Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich begrüße unsere neue Kollegin Frau Dr. Czempiel, die inzwischen eingetroffen ist.
Ich wünsche Ihnen, Frau Kollegin Czempiel, eine erfolgreiche Mitarbeit im Deutschen Bundestag.
Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
Der vom Präsidenten im Benehmen mit dem Ältestenrat gemäß § 30 des Abgeordnetengesetzes zu erstattende Bericht über die Angemessenheit der Entschädigung im Sinne des Artikels 48 Abs. 3 des Grundgesetzes ist als Drucksache 8/2441 verteilt worden.
Die mit Rücksicht auf die Haushaltsberatungen schriftlich erteilten Antworten zu den Fragen für die Sitzungswoche des Deutschen Bundestages vom 22. Januar 1979 in Drucksache 8/2477 werden als Anlagen des Stenographischen Berichts über die 133. Sitzung abgedruckt.
Wir fahren nunmehr in der
Zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1979
— Drucksachen 8/2150, 8/2317 —
Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses
fort.
Ich rufe auf: Einzelplan 04
Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes
— Drucksache 8/2404 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Schröder , Wohlrabe, Dr. Riedl (München)
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall,
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Generalaussprache über den Etat des Bundeskanzlers ist der Zeitpunkt und der Ort, um über die politische Lage unserer Bundesrepublik Deutschland zu sprechen, zu diskutieren und sich auseinanderzusetzen. Sie, Herr Bundeskanzler, haben in Ihrer Neujahrsansprache vor allem versucht, für das kommende Jahr Zuversicht zu verbreiten. Sie haben gesagt, der Boden sei „für eine gute politische und wirtschaftliche Entwicklung bereitet". Ich hoffe mit meinen Freunden in der CDU/CSU sehr, daß eine Ihrer Prognosen endlich einmal zutreffen könnte.
Denn wir alle hoffen nach diesen Jahren der wirtschaftlichen Entwicklung, daß sich die erkennbaren Anzeichen — es sind nicht mehr als Anzeichen — für eine Besserung der Lage weiter durchsetzen. Die Bundesrepublik Deutschland kann nach den mageren und krisenreichen Jahren unter Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, solche Zeichen der Ermutigung sehr wohl vertragen.
Wer ins Land hineinschaut, weiß, daß diese Bundesrepublik Deutschland materiell, geistig und psychologisch die Kraft hat, um mit ihren Problemen fertig zu werden. Aber die Erfahrungen der letzten Jahre haben deutlich gemacht, daß bloße politische Technokraten eben nicht in der Lage sind, diese Kräfte unseres Volkes zu mobilisieren. Denn, meine Damen und Herren, wir haben erlebt, daß Sie sich, Herr Bundeskanzler, und Ihre Regierung vor allem an Zahlen und nicht an der Wertordnung, an Prozentsätzen, die dann noch manipuliert werden, und nicht an den Grundsätzen, an Trends, statt an wirklichen Zielen orientieren. Wir wissen, daß dies die Bürger wenig berührt. Es wird immer wieder gesagt, einige tausend Arbeitslose weniger als eine Million, einige Zehntel-Prozentpunkte mehr Bruttosozialprodukt seien bereits der entscheidende Durchbruch, das signalisiere einen neuen Horizont der wirtschaftlichen Perspektive, damit seien alle Probleme gelöst. Wir jedoch wissen, daß Sie sich mit solchen Aussagen Jahr für Jahr um die wirklichen Probleme herumgewunden haben.
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10268 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Dr. KohlWir wissen, daß hinter jedem Prozentpunkt der Arbeitsmarktstatistik Menschen und ihre Schicksale stehen. Wir wissen, daß die Sorge, die gerade die Macher gerne vergessen, wenn sich der Scheinwerfer nur auf die nackte Zahl richtet, bei diesen Mitbürgern umgeht. Was wir in der Bundesrepublik Deutschland brauchen, sind politische Entscheidungen, die gerade diesen Problemen, die sich als langfristige Probleme eingestellt haben, endlich gerecht werden.Aber, meine Damen und Herren von der Koalition, der innere Zustand Ihrer Parteien erlaubt es ja gar nicht mehr,
die notwendigen und wirklichen Entscheidungen zu treffen.
Denn welch einen Entscheidungsspielraum haben Sie denn noch, Herr Bundeskanzler, wenn etwa in der Energiepolitik nur die Rücktrittsdrohung aller der FDP angehörenden Minister und des Fraktionsvorsitzenden der FDP Ihnen überhaupt erspart hat, die Vertrauensfrage im Bundestag zu stellen.
Sie müssen Sachfragen des Alltags, Sachfragen, die die Zukunft bestimmen, zu Machtfragen erheben, um überleben zu können. Das war so bei der Entscheidung über Kalkar, das war so bei den Entscheidungen über den Steuerkompromiß, das war so bei den dann ausgebliebenen Entscheidungen im Kampf um die Verbesserung der inneren Sicherheit. Das wird sich jeden Tag wieder und immer wieder wiederholen; denn in der SPD und der FDP gibt es in diesen zentralen Sachfragen der deutschen Politik keine Übereinstimmung. Das einzige, was Sie hier übereinstimmend vortragen können, ist der Wille, um jeden Preis an der Macht zu bleiben; das ist Ihr gemeinsamer Nenner.
Deshalb, Herr Bundeskanzler, findet eben Politik nicht mehr statt. Deswegen weichen Sie auf die Gipfel aus, um, von Gipfel zu Gipfel springend, dann Ihre Botschaft möglichst nichtssagend unter die Bürger zu bringen.
Deshalb ist inzwischen, statt tatkräftige Politik zu praktizieren, Politik durch Propaganda abgelöst, und deshalb wird Führung durch Selbstdarstellung ersetzt.
Es wird in diesen Monaten immer deutlicher, daß — und im Oktober feiern Sie ja das zehnjährige Jubiläum der Regierung von SPD und FDP — die Bundesrepublik Deutschland in diesen Jahren immer mehr aus ihrer Substanz gelebt hat. Sie sind dabei, das aufzuzehren, was zuvor an Kraft und Reserven geschaffen wurde. Sie teilen aus, was da ist, und Sie verschließen fest und entschlossen die Augen vor der Zukunft.Die Rechnung wird früher oder später präsentiert. Daß sie ruinös sein wird, wird jeden Tag deutlicher.Mit jedem Jahr, Herr Bundeskanzler, in dem die Geburtenentwicklung weiterhin rückläufig ist, wird die Struktur unserer Bevölkerung weiter verzerrt, werden Überalterung und Abnahme unserer Bevölkerung stärker, werden die negativen Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung unübersehbar, werden die Konsequenzen für den allgemeinen Lebensstandard unabweisbar. Die Belastungen für die im Erwerbsleben stehende Generation, für die äußere Sicherheit und für die internationale Bedeutung des Landes nehmen zu. Aber Sie, Herr Bundeskanzler — und Sie schulden uns dazu eine Antwort heute und an diesem Pult —, haben veranlaßt, daß die Analyse des Bundesinnenministeriums über die Bevölkerungsentwicklung zur Verschlußsache erklärt wurde, damit möglichst wenig über diesen gravierendsten Vorgang der deutschen Innenpolitik diskutiert wird.
Wir wollen heute und hier von Ihnen erfahren, was Sie dazu vorzuschlagen haben, was Sie zu tun beabsichtigen.Wir haben gestern in einer langen und intensiven Diskussion über die Entwicklung der öffentlichen Schulden in der Bundesrepublik Deutschland gesprochen. Herr Bundeskanzler, Sie verfahren hierbei nach dem alten Raster, daß die Summen, um die es hier geht, den meisten Bürgern im Normalleben gar nicht begreifbar sind und daß die Probleme, wie Sie glauben, deshalb nicht politisch oder parteipolitisch beunruhigend sind. Mit jedem Jahr, in dem unser Staat weiter auf Schulden lebt, bürdet er nachfolgenden Regierungen und späteren Generationen Lasten auf, denen kein realer Gegenwert gegenübersteht. Das muß man immer wieder deutlich sagen.
Anstatt Ihren pflichtgemäßen Beitrag zur Konsolidierung der Haushalte zu leisten, fahren Sie mit einer unseriösen Finanzpolitik fort, mit einer Politik nach dem Motto: Was nach uns kommt, schert uns nicht weiter. Wann, Herr Bundeskanzler, haben Sie ein Wort dazu gesagt, daß Ihre Schuldenpolitik für die zukünftige Generation, für die nachwachsende Generation eine Hypothek sondergleichen bedeutet?Eine dauerhafte Sanierung der Rentenfinanzen, der sozialen Systeme ist immer noch nicht in Sicht. Nach dem Rentenbetrug 1976 soll bereits jetzt für den nächsten, den Rentenbetrug 1980, die Bahn bereitet werden.
Die Freien Demokraten, Herr Bundeskanzler, ziehen mittlerweile in Zweifel, ob Sie — obwohl Sie hier persönlich etwas anderes gesagt haben — Ihr Versprechen wahrmachen und 1982 die dynamische bruttolohnbezogene Rente wiederherstellen können. Wir erwarten heute hier eine Antwort, nicht aber eine geplante Antwort für den Tag nach der Bundestagswahl, wie wir das schon einmal erlebt haben.
Der Bevölkerungsrückgang, der Schuldenberg, die ungesicherten Finanzgrundlagen der sozialen Sicherung sind nur drei Beispiele für die Art, wie Ihre Regierung, Herr Bundeskanzler, aus Schwäche Pro-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10269
Dr. Kohlbleme in die Zukunft abdrängt. Perspektiven kann aber nur eine Regierung entwickeln, die für sich selbst eine Zukunft sieht, die nicht Tag für Tag um den Machterhalt bangen muß, die es sich leisten kann — das heißt doch Regieren —, auch in der Tagespolitik scheinbar unbequeme Entscheidungen zu treffen, wenn diese Entscheidungen zum Wohl des Ganzen zwingend und notwendig sind.
Herr Bundeskanzler, wir wollen es Ihnen frühzeitig sagen, damit auch deutlich ist, in welcher Verantwortung Sie stehen: Wer dazu nicht in der Lage ist, bereitet den Boden für einen Konflikt zwischen den Generationen, dessen Härte — dessen bin ich sicher — die des früheren Konflikts zwischen den sozialen Klassen bei weitem übertreffen kann. Wenn unsere Generation heute unsolidarisch handelt und ihre Probleme, die Probleme des Heute, der kommenden Generation zuschiebt, ist zu befürchten, daß dafür später einmal Lösungen zu Lasten der dann älteren Generation gesucht werden.
Solidarität ist auch zwischen den Generationen — den heutigen Alten, der heute tragenden Generation, und den Jungen — keine Einbahnstraße. Deshalb trägt eine Regierung Verantwortung auch weit über den Tag hinaus, über die zeitliche Grenze ihres politischen Mandats hinaus. An diese Verantwortung gerade gegenüber den jungen Leuten in der Bundesrepublik Deutschland werden wir Sie in der vor uns liegenden Zeit immer wieder und immer deutlicher erinnern, Herr Bundeskanzler.
In Ihrer Neujahrsansprache haben Sie — dann auch noch in der Bundespressekonferenz vor einigen Tagen — „von großem Zukunftsvertrauen", „von wirtschaftlichem und politischem Optimismus" gesprochen. Sie haben, Herr Bundeskanzler — und das ist erstaunlich, wenn man in die Welt blickt —, „ein außenpolitisch ruhiges Jahr" angekündigt. Das, meine Damen und Herren, ist der Versuch, das Bild einer heilen Welt zu entwerfen, in ,der jeder so zufrieden ist, wie ihm von der Regierung Zufriedenheit zugeteilt wird, voller Hoffnung und Zuversicht für sein persönliches Leben.Herr Bundeskanzler, es stellt sich doch die Frage — und ,das mitten in Ihrer Regierungszeit, mitten in dieser Legislaturperiode —, warum gerade auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland junge Leute unter einer tiefgreifenden Orientierungskrise leiden, in der jungen Generation in einem bestürzenden Ausmaß der Rückzug in den Bereich des Privaten zu sehen ist, sich viele vom Staat und von ihrer Mitverantwortung im Gemeinwesen abwenden, die Zahl derer, ,die sich in Sekten, Alkohol und Drogen flüchten, weit in die Hunderttausende gegangen ist und Kriminalität in diesem Bereich zunimmt. Das muß uns doch betroffen machen.Sehen Sie, Herr Bundeskanzler, nicht, daß zwischen Ihrer heilen Welt, die Sie den Bürgern aus Wahlgründen vortragen, und der Wirklichkeit eine immer tiefergehende Kluft zu beobachten ist? HerrI Bundeskanzler, in einer solchen Situation stellt sich für jede Regierung die Frage nach ihrer Mitverantwortung für den wachsenden, zutiefst befremdlichen Fatalismus in unserer Gesellschaft. Sie müssen sich als Regierungschef doch die Frage stellen, warum Sie diese Entwicklung in Ihrer Analyse ausklammern.Auch das wirtschaftliche, soziale und politische Klima des Jahres 1979 wird erheblichen Belastungen ausgesetzt sein.. Wenn Sie gesagt haben, „der Optimismus werde durch die Auswirkungen des Arbeitskampfes in der Stahlindustrie nicht beeinträchtigt", dann frage ich mich wirklich, ob Sie diese Äußerung nur deshalb machen konnten, weil Sie einen Teil dieser Auseinandersetzung in fernen Gefilden erlebt haben. Die „Zeit", eine Ihnen doch ganz gewiß gewogene Stimme, schreibt in diesem Zusammenhang:Die Arbeitnehmer haben in den sechs .Wochen, die sie vor den Werkstoren verbrachten, Einkommenseinbußen erlitten, die sie nie wieder aufholen können ...Die Allgemeinheit wird durch geringere Steuereinnahmen, neue soziale Lasten und wohl auch durch eine weitere Verzögerung des erhofften Aufschwungs in Mitleidenschaft gezogen.Damit, meine Damen und Herren, wird ausgedrückt, was Millionen Bürger der Bundesrepublik Deutschland in diesen Streiktagen empfunden haben.Es besteht doch gar kein Zweifel, Herr Bundeskanzler, daß über die meßbaren ökonomischen und wettbewerblichen Wirkungen hinaus durch die Härte und Stärke der Auseinandersetzung gerade auch die so lebensnotwendigen psychologischen Grundlagen des Aufschwungs in Gefahr geraten sind. Vertrauen schafft doch nach Ihren eigenen Worten das halbe Wachstum.Wir alle sind froh, daß dieser Streik endlich, wenn auch unter großen Schwierigkeiten beendet werden konnte. Aber das, was Sie, Herr Bundeskanzler, laut der Zeitschrift „Der Spiegel" auf den Bahamas zu diesem Streik gesagt haben, zeigt, daß Sie sich während dieses dramatischen Arbeitskampfes nicht nur geographisch von der Bundesrepublik Deutschland abgesetzt haben.
Sie sind weit, weit weg von der Wirklichkeit des Landes, dessen Regierungschef Sie sind. Was soll das folgende Zitat:Alle diese deutschen Kleinbürger, die meinen, ein Streik sei ein Zeichen von Unordnung, die können mir den Buckel runterrutschen?Herr Bundeskanzler, es ist die riesige Mehrheit der Bundesrepublik Deutschland, die Ihnen den Buckel runterrutschen muß.
Ich weiß, daß Sie in Ihrem Selbstwertgefühl kaum zu erschüttern sind. Dennoch rate ich Ihnen — .Sie wollen ja Regierungschef des Landes sein, dessen Bürger Ihnen den Buckel runterrutschen sollen —, darüber nachzudenken, ob all jene, egal, wo sie
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10270 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Dr. Kohlpolitisch stehen, ob Arbeitgeber oder Gewerkschaftler, die in diesen Tagen voller Sorge auch die innere Entwicklung dieses Streiks und jener Kräfte betrachtet haben, welche dabei sichtbar wurden, die Lage wirklich so fahrlässig einschätzen, wie Sie es getan haben.
Es kann im Deutschen Bundestag keine Frage sein, daß Streik ein legitimes Mittel des Arbeitskampfes ist, aber Streik ist kein Selbstzweck. Es gibt in jeder Tarifauseinandersetzung die konkrete Verantwortung der Gewerkschaft und der Arbeitgeberverbände für einen Tarifbereich. Aber wir alle, ohne uns in die Tarifhoheit einmischen zu wollen, die ein wichtiges Gut freiheitlicher Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland ist, die wir erhalten wollen, haben als Bürger dieses Landes — auch Gewerkschaftsvertreter und Arbeitgeber sind Bürger dieses Landes — eine wohlverstandene Gesamtverantwortung für die Gesamtentwicklung der Bundesrepublik Deutschland.
Das Ja zur vollen, uneingeschräntken Tarifautonomie darf nicht heißen, daß die, die gerade verhandeln, in ihrem Sektor völlig autonom reden, denken und verabreden können, ohne auf die Gesamtentwicklung Rücksicht zu nehmen. Wer heute Tarifverträge aushandelt, muß daran denken — auf beiden Seiten des Tisches —, daß dort eine Million Arbeitslose mit sitzen und daß das Gut eines sicheren Arbeitsplatzes in solchen Zeiten ein besonders wichtiges Gut ist und daß das Gut der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft auch zur Sicherung der Arbeitsplätze eine Grundvoraussetzung ist. Das alles muß dabei mit angesprochen werden.
Es geht immer auch um die Sorgen und Nöte der vom Streik Betroffenen,. um die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen. Ich frage mich, Herr Bundeskanzler, woher Sie das Recht nehmen, diese Probleme so von oben herab abzutun. Natürlich war das für Sie ärgerlich, weil es die geplante große Schau in der optischen Darstellung etwas einschränkte; aber wir leben in unserem Land nicht von der Schau, die Sie jeweils inszenieren, sondern wir leben davon, daß wir in einer vernünftigen Politik ein Stück vorankommen. Das ist das, was wir brauchen.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben als steilvertretender Vorsitzender der SPD mit dazu beigetragen, daß die Verhältnisse während dieses Streikes noch eskalierten. Mit Ihrem Kölner Europa-Programm hat die Sozialdemokratische Partei ein wesentliches Stück Mitverantwortung für die Eskalation dieses Streiks zu tragen. Sie von der SPD haben in diesen kritischen Tagen. 01 in das Feuer sozialer Konflikte gegossen, und Sie haben auch den Ihnen nahestehenden Freunden der SPD im Deutschen Gewerkschaftsbund mit dieser Entscheidung auf dem Kölner Parteitag einen Bärendienst erwiesen; Sie haben ihnen überhaupt nicht geholfen.
Denn verunsicherte, ihrer Basis entfremdete Gewerkschaften nützen überhaupt keinem, sie nützen auch unserer Volkswirtschaft im ganzen nichts.Sie von der SPD haben mit ihrem Vorgehen nicht nur die Tarifautonomie in Frage gestellt, sie haben auch das wirtschaftlich Mögliche gefährdet. Angesichts härtester sozialpolitischer Auseinandersetzungen mit dem Rückfall in klassenkämpferische Agitation des 19. Jahrhunderts auf dem Kölner Parteitag haben Sie sich, Herr Bundeskanzler, mit Allerweltsparolen aus Ihrer Führungsverantwortung gestohlen. Ich will dazu nur ein Beispiel aus der vergangenen Woche nennen.In einem Interview im „Spiegel" haben Sie — ich zitiere wörtlich — „die flache Re-Ideologisierung, hinter der nicht genug eigene geistige Arbeit steckt", bedauert. Herr Bundeskanzler, wer trägt denn in diesem Staat mehr zur flachen Re-Ideologisierung bei als Sie?
In demselben Interview äußern Sie sich wie folgt zur Forderung nach der 35-Stunden-Woche. Sie sagen zum einen, die Forderung sei „in Ordnung und notwendig". Das ist so richtig der Helmut Schmidt: „in Ordnung und notwendig". Sie sagen zum anderen, „allen wirtschaftlich klar Denkenden" sei „bewußt, daß die 35-Stunden-Woche auch 1985 nicht erreicht werden könne".Sie sagen zum dritten — das alles im gleichen Interview —, „daß ein realer Einstieg in die 35-StundenWoche jederzeit denkbar sei". Herr Bundeskanzler, hätten Sie die Güte, uns einmal zu sagen, was Sie jetzt wirklich meinen!
Die Bürger der Bundesrepublik Deutschland, die Gewerkschaften, die Vertreter der Wirtschaftsverbände, sie alle haben einen Anspruch, wir . haben einen Anpruch darauf, von Ihnen persönlich von diesem Pult aus zu erfahren, was Sie zum Thema 35-Stunden-Woche wirklich denken, und zwar. in Ihrer Eigenschaft als einer der großen Ökonomen, wie Sie sich selbst einschätzen, als stellvertretender Parteivorsitzender, als einer, der weiß, daß er ohne seine sozialdemokratischen Freunde im DGB längst nicht mehr an der Macht wäre. In diesen drei Funktionen wollen wir eine Antwort von Ihnen.
Wir wollen nicht, daß die Politik oder auch der Regierungschef in die Aufgaben eines politischen Schlichters in solchen Auseinandersetzungen gedrängt werden. Es gibt aber Zeiten, wo es das allgemeine Wohl verlangt zu schweigen, und es gibt Zeiten, wo es das allgemeine Wohl gebietet, das Notwendige zu sagen.Ich will in diesem Zusammenhang nur noch auf das hinweisen, was Sie im gleichen Interview über die möglichen Folgen der Entwicklung im Iran gesagt haben. Ich finde, daß Sie heute auch dazu ein klärendes Wort sagen sollten. Es ist doch zumindest leichtfertig, wenn Sie angesichts der dramatischen Entwicklung dort sagen, im Iran würden „schlimmstenfalls vorübergehende Störungen fürDeutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 1.31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 - 10271Dr. Kohlmöglich" gehalten, die würden „leicht behoben" werden können. Ich weiß nicht, wie Sie diese Störungen leicht beheben werden.
Das erinnert fatal an das "Problemchen" aus dem Jahre 1976 im Zusammenhang mit dem Rentenbetrug.Ich will nur nachtragen, damit die Zahlen klar sind: Diese Entwicklung im Iran ist für alle . EG-Länder von erheblicher Bedeutung, weil alle im Durchschnitt mit 16 O/0 vom iranischen 01 abhängig sind und weil die EG-Länder mit 40 0/o an der Spitze der iranischen Einfuhr stehen. - Bei uns stehen wenigstens 50 000 Arbeitsplätze mit auf dem Spiel.Herr Bundeskanzler, Sie verlieren in diesem Zusammenhang kein Wort. darüber, welche Gefahren für den Geldwert in der Bundesrepublik Deutschland entstehen. Statt dessen riskieren Sie einen Streit mit der Bundesbank, welchen Rang die Geldwertstabilität unter den fundamentalen wirtschaftspolitischen Zielen einnehmen soll. Die Dollarschwankungen, der Außenhandel — ich will das hier alles nur stichwortartig anführen — müssen doch hier angesprochen werden.Herr Bundeskanzler, ich hoffe auch, daß Sie heute hier dem Hause eine Auskunft im Blick auf Ihre Erklärung vom Dezember über das Europäische Währungssystem geben. Meine Damen und Herren, nach den Beschlüssen des Europäischen Rates sollte der Währungsverbund ' am 1. Januar dieses Jahres in Kraft treten. Der gerade von Ihnen, Herr Bundeskanzler, so spektakulär betriebene Plan ist nun vorerst geplatzt. Dies schafft doch nun wahrlich in einem wichtigen wirtschaftspolitischen Augenblick für die Wirtschaft in Europa und in Deutschland kein Mehr an Vertrauen. Sie, Herr Bundeskanzler, haben Anfang Dezember hier im Plenarsaal gesagt und die Dinge so dargestellt, als würde das Inkrafttreten des Währungssystems ohne jede Schwierigkeit zum 1. Januar 1979 zu erwarten sein. Sie haben uns kein Wort gesagt — weder hier noch in irgendeinem der Ausschüsse —, daß im agrarmonetären Ausgleich zwischen Frankreich und Deutschland erhebliche Probleme bestehen. Die Tatsache, daß auf dem Gebiet der Agrarpolitik — und wir haben doch in Europa auf diesem Feld Erfahrungen aus den letzten 20 Jahren — wichtige Vereinbarungen offengeblieben sind, ist uns sehr viel später und über die Presse bekanntgemacht worden. Sie, Herr Bundeskanzler, haben es sich selbst zuzuschreiben, wenn über die Hintergründe dieser Differenzen mannigfaltige und allesamt schädliche Vermutungen angestellt werden. Die Frage drängt sich doch auf : Entweder haben Sie die mit dem französischen Staatspräsidenten getroffene Vereinbarung 'in ihrer Substanz nicht ganz erkannt, dann wäre fahrläsig gehandelt worden, oder Sie haben dem Hohen Hau- se, dem Bundestag, die vorliegenden Streitpunkte wissentlich vorenthalten; dann aber, Herr Bundeskanzler, bedeutet das, daß -Sie die deutsche Öffentlichkeit und den Deutschen Bundestag bewußt getäuscht haben. Wir haben Anspruch auf Ihre Antwort.
Sie sollten auch an das Ansehen Ihres Kabinettskollegen Ertl_ denken, einer Stütze Ihrer Koalition. Hat Herr Ertl den Dissens nicht gekannt? Wurde Herrn Ertl der Dissens nicht nahegebracht? Hat Herr Ertl aus Gründen der Räson dazu geschwiegen? Das sind doch alles Fragen, die sich aufdrängen. Und wenn Herr Ertl nicht rechtzeitig unterrichtet wurde, dann stellt sich doch die Frage so: Wollten Sie, Herr Bundeskanzler, etwa den Widerstand eines Ressortministers, den Sie unter allen Umständen brauchen, dadurch brechen, daß Sie unser gemeinsames Ziel der europäischen Integration so sehr in den Vordergrund gestellt haben, damit die Frage des Grenzausgleichs daneben als eine Lappalie erscheint? Wie immer sich dieser Vorgang im einzelnen abgespielt haben mag, Herr Bundeskanzler, wir erwarten heute von Ihnen eine klare Auskunft. Der Deutsche Bundestag und die deutsche Öffentlichkeit haben einen Anspruch darauf. Diese Art von Politik . ist unerträglich.Sie haben in diesem Zusammenhang genauso leichtfertig und oberflächlich gehandelt wie vor wenigen Monaten in der Steuerpolitik, als Sie in einem Handstreichverfahren bestimmte Daten setzen wollten und der Aufstand der Oberbürgermeister an Rhein und Ruhr Sie wieder zurücktrieb.Herr Bundeskanzler, Sie haben — das ist richtig — die Anpassung der deutschen Wirtschaft an die sich verändernde Struktur der Weltwirtschaft als eines der ganz großen Probleme dieses Jahrzehntes bezeichnet. Wir teilen diese Einschätzung. Wir haben auch die notwendigen Konsequenzen gezogen. Ich denke an unsere Steuerinitiativen seit 1974. Ich empfehle Ihnen in diesem Zusammenhang auch noch ein- mal das Programm der Union zum Thema Zukunftschancen der jungen Generation.Mit der Politik, die ich soeben ansprechen mußte, schaffen Sie es einfach nicht, Vertrauen in die wirtschaftliche und damit in die politische Zukunft zurückzugewinnen. Eine wesentliche Voraussetzung für Vertrauen ist Klarheit über die zukünftige Steuerpolitik. Das haben in diesen Tagen auch die Sachverständigen in ihrem Gutachten wieder dargelegt. Vertrauenschaffende Maßnahmen sind eben seit Ludwig Erhards ' Tagen die Voraussetzung jeder staatlichen Wirtschaftspolitik.
Aber solange Sie es als Regierungschef und als stellvertretender SPD-Vorsitzender zulassen, daß in Ihrer eigenen Partei unentwegt darüber nachgedacht und diskutiert wird, wie man die Wirtschaft immer mehr mit Bürokratie und Kontrolle überziehen kann, solange Sie nicht bereit sind, entschlossen, kämpferisch und mutig mit uns gemeinsam dafür einzutreten, daß wir nicht mehr Bürokratie, sondern mehr Freiheit für den Bürger unseres Landes brauchen, solange werden Sie kein Vertrauen gewinnen.
Wer die Diskussionen zwischen Herrn Klose, dem neuen Führer der Linken in der SPD, und Ihnen und anderen verfolgt hat
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10272 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Dr. Kohl— ich weiß, daß Ihnen das wehtut, weil ja bei Ihnen viele sitzen, die auch gerne Führer der neuen Linken sein möchten —,
der muß doch wissen, daß allein schon der Begriff Stamokap und die Ideologie, die dem zugrunde gelegt ist, Gift für die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland ist.
Aber, Herr Bundeskanzler, was mich im Blick auf die Zukunft des Landes und unseres Volkes noch mehr bedrückt und beunruhigt als der faktische Stillstand der Regierungstätigkeit, ist der immer deutlicher werdende Schwund an demokratischer Gemeinsamkeit in Grundfragen unserer politischen und wirtschaftlichen Ordnung.
Ich habe inzwischen den Eindruck gewonnen, daß der Begriff Gemeinsamkeit in Grundfragen nicht nur der großen Mehrheit der SPD nichts mehr besagt, sondern auch Ihnen.
Ich muß zugeben, daß ich mein Urteil in diesem Punkt revidiert habe. Übereinstimmung in den Grundfragen schließt doch wahrlich — damit kein Zweifel aufkommt — hartes, notwendiges, faires demokratisches Ringen um den richtigen Weg der Politik nicht aus. Übereinstimmung in den Grundfragen heißt, daß wir, wo immer wir in .der Tagespolitik stehen mögen, ob in Regierung oder in Opposition, gemeinsam wissen, daß es für den Fortbestand unserer freiheitlichen Ordnung lebensnotwendig ist, daß in den wirklich entscheidenden Fragen unseres Staates eine Mindestausstattung ich sage es sehr vorsichtig — an Gemeinsamkeit besteht. Herr Bundeskanzler, das ist die entscheidende Voraussetzung jeder wirklichen Regierungskunst: nicht nur mit einer Stimme Mehrheit regieren zu wollen, sondern in den tragenden Fragen konsensfähig zu werden. Das ist Voraussetzung von wirklicher Regierungskunst.•
Ich will aus den letzten Monaten zwei Beispiele anführen, die zeigen, daß Sie gar keinen Wert mehr darauf legen, dieses Mindestmaß an Gemeinsamkeit zu pflegen. Kommen Sie bitte nicht, Herr Bundeskanzler, und sagen: Das geht mich doch nichts an. Sie sind der stellvertretende Vorsitzende der SPD, und ohne Sie — das wissen Sie am besten, und das erfreut Sie ja auch — ist die SPD an, der Regierung gar nicht mehr denkbar. Weil dies so ist, stehen Sie hier zudem Thema Gemeinsamkeit voll in der Verantwortung.Ich will unsere Erfahrungen im Zusammenhang mit der Wahl des Bundespräsidenten ansprechen. Die Kampagne gegen unseren Freund Karl Carstens ist ebenso einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wie erbärmlich und abstoßend.
Diese Kampagne macht deutlich, daß wir im Verständnis von Demokratie offensichtlich nicht mehr die gleiche Sprache sprechen.
Denn Demokratie heißt Verwaltung von Macht und Amt auf Zeit. Demokratie schließt lebensnotwendig den Wechsel nach dieser Zeit ein — im Rahmen der Legalität, im Rahmen derer, die dazu berufen sind.Herr Bundeskanzler, ich sage schlicht und einfach: Das, was an Kampagne gegen Carl Carstens betrieben wird und noch betrieben werden wird — und Sie sind nicht aufgestanden; Sie waren in den Landtagswahlkämpfen sogar an dieser Kampagne beteiligt;
ich komme noch darauf zu sprechen —, das alles, Herr Bundeskanzler, hat nur das Ziel,
daß Sie und Ihre Partei an der Macht bleiben.
Sie und viele Ihrer Helfershelfer 'draußen im Lande sind dabei,
nahezu jeden Preis zu zahlen, um an der Macht zu bleiben.Respekt und Achtung vor dem Lebensweg und der Persönlichkeit eines um diesen Staat hochverdienten Mannes und Mitbürgers bedeuten nichts; Fairneß und Anstand bedeuten nichts. Aber wenn all diese Tugenden mit Füßen getreten werden, dürfen wir uns doch nicht wundern, wenn junge Leute sich von dem Tun derer abwenden, die in diesem Staat Politik machen.
Um was geht es denn wirklich bei diesem Thema? Die Amtszeit des Staatsoberhaupts läuft ab. Die Neuwahl steht an. Das ist ein ganz und gar normaler Vorgang im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung unseres Landes. Wenn dann Überlegungen über Kandidaten angestellt werden, hat das überhaupt nichts mit Mangel an Respekt vor dem gegenwärtigen Amtsinhaber zu tun. Es hat damit zu tun, daß jeder von uns die Pflicht hat, an seinem Platz 'das Notwendige zu tun, um seinen Beitrag zur Lösung auch dieser Frage beizusteuern.Da ist folgende nüchterne Feststellung am Platz. Die CDU/CSU-Fraktion ist die stärkste Fraktion in der Bundesversammlung 1979. Ich will 'das nur einmal sagen, weil es kaum mehr einer weiß.
— Ihr liberales Gewissen, Frau Kollegin, sieht man an diesem Punkte deutlich. Ihr Verfassungsverständnis ist deutlich. Sie nehmen offensichtlich nicht zur Kenntnis, daß zum erstenmal in der Geschichte
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10273
Dr. Kohlder Bundesrepublik — zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik! — Die CDU/CSU-Fraktion die absolute Mehrheit in der Bundesversammlung hat.
Woher kommt denn diese Mehrheit? Die Bürger der Bundesrepublik haben der CDU/CSU in einer Serie von Landtagswahlen und bei der Bundestagswahl 1976 diese Mehrheit verliehen. Das ist die Grundlage.
Da wurde nichts manipuliert, sondern hier hat der Bürger ein klares und eindeutiges Wort gesprochen. Es entspricht demokratischer Tradition, daß man, ob es einem paßt oder nicht, die Haltung, das Votum des obersten Souveräns — 'das ist der Bürger in unserem Lande — respektiert.
Meine Damen und Herren, Sie haben in der Serie dieser Wahlen die Sitze verloren, die Sie jetzt gerne hätten, um bei dieser Entscheidung ebenfalls sich durchsetzen zu können.
Und jetzt, Herr Möllemann, kommt Ihr Zwischenruf: „Dann fragen Sie doch einmal, was die wollen!" Sehen Sie, Herr Möllemann, das ist es ja. Das ist ein weiteres Stück Verrat liberaler Ideen, die Sie mit diesem Zwischenruf deutlich machen.
Sie wollen jetzt ein Pseudo-Plebiszit in dieser Frage einführen. Meine Damen und Herren, dann lassen Sie uns ernsthaft darüber reden, daß wir die Verfassung ändern und den Präsidenten vom Volk wählen lassen. Aber nicht so: wenn es Ihnen paßt, wird er von der Versammlung gewählt, und wenn es Ihnen nicht paßt, wird ein Plebiszit veranstaltet!
Wenn an irgendeinem Punkte der Bürger in der Bundesrepublik die Möglichkeit hat, den geistigen Niedergang der Freien Demokraten beurteilen zu können, dann in der Form 'der Verfassungsmanipulation, die Sie hier öffentlich betreiben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Bangemann?
Gleich, wenn ich die Passage zu Ende habe, Herr Kollege.
Sie können dann die Frage gleich noch dazu stellen, Herr Bangemann. Es ist eine Frage, die sich einem bedrückend aufdrängt: Was geht eigentlich bei Ihnen vor, wenn Sie aus der nackten Angst das
Amt des Staatsoberhaupts in den Wahlkampf zerren, um über die 5 % zu kommen?
Sie wissen genau: der Bundespräsident kann sich von Amts wegen nicht zur Wehr setzen. Dennoch gehen Sie von Landtagswahl zu Landtagswahl und tun gegenüber dem Wähler so, als sei seine Wahlentscheidung jetzt eine Entscheidung zur Wahl des Bundespräsidenten.
Sie wissen, daß das nach der Zahl falsch ist. Sie wissen, daß keine der Landtagswahlen, die jetzt stattfinden, noch eine Veränderung der Wahlmännerzahl in dem von Ihnen gewünschten Sinn erreichen kann. Sie täuschen bewußt den Wähler, nur um überleben zu können.
Zu einer Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Bangemann.
Herr Kollege Kohl, darf ich Ihre langen Ausführungen zu diesem Thema so verstehen, daß Sie selber davon ausgehen, daß die übergroße Mehrheit unserer Bevölkerung die Wiederwahl des jetzigen Bundespräsidenten wünscht?
Herr Kollege Bangemann, ich mache Ihnen noch einmal das Angebot: Wenn Sie ernsthaft all das, was Theodor Heuss, Thomas Dehler und andere — ich kann auch wichtige Stimmen wie Carlo Schmid und andere aus dem Bereich der Sozialdemokraten zitieren — im Parlamentarischen Rat vertreten haben, wenn Sie all das, was geschichtliche Lehre und Erfahrung im Blick auf die Wahl 'des Staatsoberhaupts für uns auch heute noch bedeuten, nicht mehr akzeptieren, dann nehme ich das zur Kenntnis. Dann ist es eine neue Situation. Aber dann kommen Sie ans Pult und sagen Sie uns hier: Wir wollen über eine Verfassungsänderung reden. Über Ihre Methode läßt sich aber nicht reden.
Herr Abgeordneter Kohl, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Dr. Kohl (CDU/CSU) : Bitte schön.
Darf ich zunächst einmal davon ausgehen, daß Ihre Fraktion einem Abgeordneten das Fragerecht nicht bestreiten wird, zumal wenn der Redner ihm das zugesteht?
Herr Abgeordneter Bangemann, kommen Sie zu Ihrer Zwischenfrage.
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10274 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Herr Kohl, ist Ihnen entgangen, daß ich nicht von einer Wahl, sondern von einem Wunsch gesprochen habe, und sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß in einer funktionierenden Demokratie gerade bei diesem höchsten Staatsamt die Wahl außerhalb eines Parteienstreites entschieden werden sollte
und unter Berücksichtigung des Wunsches auch desjenigen Teiles der Bevölkerung, der Ihnen parteipolitisch sehr viel nähersteht als uns?
Herr Bangemann, ich frage mich wirklich, für wie dumm Sie eigentlich die Zuhörer hier im Saal und draußen an den Fernsehern halten.
Herr Kollege Bangemann, zu einem Zeitpunkt, als in der CDU/CSU noch gar keine Erklärung zum Thema Bundespräsident vorlag, haben Ihr Parteivorsitzender Hans-Dietrich Genscher und Sie doch alles getan, um damit etwa im hessischen Wahlkampf Stimmen zu gewinnen. Sie haben doch das Thema in den Wahlkampf gebracht. Was soll das? Es ist doch ein Akt von Scheinheiligkeit, wenn Sie etwa ein Parteiführergespräch zu Fragen des Bundespräsidenten vorschlagen, um möglichst überparteilich dazustehen, und diese Frage dennoch jeden Tag im Wahlkampf zu einem Thema machen.
Herr Bangemann, was ich nun wirklich überhaupt nicht verstehen kann, ist, wie ein Freier Demokrat nach den Erfahrungen der letzten Jahre von Wählerwillen hier im Hause reden kann.
Sie werden doch im Ernst nicht sagen, daß Sie sich in Hessen nach dem Wählerwillen gerichtet haben, als Sie Herrn Osswald, der doch wirklich auf den Krücken der Politik durchs Land schlich, immer wieder, nur um an der Macht zu bleiben, gehalten haben.
Herr Bangemann, Sie haben doch 1969 nicht nach . dem Wählerwillen gefragt, als Sie Herrn Brandt nach jenem Wahlergebnis Kurt Georg Kiesingers zum Kanzler wählten. Das wissen Sie doch ganz genau.
Im übrigen verstehe ich auf Grund Ihrer Lage Ihre Demoskopiegläubigkeit; aber Demoskopie ersetzt doch nicht politisch verantwortliches Handeln. Das ist doch eine ganz schlimme, ganz falsche Vorstellung, die Sie hier entwickeln. Ich biete Ihnen noch einmal an, damit Sie hier nicht ausweichen können: Lassen Sie uns offen darüber reden, wenn Sie die Verfassung ändern wollen. Sie müssen dann auch mit Ihrem sozialdemokratischen Koalitionspartner in diesem Punkte zu einer Übereinstimmung kommen. Und dann sagen Sie uns bitte: Was ist 1978, was ist 1979 in der Grundbetrachtung unserer Verfassungsordnung gegenüber 1948 anders? Denn wenn Sie schon wieder mit dem Volkswillen, mit der Demoskopie operieren, Herr Bangemann, und wenn Demoskopie sagt, daß die Mehrheit der Deutschen den Bundespräsidenten in direkter Wahl wählen will, frage ich Sie: Ziehen Sie dann auch da diese Konsequenz? So können wir doch nicht miteinander Politik machen! Was ich von Ihnen erwarte, ist, daß Sie draußen, wenn Sie in Wahlkämpfen auftreten, endlich ehrlich sind,
und was ich von Ihnen erwarte — ganz allgemein, nicht nur von Ihnen als Person, aber ganz besonders vom Bundeskanzler —, ist, daß er nicht nur einmal mit einer gedrückten Erklärung, sondern mannhaft und offen aufsteht. Auch das gehört zur Statur eines Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland.
— Natürlich, das können Sie kaum mehr begreifen, weil es ja ein Stück Gemeinsamkeit beinhaltet! — Der Bundeskanzler müßte einmal aufstehen und sagen, daß diese erbärmliche Schnüffelei im Leben der einzelnen hier immer unerträglicher wird.
Meine Damen und Herren, ich habe diese letzten Monate wirklich mit wachem Bewußtsein erlebt, ich habe erlebt, was hier vonstatten ging, wie diese erbärmliche Schnüffelei in der Vorgeschichte, in der Jugendzeit einzelner Politiker — in diesem Falle aus der Union — stattfand.
Und erst dann, als diese Kampagne die Regierungsbank erreicht hatte, sind Sie jäh zusammengezuckt und haben geschwiegen!
Ich weiß das um so besser, weil ich in diesen Monaten in meinen eigenen Reihen manchen Vorwurf einstecken mußte. Mir wurde vorgehalten: Warum gibst du nicht mit der gleichen Münze, warum schlägst du nicht in der gleichen Art zurück?
— Ich weiß nicht, was Sie mir mit diesem Zwischenruf sagen, Herr Kollege. Ich muß Ihnen nur sagen: Dies ist unser gemeinsamer Staat, und wenn in dieser Form mit dem Staat umgegangen wird, liegt der Schaden doch nicht bei einem einzelnen oder bei einer Fraktion; wir alle haben doch den Schaden durch diese Entwicklung.
Ich habe mich innerhalb der Union leidenschaftlich dem Gedanken widersetzt, daß nach dem Motto verfahren wird: Wenn da veröffentlicht wird, daß dieser und jener Mitglied der Partei war, muß das sofort entsprechend vergolten werden. Meine Damen und Herren, natürlich kann man das. Ich habe ja angedeutet., wie diese Psychose der Schnüffelei die Regierungsbank ergriffen hat und wie
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10275
Dr. Kohlnicht wenige auf der Regierungsbank zusammenzuckten, wenn sie dann auf ihr eigenes Leben zurückblickten.
Nur, wohin soll uns das eigentlich führen? Glauben Sie denn, daß es in einem Augenblick, in dem die junge Generation Filme über die damalige Zeit im deutschen Fernsehen erregt diskutiert, der handelnden Generationen, der Generation der zwischen 1933 und 1945 Jungen zuträglich ist, wenn aus der Sicht von heute, wo die Dinge ganz anders sind und junge Leute gar nicht mehr verstehen können, wie das damals war, in einer so vordergründigen, erbärmlichen Weise Lebensschicksale behandelt werden?
Es gibt in diesem Zusammenhang noch einen Punkt, Herr Bundeskanzler, wo ich Sie ganz persönlich anspreche. Es gibt ja auch — und Ihnen als einem Sozialdemokraten sollten die Erfahrungen des Reichspräsidenten Friedrich Ebert nicht gänzlich fremd sein — Überlegungen im justiziablen Bereich. Hier sind Sie als Hausherr des Kanzleramts auch in Ihrer Fürsorgepflicht gegenüber früheren Beamten angesprochen. Ich werde sorgfältig hinschauen und werde mich rechtzeitig öffentlich melden, wenn das weitergeht, was hier zu beobachten ist, daß nämlich wichtigste Mitarbeiter früherer Bundesregierungen jetzt in einer Weise behandelt werden, daß ihnen Verantwortung zugeschoben werden soll, und dies nicht wegen ihrer damaligen Tätigkeit, sondern wegen ihrer heutigen Position und um den politischen Gegner zu erledigen. Darum geht es!
Herr Kollege Wehner, ein Wort zu Ihnen:
denn immer, wenn so etwas im Land passiert, tauchen Sie alsbald entweder hinter oder vor den Kulissen auf. Wir sind jetzt schon ganz dankbar, daß man Ihre Statur vor den Kulissen sieht. Sie haben jetzt eine Diskussion über den Termin der Bundesversammlung begonnen.
Diese Diskussion soll natürlich psychologisch verbunden werden — und Ihre Emissäre sind eifrig dabei, das zu machen — mit den sonstigen Teilen der Kampagne gegen Karl Carstens.Der Bundestagspräsident ist nach dem Gesetz gehalten, die Bundesversammlung einzuberufen. Er hat sie für einen Termin, den 23. Mai, einberufen. Jetzt wird in dieser Sache unter die Leute gebracht, daß dieser Termin womöglich eine Manipulation zugunsten eines Kandidaten sei.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das nüchtern aufklären, damit sich jeder sein Urteil über die moralische Qualität dieses Tuns bildenkann. In diesem Zusammenhang ist der Zeitraum zwischen dem Zusammentritt der Bundesversammlung und dem Beginn der Sperrfrist von 30 Tagen vor dem Ablauf der Amtszeit des Bundespräsidenten entscheidend. Herr Kollege Wehner,. sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, wie das bei der Wahl früherer Präsidenten gehandhabt wurde? 1954 fand die Bundesversammlung 25 Tage vor dieser Sperrfrist statt. 1959 waren es 41 Tage, 1964 waren es 41 Tage, 1969 — das war die Wahl nach dem vorzeitigen Rücktritt Heinrich Lübkes — waren es 146 Tage, 1974 waren es 15 Tage, und jetzt sind es sieben Tage. Wollen Sie etwa behaupten, daß ein Präsident, der die bisher knappeste Frist gewählt hat — wenn man ihm überhaupt einen Vorwurf machen könnte, könnte man ihm entgegenhalten, ob die Frist von sieben Tagen nicht zu knapp sei —, hier manipuliert? Ich erwarte von Ihnen heute hier von diesem Pult eine Auskunft.
Herr Kollege Wehner, nicht der Präsident des Deutschen Bundestages hat manipuliert, Sie, Herbert Wehner, haben manipuliert.
Was mich am meisten verblüfft hat, ist, daß Sie offensichtlich darauf spekulieren, daß alle Ihre Weggenossen alles vergessen, was Sie tun. Ich saß doch dabei — mit anderen; Herr Hoppe war für die FDP dabei —, als der Bundestagspräsident uns im letzten Jahr den Termin vorgetragen hat. Sie haben doch gar keinen Protest erhoben.
In dieser Sitzung mußte doch jedermann davon ausgehen — auch ich —, daß Sie mit dem Termin einverstanden waren. Was soll das jetzt, daß Sie hier mitten in dieser sonstigen Kampagne den Versuch machen, einen aufrechten Mitbürger ins Zwielicht zu bringen? Das ist doch das Ziel.
Herr Bundeskanzler, ich will Ihnen ein weiteres schlimmes Beispiel für dieses völlige Aufgeben des Grundkonsenses hier in der Erwartung sagen, daß Sie sich dazu äußern. Ich spreche von den Beschlüssen Ihres Bundesparteitags, der Verabschiedung des Europa-Programms der SPD in Köln. Das Programm, Herr Bundeskanzler, das Ihre Partei vor wenigen Wochen in Köln verabschiedet hat, ist wahrlich nicht mehr das Programm einer Volkspartei — aber das ist Ihre Sache. Das ist das Programm einer sozialistischen Klassenkampfpartei, die mit festem Schritt ins 19. Jahrhundert zurückmarschiert.
Man mag das bedauern. Ich bedaure das, weil ich der Meinung bin, daß es eigentlich für das Funktionieren der deutschen Demokratie wichtig ist, daß sich die SPD in ihrer Wertediskussion auf der Höhe der Zeit des letzten Viertels des 20. Jahrhunderts orientiert und nicht im 19. Jahrhundert. Aber das ist trotzdem Ihre Sache. In diesem Programm, Herr Bundeskanzler, steht aber folgender Satz:
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Dr. KohlIm Streit um die Mehrheit in der Europäischen Gemeinschaft sind die konservativen Parteien der Hauptgegner.Herr Bundeskanzler, wenn dies der Inhalt Ihrer Politik, der Inhalt auch der Politik Ihres Vizekanzlers, der Koalition von SPD und FDP ist, dann ist das Tischtuch zwischen uns zerschnitten. Dies muß man ganz einfach, klar und direkt aussprechen.
In einem Augenblick, in dem wir in wichtigen europäischen Ländern die Herausforderung kommunistischer Parteien von beachtlicher Stärke — mit Stimmanteilen von 20 bis 30 °% und mehr — haben, in einem Augenblick, in dem wir alle wissen, daß mit der Wahl des Europäischen Parlaments in diesem Sommer Weichen in eine Zukunft gestellt werden, die niemand von uns genau übersehen kann, haben Sie das Band bewußt zerschnitten. — Was immer Sie unter „Konservativen" verstehen: Sie gehen hier nicht von geschichtlichen Begriffen, sondern von dem jeweiligen Verleumdungskapital aus. Das ist ja das, was Sie dabei drängt..
Meine Damen und Herren von der SPD und Herr Bundeskanzler Helmut Schmidt: Wer nicht mehr die Kommunisten und Faschisten, sondern Demokraten zu Hauptgegnern im Kampf um die Mehrheit im Europäischen Parlament ernennt, gibt zu erkennen, daß ihm — um der Macht willen — ein Linkspakt mit den Kommunisten gegen die politische Mitte Europas wichtiger und erstrebenswerter erscheint als die Gemeinsamkeit aller demokratischer Kräfte gegen den Totalitarismus, ob er von rechts oder von links kommt.
Meine Damen und Herren, wir werden in diesen Monaten jedem Bürger unseres Landes deutlich machen, was dies bedeutet. Das bedeutet das Ende jener Gemeinsamkeit, die es möglich machte, in schlimmen und schwierigen Jahren, vor allem in der Gründungszeit der Bundesrepublik, die Kommunisten in allen gesellschaftlichen Bereichen abzudrängen, jener Politik, die zur Stabilität unseres Staates wesentlich beigetragen hat, jener Politik, die auch zur Folge hatte, daß bei der letzten Bundestagswahl — darauf können wir alle stolz sein — nur 0,9 °/o der Wähler rechts- oder linksradikal gewählt haben. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, müssen diesen Beschluß mit der Abgrenzungspolitik Kurt Schumachers und Ernst Reuters vereinbaren. Sie haben das zu vertreten, was sich hier an schlimmer Entwicklung für die Zukunft voraussehen läßt.So ganz neu ist dies nicht. Nach dem Parteitag habe ich einem Freund gesagt: Helmut Schmidt hat auf die Anfrage, wie er es denn damit halte, daß die Jugendorganisation seiner eigenen Partei seit vielen. Jahren Volksfrontkoalitionen an deutschen Universitäten abgeschlossen hat, um den Ring Christlich-Demokratischer Studenten auszuschließen, bislang immer geschwiegen. Herr Bundeskanzler, ich mag zwar nicht glauben, daß das bereits Ihre Politik ist, aber es ist Mangel an Mut, um es ganz deutlich zu sagen, es ist Feigheit gegenüber Ihrer eigenen Partei, wenn Sie hier nicht aufstehen und pflichtgemäß sagen: Leute, das ist ein unmöglicher Weg, den wir da in Europa einschlagen.
Herr Bangemann, ich hätte Sie nicht angesprochen, wenn Sie sich nicht so tönend zu Wort gemeldet hätten. Wie wollen Sie Ihre Rede zur Europapolitik, die Sie auf dem Dreikönigstreffen in Stuttgart gehalten haben, mit diesem Europa-Manifest in Einklang bringen? Man muß wirklich Freier Demokrat sein, um das zu können, meine Damen und Herren.
Hier mit den Sozialdemokraten an der Regierung zu sein, dort den großen Antikommunisten zu machen, geht nicht. Es sind doch die gleichen Sozialdemokraten, Herr Bangemann! Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat doch noch niemals eine Liste mit so vielen extrem links eingestellten Sozialisten für ein Parlament aufgestellt wie die, die man in Köln beschlossen hat. Das sind doch Ihre Kollegen im neuen Europäischen Parlament. Hören Sie doch bitte auf, den Leuten draußen im Lande zu sagen, Sie seien gegen diese Politik der SPD! Es ist doch gar nicht wahr; Sie sind doch nur verbal dagegen; in Wahrheit stützen Sie doch diese Politik.
Sie haben doch — denken Sie an die Wahl jetzt in Schleswig-Holstein — just mit den Leuten in der SPD gemeinsam paktiert, die in Köln am meisten in diese Richtung geredet haben. Wie wollen Sie dem Wähler eigentlich erklären, daß Sie hier so unterschiedlich handeln? Ich muß sagen, man muß das tiefenpsychologische Verständnis von Politik eines Freien Demokraten haben, um das verstehen zu können.
Glauben Sie denn im Ernst, daß Ihnen das die Bürger auf die Dauer abnehmen?Herr Bundeskanzler, Sie wollen — das ist ja das Ziel der ganzen Strategie um Ihre Person für die Wahl 1980 — im Urteil unserer Mitbürger als ein Politiker der demokratischen Mitte, des Ausgleichs und als ein Verfechter der Marktwirtschaft, der sozialen Partnerschaft und nicht des Klassenkampfes und der bürokratischen Planwirtschaft gelten; obwohl ich sagen muß: das kann eigentlich auch nur einer glauben, der die Zeitungen nicht liest. Denn vor den Geschichtslehrern sind Sie für den Geschichtsunterricht, vor linken Kreisen der Partei ist „Stamokap" nur irgendein Wort für Sie; bei den Unternehmern sprechen Sie so, daß sie feuchte Augen bekommen. Das haben wir in den letzten Jahren ja immer wieder erlebt. Aber das ist Ihre Sache. Was jedoch uns alle hier angeht, das ist, daß Ihre Partei — und Sie sind der stellvertretende Vorsitzende der SPD — dabei ist, die Gräben, die leider ohnedies schon da sind in unserem Lande, immer weiter aufzureißen. Warum schweigen Sie denn eigentlich, Herr Bundeskanzler, wenn sich führende Vertreter Ihrer Partei in ihren Attacken auf die freiheitliche
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10277
Dr. KohlWirtschaftsordnung gegenseitig überbieten? Ich habe aus Anlaß des Todes von Ludwig Erhard hier von Ihnen gehört, daß Sie sich in den Reigen der Erben Ludwig Erhards einreihen wollen.
Herr Bundeskanzler, warum sind Sie denn eigentlich in Köln stumm geblieben bei jenen Beschlüssen des SPD-Parteitags, die doch blanken Klassenkampf und bürokratische Planwirtschaft als Zukunftsperspektive weisen? Herr Bundeskanzler, was haben Sie getan, als Ihr Freund Klose unter dem kräftigen Beifall breiter sozialdemokratischer Kreise verkündete, er halte die kommunistische Theorie vom staatsmonopolistischen Staatskapitalismus heute nicht mehr für ganz und gar falsch? Herr Bundeskanzler, Sie haben nichts getan. Sie haben diese Herausforderung unbeantwortet gelassen, weil Sie es sich gar nicht mehr leisten können, den übermächtigen Linken in der eigenen Partei entgegenzutreten.
Herr Bundeskanzler, sollen wir die klägliche Entgegnung Ihres Regierungssprechers — doch sicherlich von Ihnen in diesem Sinne legitimiert —, Herr Klose hätte Ihrer Meinung nach, statt des Wortes „Stamokap" besser ein anderes Wort gewählt, als Ausdruck politischer Führung und Tatkraft werten?Wenn die Bundesrepublik in Zukunft ihre Freiheit bewahren will, dann brauchen wir die uneingeschränkte Rückkehr zu den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft, die unter Ludwig Erhard auch die Wirtschaftsordnung unseres Landes groß gemacht hat; dann brauchen wir nicht, wie Herr Klose meint, den Staat als Reparaturbetrieb des Kapitalismus, sondern dann brauchen wir die Soziale Marktwirtschaft Ludwig Erhards als Reparaturbetrieb sozialistischer Politik. Das ist die Grundfrage.
Der Grundkonsens zwischen den politischen Kräften ist auch in anderen wichtigen Bereichen zerbrochen. In diesen Tagen haben wir ein besonders schwerwiegendes Beispiel im Blick auf Ihre Einstellung, Herr Bundeskanzler, zum Thema „wehrhafte Demokratie" erlebt. Es waren doch immer wieder Ihre Parteifreunde, die Punkt für Punkt entscheidende Positionen in diesem Themenbereich „Extremisten" in Frage stellten, und dann diese Positionen geräumt haben. Ich frage Sie hier: Was haben Sie als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland getan, um diesen Erosionsprozeß aufzuhalten? Was haben Sie etwa Herrn Klose, dem Führer der neuen Linken, gesagt, als er Ende November im Blick auf die Extremistenfrage erklärte, die große Mehrheit der SPD sei bereit, Positionen in Frage zu stellen und sich auf neue Positionen zu begeben? Oder was haben Sie denjenigen in der SPD entgegengehalten, die in der Öffentlichkeit die Agitationsbegriffe „Berufsverbot" und „Schnüffelpraxis" gemeinsam mit den Verleumdern auf seiten des internationalen Kommunismus unter die Leute gebracht haben?
Nun haben Sie, meine Damen und Herren, in der vergangenen Woche im Kabinett einen Beschluß gefaßt, wonach die Bundesregierung bei der Einstellung von Beamten bewußt auf eine Anfrage bei den Verfassungsschutzbehörden verzichtet. Ich frage mich, was eigentlich in dieser Kabinettssitzung im Vizekanzler vorgegangen ist.
Er war viele Jahre ein erfolgreicher Innenminister. Als einer der Ministerpräsidenten habe ich damals, im Jahre 1972, die Gespräche mit ihm und dem damaligen Bundeskanzler Brandt im Blick auf den Extremistenerlaß geführt. Ich kann mich noch gut an das erinnern, was Hans-Dietrich Genscher und übrigens auch Willy Brandt — von Herrn Ehmke will ich gar nicht reden —
in jener Zeit sagten.Ich habe das alles noch im Ohr. Meine Damen und Herren, was eigentlich hat sich denn in der Grundherausforderung der freiheitlichen Demokratie seit 1972 geändert?
Wenn es darum geht — wir haben das hier oft genug gesagt —, Fehler und Unzuträglichkeiten dieses Systems zu beseitigen, sind wir — nicht nur wir hier in der Fraktion, sondern auch unsere Freunde, die in den Ländern Regierungsverantwortung tragen — sofort zum Gespräch bereit. Es kann doch niemand sagen, daß die Herausforderung durch totalitäre Gesinnung heute geringer wäre als damals. Herr Bundesinnenminister Baum, schauen Sie doch einmal Ihre eigenen Berichte zu diesem Thema der Radikalen von rechts und links an. Es ist doch im weitesten Sinne des Wortes nicht „besser" geworden. Wer die Behörden dazu zwingt, sich bei der Prüfung der Verfassungstreue ihrer Beamten künstlich blind und taub zu stellen, macht sich doch einer groben Amtspflichtverletzung schuldig.
Herr Bundeskanzler, es gibt namhafte Juristen in der Bundesrepublik — Sie als Regierungschef haben sie gerne als Gutachter herangezogen —, die in diesem Zusammenhang schlicht und einfach erklärt haben: Das, was Sie hier machen, ist verfassungswidrig. Und Sie müssen doch die Konsequenzen sehen. Es mag sein, daß dies vom Verfassungsgericht überprüft wird, und dann haben wir doch wieder ein Beispiel dafür, daß jemand fahrlässig und deshalb, weil er sich im politischen Leben wegen der Mehrheitsverhältnisse nicht durchsetzen kann, damit konfrontiert wird, daß dieses Bundesorgan in Anspruch genommen wird. Wichtiger aber ist, daß hier ein Stück Verfassungsgemeinsamkeit leichtfertig, ohne Not, nur aus Angst vor den Linken in der eigenen Partei aufgegeben wird. Das ist doch die Erfahrung!
10278 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung: Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979Dr. KohlHerr Bundeskanzler,. in Ihrer Neujahrsbotschaft haben Sie unserem Volk zugerufen: Laue Demokraten können wir nicht brauchen.
An anderer Stelle fügten Sie hinzu: genausowenig wie Erwachsene, die sich aus Angst vor dem Widerspruch der jungen Leute selbst wider besseres Wissen anpassen. Ich unterstreiche diesen Satz. Aber, Herr Bundeskanzler, wer paßt sich denn an? Sie passen sich doch in einer ganzen schlimmen Weise an!
Sie haben hier oft in vielen Funktionen und in eindrucksvoller Weise, auch auf Grund Ihrer Lebenserfahrung, die Entwicklung der Weimarer Republik, der Nazizeit und unserer Republik beschrieben; Sie wissen das so gut wie jeder oder fast jeder hier im Saal. Und Sie stehen in der großen Kontinuität einer Partei, die wichtige geschichtliche Beiträge geleistet hat. Wie wollen Sie eigentlich den Kabinettsbeschluß jener Woche mit jener zeitlosen Aussage des großen Sozialdemokraten Otto Braun konfrontieren, der damals, schon 1932, in einer visionären Schau — leider haben ihn damals viel zu wenige in allen Parteien der Demokratie begriffen — gerufen hat, daß Nationalsozialisten und Kommunisten im Staatsdienst nichts verloren haben, daß Feinde der Demokratie nicht an die Schaltstellen staatlicher Macht dürfen?
Wir erleben nun in dieser Woche, wie im Zusammenhang mit dieser amerikanischen Fernsehserie eine tiefe Diskussion durch die Familien in der Bundesrepublik geht. Was man jetzt immer bewertend dazu sagen mag — es ist hier aber nicht der Ort, darüber zu sprechen —, eines ist die Folge: daß sich viele Hunderttausende junger Leute am Abend auf dem Stuhl herumdrehen und den Großvater und den Vater fragen: Wie konnte denn das damals geschehen? Darin steckt doch der Vorwurf, Herr Bundeskanzler, daß zu viele hochachtbare Männer und Frauen, denen unser ganzer Respekt gehört, es nicht glauben wollten, was Totalitäre von rechts und links bewegen können; das ist die geschichtliche Erfahrung.
Wir, die Heutigen, können doch nicht mehr sagen: Diese Erfahrung gab es nicht. Wer 1932 lebte, hat ein gutes moralisches Recht, uns heute zu sagen: Es ist unvorstellbar; niemand von uns konnte glauben, daß Auschwitz, Majdanek und Treblinka je erdacht und Wirklichkeit werden konnten.
Meine Damen und Herren, was am Ende des Krieges etwa im Zusammenhang mit deutschen Flüchtlingen in Mittel- und Osteuropa geschehen ist, das alles war doch unvorstellbar. Man glaubte doch zu Beginn dieses Jahrhunderts, das große Zeitalter der Vernunft, der Menschlichkeit sei gekommen. Aber es war ganz anders.Wer konnte 1932 dies alles wissen? Es gab kluge, weitsichtige Menschen, die es sahen; aber es waren zu wenige. Ihr Ruhm ist heute um so größer, daß sie sich nicht beirren ließen. Das sage ich ganz deutlich und ausdrücklich.Aber es gab eben viele, die nicht glauben konnten, daß einer im Ulmer Reichswehrprozeß, Adolf Hitler, vor dem Reichsgericht einen so blanken Meineid schwören konnte, es werde nur mit verfassungsmäßigen Mitteln an die Macht kommen und regieren. Aber, meine Damen und Herren, wir haben es in Deutschland erlebt, und wir haben es auf dem Hradschin in Prag nach 1945 erlebt, was die Meineide von Kommunisten dort bedeutet haben. Wir haben es in Warschau, in Budapest, in Bukarest und mitten in Deutschland, in Ost-Berlin, erlebt. Wir sind nicht mehr eine geschichtlich blauäugige Generation.
Wir sind die Generation, die fähig sein muß, aus der Geschichte zu lernen.Herr Bundeskanzler, Ihr Satz ist goldrichtig: ... genausowenig wie Erwachsene, die sich aus Angst vor dem Widerspruch der jungen Leute selbst wider besseres Wissen anpassen. Da ist sie wieder, die Demoskopie, Herr Bangemann. Junge Leute können das nicht verstehen. Warum können sie es nicht verstehen? Weil in den letzten 15 Jahren unter dem Schlagwort des Progressiven die Hauptakteure, wobei sie oft nur ihre eigene ganz persönliche Vergangenheit bewältigt haben — zu diesem Schluß kommt man, wenn man die Namen vor sich sieht —,
den Zustand der Geschichtslosigkeit als eine neue, positive Perspektive 'dargestellt haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gerade die Jungen werden unseren Staat nicht mehr schätzen, sie werden keinen Respekt haben — das sagt Ihnen jeder Pädagoge —, wenn dieser unser Staat und die von Ihnen geführte Bundesregierung vor der Agitation der Feinde unseres Staates Punkt für Punkt zurückweichen,
wenn wir uns nur blank anpassen, wenn wir es nicht mehr wagen, die Erfüllung elementarer Bürgerpflichten einzuklagen und darauf zu bestehen.Meine Damen und Herren, es ist von einem Beamten, der für seinen Arbeitsplatz eine Lebenszeitgarantie hat und ein besonderes Verhältnis zur Repräsentanz des Staates besitzt, nicht zuviel verlangt, daß er nicht nur treu, sondern überzeugt und wehrhaft zu diesem Staat steht.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10279
Dr. KohlHerr Bundeskanzler, ich kann Sie um des Allgemeinwohls willen nur beschwören: Hören Sie auf die großen alten Männer der Deutschen Sozialdemokratie! Hören Sie auf das, lesen Sie das, was Herbert Weichmann gesagt hat,
und hören Sie nicht auf das, was irgendwelche ideologischen Wirrköpfe in diesem Zusammenhang von sich geben! Sie haben hier eine breite Mehrheit der Bevölkerung und — lassen Sie uns das auch sagen — in diesem Haus auch eine breite Mehrheit. Hier kommt es überhaupt nicht darauf an, daß wir in der CDU/CSU redit behalten, hier kommt es darauf an, daß das Richtige gemacht wird, weil diese Weichen weit über ihre Regierungszeit hinaus gestellt werden.
Freiheit hat ihren Preis — das wissen wir alle und das wissen auch unsere jungen Mitbürger —, und Freiheit muß vor allem von denjenigen verteidigt werden — und das sind wir alle —, die die Freiheit in Anspruch nehmen. Die Verteidigung unserer Freiheit, die Verteidigung unserer Demokratie ist erst dann auf Dauer gesichert, wenn wir dieser Verteidigung der Freiheit wieder den Rang einer selbstverständlichen Bürgerpflicht zurückgeben. Wir müssen den Mut haben, den Menschen zu sagen, daß sie in der Demokratie nicht nur Rechte in Anspruch nehmen können, sondern daß die Rechte den Pflichten entsprechen müssen und daß ohne dieses Pflichtbewußtsein — ein gutes altes deutsches Wort, das gar nichts an Inhalt und Gewicht verloren hat - der Staat verloren ist, die Gemeinschaft der Demokratie verloren ist, wenn wir es nicht mehr lebendig praktizieren.
Herr Bundeskanzler — auch das will ich noch kurz ansprechen —, Sie haben auch vom Bereich der internationalen Politik erstaunliche Dinge gesagt. Sie sagten, es sei ein außenpolitisch ruhiges Jahr zu erwarten. Ich weiß wirklich nicht, auf welche Welt Sie geblickt haben.
— Audi auf den Bahamas gibt es die täglichen Nachrichten des Bundespresseamts. Wenn man schon nicht selbst liest, kann man in diesem Amt lesen lassen, und insofern bin ich. sicher, daß es daran nicht liegt. Herr Bundeskanzler, der Herr Kollege Wehner hat in seinem jüngsten Beitrag in Ihrem Parteiorgan „Die neue Gesellschaft" auf den Aufruhr im Iran, auf die Terrorakte in der Türkei, auf die militärischen Handlungen in Indochina, und auf die sich hinschleppenden Streitereien im Nahen Osten hingewiesen. .Meine Kolleginnen und Kollegen, Herr Wehner hat dem Bundestag, uns, angeraten, Berührungspunkte in den Auffassungen über deutsche Beiträge zur Friedenssicherung deutlich werden zu lassen. Herr Wehner, wir nehmen dies auf. Beruührungspunktelassen sich aber erst dann finden, wenn klargeworden ist, welche Positionen die von Ihnen getragene Regierung einnimmt. Zunächst muß einmal Ordnung geschaffen werden: Wer ist in diesem Fall die Regierung? Ist es der. Bundeskanzler, ist es Herr Genscher, sind Sie es, Herr Wehner, ist es Herr Brandt, ist es Herr Bahr, ist es der emsige Herr Ehmke, der durch Europa reist und von dem man auf diesem Gebiet vielerlei hört? Wer ist eigentlich in dieser Koalition nicht nur Außenminister — das ist eine andere Frage, das wissen wir —, sondern derjenige, der mit fester Schrift Außenpolitik niederschreibt?
Unsere nationalen Interessen — das ist bei der geopolitischen Situation der Bundesrepublik logisch — sind in vielfältiger Weise von all diesen Entwicklungen, die Sie, Herr Wehner, zu Recht angesprochen haben, berührt. Die politische und wirtschaftliche Öffnung Chinas hat die weltpolitische Szene völlig verändert. Die fortdauernde Rivalität zwischen China und der Sowjetunion ist eine Realität — das muß man sehen und aussprechen —, die zu ganz direkter Auswirkung gerade auch auf das Ost-West-Verhältnis führt.Es ist durchaus richtig und ich stimme dem zu, Herr Bundeskanzler —, wenn Sie den japanisch-chinesischen Freundschafts- und Friedensvertrag und die Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und China als wichtige' Voraussetzung größerer politischer Stabilität in dieser Region bezeichnen. Wenn Sie dann aber, Herr Bundeskanzler, im gleichen Atemzug und in der Ihnen eigenen feinfühligen Weise in Tokio dazu erklären, Sie gehörten nicht zu jenen, die sich von der Rivalität zwischen China ' und der Sowjetunion etwas Gutes versprächen, weder für Asien noch für Europa, dann scheint mir hier eine ziemliche Verkennung der internationalen Zusammenhänge vorzuliegen. Natürlich kommen sehr oft — und darin liegt eine Chance und eine Gefahr, der Ablauf der Geschichte" zeigt das in jedem Jahrzehnt — aus Rivalitäten auch konstruktive Lösungen hervor, wenn guter Wille zur Überwindung besteht und wenn man die Entwicklung welt weit und regional realistisch sieht.Ich finde, es ist wenig realistisch, ja, es ist bedrükkend, Ihre Worte zu den Folgen der Entwicklung im Iran zu hören. Aber für den, der überhaupt noch zur Kenntnis nimmt, was Sie so sagen, ist das auch nichts Neues. Ihr Schweigen zur Machtübernahme in Afghanistan war auch ein beredtes Schweigen. Deutlicher konnte man Ihre Position nicht umreißen als mit Schweigen. Mit dem Putsch in Afghanistan, der Destabilisierung in Persien, den. Unruhen in der Türkei entwickelt sich der Mittlere Osten immer mehr zu einem internationalen Krisenherd ersten Ranges mit ganz direkten Auswirkungen auf den Nahen Osten und auf die, westliche Welt in Europa. Meine Damen und Herren, dies gilt doch vor allein für die Bundesrepublik Deutschland, für die internationale Energieversorgung. Wir sind eines der großen Exportländer, die mehr als andere vom Export leben. Beschwichtigungen sind hier keine Antwort. Wir erwarten von Ihnen, Herr Bundeskanzler, ein langfristiges, ausgewogenes außen-
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10280 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Dr. Kohl politisches Konzept und eine klare Definition der deutschen Interessen.
Ich kann Ihnen nur noch einmal den Rat geben — Sie nehmen ja keine Ratschläge an, aber lassen Sie es mich trotzdem noch einmal sagen —: Versichern Sie sich hierzu möglichst auch im Sinne der Äußerungen von Herbert Wehner in Gesprächen einer breiten Unterstützung des ganzen Hauses. Es ist kein Ruhmesblatt der deutschen Demokratie, daß die Außenpolitik von Ihnen kontrovers nach dem Motto gehandelt wird: „Wir brauchen die Opposition nicht."Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einen Teilaspekt ansprechen. Die neue Politik Chinas kann direkte Auswirkungen auf das deutsch-sowjetische Verhältnis haben. Wichtige Beobachter — und das ist freundlich, zurückhaltend ausgedrückt -stellen bereits ein verstärktes Interesse und das Bemühen der Sowjetunion fest, die Beziehungen zu Europa im besonderen und die zur Bundesrepublik Deutschland zu intensivieren. Ich will einmal versuchen, das wertfrei darzustellen.
— Ich habe doch gar nicht gesagt, daß es schlecht ist. Die Frage ist, was daraus erwächst, Herr Bangemann. Ob es gut ist, wissen Sie auch nicht. Das wollen wir erst einmal abwarten. Wenn ich so sehe, was zu diesem Thema aus dem Lager der Sozialdemokraten gesagt wird, kann ich nichts Gutes erkennen. Aber ich will dieses Gespräch. Wir wollen über die Chancen reden. Lassen Sie mich für meine Fraktion ganz unmißverständlich erklären: Wir werden uns mit aller zur Verfügung stehenden Kraft gegen eine Politik wehren, die etwa dazu führen soll, über ein besonderes deutsch-sowjetisches Verhältnis die Bindungen der Bundesrepublik- Deutschland an die Vereinigten Staaten, an das westliche Bündnis, an das freie Europa zu lockern, um Deutschland womöglich längerfristig in eine Neutralisierung zu führen.
Wir werden uns entschieden gegen eine solche Politik zur Wehr setzen, wer immer es wagen sollte, sie offen oder verschleiert zu betreiben. Damit aber auch das klar ist, meine Damen und Herren: Wir werden uns in unserer Grundposition nicht in eine Frontstellung gegen China oder gegen die Sowjetunion bringen lassen. Die Bundesrepublik Deutschland darf von den internationalen Entwicklungen nicht abgehängt werden, auch nicht dadurch, daß Moskau womöglich allein darüber bestimmt, was als Störung von Beziehungen betrachtet wird und was nicht.
Was dem Interesse unseres Landes dient, wissen wir selbst ganz genau. Wir sind bereit, darüber immer wieder zu diskutieren. Aber wir sind nicht die Sachverwalter sowjetischer Interessen.
Ich erwarte, Herr Bundeskanzler, daß Sie uns heute — da Sie über die glücklichen Tage auf den Bahamas bisher nur beiläufig und eigentlich mehr feuilletonistisch vor der Presse berichtet haben — ein Wort zu jenen Vorwürfen sagen, nach denen Sie in den Gesprächen mit westlichen Verbündeten, mit westlichen Repräsentanten, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, dem Präsidenten der französischen Republik und Ihrem englischen Kollegen — ich zitiere nicht irgend jemanden, sondern den Chefredakteur der „Neuen Zürcher Zeitung" wörtlich zitiert: fast als Sprachrohr Breschnews" aufgetreten sind.
Ich kann das nicht werten; das ist ein Zeitungsbericht. Aber ich finde, der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland hatte dazu längst ein klärendes Wort sagen müssen, nachdem diese Stimme — nicht irgendeine Stimme, diese Stimme — in der Welt erklang.
Sie haben das bisher nicht getan. Ich erwarte, daß Sie das heute tun, und zwar klar und ohne jede Einschränkung.Ich sage gleich an dieser Stelle: Für uns ist jener Weg keine Politik, der etwa Mißtrauen bei unseren Verbündeten sät, um damit Vertrauen bei der Sowjetunion zugewinnen.Herr Kollege Wehner, wenn Sie in diesem Zusammenhang für die Debatte über Friedenssicherung, Verteidigung, Entspannung, Abrüstung und Rüstungskontrolle ein wenig „Dampf machen" möchten, finde ich, muß heute darüber gesprochen werden, was Sie unter Dampf verstehen. Wer Sie kennt und respektiert — ich tue das —, kann vielerlei Dampf vermuten. Ich denke aber, Sie sollten hier sagen, was Sie meinen, und der Bundeskanzler wie auch der Außenminister sollten sagen, was s i e dazu meinen.Herr Außenminster, wenn Sie erklären lassen, daß bei den Verhandlungen in Wien „nicht individuelle Länderpositionen, sondern die Positionen von zwei Seiten" zur Debatte stehen, dann ist das richtig. Ebenso richtig ist die Feststellung, daß „daher das wirkliche Entscheidungsgremium und die politische Stütze der Verhandlungen auf westlicher Seite die NATO ist". Wenn Sie dann aber auch noch die Tatsache unterstreichen, daß „das Prinzip der Kollektivität der Verhandlungen und der eventuellen Verhandlungsergebnisse besonders ein deutsches Anliegen" sei, müssen Sie doch wirklich einmal Roß und Reiter nennen und sagen, was das mit dem Vorstoß von Herrn Wehner ist; denn ich kann beides nicht zusammenbringen, und viele hunderttausend Leser und Hörer können das auch nicht, Herr Außenminister. Wer macht nun die Außenpolitik?
Unsere Chance besteht doch darin, daß die sowjetische Führung bereit sein könnte — ich sage: könnte —, ihre Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika, zu Westeuropa und zur Bundesrepublik Deutschland weiter zu entkrampfen. Wir alle wollen vernünftige wirtschaftliche, politi-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10281
Dr. Kohlsche, kulturelle Beziehungen zur Sowjetunion. Aber daran führt kein Weg vorbei: Grundlage unserer Politik ist und bleibt das Bündnis mit den Vereinigten Staaten, mit unseren europäischen Freunden in der NATO, in der Europäischen Gemeinschaft. Das muß deutlich werden.
Auf dieser Basis sind wir bereit, an Friedenspolitik, an Entspannung und Entkrampfung mitzuwirken. Das gilt in besonderem Maße auch für die Lösung der Nord-Süd-Probleme, für die konkreten Bemühungen im Nahen Osten, in Asien, in dem Bereich von Abrüstung und Rüstungskontrolle.Aber wer Stellvertreterkriege führen läßt, wer Waffenlieferungen als Entwicklungshilfe ausgibt, wer verlorengegangene Einflußgebiete durch neue Hegemoniebereiche ersetzen will, wer politische Drohungen und Zusammenarbeit in Einklang zu bringen sucht, wer von Entspannung spricht und fortdauernd militärisch aufrüstet, der fördert nicht die internationale Entspannung, sondern der belastet die internationale Entspannung.
Wir sind bereit — Herr Bundeskanzler, ich mache dieses Angebot erneut —, im Rahmen eines vernünftigen Dialogs zwischen Regierung und Opposition unseren Beitrag für eine wirkliche Friedens-und Entspannungspolitik zu leisten. Wann endlich werden Sie begreifen, daß es für den Regierungschef doch auch in internationalen Verhandlungen — zumal für einen Regierungschef, der mit einer so knappen Mehrheit regieren muß — ein wertvolles Pfand sein kann, diese Unterstützung zu bekommen?Wir sind bereit, hier zusammenzuarbeiten. Setzen Sie endlich ein Zeichen des guten Willens! Die Zukunft unserer Bürger und der Bundesrepublik Deutschland hängt mit davon ab.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann, nachdem ich dies jetzt erlebt habe, besser verstehen, was ich dieser Tage als Schlagzeile der Beilage einer Zeitung „Ansbach — Stadt und Land" gelesen habe. Da steht in dicken Zeilen: „Helmut Kohl gesteht fast gerührt: ,Das tut mir in diesen Tagen gut!'" Ich kann das verstehen.
Sie brauchen etwas, in dem Sie sich wohlfühlen.
Normalerweise ist ja die Beratung der Haushaltspläne, insbesondere des Haushaltsplans des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes, natürlich Kernpunkt der politischen Rechenschaft und Kritik.
Ich würde gern zu einer ganzen Reihe der Argumente und auch der Vorwürfe des Herrn Kollegen Kohl nacheinander etwas sagen. Aber ich muß zunächst einmal auf die Zeit während seiner Rede zu sprechen kommen, in der er — und ich fand, das war nicht nur unpassend, das ist sogar sehr fragwürdig, was er da gemacht hat — die Bundespräsidentenwahl in den Mittelpunkt seiner Rede gebracht hat.
Sie wissen doch auch, Herr Kohl, daß der Bundespräsident von der Bundesversammlung ohne Aussprache gewählt wird.
Deshalb haben Sie hier so etwas wie eine Aussprache vorwegnehmen wollen.
Das ist zwar eine List. Aber das entspricht nicht der Rolle des Bundespräsidenten, die zu respektieren ist, Herr Kohl.
Sie haben dabei mich unmittelbar als eine Art Urheber dargestellt.
— Ja, eben sagen Sie es. Sie brauchen ja immer solche Begriffe. Aus dem Hintergrund wird geschrieen: „Drahtzieher". Ja, das ist Ihre Art. Das ist mir klar.
Nur, sogar Herr Kohl, der ja bei gewissen Gesprächen, z. B. auch solchen Gesprächen, zu denen der Bundestagspräsident die Fraktionsvorsitzenden ab und zu — nicht oft — einlädt, mal da ist, mal wieder weg ist, weil er wichtige Gespräche an anderer Stelle hat, zurückkommt, wieder weg ist, aber immer Fetzchen auffängt und sie auch gleich verdaut — so wie er jetzt kaut —,
dieser Herr Kohl wird sich noch daran erinnern, daß der Vorsitzende der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion bei einem solchen Gespräch, dessen Termin ja leicht herauszufinden ist, eingewandt hat, die Sozialdemokratische Partei gedenke, am 30. Jahrestag und zum 30. Jahrestag des Inkrafttretens des Grundgesetzes viele Veranstaltungen zu machen, Volksversammlungen zu machen.
— Zum Tage des 30. — —
— Das kann man feststellen. Der noch hier amtierende Präsident ist ja, diskret wie er sein kann, gegangen — das werfe ich ihm nicht nach —, und ein anderer hat ihn abgelöst; das ist auch völlig in Ordnung. Nur: Sie glauben, Sie können hier eine
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Wehner
Skandaldiskussion machen. Von uns wird die nicht mit geführt,
und hier ist auch nichts gesagt.
Sie können doch z. B. bei denen, die aus Ihrer Fraktion im Ältestenrat teilnehmen, feststellen, daß am 19. Oktober 1978 in der 41. Sitzung des Ältestenrates die Frage des Termins der Wahl des Bundespräsidenten zum erstenmal zu einer förmlichen Behandlung gebracht worden ist. Da sind solche Bedenken vorgetragen worden. Genauso wie ich sie in diesem letzten Gespräch vorgebracht habe, in dem am Termin schon nichts mehr zu ändern war, was ich auch akzeptiert habe. Deswegen ist es komisch, daß Herr Kohl in seinem Bedürfnis, noch irgendwo etwas zu finden, was er einem anderen vor- oder nachwerfen kann, auf diese Idee gebracht worden ist.
— Sehr verehrter Herr Kollege Kohl, vielleicht sagen Ihnen das die, die behauptet haben, daß ich das gesagt hätte. Aber ich bin nicht bereit, auf Ihre besonders mir sehr erklärlichen Bedürfnisse nach öffentlicher Ablenkung vom eigentlichen Thema hier einzugehen.
— Ja, ja, das ist
alles verständlich, daß Sie sich — —
— Entschuldigen Sie, glauben Sie, daß durch viele Redereien etwas besser schmeckt, als es gemeint und wie es an Karatgehalt hier vorgetragen worden ist? Das geht gar nicht, meine Herren.
— Sehen Sie, das ist für Sie die Art, Bundespräsidentenrolle und Bundespräsidentenwahl zu behandeln. Sie sind mir schöne Demokraten, würde mein König gesagt haben.
— Meine Damen und Herren — —
Herr Abgeordneter Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten — —
Nein. — Es ist keine Kampagne meinerseits gegen Herrn Carstens inauguriert oder geschürt worden.
— Nein, nein.
— Das hätten Sie wohl gern gehabt, oder das möchten Sie gern behaupten und belegen können. Es wird Ihnen nicht gelingen, es sei denn, Sie fälschen irgend etwas, was ja manchen Ihrer Vielain und anderen Vosse auch nicht ganz fern liegt.
