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    Plenarprotokoll 8/131 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 131. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 Inhalt: Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . . 10267 A Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1979 (Haushaltsgesetz 1979) — Drucksachen 8/2150, 8/2317 — Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes — Drucksache 8/2404 — Dr. Kohl CDU/CSU 10267 C Wehner SPD 10281 B Mischnick FDP 10290 B Dr. Althammer CDU/CSU 10296 C Dr. Ehmke SPD 10303 A, 10352 B Hoppe FDP 10305 A Schmidt, Bundeskanzler . . . 10306 C, 10342 B Dr. von Weizsäcker CDU/CSU 10320 D Genscher, Bundesminister AA 10327 B Dr. Barzel CDU/CSU . . . . . . . . 10334 C Dr. Marx CDU/CSU 10347 C Dr. Bangemann FDP 10359 A Namentliche Abstimmung 10366 C Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — Drucksachen 8/2405, 8/2470 — Picard CDU/CSU 10368 B Dr. Bußmann SPD 10371 B Schäfer (Mainz) FDP 10372 A Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister AA 10374 C Vizepräsident Frau Funcke 10369 C Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksache 8/2420 — 10376 B II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — Drucksachen 8/2414, 8/2470 — Hauser (Bonn-Bad Godesberg) CDU/CSU 10376 C Stöckl SPD 10378 D Weiskirch (Olpe) CDU/CSU . . . . . 10380 B Möllemann FDP 10383 A Dr. Apel, Bundesminister BMVg . . . 10386 D Namentliche Abstimmung . . . . . . 10389 A Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — Drucksache 8/2425 — 10391 C Nächste Sitzung 10391 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 10393 A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10267 131. Sitzung Bonn, den 24. Januar 1979 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Adams * 26. 1. Dr. von Aerssen 26. 1. Dr. Aigner * 26. 1. Alber * 24. 1. Dr. Bayerl * 25. 1. Brandt 26. 1. Flämig * 26. 1. Gruhl 24. 1. Haase (Fürth) * 26. 1. Haberl 25. 1. Hoffmann (Saarbrücken) * 26. 1. Ibrügger * 26. 1. Dr. h. c. Kiesinger 24. 1. Klinker 26. 1. Koblitz 26. 1. Kroll-Schlüter 24. 1. Lange * 25. 1. Dr. Lenz (Bergstraße) 26. 1. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lücker * 24. 1. Luster * 26. 1. Müller (Bayreuth) 26. 1. Müller (Berlin) 26. 1. Müller (Mülheim) * 26. 1. Neuhaus 24. 1. Schmidt (München) * 26. 1. Schmidt (Wuppertal) 24. 1. Dr. Schmitt-Vockenhausen 26. 1. Schreiber * 26. 1. Dr. Schröder (Düsseldorf) 26. 1. Seefeld * 24. 1. Dr. Starke (Franken) * 24. 1. Frau Dr. Walz * 26. 1. Wawrzik * 25. 1. Dr. von Weizsäcker 25. 1. Würtz * 26. 1. Ziegler 26. 1. *für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
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    Ich bin bereit, das in Anschlag zu bringen. Mir ist nicht das Bewußtsein verlorengegangen, daß wir zwei Kriege geführt und zwei Weltkriege verloren haben. Ich
    spüre das ja. Sie spüren es auch. Wir spüren es auch im Haushalt. Gucken Sie sich den Sozialhaushalt im Bundeshaushalt an! Da spüren Sie doch, was wir dafür zu zahlen haben. Gucken Sie sich den Lastenausgleich an! Es ist doch nicht so, daß wir die Lasten nicht trügen.

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Aber die Rechnung stimmt doch nicht!)

    — Die Rechnung ist völlig in Ordnung.

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich erinnere daran, daß der Kollege Barzel schon vor sechs Jahren vom „Finanzchaos" geredet hat. Sie möchten dem deutschen Steuerzahler suggerieren, wir nähmen mehr Schulden auf, als wir hinterher zurückzahlen und verzinsen könnten.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    — Ja, Sie nicken mit dem Kopf, und das ist dankenswert. Sie nageln sich damit selber auf den Unfug fest. Die Wahrheit ist, daß es in ganz Europa keinen Staat von vergleichbarer Größe gibt, der so wenig Zinsenlast zu tragen hat wie die Bundesrepublik Deutschland.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das heißt nicht, daß uns das nicht jedes Jahr aufs neue besorgt machen müßte. Das heißt nicht, daß der Finanzminister und das ganze Kabinett für die intensive Beratung durch die Bundesbank, wie weit man dabei gehen darf, nicht dankbar wären. Das heißt nicht, daß wir nicht dem Haushaltsausschuß dankbar wären, der bei den Ausgabenentwürfen hier und da noch ein bißchen abschneidet. Aber es heißt eben auch, daß zu der Schwarzmalerei des Herrn Oppositionsführers kein Anlaß ist.
    Es war auch kein Anlaß, Herr Abgeordneter Kohl, erneut über die Besorgnisse der Rentner zu sprechen. Die große Mehrheit der Rentnerinnen und Rentner ist zufrieden; denn es geht ihnen besser, als es ihnen jemals zu Zeiten der Minister Katzer und Strauß gegangen ist.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir haben ja auch die Rentenversicherungsbeiträge immer noch nicht erhöht. Damals sind sie unter einem Ihrer Minister in einem einzigen Gesetz — wir haben dem zugestimmt — von 14 % des Bruttolohns auf 18 % erhöht worden. Wir haben sie seither nicht wieder erhöht. Es gibt gar keinen Grund, hier schwarzzumalen.
    Es gibt, glaube ich, auch keinen Grund schwarzzumalen, wenn von der Bevölkerungsentwicklung die Rede ist. Aber es gibt Grund, darüber nachzudenken. Es ist eine Tatsache, daß wir, in der ersten Hälfte der 60er Jahre kulminierend, einen Geburtenberg gehabt haben. Noch zu Zeiten der Regierung von Ludwig Erhard setzte der Rückgang in den Geburtenziffern ein. Das hat sich seit 1966, 1967, 1968, 1969 fortgesetzt. Jetzt haben wir 1979. Das hat sich lange Zeit fortgesetzt. Es mag dafür mehrere Gründe geben.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Beim Nachdenken kommt man eben zum Schwarzmalen!)




