? Wie hat sich die Bundesregierung z. B. zur UNO-Resolution zu Namibia verhalten? Wir alle wissen, die Bundesrepublik Deutschland hat eine bestimmte Vergangenheit und hatte in der Vergangenheit bestimmte Beziehungen zu diesem Staat.
Die UNO faßt dazu eine Resolution, daß alle Importe aus dieser Gegend untersagt sein sollen. Ihre Regierung führt trotzdem aus diesem Land 40 % ihres Uranverbrauchs ein. Wie halten Sie es mit den UNO-Resolutionen bezüglich Südafrika, die mit großer Mehrheit zustande gekommen sind? Wie halten Sie es mit den UNO-Resolutionen zu Palästina, die
Ströbele
mit großer Mehrheit zustande gekommen sind? Wo ist da das Selbstbestimmungsrecht? Zu alledem haben Sie nicht eine einzige Frage beantwortet. Sie haben die Frage nicht einmal gestellt. Sie sind auf diese Themen nicht eingegangen.
Sie machen sich hier für die Abschaffung der Todesstrafe stark und bringen dazu hier im Bundestag goldene Worte, wie sehr Sie sich doch für diese wichtige Frage einsetzen und wie sehr Sie sich in dieser Sache engagieren wollen. Gleichzeitig hat diese Bundesregierung einen Herrn Richard Jäger zum Menschenrechtsbeauftragten bei den Vereinten Nationen in Genf gemacht,
denselben Richard Jäger, der hier in der Bundesrepublik vehement die Wiedereinführung der Todesstrafe vertritt und sich hier den Spitznamen „Kopfab-Jäger" erworben hat.
Herr Bundesaußenminister, dazu hätten Sie hier einmal Stellung nehmen sollen. Dazu hätten Sie hier zum UNO-Jubiläum genauso Stellung nehmen müssen wie z. B. zu der Frage — die Kollegin hat das wenigstens angesprochen —: Wie ist es mit der Aufnahme von revolutionären Befreiungsorganisationen in die UNO einerseits,
und wie ist es mit Militärdiktaturen wie etwa aus Guatemala oder aus El Salvador oder Chile andererseits, die Sie ohne weiteres mit Sitz in der. UNO belassen? Dazu hätten wir gerne einmal ein paar Aussagen von Ihnen hier vor dem Deutschen Bundestag. Dieses Jubiläum wäre der richtige Anlaß dazu gewesen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Wulff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich im Gegensatz zu meinem Vorredner dem Außenminister für die ausgewogene,
vernünftige und gute Rede danken,
die er zu den Vereinten Nationen gehalten hat.
Herr Außenminister, im Gegensatz zu meinem Vorredner bin ich der Überzeugung, Sie betreiben eine vernünftige Politik im Rahmen der Vereinten Nationen. Es hat keinen Zweck, Herr Kollege Ströbele, hier gewissermaßen im Zustand der Hysterie über die Vereinten Nationen zu diskutieren und zu sprechen.
Aber ich glaube, es sollte auch Sinn der heutigen Debatte sein, etwas Positives über die Vereinten Nationen zu sagen. Ich meine, 40 Jahre Vereinte Nationen bedeuten Völkergemeinschaft zur Erhaltung des Friedens. 40 Jahre Vereinte Nationen bedeuten auch 40 Jahre Bekenntnis zur Charta der Vereinten Nationen für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.
40 Jahre Vereinte Nationen bedeuten insbesondere Hoffnung auf Frieden überall in der Welt.Großes und Entscheidendes ist, wie ich meine, von den Vereinten Nationen in der Vergangenheit geleistet worden. Manche Krise, Gewalt und Kriege wurden verhindert. Die Erinnerung an die Gründung der Vereinten Nationen gibt mir aber auch Veranlassung, darauf hinzuweisen, daß es die großen westlichen Demokratienationen waren, die die Vereinten Nationen als Nachfolger des Völkerbundes ins Lebens riefen und uns Deutsche durch eine kluge und weitsichtige Politik die Möglichkeit gaben, in die Völkerfamilie einer freien Welt zurückzukehren.Wir sollten — das gebe ich gerne zu; das ist hier und da angeklungen — auch nicht die Augen vor Entscheidungen verschließen, die leider die Vereinten Nationen nicht immer unbeeinflußt ließen. Sachfremde Ideologien, nationale Egoismen und übersteigerte unbegründete Forderungen haben allzuoft die Diskussionen in der Generalversammlung bestimmt.
Die Charta der Vereinten Nationen, jenes große verbriefte Recht als Waffe der Schwachen und Hilfsbedürftigen, wurde nur zu häufig von Unterzeichnerstaaten mit Füßen getreten, obwohl ein jeder weiß oder wissen muß, daß Recht und Gerechtigkeit jene Bindungen sind, die die Völker einander näherbringen und zu friedvoller Zusammenarbeit verpflichten.40 Jahre Vereinte Nationen bleiben somit auch eine Aufforderung für alle, sich stets und zu jeder Zeit aufs Neue jener großen demokratischen Tugenden Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu erinnern und dafür einzustehen. Das Forum der Vereinten Nationen gibt dazu allen Möglichkeit und Chance.Die Bundesrepublik Deutschland wird ihren Beitrag zur Förderung der Vereinten Nationen leisten, eingedenk der Tatsache, daß wir wissen, was Frie-
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Dr. Wulffden und Freiheit als Sehnsucht der Völker bedeuten.
Unser leider zu früh verstorbener großer Kollege und Staatsminister im Auswärtigen Amt, Alois Mertes, hat kurz vor seinem Tod eine Rede in New York über die Vereinten Nationen und den Frieden und die Sicherheit gehalten, aus der ich mit Genehmigung des Präsidenten einige wenige Sätze zitieren darf.
Alois Mertes:Friede heißt zunächst Sicherheit des Friedens gegen jedes Kriegsrisiko, ob nuklearer, konventioneller, chemischer oder anderer Art. Friede ist aber nicht nur die Abwesenheit von Krieg. Friede heißt gleichzeitig die Gestaltung eines Friedens, der deshalb dauerhaft ist, weil er einen ständigen Prozeß zunehmender internationaler Gerechtigkeit und insbesondere der Verwirklichung der Menschenrechte darstellt. Dieser Macht des Rechts zu dienen, bleibt die vornehmliche Aufgabe der Vereinten Nationen, wie immer sich auch die Mehrheiten gestalten.Da ich dem gegen seinen Willen geteilten deutschen Volk angehöre, werden Sie es würdigen, daß ich in diesem Zusammenhang an das Selbstbestimmungsrecht aller Völker
und an den Vorrang der Menschenrechte in allen Teilen der Welt, also auch in ganz Europa, mit besonderem Nachdruck erinnere.
Es ist das Ziel der Bundesrepublik Deutschland, auf einen solchen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das ganze deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. Dieses Ziel entspricht den Grundsätzen und Zielen auch der Charta der Vereinten Nationen.
Und diesen Grundsätzen und Zielen werden wir uns im Gegensatz zu Ihnen, den GRÜNEN, auch in Treue widmen.Ich danke Ihnen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe nun Punkt 3 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die schnellere und weitergehende Verminderung der Emissionen aus Altanlagen
— Drucksache 10/2965 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie
b) Beratung des Siebten Berichts und der Empfehlung der Europa-Kommission zur. Frage der Festlegung der europäischen Abgasnormen
— Drucksache 10/3609 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Verkehr
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Punkte 3 a und 3 b und eine Aussprache von 60 Minuten Dauer vorgesehen. — Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Herr Spranger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat im Februar dieses Jahres den Bericht zur Frage der schnelleren und weitergehenden Verminderung der Emissionen aus Altanlagen vorgelegt. Er enthält eine breite Darstellung der bereits eingeleiteten, aber auch der geplanten Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen bei den sogenannten Altanlagen. Ich darf einige ergänzende und aktualisierende Bemerkungen zu diesem Bericht machen.
Der Bericht macht deutlich, daß die Bundesregierung der Sanierung von industriellen Altanlagen größte Bedeutung zumißt. Neben den Kraftfahrzeugen tragen diese Altanlagen maßgeblich zur Verunreinigung der Luft bei. Solche Altanlagen entsprechen häufig nicht dem Stand der Technik. Sie emittieren im Regelfall deutlich mehr Schadstoffe als vergleichbare Neuanlagen.
Bei Neuanlagen führt meist schon die Weiterentwicklung der Technologie — sei es bei der Feuerungstechnik, sei es bei der Produkterzeugung - zu einer wesentlichen Beschränkung der Schadstoffemissionen.
Die Bundesregierung hat deshalb seit Übernahme der Regierungsverantwortung im Herbst 1982 den Bereich der Altanlagensanierung zu einem Schwerpunkt ihrer Luftreinhaltepolitik gemacht. Mit der am 1. Juli 1983 in Kraft getretenen Verordnung über Großfeuerungsanlagen hat die Bundesregierung den entscheidenden Schritt zur Sanierung eines großen Teils der Altanlagen, soweit es sich um Feuerungsanlagen handelt, getan. Auf
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Parl. Staatssekretär Spranger
Grund der inzwischen vorliegenden umfassenden Ergebnisse aus einer Umfrage bei den Ländern über die Umsetzung der GroßfeuerungsanlagenVerordnung werden die im vorgelegten Bericht gemachten Aussagen über die voraussichtliche Emissionsminderung beim Schwefeldioxid in vollem Umfange bestätigt. Es zeichnet sich sogar ab, daß auf Grund der zügigen Umsetzung der Verordnung — es geht sogar schneller, als wir vorhergesehen haben die Altanlagensanierung im Kraftwerksbereich früher abgeschlossen und die Emissionsminderung beim Schwefeldioxid größer als erwartet sein wird.
— Es zeigt, daß das eine vernünftige Verordnung war, die auch die Industrie in Nordrhein-Westfalen akzeptiert hat, Herr Kollege Stahl.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte ?
Nein, ich möchte im Zusammenhang vortragen.
Nach den neuesten Berechnungen werden die jährlichen SO2-Emissionen aus Großfeuerungsanlagen, die 1982 noch bei über 2 Millionen t pro Jahr — rund zwei Drittel der Gesamtemissionen der Bundesrepublik Deutschland — lagen, bis 1988 um ca. 1,2 Millionen t pro Jahr auf ca. 0,8 Millionen t pro Jahr verringert. Bis zum Jahre 1993 wird der jährliche SO2-Ausstoß aus Großfeuerungsanlagen auf weniger als 0,5 Millionen t pro Jahr gesunken sein. Das bedeutet eine Verminderung um ca. 75%. Das wird trotz eines verstärkten Einsatzes von Steinkohle zur Stromerzeugung erreicht.
Hinsichtlich der Emissionen von Stickstoffoxiden aus Großfeuerungsanlagen wird erwartet, daß sie bis Anfang der 90er Jahre um ungefähr 70% zurückgehen, also von 1 Million t pro Jahr auf ca. 0,3 Millionen t pro Jahr.
Diese eindeutigen Zahlen belegen die drastische Schadstoffreduzierung auf ein Drittel oder gar ein Viertel der bisherigen Werte und zeigen, daß die Maßnahmen der Bundesregierung im Bereich der Großfeuerungsanlagen voll gegriffen haben.
Der nächste entscheidende Schritt ist nunmehr die Sanierung des Altanlagenbestandes der übrigen Industrie. Diese Aufgabe wird mit der neuen TA Luft angegangen, die im Juli dieses Jahres vom Bundeskabinett verabschiedet wurde und die am 18. Oktober 1985 vom Bundesrat — mit einer Reihe von Änderungsvorschlägen — grundsätzlich zustimmend zur Kenntnis genommen wurde. Zur Zeit läuft die Abstimmung, und wir hoffen, daß sie bald abgeschlossen ist.
Hinsichtlich der Anforderungen für Neuanlagen ist folgendes zu bemerken: Die TA Luft erfaßt praktisch den gesamten Industriebereich, insbesondere Hochöfen, Stahlwerke, Zementwerke, Glashütten sowie die noch nicht durch die Großfeuerungsanlagen-Verordnung erfaßten kleineren Feuerungsanlagen. Die TA Luft stellt für diese Anlagen Anforderungen zur Begrenzung des Schadstoffauswurfes, die auch dort einzuhalten sind, wo keine Gefahren im Einwirkungsbereich der Anlagen zu erwarten sind; sie realisiert konsequent das Vorsorgeprinzip. Möglichen, heute noch nicht erkennbaren Umweltgefahren soll vorgebeugt werden. Zugleich wird einer weiträumigen Luftverschmutzung mit den Mitteln der modernsten Technik begegnet.
Zu den Anforderungen an Altanlagen ist festzustellen, daß hier sicherlich das weitaus größte Potential an Emissionsminderungen liegt. Die TA Luft schreibt erstmalig eine umfassende, in einzelnen Schritten festgelegte Sanierung von Altanlagen im Rahmen eines Gesamtkonzepts vor, die sich an folgenden Grundsätzen orientiert: Altanlagen müssen innerhalb bestimmter Fristen den Stand der Technik von Neuanlagen einhalten. Im Regelfall müssen Altanlagen innerhalb von fünf Jahren nachgebessert werden. Altanlagen, die Stoffe mit einem hohen Risikopotential emittieren oder mit einem geringeren technischen Aufwand umrüstbar sind, müssen innerhalb von drei Jahren nachgerüstet werden. Altanlagen, die nur geringfügig über dem Wert von Neuanlagen emittieren, müssen innerhalb von acht Jahren stillgelegt werden. Sie brauchen — falls keine besonderen Risiken bestehen — im Regelfall also nicht nachgerüstet zu werden.
Diese TA Luft bewirkt, daß bei den wichtigsten Schadstoffen eine Emissionsminderung in einer Größenordnung von 30 bis 40 % erwartet wird: bei Schwefeldioxid um etwa 30 %, bei den Stickstoffoxiden von etwa 40 %.
Auf der Basis beispielhaft durchgeführter Branchenanalysen sowie von Herstellerangaben zur Minderungstechnik lassen sich die direkten Gesamtinvestitionskosten, die dadurch ausgelöst werden, in einer Größenordnung von etwa 10 Milliarden DM abschätzen. Diese Investitionen werden in der Praxis zu einer grundlegenden Anlagenmodernisierung führen, z. B. zum Ersatz veralteter Anlagen durch moderne wirtschaftlicher arbeitende Anlagen, zur Umstellung auf emissionsärmere sowie rohstoff- und energiesparende Produktionsverfahren. Allein bei den Herstellern der Umweltschutzanlagen wird bei einem Investitionsvolumen von etwa 10 Milliarden DM mit etwa 12 000 neuen Arbeitsplätzen zu rechnen sein. Hinzuzurechnen sind Arbeitsplatzauslastungen bei den Herstellern der Umweltschutzanlagen, ferner unmittelbar bei den Umweltschutzinvestoren induzierte Arbeitsplätze sowie Multiplikatorwirkungen auf die vorgelagerten Wirtschaftsbereiche.
— Das ist der richtige Weg, den wir von Anfang an immer wieder dargelegt und begründet und durch eine entsprechende Politik wirkungsvoll unter Beweis gestellt haben.
Parl. Staatssekretär Spranger
Am 13. Oktober 1985 ist das Zweite Gesetz zur Änderung des Bundes- Immissionsschutzgesetzes in Kraft getreten. Diese Novelle schafft die gesetzlichen Grundlagen für eine umfassende Sanierung von Altanlagen. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, daß die Eingriffsschwelle für nachträgliche Anordnungen bei Altanlagen damit gesenkt wird. Maßstab ist künftig nicht mehr die wirtschaftliche Vertretbarkeit der Maßnahmen für den Anlagenbetreiber, sondern es gilt der Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit.
In den von der Bundesregierung zu erlassenden Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften sind die Anforderungen an die Errichtung, die Beschaffenheit und den Betrieb genehmigungsbedürftiger Anlagen festgelegt. Hier können künftig Übergangsfristen bestimmt werden, nach deren Ablauf auch Altanlagen den Anforderungen für Neuanlagen entsprechen müssen.
Schließlich wird das Bundes-Immissionsschutzgesetz eine Kompensationsregelung enthalten, die erstmals bereits in der neuen TA Luft verwirklicht wird.
Zusammenfassend läßt sich sagen: Die Bundesregierung hat mit den genannten Maßnahmen auf dem Gebiet der Luftreinhaltung die Voraussetzungen zu einer umfassenden und schnellstmöglichen Sanierung des Altanlagenbestandes geschaffen. Dies führt zu einer raschen und vor allem auch deutlichen Verminderung aller wesentlichen Schadstoffemissionen. Damit ist ein wichtiger Teil der umfassenden und auch offensiven Umweltpolitik der Bundesregierung verwirklicht.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ergebnisse der Waldschadenserhebung 1985, Herr Spranger, geben keinen Grund, Erfolge in Sachen Luftreinhaltung zu feiern.
Im Gegenteil: Wenn wir es richtig sehen, Herr Spranger — ich will das in meiner Redezeit von zehn Minuten nochmals begründen —, unternimmt die Bundesregierung viel zuwenig, um des Problems kurzfristig Herr zu werden.
Sie halten die bisher beschlossenen Maßnahmen zur Luftreinhaltepolitik — Sie haben das erwähnt — wie Großfeuerungsanlagen-Verordnung, Novellierung der TA Luft, die mageren europäischen Ergebnisse bezüglich der Beschlüsse zum abgasarmen Auto und nicht zuletzt die bürokratischen Steuergesetze zum Kaufanreiz abgasarmer Autos für ausreichend. Sie sonnten sich eben — so mußte man es wohl verstehen — im Schein der Erfolge des Innenministeriums.
Zu den bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung stellen wir als Sozialdemokraten fest: Viele greifen zu kurz. Viele kommen zu spät. Die Durchsetzung entscheidender Maßnahmen ist gerade nicht auf das Konto der Regierungskoalition, geschweige denn des Bundesinnenministers zu buchen. Weitere notwendige schnell greifende Maßnahmen werden von der Bundesregierung nicht in Angriff genommen bzw. sie ist nicht in der Lage, sie durchzusetzen.
Ich will mich im folgenden im wesentlichen auf die Großfeuerungsanlagen-Verordnung und auf die von Ihnen, Herr Staatssekretär Spranger, eben aufgezeigte TA Luft beschränken. Die Grenzwerte der Großfeuerungsanlagen-Verordnung sind langfristig nicht ausreichend. Die SPD-Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat 1984 Vereinbarungen mit der öffentlichen Energieversorgung getroffen — Sie haben sie auch positiv hervorgehoben —, die mit ihren Kraftwerken rund 80 % der Leistung aller Großfeuerungsanlagen in Nordrhein-Westfalen erbringt. Auf den Bund umgerechnet sind das 36 %. Diese Vereinbarung, der sogenannte Emissionsminderungsplan I, sieht eine Reduzierung des Ausstoßes von Schwefeldioxid aus diesen Kraftwerken von 1983 bis 1987 um ein Viertel und bis 1994 um schließlich vier Fünftel vor.
Inzwischen — bis Juni 1985 - sind für 96 % der Feuerungswärmeleistung die notwendigen Genehmigungen für den Einbau von Entschwefelungsanlagen beantragt und für insgesamt 68% bereits genehmigt. Das ist eine gute Nachricht. Aber, Herr Spranger, diese Nachricht geht ja nicht zu Ihrem positiven Konto.
Diese Ergebnisse können noch verbessert werden — Herr Baum, jetzt hören Sie gut zu —, wenn auch die Emissionen aus Großfeuerungen der Industrie und der industriellen Kraftwirtschaft ebenfalls vorzeitig — ich meine, im gesamten Bundesgebiet — durch Nachrüstung vermindert werden. Hier sind Verhandlungen in Nordrhein-Westfalen aufgenommen worden — auch im Wege bindender Selbstverpflichtung, mit dem sogenannten Emissionsminderungsplan II das notwendige Ziel der Schadstoffverminderung zu erreichen. Neuerliche Verlautbarungen des Verbandes Industrielle Kraftwirtschaft stimmen allerdings noch skeptisch.
Bei negativem Ausgang stellt sich die Frage, Herr Spranger, ob nicht der Gesetzgeber — sprich: auch die Bundesregierung — durch eine Schadstoffabgabe nachhelfen muß.
Wir als SPD warten auf ein klärendes Wort durch die Bundesregierung, was der Prüfauftrag, den das Kabinett vergeben hat, tatsächlich ergibt.
Wir begrüßen es, daß die Novellierung der TA Luft kurz vor ihrem Abschluß steht. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie diese Verwaltungsvorschrift in der vom Bundesrat beschlossenen Fassung umgehend in Kraft setzt. Der Bundestag, Herr Spranger, ist an der Entstehung und Ge-
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Stahl
staltung dieses technischen Regelwerks nicht beteiligt. Deshalb will ich an dieser Stelle auch etwas zur Entstehungsgeschichte sagen und aufzeigen, wie halbherzig sich die Bundesregierung der Aufgabe gestellt hat, die emissionsbegrenzenden Anforderungen für alle genehmigungsbedürftigen Anlagen der technischen Entwicklung anzupassen.
Die Länder haben das nämlich rechtzeitig erkannt und im Bundesrat am 18. Oktober 1985 kräftig nachgebessert. In über 70 Punkten hat der Bundesrat die Vorlage der Bundesregierung geändert und — meist auf Grund der Empfehlungen seines Innenausschusses — im Sinne von mehr Umweltschutz verschärft. Daraus kann man doch einen Schluß ziehen: Die Bundesländer, die auch über die nötige Kompetenz verfügen, haben damit der Bundesregierung ein Zeugnis ausgestellt. Herr Spranger, dieses Zeugnis kann in Sachen Umweltpolitik nur heißen: mangelhaft.
Meine Damen und Herren, wir alle sollten den Landesregierungen und nicht der Bundesregierung Dank sagen. Sie haben damit die Grundlage geschaffen, daß nunmehr auch die Sanierung der zahlreichen Altanlagen unterhalb der Großfeuerung angegangen werden kann. Bundesweit sind etwa 40 000, davon allein 12 000 in Nordrhein-Westfalen, betroffen.
Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen trägt diese neue TA Luft mit. Sie hatte auch allen realistischen Verbesserungsvorschlägen zugestimmt bzw. diese selbst vorgeschlagen. Sie war sich dabei bewußt, daß mit dieser notwendigen Neuregelung in den nächsten Jahren hohe Kosten auf die Industrie und auf die mittelständische Wirtschaft zukommen. Aber im Interesse der Gesundheit der Bürger, einer lebenswerten Umwelt und zukunftssicherer Arbeitsplätze in der Stein- und Braunkohle- und anderen Industrien hat sie diese Belastungen in Kauf genommen. Ich bin davon überzeugt: Die Bürger in der Bundesrepublik verstehen diese Entscheidung gut.
Nachträgliche Anordnungen können aus Vorsorgegründen getroffen werden; bestimmte toxische Stoffe werden nur noch nach der Massenkonzentration, nicht nach den Massenströmen beurteilt; zur Verkürzung der längsten Umrüstungszeit haben Sie etwas gesagt; nachträgliche Anordnungen werden an Hand der im Genehmigungsbescheid festgesetzten Werte ausgelöst, nicht erst nach langwierig zu ermittelnden tatsächlichen Werten.Herr Spranger, nach Ihrem Vorschlag, dem der Bundesregierung — wie stellen Sie sich das in der Wirtschaftspraxis vor? —, hätte es eine ganze Menge Meßorgien in den Betrieben, an zusätzlicher Bürokratie, an Streitereien vor Gericht gegeben!
Außerdem ist bei den Kompensationsmodellen eine Konkretisierung beschlossen worden, um zu verhindern, daß Emissionsminderungen aus hohen Schornsteinen mit solchen aus niedrigen Quellen verrechnet Urerden können, obwohl sie sich nicht als Verminderung der Immissionen auswirken.Hervorheben will ich noch die vom Bundesrat beschlossene Verschärfung des Meßverfahrens — 98er statt 95er Percentil —, wodurch die Spitzenbelastungen der Verunreinigung bekämpft werden sollen, was sowohl für den Schutz der Gesundheit der Menschen als auch für den Schutz des Waldes besondere Bedeutung hat.Eine Änderung ist allerdings, meine Damen und Herren, im letzten Augenblick im Bundesrat gescheitert, obwohl sie vom Innenausschuß des Bundesrates, von zehn Ländern empfohlen worden war, nämlich die Einbeziehung von etwa 100 hochtoxischen Stoffen aus Anhang II der Störfallverordnung in die TA Luft. An diesem Punkt hätte ich eigentlich von Ihnen, Herr Staatssekretär, etwas an Aussagen erwartet. Aber ausgelöst durch einen Brief des Bundeskanzlers, so hört man es jetzt, seien die CDU-Ministerpräsidenten hier in letzter Minute vom Pfad der Tugend abgewichen.Fazit: Mit der Großfeuerungsanlagen-Verordnung und der TA Luft haben wir die Massenschadstoffe — das soll unbestritten sein —, Staub, SO2 und NOx kurz- bis mittelfristig im Griff, Herr Spranger, bis auf den Verkehrsbereich. Hier sieht es mehr als grau aus. Regelungsbedarf besteht noch bei der Festlegung von Vorsorge- und Grenzwerten für weitere krebserregende hochtoxische Stoffe und persistente Stoffe zum Schutze der Menschen und zum verbesserten Bodenschutz. Hier bedarf es noch konkreter Vorschriften. Diese Probleme können meines Erachtens nicht durch marktwirtschaftliche Instrumente geregelt werden. Diese Punkte wollen wir als Sozialdemokraten demnächst hier im Bundestag aufnehmen.Meine Damen und Herren, mit der Auflistung der luftreinhaltepolitischen Fehlschläge — ich sage das ausdrücklich, Herr Staatssekretär Spranger, nachdem diese 70 Vorschläge in der Nachbesserung in der TA Luft sind — dieser Bundesregierung ist eigentlich die Inkompetenz nicht erschöpft. Erinnert sei auch noch an die Untätigkeit der Regierung in Sachen Altlastensanierung. Mit Optimismus-kampagnen werden Sie jedenfalls die Umwelt nicht verbessern helfen. Zu diesem wichtigen Problem, dessen Behebung eine nationale Aufgabe ist, hört man von seiten des Innenministers nichts. Die zahlreichen Vorschläge der Sozialdemokraten liegen auf dem Tisch; sie sind bislang samt und sonders von der Koalitionsmehrheit abgeschmettert worden.Abschließend, meine Damen und Herren: Die Umweltpolitik sollte trotz verschiederner Standpunkte von allen Fraktionen dieses Hohen Hauses getragen werden. Dazu gehört aber, daß man Vorstellungen der Gegenseite, also Vorstellungen der Opposition, aufnimmt. Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, verehrter Herr Staatssekretär, vielleicht denken Sie darüber einmal ernsthaft nach.
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12838 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Stahl Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidbauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Stahl, ich will nur eine Anmerkung zu Ihrer Auseinandersetzung mit dem Thema „Technische Anleitung Luft, Bundesrat und Anträge" machen: Ich empfehle Ihnen, einmal die Anträge des Landes Baden-Württemberg durchzulesen. Sie werden dann feststellen, daß das Land Nordrhein-Westfalen und das Saarland manche Anträge mit dem Hinweis abgelehnt haben, sie seien für diese Länder zu scharf. Dies nur im Hinblick auf Ihre Ausführungen zu den Verhandlungen im Bundesrat.
— Ich werde noch auf ein paar Punkte eingehen!Die sich im Umweltschutz stellenden Probleme sind ebenso komplex wie schwierig. Sie erfordern sorgfältige und vorausschauend durchdachte Lösungen, die nachhaltig die Belastungen abbauen und langfristig zu einer deutlichen Verbesserung der Situation der Umwelt und zu deren Erhaltung führen. Es reicht in der Tat nicht aus, allein für neue Anlagen, die die Luft belasten, die Anforderungen zu erhöhen. Gerade bestehende Anlagen, also Altanlagen, die nach früher geltenden und heute als viel zu gering anzusehenden Standards genehmigt wurden, sind diejenigen, die für den wesentlichsten Teil der Luftverunreinigung verantwortlich sind. Es war daher notwendig und dringend erforderlich, auch diese Altanlagen durch geeignete und vernünftige Maßnahmen an die heutigen Anforderungen anzupassen.Wir haben in unserem Entschließungsantrag vom 9. Februar 1984 „unsere Verantwortung für die Umwelt" die Forderung erhoben, daß insbesondere Schwefeldioxid und Stickoxide aus sogenannten Altanlagen noch schneller und weitergehend vermindert werden sollen. Die Bundesregierung hat sich dieser Aufgabe gestellt und in kürzester Zeit mit deutlicher Akzentsetzung Maßnahmen zur Reinhaltung der Luft getroffen. Ich meine, die Ergebnisse können sich sehen lassen.
— Herr Kollege Stahl, unsere Umweltschutzpolitik ist zum Schrittmacher und Vorbild auch für andere Staaten geworden.
Wo bleiben da eigentlich die Vorschläge der Opposition?
Ich frage mich, warum Sie hier erzählen, da werde alles abgeschmettert. Man kann nur dann etwas abschmettern, wenn etwas auf dem Tisch liegt.
Von Ihnen liegen überhaupt keine Alternativen vor!
Wir fordern Sie auf, hier endlich einmal Ihre eigenen Alternativen einzubringen, damit wir überhaupt diskutieren können und hier nicht nur die Sprechblasen unter dem Stichwort „Arbeit und Umwelt", die uns immer wieder vorgesetzt werden, zur Kenntnis nehmen müssen.
Der heute zur Beratung anstehende Bericht gibt mir Gelegenheit, näher auf diese Maßnahmen einzugehen. Die Bundesregierung hat zur Altanlagensanierung ein Konzept vorgelegt, das aus mehreren Komponenten besteht, erstens der Großfeuerungsanlagen-Verordnung, die am 1. Juli 1983 in Kraft getreten ist, zweitens der Technischen Anleitung Luft 1985, die, soweit den Vorschlägen des Bundesrates gefolgt werden kann, in Kürze erlassen wird, drittens dem Gesetz zur Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom Oktober 1985.Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung erfüllt voll die in sie gesetzten Erwartungen. Betrachtet man drei Bereiche, erstens die Emissionsentwicklung, zweitens die Investitionen und drittens die Arbeitsplatzeffekte, so ergibt sich heute folgendes Bild. Ich möchte die Emissionsentwicklung bei konventionellen Kraftwerken am Beispiel Schwefeldioxid und Stickoxide darstellen: Laut Umweltbundesamt vermindern sich die Emissionen für Schwefeldioxid bis 1995 von rund 2 Millionen t pro Jahr auf 475 000 t pro Jahr; dies entspricht einer Reduzierung um 76 %. Für Stickoxide ergibt sich im gleichen Zeitraum eine Reduktion von rund 1 Million t pro Jahr auf 300 000 t pro Jahr; dies entspricht einer Reduzierung um 70 %. Wie das Umweltbundesamt mitgeteilt hat und in seinem neuesten Bericht ausführt, werden diese Werte noch übertroffen werden. Dies hat sich, Herr Kollege Stahl, inzwischen bestätigt.
Eine Länderumfrage hat ergeben — hören Sie gut zu —, daß sich bis 1988 die Schwefeldioxidemissionen um 1,43 Millionen t pro Jahr verringern. Das sind 1,43 Millionen t pro Jahr weniger in der Luft bei den Tonnen, die wir übernommen haben, nämlich 3,2 Millionen t in der Luft im Jahr 1982. Dies entspricht einer Reduzierung der Schwefeldioxidbelastung allein aus dem Bereich der Kraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland bis 1988 um 73 %. 73% weniger Schadstoffbelastung bis 1988 — ich meine, das ist ein hervorragendes Ergebnis.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12839
Schmidbauer— Daß Sie das nicht kapieren, ist mir klar. Sie sollten sich mal sachkundig machen. Dann würden Sie solche Zwischenrufe nicht ständig wiederholen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stahl.
Wenn es auf die Zeit nicht angerechnet wird.
Es wird nicht angerechnet.
Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege Schmidbauer, würden Sie mir, weil Sie das Jahr 1982 bezüglich der Großfeuerungsanlagen-Verordnung angeführt haben, bestätigen, daß diese Großfeuerungsanlagen-Verordnung in ihrem Text und in ihrem Bestand noch von der damaligen Bundesregierung ausgearbeitet war, aber nicht mehr zur Verabschiedung kam? Wollen Sie das zugestehen?
Ich will Ihnen sehr wohl bestätigen, daß die alte Bundesregierung ein Konzept in der Schublade hatte, über das im Protokoll des Innenausschusses nachzulesen ist, wie groß die Grenzwerte waren. Ich will nachher gerade darauf eingehen. Nur, in der Tat haben Sie Ihren damaligen Innenminister, den Kollegen Baum, nicht laufen lassen, um die Dinge umsetzen zu können. Er wurde durch den Bundeskanzler Schmidt in diesen Dingen vollständig gebremst. Auch das ist nachzuweisen.
— Die Grenzwerte können Sie ja nachlesen.