Natürlich ist das eine Geschmacklosigkeit. Bedanken Sie sich bei dem, der zu Ihrer Rechten sitzt, Herr Jenninger. Der hat dies begonnen. Nur dürfen Sie nicht glauben, daß jede solche Sache mit faulen Äpfeln einfach liegengelassen wird. Die kehren wir und schaufeln wir zurück, wenn Sie es so wünschen.
Es steht doch jetzt hier gar nicht die Frage, wer rechnerisch die Mehrheit in der Versammlung hat. Natürlich haben diejenigen Teilnehmer an der Bundesversammlung die Mehrheit, die zur CDU/CSU gerechnet werden. Das ist auch auf unserer Seite überhaupt nie in Frage gestellt worden.
Die Frage ist ja nur, wie Sie dies nun weiter spielen.Ich muß bei dieser mitreißenden Darstellung des verehrten Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag und zu den Vorwürfen, die z. B. an die Freien Demokraten gerichtet sind, daß sich hier also ein geistiger Niedergang zeige oder daß ein Pseudoplebiszit gemacht und angeführt werden solle, sagen, meine Damen und Herren: So ist das alles nicht. Der Vorwurf gegen die FDP ist Vorwurf eines Enttäuschten. Dabei ist Ihnen passiert, Herr Kohl, von der Wahlnacht 1969 zu sprechen. 1969 in der Wahlnacht — das weiß ich auch — war Herr Kiesinger fest der Meinung — er stützte sich dabei auf die sicheren Berichte des Herrn Kohl —, daß mindestens zehn Abgeordnete der FDP für Herrn Kiesinger als Bundeskanzler stimmen würden. Das ist damals so gewesen. Es schmerzt Sie, daß das damals so nicht gelungen ist. Die Parteien waren Herr ihrer eigenen Beschlüsse. So haben damals Sozialdemokraten und Freie Demokraten noch in der Wahlnacht durch ihre Vorsitzenden — das waren die Herren Brandt und Scheel — beschlossen, was ja wohl seit jener Bundespräsidentenwahl 1969 klar war.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10283
Wehner— Ja sicher, ja sicher, das war doch klar! Sie haben ja dann hinterher auch nur von den Überläufern Gebrauch gemacht und haben sie sich etwas kosten lassen. Das ist sehr einfach.
Herr Abgeordneter Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohl?
Wenn hier — —
Herr Abgeordneter Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage?Wehner: : Nein. Wenn hier von einer erbärmlichen Schnüffelei nach Vorgängen in der Jugendzeit geredet worden ist — was jetzt vielleicht durch Fragen ein wenig begrenzt werden soll —:
ich habe noch in keines Mannes Jugendzeit herumgeschnüffelt.
Das ist die Frage nicht, um die wir zu streiten haben. Wenn Sie dann sagen, die Psychose der Schnüffelei habe die Regierungsbank erreicht und dort seien welche zusammengezuckt, muß ich Ihnen sagen: Das ist zwar ganz gut ausgedacht, so aber hat es sich nicht ereignet. Daß Sie einem anderen Kandidaten Präferenz geben, als ich das tun würde — gut! Sie werden von mir nicht hören, daß ich sage: Der muß oder wird Präsident werden. Die Auseinandersetzung darum, wen die Bundesversammlung tatsächlich als Kandidaten vorgestellt bekommen wird, zwischen denen sie zu wählen hätte, werden wir sehen. Bis dahin wird noch allerlei geredet und leider auch sehr viel geschwätzt werden. Aber das ist eigentlich mehr Ihre Sache, als daß wir uns dafür zu rechtfertigen hätten, sehr verehrter Herr Kollege Kohl.Ich komme nun zurück zu der Rede, die Sie hier gehalten haben, und da vor allen Dingen zu den Vorwürfen, die Sie gegen den Bundeskanzler gerichtet haben. Ich weiß nicht — vor allen Dingen zweifelte ich daran —, ob Sie das eine und das andere gleichzeitig könnten. Sie machten Ihre Vorwürfe gegen den Bundeskanzler, z. B. auch gegen seine Rede zum Jahreswechsel und gegen seine Art, sich darzustellen, im vollen Bewußtsein dessen, welche Position dieser Bundeskanzler hat, dem Sie fortgesetzt in der Manier bestimmter Karikaturenzeichner vorhalten wollen, daß er auf den Bahamas war, daß er noch anderswo im Süden war, während hier die Leute gefroren haben.• Herr Kohl,das ist Ihre Sache. Es ist nicht sehr geschmackvoll, es so zu machen.
Ich beziehe mich lediglich darauf, daß es gut ist, und zwar nicht nur für den Bundeskanzler, sondern auch für Sie, für uns alle, daß der Bundeskanzler z. B. im Jahre 1978 der Mann war, der bei dem — wie man es ein wenig modisch nennt — Europa-Gipfel in Bremen und dann beim Gipfel der wichtigsten Industrienationen hier in Bonn war, und daß wir dann übrigens auch die ersten gewesen sind, die hier durch den Bundeskanzler vorgetragen bekommen haben, was dort bei den Gesprächen mit jenen zugesagt worden ist, von denen Sie dann sagen, sie seien auf den Bahamas gewesen, da sei es so schön. Herr Kohl, ich will Ihnen nicht unterstellen, daß das Neid ist. Allerdings: das ist nicht das Niveau. Sie wissen das ja selber auch. Es ist schade, daß Sie es dennoch benutzen.
Ich hatte gesagt: Sie tun mir leid. Das meine ich ganz aufrichtig.
Wenn Sie sich einmal die Mühe gemacht hätten oder andere, die Ihnen Entwürfe zusammenstellen, die Mühe sich hätten machen lassen, noch einmal auf die Regierungserklärung des von Ihnen hier so besonders eigenartig angegangenen Bundeskanzlers Helmut Schmidt zurückzukommen — —
— Das ist das einzige, was Sie sagen können. Sie sind ja beinahe ein Papagei. Ich will aber die Papageien hier nicht — —
— Das steht Ihnen genauso an, wie Sie aussehen.
Ich wollte Ihnen nur folgendes sagen. Der Bundeskanzler hat in der Zusammenfassung seiner Regierungserklärung folgendes gesagt:Erstens. Wir wollen weiter den Frieden sichern — durch Fortsetzung unserer bisherigen Außenpolitik, durch Fortsetzung unserer bisherigen Politik der guten Nachbarschaft und der Partnerschaft.
Zweitens. Wir wollen die Arbeitsplätze sichern und neue Arbeitsplätze schaffen — durch eine vorausschauende Wirtschaftspolitik.
— Was ist das, fragen Sie, Sie wissen ja, daß das alles kommt. Versuchen Sie nicht, alles auf einen
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10284 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
WehnerSchluck zu nehmen; sonst verschlucken selbst Sie sich, die Sie einen großen Schlund haben.
Demnächst kommt ja der Jahreswirtschaftsbericht, und es wird Ihnen die Stellungnahme der Bundesregierung zum Jahreswirtschaftbericht vorgetragen. Ich könnte Ihnen das heute auch schon sagen.
— Sie haben doch das Kunststück fertiggebracht, schon manche Ihrer Kanzler und Kanzleranwärter selbst zu verschlucken. Sie müssen einen besonderen Schlund haben.
— Ja, das ist ein tolles Bild! Herr Kohl, Sie tun mir leid.
Es heißt in der Regierungserklärung weiter:Drittens. Wir wollen den sozialen Frieden und unsere innere Sicherheit bewahren — durch sozialen Ausgleich und durch liberale Rechtsstaatlichkeit.Viertens. Wir wollen die soziale Sicherung gewährleisten — durch Festigung unseres sozialen Netzes.Fünftens. Wir wollen unser gutes Gesundheitswesen wirtschaftlicher machen — durch Sparsamkeit und strukturelle Reformen.Sechstens. Wir wollen unserer Jugend Türen öffnen und gute Chancen in Bildung und Beruf bieten.Siebtens. Wir wollen helfen, unsere Städte, Gemeinden und Landschaften lebenswert zu erhalten — durch eine Politik für eine menschliche Umwelt.
Das waren die sieben Schwerpunkte, und wir, die Fraktion der Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag, sind hier ziemlich hart und streng in die Zucht genommen worden, um dazu beizutragen, daß ein erheblicher Teil in dieser ersten Hälfte der achten Legislaturperiode tatsächlich auch schon erfüllt werden konnte.
Die Fraktion der SPD hat 1978 in der letzten Ausgabe von „Thema der Woche" — beschaffen Sie sie sich; dann können Sie etwas Entsprechendes erarbeiten, wenn auch umgekehrt in Spiegelschrift — eine Ubersicht über die Aktivitäten der Fraktion im Jahre 1978 gegeben, und zwar ganz nüchtern, mancher wird sagen: beinahe buchhalterisch.
Unter Abschnitt I steht dort:Die sozialliberale Politik der Friedenssicherung durch Vertiefung des Entspannungsprozesses und langfristige Kooperation war 1978 erfolgreich.Es wird auch darauf verwiesen, daß langfristige Vereinbarungen mit der UdSSR und der DDR getroffen wurden. Da weisen wir nach, wie wir als Bundestagsfraktion diese Politik mit den Zielen, den Prozeß der Entspannung zwischen West und Ost zu vertiefen, die aktive Rolle der Bundesrepublik Deutschland in den Vereinten Nationen zu stärken, die Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Staaten zu verbessern, die Rüstungskontrollmaßnahmen in Europa zu ermöglichen, die Integration der Europäischen Gemeinschaft voranzutreiben und den Nord-Süd-Dialog zu intensivieren, durch zahlreiche parlamentarische Initiativen, Delegations- und Informationsreisen unterstützen.
Wir haben auch erreicht — und das wird auch von Ihnen nicht bestritten werden können, wenn es auch manche gerne wollten —, daß die 1977 von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion übernommene Aufgabe, Vorschläge zur Erhaltung der Lebensfähigkeit der Stadt Berlin zu erarbeiten, 1978 weitgehend erfüllt worden ist. Hier haben wir zusammen mit CDU/CSU und mit FDP einen großen Schritt vorangemacht. Das ist in langer Arbeit durch uns vorgearbeitet worden. Wir sind dankbar dafür, daß es dann einen Konsens in wesentlichen Fragen, noch nicht in allen Fragen, gegeben hat. Da klagen die einen darüber, daß wir noch nicht genügend nachzögen; das ist umgekehrt ebenso. Aber bitte: das ist ganz natürlich.Wir haben auch nicht nur den Willen zur weiteren Normalisierung der innerdeutschen Beziehungen unterstrichen, sondern getan, was wir konnten, damit die Verhandlungen zwischen Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik zu Verkehrsfragen und zum Zahlungsverkehr schließlich auch positiv haben abgeschlossen werden können. Und so gibt es eine ganze Menge. Ich nenne etwa die Tätigkeit 'und unsere Begleitung dieser Tätigkeit in den Vereinten Nationen — ob das nun solche gefährlichen Flecke wie Namibia oder andere betrifft.Wenn Sie sich das ansehen, werden Sie sagen: Na, geflunkert haben die nicht. Ich will gar nicht aus Ihren Reihen Mitglieder gewinnen. Ich will nur, daß Sie aktiv — —
— Nein, nein, das ist sehr gefährlich. Das wissen Sie selber. Mir reicht's mit den jetzigen Mitgliedern.Machen Sie einmal etwas Entsprechendes! Sie werden sehen: Dann wäre Herr Kohl heute durch Sie besser bedient gewesen. Nun ist aber Herr Kohl sein eigener Vorsitzender und auch Fraktionsvorsitzender. Insofern ist das wieder wie mit der
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10285
WehnerSchlange, die sich in den Schwanz beißt. Aber eine Schlange hat keinen, Schwanz.
Also passen alle diese Bilder nicht darauf.
— Sicher, das ist schwierig. Ich kann Ihre Probleme verstehen. Sie müssen versuchen, sich auf Kosten anderer zu erlustigen. Aber, wissen Sie, wer zuletzt lacht, lacht am besten. Und ich rate alle meinen Kolleginnen und Kollegen, jetzt noch nicht zu lachen, sondern traurig darüber zu sein, daß hier eine Woche auf eine Art und Weise vergeudet wird, die nicht nötig wäre.
Herr Kohl, Sie werfen dem Bundeskanzler vor, daß er in seiner Neujahrsansprache z. B. manches gesagt habe, was Sie nicht nur kritisch betrachten — das ist Ihr gutes Recht —, sondern herabwürdigen. Der Bundeskanzler hat z. B. gesagt:Die Aufbauleistung unseres Volkes in den ersten drei Jahrzehnten unseres Staates darf uns schon ein wenig stolz machen.Ist das richtig, oder ist das nicht richtig? Das trifft doch alle! Das ist doch kein Sich-selbst-ansPortepee-Greifen, sondern das ist eine Bemühung, allen klarzumachen: Da ist etwas geleistet worden. Wenn er dann fortgefahren ist:Nach dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft hat sich eine sittlich-moralische Erneuerung vollzogen. Die ganz große Mehrheit unserer Landsleute ist heute unempfänglich für nationalistische Parolen. Wir halten am Gedanken der einen Nation fest, aber wir wissen auch, die Nation ist nicht das letzte Maß aller Dinge,warum müssen Sie das schelten? — Vielleicht haben Sie es nicht noch einmal angeguckt, sondern es hat Ihnen jemand Stichworte geschrieben. Das werfe ich Ihnen nicht vor; das kommt vor. Aber Sie sollten vorsichtiger sein, sonst müssen wir bald sagen: Da war einmal ein Oppositionsführer, und der ist nicht mehr.
Wir haben es mit jedem zu halten; wer nun immer als Oppositionsführer kommt, mit dem müssen wir uns auseinandersetzen. Das tun wir auch. Das haben wir schon oft erlebt.Der Bundeskanzler hat weiter gesagt:Ich weiß, daß es nicht immer leicht ist für alle jungen Menschen, Demokratie mitzutragen und mitzugestalten. Aber gerade weil wir mit dem Problem der Jugendarbeitslosigkeit, weil wir mit dem Mangel an Ausbildungsplätzen, mit dem Numerus clausus fertigwerden wollen und müssen, deshalb können wir auf die kritischeMitarbeit der jungen Bürger nicht verzichten. Wir brauchen sie für die 80er Jahre, und wir brauchen sie für die gemeinsame Zukunft.Sie aber, Herr Kohl, haben hinsichtlich der heranwachsenden Generationen ganz schwarzgemalt. Schade, daß Sie meinen, das sei ein Beitrag zu einer Arbeit, zu einem Bemühen, in das sich unterschiedliche und in manchen Fragen gegensätzliche Parteien teilen müssen — anders geht es nicht —,
aber immer zum Besten der Bundesrepublik Deutschland und ihrer grundgesetzlichen Ordnung.
Der Bundeskanzler hat in seiner Neujahrsrede zum Schluß gesagt:Zum Schluß muß ich vom Frieden reden, vom Frieden nach innen und vom Frieden nach außen. Zum inneren Frieden gehört der soziale Ausgleich, für den Regierung und Kanzler mit aller verfügbaren Kraft arbeiten. Der äußere Frieden verlangt vernunftgerichtetes Handeln in Richtung auf Gleichgewicht, in Richtung auf Entspannung, in Richtung auf Rüstungskontrolle, auf gute Nachbarschaft mit Ost und West, in Richtung auf praktische Solidarität mit jenen Völkern, denen es heute noch nicht so gut geht wie uns selbst.Weiter hat er gesagt:Ich blicke mit Vertrauen auf das neue Jahr. Ich setze mein Vertrauen in unsere gemeinsame Fähigkeit zum inneren und zum äußeren Frieden.Diese Worte, auch wenn Sie sie lieber anders gesehen und von einem anderen gesprochen gehabt hätten, verdienen doch den Respekt, daß das ernst gemeinte und nicht einfach so dahingelaberte Worte sind.Aber in einem Punkt sind Sie — entschuldigen Sie, wenn ich das so sage; ich muß mich da eines Bildes bedienen — dem gerecht geworden, was der finanzpolitische Sprecher und Koordinator der Unionsparteien mit dem Begriff umrissen hat: der Geist schwebt über Bonn. Dem müssen Sie nun gerecht werden, diesem Geist von FJS. Sehr verehrter Herr Kohl, das wird Ihnen nicht guttun.Wenn Sie glauben, dem Bundeskanzler vorwerfen zu dürfen, er ersetze Führung durch Selbstdarstellung,
so muß ich Ihnen sagen: Der Bundeskanzler respektiert Partner und ringt mit ihnen; Sie aber verweigen Partnerschaft, die ja auch verträgt, daß man Gegensätze austrägt. Ich verstehe ja unter Partnerschaft nicht das Sich-Ergeben gegenüber einer anderen Richtung oder einer anderen Kraft.
Meine Damen und Herren, dieser vorhin erwähnte Geist hat in seinem Interview mit dem „Handels, blatt" deutlich gemacht, was hier zu sagen ist und
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10286 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Wehnerwas dem Geiste entspricht. Ich will hier keine Reklame für das Blatt machen. Sie kennen das Stichwort — manche schmunzeln schon, kennen es längst —, das Herr Kohl aufgenommen hat, das man ihm mitgegeben hat, damit er darauf ja nicht verzichtet. Es ist das Wort: „Für des Kanzlers Schulden werden noch Kinder und Enkel bezahlen."
Ich gratuliere Ihnen, Herr Kohl, daß Sie ernsthaft versucht haben, Herrn Strauß zufriedenzustellen. Er selbst, Strauß, sagt, er habe in Abstimmung mit Herrn Kohl die Aufgabe übernommen, die Finanzpolitik der unionsregierten Länder untereinander und die Politik dieser Länder wiederum mit der Finanzpolitik der Bundestagsfraktion zu koordinieren. Das ist eine tolle Sache, das ist ein Übermensch, der da sitzt und zieht und alle möglichen „Vosse" und andere hat, die nun dafür sorgen, daß sein Wille auch geschehe.
Herr Kohl, Sie hätten manches Kritische gegen die Regierung sagen können. Ich hätte gesagt: Da hat er bis zu einem bestimmen Punkt recht; da ist er an eine schwache Stelle unseres bisherigen Bemühens gekommen. Das wäre eine gute Debatte gewesen. Nehmen wir einmal den Jahreswirtschaftsbericht, der hier demnächst in einer Bundestagssitzung behandelt werden wird. Ich nehme an, daß der Wirtschaftsminister es mir nicht übelnehmen wird, wenn ich da jetzt — nicht, indem ich etwas prophezeie, sondern sozusagen etwas ahne — vorgreife.Ich möchte den Punkt nur dazu benutzen, zu sagen: Sie hätten sich nichts vergeben, Herr Kollege Dr. Kohl, wenn Sie z. B. einmal gefragt und versucht hätten, nachzuvollziehen, was aus dem Investitionsprogramm „Zukunft" der Bundesregierung, das nur unter ganz intensiven, geduldigen Bemühungen mit den Länderregierungen wirklich hat in Gang gebracht werden können, geworden ist. Da werden Sie sehen: eine ganze Menge;
auch noch nicht vollständig.
— Nein, nein; hören Sie mal!
— Das Programm?
— Ja, ja! — Nun gut, wenn Sie das gelesen haben, dann verfügen Sie über das, was andere bei mir, wenn ich etwas gelesen habe, als „Herrschaftswissen" abqualifizieren.
Ich könnte mir da als Opposition, in die ich mich hineindenken kann, etwas anderes vorstellen. Siebzehn Jahre war ich in diesem Bundestag eines derMitglieder der Führung der Fraktion der Opposition, d. h. der SPD, bis sich die Dinge dann grad-und schrittweise geändert haben. Da muß ich Ihnen sagen, dies hätte ich mir nicht entgehen lassen, Herr Kohl, auf Verkehrsbereich, Forschungs- und Entwicklungsvorhaben, auf das Rhein-BodenseeProgramm, auf die Sicherung der Trinkwasserversorgung,
auf die Wassernotversorgung, auf die Verbesserung der Lebensbedingungen in Städten und Gemeinden zurückzukommen.
Sie müssen ja nicht deshalb, weil Sie sich selbst Generalist nennen, es verschmähen, einmal auf konkrete Dinge zu sprechen zu kommen.
Vielleicht darf ich Ihnen das noch einmal vorhalten. Das hat eine ähnliche Farbe. Das ist unsere letzte, unsere jüngste Nummer „Thema der Woche".
Ich meine die Argumente gegen die Unterstellungen der CDU/CSU in deren Antrag „Zukunftschancen der jungen Generation". Viele in unserer Fraktion machen sich ernsthafte Gedanken. Die sind nämlich nicht immer völlig konform; die sind häufig auch sehr kontrovers, bis wir gefunden haben, was durchführbar oder durchhaltbar ist. Insofern könnten Sie — ich bitte Sie um Entschuldigung, machen Sie es sich nicht leicht — einiges von uns lernen. Hoffentlich lernen Sie nicht zu schnell zu viel, damit Sie uns nicht wieder überrunden.
Also, lernen könnten Sie einiges, meine Herren.
— Manches, nicht vieles, manches.Ich habe kürzlich den Dank einiger mich dann interessierenden Kollegen von der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft für das bekommen, was ich bei einer Neujahrsbegegnung des Deutschen Gewerkschaftsbundes gesagt habe, an der auch sie teilgenommen hatten, ohne daß ich das wußte und es mir angezeigt war, aber das ist ja ganz verständlich. Ich war eingeladen worden, dort zu sprechen. Da habe ich an das erinnert, was die Offenburger Erklärung des Jahres 1967 aussagt, und habe ein wenig bedauert, wie wenig das jetzige Grundsatzprogramm der CDU von Ludwigshafen den damaligen Vorstellungen entspricht. Das können Sie selber nachlesen. Ich will das jetzt hier nicht vorzutragen versuchen.Dort habe ich hinterher den Dank dieser Kollegen von der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft bekommen, weil ich sie fair zitiert hätte, und auch besonders dafür, daß ich in ernster Zeit — es war unmittelbar nach dem Abschluß des Kon-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10287
Wehnerflikts in der Stahlindustrie — mich sehr berührende, sehr bewegende Sätze eines von mir sehr geachteten, geschätzten, verehrten Mannes, wenn er auch eine ganz andere weltanschauliche Fundierung hat, als ich sie habe und haben kann, erwähnte, nämlich das, was Oswald von Nell-Breuning über das Problem „Arbeitslosigkeit — Schicksal oder Schuld?" und dabei im besonderen auch zu den Jugendlichen und zu den jungen Arbeitslosen und das Verhalten ihnen gegenüber gesagt hat. Es wäre gut für Sie, das mal zu lesen. Das kann man kaufen. Ich bin ein Abonnent dieses Blattes. In diesem Falle war es der „Rheinische Merkur". Sie werden lachen, tatsächlich bin ich Abonnent,
genauso, wie ich das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt" abonniert habe. So hat man, wenn man älter wird, seine eigenen Bevorzugungen.
Herr Nell-Breuning hat am Schluß seiner hochinteressanten Ausführungen geschrieben:Bei vernünftiger Einsicht und gutem Willen aller Beteiligten und Betroffenen läßt sich die Arbeitslosigkeit auch heute noch, wenn auch nicht völlig, so doch sehr weitgehend, vermeiden. Für den einzelnen Betroffenen ist die Arbeitslosigkeit Schicksal, für die Solidargemeinschaft eines fortgeschrittenen hochzivilisierten und hochindustrialisierten Volkes ist sie nicht frei von Schuld.Wovon sie aber immer frei sein muß: von der Ausschlachtung dieser schlimmen Sache in einem parteiegoistischen Rangeln.
— Sehr verehrte Herren, 1966 haben wir gesagt, wir wollen dazu beitragen, ,daß nicht mehr Zechen geschlossen werden usw.
— Wenn Sie an 1966 erinnern, wollen wir einmal eine Debatte darüber führen, dann aber Zug um Zug und im Blick darauf, wie sich damals die Ereignisse tatsächlich abgespielt haben.Sie, Herr Korn, können nicht anders als hier wieder von dem „Rentenbetrug 1976" sprechen.
— Nein, nein, mir tut Herr Kohl leid, wenn er sich immer an solche alten Kaugummis
klebt oder sie an sich kleben läßt.
Ist denn nicht klargestellt worden, was notwendig war und wodurch die Konsolidierung der Rentenversicherungsfinanzen erforderlich war? Das war doch nicht ein Betrug;
da wurde doch einer Situation Rechnung getragen, die sich aus einer Strukturkrise mit einem weltumspannenden Wirkungsgrad ergeben hatte.
Jetzt fangen Sie an und wollen eine Diskussion über den „Rentenbetrug 1980" heraufbeschwören. Aber Sie wissen doch, Herr Kohl — und wenn Sie es im Moment nicht parat haben sollten, werden Ihnen Sachverständige das doch sagen oder notieren können; es wird allerdings nicht gerade der Herr Franke sein —, da gibt es einen Spruch des Bundesverfassungsgerichts, bis zum Jahre 1984 — d. h. dann wirksam werdend — die gleichwertige und gleichberechtigte Hinterbliebenenversorgung für Frauen und Männer — Sie können es auch umgekehrt sagen: für Männer und Frauen — zu sichern. Daran wird doch bei der Regierung gearbeitet, und zwar völlig ernsthaft gearbeitet. Da gibt es eine Kommission; die ist einberufen.
- Ja, ich bitte Sie! Ihre Leute sind doch ebenfalls darüber informiert. Warum tun Sie denn so, als werde hier ein neuer „Betrug" vorbereitet? Seien Sie doch genauso ehrlich wie wir!
— Das kommt Ihnen komisch vor, nicht?
Sagen Sie doch, daß die Dinge auf Grund dieses Verfassungsgerichtsspruchs uns alle unausweichlich nötigen, über eine ganze Reihe von Gegebenheiten nachzudenken, mit denen wir es bei der Sozialversicherung bisher haben bewenden lassen können.
Aber, meine Damen und Herren, Sie fangen hier jetzt an und kündigen einen neuen „Rentenbetrug" an. Man sollte anders miteinander umgehen und sollte die Arbeit von Kommissionen nicht zerreden, ehe überhaupt deren Ergebnisse vorliegen.Dann kommen Sie zum Konflikt zwischen den Generationen. Das ist ein ernstes Thema, eines der ernstesten Themen. Nur, was ich da vom Bundeskanzler zitiert habe, zeugt doch davon, daß er und die, die ihn schätzen, die Dinge ernst nehmen — und dazu gehören wir —, diejenigen, die ihn mit den Stimmen tragen, die wir haben, was manchmal sehr mühselig ist, nicht weil er mühselig ist, sondern weil unsere Mehrheit knapp bemessen ist. Das ist eben so, und das ist doch kein Grund, darüber zu höhnen, genauso wie Sie, Herr Kohl, nicht sehr viel weiterkommen, wenn Sie alle paar Tage jemanden erklären, was ich jetzt wieder in einer Ansbacher Zeitung gelesen habe, daß Ihnen damals nämlich ganze 300 000 Stimmen gefehlt hätten, sonst hätten
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WehnerSie die absolute Mehrheit gehabt; na gut, so ist das im Leben, wissen Sie.
Es gibt schon andere Vorgänger, die Leidtragende waren.Dann kommen Sie zum Stahlkonflikt. Ich will hier nur noch ein einziges Mal sagen, Herr Kohl, wie geschmacklos ich es finde, daß Sie da dem Bundeskanzler vorwerfen, daß er erstens bei einer Beratung zum schwierigen Nord-Süd-Thema — ich brauche wohl nicht zu erläutern, was das heißt; alle sind ja große Experten — und zweitens bei jener Zusammenkunft der vier Leute in der Karibik, die zwar keine förmliche Körperschaft bilden, bei denen es ja wohl aber interessant war, daß der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland einer von diesen vier Teilnehmern war.
Wenn Sie es einmal werden wollen oder sollen, Herr Kohl, wird sich mancher daran erinnern, wie Sie über Ihren Vorgänger oder Vorvorgänger — inzwischen kommen vielleicht erst noch andere, und Sie sind dann auch schon älter und gereifter, wenn Sie einmal Bundeskanzler sein werden, falls Ihnen das beschieden sein sollte — damals geredet haben, weil er mit dem amerikanischen Präsidenten und mit dem französischen Staatspräsidenten und mit den ... usw. usw. zusammen, während es hier so kalt war, auf einer Insel in der Karibik war. Meine Herren, Herr Kohl, das ist einige Nummern zu klein und zu dürftig. -
Ich sage das deswegen, weil Sie da nicht die Façon bewiesen haben, und deswegen tut es mir weh.Dann fangen Sie an, über den Iran, über Afghanistan und ähnliche Dinge zu reden. Vielleicht haben Sie heute morgen die ersten Rundfunknachrichten gehört. Wenn Sie sie nicht gehört haben, wird Ihnen jemand etwas notiert haben; es gibt da ja kundige Leute. Wenn man genau auf dem Damm sein will, muß man, soweit und sooft man kann, Rundfunknachrichten hören. Ich meine die Botschaft des amerikanischen Präsidenten. Lesen Sie sie! Lesen Sie wenigstens das, was schon bis jetzt unter die deutschen Leser gekommen ist! Dann werden Sie Ihr Urteil über den Bundeskanzler, mit dem Sie und wir es hier zu tun haben, zwar nicht revidieren, aber Sie werden sich, wenn Sie das gelesen haben werden, doch ein wenig behutsamer ausdrücken angesichts dessen, was in der Welt vor sich geht, wo wir nicht nur gebraucht, sondern dank des Bundeskanzlers und seines Kabinetts auch als brauchbar, als leistungsfähig angesehen werden.
Ich bedaure auch das, was Sie hier bezüglich des europäischen Währungssystems vorgetragen haben. Daß es ganz schwierig ist, die weitere Entwicklung der Römischen Verträge und der auf diesen Verträgen basierenden Einrichtungen mit Frankreich kontinuierlich weiterzutreiben, wissen hier manche. Ich gucke dabei niemand an. Aber auf Grund dessen nun umgekehrt einen Versuch zu machen, hier innenpolitisch um sich zu schlagen, dient niemandem, verehrter Herr Kohl. Sie müssen immerhin wissen, daß ein Mann wie der Bundeskanzler und ein Mann wie der, der bisher überhaupt der einzige unter den Regierungschefs und Präsidenten ist, der mit einer Auszeichnung zum Ehrenbürger Europas ernannt worden ist, Jean Monnet, Freunde sind. Auch ich bin es. Aber ich will mich dessen nicht rühmen, aber — fragen Sie Herrn Barzel und andere — da ist doch etwas geschehen. Aber wenn jemand hinterher aus Eitelkeit oder weil er da noch nicht dabei war, weil er andere Aufgaben hatte — das ist doch gar nicht zu schmähen —, das Ganze sozusagen ein wenig bekleckert, dann ist das nicht gut. Wir haben eine schwierige Rolle zu spielen.Die Sache mit dem Grenzausgleich ist nicht von Pappe. Wenn Sie glauben, bei der Gelegenheit mal wieder etwas in der FDP herumstochern zu können, dann tun Sie mir leid, der Sie sich kurz vorher noch mit Herrn Bangemann angelegt haben, was ich mir mit einer gewissen Genugtuung angehört habe. Aber das sind Leute, die sich gegenseitig den Rang streitig machen wollen. Aber bei Herrn. Ertl ist das doch ganz anders; da brauchen Sie doch nicht so anzulegen. Nein, wir müssen aufpassen, daß wir in den europäischen Fragen die winzigen Bewegungen nach vorwärts und auch nach oben weder verträumen noch versäumen, und wir müssen aufpassen, daß man sich dabei nicht übernimmt.Wenn Sie uns hier vorwerfen, Herr Kollege Kohl, daß wir, dort in unseren Vorwahlkampfergüssen, die wir bisher herausgegeben haben, angeblich nur gegen die Konservativen polemisieren, so hätten Sie sich das beschaffen lassen können, um es genau zu zitieren. Es steht hier so:Die Verleumdung der Sozialdemokratie durch die CDU/CSU mit dem Slogan „Freiheit statt Sozialismus" verketzert Andersdenkende und richtet sich gegen den politischen Pluralismus in Europa.Das ist doch wohl wahr; das ist gegen unsere Auffassung.
Der nächste Satz lautet:Dieser Slogan und die hinter ihm stehende Politik zerstören die Grundlagen für eine in Europa erforderliche Zusammenarbeit verschiedener politischer Kräfte. Diese Politik spaltet Europa statt zu seiner Einigung beizutragen und ist in ihrer praktischen Wirkung trotz gegenteiliger Beteuerungen im Kern antieuropäisch.
Es ist schwerfällig ausgedrückt, aber von denen ehrlich gemeint, die das verfaßt haben.Wenn dann der Satz folgt „Im Streit um die Mehrheit im Europäischen Parlament sind die konservativen Parteien Hauptgegner für die Sozialdemokraten", so müssen Sie das im Zusammenhang mit dem lesen, was soeben beklagt worden ist.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10289
WehnerEs folgen die Sätze:Dabei verkennen wir nicht, daß es in Europa in einer Reihe christ-demokratischer Parteien, die sich auch Traditionen der christlichen Arbeiterbewegung verpflichtet fühlen, freiheitliche und soziale Tendenzen gibt. Wir fordern diese Parteien im Interesse Europas auf, sich von der Konfrontationsstrategie — wie sie insbesondere von der CSU und der überwiegenden Mehrheit der CDU betrieben wird — zu distanzieren.Das ist völlig legitim.
Das ist die gegenseitige Einschätzung. Wenn einer einen anderen gegen das Schienbein getreten hat, dann sagt derjenige, der getreten worden ist: Hört mal, ihr habt mit dem mehr als wir zu tun — abgesehen davon, daß er uns eine Beule getreten hat —, redet einmal mit ihm darüber, ob man so miteinander umgehen kann! Das sollte nicht zu einem Lamento benutzt werden.Ganz schlecht liegen Sie, Herr Kohl — ich nehme an, Sie verstehen das richtig; Sie liegen nie, Sie stehen —, ganz schlecht stehen Sie da, wenn Sie sagen: Diese SPD — Sie beziehen das auf ihren Europa-Parteitag in Köln — hätte eine Abgrenzungspolitik gegenüber Kurt Schumacher und Reuter betrieben. Seien Sie einmal so nett! Ich hatte allerdings nicht die Ehre, daß das Blatt „Vorwärts" meine Rede veröffentlichte. Das gibt es bei uns, es gibt eine Vielfalt von Meinungen. Aber diejenigen, die es gehört haben, und auch diejenigen, die das unkorrigierte Protokoll gelesen haben, werden dort das finden, was Schumacher, nachdem er nicht mehr KZ-Gequälter war, über unsere Stellung zu Europa und darüber gesagt hat, was wir in Europa wollen und was wir nicht als Europa ausgegeben sehen wollen. Das ist alles klar, aber das beachten Sie nicht. Sie wollen immer schon vorgelutschte „Bonsches" haben, Herr Kohl. Das schmeckt aber nicht.
Ich will hier nicht einstimmen; ich stehe nicht auf dieser Liste. Sonst würden Sie sagen: Aha! Sie sagen, die SPD-Liste, die in Köln beschlossen worden sei, sei mit so vielen extrem Linken wie nie vorher besetzt gewesen. Darüber kann ich nur lächeln.
— Sie sind ganz linkisch, da haben Sie recht.
Aber das steht einem Mann Ihres Körpermaßes nicht so schlecht an; Sie haben noch eine Chance, das zu verbessern.
Ich bitte Sie herzlich, vergeuden Sie diese Chance nicht! Sie sind ganz dicht an der Grenze, und plötzlich sieht man Sie nicht mehr. Dann sind Sie hinuntergerutscht.
Was da über die Grundsätze gesagt worden ist, die das Kabinett in der Frage des öffentlichen Dienstes, des Zutritts zum öffentlichen Dienst und der Verfassungstreue beschlossen hat, werden wir beim entsprechenden Einzelplan aufbringen und deutlich machen. Ich wollte Ihnen nur sagen, Sie hätten, wenn Sie sich die Mühe machen wollten, einmal die nichtkorrigierten Protokolle ,des Kölner Parteitages beschaffen zu lassen — ich bin auch gern bereit, sie Ihnen schicken zu lassen — gesehen, daß es eine offenherzige Aussprache miteinander gewesen ist, am Schluß gab es übereinstimmende Entscheidungen.
— Davon verstehen doch Sie nichts. Wenn ich mit Herrn Kohl polemisiere, so weiß ich, das ist immerhin einer, der von vielen Dingen vieles versteht, und ich habe auch Mitleid mit ihm. Aber Sie, Sie sind doch aufgezogen.
Wenn ich das nicht falsch verstanden habe, Herr Kohl, haben Sie am Ende gesagt, ,daß der Chefredakteur der „Neuen Zürcher Zeitung" — ich nehme an, das ist Herr Luxinger, oder habe ich mich geirrt?
behauptet habe, daß der Bundeskanzler fast ein Sprachrohr Breschnews sei. Ich bin Abonnent. Das geht mir so wie dem alten Herrn, Ihrem besonderen Vorbild: Wenn man eine ausländische Zeitung lesen muß, mindestens eine, so liest man am besten die, die in einer Sprache ist, die man ganz leicht versteht, und das ist die „Neue Zürcher Zeitung". Ich bin seit vielen Jahren Abonnent und zahle selbst. Ich kenne Luxinger. Kenne die Leute alle, habe mit ihnen auch schon Gespräche geführt, nicht, weil ich mich darauf berufe, Abonnent zu sein,
sondern weil sie interessiert sind an meinen Auffassungen — ich will sie ihnen ja auch nicht aufzwingen —, auch an meinem Werdegang, der ja auch ein seltsamer Werdegang ist. Die sind anders als Sie. Sie sagen: „Aha!" „Aha", was ist das?
Nun haben Sie am Schluß noch etwas entdeckt, wovon ich gedacht habe: Vielleicht hält er sich nicht für konkurrenzfähig mit seinem Wehr- und Verteidigungsexperten und sagt deshalb nichts. Nein, Sie mußten diesen Splitter auch noch loswerden, vorgreifend auf die Debatte, die wir hier zur Großen Anfrage sowohl der Koalitionsfraktionen SPD und FDP als auch der CDU/CSU, die ja keine Koalition, sondern ein Blöckchen ist, haben werden. Da muß ich Ihnen sagen: Diese Debatte möchte ich haben, sobald es geht. Deswegen habe ich mich ein wenig in der Ausdrucksweise meiner ehemaligen Heimat geäußert: Ich möchte etwas Dampf machen, daß die Debatte zustande kommt. Ich habe dabei auch gemeint, daß es gut wäre, wenn man dabei versuchte, aufeinander zuzugehen. Bei Ihnen hat dann jemand
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Wehnerentdeckt, wo man mir gleich einen anhängen kann. Dazu werden wir uns noch in zusammenhängender Form äußern. Der Mann hat falsch geguckt. Weil er den Namen Wehner sah, hat er nicht gemerkt, daß der sich gegen den Herrn Wörner hinsichtlich dessen gewandt hat, was der in Santa Barbara gesagt und vorher hier hinterlassen hat, sondern gemeint, das habe der Wehner gegen den Schmidt gesagt.Ich will Ihnen einmal eines sagen: Ich habe erstens absolutes Vertrauen in den Sachverstand des Mannes, der Bundeskanzler ist, Helmut Schmidt, und immer war und bleiben wird.
Ich bin zweitens überzeugt, daß er auf Grund dieses Sachverstandes in militärischen, Rüstungs- und Kriegsfragen ganz genau weiß, was ein Mann mit so viel Sachverstand im Kopf und auch so viel Gefühl im Herzen tun muß, tun kann, tun darf, damit es nicht zu einem neuen Aderlaß kommt: also Rüstungsbegrenzung, also Rüstungskontrolle, also Rüstungsabbau, also Abrüstung. Da gibt es keinen in diesem Hause, der sachverständiger ist als Helmut Schmidt.
Meine eigene Überzeugung ist die: Es gibt das, was Entspannung genannt wird, und es gibt das, was mit dem Begriff Abrüstung zu nennen wert ist, nur, wenn man tut, was in den eigenen Kräften steht, um Beiträge zur Friedenssicherung zu leisten. Zur Friedenssicherung gehört auch die eigene Verteidigungsfähigkeit, die für uns eigene Verteidigungsfähigkeit im Bündnis bedeutet; denn weder haben wir eine atombewaffnete Bundeswehr noch wollen wir alle — ich höre das gelegentlich auch aus Ihrer Richtung; in diesem Punkte haben wir eine Übereinstimmung — Atomwaffen der Bundeswehr haben. Wir werden sehen. Die Debatte wird kommen, und Sie werden Ihr blaues Wunder erleben. Das ist von Ihnen falsch, sagen wir einmal: spekuliert worden, genauso wir Ihr Herr Kohl — er tut mir deswegen leid —
heute falsch aufgezogen worden ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr. verehrten Damen und Herren! Als Sie, Herr Kollege Kohl, zu Beginn Ihrer Ausführungen davon sprachen, wir brauchten eine Regierung, die politische Entscheidungen treffe, und dabei den Zustand — wie Sie meinten, sagen zu müssen — der Koalitionsfraktionen beklagten, konnte ich nicht umhin, mir aufzuschreiben: Näpfchen eigens mitgebracht, um selbst hineinzutreten.
Herr Kollege Kohl, Sie hielten es für richtig, von der Entscheidung zu sprechen, die wir im Dezember 1978 zu fällen hatten. Das war eine schwere Entscheidung. Es ist so gewesen, daß ich als Fraktionsvorsitzender und meine Kollegen im Kabinett erklärt haben: Wenn eine Entscheidung in einer bestimmten Richtung fällt, werden wir daraus die Konsequenzen ziehen. Bei Ihnen scheint das, wenn ich die letzten Wochen mir noch einmal vor Augen halte, doch genau umgekehrt zu sein. Das ist dochein entscheidender Unterschied.
Herr Kollege Kohl hat, wie ich schon anführte, beklagt, daß keine Entscheidungen fielen. Das hat er auch zu Beginn der Legislaturperiode gesagt. Wie so oft bei solchen Dingen, kann man sich von vornherein auf das einstellen, was kommt. Deshalb habe ich mir erlaubt, mitzubringen, was ich im Dezember 1976 als Antwort auf Ihre Rede zur Regierungserklärung zu Beginn meiner Rede gesagt habe. Ich mache das selten. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren, was ich damals gesagt habe:Herr Kollege Kohl hat hier zu Beginn davon gesprochen, daß es die schwächste Regierung sei. Herr Kollege Kohl, gleiche Töne haben wir bereits 1969 gehört. Es frappiert allerdings etwas, daß Sie sich unmittelbar nach der Kanzlerwahl über das knappe, wie Sie sagen, Ergebnis alterieren, nachdem Sie im Wahlkampf gesagt haben: Ich regiere mit einer Stimme, notfalls mit der Minderheit.Was für eine Logik ist darin?Aber die zweite interessante Bemerkung, die ich damals gemacht habe, lautete — —
— Damals haben Sie sich aber nicht dagegen gewandt. Zwei Jahre später fällt Ihnen nun ein, daß es nicht gestimmt hat. Gut, ich nehme das zur Kenntnis.Das zweite, was ich damals sagte, war:Wir stehen da sicherlich im Gegensatz zur Opposition, die sich derzeit so ausgiebig wie noch nie um vordergründige Harmonisierung bemüht, genauer: um das Ausklammern ihrer klaftertiefen Widersprüche und um die Kaschierung ihrer fundamentalen Risse, die in ihr enthalten sind.Dann bin ich fortgefahren:Sie sprachen davon, daß Sie Alternativen bei praktischen Entscheidungen vorlegen wollen. Das wäre ein großer Schritt vorwärts, Herr Kollege Kohl. Ob Sie dies nach den Ereignissen der letzten Monate besser können als früher, wird sich erst erweisen müssen. Die getroffenen Vereinbarungen zwischen CDU und CSU lassen eher erwarten, daß das Gegenteil eintritt.Die Mitte der Legislaturperiode ist gekommen, und wir können feststellen: Das, was im Dezember 1976 Gültigkeit hatte, hat heute noch genauso Gül-
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Mischnicktigkeit. Sie sind mit sich selber beschäftigt, und deshalb gibt es keine leistungsfähige Opposition in diesem Haus.
Herr Kollege Kohl hat wieder davon gesprochen — und ich will mich in erster Linie mit dem auseinandersetzen, was er hier gesagt hat —, die Koalitionsfraktionen würden um jeden Preis alles tun, um an der Macht zu bleiben. Er hat dann auch im Zusammenhang mit der Bundespräsidentenwahl — zu der ich noch einiges sagen werde — wieder davon gesprochen, daß die Mehrheiten, wie sie zustande gekommen sind — so 1969 —, Wählerbetrug und Mißachtung des Wählerwillens seien.•Herr Kollege Kohl, haben Sie noch immer nicht eingesehen, daß Sie genau mit dieser Masche von Landtagswahl zu Landtagswahl im Jahr 1978 weniger Stimmen bekommen und Ihre Ziele eben nicht erreicht haben, weil die Wähler sehr genau unterscheiden, ob eine politische Partei wie die Freien Demokraten vor einer Wahl eine klare Aussage zu einer Koalition macht und sich daran hält und diesen Wählerwillen dann auch durchführt und nicht auf Ihre Schallmeiengesänge hereinfällt, das Gegenteil von dem zu tun, was sie vor der Wahl verkündet hat?
Deshalb kann ich gar nicht verstehen, warum Sie hier in der Debatte, als Sie die Bundespräsidentenwahl einführten, eine solche Auseinandersetzung über Mehrheit, Bundesversammlung usf. heraufbeschworen haben.
— Keine Sorge; ich komme ja noch drauf.Herr Kollege Kohl, Sie beklagen oft den Stil der politischen Auseinandersetzung. Zu Recht! Aber ich wäre Ihnen doch dankbar, wenn Sie sich selber einmal fragten, ob es nicht ein besserer Stil gewesen wäre, den Herrn Bundestagspräsidenten vor Ihrer Rede darauf aufmerksam zu machen, worüber Sie hier sprechen wollen, damit er sich nicht genötigt gesehen hätte, sich ablösen zu lassen.
Ich habe diese Ablösung zur Kenntnis genommen und sehr begrüßt. Dies sollten Sie sich einmal überlegen, denn dies war peinlich.Nun zur Sache. Herr Kollege Kohl, Sie regen sich darüber auf, daß die Frage der Bundespräsidentenwahl bei den Landtagswahlen ein Rolle gespielt hat.
Sie haben so getan, als sei dieses Thema hier leichtfertig aus den Reihen der Koalitionsparteien eingeführt worden. Wie war denn die Entwicklung wirklich? Lassen Sie sich doch einmal die Zeitungsausschnitte vom Beginn des Jahres 1978 kommen. War da nicht oft zu lesen: Aus den Reihen der Unionsparteien — der CDU und der CSU — wurde deutlich, wenn' die. Freien Demokraten beispielsweise bei der Hessenwahl ein Zeichen gäben, dann könneman auch bei der Bundespräsidentenwahl 1979 über vieles reden. Wollen Sie denn das alles nicht mehr wahrhaben, daß Sie die Bundespräsidentenwahl mit dem Hinweis „Macht eine andere Koalition; dann sieht das anders aus!" in die politische Auseinandersetzung eingeführt haben? Das wollen Sie heute nicht mehr wahrhaben.
Und wenn Sie immer wieder — das ist Ihr gutes Recht — auf die Mehrheit — —
— Lassen Sie sich doch die Zeitungsausschnitte kommen!
-- Lassen Sie sich doch die Zeitungsausschnitte kommen! Da können Sie das alles nachlesen.
Wenn Sie mit Recht darauf hinweisen, daß Sie rechnerisch in der Bundesversammlung eine Mehrheit haben, dann müssen Sie natürlich auch bereit sein, dem Wähler, der Öffentlichkeit deutlich zu machen, daß diese Mehrheit sich zusammensetzt aus den Bundestagsabgeordneten — da haben Sie die Minderheit — und aus den von den Landtagen gewählten Mitgliedern — da haben Sie die Mehrheit. Daraus ist doch ganz logisch zu schlußfolgern: Wenn Sie diese Mehrheit in den Vordergrund stellen, dann haben die anderen das Recht, bei Wahlen, wo diese Mehrheiten hergestellt wer-, den, auch darauf hinzuweisen, daß diese Wahl mit eine Bedeutung für die Bundesversammlung hat. Dies ist doch die logische Konsequenz.
Herr Abgeordneter Mischnick, gestatten Sie eine Zwischenfrage — —
Das hat gar nichts mit der Abwertung des Amtes des Bundespräsidenten zu tun.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön, Herr Abgeordneter Kohl.
Herr Kollege Mischnick, Ihre eben gemachten Ausführungen — ich wäre gegebenenfalls für eine Richtigstellung dankbar — müssen so verstanden werden — so haben sie auch die Zuschauer und Zuhörer sicher verstanden —, daß Sie die Behauptung aufstellten, daß aus dem Kreise der CDU/CSU jemand das Angebot gemacht habe, je nach dem Koalitionsverhalten — ich sage es jetzt mit meinen Worten — der FDP in Hessen werde die Frage des Bundespräsidenten entschieden. Darf ich Sie bitten, dem Hause bekanntzugeben, wer das gesagt hat und wo das gesagt worden sein soll?
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10292 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Ich werde Ihnen zeigen, Herr Kohl — das werden wir aus den Zeitungsausschnitten heraussuchen —, was im Jahre 1978 im Frühjahr laufend als Berichte, als Kommentare, als Meinungsbilder darüber gekommen ist, und zwar mit dem Hinweis: auch in der Vergangenheit habe sich gezeigt, daß Bundespräsidentenwahlen auch eine politische Bedeutung gehabt haben. Genauso ist es in der Zeit vorher gelaufen. Dies werde ich Ihnen gern zustellen, damit Sie das nachlesen können. Das können Sie doch gar nicht bestreiten, daß das ein Diskussionsthema schon im Frühjahr • 1978 gewesen ist.
Herr Abgeordneter Mischnick, gestatten Sie noch eine Zusatzfrage?
Herr Kollege Mischnick, Sie werden mir zugeben, daß das keine Antwort auf meine Frage war. Sie können doch nicht eine derartige Behauptung aufstellen, ohne Roß und Reiter zu nennen. Sie können nicht auf Zeitungsberichte reflektieren.
Sie haben eine Frage nach etwas gestellt, was ich gar nicht behauptet habe. Ich habe nicht behauptet, es sei ein Koalitionsangebot mit dieser Voraussetzung gewesen, sondern ich habe klipp und klar gesagt — lesen Sie das bitte nach —, daß in diesem Frühjahr überall in Berichten, Artikeln und Kommentaren diese Meinungen geäußert worden sind. Darauf ist die Reaktion gekommen. Nichts anderes habe ich hier gesagt.
Denn ich werde natürlich im Gegensatz zu manchen aus Ihren Reihen, Herr Kollege Kohl, auch diejenigen, die persönlich solche Bemerkungen gemacht haben, niemals bloßstellen. Ich denke nicht daran, so etwas zu tun.
Nun aber noch ein Wort zu dieser Auseinandersetzung. Wenn hier über die Frage des' Zeitpunktes gesprochen worden ist, dann hat es doch damit zu tun: Wenn man die Mehrheit in der Bundesversammlung so betont, dann ist es legitim, danach zu fragen, wieweit Landtagswahlen, die stattgefunden haben oder noch stattfinden, auf die Zusammensetzung einer solchen Mehrheit einen Einfluß haben oder nicht haben können. Daß diese Fragen mit diskutiert worden sind, auch bei den Gesprächen beim Herrn Bundestagspräsidenten, können Sie doch nicht leugnen.Es ist absolut richtig, daß im Juni des vergangenen Jahres erstmalig die Frage des Termins behandelt wurde, daß dann — wie Herr Kollege Wehner zitiert hat — im Oktober im Ältestenrat erneut darüber gesprochen worden ist, daß dann noch einmal beim Herrn Präsidenten darüber gesprochen worden ist, wo ich ähnliche Gesichtspunkte wie Herr Kollege Wehner vorgetragen habe, und der Herr Präsident hat gesagt: „Ich will es mir noch einmal überlegen und dann entscheiden". Dann ist erbei dem Termin geblieben, den er ursprünglich vorgehabt hat. Es ist also nicht so, daß Überlegungen anderer Art zu keinem Zeitpunkt dargelegt worden wären.Herr Kollege Kohl hat die Frage an uns gerichtet, ob wir denn jetzt das Plebiszit einführen wollten, die Volkswahl. Ich sage in aller Offenheit und aller Deutlichkeit, Herr Kollege Kohl: ich sehe keinen Anlaß, von dem abzugehen, was bisher praktiziert worden ist.
Ich schließe nicht aus, daß im Zuge der Verfassungsdiskussion, die wir immer wieder haben — und wir haben eine Enquete zur Verfassung gehabt —, diese Frage erneut unter diesen und jenen Gesichtspunkten geprüft wird. Ich persönlich halte die Lösung, die wir heute haben, für richtig. Ich füge allerdings hinzu, daß es, wenn ein Bundespräsident nach allgemeiner Meinung seine Amtsgeschäfte hervorragend geführt hat, eine Wiederwahl möglich erscheint, legitim ist, zu sagen: Wir sind der Meinung, er soll eine zweite Amtszeit anschließen.
Wenn Sie sagen: Wir wollen unsere Mehrheit gebrauchen — es ist Ihr legitimes Recht, das so zu tun. Das spricht Ihnen niemand ab. Nur, wenn Sie immer so von dem Wählerbetrug reden, wenn die Mehrheit nicht so ist, wie Sie sie gern haben möchten, sondern anders ist, dann sollten Sie nicht gleichzeitig mit einer Handbewegung es abtun, wenn wir sagen: „Aber die Wählermeinung ist auf unserer Seite." Das merkt man dann natürlich draußen auch. Das müssen Sie dann mit sich ausmachen. Es wird sich bei Ihnen zeigen, ob Ihr Verhalten sinnvoll ist oder nicht.
Herr Kollege Kohl, Sie haben in Ihren Ausführungen ein paar Bemerkungen zu Fragen wie Arbeitslosigkeit, Wirtschaftspolitik, Tarifstreit usf. gemacht. Lassen Sie mich hier nur ein paar kurze Bemerkungen dazu machen.Es ist eigentlich frappierend und auf der anderen Seite meist Systematik und Methode, daß Sie sagen, wir seien beim Problem Arbeitslosigkeit nicht vorangekommen, es gebe große Zufriedenheit, wenn man einmal unter einer Million ist — was überhaupt nicht stimmt; das hat kein Mensch gesagt —, gleichzeitig aber der Mann, der für Sie, für die' Fraktion der CDU/CSU, als wirtschaftspolitischer Sprecher auftritt, wörtlich sagt: „Die Arbeitslosigkeit hat ihre singuläre Bedeutung als Bedrohung verloren." Das ist doch der Punkt. Auf der einen Seite stellen Sie hier alles so dar, als sei nichts geschehen, als sei die Koalition nicht bereit, die Probleme nicht nur zu erkennen, sondern dagegen etwas zu tun; auf der anderen Seite müssen wir feststellen, daß der Mann, der eigentlich der Hauptsprecher in diesen Fragen für Sie sein soll, eine ganz andere Meinung vertritt. Wollen Sie doppelgleisig fahren, oder weiß hier der eine nicht, was der andere meint? Gut, versuchen Sie, das mit sich selbst auszumachen.Sie haben ähnliches von der Rentenversicherung hier gesagt, Sie wollten endlich Klarheit haben, wie
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Mischnickdie Entwicklung ist. Demgegenüber sagt der Kollege Biedenkopf: Die Rentenfinanzierung stabilisiert sich." Sehen Sie, das ist doch die Methode: Der eine malt schwarz, um damit Stimmung zu machen, und der andere zeigt, wie die Dinge sind, um bei denen, die sehr nüchtern, sehr abgewogen reagieren, den Eindruck zu erwecken, eigentlich sei diese Opposition doch in der Betrachtung recht abgewogen — in der Hoffnung, daß beide nicht hören, was der andere gesagt hat.Dann haben Sie hier darauf hingewiesen, man müsse gerade bei der Rentenversicherung dafür sorgen, Herr Kollege Kohl, daß nicht die folgende Generation die Hauptlasten zu tragen habe, daß die jungen Menschen von heute nicht morgen, wenn sie einmal alt sind, plötzlich die Gefahren einer schlechten Altersversorgung vor sich sehen. Wo waren denn eigentlich Ihre Kollegen, Herr Kollege Kohl, als wir Freien Demokraten immer wieder darauf hinwiesen — schon in der Koalition mit Ihnen, während der Zeit der Großen Koalition und jetzt wieder, daß die Frage der Finanzierung, der Stabilität der Rentenversicherung eben nicht nur eine Frage der Rentenbezüge ist, sondern auch eine Frage der Beitragszahler und eines Generationenvertrages, den ich nicht nur von heute, sondern von morgen und übermorgen sehen muß?
Daraus müssen Sie auch die Konsequenzen ziehen und nicht von sozialer Demontage sprechen, wenn wir hier versuchen, langfristige Lösungen zu finden. Das ist wieder ein typisches Beispiel dafür, wo angeklagt wird und wo in den eigenen Reihen mit völlig unterschiedlicher Zielrichtung diskutiert wird.
Herr Abgeordneter Mischnick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Aber bitte, Herr Kollege Franke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Mischnick, wie können Sie denn Ihre Zustimmung hier im Bundestag zur Wiedereinführung der bruttolohnbezogenen dynamischen Rente damit vereinbaren, daß der sozialpolitische Sprecher der FDP-Fraktion diese Ihre Zustimmung für nach 1980 außer Kraft setzen will?
Lieber Herr Kollege Franke, da ich weiß, daß Sie in den Dingen sehr gut Bescheid wissen, da ich natürlich auch weiß, daß Sie die Dinge sehr genau lesen, betrübt es mich, daß Sie dann in dieser verfälschenden Weise den Kollegen Schmidt zitieren. Das hat er nämlich nicht gesagt, was Sie hier behaupten.
Er hat etwas ganz anderes gesagt. Er hat gesagt: Wir werden nach 1980 zu entscheiden haben unter Berücksichtigung der Kommission, die im Augenblick, besetzt aus allen politischen Richtungen, prüft, wie weit das Verfassungsgerichtsurteil zur gleichen Hinterbliebenenversorgung für Mann und Frau für 1984 verwirkt wird, ob in diesem Zusammenhang
die Frage der Bruttolohnbezogenheit in der bisherigen Weise erhalten bleiben kann oder nicht. Das wird dann entschieden. Daß man darüber diskutiert, scheint mir aber ein Punkt zu sein, der nicht aus der Welt ist. Er hat damit nicht die Beschlüsse in Frage gestellt, die wir getroffen haben, sondern er hat nur deutlich gemacht — und das wollen Sie doch —: Wenn man in die Zukunft hinein Überlegungen anstellt, darf man nicht heute sagen, dies könne und dürfe nicht sein, sondern muß bereit sein, über diese Fragen generell zu diskutieren. Dazu sind wir bereit. Ob Sie dazu bereit sind, wird sich erweisen.
Herr Mischnick, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Wenn es sein muß, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Mischnick, ist Ihnen aus der Erinnerung entfallen, daß bei den Thesen zur langfristigen Sicherung der Sozialpolitik, die von der FDP herausgegeben worden sind, die bruttolohnbezogene Rente ebenfalls in Frage gestellt worden ist und sozusagen der Nettolohnbezug als ihr eigenes Credo künftig anerkannt wird?
Lieber Herr Kollege Franke, das ist mir natürlich nicht entfallen, im Gegenteil, ich habe ja an diesen Dingen nicht nur jetzt, sondern auch früher mitgewirkt. Aber auch hier versuchen Sie wieder den Trick, eine Konzeption, die wir, die Sozialpolitiker, für richtig halten, die jetzt in unserer Partei zur Diskussion gestellt wird, die in diesem Jahr in der Partei diskutiert wird, die dann — sei es in diesem Jahr, sei es im nächsten Jahr — verabschiedet wird und Leitlinie für die Jahre nach 1980 sein soll, in die aktuelle Auseinandersetzung einzubeziehen. So etwas kann man nur tun, wenn man nicht bereit ist, langfristig zu denken, sondern nur bereit ist, von Debatte zu Debatte zu denken — und das tun Sie leider. Dies ist bedauerlich.
Herr Kollege Franke hat mich auf die Idee gebracht, hier kurz noch einen anderen Punkt einzuführen. Herr Kollege Kohl hat beklagt, daß während der Streiksituation Meinungsäußerungen betreffend die 35-Stunden-Woche usf. gekommen sind. Ich bin auch der Meinung: Die 35-Stunden-Woche — —
— Ich bin. ja noch gar nicht fertig. — Was die 35-Stunden-Woche angeht, so bin ich genau anderer Meinung bezüglich dessen, was von der SPD für den europäischen Wahlkampf — nun kommt das nämlich, was Sie schon wieder nicht schnell genug bekommen konnten — beschlossen worden ist. Mein Kollege Bangemann wird dazu ausführlich Stellung nehmen. Eines verwundert mich allerdings: Wenn
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10294 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Mischnickman hier auf der einen Seite diese Kritik übt, der Kollege Franke aber auf der anderen Seite meint, der Bundeskanzler müsse in die Tarifautonomie mit eigenen Entscheidungen eingreifen, und wir gleichzeitig hören, daß die Tarifpartner mit Recht darum bemüht sind, eine gemeinsame Lösung zu finden, so hätten Sie den Klagen darüber, welche Schwierigkeiten in diesem Bereich bestanden, doch wenigstens hinzufügen können, was beispielsweise Kollege Lambsdorff gestern schon gesagt hat, nämlich daß der Tarifabschluß, den wir jetzt in Hessen bekommen haben und der auf weite Bereiche übernommen wird, ein erfreuliches Zeichen dafür ist, wie gut Tarifpartner in dieser Bundesrepublik Deutschland mit schwierigen Fragen fertig werden. Beides hätte man dann wenigstens tun sollen, um gerecht zu sein.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Bitte, Herr Kollege Wehner.
Sehr verehrter Herr Kollege Mischnick, haben Sie heute morgen nicht auch das Gefühl gehabt, daß Herr Kohl offenbar nicht gut über die Abschlüsse in dieser Nacht und von gestern informiert war, die deutlich machten, daß seine Erklärungen, jetzt sei es aus mit dem wirklichen Kampf der Tarifpartner, überholt waren? Ich hatte dieses Gefühl. Mir hat Herr Kohl auch schon leid getan, als ich das im Radio hörte.
Herr Kollege Wehner, ich hatte diesen Eindruck. Es kann natürlich auch so sein: Da es nun einmal zum Konzept gehörte, mußte es noch untergebracht werden in der Hoffnung, daß es andere vielleicht nicht gemerkt haben. Das war aber ein Irrtum; wir hatten es gemerkt.
Herr Kollege Kohl, wenn Sie die von mir erwähnten Sachbereiche zusammensehen, kann man doch nur wiederum feststellen, daß der Kollege Biedenkopf eben recht hatte, wenn er sagt, die Bevölkerung selbst sei zufrieden. Das ist doch auch der Grund dafür, weshalb in allen Umfragen und Untersuchungen immer wieder deutlich wird, daß das Vertrauen zu dieser Bundesregierung, das Vertrauen zu diesem Bundeskanzler, das Vertrauen zu diesem Vizekanzler eben sehr viel größer ist als das Vertrauen zu manchen anderen. Daß das Regierungsamt einen Bonus mit sich bringt, haben wir Freien Demokraten bei vielen Wahlen — ob es nun Bundestags- oder Landtagswahlen waren — des öfteren leidvoll erfahren müssen. Das wird auch so bleiben. Es hat aber keinen Zweck, daß Sie sich immer wieder darüber beklagen. Es gibt nur eine Antwort, nämlich es wirklich besser zu machen und nur nicht immer anzukündigen, daß man es will, und dann, wenn esum die Entscheidung geht, keine Entscheidungen vorlegen zu können.
Herr Kollege Kohl hat davon gesprochen, daß man bei der Frage der Vergangenheitsbewältigung nicht in der Jugendzeit herumschnüffeln solle. Ich teile diese Meinung. Ich habe mich von dieser Stelle schon mehrfach darüber beklagt, wie hier wechselseitig versucht wird, einander madig zu machen. Hier sind wir in der Sache völlig einer Meinung.
Ich wäre aber doch dankbar, Herr Kollege Kohl, wenn Sie die Frage des Herumschnüffelns in der Jugendzeit nicht nur als Problem ansähen, das die Zeit vor, während und nach Weimar betrifft, sondern auch die heutige Zeit miteinbezögen.
— Ich bin gespannt, ob Sie mir noch zustimmen werden, wenn ich das, was jetzt kommt, gesagt haben werde. Ich fürchte, dann werden wir wieder unterschiedlicher Meinung sein.Sie haben doch ebenfalls festgestellt, daß es für die jungen Menschen Probleme gebe. Es gibt Wählerschichten, die die eine Partei mehr, die andere weniger wählten. Das ändere sich von Wahl zu Wahl. Sie haben festgestellt, daß das bei den Jungwählern der Fall sei. Sie haben deshalb hier Anträge eingebracht, um Ihr Defizit abzubauen, Sie haben davon gesprochen, man müsse zu Zivilcourage, zu Offenheit, zu Widerspruch, Mut zur Kritik finden. Darüber sind wir uns völlig einig. Nur wenn es dann an die Umsetzung geht, wird es kritisch.Zur gleichen Zeit, wo Sie dies alles verlangen und für notwendig halten und wo wir uns über diese Grundsätze einig sind, versuchen Sie die Koalition zu verteufeln, wenn wir praktische Konsequenzen aus solchen Absichtserklärungen ziehen.
— Sie sagen, es seien die falschen. Ich bin durchaus bereit, darüber zu diskutieren. Wir werden das ausführlich Anfang Februar tun. Aber nachdem der Kollege Kohl das hier eingeführt hat, muß ich doch ein paar Sätze dazu sagen.Sie halten eben an dem längst gescheiterten sogenannten Radikalenerlaß fest.
Sie halten ihn so hoch, als sei mit einem Abrücken von ihm einer Ihrer vielfältigen Grundwerte in Gefahr. Das ist doch gar nicht der Fall. Es ist doch so, daß dieser Beschluß von 1972 mit dazu beigetragen hat, daß Zivilcourage und Offenheit nicht gefördert worden sind. Ich zitiere dazu zwei Stimmen aus der evangelischen Kirche.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10295
MischnickIm November 1975 hat der Ausschuß der EKD-Synode für Kirche, Gesellschaft und Staat in einem Bericht unterstrichen, daß „übermäßige Sicherungsmaßnahmen die Freiheit ersticken". Dieser Ausschuß hat wörtlich hinzugefügt:Für eine Demokratie ist laues Mitläufertum ebenso gefährlich wie Extremismus.Das ist der Ausgangspunkt für unsere Überlegungen.Vor einem halben Jahr hat die EKD-Kammer für öffentliche Verantwortung im Auftrage des Rates der Evangelischen Kirche eine umfassende Bestandsaufnahme und Analyse zum Schutz von Freiheitsrechten bei der Einstellung und Bewerbung für den öffentlichen Dienst veröffentlicht. Da heißt es u. a. — da ich weiß, daß Sie, Herr Kollege von Weizsäcker, sprechen werden, bin ich gespannt, ob Sie dem zustimmen oder ob es da unterschiedliche Meinungen gibt; möglicherweise stimmen Sie zu; aber der Berliner Wahlkampf kann natürlich dazu führen, daß die Äußerungen etwas anders sein werden —:
Die gegenwärtige Überprüfungspraxis hat die Atmosphäre der Angst, die unter Teilen der jungen Generation sich ausgebreitet hat, wenn nicht verursacht, so doch verstärkt.So die Evangelische Kirche. Und weiter:Es ist mit besonderem Nachdruck zu fordern, daß bei denjenigen Überprüfungen, die um der Funktionsfähigkeit des demokratischen Rechtsstaats willen unerläßlich sind, ein Höchstmaß an Rechtssicherheit, an Klarheit der Beurteilungskriterien und an Durchsichtigkeit des Verfahrens gewährleistet ist.Soweit die Kammer. Kein Zweifel, meine Damen und Herren, genau das ist doch das, was das Kabinett mit den Richtlinien für die künftige Handhabung beschlossen hat, dabei das, was das Verfassungsgericht bezüglich .der vorgegebenen Grenzen gesagt hat, voll beachtend.Es ist gut, daß die Bundesregierung mit dieser ausufernden Überprüfungspraxis Schluß machen will. Wir 'wissen, daß in Einzelfragen natürlich immer wieder Probleme auftreten werden, daß man nicht alles bis ins letzte Detail regeln kann. Aber die Möglichkeiten, nicht nur rechtsstaatlich zu verfahren, sondern — wie Sie wörtlich gesagt haben — unnötige Jugendschnüffelei. damit zu beseitigen, wer- den mit diesem Beschluß geschaffen. Nun können Sie doch nicht sagen, das sei eine einseitige Aufgabe von Gemeinsamkeiten. Wollen Sie damit sagen, daß Ihre Kollegen an der Saar, die diese Regelanfrage schon seit längerer Zeit nicht praktizieren oder nie praktiziert haben, daß der Herr Oberbürgermeister Rommel, der gesagt hat, er mache das in seinem Bereich nicht, plötzlich in Richtung Verfassungswidrigkeit gedrückt werden sollen?
Das kann doch wohl Ihre eigene Absicht nicht sein.Ich unterstreiche noch einmal: Für die Freien Demokraten geht es darum: Wer den Kernbestand unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung bekämpft, gehört nicht in den öffentlichen Dienst. Und: Die vom Kabinett beschlossenen Richtlinien werden diesem Schutzbedürfnis nach unserer Überzeugung gerecht. Das ist unser Standpunkt in Kurzfassung.
Lassen Sie mich nun noch ein paar andere Fragen ansprechen, von denen Sie, Herr ,Kollege Kohl, gemeint haben, daß man sie hier einführen müsse. Sie sprachen vom europäischen Wahlkampf. Natürlich wird dieser europäische Wahlkampf eine sehr wichtige Sache für uns alle sein. Wir werden uns in diesem europäischen Wahlkampf mit allen politischen Kräften auseinandersetzen — das ist ganz selbstverständlich — und unsere politischen Gesichtspunkte darlegen.In diesem Zusammenhang haben Sie gemeint, wir würden das doch nur verbal tun, in Wahrheit aber dies alles mittragen. Da scheinen Sie wieder nicht aufmerksam genug etwas nachgelesen zu haben, oder man hat es Ihnen nicht vorgelegt. Ich habe sehr wohl im Ohr behalten, daß der Kollege Wehner am Schluß des Kölner SPD-Parteitags sehr deutlich gesagt hat, was in der Bundesrepublik Deutschland, was in der Koalition möglich und was nicht möglich ist. Er hat recht darin, daß viele Forderungen, die die SPD aufgestellt hat, mit uns nicht verwirklicht werden. Dies weiß die SPD. Umgekehrt wissen wir, daß es manche Forderung gibt, die wir für richtig halten, die aber mit der SPD nicht verwirklicht werden kann, weil wir eben nicht das sind, was Sie immer so behaupten, nämlich Blockparteien, sondern weil wir uns als selbständige Parteien bemühen, die Gemeinsamkeiten zu finden, die im Interesse der Bundesrepublik Deutschland notwendig sind, um für die Bürger dieses Landes auf möglichst breiter Basis eine Politik zu treiben, die nicht nur akzeptiert wird, sondern die zu immer mehr Zufriedenheit mit dieser Politik führt.
Es ist davon gesprochen worden, wir würden uns für solche Dinge blind und taub stellen. Ganz und gar nicht, Herr Kollege Kohl! Natürlich gibt es manche Auseinandersetzung, aber es hat sich dabei immer eines gezeigt. Ich gebe zu, daß ich mich hier wiederhole, weil ich das früher schon manchmal gesagt habe, aber es scheint mir wieder wichtig zu sein, dies deutlich zu machen. Es gibt zwar in manchen Sachfragen sehr harte, sehr langwierige Diskussionen, manchmal — füge ich hinzu — fast, selbstquälerisch, weil wir eben bereit sind, die Probleme bis ins letzte auszudiskutieren, aber eines hat am Ende dann immer festgestanden: Wenn man den gemeinsamen Weg gefunden hat, sind wir ihn auch gemeinsam gegangen; da gab es kein gegenseitiges Über-den-Löffel-Balbieren. Wenn ich so sehe, wie es selbst in der Fraktionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU manchmal zugeht, muß ich sagen, daß eben die .Kollegen, die in dieser Hinsicht in der Koalition mit der Union einiges miterlebt haben,
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10296 Deutscher Bundestag -- 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Mischnickimmer noch das Gefühl haben, daß es bei Ihnen noch in der gleichen Weise zugeht.
— Ja, ja, natürlich, genau. Daß Sie das jetzt erst merken! Was meinen Sie wohl, warum ich von „selbstquälerisch" gesprochen habe? Ich hätte nicht gedacht, daß es so lange dauert, bis es bei Ihnen schnackelt, Herr Franke.
Das hat mich etwas überrascht; denn Sie sind doch sonst etwas fixer im Denken.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß noch zu einem allgemeinen Punkt ein paar Sätze sagen — ich habe es vorhin schon kurz angedeutet —, nämlich zum Stil der politischen Auseinandersetzung. Hat es denn wirklich einen Sinn, wenn Debatten des Deutschen Bundestages oft mehr und mehr zu einem einzigen Hauen und Stechen ausufern, bei dem man manchmal den Eindruck hat, daß es nur um die Verwundung des politisch Andersdenkenden und weniger um die Suche nach dem bestmöglichen Ergebnis geht? Natürlich reagiere auch ich manchmal hart. Nur, eins können Sie mir nicht vorwerfen. Ich glaube, Sie finden in den 21 Jahren nichts davon, daß ich in meinen Auseinandersetzungen persönlich wehtue oder wehtun will. Das habe ich nie getan und werde ich nicht tun; darum geht es mir.Machen wir uns doch nichts vor: der von Jahr zu Jahr unerbittlicher gewordene Streit färbt doch zweifellos auf das gesamte gesellschaftspolitische Klima ab, fördert die Unduldsamkeit über die Auseinandersetzung zwischen uns hinaus und führt zu einer überzogenen Gegnerschaft auch in anderen Gruppen und Bereichen. Natürlich bedeutet Politik, Gegensätze herauszustellen, herauszustreichen und sie durchzustehen. Aber, was wir immer häufiger erleben, ist doch nicht der Streit um die Klärung eines Problems — das wäre gut —, sondern die polemische Überspitzung bis zur Verunglimpfung des politischen Gegners. Dies sollten wir im gemeinsamen Interesse sein lassen, um das nicht immer mehr auf das Gesamtklima abfärben zu lassen. Das Beispiel Extremistenerlaß habe ich ja schon ange-geführt.
Meine Damen und Herren, nehmen wir das nicht zu leicht! Denn solche Beispiele machen sehr leicht Schule und lassen dann die Gegnerschaft bis hin zur Erniedrigung des anderen als praktikables Mittel des täglichen Lebens erscheinen. Dies dürfen wir nicht wollen. Am Ende bekommen das nämlich die Schwächeren und Schwächsten in unserer Gesellschaft zu spüren, und wir bemühen uns ja gemeinsam, uns gerade für sie einzusetzen. Wir Freien Demokraten werden weiterhin bemüht sein, nach diesen Maximen politisch zu diskutieren.Ich möchte Sie bitten, im gleichen Sinne — das ist das, was ich aufgreifen will — die Gemeinsamkeit in den Grundwerten nicht aufzugeben, aber bei dem Ringen um diese Gemeinsamkeit niemals zu vergessen, daß der. politische Gegner genauso wie man selbst ein Bürger dieser Bundesrepublik Deutschland ist, der um den besten Weg ringt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Althammer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Mischnick hat soeben mit einem bewegenden Appell an die Fairneß geendet, die allen Demokraten guttäte. Herr Kollege Mischnick, es wäre großartig gewesen, wenn Sie diesen Appell in der Kampagne gegen den Bundestagspräsidenten Karl Carstens in der Öffentlichkeit erhoben hätten.
Da hätten Sie einen Beitrag zu dieser Fairneß in der Politik leisten können.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mischnick? — Bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Althammer, ist Ihnen entgangen, erstens, daß ich mich nie an solchen Kampagnen beteiligt habe, und zweitens, daß ich in der Öffentlichkeit mehrfach — nicht nur in diesem Fall, sondern auch in anderen Fällen — darum gebeten habe, dies sein zu lassen?
Herr Kollege Mischnick, wenn Sie sich nicht beteiligt haben, dann genügt das leider nicht.
Und wenn Sie sich dazu geäußert haben, dann wollte ich nur wünschen, daß dieser. Appell auch an diejenigen Ihrer Koalitionspartner gerichtet gewesen wäre, die diese Kampagne vom Zaun gebrochen haben.
Damit, Herr Kollege Wehner, komme ich zu dem, was Sie so heftig beklagt haben: daß das Amt des Bundespräsidenten in die Diskussion in der Öffentlichkeit gebracht worden sei. Herr Kollege Wehner, ich habe die ganz schlichte Frage: Wer hat denn überhaupt die Frage der Wahl eines Bundespräsidenten in die Öffentlichkeit gebracht? Man wird diese Frage doch so beantworten müssen, daß wir, wenn dies von Ihrer Seite nicht geschehen wäre, in der deutschen Öffentlichkeit überhaupt keine Diskussion über diese Frage gehabt hätten.
Herr Kollege Wehner, zu diesem Beitrag zur Fairneß in der Politik würde ich es auch rechnen, wenn
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10297
Dr. AlthammerSie nicht so beiläufig davon sprächen, daß bezahlte Überläufer in den 70er Jahren die Landschaft bevölkert hätten; denn das ist ja an Ihre Seite eine unangenehme Frage. Es ist doch nur von einem festgestellt worden, daß auf seinem Konto 50 000 DM eingegangen waren, und es ist leider nicht zu klären gewesen, wer denn nun diesen Betrag an ihn überwiesen hat. Das war aber der einzige Punkt, der in diesem Untersuchungsausschuß offengeblieben ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schäfer? — Bitte schön.
Herr Kollege Althammer, ist Ihnen, wenn Sie schon darüber sprechen, bekannt, daß derjenige, der behauptet hat, das Geld von einem SPD-Abgeordneten bekommen zu haben, wegen dieser Aussage rechtskräftig verurteilt wurde?
Ja, Herr Kollege Schäfer, und eben darum habe ich gesagt: Dieser zweite Punkt konnte nicht bewiesen werden.
Aber ich meine, Ihre Seite wäre gut beraten, wenn sie von sich aus auf diese Dinge, die damals gelaufen sind, nicht zurückkäme.
Lassen Sie mich eine weitere Anmerkung zu dem machen, was Herrn Kollegen Wehner offenbar auch sehr hart getroffen hat, nämlich zu diesem Bild von dem auf den Bahamas urlaubenden Bundeskanzler. Herr Kollege Wehner, niemand hat etwas dagegen, wenn ein schwer arbeitender Bundeskanzler Urlaub macht, und ich finde es auch ganz gut, wenn sich die Staatsoberhäupter der westlichen Welt einen schönen Ort für ihre Konferenz aussuchen. Es geht aber um folgendes: Wenn in der Bundesrepublik Deutschland der größte Arbeitskampf in der Stahlbranche seit 50 Jahren ausgebrochen ist
und wenn hier die Dinge auf einen Punkt zutreiben, an dem nun wirklich die politische Leitung gefragt ist, wäre es nach Auffassung der CDU/CSU geboten gewesen, daß der Herr Bundeskanzler seinen Urlaub auf den Bahamas abgebrochen hätte, um in dieser Situation in der Bundesrepublik Deutschland präsent zu sein.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wehner?
Bitte schön.
Wollten Sie denn, sehr verehrter Herr Kollege, Zeitungsüberschriften wie „Bundeskanzler sagt Besuch in Guadeloupe wegen Stahlkonflikt ab"?
Sicher, aber der Punkt ist doch der, daß er eben nicht rechtzeitig in der Sache reagiert hat. Darum sind Sie ja in diesem Punkte so empfindlich gewesen.
Aus der deutschen Öffentlichkeit ist das Bild nicht mehr herauszubringen, daß die Dinge ihren Weg genommen haben und der Bundeskanzler eben nicht hier präsent war.
— Das können Sie, Herr Kollege Wehner, auch durch noch so viele Zwischenfragen nicht aus dem Bewußtsein der deutschen Öffentlichkeit bringen.
Noch eine Anmerkung: Herr Kollege Wehner, Sie haben auf der einen Seite gefordert, die Opposition solle Sachprobleme aufzeigen. Auf der anderen Seite haben Sie sofort wieder davon gesprochen, die CDU/CSU würde die Jugendarbeitslosigkeit ausschlachten; das war Ihr Punkt. Ja, Herr Kollege Wehner, was soll denn die CDU/CSU Besseres und anderes tun als hier im Deutschen Bundestag eine Große Anfrage einbringen, um gemeinsam mit Ihnen nach dem besten Weg zur Bewältigung dieser Probleme zu suchen? Wenn Sie hier von „ausschlachten". reden, halte ich das für deplaciert.
Lassen Sie mich . den nächsten Punkt ansprechen. Zu dem Hinweis meines Kollegen Kohl, im Europa-Programm der SPD seien die Konservativen — so nennen Sie offenbar uns — als Ihre Hauptgegner bezeichnet, haben Sie lange Passagen vorgelesen. Leider haben Sie eine ganz entscheidende Passage nicht vorgelesen. Im letzten Absatz des Schlußabschnitts Ihres Programms ist nämlich davon die Rede, die Konservativen - sagen wir also einmal: die CDU/CSU; denn wir sind ja damit gemeint — seien der Hauptgegner, die Kommunisten aber seien ein Gegner unter anderen.
— Herr Kollege Ehmke, ich komme auf den Eurokommunismus noch zu sprechen; ich habe mir da einige Dinge notiert, die Sie betreffen.Diese Gewichtung — Hauptgegner, Gegner unter anderen — ist das, was wir so empörend finden und was in der Tat die Gefahr heraufbeschwört, daß hier das Tischtuch zwischen Demokraten zerschnitten wird.
Nun, Herr Kollege Wehner, haben Sie versucht, die Andeutung einer Halbzeitbilanz zu machen. Ich
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10298 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Dr. Althammermuß sagen, es war eigentlich recht merkwürdig, was Sie da mit Ihrem Blatt alles der deutschen Öffentlichkeit verkündet haben, beim besseren Wasser im Bodensee angefangen usw.
Es ist natürlich ohne weiteres möglich, eine sehr viel andere Halbzeitbilanz aufzumachen. Da wäre z. B. die Auseinandersetzung über die Jugendhilfe zu nennen, wo von Ihrer Seite versucht worden ist — und nur in letzter Stunde im Bundesrat abgeblockt werden konnte —, die freien Träger völlig zu entmachten und diesen wichtigen Bereich in staatliche Funktionen zu übernehmen.In der Familienpolitik haben Sie es fertiggebracht, beim Kindergeld den gesamten Bereich der nichtberufstätigen Ehefrauen und Mütter, die zu Hause den Haushalt führen, ganz schlicht und einfach aus dieser Förderung herauszunehmen.
300 000 Hausfrauen in der Bundesrepublik Deutschland werden hier schlechter gestellt als die Kolleginnen, die berufstätig sein können und deshalb ohnehin in einer besseren Einkommenssituation sind.Oder nehmen wir den anderen Komplex, den auch Herr Kollege Mischnick noch einmal aufgegriffen hat: das Problem der Rentenpolitik. Herr Kollege Wehner, ich kann es Ihnen nachempfinden, daß Sie es nicht gern hören, wenn vom Rentenbetrug des Jahres 1976 gesprochen worden ist. Aber ich darf Sie daran erinnern, was vor der Wahl auf unsere bohrenden Fragen, wie es eigentlich mit der Finanzierung der Renten stehe, von Ihrer Seite geantwortet worden ist. Der Herr Bundeskanzler hat dazu erklärt, dies sei für ihn kein Problem, sondern nur ein Problemchen. Der damalige Arbeitsminister Walter Arendt hat seinen guten Namen zur Verfügung gestellt und gesagt: Ich garantiere für die Sicherheit dieser Renten. Aber er mußte nach der Wahl die Konsequenzen ziehen und zurücktreten. Daß man hier von einem Betrugsmanöver an einem großen Teil unserer Bevölkerung spricht, braucht Sie nicht zu wundern. Das ist eine Sache, die nicht nur die Rentner angeht, sondern alle in Arbeit Befindlichen werden sich die Frage stellen, ob sie die Renten für die sie Beiträge zahlen, künftig noch als gesichert ansehen sollen oder ob wieder solche Manipulationen erfolgen werden.