    Bundeskanzler Schmidt
    — Einer der Gründe, Herr Mertes, liegt sicher in dem sehr virulent gewordenen Willen der jungen Frauen nach Emanzipation im Leben und nach Unabhängigkeit und nach eigener Leistung und eigener Anerkennung im Beruf. Ein anderer Grund liegt sicher in der Verfügbarkeit von pharmakologischen Mitteln, die es vorher nicht gegeben hatte. Darüber hinaus gibt es viele andere Gründe.
    Einen Grund gibt es nicht, den man auch hören kann: daß es inzwischen jungen Familien schlechter gehe als damals 1965. Es ist Unsinn, daß die Wohnungsnot größer geworden sei; es ist Unsinn, daß es heute weniger Kindergartenplätze gebe. Im Gegenteil, es gibt deren sehr viel mehr. Dafür haben wir gesorgt. Das zu behaupten wäre Unsinn.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich weiß nicht, was der Zwischenrufer sagen will. Sagen Sie es doch noch einmal laut!

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Wie viele Kindergärten haben Sie gebaut?)

    — Alles, was gut ist, haben Sie gemacht?!

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die Länder haben das getan!)

    — Ich bin einverstanden. Aber die Länder hätten es nicht gekonnt, wenn wir nicht für den ökonomischen Rahmen gesorgt hätten, dafür, daß dieser Staat funktionierte,

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen bei der CDU/CSU)

    wenn wir nicht dafür gesorgt hätten, daß sich durch die Bildungswerbung tatsächlich gleiche Chancen für gleiche Schulbildung in diesem Lande verbreitert und ausgedehnt hätten,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    wenn wir nicht z. B. für das Ausbildungsplatzförderungsgesetz gesorgt hätten, das Sie jedes Jahr erneut wieder am liebsten sterben lassen möchten, wenn wir jetzt nicht den Mutterschaftsurlaub ausgedehnt hätten, wenn wir nicht das Kindergeld erfunden hätten. Das sind doch alles Leistungen der sozialliberalen Koalition, die stammen doch nicht von Professor Erhard!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Aber ein Problem liegt hier gleichwohl, über das nachzudenken sich lohnt. Ich will eines sagen, daß manchem von Ihnen nicht gefallen wird. Ich spreche es trotzdem aus. Ich bin überzeugt, daß das Glück eines Volkes nicht im Geburtenüberschuß liegt. Als ich in der Mitte der 20er Jahre zur Schule kam, haben wir gelernt, die Weltbevölkerung betrage 2 Milliarden Menschen. Heute weiß man, daß sie am Ende dieses Jahrhunderts 6 Milliarden Menschen betragen wird. Viele von diesen 6 Milliarden Menschen werden nicht richtig ernährt, haben keinen Arbeitsplatz, werden nicht richtig ausgebildet. Es ist mir sehr fraglich, ob die Gesamtbevölkerung der Welt so schnell wachsen darf.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Das ist doch nicht unsere Frage!)

    Diese Frage ist für mich immer ein ganz wichtiges
    Thema in den Gesprächen zwischen Nord und Süd.
    Ich bin also nicht der Meinung, daß das deutsche Volk wachsen müßte.

    (Glos [CDU/CSU] : Zumindest nicht schrumpfen!)

    Es kann sogar — mit einer Bedingung, die ich gleich anfüge — hingenommen werden, daß die Volkszahl abnimmt. Das muß auch noch kein Unglück sein. Die eigentliche Besorgnis liegt für mich in der zukünftigen Struktur der Altersschichtung insgesamt. Da liegt das eigentliche Problem.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das sagen wir doch! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Wenn Sie es so sagen, haben wir einen gemeinsamen Ansatz, über den wir gemeinsam nachdenken könnten.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das haben wir immer gesagt!)

    Ich will aber auch eines deutlich hinzufügen. Ob und inwieweit es persönliches Glück — wie Sie neuerdings sagen — oder Lebensqualität — wie wir sagen, und dieser Ausdruck ist auch nicht ganz glücklich — für den einzelnen Menschen bedeutet, Kinder zu haben und Kinder aufzuziehen, muß das Ehepaar selber entscheiden. Darüber sind wir uns wohl auch einig.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Kohl [CDU/CSU] : Natürlich, das ist völlig klar! Das ist doch nicht strittig! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich behaupte doch nicht, daß dies strittig sei. Ich versuche, einen gemeinsamen gedanklichen Ansatz zu entwickeln, und schon fahren Sie dazwischen. Vorhin haben Sie doch für Gemeinsamkeit plädiert, Herr Kohl. Ist das mit Ihrem Willen zur Gemeinsamkeit nun echt oder unecht?

