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ID1017116300

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    Plenarprotokoll 10/171 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 171. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Zink und Dr. Czaja 12765 D Wahl der Abg. Dr. Waigel, Frau Dr. Martiny-Glotz und Wolfgramm (Göttingen) zu ordentlichen Mitgliedern und der Abg. Daweke, Duve und Baum zu stellvertretenden Mitgliedern im Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt 12765 D Erweiterung der Tagesordnung 12766 A Abwicklung der Tagesordnung . 12766A, 12808A Wahl der Abg. Frau Rönsch, Schemken, Frau Steinhauer, Eickmeyer, Kohn und Frau Zeitler zu Schriftführern 12808 A Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zum Waldschadensbericht Schulte (Menden) GRÜNE 12753 B Sauter (Epfendorf) CDU/CSU 12754 B Frau Dr. Hartenstein SPD 12755 B Dr. Rumpf FDP 12756 B Gallus, Parl. Staatssekretär BML . . . 12757 C Freiherr von Schorlemer CDU/CSU . . 12758 B Müller (Düsseldorf) SPD 12759A Baum FDP 12760A Spranger, Parl. Staatssekretär BMI . . 12760 C Schäfer (Offenburg) SPD 12761 D Schmidbauer CDU/CSU . . . . . . . 12762 D Dr. Penner SPD 12763 D Fellner CDU/CSU 12764 C Boroffka CDU/CSU 12765 B Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Windenergie — Drucksache 10/2255 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 10/3826 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Nukleare Entsorgung — Drucksachen 10/906, 10/3893 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat über ein Forschungs-Aktionsprogramm zum Ausbau der Energiegewinnung aus Kernspaltung (1984-1987) — Drucksachen 10/376 Nr. 82, 10/3103 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die, Bundesregierung II Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 Vorschlag für einen Beschluß des Rates zur Änderung des Beschlusses 77/271 EURATOM hinsichtlich des Höchstbetrags der EURATOM-Anleihen, welche die Kommission im Hinblick auf einen Beitrag für die Finanzierung von Kernkraftanlagen aufnehmen kann (EURATOM) — Drucksachen 10/3116 Nr. 12, 10/3372 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu dem Bericht der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" über den Stand der Arbeit gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 26. Mai 1981 — Drucksachen 9/2438, 9/2439, 10/154 —— Drucksache 10/3409 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Neue energiepolitische Ziele für die Gemeinschaft — Drucksachen 10/3592 Nr. 4, 10/4131 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktion der SPD Sicherung umweltfreundlicher Energieversorgung — Drucksachen 10/1476, 10/3031 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Schnellbrüter-Reaktortechnologie — Drucksache 10/4122 — Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi . 12767 A Wolfram (Recklinghausen) SPD . . . 12771 D Gerstein CDU/CSU 12774A Dr. Müller (Bremen) GRÜNE 12778 B Dr.-Ing. Laermann FDP 12779 C Lennartz SPD 12782 D Dr. Riesenhuber, Bundesminister BMFT 12785B Tatge GRÜNE 12789 D Engelsberger CDU/CSU 12791 B Vosen SPD 12794 B Dr. Warrikoff CDU/CSU 12796 C Catenhusen SPD 12797 D Reuter SPD 12799 C Dr. Hirsch FDP (Erklärung nach § 31 GO) 12803 D Wolfram (Recklinghausen) SPD (Erklärung nach § 31 GO) 12804 B Namentliche Abstimmungen . . 12802 B, 12804 C, 12806 C Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Fischer (Frankfurt), Schily, Frau Reetz und der Fraktion DIE GRÜNEN Lage und Forderungen der Sinti, Roma und verwandter Gruppen — Drucksachen 10/2032 (neu), 10/3292 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Verbesserung der Situation der Sinti und Roma — Drucksache 10/4127 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Lage der Sinti, Roma und verwandter Gruppen — Drucksache 10/4128 — Dr. Kohl, Bundeskanzler 12808 C Dr. Vogel SPD 12809 D Kroll-Schlüter CDU/CSU 12810 D Ströbele GRÜNE 12811 D Baum FDP 12813 B Jaunich SPD 12814 B Götzer CDU/CSU 12816 B Schily GRÜNE 12817 C Frau Dr. Segall FDP 12819C Aussprache zum 40. Gründungstag der Vereinten