Das wären einige der Punkte, die unsere Seite zu dieser Halbzeitbilanz nachzutragen hätte.Herr Kollege Wehner, es war sehr interessant, Ihre heftige Reaktion zu erleben, als von den bevorstehenden Abrüstungsbemühungen die Rede war. Ich glaube, mit allgemeinen Erklärungen werden wir uns da nicht zufriedengeben können. Wir werden Sie sehr gezielt fragen müssen, wie Sie es z. B. mit einem modernen Abwehrsystem wie der Neutronenwaffe halten, ob Ihre Äußerungen so zu verstehen sind, daß ohne jegliche Gegenleistung auch weiterhin auf ein solches modernes Abwehrsystem verzichtet werden soll und ob Sie sich hier in Übereinstimmung mit dem Herrn Bundeskanzler befinden. Das sind Probleme, die uns in diesem Zusammenhang interessieren.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die erste Hälfte dieses Jahres 1979 steht ganz sicher vorwiegend im Zeichen der Europapolitik. Es ist gut so, daß die Europapolitik diesen Stellenwert bekommen hat. Darum interessiert uns natürlich auch, wie sich die SPD in ihrer Programmaussage zu der Europapolitik einstellt.Wir haben verzeichnet, daß es der Parteigruppierung, der man über viele Jahrzehnte nachgesagt hat, sie habe einen unvergleichlich hohen internationalen Organisationsgrad, nämlich den Sozialisten und Sozialdemokraten Europas, nicht gelungen ist, ein gemeinsames Programm vorzulegen. Ich darf Ihnen sagen, daß wir darüber keine Schadenfreude empfinden. Es hätte uns viel besser gefallen, wenn die englische Labour Party bereit gewesen wäre, Ihre Intention aufzunehmen, daß die Befugnisse des Europäischen Parlaments ausgebaut werden müssen. Aber nachdem es Ihnen schon nicht möglich war, ein ähnliches gemeinsames europäisches Programm aufzustellen, wie es die Europäische Volkspartei, d. h. die europäischen Christdemokraten, zustande gebracht hat, hätten Sie natürlich mehr Möglichkeiten gehabt, durch ein nationales Europaprogramm Ihre Schwerpunkte zu setzen. Sie haben ein solches nationales Europaprogramm ausgearbeitet. Aber, Herr Kollege Wehner, nachdem Sie heute uns gegenüber mehrfach betont haben, welche Zeitungen Sie alle abonnieren und lesen, werden Sie sich sicher an das Presseecho in allen verschiedenen Zeitungsorganen erinnern, wo einhellig festgestellt worden ist: Mit diesem Europaprogramm tritt die SPD den Rückschritt an, wie Helmut Kohl gesagt hat: mit festem Schritt zurück ins 19. Jahrhundert.
Das ist natürlich ein sehr schwerwiegender Vorgang.In diesem Zusammenhang ist es nur ein merkwürdiger Punkt, daß die 35-Stunden-Woche als eine der zentralen Sachaussagen festgehalten ist und der Herr Bundeskanzler in einem „Spiegel"-Interview wenig später schlicht und ergreifend erklärt, man werde die 35-Stunden-Woche weder 1975 noch 1985 erreichen. Das ist, glaube ich, allen wirtschaftlich klar Denkenden bewußt. Ich frage mich nur, weshalb der Herr Bundeskanzler diese Erkenntnis nicht mit in die Debatte über Ihr Programm eingebracht hat; denn dann hätte die SPD einen Punkt in diesem Programm schon einmal vermieden.Langfristig ist es aber noch sehr viel bedeutsamer, daß in diesem nationalen deutschen Programm der SPD für Europa jetzt plötzlich all die Programmpunkte auftauchen, die man gelegentlich hörte und von denen man sich dann wieder distanziert. Da ist die Rede von Investitionskontrolle, es werden Kontrollapparaturen für die Investitionen verlangt, da ist die Rede von Wirtschaftslenkung, und da ist von der Kontrolle großer Unternehmen die Rede. In dem Zusammenhang war ganz interessant, was
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10299
Dr. AlthammerHerr Kollege Roth gestern abend vorgetragen hat; denn er hat fein unterschieden zwischen kleinen und mittleren Unternehmen, bei denen er die Konkurrenzsituation noch für gegeben ansieht, und den machtverflochtenen Großunternehmen.
Ich glaube, die deutsche Öffentlichkeit merkt hier genau, wo die Nachtigall „trapst".
Man will zuerst an die Großen heran, weil man genau weiß, daß sich die Kleinen dann einer Zwangswirtschaft, einer Kontrolle und einer Wirtschaftslenkung ebenfalls nicht werden entziehen können.
Dies werden zentrale Punkte der Auseinandersetzung in Europa sein; denn für uns kommt es nicht nur darauf an, daß dieses Europa so schnell wie möglich geschaffen wird, wir wollen auch wissen, wie dieses .Europa inhaltlich aussieht, und wir wollen kein Europa, in dem man sozialistische Strategien und sozialistische Rezepte, die man hier in der Bundesrepubilk nicht durchsetzen kann, auf dem Weg über Europa schließlich auch für uns in der Bundesrepublik durchsetzt.
Lassen Sie mich in dem Zusammenhang noch eine Sorge zum Ausdruck bringen. Der Kollege Biedenkopf ist gestern in seiner Rede kurz auf diesen Komplex eingegangen. Es geht um die Situation, in die sich die Einheitsgewerkschaft bringt, wenn sie sich programmatisch und personell in dieser Weise mit diesem einseitigen Parteiprogramm der SPD identifiziert. Da geht es nicht nur darum, daß die Arbeitnehmer einen Anspruch darauf haben, daß hier peinlich auseinandergehalten wird, was Parteipolitik und legitime Vertretung von Gewerkschaftsinteresse ist, sondern es gibt auch noch einen anderen Punkt, der diese verantwortlichen Gewerkschaftsspitzenfunktionäre sehr ernsthaft zu der Prüfung der Frage veranlassen sollte, ob sie, wenn sie sich schon parteipolitisch für Europa engagieren, nicht ihre Spitzenfunktionen im DGB zur Verfügung stellen sollten.
Es geht hier nämlich um die Sorge, was sich in gewissen Randbereichen der Gewerkschaft an jungem Nachwuchs bemerkbar macht. Kostproben davon haben wir bei dem Stahlstreik erhalten, und auch dem Herrn Bundeskanzler ist dieses Problem nicht ganz entgangen. Er hat nämlich in seinem „Spiegel"-Interview im Januar auch zu dieser Frage Stellung genommen. Der Spiegel hat ihn gefragt:Bei den Gewerkschaften ist eine neue Generation angetreten, die den Arbeitskampf wieder schärfer ideologisch führt. Wir nennen den Namen Detlef Hensche von der IG Druck, Franz Steinkühler von der IG Metall.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Hier spielt die geschichtliche Erfahrung eine Rolle. Die jüngeren Leute haben ja— ich bitte die Frau Präsidentin um Entschuldigung, wenn jetzt ein vielleicht unparlamentarischer Ausdruck kommt, aber den hat der Herr Bundeskanzler gebraucht —die ganze Scheiße nicht miterlebt, weder die des Krieges, der Nazi-Diktatur noch vorher den Zusammenbruch aller Hoffnungen in der Weimarer Demokratie, noch haben sie von Wilhelm II. mehr mitbekommen, als bestenfalls in einem unzureichenden Geschichtsunterricht dargeboten wurde.Weiter der „Spiegel":Könnten Sie bei diesen noch ein Interesse an der Lösung von Problemen in sozialer Harmonie sehen? Stecken dahinter nicht andere Antriebskräfte?Es folgt die Antwort des Bundeskanzlers: Es mag so sein.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn der Herr Bundeskanzler dieses Problem erkennt, dann sollte er sich auch dazu äußern. Bei seinen guten Beziehungen zu den Gewerkschaften, deren er sich immer wieder rühmt, sollte er seinen Einfluß dahin geltend machen, daß diese Dinge ins Lot kommen.
Ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, wie bei der Europadiskussion gewichtet wird. Es wird bei der SPD unterschieden zwischen Hauptgegner und Gegner. Der Gegner, von dem die SPD auch spricht, ist der sogenannte Eurokommunismus. Hier hat nun der Mann in der SPD, der offensichtlich für diesen Bereich zuständig ist, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Ehmke, eine ganze Reihe von bemerkenswerten Ausführungen gemacht. Herr Ehmke hat ein Vorwort für ein Taschenbuch von Herrn Heinz Timmermann über den Komplex Eurokommunismus geschrieben. Ich darf mit Erlaubnis der Frau Präsidentin einige Sätze aus diesem Vorwort zitieren. Herr Ehmke erklärt dort:Die von beiden Parteien— gemeint sind die spanischen und die italienischen Eurokommunisten —betriebene Wende nach Europa weckt offenbar in Moskau die Befürchtung, dies könnte längerfristig zu einer Überwindung der historischen Spaltung der Arbeiterbewegung in Westeuropa und zum Aufbau einer demokratisch-sozialistischen Gemeinschaft führen.
So, Herr Ehmke.
Nun die Frage: Wie bewertet man diese Taktik? Auch dazu, ob sich die Eurokommunisten erst einmal von Moskau trennen müssen, sagt Herr Ehmke ganz klar:Im Gegensatz zu den Konservativen — damit sind wieder wir gemeint —trete ich aber nicht dafür ein, den Eurokommunisten das Zeugnis einer demokratischen
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10300 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Dr. AlthammerGlaubwürdigkeit so lange zu verweigern, bis sie mit Moskau gebrochen haben. Ein solcher Bruch wäre den Konservativen in Moskau selbst vielleicht gar nicht so unwillkommen.Er will also nicht zuwarten, bis dieser Bruch eingetreten ist.Er sagt dann weiter in diesem Vorwort: Natürlich werden wir dort— im Europaparlament —keine Fraktionsgemeinschaft mit den Kommunisten bilden. Wir würden aber nicht zulassen, bestimmte politische Gruppen von vornherein zu isolieren und de facto vom Aufbau eines demokratischen und sozialen Europas auszuschließen.
Noch etwas deutlicher sagt es Herr Ehmke in einem Interview mit der italienischen Zeitung „Ii Mondo" im Oktober 1978 — ich darf noch einmal Herrn Ehmke zitieren —:Wenn es zwischen den Sozialisten und Kommunisten bezüglich der konkreten Probleme die gleiche Haltung geben wird, wird die sozialistische Fraktion die Konvergenz sicherlich nicht ablehnen.
Dabei ist interessant, daß der Ausdruck „Konvergenz" im übrigen von der SPD für die Zusammenarbeit der sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien untereinander gewählt wird.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir solche Stimmen hören — und das ist wohl immerhin der verantwortliche Beauftragte der SPD für diese Fragen —, dann stellt sich für uns in der Tat die Frage: Wohin soll die Reise der SPD in diesem Europa gehen?Nob
Ich empfehle Herrn Ehmke, auch nachzulesen, was Herr Berlinguer bei seinem Besuch in Moskau im November 1978 in einem gemeinsamen Kommuniqué mit Breschnew zur Frage des Eurokommunismus betont hat. Es heißt in diesem gemeinsamen Kommuniqué:Die Führer der KPdSU und der KPI haben besonders herausgestrichen, daß die Arbeiterbewegungen der Länder Westeuropas durch die Zusammenarbeit zwischen Kommunisten, Sozialisten, Sozialdemokraten und allen demokratischen und friedlichen Kräften einen besonderen eigenen Beitrag zur Verstärkung der Entspannungsprozesse und der Zusammenarbeit unter den Staaten der verschiedenen Gesellschaftssysteme sowie für die Demokratisierung der internationalen Beziehungen leisten können.Wer das sowjetische Parteichinesisch etwas lesen kann, der weiß, was damit gesagt ist.Meine sehr verehrten Damen und Herren, all den Leuten, die in Versuchung stehen, solche Konvergenzarbeit mit den Eurokommunisten anzustreben, muß man dringend empfehlen, wieder einmal nachzulesen, wie nach 1945 die Entwicklung in Osteuropa war.
Sie sollten insbesondere auf diejenigen alten Sozialdemokraten hören, die in dem anderen Teil Deutschlands den Zwangszusammenschluß zwischen SPD und KPD erlebt haben und die wegen ihrer Weigerung, dabei mitzutun, jahrelang in den Gefängnissen gesessen haben.Sie müssen doch bedenken, daß die dahinter stehende Taktik nicht erst seit 1945 praktiziert wird. Wenn Sie die Geschichte der kommunistischen Parteien studieren — Herr Wehner, Sie werden mir zustimmen —, werden Sie feststellen: Es gab immer wieder totale Schwenkungen in der Linie. Einmal totaler Gegensatz zur SPD — da wurde die SPD als sozialfaschistische Partei bekämpft —, da hat man gemeinsam mit der NSDAP in Berlin Streikaktionen durchgeführt —, dann wurde wieder eine Volksfrontlinie aufgebaut — 1938, Leo Blum in Frankreich —, gleich darauf wurde zwischen Hitler und Stalin ein Pakt geschlossen. Und die kommunistischen Parteien haben das in allen europäischen Ländern tapfer vertreten.
Wenn man diese Geschichte der taktischen Schwenkungen der Kommunisten in Europa einmal studiert — Herr Kollege Ehmke, ich gehe davon aus, daß Sie das getan haben —, dann, glaube ich, kann man nicht über sie mit der Blauäugigkeit reden, wie Sie das tun. Die Eurokommunisten haben eben erkannt: Sowjetische Bedrohung von außen hat nur dazu geführt, daß sich der freie Westen zur Verteidigung zusammengeschlossen hat; gewaltsame Lösungen revolutionärer Art — siehe Portugal — haben zu keinem Erfolg geführt; also verfolgt man jetzt die Taktik der Umarmung der Sozialdemokraten. Es ist bedauerlich, wenn das von Ihrer Seite mit derartigen Formulierungen beantwortet wird.Wenn Sie noch einen letzten Kronzeugen brauchen
— ich würde nicht so hochnäsig sein, Herr Kollege Ehmke; ich habe mich mit diesen Fragen auch ein bißchen beschäftigt —, sollten Sie nachlesen, was Herr Mitterand am 17. Januar 1979 dazu gesagt hat. Er stellte nämlich schlicht und einfach fest, daß die französischen Kommunisten nach wie vor in stalinistischen Strukturen wurzeln. Ich gebe Ihnen zu, es ist ein bißchen Parteipolitik bei der Aussage Mitterrands dabei, der mit eben diesen Kommunisten lange Jahre eine Volksfront praktiziert hat. Aber, ich glaube, man sollte über derartige Erkenntnisse nicht einfach hinwegsehen.Ich sehe den Herrn Bundeskanzler nicht im Saal. Er will, glaube ich, erst heute nachmittag sprechen.
Es wäre aber vielleicht doch — —
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10301
Herr Kollege, der Herr Bundeskanzler ist im Saal.
Das freut mich außerordentlich; denn ich habe jetzt einige sehr dringliche Fragen an ihn zu stellen, die sowohl mit der inneren Verfassung eines künftigen Europa wie auch der inneren Verfassung der Bundesrepublik selbst zu tun haben. Diese Fragen sind vereinfacht auf den Nenner zu bringen: Herr Bundeskanzler, wie halten Sie es mit der Sozialen Marktwirtschaft?
Da gibt es merkwürdigerweise eine ganze Reihe von sehr unterschiedlichen Äußerungen des Bundeskanzlers selbst. Einmal, z. B. in seinem „Spiegel"-Interview, preist er die Vorzüge der Sozialen Marktwirtschaft an, während er in anderen Fällen, z. B. auch hier im Deutschen Bundestag, abfällige Bemerkungen macht: Das sei mehr ein gutes Propagandawort, erfunden von der CDU/CSU.Uns geht es' aber, Herr Bundeskanzler, um die inhaltliche Gestaltung der Wirtschafts- und Sozialstruktur unseres Landes und damit auch Europas. Wir gehen nämlich davon aus, daß Europa nicht frei sein kann, wenn es nicht auch wirtschaftlich eine freie Struktur hat. Wenn alle die Parolen, die jetzt in Ihrem Europa-Programm ausgegeben werden — Herr Bundeskanzler, ich habe von Ihnen selbst bisher keine Äußerung zu diesem Europa-Programm Ihrer Partei gehört bzw. gelesen — und die von Investitionsmodellen, von Investitionslenkung usw. ausgehen, zusammen mit den anderen Tendenzen der sozialistischen und kommunistischen Parteien Europas gesehen werden, wenn das zu einem europäischen Modell der Wirtschaft werden soll, dann kann, glaube ich, von einer freien Wirtschaftsordnung nicht mehr die Rede sein. Deshalb, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, möchte ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, Ihren Einfluß dahin geltend zu machen, daß die Grundsätze der freien und sozialen Marktwirtschaft auch auf europäischer Ebene wenigstens zum Gemeingut der Parteien wird, die Sie erreichen können. Wenn da gesagt wird, die SPD habe nicht die Aufgabe, ihren Schwesterparteien Ratschläge zu geben, dann kann ich dazu nur sagen: Der Herr Bundeskanzler ist auch sonst nie pingelig, wenn er Ratschläge erteilt.
Hier wäre in der Tat ein dankbares Feld, auf dem er seine Ratschläge zum Tragen bringen könnte.
Weil dieses System der Sozialen Marktwirtschaft auch in der deutschen Öffentlichkeit von den linken Sozialdemokraten bis hin zu Leuten, die nicht mehr diesem Spektrum angehören, immer wieder verfälscht wird, erlaube ich mir, in wenigen Punkten die Grundpositionen der CDU/CSU zur Sozialen Marktwirtschaft Ihnen darzustellen.Erstens. Soziale Marktwirtschaft bedeutet nicht ungehemmten, schrankenlosen Kapitalismus.
Und wenn hier eine Kapitalismuskritik betrieben wird, dann trifft dies nicht die Soziale Marktwirtschaft. Das ist ja der Kniff, daß man einen Pappkameraden aufbaut und dann so tut, als sei dies die Soziale Marktwirtschaft.Zweitens. Die Soziale Marktwirtschaft bewegt sich in einem gesetzlichen Ordnungsrahmen, für den der Staat verantwortlich ist. Zu diesem gesetzlichen Ordnungsrahmen für eine freie Marktwirtschaft gehören das Wettbewerbsrecht, das Kartellrecht, das Verbraucherschutzrecht, die Mißbrauchsaufsicht und eine ganze Fülle anderer gesetzlicher Rahmenbedingungen.Drittens. Darüber hinaus hat der Staat ein Instrumentarium zur Beeinflussung der Wirtschaftsentwicklung zur Verfügung. Seit 1968 ist dieses Instrumentarium im Stabilitätsgesetz festgeschrieben. Dort sind auch die Leitziele der Sozialen Marktwirtschaft angegeben: Vollbeschäftigung, Stabilität, angemessenes Wirtschaftswachstum, außenwirtschaftliches Gleichgewicht. In der Sozialen Marktwirtschaft muß der Staat mit marktkonformen Mitteln diese Ziele anstreben. Marktkonforme Mittel sind z. B. Mittel der Finanzpolitik, der Regionalpolitik, der Strukturpolitik. Nicht zu solchen marktkonformen Mitteln gehören nach unserer Auffassung Verstaatlichung, Vergesellschaftung, Investitionskontrolle, planwirtschaftliche Maßnahmen aller Art.Viertens. Die Soziale Marktwirtschaft beruht auf dem verfassungsmäßig garantierten Privateigentum auch an Produktionsmitteln, auf der freien Wirtschaftsinitiative freier Bürger, auf dem partnerschaftlichen Zusammenwirken von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in den Unternehmen und überbetrieblich.Der Staat hingegen hat nach unserer Auffassung nicht die Zuständigkeit, sich in diesen privaten Wettbewerb von Wirtschaftsunternehmen einzuschalten. Wir wissen, daß das in Europa eine sehr große Rolle spielen wird. Wenn das hier in Deutschland schon geschehen ist, Herr Bundeskanzler, dann sollten Sie einmal prüfen, was in dem Bereich der Reprivatisierung in der Bundesrepublik geschehen kann.Gestern ist beklagt worden, daß große Unternehmen sich immer mehr ausbreiten und andere Wirtschaftsbereiche aufkaufen. Dazu ist auf das Beispiel des Volkswagenwerks hinzuweisen, das ebenfalls versucht, sich durch Diversifikation, durch diese Art von Verbreiterung, auszudehnen.Aber wir sind nicht der Meinung, daß staatliche Unternehmen Privatunternehmen Konkurrenz machen sollen, bis diese ruiniert sind. Wir haben derlei z. B. im Aluminiumbereich erlebt, wo mit Steuergeldern staatliche Unternehmen gestützt worden und Privatunternehmen in der Konkurrenz schließlich zugrunde gegangen sind. Das ist nicht die Art von Wirtschaftspolitik, die wir wollen. Es wäre sehr verdienstvoll, wenn der Herr Bundeskanzler sich zu diesen Fragen einmal äußern würde.
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10302 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Dr. AlthammerFünftens. Die soziale Komponente der Sozialen Marktwirtschaft besteht nicht nur in der optimalen Leistungsfähigkeit, die jeder sozialistischen Wirtschaftsordnung überlegen ist, sondern sie besteht auch in der Möglichkeit, den Privaten einen vermehrten Anteil am Vermögenszuwachs zuzuwenden. Hier kommt der Bereich der privaten Vermögensbildung ins Spiel. Auch hier, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, haben wir seit langer Zeit von der Regierungsseite überhaupt keine Initiative mehr. Man stellt sich die Frage, ob auch im Bereich der Vermögensbildung die SPD zu der Haltung zurückfallen will, die sie einmal unter Viktor Agartz innehatte, als sie sagte: Wir wollen nicht den Kleinbürger mit eigenem Privatvermögen; wir wollen den verfügbaren Proletarier, der für den Klassenkampf einsatzfähig ist. Wenn Sie diesen Verdacht entkräften wollen, würde ich Sie bitten, auch im Bereich der Vermögensbildung künftighin etwas zu unternehmen.Schließlich — das ist der sechste Punkt — ist für uns die Soziale Marktwirtschaft eine zentrale Voraussetzung der sozialen Leistungsfähigkeit unseres Staates. Das haben wir ja alles erlebt. Wir wissen, wie schnell die Finanzierbarkeit von Sozialleistungen aufhört, wenn die Marktwirtschaft nicht durch ein angemessenes Wachstum und durch Vollbeschäftigung erst einmal die finanziellen Voraussetzungen dafür schafft. Darum ist es einfach notwendig, daß man durch die Anwendung der marktwirtschaftlichen Mittel die Dinge wieder ins Lot bringt. Man darf nicht versuchen, durch irgendwelche dirigistischen Methoden die Probleme zu bewältigen. Das wird nicht gelingen, und das ist nicht möglich.Siebtens. Zum Bereich der Sozialen Marktwirtschaft gehört auch das Mitwirkungsrecht der Arbeitnehmer im Betrieb und überbetrieblich.
Es ist ganz interessant, daß die Mitbestimmung, die von der CDU/CSU in den 50er Jahren — 1952, Betriebsverfassungsgesetz, vorher schon Montan-Mitbestimmung — eingeführt worden ist, in den letzten Jahren auch von den anderen europäischen Ländern nun plötzlich als eine der positiven Leistungen erkannt worden ist und daß man jetzt in Europa von der „Partizipation" spricht.Aber wir sagen auch ganz deutlich, was wir unter „Mitbestimmung" nicht verstehen. Wir verstehen darunter nicht eine Überparität der einen Seite, und wir verstehen darunter nicht eine Kombination mit Vermögensrechten, die in Fonds eingebracht werden, über die Funktionäre verfügen, um auf diesem Wege dann unsere Gesellschaftsordnung in eine andere umzuformen. Das ist nicht das, was wir unter Mitbestimmung verstehen.
Zu diesem Punkt wird das Bundesverfassungsgericht am 1. März einiges sagen. Ich nehme an, das Bundesverfassungsgericht wird zu diesem Punkt seine Entscheidung ohne Rücksicht darauf treffen, was inzwischen an massivsten Beeinflussungsversuchen nicht nur von Herrn Farthmann, sondernleider auch vom Herrn Bundeskanzler in dieser Frage unternommen worden ist.
Ich darf Ihnen sagen: Wir verstehen den Rechtsstaat so, daß wir froh sind, daß wir ein Verfassungsgericht haben, das in diesen zentralen Fragen unsere Verfassung auslegt und damit dafür Sorge trägt, daß hier nicht verfassungswidrig eine Umformung unserer Gesellschaftsordnung vorgenommen wird.
— Herr Kollege Wehner, das ist keine letzte Hoffnung! — Entschuldigung, Herr Roth hat das offenbar dazwischengerufen, aber es könnte ja möglicherweise aus derselben Ecke kommen; ich weiß das nicht so genau. — Wir dürfen und sollten alle froh darüber sein, wenn solche Grundsatzfragen auch verfassungsgerichtlich geklärt werden können.Eines möchte ich Ihnen sehr dringlich vor Augen halten: Bitte, zwingen Sie uns nicht dazu, das Problem der Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst noch einmal vor das Bundesverfassungsgericht bringen zu müssen, indem Sie hier Entscheidungen treffen, die nach unserer und nach der Auffassung namhafter Verfassungsrechtler ganz klar in Widerspruch zu unserem Grundgesetz stehen!Ich darf auch noch einen Wunsch anbringen, weil dies heute vormittag schon wiederholt angesprochen worden ist. Der Herr Bundeskanzler hat dankenswerterweise in seinem „Spiegel"-Interview ein Wort zum Verfassungsschutz gesagt, ein positives Wort. Aber, Herr Bundeskanzler, diese sporadische Erklärung genügt unseres Erachtens nicht. Wir sehen die Gefahr, daß unser Verfassungsschutz durch fortlaufende, dauernde, systematische Angriffe in eine Situation gebracht wird, in der die Männer und Frauen, die sich hier um die Erhaltung unserer Grundordnung bemühen, resignieren und nicht mehr bereit sind, ihre Pflicht zu tun.
Ich darf als ein betroffener Vater mit mehreren heranwachsenden Söhnen auch eines sagen: Es wäre dringend erforderlich, daß der Herr Bundeskanzler der unterschwelligen Propaganda von linksextremer Seite an Schulen entgegentritt, die dahin geht, daß an den Schulen unseres Landes Schüler vom Verfassungsschutz als Spitzel ausgebildet und bezahlt würden. Der Herr Bundeskanzler ist dringend aufgefordert, da für Klarheit zu sorgen. Denn wenn man diese infame Unterstellung, diese Lügen, die hier verbreitet werden, von verantwortlicher Seite unwidersprochen stehen läßt, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn das Klima bei unserer Jugend in eine Richtung geht, die uns alle vielleicht nicht mehr erfreut.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich fasse zusammen: Der Herr Bundeskanzler ist bei der Haushaltsdebatte, bei der Beratung seines Etats, nicht nur zu dem gefordert, was er und sein Kabinett in der Vergangenheit geleistet oder unterlassen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10303
Dr. Althammerhaben; er ist auch gefordert, Antwort auf die brennenden zentralen Fragen zu geben, die unser ganzes Land, unser Volk und Europa in der nächsten Zukunft beschäftigen werden. Hier ist eine Fülle ungeklärter Fragen. Wir haben in mehreren Fällen erlebt, daß der Bundeskanzler zu spät gekommen ist, daß er in seiner eigenen Partei unterlegen ist, z. B. in der Frage Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst. Es ist dringend zu wünschen, daß bei den zentralen Fragen, wie dieses Europa inhaltlich aussehen soll, wie dann die Rückwirkungen auf unsere deutschen Verhältnisse sind, daß der Bundeskanzler hier Klarheit schafft, daß er nicht versucht, immer wieder nachzugeben und eine Formel zu finden, mit der er die Linken in seiner Partei einfangen kann. Hier muß einmal klargemacht werden, wo die Grenzen unseres gemeinsamen Staats-und Verfassungsverständnisses sind und wo die Punkte sind, an denen Linke nicht mehr mit uns konform gehen können, weil sie diese Staats- und Gesellschaftsordnung nicht wünschen.Der Herr Bundeskanzler hat viele Fragen offengelassen. Wir hoffen, daß er vielleicht heute nachmittag in seinem Beitrag zu diesen zentralen Fragen noch Stellung nehmen wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ehmke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Angesichts der fortgeschrittenen ZeitI will ich vor der Mittagspause nur zwei Fragen anschneiden. Den Rest können wir dann heute nachmittag machen.Zunächst, Herr Kollege Althammer, bin ich mit Ihnen der Meinung, daß man in der Tat einer so bedeutenden Entwicklung wie der des Eurokommunismus sorgfältige Aufmerksamkeit schenken muß. Ich komme darauf heute nachmittag noch zurück, aber ich will Ihnen doch drei Dinge in Erinnerung rufen:In Italien ist es Ihr christdemokratischer Parteifreund Andreotti, der die Unterstützung der größten kommunistischen Partei in Westeuropa benötigt.
— Weil leider das Land so heruntergewirtschaftet worden ist, daß es ohne die Unterstützung der Kommunisten heute nicht mehr vor dem Zusammenbruch bewahrt werden kann —
nach der Meinung Ihrer christdemokratischen Parteifreunde. Herr Andreotti hat sich ja oft genug mit Ihnen darüber unterhalten.
Die KPI ist eine Partei, Herr Althammer, die versucht, eine christdemokratische Regierung zu stützen, weil sie meint, daß es dazu keine Alternative gibt in der Situation, in der sich Italien befindet.
— Ich wäre doch dankbar, wenn diejenigen, die über Italien sprechen, Herr Mertes, wenigstens gewisse Kenntnisse der Innenpolitik in Italien hätten, statt hier Märchen zu erzählen.
Fragen Sie doch Ihre christdemokratischen Freunde!
Der zweite Punkt: Ich weiß gar nicht, warum Sie hier die eurokommunistischen Parteien als Kinderschreck aufbauen; denn im Europäischen Parlament arbeiten Sie doch mit Ihnen zusammen. Wenn ich das jetzt nicht ganz falsch im Kopf habe, ist der augenblicklich amtierende Präsident des Europäischen Parlaments, der italienische Christdemokrat Colombo, mit Stimmen der italienischen Kommunisten gewählt worden. Ich habe nicht gehört, daß Sie diese Stimmen im Europäischen Parlament zurückgewiesen hätten.
— Warum soll das denn formalistisch sein? Wenn ich sage, im Europäischen Parlament könnte es sein, daß man zusammen stimmt, dann stellen Sie das hier als Untergang des Abendlandes hin; aber Sie nehmen die Stimmen von den Leuten, wenn Ihr Präsident gewählt wird. Das ist doch schizophren!
Dann kommt der dritte Punkt, Herr Althammer. Wenn Sie fragen, ob es denn Punkte geben wird, an denen es sein kann, daß die italienischen Kommunisten stimmen wie wir, dann lautet die Antwort: Aber ja. Nehmen Sie doch einmal an, es würde das Thema der Erweiterung der Rechte des Parlaments aufkommen, Herr Kollege Kohl, Herr Kollege Althammer! Dann werden alle deutschen Parteien und alle italienischen Parteien einschließlich der italienischen Kommunisten dafür sein, und die mit Ihnen verbundenen Gaullisten und die mit uns verbundenen französischen Sozialisten werden dagegen sein.
— Doch, das ist die Frage. Sie können nicht dort mit einer Partei zusammenarbeiten und dann hinterher so tun, als müßte man Berührungsangst haben. Das ist ein wichtiges Problem. Ich komme noch einmal darauf zurück. Ich habe lange und sorgfältig genug darüber gearbeitet. Aber es hat doch keinen Zweck, das wieder in der Form eines Schreckeffekts zu bringen.
Das war eine Vorbemerkung. Dann habe ich eine Frage an Herrn Kohl. Herr Kohl, wir haben, offen gesprochen, die „Übung Carstens" heute morgen nicht vetstanden. Wenn ich es recht gehört habe, haben Sie gesagt, hier sei eine Kampagne gegen Herrn Carstens in Gang gesetzt worden. Dazu möchte ich folgendes sagen.Erstens. An der Erörterung der politischen Vergangenheit von Herrn Carstens wie von Herrn Scheel
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10304 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Dr. Ehmkehat sich die Sozialdemokratie nicht beteiligt und wird sie sich auch nicht beteiligen.
Diese Frage ist bei uns in der Partei eingehend und öffentlich erörtert worden, als Kiesinger Bundeskanzler wurde. Sie ist für uns ausgestanden. Wir haben eine solche Erörterung jetzt nicht geführt und gedenken es auch nicht zu tun.
Zweitens. Die Diskussion, die darüber in Gang gekommen ist, ob Herr Carstens nicht ein zu konservativer Politiker ist, ist in Ihrer eigenen Partei begonnen worden.
Es war Ihr Kollege Evers, der die Frage aufgeworfen hat, ob es nicht besser sei, Herrn Scheel zu wählen. Ihr Kollege Evers erklärt ja auch überall, daß er und viele andere CDU-Mitglieder der Meinung seien, es wäre sehr viel besser, Herrn Scheel als Liberalen, der von der Bevölkerung in hohem Maße akzeptiert wird, zu wählen, als Herrn Carstens zu wählen. Sie dürfen diese Diskussion innerhalb Ihrer eigenen Partei doch nicht auf uns schieben.
— Doch, Herr Kohl. Ich muß auch sagen, daß ich Herrn Evers verstehe. Es gibt natürlich viele in der Partei, die es komisch finden, daß Herr von Weizsäcker als ein mehr dem liberalen Flügel Ihrer Partei zugehörender Politiker, zweimal gut genug war, für das Präsidentenamt zu kandidieren, als Sie keine Mehrheit in der Bundesversammlung hatten, jetzt aber, wo Sie endlich eine Mehrheit haben, nicht mehr gut genug ist.
Dies ist die Diskussion in Ihrer Partei. Wir führen diese Diskussion nicht. Wir haben nur gesagt: Wir wären dankbar, wenn Herr Carstens als Bundestagspräsident und als Bundespräsidentschaftskandidat nicht gar so polarisierend reden würde, wie er das in den vergangenen Wochen ein paarmal getan hat.Als nächster Punkt ist das Zivilverfahren zu nennen, an dem der Kollege Metzger beteiligt ist. Herr Kollege Kohl, dieses Verfahren läuft schon seit einer Zeit, in der noch gar nicht daran gedacht wurde, daß Herr Carstens eines Tages für das Bundespräsidentenamt kandidieren könnte. Wir und auch Sie haben keinen Einfluß darauf, wie die Mühlen der Justiz mahlen.Als letzten Punkt möchte ich schließlich den Termin des 23. Mai ansprechen. Dieser Termin schien uns deshalb unglücklich — das haben wir gesagt —, weil wir meinten, am Tag der Verfassung sollten andere Dinge im Vordergrund stehen.Wo soll hier also eine Kampagne geführt worden sein?
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gerne.
Herr Kollege Ehmke, besteht das Problem nicht in folgendem: Die Väter unseres Grundgesetzes haben auf Grund der Erfahrungen in der Weimarer Republik mit Volksabstimmungen die plebiszitären Elemente aus unserer Verfassung sehr bewußt herausgelassen. Teilen Sie meine Auffassung, daß man in keinem Falle durch die Hintertür der Beliebtheit in demoskopischem Umfragen wiederum plebiszitäre Elemente in unser Verfassungsleben einführen sollte?
Ja, Herr Kollege Mertes, diese Auffassung teile ich.
Man kann über die Demoskopie in ihrem Verhältnis zur repräsentativen Demokratie überhaupt sehr verschiedener Meinung sein. Nur ändert dies nichts daran, daß am Ende die Bundesversammlung entscheidet, und zwar die Kollegen, die in sie gewählt oder delegiert worden sind. Wir werden dann ja sehen, wer die Mehrheit hat.
Ich sage nur dies: Herr Kollege Kohl, ich habe es nicht verstanden, weshalb sie diese Diskussion hier begonnen haben. Ich glaube, daß weder dem Präsidentenamt noch Herrn Carstens mit dieser Diskussion geholfen worden ist. Ich verstehe den Sinn der Übung nicht. Nachdem Sie so betont hatten, Herr Kollege Kohl, daß die Union zum erstenmal eine Mehrheit in der Bundesversammlung habe, dachte ich, Sie würden es sich doch noch einmal überlegen.
Ich möchte noch einmal sagen, daß wir die Diskussion nicht für sehr glücklich halten und uns auch in Zukunft an keiner Kampagne dieser Art beteiligen werden.
— Wir verleumden draußen niemanden, Herr Kohl. Machen Sie doch hier nicht solche Unterstellungen.
Herr Kollege Ehmke, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich komme gerade zu meinem Schlußsatz. Wir gehen aus dieser Debatte, die die CDU begonnen hat, Herr Kollege Kohl, mit dem
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10305
Dr. EhmkeGefühl heraus: Herr Carstens ist noch nicht, aber er bleibt Präsidentschaftskandidat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Herr Kollege Kohl hier seine politisch-parlamentarische Winteroffensive eröffnet hat, begann er mit der an die Adresse der Koalitionsparteien gerichteten Frage nach ihrem inneren Zustand. In diesem Augenblick schien es mir spürbar, daß alle im Saal ein Klirr-Klirr empfanden; denn wenn man im Glaushaus sitzt, sollte man in der Tat nicht mit Steinen werfen. Das führt zur unnötigen Selbstbeschädigung.
— Herr Wehner, hier ist noch einmal deutlich geworden, daß Herr Kollege Kohl offenbar mit einem gewissen Neid auf den Bundeskanzler und dessen Ansehen guckt, wenn er darüber klagt, daß der Kanzler seine Politik mit einem gewissen Selbstwertbewußtsein treibe. Hier wird offenbar das beklagt, woran es einem selbst ermangelt.
Aber wenn Sie, verehrter Herr Kollege Kohl, sich dann an die Sache begeben, wird es in der Tat enttäuschend. Sie reden von „mageren Jahren" der Politik. Hier verhalten Sie sich wie zwei der drei indischen Affen: nicht sehen, nicht hören, aber reden!
Meine Damen und Herren, wir haben schließlich gestern dokumentiert, was es in diesem Staat in den letzten Jahren an realem Einkommenszuwachs für den einzelnen Arbeitnehmer gegeben hat. Wir wissen alle — und das wissen auch Sie —, daß in dieser Zeit, die Sie als mager bezeichnen, die ganze Welt auf uns, auf unsere wirtschaftliche Kraft, geschaut hat und uns zur Lokomotive für den internationalen Aufschwung machen wollte.
Daß sich daraus für unsere Staatsfinanzen und für den Haushalt Probleme ergeben, das wissen wir. Das haben wir auch in aller Offenheit angesprochen. Die Probleme sind bekannt; wir werden ihre Lösung anpacken.
Verehrter Herr Kohl, was Sie dann zum Thema Außenpolitik geboten haben, war eigentlich auch kümmerlich. Sie haben hier erneut quälend diese Angstzustände der Opposition ausgebreitet, daß wir uns vielleicht in einem Prozeß der Lockerung im Bündnis befinden könnten. Meine Damen und Herren, diesen Brei haben Sie doch von Juni bis September gekocht, im Dezember ist er hier angebrannt,
und nun kochen Sie ihn wieder auf. Angebrannte Suppe schmeckt nun wirklich überhaupt nicht.
Noch zu einem innenpolitisch wichtigen Thema, dem Stahlstreik und seinen wirtschaftspolitischen Implikationen. In diesem Zusammenhang ist es zwar völlig berechtigt, kritisch, sehr kritisch mit der dort offenbarten Konfliktlage ins Gericht zu gehen, bei der man die Sorge hatte, daß sie doch weitgehend Prestigegründe hatte. Es war richtig, darüber zu reden, daß der Ansatz und die Forderung nach einer 35-Stunden-Woche nicht dazu angetan sind, mehr Sicherheit am Arbeitsmarkt zu schaffen und zusätzliche Arbeitsplätze zu gewinnen. Vielmehr wurde deutlich, daß die Gefahr besteht, daß Arbeitsplätze vernichtet werden.
Aber, verehrter Herr Kohl, nachdem durch den gerade gestern von uns besprochenen und so positiv kommentierten Tarifabschluß deutlich geworden ist, daß es hier bei den Tarifpartnern Einsichten gegeben hat und daß eine Umkehr festzustellen ist, da muß ich als Politiker doch nicht noch nachtreten, sondern da muß ich doch mit Genugtuung feststellen dürfen, daß eine gefährliche Entwicklung in ihrer Tendenz gebrochen worden ist. Wie können jetzt davon ausgehen, daß wir die positiven Begleiterscheinungen der auch von Ihnen als erkennbar angesehenen Tendenz zum Aufschwung begrüßen können.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Lenz?
Bitte schön.
Herr Kollege Hoppe, würden Sie mir beipflichten, daß der Republik kein Schaden entstanden wäre, wenn der Herr Bundeskanzler die vom Herrn Oppositionsführer zitierte Äußerung unterlassen hätte?
Verehrter Herr Kollege Lenz,
das, was Sie als beklagenswert ansehen, hat wahrscheinlich entscheidende Erschütterungen in dieser Republik nicht ausgelöst. Im übrigen würde ich dem Bundeskanzler gern das an Meinungsfreiheit belassen, was jeder von uns hier für sich beansprucht.
Nun, meine Damen und Herren, vielleicht ein abschließendes Wort zu diesem Zeitpunkt der Debatte, da Sie ja alle zum Mittagstisch wollen.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
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10306 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Herrn Kollegen Kohl gern. Vizepräsident Frau Funcke: Bitte.
Herr Kollege Hoppe, wären Sie bereit, zu dem, was ich hier gesagt habe, Stellung zu nehmen, nämlich zu meiner Feststellung, daß es — bei voller Würdigung der Tariffreiheit — ein schädlicher Vorgang war, daß der SPD-Parteitag mit der Stimme seines stellvertretenden Vorsitzenden, Helmut Schmidt, zum Thema 35-Stunden-Woche in dieser brisanten Situation ein Votum abgegeben hat?
Verehrter Herr Kohl, ich will zu diesem Punkt nun nicht mit Gewalt einen Gegensatz in der Beurteilung des Vorgangs, den Sie geschildert haben, zwischen Ihrer Wertung und der Auffassung der Freien Demokratischen Partei herstellen.
Meine Damen und Herren, dann ist hier sehr viel über die Erbfolge von Marktwirtschaft geredet worden. Wenn Sie dem Bundeskanzler den Vorwurf machen, er wollte sich hier in ganz unbotmäßiger Weise in die Rolle des Erben Ludwig Erhards hineinbewegen, und dann das Wort „Erbschleicherei" fällt,
dann würde ich auch hier die Opposition dringend bitten, mit Formulierungen sehr behutsam umzugehen. Denn sonst könnte einem bei dem Wort „Erbschleicherei" — im Zusammenhang mit der Diskussion über die Erbfolge bei Erhard — ganz leicht auch die Abwandlung „Erbheuchelei" und „Meuchelei" einfallen.
Genau das würde ich in diesem Zusammenhang — im Interesse der Marktwirtschaft und ihrer Bedeutung — für unsere freiheitlich-wirtschaftliche Ordnung gern vermieden sehen. Die Freien Demokraten brauchen sich in diese Diskussion deshalb nicht einzuschalten, weil sie
mit ihrem entscheidenden Engagement dafür gesorgt haben, daß diese Republik auf einer leistungskrafterzeugenden freien Marktwirtschaft gegründet ist. Das haben wir zu einem Zeitpunkt getan, als in der CDU noch entsprechende Zweifel bestanden. Das werden wir uns, aber auch der Öffentlichkeit immer wieder gern bestätigen. Deshalb werden wir diese Ordnung mit Zähnen und Klauen verteidigen.
Meine Damen und Herren, wir treten jetzt in die Mittagspause ein und setzen die Beratungen um 14 Uhr fort.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Meine Damen und Herren, wir fahren in den Beratungen fort.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Rede des Herrn Oppositionsführers war nicht so sehr ein programmatisches Panorama dessen, was die Opposition für den Fall, sie würde Regierung, tun würde und was sie anders machen würde; es war in vielen einzelnen Punkten Kritik an dem, was die gegenwärtige Bundesregierung tut. Ich werde auf diese Punkte etwa in der Reihenfolge, in der sie Herr Abgeordneter Kohl behandelt hat, nacheinander eingehen. Mir scheint es nicht notwendig, daß als Erwiderung auf eine nicht gehaltene programmatische Rede nun unsererseits eine programmatische Antwortrede gehalten würde.
Vielleicht darf ich vorweg eine Bemerkung an die Adresse des Herrn Althammer richten, der einmal mehr die Vorzüge der Sozialen Marktwirtschaft gepriesen hat — an einer Stelle hat er auch von der „freien und sozialen Marktwirtschaft" gesprochen — und gemeint hat, ich hätte das auch schon getan. Da muß ich ihn enttäuschen. Dieses Schlagwort ist in meinem Repertoire nie enthalten gewesen. Es war immer Ihr politisches Schlagwort. Wir haben hier schon einmal eine Debatte darüber gehabt, daß Sie diese beiden Worte „Soziale Marktwirtschaft" nachträglich am liebsten in einen Verfassungsrang heben wollten.Ich bleibe dabei, daß soziale Gerechtigkeit und soziale Ordnung nie auf dem Markt entstehen, auch keinen Bestandteil des Marktes je sein können, sondern daß sie veranstaltet werden müssen, entweder in freier Vereinbarung zwischen den beiden Partnern eines Vertrages oder vom staatlichen Gesetzgeber.
Herr Althammer hat dann wie manch andere Sprecher der CDU und wie auch Herr Kohl gemeint, der Bundeskanzler hätte gefälligst in den Stahlarbeitskonflikt eingreifen sollen. Einer von ihnen hat sich vergaloppiert und davon gesprochen, es sei dies der schwerste Arbeitskonflikt in der deutschen Stahlindustrie seit 50 Jahren gewesen. Das ist falsch; es war der einzige in 50 Jahren.
Na ja, sicher, wenn Sie ein einzelnes Ereignis sogleich zum Superlativ stempeln wollen, charakterisieren Sie damit vielleicht die Art und Weise, wie Sie insgeheim über Ihre eigene Partei denken; aber sprachlogisch ist das nicht.
Gleichwohl war das ein sehr ernst zu nehmender und von der Bundesregierung sehr ernst genommener Konflikt. Ich kann verstehen, daß manche
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Bundeskanzler Schmidtkonservative Politiker in diesem Lande am liebsten die Bundesregierung oder den Staat oder die Obrigkeit in diesen Konflikt hätte hereinziehen mögen. Es sind ja die Konservativen, von denen ursprünglich die Idee von der formierten Gesellschaft kam.
Daß Sie aber, Herr Abgeordneter Kohl, im Laufe Ihrer Rede nun ausgerechnet mir unterstellen, ich versuchte überall, das Bild einer „heilen Welt" zu zeichnen, fand ich einigermaßen abwegig. Überall, wo ich mich zu diesem und zu anderen Arbeitskämpfen geäußert habe, habe ich gesagt, daß eines der wesentlichen Kennzeichen einer demokratischen Gesellschaftsform ja gerade ist, daß Interessenverschiedenheiten ausgetragen werden können und nicht von Staats wegen unterdrückt oder geregelt werden.
Ein Charakteristikum demokratischer Gesinnung ist, daß alle an solchem Streit Beteiligten wissen, daß es dafür zum Teil geschriebene, zum Teil gesetzte, zum Teil durch Urteil geschaffene, zum Teil selbst zu findende Konfliktsregelungsmechanismen gibt; und daß man sich ihrer bedienen muß, auf daß nicht mit Gewalt geregelt werde; und daß man den Willen haben muß, unter Benutzung solcher Regelungsmechanismen zum Kompromiß zu finden.Jemand, der es mit der demokratischen Gesellschaft ernst meint, kann doch nicht zugleich der Anwalt einer Gesellschaft sein, in der alles harmonisch zugeht. Ich sage hier noch einmal mit vollem Bedacht: Ich halte es für ein zu flaches Verständnis einer demokratischen Gesellschaft, wenn man denkt, es dürfe keinen Streik oder jedenfalls keinen so langen Streik geben. Eine Gesellschaft, in der es keine Streiks gibt, weist sich möglicherweise schon allein durch diese Tatsache als eine nicht demokratisch organisierte Gesellschaft aus.
Es gibt nur sehr wenige Beispiele auf der Welt, wo demokratisch organisierte Staaten relativ streikarm sind. Ein Beispiel dafür, daß es in einer demokratischen Gesellschaft überhaupt keinen Streik gäbe, kenne ich nicht. Ich kenne aber Beispiele von Staaten, in denen Streiks unterdrückt werden, noch und noch, in Militärdiktaturen genauso wie in kommunistischen Herrschaftsbereichen.
Ich denke, es war gut und richtig, daß die Bundesregierung dem allzu frühen Drängen und allzu durchsichtigen Drängen nach Einmischung in diesen Arbeitskonflikt nicht nachgegeben hat.
Der Anfang mit staatlicher Schlichtung ist leicht gemacht; wo das Ende ist, kann niemand vorhersagen.
Ich habe mir — wie viele von Ihnen auch — Sorgen wegen der Dauer dieses Arbeitskampfes und wegen der damit verbundenen Ausfälle und Verhärtungen gemacht. Ich bin froh darüber, daß noch rechtzeitig ein Kompromiß zustande gebracht worden ist, und zwar durch die am Arbeitskampf beteiligten Organisationen selbst. Ich will nicht hinter dem Berge halten und auch sagen, daß mir der Ruf nach dem Vermittler in der Gestalt des Landesministers Professor Farthmann, der in diesem Zusammenhang. öffentlichen Dank verdient hat,
seinerzeit zu früh laut geworden ist.Ich möchte an dieser Stelle nicht den Eindruck entstehen lassen, als ob wir in Deutschland zu viele Arbeitskämpfe hätten. Ich habe mir aus den Unterlagen des Statistischen Bundesamtes die Streiktage der letzten fünf Jahre herausziehen lassen, soweit sie in der Statistik schon vorliegen. Das waren durch Zufall die Jahre 1974 bis einschließlich 1978. Ich habe sie mit einer anderen Fünfjahresperiode aus den 50er Jahren verglichen und muß Ihnen sagen, daß heute wie damals in Deutschland sehr wenig gestreikt wird, heute nicht mehr als damals; damals gab es, bezogen auf die Gesamtarbeitnehmerschaft, eher noch ein paar Streiktage mehr. Es wird in Deutschland relativ wenig gestreikt, und vielleicht ist es gut, sich dazu auch einmal ein paar Zahlen vor Augen zu halten.Ich nehme das „Handelsblatt" — unverdächtig, daß es etwa besonders gewerkschaftsfreundlich kommentierte — vom 12. Dezember, das uns darstellt, daß in den Jahren .1975 bis 1977 in Deutschland im Durchschnitt auf 1 000 Arbeitnehmer pro Jahr 10 Tage lang gestreikt worden ist. Auf 1 000 Leute hat also ein Mann 10 Tage lang gestreikt, oder — damit wir uns richtig verstehen — auf 1 000 Leute haben 10 einen Tag lang gestreikt; es sind also insgesamt 10 Tagewerke verlorengegangen. In Dänemark waren es 92, in Schweden 45, in Holland 22, in Frankreich 245, in Italien 1 653, in Amerika 446, in Japan 154 und in England 286. Im Handelsblatt sind zwei Länder aufgeführt, in denen noch weniger als in Deutschland gestreikt worden war, nämlich die Schweiz und Osterreich. Aber auch dort wird gestreikt. Ich sage noch einmal: Wenn es Streiks und Arbeitskämpfe nicht gäbe, müßte man argwöhnen, daß die Demokratie nicht ganz in Ordnung sei.Die Frage liegt nahe, wie es eigentlich kommt, daß bei uns relativ wenig gestreikt wurde. — Ich nehme an, das wird so bleiben. — Es hängt mit der Organisationsform der deutschen Arbeitnehmer in Gewerkschaften zusammen, die unter politischen, weltanschaulichen und religiösen Aspekten Einheitsgewerkschaften darstellen und bleiben wollen. Professor Biedenkopf, der sich schon bisher nie durch Gewerkschaftsfreundlichkeit ausgezeichnet hat, hätte hier gestern nun wirklich nicht öffentlich seine krokodilstränenbehafteten Sorgen auszubreiten brauchen, daß ausgerechnet wir Sozialdemokraten die Einheitsgewerkschaft gefährdeten.
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Bundeskanzler SchmidtDie deutschen Einheitsgewerkschaften sind wahrscheinlich dasjenige Merkmal,- das die demokratische deutsche Nachkriegsgesellschaft am stärksten von anderen demokratischen Industriegesellschaften unterscheidet, die uns manches voraushaben, mit denen wir uns auf vielen Feldern vergleichen dürfen, aber die z. B. drei Gewerkschaftsbünde nebeneinander stehen haben, die sich gegenseitig Konkurrenz machen, in öffentlichen Reden vom historischen Kompromiß sprechen, aber sich in Wirklichkeit im selben Betrieb gegenseitig Konkurrenz machen, notfalls auch gegeneinander streiken. Wir unterscheiden uns auch von Industriegesellschaften mit 400 Gewerkschaften, von denen nicht nur zwei, sondern drei, vier, fünf oder sechs im selben Unternehmen vertreten sind, die sich gegenseitig das Wasser abgraben oder es jedenfalls versuchen und Arbeitskämpfe führen, die in Wirklichkeit wegen der Konkurrenzsituation zwischen konkurrierenden Gewerkschaften ausgetragen werden.Die Einheitlichkeit der deutschen Gewerkschaftsbewegung hat es vermocht — es ist ja eine ganz große Leistung, wenn man auf den ersten deutschen Demokratieversuch, also Weimar, zurückblickt —, eine Leistung hervorzubringen, die Menschen der Generation Hans Böcklers in Vollbringung des geistigen Erbes solcher Männer wie Wilhelm Leuschner zustande gebracht haben und die spätere Generationen bis auf den heutigen Tag bewahrt haben.
— Gern: Adam Stegerwald! — Diese Leistung hat es ermöglicht, daß in Deutschland nicht an jeder Straßenecke eine Gewerkschaft einen Streik ausrufen muß, um irgend etwas durchzusetzen. Vielmehr haben die Gewerkschaften im Bewußtsein ihrer Stärke jedes Jahr ihre Forderungen gestellt, wenn die Tarifverträge abgelaufen waren. Die jeweils andere Seite hat dann angeboten. Dazwischen war immer eine Differenz. Dann hat man verhandelt, auch hart verhandelt, hat sich gestritten. Notfalls wurde auch einmal gestreikt oder mit dem Streik gedroht, dies aber selten. Man hat sich immer kompromißweise geeinigt. Es hat nie einen Staat gegeben, der sich eingemischt hat. Auf diese Weise haben die sich jeweils streitenden Parteien gelernt, sich vernünftig zu einigen.So haben also die deutschen Gewerkschaften im Laufe von 30 Jahren seit der Währungsreform, seit der Begründung der Bundesrepublik Deutschland, seit der Begründung des Deutschen Gewerkschaftsbundes — das liegt ja alles in denselben beiden Jahren 1948/49 — für die deutschen Arbeitnehmer unendlich viel mehr herausgeholt, als es die vielen miteinander konkurrierenden Gewerkschaften in den anderen Industriegesellschaften vermocht haben, obwohl die Arbeitnehmer dort genauso fleißig sind, wie auch die deutschen Arbeitnehmer fleißig sind und ihre Pflicht tun.
In dem Zusammenhang eine persönliche Berner-kung zum Thema Arbeitszeit. Nach meiner Meinung ist es nützlich, sich ins Gedächtnis zu rufen, daß wiretwa in die Mitte des vorigen Jahrhunderts in der deutschen Industrie rund 80 Arbeitsstunden pro Woche gekannt haben, wobei Frauen und Kinder nicht geschont wurden. Bis zum ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts ist die Zahl dann auf 60 Wochenstunden heruntergegangen. 1919 wurde der Acht-Stunden-Tag eingeführt; aber er galt für eine Sechs-Tage-Arbeitswoche, also insgesamt 48 Arbeitsstunden. Die Forderung nach dem Acht-Stunden-Tag war damals bereits eine ganze Generation alt, die Forderung war über viele Jahre und Jahrzehnte verfolgt worden. Erreicht wurde das Ziel 1919.Nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir zunächst sogar ein bißchen länger als 48 Stunden gearbeitet— es gab auch genug aufzuräumen —; zu Beginn der 50er Jahre waren wir dann bei 45 Stunden pro Woche; tariflich waren wir in den 60er Jahren bei 40 Stunden pro Woche. Ludwig Erhard hat daraus die zunächst naheliegende Schlußfolgerung gezogen— ich gebe ihm völlig recht —: Eines Tages, nachdem wir von 80 auf 60, von 60 auf 48, von 48 auf 40 gekommen sind, werden wir bei 35 Stunden sein. Vor wenigen Tagen hat es Professor von Nell-Breuning, den mein Kollege Wehner vorhin zitierte, öffentlich wiederholt. Erhard hat sich nur in einem Punkt geirrt. Er hat nämlich vorhergesagt, das werde bereits 1975 erreicht sein. Das war ein Irrtum.
— Lieber Herr Lenz, der Zwischenruf war witzig, aber gefährlich; denn er ist mit einem Widerhaken versehen. Wenn Sie insinuieren wollen: Wenn Sie weiter regiert hätten, wären wir schon heute bei der 35-Stunden-Woche, dann machen Sie sofort alle die übrigen Kollegen der CDU/CSU schweigen, die heute die 35-Stunden-Woche bekämpfen, als sei sie der Beelzebub, der die Soziale Marktwirtschaft zerstören würde.
Der Abschluß ist vernünftig gewesen. Auch der Abschluß, der jetzt in Hessen getätigt wurde, macht auf uns einen guten Eindruck. Ich möchte ein bißchen davor warnen, zu glauben, daß die schrittweise Verkürzung der Wochenarbeitszeit — das geht immer nur schrittweise, und so, wie 1975 die 35 Stunden nicht erreicht worden sind, werden sie auch 1980 noch nicht erreicht werden— schrittweise gleichzeitig mehr Arbeitsplätze schaffe. Das sind verschiedene Dinge, die funktional nicht so eng ineinander passen, wie es häufig öffentlich dargestellt worden ist.
Ich sehe den Professor Biedenkopf leider nicht. Ich hätte ihm gern persönlich geantwortet.
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Bundeskanzler Schmidt— Schönen Dank. Ich wollte gerade ankündigen, Herr Biedenkopf, daß ich Ihnen auch antworten müßte, wenn Sie nicht hier wären. Ich habe schon gesagt, daß aus Ihrem Munde der Vorwurf, ausgerechnet die Sozialdemokraten wollten die Einheitsgewerkschaft, die Macht des Staates dadurch unterlaufen, daß die Sozialdemokratie jetzt eine Gewerkschaftspartei würde, sicherlich bei keinem Gewerkschaftsmitglied, ob christlich-sozial, sozialdemokratisch oder wo immer hingehörig, sonderlich eindrucksvoll klingt.
Wenn Sie uns vorwerfen, daß wir für die Parlamente Gewerkschafter aufstellen — auch hier im Bundestag sitzen eine ganze Menge Betriebsräte und Gewerkschafter, und zwar auch bei Ihnen Gott sei Dank, zwei, drei oder vier —,
und wenn Sie glauben, uns deshalb einen Vorwurf machen zu sollen, dann würde ich mich umgekehrt selber einmal fragen: Herr Biedenkopf, wie kommt es eigentlich, daß jemand wie Sie oder jemand wie Herr Stoltenberg oder jemand wie Herr Kohl, auch er, bevor er — wie wir fast alle — hauptamtlicher Berufspolitiker wurde, vorher Syndikus eines Verbandes war? Wie kommt es eigentlich, daß bei Ihnen das große Wort von Leuten geführt wird, die aus Unternehmens- und Arbeitgeberverbänden kommen?
Unsere gewerkschaftliche Affinität, Herr Professor, haben wir nicht auf dem Kölner SPD-Parteitag kreiert, diese Affinität ist seit beinahe 100 Jahren geschichtlich gewachsen.
— Allerdings.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Biedenkopf?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, ich bitte — — Ja, Herr Biedenkopf gern. Ich habe ja gerade ihn angesprochen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank, Herr Bundeskanzler. Herr Bundeskanzler, ich hatte gestern nicht die Ehre, in Ihrer Gegenwart zu sprechen. Ich möchte Sie deshalb fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß der Kollege Friedrich in einem Interview, welches er dem Deutschlandfunk gegeben hat, darauf hingewiesen hat, daß es für die Sozialdemokratische Partei wichtig sei, sich der Gewerkschaften zu bedienen, um wieder zu erfahren, wie es in den Betrieben aussehe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube nicht, daß der Kollege. Friedrich eine solche erstaunliche Ausdrucksweise je gebraucht hätte, daß er sich oder daß meine Partei sich der Gewerkschaften „bedienen" würde.
Ich halte das, ohne Herrn Friedrich anzusehen und ohne das Zitat zu ahnen, für ein verfälschtes Zitat, Herr Professor. Allerdings wird die Sozialdemokratische Partei immer großen Wert darauf legen, in enger Lebensgemeinschaft mit den Menschen im Betrieb, in den Betriebsräten und in Iden Gewerkschaften ihre Politik zu konzipieren. Sie macht nämlich ihre Politik zu einem großen Teil für diese Menschen.
— Herr Mertes tut dies auch, wie er sagt.
Vielleicht führt das einmal zu einer Unterhaltung innerhalb der Christlich Demokratischen Union, wie sich Ihre politische Partei im eigenen Interesse zukünftig zweckmäßigerweise zur deutschen Gewerkschaftsbewegung stellt. Die deutsche Gewerkschaftsbewegung möchte nämlich nicht nur nicht mit einer Partei affiliiert sein — das ist sie auch gar nicht —, sondern sie möchte von den Parteien insgesamt unabhängig sein und bleiben. Es genügt aber nicht, wenn der Parteivorsitzende, Herr Kohl, jedes Jahr einmal die Spitzen des Deutschen Gewerkschaftsbundes empfängt. Da muß man hingehen zu den Gewerkschaften.
Da muß man hingehen in die Betriebe und zu den Betriebsräten und zuhören und antworten.
— Ja, genau wie ich das tue.
Herr Kohl, ich bin immer froh über Ihre Zwischenrufe, daran rankt man sich hoch. Herr Kohl ruft mir dazwischen, er habe sich darüber geärgert,
daß ich in seiner Stadt Ludwigshafen vor einer Belegschaftsversammlung von 18 000 Arbeitnehmern gesprochen habe. Natürlich habe ich das getan, mit Vergnügen, übrigens auf gemeinsame Einladung, Herr Kohl, der Unternehmensleitung und des Betriebsrates.
— Ich sage das, weil Sie doch immer so tun, als schliche ich mich dort ein. Erstens halte ich mich immer an das Betriebsverfassungsgesetz,
und zweitens gehe ich nur, wenn beide einladen, die Unternehmensleitung und der Betriebsrat.
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10310 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Bundeskanzler SchmidtIch war vor zwei Tagen in Geislingen bei der Württembergischen Metallwarenfabrik. Dort ist ja nun wirklich keine Wahl im Gange. Einen Monat davor war ich auf einer Kohlenzeche in Nordrhein-Westfalen. Da ist ja wohl auch gerade keine Wahl im Gange.Ich will Ihnen sagen: Sie verstehen in Wirklichkeit nicht, daß es unsereins als Notwendigkeit empfindet, dort hinzugehen, zu reden, Rede und Antwort zu stehen und zuzuhören.
Im Vorbeigehen muß ich zwei Bemerkungen von Herrn Biedenkopf richtigstellen. Herr Biedenkopf, Sie haben mich gestern zitiert, ich hätte Kritik geübt an Landwirten, die ihre Schweine erfrieren ließen, weil sie mit Schadensersatz rechneten. So ähnlich habe ich Sie verstanden. Ich habe dergleichen nie gesagt. Ich bitte Sie, das aus Ihrem Repertoire zu streichen.Sie haben ferner behauptet, ich hätte Architekten zum bürgerlichen Ungehorsam aufgefordert. Ich habe dergleichen nie gesagt. Ich bitte, das aus Ihrem Repertoire zu streichen.
Gestern hat Sie mein Kollege Wolfgang Roth schon ganz gut bedient, Herr Biedenkopf, als Sie sich aufgerankt hatten an der Kandidatenaufstellung zum Europäischen Parlament. Wir hätten zu viele Gewerkschafter, und das sei eine Gefahr für Europa. Herbert Wehner hat vorhin an Jean Monnet erinnert. Hier sitzen einige von Ihnen, die 20 Jahre lang mit ihm zusammengearbeitet haben. Der Mann hat gewußt, warum er nicht nur die konservativen, liberalen, sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien Europas in seinem Komitee vereinigte, sondern auch die Gewerkschaften. Die Gewerkschafter gehören zu Europa dazu, die Arbeitnehmer gehören zu Europa dazu!
Aber um noch einmal auf Herrn Roth zurückzukommen: Er hat Ihnen ja die rhetorische Frage entgegengehalten, ob es denn nun so viel besser sei, jemanden als Kandidaten ins Europäische Parlament zu schicken, der nichts dabei findet, sich mit Kaiserliche Hoheit anreden zu lassen.
Nun habe ich gar nichts dagegen; jeder Mensch hat seinen Vogel. Warum soll er sich nicht Kaiserliche Hoheit nennen lassen?
Wogegen ich etwas habe bei dem Mann, das ist die politische Gesinnung.
Ich lese Ihnen aus einem Aufsatz von Otto von Habsburg unter der Überschrift „Zeitgerechte Abwehr" vor. Da stehen die folgenden erstaunlichen Sätze — und da ist nicht nur von Deutschland,sondern von demokratischen Staaten schlechthin die Rede —:In der Perspektive der großen kommenden Gefahr ist eine eilige Verfassungsreform unserer demokratischen Staaten geboten ... Was geschehen sollte, drängt sich förmlich auf: Vorerst müßte der Begriff des „Staatsnotstandes" neu umschrieben werden; und es müßte die Ausrufung dieses Staatsnotstandes zum automatischen Inkrafttreten der Sonderbestimmungen führen ... Das Wesentliche wäre: Alle Macht, ohne Verzug, wird auf neun Monate an eine einzige Person übertragen. Dieser Mann sollte, nur für die Zeit des Notstandes, das Recht haben, sämtliche Gesetze zu suspendieren...
Mit dem Staatsnotstand tritt er automatisch an die Stelle des Kanzlers.— Das macht mir besonders viel Angst. —Auch die Funktion des Bundespräsidentenmüßte für die Zeit des Staatsnotstandes ruhen.
Dies ist ganz offensichtlich durch ein ganz erstaunliches Maß politischer Unreife gekennzeichnet. Ehe Sie uns bestreiten, daß wir Gewerkschaftskollegen nach Europa schicken, schicken Sie uns bitte nicht solche unreifen Menschen nach Europa!
Eine schlechte Visitenkarte für Deutschland, Menschen mit solcher politischer Auffassung.
Demgegenüber sind die gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer unseres Landes eine gute Visitenkarte für Deutschland.
Der Herr Biedenkopf hat gestern, sein großes Schlagwort Ordnungspolitik wieder vorführend, wenigstens in der Frageform auch ein paar konkrete bedrängende Fragen angesprochen. Er hat von der Ruhr geredet, vom Stahl; er hätte auch vom Schiffbau reden können. Er hätte konkret reden können von mehreren Branchen unserer Industrie, die jede Zigtausende Arbeitsplätze umfassen. Bei einigen sind die schmerzlichen Prozesse schon sehr weit gediehen, zum Teil schon verdaut; ich rede von der Textilindustrie. Er hätte reden können von manchen deutschen Branchen — ebenso wie in Frankreich, ebenso wie in Holland, ebenso wie in Italien, ebenso wie in England, ebenso wie in Norwegen, in der ganzen europäischen Industriegesellschaft —, die es heute mit den Konsequenzen von fast 20 Jahren gemeinsam betriebener Entwicklungshilfe zu tun bekommen.Wir haben allesamt an Entwicklungsländer Kapital geliefert. Wir haben die Techniken, die Verfahren bzw., wie man heute neumodisch sagt, die Technologien geliefert. Wir haben ihnen ja keine Walzwerke geliefert, damit die daraus ein Museum ma-
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Bundeskanzler Schmidtchen, sondern damit sie damit auch wirklich Stahl walzen. Wir haben ihnen Stahlwerke geliefert, damit sie Stahl kochen. Wir haben ihnen die Technologie geliefert, damit sie damit Schiffe bauen. Und jetzt bauen sie die Schiffe. Die sind billiger als unsere, und deren Stahl ist billiger als unserer. Weshalb? Weil die Löhne dort so niedrig sind, weil die Renten dort viel niedriger sind, weil infolgedessen auch die sozialen Kosten, die Lohnnebenkosten, dort soviel niedriger sind.Wir wollen unsere hohen Löhne und unsere hohen Renten nicht aufgeben! Das können wir auch nicht wollen. Aber jene bleiben billiger als wir. Infolgedessen ist es notwendig, daß unsere Unternehmungen, unsere Unternehmensleitungen, unsere Kaufleute, unsere Ingenieure, unsere Betriebsräte, die Gewerkschaften, auch die Aufsichtsräte sich anstrengen, herauszufinden: Was können sie in Zukunft Neues produzieren, das in den nächsten zehn oder 20 Jahren jene anderen noch nicht so gut anbieten können, selbst wenn die Lohnkosten und die Lohnnebenkosten in Korea und Taiwan, Hongkong und Brasilien, und wie diese Länder alle heißen, niedriger bleiben werden?Herr Biedenkopf hat die Frage nicht beantwortet. Er hat sie gar nicht so ausführlich gestellt, wie ich sie eben wiederholt habe. Aber mit dem Schlagwort „Ordnungspolitik" allein, Herr Biedenkopf, kommen Sie nicht zu Rande.
Ich habe vor mir eine Reihe von Notizen liegen, die ich mir im Laufe der letzten drei, vier Jahre immer gemacht habe, wenn der Herr Ministerpräsident Stoltenberg zur Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik gesprochen hat. Ich will nun nicht Stoltenberg gegen Biedenkopf ausspielen. Stoltenberg ist praxisnäher; er trägt ja Verantwortung.
— Ja, er ist seit einer Reihe von Jahren Ministerpräsident — vielleicht nicht mehr so lange; meine Freunde geben sich Mühe, das zu beenden.
Aber ich möchte doch Herrn Biedenkopf einmal fragen, wie es denn ordnungspolitisch in sein Weltbild paßt, wenn Herr Stoltenberg im September 1974 die Einführung einer Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft verlangt, einen Winter später die Forderung nach einem Bundesprogramm für Küstenschutz, acht Wochen später die Forderung nach Rückgängigmachung der mit dem Haushaltsstrukturgesetz vorgenommenen Einsparungen, wiederum etwas später — im Jahre 1976 — Forderung nach stärkerer Subventionierung des Schiffsbaus, 1977 Forderung nach mehr Hilfen für den Mittelstand; ebenfalls 1977 im Bundesrat plötzlich die umgekehrte Forderung nach Dezentralisation im Mitfinanzierungsbereich und Beendigung der „Fondswirtschaft", durch die der Bund alle diese Hilfen zahlt, die Herr Stoltenberg vorher verlangt hat; am Ende des Jahres 1977 wieder die umgekehrte Forderung nach Verstärkung der Gemeinschaftsaufgabe und der bundesseitigen Regionalförderung. Ich übergehe die meisten Notizen. Im Sommer 1978 Forderung nach Erhöhung der Investitionszulage, im Herbst 1978 in einem Brief an mich die Forderung nach Investitionszuschüssen für Betriebsumstellung. Et, et, et.Manches davon ist, wie Sie gehört haben, in sich nicht ganz konsequent und logisch. Aber ich kann den Mann verstehen. Der steht ja vor Ort und sieht ja, daß es seinen Seeschiffswerften schlecht geht. Er hat kein richtiges Konzept, wie man damit umgeht. Das wird aus diesem Forderungskatalog deutlich. Aber er zieht sich nicht wie der Herr Professor auf die große Überschrift „Ordnungspolitik" oder wie der Herr Althammer auf die große Überschrift „Soziale Marktwirtschaft" zurück-komme, was da wolle. Ich bin für Marktwirtschaft. Aber ich bin auch dafür, daß wir dort, wo es vernünftig ist, den Unternehmen vorübergehend helfen, den Weg in eine auch in Zukunft den Absatz und damit die Beschäftigung und den sozialen Standard sichernde neue Produktion zu finden.
Und wenn Sie es mit der Ordnungspolitik so heiß haben, dann nehmen Sie mal zu der Frage Stellung; ob Sie im Ernst die 6 Milliarden DM streichen wollen, die wir alle miteinander, Steuerzahler und Konsumenten, gemeinsam pro Jahr an die Steinkohle geben. Da Sie Abgeordneter in Nordrhein-Westfalen sind, werden Sie das wohl im Ernst so konkret nicht bejahen. Sondern Sie werden wohl zugeben müssen, daß die Steinkohle ein Paradebeispiel dafür ist, daß es aus übergeordneten Gesichtspunkten durchaus notwendig sein kann, von Staats wegen zu subventionieren, wie es bei der Steinkohle geschieht. Wir würden uns in der Tat an den Enkeln, von denen Sie, Herr Abgeordneter Kohl, geredet haben, versündigen, wenn wir die deutschen Steinkohlebergwerke absaufen ließen — und hinterher säßen wir energiepolitisch auf dem trockenen.
Man. muß sich das Stück für Stück und man muß jeden Einzelfall angucken, ehe man alles über einen Leisten schlägt.Der Abgeordnete Kohl hat im Zusammenhang mit der Ruhr auch von der Lohnsummensteuer gesprochen und von den Sorgen, die es dazu bei den Oberbürgermeistern gegeben hat. Er hat gemeint, wir hätten uns davor zurückgezogen. Das ist nicht wahr. Die Abschaffung der Lohnsummensteuer steht inzwischen im Bundesgesetzblatt, wie Sie wissen. Wir haben uns damit in langen, zähen Verhandlungen, nicht durch Diktat und nicht durch Überwältigungen durchgesetzt. Diese Verhandlungen über den finanziellen Ausgleich haben einen guten Verlauf und ein befriedigendes Ergebnis gezeitigt. Sie sollten eigentlich zufrieden sein mit dem Ergebnis. Sie sollten uns beglückwünschen, daß wir das geschafft haben. Sie haben davon viele Jahre geredet. Aber wir haben es gemacht mit der Lohnsummensteuer.
Dann gab es bei Ihnen, Herr Abgeordneter Kohl, ähnlich wie gestern, ähnlich wie bei Herrn Altham-
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Bundeskanzler Schmidtmer Anspielungen auf öffentliche Verschuldung. Herr Biedenkopf redet auch immer darüber, ohne Zahlen zu nennen. Ich nenne Ihnen mal ein paar Zahlen. Ich vergleiche unser Land mit vergleichbaren Industriegesellschaften. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Man kann die öffentliche Schuldenlast pro Kopf der Einwohner berechnen. Man kann sie berechnen in Prozent des jeweiligen Bruttosozialprodukts. Man kann sie in der Form berechnen, zu sagen: so viel müssen wir jedes Jahr für Zinsen für öffentliche Schulden ausgeben und diese Zinslast in ein Verhältnis zu den ordentlichen Einnahmen setzen. Das wäre vermutlich der beste Maßstab.
Ich will Ihnen sagen, was wir, wenn wir es in Prozenten des Bruttosozialprodukts messen, an Zahlen bekommen. Dann ist die Schweiz mit einer öffentlichen Schuldenlast von 31 % des jährlichen Bruttosozialprodukts ausgestattet, Schweden mit 39 %, Holland mit 40 %, Großbritannien mit 63 %, Belgien und die Vereinigten Staaten von Amerika mit 52 % und wir mit 27 %. Kein Grund zur Schwarzmalerei!
Wenn Sie den zweiten Maßstab nehmen — den Maßstab „Schuldenlast pro Kopf der Bevölkerung" —, dann stehen wir von all diesen Ländern an der alleruntersten Stelle. Dann ist unsere Schuldenlast die geringste.
— Weder eine Milchmädchenrechnung noch eine falsche Rechnung! Es ist die einzig sinnvolle Rechnung, die Sie einmal gefälligst nachprüfen sollten, ehe Sie Ihre Schwarzmalerei hier dauernd ausbreiten.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Narjes?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr gerne eine Zwischenfrage für das „Milchmädchen"!
Herr Bundeskanzler, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Sie bei solchen Vergleichen, wie Sie sie anstellen, mit berücksichtigen müssen, daß in Deutschland zweimal die öffentliche Schuld nach Inflationen gestrichen worden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin bereit, das in Anschlag zu bringen. Mir ist nicht das Bewußtsein verlorengegangen, daß wir zwei Kriege geführt und zwei Weltkriege verloren haben. Ichspüre das ja. Sie spüren es auch. Wir spüren es auch im Haushalt. Gucken Sie sich den Sozialhaushalt im Bundeshaushalt an! Da spüren Sie doch, was wir dafür zu zahlen haben. Gucken Sie sich den Lastenausgleich an! Es ist doch nicht so, daß wir die Lasten nicht trügen.
— Die Rechnung ist völlig in Ordnung.
Ich erinnere daran, daß der Kollege Barzel schon vor sechs Jahren vom „Finanzchaos" geredet hat. Sie möchten dem deutschen Steuerzahler suggerieren, wir nähmen mehr Schulden auf, als wir hinterher zurückzahlen und verzinsen könnten.
— Ja, Sie nicken mit dem Kopf, und das ist dankenswert. Sie nageln sich damit selber auf den Unfug fest. Die Wahrheit ist, daß es in ganz Europa keinen Staat von vergleichbarer Größe gibt, der so wenig Zinsenlast zu tragen hat wie die Bundesrepublik Deutschland.
Das heißt nicht, daß uns das nicht jedes Jahr aufs neue besorgt machen müßte. Das heißt nicht, daß der Finanzminister und das ganze Kabinett für die intensive Beratung durch die Bundesbank, wie weit man dabei gehen darf, nicht dankbar wären. Das heißt nicht, daß wir nicht dem Haushaltsausschuß dankbar wären, der bei den Ausgabenentwürfen hier und da noch ein bißchen abschneidet. Aber es heißt eben auch, daß zu der Schwarzmalerei des Herrn Oppositionsführers kein Anlaß ist.Es war auch kein Anlaß, Herr Abgeordneter Kohl, erneut über die Besorgnisse der Rentner zu sprechen. Die große Mehrheit der Rentnerinnen und Rentner ist zufrieden; denn es geht ihnen besser, als es ihnen jemals zu Zeiten der Minister Katzer und Strauß gegangen ist.
Wir haben ja auch die Rentenversicherungsbeiträge immer noch nicht erhöht. Damals sind sie unter einem Ihrer Minister in einem einzigen Gesetz — wir haben dem zugestimmt — von 14 % des Bruttolohns auf 18 % erhöht worden. Wir haben sie seither nicht wieder erhöht. Es gibt gar keinen Grund, hier schwarzzumalen.Es gibt, glaube ich, auch keinen Grund schwarzzumalen, wenn von der Bevölkerungsentwicklung die Rede ist. Aber es gibt Grund, darüber nachzudenken. Es ist eine Tatsache, daß wir, in der ersten Hälfte der 60er Jahre kulminierend, einen Geburtenberg gehabt haben. Noch zu Zeiten der Regierung von Ludwig Erhard setzte der Rückgang in den Geburtenziffern ein. Das hat sich seit 1966, 1967, 1968, 1969 fortgesetzt. Jetzt haben wir 1979. Das hat sich lange Zeit fortgesetzt. Es mag dafür mehrere Gründe geben.
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Bundeskanzler Schmidt— Einer der Gründe, Herr Mertes, liegt sicher in dem sehr virulent gewordenen Willen der jungen Frauen nach Emanzipation im Leben und nach Unabhängigkeit und nach eigener Leistung und eigener Anerkennung im Beruf. Ein anderer Grund liegt sicher in der Verfügbarkeit von pharmakologischen Mitteln, die es vorher nicht gegeben hatte. Darüber hinaus gibt es viele andere Gründe.Einen Grund gibt es nicht, den man auch hören kann: daß es inzwischen jungen Familien schlechter gehe als damals 1965. Es ist Unsinn, daß die Wohnungsnot größer geworden sei; es ist Unsinn, daß es heute weniger Kindergartenplätze gebe. Im Gegenteil, es gibt deren sehr viel mehr. Dafür haben wir gesorgt. Das zu behaupten wäre Unsinn.
— Ich weiß nicht, was der Zwischenrufer sagen will. Sagen Sie es doch noch einmal laut!
— Alles, was gut ist, haben Sie gemacht?!
— Ich bin einverstanden. Aber die Länder hätten es nicht gekonnt, wenn wir nicht für den ökonomischen Rahmen gesorgt hätten, dafür, daß dieser Staat funktionierte,
wenn wir nicht dafür gesorgt hätten, daß sich durch die Bildungswerbung tatsächlich gleiche Chancen für gleiche Schulbildung in diesem Lande verbreitert und ausgedehnt hätten,
wenn wir nicht z. B. für das Ausbildungsplatzförderungsgesetz gesorgt hätten, das Sie jedes Jahr erneut wieder am liebsten sterben lassen möchten, wenn wir jetzt nicht den Mutterschaftsurlaub ausgedehnt hätten, wenn wir nicht das Kindergeld erfunden hätten. Das sind doch alles Leistungen der sozialliberalen Koalition, die stammen doch nicht von Professor Erhard!
Aber ein Problem liegt hier gleichwohl, über das nachzudenken sich lohnt. Ich will eines sagen, daß manchem von Ihnen nicht gefallen wird. Ich spreche es trotzdem aus. Ich bin überzeugt, daß das Glück eines Volkes nicht im Geburtenüberschuß liegt. Als ich in der Mitte der 20er Jahre zur Schule kam, haben wir gelernt, die Weltbevölkerung betrage 2 Milliarden Menschen. Heute weiß man, daß sie am Ende dieses Jahrhunderts 6 Milliarden Menschen betragen wird. Viele von diesen 6 Milliarden Menschen werden nicht richtig ernährt, haben keinen Arbeitsplatz, werden nicht richtig ausgebildet. Es ist mir sehr fraglich, ob die Gesamtbevölkerung der Welt so schnell wachsen darf.
Diese Frage ist für mich immer ein ganz wichtigesThema in den Gesprächen zwischen Nord und Süd.Ich bin also nicht der Meinung, daß das deutsche Volk wachsen müßte.
Es kann sogar — mit einer Bedingung, die ich gleich anfüge — hingenommen werden, daß die Volkszahl abnimmt. Das muß auch noch kein Unglück sein. Die eigentliche Besorgnis liegt für mich in der zukünftigen Struktur der Altersschichtung insgesamt. Da liegt das eigentliche Problem.
— Wenn Sie es so sagen, haben wir einen gemeinsamen Ansatz, über den wir gemeinsam nachdenken könnten.
Ich will aber auch eines deutlich hinzufügen. Ob und inwieweit es persönliches Glück — wie Sie neuerdings sagen — oder Lebensqualität — wie wir sagen, und dieser Ausdruck ist auch nicht ganz glücklich — für den einzelnen Menschen bedeutet, Kinder zu haben und Kinder aufzuziehen, muß das Ehepaar selber entscheiden. Darüber sind wir uns wohl auch einig.
— Ich behaupte doch nicht, daß dies strittig sei. Ich versuche, einen gemeinsamen gedanklichen Ansatz zu entwickeln, und schon fahren Sie dazwischen. Vorhin haben Sie doch für Gemeinsamkeit plädiert, Herr Kohl. Ist das mit Ihrem Willen zur Gemeinsamkeit nun echt oder unecht?
Ich bitte darum, darüber nachzudenken, ob es nicht richtig ist, daß der Staat denen, die sich entscheiden, Kinder zu haben und aufzuziehen, zwar helfen soll, daß dies aber — lassen Sie mich Ihren Sprachgebrauch übernehmen — eine subsidiär konzipierte Hilfe sein muß. Niemand von uns denkt daran, durch staatliche Prämien Geburtenziffern nach oben zu treiben.
— Es ist ja auch nicht auf Beifall angelegt, verehrter Kollege. Diese Passage soll zeigen, daß noch nicht alle Rezepte zu diesem Thema — Ihre wohl auch nicht — auf dem Tisch liegen. Von Herrn Kohl habe ich zu diesem Thema überhaupt kein Rezept, sondern nur ein Fragezeichen gehört. Das nehme ich ihm gar nicht übel. Ich versuche, ihm darzutun, wie weit mein Denken hierzu im Augenblick geraten ist. Vielleicht ist Ihres weiter geraten. Wenn es allerdings nur darin bestünde, daß Sie — so wie Herr
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Bundeskanzler SchmidtStoltenberg — eine lange Latte von Ausgabenwünschen auf den Tisch legen, so wäre das weder eine familienpolitische Konzeption, die sich selber trägt, noch wäre damit schon dem „Glück der Menschen" Rechnung getragen, Herr Abgeordneter Kohl.