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich bitte darum, darüber nachzudenken, ob es nicht richtig ist, daß der Staat denen, die sich entscheiden, Kinder zu haben und aufzuziehen, zwar helfen soll, daß dies aber — lassen Sie mich Ihren Sprachgebrauch übernehmen — eine subsidiär konzipierte Hilfe sein muß. Niemand von uns denkt daran, durch staatliche Prämien Geburtenziffern nach oben zu treiben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Das war aber ein schwacher Beifall!)

    — Es ist ja auch nicht auf Beifall angelegt, verehrter Kollege. Diese Passage soll zeigen, daß noch nicht alle Rezepte zu diesem Thema — Ihre wohl auch nicht — auf dem Tisch liegen. Von Herrn Kohl habe ich zu diesem Thema überhaupt kein Rezept, sondern nur ein Fragezeichen gehört. Das nehme ich ihm gar nicht übel. Ich versuche, ihm darzutun, wie weit mein Denken hierzu im Augenblick geraten ist. Vielleicht ist Ihres weiter geraten. Wenn es allerdings nur darin bestünde, daß Sie — so wie Herr



    Bundeskanzler Schmidt
    Stoltenberg — eine lange Latte von Ausgabenwünschen auf den Tisch legen, so wäre das weder eine familienpolitische Konzeption, die sich selber trägt, noch wäre damit schon dem „Glück der Menschen" Rechnung getragen, Herr Abgeordneter Kohl.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir werden darüber im Laufe der nächsten Jahre eine ganze Menge nachdenken müssen. Es gibt ja Parallelerscheinungen in Mitteleuropa, in Osterreich, der Schweiz, der Deutschen Demokratischen Republik. In der DDR gibt es in den letzten achtzehn Monaten möglicherweise einen Trendwechsel, vielleicht auch nur — man weiß das noch nicht — einen vorübergehenden Pendelausschlag.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : In Frankreich nicht mehr!)

    Sie haben mir unterstellt — oder war es Herr Althammer? —, ich hätte eine Denkschrift von Bevölkerungswissenschaftlern zur Verschlußsache erklärt. Das ist nun wirklich töricht. Wieso sollte man wissenschaftliche Denkergebnisse zur Verschlußsache machen? Ich fand nur, .daß manche der Prognosen allzu einfach waren

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    — in der Tat —, als daß man sie mit irgendeinem regierungsamtlichen Adjektiv hätte veröffentlichen sollen. Sie sind ja alle öffentlich zu lesen. Es muß darüber noch ein bißchen mehr nachgedacht werden.
    Es muß auch über den Anteil der Ausländerbevölkerung an unserer Gesellschaft nachgedacht werden. Es muß darüber nachgedacht werden, was mit den Kindern der Ausländer wird.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Sie können doch nicht übersehen, daß viele der Ausländerkinder in der schulischen, der gewerblichen und der beruflichen Ausbildung Not leiden. Wir alle haben Sorgen — dies gilt z. B. für die Innenminister aller elf Länder —, wohin das wohl führen wird, allein schon unter dem Aspekt der inneren Sicherheit. Und dieser Aspekt ist zwar nicht der unwichtigste, aber doch nur einer von vielen Aspekten und jedenfalls nicht derjenige, der sittlich und moralisch bei dem Problem des Schicksals dieser Kinder im Vordergrund zu stehen hätte.
    Sie haben daran Kritik geübt, daß wir jemanden gebeten haben, sich darum zu kümmern. Es handelt sich ja weitgehend um einen Fragenkomplex, der in der Kompetenz der Landesregierungen und der Landtage liegt, nicht in der Kompetenz des Bundestages und der Bundesregierung. Wir haben jemanden gebeten, sich darum zu kümmern, der aus der Sicht eines Landes schulpolitische, sozialpolitische, fürsorgerische und gewerbepolitische Erfahrungen hat. Sie haben sich nur daran aufgehängt und darüber geärgert, daß der Mann Sozialdemokrat ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Nein, darüber, daß er ein Ministerpräsident a. D. ist!)

    — Was haben Sie eigentlich gegen Ministerpräsidenten außer Diensten? In diesem Fall handelt es
    sich um einen Mann, der in Zukunft noch zusätzliche
    Verdienste auf jene darauflegen wird, die er sich in unserem Lande bisher schon erworben hat.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wenn wir irgendwo einen sehen, der in diesem Staat etwas zusätzliches zu leisten vermag, dann kann es doch keine Rolle spielen, ob er ein Amt aufgegeben hat oder nicht. Wir fragen doch auch den Bundesminister außer Diensten Höcherl, wenn wir für diesen gesamten Staat einen Rat brauchen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Es gibt auch andere, die ich gerne fragen würde, wenn sie sich zur Verfügung stellten.
    Daran kann man sich doch nicht im Ernst stoßen. Das ist doch ein Argument unterhalb des Niveaus des Deutschen Bundestages.
    Herr Kohl hat sodann von einer Kampagne gegen den Kollegen Professor Carstens gesprochen, der ja noch nicht offiziell zur Kandidatur für die Bundespräsidentenwahl nominiert ist, und hat mir unterstellt, ich hätte an einer „unanständigen Kampagne" gegen Professor Carstens in den Landtagswahlkämpfen teilgenommen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Herr Kohl, ich weise das zurück. Ich stelle dazu fest:
    Erstens. Ich habe keinerlei Anteil an solchen Kampagnen.
    Zweitens. Ich habe nichts gegen die Kandidatur irgendeines Mitgliedes dieses Hauses, auch nichts gegen eine Kandidatur des Herrn Professor Carstens. Aber ich wiederhole ganz genauso offen: Ich würde von Herzen gern Walter Scheel als Bundespräsident behalten und deshalb erneut wählen,

