Rede:
ID0813114500

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 13
    1. Meine: 1
    2. Damen: 1
    3. \': 1
    4. und: 1
    5. Herren,: 1
    6. das: 1
    7. Wort: 1
    8. hat: 1
    9. der: 1
    10. Herr: 1
    11. Abgeordnete: 1
    12. Dr.: 1
    13. Bangemann.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/131 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 131. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 Inhalt: Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . . 10267 A Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1979 (Haushaltsgesetz 1979) — Drucksachen 8/2150, 8/2317 — Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes — Drucksache 8/2404 — Dr. Kohl CDU/CSU 10267 C Wehner SPD 10281 B Mischnick FDP 10290 B Dr. Althammer CDU/CSU 10296 C Dr. Ehmke SPD 10303 A, 10352 B Hoppe FDP 10305 A Schmidt, Bundeskanzler . . . 10306 C, 10342 B Dr. von Weizsäcker CDU/CSU 10320 D Genscher, Bundesminister AA 10327 B Dr. Barzel CDU/CSU . . . . . . . . 10334 C Dr. Marx CDU/CSU 10347 C Dr. Bangemann FDP 10359 A Namentliche Abstimmung 10366 C Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — Drucksachen 8/2405, 8/2470 — Picard CDU/CSU 10368 B Dr. Bußmann SPD 10371 B Schäfer (Mainz) FDP 10372 A Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister AA 10374 C Vizepräsident Frau Funcke 10369 C Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksache 8/2420 — 10376 B II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — Drucksachen 8/2414, 8/2470 — Hauser (Bonn-Bad Godesberg) CDU/CSU 10376 C Stöckl SPD 10378 D Weiskirch (Olpe) CDU/CSU . . . . . 10380 B Möllemann FDP 10383 A Dr. Apel, Bundesminister BMVg . . . 10386 D Namentliche Abstimmung . . . . . . 10389 A Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — Drucksache 8/2425 — 10391 C Nächste Sitzung 10391 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 10393 A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10267 131. Sitzung Bonn, den 24. Januar 1979 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Adams * 26. 1. Dr. von Aerssen 26. 1. Dr. Aigner * 26. 1. Alber * 24. 1. Dr. Bayerl * 25. 1. Brandt 26. 1. Flämig * 26. 1. Gruhl 24. 1. Haase (Fürth) * 26. 1. Haberl 25. 1. Hoffmann (Saarbrücken) * 26. 1. Ibrügger * 26. 1. Dr. h. c. Kiesinger 24. 1. Klinker 26. 1. Koblitz 26. 1. Kroll-Schlüter 24. 1. Lange * 25. 1. Dr. Lenz (Bergstraße) 26. 1. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lücker * 24. 1. Luster * 26. 1. Müller (Bayreuth) 26. 1. Müller (Berlin) 26. 1. Müller (Mülheim) * 26. 1. Neuhaus 24. 1. Schmidt (München) * 26. 1. Schmidt (Wuppertal) 24. 1. Dr. Schmitt-Vockenhausen 26. 1. Schreiber * 26. 1. Dr. Schröder (Düsseldorf) 26. 1. Seefeld * 24. 1. Dr. Starke (Franken) * 24. 1. Frau Dr. Walz * 26. 1. Wawrzik * 25. 1. Dr. von Weizsäcker 25. 1. Würtz * 26. 1. Ziegler 26. 1. *für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Horst Ehmke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Nein, ich möchte jetzt zum Ende kommen, weil die Zeit begrenzt ist.
    Ich möchte jetzt zunächst kurz aus dem Nachdenklichen herausgehen und einen polemischen Satz sagen, den ich auch im Juni schon angedeutet habe. Herr Kollege Marx und Herr Kollege Mertes: wenn Sie den Europawahlkampf unter dem Motto „Freiheit statt Sozialismus" führen, d. h., wenn Sie Europa erst durch innere Auseinandersetzungen auseinandernehmen, können Sie es sich hinterher sparen, über Verteidigung zu reden. Sie glauben doch nicht, daß Sie, wenn Sie Europa erst politisch spalten und dann mit Waffen vollstopfen, anschließend den Kommunismus besiegen können. Solange solche Parolen für die Europawahl im Raum bleiben, ist für mich alles unglaubwürdig, was auf der anderen Seite über die Verteidigung Europas gesagt wird.
    Lassen Sie mich jetzt zu einer anderen Frage kommen, die Herr Kollege Barzel und auch Herr Kollege von Weizsäcker angeschnitten haben: zur Deutschlandpolitik. Herr Kollege Barzel hat, glaube ich, gesagt, die Deutschen in der DDR müßten doch einmal etwas von dieser Deutschlandpolitik spüren. Er sollte sich besser einmal selber erkundigen, wie die das spüren, was inzwischen geschaffen worden ist.
    Wir stehen in der Deutschlandpolitik in einer bestimmten Gefahr: Auf allen Seiten nimmt die Neigung zu, Patentrezepte zu diskutieren, statt die äußeren ,und inneren Bedingungen zu untersuchen, unter denen Fortschritte in der deutschen Frage erzielt werden könnten. Ich will Ihnen ein paar äußere und innere Bedingungen nennen, von denen ich der Meinung bin, daß sie gegeben sind; vielleicht können wir das dann später im Ausschuß weiter diskutieren.
    Ich bin z. B. davon überzeugt, daß weder unsere westlichen noch unsere östlichen Nachbarn in der Frage der deutschen Teilung zu irgend etwas bereit wären, wenn nicht klar wäre, daß die heutige Westgrenze Polens die Westgrenze Polens bleibt. Wir haben zu -wählen: Entweder machen wir an der Grenzfrage weiter herum; dann brauchen wir über weitere Fortschritte in der deutschen Frage als Frage der geteilten Nation nicht zu reden. Oder wir tun das nicht.
    Zweitens glaube ich, so, wie Europa heute die Teilung Deutschlands nach Hitlers Krieg und Besatzung sieht, werden wir Fortschritte nur im europäischen Rahmen erreichen können. Das heißt auch - Kollege Dahrendorf und andere haben das im Hearing des Innerdeutschen Ausschusses sehr deutlich gemacht —,