Nationen Frau Geiger CDU/CSU 12820 D Frau Dr. Timm SPD 12822 C Schäfer (Mainz) FDP 12824 C Tatge GRÜNE 12826 B Genscher, Bundesminister AA 12827 A Frau Huber SPD 12828 D Frau Fischer CDU/CSU 12831 A Ströbele GRÜNE 12832 C Dr. Wulff CDU/CSU 12833 B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 III Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die schnellere und weitergehende Verminderung der Emissionen aus Altanlagen — Drucksache 10/2965 — in Verbindung mit Beratung des Siebten Berichts und der Empfehlung der Europa-Kommission zur Frage der Festlegung der europäischen Abgasnormen — Drucksache 10/3609 — Spranger, Parl. Staatssekretär BMI . . 12834 D Stahl (Kempen) SPD 12836 B Schmidbauer CDU/CSU • 12838A Schulte (Menden) GRÜNE 12841A Baum FDP 12842 A Duve SPD 12844 B Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Entwicklungspolitik in Afrika — Drucksache 10/3702 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Verheugen, Bindig, Brück, Dr. Hauchler, Herterich, Dr. Holtz, Dr. Kübler, Frau Luuk, Neumann (Bramsche), Schanz, Schluckebier, Frau Schmedt (Lengerich), Toetemeyer, Voigt (Frankfurt), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Maßnahmen zur Abschaffung der Apartheid — Drucksache 10/3994 — Verheugen SPD 12847 A Dr. Hornhues CDU/CSU 12849A Frau Borgmann GRÜNE 12850 D Dr. Rumpf FDP 12851 D Dr. Warnke, Bundesminister BMZ . . 12853 B Toetemeyer SPD 12854 D Feilcke CDU/CSU 12856 A Möllemann, Staatsminister AA 12857 B Beratung des Antrags der Abgeordneten Schulte (Menden), Dr. Müller (Bremen), Frau Hönes, Schmidt (Hamburg-Neustadt) und der Fraktion DIE GRÜNEN Gutachtliche Stellungnahme „Umweltprobleme der Ostfriesischen Inseln", Zuleitung an den Deutschen Bundestag — Drucksache 10/3768 — Dr. Müller (Bremen) GRÜNE 12858 D Dr. Olderog CDU/CSU 12861 A Ewen SPD 12863 A Bredehorn FDP 12864 C Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes — Drucksache 10/3933 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 10/4121 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/4130 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Förderung umweltverträglicher Verkehrsmittel III; hier: Nutzung und Förderung der öffentlichen Verkehrsmittel und der Deutschen Bundesbahn — Drucksache 10/4133 — Dr. Lippold CDU/CSU 12866 B Lennartz SPD 12868 B Hoffie FDP 12870 D Senfft GRÜNE 12873 B Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär BMF . 12875A Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht — Drucksache 10/2951 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 10/4105 — Marschewski CDU/CSU 12876 B Fischer (Osthofen) SPD 12877 C Kleinert (Hannover) FDP 12878 C Mann GRÜNE 12879 D Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 12881 A Lowack CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) 12882 B Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Reschke, Conradi, Waltemathe, Müntefering, Lohmann (Witten), Meininghaus, Menzel, Polkehn, Schmitt (Wiesbaden), Dr. Sperling, Huonker, Wolfram (Recklinghausen) und der Fraktion der SPD IV Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 Baulandsituation, Entwicklung der Baulandpreise, des Bodenrechts und der Bodensteuern — Drucksachen 10/2358, 10/3690 — . . 12882 B Nächste Sitzung 12882 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 12883* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abg. Wolfram (Recklinghausen), Rappe (Hildesheim), Reuschenbach, Sander, Stahl (Kempen), Haehser, Grunenberg, Nagel, Eickmeyer (alle SPD) zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD: Schnellbrüter-Reaktortechnologie — Drucksache 10/4122 — 12883* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12753 171. Sitzung Bonn, den 7. November 1985 Beginn: 8.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 8. 11. Antretter 7. 11. Dr. Blank 7. 11. Böhm (Melsungen) ** 7. 11. Büchner (Speyer) * 8. 11. Ertl 7. 11. Dr. Feldmann 8. 11. Fischer (Hamburg) 8. 11. Funk 7. 11. Frau Dr. Hamm-Brücher 7. 11. Dr. Hauff 8. 11. Herterich 8. 11. Kiechle 8. 11. Dr. Kreile 8. 11. Lenzer ** 7. 