Wir werden darüber im Laufe der nächsten Jahre eine ganze Menge nachdenken müssen. Es gibt ja Parallelerscheinungen in Mitteleuropa, in Osterreich, der Schweiz, der Deutschen Demokratischen Republik. In der DDR gibt es in den letzten achtzehn Monaten möglicherweise einen Trendwechsel, vielleicht auch nur — man weiß das noch nicht — einen vorübergehenden Pendelausschlag.
Sie haben mir unterstellt — oder war es Herr Althammer? —, ich hätte eine Denkschrift von Bevölkerungswissenschaftlern zur Verschlußsache erklärt. Das ist nun wirklich töricht. Wieso sollte man wissenschaftliche Denkergebnisse zur Verschlußsache machen? Ich fand nur, .daß manche der Prognosen allzu einfach waren
— in der Tat —, als daß man sie mit irgendeinem regierungsamtlichen Adjektiv hätte veröffentlichen sollen. Sie sind ja alle öffentlich zu lesen. Es muß darüber noch ein bißchen mehr nachgedacht werden.Es muß auch über den Anteil der Ausländerbevölkerung an unserer Gesellschaft nachgedacht werden. Es muß darüber nachgedacht werden, was mit den Kindern der Ausländer wird.
Sie können doch nicht übersehen, daß viele der Ausländerkinder in der schulischen, der gewerblichen und der beruflichen Ausbildung Not leiden. Wir alle haben Sorgen — dies gilt z. B. für die Innenminister aller elf Länder —, wohin das wohl führen wird, allein schon unter dem Aspekt der inneren Sicherheit. Und dieser Aspekt ist zwar nicht der unwichtigste, aber doch nur einer von vielen Aspekten und jedenfalls nicht derjenige, der sittlich und moralisch bei dem Problem des Schicksals dieser Kinder im Vordergrund zu stehen hätte.Sie haben daran Kritik geübt, daß wir jemanden gebeten haben, sich darum zu kümmern. Es handelt sich ja weitgehend um einen Fragenkomplex, der in der Kompetenz der Landesregierungen und der Landtage liegt, nicht in der Kompetenz des Bundestages und der Bundesregierung. Wir haben jemanden gebeten, sich darum zu kümmern, der aus der Sicht eines Landes schulpolitische, sozialpolitische, fürsorgerische und gewerbepolitische Erfahrungen hat. Sie haben sich nur daran aufgehängt und darüber geärgert, daß der Mann Sozialdemokrat ist.
— Was haben Sie eigentlich gegen Ministerpräsidenten außer Diensten? In diesem Fall handelt essich um einen Mann, der in Zukunft noch zusätzlicheVerdienste auf jene darauflegen wird, die er sich in unserem Lande bisher schon erworben hat.
Wenn wir irgendwo einen sehen, der in diesem Staat etwas zusätzliches zu leisten vermag, dann kann es doch keine Rolle spielen, ob er ein Amt aufgegeben hat oder nicht. Wir fragen doch auch den Bundesminister außer Diensten Höcherl, wenn wir für diesen gesamten Staat einen Rat brauchen.
Es gibt auch andere, die ich gerne fragen würde, wenn sie sich zur Verfügung stellten.Daran kann man sich doch nicht im Ernst stoßen. Das ist doch ein Argument unterhalb des Niveaus des Deutschen Bundestages.Herr Kohl hat sodann von einer Kampagne gegen den Kollegen Professor Carstens gesprochen, der ja noch nicht offiziell zur Kandidatur für die Bundespräsidentenwahl nominiert ist, und hat mir unterstellt, ich hätte an einer „unanständigen Kampagne" gegen Professor Carstens in den Landtagswahlkämpfen teilgenommen.
Herr Kohl, ich weise das zurück. Ich stelle dazu fest:Erstens. Ich habe keinerlei Anteil an solchen Kampagnen.Zweitens. Ich habe nichts gegen die Kandidatur irgendeines Mitgliedes dieses Hauses, auch nichts gegen eine Kandidatur des Herrn Professor Carstens. Aber ich wiederhole ganz genauso offen: Ich würde von Herzen gern Walter Scheel als Bundespräsident behalten und deshalb erneut wählen,
weil ich in der Tat — Herr Abgeordneter Kohl, Sie sprachen dauernd von Gemeinsamkeit — die Integrationsaufgabe des Bundespräsidenten bei Scheel in sehr guter Hand befindlich erkennen kann.
Drittens. Herr Abgeordneter Kohl, Sie haben von dem „Souverän", den deutschen Wählern gesprochen. Aber da irren Sie sich: Die Mehrheit der deutschen Bürger ist in diesem Punkte eher meiner Meinung als Ihrer Meinung.
Viertens. Sie haben darauf hingewiesen, daß die Wahl des Präsidenten nicht die Wähler entscheiden, sondern die Bundesversammlung. Da haben Sie recht. Aber es ist doch wohl erlaubt und legitim, so, wie man bei vielerlei Gelegenheiten das politische Denken des Herrn Kohl oder des Herrn Mischnick oder des Herrn Wehner durch öffentliche Rede und Widerrede, z. B. hier in diesem Hause, beeinflussen darf, die Mitglieder der Bundesversammlung geistig und politisch zu beeinflussen zu versuchen. Das habe ich getan; das werde ich auch in Zukunft tun. Das werden Sie auch nicht beanstanden können.
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Bundeskanzler SchmidtIm übrigen — nur auf die abermalige Anzapfung hin — sage ich erneut öffentlich: Ich bin gegen alle Schnüffeleien in allen politischen Lagern,
ich bin gegen eine erneute Entnazifizierung. Ich habe übrigens nichts dagegen — damit das richtig, verstanden wird —, wenn die CSU in meinem Leben weiterhin schnüffelt; das als Klammerbemerkung. Was dabei herauskommt, kann ich gut verantworten. Das kann jeder lesen. Damit kann sich jeder sehen lassen. Was wir aber nicht gebrauchen können, wenn wir keine neue Entnazifizierung wollen: Wir können nicht politische Führer gebrauchen, die sich an ihr eigenes Leben und an von ihnen gefällte Todesurteile nicht mehr erinnern können.
Sie haben in diesem Zusammenhang ein Wort über den amerikanischen Fernsehfilm „Holocaust" gesagt, der im Augenblick auch bei uns gezeigt wird — was ich übrigens begrüße. Daran mag manches falsch sein; vieles an diesem Film ist aber richtig. Ich habe Teile davon in Amerika gesehen und jetzt bisher nur einen kurzen Ausschnitt. Jedenfalls zwingt dieser Film zum kritischen Nachdenken, zum moralischen Nachdenken. Nachdenken tut hier not, auch im Hinblick auf die Entscheidung, die jeder von uns im Laufe dieses Jahres, jeweils für sich, in Sachen der strafrechtlichen Verjährung von Mord zu treffen' haben wird. Beinahe möchte ich hinzufügen: Eigentlich sollte dieser Film auch im anderen Teil Deutschlands gezeigt werden. Auch die Menschen dort haben ein Recht, Anlaß und Stoff zu bekommen, über unsere gemeinsame deutsche Geschichte erneut nachzudenken.
Sie werden bemerkt haben, daß hier keine tiefe Divergenz zwischen uns beiden besteht. Ich hoffe, es wird mir nicht übel genommen, daß ich auch Dinge sage, über die wir uns nicht streiten müssen.Streiten müssen wir uns in Sachen Extremistenerlaß. Sie haben das erstaunliche Wort gebraucht, hier sei ein Stück verfassungspolitischer Gemeinsamkeit aufgegeben, aus Angst aufgegeben worden. Herr Kohl, die Regelanfrage bei Einstellung in den öffentlichen Dienst steht weder im Grundgesetz noch im Urteil des Verfassungsgerichts, welches das Grundgesetz auslegt. Kommunistische oder rechtsextremistische Gefährdungen unserer Gesellschaft, unseres Staates haben wir von 1945 bis auf den heutigen Tag gehabt, auch vor 1972. Vor 1972 hat es bei gleichem Verfassungsrecht aber keine Regelanfrage gegeben. Nirgendwo ist geboten, daß Hunderttausende von Menschen durchgeprüft werden müssen, nirgendwo ist das geboten.
Das hatten Sie in den CDU-regierten Ländern früher ja auch nicht getan. Das ist vielmehr eine Praxis, die erst in diesem Jahrzehnt begonnen wurde, zwar in gutem Glauben und mit guter Absicht, aber leider, wie man inzwischen weiß, mit Nebenergebnissen, die das Vertrauen eines Teils der jungen' Generation in die Kontinuität unseres Rechtsstaats eher gefährden als festigen.
Deswegen ist das Ganze keine Verfassungsrechtsfrage, sondern es ist zum Teil eine Zweckmäßigkeitsfrage, auch eine psychologisch-pädagogische Zweckmäßigkeitsfrage. Für manche ist es auch eine Frage ihrer liberalen Grundgesinnung; das will ich nicht verschweigen.Ich bin — wie eh und je — der Meinung, daß Leute, die Gewalt üben, nicht in den öffentlichen Dienst gehören, daß Leute, die Grabsteine mit Hakenkreuzen beschmieren, nicht in den öffentlichen Dienst gehören.
Aber ich bin auch der Meinung, daß Menschen das Recht haben, sich zu entwickeln. Es mag fraglich sein, ob wir allesamt richtig beraten waren, die Volljährigkeit auf den Beginn des 18. Lebensjahres festzusetzen; das mag sehr fraglich sein.
— Ja, Sie haben ja zugestimmt. Wir alle zusammen haben das gemacht. — Ich glaube, daß sich manche Menschen nach dem 18. Lebensjahr — die meisten, wir alle wahrscheinlich — noch entwickeln. Einen Teil davon müssen wir als Entwicklung des Erwachsenen gegen uns gelten lassen, einen Teil davon dürfen wir als jugendliche Durchlaufphasen ansehen.
— Erlauben Sie mir, Herr Kohl, daß ich nicht nur zu Ihnen spreche. Wenn Sie mir hier ausnahmsweise zustimmen, dann ist es ja gut. Aber ich darf wohl meine Gedanken, nachdem Sie das Thema angeschnitten haben, auch ausbreiten. — Wenn wir hier offenbar übereinstimmen, daß man jungen Menschen nicht alles vorwerfen soll, was sie tun, dann müssen junge Menschen ihrerseits wissen: Wenn sie hier ein solches Entgegenkommen in Anspruch nehmen dürfen — daß man nicht alles und ewig auf die Waagschale legt, was sie als junge Leute tun — dann müssen sie genauso akzeptieren, daß nicht alles, was sie uns als junge Leute sagen, von uns nun auch gleich akzeptiert und gemacht werden muß. Wir haben das Recht und die Pflicht, zu widersprechen, wenn wir anderer Meinung sind. Das sollten wir auch tatsächlich tun. Diejenigen der jüngeren Generation, die sich in Irrwege verlaufen, haben ein Recht darauf, von Erfahreneren Widerstand geleistet zu bekommen. Sie haben ein pädagogisches Anrecht auf solchen Widerstand. Darin sind wir sicherlich auch einig.Wenn Sie sich die Statistiken ansehen, wenn Sie sich ansehen, wieviel Hunderttausende von Leuten karteimäßig überprüft worden und wie sehr wenige davon tatsächlich nachher abgelehnt worden sind, dann wird Ihnen das Mißverhältnis wahrscheinlich selber deutlich. Es kann sein, daß nach dem viel zu
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Bundeskanzler Schmidtweit gegangenen Pendelausschlag 1972 das Pendel heute hier und da ein bißchen zu weit in die andere Richtung ausschlägt; das werden wir abwarten müssen.Ich bin dafür, daß dieser Versuch gemacht wird. Wenn Sie Ihre Position bitte noch einmal prüfen wollen: keineswegs haben wir — weder aus Angst noch aus anderen verwerflichen Motiven — solchen Forderungen nachgegegeben, die wir nicht glaubten verantworten zu können. Es waren mehrere solcher Forderungen, die ich nennen könnte. Ich unterlasse das jetzt. Wir machen einen Versuch, einen neuen Anfang und hoffen, daß er bei den jungen Menschen zu einer Verbreiterung der Vertrauensbasis führt.Ich möchte in diesem Zusammenhang sehr deutlich sagen, daß die Bundesregierung — und, ich glaube, ich darf das für die Freie Demokratische Partei und für die sozialdemokratische Fraktion auch mit sagen — sehr wünschen würde, wenn die Monopolausbildungsverhältnisse des Beamtenrechtsstatus entkleidet und ein anderes Anstellungsverhältnis an die Stelle gesetzt werden könnte.
Die Länder haben die Möglichkeit. Da gibt es gegenwärtig im Bundesrat einen Gesetzentwurf dazu. Die Bundesregierung wird dazu dem Bundestag demnächst ihre Meinung sagen.Ich habe ein bißchen das Gefühl gehabt, Herr Abgeordneter Kohl, daß das ganze Thema von Ihnen nur deswegen angeschlagen wurde, weil Sie ja im Grunde erneut — Sie folgen da Herrn Ministerpräsidenten Strauß in seiner früheren Eigenschaft als Abgeordneter — Sozialdemokraten und Kommunisten gern in eine Nähe zueinander rükken möchten. Sie haben gesagt, Extremisten von links und rechts hätten im Durchschnitt der Jahre 0,9 0/o erreicht hier in Deutschland; das sei ja nicht viel.
— Ja, gut, 1976. Das ist ja gut, sogar sehr gut, da sind wir uns beide einig. Aber wenn das so ist, weswegen sollten wir denn mit 0,9%- das wäre doch schon arithmetisch absurd — Koalitionen anstreben? Wir haben doch eine Mehrheit, eine knappe, aber eine ausreichende Mehrheit. Manchmal wäre einem lieber, wenn sie ein bißchen opulenter wäre. Manchmal wäre einem allerdings auch eine etwas schlagkräftigere Opposition lieber. Je stärker die Opposition politisch wäre, desto besser könnte man auch mal mit einer knappen Mehrheit regieren — wenn ich Ihnen ein Geheimnis offenbaren darf!
Aber warum sollten wir vor allem anderen überhaupt mit Kommunisten zusammengehen wollen?
Die Kommunisten wollen die Teilung Deutschlands endgültig machen. Sie wollen, daß eine einzige Partei die Macht ausübt. Es gibt viele junge Menschen unter den Kommunisten, die große, ehrliche Ideale haben; ,das habe ich auch erlebt. Aber es gibt viele alte Kommunisten, die schreckliche Enttäuschungen ihrer Ideale durch die kommunistische Praxis erlebt haben. Weswegen sollten wir Sozialdemokraten solche Lebensenttäuschung auch diesem Teil der geteilten deutschen Nation zumuten? Wir wollen keine staatlich verordneten Löhne, keine staatlich verordnete Glückseligkeit für jeden nach demselben Schema, keine Staatsgewerkschaften, keine staatlichen Normen oder Arbeitsbedingungen. Wir wollen weder DKP noch KPD noch KPD/ML noch — wie heißen sie alle — KBW noch KB. Wir wollen die alle nicht in diesem Hause als Mitglieder sehen. Aber wir wollen sie in offener, in geistiger, in sittlich-moralischer, in politischer Auseinandersetzung durch die große Mehrheit unserer freien Bürger besiegt sehen und nicht durch die Ämter, die Dienste und die Gerichte.
Wir brauchen diese Dienste und brauchen diese Ämter und brauchen die Gerichte, um Bescheid zu wissen, um zu ordnen, um Gerechtigkeit walten zu lassen. Wir brauchen aber vor allem anderen den selbstbewußten Bürger, um Kommunisten und alle anderen Extremisten von links und Neonazis und allen anderen Extremisten von rechts jedesmal, bei jeder Wahl wieder diesen gleichen Prozentbruchteilen, die Sie zitiert haben, anheimfallen zu lassen.Ich wundere mich eigentlich ein bißchen, warum Sie es denn nicht lassen können — einerseits reden Sie von Herzenstakt und -gute; ich zitiere Sie aus Ihrer Duisburger Rede von vor einigen Tagen —, in solchen Zusammenhängen die andere große Partei moralisch disqualifizieren zu wollen. Erstens, Herr Kohl, gelingt es Ihnen nicht; denn Sie sind damit nicht glaubwürdig. Zweitens vertiefen Sie Gräben, was Sie angeblich ja nicht wollen. Was soll denn das? Einerseits halten Sie in derselben Rede eine große Predigt gegen die Macher, die Planer, die vorschnellen Analytiker, die Memorandenschreiber, die Intellektuellen; ich weiß nicht, ob Biedenkopf oder Schmidt gemeint war, offenbar ist für Sie beides dieselbe Soße.
Ich will das gar nicht leichthin ironisieren; wer Sie kennt, weiß ja, daß Sie so etwas ernst meinen, Herr Kohl,
und daß Sie es ernst meinen, wenn Sie andererseits in derselben Rede davon sprechen, das Herz und das Gemüt müßten in der Politik die große Rolle spielen. Beides, Herr Kohl, wird verlangt, das Herz, aber auch der abwägende Verstand, die Vernunft.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10317
Bundeskanzler Schmidt— Ich zitiere das, was ich vor mir habe. Sie haben in derselben Rede Bismarck und Adenauer zitiert. Beide hatten ganz gewiß Herz und ganz gewiß Gemüt, aber ganz gewiß waren es Leute sehr kühlen, abwägenden Verstandes und Urteils, und ganz gewiß haben sie ihr Gemüt nicht auf der Zunge getragen, wenn sie ihre politischen Entscheidungen trafen und sie vor dem Deutschen Reichstag zu Berlin oder vor diesem Parlament zu begründen hatten.Tun Sie doch nicht so, als ob allein mit Herz oder mit „visionärer Schau", wie Sie dort gesagt haben, dieses Land zu steuern wäre.
Tun Sie doch nicht so, als ob allein mit dem Anstand, von dem Sie meinen, Sie hätten ihn gepachtet, dieses Land zu steuern wäre. Sie müssen sich aber, was den Anstand angeht, beim Wort nehmen lassen. Und wenn Sie in derselben Rede sagen, die Sozialdemokratie sei aus der Gemeinschaft der Demokraten ausgebrochen,
dann sage ich Ihnen, Herr Kohl — und ich verzichte auf jede Polemik —:
Auch für die Opposition gilt die Wahrheits- und die Anstandspflicht!
Man kann nicht auf der einen Seite Harmonie oder möglichst viel Einheitlichkeit und Gemeinsamkeit beschwören und sich auf der anderen Seite in derselben Rede so verhalten.Ich halte es hier mit Ernst Fraenkel, der vor etwa 15 Jahren geschrieben hat, im Pluralismus sei ein Minimum von Homogenität notwendig, ein Maximum aber nicht erstrebenswert. Demokratie ist die Lebens- und Staats- und Gesellschaftsform der Vielfalt, und deswegen, verehrte Freunde von der Christlich Demokratischen Union, kann es kein einheitliches Menschenbild geben, sondern hat jeder das Recht, sich sein Bild vom Menschen, wie er eigentlich sein sollte, zu machen.
Es kann kein einheitliches deutsches Geschichtsbild geben, und es kann infolgedessen auch kein einheitliches Zukunftsbild geben.Übrigens haben Sie Ihr Zukunftsbild hier nicht entrollt; Sie haben nur lange Fragen an mich gestellt. Es wäre ja doch ganz schön gewesen, einmal wenigstens an irgendeiner Stelle zu hören, was Sie denn nun wirklich konkret anders haben wollen. Das wäre doch wirklich einmal gut, nicht?
— Das machen Sie bei einem anderen Haushalt; ja, das habe ich mir gedacht.
- Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Die Mehrheit der Europäer, mit denen wir gemeinsam in den Wahlkapmf gehen, auch der anderen christdemokratischen Parteien, würde nicht im Traum über die gegenwärtige Regierungskoalition in Bonn so denken, wie Sie über sie reden, Herr Kohl.
Sie haben zum wiederholten Male von außenpolitischer Gemeinsamkeit gesprochen. Sie haben das schon häufig gesagt. Wenn das konkret gemeint ist, heißt das dann konkret auch, daß Sie aufhören, denjenigen, dem Sie Gemeinsamkeit anbieten, gleichzeitig als den Schrittmacher oder das Sprachrohr von Herrn Breschnew abzuwerten? Welches von beiden Ihrer Zitate gilt nun, das von dem „Sprachrohr Breschnews" oder das mit der Gesamtheit? Was von beiden ist ernst gemeint, so möchte ich hier fragen.
Übrigens haben Sie das Breschnew betreffende Zitat ja aus dem Zusammenhang gerissen. Ich habe das Zitat von Fred Luchsinger aus der „Neuen Zürcher Zeitung" natürlich im vollen Text hier.
— Sie haben den zweiten Halbsatz weggelassen.
— Da steht:. .. fast als Sprachrohr Breschnews, aber Carter und noch deutlicher Vance folgen heute dicht hinterher.
Das ist ein Generalangriff auf die ganze westliche Politik, nicht nur auf Schmidt, sondern ebenso auf die Amerikaner. Aber das haben Sie nicht mit vorgelesen.
Ich halte diesen Generalangriff für abwegig.Ich finde es erstaunlich, wer alles in den Zeitungen in Amerika oder Europa berichtet, was vier Menschen auf jener Antilleninsel angeblich miteinander besprochen haben, was man alles gehört haben will und wie es kommentiert wird. Das erstaunlichste Wort in dem von Ihnen zitierten Aufsatz ist die Behauptung von der „Selbstfinnlandisierung der amerikanischen Politik". Jemand, der sich so verrennt — nicht nur außenpolitisch, sondern auch stilistisch und was das menschliche Feingefühl angeht —, ist für Sie eigentlich keine Autorität, Herr Abgeordneter Kohl.
— Es wird doch wohl noch erlaubt sein, sich gegenüber einem Zeitungsartikel zur Wehr zu setzen. Na, hören Sie mal! Wenn wir allerdings jeden Artikel korrigieren wollten, hätten wir viel zu tun. Bloß wenn sie der Oppositionsführer hier offiziell in die Debatte des Parlaments einführt, muß man darauf antworten dürfen.
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10318 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Bundeskanzler SchmidtDieser Artikel bringt eine umfassende Kritik an der Entspannungspolitik des Westens. Ich muß Ihnen dazu sagen, daß die Vertreter der vier Staaten, die dort zusammen waren — USA, Frankreich, England und wir —, völlig darin übereingestimmt haben, daß es zur Fortsetzung der Entspannungspolitik keine verantwortbare Alternative gibt.'
Da Sie ansonsten auf die Außenpolitik nicht weiter eingegangen sind — nur von China war noch die Rede —, werde ich meine Rede damit auch nicht befrachten, zumal ich hoffe, daß der Bundesminister des Auswärtigen Gelegenheit nehmen oder bekommen wird, seinerseits etwas ausführlicher zu diesem Thema heute zu sprechen. Jemand, der bei Einzelplan 04 die Außenpolitik einführt, muß sich auch die Antworten der Bundesregierung gefallen lassen, nicht nur von mir, sondern auch von dem dafür von Amts und von Verfassung wegen bestellten Bundesminister des Auswärtigen, der seine Sache ausgezeichnet vortragen wird.
Sicherlich wird Herr Genscher auch zu dem von Ihnen angeschnittenen Thema China sprechen. Ich will dazu nur zwei Sätze sagen. Wir sind dabei, die Antworten auf die Briefe, die wir bekommen haben, vorzubereiten. Ich denke, es steht einem großen Waffenexporteur nicht gut an, anderen Ratschläge zu erteilen. Jedenfalls werden wir unsere restriktive Waffenexportpolitik fortsetzen, d. h., von uns erhält auch die Volksrepublik China keine Waffen.Ich frage mich allerdings, ob man da auf anderem Felde nun so weit gehen sollte, wie Herr Professor Abelein meint. Er ging so weit, zu sagen, für die Wiedervereinigung Deutschlands und das materielle und idelle Wohlergehen der Bevölkerung der DDR sei es besser, einige Milliarden DM für die Entwicklung Chinas auszugeben. Ich bin ja bereit, daran mitzuwirken, daß China Kredite bekommt, damit es bei uns etwas kaufen kann. Es würde uns allen nützen, wenn wir dorthin verkaufen. Aber was ist das für ein Zusammenhang, Herr Kohl!Wissen Sie, ich würde an Ihrer Stelle einmal ein Kolloquium veranstalten, mit Herrn Abelein, Herrn von Weizsäcker und Ihnen selbst in der Mitte, um herauszufinden, welche Deutschlandpolitik bei Ihnen eigentlich gelten soll.
In Ihrem vorletzten Komplex haben Sie sich Gedanken über das Verhältnis zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und der Bundesregierung bzw. meiner Person gemacht. Das heißt, in Wirklichkeit haben Sie sich die Sorgen nicht gemacht, sondern Herr Biedenkopf hatte in seinem veröffentlichten Memorandum das Stichwort ausgegeben, das sei der eigentliche strategische, der archimedische Punkt, den sich die CDU aufs Korn nehmen müsse. Das haben Sie getan, könnten Sie denken; die Weisung ist befolgt. Aber glauben Sie denn das? Hatten Sie je den Eindruck, daß die Sozialdemokratische Partei ein Gesangverein ist, woeiner den Taktstock schwingt und die anderen imChor singen? Das ist nicht einmal mehr in der CDUso. Dort war das zeitweilig so gewesen, das ist wahr.
Da gibt es aber jetzt gegenwärtig mehrere Taktstöcke.
Die Sozialdemokratische Partei ist ein Institution der geistigen Auseinandersetzung.
Das war über die ganzen 120 Jahre, die es bald sind, der Geschichte der SPD so, das ist heute so, und das bleibt auch so.. Im Rahmen solcher geistigen und politischen Auseinandersetzungen werden auch Meinungen geäußert und Bemerkungen gemacht, die z. B. der amtierende Bundeskanzler nicht vertritt. Das halte ich durchaus für etwas Selbstverständliches. Sie werden auch nicht Herrn Abeleins und Herrn von Weizsäckers Berlin- und Deutschlandpolitik gleichzeitig unterschreiben können oder gleichzeitig unterschreiben, was Herr Barzel, was Herr Biedenkopf und was Sie selber sagen.
Das ist in einer politischen Partei wohl etwas Normales. Aber wenn Sie glauben machen wollen — Sie hab en immer den stellvertretenden Parteivorsitzenden angeredet —, als ob die Parteien sozusagen zu Exekutivorganen der Bundesregierung reduziert werden sollten,
dann kann ich Ihnen da nicht folgen.
Sicherlich ist die gegenwärtige Sozialdemokratie für den gegenwärtigen Bundeskanzler nicht ganz so bequem, wie die CDU in seinen längsten Amtszeiten für Konrad Adenauer bequem war. Das ist wahr. Ich meine auch, manchmal könnte sie es ihrer Regierung etwas leichter machen, verehrte Freunde. Das ist auch wahr.
Aber ebenso- meine ich mit meinem Amtsvorgänger Willy Brandt — das hat er im Laufe seines politischen Lebens mehrere Male gesagt —, ebenso meine ich mit meinem Kollegen Hans-Dietrich Genscher gemeinsam, daß wir uns als Regierungspersonen keineswegs zu jeder Zeit mit allem identifizieren können, was jeweils in der eigenen Partei für wünschenswert gehalten wird.Wenn Sie Herrn Genscher vorwerfen, daß er in einer bestimmten Situation einigen seiner Kollegen klargemacht hat, sie könne möglicherweise zu unerwünschten Entwicklungen führen, die die Betreffenden vielleicht nicht vorhergesehen haben, möglicherweise sogar zu Rücktritten, so sollten Sie bedenken, Herr Kohl: Es gehört Mut dazu, mit seinem eigenen Rücktritt, mit seiner eigenen Vertrauens-
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Bundeskanzler Schmidtfrage eine politische Entscheidung herbeizuführen. Es gehört Mut dazu.
Ich will nur noch eine kleine Fußnote für den Professor Biedenkopf beifügen. Ich bin seit Kriegsende Sozialdemokrat — das sind nun gut 33 Jahre. Meine Partei hat mir im Laufe meines Lebens mancherlei Ämter aufgetragen; und ich bemühe mich redlich in all diesen Ämtern, zugleich als Sozialdemokrat und zugleich zum Wohle des ganzen Volkes, als Anwalt des öffentlichen Wohls, diese Ämter auszufüllen. Sicher wird man eines Tages auch als Sozialdemokrat sein Leben beenden. Ich habe meinen eigenen Freunden vor ein paar Jahren auf einem Parteitag gesagt, daß ich als Sozialdemokrat zum Bundeskanzler gewählt worden sei und daß sie sich auf meine Solidarität verlassen müßten und daß sie das können und daß ich mich ebenso auf ihre Solidarität verlassen muß und daß ich das auch tue. Das gilt damals so, wie es heute gilt und wie es morgen gilt. Die schlau ausgedachte Denkschrift des Kollegen Biedenkopf, die Gott sei Dank rechtzeitig für uns zu erkennen gibt, was die zentrale Strategie der CDU/ CSU ist:
„Trennt die SPD von der Bundesregierung!", die kam gerade rechtzeitig, was die Veröffentlichung angeht. Wir haben es gerade noch rechtzeitig gemerkt. Wir werden das nicht vergessen, was Sie als Strategie ausgegeben haben.
Ich sage Ihnen schlicht und einfach: Es kann sein, daß sich die Opposition eines Tages von ihrem Kanzlerkandidaten trennt — das mag so sein —, aber um z. B. mich von der Sozialdemokratischen Partei zu trennen, muß ein bißchen mehr Gewicht auf die Bühne gebracht werden, als der Herr Kohl und der Herr Biedenkopf zusammen an Gewicht ausmachen.
Sie haben vor ein paar Tagen in Duisburg von der Zukunft geredet, von der „visionären Schau". Ich stelle mir vor, zu einer der Zukunft verpflichteten Politik gehört die Fähigkeit des Politikers, zu erkennen, was problematisch ist, was geändert werden muß; die Fähigkeit, zu erkennen, wie man das ändern kann; die Fähigkeit, andere zu überzeugen, daß sie mithelfen, das zu ändern. Die Vorstellung von der Zukunft entscheidet sich an den konkreten Einzelfragen, die man in ihrer Veränderbarkeit, in ihrer Reformfähigkeit erkennen muß, die man in ihrer Reform konkret fördern muß.Dazu bedarf es der Nachdenklichkeit. Es bedarf auch der Sensibilität, Entwicklungen zu erkennen. Es bedarf auch des Mutes zum Umdenken, auch der Bereitschaft, zu entscheiden und zu handeln. Was war es denn eigentlich an Ihrer heutigen Rede, das zukunftsorientiert in diesem Sinne war, Herr Abgeordneter Kohl?
Wenn Sie uns vorwerfen, wir hätten kein Bild von der Zukunft, sage ich Ihnen: Das wichtigste Bild von der Zukunft, das ich habe, ist das der Bewahrung des äußeren Friedens und das der Bewahrung des inneren Friedens. Ohne das geht in unserem Land gar nichts.
Ich denke, daß die sozialliberale Koalition in bald zehn Jahren dazu einiges beigetragen hat. Das wird auch auf der ganzen Welt anerkannt: die Kontinuität der Politik zum Frieden. Das sollten Sie bedenken, wenn Sie Entwürfe für die Zukunft darüber machen, wie denn Ihre Friedenspolitik aussähe. Vielleicht sähe sie gar nicht viel anders aus. Ich halte es für möglich, daß Sie im Grunde meinen: „Die machen es schon ganz gut, nur darf man es nicht zugeben." Das könnte sein. Die Mehrheit der Deutschen denkt: „Die machen es ganz gut", aber die Mehrheit gibt es auch gerne zu, Herr Kohl.
Wie ist das mit dem anderen großen weltpolitischen Thema? Welches sind Ihre Konzeptionen, wenn nicht von West-Ost, sondern von Nord-Süd die Rede ist?
Soll im Ernst gelten, was Ihr jugendlicher Sprecher vertritt, so daß man das Gefühl bekommt, daß wir mit missionarischem Eifer die eigenen parteiinternen ordnungspolitischen Vorstellungen auf die südliche Hälfte der Erdkugel übertragen sollen? Ist das gemeint? Ist das die Zukunftskonzeption?Was ist Ihre Zukunftskonzeption in der Überprüfungspraxis, von der die Rede war?Was ist Ihre Zukunftskonzeption, was die Entwicklung der politischen Parteien angeht? Wir wissen immer noch nicht, wie das mit der vierten Partei ist.
Jetzt wird uns gesagt, Sie entschieden nach der schleswig-holsteinischen Landtagswahl. Das hat zwei Nachteile. Zum einen wird an dieser Prognose „das entscheiden wir nach der Landtagswahl in Kiel" deutlich, daß Sie sich nicht getrauen, den dortigen Wählern vorher zu sagen, was Sie wirklich wollen. Zum anderen könnte es sein, daß Sie sich opportunistisch danach richten wollen, wer zufällig eine Stimme oder einen Sitz mehr bekommt. In Wirklichkeit hilft Ihnen das Verschieben von Problemen nichts. Sie müssen sich entscheiden, ob Sie zwei christliche Parteien wollen. Ich bin nicht dafür. Es würde uns Sozialdemokraten und den Freien Demokraten kurzfristig nützen, langfristig aber führt es zu einer Aufspaltung des deutschen Parteienspektrums. Ich wäre nicht dafür. Aber Sie müssen endlich einen Entschluß fassen, nachdem Sie drei Jahre lang darüber öffentlich debattieren, und kein Mensch weiß, was Sie wirklich wollen. Vielleicht dürfen Sie keinen Entschluß fassen, vielleicht macht das der Herr Zimmermann oder der
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10320 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Bundeskanzler SchmidtHerr Strauß? Dann sollen diese beiden uns das sagen.
— Das geht mich sehr viel an, weil mich das Schicksal der deutschen parlamentarischen Demokratie etwas angeht, verehrter Herr Kollege.
Wenn von Zukunft die Rede ist, könnten Sie auch ein anderes Thema nehmen, ein kleines, überschaubares, Herr Kollege Kohl.
Nehmen Sie aus dem großen Bereich des Konfliktes zwischen ökonomischen Notwendigkeiten und ökologischen Notwendigkeiten, des Widerspruchs zwischen Arbeitsplatzbeschaffungspolitik und Umweltschutz den kleinen Ausschnitt Umweltchemikaliengesetz. Ein ganz kleiner Ausschnitt. Hier ist ein konkretes Stück Zukunftsbewältigung, das vor uns liegt. Da wird es ein Gesetz geben, das eines der vielen Ergebnisse des Nachdenkens über das Leben unserer Kinder und unserer Enkel ist. Zum Beispiel dieses Gesetz, das Umweltchemikaliengesetz, wird auch Gelegenheit geben, richtig, ausgewogen, abgewogen zwischen ökonomischen und ökologischen Notwendigkeiten zu entscheiden.
Es wird auch Gelegenheit geben, Herr Kollege, klarzumachen, daß Sie in der Opposition den Einflüsterungen der industriellen Lobby widerstehen können.
So könnten Sie viele Stücke der Zukunftsbewältigung herausgreifen, wenn Sie es nur wollten.Sie haben Ihre Rede begonnen, Herr Abgeordneter Kohl, mit einer Kritik an meiner Zuversicht für das Jahr 1979, und Sie haben gesagt, mit jedem Jahre werde die Entwicklung weiter rückläufig sein. Da schüttelt's einen. Ich finde immer noch — ich weiß, die große Mehrheit der Deutschen findet mit mir, und Ihre Konpatriotin Frau Noelle-Neumann kann es Ihnen zeigen; die hat das sogar bei den Menschen erfragt —, daß wir Grund haben, mit Ver. trauen in die Zukunft zu sehen. Sie haben sich bemüht — nicht immer sehr redlich, denke ich —, die Zukunft schwarzzumalen. Aber im Grunde haben Sie nur wenige überzeugt, vielleicht nicht einmal alle auf den Bänken der Opposition.Wir störten das Vertrauen in die wirtschaftliche Zukunft? Das ist doch nicht wahr. Fragen Sie doch einmal die Gewerkschaften und ebenso die Unternehmer. Fragen Sie einmal draußen in der ganzen Welt. Das ist doch nicht wahr. Es gibt doch kaum eine Volkswirtschaft, in die gegenwärtig mehr Vertrauen gesetzt wird als in die unsrige. Sicherlich kann man sich noch alles viel schöner und besser vorstellen; da bin ich Ihrer Meinung. Aber wir haben ja auch nicht versprochen, Unmögliches zustande zu bringen — jedenfalls nicht sofort.
Gleichzeitig sprechen Sie von politischer Führung, die ausgeübt werden müsse, um Vertrauen zu gewinnen. Der Herr Kollege Barzel hat recht. Er hat vor ein paar Tagen in der „Welt" geschrieben: Die Union hat die Wahl noch nicht verloren. Das stimmt. Aber dem Sieg sind Sie heute auch nicht nähergekommen, Herr Kohl.
Es ist ja auch noch eine lange Zeit bis zur Wahl.Ich bin dafür, daß Sie uns dort kritisieren, wo wir etwas übersehen, wo wir etwas falsch machen. Ich bin dafür, daß Sie dann sagen: dieses muß aber so und das muß anders und jenes muß wieder anders gemacht werden. Ich habe auch nichts dagegen, wenn Sie etwas übertreiben. Aber mir tut es leid, daß Sie überhaupt nicht sagen, was Sie anders machen wollen.
Ich weiß, daß nach mir auch noch andere Sprecher der Opposition auftreten werden. Sie werden sicherlich gleich dartun, was der Bundeskanzler alles versäumt hat, an tiefschürfender Analyse zu liefern.
Ich hätte das ja gerne getan, wenn sie Anlaß gegeben hätten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Weizsäcker.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ehe ich zur Darlegung meines zusammenhängenden Gedankengangs komme, möchte ich ein paar Punkte aufgreifen, die teils der Bundeskanzler, teils der Kollege Ehmke hier in die Debatte eingeführt haben.
Herr Bundeskanzler und Herr Ehmke, Sie beide haben noch einmal von der bevorstehenden Wahl des Bundespräsidenten gesprochen. Sie, Herr Bundeskanzler, haben sich von einer eigenen Teilnahme an einer politischen Kampagne in bezug auf die Vergangenheit des amtierenden Bundestagspräsidenten distanziert, und Herr Ehmke hat erklärt, die Sozialdemokratische Partei habe eine politische Kampagne in bezug auf die Vergangenheit unseres Kollegen Carstens nicht geführt und werde sie nicht führen.
Ich empfehle Ihnen, zu lesen, was Ihr und unser Bundestagskollege Herr Schwende gestern veröffentlicht hat.
Er verwahrt sich darin namens Ihrer Fraktion in bezug auf die Vergangenheit während des Dritten Reichs ausdrücklich gegen diese Kandidatur.
Dr. von Weizsäcker
Solange Sie hier nicht Ordnung schaffen, können wir mit Ihren Beteuerungen, Herr Ehmke und Herr Bundeskanzler, sehr wenig anfangen.
Dann haben Sie, Herr Bundeskanzler, eine Reihe einzelner Punkte aufgegriffen. Sie lieben es, auch mit Zahlen zu kommen, um auf diese Weise die Überzeugungskraft eines Gedankengangs zu unterstützen. Sie haben davon gesprochen, daß die Verschuldung der Bundesrepublik Deutschland uns praktisch an das Ende der Schuldenliste vergleichbarer Länder befördere.
Ihnen ist schon von dem Kollegen Narjes der Hinweis übermittelt worden — auf den Sie ja gar keine Antwort gegeben haben —, daß sich der deutsche Staat zweimal von seinen Altschulden getrennt hat und infolgedessen die Vergleichbarkeit in Ihrer Tabelle dahin ist.
Das zweite — was nicht weniger wichtig ist — können Sie in dem Sachverständigen-Jahresgutachten lesen. Dort ist nämlich von dem Trend des Anstiegs der Zinsausgaben die Rede. Dort ist die sehr interessante Zahl enthalten, daß der Anteil der Zinsausgaben, der 1962 nur 2,8 % betragen hatte, unter Ihrer Kanzlerschaft, Herr Bundeskanzler, auf 5,3 % gestiegen ist und 1979 voraussichtlich 5,5 % erreichen wird, so daß wir bezüglich der Ausgaben, die wir auf Grund von Schuldenlasten zu tragen haben, nicht ans Ende, sondern an die Spitze der Industrieländer gelangt sind.
Dann, Herr Bundeskanzler, haben Sie zu dem Stichwort — —
— Nein, er hört nicht zu. Aber ich werde mich nicht beirren lassen, alles richtigzustellen, was der Herr Bundeskanzler hier gesagt hat.
Dann haben Sie, Herr Bundeskanzler, zu dem Stichwort „Rentner" wieder die typische Form der Erwiderung gewählt, die man von Ihnen so oft erlebt. Erst beklagen Sie sich darüber, daß wir vom „Rentenbetrug" sprechen, und dann sagen Sie als Antwort bloß: Die Rentner haben es bei uns noch nie so gut gehabt wie heute. Worum es geht, ist, daß sich Ihre eigene Ankündigung im letzten Bundestagswahlkampf als ein Betrug herausgestellt hat.
Herr Abgeordneter, eine Sekunde! Im Präsidium haben wir vereinbart, das Wort „Betrug" in diesem Hause zu rügen.
Ich weise darauf hin, daß es in unserem Gemeinwesen darauf ankommt, daß der Bürger sich auf die Aussagen ver-lassen kann, die ihm von den verantwortlichen Stellen nicht nur außerhalb, sondern auch während eines Wahlkampfs gemacht werden.
Ich stelle fest, daß das, was der Bundeskanzler im Wahlkampf zum Thema Renten gesagt hat, etwas ist, worauf sich der deutsche Bürger nicht verlassen kann.
Dann haben Sie gemeint, Herr Bundeskanzler, wir hätten Ihnen vorgeworfen, Sie hätten sich an dem Stahlstreik eingreifenderweise beteiligen sollen. Nein, das haben wir nicht gesagt. Wir haben nicht gesagt, Sie hätten eingreifen sollen. Was wir aber sagen, ist, daß Sie nicht teils durch Schweigen, teils durch gesundbeterische Äußerungen an dem hätten vorbeigehen sollen, was z. B. der Herr Farthmann, den Sie vorhin mit Recht gelobt haben, seinerseits öffentlich erklärt hat: daß nämlich dieser Stahlarbeiterstreik ein gefährliches Signal für eine Trendwende zum Schlechteren gewesen sei.Schließlich ein Wort zu der Frage der Einheitsgewerkschaft. Herr Bundeskanzler, selbstverständlich wendet sich kein Kollege in diesem Hause dagegen, daß Mitglieder von Gewerkschaften Bundestagsabgeordnete werden oder für das Europäische 'Parlament kandidieren. Darum geht es ja gar nicht. Aber wenn ich einmal den für beide Richtungen etwas unziemlichen Vergleich zwischen den Gewerkschaften und den Kirchen hier wählen darf: wenn einer Theologie studiert hat oder vielleicht auch Pfarrer geworden ist, besteht an sich kein grundsätzliches Bedenken dagegen, daß er auch für ein parlamentarisches Mandat kandidiert. Aber wenn er Bischof ist, dann sollte er das lieber bleiben lassen. Und wenn einer Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes oder Vorsitzender der größten Industriegewerkschaft in der Bundesrepublik Deutschland ist, dann sollte er sich doch dreimal überlegen, wie er die Tendenz zur Aufrechterhaltung der Einheitsgewerkschaft — die wir unterstützen — wirklich soll vereinbaren können mit der parteipolitischen Profiarbeit, die jeder von uns als Parlamentarier und Wahlkämpfer leisten muß.
Zum Schluß haben Sie sich mit einer großen Geste mit Recht dem Thema der Dritten Welt zugewandt. Ich frage mich bloß, was diejenigen Zuhörer dieser Debatte, die aus der Dritten Welt stammen, sich eigentlich von Ihren Äußerungen zur Dritten Welt kaufen können, die ausschließlich darin bestanden, einige Betrachtungen zur Frage der vierten Partei anzustellen.
Schließlich möchte ich zu dem, was Sie zum Thema der Extremisten gesagt haben, vorweg folgende Bemerkungen machen. Es ist in der Tat ein Thema, das uns schwere Sorgen macht und dem wir uns mit der ganzen Kraft unserer Verantwortung zu widmen haben. Der Bundespräsident hat bei seiner Rede über das Geburtsjubiläum von Lessing wieder einen schönen Satz gesagt, nämlich „Der zu bekämpfende
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10322 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Dr. von WeizsäckerFeind der Toleranz ist die Intoleranz. Das ist keine Toleranz, die die Intoleranz gewähren läßt." Ihr Parteikollege, der stellvertretende Landesvorsitzende der SPD in Berlin, Herr Riebschläger, hat neulich in einem Interview gesagt, es wäre pflichtwidrig, wenn eine Behörde vorhandene Erkenntnisse nicht benützen, sondern verdrängen würde, um an diesen verdrängten Erkenntnissen vorbei dann einem Extremisten die Chance zu geben, in den öffentlichen Dienst zu kommen. Herr Bundeskanzler, was Sie und Ihre Regierung hier jetzt in die Tat umzusetzen versuchen, ist in Wirklichkeit ein Schritt weg von den Prinzipien, die wir in unserem Rechtsstaat brauchen. Es ist ein Schritt weg von der vorher berechenbaren, nachprüfbaren Form des Schutzes unseres Rechtsstaates hin zu einer Willkür der einzelnen Behörde, über die niemand mehr eine Kontrolle hat.
Außerdem sollte jeder, der sich für den öffentlichen Dienst bewirbt, vorher wissen, woran er ist, und so schnell wie möglich, nicht aber gemäß Ihrem Beschluß vielleicht zunächst einmal ohne Verwertung der in einer Behörde vorhandenen Kenntnisse eingestellt werden, anschließend aber einer Kontrolle ausgesetzt werden, ob er sich im Dienst wirklich noch extremistenfreundlich betätigt. Wer soll eigentlich die Kontrolle ausüben? Ist das nicht eine Form des organisierten Schnüffeltums, von dem wir uns alle miteinander entfernen sollten?
Aber dann, Herr Bundeskanzler, haben Sie Ihre Ausführungen damit begonnen, daß Sie gesagt haben, wir, die CDU/CSU, hätten kein Programm vorgelegt. Nun ja, es ist ja hier kein Programmparteitag der CDU oder der CSU, sondern eine Debatte über den Haushalt des Bundeskanzlers. Infolgedessen geht es um das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein Ihres Programms.
Ich möchte Sie einladen, da wir uns nun im letzten Jahr dieses Jahrzehnts, der 70er Jahre befinden, die Frage mit mir zusammen durchzugehen: Was ist denn nun aus dieser Dekade geworden, aus der Dekade der großen Ankündigungen, mit denen Sie die 70er Jahre eingeläutet haben? Damals hieß es: Wir brechen auf zu neuen Ufern; es' wird die Dekade der großen Reformen sein;
mit der Demokratie fangen wir jetzt richtig an; der Weg ins glückliche Zeitalter des Sozialismus beginnt nunmehr. Am Ende steht, wie mir scheint, dreierlei.Der Sozialismus hat eine gigantische Steigerung des ohnehin schon gefährlichen Trends zu mehr Staat, mehr Demokratie, mehr Gesetzen, mehr Reglementierung des Menschen, mehr Unselbständigkeit und damit weniger Freiheit mit sich gebracht. Um die Reformexperimente, die mit soviel politischen Glockenklang angekündigt waren, ist es auffallend still geworden. Niemand schweigt dar-über so hörbar wie die Sozialisten selbst. In Berlin z. B. traut sich die SPD in ihrem großen Wahlprospekt überhaupt nicht mehr, mit einem Wort von den Schulen zu reden.
Dort aber, wo die 70er Jahre den Sozialismus wirklich vor große Herausforderungen gestellt haben, wo er nun wirklich von den eigenen Voraussetzungen her hätte zeigen sollen, daß er die große Alternative sei, für die er sich selbst hält, dort hatte er überhaupt keine Antworten, nämlich auf die große Wirtschaftskrise, die die ganze Welt geschüttelt hat und mit deren Folgen wir nach wie vor zu kämpfen haben.Nun steht heute und hier nicht der Etat der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zur Debatte, sondern der Haushalt des Bundeskanzlers. Da gilt es, genauer zu sagen, was die Bilanz des Sozialismus der 70er Jahre für die Bilanz des Bundeskanzlers und umgekehrt bedeutet. Hier möchte ich zunächst etwas anerkennen, ,Herr Bundeskanzler, falls Sie das interessiert, wenn wir etwas anzuerkennen haben. Sie haben, wie ich meine, Verschiedenes aus dem sich abzeichnenden Konkurs sozialistischer Experimente herausgerettet. Sie haben zwar nicht Ihre Partei, die SPD, in die Mitte zurückgeholt, aber Sie haben doch Teile der Regierungspolitik in die Mitte zurückgeholt. Sie sind uns zwar die Darlegung der Konzepte, der Leitlinien und der Ziele Ihrer Politik, nach denen wir, z. B. Rainer Barzel und ich, Sie schon gleich nach Ihrer allerersten Regierungserklärung gefragt haben, bis heute schuldig geblieben. Aber Ihre Politik ist doch immerhin eine Art Realismus, ein Realismus ohne Zukunftsperspektive, aber immerhin Realismus, der einige bewährte Erkenntnisse und Methoden nicht sozialistischer Art z. B. im Felde der Wirtschaftspolitik bewahrt hat, durchaus in Distanz zur eigenen Partei, und zwar in einer ständig wachsenden Distanz — siehe Klose.Einerseits ist das, Herr Ehmke, ein Glück im Unglück. Stellen wir uns einmal vor, Sie wären Bundeskanzler gewesen!
Andererseits aber ist es eine Täuschung über die Mehrheitsverhältnisse; denn der Herr Bundeskanzler regiert nun einmal mit wechselnden Mehrheiten, obwohl Sie das ja immer nicht wollen.Drittens ist die verliebte Konzentration des Bundeskanzlers aufs Krisenmanagement natürlich auch eine sehr ernste Gefahr; denn es bleibt immer mehr an ungelösten Aufgaben liegen. Es verkümmern immer mehr Ansätze und Instrumente in der Politik, und die Schere zwischen dem Tagesgeschäft des Kanzlers und den Zielen seiner Partei öffnet sich immer gefährlicher. Dafür möchte ich Beispiele nennen.Herr Bundeskanzler, Sie haben zwar das Prinzip des Ökonomischen hochgehalten — gegen die Programme Ihrer Partei —, aber was bleibt denn heute in der Wirtschaft an Steuerung und Zielen noch übrig? Einerseits ist die Bundesbank mit ihrer Geldpolitik zu nennen. Freilich muß sie mit wachsenden Schwierigkeiten kämpfen, nicht zuletzt mit unge-
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Dr. von Weizsäckerrechtfertigten öffentlichen Angriffen durch die eigene Regierung.Andererseits sind die Tarifvertragsparteien zu nennen, deren Autonomie wir alle miteinander wollen und deren Kampfmittel wir auch alle miteinander respektieren, freilich in jenem Klima, worüber ich Ihnen das Zitat von Herrn Farthmann vorhin schon genannt habe. Die geschaffenen Instrumente wie das Stabilitätsgesetz oder die Konzertierte Aktion verkümmern oder verschwinden. Wie ist denn die Auswirkung dessen, was mitunter von den Tarifvertragsparteien ausgehandelt wird, nun wirklich und real für die Arbeitslosigkeit? Es werden Bedingungen erkämpft, mit denen man den Arbeitslosen zuwinkt. Man sagt ihnen: Zu diesen fabelhaften Bedingungen werdet ihr arbeiten dürfen, wenn ihr eines Tages wieder hereinkommt. Es wird aber nicht gesagt, daß es oft die Bedingungen selbst sind, die das Wiederhereinkommen der Arbeitslosen erschweren.
Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrem „Spiegel"-Interview von Anfang Januar beklagt, daß die Bereitschaft zum Risiko geringer geworden sei. Es fehle, wie Sie sagten, an dynamischen Unternehmern. Sie haben dann zunächst mit Recht hinzugefügt, daß es natürlich leichter ist, etwas zu riskieren, wenn man nichts hat, als nach 30 Jahren, wenn sich einiges angesammelt hat. Aber den wichtigsten Grund für das, was Sie beklagen, haben Sie doch verschwiegen. Es war doch gerade eines der Hauptergebnisse der 70er Jahre, daß die sozialdemokratische Politik die Voraussetzungen für den Sinn einer selbständigen unternehmerischen Existenz Schritt für Schritt zerstört hat.
Da war die Ausweitung des öffentlichen Korridors. Da sollte der private Reichtum zugunsten der öffentlichen Armut beseitigt werden. Da sollte die Wirtschaft einem Test der Belastbarkeit ausgesetzt werden. Da kam die Aktion „Gelber Punkt". Die Last von Verordnungen, Überwachungen, Bürokratien, Reglementierungen, Abgaben — das alles hat doch den Einsatz eigener Mittel, eigener Kraft, eigener Nerven immer sinnloser gemacht. Mancher Mittelständler braucht heute geradezu die Hartnäckigkeit eines bürgerinitiativenähnlichen Protestes gegen die von Ihnen gutgeheißenen Verhältnisse, um seiner Selbständigkeit treu bleiben zu können.
Herr Bundeskanzler, ich denke, Sie kennen die Zahlen, die uns doch allen zu denken geben sollten. In der zweiten Hälfte der 60er Jahre waren noch 15 % der Beschäftigen selbständig, und weitere 17 % hatten das berufliche Ziel, eines Tages selbständig zu werden. Am Ende der von Ihnen bestimmten Dekade ist die Zahl der Selbständigen von 15 % auf 8 % und die Zahl derer, die in ihrem Beruf selbständig werden wollen, von 17 % auf 7 % zurückgegangen. Ich denke, diese Zahlen sprechen für sich selbst. Es geht uns doch nicht darum, einen bestimmten Berufsstand besonders zu begünstigen oder gar die Unternehmer reicher zu machen.Was Sie über die Vertretung der verschiedenen Abgeordneten aus den verschiedenen Berufszweigen gesagt haben, war doch mehr als komisch. Wie wollen Sie sich eigentlich in Ihrer eigenen Regierung mit den Aussagen sehen lassen, die Sie vorhin hier gemacht haben?
Worum es uns geht, ist zweierlei. Erstens. Die Soziale Marktwirtschaft funktioniert nur, wenn die Leistung eine lohnende Zukunft findet. Wachstum, Ertrag, den man verteilen kann, also Wohlstand — das alles fließt doch nicht aus öffentlichen Kassen, sondern es fließt aus der privaten Kraft, der privaten Energie und der privaten Initiative des Menschen. Wenn diese Quelle nicht mehr sprudelt, weil das politische Regierungswetter, das die SPD erzeugt, sie zum Versiegen bringt, dann ist die öffentliche Riesenhand nicht mehr leistungsfähig, dann kann sie auf die Dauer ihr Versprechen nicht mehr halten. Dann enttäuschen Sie Erwartungen, dann untergraben Sie das Vertrauen.Nun kommt der zweite Grund, der eng damit zusammenhängt und der, wie ich meine, noch wichtiger ist: Sie haben nicht nur die Selbständigen in der Wirtschaft entmutigt, auch die ständige Zunahme staatlicher Funktionen auf allen Lebensgebieten, von der Wissenschaft über die Umwelt, den Verkehr, die sozialen Einrichtungen bis in alle Phasen der Erziehung, hat tiefgreifende Folgen für die Lebensführung und Lebensauffassung des Menschen selbst.Natürlich ist das ein ganz langfristiger Vorgang, und wir alle haben unseren Anteil daran. Die Zunahme staatlicher und gesellschaftlicher Leistungen war auf vielen Gebieten notwendig, vor allem dort, wo es um die soziale Gerechtigkeit geht. Auf diesem Weg haben wir miteinander alte Probleme gelöst. Aber nun sind wir unter Ihrer Führung in diesen 70er Jahren weit über das Ziel hinausgeschossen.
Neue Probleme haben Sie geschaffen.
Herr Bundeskanzler, Sie kennen doch die oft zitierten Worte in den 70er Jahren, die Erziehung sei nur Sache der Gesamtgesellschaft oder: die Kinder müßten vor der Fremdbestimmung durch die Eltern geschützt werden. Diese Texte sind wegen ihrer Torheit und Angreifbarkeit allmählich in den Hintergrund geschoben worden; aber die Folgen leben bis heute fort.
Lassen Sie mich nur ein Beispiel dafür nennen. Unter der Führung Ihrer famosen Senatorin für Familie in Berlin, die in Wahrheit eine Senatorin gegen die Familie ist, —
— Wenn Sie in Übereinstimmung mit Ihrem Organ „Vorwärts" Berlin für ein Abstellgleis halten, dann können Sie es natürlich auch nicht ertragen, daß hier über Berlin gesprochen wird.
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Dr. von WeizsäckerAber ich finde, daß Berlin eine nationale Aufgabe ist und daß wir in Berlin in ganz typischer Weise erkennen können, wohin die Fehlentwicklungen, die von den Ideologen aus Ihrer Partei verursacht wurden, führen.
Das will ich jetzt fortsetzen: Demnächst wird in Berlin für 75 °/o aller Neugeborenen von der siebenten Lebenswoche an ein Krippenplatz zur Verfügung stehen. Was heißt das? Es ist für viele Neugeborene ein Segen, daß für sie ein Krippenplatz da ist, wenn ihr Elternhaus nämlich nicht verfügbar oder nicht handlungsfähig ist und wenn eine materielle Not vorliegt. Aber aus solchen Notfällen machen Sie den Normalfall. Die eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse, daß es für die Neugeborenen ein Segen im Leben ist, wenn sie, soweit es geht, durch die eigene Familie, die eigenen Eltern, die eigene Mutter betreut werden, die ignorieren Sie. Die Erziehung des Kindes wird bei Ihnen praktisch von Geburt an sozialisiert und verstaatlicht.
Die bürokratische Ersatzvornahme tritt an die Stelle der menschlichen Aufgabe.
Die Elternschaft verkümmert zur biologischen Funktion, anstatt als natürliche, als innerfüllende und mitmenschliche Verantwortung verstanden und erlebt zu werden.
Am Ende dieses Jahrzehnts,
Herr Bundeskanzler, ist festzuhalten: Ihre Bildungsreformer haben den Schülern mehr Theorie und Einsamkeit verschafft als das, was sie wirklich brauchen, nämlich allgemeine Bildung, Charakterbildung und Vorbereitung für die berufliche Welt.
Mit der Vernachlässigung der beruflichen Bildung haben Sie die Zukunftschancen so manches Jugendlichen nachhaltig beeinträchtigt. Mit der Axt an die Wurzel der Familie, einer Axt, die von den sozialistischen Ideologen gekommen ist und die noch bis in den „Orientierungsrahmen '85" Ihrer Partei hineinreicht, haben Sie buchstäblich in den Kernbestand unserer Kultur einzugreifen versucht.
Sie persönlich, Herr Bundeskanzler, haben sich zwaroft mit besseren Erkenntnissen zu Wort gemeldet.
Ich meine damit weniger Ihre Äußerungen über oder gegen Professoren und Intellektuelle, sondern z. B. auch den Satz, den Helmut Kohl heute morgen zitiert hat, nämlich den Satz von der allzu flachen Reideologisierung, hinter der nicht genügend eigene geistige Arbeit steckt. Aber es hat sich ja nun einmal alles in der Dekade der 70er Jahre zugetragen,
und Sie, Herr Bundeskanzler, tragen die Hauptverantwortung für diese Zeit. Sie haben uns Ihre Perspektiven verschwiegen, zu allermeist zum Thema Geburten und Familie, wie man soeben hören konnte. Deswegen sind Sie der Adressat für unsere Sorgen.
Aber auch am Übergang von der Innen- zur Außenpolitik, Herr Wehner, haben wir dasselbe Bild. Ihr Mittel zur Politik, Herr Bundeskanzler, im Felde Europas ist wiederum das Geldsystem. Ich will nun zum Europäischen Währungssystem auch meinerseits nicht allzu viel sagen, nachdem Sie selber, obwohl Sie darauf angesprochen worden sind, darauf überhaupt nicht zurückgekommen sind.
Das Europäische Währungssystem ist ja das von Ihnen am meisten empfohlene und versprochene Gericht. Es steht gewissermaßen auf Ihrer Karte als die besondere Empfehlung des Chefs. Freilich schicken Sie alle fünf Minuten einen Kellner herein und lassen den Gast damit trösten, daß die Zwiebeln aus dem Garten noch nicht da seien, und inzwischen riecht es aus dieser Küche schon ziemlich angebrannt.
Aber wichtiger ist mir etwas anderes.
Sie stützen Ihre Europapolitik auf die Währungszusammenarbeit mit Frankreich und darauf, daß Sie sich, wie eine englische Zeitung neulich schrieb, mit dem französischen Präsidenten auf englisch duzen, soweit man so etwas auf englisch kann.
— Adenauer und de Gaulle haben sich weder auf englisch noch auf deutsch noch auf französisch geduzt, aber die deutsch-französischen Beziehungen waren damals im Kern besser.
Ich beschwere mich ja überhaupt nicht, im Gegenteil, ich begrüße Ihre Zusammenarbeit mit dem französischen Präsidenten. Aber während Sie diesen Weg gehen, macht Ihre Partei ein Europaprogramm, daß hier mehrfach zutreffend als ein Rückfall in die Zeit des Klassenkampfes charakterisiert worden ist. Die Folge davon kann auf die Dauer nur die sein, daß alle Beteiligten das Vertrauen zur Regierung und der sie tragenden SPD verlieren, deren Verhältnis in diesem Punkt von Schizophrenie geprägt ist.
Am Ende steht dann die Renationalisierung, Herr Wehner, weil den Sozialisten aller Länder
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Dr. von Weizsäckerihre Parteiprogramme wichtiger sind als die europäische Zukunft. — Herr Friedrich, daß Sie schreien können, wissen wir alle miteinander.
Aber besser wäre es, wenn Sie etwas gegen den folgenden, von Ihnen ja mit herbeigeführten Zustand tun würden, daß nämlich Ihre Freunde, die Labour Party, ihren radikalsten Antieuropäer, den Energieminister Tony Benn, in das Präsidium des Bundes der sozialdemokratischen Parteien der Europäischen Gemeinschaft schicken, daß der Franzose Mitterrand, Ihr Freund, nach wie vor davon spricht, er wolle lieber kein Europa, wenn es nicht sozialistisch sei, daß Ihr stellvertretender Parteivorsitzender Koschnick die Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft zur politischen Union für nicht erstrebenswert erklärt, und zwar wegen der Ost-West-Beziehungen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Friedrich?
Nein, ich möchte gern weitersprechen. — Die Berliner SPD schließlich — das wird Sie dann wieder freuen — nominiert ihren eigenen Landesvorsitzenden als Kandidaten für das Europa-Parlament, damit sie ihn auf diese Weise aus Berlin los wird.
Eine ähnlich gefährliche Zuspitzung eines Widerspruchs innerhalb Ihres eigenen politischen Lagers, Herr Bundeskanzler, zeigt sich immer von neuem auf dem so zentralen und bedeutungsvollen Gebiet der Sicherheits- und der Entspannungspolitik.
Der Bundesverteidigungsminister hat angekündigt, nach seiner Überzeugung werde es in der Frage des Truppenabbaus Konflikte zwischen der Opposition und der Koalition geben. Nun, Konflikte gibt es und wird es geben; die Frage ist nur zwischen wem. Es war ja nicht von ungefähr, daß Herr Wehner heute früh seine Stimme überhaupt nur an einer einzigen Stelle wirklich gehoben hat; das war an der Stelle, wo er uns offenbar erklären wollte, was er mit seinem Artikel in der „Neuen Gesellschaft" zum Thema Sicherheit und Entspannungspolitik wirklich gemeint habe.Das Kernstück unserer Aufgabe ist, Rüstungskontrolle, Rüstungsbegrenzung und Abrüstung auf dem Boden von Sicherheit zu erreichen, aber nicht unter Preisgabe von Sicherheit.
Das ist unser vitales Friedensinteresse. Die be-sorgten Fragen, die man in Washington hören kannich habe sie gerade vor wenigen Tagen gehört —,beziehen sich nicht auf das, was Sie, Herr Bundeskanzler, gesagt haben, aber auf eine Kette von Stellungnahmen aus Ihrer hiesigen Fraktion, von demKollegen Pawelczyk über Herrn von Bülow, überHerrn Bahr bis hin zu dem Artikel von Ihnen, Herr Wehner. Ihr Artikel in der „Neuen Gesellschaft" mit seinen sehr genau überlegten Zitaten und Zitatabbrüchen und -auslassungen ist in der Tat ein Lesens- und bemerkenswertes Dokument. Sie sagen, die Notwendigkeit neuer Waffen sei nur vorgeblich, während der Rüstungsabbau tatsächlich notwendig sei. Damit halbieren Sie die Fragestellung. Damit führen Sie in der Tat auf einen Weg, der zur Preisgabe von Sicherheit führen kann. Das wird in Washington und in Moskau alles sorgfältig gelesen. In Washington weiß man sehr gut, daß nach einem möglicherweise bald bevorstehenden Abschluß der SALT II-Verhandlungen und ihrer Ratifizierung zu-.nächst im westlichen Lager Klarheit über die Voraussetzungen einer Entspannung hergestellt werden muß. Man kann nicht gleich anfangen, mit dem Osten über die Grauzone zu verhandeln. Man muß erst einmal bei sich selbst die Sache durchgedacht und in bezug auf ihre möglichen Implikationen im Bereich der Produktion und der Dislozierung einigermaßen klarhaben. Da ist nun die Frage: Was gilt? Gilt das, was Herr Apel sagt, daß nur dann Rüstungskontrollverhandlungen geführt werden können, wenn sie aus der Position der gesicherten Verteidigungsfähigkeit erfolgen, und zwar auch im konventionellen Bereich und im Grauzonenbereich? Oder gilt das, was Herr Wehner mit diesem von mir zitierten Satz mindestens als Möglichkeit wieder andeutet — in Erinnerung an das, was wir vor einem Jahr vor allem von Herrn Bahr gehört haben?
Soll auf diese Weise die Modernisierung und die Dislozierung wiederum durch eine frühzeitig eröffnete öffentliche Debatte erschwert oder unmöglich gemacht werden?
Man liest das natürlich auch in Moskau. Meine Damen und Herren, wer wollte denn leugnen, daß die gesicherte Entspannung für uns alle lebensnotwendig ist. Aber wer will glauben, daß wir sie mit den Signalen Ihres Artikels, Herr Wehner, wirklich erreichen? Nein! Ich bin gerade gestern abend aus Moskau wiedergekommen und habe dort an. einem Gespräch teilgenommen, wo sehr ernst und sehr offen gerade über diese Fragen ein Gedankenaustausch gepflogen wurde. Da haben wir uns, ganz ohne uns dem Verdacht der Entspannungsgegnerschaft auszusetzen, an unsere Gastgeber mit den Fragen gewandt, die auch, wie ich meine, gestellt werden müssen. Wie soll es zu einer gesicherten Entspannung angesichts mancher Widersprüche kommen, denen wir bei der Sowjetunion nach wie vor gegenüberstehen? Einerseits sollen wir uns nach ihrem Wunsch vor den bösen Absichten der fernen Chinesen fürchten, andererseits aber sollen wir vergessen, daß im konventionellen Bereich ,die Panzerüberlegenheit und im eurostrategischen Bereich die atomare Überlegenheit der SS 20 zunimmt. Einerseits sollen wir die Annahme von SALT II bei unseren Verbündeten unterstützen, was wir ja auch wollen,
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10326 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Dr. von Weizsäckeraber andererseits sollen wir dazu beitragen, daß unsere Verbündeten vergessen, daß es militärische Interventionen der Sowjetunion und ihrer Verbündeten in allen möglichen Teilen Afrikas und Asiens gibt.
Einerseits will die Sowjetunion mit ihrer — wie sie es versteht — Friedenspolitik in der ganzen Dritten Welt Respekt finden, andererseits liegt die Entwicklungshilfe der Sowjetunion nur bei der Hälfte der unsrigen, und sie geht nur an Länder, die an der strategischen Interessenlinie Moskaus liegen.Das alles muß gefragt werden, und deswegen ist die Kette jener Äußerungen — Pawelczyk, Bahr, Wehner usw. — so zweideutig, so geeignet, Nebel zu verbreiten, statt Klarheit zu schaffen, und somit im Ergebnis so gefährlich.
Herr Bundeskanzler, ich bezweifle ja gar nicht, daß Sie es mit unseren NATO-Verpflichtungen und mit einer Suche nach einem integrierten Programm von Sicherheit und Abrüstung ernst meinen, aber dann müssen Sie auch imstande sein, endlich die eigenen Reihen bei der Stange zu halten. Es genügt nicht, daß Herr Wehner, nachdem die Sache über dpa in der „Welt" aufgefallen ist, erklärt, er bezweifle Ihren Sachverstand nicht,
sondern bringen Sie Ihre Fraktion hinter sich, bringen Sie sie nachhaltig hinter sich, und bringen Sie uns nicht immer wieder in die Lage,
daß wir alle drei Monate ein neues Anbohren unserer Sicherheit mit anschließendem öffentlichen Dementi erleben müssen!
Solange Ihnen das immer wieder mißlingt wienun schon seit zwei Jahren —, schaffen Sie den Zustand, von dem ich eingangs gesprochen habe. Sie regieren mit wechselnden Mehrheiten. Nebel, Unsicherheit im Westen und auch manche nicht ungefährliche Illusion im Osten können die Folge sein.Herr Bundeskanzler, lassen Sie mich schließlich noch ein paar Bemerkungen über Berlin, Deutschland und die Nation machen. Ich habe da einige ganz erstaunliche Sätze in Ihrem „Spiegel"-Interview gelesen. Sie haben dort gesagt: Das Gefühl der nationalen Zusammengehörigkeit hat keinen Schaden gelitten. Die geistigen Führungsschichten heute orientieren sich mehr am geschichtlichen Bestand der Nation als Goethe vor 150 Jahren. — Weiter haben Sie gesagt, das gegenwärtige Verhältnis zwischen den beiden deutschen Teilstaaten sei nicht so schlecht wie früher das Verhältnis zwischen deutschen Teilstaaten.
Als Beweis dafür haben Sie darauf hingewiesen, daß es früher innerdeutsche Kriege gegeben habe, heute dagegen nicht.
Zunächst klingt das wie ein Vorwurf an die Adresse von Goethe. Natürlich kann man sagen, Goethe war, national gesehen, ein Versager; er hat sich mehr für Napoleon als für die Befreiungskriege interessiert. In Wirklichkeit aber gibt es doch keinen Vorwurf an Goethe; er lebte in einer Zeit, in der es einen übergreifenden europäischen Geist gab, der viel wichtiger war als die ziemlich fließenden offenen Grenzen. Heute aber leiden wir unter Grenzen, zumal dann, wenn sie künstlich, wenn sie widernatürlich und daher durch Minen, durch Stacheldraht und durch Mauern gekennzeichnet sind. Davon war aber in Ihrer Betrachtung über die Nation nicht die Rede.
Natürlich sind wir dankbar dafür, daß es keinen Krieg zwischen den beiden deutschen Teilstaaten gibt. Aber ist das denn etwa eine Folge politischen Fortschritts, ist es nicht vielmehr eine Folge einerseits des atomaren Zeitalters und andererseits der Sowjetmacht? Oder wollen Sie vielleicht auch so weit gehen wie Ihr Parteifreund und EuropaparlamentsKandidat Eugen Loderer, der neulich die Ost-West-Polarisierung in den letzten drei Jahrzehnten ineiner Zeitung beschrieben und gesagt hat:Beide Teile Deutschlands konnten ihren eigenen Weg gehen, der eine nach Westen, der andere nach Osten,
und beide Teilstaaten konnten den anderen Jahrzehnte vergessen.
Nein, treten Sie lieber diesen unglaublichen Verharmlosungen der Ursachen entgegen, Herr Bundeskanzler. Konnten denn die Deutschen ihren Weg nach Osten wirklich freiwillig gehen, oder wurden sie dazu durch sowjetische Panzer gezwungen?
Helfen Sie lieber mit, daß den vielen Deutschen, die täglich unter der Teilung leiden, nicht der Verdacht aufsteigt, daß sie mit Loderers ebenso geschichtsblinder wie hoffnungsloser Behauptung gleichgesetzt werden.Es wäre besser, Herr Bundeskanzler, die Lage der Nation nicht mit Goethe zu verharmlosen, sondern den unverantwortlichen Äußerungen entgegenzutreten und die Lage beim Namen zu nennen. Sie sollten auch den Äußerungen entgegentreten, die Ihr Genosse Loderer zu Berlin machte, als er sagte: Berlin ist ein für allemal politische Provinz.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10327
Dr. von Weizsäcker
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist eine schlechte Visitenkarte für Deutschland im Europäischen Parlament.
Bei solchen Tönen sind die Berliner ziemlich hellhörig. Ihre Lage hat sie mit Recht empfindlich gemacht. Sie wollen nicht so gern große Sprüche von Herrn Loderer hören, der gar nicht weiß, was er sagt, sondern Taten sehen.
Es gibt ja Taten, auf die wir warten. Wie wäre es z. B., wenn die Beschlüsse der Berlin-Kommission des Bundespräsidenten nicht nur in ihren kulturellen und künstlerischen Bezügen, sondern auch im wirtschaftlichen Bereich in bezug auf die Wirtschaftsförderung nun endlich einmal durchgeführt würden?
Wie wäre es, Herr Bundeskanzler, wenn Sie von Ihrer Bundesregierung den Verdacht ablösen könnten — den nicht wir, sondern die Industrie- und Handelskammer in Berlin geäußert hat —, daß Sie die Wirtschaftsförderungsbeschlüsse der Berlin-Kommission des Bundespräsidenten offenbar gar nicht implementieren wollten.
Meine Damen' und Herren, es gäbe der Beispiele noch mehr zu nennen. Ich möchte hier aber abbrechen und zusammenfassen.
Herr Bundeskanzler, Sie regieren ohne berechenbare politische Basis.
Im Bereich der inneren Sicherheit stützen Sie sich auf die Mehrheit Ihrer beiden Koalitionsfraktionen. Im Bereich der äußeren Sicherheit treten Sie nach außen mit dem Rückhalt auf, den Sie von uns bekommen. In Frankreich arbeiten Sie mit dem Großbürger Giscard, aber in der Europawahl kämpft Ihre Partei mit den Sozialisten in einer ganz anderen Richtung.
In der Wirtschaftspolitik kooperieren Sie bald mit den Unternehmen, aber vor dem Hintergrund einer Klose-Partei.
Sie sind zwar ein Realist, aber ein solcher, der uns noch immer die Perspektive schuldig geblieben ist.
Damit sind Sie nicht in der Lage, unsere Zukunftsprobleme zu lösen. Und weil das so ist, müssen wir Ihrem Haushalt ein Nein entgegensetzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Dr. Kohl hat heute vormittag seinen Appell, den er hier schon mehrfach ausgesprochen hat, wiederholt, in Grundfragen unseres Staates und unseres Volkes gemeinsam zu handeln. Ich denke, Herr Kollege Kohl, daß Sie sich nach Ihrer Rede werden fragen lassen müssen, ob Sie
diesem selber erhobenen Anspruch, dieser selber vorgebrachten Forderung mit Ihrer Rede gerecht geworden sind.
Ich will hier nicht auf das abheben, was Sie gegen die Freie Demokratische Partei im übrigen gesagt haben; ich buche das auf innerparteiliche Pflichterfüllung ab. Aber ich weise mit Entschiedenheit den Vorwurf der Verfassungsmanipulation gegen die Freie Demokratische Partei zurück.
Ich denke, daß wir unter demokratischen Parteien
mit Vorwürfen dieser Art sorgsam umgehen sollten.
Die Diskussion über die Wahl des Bundespräsidenten ist von uns nicht eröffnet worden,
wohl aber haben wir uns als letzte Gruppierung des Deutschen Bundestages am 1. Oktober 1978 — ich habe das getan — auf dem Parteitag der Freien Demokraten im Saarland zu der Frage geäußert, welche Persönlichkeit wir am liebsten für die kommenden fünf Jahre im Amt des Bundespräsidenten sehen möchten.
Wir haben es in vollem Respekt und in aller Fairneß gegenüber jedem möglichen anderen Kandidaten aus der Gruppe derjenigen getan, die in der nächsten Bundesversammlung voraussichtlich die Mehrheit haben werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohl?
Bitte sehr, Herr Kollege Kohl.
Herr Bundesminister, Herr Kollege Genscher, empfinden Sie es nicht als eine Zumutung für andere Betroffene, wenn Sie Anfang Oktober die Parteivorsitzenden aller demokratischen Parteien zu einem Gespräch in Sachen Bundespräsident einladen und bereits Tage vorher im hessischen Wahlkampf in einer Vielfalt von Veranstaltungen dieses Thema ganz persönlich zu einem Wahlkampfthema gemacht haben?
Herr Kollege, die erste ausführliche Stellungnahme zu dieser Frage habe ich, wie ich Ihnen schon einmal gesagt habe, am 1. Oktober 1978 abgegeben.
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10328 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Bundesminister GenscherIch glaube, daß Sie keiner demokratischen Partei ernsthaft verbieten wollen, daß sie in der Frage der Wahl des Bundespräsidenten Flagge zeigt und sagt, wen sie am liebsten in diesem Amt sehen möchte.
Es kommt darauf an, daß man den Kandidaten der anderen mit jenem Respekt und mit jener Fairneß begegnet, die diesen eine ungeschmälerte Ausübung des Amtes, falls sie gewählt werden sollten, möglich macht. Das haben wir vom Anfang bis heute getan. Herr Kollege Kohl, Sie können nicht dem Kollegen Dr. Bangemann sagen, er möge die Frage einer Verfassungsänderung mit der Direktwahl des Bundespräsidenten aufwerfen. Sie wissen, daß in der Freien Demokratischen Partei schon während der Zeit des Parlamentarischen Rates die Frage der Direktwahl des Bundespräsidenten diskutiert worden ist.
Die Mitglieder der FDP haben sich im Parlamentarischen Rat für die jetzige verfassungsrechtliche Regelung entschieden. Dann haben wir in unserer Wahlplattform für 1969 — wenn ich es richtig erinnere, war es im Mai 1969, in jedem Fall aber nach der Wahl des damaligen Bundespräsidenten — den Vorschlag unterbreitet, man möge die Direktwahl wieder einführen. Wir haben das bewußt zu einem Zeitpunkt getan, in dem es losgelöst von einer bevorstehenden Wahl, von bestimmten Persönlichkeiten als eine prinzipielle Frage der Verfassungsdiskussion aufgeworfen werden konnte. Wir haben diese Frage nicht mehr weiter belebt, nachdem wir gespürt haben, daß unter den gegebenen Umständen für eine solche Verfassungsänderung unter den anderen Parteien die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit nicht erreichbar ist. Das heißt: die Frage ist von uns in einer ordentlichen Weise behandelt worden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohl?
Ich möchte den Gedankengang zu Ende führen und werde dann zur Verfügung stehen. Sie selbst berufen sich legitimerweise auf Ihre durch Bundestagswahl und Landtagswahlen zustande gekommene Mehrheit in der Bundesversammlung. Da können Sie doch nicht anderen verbieten, die Wähler darüber aufzuklären, daß die Wahl zu Landtagen auch über die Zusammensetzung der Bundesversammlung entscheidet. Nichts anderes haben wir getan.
Wenn Sie der Meinung sind, daß es nicht zu einer qualitativen Veränderung kommen wird, können Sie das sagen.
Aber ich denke, Sie sollten niemandem verbieten,
die Bedeutung der Landtagswahlen für die Zusammensetzung der Bundesversammlung zu erläutern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, daß wir es begrüßen, wenn in der Öffentlichkeit für die Wiederwahl des gegenwärtigen Bundespräsidenten eine große Zustimmung vorhanden ist, halte ich für selbstverständlich. Das ist etwas, was eine Partei, der dieser Bundespräsident entstammt, gern hört, worauf sie stolz ist und was ihr auch niemand nehmen sollte.
Jedes Mitglied der Bundesversammlung muß seine Entscheidung treffen. Sie werden mit Ihrer Fraktion in der Bundesversammlung, sobald sie feststeht, zu sprechen haben; das werden die Sozialdemokraten mit ihrer Fraktion tun, und wir werden das auch tun. Ich kann nur hoffen, daß wir diese Diskussion in einer Weise bestehen, daß darüber weder Persönlichkeiten unseres Landes, die sich verdient gemacht haben, noch das Amt des Bundespräsidenten beschädigt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, gestatten Sie jetzt eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohl? — Bitte schön.
Herr Kollege. Genscher, da Sie meine Frage nicht beantwortet haben, darf ich noch einmal fragen: Würden Sie persönlich es als zumutbar und fair empfinden, wenn in einem umgekehrten Falle einer von uns seine Wahlkampfthemen ausschließlich, wie Sie es in Hessen getan haben, mit dem zentralen Thema der Wahl des Bundespräsidenten bestreitet und Sie dann anschließend zu einem überparteilichen Gespräch zur Findung eines gemeinsamen Konsenses einlädt? Würden Sie dies nicht schlicht und einfach als eine Zumutung empfinden?
Herr Kollege, ich habe meinen Wahlkampf weder ausschließlich noch teilweise mit dieser Frage bestritten. Ich habe vielmehr in dieser Zeit, nachdem andere Parteien — auch aus Ihrer Gruppierung — gesagt haben, daß sie einen eigenen Kandidaten aufstellen wollen, nicht ertragen können, daß die FDP die Wähler darüber im unklaren läßt, was sie in dieser Frage für richtig hält.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10329
Ich bitte jetzt, meinen Gedankengang zu Ende führen zu können, Herr Kollege.Meine Damen und Herren, wenn wir schon über Fragen der Demokratie und des Parlamentarimus in unserem Lande sprechen, so möchte ich in diesem Zusammenhang gern auf das eingehen, was der Kollege Dr. Kohl glaubte, als Vorwurf an die Bundesregierung und möglicherweise an die der FDP angehörenden Bundesminister und den Fraktionsvorsitzenden der FDP im Zusammenhang mit der Debatte über die Kernenergie erheben zu müssen. Ungeachtet meiner sachlichen Auffassung zu den Fragen der Kernenergie bin ich froh darüber, daß in dieser Debatte im Deutschen Bundestag auch diejenigen zu Wort gekommen sind — und zwar nicht nur in der Diskussion, sondern auch durch die Art ihrer Abstimmung —, die eine von der Mehrheit dieses Hauses abweichende Meinung zu dieser Frage vertreten. Wir haben lange Zeit im Deutschen Bundestag und im Kreis der Parteien des Deutschen Bundestages über die Frage zu diskutieren gehabt, wie sich die Parteien mit der in den 60er Jahren entstandenen außerparlamentarischen Opposition auseinanderzusetzen haben. Ich frage Sie, ob es nicht ein Gewinn für dieses Parlament ist, wenn auch abweichend von Mehrheitsmeinungen einer Partei Abgeordnete des Deutschen Bundestages zum Ausdruck bringen, daß sie Anwälte der Auffassung derjenigen in unserem Lande sind, die im Zusammenhang mit der Entwicklung der Kernenergie ernsthafte Besorgnisse haben, und zwar so ernsthafte, daß sie sich eher gegen eine Weiterentwicklung aussprechen möchten.Meine Damen und Herren, wenn das so ist, dann entsteht für eine politische Partei immer doch die Frage ihrer politischen Handlungsfähigkeit. Dafür haben diejenigen einzustehen, die in dieser Partei Führungsverantwortung tragen und die für diese Partei Regierungsverantwortung tragen. Das haben wir mit unserem Schritt getan. Die Tatsache, daß in unserer Partei auch diese Frage diskutiert worden ist, daß die Partei auf diese Frage empfindlich reagiert hat, ist für mich ein Zeichen eines hochentwickelten parlamentarischen Verständnisses und Demokratieverständnisses, das die liberale Partei in diesem Lande ehrt und keinesfalls herabsetzen kann, jedenfalls nicht in den Augen kritischer Bürger unseres Landes.