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das steht im Deutschlandvertrag!)

    daß man sich immer sehr sorgfältig überlegen muß, Herr Kollege Mertes, was die Offenheit der deutschen Frage eigentlich für Rückwirkungen in bezug auf den Fortgang und die Form der europäischen Integration in West und Ost haben wird.
    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10357
    Dr. Ehmke

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das steht im Deutschlandvertrag! Der gilt ja noch!)

    — Ich kenne Art. 7 des Deutschlandvertrages. Aber Art. 7 des Deutschlandvertrages, Herr Kollege Mertes, hat nicht den europäischen Grundtatbestand aufgehoben, daß die Völker im Osten wie im Westen in der Teilung Deutschlands nach dem, was sie unter Hitler von Deutschland erlebt haben, eine europäische Friedensfunktion sehen; das hat Art. 7 leider nicht beseitigen können.

    (Dr. Hupka [CDU/CSU] : Das stimmt doch gar nicht! Lesen Sie mal das Urteil!)

    — Das ist mein Urteil. Sie müßten die sehr abgewogene Stellungnahme lesen, die Herr Dahrendorf im Ausschuß abgegeben hat.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Art. 7 nimmt auf Europa Bezug!)

    Eine dritte Bedingung ist meines Erachtens, daß wir die Entspannungspolitik fortsetzen; denn nicht die „Politik der Stärke", sondern die Entspannungspolitik hat die Grenze durchlässig gemacht, die vor noch nicht allzu langer Zeit der „Eiserne Vorhang' hieß.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das ist er ja wohl jetzt noch!)