11. Peter (Kassel) 7. 11. Frau Schmedt (Lengerich) 8. 11. Schmidt (Hamburg) 8. 11. Schmidt (München) ** 7. 11. Schmidt (Wattenscheid) 8. 11. Dr. Schmude 8. 11. Schulze (Berlin) 8. 11. Dr. Schwarz-Schilling 8. 11. Dr. Stoltenberg 8. 11. Frau Terborg 7. 11. Voigt (Sonthofen) 7. 11. Dr. Wieczorek 8. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Wolfram (Recklinghausen), Rappe (Hildesheim), Reuschenbach, Sander, Stahl (Kempen), Haehser, Grunenberg, Nagel, Eickmeyer, (alle SPD) zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD: Schnellbrüter-Reaktortechnologie (Drucksache 10/4122) Der Beitrag der Kernenergie zur Stromerzeugung ist notwendig. Voraussetzung auch für den zukünftigen Betrieb der am Netz und im Bau befindlichen Leichtwasserreaktoren ist ein Höchstmaß an Sicherheit und die Regelung der Zwischenlagerung und Entsorgung. Die Arbeitsteilung, Braunkohle und Kernenergie im Grundlastbereich und Steinkohle in der Mittellast einzusetzen, ist richtig. Verhindert muß werden, daß Kernenergie die Kohle in Mittellast verdrängt. Der bis 1995 laufende Kohleverstromungsvertrag muß rechtzeitig vor Ablauf verlängert werden. Anlagen zum Stenographischen Bericht Die Förderung von Energieforschung und -entwicklung ist notwendig und industriepolitisch geboten. Es war und ist richtig, daß im Intereresse einer langfristigen sicheren Energieversorgung im Bereich der Kernenergie verschiedene Reaktorlinien mit öffentlichen Mitteln gefördert wurden. So gesehen war es richtig, daß trotz einer Präferenzierung des THTR 300 unsererseits auch der SNR 300 öffentlich gefördert wurde. Das war wohl auch der Grund, daß alle bisherigen Bundesregierungen und ihre jeweiligen Forschungsminister - gestützt auf breite parlamentarische Mehrheiten - den SNR 300 bis heute mit Bundesmitteln entscheidend gefördert haben. Im Gegensatz zu der von uns akzeptierten und respektierten Meinung der eindeutigen Mehrheiten in unserer Partei und Bundestagsfraktion gibt es für uns zur Zeit keinen aktuellen politischen Entscheidungsbedarf, ob der SNR 300 fertiggestellt und in Betrieb gehen soll. Der SNR 300 ist ein internationales Projekt. Deshalb ist es sinnvoll, die Option für diese Reaktorlinie offenzuhalten. Niemand kann nämlich heute mit Sicherheit sagen, wie sich die Energieversorgungslage in den nächsten zwei Jahrzehnten entwickelt. Soweit es die atomrechtlichen Genehmigungsverfahren betrifft, sind diese nach Recht und Gesetz von der NRW-Landesregierung in Koordination mit der Bundesregierung korrekt und zügig abzuwickeln. Das ist auch die Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion und des SPD-Parteirates. Spätestens zum Zeitpunkt der Fertigstellung ist die öffentliche finanzielle Förderung einzustellen. Eine zusätzliche Subventionierung eines an das Netz gehenden SNR 300 ist nicht vertretbar. Vor Erteilung der Betriebsgenehmigung sind in einem öffentlichen Verfahren noch einmal folgende Fragenkomplexe zu klären: Wo und in welchem Umfang wird diese Reaktorlinie in anderen Industrieländern erforscht und entwickelt? Gibt es einen langfristigen energie- und/oder energiepolitischen Bedarf für den SNR 300? Sind die Betreiber aus der Energiewirtschaft bereit, den SNR 300 ohne weitere öffentliche Subventionierung zu übernehmen und zu betreiben? Welche Regreßansprüche kämen bei Abbruch des Projekts aus internationalen Verträgen und aus der Wirtschaft auf den Bund zu? Welche personellen Konsequenzen für Forschung und Wirtschaft hätte eine Aufgabe dieser Reaktorlinie, und wie sollen diese bewältigt werden? Gibt es gegenüber den Erkenntnissen und Empfehlungen der Enquete-Kommission „Friedliche Nutzung der Kernenergie" neue und gravierende Fakten, die unter Abwägung 12884* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 aller Gesichtspunkte eine Inbetriebnahme des SNR 300 unter energiepolitischen Gesichtspunkten und Fragen der Sicherheit faktisch verbieten? Das sind Gründe und offene Fragen, die die Unterzeichner zu einem von der Mehrheitsentscheidung der SPD-Bundestagsfraktion abweichenden Stimmverhalten veranlassen.