    (Anhaltender Beifall bei der SPD und der FDP)

    weil ich in der Tat — Herr Abgeordneter Kohl, Sie sprachen dauernd von Gemeinsamkeit — die Integrationsaufgabe des Bundespräsidenten bei Scheel in sehr guter Hand befindlich erkennen kann.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Drittens. Herr Abgeordneter Kohl, Sie haben von dem „Souverän", den deutschen Wählern gesprochen. Aber da irren Sie sich: Die Mehrheit der deutschen Bürger ist in diesem Punkte eher meiner Meinung als Ihrer Meinung.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Viertens. Sie haben darauf hingewiesen, daß die Wahl des Präsidenten nicht die Wähler entscheiden, sondern die Bundesversammlung. Da haben Sie recht. Aber es ist doch wohl erlaubt und legitim, so, wie man bei vielerlei Gelegenheiten das politische Denken des Herrn Kohl oder des Herrn Mischnick oder des Herrn Wehner durch öffentliche Rede und Widerrede, z. B. hier in diesem Hause, beeinflussen darf, die Mitglieder der Bundesversammlung geistig und politisch zu beeinflussen zu versuchen. Das habe ich getan; das werde ich auch in Zukunft tun. Das werden Sie auch nicht beanstanden können.



    Bundeskanzler Schmidt
    Im übrigen — nur auf die abermalige Anzapfung hin — sage ich erneut öffentlich: Ich bin gegen alle Schnüffeleien in allen politischen Lagern,

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Sehr gut!)

    ich bin gegen eine erneute Entnazifizierung. Ich habe übrigens nichts dagegen — damit das richtig, verstanden wird —, wenn die CSU in meinem Leben weiterhin schnüffelt; das als Klammerbemerkung. Was dabei herauskommt, kann ich gut verantworten. Das kann jeder lesen. Damit kann sich jeder sehen lassen. Was wir aber nicht gebrauchen können, wenn wir keine neue Entnazifizierung wollen: Wir können nicht politische Führer gebrauchen, die sich an ihr eigenes Leben und an von ihnen gefällte Todesurteile nicht mehr erinnern können.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf des Abg. Dr. Kohl [CDU/CSU])

    Sie haben in diesem Zusammenhang ein Wort über den amerikanischen Fernsehfilm „Holocaust" gesagt, der im Augenblick auch bei uns gezeigt wird — was ich übrigens begrüße. Daran mag manches falsch sein; vieles an diesem Film ist aber richtig. Ich habe Teile davon in Amerika gesehen und jetzt bisher nur einen kurzen Ausschnitt. Jedenfalls zwingt dieser Film zum kritischen Nachdenken, zum moralischen Nachdenken. Nachdenken tut hier not, auch im Hinblick auf die Entscheidung, die jeder von uns im Laufe dieses Jahres, jeweils für sich, in Sachen der strafrechtlichen Verjährung von Mord zu treffen' haben wird. Beinahe möchte ich hinzufügen: Eigentlich sollte dieser Film auch im anderen Teil Deutschlands gezeigt werden. Auch die Menschen dort haben ein Recht, Anlaß und Stoff zu bekommen, über unsere gemeinsame deutsche Geschichte erneut nachzudenken.

    (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Sie werden bemerkt haben, daß hier keine tiefe Divergenz zwischen uns beiden besteht. Ich hoffe, es wird mir nicht übel genommen, daß ich auch Dinge sage, über die wir uns nicht streiten müssen.
    Streiten müssen wir uns in Sachen Extremistenerlaß. Sie haben das erstaunliche Wort gebraucht, hier sei ein Stück verfassungspolitischer Gemeinsamkeit aufgegeben, aus Angst aufgegeben worden. Herr Kohl, die Regelanfrage bei Einstellung in den öffentlichen Dienst steht weder im Grundgesetz noch im Urteil des Verfassungsgerichts, welches das Grundgesetz auslegt. Kommunistische oder rechtsextremistische Gefährdungen unserer Gesellschaft, unseres Staates haben wir von 1945 bis auf den heutigen Tag gehabt, auch vor 1972. Vor 1972 hat es bei gleichem Verfassungsrecht aber keine Regelanfrage gegeben. Nirgendwo ist geboten, daß Hunderttausende von Menschen durchgeprüft werden müssen, nirgendwo ist das geboten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das hatten Sie in den CDU-regierten Ländern früher ja auch nicht getan. Das ist vielmehr eine Praxis, die erst in diesem Jahrzehnt begonnen wurde, zwar in gutem Glauben und mit guter Absicht, aber leider, wie man inzwischen weiß, mit Nebenergebnissen, die das Vertrauen eines Teils der jungen' Generation in die Kontinuität unseres Rechtsstaats eher gefährden als festigen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Deswegen ist das Ganze keine Verfassungsrechtsfrage, sondern es ist zum Teil eine Zweckmäßigkeitsfrage, auch eine psychologisch-pädagogische Zweckmäßigkeitsfrage. Für manche ist es auch eine Frage ihrer liberalen Grundgesinnung; das will ich nicht verschweigen.
    Ich bin — wie eh und je — der Meinung, daß Leute, die Gewalt üben, nicht in den öffentlichen Dienst gehören, daß Leute, die Grabsteine mit Hakenkreuzen beschmieren, nicht in den öffentlichen Dienst gehören.

    (Dr. Barzel [CDU/CSU] : Wie ist es mit der DKP? — Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Hammer und Sichel!)