Zweitens. Im Bereich der Investitionen ergibt der Vollzug der Großfeuerungsanlagen-Verordnung — das wird Sie interessieren — ein Volumen von 20 Milliarden DM. Das bedeutet am Beispiel der Entschwefelung Investitionen von 3,1 Milliarden DM pro Jahr.
Drittens. Von den 3,1 Milliarden DM pro Jahr sind etwa 1,5 Milliarden DM pro Jahr beschäftigungswirksam. Dies führt zu 18 000 Dauerarbeitsplätzen. Unter Berücksichtigung der Investitionen für die Entstickungsanlagen ergibt sich ein zusätzlicher Effekt von noch mal 27 000 Dauerarbeitsplätzen. Insgesamt sind es also 45 000 Dauerarbeitsplätze allein durch den Vollzug der Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Diese Zahlen dokumentieren deutlich den Erfolg unserer Politik. Hier werden Umweltschutz und Arbeitsplatzsicherung betrieben; es wird davon nicht nur geredet.
Wie der hessische Wirtschaftsminister Steger zu der Aussage kommt, das gegenwärtige Umweltrecht sei ausgesprochen innovationsfeindlich, wird wohl ewig sein Geheimnis bleiben.
Herr Kollege Stahl, an dieser Stelle ein Hinweis zu Ihren Vorstellungen der Grenzwertreduzierung. Es war nicht ein Land, es war die UMK, die im April beschlossen hat, die Grenzwerte auf 200 mg NOx und SO2 gemeinsam zu reduzieren. Das ist der Vorteil der Dynamisierung der GroßfeuerungsanlagenVerordnung.
— Baden-Württemberg, wenn Sie das schon meinen. Es ist übrigens CDU-regiert.
Sie wissen, daß bei der Novellierung des BundesImmissionsschutzgesetzes die Koalitionsfraktionen gemeinsam, aufbauend auf den Initiativen von Bundesrat und Bundesregierung, die entscheidenden Weichenstellungen vorgenommen haben. Das gilt besonders für den Komplex Altanlagensanierung, der im Mittelpunkt der Novelle steht. Lassen Sie mich die wesentlichen Neuerungen, die eingetreten sind, in Stichworten in Erinnerung rufen:
Erstens — Herr Kollege Stahl, Sie sind auch darauf eingegangen —: Das ordnungsrechtliche Instrumentarium wird durch die Senkung der Eingriffsschwelle für nachträgliche Anordnungen effektiver gestaltet.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Stahl?
Jetzt möchte ich im Zusammenhang vortragen.Maßnahmen der Vollzugsbehörde kann nicht mehr die wirtschaftliche Unverträglichkeit entgegengehalten werden. Zur Durchsetzung gesetzlicher Pflichten kommt es allein auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit an, bei dessen Auslegung sowohl die von der Anlage verursachte Schadstoffbelastung als auch Art und Nutzungsdauer der Anlage zu berücksichtigen sind.Zweitens. Rechtsverordnungen und allgemeine Verwaltungsvorschriften legen künftig eindeutiger als bisher fest, nach welchen Übergangsfristen auch Altanlagen den für Neuanlagen geltenden Anforderungen entsprechen müssen. Hier nennt das Gesetz die Kriterien zur Bestimmung von Übergangsfristen und der einzuhaltenden Anforderungen, z. B. Art, Menge und Gefährlichkeit der von der Anlage ausgehenden Emissionen. Diese Vorschrift ist auch die gesetzliche Grundlage und Voraussetzung für den in der Technischen Anleitung Luft 1985 vorgesehenen Zeitplan zur Sanierung der Altanlagen. Staatssekretär Spranger hat bereits darauf hingewiesen — auch dies ist einmalig —, daß wir die zeitlich abgestufte Sanierung bei der Technischen Anleitung Luft 1985 aus der. Großfeuerungsanlagen-Verordnung praktisch übernommen
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Schmidbauerhaben. Diese Sanierung orientiert sich an folgenden Prinzipien — —
— Ich sage dazu noch etwas. Aber das Verdienst der Bundesregierung ist, daß sie diese Technische Anleitung Luft auf den Weg gebracht hat und im Bundesrat damit durchgekommen ist. Ich habe Ihnen schon einmal gesagt: NRW hat abgelehnt.
— Also, Ihre Zwischenrufe machen doch deutlich, wie nervös Sie darüber sind, daß sich diese Erfolge eingestellt haben,
und wie Sie mit allen Möglichkeiten versuchen, der Regierung an den Karren zu fahren.
Das wird Ihnen nicht gelingen. Bringen Sie endlich einmal Ihre eigenen Vorschläge auf den Tisch
und reden Sie doch nicht immer über Anträge im Bundesrat. Hier ist der Deutsche Bundestag, hier können Sie Ihre Anträge einbringen. Machen Sie das doch endlich einmal!
Wir werden dieses Sanierungskonzept der Technischen Anleitung Luft realisieren. Das wird bedeuten: Altanlagen sind nach dem Stand der Technik nachzurüsten; Altanlagen müssen dem Stand der Technik innerhalb einer kurzen Frist angepaßt werden; besondere Altanlagen, die Stoffe mit hohem Risikopotential emittieren, müssen bereits in der kurzen Frist von drei Jahren nachgerüstet werden.Drittens. Der im Umweltrecht unverzichtbare ordnungsrechtliche Teil wird erstmals — das halte ich vor dem Hintergrund der von meiner Fraktion vertretenen marktwirtschaftlichen Grundeinstellung für besonders wichtig — durch eine marktwirtschaftliche Komponente, nämlich die Kompensationsmöglichkeit, ergänzt. Soweit eine Rechtsverordnung oder eine allgemeine Verwaltungsvorschrift entsprechende Regelungen trifft, dürfen Altanlagen in näher bestimmten Gebieten und für einen bestimmten Zeitraum von den ordnungsrechtlich vorgegebenen Anforderungen abweichen, wenn an anderen Anlagen in diesem Gebiet durch technische Maßnahmen insgesamt eine weitergehende Emissionsminderung erfolgt und hierdurch — zusammenfassend betrachtet — ein Mehr an Immissionsschutz erreicht wird. Ich sage das sehr deutlich, weil manche meinen, hier gäbe es einen Mitnahmeeffekt. Der ist ausgeschlossen; das haben wir in den Beratungen auch sehr deutlich gemacht.
— Das haben wir gemacht, als wir das BImSchG novelliert haben; da haben Sie nicht aufgepaßt. Erst die Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes hat die rechtliche Handhabe für die Technische Anleitung Luft, von der Sie immer reden, gegeben; sonst wäre das rechtlich gar nicht möglich gewesen.
Also, Sie sollten die Dinge hier schon im Zusammenhang richtig vorbringen und nicht nur versuchen, sich mit der Bundesregierung ein bißchen kritisch auseinanderzusetzen.Dieses marktwirtschaftliche Instrument der Kompensation ist eine Herausforderung für alle Beteiligten. Für die mit dem Vollzug betrauten Behörden wird der Entscheidungsspielraum erweitert. Sie sind dadurch aber auch hinsichtlich der Verantwortlichkeit ihres Handelns gefordert. Aber auch der Gesamtheit der Anlagenbetreiber wird erweiterter Entscheidungsspielraum eingeräumt. Investitionen können vermehrt dort getätigt werden, wo sie größtmögliche Wirkung zeigen, überwiegend also sicher in größeren Betrieben mit günstiger Kosten-Nutzen-Relation. Dies bedeutet aber auch Vorteile für kleinere und mittlere Betriebe, bei denen in diesen Fällen aufwendige Investitionen zunächst zurückgestellt werden können.Auch diese neue Gesetzesgrundlage wird bereits in der Technischen Anleitung Luft 1985 umgesetzt. Nachdem der Gesetzgeber — ich sagte es bereits — die Zulassungsmöglichkeiten für Kompensation geschaffen hat, sind nunmehr Wirtschaft und Betriebe aufgefordert, den erweiterten Freiraum für betriebliche Entscheidungen auszuschöpfen. Die Ausnutzung vorhandener Kompensationsmöglichkeiten wird bei günstiger Kosten-Relation zu einer vermehrten Emissionsminderung führen, als dies bei Durchsetzung allein der ordnungsrechtlichen Anordnungen möglich wäre.Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung hat innerhalb kürzester Zeit eine völlige Neuordnung der Luftreinhaltung realisiert. In nur drei Jahren sind die wichtigsten Maßnahmen zur Verminderung der Schadstoffbelastung der Luft nicht nur auf den Weg gebracht, sondern größtenteils auch bereits umgesetzt worden, und die Erfolge werden sehr deutlich. Weitere Maßnahmen, beispielsweise die Verordnung zur Emissionsbegrenzung von leicht flüchtigen Halogen-Kohlenwasserstoffen, stehen unmittelbar vor dem Abschluß. Diese Maßnahmen und Regelungen werden nicht nur eine Verminderung der Gesamtbelastung an Schadstoffen bewirken, sondern sie werden gleichzeitig auch zu einer weitergehenden Modernisierung der Industrie und — in Teilbereichen — zu beachtlichen Investitionsschüben führen.Ich darf Ihnen versichern, daß meine Fraktion — ich bin überzeugt, daß dies auch für alle Koalitions-
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Schmidbauerparteien gilt — die umweltpolitischen Initiativen der Bundesregierung auch weiterhin nachdrücklich unterstützt.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schulte .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht über die Verminderung der Emissionen aus Altanlagen zeigt, daß die Zimmermannsche Umweltpolitik der Rauchgasreinigung der Kraftwerke und Industrieanlagen als gescheitert angesehen werden muß. Darüber können auch alle hier gehaltenen Schönwetterreden nicht hinwegtäuschen.
— Jetzt kommen Tatsachen! — Hinsichtlich der Entschwefelung machen die Elektrizitätswirtschaft und andere Industrien regen Gebrauch von den Ausnahmeregelungen der GroßfeuerungsanlagenVerordnung; und davon gibt es beileibe genug. Dies führt dazu, daß die dringend notwendige weitestgehende Reduzierung des Schwefeldioxidausstoßes erst in den 90er Jahren wirklich zum Tragen kommt.
Dann wird es allerdings für den Wald bereits zu spät sein.Noch unzureichender sind die Fortschritte, die bei der Entstickung der Kraftwerke und Industrieanlagen in den nächsten Jahren erreicht werden. Bereits jetzt steht eindeutig fest, daß mehrere Bundesländer, wie Niedersachsen, das Saarland oder Berlin, den Beschluß der Umweltministerkonferenz zur Entstickung der Großfeuerungsanlagen in den vorgesehenen Fristen nicht umsetzen werden. Die von den GRÜNEN geforderte Schadstoffabgabe wäre ein geeignetes Instrument, um die Industrie und die Kraftwerksbesitzer zu einer wesentlich schnelleren Rauchgasreinigung zu bewegen.
Auch die vorgesehene TA Luft wird keinen entscheidenden Beitrag zur Verminderung der Luftbelastung leisten können. Insbesondere bei der Verminderung der Umweltbelastung durch besonders gefährliche Stoffe, wie z. B. PCBs und Dioxine, sowie bei der Umsetzung des im Bundes-Immissionsschutzgesetz festgelegten Vorsorgeprinzips versagt auch die neue TA Luft weitgehend.Meine Damen und Herren, an die Müllverbrennungsanlagen werden lasche Anforderungen gestellt, die in keiner Weise geeignet sind, eine Verringerung der Dioxinemission bei der Müllverbrennung zu erreichen. Statt ein konsequentes Verbot der Verbrennung polychlorierter Biphenyle oder ähnlicher Stoffe durchzusetzen, erhöht Minister Zimmermann in der vorliegenden TA-Luft-Novelle die Grenzwerte. Die Emissionswerte für krebserregende Stoffe bleiben weiterhin an den betriebswirtschaftlichen Interessen der Industrie statt an einer konsequenten Gesundheitsvorsorge ausgerichtet.
Zudem fehlen für zahlreiche krebserregende Stoffe entsprechende Begrenzungen, z. B. für Formaldehyd und andere.Schließlich aber, auch dies ist ein gewichtiger Einwand gegen die von Minister Zimmermann — der sich zu solchen Debatten schon gar nicht mehr hier hertraut — vertretene vorgebliche Luftreinhaltepolitik, fehlt ein Konzept, wie die nach der Meinung der GRÜNEN unzureichenden Emissionsbegrenzungen in der TA Luft überhaupt umgesetzt werden sollen. Zur Umsetzung weitgehender Emissionsverminderungen gerade bei Altanlagen muß ein entsprechend wirksames Konzept entwickelt werden, das auch die Ausweitung des personellen und fachlichen Potentials der Genehmigungsbehörden umfaßt, aber auch vor allem eine Stärkung der Rechte von von Luftverunreinigungen betroffenen Bürgern etwa durch die Umkehr der Beweislast im Emissionsrecht oder das von den GRÜNEN geforderte Akteneinsichtsrecht vorsieht.
Nun zur Frage der Festlegung der europäischen Abgasnormen. Die GRÜNEN unterstützen die einhelligen Empfehlungen der EG-Kommission zur Senkung der Autoabgasgrenzwerte. Wir schließen uns der Aufforderung an die Bundesregierung an, daß bei sämtlichen Fahrzeugklassen die Grenzwerte entsprechend dem Stand der Technik wesentlich gesenkt werden. Dies bedeutet die Einführung des Katalysatorautos in allen Kategorien.Meine Damen und Herren, es ist beschämend, mit welcher Anhäufung unlauterer Mittel der Innenminister immer wieder versucht, der Bevölkerung das Märchen vom sogenannten umweltfreundlichen Auto aufzuschwätzen.
Vor wenigen Wochen legte die Bundesregierung der Öffentlichkeit einen Bericht des TÜV Rheinland vor, der beweisen soll, daß bis 1995 die Stickoxidwerte auch nach Einführung der laschen EG-Norm im Kraftfahrzeugbereich um immerhin 57 % reduziert werden könnten. Meine Herren, Sie wissen ganz genau, daß dies Angaben sind, die auf Daten der Automobilindustrie fußen, und daß diese Daten der Automobilindustrie nichts anderes als die Wunschvorstellungen der Lobbyvertreter aus diesen Branchen widerspiegeln.
— Doch leider handelt es sich auch bei dieser TÜV-Studie nicht, wie Sie, Herr Schmidbauer, behauptet haben, um eine realistische Angelegenheit, sondern für uns ist dies eine Traumtänzerstudie, die mit
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Schulte
getürkten Lobby-Zahlen der Automobilindustrie arbeitet.
Doch zum Glück werden sich die meisten Wähler bei ihrer Entscheidung 1987 nicht von den auch heute wieder vorgetragenen Propagandafeldzügen der Koalition, aber auch nicht von der Automobiloder Kraftwerkslobby beirren lassen.
Zu einer konsequenten Luftreinhaltepolitik ist diese Regierung nicht fähig, und sie sollte auch deshalb möglichst bald abgelöst werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Die dritte. — Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
— Ja, natürlich.Zunächst einmal zu Ihnen, Herr Kollege Schulte. Es ist ja von dieser Stelle oft selbstkritisch gesagt worden, was nicht oder nicht rechtzeitig erreicht worden ist. Ich wünsche mir, daß Sie auch einmal anerkennen, was erreicht worden ist. Haben Sie doch die Stärke, einmal zu sagen, daß bestimmte Dinge laufen! Sie können ja dann hinzufügen: Das haben wir alles geschafft, was nicht stimmt, aber Sie können ja zumindest einmal die Fakten anerkennen. Sie müssen anerkennen — das hat ja hier der Kollege Stahl von der SPD gesagt —: Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung greift. Man kann über das eine oder andere reden — über die Fristen, auch über das Verhalten einzelner Unternehmen oder Länder —, aber das ist ein wirksames Instrument.Ich darf Herrn Schmidbauer korrigieren, was den Begriff „Schublade" in bezug auf die Großfeuerungsanlagen-Verordnung angeht.
— Na ja, gut. — Es lag eben nicht in der Schublade, sondern die Großfeuerungsanlagen-Verordnung lag auf dem Tisch.
Bei den Ländern gab es Widerstände, bei verschiedenfarbigen Ländern, bei Ihren Ländern, bei CDU-Ländern natürlich auch. Ich könnte ganz prominente Waldschützer nennen, die heute an der vordersten Front der Waldschadensbekämpfung stehen; sie hatten damals noch nicht die Sensibilität, die ja auch erst gewachsen ist.
Hier muß man süddeutsche Länder nennen.Mein früherer Abteilungsleiter, Herr MenkeGlückert, der die Großfeuerungsanlagen-Verordnung vorbereitet hat, hat dazu einen hervorragenden Kommentar geschrieben und sorgt damit dafür, daß sie jetzt auch umgesetzt wird. Wir haben also eine ganze Reihe von Dingen in Bewegung gesetzt.Übrigens gilt das, was ich jetzt gesagt habe, auch für Teil II und Teil III der TA Luft. Alles war vorbereitet und hätte in der gleichen Frist seine Verwirklichung gefunden, wie das dann geschehen ist. Niemand sollte sich mit fremden Federn schmücken, meine ich.Wir haben gesehen, daß die früheren Immissionsschutzberichte schon ausweisen, daß die Schadstoffreduzierung in den 70er Jahren ja auch nicht von Pappe war. Es ist j a nicht vom Punkt Null angefangen worden.Herr Kollege Stahl, Ihre Wiederbelebungsversuche an der Schadstoffabgabe sind j a hier mit einer gewissen Zurückhaltung erfolgt. Sie haben sich nicht direkt dafür ausgesprochen. Ich gebe zu, daß ich auch einmal eine Zeitlang der Meinung war, man müßte durch eine solche Abgabe nachhelfen. Wenn sie aber Investitionen dadurch behindert, daß die Unternehmen eine Abgabe zahlen müssen und nicht investieren können, dann, würde ich sagen, sollten wir sie lieber aufgeben. Die Zahlen über die erfolgten oder geplanten Investitionen, die wir heute haben, legen eigentlich nicht nahe, Herr Kollege Stahl, daß wir in diesem Zusammenhang auf die Abgabe zurückkommen. Ich halte Abgaben nicht für generell schlecht — wir haben verschiedene Formen von Abgaben; die Abwasserabgabe ist eine hervorragende Abgabe, und ich würde gerne mit diesem Instrument in der Umweltpolitik mehr arbeiten, wenn ich könnte —, aber hier an dieser Stelle, glaube ich, hat das Verhalten aller Beteiligten eine Abgabe überflüssig gemacht. Wenn Sie weitere Vorschläge zur Luftreinhaltung haben — da stimme ich Herrn Kollegen Schmidbauer zu —, dann legen Sie sie bitte auf den Tisch.Herr Kollege Spranger hat hier soeben zu den Vorschlägen des Bundesrates zur TA Luft Teil III, die Sie hier erwähnt haben, gesagt: Die Bundesregierung sperrt sich gar nicht gegen diese Vorschläge.
— Nun gut, das ist der normale Prozeß der Gesetzgebung hier, auch bei Verordnungen: die Bundesregierung macht Vorschläge, auch der Bundesrat macht Vorschläge, und dann setzt man sich zusammen. Der Bundesrat hat einen ganz anderen Erfahrungshintergrund; er hat die Länderbehörden. Sie können erst dann Ihr Urteil sprechen, Herr Kollege Stahl, wenn die Verordnung vorliegt. Die Bundesregierung können Sie hier nicht kritisieren, weil sie
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Baumihre Meinung noch gar nicht abschließend gesagt hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Beurteilen wir doch die TA Luft erst dann, wenn sie wirklich vorliegt, nicht vorschnell. — Bitte.
Herr Kollege Baum, ich würde Ihnen j a gern zustimmen, aber wenn Herr Staatssekretär Spranger die TA Luft hier als vorbildliches Werk der Bundesregierung darstellt und im Bundesrat dann eine Nachbesserung in 70 Positionen stattfindet, ist doch die Frage berechtigt, ob das Lob, das er sich hier selbst zuspricht, in dieser Form vertretbar ist. Ich habe ausdrücklich den Willen der Länder und die Tatsache anerkannt, daß sie hier mehr getan haben als die Bundesregierung. Würden Sie mir da zustimmen?
Das ist nicht unbedingt gesagt. Ich kenne die Änderungen im einzelnen nicht, Herr Kollege, kann sie also nicht bewerten. Nur, das ist ein ganz normaler Vorgang. Das hat es früher auch gegeben.
Die Länder haben einen anderen Blick der Dinge. Sie bringen etwas ein, was der Bund nicht ohne weiteres einbringt. Aber Sie können die Bundesregierung erst dann kritisieren, wenn sie sich nachhaltig gegen Vorschläge wendet, die die Verbesserung der Umwelt zur Folge haben. Das war mein Petitum. Warten Sie das also bitte ab.
Zu dem, was Sie zu Nordrhein-Westfalen gesagt haben, kann ich nur sagen: tätige Reue! Ich habe mit dem Land Nordrhein-Westfalen gewisse Schwierigkeiten gehabt bei der Vorbereitung all dieser Verordnungen, die wir auch miteinander besprochen haben. Da gab es ja Schwierigkeiten mit den großen Kraftwerken, es gab Rücksichtnahmen, die die Landesregierung zuerst hatte. Wenn sie hier jetzt Abkommen trifft, wenn die großen Unternehmen investieren, dann wird das anerkannt. Es ist im Grunde ja auch ein Beweis dafür, daß die Richtung stimmt, daß die Vorgaben der Großfeuerungsanlagen-Verordnung nicht unsinnig sind. Diese Verordnung ist ja auch an sich anpassungsfähig. Sie enthält Dynamisierungsklauseln. Und kein Mensch ist gehindert, das Notwendige zu tun, auch wenn das nicht unbedingt in dieser Verordnung steht. Das sind doch Mindestvorschriften. Ich habe mich immer gewundert, daß die Ministerpräsidenten auf so eine Verordnung gewartet haben. Sie haben in vielerlei Hinsicht die Möglichkeit, mit ihren Unternehmen Abkommen zu schließen, wie das ja Herr Späth in Baden-Württemberg sehr früh gemacht hat, aber natürlich in einer Situation, die nicht so schwierig ist wie die in Nordrhein-Westfalen, denn er hat nur wenige Kraftwerke. Aber er hat es immerhin gemacht.
Ich will jetzt nicht die ganzen Maßnahmen aufzählen, auch nicht ihren Inhalt wiedergeben. Das ist ja hinreichend diskutiert worden. Ich will auch nicht das wiederholen, was Herr Kollege Schmidbauer und andere gesagt haben zu der Reduzierung, die mit den Fristen 1985, 1988, 1990 etc. im Schadstoffbereich stattfindet. Das alles ist hier ausgeführt worden.
Ich möchte noch einmal auf Europa zurückkommen und auch noch einmal auf das Auto. Herr Kollege Schulte, da ist nichts mehr zu ändern. Die Europäer haben das festgelegt. Die Bundesregierung ist mit ihren Zielen nicht durchgekommen. Wir haben das hier diskutiert.
Die Frage ist jetzt: Was machen wir daraus? Da genügen mir — das muß ich ganz deutlich sagen — nicht positive Stellungnahmen der Automobilverbände, sondern ich erwarte von jedem Automobilverkäufer, daß er dem Kunden die Vorteile und die Notwendigkeit eines schadstoffarmen Fahrzeuges vor Augen führt und nicht, wie es leider noch vielfach geschieht, ihm vom Kauf abrät. Jetzt ist die Entscheidung jedes Käufers gefordert, und jetzt wird eine Dynamik auf dem Markt zum schadstoffarmen Auto hin notwendig sein. Was das bleifreie Benzin angeht, haben wir Voraussetzungen geschaffen. Wir müssen jetzt, Herr Schulte, in dieser Situation leben. Die GRÜNEN sind an die Entscheidungen der Europäischen Gemeinschaft genauso gebunden wie alle anderen auch.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte? — Bitte, Herr Kollege.
Herr Baum, ist Ihnen bekannt, daß die Dänen diesem Beschluß immer noch nicht zugestimmt haben und daß, wenn sie bis zum Ende des Jahres bei ihrer Meinung bleiben, die ganzen EG-Beschlüsse obsolet sind?
Herr Kollege, das ist mir bekannt. Dann wird die Sache noch schlimmer. Dann halten sich die anderen europäischen Staaten nicht einmal an diese Norm, die wir ausgehandelt haben.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Ja.
Bitte sehr, Herr Kollege Schulte.
Wenn diese EG-Beschlüsse Ende des Jahres aufgehoben werden, besteht sicherlich die Möglichkeit, den von uns und vor einiger Zeit auch einmal von Ihnen geforderten nationalen Alleingang durchzuführen. Sind Sie bereit, in dieser Hinsicht nachzudenken?
Nein, Herr Kollege, das geht rechtlich eben leider nicht. Das geht dann nicht mehr.
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12844 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
BaumDas ist eine europäische Materie, die europäisch geregelt werden muß. Wir haben das durch die Art, wie wir verhandelt haben, anerkannt. Ich habe damals die Verhandlungen eingeleitet. Wir werden dann, wenn sich Dänemark durchsetzt, leider in einer schlechteren Situation sein, als wir sie heute haben.Ich möchte eine letzte Bemerkung zum Schwefelgehalt in leichtem Heizöl machen. Die Kommission hat hier einen Vorschlag gemacht, der mich nicht befriedigt: ab 1. Juli 1987 eine Herabsetzung von 0,5 % auf 0,3 %. Das ist zuwenig. Auch die Öffnungsklausel reicht nicht. Es ist technisch und wirtschaftlich möglich, eine Reduzierung auf 0,15 % zu erreichen. Ich meine, die Mitgliedstaaten sollten zumindest ermächtigt werden, eine solche Herabsetzung national festzulegen. Herr Kollege Spranger, darauf sollten Sie drängen.Wir werden die Europäische Gemeinschaft sehr genau beobachten, meine Damen und Herren. Sie darf nicht nur eine Wirtschafts- oder Agrargemeinschaft sein. Sie muß die Umweltziele einbeziehen. Wenn wir jetzt für eine europäische Forschungsinitiative eintreten, dann erwarte ich, daß die Umweltziele dort einen gebührenden Raum einnehmen. Man kann sich im übrigen auch darüber Gedanken machen, ob es nicht zweckmäßig ist, im EG-Vertrag die Umweltverpflichtung der Gemeinschaft ausdrücklich festzuhalten.
Wir brauchen die Solidarität der EG-Europäer. Umweltpolitik muß eine gemeinsame Politik sein. Wir sind in vielerlei Hinsicht an Europa gebunden. Wir werden das wahrscheinlich auch noch sehen, wenn wir über das Tempolimit diskutieren.
Das Wort hat der Abgeordnete Duve.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Baum, bei Ihrer letzten Bemerkung und Anregung, glaube ich, können wir Ihnen zustimmen. Wir brauchen eine europäische Ebene des Handelns, die anders aussieht als das, was wir in den letzten Jahren erlebt haben.
Herr Schmidbauer, es kommt auf den Maßstab an, mit dem wir bewerten wollen: Ist das jetzt alles ein großer Erfolg oder nicht?
Natürlich müssen es die Regierung und die Regierungsfraktionen als Erfolg sehen. Wir müssen es an dem messen, was im Wald los ist. Wir müssen es an dem messen, was bei unseren Gebäuden usw. los ist. Wir müssen eben sagen: Es ist nicht das Regelungswerk, das die Geschwindigkeit der Beschädigung und die Geschwindigkeit des Schadens — die wir in den 70er Jahren so gar nicht erkannt haben — angemessen berücksichtigt. Diese Geschwindigkeit ist so stark, daß wir heute sagen müssen: Es ist leider kein Erfolg.
Herr Schmidbauer, lassen Sie mich einen anderen Gedanken aufgreifen. Ich gehe jetzt ein bißchen von dem Vorbereiteten ab. Ich glaube, Sie können es im Wahlkampf nicht durchhalten — wir müssen uns darüber sehr ernst unterhalten —, mit einem gewissen Lächeln zu sagen: Das hat ja Baden-Württemberg alles so gemacht; guckt doch einmal auf Nordrhein-Westfalen! Sie könnten auch sagen: Guckt einmal auf Hamburg! oder: Guckt einmal auf die alten Industriestandorte! Wenn wir nicht zu einer Diskussionsqualität in diesen Fragen kommen, die berücksichtigt, was die alten Industriestandorte in dieser nationalen Aufgabe leisten müssen,
was sie als nationale Aufgabe geleistet haben, und wenn sich Bayern und Baden-Württemberg immer wieder hinstellen und mit dem Finger auf die anderen zeigen und sagen: Wir haben die sauberen elektronischen Industrien!, dann kriegen wir ein Klima hier im Lande, Herr Schmidbauer, das uns bei der Altlastensanierung und vielen anderen Fragen dann nicht mehr durchhalten läßt. Ich möchte Sie nur bitten, einmal darüber nachzudenken, daß wir zu einer anderen Form kommen sollten. Sie haben vorhin bei der positiven Bilanz ein bißchen den Wahlkampfrausch eingeführt. Aber in dieser einen Frage müssen Sie vorsichtig werden.
Herr Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidbauer?
Ja, natürlich, wenn es nicht angerechnet wird.
Bitte sehr.
Herr Kollege Duve, ist Ihnen entgangen, daß ich mit den Ländervergleichen in der Art, wie Sie es hier darstellen, nicht operiert habe und daß es der Kollege Stahl war, der mit den Ländervergleichen begonnen hat? Für den Fall, daß Ihnen das entgangen ist, bitte ich Sie dringend, im Protokoll nachzulesen und hier nicht so zu tun, als ob das von uns in die Debatte eingeführt wurde.
Mir ist von der Debatte überhaupt nichts entgangen. Aber Ihr lächelnd vorgetragener Hinweis, daß das schließlich Baden-Württemberg gewesen sei, was in der Sache gar nicht stimmt, da wir viele Länder-Anträge hatten und auch eine Debatte mit Herrn Späth im Plenum geführt haben, zeigt, daß ich mit meiner Vermutung richtig gelegen habe. Ihre Zwischenfrage zeigt doch auch, daß Sie sich getroffen fühlen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12845
DuveInsofern werden wir uns dann da wieder — —
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Stahl?
Ja, selbstverständlich. Sie rechnen mir das, Herr Präsident, ja nicht an. — Bitte schön.
Herr Kollege Duve, würden Sie mir zustimmen — und das vielleicht an Herrn Kollegen Schmidbauer weitergeben —, daß gerade auf das Land Nordrhein-Westfalen als größtes Kohleland durch die GroßfeuerungsanlagenVerordnung besondere Belastungen zukommen werden und das Land Baden-Württemberg nicht bereit ist, der Finanzierung der Kohle als nationaler Aufgabe durch Bund und Länder zuzustimmen?
Ich bin gerne bereit, da zuzustimmen. Im Gegenteil, ich möchte es noch erweitern. Ein Ministerpräsident, der angesichts einer solchen Debatte nach Frankreich fährt, um zusätzlichen Atomstrom zu importieren, und sich überhaupt nicht mehr an eine nationale Aufgabenstellung in Richtung Kohle erinnern mag, ist ein schlechter Anwalt dieser Jahrhundertaufgabe, lieber Herr Schmidbauer.
Nein, dieses Regelungswerk, das wir mit in Gang gesetzt haben, greift zu kurz — im Falle des schadstoffarmen Autos haben wir das gemerkt —, und es greift zu spät. Unsere gesamte Umweltpolitik leidet darunter, daß wir heute mit viel Kraftaufwand Maßnahmen anstreben, nach Interessenlage umkämpfen, an ihnen zerren, die Lobbies an ihnen mitwirken und viele Zähne ziehen lassen, die im nächsten oder gar im übernächsten Jahrzehnt erst richtig greifen werden. Wir berauschen uns heute — auch Schmidbauer hat das hier getan — an errechneten statistischen Erfolgen von übermorgen. Auch eine verlangsamte Zunahme des Waldsterbens ist eine Zunahme. Das Ansteigen der Zahl der Bronchialerkrankungen, dramatische Beschädigungen unserer Bauten, nicht nur der Baudenkmäler, sondern auch der Profanbauten, zeigt, daß wir uns eben nicht an Erfolgen von übermorgen berauschen dürfen, sondern wahrscheinlich auch in der Methode heute noch zu einer anderen Lösung kommen müssen. Der Bericht der Bundesregierung macht doch deutlich: Die wesentlichen Wirkungen sind in den 90er Jahren oder im nächsten Jahrhundert zu erwarten.— Und wie wird Mitteleuropa in den 90er Jahren aussehen?