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    Rede von Hermann Kroll-Schlüter


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Geheimnis der Versöhnung heißt Erinnerung — und, ich darf hinzufügen, Gerechtigkeit.
    Zur Erinnerung: Die Sinti und Roma sind nicht erst seit gestern, seit einigen Jahren deutsche Bürger, sondern seit Jahrzehnten und Jahrhunderten. Schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts wanderten aus Indien über die Türkei und Griechenland diese Menschen ins deutschsprachige Mitteleuropa. Die Roma kamen größtenteils vor 100 bis 150 Jahren aus dem ungarischen Raum hierher und in den 50er Jahren aus dem Osten unseres Vaterlandes und aus Polen
    Die Leidensgeschichte von Sinti und Roma ist lang. Auf dem Reichstag von Landau zu Verrätern erklärt, konnten sie Ende des 15. Jahrhunderts als Freiwild gejagt und getötet werden. Der Versuch Friedrichs des Großen, die Sinti und Roma einzugliedern und seßhaft zu machen, scheiterte. In den folgenden Jahrzehnten sind Sinti und Roma zwar nicht mehr völlig rechtlos, aber doch weiterhin besonderen Schikanen ausgesetzt. Während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gab es die Nürnberger Gesetze, die Erfassung und Untersuchung durch die rassenhygienischen Forschungsstellen des Reichsgesundheitsamts, Beginn der Deportation nach Polen, Auschwitz-Erlaß und dessen Ausführungsbestimmungen. Sinti und Roma wur-
    Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1985 12811
    Kroll-Schlüter
    den in Buchenwald, Auschwitz, Kulmhof, Bergen-Belsen und Ravensbrück gefoltert und gemordet. Angesichts des grenzenlosen Leides und der grenzenlosen Qualen. denen diese Menschen ausgesetzt waren, müssen Diskussionen hinsichtlich der Zahl der Opfer verstummen. Hierzu hat die Bundesregierung im Dezember 1982 ausgeführt:
    Den Sinti und Roma ist durch die NS-Diktatur schweres Unrecht zugefügt worden. Sie wurden aus rassischen Gründen verfolgt und viele von ihnen ermordet. Diese Verbrechen sind als Völkermord anzusehen.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der heutigen Debatte diskutieren wir die Große Anfrage zur Lage der Sinti und Roma und bekräftigen — wie die Bundesregierung — eine besondere Haltung. Bewußt und zu Recht hat der Bundespräsident die Sinti und Roma in seiner Rede zum 8. Mai gewürdigt und in sein Gedenken eingeschlossen. Angesichts des „Gebirges menschlichen Leides", wie er es nannte, das der Nationalsozialismus hinterlassen hat, muß der Satz „Die Zeit heilt alle Wunden" fragwürdig erscheinen. Zumindest was das individuelle Schicksal betrifft, wird es wohl Wunden geben, die niemals ganz verheilen können. Wir leben jedoch in der Hoffnung, daß die nachgeborenen und zukünftigen Generationen die offenen Wunden ihrer Geschichte schließen können; die verbleibenden Narben werden uns wohl immer begleiten. Wir können vergangenes Unrecht nicht ungeschehenen machen, aber wir können versuchen, in redlicher Weise zur Versöhnung beizutragen.