    Aber ich bin auch der Meinung, daß Menschen das Recht haben, sich zu entwickeln. Es mag fraglich sein, ob wir allesamt richtig beraten waren, die Volljährigkeit auf den Beginn des 18. Lebensjahres festzusetzen; das mag sehr fraglich sein.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    — Ja, Sie haben ja zugestimmt. Wir alle zusammen haben das gemacht. — Ich glaube, daß sich manche Menschen nach dem 18. Lebensjahr — die meisten, wir alle wahrscheinlich — noch entwickeln. Einen Teil davon müssen wir als Entwicklung des Erwachsenen gegen uns gelten lassen, einen Teil davon dürfen wir als jugendliche Durchlaufphasen ansehen.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Aber das ist doch gar nicht unser Thema, Herr Bundeskanzler!)

    — Erlauben Sie mir, Herr Kohl, daß ich nicht nur zu Ihnen spreche. Wenn Sie mir hier ausnahmsweise zustimmen, dann ist es ja gut. Aber ich darf wohl meine Gedanken, nachdem Sie das Thema angeschnitten haben, auch ausbreiten. — Wenn wir hier offenbar übereinstimmen, daß man jungen Menschen nicht alles vorwerfen soll, was sie tun, dann müssen junge Menschen ihrerseits wissen: Wenn sie hier ein solches Entgegenkommen in Anspruch nehmen dürfen — daß man nicht alles und ewig auf die Waagschale legt, was sie als junge Leute tun — dann müssen sie genauso akzeptieren, daß nicht alles, was sie uns als junge Leute sagen, von uns nun auch gleich akzeptiert und gemacht werden muß. Wir haben das Recht und die Pflicht, zu widersprechen, wenn wir anderer Meinung sind. Das sollten wir auch tatsächlich tun. Diejenigen der jüngeren Generation, die sich in Irrwege verlaufen, haben ein Recht darauf, von Erfahreneren Widerstand geleistet zu bekommen. Sie haben ein pädagogisches Anrecht auf solchen Widerstand. Darin sind wir sicherlich auch einig.
    Wenn Sie sich die Statistiken ansehen, wenn Sie sich ansehen, wieviel Hunderttausende von Leuten karteimäßig überprüft worden und wie sehr wenige davon tatsächlich nachher abgelehnt worden sind, dann wird Ihnen das Mißverhältnis wahrscheinlich selber deutlich. Es kann sein, daß nach dem viel zu



    Bundeskanzler Schmidt
    weit gegangenen Pendelausschlag 1972 das Pendel heute hier und da ein bißchen zu weit in die andere Richtung ausschlägt; das werden wir abwarten müssen.
    Ich bin dafür, daß dieser Versuch gemacht wird. Wenn Sie Ihre Position bitte noch einmal prüfen wollen: keineswegs haben wir — weder aus Angst noch aus anderen verwerflichen Motiven — solchen Forderungen nachgegegeben, die wir nicht glaubten verantworten zu können. Es waren mehrere solcher Forderungen, die ich nennen könnte. Ich unterlasse das jetzt. Wir machen einen Versuch, einen neuen Anfang und hoffen, daß er bei den jungen Menschen zu einer Verbreiterung der Vertrauensbasis führt.
    Ich möchte in diesem Zusammenhang sehr deutlich sagen, daß die Bundesregierung — und, ich glaube, ich darf das für die Freie Demokratische Partei und für die sozialdemokratische Fraktion auch mit sagen — sehr wünschen würde, wenn die Monopolausbildungsverhältnisse des Beamtenrechtsstatus entkleidet und ein anderes Anstellungsverhältnis an die Stelle gesetzt werden könnte.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Länder haben die Möglichkeit. Da gibt es gegenwärtig im Bundesrat einen Gesetzentwurf dazu. Die Bundesregierung wird dazu dem Bundestag demnächst ihre Meinung sagen.
    Ich habe ein bißchen das Gefühl gehabt, Herr Abgeordneter Kohl, daß das ganze Thema von Ihnen nur deswegen angeschlagen wurde, weil Sie ja im Grunde erneut — Sie folgen da Herrn Ministerpräsidenten Strauß in seiner früheren Eigenschaft als Abgeordneter — Sozialdemokraten und Kommunisten gern in eine Nähe zueinander rükken möchten. Sie haben gesagt, Extremisten von links und rechts hätten im Durchschnitt der Jahre 0,9 0/o erreicht hier in Deutschland; das sei ja nicht viel.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Das war 1976!)

    — Ja, gut, 1976. Das ist ja gut, sogar sehr gut, da sind wir uns beide einig. Aber wenn das so ist, weswegen sollten wir denn mit 0,9%- das wäre doch schon arithmetisch absurd — Koalitionen anstreben? Wir haben doch eine Mehrheit, eine knappe, aber eine ausreichende Mehrheit. Manchmal wäre einem lieber, wenn sie ein bißchen opulenter wäre. Manchmal wäre einem allerdings auch eine etwas schlagkräftigere Opposition lieber. Je stärker die Opposition politisch wäre, desto besser könnte man auch mal mit einer knappen Mehrheit regieren — wenn ich Ihnen ein Geheimnis offenbaren darf!

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen bei der CDU/CSU — Dr. Jenninger [CDU/ CSU]: Sie können es gern haben!)

    Aber warum sollten wir vor allem anderen überhaupt mit Kommunisten zusammengehen wollen?

    (Pfeffermann [CDU/CSU] : Das tun Sie doch an den Universitäten!)