Wenn wir das alles sehen, gibt es, glaube ich, nicht viel her, wenn man der Bundesregierung oder Teilen von ihr daraus einen Vorwurf machen will.Es wäre leicht und billig, auf Probleme anderer hinzuweisen; ich versage mir das. Ich möchte zu Sachfragen sprechen, die anstehen. Hier ist die Frage des Streikrechts, der Streikausübung diskutiert worden: Meine verehrten Kollegen von der Opposition, ich habe in den Tagen, in denen der Streik noch nicht zu Ende war, zu dieser Frage Stellung genommen und damals öffentlich gesagt: Tarifautonomie wahrnehmen bedeutet aber auch Verantwortung für das Ganze tragen. Und dann weiter:Ich wiederhole, die Aussichten auf eine weitere wirtschaftliche Erholung sind gut, aber unsere Wirtschaft ist nicht beliebig belastbar. Für alle, auch diejenigen, die in Ausübung der Tarifautonomie und damit auch gesamtwirtschaftlicher Verantwortung handeln, muß das gemeinsame Ziel, den Aufschwung zu fördern, den Vorrang vor partikularen Interessen haben.Dann habe ich fortgeführt: Tarifautonomie bedeutet auch Legitimität des Arbeitskampfes nach beiden Seiten, sowohl was Streikrecht wie Aussperrung angeht. Nur, wenn man das sagt, muß man auch bereit sein, in einer solchen Debatte anzuerkennen, daß wir in den letzten Wochen — und jetzt vor allem in den letzten Tagen — Tarifabschlüsse bekommen haben, von denen wir sagen können: Sie sind eine Bewährung dieser von uns gewünschten Verantwortung durch die Tarifpartner.
Wir sollten froh darüber sein, daß in unserem Lande die Tarifautonomie auch in einer Zeit schwerer Belastung funktionsfähig geblieben ist. Ich hätte es für einen Nachteil angesehen, wenn es offenen Einwirkens der Bundesregierung bedurft hätte, um jenen Streik zu Ende zu führen. Hier ging es um die prinzipielle Frage einer freien Gesellschaftsordnung. Die Tatsache, daß die freien Kräfte in dieser Gesellschaft, Gewerkschaften und Arbeitgeber, diesen Arbeitskampf selbst zu Ende geführt haben, daß sie auch, wie die nachfolgenden Tarifabschlüsse zeigen, die volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten anerkannt haben, ist für mich ein Beweis eines demokratischen und gesellschaftspolitischen Reifeprozesses, über den wir eigentlich alle zusammen froh sein könnten.
Wir erwarten deshalb, daß alle diese Fragen objektiv diskutiert und daß daraus keine falschen parteipolitischen Schlachtordnungen gemacht werden. Wie oberflächlich man Fragen dieser Art gelegentlich besprechen kann, haben wir heute auch erlebt. Ein Kollege der Opposition hat gesagt, man sei gegen Überparität. Wissen Sie eigentlich, Herr Kollege Althammer, daß wir bei dem geltenden Mitbestimmungsrecht Überparität haben? Das haben wir alle gemeinsam beschlossen, Sozialdemokraten, Christliche Demokraten und Freie Demokraten. Allerdings haben wir eine Überparität für die Anteilseigner.Ich kritisiere das nicht; ich halte das für richtig. Die Sozialdemokraten waren in dieser Frage anderer Meinung. Sie sind der Meinung, daß die jetzt gefundene Regelung ein Schritt in die richtige Richtung ist, aber nicht weit genug. Wir sind der Meinung, es ist die richtige Entscheidung. Aber, bitte, seien wir vorsichtig im Umgang mit solchen Begriffen. Ich denke, wir sollten froh darüber sein, daß es uns gelungen ist, in einem breiten Konsens aller Gruppierungen des Deutschen Bundestages zu einer Mitbestimmungsregelung zu kommen, von der wir überzeugt sind, daß sie verfassungsfest ist. Sonst hätten ja sicher nicht alle Parteien des Deutschen Bundestages — von wenigen Abgeordneten abge-
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10330 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Bundesminister Genschersehen — dieser Mitbestimmungsregelung zugestimmt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Althammer?
Bitte schön.
Herr Minister, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß dieses Problem der sogenannten Überparität in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht eine sehr wesentliche Rolle gespielt hat und sie von einer ganzen Reihe von Professoren — auch im Zusammenhang mit etwaigen Fondslösungen — belegt worden ist?
Herr Kollege, diese Frage ist in der Tat im Zusammenhang mit Fondslösungen, im Zusammenhang mit anderen Strukturen, die sich durch die Mitbestimmung ergeben können, diskutiert worden. Aber man kann nicht sagen, man sei gegen die Überparität, wenn der Deutsche Bundestag — ganz eindeutig unter dem Gesichtspunkt des Eigentumschutzes im Grundgesetz — eine Überparität für die Anteilseignerseite — was wir für richtig halten — beschlossen hat.Wenn wir über die Gewerkschaften und die gesellschaftlichen Kräfte in diesem Land reden — damit komme ich zur Stabilität unserer Demokratie —, dann sage ich Ihnen als Liberaler, daß ich froh darüber bin, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland auf beiden Seiten — auf der Gewerkschaftsseite wie auf der Unternehmerseite — Verbände und Gruppierungen haben, die ausnahmslos auf dem Boden unserer Demokratie stehen. Wo würden wir mit der Stabilität unseres Staates stehen, wenn nicht die großen Gewerkschaften unseres Landes fest in unserer demokratischen Ordnung verankert wären?Deshalb wollen wir die Diskussion über diese Fragen nicht vordergründig führen. Wir wollen uns dort auseinandersetzen, wo die Gegensätze begründet sind. Das tun wir als Liberale in der Auseinandersetzung mit Arbeitgebern wie mit Gewerkschaften. Aber wir lassen nicht wegnehmen, was an gemeinschaftlichem demokratischem Konsens zwischen politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen in unserem Land vorhanden ist.Das ist nicht nur eine Frage der politischen und wirtschaftlichen Stabilität unseres Landes, sondern es ist — im Zusammenhang mit dem, was Herr Kollege von Weizsäcker hier soeben vorgetragen hat — auch eine Frage der Sicherheit unseres Landes. Wir wissen doch heute, daß die Sicherheit eines Landes nicht allein auf der zahlenmäßigen Stärke einer Armee, ihrer Ausrüstung, ihrer Ausbildung, ihrer Bewaffnung, der Zahl ihrer verbündeten 'Truppen, sondern mindestens genauso sehr darauf beruht, daß die Bürger dieses Landes sich zur verfassungsmäßigen Ordnung bekennen, daß sie die gesellschaftliche Ordnung des Landes bejahen können; denn nur dann werden sie auch den Verteidigungswillen haben, ohne den jede Waffe, jede Ausrüstung und jede Ausbildung nahezu wertlos sind.
Deshalb ist die Stabilität unserer wirtschaftlichen Ordnung und unserer politischen Ordnung zugleich ein Beitrag zu unserer äußeren und unserer inneren Sicherheit.Die 0,9 0/0 Wähler extremistischer Parteien in unserem Land bei der letzten Bundestagswahl sind wahrlich kein Mißtrauensvotum gegen die verantwortlichen Kräfte in unserem Land — weden gegen die Regierung noch gegen die Opposition. Deshalb gibt das auch nichts her.Wenn wir über die Sicherheit unseres Landes sprechen, müssen wir die Grundkoordinaten unserer Außenpolitik in Betracht ziehen. Da ist eine ganze Reihe von Fragen an die Bundesregierung zu stellen, und da sind auch Beiträge von der Opposition zu liefern.Beginnen wir bei der europäischen Politik. Der Herr Kollege Kohl hat die Frage aufgeworfen, ob der Bundeskanzler nicht einen Dissens mit der französischen Seite beim Europäischen Währungssystem gesehen habe oder ob er gar diesen Dissens der deutschen Öffentlichkeit oder dem Deutschen Bundestag verschwiegen habe.Ein Blick in das Kommuniqué des Europäischen Rates macht deutlich, was der Europäische Rat zur Einführung des Europäischen Währungssystems im Zusammenhang mit der Agrarpolitik beschlossen hat. Dort heißt es nämlich:Der Europäische Rat ist der Auffassung, daß die Einführung des EWS als solche nicht zu Änderungen der vor dem 1. Januar 1979 bestehenden Situation führen sollte bezüglich der in Landeswährung ausgedrückten Agrarpreise, Währungsausgleichsbeträge und aller anderen für die Zwecke der gemeinsamen Agrarpolitik festgesetzten Beträge.Hier war ganz eindeutig keine Verknüpfung der Einführung mit der Lösung der schwerwiegenden agrarpolitischen Probleme vorgesehen, die in diesen Beschlüssen ebenfalls angesprochen worden sind. Aber wir müssen Verständnis dafür zeigen, wenn unsere französischen Partner diese Frage jetzt aufgreifen. Denn wir wissen, daß diese Probleme, die Frankreich mit der gegenwärtigen Agrarpolitik hat, nicht nur nationale französische Probleme sind, sondern auch europäische Probleme.
— Ich komme sofort dazu. — Wir wissen, daß Frankreich durch die Erweiterung der europäischen Gemeinschaft um die südeuropäischen Staaten zusätzliche Belastungen mit sogenannten „Südprodukten" erhält. Deshalb die Sorge der französischen Regierung.Wir sehen auf der anderen Seite, welche Probleme auf die deutsche Landwirtschaft zukommen. Es ist
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Bundesminister Genschernicht leichtfertig — hier ist Pflichtbewußtsein geboten —, wenn die Bundesregierung sich jetzt bemüht, eine Lösung unter Einbeziehung aller europäischen Staaten herbeizuführen, die die Funktionsfähigkeit des Europäischen Währungssystems sichert, die aber diese Funktionsfähigkeit nicht auf dem Rücken der deutschen Landwirtschaft und der mit ihr zusammenhängenden Wirtschaftsbereiche herbeiführt.
Das ist kein Gruppenegoismus, sondern eine wichtige gesellschaftspolitische Frage. Wir wollen doch alle, daß in diesem Land eine Vielzahl selbständiger Existenzen vorhanden ist, aber nicht nur im gewerblichen Raum, nicht nur im allgemein-wirtschaftlichen Raum, auch im landwirtschaftlichen Raum. Denken Sie bitte an die große Zahl selbständiger Existenzen, die damit zusammenhängen!Es ist auch falsch, zu sagen, der Bundeskanzler habe sich auf das EWS konzentriert, und das trage er vor sich her. Meine Damen und Herren, wir wären froh gewesen, wenn ein solcher Anlauf schon früher hätte gemacht werden können. Es besteht auch gar kein Zweifel, daß wir alle ein elementares Interesse haben, dieses EWS herbeizuführen.Ich kenne die Probleme, die in der CDU/CSU entstanden sind, bevor Sie ihre Haltung formulieren konnten. Herr Müller-Hermann, der sich jetzt zu einer Frage gemeldet hat, hat dankenswerterweise frühzeitig im Europäischen Parlament für die Fraktion der christlichen Parteien im Europäischen Parlament ein Ja dazu gesagt. Wir alle wissen, daß das nicht problemlos eingeführt werden kann. Aber ich denke, daß man der Bundesregierung nicht einen Vorwurf daraus machen kann, daß es notwendig erscheint, Probleme, die bei anderen entstanden sind, in einem Gemeinschaftsverfahren zu lösen. In Europa kann man nicht kommandieren. In Europa muß man sich einigen:
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Hermann?
Herr Minister, gestatten Sie die Frage: Können Sie erklären, daß bei den Berichterstattungen der Bundesregierung im Europäischen Parlament und auch in diesem Hohen Hause über die EWS Mitte Dezember zwar Großbritannien beschworen wurde, doch beizutreten, daß eine Regierungskrise in Italien in Kauf genommen wurde, um ja dieses System zum 1. Januar sattelfest zu machen, daß aber dieser wunde Punkt, der in einer Vereinbarung in einem gefärbten Satz enthalten war, nicht zum Gegenstand der Aufklärung und der Debatte auch in diesem Hohen Hause gemacht wurde?
Herr Kollege, ich darf noch einmal folgendes sagen. Der Beschluß des Europäischen Rates enthält keinen gefärbten, sondern einen sehr klaren Satz. Ich wiederhole ihn:
Der Europäische Rat ist der Auffassung, daß das EWS als solches nicht zu Änderungen der vor dem 1. Januar 1979 bestehenden Situation führen sollte.
Jetzt kommt, worauf sich das bezieht, nämlich die landwirtschaftlichen Preise usw. Dann hat man gesagt:
Der Europäische Rat betont, . daß es im Interesse einer Wiederherstellung der Preiseinheit in der gemeinsamen Agrarpolitik unter gebührender Berücksichtigung der Preispolitik wichtig ist, daß die Schaffung dauerhafter Währungsausgleichsbeträge künftig verhindert wird und die bestehenden Währungsausgleichsbeträge schrittweise verringert werden.
Darüber wollten wir im Laufe des ersten Quartals 1979 oder nach Inkrafttreten sprechen.
Nun hat die französische Regierung aus Gründen, die wir zu respektieren haben und auch respektieren wollen — wir sind ja darauf angewiesen, und wir sind auch darauf angelegt, im Konsens und ohne innenpolitische Schwierigkeiten für alle Partner dieses System funktionsfähig zu machen —, sich nicht in der Lage gesehen, der Inkraftsetzung jetzt zuzustimmen. Sie wünscht vielmehr erst gewisse Perspektiven dieser Regelung zu klären. Darüber sprechen wir im Augenblick. Das ist nicht eine Frage an die Bundesregierung, es sei denn, Sie wollen uns ermahnen, alles zu tun, damit sowohl die Interessen der deutschen Landwirtschaft und der damit zusammenhängenden Wirtschaftszweige wie das europäische Interesse der Inkraftsetzung des EWS gewahrt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann?
Herr Minister, gestatten Sie mir die zweite Frage: Wie ist es zu erklären, daß die Bundesregierung bei keiner Gelegenheit auf den explosiven Inhalt dieser Passage vor dem 1. Januar 1979 hingewiesen hat?
Diese Explosivität war zu dem Zeitpunkt nicht erkennbar, Herr Kollege.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir über die Außenpolitik unseres Landes sprechen, reicht es nicht aus, auf den Iran, auf Afghanistan und auf China zu verweisen, sondern hier sind Grundfragen anderer Art zu stellen. Hier ist die Frage zu stellen, wie die Bundesrepublik Deutschland ihren Beitrag zur Stabilität in der ganzen Europäischen Gemeinschaft leisten will; das tun wir durch die innere Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft, durch das Bemühen um ein europäisches Währungssystem.Da ist die Frage zu stellen, wie jenen Staaten geholfen werden kann, die nicht zuletzt auch um der
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10332 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Bundesminister GenscherFestigung ihrer demokratischen und wirtschaftlichen Ordnung willen beitreten möchten. Das tun wir durch unser Ja in Kenntnis der Probleme der Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft.Es ist die Frage zu stellen, wie wir die Verbindung mit den europäischen Staaten halten wollen, die weder dem Warschauer Pakt noch der Europäischen Gemeinschaft angehören, die aber Anlehnung an die Europäische Gemeinschaft suchen. Das tun wir im Rahmen des Europarates. Ich halte ihn für eine ganz wichtige Brückeninstitution zu diesen anderen Ländern, die entweder aus eigener Entscheidung oder auch durch auferlegte oder akzeptierte Verträge nicht in der Lage sind, sich der Europäischen Gemeinschaft anzuschließen. Wir müssen uns die Frage stellen, ob die Anstrengungen, die wir im westlichen Bündnis unternehmen, die wir für uns und mit unseren Partnern unternehmen, allein reichen, um die Sicherheit Westeuropas, um die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu garantieren. Da werden wir zu dem Ergebnis kommen, daß unsere Sicherheit ebenso von den äußeren Rahmenbedingungen abhängig ist, daß wir von der Entwicklung in Afrika, im Nahen Osten und in Ostasien abhängig sind.Deshalb ist die Frage berechtigt, was ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland als Mitglied der Europäischen Gemeinschaft tun kann, um in der Mittelmeerregion zur Stabilität beizutragen. Hier wird die Opposition Gelegenheit haben, zu sagen, ob sie der Meinung ist, daß wir für die Mittelmeerpolitik genug tun, um dort einen Beitrag zur Stabilität zu liefern, ob wir genug tun, um die arabischen Staaten und Israel zu einer Lösung zusammenzuführen, die von allen arabischen Staaten akzeptiert werden kann — deshalb immer wieder unser Appell an die Einheit des arabischen Lagers —, ob wir aber auch genug für eine Politik tun, die die materiellen Voraussetzungen für eine Entwicklung der Länder rund um das Mittelmeer schafft, damit dort über wirtschaftliche Stabilität ebenso politische Stabilität entsteht, wie wir es hier in Europa versuchen.
Hier ist die Frage nach der Politik in der Dritten Welt gestellt worden. Ich hätte ganz gern gehört, ob die Opposition es weiter hinnehmen will, daß jeder Versuch, eine gerechte Weltwirtschaftsordnung zu schaffen, von einzelnen Mitgliedern ihrer Fraktion als ein Verrat an den Grundsätzen der Marktwirtschaft diffamiert werden kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind stolz darauf, daß in der Bundesrepublik Deutschland die Soziale Marktwirtschaft geschaffen wurde, weil sie die Voraussetzungen dafür schafft, daß auch die Schwachen an dieser Marktwirtschaft teilnehmen können, daß die Marktwirtschaft nicht nur formale Chancen eröffnet, sondern auch reale Möglichkeiten gibt, diese Chancen wahrzunehmen.Wir haben alle gemeinsam nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland eineStrukturpolitik durchgeführt, die allen Regionen der Bundesrepublik Deutschland die Teilnahme an der Entwicklung ermöglichen soll. Bitte glauben Sie mir: Wir müssen das weltweit genauso tun. Es reicht nicht aus, daß wir die Staaten der Dritten Welt einladen, sich an der vorhandenen Weltwirtschaftsordnung zu beteiligen, wenn gleichzeitig große Industriestaaten ihre Märkte für die Fertig- und Halbfertigwaren dieser Staaten der Dritten Welt verschließen. Wenn sie diese nicht verkaufen können, sind sie auch nicht in der Lage, bei uns einzukaufen. Es ist gar nicht Altruismus, was uns dabei leitet, sondern gemeinsames Interesse, das darin besteht, in einer interdependenten Welt die vorhandenen Industriestaaten mit einer Gruppe von Entwicklungsländern zu verknüpfen, die endlich in die Lage versetzt werden müssen, Not und Armut zu überwinden, indem wir diesen Ländern reale Chancengleichheit einräumen.
Dafür brauchen wir Mechanismen, die wir auch inder eigenen Volkswirtschaft nicht vernachlässigen.Der Bundeskanzler hat hier etwas zur Energiepolitik gesagt. Er hat etwas dazu gesagt, wie wir der deutschen Steinkohle gegenübertreten. Wir treten — ich sage das ganz offen; wir lassen uns deshalb nicht der Sünde wider die Marktwirtschaft bezichtigen — für Fonds für bestimmte Rohstoffe ein, weil wir es für notwendig halten, daß auch den Entwicklungsländern gewisse Preisgarantien gegeben werden. Wir haben ein System der Erlösstabilisierung eröffnet, das wir als Angebot betrachten. Wir gehören zu den Aktiven in der Europäischen Gemeinschaft, die sich für das Lomé-Abkommen eingesetzt haben, das eine weltweite Anwendung verdient hätte. Das alles sind doch nicht Abwege, das sind doch Schritte weg vom Wege der Tugend der Marktwirtschaft, sondern es' ist in Wahrheit das Be- mühen, das Verständnis in den Entwicklungsländern dafür zu stärken, daß diese Marktwirtschaft auch ihnen reale Chancen einräumen kann.
Wir haben einen internationalen Lernprozeß durchgemacht. Das waren auch nicht Erkenntnisse, die von vornherein in der Bundesrepublik Deutschland — mutmaßlich bei keiner Partei, jedenfalls nicht in meiner eigenen — vorhanden waren. Aber es gab auch völlig andere Vorstellungen bei den Entwicklungsländern. Möglicherweise müssen wir uns alle fragen, ob wir nicht bei einer früheren Belebung dieser Diskussion einen wesentlichen Beitrag hätten leisten können, damit die Meinungsbildung in den Entwicklungsländern gar nicht erst in die falsche Richtung gegangen wäre.Es ist diese Bundesregierung gewesen, die dafür gesorgt hat, daß das Problem international von den Vereinten Nationen und in internationalen Gremien diskutiert wurde, das sich daraus ergibt, daß die sozialistischen Industrieländer eben nicht ihre Märkte öffnen, daß die sozialistischen Industrieländer eben nicht ihren Anteil an der Hilfe für die Dritte
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10333
Bundesminister GenscherWelt erbringen. Sie haben aber die Pflicht, es zu tun, weil die Forderung, die Dritte Welt zu beteiligen, nicht eine Forderung sein kann, die allein an die marktwirtschaftlichen Industrieländer gerichtet wird.Hier kann man wirklich nicht sagen, daß eine Regierung, die diese Frage international diskutiert hat, auch nur die Fragestellung ertragen muß, ob sie ein Sprachrohr von irgend jemandem sein könnte.Das gleiche gilt für den Bundeskanzler, der dies ebenso wie Fragen der Sicherheitspolitik zu einem internationalen Thema gemacht hat.Wenn wir über die Frage sprechen, wie wir die Probleme unserer Sicherheit in einer interdependenten Welt lösen können, wie wir zur Stabilität und auch zur Verwirklichung der elementaren Menschenrechte in dieser Welt beitragen können, dann ist es genauso wichtig, zu wissen, daß es diese Bundesrepublik Deutschland war, daß diese Bundesregierung es war, die den Gedanken des regionalen Zusammenschlusses als einer Möglichkeit der Bewahrung der eigenen Unabhängigkeit für mittlere und kleinere Staaten nicht nur als europäisches Modell sieht, sondern als ein weltweit anwendbares - Modell. Wir waren es, die angeregt haben, daß es eine Ministerkonferenz zwischen den Staaten der Europäischen Gemeinschaft und den ASEAN-Staaten gab. Heute zeigt sich, wie dringend geboten die politische Stärkung und die weltpolitische Aufwertung dieses Staatenzusammenschlusses angesichts der Entwicklung in Ostasien war.In diese Entwicklung haben wir auch die Volksrepublik China einzubeziehen, allerdings nicht in dem Sinne, daß sich deshalb Grundkoordinaten der deutschen Außenpolitik zu verändern hätten, wohl aber in dem Sinne, daß wir dafür zu sorgen haben, daß in allen Ländern dieser Welt — auch bei unseren osteuropäischen Nachbarn — das Verständnis dafür geweckt wird, daß das Eintreten der Volksrepublik China in die internationalen Verantwortlichkeiten, ihre Einbeziehung in das Netz internationaler Verbindlichkeit und Verantwortung in Wahrheit gegen niemanden gerichtet sein kann, sondern ein Gewinn für alle Staaten dieser Welt ist. Niemand kann wünschen, daß der volkreichste Staat dieser Erde in einem Zustand der Selbstisolierung verharrt.
Wenn wir diese Frage, Herr Kollege Mertes, unter diesem Gesichtspunkt diskutieren, dann wird es leichter werden, die Frage zu beantworten, auf welchen Feldern der Außenpolitik Gemeinsamkeit möglich ist. Ich meine nicht Sie, aber andere, die glauben, der Bundesregierung in dieser oder jener Frage Unzuverlässigkeit vorwerfen zu müssen; sie machen das so unerhört schwer. Ich finde, daß es möglich sein sollte, in Grundfragen der Außenpolitik sehr wohl kritisch miteinander umzugehen, daß man deshalb aber nicht die Felder zuschütten sollte, auf denen diese gemeinsame Außenpolitik denkbar ist.Das sollte auch für die Bündnispolitik, für Fragen der Rüstungskontrolle, der Rüstungsbeschränkung und der Abrüstung gelten.
Meine Damen und Herren, es gibt doch gar keinen Zweifel — und die Sicherheitsdebatte und die Antworten auf die Großen Anfragen, die vorliegen, werden das erweisen -, daß die Bundesregierung festhält an dem Grundsatz der Parität und der Kollektivität bei MBFR. Ist es nicht ein wesentlicher Fortschritt gewesen, daß gelegentlich des Besuches des sowjetischen Generalsekretärs Breschnew die erste Festschreibung des Grundsatzes der Parität für den konventionellen Bereich in der gemeinsamen Deklaration erfolgt ist? Das ist eine wesentliche Bereicherung der Abrüstungsdiskussion in unserem Sinne.
— Bitte schön.
Herr Bundesminister, erweckt die Einigung zwischen Bundeskanzler Schmidt und Generalsekretär Breschnew über die Parität nicht einen falschen, einen irreführenden Eindruck, nämlich daß man in der Sache einig geworden sei, während die verbale Einigung die unverändert weiter bestehenden Sachgegensätze nur überkleistert?Genscher, Bundesminister: Herr Kollege, wie häufig nehmen Sie mir sozusagen den nächsten Satz, den ich ohnehin sagen wollte, aus dem Munde. Die Datendiskussion, die noch notwendig ist, wird klarmachen, daß in dieser Frage eine Übereinstimmung noch nicht erzielt werden konnte. Nachdem wir aber Jahre darüber gesprochen haben, ob die vorhandene Disparität Grundlage der Sicherheit ist — was zunächst von der östlichen Seite behauptet wurde — oder ob es notwendig ist, zur gegenseitigen Interessenwahrung Parität zu schaffen, und nunmehr die sowjetische Seite diese Auffassung übernommen hat, liegt darin ein ganz wesentlicher Fortschritt für die internationale Abrüstungsdiskussion.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn das so ist, darf bei einer solchen Debatte auch nicht untergehen, daß die Diskussion über die sogenannte Grauzonen-Problematik nicht eine Diskussion war, die von der Opposition ausgelöst wurde, oder von einem unserer Verbündeten, die angeblich Mißtrauen in unsere Haltung zum Bündnis haben, sondern daß diese Bundesregierung und der Bundeskanzler dafür gesorgt haben, daß überhaupt das Problem der Grauzonen-Waffen in die internationale Rüstungskontrolldiskussion eingeführt worden ist.
Meine Damen und Herren, nun wollen wir uns dieser Frage zuwenden. Ich warne vor der Vorstellung, daß es sich hier nur um ein Problem zwischen den Staaten des westlichen Verteidigungsbündnis-
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10334 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Bundesminister Genscherses und den Staaten des Warschauer Pakts handelt. Von diesen strategischen Waffen der Sowjetunion — in der Reichweite nicht interkontinental, in der Wirkung wohl aber strategisch — sind alle direkten Anrainerländer der Sowjetunion betroffen — oder sagen Sie: bedroht —, nicht nur die, die der NATO angehören.Ich glaube, daß es auch gut gewesen wäre, wenn die Opposition — da diese Fragen heute nun einmal angeschnitten worden sind — gesagt hätte,
ob sie die bisherigen Äußerungen der Bundesregierung zu dieser Frage unterstützen kann, ob sie auch unsere positive Haltung zum Vorschlag der französischen Regierung für eine europäische Abrüstungskonferenz, die dann zu einer Erweiterung käme, unterstützen kann.
— Nein, das gehört hier in die Diskussion. Man darf nicht immer nur sagen, was die Regierung angeblich unterläßt. Man muß auch die Kraft haben, einmal zum Ausdruck zu bringen, meine Damen und Herren: Hier ist die Regierung auf dem-richtigen Wege, hier kann sie sich auf uns verlassen. Das ist doch gar nichts Schlimmes. Das ehrt doch das Parlament, wenn man das hier zum Ausdruck bringt.
Zu dem, was Berlin angeht: Herr Kollege von Weizsäcker, Sie wissen; daß das, was der Gesetzgeber zur Erfüllung der Vereinbarungen der Parteivorsitzenden tun kann, durch die Einstellung in den Haushalt und den gemeinsamen Antrag der Fraktionen auf den Weg gebracht worden ist. Da gibt es zwar weitergehende Wünsche der Industrie- und Handelskammer in Berlin — das ist verständlich —,
aber zunächst einmal geht es um die Realisierung dessen, was wir uns vorgenommen haben — und das ist auf den Weg gebracht. Man sollte, wenn man in dieser Debatte die Haltung der einzelnen Parteien zu Berlin erläutern und darlegen will, nicht unterlassen, immer wieder darauf hinzuweisen, daß die Probleme, über die wir heute in Berlin sprechen — verglichen mit dem Zustand, den wir vor dem Viermächteabkommen hatten —, Probleme sind, die nicht mehr diese zentrale Bedeutung haben, und daß das Viermächteabkommen deshalb einen wesentlichen Fortschritt darstellte. Ich hätte es für einen Gewinn gehalten, Herr Kollege von Weizsäcker, wenn Sie hier als derjenige, der sich um das Amt des Regierenden Bürgermeisters bewirbt, ein positives Wort zu dem Viermächteabkommen hätten finden können,
gerade in der jetzigen Situation. Denn das wäre auch ein Stück Gemeinsamkeit für Berlin, die wir doch brauchen, um dort Fortschritte zu machen.Nun, meine Damen und Herren, zu der Frage, wie wir — mit „wir" meine ich die Regierung in ihrer Gesamtheit: den Bundeskanzler und jedes einzelne Mitglied — zur Einheit unseres Volkes und zur Nation stehen: Alle diese Kollegen und Mitglieder der Bundesregierung — der Bundeskanzler an der Spitze — haben sich zu einer Politik bekannt, die darauf gerichtet ist, durch eine realistische Entspannungspolitik, zu der wir — wie unsere Verbündeten und Partner — keine vertretbare Alternative sehen, das zu tun, was wir unter den gegenwärtigen Machtverhältnissen in Europa tun können, um den Bestand an Einheit unseres Volkes nicht nur zu erhalten, sondern auszubauen. Diese Chancen, die damit eröffnet sind, wollen wir ausfüllen in der Absicht, eine Politik fortzusetzen, die es uns ermöglicht — ohne Kalten Krieg, der uns zurückwerfen würde —, auf einem Wege weiterzugehen, an dessen Ende hoffentlich die Selbtsbestimmung für unser ganzes Volk stehen wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich verstehe sehr gut, daß sich der Herr Bundesaußenminister — wohl überwiegend in seiner Eigenschaft als Vizekanzler — hier in die Debatte begeben hat; ich finde das gut. Denn alle Fragen, die wir nun zu stellen haben, gehen ihn genauso an. Denn es ist ja einfach wahr, daß die Freie Demokratische Partei und Fraktion und auch Sie, Herr Kollege Genscher, die volle Verantwortung für die von der Koalition gemeinsam getragene Bundespolitik haben. Deshalb begrüße ich es sehr, daß ich die Fragen, die ich habe, gleich an Sie beide richten kann.Der Herr Bundeskanzler bat in seiner Intervention, wir möchten bitte konkret und subtil sein; ich will Ihnen dazu helfen. Ich möchte Fragen zu Themen stellen, die im Volk von Interesse sind. Im wesentlichen sind es Fragen zu fünf Punkten, und die betreffen, wie ich glaube, zentrale Bereiche der Innen-, Deutschland- und Außenpolitik. Allen diesen fünf Punkten ist eines gemein: Sie zeigen wesentliche Veränderungen in wichtigen Positionen der deutschen Politik über die Jahre. Und sie zeigen, wie ich fürchte, fehlende geistige Führung. Das ist ja das Thema, daß wir beide, Herr Bundeskanzler, in diesem Hause miteinander diskutieren, seitdem Sie Regierungschef sind.Zum ersten: Herr Kollege Wehner hat — das war, glaube ich, sehr vernünftig — an die Regierungserklärung erinnert, die für diesen Bundestag gilt, an diese sieben Punkte. Diese Regierungserklärung von Bundeskanzler Schmidt — sie datiert vom 16. Dezember 1976, — nennt als wichtigste — „vorrangige" heißt es wörtlich — „Aufgabe" der Regierung die Wiederherstellung der Vollbeschäftigung.
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Dr. BarzelNun, Herr Bundeskanzler, in derselben Erklärung haben Sie moniert — das hängt ja damit zusammen, wie ich gleich dartun werde —, daß Sie viele Formulare und Abrechnungen nicht lesen könnten. Sie haben dies als einen Tatbestand benannt, der diesem Ziel entgegensteht. Das ist auch vollkommen richtig, denn dieses Übermaß an Paragraphen ist ein Erdrosselungstatbestand für freie Initiative, ein Vernichtungswerkzeug für den Mittelstand. Das bewirkt eben zusätzliche Arbeitslosigkeit.
Herr Bundeskanzler, ich frage deshalb, in der Hälfte dieser Periode, ganz konkret: Was haben Sie g e t an, dieser Hydra von Paragraphen, dieser Wanderdüne, Einhalt zu gebieten?
Was haben Sie auf diesem Gebiet getan? Das ist eine Frage, die die Bürger haben. Da kann man sich nicht helfen, indem man auf Beamte und Bürokratien schimpft. Sie haben das in Ihrer Regierungserklärung, glaube ich, undurchsichtige Bürokratismen oder so genannt. Das klang ganz gefährlich; das war schon beinahe Kafkas Schloß. Nur, von den Beamten — ich habe das hier schon einmal gesagt — ernennt sich keiner selbst, befördert sich keiner selbst, vermehrt sich keiner selbst, wendet keiner andere Vorschriften an als die, welche die Politiker machen. Wo ist der Beitrag dieser Bundesregierung, um diesen Dschungel zu durchforsten, Herr Bundeskanzler?
Da ist zu hören, der Bundeskanzler und die Regierung hätten einen Staatssekretärausschuß gebildet oder — ich weiß nicht genau - einen Auftrag an Staatssekretäre gegeben. Nun, so schiebt man ein Problem vor sich her. Es ist zu hören, daß die Herren erst einmal von den Ländern Papiere angefordert haben. So wird der Papierberg durch weiteres Papierproduzieren doch noch weiter vergrößert. Herr Bundeskanzler, es ist zu fragen: Was haben Sie g e t an, um dieser „Überforderung der Bürger", „der Anonymität der Macht der Bürokratie" — das sind Ihre Worte — entgegenzutreten?Dies ist doch ein enorm wichtiger Punkt, wenn wir an Vollbeschäftigung und Wirtschaftskraft denken: Sie haben doch am Ende des Jahres 1977 laut vorgerechnet, daß im Jahre 1977, als alles auf Investitionen wartete, 25 Milliarden DM nicht investiert worden seien, obwohl das Geld und die Pläne und die Antragsteller dagewesen seien. Es sei nicht investiert worden — so Ihre Worte —, weil öffentliche Hemmnisse diese Investitionen verhindert hätten. Sie haben dann weitergerechnet: Wegen dieser Hemmnisse habe das Wachstum ein Prozent weniger betragen als es sonst gewesen wäre; das habe uns 100 000 zusätzliche Arbeitslose gekostet. Das sind alles Ihre Rechnungen. Ich frage nun, zur Hälfte der Periode: Was haben Sie dagegen g e - t a n , und wie sehen diese Zahlen — haben Sie den Mut? — für 1978 aus? Haben sie sich vermindert oder sind sie angewachsen? Das ist auch die Folge Ihrer mangelnden Führung in energiepolitischen Fragen, die Ende des Jahres doch hier eine Quittung bekommen hat.
Oder, Herr Bundeskanzler, ist es der Entschluß der Koalition, in dieser Frage energisch die Zügel schleifen zu lassen? Ich sage: Wenn Sie das nicht anpacken, werden Sie Ihr erstes Ziel, die Vollbeschäftigung, nicht erreichen. Wir werden zu immer mehr Staat, immer mehr Paragraphen, immer mehr erdrosselter Initiative, Vernichtung des Mittelstandes und zu vermehrter Arbeitslosigkeit kommen.Hierzu gehört auch ein zweiter Punkt. Den kann ich kurz machen, weil meine Kollegen bereits auf Ihren Ärger mit Herrn Klose, Ihrem Hamburger Parteifreund und Bürgermeister der Freien und Hansestadt, zu sprechen gekommen sind. Aber ich möchte doch ganz gerne, daß diese Dinge, die Sie da beschwert haben, auch im Protokoll stehen. Herr Klose, dessen Eigenschaft ich eben bezeichnet habe, erklärte am 30. November in der Zeitschrift „konkret" — ich zitiere wörtlich —:So würde ich heute nicht mehr ohne weiteres bereit sein, die Analyse von Stamokap als ganz und gar falsch zurückzuweisen ... Weil ich- er meint sich —interveniere, will ich auch lenken ... Dann übe ich eine Investitionskontrolle aus . .. Dann haben wir im Grunde das System einer gelenkten Marktwirtschaft.Ich verstehe sehr gut, Herr Bundeskanzler, daß Sie dies und ein anderer Punkt in den Ausführungen von Herrn Klose veranlaßt hat, sofort zum nächstmöglichen Wochenende nach Hamburg zu eilen. Ich erinnere mich sehr gut, daß es sehr laut war, als Sie hineilten. Ich erinnere mich, daß es ganz leise und verhalten verbröckelte und verbröselte, was da wohl gewesen sei, als Sie zurückgekommen sind.
Herr Bundeskanzler, Ihre Partei hat es doch gleich abgewiegelt. Noch bevor Sie mit Herrn Klose sprechen konnten, erklärte doch der Pressesprecher der Fraktion oder der Partei — ich weiß es jetzt nicht; ich habe es bei meinen Akten —, die Äußerungen Kloses seien — ich zitiere wörtlich — „in der verkürzten Wiedergabe eines längeren Interviews mißverständlich". Da wird nicht gesagt, die seien falsch, abwegig, unrichtig, programmwidrig, nicht die Meinung der Sozialdemokratischen Partei oder Fraktion, —„mißverständlich". Dann protestiert Ihr Kollege Koschnick — Ihr Kollege auch in der Führung der Sozialdemokratischen Partei in der „Welt" vom 5. Dezember gegen das Wort Stamokap. Er erklärte dann später — so in der „Rundschau" vom 9. Dezember —, inhaltlich habe Klose recht. Auf die Frage, was aus dem sonntäglichen Gespräch geworden sei, teilte Herr Koschnick, der praktisch im Augenblick die Partei führt, öffentlich mit, in dieser Frage sei sich der Kanzler „am Ende weitgehend mit seinem Parteifreund Klose einig" gewesen.
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Dr. BarzelDas ist doch ein Weg, der in dieser Sache hier besprochen werden muß, Herr Bundeskanzler; denn die Soziale Marktwirtschaft, die Sie heute für ein Schlagwort gehalten haben — nehmen Sie doch den Inhalt, Herr Althammer hat Ihnen doch den Inhalt auf den Tisch gelegt —, hat uns doch so weit gebracht, daß wir in Wirtschaftskraft, sozialen Leistungen und Weltgeltung da sind, wo wir Gott sei Dank stehen und wo wir auch hingehören. Hier geht es, Herr Bundeskanzler, um Fundamente. Deshalb ist zu fragen: Was gilt — Schmidt oder Klose?
Ich möchte, Herr Bundeskanzler, an dieser so wichtigen Stelle aus der Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 zitieren, die der Kollege Wehner in die Debatte eingeworfen hat. Es sind nur wenige Sätze — das ist dann „Orginalton Helmut Schmidt", wenn ich so sagen darf —:Der notwendige neue Wachstumsprozeß ist in Gang gekommen; er wird sich aber nur dann stetig fortsetzen, wenn die Grundlagen unserer Wirtschafts- und Sozialordnung erhalten bleiben und weiter ausgebaut werden. Individuelle Entscheidungsfreiheit, Anerkennung des Leistungsprinzips und Anerkennung des sozialpflichtigen Privateigentums gehören ebenso dazu wie die Ausgleichsfunktionen der öffentlichen Einrichtungen und der gemeinwirtschaftlichen Einrichtungen, eine leistungsfähige öffentliche Infrastruktur und vor allem die Ausgestaltung des Netzes sozialer Sicherung. Der hierüber in unserer Gesellschaft entstandene Grundkonsens, die Grundübereinstimmung darüber, muß als gemeinsame Basis erhalten bleiben und darf nicht aufs Spiel gesetzt werden.Deshalb sind Sie zu Herrn Klose gefahren, weil hier der Grundkonsens, von dem Kohl und auch andere heute morgen gesprochen haben, aufs Spiel gesetzt wurde. Und was tut der Kanzler? Er nahm hin! Ein Parteitag stand ja bevor. Geistige Führung ist auch das nicht, Herr Bundeskanzler.
Sie müssen sehen, indem die Sozialdemokratische Partei in ihrer Programmatik und nun auch durch Erklärungen aus dem Regierungsflügel immer mehr von der Sozialen Marktwirtschaft abrückt — ich verweise auf unsere Debatte zur Strukturpolitik im vorigen Jahr —, verunsichert sie natürlich die Wirtschaft, verhindert sie die Investitionen und trägt — es tut mir leid, dies sagen zu müssen, aber es ist so — dadurch zur andauernden Arbeitslosigkeit bei.Fragen Sie doch einmal, Herr Bundeskanzler, an wie vielen Konkursen und Schwierigkeiten von Unternehmen diese Dinge schuld sind! Reparieren Sie, stellen Sie soziale marktwirtschaftliche Auffassungen in der SPD wieder her, und es wird keiner mehr zu Ihnen hinkommen und sagen müssen, Sie „reparierten Kapitalismus", weil, wenn Soziale Marktwirtschaft gewollt wird und funktioniert, es diese Art Probleme gar nicht gibt.
Ich will auf einen dritten Punkt zu sprechen kommen. Herr Bundeskanzler, wir haben ja im Ohr, was Sie auf dem Hamburger Parteitag Ihren eigenen Freunden etwa zu der Frage der extremistischen Lehrer gesagt haben. Auch dieser Punkt markiert eine Politik, die Sie nicht wollen, aber hinnehmen — und die Sie deshalb gleichwohl verantworten. Weil Sie soviel hinnehmen, halten Sie sich so lange.
Herr Bundeskanzler, ich sage das jetzt nicht an Ihre Adresse, aber an die Adresse derer, die loben, loben lassen, oder wie das heißt. Weil Sie jetzt soundso lange im Amt sind, kommen schon die Vergleiche mit Konrad Adenauer. Verzeihen Sie, der hat nicht erklärt: Jede Woche eine Reform! Der hat pro Jahr fundamentale Weichenstellungen durchgesetzt! Der hat nicht gefragt: Was ist heute machbar?, sondern: Wie setzen wir das wann durch? Das hat er gemacht, und dafür ist er in die Geschichte eingegangen.
Der Hinweis auf die Regierungserklärung war für mich natürlich sehr hilfreich, Herr Kollege Wehner. Ich habe dann gleich noch eine weiter nachgeschlagen, nämlich die erste Regierungserklärung des jetzigen Bundeskanzlers, bekanntlich aus dem Jahre 1974. Wenn man die mit hinzuzieht, wird noch deutlicher, wie unter dieser Kanzlerschaft sich fundamentale Positionen verschieben, und zwar immerweg von den Fundamenten.Bundeskanzler Schmidt sagte in seiner ersten Regierungserklärung als Bundeskanzler, am 17. Mai 1974, folgendes. Es erfolgt erst ein Hinweis auf den Amtseid und die Gesetze. Dann folgt ein Satz, klipp und klar, ohne Hintertür: „Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gehören nicht in den öffentlichen Dienst."
Das war ja auch gar kein Wunder, denn da wardoch gerade ein Außenminister gekommen, der derInnenminister des Extremistenerlasses gewesen war.Herr Bundeskanzler, Sie haben doch selbst Erfahrungen als Innensenator in Hamburg gesammelt. Wir haben alle nicht vergessen, wie es zu diesem Erlaß kam, der eigentlich doch nur das geltende Recht wiedergab. Es waren auch Sozialdemokraten, die uns damals sagten: Wir müssen hier etwas machen, wir halten die Sache nicht mehr.Dann haben wir den damaligen Bundeskanzler von hier aus hart bedrängt, auch von den Ländern aus bedrängt, und wir bekamen diesen Erlaß, den Kanzler Brandt machte, den Kanzler Schmidt nun weglegt. Das muß man doch einmal sehen und sagen!Nun sollen nach einem Beschluß Ihrer Regierung — da können Sie verbal machen, was Sie wollen —, gefaßt unter Ihrem Vorsitz, auch solche „Gegner" Ihr Wort von damals — Bundesbeamte werden können.Ich habe hier bei mir, wie die „Süddeutsche Zeitung", die dieser Bundesregierung doch sicher ge-
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Dr. Barzelwogen ist, das interpretiert. Herr Kollege Baum, nehmen Sie das mit für morgen, wenn Sie Ihre Debatte haben. Da heißt die Überschrift, so groß: „Auch DKP-Mitglieder können jetzt Beamte in den Bundesministerien werden." Das ist die Aufmachung der „Süddeutschen Zeitung", 19. Januar 1979.Wenn das nicht stimmt, kommen Sie hierher, erklären Sie das, debattieren Sie das morgen. Aber dies ist doch der Eindruck, daß hier eben die Türe auch für solche aufgemacht wird, die uns ans Leder wollen.Herr Bundeskanzler, kümmert Sie eigentlich nicht die Verfassungspflicht, die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland möglichst aufrechtzuerhalten? . Die haben Sie doch nun verletzt. Jetzt wird es in dem einen Land so gemacht, in dem anderen Land anders. Verehrter Herr Bundeskanzler, ich fürchte, dieser mögliche Pensionsanspruch nun auch für Revolutionäre, Beamtenvorrechte auch für Feinde der Freiheit — das ist mehr als ein Schritt ab vom Wege.Verzeihen Sie, wenn ich das da — die Regierungsbank also — sehe, dann muß ich sagen: Seht da, traurige und erschlaffte Garde einer wehrhaften Demokratie!
Meine Damen und Herren, ich kann mir nicht vorstellen, daß der Bundeskanzler sich dabei wohlfühlt; ich kann mir nicht vorstellen, daß sich der Kollege Genscher dabei wohlfühlt. Sie haben eben, Herr Bundeskanzler, von 100 000 Überprüfungen gesprochen. Nach dem, was ich weiß — vielleicht hat sich das inzwischen verändert —, wird doch nicht jeder überprüft, sondern es wird gefragt: Habt Ihr was in den Akten? Das ist doch die Lage, glaube ich. Das soll man dann doch nicht umdrehen.Sie nennen das dann „Regelanfrage". Die soll wegfallen. Herr Bundeskanzler, das ist doch die Einführung von Willkür, wenn man auf „die besonderen Fälle" abstellt.
Wo bleibt denn da die Gleichheit aller vor dem Gesetz?
Wo bleibt die Gleichbehandlung von Beamten? Wer kontrolliert das während des Dienstes? Der Vorgesetzte? Irgendwelche Aufpasser? Weg frei für Denunzianten? Das ist doch die Lage, verehrte Damen und Herren!
Das wird dann kontrolliert — im Dienst. Meine Damen, meine Herren, das soll liberal sein? Ich verstehe das nicht.
Das ist für mich eine Perversion von Gerechtigkeit und Gleichheit.Verehrte Damen und Herren, diese Einführung von Willkür übersieht doch auch — vielleicht darfich das dem Kollegen Ehmke, der so eifrig Notizen macht, gleich mitgeben —: Der Beamte muß doch nach geltendem Recht — und wer das ändern will, soll hier einen Gesetzesantrag vorlegen, damit wir ihn diskutieren und ordnungsgemäß in Rechtskraft setzen können —, wie es im Gesetz heißt, die Gewähr dafür bieten, daß er jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintritt. Es heißt „jederzeit" und „für".Sie wissen, daß der Beamte auch außerhalb des Dienstes für sein Verhalten, z. B. durch ein Disziplinarverfahren, zur Ordnung gerufen werden kann, d. h., da ist nicht zwischen der Dienstzeit und hinter- her zu unterscheiden. Eine andere Regelung würde dazu führen, daß Sie Leute haben, die von 8 bis 17 Uhr sagen: Jawohl, Herr Minister, und von 17 bis 24 Uhr arbeiten sie für die DKP, d. h. für die Revolution.Machen wir uns nichts vor! Wer Mitglied dieser Partei wird, tritt in eine Partei ein, in deren Programm steht, sie sei eine „revolutionäre Partei", die sich „Partei des proletarischen Internationalismus" nennt, die ihr Vorbild in der Sowjetunion und in der „großen sozialistischen Oktoberrevolution in Rußland" sieht. Wer das will, kann nicht gleichzeitig jederzeit f ü r die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten.
Hier machen Sie aus einem nötigen Entweder-Oder ein schlappes Sowohl-als-Auch, und das führt dann zur Unterstellung von Persönlichkeitsspaltungen, bis 17 Uhr und ab 17 Uhr. Ministerpräsident Späth hat schon recht: Die Regelanfrage ist das fairste, das transparentere und das ehrlichere Verfahren. Es hat den Vorzug der Objektivität und diskriminiert keinen Bewerber.Daß das alles so geschieht, ist nicht etwa Ihr Wille oder der Wille von Herrn Genscher. Das wird keiner annehmen. Auch hier haben Sie Parteitagsbeschlüsse hingenommen.Diese Parteitagsbeschlüsse sind, wie diejenigen in der Energiepolitik, entstanden, weil nicht rechtzeitig und energisch genug geistig und politisch geführt und gesagt wurde: Stopp, hier ist ein Grundsatz, an den man nicht heran kann! Regieren heißt eben vorausschauen, gestalten, führen und nicht — einander belauern und sich so im Amt halten.
Ich möchte gern auf einen vierten Punkt kommen, der die Deutschlandpolitik betrifft. Ich bin unterrichtet, daß das heute hier alles zusammen behandelt werden soll; hoffentlich stimmt das.Im November 1978 kam es zu einigen Abmachungen mit der DDR. Die Regierung ließ das durch eine unglaubliche Pressepolitik — indem sie einige Journalisten informierte, die das dann druckten — feiern und ließ vor allem sich feiern; feiern, bevor der Bürger oder das Haus Gelegenheit hatten, diese Abkommen kennenzulernen. Wer diese Abkommen dann las und das verständig tat, leugnete natürlich nicht, daß hier punktuell, vor allen Dingen für Ber-
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10338 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Dr. Barzellin, einiges positiv zu verbuchen war. Warum soll man das leugnen? Ich tue das nicht.Nur ist die Frage zu stellen: Ist das eigentlich alles? Da war in der Presse lautstark angekündigt worden: Jetzt marschiert Herr. Gaus mit mehreren Dutzend Vorschlägen nach Ost-Berlin, um ein großes Paket für einen neuen Durchbruch zu schnüren. So und ähnlich klangen die Worte. Aus den mehreren Dutzend Vorschlägen sind sechs geworden, die sehr teuer geregelt wurden. Herr Bundeskanzler: Wo ist der Rest?Trotzdem ergab sich eine Milliarde DM zusätzlich, von der ich gleich sprechen werde. Ich sehe wieder — Sie baten auch, subtil zu sein — eine fundamentale Veränderung der Position der Bundesregierung. Im Bundesgesetzblatt II vom 16. Oktober 1972, wo auf Seite 1449 der innerdeutsche Verkehrsvertrag abgedruckt ist — ich merke dies an, damit Sie es schneller finden —, ist als Art. 3 des Gesetzes zu lesen: „Dieses Gesetz zu dem Vertrag zwischen den beiden Staaten in Deutschland gilt auch ..." Uber diese Formulierung haben wir damals intern lange debattiert: „beide Staaten in Deutschland"; denn das ist schon für Berlin etwas fundamental anderes als „zwei deutsche Staaten".
„Beide Staaten in Deutschland", das ist die Realität der Hoffnung und des Anspruchs auf das Ganze.
So steht es im Bundesgesetzblatt. Bei der Verabschiedung dieser zitierten innerdeutschen Abmachungen im letzten November ist im Bulletin zu lesen, die neuen Vereinbarungen sollten die „Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Staaten" „vertiefen" und „stabilisieren"; so wolle man „das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten krisenfester machen". Das ist etwas fundamental anderes als das, was die Formulierung im Gesetzblatt aussagt: zwei Worte, zwei Welten! Wieder fundamental verschobene Positionen.Ich habe am 21. November öffentlich in der Zeitung „Die Welt", weil ich hier noch nicht sein konnte, hinsichtlich der Kosten Fragen gestellt und um Aufklärung gebeten. Mir ist das so wichtig, daß ich das in diese Debatte einführen möchte. Die Pauschalgebühren — grundsätzlich sind sie richtig und vernünftig, nicht daß uns hier jetzt einer an einer falschen Stelle angreift — entwickeln sich so, daß es stutzig und mißtrauisch macht. 1971 wurde ein Jahresbetrag von 239 Millionen DM und eine Überprüfung im Jahre 1975 vereinbart. Man erwartete 1975 anwachsenden Transitverkehr und kam überein, von 1976 bis 1979 die Jahrespauschale sehr großzügig auf 400 Millionen DM festzusetzen. Die Bundesregierung pries damals diese „Korrekturklausel", weil sie garantiere, daß die Pauschale sinke, .wenn der Verkehr geringer als erwartet zunehme. 1976 und 1977 wuchs der Verkehr weniger an als angenommen. Die DDR hätte uns rund 80 Millionen DM zurückzahlen müssen. Jetzt hat man nicht nur darauf verzichtet, sondern die Korrekturklausel ist entfallen. Obwohl der Verkehr nicht so zunimmt,wie man erwartet, hat man die Pauschale gleich auf zehn Jahre, bis 1989, auf 525 Millionen DM pro Jahr erhöht. Ich behaupte: Diese Pauschale ist um mindestens 100 Millionen DM je Jahr zu hoch. Das macht in den zehn Jahren eine Milliarde DM. Herr Bundeskanzler, eine Milliarde: Wofür, warum und wozu?
Sie kennen sicherlich gut meine Position: Freiheit ist teurer als Geld. Da haben Sie mich an Ihrer Seite. Aber Geld ist teurer als nichts. Wofür haben Sie hier eine Milliarde gezahlt?Es war zu hören, daß der Kollege Wischnewski unlängst in Ost-Berlin war und sich dort in einem besseren Klima delektiert hat. Das ist ihm wirklich zu gönnen; wie gut und wie schön für ihn. Nur wie wäre es, wenn von diesem Klima jene Deutschen drüben, wenigstens einmal, etwas spüren könnten, die einmal von dort hierher einen Besuch machen möchten?
Aber wo. ist das Klima, außer vielleicht bei dem Essen? Wo ist das Klima? Haben Sie es vielleicht, wenn ich das scherzhaft sagen darf, in Ihrem Reisegepäck, Herr Kollege Wischnewski? Für eine Milliarde Klima im Koffer? Wo ist der Koffer? Machen Sie ihn auf, lassen Sie einmal sehen, was mit der Milliarde geworden ist, wofür sie eigentlich gezahlt worden ist.
Ich komme zu einem fünften Punkt. Das Zitat des Chefredakteurs Luchsinger hat eine Rolle gespielt. Ich meine — was jetzt kommt, geht sicherlich auch den Herrn Bundesaußenminister sehr viel an —, da ist offensichtlich Rauch, auch international, und wer herumkommt und manche Leute sieht und Zeitungen und auch anderes liest, der merkt hier auch Rauch. Da muß man doch verantwortlich fragen dürfen: Gibt es da auch Feuer? Ich will ein paar Fragen stellen. Der Kanzler kann, wenn er mag, das Feuer austreten, wenn es etwa falsch glimmt, falls er das kann und falls er das möchte. Ich fürchte, auch hier ist eine Veränderung Ihrer Position, die fundamental ist, festzuhalten. In Ihrer Regierungserklärung von 1974 heißt es:Das Gleichgewicht in der Welt und die Sicherheit Westeuropas bleiben auf absehbare Zeit in der Zukunft von der militärischen und von der politischen Präsenz der USA in Europa abhängig. Übereinstimmende sicherheitspolitische Interessen bestimmen das europäisch-amerikanische Verhältnis.Klare Worte, gute Worte, zutreffende Worte. Heute sind da nicht nur Zwischentöne anders, auch Akzente.Herr Bundeskanzler, man kann immer mehr lesen und hören, daß Sie sich nachdenklich — ja, sogar fasziniert mit dem Reichskanzler von Bismarck beschäftigen —, sicherlich nicht mit dem der Sozialistengesetze und sicherlich, wie ich annehme, auch nicht mit dem des Kulturkampfes, wohl aber mit
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10339
Dr. Barzelder Außenpolitik dieses großen Reichskanzlers. Ihre Rede vor dem Historikerkongreß am 4. Oktober letzten Jahres haben Sie sich eingereiht in die „Bewunderer"" von Bismarcks außenpolitischem Kurs. Auch in dem „Spiegel"-Interview vom Beginn dieses Jahres kann man das finden. Da wird der frühere Reichskanzler ausdrücklich wegen seiner Politik des Gleichgewichts und des Friedens gelobt, auch wegen seines Beitrages „zum gegenseitigen Verständnis mit dem damaligen zaristischen Rußland"Herr Bundeskanzler, geschaukelt hat Bismarck in einer völlig anderen Staatenwelt. Das Reich hatte Sicherheit aus sich selbst und keinen ideologischen Gegner, der ihm ans Zeug wollte.
Wir empfangen Sicherheit allein durch das Bündnis. Ich denke, jeder in diesem Haus — der Bundeskanzler eingeschlossen — weiß: Rückversicherung läuft nicht mehr.Der Kampf der Kommunisten kennt doch keine weißen Flecken, spart doch keinen aus. Ist es denn ein Gerücht, wenn man hört, daß von hoher sowjetrussischer Seite gesagt wird: Paßt auf, daß ihr nicht wählen müßt zwischen Détente und Diskriminierung der DKP in der Bundesrepublik .Deutschland? Das ist doch wohl nicht nur ein Gerücht.Der neue Botschafter der Sowjetunion war doch Anfang Januar, ich glaube, in Wuppertal bei der Feierstunde der DKP anläßlich ihres Jubiläums. Das ist die Partei, die sich als „revolutionäre Partei" bezeichnet. Das sind die Freunde Breschnews. Da gibt 'es keinen ausgesparten Punkt. Das ist die Realität.Bismarck hatte es mit Rußland zu tun und wir mit der Sowjetunion. Heute deutsche und russische Kommunisten in Berlin; damals standen die Soldaten des Zaren hinter dem heute einverleibten Teil Ostpolens, und beides waren Monarchien, wenn auch mit einer anderen inneren Ordnung.Gewiß — das räume ich jedem ein —, uns stehen Rücksicht und Augenmaß zu, uns stehen Bedachtsamkeit und höfliche, aber unmißverständlich Wahrung unserer Rechte und Interessen gut zu Gesicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dieser Mann schuf zuerst die Einheit und das Reich und machte dann jene Politik, die Sie zu bewundern beginnen.
Was eine europäische Friedensordnung vielleicht einmal leisten könnte, das vermag doch die Bundesrepublik Deutschland beim besten Willen allein nicht zu bewirken.Der ideologische Kampf um Freiheit oder Diktatur ist doch im Gange, ob einem das nun paßt oder nicht. Man sollte auch die Lage in Mitteleuropa berücksichtigen. Die Massierung von Waffen und Armeen in Mitteleuropa ist doch schon an sich gefährlich — wie auch Herr Breschnew in seinem „Time"-Interview dieser Tage öffentlich bestätigt hat.Zu dieser Lage gehört doch, daß die Sowjetunion, der Warschauer Pakt — das unterschreiben Sie doch immer in den NATO-Kommuniqués — ihre militärischen Anstrengungen weit über defensive Notwendigkeiten hinaus steigern. Das östliche Potential ist mit rein defensiver, Einstellung nicht vereinbar. Die Moskauer lassen in Ostasien kämpfen; das ist heute morgen vorgetragen worden. Das alles ist, Herr Bundeskanzler, außerhalb der Möglichkeit „gegenseitigen Verständnisses", wie mir scheint.Wenn wir über Bismarck diskutieren — ich habe ja einmal mit Ihrem Vorgänger eine lange Debatte darüber haben können —, dann möchte ich zur Reflektion für Sie und eigentlich für uns alle ein Bismarck-Zitat in die Debatte einführen. Er sagte einmal:Ich habe stets den Eindruck des Unnatürlichen von der Tatsache gehabt, daß die Grenze, welche den niedersächsischen Altmärker bei Salzwedel von dem kurbraunschweigischen Niedersachsen bei Lüchow in Moor und Heide dem Auge unverkennbar trennt, dort den zu beiden Seiten Plattdeutsch redenden Niedersachsen an zwei verschiedene, einander unter Umständen feindliche völkerrechtliche Gebilde verweisen will, deren eines von Berlin und das andere früher von London und später von Hannover regiert wurde, und daß friedliche und gleichartige, im Konnubium verkehrende Bauern dieser Gegend — der eine für welfisch-habsburgische, der andere für hohenzollernsche Interessen — aufeinander schießen sollten.Hier haben Sie sein Motiv, daß nicht Deutsche auf Deutsche schießen müssen. Es war seine geschichtliche Staatskunst, die Deutschen aus fremden Vorherrschaften für sich selbst zu befreien und zu einen. Diesen Bismarck kann ich Ihrer Lektüre sehr wohl empfehlen, Herr Bundeskanzler.
Ich will, um diesen Punkt gründlich zu behandeln, ein anderes einschlägiges — wie ich finde, nicht genügend beachtetes Dokument des Herrn Bundeskanzlers — in diesen Teil der Debatte einführen. Ich stelle fest, daß der Herr Bundeskanzler es offenbar schätzt, seine wichtigeren Reden nicht hier, sondern anderswo zu halten. Es geht mir um Ihre Brückenbau-Rede vom 9. Dezember 1978 vor Ihrem Parteitag in Köln. Ich zitiere Sie ausführlich und sorgfältig nach dem Protokoll. Ich hoffe, daß sich auch der Herr Bundesaußenminister dafür sehr interessiert. Da heißt es:Unsere Verständigungspolitik bleibt aber auch in Zukunft auf die Partnerschaft in der Europäischen Gemeinschaft und auf die Partnerschaft im Nordatlantischen Bündnis gestützt. Diese beiden Gemeinschaften sind die Basis oder sind die Pfeiler, von denen wir Wege und Brücken nach Osteuropa bauen. Insofern braucht Deutschland die Gemeinschaft, braucht Deutschland Europa mehr, als die unversehrten europäischen Nationen es brauchen. Gerade deshalb wollen und dürfen wir Deutschen aber keineswegs zum Schrittmacher oder gar zum Einpeitscher Europas werden.
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10340 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Dr. BarzelUnsere Aufgabe ist Brückenfunktion. Unsere Aufgabe ist, die geistigen Ströme, die wirtschaftlichen und politischen Ströme zwischen West- und Osteuropa zu stärken. Kaum jemand ist stärker als wir Deutschen an der Wiederherstellung ganz Europas als geschichtlich entstandener geistiger und politischer Einheit interessiert. In der schwierigen Lage, in der wir leben und noch lange zu leben haben werden, gibt uns die Europäische Gemeinschaft politische Sicherheit vor Druck, auch vor Bedrohung. Die Gemeinschaft gibt Europa zugleich eine mittlere Rolle, eine vermittelnde Rolle zwischen den Supermächten. Sie ermöglicht uns Verständigung mit Osteuropa. Sie schafft auch ein politisch und wirtschaftlich besseres Gleichgewicht innerhalb der Nordatlantischen Gemeinschaft. Die Europäische Gemeinschaft ist auf dem Wege zu einer Großmacht des Friedens.Zunächst zum Europäischen; dann zu dem anderen Punkt.Wenn ich dieses verhaltene Europa — „nicht drängen" — mit Ihrer Eingangsregierungserklärung von 1974 vergleiche, wo Sie sagten:Wir wissen, daß unser Wohlstand auch von der Funktionstüchtigkeit und dem Fortbestand der Europäischen Gemeinschaften und des Gemeinsamen Marktes abhängt.,dann muß ich fragen: Wenn das so wichtig ist, wenn das so herausragend wichtig ist, warum scheuen Sie sich eigentlich, vom Moderator zum Motor der europäischen Verständigung überzugehen? Warum verhalten Sie sich da so zurückhaltend?Ich anerkenne, was Sie im Kampf um das Währungssystem getan haben. Ich muß aber zugleich nicht nur kritisieren, daß Sie das in anderen Fragen vermissen lassen, sondern ich muß leider auch darauf hinweisen, daß hier ein sehr wunder Punkt ist, der sicher heute oder morgen oder sonst übermorgen geklärt werden muß. Jetzt wissen wir alle — und der Herr Bundesaußenminister hat eben zwar unvollständig zitiert, aber hat es immerhin zugegeben —, daß es ein Problem zwischen Paris und uns und damit auch zwischen den anderen gibt. Als der Bundeskanzler das Europäische Währungssystem am 6. Dezember hier eingeführt hat, war davon nicht die Rede. Ich zitiere:Ich— der Bundeskanzler —sprach davon, daß diese Arbeiten in den letzten Wochen und Monaten sorgfältig vorbereitet worden sind. Da ist auch eine ganze Menge rechtlicher Erwägungen zu prüfen gewesen, nicht nur solche währungstechnischer Art, wie es den Anschein gehabt haben mag, und nicht nur wirtschaftspolitischer und agrarpolitischer Art.Das alles ist gewesen; Plusquamperfekt, abgeschlossen, Vergangenheit, aus. Kein Wort, kein Hinweis auf diese Schwierigkeiten sowohl mit dem französischen Partner wie innerhalb Ihrer Regierung.Wußte Herr Ertl davon? Und da kommen Sie aus Guadeloupe und sagen: Das wird ganz schnell geklärt. Da fragt der Herr Kollege Kohl heute morgen und bekommt keine Antwort, auch von Ihnen, Herr Kollege Genscher, keine ausreichende Antwort.Hier ist eine ganz schwierige Situation entstanden. Ist es vielleicht so, Herr Bundeskanzler, daß Ihnen hier die Worte zu schnell weggegangen sind und daß Sie Ihr Interesse an der Sache und den Erfolgszwang so stark betont haben, daß andere, die ja auch gelernte Fuhrmänner sind, gesagt haben: Hoppla; der will so viel; ist da was aus der Kasse zu holen? Könnte es vielleicht sein, daß andere so gedacht haben?
Herr Bundeskanzler, ich glaube, daß hier doch noch einiges auf den Tisch kommen sollte.
Nehmen Sie etwas anderes. Sie sagen und, wenn ich es richtig verstanden habe, beklagen, daß von 1973 bis 1977 der Welthandel stärker zugenommen habe als der Warenaustausch innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Nun sind Sie aber doch nicht dazu da, so etwas nur festzustellen, sondern wir dürfen Sie doch fragen: Was haben Sie getan, um das zu verbessern? Warum sind Sie .nicht der Motor? Herr Bundeskanzler, ich habe Sie ja schon einmal danach gefragt. Aber ich setze heute die Frage hinzu: Spüren Sie irgendwo einen Klotz am Bein, der Sie hindert, in diesen europäischen Fragen initiativer und motorischer zu sein? Die Frage muß nun doch allmählich gestellt werden.Nun zu dem anderen Bereich. Gibt uns, Herr Bundeskanzler, gibt uns, Herr Bundesaußenminister, die Europäische Gemeinschaft wirklich, wie Sie sagen, politische Sicherheit vor Druck und auch vor Bedrohung? Ist es nicht vielmehr so, wie Sie in Ihrer ersten Regierungserklärung sagten: Die NATO und die Anwesenheit der amerikanischen Truppen hier machen es? Ist nicht das die Wahrheit? Wie wollen Sie diese Erklärung von Köln mit der Ihres Ausgangspunkts in Einklang bringen? Auch da ist doch eine fundamentale Verschiebung.Übernimmt sich zum anderen die EG nicht, wenn sie, wie Sie sagen, eine vermittelnde Rolle zwischen den Supermächten sucht und einnimmt? Diese konkrete EG, in dem realen Zustand? Wollen Sie das wirklich unterstützen? Sicherheit — und wenn Sie nur politische Bedrohung unter Ausklammerung der Verteidigung gemeint haben sollten — obwohl es hier nicht so steht —,
auch das kann doch diese EG, so wie sie jetzt da ist, uns nicht geben.Herr Bundeskanzler, wir sind doch Partei im Ost-West-Streit. Wir sind doch nicht nur in Berlin und als Deutsche Betroffene. Zum Vermitteln gehört doch, wie jeder weiß, eine völlige Unabhängigkeit, eine Sicherheit aus sich selbst. Wähnt wirklich irgend jemand in diesem Hause, wir hätten das?Dr. BarzelUnd dann die „Brückenfunktion" — etwa für die Bundesrepublik Deutschland? Das ist doch ein Tagtraum. Diese Brücke ist doch eine Fata Morgana. Wer glaubt, über sie gehen zu können, wird doch in der Wolfsschlucht landen. Es gibt sie nicht.Herr Bundeskanzler, Sie haben uns einmal sehr viel früher, angelehnt an einen „Hauch von Nerz" — das war ein Theaterstück —, so einen „Hauch von Atom" vorgeworfen. Manche werden sich erinnern. Bitte, erliegen Sie nun doch nicht für uns alle einem „Hauch von Größe" — und das auch noch an einer Stelle, wo sie für uns nicht zu finden ist, weil es ein Abenteuer wäre!
Wir können doch bestenfalls beitragen — und wir tun dies —, den Frieden zu sichern, zu gestalten, Probleme wegzunehmen, die Spannungen erzeugen können. Einverstanden. Aber wenn wir genau hingucken, empfangen wir mehr Frieden, als daß wir ihn bewirken. Frieden nur durch Sicherheit im Bündnis und Freiheit allein so: das bleibt unsere Sicherheit.Wenn wir Größe suchen — das finde ich sehr gut, die soll gesucht werden; wir wollen groß sein; das kann auch heranwachsen — aber nur aus Verläßlichkeit, aus sozialem Rang, aus Wirtschaftskraft, aus Hilfsbereitschaft, aus Rücksicht auf andere, aus konsequenter europäischer Einordnung und dem Vorrang des Rechtes.Hierher gehört, Herr Bundeskanzler — ich mache dies kurz —: Natürlich ist es gut, daß Sie unsere Politik in zwei Fragen fortsetzen: keine Waffen in Spannungsgebiete und unseren Verteidigungsbeitrag strikt nur im Bündnis. Das ist gut. Aber es ist doch — und es muß hier gesagt werden; Sie hätten es längst selber sagen müssen, und der Außenminister hätte es sagen müssen — eine ganz und gar ungehörige Einmischung in unsere eigenen Entscheidungen, wenn dazu mahnende und warnende und wohl auch einschüchtern sollende Briefe aus Moskau hier eingehen und nicht energisch zurückgewiesen werden.
In Italien, wo auch so ein Brief einging, ist die Erregung noch groß wegen dieser, wie dort die Parteien einmütig sagen, unerträglichen Einmischung, die den Stolz Italiens verletze. Minister Gromyko hat in diesen Tagen alle Hände voll zu tun, die Erregung dort in Rom abzubauen. Unser Kanzler läßt schweigen.
Ich frage ihn deshalb jetzt — keine Sorge —, ob es wahr sei, was zu hören ist, daß Herr Breschnew ihm etwa auch so schrieb, er erwarte — er erwarte! daß der Kanzler die Frage der Waffenlieferungen an China mit dem Ernst behandele, den sie verdiene, und daß er auch in Gesprächen mit Alliierten seinen Einfluß geltend mache, um Handlungen zu verhindern, die den Interessen des Friedens und der Sicherheit der Völker nicht entsprächen. Soll das etwadarin 'stehen? Teilt Herr Breschnew schon schriftlichmit, was er erwartet? Das ist ein Ton, der wohlnicht einmal in diesem Kabinett gilt, denke ich doch.Wir sind eine Nation, die freiwillig auf so etwas verzichtet und deshalb sich das energisch verbitten muß.
Ich würde mich freuen, wenn Sie sich dem anschließen könnten. —Diese fünf Punkte enthalten einige unserer und meiner Sorgen. Ich sage nicht, Herr Bundeskanzler und Herr Kollege Genscher, daß Sie das alles, was ich kritisierte, selber so wollen. Aber ich sage, daß Sie das, wie die Wirkung Ihrer Worte, verantworten.
— Das fällt auf den Zurufer sicher selbst zurück. Das interessiert mich doch gar nicht. —Verehrter Herr Bundeskanzler, verehrter Herr Kollege Genscher: Ich möchte gerne am Schluß versuchen, eine mehr persönliche Anregung noch unterzubringen. Es geht ganz schnell, verehrte Damen und Herren. Jeden von uns hier, auch den Außenminister und den Bundeskanzler bewegen, wie ich weiß, die Vorgänge in Persien, in der Türkei und im Nahen Osten. Ich meine, es ziemt uns, hier einmal etwas tiefer anzusetzen. Ich fürchte, der Westen wird einräumen müssen, vielleicht morgen auch in anderen Regionen, daß er manche Politik zu oberflächlich und zu materialistisch gesehen hat; daß er offensichtlich die Kraft von Religionen, von Traditionen und den Willen zur Eigenständigkeit anderswo unterschätzt hat. Ich fürchte, die westliche Politik war in manchem Bereich so materialistisch wie mancher Arzt im vergangenen Jahrhundert, der noch nicht die Wirkung der Seele auch für Krankheiten bedacht hatte. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.Wir zahlen jetzt einen teuren Preis und haben eine gefährliche Lage hinzunehmen, von der hier nicht gesprochen worden ist. Eine gefährliche Lage, da wir — zu sehr, mehr oder weniger — unsere Erfahrungen und unsere Maßstäbe auch anderswo zugrunde legten; da wir unsere überwiegend säkularisierten Praktiken und Einsichten auf Völker übertrugen, in denen das Geistige und Geistliche noch durchgängig und wirkkräftig sind — und wieder sind.Ich sage dies nicht, um zu räsonieren oder zu re: flektieren, . sondern weil Sie in einer Rede, Herr Bundeskanzler, wieder außerhalb dieses Hauses — aus verständlichem Anlaß außerhalb des Hauses; ich will das überhaupt nicht rügen, es ging nicht anders —, nämlich in der vom 9. November 1978 in der Kölner Synagoge gegen Schluß sagten — ich möchte dies auch wörtlich zitieren —:Der Ägypter Anwar el-Sadat hat mir während langer Gespräche in eindrucksvoller Art seine Sicht der gemeinsamen geistigen und geschichtlichen Wurzeln des Judentums, des Christentums und des Islam erklärt. Er hat auf die gemeinsame Heimat, nämlich auf Sinai, hingewie-
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10342 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Dr. Barzelsen, und auf die gemeinsamen Propheten. Mit großer innerer Überzeugung fragte er: Und es soll nicht möglich sein, daß zwischen diesen dreien Frieden ist?Ich meine, wir haben hier nach all dem Unheil in Deutschland, nach dem Krieg, mit Erfolg — da darf man sicher „wir" sagen — das Gespräch und das Verständnis der christlichen Konfessionen geführt und gefördert. Wir haben das Gespräch und das Verständnis von Christen und Juden geführt und gefördert. Man sollte etwas tun für das Gespräch mit dem Islam. Man sollte überlegen, was man tun kann, um ein solches Gespräch zu dritt zu führen, — nicht um die Ring-Parabel, um hier auf der Höhe der Zeit zu sein, Herr von Weizsäcker. Nein, da wird nichts abgeschliffen, aber da würden Vorurteile abgebaut.Dies, zum Beispiel dies, glaube ich, wäre ein Werk des Friedens, das uns wohl anstünde. In diesem Haushalt von über 200 Milliarden DM müssen irgendwo die Hunderttausend DM für eine Stiftung, für ein Institut, für eine Zeitschrift sein, die diese Fragen aufgreifen und das, was gemeinsam ist, einmal unter die Leute bringen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, darf ich Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Ich danke Ihnen, Herr Präsident. Ich habe vor, noch zwei Sätze zu sagen, wenn ich darf.
So, Herr Bundeskanzler, durch Geist und solche Werke von Frieden — damit nehme ich wieder unsere erste Debatte in Ihrer Funktion als Bundeskanzler auf —, so könnten wir Größe, neue Freunde und wachsendes Vertrauen gewinnen. Das täte, wie ich glaube, Deutschland gut und würde auch manchem kritischen jungen Menschen die Antwort auf die Frage nach dem Warum und Wohin erleichtern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bunbundeskanzlers.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede des Kollegen Barzel hatte den Vorzug, konkret zu sein, und dies erleichtert und ermöglicht es, sofort auf die einzelnen Punkte einzugehen.Der erste Punkt betraf die „Hydra" von Formularen, die es zu dezimieren gilt, den „Dschungel", den es zu durchforsten gilt. Ich möchte dem Kollegen Barzel zunächst einmal rundheraus recht geben, daß auf diesem Felde keine ausreichenden Fortschritte gemacht worden sind, weder bei den Kommunen noch bei den Ländern noch beim Bund, weder bei den kommunalen Versorgungsunternehmen noch bei den privatwirtschaftlichen Versorgungsunternehmen noch bei den öffentlichen Versorgungsunternehmen, weder bei den Versicherungsgesellschaften, die unser Leben versichern, nochsonst irgendwo. Ich sehe allerdings, daß die damaligen Denkanstöße eine Reihe von Gesellschaften zum Nachdenken gebracht haben. Sie schicken mir immer ihre vereinfachten Formulare. Manche sind immer noch nicht ganz lesbar, andere sind besser lesbar geworden. Es hat auch im Bereich der Kommunen und der Länder Denkanstöße gegeben. Ich sehe dies insbesondere bei dem neuen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Späth mit Vergnügen. Übrigens wurde auch im Schoße der Bundesregierung eine Reihe von Bemühungen ausgelöst. Das gilt auch für den bundesseitigen Anteil bei der Vereinfachung z. B. des formularisierten Baurechtes und Baugenehmigungsrechtes. Genug wurde auf diesem Felde aber noch lange nicht erreicht.Es war nicht ganz der gleiche Zusammenhang, Herr Barzel, in dem ich seinerzeit von den aufgeschobenen privatwirtschaftlichen und öffentlichen Investitionen sprach. Sie wurden nicht des Formularunwesens wegen aufgeschoben, sondern wegen zu komplizierter Verfahren allüberall — und nicht nur durch Bundesrecht — vor Gerichten, im Offenlegungsverfahren, im Planfeststellungsverfahren, in Verfahren aller Art. Ich kann nicht mehr tun, als meinen Aufruf wiederholen, allenthalben mäßigend, steuernd, reduzierend einzugreifen.In dem Fall des Kohlekraftwerks Voerde, der mich heute vor zwei Jahren besonders erbost hat, hat uns das Bundesverwaltungsgericht, wie Sie wissen, inzwischen geholfen. Was den mich auch mit Besorgnis erfüllenden Fall der Verzögerung auch nur des Beginns von Probebohrungen in Gorleben angeht, so hoffe ich, daß die Verwaltungsvereinbarung mit der Regierung des Landes Niedersachsen nun wenigstens in Zukunft dafür sorgt, daß dort endlich etwas in Gang kommt. Das waren zwei der markanten Beispiele, die uns damals vor Augen standen.Sie haben dann meinen Hamburger Parteifreund und Freund, den Bürgermeister Klose, mit seinem einen Satz über Analysen auf seiten der Vertreter der Stamokap genannten Ideologie oder Wirtschaftsbetrachtung zitiert. Ich muß dabei bleiben, daß ich es nicht glücklich fand, daß er dieses Wort benutzt hat, denn es war ganz selbstverständlich vorauszusehen, hätte also vorausgesehen werden können
— ich will ja nicht ausweichen, lieber Herr Mertes —, daß nicht nur Herr Barzel, sondern viele, viele kleine Barzels auch und sogar Herr Kohl
sich daran hochranken würden und Mißverständnisse sowie irreführende Auslegungen daran anknüpfen würden. Richtig ist sicherlich, daß Klose recht hat, wenn er sagt, daß der Staat nicht Subventionen auswerfen darf, ohne hinzugucken, was damit geschieht und welchem Zweck sie dienen. Dies kann nicht bezweifelt werden. Wenn wir z. B. die deutsche Steinkohle subventionieren — davon ist vorhin die Rede gewesen —, so verfolgen wir damit einen Zweck. Wenn wir demnächst dem Schiffbau für ei-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10343
Bundeskanzler Schmidtne Reihe von Jahren degressiv zusätzliche Hilfen geben, verfolgen wir damit einen Zweck. Natürlich müssen die staatlicherseits zu diesem Zweck gesetzten Auflagen von den Empfängern auch erfullt werden. Wenn der Internationale Währungsfonds beispielsweise Jamaika, Italien oder England einen großen Kredit bewilligt, so ist dieser — darüber beklagen sich solche Kreditnehmer häufig sehr lautstark — mit wirtschaftspolitischen und finanzpolitischen Empfehlungen verknüpft, wobei ich das Wort „Empfehlung" nur benutze, um nicht nachträglich noch die Bitterkeiten bei jemandem wieder aufzurühren, der solchen Empfehlungen, sprich Auflagen, hat folgen müssen. Das gilt ebenso für innerstaatliche Subventionspolitik.Ich meine aber, daß jemand, der aus einer gegnerischen Ideologie oder aus einem Gedankengebäude, das nicht sein eigenes ist, etwas übernimmt, deswegen nicht mit dem Urheber identifiziert werden muß. Ich habe im Laufe meines Lebens, auch hier im Bundestag, z. B manchen Gedanken aus der katholischen Soziallehre übernommen, mir zu eigen gemacht. Trotzdem werde ich deswegen kein Katholik.Ich habe mir beispielsweise von einem Mann wie Marx mindestens zwei grundlegende Einsichten vor langer Zeit zu eigen gemacht. Damals war ich noch Student. Deswegen werde ich aber kein Marxist. Die eine ist die — wenn ich es einmal in meinen Worten sagen darf, in etwas modernerem Deutsch, als es damals vor weit über hundert Jahren geschrieben worden ist —, daß der „ökonomische Unterbau", so, wie er beschaffen ist, oder so, wie er verändert wird, oder so, wie er sich entwickelt, Voraussetzung ist für die geistige Entwicklung oder für den „Überbau", wie man damals gesagt hat. Es bleibt eine richtige, wenngleich nicht ausschließliche Einsicht.Die andere Einsicht — die hängt mit der ersten zusammen — ist die, daß das „ökonomische Sein"' das Bewußtsein bestimme. Das ist auch nicht ausschließlich richtig. Die Ausschließlichkeit, mit der dieser Satz geschrieben, verstanden und verbreitet wurde, ist falsch. Aber es ist eine grundlegende Einsicht, die zur Grundlegung der modernen Soziologie gehört und die übrigens auch von Ihren Rednern — Sie selbst, Herr Barzel, mit Ihrer heutigen Rede eingeschlossen — beherzigt wurde, wenn Sie vom Mittelstand und von Konkursen geredet haben. Es bleibt eine fundamentale Einsicht, daß die Umstände der eigenen ökonomischen Existenz einen großen Einfluß auf das eigene politische Bewußtsein haben.Wenn man das für richtig hält — und ich nehme an, daß auch manche der Christdemokraten dies für richtig halten; weder sie noch ich sind Marxisten —, so darf man deswegen ebenso Ulrich Klose gefälligst nicht mit Stamokap-Kommunisten gleichsetzen.
Nur am Rande: Herr Barzel, Sie haben die große Zahl von Konkursen beklagt. Es sind in den letzten Jahren sicherlich auch unter dem Gesichtspunkt beklagenswerte Konkurse dabei gewesen, daß auchFirmen betroffen sind, die ohne eigenes unternehmerisches Verschulden m Katarakte hineingezogenKonkurse müssen insbesondere beklagt werden, weil viele Tausende von Arbeitnehmern hineingezogen werden, die sicherlich an der Leitung des Unternehmens kaum beteiligt waren — es sei denn über diejenigen Kollegen, die sie in die Betriebsräte gewählt haben; diese haben sicherlich einen gewissen Einfluß ausgeübt. Jedenfalls, wenn es nach mir ginge, sollten sie einen großen Einfluß ausüben und Mitverantwortung tragen.Aber dabei dürfen Sie eines nicht verdrängen: Wenn hier heute wieder, z. B. von Herrn Althammer, die Marktwirtschaft gepriesen wurde — „freie und soziale Marktwirtschaft", hat er gesagt —, muß klar sein, daß zur Marktwirtschaft gehört, daß Unternehmen fallieren, die in der Krise nicht durchstehen können. Eine Marktwirtschaft, in der es keinen Konkurs gibt, ist keine, sie wird von der Christlich-Demokratischen Union nur so genannt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Barzel?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr.
Herr Bundeskanzler, wie erklären Sie, daß in den letzten Jahren die Zahl der Abmeldungen v o m Gewerbe wesentlich höher war als die der. Abmeldungen z u m Gewerbe und daß dies seit vier Jahren eine neue Tendenz ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist in der Tat richtig. Ich glaube nicht, daß es eine Tendenz ist. Richtig ist: Es hat in den letzten vier Jahren mehr Konkurse gegeben als früher. Es gibt in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs eben auch nur dann Konkurse, wenn sich jemand wirklich idiotisch benommen hat. Erst in Zeiten, in denen es wirtschaftlich schlechter geht, zeigt sich, welche Unternehmen solide fundiert sind und welche nicht. Es wird damit auch im Laufe der nächsten Jahre weiterhin so besser werden, wie es im Jahre 1978 schon besser geworden ist. Die Zahlen, von denen Sie reden, sind von abnehmender Tendenz.Dann kam ein Punkt, an dem Sie davon sprachen, daß der gegenwärtige Bundeskanzler mit Adenauer verglichen würde. Also, ich vergleiche mich nicht mit ihm, ich nicht.