    — Ich sage nur: Wenn man in der deutschen Frage weiterkommen will, ist das für mich die dritte Bedingung: Fortsetzung der Entspannungspolitik. Sonst gibt es da gar nichts.
    Die vierte Bedingung sind gute Beziehungen, ein gutes Verhältnis zur Sowjetunion. Das habe ich schon bei dem Thema China erwähnt. Zum 25. Jahrestag des Arbeiteraufstands in Ost-Berlin hat der Bundespräsident mit Recht gesagt: Gegen die Sowjetunion ist in der deutschen Frage überhaupt nichts zu erreichen.
    Wenn ich jetzt zu den inneren Bedingungen komme, dann muß ich zunächst einmal sagen: Ich bin kein so großer Verehrer der Bismarckschen Reichsgründung, wie es Herr Kollege Barzel ist. Denn ich stelle mir da eine Frage. Wir haben damals, wie man gesagt hat, mit „Blut und Eisen" einen kleindeutschen Nationalstaat geschaffen. Aber wir haben es nicht geschafft, die Nation nach innen zu integrieren.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich erinnere an den Kulturkampf gegen die katholischen Teile der Bevölkerung. Es folgte das Sozialistengesetz. Warum ist denn diese nationalstaatliche Einheit wieder verlorengegangen? Weil die innere Dimension der deutschen Nation nie zu einem guten Abschluß gebracht worden war.

    (Dr. Hupka [CDU/CSU] : Das stimmt doch nicht! Das ist reine Geschichtsklitterung!)

    — Das ist keine Geschichtsklitterung, Herr Hupka.

    (Dr. Hupka [CDU/CSU] : Das stimmt doch nicht!)

    Vielmehr ist, weil wir die Nationbildung nach innen
    nicht vollzogen haben, die Nation durch die Ver-
    brechen des Nationalsozialismus nach außen wieder in Frage gestellt worden.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Hupka [CDU/ CSU] : Das hat nichts damit zu tun! Das ist Geschichtsklitterung!)

    — Das hat damit sehr viel zu tun, Herr Hupka. Ich schlage Ihnen vor — ich sehe, daß wir hier einen großen Bereich haben, in dem wir deutschlandpolitisch diskutieren können —, diese inneren Bedingungen für die deutschen Fragen einmal genau zu untersuchen.
    Wir empören uns, wenn wir heute sehen, daß die DDR die These von den° zwei deutschen Nationen vertritt. Im Augenblick zwei deutsche Nationen! Man darf die These nicht mißverstehen in dem Sinne, als ob da gesamtdeutsche Ansprüche ganz abgeschrieben worden seien. Im Augenblick geht es um zwei deutsche Nationen. Unter anderen Verhältnissen kann es auch wieder anders sein. Aber ich muß Ihnen sagen: Ich sehe mit Sorge, in welchem Maße dies auch in der westdeutschen Diskussion zunimmt.

    (Dr. Hupka . [CDU/CSU] : Die Bundesregierung trägt dazu bei!)

    - Nein, Sie müssen einmal sehen, wer das macht. In dem Hearing waren z. B. Kollegen aus Ihrer Fraktion ganz erstaunt, als ich sie darauf hinwies, daß sie als Frage der Nation nicht Fragen aufwerfen können, ob z. B. hiesige Staatsorgane oder die bundesrepublikanische Flagge richtig behandelt werden. Wir kommen zu einer Art bundesrepublikanischem Nationalismus, der nicht besser als derjenige der DDR ist. Eines der bedenklichsten Dokumente darin ist übrigens ein überparteiliches Dokument, das die Herren Kultusminister Ende Dezember 1978 als Beschluß über die Behandlung der deutschen Frage im Schulunterricht erlassen haben.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das ist ein sehr guter Beschluß!)

    Ich habe jetzt nicht genügend Zeit, das darzulegen, aber ich teile die Meinung von Herrn Jansen von der „Zeit", der dies in der „Zeit" unter der Überschrift abgehandelt hat: „Chauvinismus in der Schule" .

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Unglaublich!)

    Hier verschwimmen der Begriff der deutschen Nation und der Begriff des Staates in einer Weise, daß ich Ihnen sage: Wenn wir da nicht bald Klarheit hereinbringen, werden andere im Trüben fischen, und die nationale Frage wird in Deutschland noch einmal in falsche Hände geraten.