    Die Kommunisten wollen die Teilung Deutschlands endgültig machen. Sie wollen, daß eine einzige Partei die Macht ausübt. Es gibt viele junge Menschen unter den Kommunisten, die große, ehrliche Ideale haben; ,das habe ich auch erlebt. Aber es gibt viele alte Kommunisten, die schreckliche Enttäuschungen ihrer Ideale durch die kommunistische Praxis erlebt haben. Weswegen sollten wir Sozialdemokraten solche Lebensenttäuschung auch diesem Teil der geteilten deutschen Nation zumuten? Wir wollen keine staatlich verordneten Löhne, keine staatlich verordnete Glückseligkeit für jeden nach demselben Schema, keine Staatsgewerkschaften, keine staatlichen Normen oder Arbeitsbedingungen. Wir wollen weder DKP noch KPD noch KPD/ML noch — wie heißen sie alle — KBW noch KB. Wir wollen die alle nicht in diesem Hause als Mitglieder sehen. Aber wir wollen sie in offener, in geistiger, in sittlich-moralischer, in politischer Auseinandersetzung durch die große Mehrheit unserer freien Bürger besiegt sehen und nicht durch die Ämter, die Dienste und die Gerichte.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Barzel [CDU/CSU]: Und die Ministerien!)

    Wir brauchen diese Dienste und brauchen diese Ämter und brauchen die Gerichte, um Bescheid zu wissen, um zu ordnen, um Gerechtigkeit walten zu lassen. Wir brauchen aber vor allem anderen den selbstbewußten Bürger, um Kommunisten und alle anderen Extremisten von links und Neonazis und allen anderen Extremisten von rechts jedesmal, bei jeder Wahl wieder diesen gleichen Prozentbruchteilen, die Sie zitiert haben, anheimfallen zu lassen.
    Ich wundere mich eigentlich ein bißchen, warum Sie es denn nicht lassen können — einerseits reden Sie von Herzenstakt und -gute; ich zitiere Sie aus Ihrer Duisburger Rede von vor einigen Tagen —, in solchen Zusammenhängen die andere große Partei moralisch disqualifizieren zu wollen. Erstens, Herr Kohl, gelingt es Ihnen nicht; denn Sie sind damit nicht glaubwürdig. Zweitens vertiefen Sie Gräben, was Sie angeblich ja nicht wollen. Was soll denn das? Einerseits halten Sie in derselben Rede eine große Predigt gegen die Macher, die Planer, die vorschnellen Analytiker, die Memorandenschreiber, die Intellektuellen; ich weiß nicht, ob Biedenkopf oder Schmidt gemeint war, offenbar ist für Sie beides dieselbe Soße.

    (Heierkeit und Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich will das gar nicht leichthin ironisieren; wer Sie kennt, weiß ja, daß Sie so etwas ernst meinen, Herr Kohl,

    (Erneute Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP)

    und daß Sie es ernst meinen, wenn Sie andererseits in derselben Rede davon sprechen, das Herz und das Gemüt müßten in der Politik die große Rolle spielen. Beides, Herr Kohl, wird verlangt, das Herz, aber auch der abwägende Verstand, die Vernunft.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Beides ist doch auch gesagt worden! Zitieren Sie doch nicht dauernd so einen abwegigen Kram!)




    Bundeskanzler Schmidt
    — Ich zitiere das, was ich vor mir habe. Sie haben in derselben Rede Bismarck und Adenauer zitiert. Beide hatten ganz gewiß Herz und ganz gewiß Gemüt, aber ganz gewiß waren es Leute sehr kühlen, abwägenden Verstandes und Urteils, und ganz gewiß haben sie ihr Gemüt nicht auf der Zunge getragen, wenn sie ihre politischen Entscheidungen trafen und sie vor dem Deutschen Reichstag zu Berlin oder vor diesem Parlament zu begründen hatten.
    Tun Sie doch nicht so, als ob allein mit Herz oder mit „visionärer Schau", wie Sie dort gesagt haben, dieses Land zu steuern wäre.

    (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Da kann er Sie unmöglich gemeint haben!)

    Tun Sie doch nicht so, als ob allein mit dem Anstand, von dem Sie meinen, Sie hätten ihn gepachtet, dieses Land zu steuern wäre. Sie müssen sich aber, was den Anstand angeht, beim Wort nehmen lassen. Und wenn Sie in derselben Rede sagen, die Sozialdemokratie sei aus der Gemeinschaft der Demokraten ausgebrochen,

    (Zurufe von der SPD: Pfui!)

    dann sage ich Ihnen, Herr Kohl — und ich verzichte auf jede Polemik —:

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Auch für die Opposition gilt die Wahrheits- und die Anstandspflicht!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Man kann nicht auf der einen Seite Harmonie oder möglichst viel Einheitlichkeit und Gemeinsamkeit beschwören und sich auf der anderen Seite in derselben Rede so verhalten.
    Ich halte es hier mit Ernst Fraenkel, der vor etwa 15 Jahren geschrieben hat, im Pluralismus sei ein Minimum von Homogenität notwendig, ein Maximum aber nicht erstrebenswert. Demokratie ist die Lebens- und Staats- und Gesellschaftsform der Vielfalt, und deswegen, verehrte Freunde von der Christlich Demokratischen Union, kann es kein einheitliches Menschenbild geben, sondern hat jeder das Recht, sich sein Bild vom Menschen, wie er eigentlich sein sollte, zu machen.

    (Zuruf von der SPD: So ist es!)