Ich habe Respekt vor seiner Leistung, aber ich weiß auch ganz genau, wie bitter ich manchmal über ihn gedacht und empfunden habe,
und ich habe die Bitterkeiten nicht vergessen. Ich kann mich erinnern, daß mein Freund Wehner von ihm als von „politischem Urgestein" geredet hat. Vielleicht war es auch umgekehrt, daß Adenauer von Wehner als von „politischem Urgestein" ge-
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10344 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Bundeskanzler Schmidtsprochen hat. In beiden Fällen wäre es zutreffend gewesen. Ich habe Respekt vor dem Urgestein Adenauer. Aber ich bin es doch nicht, der sich mit ihm vergleicht. Es ist doch Herr Kohl, der sich dauernd als Adenauers Nachfolger bezeichnet!
Von mir haben Sie dergleichen nicht gehört; ich fand es ein bißchen abseits der Gedankenführung, die sonst bei Ihnen ja ganz stringent war.Sie haben gemeint — unter Anführung von Zitaten aus früheren Reden von mir —, ich hätte, was Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung angeht, die nicht in den öffentlichen Dienst gehören, meine Meinung geändert. Ich habe meine Meinung nicht geändert.
— Ich habe sie nicht geändert, Herr Kohl.
— Lieber Herr Kohl, wenn Sie von 1972 reden, muß ich noch einmal sagen, daß mein persönlicher Rat 1972 der gewesen ist, sich auf das geltende Beamtenrecht und auf die dazu ergangene Rechtsprechung zu beschränken. Ich habe meine Meinung nicht geändert.
— Das kann man nicht in einer veröffentlichten Quelle nachlesen. Denn ich war damals Mitglied eines Kabinetts, das gemeinsam mit den elf Ministerpräsidenten der Länder diese Beschlüsse gefaßt hat, und es war nicht üblich — es ist Gott sei Dank auch heute nicht üblich — daß Kabinettsminister ihre abweichende Meinung öffentlich bekanntmachen. Aber ich muß es dann so einmal sagen dürfen, zu Protokoll des Bundestages.Ich bin allerdings heute sehr stark von Fehlentwicklungen beeindruckt, die es in den Jahren seit 1972 gegeben hat. Ich sage noch einmal: Man hat — leider! — Tausenden, vielleicht sogar Zigtausenden junger Menschen das Gefühl gegeben, sie seien in Verdacht, man forsche sie aus — ein in weitaus der größten Zahl der Fälle objektiv falsches Gefühl. In Wirklichkeit wird doch bei der Regelanfrage gar niemand überprüft. Es wird nur in der Kartei nachgesehen, ob er zufällig drinsteht.
Man hat also vielen jungen Menschen das falsche Gefühl — aber subjektiv sehr bittere Gefühl und von uns ernst zu nehmende subjektve Empfinden — gegeben, sie seien in Verdacht, man forsche sie aus. Deswegen bin ich der Meinung, der ich schon früher gewesen bin — ich bin j a auch einmal Innenminister gewesen, wenn auch eines sehr kleinen deutschen Bundeslandes —, der ich immer gewesen bin: Wenn jemand abgelehnt wird, muß gezeigt werden können — notfalls vor Gericht —, daß er auf Grund von konkretem Handeln nicht die Gewähr bietet, daß erjederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, für den Kernbestand des Grundgesetzes eintritt.Ich füge für Herrn Barzel — er sprach von innerdienstlichem und außerdienstlichem Verhalten — noch einen Satz hinzu. Ich habe mich in meiner vorigen Rede bei diesem Punkt etwas undeutlich ausgedrückt und mache es jetzt deutlicher: Ich habe z. B. dafür gesorgt, daß die Übertreibung in die umgekehrte Richtung — der Pendelrückschwung — nicht stattgefunden hat, daß man etwa — einige haben das für richtig gehalten, ich habe das für falsch gehalten; das steht deshalb in den Beschlüssen der Bundesregierung auch nicht drin — zwischen dem, was er im Dienst tut, wo er anständig seine Pflicht tut, und dem unterscheidet, was er außerhalb des Dienstes tut, wo er gegen den Kernbestand des Grundgesetzes oder gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung arbeitet, vielleicht sogar mit Gewalt. Ich war nicht der Ansicht derer, die glaubten, daß das voneinander zu trennen sei. Das finden Sie auch in unseren heutigen Beschlüssen nicht. Insofern haben Sie, glaube ich, die Sache nicht ganz korrekt zitiert oder nicht ganz erfaßt. Es wird ja morgen zu diesem ganzen Komplex beim Einzelplan des Innenministeriums noch einmal eine Spezialdebatte geben. Herr Bundesminister Baum wird dazu Stellung nehmen.Dann kam die Deutschlandpolitik. Es ist nicht fair, zu sagen, wir hätten „Durchbrüche" angekündigt. Ich habe dergleichen nicht getan. Von mir stammt dieses Wort nicht. Ich weiß nicht, ob es jemand benutzt hat. Ich jedenfalls habe es nicht benutzt, die Bundesregierung hat es nirgendwo benutzt.Konkretisiert haben Sie den Vergleich zwischen der angeblichen Ankündigung eines „Durchbruchs" und dem tatsächlich Erreichten. Exemplifiziert haben Sie das an dem Beispiel der Transitpauschale. Da haben Sie zur Hälfte recht. Sie haben recht, wenn Sie sagen: Ihr hattet einmal eine Korrekturklausel, danach hättet ihr eigentlich etwas zurückfordern können; jetzt habt ihr aber nicht etwas zurückgefordert, sondern einen neuen Vertrag gemacht, und zwar ohne Korrekturklausel. Das ist der richtige Teil dessen, was Sie vorgetragen haben. Sie haben auch noch recht, wenn Sie darauf hinweisen, daß das neue Transitabkommen auf zehn Jahre, bis 1989, abgeschlossen ist. Aber das, was Sie verschweigen, ist, daß dadurch — erstmalig — auf zehn Jahre ein Vertragsinstrument geschaffen ist, das ja nicht nur uns hinsichtlich der Zahlungen, sondern auch die Deutsche Demokratische Republik bindet, zehn Jahre lang bindet.
Ob dann, Herr Dr. Barzel, am Ende der zehn Jahre der Verkehr, was ich annehme, nicht wesentlich stärker als heute sein wird, sowie der Verkehr überall auf der Welt wächst, und dann hinterher die Rechnung, die Sie vorhin angedeutet haben, in Wirklichkeit zu unseren Gunsten ausgeht, das können im Augenblick weder Sie noch ich entscheiden. Ich bitte Sie nur, anzuerkennen, daß zu den Zeiten, wo Sie gesamtdeutscher Minister waren oder an-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10345
Bundeskanzler Schmidtdere christdemokratische Kollegen in jenem Amt oder in der Regierung tätig waren, -es eine auf zehn Jahre festgelegte beiderseitige Pflicht, was den Transitverkehr angeht, zugunsten Berlins nie gegeben hat. Das ist in der Tat ein großer Fortschritt
— Also, Herr Mertes gibt zu, daß das eine neue Sache sei, ein Fortschritt, und er sagt, das hängt eben damit zusammen, daß wir die DDR als Staat behandeln, während Sie das abgelehnt haben.
Das war es ja. Weil Sie keine Einstellung zu dem. Problem des Nebeneinander und schließlich Miteinander der beiden deutschen Staaten fanden,
deswegen haben Sie nichts erreichen können.
Dann hat sich Herr Dr. Barzel unter Einbeziehung der geschichtlichen. Figur Bismarcks über Gleichgewichtspolitik in Europa geäußert. Herr Barzel, Sie haben richtig vermutet: weder habe ich was zu tun mit dem Bismarck des Kulturkampfes noch habe ich was am Hut mit dem Bismarck des Sozialistengesetzes. Ich füge hinzu, ich habe auch nichts mit dem Bismarck der Emser Depesche zu tun, der den Krieg zwischen Deutschland und Frankreich mutwillig ausgelöst hat. Ich habe auch nichts zu tun mit demjenigen, der den Krieg zwischen Preußen und Osterreichere und anderen Deutschen geführt hat.
Aber ich habe mir im Laufe des letzten Jahres zweimal die Freiheit genommen, auf eine Leistung Bismarcks hinzuweisen, und zwar weil ich weiß, daß. es unter Ihrem Anhang, den Sie selbst für „bürgerlich" halten, Wähler der deutschen politischen Palette, Menschen gibt, denen die Figur Bismarcks immer noch eine ganze Menge sagt. Um jene zu interessieren, habe ich mir erlaubt, darauf hinzuweisen, daß in der Tat zu Bismarcks Gleichgewichtspolitik, einer erfolgreichen Gleichgewichtspolitik von 1871 bis zu seinem Abgang, immer eine gehörige Einbeziehung der Interessen des damaligen zaristischen Rußland gehört hat.Nun sagen Sie, das könne man mit der Sowjetunion nicht vergleichen. Zum Teil kann man es vergleichen, zum Teil kann man es nicht vergleichen. Die geopolitische, die geostrategische Lage ist die gleiche geblieben. Allerdings hat sich die Sowjetunion inzwischen fast wieder genauso weit in Richtung auf das Zentrum Europas ausgedehnt, wie das zaristische Rußland einmal gereicht hat und darüber hinaus dann auch noch über die Grenzen gegriffen,Grenzen verschoben und hat Truppen auf anderem Boden stehen.Die Kritik, die Sie in diesem Zusammenhang an der deutschen Außenpolitik von heute äußern, ist nun gleichzeitig eine Kritik an der gemeinsamen Entspannungspolitik und der gemeinsamen Bündnispolitik und der gemeinsamen Abrüstungspolitik der westlichen Staaten insgesamt. Sie machen sich, glaube ich, manchmal einen Popanz zurecht, indem Sie sich' vorstellen, daß die außenpolitischen Denker in Paris oder in London oder in Washington so dächten wie der Arbeitskreis der CDU/CSU; das ist ein Irrtum.
Es wäre auch ein Irrtum — den haben Sie nicht nahelegen wollen, aber ich will ihm vorsichtshalber begegnen —, als ob es unsere deutsche Pflicht sei, innerhalb dieses westlichen Kreises von Staaten nun zu missionieren und zu Politiken zurückzukehren, wie sie etwa zu Zeiten von John Foster Dulles — damals mit Zustimmung der deutschen Bundesregierung — getrieben worden sind. Das kann nicht unsere Aufgabe sein.Wir sind eine mittlere Macht. Wir sind keine nukleare Macht. Wir dürfen, Herr von Weizsäcker, nicht den Anschein erwecken — auch Redner der Opposition nicht, zwar nicht Sie, wohl aber z. B. Herr Wörner —, als ob wir unsererseits nukleare Entscheidungen des Westens herbeizwingen wollten. Und um Herrn Barzel zu zitieren: Wir — jedenfalls wir beide gemeinsam — wollen keinen „Hauch" von nuklearer Macht im Zusammenhang mit der Bundesrepublik Deutschland entstehen lassen.
Wir müssen aber nicht nur dies vermeiden, sondern auf der' anderen Seite auch vermeiden, daß wir innerhalb des Bündnisses, innerhalb des Westens in eine singuläre, in eine einzigartige Lage gebracht werden, in eine Lage, die von der aller übrigen Bündnispartner verschieden wäre. Ich führe das nicht weiter im Détail aus, weil ich annehme, daß zum Einzelplan 14 noch gesprochen wird und daß darüber auch debattiert wird, wenn die beiden Großen Anfragen aller drei Fraktionen zur Sicherheitspolitik zur Sprache kommen werden.Die Bundesrepublik Deutschland darf sich politisch-strategisch nicht in eine einzigartige, in eine singuläre Rolle begeben, sondern muß innerhalb des Bündnisses nur eine solche Rolle, eine solche Aufgabe wahrnehmen wie andere Staaten auch. Ebenso darf das Bündnis nicht auf eine im Kern amerikanisch-deutsche Angelegenheit mit einigem Drumherum reduziert werden. Auch das könnte auf die Dauer weder unserer Sicherheit noch dem Erfolg unserer auf Frieden gerichteten Außenpolitik nützlich sein.Dann aber, wenn Sie, Herr Barzel, von Afghanistan reden — oder vom Südjemen oder von Äthiopien; Sie hätten solche Länder auch noch nennen können —, muß die Rückfrage lauten: Meinen Sie wirklich — ich weiß nicht, ob ich das heraushören soll-10346 Deutscher Bundestag -8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979Bundeskanzler Schmidtte —, daß man SALT II oder das Viermächteabkommen aufgeben sollte, weil sich die Sowjetunion z. B. in den drei eben genannten Ländern in einer entspannungswidrigen Weise engagiert hat? Ich glaube nicht, daß Sie das empfehlen wollten.Ich muß Ihnen jedenfalls sagen, daß ich sehr wohl sehe, was_ in solchen Teilen der Welt stattfindet. Ich sehe auch, daß in Kambodscha ein Stellvertreterkrieg stattfindet und daß die beiden Vormächte zwei kommunistische Großreiche sind, die zwei lokale kommunistische Regierungen gegeneinander kämpfen lassen. Ich kann meine Sympathie dabei schwer auf die eine oder die andere Seite legen. Ich finde jeden, der in ein anderes Land eindringt, verurteilenswürdig. Aber ich muß Ihnen sagen, ich fand auch die bisherige Pol-Pot-Regierung in Kambodscha entsetzlich und unmenschlich.
Wenn wir alle darin übereinstimmen, so kann der Rückschluß daraus doch nicht heißen: Deswegen, weil das so ist, weil das in Kambodscha so passiert, wollen wir nun auch in unserem Teil der Welt, in Europa, das, was wir an Brücken gebaut haben aufgeben — und dazu gehört das Viermächteabkommen als eine Brücke der Verständigung, des Modus vivendi, wie man in puncto Berlin sicher miteinander leben kann. Deswegen haben z. B. Giscard und Callaghan und ich nicht nur in vertraulicher Beratung, sondern anschließend auch öffentlich gesagt: Wir treten dafür ein, daß SALT II bald abgeschlossen, bald paraphiert und auch auf beiden Seiten zügig ratifiziert wird.Sie haben den Eindruck erweckt, als ob ich bei unseren außenpolitischen Vorstellungen die Bündnisseite vergäße. Sie haben aus einer Rede zitiert; eine andere und die dritte und die vierte Rede haben Sie weggelassen. Man kann nicht bei jeder einzelnen Rede einen vollständigen Brockhaus der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik liefern, Herr Barzel.
Sie wissen ganz genau — und nur für den Notfall wiederhole ich es hier —, daß wir davon ausgehen, den Rückhalt der Europäischen Gemeinschaft genauso zu brauchen wie den Rückhalt des Bündnisses. Sie hätten daran, daß die Europäische Gemeinschaft, die ja nun kein militärisches Bündnis darstellt, sondern ein wirtschaftliches, das sich darüber hinaus zu einer größeren politischen. Einheit entwickeln soll und sich bemüht, Brückenfunktionen auszuüben, weniger Zweifel, wenn Sie mit einem Franzosen sprächen, als wenn Sie hier im Deutschen Bundestag argumentieren, und zwar unabhängig davon, ob es ein Gaullist oder ein französischer Kommunist wäre.
— Ja, es ist doch aber wahr, Herr Mertes! — Man muß nun innerhalb des Bündnisses und innerhalb der Europäischen Gemeinschaft die deutsche Rolle bei aller relativ gewachsenen Bedeutung nicht übertreiben. Moderator seien wir, haben Sie gesagt, aber Motor sollten wir eigentlich sein. Ich sage Ihnen hier mit Vorsicht und Zurückhaltung, daß wir mit dem Drängen auf gesamteuropäische Wahlen, ausgeübt im Laufe letzten Jahre — das war sehr weitgehend deutsches Drängen, das schließlich zu dem gemeinsamen Beschluß geführt hat —, und mit dem Drängen auf ein Europäisches Währungssystem — auch das war zu einem erheblichen Teil deutsches Drängen — die öffentliche Meinung in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft bis an den Rand ihrer Belastbarkeit gefordert haben. Noch mehr wäre weder in England noch in Frankreich gutgegangen. Deswegen darf man es mit der Motorrolle, von der Sie sprechen, nicht übertreiben.Was das Europäische Währungssystem angeht, so war im übrigen _der Beschluß des Europäischen Rates in dem Punkt lange und, wie wir dachten, eindeutig erörtert. Der Europäische Rat ist davon ausgegangen, daß die Regelung am 1. Januar in Kraft treten würde. Niemand hat angenommen, daß • die bereits damals textlich ausgearbeitete Direktive der Europäischen Kommission ein paar Tage' später in einem Ministerrat nicht angenommen werden würde. Das ist vielmehr eine nachträgliche Entwicklung gewesen. Ich will sie hier nicht dramatisieren, weil ich die Hoffnung und die Zuversicht habe,, daß die Sache bereinigt werden kann. Sie ist nicht nur zwischen Deutschland und Frankreich zu regeln, da spielen auch England und andere Staaten eine Rolle. Da spielt die Kommission mit ihren agrarpreispolitischen Vorstellungen eine Rolle. Unter „Erfolgszwang" stehen wir • als Vertreter deutscher Interessen höchstens indirekt, Herr Barzel. Das Europäische Währungssystem wird ja nicht zum deutschen Interesse veranstaltet, sondern im gemeineuropäischen Interesse!
Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie gesagt haben: Wir können auf all diesen Feldern nicht führen wollen, sondern bestenfalls beitragen — so habe ich Sie in Erinnerung —, und zwar auf dem Felde der Verteidigung, auf dem Felde der Sicherheit durch Rüstungskontrolle, auf dem Felde der Diplomatie, auf dem Felde der Hilfsbereitschaft; die Finanzen gehören auch immer dazu. Ich stimme mit Ihnen darin überein.Sie haben gesagt, ich hätte mich auf die Briefe aus Moskau nicht klar genug geäußert. Ich habe den Protokolltext vor mir liegen. Ich will in Ihre Erinnerung zurückrufen, was ich dazu gesagt habe. Ich habe wörtlich gesagt:Wir sind dabei, die Antworten auf die Briefe,. die wir bekommen haben, vorzubereiten. Ich denke, es steht einem großen Waffenexporteurnicht gut an, anderen Ratschlägen zu erteilen.
Sie werden verstehen, daß dies bei den Usancen des diplomatischen Verkehrs für eine öffentliche Rede, im deutschen Parlament gehalten, von ausreichender Klarheit ist. Es gibt, wie ich denke, von Ihrer Seite daran in Wirklichkeit nichts zu monieren.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10347
Bundeskanzler SchmidtSie haben zum Schluß von Persien gesprochen. Da sind unsere Hilfsmöglichkeiten im Augenblick sicherlich beschränkt. Es handelt sich ganz offensichtlich um eine innere Entwicklung. Man kann im Interesse des persischen Volks, seiner und unserer und anderer Volkswirtschaften nur hoffen, daß der Staat und die Wirtschaft dort bald wieder funktionstüchtig werden.Sie haben vom Nahen Osten gesprochen. Sie haben recht: Es gibt die Notwendigkeit einer Intensivierung des Kontakts mit den islamischen Völkern und Staaten. Ich darf Ihnen sagen, daß ich im Laufe von weniger als zwölf Monaten viermal persönlich z. B. mit dem Außenminister von Saudi-Arabien gesprochen habe, mit dem Präsidenten Sadat, mit dem Kronprinzen Fand von Saudi-Arabien, mit dem König von Jordanien, mit dem Präsidenten von Syrien, mit dem Präsidenten des Sudan.Ich weise Sie auf die vielfältigen Aktivitäten unseres Außenministers und die breiten Berührungsflächen hin, die die Europäische Gemeinschaft mit der Arabischen Liga und deren Mitgliedstaaten im Laufe der letzten Jahre zustande gebracht hat. Dabei spielen die deutsche Diplomatie und die deutsche Außenpolitik eine wesentliche Rolle.Ihre Anregung, auch den geistigen Austausch mit der islamischen Welt stärker zu fördern, halte ich für richtig. Aber es ist nicht so, als ob wir auf dem Feld bisher nichts getan hätten. Das Gegenteil ist wahr.Mit Recht haben Sie die Türkei erwähnt. Wir haben die Absicht, eine internationale solidarische Hilfe zustande zu bringen. Wir haben dabei sozusagen die Federführung dafür übernommen, daß sie zustande gebracht wird. Wir sehen das Problem ähnlich wie Sie. Allerdings möchte ich nicht, daß dabei die Probleme völlig übersehen werden, die zwischen der Türkei und Griechenland, in der Ägäis und in Zypern bestehen. Griechenland wird ja demnächst unser engerer Partner in der Europäischen Gemeinschaft werden.Aber ich stimme Ihnen zu: Die steigende Bedeutung Deutschlands verpflichtet uns zu einem steigenden Beitrag, geistig, politisch, auch finanziell.So groß, wie es bei den von Ihnen vorhin aufgezählten Punkten schien, sind offenbar die Differenzen zwischen dem, was Sie vorgetragen haben und dem, was ich zu antworten habe, nicht. Sie sind jedenfalls nicht so groß, wie es bei anderen Rednern Ihrer Fraktion schien.Ich habe Anlaß, mich für den sehr konkreten Beitrag des Herrn Dr. Barzel in dieser Debatte ausdrücklich zu bedanken.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir einige Bemerkungen zur Geschäftslage.
Wir haben noch drei Redner zum Einzelplan 04: Dr. Marx, Dr. Ehmke und Dr. Bangemann. Danach würde — wenn nicht weitere Wortmeldugen vor-
liegen — die namentliche Abstimmung zum Einzelplan 04 erfolgen.
Ich darf darauf aufmerksam machen, daß heute auch noch eine namentliche Abstimmung über Einzelplan 14 — Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — erfolgt, damit sich alle Kollegen darauf einrichten können.
Herr Dr. Marx, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, aus der Diskussion, die Sie soeben mit dem Kollegen Barzel geführt haben, möchte ich einen einzigen Punkt noch einmal aufnehmen. Ich möchte gerne den einen Satz aufnehmen, in dem Sie sagten, Herr Barzel habe dort, wo er sehr konkret auf das neue Abkommen mit der DDR zu sprechen kam, nur die halbe Wahrheit gesagt. Dies ist ein Vorwurf, der nicht richtig ist.Ich würde sogar gerne noch, Herr Kollege Barzel, ergänzen und sagen: Wenn jetzt ein neuer Vertrag bis 1989 abgeschlossen worden ist, dann ist dies ein Vertrag, dem die Korrekturklausel fehlt. Es kann durchaus sein, daß die DDR, die natürlich als Partner gebunden ist, sich an den Inhalt des Abgeschlossenen zu halten, gewisse Schwierigkeiten hinsichtlich der Besuchsmöglichkeiten macht. Dann sind wir, weil wir keine Korrekturklausel mehr haben, trotzdem gezwungen, die jetzt festgelegte besonders hohe Zahl an DM-Leistungen jährlich an sie zu überweisen.Ich möchte gerne, Herr Außenminister, zwei Fragen, die Sie gestellt haben, in aller Kürze beantworten. Ihre erste Frage lautete, ob wir uns denn nicht an der Diskussion um eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung beteiligen wollten. Natürlich — das wissen Sie doch — beteiligen wir uns schon die ganze Zeit daran.Aber das entscheidende Thema ist doch: Was ist gerecht? Was verstehen die einzelnen darunter? Was sind unsere Kriterien dabei? Weil es da offensichtlich zwischen uns und einigen Mitgliedern der Gruppe der 77 erhebliche Definitionsschwierigkeiten und Unterschiede gibt, können wir eben nicht einer nicht klaren und unpräzisen Darstellung unser Jawort geben. Wir müssen die Diskussion weiterführen. Wir ermuntern die Bundesregierung, dies auch ihrerseits, wenn es geht, mit uns zu tun.Sie haben zweitens gefragt, ob wir uns an dem sehr interessanten französischen Abrüstungsvorschlag beteiligen würden, der eine Abrüstung vom Atlantik bis zum Ural vorsieht. Nun, Sie wissen, wir werden in Kürze in diesem Hause über all diese Themen im einzelnen sprechen. Wir werden diesen Vorschlag genau studieren müssen und, Herr Kollege Genscher, wir werden ihn natürlich auch im Zusammenhang mit all dem diskutieren, was wir mittlerweile aus Wien hören, wo die Verhandlungen über MBFR ja zögernd, aber ständig weiterlaufen.Was ich aber gerne, Herr Bundesaußenminister, in Ihrer Darlegung zu Ihrem Haushalt gehört hätte,
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10348 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Dr. Marxdas sind doch die Beurteilungen der Bundesregierung zu den entscheidenden politischen Problemen, wie wir sie seit einigen Monaten mit besonderer Bedrängnis erleben. Ich hätte zum Beispiel gern gewußt: Wie beurteilt die Bundesregierung den chinesisch-japanischen Vertrag, der sicher eine wichtige nicht nur politische, sondern auch psychologische Öffnung für China gewesen war? Ich hätte gern in diesem Hause gehört: Wie beurteilt die Bundesregierung das neue Verhältnis der Vereinigten Staaten zu Peking? Denn ohne jeden Zweifel handelt es sich dabei um ein Ereignis von wahrhaft geschichtlichem Ausmaß. Wir hätten auch gern etwas mehr als das, was soeben der Bundeskanzler in seiner kursorischen Bemerkung gesagt hat, über die Entwicklung in Afrika, in Afghanistan, im Iran und in Kambodscha gehört.Meine Damen und Herren, ich glaube, daß die Tendenzen dieser Entwicklung nicht einheitlich sind, aber die Dynamik, die ihnen innewohnt, fordert unser Land, an einer Nahtstelle von Ost und West gelegen, zu einem eigenen Handeln, zur Wahrung seiner eigenen Interessen. Ich denke, daß wir sehr oft zu sehr in den Gegebenheiten Europas befangen sind und uns immer wieder zunächst den europäischen Fragen zuwenden, und daß dabei — das ist ein Vorwurf an die Bundesregierung — zu wenig die stürmische Entwicklung in anderen Teilen der Welt beobachtet und beachtet wird.Der Bundeskanzler selbst hat diesem Gefühl vor einiger Zeit in einer kuriosen Antwort Ausdruck gegeben, in der er den Hinweis auf die sowjetischkubanische Intervention im afrikanischen Angola mit dem wahrhaftig erstaunlichen Satz quittierte, es handele sich bei diesem Teil der Welt nicht um einen Teil des vereinbarten Entspannungsraumes.
Mittlerweile aber haben die Tatsachen — und wir spüren das ganz unmittelbar — ihre eigene und unmißverständliche Sprache gesprochen; denn Europas Friede hängt auch — und besonders — von den Geschehnissen in anderen Teilen der Welt ab.
Wenn im Nahen oder Mittleren Osten zum Beispiel die Lebensadern, die Nervenstränge Europas abgeklemmt oder durchschnitten werden, dann kann dieses ganze freie und prosperierende Europa, auf dessen Fähigkeit und Hilfe sich die Hoffnungen vieler Völker und Länder richten, politisch erpreßt und in kurzer Zeit in die Knie gezwungen werden.Wir hören oft die Meinung, Europa sei vor Angriffen sicher, weil die NATO Schutz gewähre. Das gilt solange, als die NATO ihre Anstrengungen verstärkt, um das Angriffsrisiko für einen Gegner unkalkulierbar zu halten. Da die sowjetischen .Führer keine Narren sind, sondern kühle Rechner, werden sie dann nicht angreifen, wenn sie mit ihrer eigenen Vernichtung rechnen müssen. Zu einer solchen Bewertung kommt man aber nicht nur durch das Zählen von Waffen und Gerät und Divisionen, sondern durch die Glaubhaftigkeit, durch die Entschiedenheit und Stetigkeit, die westlichen politischem und militärpolitischem Denken und Sagenin weit höherem Maße innewohnen müßte, als es tatsächlich im Augenblick der Fall ist.
Herr Bundeskanzler, Sie haben gerade eben das Thema Türkei angesprochen. Wir ermuntern Sie sehr und wir fordern Sie auf, bei der in Aussicht genommenen Hilfe für diesen wichtigen Partner unseren eigenen Teil dazu beizutragen. Und ich fordere alle Kollegen auf, wenn wir über die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft sprechen, über das Hereinnehmen der Griechen, der Spanier und der Portugiesen, dabei auch immer wieder an die Türken und deren ganz besondere Situation zu denken, und nicht nur daran zu denken, sondern auch entsprechend zu handeln.
Die NATO, meine Damen und Herren, ist vor 30 Jahren konzipiert, aber die Qualität der Bedrohung hat sich seit dieser Zeit bedeutend verändert. Sie hat — so kann man sagen — heute eine weltweite Dimension. Während die Bundesregierung in fast jeder Darstellung ihrer Außenpolitik das Ritual der Entspannung zelebriert — das hat heute der Bundesaußenminister allerdings mit dem interessanten Beisatz, daß es sich um eine vernünftige, reale Entspannungspolitik handeln müsse, wiederholt — und von seiten der Bundesregierung die fälschliche Behauptung aufgestellt wird, es gebe zur Entspannung keine Alternative, hat, meine Damen und Herren von der Regierung, Ihr Entspannungspartner, die Sowjetunion, das Klima einer frommen Selbsttäuschung des Westens entschlossen genutzt.Die Sowjetunion hält nicht nur ihre Elemente der ,Spannung aufrecht, sondern sie baut ihre eigenen Streitkräfte in einer Weise aus, die ihresgleichen in der Geschichte sucht. Mitten im Zeitalter der Entspannung hat das sowjetische Reich gerüstet wie niemals vorher. In der Zeit der Entspannung ist die sowjetische Kriegsmaschine gewaltiger, moderner, wie wir auch sagen können: furchterregender geworden. Sie hat die Rüstungsfähigkeiten des Westens eingeholt und auf wichtigen Gebieten überholt.
Das gilt nicht nur für Zahl, Training und Bewaffnung ihrer Verbände in Ostmitteleuropa; das gilt für alle Teile der Welt. Die sowjetische Macht hat sich längst vom unmittelbaren europäischen Thema gelöst. Sie denkt und sie handelt global. Der Bär hat fliegen und schwimmen gelernt. Die kontinentale Supermacht beherrscht jetzt auch das Maritime. Man muß hinzufügen, daß sie sich auf allen Weltmeeren die Instrumente dafür geschaffen hat.Meine Damen und Herren, was ist für uns heute, wenn Sie auf die Karte blicken, von besonderer Wichtigkeit und Bedeutung? Ich würde gerne nennen den Persischen Golf, das Rote Meer, den Suez-Kanal, das Mittelmeer und Südafrika. Unsere Rohstoffversorgung hängt wie die aller hochindustrialisierten und rohstoffarmen Länder von ungefährdeten Fördergebieten und von sicheren Seewegen ab.Dr. MarxWenn die NATO auf den nordatlantischen Raum diesseits des Wendekreises beschränkt ist, dann kann sie unterlaufen und ausgehebelt werden, weil jenseits dieser Linie lebenswichtige Entscheidungen fallen, ohne daß das Bündnis in der Lage ist zu handeln.Wenn aber die Bedrohung, die militärpolitische Strategie der Sowjetunion umfassend und weltumspannend ist, dann muß die Verteidigung ebenfalls umfassend und auf die neuen Möglichkeiten vorbereitet sein. Wie das dann organisiert wird, ist eine andere Frage.Von diesem Handeln, von unserer und der Verbündeten entschlossenen Politik hängt vieles ab: die Sicherheit und die Freiheit der westlichen Völker, aber noch weit darüber hinaus; denn wir wissen, daß viele Nationen in der Welt bereit sind, sich nach jenen Kräften zu orientieren, die ihrerseits wissen, was sie wollen, die Schutz verbürgen und Sicherheit, nicht Wankelmut und nicht Wetterwendigkeit.Hier in Europa, dessen Völker jetzt mit einiger Mühe dabei sind, ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln, wo wir uns anschicken, vom. Europa der Neun zu dem der Zwölf überzugehen, hier gilt es, die Fähigkeiten der Verteidigung und den Willen dazu — denn der Wille ist immer in der Politik das Entscheidende — gegen einen immer stärker gewordenen Gegner zu erhöhen.Die NATO, ihre verantwortlichen Politiker, ihre führenden Offiziere suchen nach neuen Waffensystemen, die eine wirksame Verteidigung ermöglichen. Aber seltsamerweise, Herr Bundeskanzler, gibt es in Ihrer Partei — das ist heute wiederholt angesprochen worden — nicht wenige wichtige und einflußreiche Männer, die durch ihre Aktionen eine öffentlich erwiesene Doppelbödigkeit in den Aussagen ihrer Parteiführung erzwingen. Wer die Äußerungen etwa des trefflichen Verteidigungsexperten Egon Bahr liest oder die des Herrn Pawelczyk oder die des Herrn Wehner, die neuesten, die vorhin angesprochen worden sind, wird finden, daß von diesen Kollegen eigentlich ohne Rücksicht auf die tatsächliche Lage, ohne auch nur einen Augenblick z. B. über die sowjetische Neutronenwaffe, über die Organisation der militärischen Gewalt in Osteuropa nachzudenken, Vorschläge gemacht werden, von denen ich sagen muß, daß sie den Westen in einer entscheidenden Zeit an entscheidender Stelle schwächen werden.
Meine Damen und Herren, ich muß dieses Haus noch einmal auf einen Versuch des Kollegen Wehner aufmerksam machen, die notwendige Stärkung unserer militärischen Positionen zu verhindern. Mit großer Sorge, Herr Wehner, sehen wir Sie aufs neue am Werk. Sie haben kürzlich behauptet, die reale Lage unseres Landes mache es nicht nötig, über zusätzliche Waffensysteme zu diskutieren. Sie haben sogar gemeint, es werde nur aus „vorgeblicher Notwendigkeit" darüber gesprochen und — das ist sozusagen das Resümee der drängenden Fragen, wie der Westen auf die enorme, über jedesvertretbare Maß hinausgehende Aufrüstung der Sowjets antworten solle — es werde sogar die Gefahr heraufbeschworen, daß hierzulande zusätzliche Waffen disloziert würden. Es ist schade, Herr Kollege Wehner, daß Sie offenbar so unzureichend von Ihren Fraktionskollegen über eine Information unterrichtet worden sind, die vor kurzem Mitglieder der Bundesregierung und Beamte und hohe Offiziere den Kollegen des Verteidigungsausschusses haben zuteil werden lassen.
Wir werden in Kürze auf der Grundlage unserer Großen Anfrage zur Abrüstung und Rüstungskontrolle und der vorher formulierten Anfrage der Kollegen der SPD über diese Themen ausführlich diskutieren. Ich möchte deshalb heute nur noch folgendes dazu sagen:Einseitige Abrüstung, Vorleistungen, Zeichen des sogenannten guten Willens im Angesicht einer stets fortdauernden Modernisierung und Aufrüstung bei allen Warschauer-Pakt-Staaten kommen der Preisgabe unserer Sicherheit und der elementaren Gefährdung unserer Freiheit gleich.
Abrüstung, zu deren Notwendigkeit wir uns bekennen, hat nur dann Sinn, wenn sie auf beiden Seiten vergleichbar, gleichzeitig, kontrollierbar und dauerhaft vorgenommen wird.
Man fragt sich allerdings bei all diesen Gegenständen, ob wir in der Entspannung und in der Abrüstung je zu wirklich vergleichbaren Maßnahmen in Ost und West kommen. Ist die andere Seite denn in dem, was sie sagt und tut, wirklich verläßlich und ehrlich? Haben wir nicht bei den sogenannten KSZE-Folgeverhandlungen erlebt, wie rasch und ohne jeden Skrupel die sowjetische Seite das heute Zugesagte morgen vergißt
oder einfach abstreitet oder klare Texte uminterpretiert?Leider, muß ich sagen, hat diese Methode auch die Bundesregierung dazu gebracht, möglichst wenig über die KSZE zu sprechen. Man war vor einigen Jahren noch geneigt, sie uns für das Nonplusultra der internationalen Politik zu verkaufen. Jetzt wird Sie amtlich- ins Gedächtnisloch geworfen. Niemand von seiten der Regierung hat heute diese Formel von der KSZE, die früher doch so sehr die Hoffnungen und die Zeilen der Propaganda füllte, noch einmal in den Mund genommen. Dies allein spricht doch schon Bände.
Nirgendwo hat sich die Umschichtung weltpolitischer Gewichte eindrucksvoller gezeigt als in den tiefgreifenden Änderungen, die sowohl in der Volksrepublik China selber als auch in ihrer Politik gegegenüber anderen Staaten deutlich geworden ist.
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10350 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Dr. MarxDie Volksrepublik China hat durch die Beendigung einer 1976 im Ansatz erkennbaren zweiten Kulturrevolution -die Voraussetzungen für eine jetzt immer stürmischer angestrebte Normalisierung im Innern und diese als die Voraussetzung einer Normalisierung nach außen geschaffen. Ihre Führer erkennen den Rückstand des Landes. Sie mobilisieren die lange vernachlässigten und mit ideologischem Hochmut verurteilten wissenschaftlichen Disziplinen, und sie entdecken — davon sind alle chinesischen Zeitungen und die Reden ihrer Führer heute voll — die alten Tugenden des Fleißes und der Leistung.Die Volksrepublik China öffnet sich der Welt. Hua Kuo Fengs Reise in die europäische Peripherie nach Rumänien und Jugoslawien war, wie ich glaube, ein Ereignis von großem politischem Gewicht.
Sein angekündigter Besuch bei Ländern der Europäischen Gemeinschaft will die Beziehungen zwischen dem 900-Millionen-Reich und uns, wie ich hoffe, positiv weiterentwickeln. Er wird hoffentlich nicht von irgend jemand mit Gebärden der Angstlichkeit gegenüber jener Sowjetunion begleitet, die versucht, durch Pressionen verschiedener Art europäische Regierungen zu zwingen, ihr außenpolitisches Verhalten nach sowjetischen Vorstellungen auszurichten.Wir jedenfalls sehen in der chinesischen Europapolitik eine wichtige Neuentwicklung in den internationalen Beziehungen, die wir begrüßen. Wir nehmen unsere Interessen' dabei in wohlverstandenem Sinn wahr, wenn wir die durch die Bundesregierung so einseitig festgelegte Ostpolitik durch vielfältige politische, wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Kontakte mit China ergänzen, erweitern und verbessern.Heute war wiederholt von den Briefen Breschnews die Rede. Auf die Frage, die der Kollege Barzel nach gewissen Inhalten stellte, ist ja interessanterweise vom Bundeskanzler nicht geantwortet worden.
Wir können nur vermerken, daß wir in diesen Briefen einen rüden Versuch sehen, unsere außenpolitische Haltung von außen her zu bestimmen. Wir sind nicht bereit, uns an irgendein Vorstadium der Breschnew-Doktrin zu gewöhnen.
In allem Ernst: Wie kann es eigentlich sein, daß der sowjetische Parteichef solche Briefe schreibt? Ist nicht denkbar, daß er sich durch die Art. der westlichen Politik ermuntert und ermutigt fühlt? Könnte es z. B. nicht sein, daß die Art und Weise, wie der Kollege Bahr die Diskussion über die Neutronenwaffe behandelt hat, von der sowjetischen Führung geradezu als eine Ermunterung verstanden wird,
um in ähnlicher Weise in unsere eigenen Entscheidungen einzugreifen? Man muß sich über die Unverfrorenheit solcher Aufforderungen sehr wundern.Der Bundeskanzler hat gesagt, es handele sich bei. der Sowjetunion um einen großen Waffenexporteur. Dieser Waffenexporteur fordert uns auf, keine Waffen weiterzugeben, wo er doch selber seine eigenen Waffen — und dabei Angriffswaffen jeder Art — in viele Länder der Welt gebracht hat, um sie dort in Busch- und Bürgerkriegen als Instrumente einer besonders grausamen Unterdrückung und eines hinterhältigen Terrors verwenden zu lassen. Ich habe nicht gehört, daß die Bundesregierung an die Machthaber im Kreml Briefe gerichtet hätte, um sich gegen eine Entwicklungshilfe mit Waffen zur Wehr zu setzen.In Großbritannien hat man den Brief Breschnews kühl behandelt, kühl als eine Einmischung zurück- gewiesen. Herr Bundeskanzler, das, was wir von Ihnen' wünschen und fordern, ist, daß auch Sie kühl und. eindeutig und ohne- Wenn und Aber solche Briefe und diese Inhalte zurückweisen.
Im' übrigen, Herr Bundeskanzler, darf ich folgen- des hinzufügen: Ihre Regierung, die sonst in . der Veröffentlichung von allen möglichen Glückwunschbriefen sehr fingerfertig ist, sollte doch bitte auch einmal den Wortlaut des Briefes von Herrn Breschnew vorlegen und dann auch den Wortlaut ihrer Antwort, wenn sie fertig ist.
Lassen Sie mich einige Worte zu Afrika sagen. Die kubanische Invasionsarmee z. B., die gegenwärtig etwa 50 000 Soldaten zählt, müßte nackt durch den Busch schleichen, wenn sie alles ablegen wollte, was sowjetischer Herkunft ist,
die Wäsche und die Uniformen, die Waffen und das Gerät. Sowjetische Flugzeuge, nicht Kriegsmaschinen, sondern. die angeblich zivilen Maschinen der Aeroflot haben ja ebenso wie hübsch angestrichene Fahrgastschiffe, die sonst von westlichen Ferienreisenden benutzt werden, Zehntausende kubanische Soldaten aus Angola um Nord- und Südafrika herum nach dem Südjemen, nach Äthiopien und auch nach Mozambique gebracht.Der frühere Bundeskanzler Brandt hat doch erinnern wir uns daran! - mit Stoph bei seinem Treffen in Erfurt ein Dokument unterzeichnet, in dem der Satz steht, nie wieder dürfe von deutschem Boden ein Krieg ausgehen. Ganz abgesehen davon, daß wenige Jahre vorher deutsche Soldaten mit anderen zusammen die benachbarte Tschechoslowakei überfallen haben, ist es doch eine Tatsache — und ich vermisse, daß die Bundesregierung sie in diesem Hause und draußen auch öffentlich angreift und rügt —, daß wieder von deutschem Boden, nämlich dem der DDR, Krieg und Kriegslehre in 16 afrikanische Staaten ausgehen.
Herr Hoffmann, der Kriegsminister der DDR — ich weigere mich, ihn als einen „Verteidigungsminister" zu bezeichnen —, hat vor wenigen Tagen ja
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10351
Dr. Marxbestätigt und sich dessen noch gerühmt, daß ein großer und wachsender Teil von Soldaten der sogenannten Nationalen Volksarmee in Afrika eingesetzt sei. Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, dazu folgendes sagen. An einem Tag, an dem wir am Abend „Holocaust" sehen, muß es möglich sein, nicht nur über die Vergangenheit, sondern auch über die schreckliche Gegenwart zu sprechen,
wo Deutsche in Afrika zum Foltern ausbilden, wo sie Konzentrationslager und Gefängnisse bauen, wo ihre Aufgabe ist, Geheimdienste auszubilden, wo sie für die technischen und die elektronischen Nachrichtenmedien arbeiten und wo sie jetzt sogar dazu übergehen, in einigen Ländern kubanische Okkupationssoldaten auszubilden.Herr Bundeskanzler, ich möchte gerne noch hinzufügen: Es gibt sogar Deutsche aus der DDR, die mit Stadtplänen von Swakopmund, Lüderitzbucht, Walfischbai und Windhuk ausgerüstet sind und die diese Stadtpläne lesen, studieren, in sich aufnehmen, damit sie, wie sie glauben, eines Tages hinter siegreichen SWAPO-Truppen herkommen, um dort wiederum Deutsches in Südwestafrika durchzusetzen.
Wenn man das weiß, dann versteht man die merkwürdige Art und Weise, in der Sam Nujoma vor kurzem mitgeteilt hat, natürlich sei er für eine enge künftige Zusammenarbeit mit den Deutschen. Er hat natürlich nicht unsere Deutschen gemeint, sondern diejenigen, die mit ihm ideologisch, politisch, finanziell auf das engste verbunden sind.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bitte den Kollegen Wischnewski ansprechen. Vielleicht — er ist nicht da — sagt man ihm diesen Satz.
— Ja, Klima ist ein Begriff aus der Wetterkunde, der mitunter zu unzulänglich in die Politik eingeführt wird. — Wir sahen ihn auf einigen Bildern recht gemütlich in Ost-Berlin. Ich möchte gerne wissen, ob er die Gelegenheit ergriffen hat, um dort den Unwillen des deutschen Volkes - ich meine: des ganzen deutschen Volkes - über das Engagement der DDR in fremden Ländern seinen Gesprächspartnern, z. B. dem Herrn Außenminister Fischer, mitzuteilen. Ich möchte gerne wissen, ob er einmal nachgefragt hat, wie belebend sich die enormen Geldspritzen aus guter DM-West, die wir Ost-Berlin aus allen möglichen Gründen zahlen, auf Ost-Berliner außenpolitische Unternehmungen in Afrika ausgewirkt haben.Es wäre gut, Herr Kollege Ehmke, wenn Sie in der Lage wären, darauf nachher doch noch eine Bemerkung zu machen; denn unsere Bevölkerung möchte gerne wissen, was die DDR eigentlich mit ihren Soldaten und Waffen in Afrika zu suchen hat. Sie möchte wissen, ob dort schon wieder in deutschem Na-men — ich sage das frei nach Grillparzer — das Pa-radies versprochen wird, aber die Hölle eingerichtet.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung wird bei dem demnächst fälligen Bericht über die Lage der Nation im gespaltenen Deutschland darstellen müssen, was die DDR mit ihrem Apparat für die sowjetische imperialistische Politik in Afrika leistet, welchen Zwecken ihre Berater, Offiziere und Ausbilder dort dienen. Sie sollte dabei ehrlich sein, und sie sollte nicht nur berichten, sondern sie sollte auch werten; denn wir legen großen Wert darauf, die politische Meinung der Bundesregierung zu diesen unstreitigen Vorgängen zu hören.Nun sagt mancher, wenn man dieses Thema anspricht: Ja, die Kubaner und die DDR-Leute sind in Afrika, weil sie gerufen worden sind. Diese Geschichte kennen wir. Denn seit Hitler wissen wir, daß man Einfälle in fremde Länder dadurch vorbereiten kann, daß man sich dort eine entsprechende Truppe schafft und finanziert, die dann eines Tages um Hilfe ruft. Diese Hilfe wird dann rasch gewährt.
Der Herr Bundeskanzler sagte eben — das ist ein Punkt, wo wir sicher, zumindest heute, übereinstimmen, Herr Kollege Schmidt —, daß er bei Kambodschanern und bei Vietnamesen Zweifel habe, wem er seine Sympathie zuwenden solle. Dies ist gewiß richtig. Aber, meine Damen und Herren, auch in Kambodscha, in einem unglücklichen und so furchtbar durch Krieg und durch Mörderbanden geschundenen Land — es gab doch einmal ein Mitglied der Regierung, der eine andere Regierung „Mörderbande" genannt hatte; hier ist der Augenblick, wo wir das sagen können, bei Kambodschanern und bei Vietnamesen —, ist eine aufständische Gruppe sozusagen präpariert worden, der man heute in der ganzen sowjetischen Propaganda den Inhalt des politischen Angriffs und des sogenannten Sieges über die Kambodschaner zumißt.Meine Damen und Herren, ich möchte gerne unsere Beurteilung dieses gefährlich und tief 'eingreifenden Vorgangs ganz deutlich machen. Die CDU/ CSU verurteilt den Überfall auf Kambodscha 'als schwerwiegenden und völkerrechtswidrigen Angriff.
Wir fordern den Rückzug der vietnamesischen Truppen, von denen man annehmen darf, daß ihre Zahl bei 12 Divisionen liegt. Wir wissen, daß diese unsere Forderung mit der Forderung vieler anderer — vor allen Dingen asiatischer — Staaten übereinstimmt. Wir verhehlen nicht nur unseren Abscheu vor den entsetzlichen Massakern des Pol-Pot-Regimes nicht; wir nehmen den Propagandisten in Hanoi oder in Moskau — dort hat man ja den Angriff ausgedacht — auch keinen Augenblick ihre scheinheiligen Bekundungen ab, sie hätten doch nur Aufständische unterstützt, um ein System des Völkermords zu liquidieren. Vor nicht allzu langer Zeit haben Moskau und Hanoi die Regierung Pol Pot und ihre wahnsinnigen Handlungen ja noch öffentlich
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10352 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Dr. Marxgelobt. Man lese die Berichterstattungen im „Neuen Deutschland" nach. Sie haben den Aufbau des Sozialismus, wie sie das genannt haben, in Pnom Penh gefeiert, obwohl sie genau wußten, was dort eigentlich vorgeht. Ich vermute, daß dieser Krieg ein langdauernder und blutiger Buschkrieg werden kann, eine neue Quelle von großen Gefahren.Wenn der Bundeskanzler mit Recht sagt, es handle sich um einen Stellvertreterkrieg, ist die Gefahr natürlich immer gegeben, daß dann, wenn sich die Stellvertreter gegeneinander in eine immer tiefere, schlimmere und filzigere Angelegenheit verstricken, eines Tages auch die Großen mehr als bisher eingreifen müssen.
— Frau Präsidentin, ich bin gleich fertig.
Wir sehen mit Sorge die Vorgänge im Mittleren und im Nahen Osten. Wir werden auch über diese Themen in der nächsten Zeit in diesem Hause noch eingehend diskutieren müssen. Ich stimme dem zu, was der Herr Kollege Barzel sagte, als er die geradezu mystischen national-religiösen Elemente charakterisierte, von denen viele in einer laizierten westlichen Welt glaubten, sie seien eigentlich als bewegende politische Elemente ganz ausgeschieden. Es kommt in diesen Ländern sehr vieles an neuer, sich auch religiös gebender und aus der Tiefe der religiösen Überlegungen geformter Kraft, was es uns sehr schwermachen wird, dies mit unseren Koordinaten zu beurteilen und zu verstehen, wie wir dem politisch begegnen sollen.Meine Fraktion lehnt den Einzelplan des Außenministers aus politischen Erwägungen, aus all den Gründen, die meine Kollegen und ich selbst heute vorgetragen haben, ab. Ich denke, daß wir dann die Chance haben werden, Herr Außenminister, in der nächsten Zeit — wobei ich mir auch eine etwas konkretere politische Diskussion im Auswärtigen Ausschuß wünsche —
über all diese Fragen, im Ausschuß und hier in diesem Hause, mit jener Sorgfalt, mit jener Genauigkeit und jenem politischen Engagement zu sprechen, die wir brauchen, wenn wir unsere Aufgabe, die uns hierhergebracht hat, erfüllen wollen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehmke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Marx, wir teilen wie Sie wissen, Ihren Wunsch hinsichtlich der Ausschußberatungen. Herr Kollege Corterier steht mit konkreten Vorschlägen bereit, die darauf abzielen, daß wir die Arbeit im Ausschuß besser strukturieren.Ich möchte am Ende der Beratungen zum Einzelplan 04 auf den Morgen des heutigen Tages zurückkommen. Die Fraktion der Sozialdemokraten hat in großer Ruhe und mit einer gewissen Neugierde den Auftritt des Kollegen Kohl verfolgt, der es ja nichtleicht hat. Wir sind natürlich auch nicht überrascht gewesen, daß er versucht hat, die Regierung, den Kanzler und die Koalition als Blitzableiter für die innerparteilichen Gewitter zu benutzen, die über ihn hereingebrochen sind. Wir haben auch mit Interesse verfolgt, daß Kollege Barzel schon versucht hat, zu zeigen, wie man eine Oppositionsrede richtig hält. Herr Zimmermann wird am Freitag dann ja die höchste Fassung liefern.
- Ich sage das gar nicht als Schulmeister. Ich wäre dankbar, wenn Sie da einmal zuhörten; denn der Herr Bundeskanzler hat mich dazu gebracht, daß ich heute meinen nachdenklichen Tag habe.
Wir sehen das gar nicht mit Schadenfreude. Das haben Sie, glaube ich, heute in der Debatte merken können. Wir sind in der Tat der Meinung, wie der Bundeskanzler neulich auch in einer Pressekonferenz gesagt hat, daß wir an einer starken Opposition interessiert sein müssen, die uns zur Sachdiskussion zwingt.
Es ist doch so, daß nicht nur die Verantwortung der Bundesregierung und das Gewicht der Bundesrepublik wachsen, es wächst auch die Verantwortung des Parlaments. Helmut Schmidt hat das in Guadeloupe sehr gut gesagt. Wir sind nur eine Mittelmacht, belastet durch unsere Vergangenheit, belastet durch die Teilung des Landes, aber wir haben wirtschaftspolitisch, bündnispolitisch und in der ideologischen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus — schließlich geht die Grenze durch unser Land — eine so hohe Verantwortung, daß wir von dort her interessiert sein müssen, unter der Anregung, unter der Kontrolle einer starken Opposition in der Frage zu stehen, was deutsche Politik sein soll.Ich bin schon aus diesem Grunde sehr mißtrauisch gegen marktwirtschaftliche Theorien der Demokratie, die die Demokratie als eine Konkurrenz um die Macht verstehen — wer kriegt was, wann, wie? —, und damit hat es sich. So ist das nicht. Der Wettbewerb um die Macht ist völlig sinnlos, wenn er nicht gleichzeitig ein Wettbewerb um die richtige Politik, und zwar nicht um die Politik der einen oder anderen Partei, sondern um die Politik des Landes, ist.Darum sage ich noch einmal: Wir sehen Schwächen der Opposition nicht mit Schadenfreude, sondern eher mit Sorge. Ich werde mich nicht in die personalpolitische Diskussion der Union einmischen. Das steht uns nicht zu.
Ich bitte aber, einmal folgendes zu überlegen: Die Reden vom Kollegen Kohl, vom Kollegen Weizsäcker, vom Kollegen Barzel, vom Kollegen Marx heute sind alle an der Vergangenheit orientiert. Das
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10353
Dr. EhmkeGrundmuster ist eigentlich immer noch das von Sonthofen, wenn auch stark abgemildert. Die große Gefahr kommt demnach aus dem Osten, und innenpolitisch haben wir es mit einer Regierung zu tun, die — weil das Sozialisten sind; ich habe mit Interesse die Wortwahl bemerkt, die heute der Berliner Wahlkämpfer hier gebraucht hat — dem nicht so fernsteht. Das ist im Grunde das durchgehende Strickmuster. Aber vielleicht sollten Sie einmal überlegen, daß es dieses Strickmuster ist, das Sie in diese Situation gebracht hat, in der Sie jetzt sind.
Meine Analyse ist die: Sie haben sich seit 1969 gewehrt, sich mit der Tatsache abzufinden, daß Sie in der Opposition sind. Sie sind im Grunde heute noch empört, daß andere regieren, daß das auch noch Sozialdemokraten sind und daß sie dazu noch gut regieren.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Mertes.
Herr Kollege Ehmke, ist das Anwachsen der sowjetischen Macht Vergangenheit oder Gegenwart?
Auf die komme ich gleich noch. Wenn Sie gestatten, will ich noch einen Augenblick bei der Opposition bleiben. Es dauert nicht mehr lange.Ich verstehe auch, warum das so schwer ist und warum sich bei Ihnen immer alles in personalpolitisches Hickhack auflöst. Sie haben die großen Fragen, die in Ihrer Volkspartei — in unserer geht es manchmal ebenfalls munter zu — beantwortet werden müssen, nicht beantwortet. Die einen sind für einen starken Staat — ich nenne Herrn Dregger —, die anderen sind eigentlich für gar keinen Staat, wenn es um die Wirtschaft geht. Was soll gelten, das alte rechte Modell oder das neoliberale Modell? In der Sozialpolitik stehen die Sozialausschüsse auf dem Boden der christlichen Soziallehre. Was Herr Biedenkopf macht, ist reine neoliberale Schule. In dem, was er zur Sozialpolitik sagt, ist wirklich von Solidarität nichts zu spüren.Wofür sind Sie nun in der Außenpolitik?. Für die Entspannung? Sie sagten Herrn Breschnew: Natürlich werden wir diese Politik fortsetzen. Oder sind Sie doch skeptisch, daß es nicht geht, und deshalb für eine Rückkehr zur sogenannten Politik der Stärke?Und wofür sind Sie in der Deutschlandpolitik?
— Ich komme darauf gleich noch zurück, Herr Mer-tes. — Sind Sie eigentlich dafür, da nun ein juristisches Schattenreich zu verteidigen, oder sind Siedafür, für die Menschen im geteilten Deutschland und im geteilten Europa konkrete Politik zu machen?
— Dazu komme ich gleich noch, Herr Czaja.
Diese Tatsache, daß Sie politisch nicht über die Grundlagen einig sind, hat doch auch dazu geführt, daß Sie sich in den letzten Jahren in allen großen außenpolitischen Fragen der Stimme enthalten haben — einschließlich des Herrn Weizsäcker, der sich heute hier so stark gemacht hat. Statt dessen haben Sie 1972 das konstruktive Mißtrauensvotum versucht. Dann kam Sonthofen.
Dann kam Herr Biedenkopf mit seiner Semantik, diesen Begriffsspielereien, die der deutschen Universität keine Ehre machen.Und dann kam Herr Kohl. Herr Kohl hat 1976 nach der Wahl gesagt, er werde in der Mitte dieser Legislaturperiode Kanzler sein.
Heute ist es fraglich, ob er Oppositionsführer bleibt. Das muß ja an irgend etwas liegen. Wir sagen Ihnen: Es liegt daran — das bedauern wir, aus institutionellen Gründen —, daß Ihre Rolle als Opposition nicht ernst nehmen.
— Das ist nicht scheinheilig. Ich wäre doch dankbar, wenn Sie uns das einmal so abnähmen. Wir könnten ja darüber lachen, uns schadenfroh gebärden und sagen, wir haben es fein.
Das aber sagen wir nicht.Für mich war interessant, daß Herr Kollege Kohl heute morgen mit dem Biedenkopf-Memorandum anfing, mit den beiden Thesen: Der Kanzler ist nur ein „Macher", er hat nicht den Sinn für höhere Werte, die SPD ist in einem Zustand, der noch schlimmer ist als der der CDU, und schließlich gehen die beiden auseinander. Mich hat es schon etwas beklommen gemacht, als der Kollege Kohl das Biedenkopf-Papier zitiert hat. Da hat er gegen den Ratschlag des Dichters verstoßen, der da lautet: „Was auch immer passieren mag, nie darfst du so weit sinken, von dem Kakao, durch den man dich zieht, obendrein auch noch zu trinken."
Besonders peinlich war es ja in dem Punkt, der den Zustand der SPD betrifft. Denn wenn irgend etwas in dem Biedenkopf-Papier zeigt, daß es von vornherein zur Veröffentlichung bestimmt war, dann wohl die Wiederholung der Propagandathesen
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10354 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Dr. Ehmkedes Kollegen Biedenkopf über die Filzokratie SPD-Gewerkschaft und über das furchtbare Verhältnis zwischen Kanzler und SPD.Nun will ich Ihnen einmal etwas zum Kanzler sagen. Ich habe mit ihm oft genug Krach. Aber wir haben vor der Leistung dieses Mannes einen großen Respekt. Es wäre kein Schaden, wenn auch die Opposition das einmal zum Ausdruck brächte.
Ich werde in meiner Partei immer aufgezogen, weil ich kein Hehl aus meinem Respekt vor Adenauer mache, auch wenn ich eine ganz andere Politik für richtig gehalten hätte. Erstens ist das — Respekt —etwas, was auch Sie zugeben könnten. Und zweitens — Sie verstehen das nicht —: Der Mann gehört zu uns, das ist ein Sozialdemokrat, der in der Mitte der Sozialdemokratie steht. Es wäre wirklich gut, wenn Sie Ihre Kraft auf Ihre eigene Partei verwenden würden. Wir halten unsere schon in Ordnung.
Lassen Sie mich nun, um beim Nachdenken konkret zu werden, mit der Frage nach der Zukunft anfangen. Ich bitte, einmal zu überlegen — es geht uns ja schnell von den Lippen, von der Zukunft zu sprechen —, ob das eine sinnvolle Frage ist. Denn die Zukunft hat ja immer schon begonnen. Was soll denn die ganz neue Zukunft sein? Irgendwie kommt das so ein bißchen vom Modelldenken. Jetzt haben wir das neoliberale Modell, Lind die entwickeln dann plötzlich ein ganz anderes. Ich kann mich da frei äußern, weil ich auch in meiner eigenen Partei gegen „historische Zäsuren" bin. Politik ist doch Evolution. Wir sagen - der Bundeskanzler hat das heute noch einmal gesagt —: Friedenspolitik ist die große Zukunftsperspektive.
Das ist doch nicht irgendein Klein-Klein-Geschäft, das wir machen. Wenn wir uns um Fragen der Freiheit streiten, etwa um die Beschnüffelung der jungen Leute, dann ist auch das eine Frage danach, wie die Zukunft aussehen soll. Wenn wir um sozialen Ausgleich kämpfen und darum für Mitbestimmung und gegen Klagen gegen die Mitbestimmung und gegen die Diffamierung der Gewerkschaften sind, dann hat das alles nicht nur etwas mit der Gegenwart zu tun, sondern auch mit der Frage, wie wir aus dieser Gegenwart zu einer guten Zukunft kommen.Das Nächste: Wenn wir in der Wirtschaftspolitik, Herr Narjes, jetzt so stark die strukturellen Fragen herausstellen — sei es die weltwirtschaftliche Verflechtung, auch die Verflechtung zwischen Abrüstung und Mitteln für das Nord-Süd-Problem, sei es die innerstaatliche Verflechtung, indem wir uns klarmachen, daß der strukturelle Wandel und der technische Wandel ein sozialer Wandel ist, für den man offen sein muß, den man nicht in theoretische Modelle einfangen kann — Herr Kollege Hauff wirdja demnächst zusammen mit einigen Freunden darüber ein Forum veranstalten, zu dem wir viele Andersdenkende einladen, um mit uns zu diskutieren —,, dann zeigt das doch: Die Politik, die wir machen, geht in die Zukunft. Ich bin der Meinung, daß wir in Zukunft mit der Frage „Was ist die Zukunft?" vorsichtiger sein müssen, weil das sonst immer so aussieht: Morgen ist etwas ganz anderes da. Ich glaube, das ist ein falscher Ansatz für' unser politisches Denken, das Bestehendes fortzuentwikkeln hat.
Ich wende mich jetzt dem ersten Bereich, dem der Außenpolitik, zu. Der „fundamentale" Barzel, wie ich sagen würde, hat sich entschuldigt; er mußte weg. Der Herr Kollege Barzel hat die Frage aufgeworfen — der Bundeskanzler hat sie für seinen Teil schon beantwortet —, ob sich die Bundesrepublik nicht in eine gefährliche Situation einer Mittlerstellung zwischen den Großmächten bringen lasse. Der Bundeskanzler hat diese Frage mit Nein beantwortet. Meine Überzeugung dazu ist folgende: Ich halte es für eines der großen Verdienste von Helmut Schmidt und Dietrich Genscher, daß wir uns in der Zeit, in der die Entspannungspolitik wegen Führungsproblemen im Westen wie im Osten zu wackeln drohte, zwar nicht angemaßt haben, wir könnten die Großmächte ersetzen, daß wir aber zusammen mit unseren europäischen Freunden auf Entspannungskurs geblieben sind.
Das halte ich für eine seiner großen Leistungen, innenpolitisch zu vergleichen mit der Sicherung der Liberalität in der Hysterie der Terroristenattacken. Und da stimme ich mehr mit Herrn Marx als mit Herrn Barzel überein; denn Herr Marx hat mit Recht gesagt: wir müssen unsere eigenen Interessen durch eigenes Handeln wahrnehmen. Wir sind sicher nicht die Führungsmacht des Westens, aber wir sind eine gewichtige Stimme in der Meinungsbildung des Westens. Darüber sollte zwischen uns eigentlich kein Streit bestehen. Ich würde übrigens auch die Arbeit der EPZ insoweit nicht unterschätzen.Kollege Barzel hat gesagt: Ja, in der Welt werde doch darüber geredet, daß wir offenbar etwas dichter bei den Russen seien oder sowjetische Interessen gegenüber dem Westen verträten; woher denn der Qualm käme. Da hätte er nur seinem Fraktionsvorsitzenden zuhören müssen, der erst China zitiert und dann gesagt hat: Man muß überlegen: China wird vermutlich auf die Sowjetunion einwirken, und man hört ja schon, daß die Sowjetunion zu großen Zugeständnissen bereit ist.Ich halte das für Stammtisch und will Ihnen sagen, warum. Wir sollten nie vergessen, daß die Frage der Teilung Deutschlands und der Stellung Berlins eine Frage ist, die wir mit der Sowjetunion und nicht mit China zu behandeln haben. Wir sollten zweitens nicht glauben, daß, wenn Herr Semjonow hier Botschafter wird, der 1952 in einer bestimmten Phase sowjetischer Politik bestimmte Funktionen gehabt hat, seine Ernennung zum Botschafter in Bonn eine Rückkehr zu 52er PositionenDr. Ehmke signalisiere. Die Rede, die Russen könnten „die deutsche Karte spielen" — ich lese das jetzt öfters —, ist genauso töricht wie die Redeweise, die Amerikaner könnten „die chinesische Karte spielen" -aus unterschiedlichen Gründen. Bei uns ist das so: selbst wenn die Sowjetunion die DDR preisgeben wollte, wofür es gar keine Anhaltspunkte gibt, .könnte sie die deutsche Frage nicht lösen; weil nämlich die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik, Westeuropas und Amerikas nicht von Russen entschieden werden können. Also lassen wir doch . den Transport von solchem Stammtischgerede in die außenpolitische Diskussion des Parlaments.
Dann braucht, man hinterher auch nicht irgendwelche „Feuer" zu suchen. In der Frage der Entspannungspolitik ist es unbestritten, Herr Kollege Marx, daß wir vor der Frage stehen — ich glaube, ich habe das letzte Mal im September hier im Bundestag dazu gesprochen —, daß wir eine sowjetische Aufrüstung großen Stils haben, die im Gesamtvergleich ungefähr Gleichgewicht und in Europa in konventionellen und Mittelstreckenwaffen Übergewicht erreicht hat. Das ist unbestritten zwischen uns. Wenn Sie das einmal sehr gut lesen wollen, dann lesen Sie bitte den Vortrag, den Helmut Schmidt im Oktober 1977 in London vor dem Institute for Strategic Studies gehalten hat. Das war nämlich der Beginn der Grauzonendebatte im westlichen Bündnis.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Marx? — Bitte.
Herr Kollege Ehmke, da wir uns in dieser Sache offenbar verstehen und auch Sie der Meinung sind, daß es auf die Weisung der Zentralen bei dem ankommt, was ein Botschafter tut, und nicht umgekehrt, möchte ich gern hinsichtlich Ihrer Beurteilung der Waffenzunahme im Osten wissen: Ist das nun für Sie eigentlich auch Entspannung? Oder was ist das? Wir reden immer von Entspannung. Bitte, meinen wir das gleiche — die anderen und wir —, oder sind das zwei völlig andere Sachen?
Herr Kollege Marx, ich habe mich hier im Bundestag vor nicht allzu langer Zeit sehr ausführlich darüber geäußert, wie ich den Faktor Rüstung im gesamtpolitischen Rahmen der Sowjetpolitik sehe. Ich will jetzt darauf verweisen. Ich glaube, wir dürfen es nicht isoliert sehen, wir müssen es zusammen mit' der wirtschaftlichen und technologischen Unterlegenheit sehen. Aber es ist keine Frage: natürlich ist das eine Entwicklung, die, wenn sie weitergeht — das ist unsere Sorge, darum kämpfen wir ja für Entspannungspolitik —, zum Ende der Entspannungspolitik führen könnte. Ich habe am 1. Juni, 1978, als der Kanzler von der UNO-Generalversammlung und von der NATO-Tagung zurückkam, hier. gesagt — wenn ich das mit freundlicher Erlaubnis der Frau Präsidentin und mit Erlaubnis der Kollegen zitieren darf, obwohl man sich eigentlich nicht selbst zitieren soll -:Die Beratungen des NATO-Gipfels dürften der Sowjetunion noch einmal vor Augen geführt haben, daß diese Abrüstungspolitik keine Einbahnstraße ist. Disparitäten, die nicht durch Abrüstung abgebaut werden, werden in , der irrationalen Logik gegenseitigen Mißtrauens und Wettrüstens schließlich durch Aufrüstung ausgeglichen werden.Das ist unsere Sorge. Und jetzt kommt die Frage: Welche Chance haben wir — das hängt zunächst vom Schicksal von SALT II ab - nach der Zusage Breschnews in Bonn, auch über Grauzonenwaffen zu verhandeln — -
— Ich darf Sie herzlich bitten, dies nicht zu sagen.
Gut, aber ich will sagen, wir sollten uns sehr selektiv überlegen, auf welchen Gebieten man weiterkommen kann.
Ich bin der Meinung des Kollegen Wehner und weiß gar nicht, was die Polemik soll. Herr Kollege Wörner hat in Santa Barbara, bevor hier diskutiert wurde, sinngemäß gesagt: Das hat nur Zweck, wenn wir die Bundesrepublik mit Mittelstreckenraketen vollstellen und dann abrüsten.
Wir dagegen sagen: Na, vielleicht gibt es ja auch die Möglichkeit, sich das zu sparen, wenn man vorher zu Abrüstungsvereinbarungen kommt. Das ist unsere Position.
- Herr Mertes, darf ich das nur kurz zu Ende darlegen. Herr Marx, ich habe noch eine herzliche Bitte. Auch der Kollege Wörner hat schon darauf hingewiesen, daß dies eine Frage ist, die nicht nur die Bundesrepublik betrifft. Da sind wir uns einig. Das heißt, wir werden auch eine Debatte in anderen NATO-Staaten haben, und auch die Debatte in den Vereinigten Staaten läuft erst an. Es gibt dabei sehr viele komplizierte Fragen. Es gibt da z. B. die Frage, ob wir in Europa auf dem isoliert gesehenen Gebiet der Mittelstreckenwaffen überhaupt Parität haben können. Wenn Sie mich fragen: Das können wir nicht. Ich will das auch gar nicht. Ich bin der Meinung, ein Teil dieses Mittelstreckenpotentials des Warschauer Pakts muß immer von den Amerikanern abgedeckt werden, und zwar aus vielen Gründen, die ich Ihnen nicht darzulegen brauche. Das kommt also sowieso nicht in Frage.Dann müssen wir überlegen: Was für Auswirkungen hat es politisch für unsere Abrüstungspolitik in
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10356 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Dr. EhmkeWien, wenn wir hier zum erstenmal amerikanische Mittelstreckenraketen hinstellen, die von deutschem Boden aus — ich beschränke mich hier auf die Bundesrepublik —, aber auch vom Boden anderer Länder aus die Sowjetunion erreichen? Und bei den cruise missiles wissen Sie, daß sich die Waffenexperten darüber einig sind, daß dort das Verifizierungsproblem sowohl hinsichtlich der Art der Sprengköpfe als auch hinsichtlich der Reichweiten offenbar unlösbar ist.Es gibt also ein großes Bündel von Fragen, das in Amerika diskutiert wird und bei uns und in den anderen Ländern ebenfalls diskutiert werden muß. Und ich sage: bitte mit großer Vorsicht herangehen. Für meine .Fraktion möchte ich mich hier beim Bundesverteidigungsminister bedanken, der sehr früh mit dieser Diskussion begonnen hat, ' so daß wir mit Vernunft und Zeit überlegen können, wie wir dort zu einem Ergebnis kommen, das die Spirale des Wettrüstens eben möglichst nicht weiterdreht. Dabei gebe ich Ihnen gerne zu, daß dazu zwei gehören und daß es nicht ausgeschlossen werden kann, daß wir nicht zu einem Ergebnis kommen. Dann muß ich allerdings sagen: schlimm für die Welt und schlimm insbesondere für dieses geteilte Land.
Herr Kollege, gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage des Kollegen Mertes?
Gerne.
Herr Kollege, ist die zentrale Frage, auf die sich auch Herr Kollege Wörner in Amerika bezogen hat, nicht diese: Wie werden wir es nach SALT II schaffen, daß es zum Abbau der sowjetischen Überlegenheit im Bereich der Mittelstreckenraketen kommt? Und ergibt sich hieraus nicht die weitere Frage: Werden wir die Sowjetunion beim derzeitigen Kräfteverhältnis in diesem sogenannten Grauzonenwaffenbereich zum einseitigen Abbau bewegen oder dadurch, daß wir ihr kraft eines ausgewogenen Waffenverhältnisses konkret materielle Fragen stellen können, die sie dazu veranlassen, dann wirklich abzubauen?
Ich habe Ihnen ja gesagt, wir sind der Meinung, wir sollten erst probieren, das Ziel durch Abrüstung zu erreichen, statt all das hinzustellen, und sich erst dann darüber zu unterhalten. Da das lange dauert, muß man auch klären, was wir an Vorbereitungen und an Planungen für den in Rede stehenden Fall unternehmen. Aber das wollen wir alles in großer Ruhe diskutieren, und ich kann hier nur die Bitte wiederholen, die Herr Bell heute im „General-Anzeiger" geäußert hat: das Thema bitte nicht zum Gegenstand von Polemik machen; das ist zu ernst. Ich möchte mir mit Herbert Wehner wünschen, daß wir hier vorhandene Berührungspunkte eher ausbauen als abbauen.
Lassen Sie noch eine Zusatzfrage zu?
Nein, ich möchte jetzt zum Ende kommen, weil die Zeit begrenzt ist.Ich möchte jetzt zunächst kurz aus dem Nachdenklichen herausgehen und einen polemischen Satz sagen, den ich auch im Juni schon angedeutet habe. Herr Kollege Marx und Herr Kollege Mertes: wenn Sie den Europawahlkampf unter dem Motto „Freiheit statt Sozialismus" führen, d. h., wenn Sie Europa erst durch innere Auseinandersetzungen auseinandernehmen, können Sie es sich hinterher sparen, über Verteidigung zu reden. Sie glauben doch nicht, daß Sie, wenn Sie Europa erst politisch spalten und dann mit Waffen vollstopfen, anschließend den Kommunismus besiegen können. Solange solche Parolen für die Europawahl im Raum bleiben, ist für mich alles unglaubwürdig, was auf der anderen Seite über die Verteidigung Europas gesagt wird.Lassen Sie mich jetzt zu einer anderen Frage kommen, die Herr Kollege Barzel und auch Herr Kollege von Weizsäcker angeschnitten haben: zur Deutschlandpolitik. Herr Kollege Barzel hat, glaube ich, gesagt, die Deutschen in der DDR müßten doch einmal etwas von dieser Deutschlandpolitik spüren. Er sollte sich besser einmal selber erkundigen, wie die das spüren, was inzwischen geschaffen worden ist.Wir stehen in der Deutschlandpolitik in einer bestimmten Gefahr: Auf allen Seiten nimmt die Neigung zu, Patentrezepte zu diskutieren, statt die äußeren ,und inneren Bedingungen zu untersuchen, unter denen Fortschritte in der deutschen Frage erzielt werden könnten. Ich will Ihnen ein paar äußere und innere Bedingungen nennen, von denen ich der Meinung bin, daß sie gegeben sind; vielleicht können wir das dann später im Ausschuß weiter diskutieren.Ich bin z. B. davon überzeugt, daß weder unsere westlichen noch unsere östlichen Nachbarn in der Frage der deutschen Teilung zu irgend etwas bereit wären, wenn nicht klar wäre, daß die heutige Westgrenze Polens die Westgrenze Polens bleibt. Wir haben zu -wählen: Entweder machen wir an der Grenzfrage weiter herum; dann brauchen wir über weitere Fortschritte in der deutschen Frage als Frage der geteilten Nation nicht zu reden. Oder wir tun das nicht.Zweitens glaube ich, so, wie Europa heute die Teilung Deutschlands nach Hitlers Krieg und Besatzung sieht, werden wir Fortschritte nur im europäischen Rahmen erreichen können. Das heißt auch - Kollege Dahrendorf und andere haben das im Hearing des Innerdeutschen Ausschusses sehr deutlich gemacht —,
daß man sich immer sehr sorgfältig überlegen muß, Herr Kollege Mertes, was die Offenheit der deutschen Frage eigentlich für Rückwirkungen in bezug auf den Fortgang und die Form der europäischen Integration in West und Ost haben wird.Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10357Dr. Ehmke
— Ich kenne Art. 7 des Deutschlandvertrages. Aber Art. 7 des Deutschlandvertrages, Herr Kollege Mertes, hat nicht den europäischen Grundtatbestand aufgehoben, daß die Völker im Osten wie im Westen in der Teilung Deutschlands nach dem, was sie unter Hitler von Deutschland erlebt haben, eine europäische Friedensfunktion sehen; das hat Art. 7 leider nicht beseitigen können.
— Das ist mein Urteil. Sie müßten die sehr abgewogene Stellungnahme lesen, die Herr Dahrendorf im Ausschuß abgegeben hat.
Eine dritte Bedingung ist meines Erachtens, daß wir die Entspannungspolitik fortsetzen; denn nicht die „Politik der Stärke", sondern die Entspannungspolitik hat die Grenze durchlässig gemacht, die vor noch nicht allzu langer Zeit der „Eiserne Vorhang' hieß.
— Ich sage nur: Wenn man in der deutschen Frage weiterkommen will, ist das für mich die dritte Bedingung: Fortsetzung der Entspannungspolitik. Sonst gibt es da gar nichts.Die vierte Bedingung sind gute Beziehungen, ein gutes Verhältnis zur Sowjetunion. Das habe ich schon bei dem Thema China erwähnt. Zum 25. Jahrestag des Arbeiteraufstands in Ost-Berlin hat der Bundespräsident mit Recht gesagt: Gegen die Sowjetunion ist in der deutschen Frage überhaupt nichts zu erreichen.Wenn ich jetzt zu den inneren Bedingungen komme, dann muß ich zunächst einmal sagen: Ich bin kein so großer Verehrer der Bismarckschen Reichsgründung, wie es Herr Kollege Barzel ist. Denn ich stelle mir da eine Frage. Wir haben damals, wie man gesagt hat, mit „Blut und Eisen" einen kleindeutschen Nationalstaat geschaffen. Aber wir haben es nicht geschafft, die Nation nach innen zu integrieren.
Ich erinnere an den Kulturkampf gegen die katholischen Teile der Bevölkerung. Es folgte das Sozialistengesetz. Warum ist denn diese nationalstaatliche Einheit wieder verlorengegangen? Weil die innere Dimension der deutschen Nation nie zu einem guten Abschluß gebracht worden war.
— Das ist keine Geschichtsklitterung, Herr Hupka.
Vielmehr ist, weil wir die Nationbildung nach innennicht vollzogen haben, die Nation durch die Ver-brechen des Nationalsozialismus nach außen wieder in Frage gestellt worden.
— Das hat damit sehr viel zu tun, Herr Hupka. Ich schlage Ihnen vor — ich sehe, daß wir hier einen großen Bereich haben, in dem wir deutschlandpolitisch diskutieren können —, diese inneren Bedingungen für die deutschen Fragen einmal genau zu untersuchen.Wir empören uns, wenn wir heute sehen, daß die DDR die These von den° zwei deutschen Nationen vertritt. Im Augenblick zwei deutsche Nationen! Man darf die These nicht mißverstehen in dem Sinne, als ob da gesamtdeutsche Ansprüche ganz abgeschrieben worden seien. Im Augenblick geht es um zwei deutsche Nationen. Unter anderen Verhältnissen kann es auch wieder anders sein. Aber ich muß Ihnen sagen: Ich sehe mit Sorge, in welchem Maße dies auch in der westdeutschen Diskussion zunimmt.
- Nein, Sie müssen einmal sehen, wer das macht. In dem Hearing waren z. B. Kollegen aus Ihrer Fraktion ganz erstaunt, als ich sie darauf hinwies, daß sie als Frage der Nation nicht Fragen aufwerfen können, ob z. B. hiesige Staatsorgane oder die bundesrepublikanische Flagge richtig behandelt werden. Wir kommen zu einer Art bundesrepublikanischem Nationalismus, der nicht besser als derjenige der DDR ist. Eines der bedenklichsten Dokumente darin ist übrigens ein überparteiliches Dokument, das die Herren Kultusminister Ende Dezember 1978 als Beschluß über die Behandlung der deutschen Frage im Schulunterricht erlassen haben.
Ich habe jetzt nicht genügend Zeit, das darzulegen, aber ich teile die Meinung von Herrn Jansen von der „Zeit", der dies in der „Zeit" unter der Überschrift abgehandelt hat: „Chauvinismus in der Schule" .
Hier verschwimmen der Begriff der deutschen Nation und der Begriff des Staates in einer Weise, daß ich Ihnen sage: Wenn wir da nicht bald Klarheit hereinbringen, werden andere im Trüben fischen, und die nationale Frage wird in Deutschland noch einmal in falsche Hände geraten.
— Nein, nicht „Bundesrepublik über alles". Dagegen bin ich gerade, aber das wird praktiziert.
- Da Herr Hupka schon das Gegenteil von demverstanden hat, was ich gesagt habe, will ich michmit dieser Zwischenfrage nicht auseinandersetzen.
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10358 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Dr. EhmkeIch komme zur dritten Frage. Da es das Unglück der deutschen Nation im bürgerlichen Zeitalter war, daß die Frage der inneren Dimension der Nation nicht ausgelotet wurde, sollten wir diesen Fehler nicht noch einmal machen.
— Die innere Dimension ist die Frage, welches die Vorstellungen der Deutschen in der DDR von der inneren Ordnung dieses Deutschlands wären, wenn sie mit uns über ihr Schicksal entscheiden könnten.
— Ja, das glaube ich; Sie nehmen mir das Wort aus dem Munde. Ich glaube, der nationale Konsens — wie Carlo Schmid sagen würde: der Contrat Social — der deutschen Nation würde unter freien Bedingungen in Richtung auf einen demokratischen Sozialismus gehen.
Ich höre mit großem Interesse, daß alles, was Sie zum Reformkommunismus, zum Prager Frühling, zum Eurokommunismus sagen, für Sie zwar immer geeignet ist, gegen uns zu polemisieren — was uns nichts ausmacht —, aber was die weltpolitische Bedeutung dieser Bestrebungen im geteilten Europa und im geteilten Deutschland sein könnte, wird leider nicht erörtert.
Darum bin ich der Meinung: Statt große Polemiken gegeneinander zu veranstalten, müßten wir einmal sehr konkret die äußeren und inneren Bedingungen für Fortschritte in der deutschen Frage diskutieren, um zu einem fruchtbaren Ergebnis zu kommen. Sonst wird nämlich die deutsche Frage auf dem Rücken der Deutschen in der DDR nur für den einen oder anderen Zweck und für die eine oder andere Auseinandersetzung benutzt.
— Wir werden das im Ausschuß noch im einzelnen • diskutieren. Ich bin jetzt eine Minute vor dem Schluß meiner Rede.
— Herr Marx, dürfen wir das auf den Ausschuß vertagen?Ich möchte zum Schluß auf ein innenpolitisches Problem eingehen, das Herr Kollege Kohl angeschnitten hat, das aber bis jetzt nicht weiter behandelt worden ist und das etwas mit dem zu tun hat, was ich soeben die. innere Dimension der Nation genannt habe. Es geht um das, was Herr Kollege Kohl— Herr Barzel hat auch etwas dazu gesagt — über die Lage der Jugend und der Familien in diesem Land gesagt hat.
Der Bundeskanzler hat schon seine Meinung zur Geburtenrate gesagt. Diese Diskussion muß weitergeführt werden. Ich füge aber noch einiges andere hinzu, das mindestens so alarmierend ist: z. B. die gegenüber anderen Industrieländern hohe Säuglingssterblichkeit, die große Zahl von Fällen, die uns gerade die Kirchen und die Sozialverbände nennen, von Vernachlässigung von. Kindern in der Familie, die Zahl der Kindermißhandlungen, der Drogen- und Alkoholmißbrauch und schließlich die relativ hohe Selbstmordrate. Herr Kollege Weizsäcker, dies alles sind sicher bedrückende Entwicklungen. Ich bin der Meinung, sie eignen sich wirklich nicht für parteipolitische Auseinandersetzungen.
Hier gibt es zwei Problemschichten, die wir diskutieren müssen. Einmal erleben wir in den Industriegesellschaften — die Mobilität wird ja gelobt; es wird gelobt, wenn möglichst alle in der Familie arbeiten — das Auseinanderfallen nicht nur der Großfamilie, sondern auch der Kleinfamilie. Da müssen Sie auch einmal klarkommen, wie sich eigentlich neoliberale Wirtschaftstheorie mit christlich-sozialen Vorstellungen bei Ihnen vereinbaren sollen.Die zweite Frageschicht: Wir haben in der Bundesrepublik eine, wie ich glaube; erschreckende Kinderfeindlichkeit. Ich glaube, daß der Grund für diese Kinderfeindlichkeit nun nicht etwa in dem einen oder anderen Gesetz zu suchen ist. Sie liegt vielmehr in einer materialistischen Auffassung, für die Geld der höchste Wert in einer Konsumgesellschaft geworden ist.