— Schön? Wenn unsere Kulturbauten, Kirchen, Schlösser, unsere wenigen architektonischen Meisterwerke des 19. und 20. Jahrhunderts, die der Krieg übriggelassen hat, nur noch schadstoffzerfressene Ruinen oder Materialfalsifikate sind, weil inzwischen jeder Stein hat ausgetauscht werden müssen. Es wäre verkehrt, wollte man der Bundesregierung heute vorwerfen, sie hätte den einen großen Schlüssel für das industrielle — —
— daß Sie da Ihre Schwierigkeiten haben, Herr Schmidbauer, weiß ich. Darüber können wir uns privat unterhalten. Ich schenke Ihnen auch gern mal ein Buch.Daß es diesen einen Schlüssel, diesen ökologischen Sesam-öffne-dich, für das Reich der unbeschädigten Natur nicht gibt, wissen wir. Den verlangt auch niemand. Insofern muß man das, was erfolgreich war, auch anerkennen. Das wollen wir auch gerne tun. Aber wir müssen der Bundesregierung vorwerfen,
daß sie das wichtige zweite Feld der vorsorglichen Umweltpolitik, die Vermeidung von Verbrennungsvorgängen, sträflich vernachlässigt hat.Mehr als 90 % aller Umweltbelastungen werden durch Energieumwandlung bewirkt. So ist es wohl an der Zeit, nicht nur an das Ende dieser Energieumwandlungen Filter zu pfropfen, beim Auto, bei der Industrie oder beim Kraftwerk, sondern diese Vorgänge insgesamt zu reduzieren. Da sind wir, glaube ich, einer Meinung: Energieeinsparung, Doppelnutzung von Energie durch Wärme-Kraft-Koppelung, durch Fernwärmeprogramme. Die Regierung Schmidt/Genscher, die Minister Baum und Hauff haben seit 1974 Energiesparprogramme vorgelegt— damals noch nicht Baum und Hauff, aber andere Minister —, die Forschung auf diesem Gebiet ist weitergetrieben worden. Wer 1982 die Umwelt wirklich schonen wollte, hatte ein hervorragendes Instrumentarium im Hinblick auf sparsamen Energieverbrauch in Händen, sowohl was die technischen Erkenntnisse als auch was die finanziellen Operationen betrifft. In den 70er und zu Beginn der 80er Jahre ist in der Bundesrepublik wirklich eine umfassende Energieeinsparphilosophie entwickelt worden. Die neue Bundesregierung hätte dies nur alles aufgreifen müssen. Ich zitiere den damaligen Forschungsminister Hauff: „Energieeinsparen ist zu einem überragenden politischen Ziel" — —
— Sie müssen uns doch die Möglichkeit geben, auch einmal etwas zur Umweltpolitik zu sagen. Aber wenn Sie den Kollegen Hauff vermissen: Er wird zu diesen Fragen immer wieder Stellung nehmen. — Ich darf ihn einmal zitieren: „Wir müssen uns auf grundlegende Veränderungen des gesamten Energieversorgungssystems in den kommenden Jahrzehnten einrichten;" — eine Äußerung aus dem Jahre 1980 — „oberstes Ziel muß es dabei sein, durch rationelle und sparsame Energieverwendung zu verhindern, daß der Energieeinsatz gesteigert wird."
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12846 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
DuveIch will das Versäumnis der Bundesregierung auf diesem Feld an zwei Beispielen erläutern: Das 4,35Milliarden-DM-Programm, das sogenannte Fensterprogramm, ist nicht fortgeführt worden, die neuen, unserem Erkenntnisstand entsprechenden Paketlösungen, wie sie die Amerikaner praktizieren, sind nicht weiter gefördert worden, die Sanierung des Energieverbrauchs in den Häusern und Wohnungen ist als politisches Ziel von dieser Bundesregierung aufgegeben worden. Auch hier hat sie sich an der Natur strafbar gemacht.Ein zweiter Punkt: Das Fernwärmeausbauprogramm, ZIP II, bisher mit 1,2 Milliarden DM als Fifty-fifty-Partie mit den Ländern gefahren, läuft Ende 1986 aus, und die Regierung und auch die CDU-Länder sagen, sie wollten es nicht fortführen.Wenn ich mir die Anhörung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, die wir durchgeführt haben, in Erinnerung rufe,
dann könnten wir, was die Nutzung der Ab- und Fernwärme anbelangt, die Fortführung dieser Programme wirklich sehr gut gebrauchen. Nun müssen die Bundesländer das selber machen. Hessen und Hamburg machen diese Einsparprogramme selber, weil die Bundesregierung hier ihrer Verpflichtung nicht mehr nachkommt.Das wichtigste Kernstück für diese Frage wäre ja eine Reform des Energiewirtschaftsgesetzes. Da hören wir überhaupt nichts von der Bundesregierung, denn das ist der Brocken, dessen Beseitigung an — —
— Das Energiewirtschaftsgesetz ist überflüssig; da gebe ich Ihnen völlig recht.Nichts ist von einer Reform zu hören. Wir können auf dem Gebiet der Regelung der Versorgungsnetze nicht vorankommen, wir können nicht zu linearen oder gar progressiven Strompreisen kommen, solange dieses Gesetz über die Bundestarifordnung den Grundpreistarif vorschreibt.
Ich möchte, da meine Redezeit jetzt zu Ende geht, noch ein Wort zu der Empfehlung unserer Europa-Kommission sagen. Das ist ja wohl, wenn ich das richtig verstehe, eine schallende Ohrfeige für die Brüsseler Beschlüsse, an denen ja die Bundesregierung mitgewirkt hat.
Einstimmig, also mit den Stimmen aller Fraktionen— ich hoffe, daß hier auch Mitglieder der EuropaKommission dabei sind —, ist die Kommission „der Auffassung, daß die Abgasgrenzwerte ... nicht den Beschlüssen des EP entsprechen". Ich zitiere weiter: Sie empfiehlt, „die Bundesregierung aufzufordern, dafür einzutreten, daß in sämtlichen Fahrzeugklassen die Grenzwerte entsprechend demStand der Technik ... gesenkt werden". Die Europa-Kommission tadelt also die Bundesregierung, so wie die Opposition die Bundesregierung immer getadelt hat.
Lassen Sie mich eine Schlußbemerkung machen: Wir haben in Hannover das grandiose Bundeskanzlerspektakel zur SDI-Diskussion miterlebt. Ich meine, wir sollten — ein kleines Wortspiel — SDI auf Erden machen: Stoppt die Immissionen! Da können wir uns anstrengen. Da brauchen wir das nicht im Himmel zu tun, das können wir auf Erden tun. Da ist sehr viel zu tun. Einem solchen SDI-Programm würde die Opposition mit Freuden und großer Tatkraft zustimmen. Wenn sie selber an der Regierung ist, wird sie es auch durchführen.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 10/2965 und 10/3609 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Entwicklungspolitik in Afrika— Drucksache 10/3702 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Auswärtiger AusschußFinanzausschußAusschuß für Wirtschaftb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Verheugen, Bindig, Brück, Dr. Hauchler, Herterich, Dr. Holtz, Dr. Kübler, Frau Luuk, Neumann , Schanz, Schluckebier, Frau Schmedt (Lengerich), Toetemeyer, Voigt (Frankfurt), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Maßnahmen zur Abschaffung der Apartheid— Drucksache 10/3994 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß
SportausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für wirtschaftliche ZusammenarbeitMeine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b und eine Aussprache von 60 Minuten vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12847
Präsident Dr. JenningerIch eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Verheugen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man fragt sich, was eigentlich in Südafrika noch passieren muß, ehe auch bei uns etwas passiert,
und wie viele Menschen in Südafrika noch sterben müssen, bis auch die Bundesregierung einsieht, daß von ihr Taten verlangt werden und nicht diplomatische Gesten.Die Südafrikapolitik der Bundesregierung kann man nur mit wachsendem Entsetzen verfolgen. Obwohl die richtigen Einsichten durchaus vorhanden sind, versucht sie sich durchzumogeln, indem sie verbal die Apartheid bekämpft, aber, wenn es um wirksame Maßnahmen geht, die internationale Politik blockiert und sabotiert.
Es gibt im Südafrika-Konflikt keine neutrale Haltung. Wer sich nicht klar und eindeutig auf die Seite der unterdrückten Mehrheit stellt, der steht auf der Seite der Unterdrücker.
Wer wirksame Maßnahmen gegen die Apartheid, die über Lippenbekenntnisse hinausgehen, ablehnt, der unterstützt und stabilisiert im Ergebnis den südafrikanischen Rassismus und darf sich nicht wundern, wenn er international auf die Anklagebank gerät.
Ist es der Bundesregierung eigentlich gleichgültig, wenn sie von den Betroffenen in Südafrika, aber auch weltweit neben der amerikanischen und der britischen Regierung beschuldigt wird, eine konsequente Antiapartheidspolitik zu verhindern? Der Bundeskanzler selber hat sich dem Verdacht ausgesetzt, rassistische Positionen zu vertreten. Seine von der CSU-Landesleitung verbreitete Auffassung, freie und allgemeine Wahlen in Südafrika seien unverantwortlich und undurchführbar, wurde nicht dementiert und nicht bestätigt.
In derselben Grauzone verbirgt sich die Position der Bundesregierung zu den Beschlüssen der Außenminister der EG, Spaniens und Portugals. Unterstützt sie nun die von der EG beschlossenen Sanktionen, und verwirklicht sie diese Sanktionen in ihrem Verantwortungsbereich, oder steht sie auf dem Standpunkt, mit Ausnahme der kulturellen Zusammenarbeit gehe sie das alles nichts an, obwohl wir schon nachgewiesen haben, daß mindestens beim Waffenembargo und beim Ölembargo unmittelbarer deutscher Handlungsbedarf besteht?Wenn schon nicht christliche Nächstenliebe oder Solidarität mit den Opfern des Rassismus die Politik der Koalition beeinflussen können, dann doch wenigstens unser nationales Interesse. Die Sprecher der Opposition in Südafrika sagen jedem, der es hören will — der Bundesregierung haben sie es sogar schriftlich gegeben —: Wenn wir einmal frei sein werden, dann werden wir uns daran erinnern, wer uns in unserem Befreiungskampf geholfen hat und wer nicht.Ich füge hinzu: Die Menschen in Südafrika werden eines Tages frei sein.
Das kann noch lange dauern. Es wird immer wahrscheinlicher, daß bis dahin noch Ströme von Blut fließen werden. Was wir tun können und tun müssen, ist, einen Beitrag zu leisten, daß der Wandel in Südafrika schnell kommt
und daß er in friedlichen Bahnen verläuft.
Mit den üblichen diplomatischen Mitteln ist das nicht zu erreichen. Wir haben alle zusammen — ich räume das ein — lange geglaubt, daß wir durch wirtschaftliche Zusammenarbeit einen wirtschaftlichen Wandel und durch diplomatischen Druck einen politischen Wandel in Südafrika bewirken können. Das war eine Illusion.
Wir müssen die Kraft haben, uns von dieser Illusion zu lösen.Die weiße Minderheitsregierung in Südafrika glaubt, daß sie vom Westen keine ernsthaften Maßnahmen zu befürchten hat. Ihre jüngsten Aktionen zeigen es mit brutaler Offenheit: Dieses Regime nimmt inzwischen alle klassischen Erscheinungsformen eines totalitären Systems an.
In der vergangenen Woche hat es die ohnehin bestehende Zensur auf die Fernseh-, Hörfunk- und Bildberichterstattung aus den Gebieten des Ausnahmezustandes ausgeweitet und die Ordnungskräfte außerhalb des Gesetzes gestellt. Sind das die Reformen, die die Regierung Botha der Weltöffentlichkeit versprochen hat?Ich weiß, daß diese Regierung für sich in Anspruch nimmt, Reformen in Gang gesetzt zu haben. Aber vielleicht ist einmal eine Klärung der Begriffe nützlich. Die Reform, die wir für Südafrika verlangen, ist die Abschaffung der Apartheid, nicht ihre Modifikation.
Die große Frage und der Kernpunkt des Streites ist, wie man auf die südafrikanische Regierung wirklich einwirken kann. Es gibt die These, daß wirtschaftlicher Druck eher das Gegenteil dessen bewirken würde, was man erreichen will.
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12848 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Verheugen— Wissen Sie, wer sich von der südafrikanischen Regierung nach Südafrika einladen läßt und auf Kosten dieser Regierung durchs Land reist, dessen Aussagen über dieses Land nehme ich nicht an, akzeptiere ich nicht.
Diese These muß man erst nehmen, wenn man die Mentalität eines beachtlichen Teils der weißen Bevölkerung Südafrikas richtig einschätzt.
Ich nehme das sehr ernst. Aber die unterdrückten Menschen in Südafrika und die Gegner der Apartheid in der weißen Bevölkerung fordern von uns wirtschaftlichen Druck. Das Argument, wirtschaftliche Maßnahmen würden zuerst den Schwarzen schaden, halten sie für pure Heuchelei.
Außerdem kann man nicht bestreiten, daß die südafrikanische Regierung und vor allem die südafrikanische Wirtschaft auf die weltweit geführte Diskussion über Sanktionen reagiert haben. Ohne diese Diskussion hätte es die wenigen, zum Teil auch Ankündigung gebliebenen Reformen überhaupt nicht gegeben. Ganz sicher bezöge die südafrikanische Wirtschaft nicht in so deutlicher Form Stellung gegen die Apartheid, wie sie es jetzt tut.Schließlich wird den Weißen in Südafrika immer wieder erzählt, der Westen könne sich überhaupt nicht gegen sie stellen, weil er Südafrika als Rohstofflieferant und als Bollwerk gegen die Ausbreitung des Kommunismus in Afrika dringend brauche.
Diese falsche Einschätzung der eigenen Situation führt ja erst zur Reformverweigerung. Die Wahlerfolge der extrem rechten Parteien bei den Nachwahlen in der vergangenen Woche sind leicht zu erklären: Diese Parteien machen die Menschen glauben, das Apartheidsystem könne überleben, und sie verwenden die Haltung der USA, Großbritannien und der Bundesrepublik als Beweis dafür.Wir müssen also den Weißen in Südafrika zeigen, daß ihre Annahmen falsch sind. Sie müssen erfahren, daß ihre Rohstoffe und ihr Antikommunismus keine Rechtfertigung für ihren brutalen Rassismus darstellen.
Unser Antrag verfolgt genau dieses Ziel. Ein Katalog von ausgewählten, zeitlich begrenzten und auch rücknehmbaren Maßnahmen ist das Kernstück.Die Forderungen liegen auf der Linie der Meinungsbildung fast aller Staaten der Welt. Sie entsprechen auch der Erklärung der EG-Außenminister vom 10. September 1985, in der es heißt — ich zitiere —:Die Frage anderer Maßnahmen einschließlichSanktionen bleibt bestehen. Wie die Zehn, Spanien und Portugal am 22. Juli dieses Jahresfestgestellt haben, könnten sie zur Überprüfung ihrer Haltung gezwungen sein, wenn wesentlicher Fortschritt innerhalb einer vernünftigen Zeitspanne ausbleibt; sie werden die Lage periodisch überprüfen.Die Fortschritte sind nicht nur ausgeblieben, die Lage ist schlechter geworden. Es ist zu befürchten, daß die Regierung Botha unter dem Eindruck der Stimmenverluste künftig noch mehr auf Repression als auf Reform setzt. Der Zeitpunkt zur Überprüfung des EG-Standpunktes ist gekommen. Wir möchten die Bundesrepublik Deutschland nicht länger im Bremserhäuschen sehen.
Unabhängig von den Maßnahmen, die wir als gemeinsame europäische Aktionen wünschen, gibt es ein paar Dinge, die uns speziell betreffen. Die Bundesregierung macht sich nachgerade zum Popanz der südafrikanischen Regierung, wenn sie es immer noch nicht für nötig hält, auf den politischen Mißbrauch zu reagieren, den Pretoria mit dem einseitigen Visumzwang treibt. Herr Staatsminister, Sie wissen das. Ich weiß auch, daß sich Ihr Amt bemüht, das zu ändern. In letzter Zeit häufen sich wieder die Fälle von Sichtvermerksverweigerungen. In erster Linie sind Journalisten und Wissenschaftler davon betroffen. Wir fordern nunmehr dringend, daß Sie der südafrikanischen Regierung eine Frist setzen, innerhalb derer sie den Visumzwang aufhebt, oder daß wir anderenfalls die Sichtvermerkspflicht auch für südafrikanische Reisende in die Bundesrepublik einführen. Das ist in unseren Augen inzwischen auch eine Frage der eigenen nationalen Selbstachtung.
Interessant wäre es auch, von der Bundesregierung zu hören, wie weit ihre Verhandlungen mit Südafrika über ein neues Kulturabkommen gediehen sind.Lassen Sie mich noch ein Wort an die Adresse der deutschen Wirtschaft sagen. Wir erkennen an, daß die großen deutschen Unternehmen in Südafrika im sozialen Bereich in der Regel über dem afrikanischen Standard liegen.
Das reicht aber nicht aus, um das Engagement in Südafrika rechtfertigen zu können. Wir erwarten von der deutschen Wirtschaft eine klare und eindeutige Position gegen die Apartheid in der Weise, wie Kirchen und Gewerkschaften sie bei uns eingenommen haben.
Wir haben als Deutsche eine besondere Verantwortung, wenn es um Südafrika geht. Unser Volk hat schreckliche Erfahrungen mit der rassistischen Verblendung gemacht. Die Konsequenz, die sich daraus ergibt, kann ich nicht besser als mit den Worten des Bundesaußenministers beschreiben, der einmal gesagt hat: Im Kampf gegen den Rassismus
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12849
Verheugenist unser Platz an der Seite der Unterdrückten und Rechtlosen. — Wir möchten erreichen, daß in diesem Sinne auch gehandelt wird.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Hornhues.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Verheugen, um vorab eines zu sagen: Sie haben Ihren Antrag überschrieben: „Maßnahmen zur Abschaffung der Apartheid". Ich glaube nicht, daß Sie selbst überzeugt sind, daß Ihr Antrag zur Abschaffung der Apartheid führt. Vielleicht kommen wir einmal dazu, statt hier im Vier-Wochen-Rhythmus immer das gleiche Thema zu behandeln, uns endlich einmal zusammenzusetzen und zu überlegen, was tatsächlich getan werden kann;
das wäre besser, als hier im Grunde mit viel Emphase und mit viel Pathos über etwas zu reden, was wir durch dieses Reden mit Sicherheit nicht verändern.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir bedauern zutiefst die Fülle von Ereignissen in der Republik Südafrika in den Wochen seit der letzten Debatte; im Monatsabstand debattieren wir hier ja. Wir bedauern es, daß die Gewalt nicht ab-, sondern zugenommen hat. Wir bedauern die Verbote für die Presse und vieles andere mehr. Vor allen Dingen bedauern wir, daß es bisher trotz Ankündigung auf allen Seiten, man wolle gemeinsam über das Schicksal Südafrikas verhandeln, leider noch nicht konkret zu solchen Verhandlungsschritten gekommen ist. Dies alles bedauern wir.
Wir hätten es außerordentlich gern gehabt, wenn uns mehr andere Meldungen erreicht hätten, die es auch gegeben hat, nämlich Meldungen von Versuchen, wie sie von einzelnen Gruppen, von Einzelpersonen, von Kirchen, Unternehmen, bis hin selbst zu Abgeordneten der Nationalen Partei gemacht wurden und unverändert gemacht werden, statt Gräben aufzureißen, zu vertiefen, Brücken zu bauen, damit das, was notwendig ist, nämlich das Verhandeln über die gemeinsame Zukunft, stattfinden kann.
Ich möchte nicht versäumen und nicht zurückstehen, hier an dieser Stelle ihnen allen, die diesen Versuch immer wieder machen, unseren herzlichen Dank und unsere persönliche Anerkennung für das auszusprechen, was sie tun, wobei sie sich oft versagen, sich auf die billige Art auf die eine oder andere Seite zu stellen und die passenden schön klingenden Resolutionen zu unterzeichnen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte denjenigen, die ich angesprochen habe, versprechen, daß wir ihnen jegliche Unterstützung bei dem zuteil werden lassen, was ihrem Bemühen um friedlichen Ausgleich und Wandel, soweit dies noch möglich ist, dient. Dazu gehört auch, daß wir ihnen versprechen, mit Sanktionen und Boykotten nicht denen in die Hände zu spielen, die ihre Ziele mit Gewalt zu erreichen versuchen, wobei ich hinzufüge: auf beiden Seiten des Grabens, den es in Südafrika gibt.
Wir sind unverändert der Auffassung, daß Boykotte, Sanktionen, wie sie etwa im Antrag der SPD gefordert werden, kein Mittel zur friedlichen Lösung sind.
Im Gegenteil, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind diese Wege weitergegangen. Man muß die Realitäten Südafrikas einmal so nehmen, wie sie sind, und nicht so, wie man sie gern haben möchte, da das sonst zur Verhärtung von Positionen führt.
Jeder, der hier für mehr Sanktionen, mehr Boykotte oder wie man die einzelnen Dinge immer nennen mag, Herr Verheugen, spricht, vielleicht sogar glaubt — das will ich unterstellen —, das würde wirklich zur Lösung der Probleme beitragen, sollte im Ernst einmal angesichts der gegebenen Situationen die realen Reaktions- und Wirkungsketten durchspielen, die es mit sich bringen würde, wenn man diesem Weg folgen würde; er kommt dann — davon bin ich überzeugt — unweigerlich zu dem Ergebnis, daß mehr Not, mehr Elend, mehr Konfrontation, mehr Gewalt und mehr Blut und Tod
in Südafrika selbst und in der ganzen umliegenden Region die Folge sein werden.
Es gibt da manchen, der den Kopf schüttelt, Herr Kollege Toetemeyer, und der sagt: Lieber jetzt mehr, und dann ist es vorbei, als weiter auf lange Zeit dieses Problem. Man mag so denken, nur will ich Ihnen eines sagen: Für uns und für mich kann und darf dies nicht die Perspektive einer Politik zur Lösung der Probleme sein, und sie ist es auch nicht. Wir sind nicht bereit, uns hier locker hinzustellen und zu erklären: Wir ergreifen Partei, treiben in die Konfrontation und treiben die Menschen gegen die Polizei,
um zum Ausdruck zu bringen: Besser jetzt Probleme als für lange Zeit den gegenwärtigen Zustand hinnehmen. Das kann nicht unser Weg sein!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve?
Bitte schön.
Herr Kollege Hornhues, es geht doch nicht nur darum, Partei zu ergreifen. Sind Sie bereit, das, was in den letzten zehn Tagen in Südafrika passiert ist — Fotoverbot, Filmverbot —, konkret zu bewerten, statt auf diese Weise abstrakt über diese politischen Vorgänge hinwegzugehen?
Der Herr Kollege Verheugen hat eben gesagt, Sie würden immer zuhören. Wenn Sie tatsächlich zugehört hätten, hätten Sie — lesen Sie es bitte im Protokoll nach — bemerkt, daß ich damit meine Rede begonnen habe.
— Ich will das jetzt nicht wiederholen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer die ganze Realität Südafrikas — dazu gehört dann auch das Problem der letzten Wahlen, die ich gar nicht überbewerten will - zur Kenntnis nimmt, der kommt zu dem Ergebnis, daß Boykotte und Sanktionen — ich bleibe dabei — in die Konfrontation und in die Gewalt treiben. Ziel unserer Politik muß es jedoch sein, genau diese Konfrontation, die im Blutbad endet, zu vermeiden.
Von daher bleiben wir dabei, daß das Zwingendste, das Notwendigste und das erste die Intensivierung dessen ist und bleiben muß, was wir den konstruktiv-kritischen Dialog nennen, die Intensivierung dieses Dialogs mit dem Kernziel, unseren Beitrag dazu zu leisten — —
— Entschuldigen Sie bitte, Herr Toetemeyer, können Sie, wenn Sie hier vor vier Wochen gestanden haben, erwarten, daß sich vier Wochen später die Welt so verändert hat, wie Sie es möchten?
Kernziel muß es bleiben, daß es zu den angekündigten Verhandlungen kommt. Hier haben wir noch eine erhebliche Möglichkeit, die bisher meiner Auffassung nach nicht hinreichend genutzt worden ist, die Möglichkeit, auf allen Seiten — bei Kirchen, Gewerkschaften und Parteien, wobei ich uns alle mit einschließe — wirklich einmal das zu versuchen, was drin ist, statt hier eine Debatte nach der anderen zu führen. Ich weiß Sinnvolleres, wie ich helfen kann, dort Probleme zu lösen.
Hierzu gehört die Verstärkung des Sonderprogramms „südliches Afrika", und dazu gehört die Neuverhandlung des Kulturabkommens mit dem Ziel der Einbeziehung aller Teile der Bevölkerung. Dazu gehört aber auch, denjenigen, die den schwierigen Weg zwischen den Extremen gehen wollen, die den Weg der Vernunft, den Weg des Friedens, den Weg des Ausgleichs und der Menschenrechte für alle in Südafrika gehen wollen, ein Angebot zu machen, ihnen bei der Fülle der Probleme zu helfen, die diese gewichtige, entscheidende und notwendige Veränderung mit beinhaltet. Wer sich einmal die Mühe macht, sich vorzustellen, was da ansteht, der weiß, was an Hilfsmöglichkeiten und -notwendigkeiten gegeben ist.
Für uns heißt dies: Entwicklungshilfe für Südafrika, das zum Teil Industrieland, zum Teil Entwicklungsland ist, wenn der Weg des friedlichen Wandels endlich in entscheidendem Maße beschritten wird.
Ich bezweifle erneut und nachdrücklich — wie ich es schon in meinem letzten Beitrag getan habe —, ob Sie und wir, wir alle miteinander, Regierung, Regierungskoalition und erst recht die Opposition, wirklich das bisher Denkbare und Machbare getan haben, so daß wir uns hinstellen könnten und mit schönen Worten — die ja immer unglaublich vielen Betroffenen helfen — markige Resolutionen in der Hoffnung einbringen könnten, damit das Richtige und Notwendige getan zu haben. Ich betone noch einmal: ich behaupte — und beim letztenmal haben Sie alle mit Ausnahme der GRÜNEN mir an dieser Stelle Beifall gespendet —, daß wir bisher nicht auf allen Seiten das Hinreichende getan haben, um diesen konstruktiv-kritischen Dialog wirklich in allen Denkbarkeiten und in allen Machbarkeiten auszuloten und tatsächlich zu führen.
Herr Kollege Verheugen, das, was Sie am Anfang gesagt haben, das, was dann auch wesentlicher Tenor Ihrer Rede war, veranlaßt mich, noch einmal ein Zitat zu bringen, das ich in diesem Zusammenhang schon einmal gebracht habe. Ich bitte Sie, mir abzunehmen, daß ich das verflixt ernst nehme. Es ist ein Zitat von Ihrem Vorsitzenden Willy Brandt. Er hat mit Blick auf Südafrika einmal gesagt:
Aber durch Pathos ist noch keinem Verfolgten, keiner bedrückten Minderheit, geschweige denn einer unterdrückten Mehrheit geholfen worden.
Hier geht es um Augenmaß auch bei Protesten, und es geht um die Frage, ob man in erster Linie anderen helfen will oder ob man sich lieber durch Deklamationen selbst helfen will.
Ich habe den Eindruck, Herr Kollege Verheugen: Bei manchem, was Sie gesagt haben, ging es Ihnen weniger um die Probleme dort als um die Möglichkeit der Nutzung von Chancen hier in diesem Land mit Blick auf Wählerstimmen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Borgmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bekanntermaßen haben alle bisherigen Bundesregierungen unter dem Mäntelchen verbaler Empörung über das Apartheid-Regime mit dem südafrikanischen Regime blendende Beziehungen, vor allem wirtschaftlicher Art, unterhalten. Daß dieses Regime lediglich die Weißen,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12851
Frau Borgmannnämlich 15 % der Bevölkerung Südafrikas, repräsentiert, war nie ein Störfaktor in der Kumpanei zwischen Bonn und Pretoria. Auch die zunehmende Gewalttätigkeit der Rassisten, die allein in den vergangenen 14 Monaten 834 Menschen — fast nur Schwarze — ihrer gnadenlosen Apartheid-Politik geopfert haben, hat eine jahrzehntelange Tradition.Aktuellster Stand dieser katastrophalen Entwicklung ist die besorgniserregende Stärkung der ultrarechten Rassisten auf Grund der Nachwahlen in der letzten Woche. Gleichzeitig wurde ausländischen Journalisten unter Androhung von Strafe ein Verbot der Berichterstattung über Unruhen auferlegt. Für Winnie Mandela, die Frau des seit 20 Jahren inhaftierten Schwarzenführers, ist damit klar, daß die rücksichtslose Niederschlagung des schwarzen Widerstands künftig unter Ausschluß der Weltöffentlichkeit stattfindet.Doch die weiße Priviligierten-Clique erhält aus der Bundesrepublik nach wie vor Kredite, Kriegswaffen, Know-how und sogar Exportgüter aus der Atomtechnologie. Bundesdeutsche MBB-Hubschrauber werden von der südafrikanischen Polizei, trotz lächerlicher Dementis hierzulande, zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt. Allein 1984 durften sicherheitsrelevante Güter, also Ausstattungen für Polizei und Armee, im Wert von 242 Millionen DM nach Südafrika geliefert werden. Eine detaillierte Aufschlüsselung verweigert die Bundesregierung nach wie vor. Sie wird wohl wissen, warum.Zur Beendigung dieses unerträglichen Zustandes erscheint der Antrag der SPD-Fraktion als ein wirklicher Fortschritt. Er beinhaltet einen großen Teil der Forderungen, die wir seit langem erheben. Aber: Wie auch immer die wahren Motive für das neue Engagement der SPD eingeschätzt werden, Tatsache ist, daß der Geist des Antragstexts die reale Südafrika-Politik der SPD bisher noch nicht nennenswert beeinflußt hat. Diese Art von — man muß es so nennen — Etikettenschwindel läßt sich u. a. an folgenden Beispielen demonstrieren:Pikanterweise wird in dem Antrag eingestanden, daß es eine militärisch-atomare Zusammenarbeit gibt. Eingeweihte wissen, daß dies nicht erst seit der Bonner Wende im Herbst 1982 der Fall ist,
sondern schon für die Regierungszeit der sozialliberalen Koalition galt.
Wenn es die SPD heute mit ihrer Forderung nach Beendigung der Kooperation ernst meint, wäre es wohl das mindeste, daß sie ihre Regierungserfahrungen mit dieser Art von schmutzigen Geschäften an die Öffentlichkeit bringt und damit zur vorbehaltlosen Aufklärung dieser Fälle beiträgt.
Ein Beispiel auf Landesebene: Dem Antrag zufolge soll der Verkauf von Krügerrand-Münzen gestoppt werden. Die Kreditinstitute in SPD-regiertenBundesländern verkaufen diese jedoch munter weiter.
Der Stopp von Krediten jeglicher Art wird im Antrag gefordert. Aber die Westdeutsche Landesbank, an der die NRW-Landesregierung 43 % Anteile hält, ist nach wie vor einer der wichtigsten Kreditgeber für den Apartheid-Staat.
Oder auf Kommunalebene: In meiner Heimatstadt Wuppertal haben DIE GRÜNEN im Sinn der schwarzen Befreiungsbewegungen kürzlich beantragt, den Import von südafrikanischer Steinkohle durch die Stadtwerke einzustellen. Aber gemeinsam mit CDU und FDP hat die SPD-Ratsfraktion die Nichtbehandlung dieses Antrags durchgesetzt. Ich hätte heute gern Herrn Dreßler und Herrn Penner aus Wuppertal gefragt, ob sie das wohl glaubwürdig finden.
Nun noch ganz kurz zum zweiten Antrag der SPD. Da wird ein in sich geschlossenes Konzept für die Entwicklungshilfe in Afrika von der Bundesregierung gefordert. Dagegen ist unsererseits nichts einzuwenden — auch wenn wir uns mehr von partnerschaftlich orientierten Veränderungen der Weltmarktstrukturen versprechen, die die bisherige Entwicklungshilfepraxis ersetzen müßten. Der für uns wichtigste Aspekt des Antrags ist der Erlaß der Schulden, da insbesondere — ich zitiere — „die Länder südlich der Sahara ... kaum mehr in der Lage" sind, „ihre Schuldenlast zu tragen". Zu diesem Zweck soll — laut Antrag — eine internationale Schuldenkonferenz einberufen werden. Hier soll wohlgemerkt keine Einzelfallprüfung, sondern ein genereller Erlaß vorgenommen werden. Wir sind auf die Begründung gespannt, warum Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, unseren Antrag im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit vor kurzem geschlossen abgelehnt haben, der eben diesen Schuldenerlaß für die Länder südlich der Sahara zum Gegenstand hatte; das ist uns völlig unbegreiflich.Ich komme zum Schluß: Uns bietet sich die — wenn auch sicherlich geringe — Chance, einen blutigen Bürgerkrieg in Südafrika verhindern zu helfen. Ich appelliere über die Parteigrenzen hinweg an diejenigen, die es ehrlich meinen, jetzt auch endlich ehrlich zu handeln.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Rumpf.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren hier heute zwei ganz unterschiedliche Anträge: Entwicklungspolitik in Afrika und Maßnahmen zur Abschaffung der Apartheid. Zum letzteren Antrag, den Sie, Herr Verheugen, nun vorgezogen haben: Ich
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12852 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Dr. Rumpfhoffe, daß sich nicht die ganze Afrika-Entwicklungspolitik der SPD auf Angriffe auf die südafrikanische Union konzentriert.Zu diesem Antrag will ich Ihnen einmal ein Bild vor Augen führen, Herr Verheugen: Die südafrikanische Regierung stand in der Vergangenheit — zum Teil bis in die jüngste Vergangenheit — lange Zeit diesseits eines großen Flusses. Die Regierung Botha wollte diesen Fluß nun durchqueren und hinüber auf die andere Seite ans andere Ufer, zur Machtteilung im Staat.