    Freilich, Worte füllen den Kopf, vielleicht auch das Herz; daneben waren und sind aber finanzielle Entschädigungen nötig. Die von den Nationalsozialisten aus rassischen Gründen verfolgten Sinti und Roma konnten und können — ebenso wie andere verfolgte Gruppen — die ihnen nach dem Bundesentschädigungsgesetz zustehenden Entschädigungsleistungen erhalten. In Ergänzung hierzu haben die damals drei Fraktionen des Bundestages bestimmte Maßnahmen in der sogenannten Härteregelung beschlossen; diese ist 1981 verabschiedet worden.
    Jetzt begrüßen wir in besonderer Weise eine Fortführung. Wir begrüßen die vom Land Niedersachsen im Oktober dieses Jahres im Bundesrat beschlossene Initiative zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes mit dem Ziel der Gleichbehandlung der durch den Nationalsozialismus Verfolgten mit den Kriegsopfern. Das ist eine gute Initiative, nach der Renten nach dem Bundesentschädigungsgesetz zukünftig teilweise nicht mehr auf die Sozialhilfe angerechnet werden.
    Ungeachtet der finanziellen Regelungen und der Anerkennung des NS-Völkermordes an Sinti und Roma müssen wir uns unvoreingenommen fragen, ob die Diskriminierung dieser Menschen in der Bundesrepublik Deutschland seit 1945 beseitigt ist. Richtig ist, so glauben wir, daß von einer generellen Diskriminierung von Sinti und Roma nicht gesprochen werden kann. Es hieße jedoch die Augen vor der Realität verschließen, wenn wir vorurteilsgesteuerte Handlungen beim Umgang mit Sinti und
    Roma bei deutschen Mitbürgern und Behörden einfach leugnen würden. Hier ist noch einiges verbesserungsfähig. Wir wollen uns da anstrengen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Wir begrüßen in diesem Zusammenhang die Klarstellung der Bundesregierung, daß Sinti und Roma im Informationssystem INPOL nicht gesondert erfaßt werden und die Länder — entsprechend dem anliegen des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma — den Zusatz ZN, also Zigeunername, gestrichen haben. Durch mehr Toleranz, durch Mehr-aufeinander-Zugehen und vor allem durch den Willen, sich gegenseitig zu verstehen, müssen, wollen und können wir zu einer weiterreichenden, gleichberechtigten Teilnahme der Sinti und Roma am gesellschaftlichen, politischen und auch am wirtschaftlichen Wohlstand beitragen.
    In diesem Sinne begrüßen wir es auch, daß in dem geplanten „Haus der Geschichte" in der vorgesehenen Ausstellung „Last der Vergangenheit" die Verfolgung dargestellt werden soll.
    Darüber hinaus fordern wir, bitten wir die Bundesregierung, zu prüfen, ob weitere Maßnahmen ergriffen werden können, die dazu beitragen, daß auch vereinzelte Fälle von Diskriminierung in Zukunft unterbleiben, die Bevölkerung über die Herkunft und Lebensweise der Sinti und Roma noch umfassender informiert wird, das kulturelle Erbe der Sinti und Roma erhalten bleibt, die Lebenssituation dieser Menschen in bezug auf die Bereitstellung von Wohnungen, Ausbildung, Berufsberatung und Berufsausbildung sowie die Gesundheits- und Sozialfürsorge verbessert werden können.
    Unter uns leben 30 000 Sinti und etwa 10 000 Roma. Sie sind mit ihrer Kultur seit langer Zeit ein Teil Deutschlands. Die Bundesregierung hat bereits durch die Bereitstellung finanzieller Mittel die Selbsthilfe, Selbstdarstellung und Selbstorganisation gefördert, z. B. beim Aufbau der Geschäftsstelle, der sozialen Beratungsstellen.
    Aufarbeitung und Abbau der Vorurteile kann jedoch nicht nur Aufgabe der Parteien, der Fraktionen sein, es ist eine Aufgabe aller Bürger. Nur allzuoft war es Unkenntnis über die Fremden, den anderen, die zu einer ungerechten Behandlung und gegenseitigen Abschottung geführt hat. Versuchen wir, Unbekanntes in Bekanntes zu wandeln! Helfen wir, wirkliche Begegnung herzustellen! Lernen wir, miteinander zu leben, nicht gegeneinander!