    (Dr. Hupka [CDU/CSU] : Bundesrepublik über alles!)

    — Nein, nicht „Bundesrepublik über alles". Dagegen bin ich gerade, aber das wird praktiziert.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Kurt Schumacher hat genau das Gegenteil gesagt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    - Da Herr Hupka schon das Gegenteil von dem
    verstanden hat, was ich gesagt habe, will ich mich
    mit dieser Zwischenfrage nicht auseinandersetzen.



    Dr. Ehmke
    Ich komme zur dritten Frage. Da es das Unglück der deutschen Nation im bürgerlichen Zeitalter war, daß die Frage der inneren Dimension der Nation nicht ausgelotet wurde, sollten wir diesen Fehler nicht noch einmal machen.

    (Dr. Hupka [CDU/CSU]: Was ist die innere Dimension?)

    — Die innere Dimension ist die Frage, welches die Vorstellungen der Deutschen in der DDR von der inneren Ordnung dieses Deutschlands wären, wenn sie mit uns über ihr Schicksal entscheiden könnten.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Demokratisches Deutschland!)

    — Ja, das glaube ich; Sie nehmen mir das Wort aus dem Munde. Ich glaube, der nationale Konsens — wie Carlo Schmid sagen würde: der Contrat Social — der deutschen Nation würde unter freien Bedingungen in Richtung auf einen demokratischen Sozialismus gehen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich höre mit großem Interesse, daß alles, was Sie zum Reformkommunismus, zum Prager Frühling, zum Eurokommunismus sagen, für Sie zwar immer geeignet ist, gegen uns zu polemisieren — was uns nichts ausmacht —, aber was die weltpolitische Bedeutung dieser Bestrebungen im geteilten Europa und im geteilten Deutschland sein könnte, wird leider nicht erörtert.

    (Beifall bei der SPD)

    Darum bin ich der Meinung: Statt große Polemiken gegeneinander zu veranstalten, müßten wir einmal sehr konkret die äußeren und inneren Bedingungen für Fortschritte in der deutschen Frage diskutieren, um zu einem fruchtbaren Ergebnis zu kommen. Sonst wird nämlich die deutsche Frage auf dem Rücken der Deutschen in der DDR nur für den einen oder anderen Zweck und für die eine oder andere Auseinandersetzung benutzt.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Ihr Tadel gegen die Kultusminister hilft da nichts!)

    — Wir werden das im Ausschuß noch im einzelnen • diskutieren. Ich bin jetzt eine Minute vor dem Schluß meiner Rede.

    (Abg. Dr. Marx {CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Herr Marx, dürfen wir das auf den Ausschuß vertagen?
    Ich möchte zum Schluß auf ein innenpolitisches Problem eingehen, das Herr Kollege Kohl angeschnitten hat, das aber bis jetzt nicht weiter behandelt worden ist und das etwas mit dem zu tun hat, was ich soeben die. innere Dimension der Nation genannt habe. Es geht um das, was Herr Kollege Kohl
    — Herr Barzel hat auch etwas dazu gesagt — über die Lage der Jugend und der Familien in diesem Land gesagt hat.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Jetzt wird es spannend!)