    Es kann kein einheitliches deutsches Geschichtsbild geben, und es kann infolgedessen auch kein einheitliches Zukunftsbild geben.
    Übrigens haben Sie Ihr Zukunftsbild hier nicht entrollt; Sie haben nur lange Fragen an mich gestellt. Es wäre ja doch ganz schön gewesen, einmal wenigstens an irgendeiner Stelle zu hören, was Sie denn nun wirklich konkret anders haben wollen. Das wäre doch wirklich einmal gut, nicht?

    (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Das machen wir beim Haushalt der Opposition!)

    — Das machen Sie bei einem anderen Haushalt; ja, das habe ich mir gedacht.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Ist es eigentlich Ihr Haushalt, Herr Bundeskanzler, der hier debattiert wird, oder ist er es nicht?)

    - Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Die Mehrheit der Europäer, mit denen wir gemeinsam in den Wahlkapmf gehen, auch der anderen christdemokratischen Parteien, würde nicht im Traum über die gegenwärtige Regierungskoalition in Bonn so denken, wie Sie über sie reden, Herr Kohl.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Sie haben zum wiederholten Male von außenpolitischer Gemeinsamkeit gesprochen. Sie haben das schon häufig gesagt. Wenn das konkret gemeint ist, heißt das dann konkret auch, daß Sie aufhören, denjenigen, dem Sie Gemeinsamkeit anbieten, gleichzeitig als den Schrittmacher oder das Sprachrohr von Herrn Breschnew abzuwerten? Welches von beiden Ihrer Zitate gilt nun, das von dem „Sprachrohr Breschnews" oder das mit der Gesamtheit? Was von beiden ist ernst gemeint, so möchte ich hier fragen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Übrigens haben Sie das Breschnew betreffende Zitat ja aus dem Zusammenhang gerissen. Ich habe das Zitat von Fred Luchsinger aus der „Neuen Zürcher Zeitung" natürlich im vollen Text hier.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Was ist denn da aus dem Zusammenhang gerissen?)

    — Sie haben den zweiten Halbsatz weggelassen.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Lesen Sie das doch mal vor!)

    — Da steht:
    . .. fast als Sprachrohr Breschnews, aber Carter und noch deutlicher Vance folgen heute dicht hinterher.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Na und?)

    Das ist ein Generalangriff auf die ganze westliche Politik, nicht nur auf Schmidt, sondern ebenso auf die Amerikaner. Aber das haben Sie nicht mit vorgelesen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich halte diesen Generalangriff für abwegig.
    Ich finde es erstaunlich, wer alles in den Zeitungen in Amerika oder Europa berichtet, was vier Menschen auf jener Antilleninsel angeblich miteinander besprochen haben, was man alles gehört haben will und wie es kommentiert wird. Das erstaunlichste Wort in dem von Ihnen zitierten Aufsatz ist die Behauptung von der „Selbstfinnlandisierung der amerikanischen Politik". Jemand, der sich so verrennt — nicht nur außenpolitisch, sondern auch stilistisch und was das menschliche Feingefühl angeht —, ist für Sie eigentlich keine Autorität, Herr Abgeordneter Kohl.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Da wird sich Herr Luchsinger freuen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Es wird doch wohl noch erlaubt sein, sich gegenüber einem Zeitungsartikel zur Wehr zu setzen. Na, hören Sie mal! Wenn wir allerdings jeden Artikel korrigieren wollten, hätten wir viel zu tun. Bloß wenn sie der Oppositionsführer hier offiziell in die Debatte des Parlaments einführt, muß man darauf antworten dürfen.



    Bundeskanzler Schmidt
    Dieser Artikel bringt eine umfassende Kritik an der Entspannungspolitik des Westens. Ich muß Ihnen dazu sagen, daß die Vertreter der vier Staaten, die dort zusammen waren — USA, Frankreich, England und wir —, völlig darin übereingestimmt haben, daß es zur Fortsetzung der Entspannungspolitik keine verantwortbare Alternative gibt.
    ' (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Da Sie ansonsten auf die Außenpolitik nicht weiter eingegangen sind — nur von China war noch die Rede —, werde ich meine Rede damit auch nicht befrachten, zumal ich hoffe, daß der Bundesminister des Auswärtigen Gelegenheit nehmen oder bekommen wird, seinerseits etwas ausführlicher zu diesem Thema heute zu sprechen. Jemand, der bei Einzelplan 04 die Außenpolitik einführt, muß sich auch die Antworten der Bundesregierung gefallen lassen, nicht nur von mir, sondern auch von dem dafür von Amts und von Verfassung wegen bestellten Bundesminister des Auswärtigen, der seine Sache ausgezeichnet vortragen wird.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Sicherlich wird Herr Genscher auch zu dem von Ihnen angeschnittenen Thema China sprechen. Ich will dazu nur zwei Sätze sagen. Wir sind dabei, die Antworten auf die Briefe, die wir bekommen haben, vorzubereiten. Ich denke, es steht einem großen Waffenexporteur nicht gut an, anderen Ratschläge zu erteilen. Jedenfalls werden wir unsere restriktive Waffenexportpolitik fortsetzen, d. h., von uns erhält auch die Volksrepublik China keine Waffen.
    Ich frage mich allerdings, ob man da auf anderem Felde nun so weit gehen sollte, wie Herr Professor Abelein meint. Er ging so weit, zu sagen, für die Wiedervereinigung Deutschlands und das materielle und idelle Wohlergehen der Bevölkerung der DDR sei es besser, einige Milliarden DM für die Entwicklung Chinas auszugeben. Ich bin ja bereit, daran mitzuwirken, daß China Kredite bekommt, damit es bei uns etwas kaufen kann. Es würde uns allen nützen, wenn wir dorthin verkaufen. Aber was ist das für ein Zusammenhang, Herr Kohl!
    Wissen Sie, ich würde an Ihrer Stelle einmal ein Kolloquium veranstalten, mit Herrn Abelein, Herrn von Weizsäcker und Ihnen selbst in der Mitte, um herauszufinden, welche Deutschlandpolitik bei Ihnen eigentlich gelten soll.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    In Ihrem vorletzten Komplex haben Sie sich Gedanken über das Verhältnis zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und der Bundesregierung bzw. meiner Person gemacht. Das heißt, in Wirklichkeit haben Sie sich die Sorgen nicht gemacht, sondern Herr Biedenkopf hatte in seinem veröffentlichten Memorandum das Stichwort ausgegeben, das sei der eigentliche strategische, der archimedische Punkt, den sich die CDU aufs Korn nehmen müsse. Das haben Sie getan, könnten Sie denken; die Weisung ist befolgt. Aber glauben Sie denn das? Hatten Sie je den Eindruck, daß die Sozialdemokratische Partei ein Gesangverein ist, wo
    einer den Taktstock schwingt und die anderen im
    Chor singen? Das ist nicht einmal mehr in der CDU
    so. Dort war das zeitweilig so gewesen, das ist wahr.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP)