    Herzlichen Dank.

    (Beifall bei allen Fraktionen)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Ströbele.

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    Rede von Hans-Christian Ströbele


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Liebe Frauen und Männer aus den traditionsreichen Völkern der Sinti und Roma! Ich sage Ihnen an diesem Tag von dieser Stelle im Deutschen Bundestag: Ich fühle mich verantwortlich für das, was deutsche Faschisten Ihnen selbst und Ihren Angehörigen angetan haben. Diese Verantwortung wurde mir klar, als wir am 8. Mai



    Ströbele
    dieses Jahres in Auschwitz waren und als uns Angehörige Ihrer Völker in Auschwitz die Stelle zeigten, wo SS-Männer sich erst Zigeunermusik haben vorspielen lassen, und dann 40 000 Sinti und Roma in die Gaskammern zu führen und zu ermorden. Ich berufe mich nicht auf die Gnade der späten Geburt. Für mich ist diese unsere Geschichte nicht erledigt. Für mich ist nicht erledigt, was Ihren Völkern angetan wurde und was unsere deutschen Väter Ihnen angetan haben.
    Verantwortung heißt für uns die Wahrheit sagen über das, was bis 1945 und auch danach geschehen ist und warum, und alles zu tun, damit Diskriminierung, Registrierung und Kriminalisierung wirklich verschwinden und durch besondere Hochachtung Ihnen gegenüber ersetzt werden. Verantwortung heißt die materiellen Voraussetzungen schaffen, damit alle die, die unter den deutschen Nazis gelitten haben, in Würde und materiell gesichert leben können.
    Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, in Europa wurden Hunderttausende von Angehörigen der Sinti und Roma in den Gaskammern, KZs, bei medizinischen Versuchen oder durch Zwangsarbeit grausam ermordet. Dieser Völkermord an Sinti und Roma wurde in der „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerwesens" und im „Reichshygieneinstitut" geplant und angeleitet. Totalerfassung und Stammbaumtafeln waren die Hilfsmittel; die Wissenschaft der Rassenhygiene lieferte die Ideologie und die konkrete Anleitung zum Handeln. Aber der Rassismus der Deutschen gegenüber den Sinti und Roma blieb auch nach 1945 lebendig, und die Wissenschaft der Rassenhygiene wurde — das muß man leider sagen — fortentwickelt.
    Der Verantwortliche für Zigeunerfragen beim Reichssicherheitshauptamt, Josef Eichberger, war nach dem Krieg erster Leiter der Landfahrerzentrale in München. Für ihn wie für viele andere Deutsche blieben Zigeuner — ich zitiere — „chronisch verlogen, arbeitsscheu, weitgehend kriminell und asozial". Diese Landfahrerzentrale arbeitete mit den alten Akten und Karteien; erst 1970 wurde sie aufgelöst.
    Aber sogenannte Zigeunerspezialisten gab es in allen Landeskriminalämtern weiter. So führte z. B. das Landespolizeiamt Niedersachsen im April 1961 eine Arbeitstagung mit den Themen „Der Zigeuner und seine Welt" — „Arbeitsweise des Landfahrers auf dem Gebiet des Diebstahls und des Betrugs" — „Rechtsgrundlagen für die repressive und präventive Bekämpfung des Landfahrerunwesens" durch.
    Noch 1983 waren Sinti und Roma beim Bundeskriminalamt unter dem stigmatisierenden Kürzel ZN — Zigeunername — erfaßt, und heute heißt das HWAO, häufig wechselnder Aufenthaltsort. Noch heute werden in Hessen bei der Polizei Formulare für Vernehmungen ausgegeben, in denen anzukreuzen ist: Landfahrer; ja oder nein. Und 1983 wirft der SPD-Oberbürgermeister von Darmstadt, ein Herr Metzger, vier Roma-Familien samt Mobiliar aus einem Haus, läßt das Haus abreißen und zwingt die Roma-Familien, die Stadt zu verlassen.