Sie ist mit Reformansätzen ins Wasser gestiegen und befindet sich mitten im Strom.
Der Druck nimmt von allen Seiten zu; das Wasser steht ihr bis zum Hals. Aber sie wollen ja in Südafrika durch dieses Wasser durch. Das hat sogar der Zulu-König Gatsha Buthelezi längst erkannt.
Sollen wir jetzt am Oberlauf des Flusses einen Damm öffnen, damit der Strom reißend wird und alles wegspült? Ist es nicht besser, die fortschrittlichen und einsichtigen Kräfte, die liberalen Kräfte im Lager der Nationalen Partei zu stärken, anstatt ihnen den Boden wegzuziehen?
Unsere politischen Freunde in Südafrika von der Progressive Federal Party raten uns jedenfalls nicht dazu, Ihren Vorschlägen zu folgen. Der einfache weiße südafrikanische Farmer fragt doch: Was haben uns die Reformen bisher gebracht? Druck von innen, Druck von außen, wirtschaftliche Schwierigkeiten, weniger Geld für die Familie. Er wird den Kurs nur durchhalten, wenn er moralisch und politisch ein wenig gestützt wird. Sie werden ihn mit Ihren Maßnahmen in die Arme der radikalen und reaktionären Rechten treiben.
Machtteilung in Südafrika kann doch nur heißen, die Macht zwischen weißen, farbigen, indischen und schwarzen Gruppen zu teilen. Es ist ja nicht so, daß sich Weiße und Schwarze in einem Block gegenüberstehen. Es ist unsere Aufgabe, zu verhindern, daß dies geschieht. Aber Ihr Weg würde dazu führen, daß sie jeweils noch mehr zu einem Block werden, die Auseinandersetzung schärfer wird. Der Weg ist sogar geeignet, ein blutiger Weg zu werden. Unser Weg dagegen führt doch eher zum Durchbruch für diejenigen Kräfte in Südafrika, die noch etwas vernünftiger sind.Und nun zu Ihrem Antrag „Entwicklungspolitik in Afrika", den ich für sehr interessant halte. Dieser Antrag der SPD enthält sehr viele gute Ansätze; ich möchte sie hier jetzt nicht aufführen. Für die FDP möchte ich nur zwei Ergänzungen anbringen: DieEntwicklungspolitik war in der Vergangenheit — auch in Afrika — zu sehr dem Projekt-Denken verhaftet; wir müssen darüber hinauskommen. Wir müssen zu regionalen, j a zu überregionalen — man kann sogar sagen: zu globalen — Programmen kommen. Dies drängt sich geradezu auf, wenn man an die Sahel-Zone denkt. So muß beispielsweise ein Weg gefunden werden, wie Brandrodungen, unkontrollierte Urwaldnutzungen, Überweidungen und andere selbstzerstörerische Nutzungsformen in Zukunft verhindert werden können.
Meine Damen und Herren, die Rettung der tropischen Regenwälder wird nicht nur in Afrika zur ökologischen Schicksalsfrage für viele Länder in der Dritten Welt. Vorhandene intakte Ökosysteme sind deshalb unter Schutz zu stellen. Der richtige Weg dazu ist von der Bundesregierung erkannt. Er führt nämlich in erster Line und fast ausschließlich über die ländliche Entwicklung und hier über eine Konzentration auf kleinbäuerliche Betriebe und auf das kleine Handwerk und Gewerbe.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte ?
Ja, bitte.
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Da Sie eben einen sehr richtigen Satz gesagt haben, daß nämlich die tropischen Regenwälder unbedingt gerettet werden müssen: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß insbesondere die Volkswagen AG mit dazu beiträgt, daß der Urwald in Südamerika durch Abholzung zerstört wird?
Herr Schulte, ich weiß das, und ich verurteile das.Die potentiellen landwirtschaftlichen Flächen in Afrika müssen zurückgewonnen werden. Afrika ist nämlich in der Lage, sich selbst zu ernähren. So würden gewachsene Strukturen erhalten, die Landflucht und die Verslumung der Städte würden vermieden.Dies führt aber nur dann zum Erfolg, wenn die Entwicklungsländer selbst Einsicht haben in ihre eigenen Probleme und darin, sie zu ändern. Das heißt, unsere Entwicklungsanstrengungen müssen durch gleichgerichtete Maßnahmen bei unseren Partnern unterstützt werden. Solche gleichgerichteten Maßnahmen können z. B. die Einsicht in die Grundsätze der Marktwirtschaft sein, beispielsweise bei den Agrarmärkten. Die Bauern produzieren nur dann mehr als für ihren eigenen Bedarf, wenn sie einen entsprechenden Preis auch für das erzielen, was sie am Markt absetzen können.Eine andere gleichgerichtete Maßnahme ist für uns Liberale auch die Einsicht, daß das unkontrollierte Wachstum der Bevölkerung begrenzt wird. Familienplanung ist nur bei einem gewissen Bil-
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Dr. Rumpfdungsstand und bei einem gewissen Wohlstand möglich. Es ist daher unsere wichtige Aufgabe, hierfür die Voraussetzungen zu schaffen.
Wir haben die Chance, diese Voraussetzungen über einen partnerschaftlichen Dialog zu schaffen oder zu helfen, daß sie geschaffen werden.Aber wir haben auch bei uns selbst noch einiges in Ordnung zu bringen. So sind wir Freien Demokraten schon der Meinung, daß gerade für Afrika so etwas wie ein Marshallplan für Entwicklung ganz einfach dadurch geschaffen werden könnte, daß die Rückflüsse aus Zinsen und Tilgungen für gewährte Kredite über einen Sonderfonds wieder für verstärkte Entwicklungshilfe zur Verfügung stehen.
Ich glaube, wenn wir den Antrag der SPD in aller Ruhe und Sorgfalt im Ausschuß beraten und um das eine oder andere ergänzen, dann kommen wir auch zu einem gemeinsamen Nenner.Danke sehr.
Das Wort hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz Afrika südlich des Äquators ist wirtschaftlich und politisch von der Wirtschaftskraft und der Stabilität Südafrikas abhängig. Angesichts des Überdrucks in der Republik Südafrika, der massiven Gefahr einer Explosion der Gewalt, sind wir herausgefordert, alle politische Kraft zum friedlichen Ausgleich der Spannungen einzusetzen. Wer jetzt schwelende Glut anheizt, so daß die Flammen der Gewalt emporlodern, handelt unverantwortlich.
Schon heute stellen wir fest: Unternehmen investieren nicht mehr in Südafrika, Banken leihen nicht mehr nach Südafrika. — Für alle Beteiligten — ich hebe hier die schwarze Bevölkerung besonders hervor — in Südafrika wie in seinen Nachbarländern sind die Folgen von Tag zu Tag härter. Die schrillen Schreie nach zusätzlichen Sanktionen, Boykott und Disinvestment bedeuten Kapitalvernichtung, mehr Arbeitslosigkeit. Sie bedeuten nicht Entwicklung, sondern Rückschritt.
Es kann nicht unsere Aufgabe sein, einen Weg zu beschreiten, der Südafrika zum größten Entwicklungshilfeempfänger des Kontinents machen würde. Die Forderung einiger Nachbarstaaten an die Industrieländer, Sanktionen gegenüber Südafrika zu ergreifen, aber gleichzeitig den Nachbarstaaten Schadenersatz dafür zu leisten, ist vom Volumen her illusorisch, von der politischen Konsequenz her unsinnig.
Apartheid ist eine Politik ohne Zukunft, und das ist das Schlimmste, was von einer Politik gesagt werden kann. Nur: „Wirksame Maßnahmen gegen Apartheid, Herr Kollege Verheugen, das ist eine Mogelpackung für sich. Es gibt diese wirksamen Maßnahmen gegen Apartheid nicht. Aber es gibt eine Reihe von Maßnahmen, die dafür ausgegeben werden und die Gefahr in sich bergen, kontraproduktiv zu wirken.
Notwendig und dringend ist, daß die südafrikanische Regierung entsprechend ihren eigenen Ankündigungen den Weg der Reform weiter geht und nach der Aufhebung des Eheverbots — ich beziehe mich auf Präsident Botha — auch eine einheitliche Staatsbürgerschaft, eine Änderung des Wahlrechts und die Beteiligung aller Bevölkerungsschichten an politischen Entscheidungen verwirklicht. Eine Lösung kann nur gefunden werden im Gespräch mit Vertretern aller Bevölkerungsgruppen. Wer heute in Südafrika einen rechtsfreien Raum für die Sicherheitskräfte schafft, mag wähnen, dadurch Ordnung zu schaffen. Er läuft jedoch Gefahr, dem Zusammenbruch jeder staatlichen Ordnung den Weg zu bereiten. Wer die gewaltsame Beseitigung der gegenwärtigen Einrichtungen betreibt, riskiert, mit der Freiheit auch die wirtschaftliche Entwicklung zu verspielen.
Dies sagt die Bundesregierung ihren Gesprächspartnern in Südafrika. Wir sagen das in einer Form, daß wir von beiden Seiten gehört werden können und daß sich nicht geistige Wagenburgen bilden. Die Wahlergebnisse zugunsten der äußersten Rechten sollten Scharfmachern ein Menetekel sein, ebenso wie die Ausbrüche von Gewalt der Nicht-Weißen untereinander.
Meine Damen und Herren, es gibt auch erfreuliche Nachrichten aus Afrika. Die Länder der Sahel-Zone rechnen für dieses Jahr mit ausgezeichneten und in mehreren Fällen mit Rekordgetreideernten. Auch Kenia, Malawi und Simbabwe haben dank einer vernünftigen Landwirtschaftspolitik, aber vor allem dank ausgiebiger Regenfälle Überschüsse erzeugt, allein 1 Million t in Simbabwe. Dennoch: Es gibt keinen Grund zur Entwarnung. Es bleiben Hungerländer. Ich nenne Angola, Mosambik und Botswana. In den Überschußländern sind die Lagermöglichkeiten begrenzt. Für die Übertragung der Überschüsse in die Hungerländer sind weder Finanzierung noch Transport gesichert.
Unser Ziel ist es, Nahrungsmittelhilfe so weit wie möglich aus afrikanischer Produktion zu leisten.
Dies vermeidet folgenschwere Störungen der Verbrauchergewohnheiten, und es stärkt den afrikanischen Erzeuger. Darauf kommt es an.
Herr Bundesminister, der Abgeordnete Toetemeyer möchte gern eine Zwischenfrage stellen.
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12854 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Bitte sehr.
Gestatten Sie, Herr Minister, daß ich hier eine ganz konkrete Frage stelle: Ist Ihnen bekannt, daß in Malawi 300 000 t Mais lagern und deswegen nicht in die Nachbarländer kommen, weil eine falsche Nahrungsmittelhilfe der EG praktiziert wird?
Herr Abgeordneter Toetemeyer, es ist bekannt, daß der Transport von Nahrungsmittelüberschüssen aus einer Vielzahl von Gründen Schwierigkeiten bereitet. Es ist die Zielsetzung der Bundesregierung, durch konkrete Schritte Unterstützung zu leisten, damit afrikanische Nahrungsmittel so schnell wie möglich in die Nachbarländer transportiert werden. Wenn EG-Vorschriften dem entgegenstehen, dann müssen sie reformiert werden.
Ein Hauptziel unserer Entwicklungszusammenarbeit mit Schwarzafrika ist und bleibt die Sicherung der Ernährung aus eigener Kraft. Im Jahre 1986 ist mehr als die Hälfte unserer Hilfe an Afrika südlich der Sahara für Maßnahmen der ländlichen Entwicklung vorgesehen, Herr Kollege Rumpf, einschließlich der Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen. Woran es in vielen Ländern Schwarzafrikas noch fehlt, das sind Rahmenbedingungen, die es erlauben, natürlichen Reichtum zu nutzen und die im einzelnen angelegten schöpferischen Kräfte voll zu entfalten und sie zum Motor wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung zu machen.
Über die erforderlichen Rahmenbedingungen führen wir in Abstimmung mit anderen Entwicklungshilfegebern einen Politikdialog mit unseren Partnerländern in Afrika. Wir sind uns bewußt, wie groß die wirtschaftlichen Schwierigkeiten dieser Partnerländer sind. Um nur ein Beispiel zu nennen: 1977 brauchte Schwarzafrika nur ein Achtel seiner Ausfuhr zur Gewährleistung seines Schuldendienstes. 1985 wird es zu diesem Zweck schon ein Viertel benötigen.
Die Bundesrepublik Deutschland trägt dieser schwierigen wirtschaftlichen Lage Rechnung. Nach Afrika ist 1984 mehr Entwicklungshilfe geflossen als in jeden anderen Kontinent: mehr als 2,2 Milliarden DM. Deutschland ist neben Frankreich, einem Land mit besonderen Verpflichtungen gegenüber Afrika, der größte europäische Entwicklungshilfegeber für Afrika südlich der Sahara.
Meine Damen und Herren, es ist praktische und wirksame Hilfe zur Selbsthilfe, daß wir unsere Märkte für die Produkte der Entwicklungsländer offenhalten. Indem wir allein aus Schwarzafrika für 7 Milliarden DM mehr Waren einführen, als wir dorthin liefern, leistet Deutschland einen wesentlichen Entwicklungshilfebeitrag.
Gerade in Afrika südlich der Sahara zeigt sich im übrigen, daß unser besonderes Augenmerk den ärmsten Entwicklungsländern gilt. Mit einem Schuldenerlaß von über 4 Milliarden DM, davon 2,8 Milliarden DM in Afrika, sind wir weltweit und in Afrika Spitzenreiter unter den Geberländern.
Neue Entwicklungshilfe wird, wie jeder weiß, an die ärmsten Länder nur noch in Form von nicht zurückzahlbaren Zuschüssen gewährt.
Wir werden diesen Weg weitergehen. Dabei halten wir nichts von Patentlösungen. Die Schwierigkeiten von mehr als 40 Ländern können nicht über einen Kamm geschoren werden. Bei der Lösung der Verschuldungsprobleme Schwarzafrikas setzt die Bundesregierung deshalb — wie in der Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika überhaupt — auf ein am Einzelfall orientiertes Vorgehen.
Ich fasse zusammen: Überlebenshilfe, Ernährungssicherung, Spielraum für die Entfaltung der schöpferischen Fähigkeiten des einzelnen, Schutz der Umwelt, Offenhaltung unserer Märkte, das sind Grundelemente deutscher Entwicklungspolitik in Afrika. Politikdialog, Geberkoordinierung, Hilfe zur Selbsthilfe, Schwerpunktsetzung bei der Mittelvergabe, das sind die Instrumente, derer wir uns bedienen. Erfolg haben aber können wir nur — und hier kehre ich zum Ausgangspunkt dieser Debatte, zur Lage in Südafrika zurück —, wenn es uns gelingt, durch eine konsequente Politik der Unterstützung der Kräfte des Ausgleichs den Frieden als wesentliche Entwicklungsvoraussetzung in Afrika zu erhalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Toetemeyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Situation der Entwicklungsländer, insbesondere der Afrikas, wird am aktuellsten durch die Halbzeitüberprüfung des Aktionsprogramms der Vereinten Nationen zugunsten der ärmsten Entwicklungsländer vom 30. September bis 11. Oktober 1985 in Genf dargestellt. Wir haben uns in der letzten Sitzung des Ausschusses hierüber ausführlich unterhalten. Sie sehen also: Unser Antrag, der vom August dieses Jahres stammt, erfährt eine nachträgliche Rechtfertigung durch diesen Überprüfungsbericht der Vereinten Nationen.Angesichts der Tatsache, daß ca. 80 % der Bevölkerung auf dem Lande leben, ist der — und das ist in dem Bericht ja dargestellt — Anstieg der Lebensmittelproduktion in den letzten fünf Jahren um nur 1,4 % jährlich völlig unbefriedigend. Auch das durchschnittliche Wirtschaftswachstum von 2,3 % liegt unter dem durchschnittlichen jährlichen Bevölkerungszuwachs von 2,6 %. Dies sind die Zahlen des von mir zitierten Berichts.Mitschuld — das sollten wir ganz ehrlich zugeben — an dieser Entwicklung sind wir, die Kolonialländer, selbst, weil wir durch die Errichtung von Monokulturen und die darauf ausgerichtete Infrastruktur zu diesem Ergebnis selbst beigetragen haben. Anschließend, im Rahmen der Entwicklungshilfe, haben wir dann durch die Förderung kapitalintensiver Großindustrieanlagen eine neue Abhängigkeit geschaffen, die viele Kritiker zu Recht als eine neue Form des Kolonialismus bezeichnen. Man hat eben den Willen der Mächtigen gefördert,
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Toetemeyerüber ihre Verhältnisse zu leben, und hat das billigend in Kauf genommen.Was sind die bitteren Konsequenzen, die wir heute vorfinden? Nach einer Aufstellung des Internationalen Währungsfonds wird die gesamte Auslandsschuld der Entwicklungsländer bis Ende dieses Jahres 970 Milliarden US-Dollar erreichen. Das sind, verehrte Damen und Herren, 360 Milliarden Dollar mehr als vor fünf Jahren, als 1980. Daraus folgt, daß die Schulden schneller wachsen als die Wirtschaftsleistung der Entwicklungsländer.Lassen Sie mich hier ein paar Zahlen bringen. Zum Vergleich möchte ich zu Beginn das Bruttosozialprodukt unseres Landes im Jahre 1983 pro Kopf anführen. Die Bundesrepublik Deutschland hatte 1983 pro Kopf ein Bruttosozialprodukt von 11 420 US-Dollar. Nun nenne ich Ihnen das Bruttosozialprodukt des gleichen Jahres einiger afrikanischer Entwicklungsländer: Malawi 210 US-Dollar, Uganda 220 US-Dollar, Tansania 240 US-Dollar. Damit Sie das dem Schuldendienst gegenüberstellen und das Ganze in Beziehung zu den Exporterlösen setzen können, will ich Ihnen zwei Vergleichszahlen nennen. Uganda hatte 1983 Exporterlöse in Höhe von 380 Millionen US-Dollar und einen Schuldendienst von 162 Millionen Dollar. Herr Minister, das ist erheblich mehr als das von Ihnen genannte Drittel. Bei Tansania ist es noch augenfälliger: Exporterlöse in Höhe von 400 Millionen US-Dollar, jährlicher Schuldendienst in Höhe von 262 Millionen US-Dollar. Sie sehen also, das ist erheblich mehr als in dem von Ihnen genannten Beispiel.Lassen Sie mich abschließend zu diesen Zahlen sagen — man muß das in der Öffentlichkeit immer wieder feststellen —: In den Industrieländern wird an drei Tagen ein Betrag erwirtschaftet, der in den LLDCs Afrikas ein ganzes Jahr reichen muß. Ihre optimistische These, Herr Minister, ist durch den Soll-Ist-Vergleich 1984, den wir im Ausschuß besprochen haben, eben nicht bestätigt worden.Das ist der Grund, warum wir von der Bundesregierung ein geschlossenes Konzept für die Länder Afrikas mit folgendem Inhalt fordern. Das ist zunächst einmal die Wiederherstellung — hier befinden wir uns in Übereinstimmung, Herr Kollege Rumpf — der von den Kolonialmächten zerstörten traditionellen bzw. Schaffung neuer ökologischer, rentabler Strukturen. Das muß — hier stimme ich zu — im Politdialog geschehen, nicht in der Erpressung, sondern indem man miteinander spricht. Die Bevölkerungsmehrheit in den Entwicklungsländern muß an diesem Dialog beteiligt werden. Das Ziel muß eine selbständige Befriedigung der Grundbedürfnisse sein. Dabei — volle Übereinstimmung, Herr Kollege Rumpf — muß Schwerpunkt die Förderung der Kleinbauern und des Kleingewerbes auf dem Lande sein. Wir werden hier im Hohen Hause noch über das Ergebnis unserer Anhörung diskutieren. Deswegen möchte ich das hier ausklammern.Herr Minister, abschließend ein paar Bemerkungen zu dem, was Sie so besonders lieben. Sie haben eben die Globalzahlen Afrikas genannt und haben nicht gesagt, daß der Soll-Ist-Vergleich deutlich gemacht hat, daß die Priorität eben nicht in der ländlichen Entwicklung lag. Nun wird gerade die von Ihnen forcierte Lieferbindung folgende Konsequenzen haben.Erstens. Sie wird den Ländern, die es besonders nötig haben, am meisten schaden, da diese ärmsten Länder eben nicht in der Lage sind, die Exportinteressen der konkurrierenden Industrieländer gegeneinander auszuspielen. Die Folge wären im Durchschnitt um 20 % höhere Preise.Zweitens. Sie würde die notwendige Standardisierung auch im ländlichen Bereich verhindern. Die ist notwendig, um die Bedienung, die Wartung und die Reparatur der Geräte zu verbessern.Drittens. Die von Ihnen sehr stark angehobene Mischfinanzierung, die vorwiegend der Förderung der deutschen Industrie dient — also Großprojekten mit moderner Technologie —, fördert in keinem Falle die ländliche Entwicklung. Sie ist — Sie haben das Wort eben selbst gebraucht — ausgesprochen kontraproduktiv.Nur eine Handels- und Entwicklungspolitik, die Anstöße für eine sich selbst tragende Entwicklung in den Ländern Afrikas gibt und die die Mehrheit der Bevölkerung einbezieht, dient langfristig auch den Interessen der Industrieländer.Meine Damen und Herren, ich möchte auf das Thema internationale Schuldenkonferenz nicht noch einmal eingehen. Wir haben in der Öffentlichkeit bei der Einbringung unseres Antrages von einem neuen Programm — und der Kollege Rumpf hat das aufgegriffen, ich freue mich darüber —, von einem Marshallplan gesprochen. Ich freue mich, hier Übereinstimmung feststellen zu können.Ich möchte zum Schluß noch auf das Thema Südafrika eingehen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das an zwei Beispielen deutlich machen.Lesotho: Wer heute in Lesotho sein Kraftfahrzeug reparieren lassen will, muß es nach Südafrika bringen. Das heißt, es ist dringend erforderlich, die wirtschaftliche Unabhängigkeit dieses Landes dadurch zu fördern, daß man es durch Ausbildung von Kfz-Mechanikern in den Stand setzt, eigene Reparaturwerkstätten zu schaffen.Oder Botswana: Herr Minister, meine Damen und Herren von der Bundesregierung insgesamt, der Präsident des Landes Botswana wird in der nächsten. Woche hier sein. Ich würde mich freuen, wenn Sie ihm helfen könnten, daß sein Land unabhängig von Südafrika wird, unabhängig von Energie, die aus Südafrika zu überhöhten Preisen nach Botswana exportiert wird. Wenn Sie in Botswana in Läden gehen, werden Sie feststellen, daß drittklassige südafrikanische Lebensmittel in Botswana zu dreifachen Preisen verkauft werden. Diese Abhängigkeit eines Frontlinienstaates von Südafrika zu verringern, dazu muß deutsche Entwicklungshilfe beitragen. Insofern befinden wir uns in Übereinstimmung. Herr Minister, wenn der Herr Präsident aus Botswana da ist, gilt es, Butter bei die Fische zu tun. Helfen Sie, damit Botswana wirklich unabhängig von Südafrika wird. Das brauchen alle Frontlinienstaaten.Toetemeyer Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Feilcke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD zur Entwicklungspolitik in Afrika ist nicht sehr konfliktträchtig. Es bestehen keine nennenswerten Gegensätze zur Position von CDU und CSU und sicherlich auch nicht zur Position der Bundesregierung. Im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit wird es viel Übereinstimmung geben, Herr Kollege Toetemeyer. Natürlich wird es auch manche Korrektur geben müssen, gerade hinsichtlich der Bewertung, die Sie in Ihrem Vorspann bringen, aber auch in der Präzisierung von Einzelforderungen.Ich möchte mir erlauben, einige Anmerkungen und Fragestellungen zu Ihrem Antrag folgen zu lassen.Zunächst einmal: Europa ist nicht an allem Schuld. Der Kolonialismus hat in Afrika natürlich viele Probleme hinterlassen. Die zum Teil unmöglichen kolonialen Grenzen schließen manche Länder von tatsächlichen Entwicklungschancen aus. Allerdings sollten wir dabei bedenken, daß diese Grenzen sehr häufig ausdrücklicher Wunsch und Wille der Unabhängigkeitsbewegungen waren, die nicht durch Grenzauseinandersetzungen den Prozeß der Unabhängigwerdung verzögern wollten. Heute sind grenzübergreifende Zusammenarbeit, regionale Zusammenarbeit vonnöten.Aber die hinterlassenen Wirtschaftsstrukturen sind eben nicht nur Fluch, sondern auch Segen. Ohne die infrastrukturellen Maßnahmen der ehemaligen Kolonialherren wären in manchen Ländern die Voraussetzungen für eine sinnvolle Entwicklung noch sehr viel schwerer, als sie es sowieso schon sind.
In vielen Ländern ist es so. Ich empfehle nur, in die ehemaligen deutschen Kolonien zu fahren, wo wir in einem ganz besonders guten Ansehen stehen, gerade wegen der infrastrukturellen Maßnahmen.Insgesamt gesehen kann gesagt werden, daß gerade die ehemaligen Kolonialmächte auch heute noch aus einer ganz besonderen Verantwortung handeln und sich mit ihrer Hilfe schwerpunktmäßig auf ihre ehemaligen Kolonien konzentrieren.Nun zum Politikdialog. Dieser kann erfolgreich nur geführt werden, wenn er sehr langfristig angelegt und geduldig geführt wird und von der Erkenntnis ausgeht, daß Fortschritte tatsächlich nur schrittweise möglich sind. Der Dialog muß über alle möglichen Fragen geführt werden: über makroökonomische und sektorpolitische Fragen bis in das Einzelprojekt hinein. Dabei ist eine Abstimmung mit den wichtigsten bi- und multilateralen Gebern notwendig, vor allem mit der Weltbank, der EG-Kommission und dem UNDP.Um diesen Dialog sinnvoll und kontinuierlich führen zu können, ist eine Verstärkung des entwicklungspolitischen Fachpersonals an deutschen Auslandsvertretungen unbedingt zu fordern.
Ich finde es nach wie vor unerträglich — das geht ein bißchen an die Bundesregierung, aber natürlich nicht nur an diese, sondern auch an den die Mittel bewilligenden Haushaltsausschuß —, daß es nur in 13 Ländern der Dritten Welt solche Entwicklungshilfereferenten gibt. Um diesen Dialog kontinuierlich führen zu können, reicht es nicht aus, daß einmal im Jahr zu Regierungsverhandlungen ganze Abteilungen aus Ministerien in diese Länder reisen, sondern da ist der Entwicklungshilfereferent in der Botschaft eine sehr sinnvolle Anlaufstelle.
— Natürlich sinnvoll eingeordnet und nicht schlechter bezahlt als der Wirtschaftsreferent.Zu diesem Dialog gehören z. B. auch Forderungen nach Modifizierung des Haushalts in den Ländern der Dritten Welt in Einnahmen und Ausgaben, nach Änderungen der Preis- und Handelspolitik und nach Dezentralisierung von Entscheidungen. Aber, meine Damen und Herren, wir müssen uns natürlich darüber im klaren sein, daß solche Empfehlungen für diese Länder sehr häufig auch sehr teuer sind. Die daraus entstehenden Kosten sind für diese Länder nicht immer zu bezahlen. Wir sollten uns die Frage stellen, ob wir bereit sind, hier finanziell unter die Arme zu greifen, gegebenenfalls auch mit Budgethilfe.Zum Schuldenerlaß hat Minister Warnke das Notwendige gesagt. Ich glaube, hier können wir uns international wirklich sehen lassen. Insofern besteht Übereinstimmung mit dem Papier. Nur laufen Sie damit bei uns offene Türen ein.Nun möchte ich auf die geschlossenen Konzepte, die Sie fordern, eingehen. Natürlich handeln wir alle, handelt die Regierung schon jetzt nach klaren Leitlinien. Selbstverständlich fordern auch wir eine konsistente Politik. Die Forderung nach geschlossenen Konzepten für einen ganzen Kontinent allerdings betrachte ich mit Kritik. Verführen nicht solche Programme dazu, laufend notwendige Korrekturen und Anpassungen zu unterlassen? Lenken sie nicht von der jeweils notwendigen Einzelfallbetrachtung ab? Als Beispiel dafür nenne ich die Entwicklung im ländlichen Raum. Hier fordern und fördern wir bereits heute integrierte Projekte.Zusätzlich zu den Forderungen in Ihrem Papier sind beispielsweise zu nennen: Basisgesundheitsdienste, bevölkerungspolitische Maßnahmen, Primärschulwesen, angepaßte Technologien, infrastrukturelle Maßnahmen — wie Verkehrserschließung, damit die Ware auch zum Markt kommt —, Steigerung der Bodenproduktivität bei Zunahme von Mensch und Tier auf vorgegebener Fläche, Ernährungssicherung aus eigener Kraft, die ein integriertes multisektorales Vorgehen unter Einbeziehung aller Zielgruppen des ländlichen Raums voraussetzt. Wir begrüßen es außerordentlich, daß die
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FeilckeBundesregierung eine Steigerung der Entwicklungshilfe gerade in diesem Bereich, in den Ländern südlich der Sahara, in den Jahren von 1982 bis 1984 von 26 auf 34 Entwicklungshilfezusagen vorgenommen hat.Meine Damen und Herren, die Schere zwischen Nahrungsmittelproduktion und Bevölkerungswachstum öffnet sich immer weiter. Die am wenigsten entwickelten Länder, die LLDC-Länder, erzielen zur Zeit — auch das ist schon erwähnt worden — eine jährliche Steigerung bei der Nahrungsmittelproduktion nicht von 1,4, sondern, soweit ich weiß, nur von 1,2 %, jedenfalls in Afrika, und zwar bei einem Bevölkerungswachstum von 3,1 % in Afrika.Diese Beispiele sollen zeigen, daß ein geschlossenes Konzept auf keinen Fall von vornherein eine Lösung bedeutet, insbesondere nicht solcher riesigen Probleme, zu deren Bewältigung vielmehr regional-, länder- und möglicherweise provinzspezifische Programme notwendig sind. Es gibt wohl kaum ein geschlossenes Konzept für einen so großen Kontinent wie Afrika.Ein hohes Maß an Flexibilität ist erforderlich, um bei kurzfristigen Veränderungen mit den Maßnahmen nicht durch festgelegte programmatische Aussagen und Konzepte in Verzug zu geraten.Vielen Dank.
Das Wort hat der Staatsminister Möllemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte gern noch auf ein paar Bemerkungen der Opposition eingehen und auch zwei Fragen beantworten, die an uns gerichtet worden sind. Zunächst ist es sinnvoll, wiewohl wir diese Debatte zum selben Thema innerhalb kurzer Zeit jetzt zum drittenmal führen, noch einmal zu unterstreichen, daß die Position der Bundesregierung zum Thema der Entwicklung im südlichen Afrika hier in aller Deutlichkeit mehrfach klargestellt worden ist, daß sie Eingang gefunden hat in die Beschlußfassung der Europäischen Gemeinschaft in Luxemburg und daß wir uns an die dort getroffenen Beschlüsse in jedem Punkt gehalten haben und weiter halten werden.Sie wissen, daß wir eine Änderungskündigung des Kulturabkommens durchgeführt haben, um auf diese Art und Weise dazu zu kommen, daß die kulturelle Zusammenarbeit den Angehörigen aller Gruppen in Südafrika zugute kommt.Sie kennen unsere sonstigen Bemühungen. Sie wissen auch, daß sich die Bundesregierung bemüht hat, bevorstehende Hinrichtungen im konkreten Fall abzuwenden. Ich möchte hier nicht versäumen, unsere Betroffenheit darüber auszudrücken, daß uns das im Falle Moloise nicht gelungen ist.Wir haben durch unseren Botschafter in Südafrika wie durch die Einbestellung des südafrikanischen Botschafters hier im übrigen unsere Proteste gegen die neuerlichen Maßnahmen deutlich gemacht, die die Polizei- und Ordnungskräfte praktisch außerhalb jeder rechtlichen Kontrolle stellen. Wir haben im übrigen auch dargestellt, daß wir die Restriktionen für die Presse als unsinnig und inakzeptabel betrachten.Es gibt zwei Punkte, Herr Kollege Verheugen, in denen ich hier erneut unsere Position deutlich machen will. Ich glaube nicht, daß es Sinn macht, von uns aus als einem Land, das sich für die Freizügigkeit im internationalen Reiseverkehr einsetzt, einen Visumzwang zu verhängen. Im Gegenteil, unser Bemühen muß dahin gehen, solche Maßnahmen dort, wo sie bestehen, zu überwinden. Ich glaube nicht, daß wir ein gutes Beispiel geben, wenn wir sie selbst anwenden.