Kollege Barzel hat in bezug auf den Islam gefragt, ob der Westen dort nicht viel zu materialistisch herangegangen sei. Ich glaube, wir sollten uns einmal überlegen, ob wir nicht auch hier bei uns - bei allem, was auf dem Gebiet der Hilfen und der Familienhilfen getan werden muß; wir haben ja mit. Kindergeld und Mutterschaftsurlaub eine Menge getan — vor so grundsätzlichen Fragen unserer Gesellschaft, .ja unserer Kultur stehen, daß wir sie nicht auch noch in kleinkarierten parteipolitischen Streitigkeiten verbiegen dürfen.
Meine Fraktion und meine Partei sind für solche kritischen Fragen offen. Wir sind offen für die Frage vieler junger Leute nach einem neuen Lebensstil, der -nicht dieses menschenverachtende Element hat, das viele Teile unserer Gesellschaft heute zeigen. Wir sind dafür, daß dies alles zur Aussprache und Diskussion kommt, und sind auch darum gegen Schnüffelei.Kurt Schumacher hat einmal gesagt, demokratischer Sozialismus, das sei die ökonomische Befreiung der sittlichen und moralischen Person. Das stimmt auch dann, wenn es um Kinder und Eltern geht.
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Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10359
Meine Damen ' und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bangemann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann mich noch an Debatten über 'den Kanzleretat zu Zeiten des Bundeskanzlers Brandt erinnern. Damals lautete der Tenor der Oppositionsreden, dies sei ein Kanzler, der über den Wolken wandere, sich aber auf der Erde nicht auskenne. Der Tenor der Reden während. dieser Debatte war genau umgekehrt: Hier handle es sich um einen realistischen Macher, der den Blick in die Sterne nicht wage. Möglicherweise ist die Verschiebung der Perspektive durch die unterschiedliche Statur der Personen, um die es hier ging, entstanden. Das ist aber nicht allein Gegenstand der Debatte. Gegenstand der Debatte ist die gesamte Position der Bundesregierung, ist das, was in dem zurückliegenden Jahr und im vor uns liegenden Jahr an Kritik und Anregungen aufzuzeigen ist.Eine Perspektive ist sicher unbezweifelbar vorhanden. Sie ist im Jahre 1979 von uns wahrzunehmen. Sie kann auch verfehlt werden. Ich meine die vor uns liegende Direktwahl des Europäischen Parlaments. Der Kollege Kohl hat in diesem Zusammenhang auf das Kölner Programm der SPD abgehoben und hat sich gewundert, daß ich auf dem Dreikönigstreffen -zu diesem Programm einiges Kritische gesagt habe. Dies ist überhaupt nicht erstaunlich, meine Damen und Herren, das hat auch gar nichts mit der Regierungskoalition zu tun, die wir in diesem Hause und für die Bundesrepublik mit der SPD vereinbart haben und durchführen, sondern das ist einzig und allein die selbstverständlichste Sache der Welt, nämlich der Beginn eines Wahlkampfes, in dem die einzelnen Parteien ihre eigenen natürlich unterschiedlichen Vorstellungen formulieren. Die werden bei der SPD so sein, wie sich die SPD eine Europäische Gemeinschaft idealerweise vorstellt; sie sind bei der CDU so, wie sie sich die Gemein- Schaft vorstellt, und auch wir haben unsere Vorstellungen einzig und allein nach unseren liberalen Maßstäben formuliert.Die SPD ist in diesem Programm auch mit uns nicht glimpflich umgegangen. Es wäre falsch anzunehmen, daß sie eine Rücksicht geübt hätte, die sich aus der Koalition ergibt. Ich darf einmal zitieren, was die SPD von uns, den Liberalen, hält, damit das deutlich wird. Es heißt dort:Die Liberalen haben ein einseitiges Freiheitsverständnis. Sie betonen eher die individuelle Freiheit und Chancengleichheit, haben in ihrer Geschichte aber oft die Bedeutung sozialer Reformen und Strukturveränderungen unterschätzt. Ihre europäische Struktur ist höchst unterschiedlich und stark von, nationalen Bedürfnissen geprägt.Liebe Freunde von der SPD-Fraktion, die Einschätzung des liberalen Freiheitsverständnisses mag strittig sein; ,darüber kann man unterschiedliche Auffassungen haben. Was aber den letzten Satzdieses Urteils über die Liberalen angeht, so wäre er besser unbeschlossen und ungeschrieben geblieben; denn das, was ich an Ihrem Programm von Köln als erstes kritisiert habe - was ich wiederholen will —, ist ja die Tatsache, daß Sie auf Grund der nationalen Unterschiedlichkeit der sozialistischen Parteien in der Europäischen Gemeinschaft gezwungen waren, dieses Kölner Programm überhaupt zu verabschieden. Sie haben ja nicht das geschafft, was wir Liberalen geschafft haben: alle liberalen Parteien der Gemeinschaft in einer Partei zusammenzufassen und ein gemeinsames Programm zu verabschieden, mit dem wir einen gemeinsamen europäischen Wahlkampf machen.
Es gibt keine Wahlaussage, die einzig und allein für sich steht und nur im nationalen Rahmen gilt. Wer auszieht, Europa zu einigen, muß, meine ich, zunächst einmal den Beweis dafür erbringen, daß er sich in der eigenen Parteifamilie einigen kann. Wer diesen Beweis schuldig bleibt, sollte andere Parteien nicht fälschlicherweise der nationalen Uneinigkeit zeihen. Wenn das für jemanden nicht zutrifft, dann für die Liberalen in Europa.
In diesen Programmen werden natürlich auch die unterschiedlichen Positionen für Europa deutlich werden. Vielleicht ist es gar' nicht schlecht, wenn man im Unterschied zu den einzelnen Parteifamilien aufzeigen kann, wo die verschiedenen Vorstellungen für Europa ihre Kanten haben; denn das weitgehende Desinteresse für Europa ist ja zum Teil auch darin begründet, daß dieses Thema in der Vergangenheit der europäischen Einigung kein Streitgegenstand zwischen den Parteien war.Wenn Herr von Weizsäcker sagt, es gebe einen Gegensatz zwischen dem Regierungsprogramm und dem Kölner Programm, so ist das unbestreitbar. Das ist aber auch gar nicht weiter verwunderlich. Das braucht man gar nicht zu erwähnen;, denn diese Regierung hat ja ein sozialliberales Programm zu verwirklichen, das im Einverständnis der beiden Koalitionspartner vereinbart worden ist, während das Kölner Programm der SPD . einzig und allein ihre Vorstellungen enthält, die Vorstellungen des demokratischen Sozialismus. Was in dieser Regierung passiert, Herr von Weizsäcker, ist sozialliberal, und was in bezug auf 'Europa passiert, ist demokratischer Sozialismus. Dieser Unterschied ist offensichtlich, wie Sie gesagt haben. Dagegen läßt sich auch gar nichts einwenden.
— Aber Herr Kollege, wenn Sie noch weitere Aufklärungen über den Unterschied zwischen Sozialismus und Liberalismus wünschen — darüber kann ich fünf Stunden lang reden.
Ich bin allerdings im Zweifel, ob Ihnen das dannaufgeht; denn in Ihr Weltbild paßt ja nur eine Regierung, die sozusagen ein und derselbe Mus ist.
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10360 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Dr. BangemannDaß das nicht der Fall ist und daß Sie das erkannt haben, ist ein bemerkenswerter Fortschritt auf dem Wege politischer Erkenntnis. Ich gratuliere Ihnen dazu.
Wir haben natürlich auch unterschiedliche Vorstellungen von Europa — und damit auch von der Bundespolitik — entwickelt, soweit es die Konservativen angeht. Diese Unterschiede sind sehr deutlich. geworden. Ich fange einmal mit der Außenpolitik an, mit der Frage: Welche Rolle soll die zukünftige Europäische Gemeinschaft, die sich zur Europäischen Union entwickelt, außenpolitisch spielen?Ich will Herrn Kohl nicht unterstellen, daß die Rivalität zwischen China und der Sowjetunion, die er heute morgen beschworen hat, mit den Träumereien zu vergleichen sei, die zuweilen an bayerischen Kaminen geträumt werden, daß man nämlich Arm in Arm mit China die Sowjetunion in die Knie zwingen könne.
— Ich habe ausdrücklich gesagt, Herr Mertes, daß sich das nicht miteinander vergleichen läßt.Aber das ist die Nuance, die wichtig ist — diekonservativen Vorstellungen über Europa in der Außenpolitik sind allesamt defensiv, weil sie nämlich von dem alten Bild einer Großmacht Europa ausgehen, die ihre politische Rolle dadurch untermauert, daß sie die Gegensätze in der Welt ausnützt und versucht, daraus eigenen Honig zu saugen.Meine Damen und Herren, dies ist ein fundamentaler Gegensatz zu liberaler Außenpolitik, wie sie vom Außenminister dieser Regierung auch praktiziert wird. Wir wollen nicht dazu beitragen, daß sich die Gegensätze in der Welt vertiefen, weil wir den kurzfristigen Vorteil, den wir vielleicht daraus erlangen können, als zu gefährlich ansehen, wenn wir ihn mit der Gefährdung für den Weltfrieden vergleichen, die dabei unabweisbar entstehen wird. Es kommt gar nicht darauf an, ob sie subjektiv eine solche Verschärfung der Weltsituation wollen oder nicht. Wer den Gegensatz zwischen der Sowjetunion und China, der jetzt schon vorhanden ist und der sich vertiefen wird, ausnutzen will, um dabei eigene Vorteile zu erzielen, der fördert objektiv, auch wenn er das subjektiv nicht will, die Verschärfung einer weltpolitischen Auseinandersetzung, die zu einem neuen Weltkrieg und zu neuem großen Unheil führen kann.
Diese Leute, die das in der Vergangenheit gemacht haben, waren nie dafür verantwortlich. Wir wollen nicht zulassen — das wenden wir gegenüber dem konservativen Lager in Europa und in der Bundesrepublik ein —, daß erneut eine verhängnisvolle Hasardeurpolitik begonnen wird, die kurzfristig auf Vorteile gerichtet ist und langfristig un- ser aller Leben und unser aller Sicherheit gefährdet.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?
Dr. Bangemann Bitte sehr!
Herr Kollege Bangemann, können Sie dem Hohen Hause sagen, von welchem Grade unserer guten Beziehungen zur Volksrepublik China an denn eine Belastung unserer Beziehungen zur Sowjetunion einträte?
Herr Kollege Mertes, ich habe nicht davon gesprochen, daß wir unsere Beziehungen zur Volksrepublik China nicht ausbauen sollten, sondern ich sprach von der Ausnutzung des unbezweifelbar vorhandenen Gegensatzes zwischen der Volksrepublik China einerseits und der Sowjetunion andererseits. Deswegen ist auch die Frage, die der Kollege Kohl gestellt hat und die implizit jetzt noch einmal von Ihnen aufgegriffen wird, ob wir denn überhaupt gut daran tun, die Beziehungen zur Sowjetunion zu intensivieren und zu vertiefen, falsch gestellt. Wir müssen selbstverständlich gegenüber der Sowjetunion, wie auch gegenüber China und jeder Macht in der Welt darum bemüht sein, Beziehungen zu intensivieren und zu vertiefen, sei es als Bundesrepublik, sei es als Europa, weil uns nur dieser Weg offen bleibt, einen Frieden sicherer zu machen, als das heute vielleicht möglich ist.
Aber Sie sehen ja schon, Herr Kollege Mertes: Selbst Sie — Sie heben sich wohltuend von manchen anderen außenpolitischen Sprechern Ihrer Fraktion ab; das habe ich Ihnen ja schon mehrfach gesagt, auf die Gefahr hin, daß dadurch Ihr Ansehen in Ihrer Fraktion Schaden nimmt;
aber meine Freundschaft zu Ihnen wächst; ich hoffe, daß Ihnen das einen gewissen Ausgleich bringt — stellen ja noch Fragen, die ja ein völliges Unverständnis über die Bedeutung solcher bilateraler Beziehungen erkennen lassen. Es kann uns doch nicht daran gelegen sein, bilaterale Beziehungen aufzugeben oder nicht weiter auszubauen, sondern wir müssen selbstverständlich auch die bilateralen Beziehungen zur Sowjetunion ausbauen und weiter intensivieren.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Kollege Bangemann, könnte es sein, daß Sie meine vorhin gestellte Frage mißverstanden haben?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10361
Dr. Mertes
- Lassen Sie mich wiederholen: Herr Kollege Bangemann, besteht das Problem nicht darin, daß sich die Sowjetunion anmaßt, darüber zu urteilen, von welchem Grade unserer Beziehungen zu China an die Beziehungen zu ihr schlecht werden?
Wenn Sie die Frage so stellen, dann ist sie anders zu beantworten. Aber so klar haben Sie sie vorhin nicht gestellt. Es mag aber durchaus sein, daß ich sie erst nicht richtig verstanden habe.
— Bitte sehr, ja..Es kann durchaus sein, ich gebe das ja zu.Ich glaube aber, daß man eben nicht eine Waage von unseren Interessen aus aufstellen sollte. Daß die Sowjetunion eine bestimmte Intensivierung unserer Beziehungen zu China nicht gerne sieht, das sehe ich auch. Das kann uns aber nicht daran hindern, auch diese Beziehungen zu intensivieren. Ich mache meine Politik nicht davon abhängig, ob die Sowjetunion sie für gut oder für richtig hält. Das hält mich aber nicht davon ab, möglichst viel zu tun, um auch zu guten Beziehungen mit der Sowjetunion zu kommen. — Sie sind offenbar jetzt mit mir einverstanden?
— Noch nicht ganz, aber wir erreichen fast einen Punkt, den_ der Bundeskanzler mit Herrn Kohl heute morgen noch nicht erreichen konnte.
— Lassen Sie mich jetzt mit meinen Ausführungen fortfahren!
Dasselbe gilt natürlich auch für die Position der Europäischen Gemeinschaft im Verhältnis zur Sicherheitspolitik. Herr Barzel hat diesen Punkt heute Nachmittag aufgegriffen. Er meinte, es wäre zu verhindern, daß unsere unbezweifelbare Angewiesenheit auf die Unterstützung der Vereinigten Staaten im NATO-Bündnis nicht Schaden leide durch eine weitere Entwicklung der europäischen Integration. Ich halte beides nicht für Gegensätze. Ich bin überzeugt davon, daß es möglich sein muß, eine. weitere Integration der Europäischen Gemeinschaft zu erreichen, ohne die Mitgliedschaft in der NATO dabei auch nur politisch in Frage zu stellen oder das Verhältnis zu den USA, auf das wir in der Tat angewiesen sind.Ich bin auch damit einverstanden, daß die Europäische Gemeinschaft nicht qua Größe eine Vermittlerrolle in der Welt spielen kann. Das wäre gerade dieses Großmachtdenken, das ich für verhängnisvoll . halte, sollten wir es für die zukünftige Rolle der EG annehmen. Aber daß diese Europäische Gemeinschaft mit ihrer wirtschaftlichen Kraft, mit derpolitischen Stellung, die sie gerade in der Politik der Dritten Welt erreicht hat, eine vermittelnde Rol. le spielen kann und muß, sollte niemand bezweifeln.Der Wert dieser Europäischen Gemeinschaft für einen Liberalen liegt nicht darin, daß sie ihren Bewohnern die Möglichkeit gibt, besser zu' leben, reicher zu sein als der Rest der Welt, sondern darin, daß sie ein aktives Element im Entspannungsprozeß zwischen West und Ost ist und daß sie einen verständnisvollen Partner im Nord-Süd-Dialog abgibt; das allein rechtfertigt ihre Existenz, und darum werden wir Liberalen uns im Gegensatz zu den Konservativen bemühen.
Im Verein mit den Konservativen — das hat die Abstimmung im Europäischen Parlament gezeigt —, und im Gegensatz zur Sozialistischen Fraktion des Europäischen Parlaments sind wir auch der Meinung, daß die Europäische Gemeinschaft' eine gemeinsame Sicherheitspolitik betreiben muß. Wer eine gemeinsame Außenpolitik will, muß auch eine gemeinsame Sicherheitspolitik betreiben. Nicht im Sinne von Militärpolitik, sondern im Sinne einer klaren politischen Option für Entspannung, im Sinne einer klaren politischen Option für Partnerschaft im Verhältnis zwischen Nord und Süd, ergänzt allerdings durch eine Zusammenarbeit im Bereich der Rüstung, dort nämlich, wo sich eine solche Zusammenarbeit allein schon wegen der Möglichkeit der Einsparung von Mitteln anbietet und vernünftig ist.Wir haben, auch was die Gesellschaftsordnung angeht, fundamentale Gegensätze zu den Konservativen. Ihre Parteifreundin Mrs. Thatcher, die ja auf Ihrem Europakongreß, wie ich lese, sprechen wird, hat unumwunden in Großbritannien erklärt, sie sei eine Anhängerin der Todesstrafe und werde die Todesstrafe auch im Rest von. Europa propagieren und durchzusetzen suchen. Ich weiß, daß das einige hier in der CDU/CSU-Fraktion gar nicht erschreckt. Aber das ist ja das Erschreckende.
Das Erschreckende, meine Damen und Herren, ist, daß Sie mit einem solchen Instrument der Strafjustiz auch in einem Zeitalter noch liebäugeln und es propagieren wollen, in dem man wirklich erkannt hat, daß aus zwei Gründen eine solche Strafe nicht akzeptabel ist.
— Das Problem ist nicht vorbei, Herr Kollege, es sei denn, Sie bewegen Mrs. Thatcher zu einem Widerruf dieser Aussage.
- Wenn das nicht euer Problem ist, dann seid ihr auch weit entfernt davon, in Europa eine einheitliche politische Meinung zu vertreten, wie das die CDU behauptet.
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10362 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Dr. BangemannWir haben es geschafft, meine Damen und Herren — und das war keine kleine Aufgabe —, in unserem Programm gemeinsam auch mit den Liberalen, die aus Ländern stammen, in denen diese Strafe noch existiert, zu vereinbaren, daß wir eine solche Strafe in ganz Europa abschaffen wollen.Wir sind uns auch in Fragen der Rechtsordnung im übrigen in Europa mit anderen Liberalen einig, während Sie sich mit Ihren konservativen Kollegen über Fragen des Radikalenerlasses sicher uneinig sind. Das Thema hat ja eine Rolle gespielt. Es gibt sogar schon CDU-Europapolitiker, gar keine unmaßgeblichen früheren Landesminister, die die Forderung aufstellen: Europäisiert den Radikalenerlaß! Sorgt dafür, daß überall in der Europäischen Gemeinschaft der Erlaß so, wie er bisher praktiziert worden ist, Eingang findet in die Praxis bei Einstellung von Beamten!Abgesehen davon, daß diese Äußerung eine fundamentale Unkenntnis auch konservativer Parteien in der Europäischen Gemeinschaft verrät — denn nicht mal einem Gaullisten oder irgendeinem britischen Konservativen würde es im Traum einfallen, diese Erfindung deutscher Gründlichkeit in seinem Lande einzuführen —, abgesehen also davon, daß man dafür überhaupt kein Verständnis findet, auch nicht bei europäischen Konservativen, steckt dahinter eine fundamental. andere Auffassung vom Staatsbürger und vom Verhältnis des Staates zum Staatsbürger auch in seiner Funktion als Angehöriger des öffentlichen Dienstes.Ich will Ihnen dazu folgendes sagen, weil das auch ein bundesrepublikanisches Problem ist, das heute hier angesprochen wurde : Wer die Abschaffung der Regelnachfrage beim Verfassungsschutz als einen Rückschritt empfindet, wer glaubt, daß durch die Regelnachfrage das Bewußtsein des Staatsbürgers gegenüber seinem Staat im Sinne von mehr demokratischem Vertrauen verbessert werden kann, der übersieht — und das ist unsere liberale Auffassung dazu —, daß man damit gleichzeitig allen Leuten, die sich für den öffentlichen Dienst bewerben, von vornherein einmal unterstellt, sie könnten ein Staatsfeind sein.
Wer ein derartig fundamentales Mißtrauen seinen Bürgern gegenüber hat, soll sich dann nicht wundern, daß er keinen Widerhall findet, auch bei denen nicht, die wie wir dafür sorgen wollen, daß Extremisten nicht in den Staatsdienst kommen; denn das wäre die falsche Debatte.Wir haben . bei verschiedenen Gelegenheiten gesagt: Ein Extremist, jemand, der die freiheitlich-demokratische Grundordnung für sich nicht akzeptiert, darf nicht in den Staatsdienst und hat im Staatsdienst nichts zu suchen. Darüber gibt es überhaupt keine unterschiedliche Auffassung. Der einzige Unterschied ergibt sich bei der Frage, wie man dies feststellt.Meine Damen und Herren, wenn Sie behaupten, allein die Parteizugehörigkeit eines solchen Bewerbers sei ja schon eine klare Sache, dann darf ich Sie daran erinnern, daß Sie sich mit dieser Auffassung in einem fundamentalen Gegensatz zu unserem Verfassungsgericht befinden. '
Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Das kann ein Anhaltspunkt sein. Wenn ein solcher Anhaltspunkt vorliegt, kann man sehr .wohl einen solchen Bewerber näher untersuchen und prüfen und ihn betragen auf seine Einstellung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung hin. Das schließt ja niemand aus. Da brauchen Sie auch keine. Schnüffelpraxis einzuleiten. Aber allein schon die Mitgliedschaft zum entscheidenden Kriterium zu machen, das entspricht ja nicht einmal der Auffassung, die das Bundesverfassungsgericht bisher hierzu vertreten hat.
Wir haben natürlich auch bezüglich der Fragen der Wirtschaftsordnung, die im Kölner Programm abgehandelt werden, unsere unterschiedlichen Auffassungen zur SPD.In diesem Kölner Programm hat die SPD die Forderung aufgestellt — sie wurde hier vom Bundeskanzler wiederholt —, ein langfristiges Ziel sei die 35-Stunden-Woche. Die erste Frage,, die hier zu stellen ist, lautet: Ist die Verknüpfung dieser Forderung mit der Hoffnung richtig, daß sich bei , Einführung der 35-Stunden-Woche die Arbeitslosigkeit verringert, weil die vorhandene Arbeit gerechter verteilt werden kann? Der Bundeskanzler hat hier, wenn ich ihn richtig verstanden habe, gesagt, diese Hoffnung habe er nicht. Wir haben diese Hoffnung auch nicht, meine Damen und Herren.
Aber die SPD hat diese Hoffnung. Die SPD hat in ihrem Kölner Programm diese Frage in Verbindung gebracht mit einer gerechteren Verteilung der Arbeitszeit, sprich: mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.Wir halten diese Forderung zum jetzigen Zeitpunkt für einen politischen Unsinn, weil sie nämlich Hoffnungen erweckt, die diese Verknüpfung mit einer Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gar nicht erfüllen kann. Mit der Einführung der 35-StundenWoche werden Sie nicht einen einzigen Arbeitslosen weniger haben, sondern eher mehr.
Zweitens. Ich glaube, daß mit der Einführung der 35-Stunden-Woche auch ein anderer Fehler gemacht wird, der für die Zukunft vielleicht sehr viel schwerwiegender ist, und zwar ist das der Fehler, daß man die Arbeit nach einer Reihe von Tätigkeiten bemißt, bei denen heute eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 35 oder weniger Stunden in der Woche sogar höchst angebracht wäre, mit dem generellen Charakter, den Arbeit heute hat. Meine Fraktion und ich sind dafür, daß die Regelarbeitszeit
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10363
Dr. Bangemannüberall dort, wo Arbeit unmenschlich ist, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen geleistet wird, unterschritten wird, daß das Mittel der Arbeitszeitverkürzung überall dort, wo Arbeit wirklich noch ein Inhumanum, etwas Unmenschliches, darstellt, angewandt werden sollte. Wir wenden uns aber dagegen, daß das ein Allheilmittel ist. Es gibt schließlich auch andere Arbeit. Es gibt inzwischen einen Widerspruch zwischen Teilen der Arbeitenden, nämlich den Widerspruch, daß ein großer — noch wachsender Teil — eine zunehmende Wochenarbeitszeitverkürzung genießen kann, während der Rest dafür dann erheblich länger arbeiten muß. Es gibt inzwischen einen sozialen Widerspruch zwischen jemandem, der in einem großen Betrieb in abhängiger Stellung beschäftigt ist, und einem kleineren oder mittleren Selbständigen, der im .Grunde genommen; volkswirtschaftlich gesehen, mehr Arbeitslast übernehmen muß, während die Arbeitslast auf der anderen Seite geringer geworden ist. Diesen sozialen Widerspruch sollte man nicht noch größer werden lassen.
Im SPD-Programm findet sich des weiteren die Forderung nach der Investitionsanmeldung. Ich sage Ihnen hier ganz klar für meine Partei und meine Fraktion: Diese Forderung kann nicht nur das nicht leisten, was man sich von ihr verspricht sondern sie kann ein Weg in eine Wirtschaftsordnung sein, die wir, die Liberalen, nicht wollen. Wir wollen nicht ein bürokratisiertes, zentral gelenktes System, in dem am grünen Tisch entschieden wird, ob eine Investition volkswirtschaftlich erwünscht ist oder nicht.
Die Begründung, die die SPD in diesem Programm dafür angeführt hat — nämlich der Verweis auf die Montanindustrie —, sticht ja überhaupt nicht. Hier wird aber ausdrücklich auf die Montanindustrie verwiesen. Es ist wahr, die Montanindustrie muß seit dem Montanvertrag ihre Investitionen anmelden. Hat das jetzt einen einzigen Arbeitsplatz gerettet, als die Stahlindustrie in die Krise kam? Hat das eine einzige zusätzliche Möglichkeit- geschaffen, diese Krise zu bekämpfen?
Ich sage: Nein, diese Investitionsanmeldung hat überhaupt nichts bewirkt, kein. Stück! Deswegen können wir uns nicht dafür begeistern und müssen dies ablehen.Ich komme auf einen weiteren Gegensatz zu sprechen, der eine große Rolle gespielt hat, auch bei der Aufstellung von Kandidaten, nämlich zu der Frage, welche Rolle die Verbände und die Gewerkschaften in unserem Lande spielen sollen. Ich nehme die Verbände ausdrücklich mit hinein, weil ich glaube, daß es eine Verkürzung des Problems wäre, hier nur von den Gewerkschaften zu reden. Die Gewerkschaften sind ein Verband mit einem besonderen Interesse, vergleichbar anderen Verbänden, die auch jeweils ihr besonderes Interesse vertreten. Die Frage lautet nicht: Kann ein Gewerkschaftsmitglied auch Mitglied einer politischen Partei sein und für diese Par-tei kandidieren? Letzteres ist selbstverständlich. Es wäre unsinnig, jemandem in einer Gewerkschaft dies verwehren zu wollen, denn insoweit erfüllen Gewerkschaften natürlich auch eine politische Aufgabe, und jemand, der in einer Gewerkschaft tätig ist, wird sich nicht damit begnügen wollen, politisch abstinent zu sein und keine parteipolitischen Überlegungen anzustellen.Die Frage lautet vielmehr: In welchem Verhältnis steht der Vorsitz in einer solchen Partei oder im Deutschen Gewerkschaftsbund zu einer Mitgliedschaft in einer parlamentarischen Körperschaft? Ich kann verstehen, -daß es, wenn man dieses Problem abstrakt behandelt, vielen nicht einleuchtet, ,daß hier eine Inkompatibilität, eine Unvereinbarkeit der Am-ter vorliegt. Deshalb will ich Ihnen dies an einem praktischen Beispiel aufzeigen. Ich möchte allerdings gleich hinzufügen, daß dieses Beispiel nicht für alle Gewerkschaftsvorsitzenden gilt. Man hat mir gesagt — ich habe das nicht selbst miterlebt —, daß der Vorsitzende der IG Bergbau und Energie, als er Mitglied des Bundestages wurde, seine -Funktion als Vorsitzender dieser Gewerkschaft nicht mehr weiter wahrgenommen hat.
Ich will Ihnen am Beispiel des Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes zeigen, in welche Interessenkonflikte er unweigerlich kommen wird.
Die SPD hat in ihrem Kölner Programm auch sehr gute und vernünftige Aussagen,
die wir unterstreichen. Ich habe bisher nur dasjenige hervorgehoben, was uns trennt. In dem Programm findet sich z. B. die vernünftige Aussage, daß sich die SPD uneingeschränkt für den Beitritt Spaniens, Griechenlands und Portugals ausspricht, weil es darum gehe, die Demokratien in diesen Ländern zu stärken. In dem Programm des SPD heißt es wörtlich — ich zitiere —:Es— das demokratische Europa —ist aufgerufen, den Beweis für seine Solidarität mit den Arbeitnehmern dieser Länder zu erbringen.Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion unterschreibt diesen Satz voll. Für uns ist der Beitritt Griechenlands, Spaniens und Portugals, vor allen Dingen auch die zukünftige Stellung der Arbeiter dieser Länder, eine Frage europäischer Solidarität.Ich aber frage Sie jetzt: Wie läßt sich damit der Ausspruch von Herrn Vetter vereinbaren — den ich verstehen kann, soweit er ihn in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des DGB gemacht hat —, daß die griechischen Arbeiter natürlich nicht die gleichen Freizügigkeitsrechte genießen könnten; denn das würde die Arbeitsplätze deutscher Arbeiter gefährden. Die griechischen Arbeiter könnten diese Freizügigkeit nur dann erhalten, wenn sie auch einen
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10364 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Dr. BangemannArbeitsplatz in der • Bundesrepublik nachweisen könnten. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Das ist eine Äußerung eines Gewerkschaftsvorsitzenden, die ich verstehe, wenn er sie als Gewerkschaftsvorsitzender gemacht hat, die ich aber nicht verstehen kann, wenn ich sie mit dem vergleiche, was in diesem Programm gefordert wird. In diesen Interessenkonflikt werden Herr Vetter, Herr Loderer, Herr Hauenschild und wer sich sonst noch aufstellen läßt hineingeraten.
— Und Herr Schnitker; den nenne ich gleich noch mit, damit das nicht so einseitig wird. Ich habe schon gesagt, daß das auch ein Problem für die Verbände ist. Im übrigen schließt das auch Mitglieder der CDU ein.Wer diesen Interessenkonflikt nidit sieht, der macht etwas ganz Gefährliches. Er ist dabei, die demokratische Struktur ihrer Gemeinschaft schon im Ansatz zu zerstören; denn wir wollen nicht einen Ständestaat errichten, in dem Sonderinteressen vertreten werden;
wir wollen nicht, daß das Europäische Parlament refeudalisiert wird, sondern das soll ein Parlament der Bürger Europas werden und nicht ein Parlament einzelner Gruppen und Klassen in diesem Lande.
Deswegen werden wir uns dagegen wehren,
nicht, Herr Wehner, weil wir der Meinung sind, daß die Gewerkschaften eine schlechte Rolle spielen.. Ich bin sogar der Meinung, daß die Gewerkschaften bei uns — und Herr Genscher hat das heute hier unterstrichen - im Vergleich zu anderen Ländern eine Rolle gespielt haben, die vielem von dem gerecht wird, was Sie wollen. Ich denke da z. B. an Unabhängigkeit. Manchmal sind sie in Gefahr, das zu verlieren. Das ist aber gar nicht die Frage.Vielmehr stellt sich die Frage, welches Verhältnis eine Gewerkschaft, ein Industrieverband, der Handwerksverband oder der Bauernverband zum Europäischen Parlament hat. Im Europäischen Parlament werden Interessen behandelt, die jeden in Europa angehen, ganz gleich, welche soziale Rolle er spielt, ob er nun Arbeitnehmer ist, Arbeitgeber, Hufschmied oder Abgeordneter:
— Hier auch, natürlich. Deswegen, Herr Schäfer, bin ich genauso dagegen, daß der Vorsitzende einer Gewerkschaft oder eines Verbandes Mitglied des Bundestages ist. Das ist auch eine Verquickung verschiedener Interessen, die nicht auflösbar ist.
— Das mag Ihnen nicht gefallen. Trotzdem müssen Sie das hinnehmen; denn das ist nun mal das,. was wir dazu im europäischen Wahlkampf sagen werden.Ich komme zu der Rolle der Kommunisten in diesem zukünftigen Europäischen Parlament und den Erwartungen, die sich daran knüpfen. Hier hat die CDU/CSU-Fraktion heute der SPD den Vorwurf gemacht, sie habe in diesem ihrem Programm zu ihrem Hauptgegner die konservativen Parteien erklärt und nicht, wie das eigentlich angebracht sei, die Kommunisten. Ich frage Sie: Haben Sie das nicht selber hervorgerufen? Wenn die CSU in ihrem Wahlslogan sagt „Freiheit ja, Sozialismus nein",
was ist das denn anderes, als - daß Sie als Ihren Hauptgegner in diesem Wahlkampf die Sozialisten sehen? Dann beklagen Sie sich doch nicht darüber, daß die Sozialisten Sie als ihren Hauptgegner sehen!Wer das vermeiden will, wer diese Polarisierung nicht will, der darf überhaupt nicht schwarz-weiß denken
und der darf auch im. Zusammenhang mit dem Eurokommunismus die Dinge nicht so einfach sehen, wie das manche unter Ihnen tun.Schon gar nicht kann man Abstimmungen im Europäischen Parlament zum Maßstab nehmen. Herr Ehmke hat sich da geirrt: Der jetzige Präsident des Europäischen Parlaments; Colombo, ist nicht mit den Stimmen der Kommunisten gewählt worden. Die Kommunisten haben sich im Europäischen Parlament im entscheidenden Wahlgang der Stimme enthalten, und dadurch kam eine Mehrheit aus Christdemokraten, Konservativen und Liberalen zusammen. Damit Sie aber nicht denken daß das, was da entstanden ist, ein unheiliger Bürgerblock gewesen sei, will ich gleich dazusagen, daß die Gaullisten mit Ihnen, den Sozialisten, gestimmt haben und daß die Sozialisten einen gaullistischen Kandidaten unterstützt haben, nur um die Wahl Colombos zu verhindern.Ich kann Ihnen auch noch andere Beispiele nennen, wo wir mit den italienischen Kommunisten, den britischen Konservativen, den Liberalen, den deutschen Christdemokraten und den deutschen Sozialdemokraten den Rest des Europäischen Parlaments niedergestimmt haben. Es gibt dort wechselnde Mehrheiten. Niemand kann, wenn eine kommunistische Partei legalerweise in einem Parlament vertreten ist, der Notwendigkeit entrinnen, sich bei Abstimmungen — ungewollt — plötzlich in einer Gemeinsamkeit mit der kommunistischen Fraktion zu finden. Das ist völlig unvermeidlich; Daraus kann man überhaupt nichts herleiten. Das ist auch gar nicht die entscheidende Frage, sondern die entscheidende Frage ist: Wie bekämpfe ich den Eurokommunismus? Wer diesen Eurokommunismus mit Verboten bekämpfen will, meine Damen und Herren, wer ihn kriminalisieren will, tut ihm einen unendlichen Gefallen. Denn das Programm einer kommunistischen Partei kann noch so schlecht sein: zwei Leute, die durch die Justiz oder, Verwaltung angeblich ungerecht behandelt worden sind, die möglicherweise im Gefängnis sind, ersetzen ein ganzes gutes Programm. Wer einer kommunistischen Partei Märtyrer schafft, hat den
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10365
Dr. BangemannKampf gegen den Eurokommunismus schon im Ansatz verloren.
Das gilt übrigens auch hinsichtlich derjenigen, meine Damen und Herren, die glauben, auf eine solche Politik, eine gute, eine bessere Politik verzichten und sie durch Schluderei ersetzen zu können. Es ist doch kein Zufall — das sage ich gerade den Kollegen von der christdemokratischen Fraktion —, daß sich die Italienische Kommunistische Partei bei Wahlergebnissen im Lichte von 30 % sonnen kann. Das liegt nicht daran — um nicht diesen alten Streit wieder aufzugreifen —, daß die Sozialisten die Christdemokraten zwingen, mit den Kommunisten in Italien ein engeres Verhältnis einzugehen, als sie wollen, sondern das liegt schlicht daran, meine Damen und Herren, daß die christdemokratische Partei in Italien es jahrelang versäumt hat, die notwendige Reformpolitik zu betreiben, die nämlich die Schwachen beseitigt hätte, von denen heute die italienischen Kommunisten leben.
Das ist der schlichte Grund.
Die SPD sagt nun in ihrem Programm, man müsse hinsichtlich der kommunistischen Parteien unterscheiden, denn es könne ja durchaus die Möglichkeit bestehen, daß sich einige eurokommunistische Parteien zu echten demokratischen Parteien entwickelten. Das hoffen Sie; Herr Ehmke bestätigt das noch einmal. Da er heute offenbar seine nachdenkliche Stunde hat, wie er vorhin gesagt hat, mag das noch etwas an Wert gewinnen. Wenn das so ist, Herr Ehmke, dann müssen Sie aber eine Erklärung darüber abgeben, in welchen Punkten eine kommunistische Ideologie überhaupt zu einer Übereinstimmung mit demokratischen Idealen führen kann. Wir jedenfalls, die Liberalen, wollen den Eurokommunismus politisch aktiv bekämpfen, um ihn da zu minimieren. Wir glauben nicht an eine demokratische Überzeugung, die in diesen Parteien wachsen kann, sondern wir sind der Meinung, daß es einen fundamentalen Unterschied zwischen Kommunismus einerseits und Demokratie andererseits gibt, der auch nicht dadurch aufgehoben wird, daß sich einige eurokommunistische Parteien an Taktik beteiligen.
Ich komme zu der Frage, was wir brauchen, um diese Politik für die Europäische Gemeinschaft voranzubringen. Zunächst einmal, meine Damen und Herren, brauchen wir ein stärkeres Parlament.
Das Europäische Parlament muß seine Befugnisse nach der Wahl ausweiten. Es muß den Ministerrat stärker kontrollieren. Es muß den Ministerrat auch dazu zwingen, politische Arbeit zu leisten. Denn, meine Damen und Herren: Das, was wir heute über das Europäische Währungssystem diskutiert haben, die unterschiedlichen Auslegungen, ist auch ein Versagen des Ministerrates. Denn würde sich der Ministerrat als politisches Organ verstehen, würde er nicht nur diplomatische Erklärungen austauschen, daß man etwas wolle oder nicht wolle, und würde er sich nicht bei politischen Schwierigkeiten vertagen, sondern die politischen Schwierigkeiten wirklich aufgreifen, dann wären solche Fehlinterpretationen von Gipfelbeschlüssen gar nicht möglich. Ich will den europäischen Gipfel oder andere Gipfelgespräche zwar nicht für unnötig erklären, aber sie müssen durch eine aktivere Arbeit des Europäischen Ministerrats besser vorbereitet werden. Wenn diese Arbeit ausbleibt, kann auch ein solcher Gipfel Mißverständnisse hervorrufen, wie wir das erlebt haben.Wir brauchen auch ein Parlament, das in der Auseinandersetzung mit den nationalen Parlamenten seine Rolle neu definieren muß. Da sind wir auf Ihr Verständnis angewiesen. Ich hoffe, daß alle Fraktionen dieses Hauses erkennen, daß uns nach dieser Wahl, die wir am 10. Juni haben werden, die schwierigere Wahl bevorsteht, nämlich die Wahl nach weiteren fünf Jahren, wo uns die Bürger unserer Gemeinschaft nicht nach unseren Vorstellungen, sondern nach dem befragen werden, was wir erreicht haben. Wir können das nur erreichen, wenn die nationalen Parlamente solidarisch mit uns an diesem Strang ziehen. Ich hoffe, daß das Hohe Haus diese Notwendigkeit erkennt und uns dabei unterstützt.
Meine Damen und Herren, ich bitte um ein bißchen mehr Ruhe für den Redner.
Frau Präsidentin, ich bin gleich am Ende. Ich weiß, daß der letzte Redner vor namentlichen Abstimmungen unter der besonders schweren Last einer Anforderung steht, die aus dem solidarischen Interesse aller Abgeordneten erwächst, ihre Arbeitszeit einigermaßen menschlich zu gestalten. Ich will mich dieser Anforderung nicht entziehen.Lassen Sie mich aber noch kurz sagen, daß diese Stärkung des Europäischen Parlaments auch Eingang in die Forderungen der Parteien für den Wahlkampf finden muß. Die SPD hat das in ihrem Kölner Programm klar zum Ausdruck gebracht, nicht in dem gemeinsamen Appell, den sie mit allen Sozialisten formuliert und dem Publikum unterbreitet hat. Das erfüllt uns mit einiger Besorgnis; denn es werden ja in der sozialistischen Fraktion des Europäischen Parlaments nicht nur SPD-Leute sitzen, die bereit sind, die demokratischen Rechte des Europäischen Parlaments auszuweiten, sondern auch Antieuropäer, Labour-Leute, die gegen das ausdrückliche Versprechen gewählt werden, die Europäische Gemeinschaft zu behindern. Ich wünsche Ihnen, Herr Ehmke, daß die nachdenkliche Stunde, die Sie heute haben, europäisiert werden kann und daß ein bißchen mehr Nachdenklichkeit bei Ihren britischen und französischen Parteifreunden einkehrt, damit sie erkennen, daß die Stärkung des Europäischen Parlaments die einzige und wahre Aufgabe der nächsten fünf Jahre sein wird.
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10366 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Dr. BangemannWir werden diese Aufgabe vor allen Dingen dann schaffen, wenn wir etwas praktizieren, was zu den liberalen Tugenden gehört. Ich sage nicht „L'Europe sera libérale ou elle ne sera pas", wie das ein Parteifreund von Ihnen umgekehrt für den Sozialismus gesagt hat. Aber ich sage eines, meine Damen und Herren: dies ist eine Gemeinschaft von Minderheiten. Kein Volk, keine Sprache, keine Partei wird in dieser Europäischen Gemeinschaft eine Mehrheit haben. Deswegen wird diese Gemeinschaft nur leben, wenn sie eine liberale Tugend praktiziert, die wir alle praktizieren sollten: Toleranz dem anderen gegenüber, Toleranz Minderheiten gegenüber und das Bekenntnis zu einer pluralen Demokratie, in der unterschiedliche politische Kräfte frei miteinander für eine bessere Lösung ringen können.
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache.Zum Einzelplan 04 liegen zwei Änderungsanträge vor. Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2495 auf. Wird das Wort zur Begründung oder zur Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen dann zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2495. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Es gibt weiterhin zum Einzelplan 04 einen Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2484 unter Ziffer 1. Wird dazu Begründung oder Debatte gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann kommen wir zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2484 Ziffer 1. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 04 in der Ausschußfassung. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung.Haben alle Abgeordneten, die abstimmen wollen, ihre Stimmkarte abgegeben? - Dann schließe ich die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen.Es ist vorhin schon einmal gesagt worden — ich möchte es wiederholen —, daß heute noch eine weitere namentliche Abstimmung zu erwarten ist, und zwar beim Einzelplan 14. Die Kollegen mögen sich bitte darauf einrichten.Meine Damen und Herren, es liegt das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04 vor. Bevor ich das Ergebnis bekanntgebe, möchte ich mitteilen, daß 31 Kollegen dieses Hauses wegen dringender Verpflichtungen entschuldigt sind, und zwar 18 wegen europäischer Verpflichtungen, 11 wegen Krankheit und 2 wegen Dienstreisen. Für 30 Kollegen bestehen Pairing-Vereinbarungen.Es haben insgesamt 455 uneingeschränkt stimmberechtigte Abgeordnete und 19 Berliner Abgeordnete die Stimme abgegeben. Mit Ja haben 235' uneingeschränkt stimmberechtigte Abgeordnete und 10 Berliner gestimmt, mit Nein 220 uneingeschränkt stimmberechtigte Abgeordnete und 9 Berliner.ErgebnisAbgegebene Stimmen 455 und 19 Berliner Abgeordnete; davonja: 235 und 10 Berliner Abgeordnete, nein: 220 und 9 Berliner AbgeordneteJaSPDAhlersDr. Ahrens AmlingDr. ApelArendtAugsteinBaackBahrDr. Bardens BatzBecker BiermannBindigDr. Böhme
Frau von BothmerBrandt
BrückBuchstaller Büchler Büchner (Speyer)Dr. von BülowBuschfortDr. Bußmann ColletConradiCoppikDr. Corterier CurdtFrau Dr. CzempielFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDr. von DohnanyiDürrDr. Ehmke Dr. EhrenbergEickmeyerFrau Eilers
Dr. EmmerlichDr. Enders EngholmFrau Erler EstersEwenFiebigDr. Fischer Frau Dr. FockeFranke Friedrich (Würzburg) GanselGerstl
GertzenDr. Geßner GlombigGobrecht Grobecker Gscheidle Dr. Haack HaarHaase
Haehser HansenFrau Dr. HartensteinHauckDr. Hauff HenkeHeyennHofmann
Dr. Holtz HornFrau Huber HuonkerImmer
Jahn
JaunichDr. Jens
Junghans Jungmann JunkerKaffkaKirschnerKlein
KonradKratzKretkowskiDr. KreutzmannKrockert Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lattmann Dr. LauritzenLeberLempLendersFrau Dr. LepsiusLiedtkeDr. Linde LutzMahneMarquardt MarschallFrau Dr. Martiny-Glotz MatthöferDr. Meinecke Meinike (Oberhausen) MeininghausMenzelMöhringMüller
Müller
Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNehmNeumann Neumann (Stelle)Dr. Nöbel Offergeld OostergeteloPaterna
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10367
Vizepräsident Frau FunckePawelczykPeiterDr. PennerPensky PeterPolkehn Porzner Rapp
Rappe
Frau Renger ReuschenbachRohdeRosenthalRothSander SaxowskiDr. SchachtschabelSchäfer
Dr. Schäfer SchefflerSchirmer Schlaga SchluckebierDr. Schmidt Schmidt (Hamburg) Schmidt (Niederselters) Schmidt (Wattenscheid) Schmidt (Würgendorf)Dr. SchmudeDr. SchöfbergerSchulte
Dr. Schwencke Dr. Schwenk (Stade)SielerFrau Simonis SimpfendörferDr. SperlingDr. SpöriStahl
Dr. StegerFrau Steinhauer StocklebenStöcklSybertz Thüsing Frau Dr. TimmTönjes Topmann Frau TraupeUeberhorstUrbaniakDr. Vogel VogelsangVoigt Walkhoff WaltematheWaltherDr. Weber
WehnerWeisskirchen WendtDr. WernitzWestphal Wiefel WilhelmWimmer WischnewskiDr. de WithWittmann Wolfram (Recklinghausen) WredeWüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch ZeitlerBerliner AbgeordneteBühlingDr. Diederich
Dr. Dübber EgertLöfflerMänningMattickFrau Schlei Schulze
FDPAngermeyer Dr. BangemannBaumCronenberg Eimer Engelhard Frau Funcke GärtnerGallusGattermann Genscher GrünerFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann HölscherHoffieJungKleinertDr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff LudewigDr. Dr. h. c. Maihofer Frau Matthäus-Maier MerkerMischnick Möllemann PaintnerPeters Schäfer (Mainz) Schmidt (Kempten)von Schoeler Frau Schuchardt SpitzmüllerDr. Vohrer Dr. WendigWolfgramm WurbsZywietzBerliner Abgeordneter HoppeNeinCDU/CSUDr. Abelein Dr. AlthammerDr. Arnold Dr. Barzel BayhaDr. Becher
Dr. Becker Frau BenedixBenzBerger
Berger BiecheleBiehleDr. BlümBlumenfeldBöhm
Dr. Bötsch BraunBrollBühler BurgerCarstens
Carstens Conrad (Riegelsberg)Dr. Czaja DammDawekeDr. DollingerDr. Dregger DreyerEngelsbergerErhard ErnestiDr. Evers EyEymer FeinendegenFrau FischerFrancke FrankeDr. FriedmannDr. Früh Dr. Fuchs Frau Geier GeisenhoferDr. von GeldernDr. George Gerlach GersteinGerster •Gierenstein GlosHaase
Dr. Häfele Dr. HammansHandlos Hanz
Dr. Hennigvon der Heydt Freiherrvon Massenbach HöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. Hornhues HorstmeierDr. Hubrig Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Dr. Jaeger Jäger
Dr. Jahn
Dr. JenningerDr. Jentsch Dr. JobstJostenFrau KarwatzkiKatzerKiechleDr. Klein Klein (München)Dr. KlepschDr. Köhler Dr. Köhler (Wolfsburg) KösterDr. Kohl KolbKrampeDr. Kraske KrausDr. Kreile KreyFrau Krone-AppuhnDr. Kunz Lagershausen LampersbachLandréDr. LangguthDr. Langner Dr. Laufs Lemmrich LenzerLinkLintnerLöherDr. Luda Dr. Marx Dr. Mende Dr. Mertes
MetzDr. Meyer zu BentrupDr. Mikat Dr. Miltner MilzDr. Möller Dr. Müller Müller
Dr. Narjes Neuhaus Frau Dr. NeumeisterNiegelNordlohne Frau Pack Petersen Pfeffermann PfeiferPicardPierothDr. Pinger Pohlmann PrangenbergDr. Probst RainerRaweReddemann RegenspurgerReicholdDr. ReimersFrau Dr. Riede
Dr. Riedl
Dr. RiesenhuberDr. RitzRöhnerDr. RoseRüheRusseSauer
Sauter
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinDr. SchäubleSchartz
SchedlSchetterFrau SchleicherSchmidt
Schmitz
SchmöleDr. SchneiderSchröder
Schröder Dr. Schulte (SchwäbischGmünd) Schwarz Dr. SchwörerSeitersSickDr. Freiherr Spies von BüllesheimSpilkerSpranger Dr. Sprung Stahlberg Dr. Stark
Graf StauffenbergDr. StavenhagenDr. SterckenStommel
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10368 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Vizepräsident Frau FunckeStücklen StutzerSussetde Terra Tillmann Dr. TodenhöferFrau TüblerDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Voigt
Volmer Dr. Voss Dr. WaffenschmidtDr. WaigelDr. WarnkeDr. von WartenbergWeber Weiskirch (Olpe)Dr. von WeizsäckerWernerFrau Dr. WexFrau Will-FeldFrau Dr. WilmsWimmer
WindelenFrau Dr. Wisniewski Wissebach WissmannDr. Wittmann
Dr. WörnerBaron von WrangelWürzbach Dr. Wulff Dr. Zeitel ZeyerDr. ZimmermannZinkBerliner AbgeordneteAmrehnFrau Berger
Dr. GradlKittelmann Kunz Dr. Pfennig Frau Pieser Straßmeir WohlrabeDamit ist der Einzelplan 04 angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe nun auf:
Einzelplan 05Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — Drucksachen 8/2405, 8/2470 — Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Bußmann, GärtnerWünschen die Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Picard.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich mich den eigentlichen, wenigen Haushaltsbemerkungen zum Einzelplan 05 zuwende, möchte ich eine Vorbemerkung machen. Der Herr Bundeskanzler sagte heute, das sei der Etat des Außenministers, von Amts und Verfassungs wegen. Ich wäre sehr dankbar gewesen, wenn der Herr Bundeskanzler gesagt hätte, daß der Herr Außenminister nicht nur von Amts und Verfassungs wegen, sondern auch tatsächlich Außenminister ist.
Wir haben im Laufe dieses Jahres mit einiger Sorge festgestellt, daß das Gewicht des Außenministers sowohl im Kabinett wie in der Öffentlichkeit abgenommen und daß dafür das Gewicht des Präsidenten der Sozialistischen Internationale, Brandt, und des heimlichen Außenministers der SPD, Wischnewski, zugenommen hat.
Einen Augenblick bitte, Herr Kollege. Ich möchte Ihnen gerne ein bißchen mehr Gehör verschaffen. Meine Damen und Herren, ich bitte doch, die Plätze einzunehmen bzw. eventuelle Gespräche außerhalb des Raumes zu führen.
Bitte schön, Herr Kollege.
Ich verweise auf die Berichte über die Tagung der Sozialistischen Internationale in Vancouver, von der ich nur in Erinnerung rufen möchte, was die Herren Brandt und Wischnewski zur deutschen Afrikapolitik gesagt haben. Selbst wenn man voll des Wohlwollens ist und berücksichtigt, daß auf einer Parteiveranstaltung vielleicht etwas kräftigere Worte üblich sind und auch gesprochen werden, kann man nicht umhin, eine tiefe Diskrepanz zwischen der offiziellen deutschen Afrikapolitik und dem festzustellen, was die Herren Brandt und Wischnewski von sich gegeben haben. Das macht uns Sorge.Es erhebt sich natürlich die Frage: Wie ist es zu diesem Rückgang an Gewicht und Einfluß des Bundesaußenministers gekommen? Da gibt es zwei Gründe. Der eine Grund liegt darin, daß Herr Genscher in seiner eigenen Partei keine breite Basis mehr hat, daß sich Teile dieser Partei — das könnten wir für gut halten, wenn wir von kurzsichtigem eigenem Interesse ausgingen; wir halten es aber für schlecht — vielmehr in einem politischen Fahrwasser bewegen, das zu der Frage Anlaß gibt, wohin die Reise geht. Denn diese Koalition ist ja nicht nur von der Gewerkschaft Coppik, Hansen und Genossen abhängig, sondern sie ist ja, wie wir gesehen haben, auch von einer kleinen Gruppe innerhalb der FDP abhängig.Wenn der Bundesaußenminister Schwierigkeiten hat, die seine Partei betreffen, wenn ihm die Partei aus dem Ruder läuft, kann uns das egal sein. Das betrachten wir als Politiker mit Interesse, aber es interessiert uns nicht im Parlament. Wenn ihm aber aus solchen und auch aus anderen Gründen — um der Erhaltung der Koalition willen muß die FDP heute nämlich mehr opfern als früher — die deutsche Außenpolitik aus dem Ruder läuft und er in doch entscheidenden Fragen den Kurs nur noch verbal und nicht mehr tatsächlich bestimmt, dann müssen wir ihm auch von der Opposition wünschen, daß er seine Position, die er einmal gehabt haben soll, zurückgewinnt.
Das war eine einleitende Bemerkung. Herr Bundesaußenminister, Sie sehen also, wir machen uns nicht unberechtigt Sorge um die deutsche Außenpolitik, weil Sie etwas ins zweite Glied gerückt sind. Wenn Außenpolitik betrieben wird, dann wird auf internationalen Konferenzen in Guadeloupe oder auf Jamaika oder wo auch immer entschieden. Sie dürfen dann die Entscheidungen nachvollziehen oder testieren. Das ist ein unbefriedigender Zustand.Nun einige Bemerkungen zum Haushalt. Wir haben bei den Haushaltsberatungen intensive Personalberatungen gepflogen und haben übereinstimmend einschneidende Kürzungen beschlossen. Im Zusammenhang mit dem Einzelplan 05 läßt sich nicht leugnen, daß Außenpolitik an Personen gebunden ist. Es
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Picardgibt einige einschneidende Personalentscheidungen, von denen die Regierung in ihrem eigenen Interesse eigentlich hätte abraten müssen. Es ist offenbar so, daß die Regierung nicht stark genug ist, ihre Vorstellungen innerhalb ihrer eigenen, sie tragenden — oder ertragenden — Parteien durchzusetzen.Ich will nur eine Bemerkung machen. Wer Schwerpunkte deutscher Außenpolitik da und dort festlegt und der Auffassung ist, daß man entweder personelle Verstärkungen oder qualifizierte Beamte und deshalb bessere Stellenausstattungen braucht, der muß sich ein kleines bißchen mehr Mühe geben, im Haushaltsausschuß darzulegen, warum das so ist. Ich glaube, es ist richtig, daß der Haushaltsausschuß deutlich gemacht hat: Es genügt nicht, wenn man einmal im Jahr mit nachgeordneten Beamten erscheint, die, auch wenn sie sich Mühe geben, nicht in der Lage sind, die zwingende Notwendigkeit von Personalentscheidungen, die der Haushaltsausschuß zu treffen hat, darzulegen.Die zweite Bemerkung. Wir können zehnmal oder hundertmal erklären und schreiben, das Schwergewicht deutscher auswärtiger Kulturpolitik liege neben dem einen oder anderen Bereich in den Vereinigten Staaten. Wenn wir nicht in der Lage sind. die nötige Repräsentanz aufzubauen, sollten wir nicht Hoffnungen wecken und nicht Institute eröffnen, die wir nicht besetzen können. Das ist im Augenblick, scheint es, in einem neu zu eröffnenden Institut in Texas im Gang. Es ist nicht gut, wenn wir gerade in einem Teil der Vereinigten Staaten, in dem wir eine enorme Sympathie genießen und wachsende wirtschaftliche Interessen haben, Hoffnungen erwecken und Ankündigungen von uns geben, die wir nicht erfüllen können. Das muß, scheint mir, nicht nur im Auswärtigen Ausschuß und seinem Unterausschuß „Auswärtige Kulturpolitik", sondern auch im Haushaltsausschuß deutlich klargemacht werden. Es gibt leider Gottes Häuser, die das besser fertigbringen als das Auswärtige Amt.Nun lassen Sie mich eine Bemerkung zur Ausrüstungshilfe machen. Wir haben hier gestern abend kurz über Entwicklungshilfe debattiert. Ich habe zum Ausdruck gebracht, daß Mittel und Methoden der Entwicklungshilfe auch unter Berücksichtigung unserer allgemeinen außenpolitischen Interessen einzusetzen sind. Das gilt noch viel mehr für die Ausrüstungshilfe. Ich stehe nicht an, für meine Fraktion zu erklären, daß wir die Ausrüstungshilfe bejahen.Dennoch möchte ich eine kritische Bemerkung machen._ Im Einzelplan 05 für 1979 sind die Ansätze für Ausrüstungshilfe erheblich erhöht und ist die Zahl der Länder erweitert worden. Wenn man die Länder durchgeht, stellt man fest, daß das eine oder andere darunter ist, bei dem man ein Fragezeichen machen und prüfen muß, ob es sinnvoll ist, z. B. durch ein ausgedehntes Polizeiprogramm ein Regime zu stärken, das mit unseren Vorstellungen weithin nicht übereinstimmt, und ob wir Ländern Ausrüstungshilfe vielleicht unter dem Stichwort „Stärkung der Frontstaaten" zu geben haben. Ich habe nichts dagegen, wenn wir in gewissen innen-politischen Schwierigkeiten befindliche Länder stärken. Im Gegenteil.
Aber wir müssen natürlich auch sehen, welche allgemeinen politischen Wirkungen das haben kann.
Es ist nicht gut, wenn wir den Eindruck erwecken, daß wir sogenannte Befreiungsbewegungen auf der einen Seite stärken, die auf der anderen Seite unsere offiziell betriebenen ausgewogenen,
auf Ausgleich und Frieden zielenden
außenpolitischen Bemühungen konterkarieren.
Herr Abgeordneter, Haase, ich rufe Sie zur Ordnung.
Frau Präsidentin! Mir steht es nicht zu, eine Bemerkung dazu zu machen. Nur: Ich habe gestern festgestellt, daß — —
— Einen Augenblick, Herr Kollege Haase. Ich habe gestern abend festgestellt, daß — wahrscheinlich aus der Schwierigkeit, den ganzen Saal zu übersehen —
die Kollegen im Saal von seiten des Präsidenten viel härter als die Herren auf der Regierungsbank angefaßt werden.
Ich nehme das zum Anlaß, diese Bemerkung hier zu machen, weil ich mich gestern abend sehr darüber geärgert habe.
Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen zur auswärtigen Kulturpolitik machen. Die auswärtige Kulturpolitik ist in diesem Haus seit vielen Jahren immer in weitgehender Übereinstimmung gemacht worden. Ich denke, daß diese Bereitschaft der drei Fraktionen, einer allgemein akzeptierten Linie zu folgen, sich wird aufrechterhalten lassen.In dem Zweijahresbericht des Auswärtigen Amts für 1976/77 steht unter den Zielen der auswärtigen
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10370 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
PicardKulturpolitik als Punkt 5 — ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren —:Dem Ausland ist ein wirklichkeitsnahes, auch selbstkritisches Bild der Bundesrepublik Deutschland zu vermitteln, um dadurch um mehr Verständnis für unseren Staat zu werben. Der in letzter Zeit verschiedentlich feststellbaren Verzerrung des Deutschlandbildes muß durch ausgewogene Darstellung der tatsächlichen Verhältnisse entgegengewirkt werden.Ich möchte eine klare Feststellung treffen. Nicht nur ich, sondern auch meine Fraktion, wir sind geradezu leidenschaftlich bereit, uns für die Eigenständigkeit, die Freiheit und die Unabhängigkeit der Mittlerorganisationen einzusetzen, und haben das in langer mühevoller Arbeit gerade jüngst bei Inter Nationes bewiesen, daß wir das so meinen, wie ich das jetzt hier gesagt habe. Dennoch lassen wir auch keinen Zweifel daran, daß das, was in den Empfehlungen der Enquete-Kommission und in der Stellungnahme der Bundesregierung steht, ebenso notwendig ist, nämlich: Die auswärtige Kulturpolitik kann nicht anders, als sich der allgemeinen, sich im wesentlichen an unseren eigenen Interessen orientierenden Außenpolitik, sagen wir, nicht unterzuordnen, aber einzuordnen. Es darf nicht sein, daß auswärtige Kulturpolitik z. B. dazu dient, dem Ziel, von dem ich eben sprach, nicht zu entsprechen, sondern es zu erschweren oder gar zu konterkarieren.Ich habe vor mir eine Anleitung liegen, Vorschläge zu Unterrichtseinheiten im Bereich der Deutschlandstudien für Großbritannien. Wer Großbritannien kennt — und ich denke, wir kennen es alle, es ist eines unserer Nachbarländer und ein Land in der EG —, der weiß sehr wohl, mit welcher Aufmerksamkeit und mit welcher Distanz die Bundesrepublik deshalb betrachtet wird, auch von Großbritannien und von vielen Menschen in diesem Lande, weil wir eine sehr bittere Vergangenheit haben. Lassen Sie mich deshalb den Versuch machen, einmal darzulegen, wie nach Meinung einer ganzen Reihe von Lektoren — es sind, glaube ich, ihrer zehn, die das erstellt haben — ein „ausgewogenes Deutschlandbild" dargestellt werden soll.Ich greife einiges heraus: Pressekonzentration. Niemand leugnet, daß es in Deutschland eine Pressekonzentration gibt. Daß aber als einziger Text die „Gegengeschichten zur Bild-Zeitung" von Günter Wallraf, „Neue Reportagen, Untersuchungen, Lehrbeispiele", Köln 1972, rororo-Verlag, dienen und daß kein Wort in dieser ganzen Unterrichtseinheit davon zu lesen ist, daß die Pressekonzentration in Großbritannien um ein Vielfaches stärker ist als in der Bundesrepublik und daß unter allen westlichen Ländern die Bundesrepublik immer noch eines der Länder, wenn nicht das Land ist mit der größten Vielfalt unabhängiger und eigenständiger Tageszeitungen — das ist kein ausgewogenes Bild.Hinterher sehen Sie, welche Literaturhinweise gegeben sind. Das geht über das „Berliner Autorenkollektiv", Enzensberger, Böll, „Springer-Arbeitskreis der Kritischen Universität" usw. usf. Das ist natürlich nicht unwesentlich und nicht unwahr.Wenn ich aber über die Situation der deutschen Presse im Ausland reden muß — und ich tue das auch und ich tue das oft —, dann sage ich das auch, aber nicht nur, nicht ausschließlich. Ich würde mir wünschen, daß ein ausgewogenes Bild und nicht ein einseitiges, vorfabriziertes, einer ganz überspitzten Ideologie unterworfenes Bild von der Bundesrepublik gezeichnet wird.
Lassen Sie mich zu einem weiteren Beispiel kommen, zum KPD-Verbot. Lehr- und Lernziel: „Ursachen des Antikommunismus" ; nicht der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus, sondern des Antikommunismus. Ich weiß nicht, ob es Ihnen so geht wie mir. Wenn ich unvoreingenommen das Wort „Antikommunismus" höre, meine ich, es ist ein wesentlicher Unterschied zu der „Auseinandersetzung mit dem Kommunismus". Dann sehen Sie, daß nach dieser Anleitung die, ich möchte beinahe etwas polemisch sagen, „armen .DKP-Mitglieder" offiziell Nachteile aus ihrer Mitgliedschaft erfahren, können, trotz Parteienprivileg. Das Parteienprivileg wird hier wie üblicherweise herangezogen: natürlich von den Kommunisten. Aber ich nehme an, daß das keine Kommunisten sind, die da als Lektoren arbeiten. Man könnte jedoch den Eindruck haben. Das Parteienprivileg wird herangezogen als eine Schutzfunktion für Kommunisten.Frau Präsidentin, ich bitte um eine kleine Nachfrist wegen des Zeitverlustes, den ich- wegen des Lärms und der anderen Unterbrechung hatte.Dann kommt die „umgekehrte Demokratie", in der wir leben. Eine umgekehrte Demokratie sieht dann so aus. Nicht: je mehr Stimmen, desto legaler, sondern: je mehr Stimmen, desto illegaler. So wird die bundesdeutsche Wirklichkeit in Großbritannien dargestellt. Ich verstehe das nicht:DKP und DDR im Lichte des Artikels.Paradox: Hauptvorwurf gegen die DDR, daß sie genauso handelt, wie es die Bundesregierung vorhat, nämlich die fundamentale politische Opposition . .. als verfassungsfeindlich zu verbieten.Es ist selbstverständlich, daß die Begriffe „DDR" und „BRD" die Regel sind. In der ganzen Anleitung kommt die Bundesrepublik als Kürzel „BRD" vor und es heißt: „Die westdeutsche Ostgrenze ...". Weiter: „Es ist ... nicht nur verboten, politische Ziele mit illegalen Mitteln zu verfolgen ... , sondern auch, bestimmte politische Ziele mit legalen Mitteln anzustreben." In der Bundesrepublik Deutschland, d. h. in der „BRD", sind „grundsätzliche Veränderungen nicht möglich".Wenn Sie als junger Student in Großbritannien oder in Amerika sitzen und lassen sich das erzählen, dann können Sie doch gar nicht anders, als ein Schreckensbild von dieser Bundesrepublik zu bekommen. Wir nehmen Steuergelder, um das zu bezahlen; dann nehmen wir Steuergelder, um Leute hinzuschicken, um das, was wir vorher erreicht haben, wieder zu korrigieren.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10371
PicardMeine Damen und Herren, ich habe leider keine Zeit mehr zu zitieren. Ich habe das nur deshalb einmal getan, um darzutun, wie außerordentlich kompliziert und schwierig es ist, Eigenständigkeit, Selbständigkeit, Unabhängigkeit der Mittlerorganisationen auf der einen Seite zu bewahren und auf der anderen Seite dafür zu sorgen, daß in den Grundprinzipien eine hinreichende Übereinstimmung besteht.Abschließend: Wir haben unter den Vorhaben bei „Inter Nationes" für das laufende Jahr eine Reihe von Künstlerporträts. Darunter gibt es auch einen Grafiker. Der einzige Grafiker ist der Herr Staeck. Ich weiß ja nicht, ob derjenige, der diesen Plan entworfen hat, gemeint hat, den Herrn Staeck müßte man porträtieren, weil bei ihm der gegenwärtige Bundestagspräsident hoch zur Kuh für Deutschland reitet oder weil der gegenwärtige Ministerpräsident Bayerns als Schlächter mit blutverschmierter Schürze und langem Schlachtermesser von Herrn Staeck einmal als Kunstwerk präsentiert worden ist. Natürlich ist das bundesdeutsche Wirklichkeit. Da muß man aber wenigstens auch noch einen anderen Grafiker zeigen, und nicht nur einen.
Ich bin nicht der Meinung, daß man den einen nicht zeigen sollte. Ich bin aber der Meinung, daß man wenigstens auch noch einen anderen zeigen sollte. Das wäre ausgewogene auswärtige Kulturpolitik.Ich habe mir erlaubt, diese Bemerkungen zu machen, weil ich zu denen gehöre, die sich vom Interesse her mit diesem Thema beschäftigen und viel Mühe darauf verwenden, unseren Freunden und Gegnern im Ausland ein ausgewogenes, wirklichkeitsnahes Bild eines lebendigen, liberalen, demokratischen Deutschland zu geben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bußmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Picard hat über das Gewicht des Herrn Außenministers gesprochen, das Gewicht in dieser Regierung. Etwas ist ja daran, aber nur, was das körperliche Gewicht in diesem Fall anbetraf. Was die Rolle des Herrn Außenministers in dieser Koalitionsregierung anbetrifft, so hat sich der Herr Kollege Picard zum Teil ja selbst widersprochen. Allein der Hinweis auf die Sozialistische Internationale genügte ja. Etwa die Afrikapolitik der Bundesrepublik Deutschland ist ja wohl nicht die Afrikapolitik der Sozialistischen Internationale.
Letztlich sorgt ja auch das Gewicht des liberalen Außenministers in dieser Koalitionsregierung dafür, daß das so ist und daß hier ein Weg gefunden wird, der den politischen Bedingungen hier entspricht.
Die Sozialistische Internationale — das wissen Sie — ist ein Zusammenschluß von Parteien in etwa gleicher Richtung im politischen Wollen; aber auf keinen Fall sind die Koalitionsparteien dieser Regierung unter den Hut zu bringen Das wollen sie auch gar nicht, nehme ich jedenfalls an.
Aber wenn Sie in diesen internationalen Beziehungen Schwierigkeiten haben, dann schauen Sie lieber die Europäische Volkspartei an. Der Bundeskanzler hat eindrucksvoll geschildert, welche Schwierigkeiten es da im Verständnis zwischen fast allen anderen und Ihnen gibt, jedenfalls was die Rolle dieser Regierung anbetrifft.Nun, es ist sicherlich eindrucksvoll, zu sehen, welche Konzeption diese Regierung und dieser Außenminister gerade in der Afrikapolitik gefunden hat, von der man sagen kann, daß sie auch mit vernünftigen materiellen Mitteln ausgestattet ist.Herr Picard hat das Instrument der Ausrüstungshilfe angesprochen. Wir haben die Ausrüstungshilfe mit Ihrer Zustimmung auf 48 Millionen DM erhöht. Ich glaube, hier wird unsere Politik durch Material und Menschen unterstützt, die in einer Weise in Afrika wirken, wie es a) billiger im materiellen Sinne nicht geschehen könnte, denn es ist wirtschaftlich, was da geschieht — jeder, der in diese afrikanischen Staaten kommt, kann sich davon überzeugen —, und b) wird auf diese Art außerhälb der normalen diplomatischen Kanäle doch ein Einfluß ausgeübt, der uns manche Wege öffnet. Das war z. B. j» auch der Fall, als es gelang, in Somalia zu dem Ergebnis zu kommen, das erreicht wurde. Ich erinnere mich sehr gut, wie unsere Ausrüstungshilfe für Somalia im Auswärtigen Ausschuß heftig angefeindet wurde. Man stimmte ja auch dagegen. Heute wird das niemand mehr tun.So kann man noch einige andere Staaten hier in Zweifel ziehen. Aber ich glaube, letztlich hat die Grundphilosophie, die dahintersteht, ja auch einen gewissen Sinn, wenn man hier nicht immer Kriterien der europäisch-politischen Moral zugrunde legt. Dabei soll allerdings kein Zweifel darüber bestehen, daß die politische Moral im Sinne von Menschenrechten und Menschlichkeit gerade durch die Afrika-politik gewahrt werden soll, die jetzt konzipiert wurde und die tastend und vorsichtig ihren Weg auf internationaler Ebene, nämlich in den Vereinten Nationen und bei uns, zu gehen versucht.Nur diese wenigen Worte zum Gewicht dieses Mannes, der seine Außenpolitik hier persönlich repräsentiert, und zur Rolle, die die Außenpolitik etwa in unseren Beziehungen zu Afrika spielt und warum wir das Instruent der Ausrüstungshilfe für so wertvoll halten, obgleich es ein Instrument ist, auf Grund dessen keine Waffe und kein Flitzebogen und keine Kanone irgendwohin geschickt wird. Es handelt sich ausschließlich um Ausrüstungsgüter, die dem zivilen Bedarf dieser Länder dienen.
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10372 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dieser späten Stunde doch noch einige Worte zur deutschen Außenpolitik, die, Herr Picard, nicht unmittelbar mit dem Haushalt in Zusammenhang stehen.
— Ich hänge nicht dauernd provinziellen Geschäften nach, sondern gelegentlich mache ich auch einmal Weltpolitik, Herr Mertes. Erst nächste Woche beschäftige ich mich mit dem rheinland-pfälzischen Wahlkampf.
— Ich habe in Afrika die Gelegenheit gehabt, mit Herrn von Dohnanyi auch über den rheinland-pfälzischen Wahlkampf zu sprechen. So ist es nicht.Herr Picard, Ihre Anfangsbemerkungen zu den Ausführungen des Bundesaußenministers haben mich etwas verwirrt. Ich habe das Gefühl, es ist etwas mystisch, wenn Sie hier davon sprechen, dem Herrn Außenminister laufe die Außenpolitik sozusagen aus dem Ruder. Da wir gerade soeben etwas von Afrika gehört haben und vielleicht auch jetzt noch einiges dazu zu sagen wäre, würde ich Ihnen doch vielleicht — fassen Sie das bitte nicht als Arroganz auf — empfehlen, sich bei Ihren Reisen gelegentlich einmal nach dem Ruf des deutschen Außenministers in der Dritten Welt zu erkundigen. Ich glaube, Sie werden dann eines Besseren belehrt.
Meine Damen und Herren, was wir allerdings zu beklagen haben, das ist das, was heute morgen bei Herrn Kohl und bei anderen anklang und was sich so in dem Vorwurf niederschlägt, wir seien nicht eindeutig, nicht klar genug in der deutschen Außenpolitik. Wir haben zu beklagen, daß wir bei solchen Reisen leider immer wieder feststellen müssen, daß uns einige Kollegen der CDU/CSU in einer Weise in den Rücken fallen, daß es für uns sehr schwer ist, das zerschlagene Porzellan in diesen Ländern noch zu kitten. Einer der Betroffenen ist leider nicht im Saal; er hat sich heute hier nur verschiedentlich einmal gezeigt. Ich habe feststellen müssen, daß es andere Kollegen aus Ihrer Fraktion bei afrikanischen Politikern genauso schwer haben wie wir, daß sie sich distanzieren und erklären: Nun ja, diesem Herrn kann man ja nun nicht alles abnehmen. Wir stellen aber fest, er tritt dann im Fernsehen als d e r entwicklungspolitische Sprecher auf. Er spricht also mit der Autorität dieses Sprechers. Und dann distanzieren Sie sich im Ausland von diesem Herrn, wenn's peinlich wird, wenn uns dann z. B. der Außenminister von Botsuana in Arusha vor einigen Tagen sagt: „There is a chap called Todenhöfer, he came here, we never want to see him again", kann ich nur sagen: es ist bedauerlich, daß Sie dann nichtdafür sorgen — vielleicht Sie, Herr Mertes —, daß in der Reihe der CDU/CSU mal eine klarere Linie eingehalten wird,
damit man weiß, wo denn nun eigentlich Ihre Außenpolitik konsequent ist.
Meine Damen und Herren, wir haben auch zu beklagen — ich habe das in einem Schreiben an den Vorsitzenden Ihrer Fraktion vor einigen Wochen getan —, daß Sie uns in einer — wie ich meine — sehr sensiblen Angelegenheit in den Rücken gefallen sind. Ich weiß, daß Kollegen aus meiner Fraktion wie auch aus der SPD und Kollegen aus der CDU/CSU Einladungen aus Namibia erhalten haben zur Teilnahme an Wahlen, die, wie Sie wissen, nicht nur von den Vereinten Nationen, sondern auch von den Westmächten aus gutem Grund für null und nichtig erklärt worden sind. Wir waren davon ausgegangen, daß Sie sich so verhalten würden wie wir auch, nämlich diese Einladung abzulehnen; denn es war doch wohl erkennbar, worum es hier ging. Es ging um nichts anderes als um die Scheinlegitimation einer Wahl, bei der nicht etwa nur die SWAPO nicht teilgenommen hat, von der hier immer als der kommunistischen Mörder- und Terrororganisation gesprochen wird, sondern bei der z. B. auch die durchaus liberale NNF nicht teilgenommen hat, und zwar deshalb nicht — das können Sie in Denkschriften der Evangelischen Kirche nachlesen —, weil das, was dieser Wahl vorausgegangen ist, die Wählerregistrierung, bereits derart fragwürdig war, daß man von einer echten freien Wahl nicht sprechen konnte. Ihre Herren sind gefahren. Sie kamen zurück und haben erklärt, diese Wahlen seien eigentlich wunderbar verlaufen; korrekt, hieß es. Sie haben sich wieder mal — und das ist eigentlich etwas bedauerlich — weltpolitisch isoliert.
Ich kann nur feststellen, meine Damen und Herren: Obwohl die ganze Welt diese Wahl für null und nichtig erklärt und dieser Außenminister, dem Sie bestreiten, daß er eine gute Außenpolitik macht, mit Mühe, viel Geschick und in langen Verhandlungen in Pretoria erreicht hat, daß es eine zweite Wahl gibt, an der alle Kräfte teilnehmen, fahren Sie dorthin, erklären diese Wahl für richtig und sagen darüber hinaus sogar noch, wir müßten zur Kenntnis nehmen, daß die gewählten Vertreter in Namibia einst zu nehmen seien; über die hinweg könne man keine Politik mehr machen. Ich halte das für eine ganz gefährliche Entwicklung, und ich glaube, es kann nicht im Interesse einer gemeinsamen deutschen Außenpolitik liegen, wenn die Opposition sich auf diese Weise im Ausland gegen den gesamten Westen stellt.
Dann hat man hier die Befreiungsbewegungen mehrfach — zuletzt hat es Herr Picard getan — angesprochen. Ich habe den Eindruck, daß es sich die
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10373
Schäfer
Opposition mit der Beurteilung von Befreiungsbewegungen etwas zu einfach macht. Hier wird nach einem Schwarz-Weiß-Muster gestrickt. Ich lese Presseveröffentlichungen des Grafen Huyn, des Grafen Stauffenberg, Erklärungen des Herrn Todenhöfer; da wird das Wort „kommunistische Terrororganisation" querbeet gestreut. Man sagt, diese Bundesregierung habe sogar noch heimliche Sympathien für diese kommunistischen Terrororganisationen. Und keiner aus Ihrer Fraktion macht sich auch nur die Mühe, einmal historisch die Entwicklung dieser sogenannten Terrororganisationen zu prüfen und festzustellen, wo die Versäumnisse liegen zu einer Zeit, als die Mitglieder und Führer dieser Organisationen in ihren Ländern bereit waren zu friedlichen Lösungen, die man ihnen in Rhodesien durch Herrn Smith verwehrt hat und in Südafrika bis heute verwehrt.Wenn hier gesagt wird, wir leisteten dem Kommunismus gewissermaßen Vorschub, indem wir diese Organisation unterstützten, kann ich dazu nur sagen: Diejenigen, die heute nur ein bißchen verbal die südafrikanische Regierung kritisieren, im übrigen aber sehr deutliche Sympathien erkennen lassen, sollten morgen nicht beklagen, wenn es auch in Südafrika solche Organisationen geben wird, die nämlich zwangsläufig dort entstehen, wo Gewalt zum Prinzip geworden ist und wo Gewalt seit Jahren herrscht. Wundern Sie sich doch nicht, wenn Gewalt herrscht, daß Gegengewalt die Folge sein wird. Das ist das, was wir in Südafrika fürchten. Wer sagt, die südafrikanische Regierung sei ein Bollwerk gegen den Kommunismus und sie trage dazu bei, daß die böse Sowjetunion und die noch schlimmeren Kubaner nicht auch noch dort Fuß fassen, die sollten der südafrikanischen Regierung raten, von ihrer Apartheidspolitik endlich Abstand zu nehmen, und die sollten sich intensiver in Südafrika einsetzen, statt nur gelegentlich Wildparks auf Kosten der südafrikanischen Regierung zu besuchen, und sehr viele Abgeordnete haben das ja wohl in den vergangenen Jahren dort getan.
— Entschuldigen Sie, ich spiele hier durchaus auf Tatsachen an. Ich glaube, wenn man sich ständig in solche Länder einladen läßt, ist man in seinem Urteil nicht mehr so neutral.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Bitte schön.
Herr Kollege Schäfer, wenn nach Ihrer Auffassung strukturelle Gewalt auf Jahre hin unweigerlich zur Gegengewalt führen muß, teilen Sie dann — ich hoffe es nicht — die chinesische Auffassung, daß die strukturelle Gewalt in Osteuropa notwendigerweise Gegengewalt auslösen muß? Oder sind Sie nicht mit uns für die Ablehnung jeder Gewaltanwendung?
Herr Kollege Mertes, Sie hätten in Arusha genau zu diesem Punkt meine Antwort an einige afrikanische Politiker hören können. Ich habe davor gewarnt — das wollte ich auch noch sagen —, das zu tun, was man von uns in Afrika verlangt, nämlich Waffen an Befreiungsorganisationen zu liefern und insofern zur Gewalt beizutragen. Das tun wir gerade nicht. Aber wir machen es uns auch nicht so einfach, daß wir Entwicklungen, die wir seit Jahren verfolgen können, übersehen und auf der anderen Seite hinterher das, was dabei passiert, anprangern und letzten Endes wieder dem Osten dafür die Schuld geben, obwohl jahrelang große Versäumnisse des Westens vorgelegen haben.
Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang ein sehr interessantes Buch über die Versäumnisse und Zwänge deutscher Afrikapolitik — da mag am Anfang auch diese Regierung betroffen gewesen sein -empfehlen, erschienen bei rororo. In diesem Buch wird historisch deutlich gemacht, was eigentlich Gewaltanwendung in den letzten Jahren gewesen ist.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Todenhöfer?
Herr Todenhöfer, Sie sind erschienen; das ist sehr erfreulich. Bitte schön.
Ich bin sicher nicht wegen Ihnen erschienen. Aber ich darf eine Frage stellen. Sie sprachen von Gewalt, Gegengewalt, Widerstandsrecht. Gibt es ein Widerstandsrecht auf dieser Welt, das Gewalt gegen Zivilpersonen erlaubt, wie es die von Ihnen genannten Befreiungsbewegungen — Patriotische Front, SWAPO — immer wieder gegen Zivilpersonen, d. h. Frauen, Kinder und alte Männer, anwenden?
Herr Todenhöfer, zunächst werden die Behauptungen, es handle sich dabei immer nur um Überfälle von Guerillaorganisationen, nicht überprüft. Es gibt ja Hinweise darauf, die es zumindest wahrscheinlich machen, daß auch die Gegenseite mit solchen Methoden operiert. Überprüfen Sie es bitte, und stellen Sie dann fest, ob Ihre Behauptung, es seien ausschließlich immer die Guerillaorganisationen, noch richtig ist.
Ich will Ihnen hier ganz klar sagen, Herr Todenhöfer: Die Tatsache, daß man jahrzehntelang die moderaten Führer der Schwarzen in diesen Ländern nicht zur Kenntnis genommen hat, daß man sie vielmehr eingesperrt, ins Gefängnis geworfen hat — Nkomo zum Beispiel auch —, daß es RobbenIsland heute noch gibt, können Sie einfach nicht übersehen bei dieser tragischen Entwicklung. Ich billige Ihnen ja zu, daß diese Gewalt natürlich
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Schäfer
schauerlich ist, daß wir uns dagegen wehren und versuchen müssen, unseren Einfluß geltend zu machen. Aber tun Sie doch bitte nicht so, als hätte da plötzlich eine böse kommunistische Guerillaorganisation angefangen, Menschen zu morden. In Wirklichkeit handelt es sich doch einfach um Reaktionen auf eine katastrophale Politik der betreffenden Regierungen in den letzten Jahren. Das werden Sie in Gesprächen mit Afrikanern sicher auch sehr deutlich gehört haben.
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Gestatten Sie noch eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Todenhöfer?
Bitte sehr.
Herr Kollege, wenn Sie von schauerlichen Morgen sprechen, wie erklären Sie es sich dann, daß die Bundesregierung direkt oder indirekt — zum Teil über multinationale Organisationen — die terroristischen Organisationen, die jetzt diese schauerlichen Mordtaten begehen, unterstützt?
Zunächst: Die Bundesregierung unterstützt diese Organisationen nicht, wie Sie das immer andeuten, in der Weise, daß sie Waffen liefert, sondern sie hilft durch humanitäre Leistungen. Ich habe z. B. auch diese Lager in Sambia gesehen, Herr Todenhöfer. Die Bundesregierung hilft, gräßliches Elend, durch wessen Schuld es auch immer entstand, zu mildern. Ich finde das allerdings eine Politik, die wir auch in Zukunft fortsetzen sollten.