    Der Bundeskanzler hat schon seine Meinung zur Geburtenrate gesagt. Diese Diskussion muß weitergeführt werden. Ich füge aber noch einiges andere hinzu, das mindestens so alarmierend ist: z. B. die gegenüber anderen Industrieländern hohe Säuglingssterblichkeit, die große Zahl von Fällen, die uns gerade die Kirchen und die Sozialverbände nennen, von Vernachlässigung von. Kindern in der Familie, die Zahl der Kindermißhandlungen, der Drogen- und Alkoholmißbrauch und schließlich die relativ hohe Selbstmordrate. Herr Kollege Weizsäcker, dies alles sind sicher bedrückende Entwicklungen. Ich bin der Meinung, sie eignen sich wirklich nicht für parteipolitische Auseinandersetzungen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Hier gibt es zwei Problemschichten, die wir diskutieren müssen. Einmal erleben wir in den Industriegesellschaften — die Mobilität wird ja gelobt; es wird gelobt, wenn möglichst alle in der Familie arbeiten — das Auseinanderfallen nicht nur der Großfamilie, sondern auch der Kleinfamilie. Da müssen Sie auch einmal klarkommen, wie sich eigentlich neoliberale Wirtschaftstheorie mit christlich-sozialen Vorstellungen bei Ihnen vereinbaren sollen.
    Die zweite Frageschicht: Wir haben in der Bundesrepublik eine, wie ich glaube; erschreckende Kinderfeindlichkeit. Ich glaube, daß der Grund für diese Kinderfeindlichkeit nun nicht etwa in dem einen oder anderen Gesetz zu suchen ist. Sie liegt vielmehr in einer materialistischen Auffassung, für die Geld der höchste Wert in einer Konsumgesellschaft geworden ist.

    (Beifall. bei der SPD)

    Kollege Barzel hat in bezug auf den Islam gefragt, ob der Westen dort nicht viel zu materialistisch herangegangen sei. Ich glaube, wir sollten uns einmal überlegen, ob wir nicht auch hier bei uns - bei allem, was auf dem Gebiet der Hilfen und der Familienhilfen getan werden muß; wir haben ja mit. Kindergeld und Mutterschaftsurlaub eine Menge getan — vor so grundsätzlichen Fragen unserer Gesellschaft, .ja unserer Kultur stehen, daß wir sie nicht auch noch in kleinkarierten parteipolitischen Streitigkeiten verbiegen dürfen.

    (Beifall 'bei Abgeordneten der SPD)

    Meine Fraktion und meine Partei sind für solche kritischen Fragen offen. Wir sind offen für die Frage vieler junger Leute nach einem neuen Lebensstil, der -nicht dieses menschenverachtende Element hat, das viele Teile unserer Gesellschaft heute zeigen. Wir sind dafür, daß dies alles zur Aussprache und Diskussion kommt, und sind auch darum gegen Schnüffelei.
    Kurt Schumacher hat einmal gesagt, demokratischer Sozialismus, das sei die ökonomische Befreiung der sittlichen und moralischen Person. Das stimmt auch dann, wenn es um Kinder und Eltern geht.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)






Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen ' und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bangemann.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Martin Bangemann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann mich noch an Debatten über 'den Kanzleretat zu Zeiten des Bundeskanzlers Brandt erinnern. Damals lautete der Tenor der Oppositionsreden, dies sei ein Kanzler, der über den Wolken wandere, sich aber auf der Erde nicht auskenne. Der Tenor der Reden während. dieser Debatte war genau umgekehrt: Hier handle es sich um einen realistischen Macher, der den Blick in die Sterne nicht wage. Möglicherweise ist die Verschiebung der Perspektive durch die unterschiedliche Statur der Personen, um die es hier ging, entstanden. Das ist aber nicht allein Gegenstand der Debatte. Gegenstand der Debatte ist die gesamte Position der Bundesregierung, ist das, was in dem zurückliegenden Jahr und im vor uns liegenden Jahr an Kritik und Anregungen aufzuzeigen ist.
    Eine Perspektive ist sicher unbezweifelbar vorhanden. Sie ist im Jahre 1979 von uns wahrzunehmen. Sie kann auch verfehlt werden. Ich meine die vor uns liegende Direktwahl des Europäischen Parlaments. Der Kollege Kohl hat in diesem Zusammenhang auf das Kölner Programm der SPD abgehoben und hat sich gewundert, daß ich auf dem Dreikönigstreffen -zu diesem Programm einiges Kritische gesagt habe. Dies ist überhaupt nicht erstaunlich, meine Damen und Herren, das hat auch gar nichts mit der Regierungskoalition zu tun, die wir in diesem Hause und für die Bundesrepublik mit der SPD vereinbart haben und durchführen, sondern das ist einzig und allein die selbstverständlichste Sache der Welt, nämlich der Beginn eines Wahlkampfes, in dem die einzelnen Parteien ihre eigenen natürlich unterschiedlichen Vorstellungen formulieren. Die werden bei der SPD so sein, wie sich die SPD eine Europäische Gemeinschaft idealerweise vorstellt; sie sind bei der CDU so, wie sie sich die Gemein- Schaft vorstellt, und auch wir haben unsere Vorstellungen einzig und allein nach unseren liberalen Maßstäben formuliert.
    Die SPD ist in diesem Programm auch mit uns nicht glimpflich umgegangen. Es wäre falsch anzunehmen, daß sie eine Rücksicht geübt hätte, die sich aus der Koalition ergibt. Ich darf einmal zitieren, was die SPD von uns, den Liberalen, hält, damit das deutlich wird. Es heißt dort:
    Die Liberalen haben ein einseitiges Freiheitsverständnis. Sie betonen eher die individuelle Freiheit und Chancengleichheit, haben in ihrer Geschichte aber oft die Bedeutung sozialer Reformen und Strukturveränderungen unterschätzt. Ihre europäische Struktur ist höchst unterschiedlich und stark von, nationalen Bedürfnissen geprägt.
    Liebe Freunde von der SPD-Fraktion, die Einschätzung des liberalen Freiheitsverständnisses mag strittig sein; ,darüber kann man unterschiedliche Auffassungen haben. Was aber den letzten Satz
    dieses Urteils über die Liberalen angeht, so wäre er besser unbeschlossen und ungeschrieben geblieben; denn das, was ich an Ihrem Programm von Köln als erstes kritisiert habe - was ich wiederholen will —, ist ja die Tatsache, daß Sie auf Grund der nationalen Unterschiedlichkeit der sozialistischen Parteien in der Europäischen Gemeinschaft gezwungen waren, dieses Kölner Programm überhaupt zu verabschieden. Sie haben ja nicht das geschafft, was wir Liberalen geschafft haben: alle liberalen Parteien der Gemeinschaft in einer Partei zusammenzufassen und ein gemeinsames Programm zu verabschieden, mit dem wir einen gemeinsamen europäischen Wahlkampf machen.

    (Beifall bei der FDP)

    Es gibt keine Wahlaussage, die einzig und allein für sich steht und nur im nationalen Rahmen gilt. Wer auszieht, Europa zu einigen, muß, meine ich, zunächst einmal den Beweis dafür erbringen, daß er sich in der eigenen Parteifamilie einigen kann. Wer diesen Beweis schuldig bleibt, sollte andere Parteien nicht fälschlicherweise der nationalen Uneinigkeit zeihen. Wenn das für jemanden nicht zutrifft, dann für die Liberalen in Europa.

    (Beifall bei der FDP)

    In diesen Programmen werden natürlich auch die unterschiedlichen Positionen für Europa deutlich werden. Vielleicht ist es gar' nicht schlecht, wenn man im Unterschied zu den einzelnen Parteifamilien aufzeigen kann, wo die verschiedenen Vorstellungen für Europa ihre Kanten haben; denn das weitgehende Desinteresse für Europa ist ja zum Teil auch darin begründet, daß dieses Thema in der Vergangenheit der europäischen Einigung kein Streitgegenstand zwischen den Parteien war.
    Wenn Herr von Weizsäcker sagt, es gebe einen Gegensatz zwischen dem Regierungsprogramm und dem Kölner Programm, so ist das unbestreitbar. Das ist aber auch gar nicht weiter verwunderlich. Das braucht man gar nicht zu erwähnen;, denn diese Regierung hat ja ein sozialliberales Programm zu verwirklichen, das im Einverständnis der beiden Koalitionspartner vereinbart worden ist, während das Kölner Programm der SPD . einzig und allein ihre Vorstellungen enthält, die Vorstellungen des demokratischen Sozialismus. Was in dieser Regierung passiert, Herr von Weizsäcker, ist sozialliberal, und was in bezug auf 'Europa passiert, ist demokratischer Sozialismus. Dieser Unterschied ist offensichtlich, wie Sie gesagt haben. Dagegen läßt sich auch gar nichts einwenden.