Der Kernpunkt bei der heutigen Debatte ist erneut — so war es jedenfalls in der ersten Ausführung des Sprechers der Opposition — die Forderung, nunmehr allgemeine, jedenfalls deutlich weitergehende wirtschaftliche Sanktionen zu ergreifen. Sie, Herr Kollege Verheugen, haben dies mit dem Satz ausgedrückt, der sehr plakativ wirkt: Wer sich nicht auf die Seite der Unterdrückten stellt, steht auf der Seite der Unterdrücker.Sie haben am Schluß erfreulicherweise die klare Aussage des Bundesaußenministers zitiert. Sie haben soeben gehört, daß der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit genauso deutlich Stellung bezogen hat. Deswegen macht es keinen Sinn, hier den Eindruck zu erwecken, als stünden wir auf der falschen Seite.Aber was besagt dieser Satz in der praktischen außenpolitischen Anwendung darüber hinaus? Erlauben Sie mir die Gegenfrage an Sie, was ein solcher Satz, der sehr kernig klingt, aber als praktische Anleitung wenig hergibt, eigentlich bedeutet
angesichts der Tatsache, daß wir in wenigen Tagen den sechsten Jahrestag der Invasion der Sowjetunion in Afghanistan erleben, daß in den letzten sechs Jahren dort 500 000 Menschen durch sowjetische Truppen getötet worden sind und 3,5 Millionen Menschen von dort vertrieben worden sind.In demselben Zeitraum konstatieren wir gewährte Bundesbürgschaften für die Sowjetunion in Höhe von 16,8 Milliarden DM und in Aussicht gestellte Bundesbürgschaften in Höhe von 11 Milliarden DM. Die Sowjetunion steht an der Spitze der Bürgschaftsempfänger, der Bundesgarantien.Ich habe von Ihnen noch keine Forderung gehört, daß wir, um zu einem Ende der Menschenrechtsverletzungen durch die Sowjetunion zu kommen — ich denke, 500 000 Tote sind 500 000 schwerste Menschenrechtsverletzungen —, diese Bürgschaftspolitik einstellen sollen.
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Staatsminister Möllemann— Ich möchte diesen Gedanken zu Ende führen. Ich gestatte dann gern eine Zwischenfrage.Ich erwähne dies, Herr Kollege Verheugen, nicht deshalb, weil ich meine, wir sollten Wirtschaftssanktionen gegen die Sowjetunion verhängen, sondern weil ich es als problematisch empfinde, wenn wir bei Menschenrechtsverletzungen mit zweierlei Maß messen. Das sollte nicht das Kriterium für unser künftiges Verhalten werden. Deswegen habe ich diesen Punkt hier angeführt.Bitte.
Frau Abgeordnete, bitte sehr.
Ich möchte gern fragen, ob Sie der Meinung sind, daß die jahrzehntelang praktizierte Politik der stillen, ruhigen Diplomatie der Bundesregierung gegenüber der Regierung in Südafrika irgend etwas Positives bewirkt hat.
Wir haben doch eine Eskalation, eine Verschärfung der Situation in Südafrika. Da kann man doch nicht weiter darauf bauen, daß sich noch irgend etwas in Bewegung setzt.
Ich denke, die Bundesregierung macht sich tatsächlich mitschuldig, wenn es zu weiterem Blutvergießen in Südafrika kommt, weil sie eben nicht zu Sanktionen bereit ist. Hat die Bundesregierung schon einmal versucht, mit den Führern der schwarzen Befreiungsbewegungen zu sprechen? Denn immerhin repräsentieren sie j a 85 % der Bevölkerung des Landes.
Ich möchte Ihre Analyse nicht teilen, Frau Kollegin Borgmann. Es gibt in der Republik Südafrika unbestreitbar — übrigens auch von Sprechern der Opposition nach Besuchen festgestellte — positive Veränderungen. Aber es ist genauso unbestreitbar, daß demgegenüber Verschlechterungen stehen, wie wir sie angesprochen haben, und daß der Saldo auf jeden Fall inakzeptabel und unbefriedigend ist.
Der Disput geht j a nicht darum, sondern darum mit welchen Maßnahmen wir das verändern können. Wenn Sie allen Ernstes das Kriterium der Zeitspanne einführen und sagen wollen, da geht es schon seit einem Jahrzehnt so, dann frage ich mich, wo denn für DIE GRÜNEN eventuell beim Afghanistan-Krieg die Schlußfolgerung der Wirtschaftssanktionen gegen die Sowjetunion gezogen wird. Verstehen Sie, diese Aufrechnung bringt nichts. 500 000 Tote in sechs Jahren könnten ja mindestens ebensosehr ein Kriterium sein.
Ich wiederhole: Wirtschaftssanktionen auf der Grundlage der Menschenrechtsbewertung in einem Land scheiden für die Bundesregierung aus, weil sie den Effekt, den wir anstreben, nicht haben.
Ich möchte ein Letztes sagen: Wir sind in der Außenpolitik mit der unerfreulichen Tatsache konfrontiert — die niemandem von uns Freude macht —, daß in 104 Staaten der Welt nach dem letzten Jahresbericht von amnesty international regelmäßig und systematisch die Menschenrechte verletzt werden. Das zeigt auf, welche begrenzten Möglichkeiten wir haben, mit unseren politischen Mitteln eine grundlegende Veränderung herbeizuführen. Aber es ist kein Ausdruck außenpolitischer Aktivität, die überzeugend sein könnte, wenn man sich von Mal zu Mal von den 104 Ländern jeweils eins herauspickt und die Anwendung von Maßnahmen diesem Land gegenüber empfiehlt, die man sonst nicht praktizieren will. Auf diesen Sachverhalt wollte ich hingewiesen haben.
Da mir weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, schließe ich die Aussprache. — Der Ältestenrat schlägt Ihnen Überweisung der Anträge auf den Drucksachen 10/3702 und 10/3994 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Weitere Vorschläge werden nicht gemacht? — Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Schulte , Dr. Müller (Bremen), Frau Hönes, Schmidt (Hamburg-Neustadt) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Gutachtliche Stellungnahme „Umweltprobleme der Ostfriesischen Inseln", Zuleitung an den Deutschen Bundestag
— Drucksache 10/3768 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Aussprache mit einem Beitrag von jeweils zehn Minuten pro Fraktion vor. Widerspruch erhebt sich gegen diesen Verfahrensvorschlag nicht.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Ja, von Ihnen sind alle weggelaufen, meine Herren von der CDU/CSU. Das ist mir auch aufgefallen.Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Drei Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion im Saal, zwei von der SPD-Fraktion
— mit der Regierung haben Sie die Mehrheit —: Daran kann man sehen, welche Bedeutung bei Ihnen Ostfriesland und die Küste einnimmt.Das Problem, das zur Debatte steht, ergibt sich nicht nur aus dem Antrag, den wir gestellt haben, daß nämlich dieses Gutachten zur Situation der Nordsee als Bundestagsdrucksache verteilt und damit einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Das Problem ergibt sich vielmehr aus dem Inhalt dieses Gutachtens. Mit diesem Gutachten ist deutlich geworden — in diese Richtung zielt
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Dr. Müller
es —, daß die Nordsee Gefahr läuft, Müllkippe der Nation zu werden.
— Meine Herren von der CDU/CSU, es möge wenigstens einer von Ihnen zuhören. — Nein? Gut, dann nicht!In der letzten Aktuellen Stunde über das Nordseesterben haben Sie uns noch als Panikmacher bezeichnet, weil wir gefordert haben, daß Konsequenzen aus diesem Gutachten zu ziehen sind. Jetzt, wo das Gutachten endgültig vorliegt, möchte ich mir erlauben, in der wissenschaftlichen Sprache dieses Gutachtens kurz zu skizzieren, wie der Stand der Nordseeverschmutzung ist. Ich zitiere aus dem Gutachten:Die Küstengewässer der südlichen Nordsee und hier besonders die Flußmündungen und das Wattenmeer sind stark mit Schwermetallen belastet . Die höchste Belastung mit Schwermetallen findet sich in den Watten von Jade und Dollart.Die Watten sind eines der letzten einmaligen Naturgebiete in Europa, die wir noch haben.
Dabei werden durch den Menschen verursachte Belastungen in folgenden Größenordnungen erreicht: Zink sechsfacher Wert des normalen, Blei neunfacher Wert, Cadmium achtfacher Wert
und Kupfer dreifacher Wert des natürlichen Wertes, den wir dort zu verzeichnen hätten, wenn wir nicht einleiten würden.Ich zitiere weiter:Was an Nähr- und Schadstoffen in Flußmündungen, Buchten, Wattenmeer und offene Nordsee eingebracht wird, bleibt überwiegend im System und läßt sich nicht mehr daraus entfernen. Dieser Prozeß ist überwiegend nicht mehr rückgängig zu machen .Das heißt, alle Schadstoffe, die in der Nordsee landen, verschwinden dort nicht irgendwie — Schwermetalle sind auch nicht abbaubar —, sondern sie bleiben dort, sie reichern sich dort an. Das ist das Problem. Es gibt in der Bundesrepublik die Vorstellung, wahrscheinlich vom Tourismus geprägt, die Nordsee sei breit, riesig, groß, ein riesiges Meer. Diesem riesigen Meer droht der biologische Tod auf der Grundlage der Schadstoffeinleitung, die über die Flüsse erfolgt.Ich zitiere weiter:Besonders im stark belasteten Küstenbereich,— also der Bereich, der für den Fremdenverkehr so wichtig ist —und in der inneren Deutschen Bucht muß mit der Überlagerung mehrerer, oft gleichsinnig wirkender Schadstoffe gerechnet werden.Die Wissenschaftler sprechen da von einer „summativen Toxizität", d. h. die Schadstoffe, die sichdort ansammeln, bilden eine zusätzliche Gefährlichkeit und Giftigkeit auf der Grundlage, daß sie dort summiert werden.Schon 1980 ist im Gutachten gewarnt und auf die Gefahren für das Wattenmeer hingewiesen worden. Seitdem ist die Gefahr für die Nordsee und das Wattenmeer bekannt, aber seitdem ist nichts passiert. Es ist nichts Wesentliches geschehen — so das Gutachten —, das diesen Zustand in irgendeiner Art und Weise verbessert hat. Vielmehr ist es im Gegenteil so, daß ökologisch verrückte und ökonomisch unsinnige Projekte an der Weser, wie beispielsweise Dollart-Hafen, Industrialisierung der Lune-plate, Cuxhaven-Altenbruch und dergleichen, versucht werden, so daß durch die Ansiedlung von zusätzlicher Industrie zusätzliche Gefährdungen erfolgen.Was geht dort eigentlich kaputt? Auf den Ostfriesischen Inseln haben wir 30 000 Arbeitsplätze im Fremdenverkehr, die natürlich erheblich gefährdet sind, wenn sich die Nordsee so wie im Augenblick weiterentwickelt. Natürlich ist dies das schönste Feriengebiet, das wir in der Bundesrepublik an der See noch anzubieten haben. Auch dieses wird dadurch gefährdet und kaputtgemacht. Ich frage mich: Was wäre in der Bundesrepublik eigentlich los, wenn ungefährdeter Giftexport einiger Firmen an der Küste 30 000 Arbeitsplätze im Ruhrgebiet zerstören würde? Denken Sie bitte mal so herum. Was hier geschieht, ist Schaffung von Reichtum in bestimmten Gebieten der Bundesrepublik auf Kosten anderer. Was heißt das? Wer ungefiltert Abwässer und Gifte in Rhein, Weser, Ems, Elbe einleitet, der bereichert sich auf Kosten der Küste und der Arbeitsplätze dort. Das ist der wirkliche Sachverhalt, um den es geht.
Das Problem ist doch, daß man offensichtlich nicht bereit ist, zu akzeptieren, daß diese Region auf der Grundlage einer besonders hohen Arbeitslosigkeit erpreßbar geworden ist, und auf Grund dieser Erpreßbarkeit ist es natürlich auch möglich, daß in diesen Regionen noch zusätzliche verschmutzende Industrien angesiedelt werden. Als Wahnsinn kommt natürlich all das hinzu, was auf See geschieht. Auch da gibt es keine Maßnahmen der Bundesregierung, dem endgültig Einhalt zu gebieten. Es gibt die Verklappung auf See von Dünnsäure, direkte Einleitung von Dünnsäure in die Nordsee, Giftmüllverbrennung auf See, wo jeder, der sich mit der See auskennt, weiß, daß die Höhe der Temperaturen zu einer wirklichen Vernichtung ab einer bestimmten Windstärke am Rande der Öfen gar nicht erreicht werden kann.
Somit müssen wir an der Küste von einem Waldsterben sprechen — das ist etwas ganz anderes —, das von einem Tag auf den anderen geschieht, nämlich dann, wenn die Verbrennungsschiffe auf See sind. Das kann man beobachten, das kann man miterleben.Wenn man es mit der Nordsee ernst meinte, müßte man sich überlegen, was zu tun ist. Unsere
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Dr. Müller
Position ist: Das Entscheidende wäre, daß es endlich aufhört, daß in den Rhein, in den Main und in andere Flüsse giftige Stoffe eingeleitet werden, die sich in der Nordsee anreichern. An Filtermaßnahmen im Bereich der Abwässer würde es, über zehn Jahre verstreut, ungefähr 50 Milliarden DM kosten, wenn man die Nordsee noch retten will. 50 Milliarden sind viel Geld. Ich habe in den Haushaltsberatungen keinen einzigen Antrag der Regierungsfraktionen und auch keinen einzigen Antrag der Sozialdemokratie gesehen, der dieses Problem angehen würde. Selbst beim Programm „Arbeit und Umwelt" der SPD ist dies nicht Thema! Wer aber ernsthaft der Meinung ist, es gehe darum, die Nordsee zu retten, der hätte auf der Grundlage dieses Gutachtens bereits in den jetzigen Haushaltsberatungen reagieren können.
Nun kann man sagen, 50 Milliarden, das ist viel Geld. Ja selbstverständlich! Es ist allerdings nur fünfmal soviel wie die für 1986 geplanten Steuereinsparungen.
So viel ist das also wieder nicht! Wenn man es mit der Nordsee ernst gemeint hätte, wäre es ja möglich gewesen, auf diese Steuerersparnis zu verzichten. Ich glaube, die Bevölkerung wäre damit einverstanden gewesen, wenn das Feriengebiet und die Arbeitsplätze dort mit solchen Investitionen erhalten worden wären. Ich bin mir da sogar sehr sicher. Man hätte auf diese Steuerersparnis verzichten können, und man hätte in fünf Jahren 50 Milliarden zur Verfügung gehabt. Damit hätte man ernsthaft etwas zur Rettung der Ostfriesischen Inseln und der Nordsee getan.Auf weitere Maßnahmen muß man einfach einmal hinweisen: Wo, bitte schön, ist bis jetzt eine Initiative der Regierung oder auch der Sozialdemokratie, die eindeutig sagt: Schluß mit der Verklappung? Wo ist sie? Wo ist eigentlich eine Initiative, die sich mit der Frage der Überdüngung der Nordsee beschäftigt? Nehmen Sie doch einmal das Problem der Windsurfer, also Ihrer Klientel, meine Herren von der FDP. Schauen Sie sich das einmal an! Da muß man auf Sylt durch einen dicken braunen Schaum — das sind Algen, hervorgerufen durch Überdüngung — waten, um das Surfbrett zu Wasser zu bringen. Glauben Sie wirklich, daß auf diese Art und Weise — —
— Ich übertreibe überhaupt nicht! Das sind Erfahrungen, die Sie sogar schon in der Presse nachlesen können. Sprechen Sie doch bitte einmal mit den CDU-Bürgermeistern von den verschiedenen Inseln, die Ihnen genau sagen werden, wie es ausschaut, die sich große Sorgen um ihre Feriengebiete und um die Arbeitsplätze der Leute, die auf den Inseln wohnen, machen.
Ich finde es zynisch, wenn Sie sich darüber lustig machen und angesichts dieses Gutachtens sagen, es handele sich hier um Übertreibungen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Immer wieder gerne.
Herr Kollege, Sie haben mit Ihrer Fraktion auf Norderney eine Bereisung gemacht und haben dazu die Inselbürgermeister geladen. Wie viele waren bei der Besprechung zugegen?
Es war insbesondere der Bürgermeister von Norderney anwesend, soweit ich orientiert bin, der einzige SPD-Bürgermeister. Wir waren sehr froh darüber, daß er uns in unserer Auffassung bestätigt hat, in unserer Auffassung dazu, wie problematisch die Situation ist. Wir waren auch sehr froh darüber, daß er mit uns zusammen der Meinung ist, daß entlang der Rheinschiene und der Ruhrschiene dringend und sofort etwas zu tun ist.
Daß die anderen Bürgermeister nicht zugegen waren, bedauern wir. Allerdings halte ich diese Bürgermeister von den Inseln für überaus mutige Leute mit sehr viel Zivilcourage, und zwar deswegen, weil sie dieses Gutachten in Auftrag gegeben und sogar mitten in der Saison veröffentlicht haben. Diesen Mut muß man in der Bundesrepublik überhaupt erst einmal aufbringen, um sich auch auf diese Art und Weise für die Umwelt zu engagieren.
Nun möchte ich zu den Problemen der Landwirtschaft zurückkommen. Wenn man es mit der Nordsee und mit der Natur ernst meinte, müßte man natürlich auch damit Schluß machen, zu dieser sogenannten Verblattgoldung der chemisierten Landwirtschaft beizutragen. Schauen wir uns das an, was heutzutage in der Landwirtschaft mit Steuermitteln subventioniert wird, was bedauerlicherweise in Überdüngung, in Chemie investiert wird, was im Endeffekt über die Flüsse zur Überdüngung auch der Nordsee führt. Diese Mittel, eingesetzt zugunsten der Entchemisierung, zugunsten einer ökologisch angepaßten Landwirtschaft gerade in diesen Räumen, wären sinnvolle Subventionen!
Um zum Schluß zu kommen: Daß Sie, meine Damen und Herren von der CDU, noch nicht einmal so viel Courage haben, dem Vorschlag zuzustimmen, daß dieses Gutachten eine Bundestagsdrucksache wird, ist, finde ich, einfach nur noch als peinlich zu bezeichnen.
Danke schön.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12861
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Olderog.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mich bemühen, auf diese in manchen Passagen doch nicht sehr sachliche Rede sachlich zu antworten.Meine Fraktion lehnt den Antrag der GRÜNEN ab.Ich will damit das Gutachten der ostfriesischen Inselgemeinden keineswegs abwerten oder die darin ausgesprochene Empfehlung zurückweisen. Das Gutachten ist ein beachtlicher Beitrag zur Diskussion über den Umweltschutz für einen Teilbereich der Nordsee, nämlich für die Ostfriesischen Inseln.Aber ich sehe keine Notwendigkeit, es als Bundestagsdrucksache in mindestens 3 000 bis 4 000 Exemplaren aufzulegen. Die Inselgemeinden haben es allen Mitgliedern des Innenausschusses zur Verfügung gestellt, ebenso den ostfriesischen Abgeordneten. Die Regierung hat Exemplare. Jeder Interessierte kann es für 45 DM kaufen.Wir können es also problemlos in die aktuelle Diskussion über den Umweltschutz der Nordsee einbeziehen. Es ist auch durchaus unüblich, ein im kommunalen Auftrag erstelltes Gutachten zu einem regionalen Problem, nämlich zur Situation der Ostfriesischen Inseln, als Bundestagsdrucksache zu veröffentlichen. Die Kosten belaufen sich immerhin auf über 100 000 DM. Mit welcher Begründung wollten wir es denn dann eigentlich ablehnen, wenn beantragt würde, all die vielen ökologischen Gutachten zu regionalen Problemen ebenfalls als Bundestagsdrucksache aufzulegen, etwa das Gutachten zur Unterelbe-Küstenregion, das Frankfurt-Gutachten, das Schwarzwald-Gutachten, die Gutachten zum Nationalpark schleswig-holsteinisches Wattenmeer.Ich glaube auch nicht, daß dieses Gutachten an die wirklich Interessierten käme. Es würde nach dem Verteiler für Bundestagsdrucksachen zu 80 oder 90 % irgendwo in Papierfriedhöfen landen oder gar in den Papierkorb wandern.
Im übrigen: Ohne das Gutachten abzuwerten, muß man doch feststellen: Es handelt sich keineswegs um eine mit neuen dramatischen wissenschaftlichen Erkenntnissen aufwartende Forschungsarbeit, sondern im wesentlichen um eine Zusammenstellung aus dem Gutachten der Sachverständigen von 1980 für den Bereich der Ostfriesischen Inseln. Neue originäre wissenschaftliche Forschungsergebnisse enthält das Gutachten nicht oder allenfalls kaum.Viele Presseberichte über das Gutachten waren leider maßlos übertrieben und dramatisierend. Es war Professor Rincke selbst, einer der Verfasser des Gutachtens, der sich über geradezu kriminelle Methoden gezielter Fehlinformationen öffentlich beschwert haben soll.Vom „Umkippen der Nordsee", wie Sie behaupten, ist jedenfalls im Text überhaupt nicht die Rede.Ich muß auch einige Passagen des Gutachtens als reine Spekulationen, die durch keinerlei wissenschaftliche Erkenntnisse gerechtfertigt sind, zurückweisen, z. B. die Andeutung — mehr ist es ja nicht — eines Zusammenhangs zwischen einer PCB-Belastung und dem Rückgang von sechs Fischarten sowie der Strandkrabbe oder die Andeutung einer Vergiftung von Menschen durch Schwermetalle über die Nahrungskette. Dafür gibt es überhaupt keine wissenschaftlichen Belege. Ich stelle daher mit Nachdruck für die heutige Situation außerhalb der Flußmündungen fest: Der Verzehr von Seefisch gefährdet keine Menschen. Ich verweise auf das, was mein Kollege Peter Harry Carstensen dazu hier im Bundestag bereits geäußert hat.Andererseits bestätige ich ausdrücklich die vom Inselgutachten noch einmal bekräftigte Aussage des Sachverständigengutachtens auf Seite E 1, daß die Deutsche Bucht, das Wattenmeer und die vorgelagerten Inseln wie auch — das füge ich hinzu — die Ästuarien durch die Umweltbelastungen im hohen Maße betroffen sind. Das ist richtig. Das hat auch niemand bestritten: weder die Bundesregierung noch meine Fraktion noch ich persönlich in irgendwelchen Stellungnahmen, die ich dazu abgegeben habe.
Wichtig ist aber auch: Die Aussagen des Gutachtens widerlegen keineswegs die Aussagen des Sachverständigengutachtens 1980 und des internationalen Gutachtens zur ersten Nordseeschutzkonferenz, daß die Nordsee großräumig nicht geschädigt ist.Meine Damen und Herren, Frage: Bietet denn nun das Gutachten eine Alternative zur Politik der Bundesregierung, abgesehen davon, daß man vielleicht alles immer noch schneller machen sollte? Antwort: Nein. Ich entnehme den Empfehlungen des Gutachtens, daß es die Politik der Bundesregierung für die Nordsee im wesentlichen gerade bestätigt. Das Gutachten unterstreicht das Vorsorgeprinzip als zwingende Grundlage für den Umweltschutz der Nordsee.
Vorsorgeprinzip bedeutet, nicht nur die nachweisbar schädlichen Stoffe aus dem Meer fernzuhalten, sondern vorbeugend auch den Eintrag all jener naturfremden Stoffe zu vermeiden, bei denen schädliche Wirkungen zu befürchten sind, obwohl ein konkreter Nachweis noch aussteht. Genau dies ist der leitende Grundsatz der Bundesregierung — entgegen den vorsichtig kritischen Anmerkungen des Insel-Gutachtens. National handelt die Regierung danach, international bemüht sie sich, dieses Prinzip durchzusetzen. Herr Müller, Ihnen muß ich nun wirklich sagen
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Dr. Olderog— ja, wo ist der eigentlich; das ist so typisch, hier eine große Rede vorzulesen und dann zu verschwinden —: Ich habe den Eindruck, daß Sie total desinformiert sind,
daß Sie von dem, was sich im Bereich der Umweltschutzpolitik in den letzten Jahren getan hat, überhaupt nichts wahrgenommen haben.
Herr Abgeordneter, der Herr Abgeordnete Schulte möchte eine Zwischenfrage stellen.
Nein, Herr Müller kann hier Fragen stellen, aber nicht irgendein Kollege von ihm.
— Ja, gut, dann müssen Sie eben einen anderen Herrn hier zum Rednerpult schicken und nicht jemanden, der nur für zehn Minuten hier hereinkommt und dann wieder verschwindet.
Das kann doch keine Debatte, keine sachliche Auseinandersetzung werden.
Meine Damen und Herren, die Maßnahmen der Bundesregierung zum Schutz der Nordsee haben bereits jetzt zu ersten spürbaren Verbesserungen geführt und damit die Chancen der Nordsee zur Gesundung deutlich steigen lassen. Hat sich die Wasserqualität der Flüsse in der Bundesrepublik denn nicht nachweisbar verbessert, hat sich ihr Schadstoffeintrag in die Nordsee nicht deutlich verringert? Ist es nicht ein eindrucksvoller Erfolg, daß sich z. B. die Quecksilberbelastung des Rheins um 95 % und der Phosphatanteil um 25 % gegenüber 1971 verringert haben?
Ist es nicht ein erfreulicher Erfolg, daß sich insbesondere der Sauerstoffgehalt des Rheins in den letzten Jahren wieder verdoppelt hat? Hat sich nicht die Güteklasse des Rheins an der deutsch-niederländischen Grenze gegenüber 1980 von der Güteklasse II—III auf die Güteklasse II (mäßig belastet) verbessert?
Meine Damen und Herren, die Abwasserlast der Ems hat sich durch Inbetriebnahme vollbiologischer Kläranlagen an ihrem Lauf um mehr als 90 % reduziert. Und müssen wir nicht auch die Entscheidung für die Abfallbeseitigung auf See als einen erfreulichen Erfolg registrieren? Die Bundesregierung hat erreicht, daß die Einbringung organischer Dünnsäure, von Klärschlamm und von Grünsalz bereits zwischen 1982 und 1984 beendet worden ist.
Spätestens 1989 werden die bestehenden Verfahren der Titandioxid-Produktion so umgestellt sein, daß eine Dünnsäureverklappung von deutscher Seite aus nicht mehr erforderlich ist. Hier sind wir doch führend in Europa. Deshalb gibt es für die deutsche Technik auch ein wachsendes internationales Interesse, das auch zu deutlichen Impulsen für unsere Wirtschaft führen wird.
Ich begrüße, daß durch die Initiative meines Kollegen Dietrich Austermann zusätzlich drei Millionen DM Forschungsmittel für den Umweltschutz der Nordsee in den Bundeshaushalt eingestellt werden.
Aber es gibt ja auch noch weitere Verbesserungen: Ich nenne die bereits im Bundestag eingebrachte Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz sowie die Änderung des Waschmittel- und Abwasserabgabengesetzes, wovon der Herr Müller offensichtlich noch keine Kenntnis hat nehmen können, obwohl alle Welt darüber redet. In Zukunft wird für gefährliche Stoffe jeweils der neueste Stand der Klärtechnik gesetzlich vorgeschrieben sein.
Weitere wichtige Verbesserungen müssen wir sehen, so z. B. die energischen Maßnahmen der Bundesregierung zur Reinhaltung der Luft, insbesondere die Großfeuerungsanlagen-Verordnung und die TA Luft 1985. Die S02-Emissionen werden von 1982 bis 1993 sogar um zwei Drittel, die Stickoxidemissionen um 70 % zurückgehen.
— Die Bundesregierung, die Wissenschaftler in ihren Berechnungen. — Dies kommt nicht nur dem deutschen Wald, sondern in besonderer Weise auch der bedrohten Nordsee zugute.
Die größte Anerkennung verdienen aber die Anstrengungen der Bundesregierung gerade auch auf internationalem Feld zum Schutz der Nordsee. Ihr Einsatz, das Vorsorgeprinzip international durchzusetzen, hat sie auf der ersten Nordseeschutzkonferenz 1984 in Bremen, zu der Innenminister Zimmermann die Initiative ergriffen hatte, bewiesen.
Es kann doch fairerweise nicht bestritten werden: Diese Bundesregierung ist international der energischste Vorkämpfer für den Umweltschutz der Nordsee.
Ohne die deutschen Initiativen wäre auch das folgende nicht denkbar. In diesem Jahr sind die E Richtlinien zur Begrenzung von HCH, Cadmium und Quecksilber in Gewässern verabschiedet worden, im Juni 1985 ist die EG-Richtlinie zum Verwendungsverbot von PCB und PCT beschlossen worden. Jetzt ist es wiederum die Bundesregierung, die die EG in ihren Bemühungen um weitere Richtlinien zu Tetrachlorkohlenstoff, Chloroform und zu Blei nachdrücklich unterstützt.
Eine weitere hartnäckig verfolgte Initiative der Bundesregierung ist noch zu nennen: Ihr Ziel, die Nordsee zum Sondergebiet nach dem MARPOLÜbereinkommen zu erklären. Es ist erfreulich, daß
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Dr. Olderog
ein konkreter Termin für die zweite Nordseeschutzkonferenz feststeht.
Meine Damen und Herren, wir fordern den Bundesinnenminister auf: Lassen Sie nicht nach in Ihrem hartnäckigen Bemühen für einen besseren Umweltschutz der Nordsee! Noch gibt es keine Entwarnung. Aber die ersten Erfolge zeigen: Die düsteren Wolken haben sich etwas gelichtet. Die Nordsee darf wieder hoffen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Ewen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist bemerkenswert, daß die Gemeinde- und Stadträte der sieben Ostfriesischen Inseln Wangerooge, Spiekeroog, Langeoog, Baltrum, Norderney, Juist und Borkum mitten in der Ferienzeit, dann, wenn die Inseln voller Gäste sind, den Mut gehabt haben, die gutachterliche Stellungnahme der Professoren Buchwald, Rincke und Rudolph zu Umweltproblemen der Ostfriesischen Inseln öffentlich vorzustellen und diskutieren zu lassen. Dies war nicht immer so. Man hat gerne Umweltprobleme verschwiegen, damit kein Gast verängstigt wird.Aber ich glaube, daß es an der Zeit ist, daß die Öffentlichkeit Bemühungen der Regierung unterstützt und da, wo keine Bemühungen sind, sie herausfordert, damit durch öffentlich erzeugten Druck tatsächlich mehr geschieht als zur Zeit für uns erkennbar.Dieses Gutachten hat nach meiner Ansicht einen falschen Namen. Es müßte eigentlich heißen: „Probleme der Ostfriesischen Inseln, des Wattenmeers und der Küsten durch Schadstoffeintrag aus der Nordsee und aus den Flüssen". Ich glaube, dies wäre korrekter. Dann würde aus dem Inhalt auch deutlich, daß es sich hierbei im Grunde um eine Ergänzung — um zusätzliche Messungen von Schadstoffen, die noch beim Sondergutachten nicht berücksichtigt wurden — des Sondergutachtens des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen handelt, das wir im Juni 1980 kennenlernen durften.Ich meine, wer als Mitglied des Parlaments an den Problemen der Nordseeverschmutzung permanent weiterarbeiten will, wer die Ergebnisse der Nordseeschutzkonferenz in Bremen und der Folgekonferenzen weiterverfolgen will, der braucht dazu auch das nötige Handwerkszeug, der braucht dieses Gutachten als eine offiziell eingeführte Drucksache des Bundestages, damit es hier nicht nur als ein relativ unverbindliches Gutachten zitiert werden darf, sondern als ein Gutachten, das hier im Hause eingeführt ist.
Wir Sozialdemokraten haben in der Debatte des Innenausschusses Forderungen eingebracht, die alserste Schlußfolgerungen aus dem Sondergutachten ebenso wie aus dem Zusatzgutachten „Umweltprobleme der Ostfriesischen Inseln" zu verstehen sind. Wir haben das Verklappungsverbot für Dünnsäure in der Nordsee, das Verbot für Schiffe, auf See 01 abzulassen und Tanks auszuwaschen, den beschleunigten Bau von Schiffsentsorgungsanlagen an Land, drastische Strafen für Ölverschmutzung, die Einrichtung einer flächendeckenden, Luftüberwachung und natürlich als Folge davon auch die Möglichkeit, erkannte Sünder — durch schnelle Schiffe oder durch stationierte Schiffe; über die Art und Weise soll man noch streiten — zu stellen. Wir haben dies alles verlangt, um der Nordsee durch konkrete Maßnahmen Stück für Stück zu helfen, denn ich glaube, die Hilfe ist notwendig.Herr Olderog, wenn Sie sagen, es gebe keine Beweise, dann ist das sicherlich richtig. Nur, wenn es Beweise gibt, dann ist es zu spät. Das ist das Problem. Wir müssen hier vorsorgend tätig werden.
— Ich denke, daß eine ganze Menge in dem Gutachten steht. Soweit ich das begriffen habe — ich gebe zu: ich bin kein Chemiker; es ist etwas schwierig, manches zu verstehen —, sind eine ganze Reihe von Schädigungen vorhanden. Die Nordsee kippt noch nicht. Das hat Professor Rincke im nachhinein gesagt; das ist auch gut so. Aber die Gefahr, daß es zum Kippen kommt, wenn Maßnahmen nicht schnell genug greifen, ist allerdings gegeben.