Ich möchte zum Schluß noch einige ganz kurze Bemerkungen zu dem machen, was bei Herrn Kohl so pauschal über Afghanistan, über den Libanon, über den Mittleren und den Nahen Osten anklang. Er hat heute morgen gesagt, der Herr Bundeskanzler stelle sich diesen Fragen gar nicht, hièr sei ein beredtes Schweigen vorhanden. Man kann sich ja vorstellen, was damit gemeint ist. Es wird also hier wieder Sympathie für diese Entwicklungen unterstellt. Es wird wieder nach dem Schwarz-Weiß-Strickmuster vorgegangen, daß man sagt — wir haben das von Ihnen schon öfter gehört —: Hier steht im Hintergrund immer Moskau, dieses Moskau, das alle diese Revolten anzettelt, im Iran im Grunde genommen natürlich auch. — Natürlich greift Moskau ein, wenn es eine Chance sieht, seine weltpolitischen Möglichkeiten zu verbessern. Ich kann nur sagen, wir wollen das verhindern. Aber wir können es doch beispielsweise nicht dadurch verhindern, daß wir' uns zur Unzeit mit Regimen in Übereinstimmung befinden, wenn man bereits erkennt, daß diese Regime von ihren Völkern eben nicht mehr getragen werden. Ich glaube, es ist sehr unglücklich, wenn dann zu einem solchen Zeitpunkt immer noch der alte Fehler des Westens gemacht wird, daß man Sympathie hat, weil der betreffende Herr lange Zeit auf der Seite des Westens stand. Sie sollten da eine Äußerung
des so viel geschmähten amerikanischen Präsidenten Carter vielleicht auch mal zur Kenntnis nehmen, der gesagt hat — und ich finde es war eine seiner besten Äußerungen —: Wir unterstützen keine Diktatoren, auch wenn sie sich antikommunistisch geben. Ich glaube, diese neue Linie der amerikanischen Außenpolitik ist eine gewisse Zeitlang durchgehalten worden und deutet wirklich darauf hin, daß man endlich von dieser einäugigen Betrachtung des Weltgeschehens und auch der Gewaltdiskussion wegkommt.
Ich kann nur sagen, meine Damen und Herren, die Außenpolitik dieses Außenministers und dieses Bundeskanzlers ist klar und eindeutig. Da gibt es keine Gegensätze, wie Sie sie jetzt ständig konstruieren. Ich kann nur sagen, wir können uns mit dieser Außenpolitik jedenfalls in der ganzen Welt sehen lassen. Wir würden Ihnen wünschen, gelegentlich vielleicht etwas objektiver über diese Politik zu urteilen.
Das Wort hat Frau Staatsminister Hamm-Brücher.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte gern ganz kurz auf einige Bemerkungen des. Kollegen Picard eingehen.
— Nein, nein, ich möchte im Hinblick auf die von ihm ja auch hervorgehobene gute Zusammenarbeit im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik im allgemeinen und im Bereich der Durchführung des Enquete-Berichts des Deutschen Bundestages im besonderen gern versuchen, hier eine Erwiderung zu geben.Herr Kollege Picard, wenn das Ihre einzigen Gravamen sind, die einer künftigen weiteren guten Zusammenarbeit im Wege stehen könnten, dann bin ich sehr erleichtert. Ich kann Ihnen versichern, daß Ihre Bemerkungen wie immer sehr ernstgenommen werden. Aber ich glaube, daß wir hier doch einige Dinge richtigstellen müssen.Zuerst Ihre Bemerkungen zu den Goethe-Instituten in den Vereinigten Staaten. Wir haben in den letzten Jahren die Zahl der Goethe-Institute in den USA verdoppelt. Wir sind dabei, das fünfte Institut einzuweihen und vorzubereiten. Das ist das von Ihnen genannte Institut in Houston .
— Nein, das ist ja eine der wenigen Stellen, die der Haushaltsausschuß mit Ihrer Unterstützung, Herr Picard, dankenswerterweise genehmigt hat. Mit einem Mann werden wir dieses Institut nicht beginnen,. sondern mit einer zwar nicht übermäßigen, aber ausreichenden Grundausstattung.Ich wollte Ihnen in diesem Zusammenhang auch folgendes sagen, Herr Kollege Picard. Die Bedeutung der Kulturbeziehungen zu unserem wichtigsten
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Staatsminister Frau Dr. Hamm-Brücherüberseeischen Bündnispartner ist uns klar: Sie wissen, wie sehr wir uns darum bemüht haben, in allen Bereichen der Fulbright'-Stipendien, des Schüleraustausches, der Förderung des Deutschunterrichts, im Hochschul- und Wissenschaftsbereich gerade in den Vereinigten Staaten eine notwendige Festigung und Stärkung zur Ergänzung unserer politischen, wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen zu erreichen, womit das, was Sie ein ausgewogenes Deutschlandbild nannten, auch stabilisiert werden sollte. Das war Ihre erste Bemerkung.Sie haben dann. zwei Beispiele genannt, Herr Kollege Picard, in denen Sie Besorgnis geäußert haben, ob hier die Ausgewogenheit der Darstellung der Situation in unserem Lande gewahrt ist. Nun, wir haben beim Deutschen Akademischen Austauschdienst rückgefragt und festgestellt, daß es richtig ist, daß einige Lektoren in Großbritannien Anleitungen für den Unterricht an britischen Universitäten für Germanistikstudenten ausgearbeitet haben. Wenn ich es richtig sehe, haben Sie aus der Version des Jahres 1976 vorgelesen. Unterdessen liegt uns eine Version aus dem Jahre 1978 vor, in der die Beispiele, die Sie hier genannt haben, Herr Picard, nicht mehr enthalten sind. Bei genauerer Durchsicht muß ich Ihnen aber zugeben, daß auch die Fassung 1978 nicht dem Prinzip der Ausgewogenheit entspricht und daß wir den DAAD bitten werden, bei der nächsten Zusammenkunft mit den Lektoren aus Großbritannien diese Frage erneut aufzugreifen.Ergänzend und zur Information möchte ich noch hinzufügen: Diese Lektoren sind Angestellte der britischen Universitäten und erhalten aus der Bundesrepublik über den DAAD nur gewisse Ausgleichszahlungen, was uns aber nicht der Verpflichtung enthebt, die Prinzipien unserer auswärtigen Kulturpolitik auch in diesem Bereich zum Tragen kommen zu lassen; das sollte selbstverständlich sein.
Bei dem dritten Beispiel haben Sie, Herr Kollege Picard, nun wirklich ein Schreckgespenst an die Wand gemalt. Es handelt sich um die Planung eines Referenten bei Inter Nationes. Herr Kollege Picard, wir sitzen doch im Verwaltungsrat von Inter Nationes sehr kollegial und friedlich zusammen. Eine Anfrage in diesem zuständigen Gremium würde ausreichen, um Sie darüber zu informieren, daß über dieses Projekt überhaupt noch nicht befunden wurde und daß es deshalb nicht angebracht ist, hier im Parlament ein Schreckgemälde einer nicht ausgewogenen auswärtigen Kulturpolitik an die Wand zu malen.
Frau Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?
Jawohl, gerne.
Gnädige Frau, darf ich einmal, wenn Sie sich die Liste der Porträts, die
da vorgesehen ist, durchsehen — ich habe sie mir in einer langweiligen Haushaltsstunde oben in der 25. Etage auch einmal angesehen; das sind alles „spezielle" Freunde von uns christlichen Demokraten —, fragen, wobei ich ja gar nicht auf die anderen abstellen will: Muß es denn unbedingt auch jemand sein, mit dem die halbe CDU/CSU-Fraktion in Prozessen und vor dem Richter steht? Muß es denn derjenige sein? Das ist doch — wenn ich das einmal sagen darf, gnädige Frau — eine Provokation.
Herr Kollege, ich darf noch einmal auf meine vorherige Bemerkung zurückkommen. Wir werden auch in diesem Bereich dafür Sorge tragen, daß die Ausgewogenheit in der Darstellung ehrgestellt wird, und Sie dürfen versichert sein, daß wir selbstverständlich Ihre Wünsche und Vorstellungen dabei berücksichtigen werden, und dies um so mehr, als zwei namhafte Vertreter Ihrer Fraktion in den zuständigen Gremien sitzen und dort. dann ja auch ihren Mund auftun können.
Frau Staatsminister, gestatten Sie noch eine weitere Frage?
Ja, gerne.
Bitte, Herr Abgeordneter Picard.
Frau Staatsminister, sollte Ihnen entgangen sein, daß ich ausdrücklich von der Planung gesprochen habe? Und stimmen Sie nicht mit mir darin überein, daß jemand, der schon viele Jahre in einer solchen Organisation arbeitet, eigentlich das Prinzip der Ausgewogenheit kennen müßte und sich angesichts der Tatsache, daß namhafte Vertreter der CDU/CSU-Fraktion dort in den Gremien sitzen, eigentlich überlegen müßte, welche Wirkungen eine so einseitig überakzentuierte Sache haben muß, bevor er zu planen anfängt?
Herr Kollege Picard, Inter Nationes ist ein eingetragener Verein und keine nachgeordnete Dienststelle des Auswärtigen Amtes. Sie haben die Planung zur Kenntnis genommen. Wir beide sind Mitglieder dieses Vereins und Mitglieder des Verwaltungsrates, und wir werden an der richtigen Stelle zur richtigen Zeit diese Sache zur Sprache bringen. Hier das Parlament zu alarmieren, ist wirklich völlig überflüssig.
Zu guter Letzt aber, meine Damen und Herren, noch ein versöhnliches und friedliches Wort: Ich möchte mich bei Ihnen, bei den Kollegen im Haushaltsausschuß und im Unterausschuß Auswärtige
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Staatsminister Frau Dr. Hamm-BrücherKulturpolitik außerordentlich herzlich dafür bedanken, daß es uns in diesem Jahr gelungen ist, die Ansätze für die Kulturbeziehungen zum erstenmal beträchtlich anzuheben. Ich darf Ihnen versichern, daß wir den Zuwachs von 11,7% in unserem Kulturfonds nicht mit der Gießkanne über Gut und Böse ausgießen werden, sondern sehr gezielt die Schwerpunkte der auswärtigen Kulturpolitik — wie von Ihnen angeregt und wie von uns übernommen — Schritt für Schritt realisieren werden, damit wir tatsächlich in der Außenpolitik neben den politischen, den diplomatischen und den wirtschaftlichen Beziehungen die Kulturbeziehungen zur Stabilisierung unseres Ansehens in der Welt einsetzen können.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Dann schließe ich die allgemeine Aussprache.Zu Einzelplan 05 liegt der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Drucksache 8/2484 Ziffer 2 vor. Das Wort zur Begründung und Aussprache wird nicht gewünscht.Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen damit zur Abstimmung über Einzelplan 05 in der vom Ausschuß vorgelegten Fassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —Das erste war die Mehrheit. Einzelplan 05 ist angenommen.Ich rufe auf: Einzelplan 27Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen— Drucksache 8/2420 —Berichterstatter: Abgeordneter AugsteinWünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Auch das ist nicht der Fall.Es liegt der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Drucksache 8/2484 Ziffer 11 vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann kommen wir zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Drucksache 8/2484 Ziffer 11. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung über Einzelplan 27 in der vom Ausschuß vorgelegten Fassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einzelplan 27 ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe auf: Einzelplan 14Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung— Drucksachen 8/2414, 8/2470 — Berichterstatter:Abgeordnete Hauser ,Stöckl, Haase , Dr. Riedl (München)Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. — Das Wort zur Aussprache hat Herr Abgeordneter Hauser.Hauser (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich bin gebeten worden, meine ursprünglich vorgesehenen Ausführungen zu kürzen. Ich will mich darum bemühen. Ich tue es in der Hoffnung, daß später nicht der Vorwurf erhoben wird, die Ablehnung dieses Einzelplans sei nicht hinreichend begründet worden.Bei der Beratung des Haushaltsplans 1978 vor einem Jahr mußten wir uns mit Verteidigungsminister Leber, seiner gescheiterten Politik, mit Skandalen und Personalquerelen im Verteidigungsbereich und mit dem für vieles verantwortlichen Staatssekretär Fingerhut auseinandersetzen. Inzwischen ist Herr Minister Leber gegangen. Staatssekretär Fingerhut ist gegangen. Die Gründe, die 1977 zur erstmaligen Ablehnung des Verteidigungshaushalts durch die CDU/CSU-Opposition führten, sind damit nicht beseitigt.Einer der Gründe war, daß entgegen all unseren Warnungen und entgegen den ursprünglichen Auffassungen selbst des verantwortlichen Ressortministers die Koalitionsfraktionen mit der Novelle des Wehrpflicht- und des Zivildienstgesetzes vom 1. August 1977 den jungen Männern in der Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit gaben, sich mittels Postkarte als Wehrdienstverweigerer auszugeben und damit den Wehrdienst aufzukündigen, ohne dafür in vielen Fällen einen zudem oft noch bequemeren Zivildienst einzutauschen. Zwar wurde diese praktische Aufhebung der allgemeinen Wehrpflicht durch die erfolgreiche Verfassungsklage der CDU/ CSU beim Bundesverfassungsgericht zunächst — am 15. Dezember — durch einstweilige Anordnung und dann am 13. April 1978 als verfassungswidrig außer Kraft gesetzt; der verheerende Schaden dieses ideologisch verbrämten Gesetzeswerks ist damit aber noch keineswegs beseitigt.Ich habe die genaue Entwicklung der Zahlen über die Wehrdienstverweigerung vorliegen. Ich will sie Ihnen wegen der Kürze nicht im einzelnen vortragen. Fest steht, daß wir vor dieser Wehrdienstnovelle im Jahre 1976 einen Monatsdurchschnitt von zirka 3 000 Kriegsdienstverweigerungsmeldungen hatten. Nach der Novelle stieg diese Zahl bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf über 7 000, also auf mehr als das Doppelte, an, und sie beträgt seitdem im Monatsdurchschnitt wieder weniger als 3 000.Darüber kann man sich auch gar nicht wundern;denn wenn man eine Wahlfreiheit und Gleichwertig-
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keit von Wehrdienst und Zivildienst propagiert, ohne die nötigen Zivildienstplätze zu schaffen, fragt es sich, ob man es jemandem übelnehmen kann, wenn er von diesem Wahlrecht so Gebrauch macht, daß die Chancen eines von keinem Dienst gestörten beruflichen und familiären Aufbaus verbessert werden. Ich meine: nein; dies ist der normale Ablauf einer solchen Sache:Die Entscheidung des Verfassungsgerichts hat klargestellt, daß der Boden der Verfassung verlassen wurde. Diese Klarstellung bringt aber noch nicht die Lösung der Probleme. Einerseits ist bei vielen jungen Männern eine Verunsicherung darüber eingetreten, was die Zukunft bringen wird, verbunden mit einer Verärgerung über die Störung beruflicher Pläne, deren Realisierung infolge der Zusicherung der parlamentarischen Mehrheit gesichert erschien.Dieser Zustand ist durch die Eilfertigkeit verstärkt worden, mit der noch vor der Entscheidung des Verfassungsgerichts die Ausschüsse und Kammern zur Prüfung der Wehrdienstverweigerung aufgelöst wurden, um nach dem Urteil erneut einberufen und installiert werden zu müssen. Dies hat zu einer erheblichen Verzögerung in der Bearbeitung der eingehenden Anerkennungsanträge geführt.Auf der anderen Seite sind wir der Auffassung, daß das frühere und jetzt wieder gültige Prüfungsverfahren vereinfacht und verbessert werden muß. Wir hoffen deshalb sehr, daß die zwischen den Fraktionen begonnenen Gespräche zu einer einvernehmlichen Lösung führen. Der gute Wille dazu ist bei der CDU/CSU-Opposition vorhanden.Waren die letzten Amtsjahre von Herrn Minister Leber von ständigen Personalquerelen begleitet, von denen insbesondere verdiente Generale wie Heeresinspekteur Hildebrand, die Generale Rall, Krupinski, Franke, Dr. Waagemann, aber auch der Rüstungsstaatssekretär Dr. Mann, betroffen waren,
so sei eingeräumt, daß es insgesamt noch zu früh ist, um das Wirken des neuen Ministers Apel auf diesem Gebiet zu beurteilen. Die Umstände, die zum Ausscheiden des Generalinspekteurs Wust führten, lassen jedoch einiges befürchten.Überhaupt kann man den Eindruck haben, Herr Minister, als ob Sie sich im Umgang mit Uniformierten, mit der Truppe schwer täten. So beklagt sich beispielsweise der Deutsche Bundeswehrverband in einem sogenannten offenen Brief vom 8. Januar 1979 an den Parlamentarischen Staatssekretär von Bülow darüber, daß eine dem Deutschen Bundeswehrverband von Ihnen gegebene ausdrückliche Zusage, ihn über den Inhalt einer Studie vor deren öffentlicher Bekanntgabe zu informieren, nicht eingehalten worden sei. Ich will es mir ebenfalls der Kürze wegen ersparen, aus diesem Schreiben zu zitieren.Zu früh ist es auch noch, um zu beurteilen, ob die insbesondere von Staatssekretär Fingerhut praktizierte und von uns angegriffene Personalpolitik nach dem Parteibuch fortgesetzt wird. Wir haben dafürhier Beispiele genannt. Zumindest ist aber hier wie in anderen Zusammenhängen bisher noch keine tätige Reue festzustellen.Wie bereits in den Vorjahren, so wird auch in diesem Jahr der der NATO ausdrücklich zugesagte Zuwachs bei den Verteidigungsausgaben um real 3 % nicht erreicht; denn ein Zuwachs von brutto um etwa 4 % reicht angesichts der Preissteigerungsraten, die insbesondere bei der Beschaffung von Rüstungsgütern wesentlich höher als bei den Lebenshaltungskosten liegen, dazu nicht aus.Nun werden Sie möglicherweise sagen, wir hätten keine Erhöhungsanträge gestellt, im Gegenteil, wir hätten sogar der Kürzung der Ausgaben bei den Flugzeugbeschaffungen um 100 Millionen DM zugestimmt. Für das letztere liegt die Ursache darin, daß sich bei einem der wichtigsten Beschaffungsvorhaben, nämlich beim Mehrzweckkampfflugzeug MRCA, entgegen den gehegten Erwartungen eine Verzögerung um ein bis eineinhalb Jahre ergibt, wodurch fest eingeplante Mittel in viel größerer Höhe als vorgesehen nicht abfließen.Wenn auch die Ursachen dieser Verzögerungen zum größeren Teil bei den britischen Rüstungspartnern liegen mögen, so spricht es doch gegen die Regierung und zwingt insbesondere zu Zweifeln an den Fähigkeiten des Systembeauftragten, wenn solch gravierende Verzögerungen nicht so rechtzeitig erkannt werden, daß sie bei der Rüstungsplanung bekannt sind und daß der Haushalt so angepaßt werden kann, wie es den neuen Zweckmäßigkeiten und Notwendigkeiten entspricht. Das Waffensystem MRCA wird ja durch diese Verzögerungen nicht etwa billiger, eher teurer, und die 100 Millionen DM sind keine echte Einsparung.Was das Unterlassen von Aufstockungsanträgen angeht, so habe ich bereits bei früherer Gelegenheit darauf hingewiesen, daß Rüstungsvorhaben langfristiger Planung bedürfen und plötzliche nennenswerte Erhöhungen für die Rüstung kaum sinnvoll verwandt werden können. Es kommt daher gerade im Bereich der Verteidigung besonders auf die mittelfristige Finanzplanung an. Diese aber wird entscheidend durch die Prioritäten bestimmt, die die Regierung bei der Finanzplanung insgesamt zwischen den Bedürfnissen der Verteidigung und denen der übrigen Ressorts setzt. Hierbei aber ist die Verteidigung seit langem auf einen zu niedrigen Rang gesetzt.Dieser Tage war in der Presse hinsichtlich des zweiten großen Beschaffungsvorhabens der Luftwaffe zu entnehmen, der Alpha-Jet stottere.
Noch können wir hoffen, daß diese Schwierigkeiten ohne großen Mehraufwand und ohne große Zeitverzögerung überwunden werden. Sie zeigen jedoch, daß MRCA und Alpha-Jet keineswegs die Problem' losen Mustervorhaben sind, wie man die Öffentlichkeit glauben machen möchte. Es steht zu hoffen, daß das in der Entwicklung befindliche neue Kampfflugzeug NKF erst dann in Produktion geht, wenn .die
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Konstruktion ausgereift ist und Entwicklung und Erprobung abgeschlossen sind.Der Bundesrechnungshof stellt in seiner im Auftrag des Haushaltsausschusses angefertigten Untersuchung vom 30. August vergangenen Jahres über Kostensteigerungen bei Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr, Seite 6/7, fest — ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren —:Am 22. 3. 1973 hat der Rechnungsprüfungsausschuß des Bundestages auf Grund von Bemerkungen des Bundesrechnungshofes den Bundesminister der Verteidigung ersucht, die Beschaffung von Waffensystemen erst dann einzuleiten, wenn die Erprobung durch Erprobungsstelle und Truppe abgeschlossen ist und die Ergebnisse ausgewertet sind. Der Bundesrechnungshof hat jedoch festgestellt, daß sich der Bundesverteidigungsminister nicht in allen Fällen an seine Zusagen und an den Beschluß des Rechnungsprüfungsausschusses hielt. Es ist anzunehmen, daß auch bei den zur Zeit laufenden Beschaffungen des leichten Kampfflugzeuges Alpha-Jet und des Flugzeuges MRCA Tornado Mehrkosten entstehen werden, weil die Pro- duktion vor Abschluß der Entwicklung und Erprobung in Gang gesetzt worden istsind mir die in der Stellungnahme des Bundesrechnungshofes enthaltenen Einwendungen des Verteidigungsministers gegen diese Auffassung bekannt. Ich gehe davon aus, daß uns diese Stellungnahme im Haushaltsausschuß noch intensiv beschäftigen wird.Bei der Unterbringung, Kapitel 14 12, waren im vergangenen Jahr 200 Millionen DM aus dem Konjunkturprogramm zusätzlich zur Verfügung gestellt worden. Dies sollte jedoch kein Anlaß sein, diesen Teilhaushalt nunmehr einzufrieren. Im Unterkunftsbereich liegt noch manches im argen, und die Baukosten insbesondere im Ausbaugewerbe sind bekanntlich stark gestiegen. Mit Befriedigung stellen wir dagegen fest, daß mit den Neubauten auf der Hardthöhe_ in diesem Jahr begonnen wird und damit die in vielen Einzelobjekten verstreut untergebrachten Teile des Ministeriums zusammengefaßt werden können.Einvernehmlich hat der Haushaltsaussçhuß seinen auf Veranlassung des Bundesrechnungshofes gefaßten Beschluß, einen Verwaltungskostenbeitrag zur Truppenverpflegung für nicht Teilnahmeverpflichtete zu erheben, wieder aufgehoben, nachdem sich herausgestellt hat, daß die Voraussetzungen des Beschlusses, nämlich eine einheitliche Erhebung des Verwaltungskostenbeitrages in allen Bereichen, in denen der gleiche Tatbestand vorlag, nicht eintrat. Eine einseitige Benachteiligung des Personals der Bundeswehr wird aber von uns allen abgelehnt.Ebenso einvernehmlich haben wir im Haushaltsausschuß über die Regierungsvorlage hinaus 30 Stellen in die Besoldungsgruppe A 9m angehoben. Damit wurde im mittleren Dienst ein Anfang gemacht, um die beim Stellenkegel eindeutig bestehende Benachteiligung des Verteidigungsbereichs gegenüber anderen Ressorts zu beseitigen. Dabei kann es sich nurum einen ersten Schritt handeln, dem weitere auch in den Bereichen des einfachen, gehobenen und höheren Dienstes folgen müssen.Nach wie vor ungelöst ist bei den Soldaten das Problem des Beförderungsstaus in verschiedenen Dienstgraden. Berechtigte Klage hören wir auch weiterhin im Zusammenhang mit der nach wie vor ungelösten Problematik der übermäßigen Dienstzeitbelastung vieler Soldaten ohne entsprechenden Ausgleich.Auf dem Gebiet der Wohnungsfürsorge ist zwar rein rechnerisch das Gleichgewicht zwischen Bedarf und Bestand vorhanden, doch läßt die Qualität vieler Wohnungen zu wünschen übrig, und in abgelegenen Gebieten besteht teilweise eine Diskrepanz zwischen der Miete der Bundeswohnung und der Miete auf dem freien Markt. Diese und andere Probleme zu lösen, bleibt eine gemeinsame Aufgabe.Wir erwarten von der Regierung auch die Prüfung der Anregung des Verteidigungsausschusses vom 4. Oktober 1978, bei Aufstellung des Haus- halts 1980 der Frage nachzugehen, ob in bestimmten Bereichen angesichts neuer gesetzlicher Regelungen diè Stellenpläne noch hinreichen.Abschließend möchte ich allen Soldaten, Beamten, Angestellten und Arbeitern im Namen der CDU/ CSU herzlich danken für ihre auch 1978 bewährte stete Einsatzbereitschaft im Dienst der Erhaltung des Friedens und der Freiheit unseres Volkes.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stöckl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn ich mir die Ausführungen des Herrn Kollegen Hauser vergegenwärtige, muß ich sagen: Sie haben sich sehr schwergetan, einige Gründe zu finden, um diesen Haushalt abzulehnen.Was die Zivildienstnovelle damit zu tun hat, ist mir ziemlich unerfindlich. Der Hinweis auf den Verteidigungsminister erscheint mir auch ein bißchen abwegig, nachdem Sie diesem Haushalt im Haushaltsausschuß, ohne eigene Anträge zu stellen, einvernehmlich mit uns zugestimmt haben. Mir kommt es beinahe vor, als hätten zwei Rechnungsprüfer eines Vereins die Kasse völlig' in Ordnung befunden — es ist nichts einzuwenden, die Buchungen sind in Ordnung —, aber Entlastung kann der Vorstandsschaft nicht erteilt werden, weil der Vorsitzende mit den Rechnungsprüfern nicht verwandt ist.
Unter diesen Umständen ist Ihre Begründung für die Ablehnung schon eigenartig.Kommen wir zum Haushalt zurück. Den Verteidigungshaushalt müssen wir in dieser Haushaltsdebatte unter verschiedenen Aspekten beurteilen.Zunächst einmal zum Gesamtumfang: Mit einem Ansatz von 36 663 Millionen DM haben wir eine Steigerung um 1,7 Milliarden DM gegenüber dem
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StöcklVorjahr. Das sind rund 5 %. Damit gewährleistet dieser Halshalt die Erfüllung des Notwendigen, nämlich die Notwendigkeit, daß unsere Bundeswehr mit den Streitkräften unserer Verbündeten in der NATO die Sicherheit unseres Landes und Europas garantiert.Dieser Bezug auf das Notwendige schließt allerdings ein, sich darauf zu besinnen, daß wir ein Verteidigungsheer haben, das sowohl strategische, aber auch waffentechnische Konsequenzen hat. In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine Äußerung des Grafen Baudissin im Hinblick auf Ausweitung von Rüstung oder überhaupt Beurteilung der Rüstung aufmerksam machen. Baudissin sagte in einem „Spiegel"-Interview:Die Militärs wollen wieder alles beschaffen, was die Technologie ihnen anbietet, anstatt präzise Anforderungen an die Technik zu stellen. In dieser Rüstungsdynamik aber, die dadurch ausgelöst wird, liegt die außerordentlich große Gefahr einer Destabilisierung in Mitteleuropa.Man mag zu dieser Feststellung von Graf Baudissin stehen, wie man will; aber sie ist immerhin der Beachtung wert.Bei diesem Haushalt ist auch auf unser Eingebundensein in der NATO hinzuweisen. Damit stellt sich die Frage nach unserem NATO-Beitrag. Es muß hier festgestellt werden, daß die Verteidigungsaufwendungen der Bundesrepublik nach NATO-Kriterien zu bewerten sind. Das heißt, wir haben mit 45 Milliarden DM zu rechnen, die hier in unserem Gesamthaushalt eingestellt sind. Dies gibt eine Steigerung von 2,5 Milliarden DM und eine Zuwachsrate von 6 °/o.Damit setzt die Bundesregierung ihre Leistung für die äußere Sicherheit seit 1970 kontinuierlich fort, die auch rückblickend den Vergleich mit der Empfehlung der NATO-Ministertagung nicht zu scheuen braucht. Seit 1970 wuchsen die Verteidigungsausgaben nach NATO-Kriterien um 88,7 %, im Jahresdurchschnitt also um 8,3 %. Berücksichtigt man für diesen Zeitraum eine Geldentwertung von 53 %, dann ergibt sich für diesen Zeitraum eine reale Steigerung von 23%. Das sind jährlich real 3 %, so wie es in der NATO-Empfehlung festgesetzt ist.Im Rahmen dieser Diskussion über das Wachsen der Bedrohung, die zweifellos in Zukunft verstärkt geführt werden muß, ruft die Opposition häufig ganz einfach nach mehr Mitteln für die Rüstung — meist recht undifferenziert.Dazu möchte ich folgende Bemerkung machen. Die Verteidigungsmaßnahmen aller NATO-Staaten müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander bleiben. Ich würde es außenpolitisch für äußerst bedenklich halten, wenn die Bundesrepublik etwa den Ehrgeiz hätte, in der Rüstungs- und Streitkräfteentwicklung über die Angemessenheit hinaus ihre Verbündeten deutlich hinter sich zu lassen. Der Bundeskanzler hat in diesem Zusammenhang heute darauf hingewiesen und auch im Bereich der allgemeinen Politik oder der Wirtschaftspolitik schonmehrmals davor gewarnt, daß wir uns in eine ungewollte Führungsrolle hineindrängen lassen, die von anderen verbündeten Staaten als ein von uns erhobener Führungsanspruch empfunden wird.Eine volle Übereinstimmung und Abstimmung von Rüstungsmaßnahmen gilt vor allem für die Maßnahmen zum Abbau der Bedrohung im Bereich der Mittelstreckenraketen, also des Grauzonenbereiches, die nun eventuell ergriffen werden müssen.Der vorliegende Haushaltsentwurf zeigt allerdings auch deutlich, daß diese Regierung und die sie tragenden Fraktionen die Modernisierung unserer Streitkräfte nicht vernachlässigt haben und dies auch in den kommenden Jahren nicht tun werden. So weist der vorliegende Plan bei den militärischen Beschaffungen eine Steigerung um 8,1 % auf, nachdem im Vorjahr dieser Titel eine Steigerung von 18,6 % hatte. In Forschung und Entwicklung und Erprobung, die auch von Herrn Hauser angesprochen worden sind, haben wir eine Steigerungsrate von 6,4 % nach einer Vorjahresrate von 7,1 %. Die Schwerpunkte des Haushalts liegen also an der richtigen Stelle.Im Verteidigungsetat ist jedoch auch auf die Bedürfnisse der Soldaten und des zivilen Personals zu achten. Denn Verteidigungsbereitschaft ist zweifellos auch von der Bereitschaft des Staates zur Fürsorge für seine Verteidiger abhängig. Ich weise nur kurz darauf hin, daß in diesem Haushalt die zweite Familienheimfahrt für Wehrpflichtige und die neuen Sätze für die Unterhaltssicherungsleistungen ausgewiesen sind. Ich freue mich, daß wir gemeinsam eine Stellenverbesserung für den mittleren Dienst erreichen konnten. Wir können auch darüber noch reden. Die Erhebungen der Kommission zur sozialen Lage der Bundeswehr sind der Ansatzpunkt für weitere Maßnahmen im Sozialbereich.Die Opposition klagt bisweilen — das haben wir auch bei Herrn Hauser herausgehört —, daß der Anteil des Einzelplans 14 am Gesamthaushalt sinke. Das ist eine ziemliche Zahlenakrobatik.
Denn die Bundeshaushalte sind untereinander nicht mehr vergleichbar. Sie wissen z. B., daß wir seit 1975 mit dem Kindergeld zu rechnen haben, das diesmal mit 17 Milliarden DM zu Buche schlägt und im Vorjahr 15 Milliarden DM betrug. Damit verschieben sich selbstverständlich die Prozentzahlen. Es gibt überhaupt keinen plausiblen Grund, warum der Einzelplan 14 anteilig mitwachsen muß, wenn im Gesamthaushalt besondere Maßnahmen ausgewiesen sind, z. B. Programme für den Mittelstand oder auch irgend etwas anderes, wenn etwa die Ansätze für die Forschung nichtnuklearer Technik erhöht wurden. Deshalb kann man nicht etwa automatisch fordern, dann müßten wir auch in Einzelplan 14 20 Panzer mehr bewilligen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?
Frau Präsidentin, ich würde gerne zu Ende kommen. - Es ist schon sehr spät, und mit
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Stöckl10 Minuten ist nicht viel zu machen. — Entschuldigen Sie, Herr Haase.Auch ein Messen dieses Haushaltes etwa am Bruttosozialprodukt ist nicht sinnvoll. Denn wenn jemand behauptet, die Sowjetunion verwende 13% ihres Bruttosozialproduktes für Verteidigungsausgaben, dann muß man halt auch feststellen, daß die Wirtschaftskraft der Länder sehr unterschiedlich ist. Wenn die Sowjetunion nur 50 % der Wirtschaftskraft der USA hat, sieht man daran, daß dies nicht vergleichbar ist.Betrachtet man diesen Haushalt objektiv, dann muß man ihm zustimmen. Nachdem es auch im Haushaltsausschuß keine Anträge gegeben hat, wie Herr Haase gesagt hat, und wir den einen Antrag gemeinsam erledigt haben,
müßte ihm die Opposition eigentlich zustimmen. Wir haben die Sache für in Ordnung befunden und stimmen deshalb in der Verantwortung für die Sicherheit unserer Republik dem vorgelegten Verteidigungshaushalt zu.
Dies darf ich für meine Fraktion feststellen.Die Reden der Opposition wären allerdings etwas glaubwürdiger, wenn sie sich nicht durch ihr Nein ihrer Verantwortung für diesen Haushalt entziehen würde. Wir haben ja gehört, daß Sie mit Nein stimmen wollen.Auch ich darf zum Ende allen Angehörigen der Bundeswehr, Soldaten oder Zivilen, und allen denen, die zur Sicherheit unseres Landes beitragen, im Namen meiner Fraktion unseren Dank sagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Weiskirch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde versuchen, dem Kollegen Stöckl die Argumente an die Hand zu geben, die wir ihm für die Ablehnung des Verteidigungshaushalts zu geben haben.
'Vor knapp einem Jahr hat die Opposition hier im Deutschen Bundestag den damaligen Bundesminister der Verteidigung aufgefordert, sein Amt zur Verfügung zu stellen. Die Gründe sind Ihnen allen noch bekannt: sein Verhalten bei der Behandlung des Spionagefalles Lutze/Wiegel, die Lauschaffäre in seinem eigenen Haus, die er nachträglich als den eigentlichen Grund für seinen Rücktritt angegeben hat, und schließlich auch seine Mitwirkung an der vom Bundesverfassungsgericht inzwischen für verfassungswidrig erklärten Novellierung des Wehrdienst- und des Zivildienstgesetzes.
Ich habe damals hier eine Debatte eröffnet, in deren Verlauf sich der Minister selber in langen Ausführungen zu rechtfertigen versuchte und in der dann sowohl der Bundeskanzler als auch der Frakionsvorsitzende der SPD ihrem Mann kräftige Schützenhilfe gegeben haben: Spring du, wir schießen schon.
Bereits wenige Tage später wußte Georg Leber, wohin er damals springen sollte, nämlich über die Klinge.
Derselbe Mann, der uns allen und der deutschen Öffentlichkeit jahrelang als das Nonplusultra eines Verteidigungsministers angepriesen worden war, wurde in einer Art Blitzaktion aus dem Verkehr gezogen
— Herr Kollege Jungmann, darauf komme ich gleich —, mit ihm — das soll nur der Ordnung halber erwähnt werden — ein Staatssekretär und ein Ministerialdirektor. Ich erinnere Sie an dieses Stück Verteidigungspolitik, weil es zu dem überleitet, was heute hier zur Debatte steht, Herr Jungmann: der Einzelplan 14 des Bundeshaushalts 1979 und die Frage, wie die Opposition es mit der Beurteilung der Politik des neuen Verteidigungsministers hält.Minister Apel — das will ich gern zugestehen — hat das Amt unter denkbar ungünstigen Umständen angetreten. In seinem 1975 erschienenen Buch mit dem unverwechselbaren Titel „Ich dacht', mich tritt ein Pferd" sagt Apel — ich zitiere —:Alles in allem aber ist es richtig, daß ich kaum ein Verhältnis zu dem habe, was mit „Militär und Bewaffnung" im engeren Sinne zu umschreiben wäre.
Ich würde es sicherlich ablehnen, Verteidgungsminister zu werden ... Den Posten des Verteidigungsministers zu übernehmen, würde ich ablehnen, weil ich niemals in meinem Leben die Gelegenheit gehabt habe, mit diesem „Lebenskreis" in Kontakt zu kommen.
Er hat nach eigenen Aussagen also nie etwas mit diesem Lebenskreis, also mit Soldaten und Waffen, zu tun gehabt und wollte wohl auch nichts damit zu tun haben. Diese Einschränkung drückt der Handhabung des neuen Amtes durch Bundesminister Apel einen deutlichen Stempel auf. Ich möchte Ihnen das an ein paar Beispielen klarmachen.Erstens. Im Oktober 1978 wurde bekannt, daß der Minister während der vertraulichen Sitzung der nuklearen Planungsgruppe der NATO in Brüssel einen regelrechten Eklat ausgelöst habe. Nachdem der norwegische Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, General Gundersen, den Ministern die jüngsten Erkenntnisse über die sowjetische nukleare Bedrohung vorgetragen hatte, ist Apel, und zwar
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Weiskirch
nach vielen übereinstimmenden Korrespondentenberichten, dem General mit der Frage in die Parade gefahren, wer denn in der Sitzung eigentlich den Vorsitz führe.
— Das sagen Sie, Herr Buchstaller. — Damit habe Apel offensichtlich nicht nur die Äußerungen des Generals kritisieren, sondern auch ,den Generalsekretär der NATO attakieren wollen.
Generalsekretär Luns hat, wie Sie alle noch sehr gut wissen, den Vorfall für so wichtig gehalten, daß er ihn zum Gegenstand einer formellen Demarche beim Bundeskanzler hier in Bonn gemacht hat.Zweitens. Nichtsdestoweniger hat der Bundesminister der Verteidigung nur kurze Zeit später erneut Aufsehen in Brüssel erregt, als er den Generalen klarmachen wollte, daß der Primat der Politik gerade im Nordatlantischen Bündnis von allergrößter Bedeutung sei.
Er hat das in einer Weise und in einer Aufdringlichkeit getan, die naturnotwendig zu Friktionen bei allen Offizieren führen mußten, für die der Primat der Politik nie zweifelhaft gewesen ist, und das sind alle Militärs in Brüssel und auf der Hardthöhe hier in Bonn. Friktionen hat es in der Tat gegeben und gibt es immer noch.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bundesverteidigungsminister hat seine kritischen Äußerungen ganz offensichtlich auch aus wahltaktischen Überlegungen angestellt, und zwar auf das Jahr 1980 hin.
In diesem Jahr findet nicht nur die Bundestagswahl statt; für dieses Jahr sind auch NATO-Manöver mit etwa 300 000 beteiligten Soldaten vorgesehen. Es hat in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wohl noch keinen Bundesverteidigungsminister gegeben, der die verteidigungspolitische Notwendigkeit mit solchem Zynismus der Parteiräson untergeordnet hat.Mein Kollege Hauser hat sich bereits mit einzelnen Positionen des Verteidigungshaushalts beschäftigt. Lassen Sie mich hier die Frage stellen, inwieweit die Verteidigungslasten, die wir in der Bundesrepublik Deutschland aufzubringen haben, überhaupt ihren Zweck erfüllen. d. h. — Herr Kollege Horn, nun hören Sie einmal gut zu — inwieweit sie dazu beitragen, der Abschreckung von Aggressionen und damit dem Frieden zu dienen.Es gehört zu den alten probaten Propagandathesen der Regierungskoalition, daß sich die Bundeswehr in exzellenter Verfassung befinde. Der Verteidigungsausschuß hat erst dieser Tage zu hören be-kommen, daß es am Zustand der Streitkräfte eigentlich nichts zu kritisieren gebe. Allenfalls die Unteroffiziersausbildung weise Mängel auf; aber die könnten behoben werden. Ich will nicht verhehlen, daß sich die Bundeswehr im internationalen Vergleich sehen lassen kann. Das haben wir oft festgestellt.
Sie ist technisch gut ausgerüstet, sie besitzt moderne Waffen und erwartet gerade jetzt wieder den Zulauf neuer Systeme. Dennoch ist die Frage erlaubt, ob wirklich alles Gold ist, was da glänzt.Der Kollege Ahlers — ich freue mich, daß er sich selber so freut — hat in der ihm eigenen Offenheit gerade hinter die Qualität der Truppe ein dickes Fragezeichen gesetzt. Obgleich in den letzten 15 Jahren, wie er sich ausdrückt, „Unsummen" in die Verteidigung investiert worden seien, müsse er sein in der „Spiegel-Affäre von 1962 gefälltes Urteil auch heute noch aufrechterhalten. Die Bundeswehr sei nach wie vor — so Ahlers wörtlich — nur bedingt abwehrbereit. Er nennt auch die Gründe, die ihn zu diesem in derbem Widerspruch zu den amtlichen Zustandsbeschreibungen stehenden Urteil veranlassen. Er sagt — ich zitiere wörtlich —:Der Munitionsvorrat ist katastrophal, der Ausbildungsstand— er bezieht sich hier nicht nur auf die Unteroffiziersausbildung —nicht befriedigend.
Ich möchte mich aber nun dem Umfeld zuwenden, in dem sich die deutsche Verteidigungspolitik darstellt, und in diesem Zusammenhang begründen, warum meine Fraktion den Verteidigungshaushalt 1979 ablehnen wird.Der Bundesminister der Verteidigung hat — angefangen mit seiner Rede vor dem sicherheitspolitischen Forum der SPD in Kassel am 26. August des vergangenen Jahres — in einer Reihe von Äußerungen eine Politik verfochten und gefordert, die wir in der Tat mittragen könnten.Er hat beispielsweise erklärt:Wer einseitig auf Rüstung verzichtet, einzig in der Hoffnung, die andere Seite werde dann schon nachziehen, der handelt sträflich an diesem Land und seinen Bürgern, und er bringt zugleich das Fundament für Entspannung zum Einsturz.
Er sagte weiter:
Die NATO darf sich in Wien nicht auseinanderdividieren lassen. Das aber war das Hauptziel östlicher Vorschläge, mit denen die Verteidigungsfähigkeit des Westens in Mitteleuropa beeinträchtigt werden sollte.
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Weiskirch
— Das hat Herr Apel gesagt.Schließlich sagte er:Sparsamkeit sollte für alle im Dienste des Staates Gebot sein. Nur: das Notwendige für unsere Sicherheit muß getan werden.Das alles, meine Damen und Herren, vor allen Dingen meine Damen und Herren von der Opposition
— von der Koalition; wenn ich den Kollegen Horn erblicke, sehe ich ihn immer schon wieder in der Opposition —, waren wohlklingende Worte, Absichtserklärungen, Lagebeschreibungen und Versprechungen, die allerdings in zum Teil diametralem Gegensatz zu den politischen Leitlinien und Forderungen der Sozialdemokratischen Partei oder starker Gruppen in der Partei standen und stehen und darum wohl kaum — es sei denn mit der Opposition — auf parlamentarische Mehrheiten zählen können.Es ist zu diesem Sachverhalt heute im Laufe des Tages schon eingehend Stellung bezogen worden. Aber lassen Sie mich noch einige wenige Bemerkungen dazu machen. Ich will hier gar nicht die in einem offiziellen Papier der Jungsozialisten in der SPD erhobene Forderung nach einer Kürzung des Verteidigungshaushalts um wenigstens 5 % und dem schrittweisen Auszug der Bundesrepublik Deutschland aus der NATO hervorheben. Ich möchte mich an die seriöseren und — wie man wohl sagen kann — offizielleren SPD-Vorstellungen zur Verteidigungspolitik halten. Und da, so scheint mir, ist Aufmerksamkeit, Achtung und Vorsicht geboten.Wir haben gerade in den letzten Tagen ein Musterbeispiel für den Zwiespalt in der Auffassung führender Sozialdemokraten über einen wichtigen Aspekt der westlichen Verteidigungspolitik geboten bekommen. Es handelt sich dabei um die Grauzonen-Problematik, also um den Bereich der atomar bestückten Mittelstreckenraketen in Europa. Ich sollte besser sagen: um den Bereich der atomar bestückten Mittelstreckenraketen, die auf Europa gerichtet sind; denn die NATO verfügt ja in Europa über solche Raketen nicht. Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, vertreten nun die Meinung, daß es natürlich im Lebensinteresse des Westens und auch in unserem deutschen Lebensinteresse liegt, daß dieses Ungleichgewicht, das uns politisch erpreßbar machen könnte, behoben wird. Dazu bedarf es der nötigen Verhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion; ob im Rahmen von SALT oder wo sonst, soll dahingestellt bleiben. Allerdings — und das meinen wir sehr ernst — sind solche Verhandlungen nur dann sinnvoll, wenn unsere westliche Seite in der Lage ist, für mögliche sowjetische Zugeständnisse auch Gegenleistungen zu erbringen. Aber daran ist zur Zeit —mangels westlicher Masse — nicht zu denken. Der Bundesminister der Verteidigung hatte also recht, als er in seiner Rede in Kassel feststellte, daß wir den Mittelstreckenraketen in der sogenannten Grauzone nichts Vergleichbares entgegenzusetzen haben.Auch der Bundeskanzler hatte recht, als er im Oktober 1977 vor dem Internationalen Institut für Strategische Studien in London die Ansicht vertrat, die Allianz müsse durch die Bereitstellung ausreichender Mittel allen Entwicklungen vorbeugen, „die unserer unverändert richtigen Strategie die Grundlage entziehen könnten".
Nur, meine Damen und Herren: Meint das auch die SPD? Meinen das auch die Jusos? Meint das auch die Mehrheit? Wir müssen nach allem, was dazu in den letzten Wochen gesagt und geschrieben worden ist, ernste Zweifel haben.
Und sehen Sie? Da haben wir denn auch ernste Zweifel an der Aufrichtigkeit und vor allen Dingen all der Durchsetzungskraft des neuen Bundesverteidigungsministers.Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat am Montag dieser Woche, also vorgestern, in einem Bericht aus Washington die derzeitige Strategiedebatte in der Sozialdemokratischen Partei an der Reaktion der amerikanischen Verbündeten gemessen. Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, daß diese Debatte in Amerika alsRückfall in das negative, der militärpolitischen Wirklichkeit widersprechende Verhalten der SPD in den fünfziger Jahrenempfunden wird.
Allerdings gebe es einen wichtigen Unterschied: Während damals die Ablehnung der deutschen Wiederbewaffnung und des deutschen NATO-Beitritts durch die Oppositionspartei SPD mehr theoretische als praktische Bedeutung gehabt habe, müsse eine strategische Kehrtschwenkung der heutigen Regierungspartei SPD entscheidende Rückwirkungen auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik des ganzen Bündnisses, ja, der ganzen freien Welt haben.Diese Sorgen der Amerikaner teilen wir. Ich spreche das hier an, weil ich auch für Vergeßliche erst gar keine Zweifel daran aufkommen lassen möchte, wer hierzulande den Fragen der Sicherheit, der Verteidigung der Freiheit und damit des Friedens von Anfang an seine Aufmerksamkeit und seine ganze politische Kraft geschenkt hat.Wir haben vor einem Jahr darauf hingewiesen, daß wir, die Unionsparteien, lange Zeit über unseren eigenen Schatten gesprungen sind und dem Verteidigungshaushalt zugestimmt haben, allein um zu dokumentieren, daß wir die Lasten, die uns als Preis für die Freiheit abverlangt werden, mittragen wollen. Das wollen wir immer noch. Ich glaube, es gibt keinen Soldaten der Bundeswehr und auch keinen Partner im Atlantischen Bündnis, der das nicht wüßte.Wenn wir den Einzelplan 14 des Bundeshaushalts 1979 ablehnen, dann deshalb, weil wir der Verteidigungspolitik der Sozialdemokratischen Par-
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Weiskirch
tei und ihrer Repräsentanten mit tiefster Sorge begegnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordneter Möllemann.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Weiskirch hat soeben den dann mißlungenen Versuch unternommen, einen Haushalt gleichzeitig für im Grunde richtig, für etwas, was man stützen müßte, zu erklären und dann zu begründen, weshalb man ihn dennoch ablehnt.
— Ich habe Sie nicht verstehen können. Wenn Sie ans Mikrophon gehen würden, wäre das für mich etwas einfacher.Herr Kollege Wörner, das ist doch wohl der Grund, weshalb nicht Sie hier heute zum Verteidigungshaushalt Stellung nehmen, dem Sie an sich zustimmen wollten. Ich entsinne mich noch sehr gut der Ausschußberatungen, als wir über dieses Thema sprachen und an sich ganz deutlich wurde, daß die CDU zustimmen wollte. Dann kam aber dieses diesmal angeblich harmlose Kreuth, wo die Zeitbomben dann in Sachfragen gelegt wurden, und die Mitteilung von Herrn Zimmermann, der Verteidigungshaushalt werde abgelehnt. Prompt sind Sie auf diese Spur eingeschwenkt. Das werden Sie demnächst wahrscheinlich noch öfter machen müssen.
Sie haben durch Ihre beiden Sprecher, sowohl was die Struktur des Haushalts als auch sein Volumen angeht, keine Kritik geübt. Sie haben dementsprechend auch bei den Beratungen allen Titeln zugestimmt. Es ist, glaube ich, draußen wirklich nur schwer plausibel zu machen, weshalb man allen Titeln eines Haushalts zustimmt, um ihn am Ende als Ganzes abzulehnen.
— Na ja, von höherer Weisheit kann man in diesem Zusammenhang wohl kaum noch sprechen.Die Entwicklung des Haushalts ist von meinem Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion zutreffend gekennzeichnet worden. Wie gesagt, Herr Kollege Wörner: Eigentlich wollten Sie ja auch zustimmen.
— Das kenne ich ja allmählich: daß sich in der Zwischenzeit, nämlich in der Zeit zwischen Ihrem Wunsch zuzustimmen, und der Entscheidung der CSU, etwas ereignet hat, nämlich die Entscheidung der CSU.Nun haben Sie zu begründen versucht, warum es dennoch notwendig sei, den Haushalt abzulehnen, obwohl sie ihn eigentlich gut finden und obwohl Sie in der Haushaltsberatung zugestimmt haben.Da ist zunächst der Hinweis auf die Tatsache, daß sich der neue Verteidigungsminister mit Verteidigungsfragen vorher weniger
beschäftigt habe. Mein Gott, ist das denn so etwas Neues? Waren denn sämtliche Minister der Bundesrepublik Deutschland vorher mit Fragen ihres späteren Ressorts befaßt? Wenn wir die Liste einmal durchgehen, finden wir Minister auf den erstaunlichsten Positionen. Ich habe da irgendwo ein Zitat von einem Mann gelesen, der später Verteidigungsminister geworden ist. Der hat gesagt, eher solle ihm die Hand abfallen, als daß er noch einmal ein Gewehr in die Hand nehme.
Ich weiß gar nicht, ob das den so sehr qualifiziert hat. — Ich weiß, Herr Kohl, daß Sie jetzt deswegen so freundlich lächeln, weil Sie mit mir froh sind, daß der da jetzt nicht mehr sitzt und daß wir uns mit ihm hier nicht herumzuschlagen brauchen.
)
— Also, Herr Stücklen, Sie können doch nicht sagen, das sei ein falscher Mann gewesen, der das gesagt haben soll.
Ich hätte diesen ehemaligen Kollegen nie als falschen Mann bezeichnet.Als nächstes sachliches Argument für die Ablehnung des Verteidigungshaushaltes hat der Kollege Wörner in der Presseerklärung die Behauptung angeführt, daß sich Koalition und Regierung offenkundig nicht bereit finden könnten, endlich einmal auf dem Gebiet Wehrdienst — Ersatzdienst zu handeln. Das etwas Unangenehme, Herr Kollege Wörner, war, daß wir zu diesem Zeitpunkt bereits mit Ihren Kollegen Kraske und Frau Tübler ein Treffen vereinbart hatten, auf dem wir uns in einem interfraktionellen Gespräch exakt über diese Frage unterhalten wollten. Sie haben dann auch dem Kollegen Hölscher auf Befragen erklärt, dieser Kraske habe Sie doch einfach nicht informiert. Das kann ja passieren, das passiert bei uns auch.
— Moment, von Phantasieren kann keine Rede sein.
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Möllemann— Nein, nein, Herr Kollege Wörner, Sie haben dies geäußert, obwohl wir mit Herrn Kollegen Kraske bereits ein Gespräch vereinbart hatten. — Nun kann es ja mal passieren, daß Sie nicht informiert werden. Aber daß Sie dann heute in der „Süddeutschen Zeitung", nachdem Sie darüber unterrichtet worden sind und wir am Montag bereits das zweite Treffen hatten, dieses Argument erneut als Grund anführen, verleiht Ihren Argumenten keine besondere Durchschlagskraft.
Herr Kollege Möllemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wörner?
Immer.
Herr Kollege Möllemann, um Ihre Phantasie wieder etwas auf den Boden der Realität zurückzuführen,
darf ich Sie fragen: Wo bleibt die von mir angeforderte Stellungnahme der Bundesregierung zu den Vorstellungen der Koalitionsfraktionen und der Opposition unter Berücksichtigung der politischen, verafssungsrechtlichen und sonstigen Gesichtspunkte?
Eben •diese Stellungnahme, Herr Kollege Wörner, ist Gegenstand der Beratungen der Sitzung am Montag gewesen. Ich habe den Eindruck, Herr Kraske hat Sie schon wieder nicht informiert.
Dafür dürfen Sie aber nicht uns verantwortlich machen.
— Moment, ich muß Ihnen ja erst einmal die Antwort auf Ihre erste Zwischenfrage geben. — Herr Kollege Kraske hat — ich sehe ihn hier im Moment nicht —
— ah, doch; guten Abend! — erklärt, dies sei eine durchaus diskussionswürdige Vorlage, die natürlich nicht alle Wünsche voll befriedige, die aber immerhin eine brauchbare Grundlage sei. Ja, was wollen wir denn nun miteinander besprechen: das, was Herr Kraske sagt, oder das, was Sie hier sagen?
Gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wörner?
Natürlich.
Vielleicht darf ich Ihr Gedächtnis auffrischen und mich auf eine Besprechung beziehen, die ich soeben mit dem Kollegen Kraske hatte, wohlwissend, daß Herr Möllemann hier darüber reden wird: Sind Sie der Meinung, daß das, was die Bundesregierung durch ihre Staatssekretäre zur Ausgestaltung des Zivildienstes hat sagen lassen, die Stellungnahme der Bundesregierung, die ich soeben angesprochen habe, ersetzt, und ist Ihnen bekannt, daß die Bundesregierung diese Stellungnahme bis heute nicht abgegeben, sondern allenfalls in Aussicht gestellt hat?
Nein, Herr Kollege Wörner, es gibt Sachverhalte, die durch Wiederholungen leider nicht richtiger werden, auch wenn man sie mehrfach behauptet. Die Bewertung dieser Vorlage der Bundesregierung durch Herrn Kollegen Kraske habe ich hier gerade zitiert. Es ist richtig, daß der Kollege Kraske dann im Laufe der Beratungen allerdings darum gebeten hat, daß die Bundesregierung erneut einiges zum weiteren Fortgang der Diskussionen beitragen solle.
Aber ich möchte Ihnen eines sagen: Wenn wir uns hier darüber einigen, daß eine interfraktionelle Gesprächsrunde eingerichtet werden soll, die einen gemeinsamen Anlauf unternehmen soll, um zu einer gesetzlichen Neuregelung zu kommen, dann kann ich nicht verstehen, Herr Kollege Wörner, weshalb Sie dieses gemeinsame Bemühen davon abhängig machen wollen, ob die Bundesregierung zuvor in allen Details Bewertungen von Auffassungen der Koalitionsfraktionen vorgenommen hat. Ich muß Ihnen auch offen sagen: Ich räume der Bundesregierung ja viele Rechte ein, aber so fruchtbar erpicht darauf, daß die Bundesregierung bewertet, was die Koalitionsfraktionen tun, bin ich aus meinem parlamentarischen Selbstverständnis heraus gar nicht. Daß es offenbar Ihr Interesse ist, hier einen — wie auch immer gearteten — Gegensatz zu konstruieren, verstehe ich ja; Sie werden dadurch die Sache aber nicht voranbringen können. Ich wäre Ihnen sehr dankbar — um diesen Punkt hier abzuschließen —, wenn Sie sich in der Sache bereit finden könnten, den begonnenen Versuch gemeinsam mit uns zügig voranzubringen. Ich glaube, das könnte allen Beteiligten sehr helfen.
Herr Kollege, es gibt noch zwei Abgeordnete, die gern eine Frage stellen möchten. Zunächst Herr Kraske.
Bitte.
Herr Kollege Möllemann, würden Sie, nachdem Sie mich so freundlich zitiert
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Dr. Kraskehaben, so liebenswürdig sein, zweierlei zur Kenntnis zu nehmen, nämlich erstens, daß sich die Forderung des Herrn Kollegen Wörner absolut deckt mit dem Beschluß unserer Fraktion, den wir Ihnen offiziell zur Kenntnis gebracht haben, daß es hier also nicht um eine Wörner-Forderung geht, sondern um die Geschäftsgrundlage der Beratungen, die wir aufgenommen haben, und zweitens, daß ich dieses Papier in der Tat am Montagabend als einen erfreulichen Anfang einer Stellungnahme bezeichnet habe, wir aber miteinander einig waren, daß dieser Anfang noch ausgebaut und vervollständigt werden müsse? Ich glaube, auch insofern stimme ich im Ergebnis mit dem Kollegen Wörner überein, auch wenn wir beide mit Ihnen gleichermaßen davon überzeugt sind, daß wir diesen neu aufgenommenen Vereinbarungen die besten Hoffnungen für die Zukunft mit auf den Weg geben.
Herr Kollege Kraske, Sie haben jetzt Herrn Wörner mitgeteilt, daß Sie sich fraktionsgemäß verhalten haben. Der hat das jetzt auch gehört. Ich kann ja nichts weiter zu dem sagen, was Sie hier vorgetragen haben. Ich wollte doch nur deutlich gemacht haben, daß der hier dargestellte Sachverhalt nun wirklich nicht ernsthaft als Grund für die Ablehnung des Verteidigungsaushaltes geltend gemacht werden kann. Dies, so meine ich, hat diese Episode auf jeden Fall deutlich gemacht. Es geht doch um graduelle Unzufriedenheiten mit dem Informationsstand. Diesen Punkt wollen wir dann zunächst einmal abhaken und, wie Sie sagen, in dem Versuch weiter fortfahren, interfraktionell zu einem Ergebnis zu kommen. Alles andere hat auf diesem Sektor ohnehin keinen Sinn.
Gestatten Sie eine Frage des Kollegen Hölscher? — Bitte!
Herr Kollege Möllemann, wären Sie bereit, mit mir gemeinsam darauf hinzuwirken, daß der Kollege Wörner in die interfraktionelle Kommission integriert werden kann, um dabei mitzuhelfen, die Hierarchie- und Informationsprobleme in der Opposition zu lösen?
Ja, sicher. Ich arbeite an sich sehr gern mit dem Kollegen Wörner im Verteidigungsausschuß zusammen. Immer nur am Jahresende oder am Jahresanfang, wenn der Haushalt hier beraten wird, bin ich wieder irritiert, wenn er ihn dann ablehnt. Aber ansonsten geht es eigentlich während des Jahres ganz gut. Von daher wäre das für die Ausschußberatungen sicher hilfreich.
Der zweite Punkt, den Sie für Ihre Ablehnung genannt haben, Herr Kollege Wörner — Herr Weiskirch, Sie haben ihn nicht aufgegriffen, aber ich glaube, der Kollege aus Ihrer Fraktion, der die
Haushaltsaspekte geltend gemacht hat, wollte darauf hingewiesen haben —, war das Ausscheiden des ehemaligen Generalinspekteurs Wust oder die Umstände, die dazu geführt haben.
Ich bin mit ihnen der Meinung, daß sich der eine oder andere durchaus noch einmal Gedanken machen sollte, ob alles im Zusammenhang mit diesem Ausscheiden des Generalinspekteurs so gewesen ist, wie es hätte sein müssen. Aber ich möchte doch hinzufügen, Herr Kollege Wörner — und ich weiß, daß Sie da meine Meinung teilen —: Ein Teil Ihrer Fraktion, nämlich die CSU, hat den neuen Generalinspekteur in einer Art und Weise in seinem Amt begrüßt, die Sie eigentlich nicht mehr in den Stand setzen sollte, Stilfragen in diesem Zusammenhang zur Diskussion zu stellen.
Ich hätte vielmehr erwartet, daß anläßlich dieser Debatte dieser Fauxpas ausgeglichen würde und Sie dem neuen Generalinspekteur Ihre offene und faire Zusammenarbeit angeboten hätten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?
Ja, selbstverständlich!
Herr Kollege Möllemann, darf ich dann aber aus Ihrer Formulierung eben entnehmen, daß der Herauswurf von Herrn Wust schlechter Stil war?
Herr Kollege Haase, wenn es nicht zu schwach wäre, hätte ich fast gesagt, Sie haben Ihrem Namen alle Ehre gemacht; aber das ist wahrscheinlich schon abgegriffen. Herr Wust ist auf eigenen Wunsch ausgeschieden.
— Das ist objektiv richtig. Von daher halte ich den Begriff „Hinauswurf" für in jeder Hinsicht falsch. Ich sage noch einmal: ich hielt die Diskussion um das Ausscheiden nicht in jeder Hinsicht für erfreulich. Das haben wir seinerzeit deutlich genug gemacht. Aber auch das rechtfertigt wohl nicht ernsthaft die Ablehnung des Verteidigungshaushalts, jedenfalls nicht in Abwägung zu den Gesichtspunkten staatspolitischer Art, die Sie bisher für die Zustimmung zu diesem Haushalt geltend gemacht haben.
Herr Kollege Möllemann, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Jungmann?
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Ja, nur zu!
Herr Kollege Möllemann, würden Sie die Freundlichkeit besitzen, die Opposition darauf aufmerksam zu machen, daß der Kollege Weiskirch schon vor der Sommerpause den Rücktritt des damaligen Generalinspekteurs Wust gefordert hat?
Frau Präsidentin, militärische Disziplin ist das nicht gerade, was hier geübt wird.
Herr Kollege, ich hatte vorhin gesagt, einige hier im Haus hätten Grund, über ihre Rolle im Zusammenhang mit dem Ausscheiden von General Wust nachzudenken. Ich fand die Krokodilstränen, die von einigen Kollegen der Opposition in dem Zusammenhang gekommen sind, deswegen so unaufrichtig, weil sie vorher im Zusammenhang mit dem Fall Lutze/ Wiegel mehr oder weniger unverhohlen Herrn Wust nahegelegt haben, einmal darüber nachzudenken, ob er im Amt bleiben solle — um es einmal vorsichtig auszudrücken. Wenn man das macht — was man ja tun kann; ich halte es für sachlich falsch —, soll man sich aber nicht hinstellen und das Verhalten anderer in diesem Fall zum Anlaß für die Ablehnung des Haushalts nehmen. Das ist nicht ehrlich und nicht überzeugend.
Der dritte Sachpunkt, den Sie angesprochen haben — und da habe ich, Herr Kollege Weiskirch, wirklich nicht mehr verstehen können, wieso Sie hieraus Gründe für die Ablehnung dieses Bundeshaushaltes ablesen können —, ist die laufende Diskussion um den Bereich der sogenannten Grauzonenwaffen. In der Tat werden wir bei der Diskussion über die beiden Großen Anfragen darüber zu sprechen haben, inwieweit die laufenden Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen hinreichend Hoffnung dafür bieten, daß die bedrohliche Entwicklung auf diesem Gebiet in Griff genommen werden kann. Aber Sie selbst haben doch in keinem Punkt — jedenfalls im Verteidigungsausschuß und in der fachlichen Diskussion bisher nicht — etwa geltend gemacht, inwieweit die gültige Bündniskonzeption für die Abrüstungsverhandlungen — das ist ja nicht etwas, was von Herrn Apel, von den Jusos und von wem auch immer gemacht würde, sondern das wird im Bündnis gemacht — geändert werden müßte. Also spielen wir doch nicht so ein komisches Spiel. Einerseits billigen wir bei den Beratungen die Konzeption des Bündnisses bei MBFR und die Konzeption unseres größten Bündnispartners bei SALT; andererseits tun Sie so, als hätten wir gar mit diesem Haushalt dafür zu sorgen, daß strategische Veränderungen in Mitteleuropa vermittels der Dislozierung von entsprechend gearteten Waffensystemen durch uns veranlaßt werden. Ich halte für durchaus diskussionswürdig, zu welchem Zeitpunkt wir im Bündnis
auf eine entsprechende Entscheidung hinwirken sollen. Ich glaube, die Diskussion läuft bei unseren Kollegen von der SPD, bei Ihnen wie auch bei uns. Aber ich finde es nicht redlich, aus dieser laufenden Diskussion, die nirgendwo abgeschlossen ist, einen Grund für die Ablehnung des Verteidigungshaushaltes abzuleiten.
Zwei abschließende Bemerkungen. Herr Kollege Weiskirch, ich finde es immer wieder aufs Neue amüsant, wenn Sie sich bei den Haushaltsberatungen in jüngerer Zeit — seit Sie ablehnen — hier hinstellen und sagen: Wir lehnen das zwar alles ab, aber die Bundeswehr wird schon wissen, daß wir eigentlich immer diejenigen gewesen sind, die dafür waren.
Das ist doch eigentlich sehr eigenartig. Sie haben offenbar Angst, daß diese Koalition, die einen Haushalt verabschiedet, der offensichtlich gut ist, im Rahmen der Bundeswehr in den Eindruck gerät, als mache sie alles, was notwendig ist. Sie, die Sie alles ablehnen, wollen natürlich ungern so erscheinen, als stellten Sie sich gegen diese Politik. Aber Sie tun es doch de facto.
Wir haben nie den Anspruch erhoben, allein für eine vernünftige Sicherheitspolitik verantwortlich zu sein. Tun Sie es dann bitte auch nicht, indem Sie solche Hinweise hier vorbringen: „Die Bundeswehr wird schon wissen, wer ihre zuverlässigen Bündnispartner sind".
Den Streit wollen wir gern austragen. Dann sollen die Angehörigen der Bundeswehr entscheiden, wessen Sicherheitspolitik ihren Interessen am meisten entspricht.
— Ich hoffe jedenfalls: zunehmend mehr, Herr Kollege Damm.
Zum Schluß möchte ich den Angehörigen der Bundeswehr für die erbrachten Leistungen danken. Wir wollen mit diesem Haushalt ermöglichen, daß die Leistungen auch weiterhin erbracht werden können. Ich hoffe angesichts der dynamischen Entwicklung der Haushalte auf dem Sektor der Sicherheit in allen westlichen wie östlichen Staaten sehr, daß es uns gelingt, durch die Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen einen Zustand herbeizuführen, bei dem dieser Anteil des Haushalts künftig in geringerem Maße wächst oder auf längere Sicht vielleicht sogar reduziert werden kann.
Das Wort hat Herr Bundesminister Apel.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Bundesminister Dr. Apel
Ich will eine Vorbemerkung machen in Richtung des Kollegen Hauser. Selbstverständlich bedeutet diese sehr kurze und sicherlich auch nicht in die Tiefe gehende Debatte nicht, daß ich oder andere daraus den Oppositionsabgeordneten Vorwürfe machen können, denn wir werden ja in einigen Wochen eine sehr umfassende sicherheits-, verteidigungs- und rüstungskontrollpolitische Debatte haben. Ich denke, auch von daher halten sich einige der Herren heute das Pulver trocken.
Ich bin auch der Meinung, daß es deswegen angebracht ist, sich heute auf wenige Bemerkungen zu beschränken. Ich beschränke mich in meiner Antwort auf die Ablehnungsgründe, die von seiten der Herren der Opposition vorgetragen worden sind.
Ich denke, meine Herren von der Opposition -ich merke das nur der Ordnung halber an —, es ist gut, daß interfraktionell über die Neuregelung der Kriegsdienstverweigerung gesprochen wird, weil es ja vernünftig ist, wenn wir versuchen, interfraktionell auf einen Nenner zu kommen, da wir wegen der noch vorhandenen Bundesratsmehrheit aufeinander angewiesen sind. Dann sollte man daraus allerdings auch keinen Vorwurf konstruieren, um so mehr, als Sie ja sehr genau wissen, daß die Federführung eigentlich gar nicht beim Verteidigungsminister liegt. Der Pressesprecher des Kollegen Ehrenberg hat neulich scherzeshalber einmal gesagt, seine größte Leistung bestünde darin, ununterbrochen in der Öffentlichkeit den Eindruck nicht entstehen zu lassen, daß das Arbeitsministerium zuständig sei. Insofern glaube ich, daß wir diesen Punkt hier aus der Debatte herausnehmen sollten.
Ich bin eigentlich auch der Meinung, daß der Rücktritt des Generalinspekteurs in diese Debatte nicht hineingehört,
denn das haben wir nun wirklich sehr gründlich hier debattiert. Von einem „Rauswurf" kann überhaupt nicht die Rede sein. Die Rede sein kann davon, daß wir auf der Hardthöhe auch heute noch eisern zu diesem Vorgang auch deswegen schweigen, um einem Mann, der gegangen ist, nichts nachzuwerfen.
Im übrigen, Herr Kollege Möllemann: Ich habe einer renommierten deutschen Tageszeitung entnommen, daß der ausgeschiedene Generalinspekteur der sicherheits- und verteidigungspolitischen Debatte erhalten bleibt, weil er einer Partei als Berater zuzuordnen ist.
Lassen Sie mich eine dritte Bemerkung machen. Ich muß eigentlich bedauern, daß der Abgeordnete
Hauser den Eindruck erweckt hat, als steigerten wir hier die Verteidigungsausgaben nicht, wie im Mai letzten Jahres auf dem NATO-Gipfel in Washington beschlossen, um 3 % real. Mein Kollege Stöckl hat darauf aufmerksam gemacht, Herr Hauser, daß Sie hier augenscheinlich einem Irrtum aufgesessen sind; denn natürlich werden NATO-Ausgaben in allen Ländern der NATO nach NATO-Kriterien berechnet, und dazu kommen neben den Verteidigungsausgaben und den Personalverstärkungsmitteln die Verteidigungshilfe für andere Europäische Länder, die Ruhegehälter für die Militärs, Stationierungskosten für die Streitkräfte, NATO-Kosten. Wenn wir dies zusammenrechnen, sind wir bei 6,1%. Wenn wir die Preissteigerungsrate in Höhe von 3 v. H., wie im Jahreswirtschaftsbericht prognostiziert, abziehen, sind wir bei gut über 3 %.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sicherlich, aber ich möchte vorher noch einen Satz anfügen, Frau Präsident.
Ich lege auf diese Feststellung — auch durch mich — allergrößten Wert, damit wir in der internationalen Debatte keinen falschen Eindruck erwecken.
Gestatten Sie nun eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hauser?
Ja.
Dr. Hauser (CDU/CSU) : Herr Minister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Praxis beweist, daß wir bei Rüstungsgütern, die wir zu bezahlen haben, im allgemeinen mit mehr als 3 % Preissteigerungen pro Jahr rechnen müssen, und glauben Sie, daß Sie mit einer Personalkostensteigerung in der linearen Erhöhung der Gehälter von 3 % im Jahre 1979 auskommen?
Herr Hauser, lassen Sie mich dazu zwei Bemerkungen machen.Bemerkung Nr. 1: Die Preissteigerungsrate liegt bei den Gütern, die wir in der Bundeswehr verwenden, im Moment in der Nähe des von mir genannten Deflators. Ja, es hat sogar in den letzten Jahren für unseren Etat Vorteile aus der Abwertung des Dollar gegeben, die sich wiederum günstig ausgewirkt haben. Bemerkung Nr. 2: Ich finde es nicht gut, wenn wir hier öffentlich Zahlen austauschen, bevor die
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10388 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Bundesminister Dr. ApelGehaltsrunde im öffentlichen Dienst beginnt, weil das auch Präjudiz- und Festlegungswirkung haben könnte, die dann den Innenministern einige Schwierigkeiten bringen könnten.Ich möchte noch einige Bemerkungen zu Herrn Weiskirch machen. Ich weiß nicht so ganz genau, Herr Kollege Weiskirch, was die Tatsache, daß ich einem weißen Jahrgang angehöre, mit meiner Amtsführung zu tun haben soll. Nun haben Sie das Glück, daß ich vor einigen Jahren ein Buch geschrieben habe. Ich werde mir künftig überlegen, ob es noch gut ist, soviel Bücher zu schreiben; das sei zugegeben.
Aber ich bin sehr dafür, daß wir uns das letzte Jahr anschauen und daß wir dann Bewertungen vornehmen: Heeresstruktur und Wehrstruktur wurden zum Ergebnis geführt. Sie haben im Ausschuß dazu erklärt, endlich habe der jetzt amtierende Verteidigungsminister das getan, was Sie immer schon gewollt hätten. Sie haben also zugestimmt.
Wir sind mit AWACS zu einem Ergebnis gekommen, und wir haben — dazu stehe ich — in der NATO eine politische Debatte über Zukunftsfragen des Bündnisses angefangen, die dringend notwendig war.
Ich werde heute nicht den Versuch machen, die Frage der Grauzone, die Frage der Modernisierung der Nuklearwaffen in Europa anzudebattieren. Diese Fragen sind zu schwierig und zu nuanciert, um sie hier in Schlagworten über den Tisch zu reichen. Aber dazu ist die Debatte in der NATO notwendig. Da muß man notfalls auch etwas lauter und deutlicher sprechen, um gehört zu werden.Im übrigen sagten Sie dann in Ihrem letzten Punkt, Sie könnten dem Verteidigungsetat auch deshalb nicht zustimmen, weil Sie nicht sicher seien, was Sozialdemokraten von Verteidigungspolitik halten. Herbert Wehner hat in der „Neuen Gesellschaft" einen Aufsatz geschrieben, den Sie hier immer wieder — ich füge hinzu: mißbräuchlich — angeführt haben. Aus diesem Aufsatz möchte ich Ihnen einen Satz vorlesen. Herbert Wehner zitiert in diesem Aufsatz nämlich die Einleitung der Großen Anfrage der SPD und der FDP, um damit deutlich zu machen, was die Basis unserer Sicherheitspolitik ist. In dieser Präambel steht:Auf der doppelten Bereitschaft zur Verteidigung und zur Entspannung beruht unsere Sicherheitspolitik.Ich bitte Sie, dies doch endlich zur Kenntnis zu nehmen.Ich komme zu dem Ergebnis, daß Sie den Etat aus ganz anderen Gründen ablehnen, nicht aus Sachgründen, auch nicht aus Gründen, die in der Etatgestaltung liegen, auch nicht, weil Sie der Minister in diesem Jahre übermäßig geärgert hat, sondern weil Sie sich in eine Position des Nein-Sagens auch in der Sicherheitspolitik verrannt haben, aus der Sie augenscheinlich keinen Ausweg finden.
Wir haben in den Haushaltsberatungen festgestellt:1. Die Ausgaben reichen für die Landesverteidigung. Dieses Land lebt auch in Zukunft sicher.2. Unsere Ausgaben sind bündnisgerecht. Sie entsprechen unserem Rang im Bündnis.3. Dieser Verteidigungsetat stört die Entspannungspolitik nicht, weil er bewußt auf die Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses und der Bundeswehr abhebt.
Einen Augenblick, bitte! — Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe. Setzen Sie sich doch bitte hin. Wir werden in wenigen Minuten zu der Abstimmung kommen.
Ich fasse zusammen: Mit diesem Etat geben wir unserer Bundeswehr die moderne Bewaffnung, die sie braucht. Wir lassen die Soldaten der Bundeswehr teilhaben am Wirtschaftswachstum und Wohlstandswachstum, obwohl ich hier als Fußnote anmerke, daß die Konsequenzen aus der sozialen Bestandsaufnahme von mir noch in den nächsten Wochen zu ziehen sein werden. Schließlich: Dieser Etat ist zu verantworten. Er entspricht der sicherheitspolitischen Linie.
Ich bedanke mich bei der Bundeswehr, ich bedanke mich bei Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung. Es ist namentliche Abstimmung beantragt.Ich eröffne die Abstimmung.Haben alle anwesenden Mitglieder des Hauses Gelegenheit gehabt, Ihre Stimmkarten abzugeben? — Ich schließe die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen.Vizepräsident Frau FunckeIch gebe das vorläufige Ergebnis der Abstimmung über den Einzelplan 14 bekannt. Es haben 452 uneingeschränkt stimmberechtigte Abgeordnete und 18 Berliner Abgeordnete die Stimme abgegeben. Mit Ja haben 235 uneingeschränkt stimmberechtigte und 10 Berliner Abgeordnete gestimmt. Mit Nein haben 217 uneingeschränkt stimmberechtigte und 8 Berliner Abgeordnete gestimmt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 452 und 18 Berliner Abgeordnete; davonja: 234 und 10 Berliner Abgeordnete, nein: 217 und 8 Berliner Abgeordnete, ungültig: 1JaSPDAhlersDr. AhrensAmling Dr. ApelArendt AugsteinBaack BahrDr. BardensBatzBecker BiermannBindigDr. Böhme Frau von BothmerBrandt BrückBuchstallerBüchler
Büchner
Dr. von BülowBuschfortDr. BußmannCollet ConradiCoppikDr. CorterierCurdtFrau Dr. CzempielFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDr. von DohnanyiDürrDr. EhmkeDr. EhrenbergEickmeyerFrau Eilers Dr. EmmerlichDr. EndersEngholmFrau Erler EwenFiebigDr. Fischer Frau Dr. FockeFranke Friedrich (Würzburg) GanselGerstl GertzenDr. Geßner GlombigGobrecht Grobecker Grunenberg Gscheidle Dr. Haack HaarHaase HaehserHansenFrau Dr. Hartenstein HauckDr. Hauff HenkeHeyennHofmann Dr. HoltzHornFrau Huber HuonkerImmer Jahn (Marburg) JaunichDr. Jens Junghans Jungmann JunkerKaffkaKirschnerKlein
KonradKratzKretkowskiDr. Kreutzmann Krockert Kühbacher Kuhlwein Lambinus LattmannDr. LauritzenLeberLempLendersFrau Dr. LepsiusLiedtkeDr. Linde LutzMahneMarquardt MarschallFrau Dr. Martiny-Glotz MatthöferDr. Meinecke Meinike (Oberhausen) MeininghausMenzelMöhringMüller Müller (Schweinfurt) Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNehmNeumann Neumann (Stelle)Dr. Nöbel Offergeld OostergeteloPaternaPawelczyk PeiterDr. Penner PenskyPeterPolkehnPorznerRapp Rappe (Hildesheim) Frau Renger ReuschenbachRohdeRosenthal RothSanderSaxowskiDr. Schachtschabel Schäfer Dr. Schäfer (Tübingen) SchefflerSchirmerSchlaga SchluckebierDr. Schmidt Schmidt (Hamburg)Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Schmidt (Würgendorf)Dr. SchmudeDr. SchöfbergerSchulte
Dr. Schwencke
Dr. Schwenk
SielerFrau SimonisSimpfendörferDr. SperlingDr. SpöriStahl
Dr. StegerFrau SteinhauerStocklebenStöcklSybertz Thüsing Frau Dr. TimmTönjesTopmann Frau TraupeUeberhorstUrbaniakDr. Vogel VogelsangVoigt
Walkhoff Walther Dr. Weber
WehnerWeisskirchen WendtDr. WernitzWestphal Wiefel WilhelmWimmer WischnewskiDr. de WithWittmann Wolfram (Recklinghausen) WredeWüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch ZeitlerBerliner AbgeordneteBühlingDr. Diederich
Metadaten/Kopzeile:
10390 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
Vizepräsident Frau Funcke Dr. DübberEgertLöfflerMänningMattickFrau SchleiSchulze
FDPAngermeyer Dr. Bangemann BaumCronenbergEimer EngelhardFrau Funcke GärtnerGallusGattermannGenscherGrünerFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann HölscherHoffieJungKleinertDr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff LudewigDr. Dr. h. c. MaihoferFrau Matthäus-Maier MerkerMischnickMöllemannPaintnerPeters Schäfer (Mainz) Schmidt (Kempten)von Schoeler Frau Schuchardt SpitzmüllerDr. VohrerDr. WendigWolfgramm WurbsZywietzBerliner Abgeordneter HoppeNeinCDU/CSUDr. Abelein Dr. AlthammerDr. ArnoldBayhaDr. Becher
Dr. Becker Frau BenedixBenzBerger Berger (Lahnstein) BiecheleDr. Biedenkopf BiehleDr. von BismarckDr. BlümBlumenfeldBöhm
Dr. BötschBraunBroilBühler
BurgerCarstens Carstens (Fehmarn) Conrad (Riegelsberg)Dr. CzajaDammDawekeDr. Dollinger Dr. Dregger DreyerEngelsbergerErhard ErnestiEyEymer Feinendegen Frau FischerFrancke FrankeDr. Friedmann Dr. FrühDr. FuchsFrau GeierGeisenhoferDr. von Geldern Dr. George Gerlach GersteinGerster Gierenstein GlosHaase
Dr. HäfeleDr. Hammans HandiosHanzHartmannHasinger
Hauser HelmrichDr. Hennigvon der Heydt Freiherrvon Massenbach HöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. Hornhues HorstmeierDr. Hubrig Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Dr. JaegerJäger
Dr. Jahn
Dr. JenningerDr. Jentsch Dr. JobstJostenFrau KarwatzkiKatzerKiechleDr. Klein Klein (München)Dr. KlepschDr. Köhler Dr. Köhler (Wolfsburg) KösterDr. KohlKolbKrampeDr. Kraske KrausDr. Kreile KreyFrau Krone-AppuhnDr. Kunz Lagershausen LampersbachLandréDr. LangguthDr. Langner Dr. Laufs Lemmrich LenzerLinkLintnerLöherDr. Luda Dr. Marx Dr. MendeDr. Mertes MetzDr. Meyer zu Bentrup Dr. MikatDr. Miltner MilzDr. Möller Dr. Müller Müller
Dr. Narjes Neuhaus Frau Dr. NeumeisterNiegelNordlohne Frau Pack Petersen Pfeffermann PfeiferPicardPierothDr. Pinger Pohlmann PrangenbergDr. Probst RainerRaweReddemann RegenspurgerReicholdDr. ReimersFrau Dr. Riede Dr. Riedl (München)Dr. RiesenhuberDr. RitzRöhnerDr. RoseRüheRusseSauer
Sauter
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinDr. SchäubleSchartz
SchetterFrau SchleicherSchmidt Schmitz (Baesweiler) SchmöleDr. SchneiderSchröder Schröder (Wilhelminenhof)Dr. Schulte
Dr. Schwarz-Schilling Dr. SchwörerSickDr. Freiherr Spies von BüllesheimSpilkerSprangerDr. SprungStahlbergDr. Stark Dr. StavenhagenDr. Stercken Stommel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10391
Vizepräsident Frau Funcke StücklenStutzerSussetde TerraTillmannDr. TodenhöferFrau TüblerDr. UnlandFrau Verhülsdonk Vogel Vogt (Düren)Voigt VolmerDr. VossDr. Waffenschmidt Dr. WaigelDr. WarnkeDr. von Wartenberg Weber Weiskirch (Olpe) Dr. von Weizsäcker WernerFrau Dr. WexFrau Will-FeldFrau Dr. WilmsWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissebachWissmannDr. Wittmann Dr. WörnerBaron von Wrangel WürzbachDr. Wulff Dr. Zeitel ZeyerDr. ZimmermannZinkBerliner AbgeordneteAmrehnFrau Berger KittelmannKunz Dr. Pfennig Frau Pieser Straßmeir WohlrabeDamit ist der Einzelplan 14 angenommen.Ich rufe den Einzelplan 35 auf:Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte— Drucksache 8/2425 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. DübberWünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 35, Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte. Wer dem Einzelplan 35 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Haushalt ist einstimmig angenommen.Damit sind wir am Ende unserer heutigen Beratungen. Ich berufe das Haus auf morgen, Donnerstag, 25. Januar, 9 Uhr.Die Sitzung ist geschlossen.