Rede von
Matthias
Engelsberger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was eben der Herr Kollege Tatge an Schwarzmalerei, Angstschüren und Panikmache von sich gegeben hat, gehört zum energiepolitischen Szenario der GRÜNEN. Ich möchte aber den Damen und Herren von der SPD zu bedenken geben, mit wem Sie sich da in Hessen eingelassen haben, mit wem Sie sich in der hessischen Landesregierung sozusagen in ein gemeinsames Bett gelegt haben. Das wird Ihnen energiepolitisch und gesamtpolitisch noch schwer zu schaffen machen.
Der Nestor der deutschen Physik, Professor Maier-Leibnitz, hat schon Ende der 70er Jahre besorgt darauf hingewiesen, daß die Atomdiskussion bei uns deshalb so unbeschreiblich polarisiert ist, weil es dabei oft weniger um Kernenergie als um Macht, um Kampf gegen Autoritäten und um gesellschaftliche Veränderungen geht. Das wollen Sie ja, meine Damen und Herren von den GRÜNEN.
An dieser Einschätzung hat sich offenbar nichts geändert, wenn ich etwa im Gesetzentwurf der GRÜNEN zur Förderung der Windenergie lese: „Die Atomenergie ist ohnehin weder wirtschaftlich noch von den Gefahren her tragbar" oder wenn die SPD in ihrem Antrag zur Sicherung umweltfreundlicher Energieversorgung kategorisch erklärt: „Die Nutzung der Kernenergie ist nur für eine Übergangszeit zu verantworten."
Meine Damen und Herren von der Opposition, es ist zwar Ihre Sache, was Sie in Ihren Anträgen und Entwürfen zu Papier bringen,
und es ist auch Ihre Angelegenheit, mit welchen Schlagworten und Phrasen Sie an Ihrer Parteibasis oder draußen im Lande die Emotionen glauben anheizen zu müssen. Nur sollten Sie achtgeben, daß Sie dabei argumentativ nicht zu sehr ins Abseits geraten.
Sie, meine Damen und Herren von der SPD, sollten sich davor hüten, aus ideologischer Verblendung und rot-grünem Opportunismus die existentiellen Lebensfragen unseres Volkes zu mißachten.
— Ich bin dabei.
Halten wir uns deshalb an die energiepolitischen Fakten, durch die Ihre irrationalen Antikernkraftparolen von Jahr zu Jahr mehr ad absurdum geführt werden.
Erstens. Wer die friedliche Nutzung der Kernenergie immer noch nicht für verantwortbar oder von den Gefahren her für tragbar hält, der sollte endlich zur Kenntnis nehmen, daß die gesamten Betriebserfahrungen mit friedlicher Nutzung der Kernenergie Ende 1984 weltweit bereits 3470 Reaktorjahre betragen haben. Ich wiederhole: 3470 Reaktorjahre Betriebserfahrung in der nunmehr nahezu 40jährigen Geschichte der friedlichen Kernenergienutzung. In diesen 40 Jahren friedlicher Kernenergienutzung gab es auf der ganzen Welt kein einziges Menschenleben zu beklagen,
während allein im Kohlebergbau in der Bundesrepublik nach dem Kriege ca. 15 000 Bergleute tödlich verunglückt sind.
Meine Damen und Herren, halten wir uns doch bitte einmal vor Augen: Ende 1984 waren in 26 Ländern 322 Kernkraftwerksblöcke mit zusammen 230 000 Megawatt in Betrieb, und in Bau waren 190 Kernkraftwerksblöcke mit zusammen 183 000 Megawatt in 29 Ländern. Und da wollen Sie, daß ausgerechnet die Bundesrepublik Deutschland mit den sichersten und fortschrittlichsten Kernkraftwerken der Welt aus der Kernenergie aussteigt!
Zweitens. Wer die friedliche Nutzung der Kernenergie stereotyp auch wirtschaftlich für nicht tragbar erklärt, sollte endlich zur Kenntnis nehmen, daß der Kostenvorteil der Kernenergie gegenüber der deutschen Kohle bereits heute 20 % bis 25% beträgt und daß dieser Kostenvorteil aus Gründen des Umweltschutzes in Zukunft noch größer werden wird.