— Ich freue mich, daß wir darin übereinstimmen. Hoffentlich kommen wir zu gemeinsamen Aktionen, wenn es um konkrete Anträge zur Verbesserung der Situation geht.
— Ich höre von meinem Kollegen Tietjen, der an sich an meiner Stelle hier hätte reden sollen, aber auf Grund von Krankheit ausgefallen ist, daß all die Anträge, die wir dazu gestellt haben, abgelehnt worden sind. Nicht alle finden sich in dem Antrag wieder, den sie eingebracht haben.
— Aha, das konnte ich jetzt nicht wissen; ich bitte um Entschuldigung.Ich denke, daß die CDU-Bürgermeister der Ostfriesischen Inseln — das sind immerhin vier von sieben — kein Verständnis dafür haben werden, daß Sie, wie wir den Äußerungen von Herrn Olderog entnommen haben, nicht bereit sein werden, runde 100 000 DM zur Verfügung zu stellen, um dies als Drucksache des Bundestages einzuführen. Auch die FDP-Ratsherren, die uns in den letzten Tagen— insbesondere von Juist — angerufen haben, werden nicht begreifen, daß die FDP, wenn ich das bisher richtig verstanden habe, ebenfalls nicht mitma-
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Ewenchen will. Ich bin der Meinung, das wären 100 000 DM für eine sinnvolle und notwendige Drucksache. Wir erhalten ja oft weniger vernünftige Unterlagen und sachlich weniger informativ bedrucktes Papier. Ich glaube, es wäre gut, wenn wir gemeinsam dem Antrag der GRÜNEN zustimmten, denn auf diese Weise könnten wir ein wissenschaftliches Gutachten in die Debatte einführen, daß wir alle miteinander gebrauchen.
— Sie wollen noch eine Frage stellen?
Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Olderog.
Herr Ewen, ist Ihnen bewußt, daß wir einen Präzedenzfall schaffen würden, wenn wir dieses Gutachten als Bundestagsdrucksache verteilen ließen, und sind Sie sich ferner darüber im klaren, daß es bisher nicht einen einzigen Fall gegeben hat, daß ein Gutachten dieser Art — von Kommunen in Auftrag gegeben, mit regionaler Bedeutung — als Bundestagsdrucksache verteilt worden ist?
Das ist sicherlich ein Präzedenzfall; davon gehe ich aus. Aber es wäre ja auch denkbar gewesen, daß die Bundesregierung — möglicherweise bei den gleichen Herren — ein Folgegutachten in Auftrag gegeben hätte, und dann wäre es als Bundestagsdrucksache veröffentlicht worden. Von daher glaube ich, daß man diesen formalen Mangel doch relativ leicht ausmerzen könnte.
— Eine weitere Frage.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Jansen.
Kollege Ewen, ich möchte an das anknüpfen, was Sie soeben gesagt haben: Sind Sie nicht auch der Meinung, daß zwar die Bürgermeister der Inseln das Gutachten für die Region in Auftrag gegeben haben, aber daß die Nordsee — darum geht es hierbei — keine kleine Teilregion, sondern ein entscheidendes Lebenselement für die Menschheit überhaupt ist?
Herr Kollege Jansen, ich habe soeben deutlich zu machen versucht, daß das Gutachten falsch benannt ist und in der Tat ein Folgegutachten, ein Ergänzungsgutachten zum Nordseeschutz-Gutachten ist. Von daher hätte ich überhaupt keine Bedenken, dies im Grunde als ein in vorauseilendem Gehorsam durch die Bürgermeister der Inseln erstelltes Gutachten anzusehen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bredehorn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein altes Anliegen der FDP, den Zustand der Nordsee zu verbessern. Die GRÜNEN zitieren in ihrem Antrag erfreulicherweise meinen Kollegen Gerhart Baum. Wir, die FDP, waren es nämlich, die schon 1981 die Anregung zu einer Internationalen Nordseeschutz-Konferenz gegeben haben — damals der Kollege Wolfgramm hier im Deutschen Bundestag. Diese Nordseekonferenz hat inzwischen stattgefunden. Weitere internationale Beratungen werden ihr folgen.Das Gutachten „Umweltprobleme der Ostfriesischen Inseln" verdient es meines Erachtens, im Bundestag diskutiert zu werden. Die Nordseeinseln, auf deren lobenswerter Eigeninitiative dieses Gutachten beruht, haben selbst darum gebeten. Es ist also kein Verdienst der GRÜNEN, wenn wir es hier inhaltlich in unsere Umweltberatungen einfließen lassen.Das Gutachten ist eng gekoppelt an die Bemühungen der niedersächsischen Landesregierung um einen Nationalpark Wattenmeer. Es ist bereits im Landtag in Hannover diskutiert worden, und die niedersächsische Landesregierung sollte dieses Gutachten sehr- genau auswerten, bevor die Nationalparkidee festgeschrieben wird. Schließlich ist das Gutachten eine Fortführung — besser: eine Aktualisierung — des Nordseegutachtens aus dem Jahre 1980.Die FDP befürwortet die Zuleitung des Gutachtens an den Innenausschuß, allerdings nicht als Bundestagsdrucksache. Wir hoffen auf Verständnis dafür bei den .Auftraggebern. Wir möchten nicht, daß dieses Gutachten ein Präzedenzfall für andere Regionalgutachten wird, die dann auch vom Bundestag behandelt werden sollen. Ich persönlich möchte aber unterstreichen, daß die Tragweite dieses Gutachtens weit über die Grenzen von Ostfriesland hinausreicht.Das Problem der Ostfriesischen Inseln ist ein zweischneidiges. Sie sind in hohem Maße vom Fremdenverkehr abhängig, der direkt und indirekt immerhin 30 000 gesicherte Arbeitsplätze auf den Inseln selbst und an der Küste garantiert. Das muß, gerade weil es sich um eine Region mit hoher Arbeitslosenquote handelt, in politischen Entscheidungen berücksichtigt werden.Die uns vorliegende wissenschaftliche Studie bestätigt, daß der Fremdenverkehr inzwischen die ökologisch vertretbaren Kapazitäten ausgeschöpft hat und in Saisonspitzen nur noch marginal gesteigert werden darf. Voraussetzung für die Anziehungskraft der Inseln auf die Urlaubswilligen ist aber die Erhaltung der landschaftstypischen Eigenheiten. Dies gilt um so mehr, als die Feriengäste unserer verwöhnten Freizeitgesellschaft an ihre Urlaubsorte erhöhte Ansprüche stellen. Ohne den Reiz der Wattwanderung, ohne das Besuchen von Sandbänken, ohne Wanderungen durch Salzwiesen — natürlich auf ausgewiesenen Wegen — würden die Inseln ihre Attraktivität in erheblichem Maße einbüßen. Deswegen ist den Inselbewohnern daran gelegen, das natürliche Potential der Wattenmeer-landschaft soweit wie möglich in seiner Urspüng-
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Bredehornlichkeit zu bewahren. Dazu bedarf jede Insel ihrer Eigenständigkeit. Das Gutachten schreibt: „Jede Insel ist nach ihrer touristischen Entwicklung, nach Größe und Landschaftsstruktur individuell zu beurteilen und zu entwickeln." Die Insulaner haben beispielsweise schon selbst Regelungen getroffen, damit Grundstücksaufkäufen durch Ortsfremde begegnet werden kann. Dies kann durch ein Pauschalkonzept nicht geleistet werden.Es kommt nicht von ungefähr, daß die Inseln beim Nationalparkkonzept in Schleswig-Holstein und bei ähnlichen Bemühungen in den Niederlanden nicht einbezogen worden sind. Die Selbstregulierungskräfte, die bei Eigeninteressen wirksam werden und den Auswüchsen des Tourismus begegnen, sollten nicht unterschätzt werden. So werden Urlauber beispielsweise bei nicht zulässigen Wattwanderungen, beim Pflücken geschützter Blumen und beim Lagern in den Dünen freundlich aber klar sowohl von Einheimischen wie von sensibilisierten Urlaubern auf die Notwendigkeit des Einhaltens von Geboten und der Beachtung von Verboten hingewiesen. Wir wollen als Liberale auf diese Selbstregulierungskräfte setzen.Von der Haupterwerbsquelle, dem Fremdenverkehr, abgesehen bestätigt das Gutachten die Befürchtung der Insulaner, daß zumindest die Gefahr droht, daß Küstengewässer und Wattenmeer irreversibel umkippen. Der dortige Umweltschmutz hat vielschichtige Ursachen. Die Hauptgefahr, die von den Wissenschaftlern bestätigt wird, liegt im Schadstoffeintrag aus den Flüssen, aus der Atmosphäre, aber auch in Eintragungen aus der Nordsee. Hier müssen unsere politischen Bemühungen vorrangig ansetzen, um durch internationale Vereinbarungen, aber auch durch Sauberhaltung der Binnengewässer zu einer Schadstoffreduzierung zu gelangen. Was nützten isolierte Bemühungen um das Wattenmeer ohne Einbeziehung der Nordsee-Gesamtsituation?Wenn wir es nicht schaffen, die Schadstoffeinleitungen zurückzuführen und zu unterbinden, die Verklappung auf See zu stoppen und die Entsorgungseinrichtungen in den Häfen für Altöl, für Chemikalien, für Schiffsabfälle attraktiver zu gestalten, wenn wir es nicht schaffen, Entsorgung im Hafen zur Pflicht zu machen, meinetwegen auch für einige Zeit durch Nulltarif zur Entsorgung der Schiffe beizutragen, damit die Wettbewerbsfähigkeit unserer Nordseehäfen erhalten bleibt, wird die Ausweisung des Wattenmeers in einem Nationalparkkonzept leicht zum Etikettenschwindel, ohne daß wir das Übel an seiner Wurzel zu fassen bekommen.Die Auswirkung einer akuten Ölpest haben die Ostfriesischen Inseln Gott sei Dank noch nicht zu spüren bekommen. Sie sind immer mit dem schleichenden Tod des Wattenmeeres konfrontiert, der aber in gleicher Weise dramatisch ist. Statistisches Festschreiben eines Ist-Zustandes durch eine Verordnung „Nationalpark niedersächsisches Wattenmeer" bringt der heimischen Bevölkerung zwar Belastungen und Beschränkungen, aber nicht automatisch positive Fortschritte für den Naturschutz.Wenn wir es nicht schaffen, die Deutsche Bucht sauberzuhalten, wird die Eutrophierung weitergehen, wird die Belastung mit Schwermetallen weiter zunehmen.Die FDP strebt aber keine Radikallösungen an. Im Interesse der Bevölkerung und der Natur und im Gegensatz zu den Professoren, die dieses Gutachten konzipiert haben, treten wir für eine Kompromißlösung zwischen einer mittelständischen Industrieansiedlung auch an unserer Küste und der notwendigen Naturerhaltung an. Auf keinen Fall schließen wir uns denjenigen an, dem jede Graugans mehr bedeutet als der Mensch an der ostfriesischen Küste.
Wir Liberalen befürworten den Nationalpark, wenn er qualitativ ausgefüllt wird. Das Problem Wattenmeer kriegen wir nicht damit in den Griff, indem wir es Nationalpark nennen. Nein, wir müssen die Gesamtsituation der Nordsee verbessern. Anders ist der Küste und den dortigen Menschen nicht gedient. Wir sollten das Anliegen der ostfriesischen Inselgemeinden sehr ernst nehmen und dieses Gutachten im Innenausschuß beraten. Allerdings hoffe ich, daß die Ostfriesen Verständnis dafür zeigen werden, daß wir aus dem Gutachten keine Bundestagsdrucksache machen können. Das mindert keineswegs den Wert der wissenschaftlichen Aussagen. Gerade der FDP liegt viel daran, daß der diesjährigen Nordseeschutzkonferenz in Bremen Taten folgen, damit wir im nächsten Jahr schon eine erste positive Bilanz auf der nächsten Nordseeschutzkonferenz in London vortragen können.Danke.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Im Ältestenrat wurde vorgeschlagen, den Antrag auf Drucksache 10/3768 an den Innenausschuß zu überweisen. Weitere Vorschläge werden nicht gemacht. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Punkt 8 der Tagesordnung sowie den Zusatzpunkt 5 auf:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes— Drucksache 10/3933 —a) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 10/4121 —Berichterstatter:Abgeordnete Lennartz Dr. Lippold
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Vizepräsident Cronenbergb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 10/4130 —Berichterstatter:Abgeordnete Wieczorek Kleinert (Marburg)Roth
Hoppe
Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Förderung umweltverträglicher Verkehrsmittel III;hier: Nutzung und Förderung der öffentlichen Verkehrsmittel und der Deutschen Bundesbahn— Drucksache 10/4133 —Zu dem Punkt 8 der Tagesordnung liegt auf Drucksache 10/4138 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.Meine Damen und Herren, interfraktionell sind gemeinsame Beratung des Punktes 8 der Tagesordnung sowie des Zusatzpunktes 5 und ein Beitrag von zehn Minuten für jede Fraktion vorgesehen. — Gegen den Verfahrensvorschlag erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.Zur Berichterstattung, nehme ich an, wird das Wort nicht gewünscht. — Somit kann ich die allgemeine Aussprache eröffnen. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lippold.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beschließen heute über das Vierte Gesetz zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes. Ziel ist, den Anreiz noch einmal zu verstärken, bleifreies Benzin erstens anzubieten und zweitens auch zu verwenden. Die seit dem 1. April 1985 geltende Spreizung der Mineralölsteuer wird damit noch einmal deutlich ausgeweitet. Damit wird der Anreiz zur Verwendung bleifreien Benzins zusätzlich verstärkt.
Zur Zeit wird verbleites Benzin mit 53 Pf je Liter versteuert. Die Mineralölsteuer für bleifreies Benzin von derzeit 49 Pf soll zunächst auf 46 Pf gesenkt, zu einem späteren Zeitpunkt auf 47 Pf und dann auf 48 Pf festgesetzt werden. Damit werden die steuerlichen Maßnahmen verstärkt, zeitlich gerafft und der schwierige Einführungsprozeß konzentriert erleichtert.
Dies ist geboten, weil die Einführung des bleifreien Superbenzins in Euroqualität anläuft. Davon hängt der Verkauf von neuen, schadstoffarmen Personenkraftwagen mit Superbenzinmotoren ab. Dieser zusätzliche Anreiz ist auch deshalb geboten, weil der Anteil des bleifreien Benzins am gesamten Benzinverbrauch gegenüber den ursprünglichen Erwartungen erst etwa 1 % erreicht hat. Diesen Prozeß wollen wir, um die Einführung schadstoffarmer Fahrzeuge zu beschleunigen, begünstigen. Wir haben bereits jetzt über eine halbe Million schadstoffarmer oder schadstoffgeminderter Autos. Bei einzelnen Herstellern liegt der Absatzanteil bereits jetzt bei über 25%, und die Tendenz ist weiter steigend. Die schadstoffarmen Fahrzeuge drängen auf dem Markt nach vorne.
Herr Abgeordneter, Herr Schulte möchte eine Zwischenfrage stellen.
Wenn es nicht angerechnet wird, gern.
Nein, ich rechne Ihnen die Zeit nicht an, wenn das ganze kurz ist. — Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Das, was Sie gerade gesagt haben, zeigt noch einmal deutlich, daß ein sehr großer Teil der jetzt als schadstoffarm bezeichneten Personenkraftwagen überhaupt noch kein bleifreies Benzin tankt. Können Sie einmal den Zusammenhang erklären?
Sie wissen sehr wohl, daß es sich bei dieser Flotte schadstoffarmer und schadstoffgeminderter Autos um Autos handelt, die mit Otto-Motoren gefahren werden, aber auch um Dieselwagen. Insofern haben Sie die von Ihnen gestellte Frage eigentlich selbst beantwortet. Ich sehe kaum einen Sinn darin, nur rhetorisch gestellte Fragen zu beantworten.Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf fortfahren. Wir haben mittlerweile ein umfassendes Angebot von schadstoffarmen Autotypen, mehr als 130. Wir hatten vor zwei Jahren noch überhaupt keinen Fahrzeugtyp. Wir haben jetzt bald 4 000 Tankstellen, die bleifreies Benzin anbieten, und damit kann man davon ausgehen, daß langsam eine flächendeckende Versorgung erreicht ist. Schätzungen besagen darüber hinaus, daß nahezu 50 % der Fahrzeuge auf unseren Straßen bleifrei getankt werden können. Trotzdem liegt der Umsatzanteil des bleifreien Benzins nur bei 1 %. Deshalb muß jetzt noch einmal pragmatisch und schnell gehandelt werden.Die Senkung der Mineralölsteuer schafft die Voraussetzung, bleifreies Benzin an den Tankstellen um ca. 1 Pf pro Liter billiger anbieten zu können. Es werden nicht nur die Produktionskosten abgedeckt, sondern auch die in der Einführungsphase wesentlich höheren Verteilungskosten. Diese günstigen Rahmenbedingungen muß die Mineralölwirtschaft ausschöpfen. Sie muß den Steuervorteil an den Kraftfahrer weitergeben. Dann kann Benzin ab dem 1. Januar 1986 um ca. 1 Pf pro Liter billiger angeboten werden.Ob eine darüber hinausgehende, weitere Spreizung notwendig ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Wir meinen, es reicht aus, wenn unverbleites Benzin billiger ist als verbleites. Auch in der Sozialdemokratie sind die Positionen dazu ja wohl nicht eindeutig. Während die sozialdemokratischen Finanzpolitiker sich für eine über den Koalitionsentwurf hinausgehende Spreizung einsetzen, haben die sozialdemokratischen Wirtschaftspoliti-
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Dr. Lippoldker im Ausschuß der Vorlage der Koalition, einmütig zugestimmt.
Wir appellieren an Sie und Ihre Mitstreiter, Herr Spöri, sich der besseren Einsicht Ihrer wirtschaftspolitischen Kollegen anzuschließen.Die Steuermehreinnahmen, die bislang auf Grund der letzten Mineralölsteueränderung anfielen — —
Damit, Herr Abgeordneter, haben Sie eine Zwischenfrage provoziert, die Sie zulassen werden, wie ich annehme. — Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin wieder richtig aufgewacht, am späten Abend, Herr Kollege. Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß auch die sozialdemokratischen Finanzpolitiker Ihrem Gesetzentwurf im Finanzausschuß zugestimmt haben?
Sie haben dies getan, nachdem Ihr zunächst eingebrachter Antrag, mit dem Sie eine weitergehende Spreizung gefordert hatten, abgelehnt worden und deshalb nur noch diese Vorlage geblieben war. Das lag in der Logik der Vorgehensweise.
Ihr Verhalten unterscheidet sich aber trotzdem von dem Verhalten der Wirtschaftspolitiker Ihrer Partei. Da gibt es doch wohl keinen Dissens.
— Ich glaube, Sie können damit leben.Die Steuermehreinnahmen, die bislang auf Grund der letzten Mineralölsteueränderung angefallen sind, nutzen wir damit zur Finanzierung der Verbilligung des bleifreien Benzins. Wir stellen sie damit in den Dienst des Umweltschutzes und widerlegen so den Vorwurf der Sozialdemokraten, daß wir an dieser Umweltschutzmaßnahme verdienen wollten. Wer das behauptet, sagt nicht die Wahrheit.Es gibt übrigens kein Land in der EG, das in der Steuerspreizung weiter ginge als wir. Das muß man sehen. In den Niederlanden ist die geplante Spreizung geringer. Allerdings muß ich der Fairneß halber dazusagen, daß dort eine zusätzliche Abgabe, eine Strafabgabe, vorgesehen ist. Für uns läßt sich allerdings die Übertragbarkeit dieses Modells nicht realisieren. Denn erstens steht die Zustimmung der EG zu diesem Modell noch aus. Sie wissen, wie schwierig diese zu erreichen ist. Zweitens entsprechen die rechtlichen Rahmenbedingungen bei uns in der Bundesrepublik nicht den Rahmenbedingungen in den Niederlanden. Bei uns gibt es offensichtlich noch verfassungsrechtliche Bedenken, die dabei nicht ausgeräumt werden können.Mit der Entscheidung, bleifreies Benzin weiter zu verbilligen, fahren wir keinen Zickzackkurs, Herr Kollege Spöri, wie Sie es das letzte Mal behauptet haben. Wenn die Autofahrer, die bleifreies Benzin tanken können, es auch getankt hätten, wären die Verteilungskosten schon so gesenkt worden, daß durch den Mehrumsatz bleifreies Benzin billiger als verbleites hätte angeboten werden können. Ein Pfennigmehr für einen Liter unverbleites Benzin — das war zum Schluß die Differenz — bedeutet 2 DM im Monat oder 24 DM im Jahr für den Durchschnittsverbraucher. Das ist eigentlich ein geringer Preis für mehr Umweltschutz, ein geringes Opfer für die Luftreinhaltung. Es ist jedoch nicht geleistet worden. Das hat die von Ihnen immer wieder zitierte Umfrage Lügen gestraft, nach deren Ergebnis drei Viertel der Bevölkerung bereit seien, zur Rettung des Waldes, für den Umweltschutz und für die Luftreinhaltung einen persönlichen Beitrag, ein kleines materielles Opfer aus eigener Tasche zu leisten. Ich muß sagen: Das ist fürwahr eine bittere und enttäuschende Erkenntnis. Deshalb mußten wir handeln.Zum Angebot an umweltfreundlichen Autos kommt damit das billigere, umweltfreundliche und unverbleite Benzin hinzu. Jetzt hat keiner mehr die Ausrede, sich nicht umweltfreundlich verhalten zu können.Ein zweiter Grund für die von uns vorgenommene Korrektur ist das folgende. Wir haben darauf hingearbeitet, daß das Drei-Säulen-Konzept zwischen Mineralölwirtschaft und Automobilindustrie freiwillig realisiert wird, daß man nur eine unverbleite Sorte anbietet, unverbleites Euro-Super. Anfänglich ließen sich die Beratungen dazu in den beiden Wirtschaftsbereichen gut an. Sie sind zum Schluß gescheitert. Das ist etwas, was wir nicht zu vertreten haben. Aber auch dies hätte den Prozeß des billigeren Angebots durchaus beschleunigt.Wir müssen hierbei festhalten, daß die zwangsweise Einführung des Drei-Säulen-Konzepts bei Verbot von verbleitem Normalbenzin, dieses von Ihnen immer als Allheilmittel angepriesene Konzept, nicht realisierbar war. Wir hätten es nicht im Alleingang einführen können. Das EG-Recht steht dem entgegen.Sie haben dies lange Zeit nicht zur Kenntnis nehmen wollen, Herr Spöri. Aber langsam dämmert es auch bei Ihnen. Sie geben ja nicht gern zu, daß Sie sich dabei geirrt haben. Sie sollten dies aber durchaus zugestehen.
Nach wie vor stellen Sie diese Aufgabe noch als leichter lösbar hin, als sie ist. Sie wecken damit eigentlich wieder falsche, nicht realisierbare Erwartungen.Sie verbinden dies damit, daß Sie sagen: Mit Tempolimit würde das auf europäischer Ebene leichter realisierbar sein. Sie wissen, daß das doch nur ein Vorwand ist. Die Franzosen fordern nicht
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12868 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Dr. Lippoldnur Tempolimit. Sie fordern auch den Einsatz von Strom aus Kernkraftwerken an Stelle von Kohlekraftwerken, weil sie sagen: das ist umweltfreundlicher. Wenn Sie also den Franzosen entgegenkommen wollen, müßten Sie logischerweise auch diese Forderung der Franzosen akzeptieren. Aber daran denken Sie doch gar nicht. Sie tun in dieser Angelegenheit nicht das, was sachlich geboten ist, sondern drehen Ihr Mäntelchen nach opportunistischem Wind und treffen sachferne Entscheidungen.Ich will noch eine letzte Position erörtern. Wir glauben, daß die Einführung des bleifreien Benzins
nicht allein ausreichend ist, Herr Spöri. Flankierend ist erforderlich, daß Automobilindustrie, Mineralölwirtschaft, Kraftfahrzeuggewerbe und Kraftfahrzeughandel verstärkt informieren, welche Autos bleifrei betankt werden können. Der Prozeß läuft an. Automobilindustrie und Kraftfahrzeughandel müssen im Zusammenwirken mit den Medien und staatlichen Institutionen verstärkt auf die steuerliche Förderung schadstoffarmer Autos hinweisen und damit werben. Es kann nicht angehen, daß dieser Prozeß nicht stattfindet. Aber auch hier scheint sich jetzt eine Änderung anzubahnen.Darüber hinaus werden wir Bestrebungen im Kraftfahrzeughandel, in Zahlung genommene Gebrauchtwagen, soweit es möglich ist, in schadstoffarme Autos umzurüsten und dann weiter zu verkaufen, mit allen Kräften unterstützen.Ebenso unterstützen werden wir die ständigen und intensiven Bemühungen der Bundesregierung, in unseren europäischen Nachbarländern auf eine flächendeckende Versorgung mit bleifreiem Benzin hinzuarbeiten. Das stärkt die Akzeptanz schadstoffarmer Autos.Ich komme zum Schluß. Mit der Entscheidung von heute abend werden wir die lange Reihe umweltfreundlicher Entscheidungen, die diese Regierung und diese Koalition getroffen haben, fortsetzen. Wir sind uns der Verantwortung, die wir für die Umwelt und für die Übergabe einer intakten Umwelt an unsere Kinder haben, bewußt. Dies wird nicht die letzte umweltfreundliche Entscheidung dieser Koalition in dieser Regierungsperiode in diesem Hause sein.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Lennartz.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Herr Lippold, es reizt einen, Ihnen zu antworten.
— Herr Hoffie, sind Sie schon nervös?
Der heutige Abend und auch dieses Auditorium inspirieren mich nicht zu diesen lebhaften Debatten, wie wir sie manchmal geführt haben. Wenn ich das noch erwähnen darf: Ein etwas lädierter körperlicher Zustand hält mich heute etwas zurück. Sie werden heute vielleicht das eine oder andere nicht hören, was ich Ihnen gern noch zu dieser Entscheidung gesagt hätte.Die Kunst der Politik besteht u. a. auch darin, zum richtigen Zeitpunkt das Richtige zu tun. Es stellt sich die Frage: Was heißt das bei der Mineralölsteuergesetzgebung?Erstens. Wie schaffe ich einen vernünftigen, d. h. konkurrenzfähigen Preis für denjenigen Kraftstoff, der für den Betrieb eines Katalysatorautos nötig ist?Zweitens. Wie erreiche ich durch das Instrument der Steuergesetzgebung, daß der bleifreie Kraftstoff parallel zur Entwicklung des Katalysatorautomarkts in ausreichendem Maße preisgünstig angeboten wird?Drittens — in einen größeren Zusammenhang eingeordnet —: Wie beschleunige ich den Austausch herkömmlicher Kraftfahrzeuge durch Katalysatorfahrzeuge?Der vierte Punkt ist: Durch welche geeigneten Maßnahmen kann so schnell wie möglich die zu hohe Belastung der Luft mit Stickoxiden verringert werden?Auf alle diese Fragen haben die Bundesregierung und die Regierungskoalition in den letzten Monaten und Jahren nicht die richtigen Antworten gefunden.
Diejenigen Antworten, die Sie gefunden haben, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, waren falsch oder nur halb richtig. Wenn sie halb richtig waren, dann wurden sie zum falschen Zeitpunkt als Problemlösung dargestellt.Auf meine vier genannten Fragen haben die Bundesregierung und die Regierungskoalition zum falschen Zeitpunkt falsche Antworten geliefert. Sie haben den richtigen Zeipunkt verpaßt, um die Belastung unserer Luft mit Stickoxiden und damit das Waldsterben wirkungsvoll einzudämmen, indem sie sich auf ungeeignete Maßnahmen eingelassen haben — Herr Dr. Lippold, hier denke ich nur an die unseligen Brüsseler Beschlüsse —
und indem Sie sich nach wie vor weigern, das Richtige zu tun, nämlich die Einführung eines wirksamen Tempolimits zur Eindämmung des Waldsterbens zu veranlassen.
— Wenn Sie es täten, Herr Kollege Solms, wäre es ein falscher Schritt, weil es ein Schritt zum falschen Zeitpunkt wäre. Sie haben es versäumt, mit einer einfachen geeigneten gesetzlichen Regelung, nämlich den frühestmöglichen Austausch von herkömmlichen Fahrzeugen durch Katalysatorfahrzeuge zu veranlassen, etwas zu erreichen. Was Sie
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Lennartzgetan haben, ist zu kompliziert und wirkt sich nicht zum richtigen Zeitpunkt, sondern viel zu spät, nämlich erst in den 90er Jahren, aus.Haben Sie das Richtige zum richtigen Zeitpunkt getan — fragen Sie sich dies doch einmal selbst —, als es darum ging, preisgünstigsten Kraftstoff für Katalysatorautos bereitzustellen, und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem die Verbraucher in ihre Meinungsbildung über den Wert der steuerlichen Förderung von Kraftfahrzeugen auch die Kraftstoffpreise mit einbezogen? Die Antwort lautet: Nein. Die Änderung des Mineralölsteuergesetzes war völlig unzureichend, um auch nur annähernd Preisparität zwischen bleifreiem und bleihaltigem Benzin zu erreichen.
Wir haben demgegenüber, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, bei allen Beratungsschritten im Zusammenhang mit dem Mineralölsteuergesetz vorgerechnet, daß Sie mit den bisher gültigen Steuerspreizungen das Ziel des Gesetzes nicht erreichen würden.Das Ergebnis Ihrer Gesetzesänderung war denn auch niederschmetternd. Von 200 Tankfüllungen, Herr Dr. Lippold, ist nur eine einzige bleifrei. So ganz nebenbei hat der Bundesfinanzminister jeden Monat 50 Millionen DM abkassiert, um seinen Haushalt bleifrei sanieren zu können. Jetzt, Herr Dr. Lippold, kommt genau der Punkt, den Sie eben ansprachen: Die damalige Argumentationskette von Herrn Dr. Spöri für die SPD war einfach zutreffend, nämlich daß Sie mit Ihrem Mineralölsteuergesetz den Haushalt saniert hätten. Nur, mit der heutigen Entscheidung wird doch dieser mehr oder weniger vorhandene Berg von Geldmitteln, den Sie für den Umweltschutz einsetzen wollten, etwas abgebaut. Darauf bezieht sich doch Ihr heutiger Antrag.
Herr Abgeordneter, Herr Lippold möchte gern eine Zwischenfrage stellen.
Bitte sehr.
Herr Lennartz, sind Sie mit mir der Meinung, daß die finanziellen Konsequenzen, wie Sie sie gerade dargestellt haben, nicht eingetreten wären, wenn nur ca. 50 % derer, die blei-freiverträglich fahren könnten bleifreiverträglich gefahren wären?
Herr Dr. Lippold, Sie muten einem Autofahrer, der tankt, zu, eine Leistung zu erbringen, obwohl er jeden Tag an der Tankstelle sehen kann, daß er preiswerter tanken kann. Bei Ihrer Politik der Sozialgesetzgebung — Abbau von Sozialgesetzen — erwarten Sie auch noch, daß zusätzlich ein anderer Beitrag erbracht wird. Entschuldigen Sie bitte, aber es ist doch unzutreffend, was Sie formulieren.Jetzt darf ich einmal den Herrn Staatssekretär zitieren. Was machen Sie denn heute mit Ihrem Gesetz? Der Staatssekretär hat in der letzten Finanzausschußsitzung auf meine Frage zugegeben, er selber gehe bei der heutigen Spreizung davon aus, daß die 50 %, die normalerweise bleifrei tanken könnten, das nicht in Anspruch nähmen. Er geht maximal von 22 % aus. Darauf konnten wir nur empfehlen, eine stärkere Spreizung vorzunehmen, und im übrigen versichern, daß die SPD-Fraktion auch eine Anhebung des Preises für bleihaltiges Benzin mitvollzöge, um dem Umweltschutzgedanken Rechnung zu tragen. Entschuldigen Sie, aber heute machen Sie wieder etwas, was absolut unzutreffend ist. Das ist die Antwort auf Ihre Frage.