    (Dr. Köhler [Wolfsburg] [CDU/CSU] : Es ist dankenswert, daß Sie das einmal klargestellt haben!)

    — Aber Herr Kollege, wenn Sie noch weitere Aufklärungen über den Unterschied zwischen Sozialismus und Liberalismus wünschen — darüber kann ich fünf Stunden lang reden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Lieber nicht!)

    Ich bin allerdings im Zweifel, ob Ihnen das dann
    aufgeht; denn in Ihr Weltbild paßt ja nur eine Regierung, die sozusagen ein und derselbe Mus ist.



    Dr. Bangemann
    Daß das nicht der Fall ist und daß Sie das erkannt haben, ist ein bemerkenswerter Fortschritt auf dem Wege politischer Erkenntnis. Ich gratuliere Ihnen dazu.

    (Beifall bei der FDP)

    Wir haben natürlich auch unterschiedliche Vorstellungen von Europa — und damit auch von der Bundespolitik — entwickelt, soweit es die Konservativen angeht. Diese Unterschiede sind sehr deutlich. geworden. Ich fange einmal mit der Außenpolitik an, mit der Frage: Welche Rolle soll die zukünftige Europäische Gemeinschaft, die sich zur Europäischen Union entwickelt, außenpolitisch spielen?
    Ich will Herrn Kohl nicht unterstellen, daß die Rivalität zwischen China und der Sowjetunion, die er heute morgen beschworen hat, mit den Träumereien zu vergleichen sei, die zuweilen an bayerischen Kaminen geträumt werden, daß man nämlich Arm in Arm mit China die Sowjetunion in die Knie zwingen könne.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Wer sagt denn das?)

    — Ich habe ausdrücklich gesagt, Herr Mertes, daß sich das nicht miteinander vergleichen läßt.
    Aber das ist die Nuance, die wichtig ist — die
    konservativen Vorstellungen über Europa in der Außenpolitik sind allesamt defensiv, weil sie nämlich von dem alten Bild einer Großmacht Europa ausgehen, die ihre politische Rolle dadurch untermauert, daß sie die Gegensätze in der Welt ausnützt und versucht, daraus eigenen Honig zu saugen.
    Meine Damen und Herren, dies ist ein fundamentaler Gegensatz zu liberaler Außenpolitik, wie sie vom Außenminister dieser Regierung auch praktiziert wird. Wir wollen nicht dazu beitragen, daß sich die Gegensätze in der Welt vertiefen, weil wir den kurzfristigen Vorteil, den wir vielleicht daraus erlangen können, als zu gefährlich ansehen, wenn wir ihn mit der Gefährdung für den Weltfrieden vergleichen, die dabei unabweisbar entstehen wird. Es kommt gar nicht darauf an, ob sie subjektiv eine solche Verschärfung der Weltsituation wollen oder nicht. Wer den Gegensatz zwischen der Sowjetunion und China, der jetzt schon vorhanden ist und der sich vertiefen wird, ausnutzen will, um dabei eigene Vorteile zu erzielen, der fördert objektiv, auch wenn er das subjektiv nicht will, die Verschärfung einer weltpolitischen Auseinandersetzung, die zu einem neuen Weltkrieg und zu neuem großen Unheil führen kann.

    (Beifall bei der FDP)

    Diese Leute, die das in der Vergangenheit gemacht haben, waren nie dafür verantwortlich. Wir wollen nicht zulassen — das wenden wir gegenüber dem konservativen Lager in Europa und in der Bundesrepublik ein —, daß erneut eine verhängnisvolle Hasardeurpolitik begonnen wird, die kurzfristig auf Vorteile gerichtet ist und langfristig un- ser aller Leben und unser aller Sicherheit gefährdet.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)