12792 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985
Engelsberger
Er sollte ferner zur Kenntnis nehmen, daß die Stromerzeugung in der Bundesrepublik inzwischen zu 35 % durch Kernenergie sichergestellt wird, wobei der Anteil in einigen Regionen des Nordens und Südens bereits die 50-Prozent-Marke überschritten hat. Daran wird besonders deutlich, daß die Bundesländer mit dem höchsten Kernenergieanteil heute zugleich die Regionen mit den stabilsten Strompreisen sind.
— Meine Herren von den GRÜNEN, wenn Sie solche Bemerkungen machen, dann kann ich nur feststellen, daß Sie von der Energiepolitik und von den Energiepreisen überhaupt keine Ahnung haben.
Drittens. Wer immer wieder behauptet, die Kosten für die nukleare Entsorgung sowie die spätere Stillegung und Beseitigung von Kernkraftwerken würden nicht in den Strompreisen berücksichtigt, sagt schlichtweg die Unwahrheit, denn genau das Gegenteil ist der Fall.
Wer immer wieder kritisiert, daß die staatlichen Aufwendungen — ich komme jetzt zu Ihrem Zwischenruf — für Forschung und Entwicklung im Bereich der Kerntechnologie in den Kostenberechnungen des Kernenergiestromes nicht enthalten sind, der sollte fairerweise aber auch die weit höheren staatlichen Aufwendungen für die Erhaltung des deutschen Steinkohlebergbaus in den Kostenvergleich mit einbeziehen. Denn dadurch würde sich der Kostenvorteil im Vergleich zur Kernenergie noch erhöhen, weil die Kohlesubventionen im Gegensatz zu den Aufwendungen für die Entwicklung der Kernenergie auch künftig als Dauersubventionen anfallen werden.
Viertens. Wer heute das Konzept der Wiederaufarbeitung mit anschließender Endlagerung entgegen verbindlichen Zusagen in früheren Zeiten, Herr Kollege Vosen, kompromißlos ablehnt, torpediert das fortschrittlichste Entsorgungskonzept der Welt und setzt die Sicherheit der deutschen Energieversorgung unkalkulierbaren Risiken aus. Es wäre deshalb verantwortungslos, den bereits heute möglichen und technologisch gesicherten Weg der Entsorgung über Wiederaufarbeitung dadurch in Frage zu stellen, daß auf eine andere mit noch vielen Fragezeichen behaftete Entsorgungsmöglichkeit gewartet wird.
Fünftens. Wer immer wieder behauptet, der Ausbau der Kernenergie gefährde die Erfüllung des Jahrhundertvertrages, irrt auch hier gründlich, denn die mit dem Jahrhundertvertrag verbundene Kostenbelastung der Stromversorgung kann nur auf der Basis einer vernünftigen Mischkalkulation mit der wesentlich kostengünstigeren Kernenergie ausgeglichen werden.
Wer sich deshalb dem vernünftigen Einsatz der Kernenergie in den Weg stellt, muß wissen, daß er damit dem kohlepolitischen Konsens in der Bundesrepublik Deutschland ökonomisch wie politisch die Basis entzieht.
Sechstens. Wer durch Energiesparen, durch die Kraft-Wärme-Kopplung oder durch den Einsatz von Blockheizkraftwerken die Kernenergie ersetzen zu können glaubt, dem fehlt jedes Verständnis für energiewirtschaftliche Proportionen, denn sparen kann man auf die Dauer nur das, was man hat, und jede noch so intensive Fastenkur stößt irgendwann an ihre physischen Grenzen.
Die Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung und der Ausbau der Fernwärme mögen energie- und umweltpolitisch durchaus sinnvoll sein, aber auch hier sollte die Grenze der Wirtschaftlichkeit gerade unter Berücksichtigung des Umweltschutzes auf die Dauer nicht überschritten werden. Wenn sich Hessens Wirtschaftsminister, Herr Dr. Steger, neuerdings so sehr für Blockheizkraftwerke erwärmen kann, so möchte ich nicht nur vor rot-grünen Illusionen, sondern auch davor warnen, daß die bisher erreichte Reduzierung des 01- und Gaseinsatzes bei der Stromerzeugung nicht wieder rückgängig gemacht werden darf.