Herr Lippold, um zum richtigen Zeitpunkt das Richtige zu tun, ist ein Konzept erforderlich. Dazu gehören ein Leitfaden, Grundsätze, an denen man sein Handeln orientiert. Bisher waren Sie der Auffassung, bleifreies Benzin dürfe nicht billiger werden als der normale Sprit, um Mitnahmeeffekte auszuschließen. Mittlerweile haben Sie diese Grundlinie verlassen und sind erfreulicherweise endlich darauf gekommen, daß die Verbrennung von bleifreiem Sprit auch ohne Katalysator ein Beitrag zum Umweltschutz ist. Sie tun jetzt das Richtige, Sie vergrößern nämlich die Steuerspreizung, allerdings wiederum zum falschen Zeitpunkt: zu spät.Das Beispiel der Mineralölsteuergesetzgebung zeigt deutlich, daß Sie bisher nicht in der Lage waren, mit Blick auf die Reduzierung der Stickoxide aus dem Kraftfahrzeugverkehr eine Politik aus einem Guß zu machen. Selbst bei der Nachbesserung des jetzt gültigen Mineralölsteuergesetzes gehen Sie wiederum nur halbherzig vor. Die vorgesehene Steuersenkung für bleifreies Benzin um zusätzlich 3 Pfennige ist immer noch unzureichend. Sie wird im Ergebnis nur einen Preisunterschied von 1 Pfennig zugunsten des bleifreien Benzins bewirken.Die bundesrepublikanischen Autofahrer, die ja gebrannte Kinder Ihrer Umweltschutzgesetzgebung im Pkw-Bereich sind und deshalb neue Anreize dreimal, und zwar skeptisch, prüfen werden, müssen durch die Befristung der Steuerbegünstigung auf lediglich 15 Monate zusätzlich irritiert werden.
Es ist sehr zweifelhaft, ob diese sehr kurze Frist zusätzliche Anreize zum Kauf eines Katalysatorautos schaffen kann.Die SPD-Bundestagsfraktion hat Ihnen in einem Änderungsantrag vorgeschlagen, den Steuersatz für bleifreies Benzin um mindestens 5 Pfennige zu senken und diese Steuervergünstigung für mindestens zwei Jahre beizubehalten.
Herr Hoffie, wir glauben nämlich nicht Ihren Aussagen, die Sie für eine bestimmte Lobby machen. Die Industrie habe Ihnen jetzt zugesagt, daß Sie mit diesem Schritt wirklich etwas erreichen würden.
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LennartzVor ca. 14 Tagen haben Sie sich hinter dieses Podium gestellt und dem Deutschen Bundestag erzählt, daß Sie industriegläubig gewesen seien.
— Natürlich, lesen Sie einmal Ihre eigene Rede nach, in der Sie gesagt haben, Sie hätten der Industrie geglaubt, daß man durch die Spreizung, die Sie damals vorgenommen haben, zu einem ausgewogenen Ergebnis käme. Das haben im übrigen nicht nur Sie, sondern auch Herr Dr. Lippold gesagt. Diese Übereinstimmung war ja phantastisch. Aber ich spreche Sie jetzt in besonderem Maße an. Sie können sich wahrscheinlich auch denken, warum.Nur durch die stärkere Spreizung ist gewährleistet, daß sich das bleifreie Benzin mit der gewünschten Schnelligkeit auf dem Markt durchsetzen und die Nachfrage auf höherem Niveau stabilisiert wird. Sie, meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, werden diese Vorschläge auch heute wieder ablehnen. Im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages konnten wir das ja bereits nachvollziehen.Es ist also durchaus möglich, Herr Dr. Lippold — Sie haben das ja eben vornehm anklingen lassen —, daß wir uns in einem Zeitraum von eineinhalb Jahren dreimal mit einer Mineralölsteuersenkung für das bleifreie Benzin zu beschäftigen haben. Ich gehe davon aus, dies wird zu diesem Thema nicht die letzte Sitzung und die letzte Debatte sein. Herr Dr. Lippold, ich wage allerdings zu zweifeln, ob das nötig ist und das Vertrauen der Bürger in die Gesetzgebung stärkt. Was das mit Umweltschutz zu tun hat, muß ich schon Ihrer eigenen Phantasie überlassen. Was Sie unter Umweltschutz verstehen, durften wir heute morgen bei einer anderen energiepolitischen Debatte miterleben und nachvollziehen.Erlauben Sie mir einen letzten Satz dazu: Wenn Sie hier die Franzosen ansprechen, Atomenergie, Katalysatorauto, dann möchte ich Ihnen empfehlen, sich auf dem amerikanischen Markt zu orientieren. Auf dem amerikanischen Markt gibt es das Katalysatorauto bereits seit zehn Jahren, und es kommt hinzu, daß nach der amerikanischen Energiepolitik keine Kernkraftwerke mehr an das Netz gehen. Diesen Unterschied müssen Sie mir einmal erklären. Herr Dr. Lippold, wenn Sie sich manchmal an amerikanischen Interessen und an den Interessen orientieren, die Sie für vorbildlich halten, so möchte ich Sie bitten, auch die Interessen zur Kenntnis zu nehmen, die dort drüben vorbildlich sind, wo Sie nicht die politische Bereitschaft haben, hier nachzuziehen. Ich kann empfehlen: Machen Sie mit Ihren Kollegen mal eine Diskussionsrunde und einen wirklich echten, richtigen Schritt zum Umweltschutz!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Herr Lennartz, würden Sie mir zustimmen, daß der Denkprozeß bei mir,
mich an diesem Zustand in den USA zu orientieren, mit größerer Bereitwilligkeit erfolgen würde, wenn die sozialdemokratisch geführte Regierung ähnlich wie die US-amerikanische Regierung den Prozeß der Umrüstung auf schadstoffarme Autos bereits Anfang der 70er Jahre eingeleitet und diesen Prozeß nicht einfach verschlafen hätte?
Herr Kollege Dr. Lippold, die Frage, die Sie gestellt haben, erinnert mich an einen Leierkastenmann, der in den letzten zehn Jahren immer das gleiche hier vororgelt. Weder Ihre Partei noch die GRÜNEN noch wir als SPD hatten im Jahr 1980 in unseren Wahlprogrammen das Wort „Waldsterben" irgendwo erwähnt. Die Sensibilität und auch das Bewußtsein waren bei keiner der heute im Bundestag vertretenen Parteien überhaupt vorhanden.
Ich möchte Sie bitten, Herr Dr. Lippold, einmal die Diskussionen nachzuvollziehen, die unter Volker Hauff auf diesem Gebiet geführt worden sind. Wer hat denn dafür gesorgt, daß Schwefeldioxid aus den Autos rausgekommen ist? Das war die sozialliberale Koalition mit Hilfe der FDP. Wenn Sie heute so progressiv wären, wie wir bereits damals vor zehn Jahren gewesen sind, wären wir im Umweltschutz einen gewaltigen Schritt weiter.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffie.
Darauf komme ich gleich.Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Was wir heute hier als Änderung des Mineralölsteuergesetzes verabschieden, ist aus zwei Gründen notwendig. Der eine Grund liegt in Brüssel, und der andere Grund liegt beim deutschen Autofahrer. Wir hätten uns diese Regelung sparen können, wenn sich, wie es inzwischen auch von den GRÜNEN und der SPD, wie ich neuerdings höre, unterstützt worden ist, unser Vorschlag durchgesetzt hätte, das Drei-Säulen-Modell zu machen. Ich bin froh, daß wir von dieser Seite des Hauses dafür Unterstützung hatten. Es wäre der vernünftigste Vorschlag gewesen.
— Darauf komme ich auch noch, wenn Sie mir Zeit lassen.Das Drei-Säulen-Modell, das Verkaufsverbot von verbleitem Normalbenzin, ist gescheitert, weil uns die europäischen Partner diese Möglichkeit, die in der Schweiz und in Österreich praktiziert wird, nicht erlauben. Das wäre das Vernünftigste gewesen; denn dann hätten wir Milliarden an Umrü-
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Hoffiestungskosten für den vierten und fünften Tank, nämlich für unverbleites Normalbenzin und unverbleites Super, an den Tankstellen sparen können. Wir hätten damit verhindert, daß jede weitere zweite Tankstelle aus dem Markt herauskommt, die rein räumlich gar nicht in der Lage ist, auch noch den vierten und fünften Tank für das unverbleite Benzin einzubauen, und wir hätten mehr Autofahrer gehabt, die auf bleifreien Sprit umgestiegen wären. Keiner hätte sein Auto deswegen nicht mehr fahren können; denn alle, die bisher verbleites Normalbenzin fahren, hätten auf das 6 bis 7 Pfennig teurere verbleite Super umsteigen müssen. Aber wir hätten von vornherein, schon bevor wir jetzt dieses Gesetz mit der Folge einer Aufbesserung von drei Pfennigen pro Liter für den unverbleiten Sprit beschließen, eine Differenzierung von zehn Pfennigen gehabt. Die GRÜNEN haben das sehr schnell erkannt und haben sich diesem Vorschlag frühzeitig angeschlossen, die SPD dann, wie ich hier hörte, vor drei oder vier Wochen. In Europa kriegen wir das nach wie vor nicht durch. Ich höre, daß die Niederländer diesem Vorschlag positiv gegenüberstehen, alle anderen Länder noch nicht. Es ist schlimm, daß es in Europa keine bessere Lösung gibt.Das zweite: Durch einen einzigen Pfennig wird die Behauptung der Mehrheit der Deutschen widerlegt, sie sei als Autofahrer bereit, einen eigenen — auch finanziellen — Beitrag zu mehr Umweltschutz und gegen das Waldsterben zu leisten. Denn bisher kostete das unverbleite Benzin ein bis zwei Pfennige mehr. Jeder dritte kann es tanken.
— Ich komme gleich darauf! — Jeder dritte Autofahrer konnte schon bisher mit seinem Auto, weil es das verträgt, bleifrei tanken. Das sind rund 8 Millionen Pkw-Fahrer; nur haben die das nicht getan. Warum haben die Bürger bisher nicht bleifrei getankt, obwohl man nahezu flächendeckend bleifrei tanken kann? Weil das bleifreie Benzin an den Tankstellen ein bis zwei Pfennige teurer war.
Gleichzeitig aber behaupten alle, behaupten die gleichen Menschen: Wenn es um die Bekämpfung des Waldsterbens und um die Gesunderhaltung der Umwelt geht, sind wir bereit, einen eigenen — auch finanziellen — Beitrag zu leisten.
Weil die Menschen das wegen dieses einen Pfennigs Mehrkosten nicht angenommen haben, müssen wir heute noch einmal um drei Pfennige heruntergehen, damit die Bürger etwas Umweltfreundliches nicht nur genauso billig, sondern noch billiger bekommen.
Sie müssen also praktisch etwas umsonst oder doch billiger bekommen, bevor sie bereit sind, ihren eigenen Beitrag dazu zu leisten, daß das, was sie reden, auch mit den Taten übereinstimmt. Das ist schlimm genug.
— Selbst die GRÜNEN, die immer lautstark sagen, sie seien bereit, ihren Beitrag dazu zu leisten,
— ja, tanken auch nicht bleifrei. Nicht einmal ein Teil ihrer Wähler, nicht einmal 1 % Ihrer Wähler tut das; das kann man sich nach den bisherigen Verbrauchsmengen leicht ausrechnen. Das ist der Unterschied zwischen Tat und Wort!
Nun, meine Damen und Herren, gehen wir mit dem Preis weiter herunter. Ab 1. Januar wird der unverbleite Normalsprit das billigste Benzin sein, das an unseren Tankstellen angeboten wird. Das ist von der Mineralölindustrie so zugesichert. Dann werden wir ja sehen, ob zumindest jeder dritte Autofahrer bleifrei tankt, weil der Motor seines Pkw — weil nicht vor 1980 gebaut — bleifrei verträgt. Wenn schon nicht die Umwelteinsicht, so wird dann hoffentlich wenigstens die Preiseinsicht eine Rolle spielen, mit der Folge, daß die Menschen bereit sind, bleifrei zu tanken und damit endlich dem umweltfreundlichen Sprit zum Durchbruch zu verhelfen.Nun wollen wir aber nicht nur, daß diejenigen, die alte Autos haben und bleifrei tanken könnten, deswegen, weil das schon ein Wert an sich ist, auf bleifrei umsteigen, sondern wir wollten ja die schnelle Einführung des bleifreien Sprits, damit mehr Leute Katalysatorfahrzeuge fahren;
die begünstigen wir ja steuerlich.
Das ist der eigentliche Punkt: Mit dieser Verbilligung muß klar werden, daß jeder, der ein neues Auto zuläßt, dann am billigsten fährt, wenn er dieses Auto mit Katalysator fährt. Auch die Verkäufer der Automobilfirmen müssen endlich einmal begreifen,
daß es in ihren Verkaufsgesprächen jetzt nicht darauf ankommt, noch ein paar Millionen Fahrzeuge, die auf den Höfen stehen, Fahrzeuge, die nicht mit Katalysator ausgerüstet sind und teilweise auch nicht mit einem Dreiwegekatalysator nachrüstbar sind, mit falschen Argumenten anzupreisen, und zwar zu Lasten des Verkaufs von Katalysatorfahrzeugen. Sie müssen begreifen, daß es jetzt darauf ankommt, den Leuten ehrlicherweise klarzumachen, daß derjenige, der ein Katalysatorfahrzeug kauft, anschließend — neben dem Dieselfahrer — beim Sprittanken die billigsten Unterhaltskosten hat. Ich hoffe, daß das in solchen Verkaufsgesprächen dann auch deutlich wird.12872 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985HoffieNun haben Sie von der SPD noch einmal erklärt— wie die GRÜNEN es nachher sicher auch tun werden —, neben dieser Verbilligung des bleifreien Sprits sollten wir doch als Sofortbeitrag Tempo 100 einführen; dann sei das alles einfacher und schneller durchsetzbar. Nun will ich sagen: Genau das Gegenteil ist der Fall. Wer wirklich Umweltschutz will — —
— Ja, ich weiß, daß Sie das aufregt. Ich will gerade versuchen, es mal so zu erklären, daß auch Sie das verstehen.
Wer wirklich Umweltschutz will, kann und darf nicht gegen ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen sein, weil er damit der Umwelt nicht dient, sondern ihr schadet. DIE GRÜNEN sind bereit, aus Feindschaft gegen das Auto eine Entscheidung zu treffen, die der Umwelt nicht nutzt, sondern schadet.Warum schadet sie ihr?
Ein kleines Beispiel. Wenn jemand ein Elektrofahrzeug kauft, das überhaupt keine Abgase, keine Schadstoffe produziert,
dann kann ja — ich sage es mal theoretisch — dieser Mann dafür, daß er keine Schadstoffe produziert, nicht dadurch bestraft werden, daß er künftig Tempo 100 fahren soll — mit der Begründung: Du hast dann einen wirklichen Beitrag zum Umweltschutz geleistet. Das kann ja wohl nicht wahr sein.Zweitens. Wenn einer ein Auto kauft, das die Schadstoffe zu 90% beseitigt, nämlich ein Katalysatorauto, kann er doch nicht dadurch bestraft und gegängelt werden, daß er mit dem Katalysatorauto nun auch noch Tempo 100 fahren soll, obwohl das Katalysatorauto bei Tempo 100 nicht mehr umweltfreundlicher werden kann als es bereits ist. Denn ein langsam fahrendes Katalysatorauto produziert nicht weniger, sondern mehr Schadstoffe, weil der Katalysator eine bestimmte Betriebstemperatur braucht. Aber auch diese Einsicht können DIE GRÜNEN nicht vollziehen.
Das heißt im Klartext:
— Am Ende gern, wenn mir die Zeit nicht angerechnet wird.Das heißt im Klartext: Wer wirklich mehr Umweltschutz und weniger Schadstoffe will, der kann und darf die Menschen nicht dazu anhalten, daß sie die Schadstoffe durch Tempo 100 — wie der Großversuch zeigen wird — um etwa 3, 4, 5 oder vielleicht 6 % reduzieren, sondern er muß sie dazu anhalten, daß möglichst viele Menschen möglichstschnell auf die bessere Technik umsteigen, die um mehr
als 3 oder 5% Schadstoffe reduziert. Und das ist entweder das Katalysatorauto oder die Nachrüstung eines Autos auf schadstoffarme Technik. Damit erzielen Sie den 20fachen, den 30fachen Erfolg einer solchen Tempobegrenzung.Deswegen noch einmal: Wer eine allgemeine Tempobegrenzung auf Autobahnen fordert, nützt der Umwelt nicht, sondern schadet ihr, weil er sich damit lediglich hinter der billigen Ausrede verschanzen kann und will, daß er dadurch, daß er langsamer fährt, schon 3 bis 5% der Schadstoffe beseitigt, nicht aber bereit ist, auch mit eigenem Geld dafür zu sorgen, daß 90% der Schadstoffe durch Katalysatortechnik oder z. B. 60 % der Schadstoffe durch Nachrüstung auf etwa Abgasrückführung reduziert werden.
Herr Abgeordneter, Sie müssen sich nun entscheiden, ob Sie dem Abgeordneten Schulte die Möglichkeit geben, die Sie angedeutet haben.
Ich bin gern bereit, Ihre Frage zu beantworten.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Schulte.
Danke schön. Wir haben j a eben wieder ganz neue Theorien gehört.
Ich bitte aber, auch eine Frage zu stellen, Herr Abgeordneter Schulte, wir sind nicht in der Zeit.
Ja. Meine Frage: Herr Hoffie, kann man aus dem soeben Gesagten ableiten, daß Sie oder die FDP-Fraktion in Kürze einen Antrag einbringen, für Katalysatorfahrzeuge eine Mindestgeschwindigkeit auf Autobahnen von 180 vorzuschreiben?
Im Gegensatz zu den GRÜNEN wird es solche dümmlichen Anträge bei uns nicht geben.
Die GRÜNEN beantragen z. B. gleichzeitig, man möge möglichst schadstoffarm und in Wohngebieten 30 fahren. Das bedeutet, daß ein Katalysatorfahrzeug, das dort fährt und seine Betriebstemperatur gar nicht erreicht, schadstoffreicher als das heutige Auto fährt. Das sind die Anträge, die Sie stellen. Solche Anträge überlasse ich auch bei Höchstgeschwindigkeiten weiter Ihnen.
Aber um es noch mal ganz klar zu sagen: Mit der FDP wird es in diesem Haus und in dieser Regierung unabhängig vom Ausgang des Großversuchs
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Hoffiekein generelles Tempolimit geben, weil es der Umwelt nichts nutzt, sondern ihr schadet.
Wie wir aber von Anfang an erklärt haben und wie sich weitere wichtige Repräsentanten der Politik
unserem Vorschlag inzwischen anschließen, sind wir offen für den Vorschlag, den wir schon vor einem Jahr eingebracht haben, nämlich dann ein Schadstofflimit einzuführen, das diejenigen belohnt, die bereit sind, zum Umweltschutz mehr beizutragen, als durch ein Tempolimit überhaupt möglich wäre. Das ist also eine differenzierte Lösung.
Wenn Sie sich diesem Vorschlag anschließen können, dann allerdings hätten Sie ausnahmsweise wirklich einmal etwas zu mehr Umweltschutz beigetragen, meine Damen und Herren von den GRÜNEN.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Senfft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hoffie, ich habe zwar Verständnis dafür, daß eine Partei, die bei ihren politischen Maßnahmen voll und ganz von den Spenden der Industrie abhängig ist, hier nichts anderes als die Position der Industrie vertreten kann; das ist mir klar. Aber das, was Sie hier an Argumenten gerade vorgebracht haben, war wirklich der Gipfel.
Es wäre mir peinlich, solche Argumente hier vorzutragen.
Sie gestatten aber eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hoffie, Herr Abgeordneter Senfft?
Eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hoffie gestatte ich immer.
Bitte schön.
Herr Kollege Senfft, ist Ihnen bekannt, daß die deutsche Automobilindustrie den Vorschlag der FDP, möglicherweise ein Schadstoffbegrenzungsinstrument, das differenzierte Tempolimit einzuführen, entschieden ablehnt und daß damit der Vorwurf, wir würden hier das Geschäft der Lobby der Automobilindustrie betreiben,
nun wirklich ins Leere geht, da bisher lediglich der frühere Pressechef von Porsche erklärt hat, ein differenziertes Tempo-Limit sei die vernünftigste Lösung?
Herr Abgeordneter, würden Sie bitte die Freundlichkeit haben, die Antwort stehend entgegenzunehmen. — Danke schön. — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Senfft.
Ich kann diese Logik nicht nachvollziehen, aber ich glaube, in den anschließenden Worten von mir, dle ich hier jetzt sagen möchte, wird deutlich, worum es hier geht. Wir lehnen den Gesetzentwurf zur weiteren Subventionierung des Benzins und damit auch des Autoverkehrs ab. Ziel dieser Vorlage ist nichts anderes, als wie es im Gesetzentwurf auch heißt, einen zusätzlichen Anreiz für den Kauf von sogenannten schadstoffarmen Pkw zu schaffen.Es hätte zu einer Spreizung der Mineralölsteuer zwei Wege gegeben: Der erste Weg wäre der, daß man, so wie hier nun auch laufen soll, die Mineralölsteuer für bleifreies Benzin senkt; dadurch entsteht natürlich eine Spreizung. Der zweite Weg — das wäre das gewesen, dem wir zugestimmt hätten — wäre eine Erhöhung der Mineralölsteuer für bleihaltiges Benzin gewesen. Noch besser hingegen — Herr Hoffie, Sie haben dazu ja auch Stellung genommen — wäre es gewesen, wenn dieser Bundestag — auch Sie, Herr Hoffie, und die FDP — unserem Vorstoß zum Verbot von bleihaltigem Normalbenzin und zur Einführung des Modells, wie es auch in Österreich praktiziert wird, zugestimmt hätte.
— Ihr Vorschlag, Herr Hoffie. Aber auch wir haben das im Verkehrsausschuß eingebracht. Sie haben es abgelehnt, Herr Hoffie, Sie haben Ihre eigenen Vorstellungen abgelehnt.Ich möchte nun auch noch etwas zur EG sagen: Es gibt nach wie vor die Römischen Verträge und in ihnen Art. 36. Wir hätten die Möglichkeit gehabt — unabhängig von EG-Regelungen —, hier einen Vorstoß zu unternehmen. Denn es ist doch wirklich unstrittig — Herr Hoffie, das können doch auch Sie nun sicherlich nicht bestreiten —, daß das Blei im Benzin zu verheerenden Schädigungen beim Menschen, insbesondere bei Kindern, führt. Ein Verbot des bleihaltigen Normalbenzins wäre allein deshalb, aus Gesundheitsgründen gerechtfertigt. Mit Blick auf Art. 36 wäre es auch möglich gewesen, das außerhalb der EG zu regeln, Herr Hoffie, wenn hier nur endlich einmal der Mut vorhanden wäre, einen solchen Vorstoß im Interesse der betroffenen Menschen zu unternehmen.
Meine Damen und Herren, wir lehnen den Gesetzentwurf aber insbesondere deshalb ab, weil wir der Meinung sind: Bevor ein zusätzlicher Anreiz zum Kauf immer neuer Pkw und zum Fahren die-
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12874 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Senfftser Pkw geschaffen wird, ist es endlich einmal Zeit, daß zusätzliche Anreize zum Umsteigen auf die wirklich umweltfreundlichen, sicheren, energiesparenden und sozialen Verkehrsmittel, also auf die öffentlichen Nahverkehrsmittel, auf die Deutsche Bundesbahn, geschaffen werden. Das wäre doch wirklich der Ansatz, der hier bei allen Überlegungen, wenn es wirklich um die Umwelt geht, zuerst einmal hätte eingebracht werden müssen. Davon ist nichts zu spüren. Es ist eine unverschämte Sauerei, daß hier auf der einen Seite das Benutzen von Pkw weiter verbilligt wird und auf der anderen Seite nun verlautet, daß die Fahrpreise der Deutschen Bundesbahn zum 1. Januar nächsten Jahres nicht etwa gesenkt, sondern erhöht werden.
Meine Damen und Herren, mit diesen Maßnahmen vertreiben Sie immer mehr Kunden der öffentlichen Verkehrsmittel, der Deutschen Bundesbahn, und Sie betreiben damit eine höchst umweltschädliche Verkehrspolitik in diesem Hause.
Wir haben deshalb einen Antrag eingebracht, der aus drei Punkten besteht. Es ist ein Minimalantrag, bei dem ich davon ausgehe, daß bei normal denkenden Menschen eine Mehrheit quer durch alle Fraktionen gegeben sein sollte. Ich betone: sollte.
— Nein, es handelt sich um etwas anderes, Kollege. Es handelt sich darum, daß der Deutsche Bundestag feststellt, daß die Benutzung der öffentlichen Nahverkehrsmittel sowie der Deutschen Bundesbahn nach wie vor umweltfreundlicher, energiesparsamer und sicherer als die Fahrt mit einem schadstoffarmen und mit bleifreiem Benzin betriebenen Pkw ist. Ich möchte die Argumente hier einmal hören, die dem entgegenstehen.Herr Hoffie, Sie haben bei allen Überlegungen zu der Tempobegrenzung eines vergessen, daß Sie nämlich bei einer Tempobegrenzung in bezug auf die Verkehrstoten tausend Menschen das Leben retten würden. Auch das ist eine Überlegung, die in diesem Hause gelten sollte, Herr Hoffie.
Herr Abgeordneter Senfft, der Abgeordnete Hoffie bittet um eine Zwischenfrage.
Selbstverständlich. Vizepräsident Cronenberg: Bitte sehr.
Herr Kollege, würden Sie bereit sein, die Zahlen des HUK-Verbandes zu bestätigen, der auch im Hearing des Deutschen Bundestages erklärt hat, daß 1983 von den insgesamt 12 000 Toten, die im Straßenverkehr beklagt wurden, 47 im Höchstgeschwindigkeitsbereich auf der Autobahn zu Tode gekommen sind, alle anderen in Bereichen, in denen wir Geschwindigkeitsberenzungen haben?
Herr Hoffie, ich nehme das zur Kenntnis. Das zeigt nur, daß wir offenbar noch stärkere Geschwindigkeitsbegrenzungen brauchen, denn die Erfahrung in den USA zeigt tatsächlich, daß sie erheblich weniger Opfer auf den Straßen haben.
— Fußgänger ist auch sehr richtig. Allein von dieser Logik her würden wir auch bei Tempo 30 ganz erheblich weniger Verkehrsopfer haben.
Meine Damen und Herren, der zweite Punkt dieses Antrages umfaßt die Aufforderung des Deutschen Bundestages an die Bürgerinnen und an die Bürger in der Bundesrepublik, verstärkt auf die umweltfreundlichen, energiesparsamen und sicheren Verkehrsmittel, nämlich auf Busse und Bahnen umzusteigen. Das wird langsam Zeit. Sie dagegen fordern laufend: Fahrt mehr Auto! Kauft neue Autos! — Herr Hoffie, Ihre Aufforderung „Fahrt bitte schneller auf den Autobahnen!"
— Das haben Sie hier gesagt, das ist Ihre Forderung zu sagen: Fahrt schneller, damit die Umwelt geschützt wird! — ist wirklich absurd.
Hier muß endlich einmal eine Aufforderung — sowie es z. B. Ihre Kollegen in Freiburg geschafft haben — an die Bürgerinnen und Bürger kommen: Bitte steigt, soweit es auch nur irgend geht, auf Busse und Bahnen um, und benutzt für kurze Wege das Fahrrad, oder geht, soweit es möglich ist, zu Fuß! — Das ist nämlich wirklich die umweltfreundliche Alternative, die Sie, meine Damen und Herren, hier aber nicht vertreten.
Der dritte Punkt unseres Antrages bezieht sich darauf, daß, wenn Sie schon finanzielle Anreize zugunsten des vermehrten Kaufs von Autos schaffen, natürlich erst einmal zusätzliche Anreize zur Benutzung von Bussen und Bahnen geschaffen werden. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten. Sie haben die Möglichkeit, z. B. die Einführung von Umweltschutztickets bei der Deutschen Bundesbahn und bei den öffentlichen Nahverkehrsunternehmen zu fördern, wie es in Wiesbaden oder Freiburg durch Initiativen der GRÜNEN, im übrigen aber auch mit Zustimmung der anderen dortigen Fraktionen Gott sei Dank zustande gekommen ist. Das wäre eine Initiative. Wir hätten die Möglichkeit, die Deutsche Bundesbahn endlich wieder einmal von der Mineralölsteuer zu befreien und damit einen Druck auf die Preise nach unten zu bewirken. Denn es ist doch ein Unding, daß Sie auf der einen Seite die Mineralölsteuer für die Fahrt mit dem Pkw senken und auf der anderen Seite, wie vor einiger Zeit in diesem Hause geschehen — übrigens bis auf die GRÜNEN einvernehmlich —, diese Mineralölsteuerbefreiung für die Bundesbahn und für die Busse vollkommen streichen. Was spricht dagegen, diese Maßnahmen zu ergreifen?
Darüber hinaus bestünde noch die Möglichkeit, durch eine Halbierung bzw. durch den Verzicht auf die Mehrwertsteuer bei den öffentlichen Nahverkehrsmitteln und bei der Deutschen Bundesbahn die Möglichkeit zu schaffen, daß die Fahrpreise für
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die umweltfreundlichen öffentlichen Verkehrsmittel gesenkt werden. Die Bürger hätten dann einen zusätzlichen Anreiz, endlich umzusteigen.
Meine Damen und Herren, das sind die Forderungen, die wir hier erheben. Wir können deshalb dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Wir können aber auch nicht dem Antrag der Fraktion der SPD zustimmen, hier eine noch höhere Subventionierung herbeizuführen.
Wir haben aber nichts gegen den Antrag unter Ziffer 2, wonach dem Deutschen Bundestag ein Bericht über die Auswirkungen vorgelegt werden soll. Wir beantragen deshalb, über die Ziffern 1 und 2 getrennt abzustimmen. Wir werden Ziffer 1 ablehnen, wir werden aber die Forderungen hinsichtlich des Berichts unterstützen.
Nunmehr hat der Parlamentarische Staatssekretär Häfele das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die weitere Senkung der Mineralölsteuer für bleifreies Benzin soll den Anreiz verstärken, künftig möglichst umweltfreundlich zu tanken. Leider hat die erste Senkung zum 1. April dieses Jahres bis heute nicht den Durchbruch geschafft, der allseits wünschenswert wäre. Wir haben zwar Erfolge: Wir haben inzwischen etwa 3 200 Tankstellen in Deutschland, an denen man bleifreies Benzin tanken kann; es gibt auch schon 1 200 Tankstellen, an denen man bleifreies Superbenzin tanken kann. Aber der Marktanteil von bleifreiem Benzin liegt nach wie vor bei nur etwa 1 %, obwohl das Tanken von bleifreiem Benzin monatlich durchschnittlich 2 DM mehr kostet. Das ist die Lage. Es sind nur 2 DM monatlich mehr; es sind 24 DM mehr im Jahr bei einem durchschnittlichen deutschen Autofahrer. Trotzdem ist das nicht so angenommen worden.
Sachverständige sagen uns auch, daß rund 50% der heute fahrenden Autos schon bleifrei tanken könnten, aber nicht davon Gebrauch machen.
Natürlich war es immer so, daß wir eine aufkommensneutrale Regelung schaffen wollten. Der Staat soll nicht daran verdienen. Es war aber auch immer klar, daß die Aufkommensneutralität nur auf den gesamten Zeitraum zu beziehen ist. Wir verkürzen jetzt den Zeitraum: Die Befreiung gilt nicht mehr für fünf Jahre; sie wird auf 1989 befristet. Aber nach unseren Berechnungen ist es so: Steuermindereinnahmen treten ein, sobald bleifreies Benzin Marktanteile von 25 %, 30 % bzw. 40 % in den drei Stufen der geplanten Regelung erreicht. Heute könnten es aber schon 50 % sein. Es besteht also in den nächsten drei Jahren ein beträchtliches Haushaltsrisiko für die Staatseinnahmen.
Ich möchte die Mineralölwirtschaft auffordern, das Wort, das sie gegeben hat, jetzt auch einzuhalten und das bleifreie Benzin jetzt wirklich billiger auf dem Markt anzubieten als das bleihaltige. Auch die Autoindustrie und die Importeure von Automobilen möchte ich auffordern, die Bürger noch mehr aufzuklären, alles zu tun, damit diejenigen, die bleifrei tanken können, nämlich rund 50 %, dies künftig auch tatsächlich machen.
Vor allem aber die Kraftfahrer möchte ich bitten, von diesem Angebot Gebrauch zu machen. Wenn sie bisher die Hürde, 2 DM im Monat mehr für bleifreies Benzin zu bezahlen, für zu hoch gehalten haben, so ist diese Hürde künftig vom Staat entfernt. In Zukunft werden sie billiger tanken können. Ich bitte sie alle, von diesem Angebot Gebrauch zu machen. Die Bürger erhalten in Zukunft freie Fahrt zum bleifreien Tanken.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, so daß die Aussprache geschlossen werden kann.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über Punkt 8 der Tagesordnung.
Zunächst einmal rufe ich Art. 1 auf. Hierzu liegt uns der Änderungsantrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 10/4138 vor. Mit Zustimmung des Antragstellers haben die GRÜNEN getrennte Abstimmung über die Ziffern 1 und 2 des Änderungsantrags der SPD beantragt.
Wir stimmen zunächst ab über die Ziffer 1, bei der es um die Änderung des Art. 1 Nr. 1 Buchstabe a geht. Hier beantragt die SPD eine Änderung des § 2 Abs. 4. Wer diesem Änderungsantrag der SPD zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist dieser Teil des Antrags abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zu dem unter Ziffer 2 aufgeführten Änderungsantrag. Da soll ein neuer Art. 1 a eingefügt werden. Wer diesem Antrag der SPD zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Änderungsantrag der SPD insgesamt abgelehnt worden.