    Das alles soll mit Rassismus nichts zu tun haben? Wen wundert es da, daß der Bundesgerichtshof 1956 feststellt, Roma und Sinti seien vor 1943 nur als Spione, als Asoziale, Saboteure und Kriminelle in die KZs gekommen, und deshalb stünden ihnen Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz auch nicht zu. Immerhin das höchste deutsche Gericht.
    Aber auch als der Bundesgerichtshof 1964 von dieser Meinung abrückte, wurden ehemals langjährigen KZ-Häftlingen Renten zwischen 50 DM und 100 DM zugesprochen, und einmalige Zahlungen wurden gar nicht erst ausgezahlt, sondern mit der Sozialhilfe verrechnet.
    Die Wiedergutmachungsregelung insgesamt war ungerecht, und der Gesamtansatz war unmenschlich. Die Opfer waren, wenn sie wenigstens eine Chance haben wollten, häufig gezwungen, nachzuweisen, daß Angehörige ermordet oder gefoltert wurden. Und was sich in den Gerichtsverfahren abspielte: Dort traten Zeugen auf, die ehemalige Zigeunerspezialisten beim Reichssicherheitshauptamt waren und die nun als Zeugen gegen Sinti und Roma auftreten durften.
    Herr Bundeskanzler und Ihre Regierung, Sie setzen diese Praxis fort, wenn Sie sich weigern, den Roma und Sinti wie allen politisch Verfolgten der deutschen Nazis wenigstens ein menschenwürdiges, materiell gesichertes Leben zu garantieren.
    Wir haben in einer Gesetzesinitiative für alle politisch Verfolgten des Nationalsozialismus eine einheitliche Grundrente in Höhe von 2 000 DM sowie freie Kranken- und Kurbehandlung und Geld für Urlaub und Erholung sowie weitere Ehrenrechte gefordert. Das wäre etwas, was über das hinausgeht, was Roma und Sinti selbst fordern. Aber selbst das wäre nur eine minimale Geste.
    Ich frage die CDU/CSU, die heute einen Antrag vorgelegt hat, und auch die SPD: Warum gehen Sie nicht auf diese Vorschläge ein, und warum verlangen Sie statt dessen von der Bundesregierung nur neue Untersuchungen, wo doch seit Jahren alle Fakten unbestritten bekannt sind?

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sie haben nicht richtig zugehört!)

    Und ein Professor Arnold konnte mit den alten Akten aus dem Reichssicherheitshauptamt seine Wissenschaft der Rassenhygiene hier in der Bundesrepublik weiter betreiben, derselbe, der für Sinti und Roma festgestellt hatte, das seien „Wildbeuter und Bastarde", „eine Krankheit des Volkskörpers" gewesen. Die Bundesregierung bezeichnet das, was dieser Kerl getan hat, nach wie vor als „Wissenschaft", wenn sie auch nicht in allen Punkten dem folgen kann, was dieser Professor verbreitet.
    Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage vermeidet es ganz einfach, zu sagen, was mit Sinti und Roma geschehen ist, nämlich Völkermord. Sie bezeichnet sie als „Opfer". Opfer für wen? Für diese deutsche Demokratie oder für was?

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Wenn Sie gar nicht zuhören!)




    Ströbele
    Diese Zweideutigkeiten und Floskeln sind der ideologische Hintergrund, auf dem Polizeibeamte, Bürgermeister und Richter die rassische Diskriminierung der Sinti und Roma umsetzen. Darüber können die schönsten Formulierungen vom heutigen Tage nicht hinwegtäuschen.
    Die Roma und Sinti verlangen von uns, als ethnische Minderheit eigener Sprache, Kultur, Geschichte und Identität ausdrücklich anerkannt zu werden. Wenn wir uns gemeinsam zu dieser Anerkennung durchringen könnten, dann müßten wir die Roma und Sinti neben Bayern, Sachsen, Juden und Ostpreußen in unser Leben integrieren. Wir sollten mit unserer unheilvollen Geschichte brechen und dies tun.
    Ich versichere Ihnen, liebe Frauen und Männer aus den Völkern der Sinti und Roma, daß wir Sie bei der Durchsetzung Ihrer Forderungen unterstützen werden. In den Ausschüssen werden wir Ihre Sachverwalter sein.
    Danke sehr.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)