Wir kommen nunmehr zum Art. 1 in der Ausschußfassung. Wer Art. 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Damit ist Art. 1 angenommen.
Ich rufe die Art. 2 und 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Damit sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen.
Wir kommen nunmehr zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.
12876 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Vizepräsident Cronenberg
Wir kommen nunmehr zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4133. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag auf dieser Drucksache zu überweisen, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Verkehr und zur Mitberatung an den Innenausschuß. Gibt es anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht
— Drucksache 10/2951 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 10/4105 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Fischer Marschewski
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 10/4149 vor.
Meine Damen und Herren, für die Aussprache ist vom Ältestenrat je ein Beitrag von fünf Minuten für jede Fraktion vorgesehen. — Das Haus ist offensichtlich damit einverstanden.
Ich gehe davon aus, daß das Wort zur Berichterstattung nicht gewünscht wird. — Auch dies trifft zu.
So kann ich die allgemeine Aussprache eröffnen. Zunächst hat Herr Abgeordneter Marschewski das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rechtspolitik ist zweifellos eines der Glanzstücke dieser Koalition.
Wir haben in den vergangenen zweieinhalb Jahren Handlungsfähigkeit bewiesen.
— Wir können darüber gleich in Einzelheiten reden. Wir werden in Kürze die noch ausstehenden Vorhaben anpacken und zu Ende führen.
Dies gilt für das Scheidungsrecht genauso wie für das Wettbewerbsrecht wie für die Entlastung unserer Gerichte.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. de With?
Natürlich, gerne, Herr Präsident.
Herr Kollege Marschewski, erinnern Sie sich daran, daß die Koalition in der letzten Sitzung des Rechtsausschusses auf unsere Fragen zum Asylrecht einräumen mußte, daß sie sich, obwohl die Sache dort bereits seit eineinhalb Jahren liegt, noch immer nicht einigen konnte, und meinen Sie nicht, daß dies Ihrer soeben gemachten Aussagen widerspricht?
Herr Kollege de With, wir werden auch da eine vernüftige Lösung vorlegen. Darauf können Sie sich verlassen. Ich will eine andere Frage stellen. Ihr Kollege Emmerlich behauptet in der FAZ vom 21. August folgendes: Wir würden rechtsstaatliche Errungenschaften aushöhlen und beschneiden;
wir würden die Befugnisse der Staatsorgane zu Lasten der Freiheitsrechte der Bürger dagegen aufblähen.
Herr Kollege Dr. de With, in welchem Land ist das eigentlich?
Mit welchen Menschen verkehrt Ihr Kollege Emmerlich? Wenn ich die Geschichte kenne, dann weiß ich, daß die Auseinandersetzung zwischen Individualismus und Kollektivismus eindeutig in diese Richtung geht, daß Sie das versuchen und wir nicht.
Meine Damen und Herren, wenn Sie auf die Leistungsfähigkeit ansprechen, darf ich auf die gesamten Gesetzesvorhaben verweisen, die wir angesprochen haben: Demonstrationsrecht, Jugendschutzrecht,
erstinstanzliche Zuständigkeiten des Oberverwaltungsgerichts, Urheberrecht, Zwangsernährung, Kontaktsperre. Das sind, so meine ich, hervorragende Leistungen dieser Koalition.
Dabei, meine Damen und Herren, lassen wir uns von dem Grundsatz leiten: Wer eine Regelung für notwendig hält, hat hierfür die Beweislast zu tragen. Für eines, meine Damen und Herren, ist jedoch kein Beweis mehr erforderlich: Das Bundesverfassungsgericht hat sich als der Garant für die Einhaltung des Verfassungsrechts erwiesen. Es hat die politische Macht zugunsten der Normativität der Ver-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12877
Marschewskifassung zurückgedrängt und so die maßgebende Bedeutung des Grundgesetzes im Bewußtsein der Öffentlichkeit verankert. Dieser oberste Richter der Verfassung, so meine ich, muß den hohen Standard seiner Rechtsprechung bewahren. Er muß seine Autorität erhalten. Er muß funktionsfähig bleiben. Darum geht es heute, meine Damen und Herren.Seit Verabschiedung der Vierten Novelle zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz vor fünfzehn Jahren hat sich die Anzahl der Verfahren mehr als verdoppelt. Das ist insbesondere auf die hohe Zahl von Verfassungsbeschwerden zurückzuführen. Damals — das wissen Sie — waren es jährlich 1 500. Heute sind es fast 4 000. Das bedeutet, meine Damen und Herren, daß bei jedem Richter arbeitstäglich ca. 14 Verfassungsbeschwerden eingehen.Noch etwas: Ende letzten Jahres waren ungefähr 1 600 Verfassungsbeschwerden noch unerledigt. Daß hier Abhilfe not tut, ist offensichtlich. Daher hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung ausgeführt, daß eine Entlastung des Bundesverfassungsgerichts angestrebt werden müsse. Das tun wir heute. Das ist auch ein Programmpunkt, Herr Kollege de With, den wir programmgemäß erfüllt haben.Lassen Sie mich noch kurz auf die Schwerpunkte dieses Gesetzes eingehen.Ich begrüße die Möglichkeit des Gerichts, eine Unterliegensgebühr für nicht angenommene Verfassungsbeschwerden zu erheben. Sie wird, so meine ich, den Beschwerdeführer veranlassen, noch mehr als bisher darüber nachzudenken, wie seine Erfolgsaussichten sind. Diese Gebührenregelung — ich meine auch die Mißbrauchsgebühr und die Vorschußregelung — ist jedem Bürger zumutbar. Sie ist so ausgestaltet, daß der Zugang zum Bundesverfassungsgericht für jedermann unabhängig von seiner finanziellen Leistungsfähigkeit nicht beeinträchtigt wird. Das bedeutet, daß die Rechte des kleinen Mannes in keiner Weise eingeschränkt werden.Eine weitere Entlastung, meine Damen und Herren, verspreche ich mir davon, daß bei offensichtlich begründeten Verfassungsbeschwerden der Richterausschuß entscheiden kann. Das bedeutet aber keineswegs, daß dem Beschwerdeführer ein kurzer Prozeß gemacht wird.Zu begrüßen ist auch das sogenannte Zulosungsverfahren bei mangelnder Beschlußfähigkeit. Das ist der richtige Weg, so meine ich, einer Manipulation der Richterbank entgegenzuwirken.Vielleicht noch ein Wort zur Anhörungsrüge, meine Damen und Herren. Wir alle wollen keine Verfassungsbeschwerde getreu dem Bonmot: mühelos, kostenlos, aussichtslos. Wir alle wollen aber auch kein Bundesverfassungsgericht, das nur noch als Pannenhilfe angesehen wird. Wir haben daher die Anhörungsrüge diskutiert. Es gibt jedoch, so meine ich, Probleme. Sie wissen, daß von den letzten Verfassungsbeschwerden wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht einmal 1 % erfolgreich war. Und Sie wissen, daß eine unterlegene Partei wahrscheinlich trotzdem Verfassungsbeschwerde einlegen wird.Ich meine, daß diese Regelung eine gute Lösung darstellt. Wenn wir sie beschließen, wird sie sich für uns alle zum Vorteil auswirken — wie das Gericht selbst, das dazu beiträgt, Machtmißbrauch zu verhindern, Freiheit und Würde des einzelnen zu schützen und die Unverletzlichkeit des Rechts und des Rechtsstaats garantieren. Die Lehre vom absoluten Mehrheitswillen war eine Irrlehre. Demokratie geht nur, wo es Schranken gibt — auch für die Mehrheit.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Fischer .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wegen der sehr knapp bemessenen Beratungszeit will ich mich auf den Schwerpunkt des Gesetzes, nämlich die Entlastung des Bundesverfassungsgerichts durch die Einführung einer Unterliegensgebühr, konzentrieren.
Aber zuvor, lieber Erwin Marschewski: Ich hätte eigentlich erwartet, daß zu dem uns heute abend überraschend vorgelegten Änderungsantrag der Koalition etwas gesagt worden wäre. Wenn wir schon über Glanzstücke reden, dann ist auch das, so meine ich, ein Glanzstück dieser Koalition.
Dieser Antrag zeigt nämlich, daß die Bundesregierung die Beratungen des so wichtigen Entwurfs eines Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht jedenfalls nicht mit der Sorgfalt und Aufmerksamkeit begleitet hat, wie das der Sache eigentlich angemessen gewesen wäre.
Aber — um das gleich zu sagen — wir stimmen diesem Antrag natürlich zu,
nicht zuletzt aus der Überlegung heraus, daß wir es auch den Bundesrichtern gönnen, künftig mit 65 Jahren in den Ruhestand treten zu können. Schon aus arbeitsmarktpolitischen Gründen meinen wir diesem Antrag unsere Zustimmung geben zu sollen.Meine Damen und Herren, es gibt keinen Streit darüber, daß das Bundesverfassungsgericht überlastet ist. Doch dieser Tatbestand hat die groteske Folge, daß eine Beschwerde, je aussichtloser sie ist, desto rascher vom Bundesverfassungsgericht entschieden wird. Für eine rasche Erledigung wichtiger Anliegen und schwieriger verfassungsrechtlicher Fragen hat das Gericht offensichtlich keine
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12878 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Fischer
Zeit. So wurde uns jedenfalls von den Richtern berichtet.Unterschiedliche Auffassungen gibt es, wie so häufig in der Politik, lediglich über den Weg, wie man dieses Ziel, Entlastung des Verfassungsgerichts, erreicht. Wir waren und sind der Meinung, daß dies am ehesten durch die Einführung der sogenannten Anhörungsrüge möglich wäre. Wenn man bedenkt, meine Damen und Herren, daß allein 40 % der 3 382 Verfassungsbeschwerden des Jahres 1984 auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs gestützt waren, drängt sich diese Lösung als die rechtspolitisch sinnvollere und vor allem effizientere geradezu auf.Unser Antrag hat — das wissen Sie — im Rechtsausschuß keine Zustimmung gefunden. Wir bedauern dies vor allem deshalb, weil der einzige Ein- wand, der vornehmlich von seiten der Bundesländer gekommen ist, die Einführung der Anhörungsrüge führe zu einer erheblichen zusätzlichen Belastung der Gerichte, eben rein spekulativ ist. Rechtstatsächliche Grundlagen für diese Annahme gab und gibt es offensichtlich nicht.Die Koalition, meine Damen und Herren, hat den bequemeren Weg gewählt. Sie hat sich für die Gebührenregelung entschieden. Wir Sozialdemokraten haben nicht nur Zweifel, ob die Unterliegensgebühr die erwünschte Entlastungswirkung haben wird, wir haben vor allem auch aus der rechtspolitischen Tradition unserer Partei heraus prinzipielle Bedenken, den Zugang zum Bundesverfassungsgericht mit der finanziellen Leistungsfähigkeit eines Bürgers zu verknüpfen. Um diesen Bedenken Ausdruck zu verleihen, werden wir — und ich bitte deshalb um getrennte Abstimmung — bei der zweiten Lesung gegen Art. 1 Nr. 7, die Gebührenregelung, stimmen.
— Ja, ohne Änderungsantrag.Wenn wir in der dritten Lesung dem Gesetz als Ganzem unsere Zustimmung nicht versagen wollen, so geschieht das aus drei Gründen.Erstens. Wir sehen eben keine realistische Alternative außer der von Ihnen, meine Damen und Herren, abgelehnten Anhörungsrüge. Diese Alternative kann insbesondere nicht in einer Personalaufstokkung, gleich auf welcher Ebene, gesehen werden.Wir meinen zum zweiten, daß mit der Annahme unserer Änderungsanträge im Rechtsausschuß die Regierungsvorlage in diesem Punkt wesentlich entschärft werden konnte. Wir vertrauen im übrigen auf die Zusage der Verfassungsrichter, von den Möglichkeiten, die das Gesetz einräumt, nur sehr behutsam Gebrauch zu machen, so daß die Gefahr, die Unterliegensgebühr könnte sich für die Bezieher kleiner Einkommen als eine Zugangssperre erweisen, nach meiner Einschätzung jedenfalls nicht besteht.Zum dritten — lassen Sie mich das abschließend sagen — möchten wir an der guten Tradition dieses Hauses festhalten, die Rechtsverhältnisse des Verfassungsorgans Bundesverfassungsgericht auf einer möglichst breiten parlamentarischen Basis zu beschließen,
nicht zuletzt, meine Damen und Herren, auch im Interesse der Bewahrung und der Stärkung der Autorität des Bundesverfassungsgerichts.
Herr Abgeordneter, Sie haben getrennte Abstimmung verlangt.
— Gut, für Art. 1 Nr. 7.
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren!
Wir haben es mit einem ziemlich schwierigen Problem zu tun, nämlich mit der Überlastung des Bundesverfassungsgerichts durch Anliegen, die subjektiv verständlich sind, die aber mit den Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan verhältnismäßig wenig zu tun haben. Da liegt unser Problem. Der Rechtsausschuß hat sich sehr viel Mühe gemacht, herauszufinden, wie man diesem Problem der Überlastung am besten steuern könnte, und ist jetzt zu dem Ihnen hier vorliegenden Vorschlag gekommen.Ich habe persönlich einige andere Einfälle und Gedanken zu dem Thema. Wenn aber der Präsident des Bundesverfassungsgerichts meint, es gebe in einer Art von vorwegeilendem Gehorsam oder in einer Art von vorwegeilender Einsicht in Kostenfolgen — so muß man korrekterweise wohl sagen — schon jetzt einen deutlichen Rückgang des Geschäftsanfalls beim Bundesverfassungsgericht, dann fühle ich mich nicht mehr so richtig animiert, dem Verfassungsgericht zu Entlastungen zu verhelfen, die es selber infolge der Vorwegeilung schon für zunächst einmal erledigt hält. Denn die Freien Demokraten sind auf jeden Fall der Meinung, solange es irgend geht, sollte der Weg zum Bundesverfassungsgericht offengehalten werden.
— Danke schön. — Wenn das an einigen Punkten scheitert, dann bin ich bereit, über diese Punkte zu diskutieren. Dazu haben wir j a schon einiges gehört.Die Anhörungsrüge und die Versenkung dieses Vorhabens durch die Länderjustizminister, die sich von ihren total unabhängigen Gerichten beeinflussen lassen, welche sagen, sie würden dann überla-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12879
Kleinert
stet, haben wir zur Kenntnis genommen. Ich hätte mich gern darüber hinweggesetzt und gern in der Sache einmal etwas versucht. Außerdem muß der Vermittlungsausschuß ja auch einmal wieder Arbeit kriegen.
Aber der Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat erklärt, so sei das auch nicht, und mir ist einigermaßen glaubhaft erklärt worden, die Einführung einer Anhörungsrüge würde nicht viel ändern, weil nur ein unglaublich kleiner Teil der Verfassungsbeschwerden wirklich begründet auf Mängeln im rechtlichen Gehör beruht. Das muß man sich einmal in Ruhe überlegen. — Wir sind hier ja in einer etwas erweiterten Ausschußsitzung. Darum darf ich Sie mit dem Problem behelligen. — Man muß sich wirklich in Ruhe überlegen, ob es etwas bringt, wenn man die Anhörungsrüge einführt und hinterher die Leute, weil sie nun einmal so wild darauf sind, durch jede Instanz ihr Recht zu verfolgen — dahinter stehen ganz andere Probleme unserer Gesellschaft —, sowieso zum Bundesverfassungsgericht gehen. Wenn das so ist, dann haben allerdings die Vertreter der Länder recht, die sagen: Wozu wollt ihr die Anhörungsrüge einführen? Die Leute gehen hinterher wieder zum Bundesverfassungsgericht, und ihr schafft überhaupt keinen Frieden. — Ich glaube, daß an dieser Ansicht etwas Wahres ist.Ich sehe hier die gelbe Lampe leuchten. Ich weiß gar nicht, warum kann man sich hier nicht einmal in Ruhe unterhalten, Herr Präsident?
Sie können fortfahren, Herr Abgeordneter. Wir werden auch nicht kleinlich in der Bemessung der Zeit sein.
Ich möchte es naturgemäß jetzt ganz kurz machen. Alle formalen Dinge ausgeklammert, die die Herren Vorredner schon dargestellt haben: Es ist der Überlegung wert, ob nicht insbesondere die Verfassungsrichter Zeit haben sollten, meditierend am Ufer des Rheines zu lustwandeln, um daraus weisere Erkenntnisse zu gewinnen,
viel weniger Entscheidungen zu treffen, die wenigen aber besonders weise. Dazu gehört Muße.
Der Begriff der Muße ist da noch wichtiger als bei allen anderen Gerichten, die ich auch nicht vernachlässigen will.
Deshalb meine ich: Wenn sich herausstellen sollte, daß diese Entlastungsnovelle nicht zu dem gedachten Zweck führt, ist jedenfalls mit uns Freien Demokraten über eine weit radikalere Regelung, nämlich über die Annahme, ohne weiteres zu reden. Ich meine nämlich: In krassem Gegensatz auch zu sämtlichen anderen oberen Bundesgerichten ist es beim Bundesverfassungsgericht tatsächlich besser, wenn einige wesentliche Entscheidungen im Jahr ergehen und über die in Muße nachgedacht worden ist, nicht in der Hektik, in der sich auch die Mitglieder des Parlaments bewegen.
Dann bekommen wir die wenigen Entscheidungen, die wir wirklich brauchen, auf Grund einer eingehenderen Überlegung.
Ganz zum Schluß sage ich: Schuld daran, daß wir solche Entscheidungen nur etwas seltener bekommen, sind natürlich diejenigen, die absolut jede Gelegenheit benutzen, wenn sie im Parlament, in dem ordnungsgemäß gewählten Parlament unterlegen sind, zum Bundesverfassungsgericht zu gehen, um die Mehrheitsentscheidungen dieses Hauses aufheben zu lassen. Das kann nicht der Sinn der Einrichtung des Bundesverfassungsgerichts sein,
sondern das sollen wir hier miteinander ausmachen.
Herr Abgeordneter, Sie müssen jetzt aber wirklich zum Schluß kommen.
Wenn das für eine oder andere Minderheit nicht geht, muß man sich damit demokratischerweise zufriedengeben, statt das Bundesverfassungsgericht in eine Lage zu versetzen, in der es seiner Aufgabe als Verfassungsorgan nur unter höchsten Schwierigkeiten nachkommen kann.
Herr Abgeordneter, Sie müssen sich mit der Zeit zufriedengeben, die wir Ihnen zur Verfügung gestellt haben.
Dieser Appell richtet sich an alle diejenigen, die ihren Teil zur Überlastung des Bundesverfassungsgerichts auch beitragen.
Herr Abgeordneter, ich muß Ihnen das Wort jetzt entziehen.
Herr Abgeordneter Mann. Sie haben nun das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe sehr, daß der Präsident auch bei mir mit Muße die Redezeit bemißt, damit ich Gelegenheit habe, auf die Ausführungen des Kollegen Kleinert einzugehen.Der heute zu verabschiedende Gesetzentwurf ist der vorläufige Abschluß einer langjährigen Diskussion über Möglichkeiten zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts. Die wesentliche Entla-
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12880 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Mannstungsmaßnahme, die zugleich in der öffentlichen Diskussion gegenüber den übrigen im Gesetz vorgesehenen Regelungen im Vordergrund stand, ist die Einführung einer Unterliegensgebühr bis zu 1 000 DM bei unzulässigen oder offensichtlich unbegründeten Verfassungsbeschwerden. Die Verfassungsrichter selbst halten die nunmehr zu verabschiedende Lösung lediglich für die drittbeste. Sie hätten die Lösung der Anhörungsrüge bevorzugt. Dazu haben Sie, Herr Kollege Kleinert, ja auch gerade Ausführungen gemacht.Längerfristig befürwortet beispielsweise der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Zeidler eine Lösung nach dem Vorbild des amerikanischen Supreme Court, also eine Annahmelösung.Der Rechtsausschuß hat sich mit der Beratung — da stimmen wir auch wieder überein, Herr Kollege Kleinert — des vorliegenden Gesetzentwurfs einige Mühe gemacht und beipielsweise im Juni mit den Richtern des Bundesverfassungsgerichts Rücksprache genommen und am 2. Oktober 1985 den Präsidenten des Gerichts und Vertreter der Länderjustizministerien angehört. Dabei hat sich herausgestellt, daß der enorme Anstieg der Zahl der Verfassungsbeschwerden in den letzten zehn Jahren im Jahre 1984 und auch im laufenden Jahr nicht angehalten hat.Unsere Fraktion nimmt die Einschätzung aus Kreisen des Bundesverfassungsgerichts sehr ernst, besser dieses Gesetz als kein Gesetz zur Entlastung des Gerichts zu verabschieden. Dennoch, liebe Kolleginnen und Kollegen — ja, eine Kollegin sehe ich auch —, können wir dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen.
— Entschuldigung, Frau Dr. Timm. Zwei Kolleginnen sind noch da.
Herr Kollege, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß es weitaus mehr sind. Auch die Abgeordnete Frau Steinhauer befindet sich im Saal.
Sie wissen: judex non calculat.
Ich wiederhole: Dem Gesetzentwurf können wir nicht zustimmen. Ich bin Ihnen dazu, nachdem ich im Rechtsausschuß grundsätzliche Zustimmung geäußert habe — allerdings nicht bei der abschließenden Abstimmung zugegen war; insofern ist die Drucksache auch ergänzungsbedürftig —, einige erklärende Argumente schuldig. Vielleicht zur allgemeinen Einschätzung, worum es geht, noch einmal ein Zitat aus der Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins vom 27. März 1985:Auch wenn der Eindruck erweckt wird, als ob es sich bei den Änderungsvorschlägen im großen und ganzen nur um technische Verbesserungen handelt, werden bei genauer Prüfung Akzente gesetzt, die für das Institut der Verfassungsbeschwerde von weitreichender Konsequenz sind.Und dann eine bemerkenswerte Einschätzung:Gebühren, wie sie nunmehr vorgesehen sind, werden denjenigen, der zur Verf assungsbeschwerde entschlossen ist, nicht abhalten. Die Erfahrung zeigt im Gegenteil, daß manche Mandanten gelegentlich verwundert sind zu hören, das Verfassungsbeschwerdeverfahren sei grundsätzlich kostenfrei.So weit der Deutsche Anwaltverein.Lassen Sie mich erstens noch einmal feststellen, daß auch wir keinesfalls die Notwendigkeit bestreiten, sich sehr ernsthaft mit Möglichkeiten zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts auseinanderzusetzen. Dieses Gericht genießt bei den Bürgern hohes Ansehen. Zweitens sind wir jedoch nach gründlicher Diskussion zu der politischen Überzeugung gekommen, daß es sich bei der vorgesehenen Regelung um eine nur scheinbar geringfügige Beschränkung des Jedermann-Rechtes der Verfassungsbeschwerde handelt. Bereits heute gibt es Zugangssperren. Nach § 59 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts entscheiden zunächst die Präsidialräte, ob eine Verfassungsbeschwerde unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts offensichtlich keine hinreichende Aussicht hat. Dadurch erledigen sich nach einer Statistik von Schlink bereits etwa 50 % der Verfassungsbeschwerden. Sie landen im allgemeinen Register, ohne daß sich ein Richter mit diesen Verfahren befassen muß. Da weitere etwa 48 % im Dreierausschuß, den künftigen Kammern, scheitern, bleiben also nur ganze 2 % für eine Senatsentscheidung.Drittens möchte ich darauf hinweisen, daß durch die neu eingeführte Möglichkeit der Kammern, bei Einstimmigkeit auch positiv über Verfassungsbeschwerden zu entscheiden, eine nicht unwesentliche Entlastung erfolgt.Viertens — das möchte ich noch ausführen, Herr Präsident — liegt die eigentliche Ursache der Belastung des Gerichts und übrigens auch der übrigen Gerichte in einer exzessiven Gesetzgebung, die dazu führt, daß Gesetz und Recht undurchschaubar und für das Volk, in dessen Namen Recht gesprochen wird, oft auch kaum noch verständlich sind. Hier müssen wir politisch gestaltend ansetzen, wenn wir das Bundesverfassungsgericht und die übrigen Gerichte wirksam entlasten wollen.Fünftens schließlich — damit komme ich noch einmal auf den Kollegen Kleinert und seine Schlußbemerkung zu sprechen —, so denke ich, müssen wir politisch mit gutem Beispiel vorangehen; denn zu Recht haben die Richter darüber geklagt, daß die Belastung des Gerichts durch politische Großverfahren und nicht nur durch die Verfassungsbeschwerden in den letzten Jahren außerordentlich gestiegen ist. Deswegen — auch hier kann ich mich auf den Kollegen Kleinert beziehen, allerdings nicht in bezug auf die Annahmelösung — meine ich, daß wir in der Praxis die Wirksamkeit dieses Gesetzes sehr sorgfältig überprüfen sollten.Wir halten dieses Gesetz für ein rechtspolitisches Placebo, das mit gutem Willen, mit dem Vertrauen,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12881
MannHerr Kollege Fischer, auf Behutsamkeit verabschiedet wird, das aber in sehr problematischer Weise strukturelle Veränderungen vorsieht. Deswegen können wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Ich persönlich werde mich der Stimme enthalten, um deutlich zu machen, daß eine Reihe begleitender gerichtsorganisatorischer Regelungen, die aus der Praxis heraus einfach notwendig sind, von mir befürwortet werden.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Herr Präsident, vielen Dank für Ihre Nachsicht bei der Bemessung meiner Redezeit.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anläßlich des Präsidentenwechsels beim Bundesverfassungsgericht vor knapp zwei Jahren hat der frühere Bundespräsident Professor Carstens zu Recht hervorgehoben, daß die Bürger in den Gerichten allgemein, im Bundesverfassungsgericht aber insonderheit Garanten ihrer Freiheit sehen. Daß dies so bleibt und daß das Bundesverfassungsgericht seine Aufgabe als höchste Instanz für die Auslegung unserer Verfassung auch weiterhin in der gebotenen und von den Bürgern erwarteten Art und Weise erfüllen kann, muß uns allen am Herzen liegen.
Seit etwa zehn Jahren ist das Bundesverfassungsgericht mit einer ansteigenden Zahl von Verfassungsbeschwerden konfrontiert. Was sich hier mittlerweile zuweilen abspielt und was an unzulässigen und offensichtlich unbegründeten Rügen vorgetragen wird, weil das Bundesverfassungsgericht irrtümlich als eine kostenlos in Anspruch zu nehmende weitere Rechtsmittelinstanz mißverstanden wird, das ist auf Dauer so nicht akzeptabel. Es liegt auf der Hand, daß der enorm gestiegene Geschäftsanfall bei weiterhin aus gutem Grunde nach wie vor nur 16 Richtern diese auf Dauer in Schwierigkeiten und in Zeitnot bringen muß.
Gerade darin liegt aber die Gefahr begründet, daß die Richter die zentralen und wichtigen Verfassungsfragen — ich will dies hier noch einmal unterstreichen — nicht mehr mit der dafür notwendigen Besinnlichkeit, mit der Genauigkeit und Akribie bedenken und entscheiden können.
Der Gesetzgeber muß dieser Gefahr im Interesse unseres Rechtsstaats entgegentreten.
Ich freue mich deshalb, daß der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages den im Gesetzentwurf der Bundesregierung enthaltenen Entlastungsvorschlägen einstimmig zugestimmt hat.
Der Entwurf wurde, dem Status unseres höchsten Gerichts entsprechend, in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesverfassungsgericht vorbereitet, und wer die sehr zurückhaltende Anwendung der heute ja bereits geltenden Mißbrauchsgebühr durch das Bundesverfassungsgericht über die Jahre verfolgt hat, kann auch davon ausgehen, daß mit dieser engen Abstimmung eine Gewähr dafür geboten ist, daß nicht der Versuch stattfindet, den Zugang zum Bundesverfassungsgericht für unsere Bürger durch den heute zu verabschiedenden Entwurf zu verkürzen. Dadurch, daß der Entwurf dazu beiträgt, die Effektivität des Rechtsschutzes durch das Bundesverfassungsgericht zu wahren, dient er zugleich gerade auch dem Schutz 'des Bürgers.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung unterstützt auch die vom Rechtsausschuß mit dem Entwurf verbundenen Vorschläge zur Änderung der Vorschriften über die Altersgrenzen für die Richter im Bundesdienst. Die aus den Aufbaujahren der obersten Gerichtshöfe stammende Sonderregelung der gesetzlichen Altersgrenze für die Bundesrichter hat heute ihre Berechtigung verloren. Ich sehe in der Herabsetzung der Altersgrenze auf das für die übrigen Richter und die Beamten geltende Maß auch keine Gefährdung der Kontinuität der Rechtsprechung.
Allerdings verhehle ich nicht, daß ich es lieber gesehen hätte — und die Bundesregierung hat entsprechende Vorschläge unterbreitet —, wenn für die amtierenden Bundesrichter der volle Bestandsschutz sichergestellt worden wäre. Rechtliche Bedenken sind aber gegen die jetzt vom Rechtsausschuß beschlossene abgestufte Regelung nicht zu erheben.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie daher, dem vorliegenden Entwurf Ihre Zustimmung zu geben.
Weitere Wortmeldungen zur allgemeinen Aussprache liegen mir nicht vor, so daß ich die Aussprache schließen kann.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über die Vorlage unter Tagesordnungspunkt 9. Meine Damen und Herren, vom Rechtsausschuß wird mir dazu mitgeteilt, daß in Drucksache 10/4105 auf Seite 9 in Art. 4 Abs. 1 eine redaktionelle Berichtigung vorzunehmen ist. Es muß im Art. 4 Abs. 1 heißen:Artikel 2 Nr. 1 Buchstabe a und Nr. 2 ...Nun rufe ich Art. 1 auf. Der Abgeordnete Fischer hat darum gebeten, daß zu Nr. 7 betreffend § 34 eine gesonderte Abstimmung stattfindet. Ich habe mich mit den Geschäftsführern darauf verständigt, daß wir diese gesonderte Abstimmung über den § 34 vorziehen und dann über Art. 1 abstimmen. Wer also Art. 1 Nr. 7 — § 34 — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist § 34 angenommen worden.Ich lasse nunmehr über Art. 1 insgesamt in der Ausschußfassung abstimmen. Wer Art. 1 die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist Art. 1 angenommen worden.
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12882 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Vizepräsident CronenbergIch rufe Art. 2 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/4149 ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist angenommen.Wer nunmehr Art. 2 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist die aufgerufene Vorschrift angenommen.Ich rufe die Art. 3 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung mit der zuvor bekanntgegebenen redaktionellen Berichtigung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen.Nach Annahme von Änderungsanträgen in zweiter Beratung darf sich nach § 84 Buchstabe b unserer Geschäftsordnung die dritte Beratung nur dann unmittelbar anschließen, wenn auf Antrag einer Fraktion oder fünf vom hundert der Mitglieder des Bundestages zwei Drittel der anwesenden Mitglieder dieses beschließen.Ist das Haus damit einverstanden, daß wir so verfahren? — Dies ist offensichtlich der Fall.Wir treten in diedritte Beratungein.Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer dagegen stimmt, den bitte ich, sich nunmehr zu erheben. — Nun kommt noch eine Enthaltung, wenn ich das richtig sehe. — Nein, es sind mehrere. Damit ist der Gesetzentwurf insgesamt angenommen.Bevor ich den Tagesordnungspunkt 10 aufrufe, gebe ich dem Abgeordneten Lowack das Wort zu einer Erklärung nach § 31 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung. Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Verehrte Kollegen! Ich billige den Gesetzentwurf in der Fassung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses mit Ausnahme der Mißbrauchsgebühr in § 34 Abs. 4. Ich habe mich deswegen bei der Einzelabstimmung zu § 34 der Stimme enthalten.
Danke.
Danke sehr. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Reschke, Conradi, Waltemathe, Müntefering, Lohmann , Meininghaus, Menzel, Polkehn, Schmitt (Wiesbaden), Dr. Sperling, Huonker, Wolfram (Recklinghausen) und der Fraktion der SPD
Baulandsituation, Entwicklung der Baulandpreise, des Bodenrechts und der Bodensteuern
— Drucksachen 10/2358, 10/3690 —
Das Wort wird offensichtlich nicht gewünscht.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Große Anfrage mit der Antwort der Bundesregierung ausnahmsweise und in Abweichung von der Geschäftsordnung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu überweisen. Diese Überweisung sollte jedoch kein Berufungsfall werden.
Ich mache zusätzlich darauf aufmerksam, daß durch diese Überweisung Rechte der Fraktionen oder Mitglieder des Hauses nach § 101 der Geschäftsordnung nicht berührt werden.
Ich gehe davon aus, daß lediglich eine Berichterstattung erfolgt, wenn die Große Anfrage nach der Ausschußberatung erneut im Plenum behandelt werden soll.
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist die Überweisung mit den von mir genannten Konditionen und Einschränkungen so beschlossen.
Wir sind am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 8. November 1985, 8 Uhr ein und wünsche Ihnen einen angenehmen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.