    Da gibt es aber jetzt gegenwärtig mehrere Taktstöcke.

    (Dr. von Weizsäcker . [CDU/CSU] : Wenigstens gibt es den Takt!)

    Die Sozialdemokratische Partei ist ein Institution der geistigen Auseinandersetzung.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Das war über die ganzen 120 Jahre, die es bald sind, der Geschichte der SPD so, das ist heute so, und das bleibt auch so.. Im Rahmen solcher geistigen und politischen Auseinandersetzungen werden auch Meinungen geäußert und Bemerkungen gemacht, die z. B. der amtierende Bundeskanzler nicht vertritt. Das halte ich durchaus für etwas Selbstverständliches. Sie werden auch nicht Herrn Abeleins und Herrn von Weizsäckers Berlin- und Deutschlandpolitik gleichzeitig unterschreiben können oder gleichzeitig unterschreiben, was Herr Barzel, was Herr Biedenkopf und was Sie selber sagen.

    (Zuruf des Abg. Wehner [SPD])

    Das ist in einer politischen Partei wohl etwas Normales. Aber wenn Sie glauben machen wollen — Sie hab en immer den stellvertretenden Parteivorsitzenden angeredet —, als ob die Parteien sozusagen zu Exekutivorganen der Bundesregierung reduziert werden sollten,

    (Dr. von Weizsäcker [CDU/CSU] : Siehe FDP!)

    dann kann ich Ihnen da nicht folgen.

    (Beifall bei der SPD)

    Sicherlich ist die gegenwärtige Sozialdemokratie für den gegenwärtigen Bundeskanzler nicht ganz so bequem, wie die CDU in seinen längsten Amtszeiten für Konrad Adenauer bequem war. Das ist wahr. Ich meine auch, manchmal könnte sie es ihrer Regierung etwas leichter machen, verehrte Freunde. Das ist auch wahr.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Aber ebenso- meine ich mit meinem Amtsvorgänger Willy Brandt — das hat er im Laufe seines politischen Lebens mehrere Male gesagt —, ebenso meine ich mit meinem Kollegen Hans-Dietrich Genscher gemeinsam, daß wir uns als Regierungspersonen keineswegs zu jeder Zeit mit allem identifizieren können, was jeweils in der eigenen Partei für wünschenswert gehalten wird.
    Wenn Sie Herrn Genscher vorwerfen, daß er in einer bestimmten Situation einigen seiner Kollegen klargemacht hat, sie könne möglicherweise zu unerwünschten Entwicklungen führen, die die Betreffenden vielleicht nicht vorhergesehen haben, möglicherweise sogar zu Rücktritten, so sollten Sie bedenken, Herr Kohl: Es gehört Mut dazu, mit seinem eigenen Rücktritt, mit seiner eigenen Vertrauens-



    Bundeskanzler Schmidt
    frage eine politische Entscheidung herbeizuführen. Es gehört Mut dazu.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich will nur noch eine kleine Fußnote für den Professor Biedenkopf beifügen. Ich bin seit Kriegsende Sozialdemokrat — das sind nun gut 33 Jahre. Meine Partei hat mir im Laufe meines Lebens mancherlei Ämter aufgetragen; und ich bemühe mich redlich in all diesen Ämtern, zugleich als Sozialdemokrat und zugleich zum Wohle des ganzen Volkes, als Anwalt des öffentlichen Wohls, diese Ämter auszufüllen. Sicher wird man eines Tages auch als Sozialdemokrat sein Leben beenden. Ich habe meinen eigenen Freunden vor ein paar Jahren auf einem Parteitag gesagt, daß ich als Sozialdemokrat zum Bundeskanzler gewählt worden sei und daß sie sich auf meine Solidarität verlassen müßten und daß sie das können und daß ich mich ebenso auf ihre Solidarität verlassen muß und daß ich das auch tue. Das gilt damals so, wie es heute gilt und wie es morgen gilt. Die schlau ausgedachte Denkschrift des Kollegen Biedenkopf, die Gott sei Dank rechtzeitig für uns zu erkennen gibt, was die zentrale Strategie der CDU/ CSU ist:

    (Lachen bei der SPD)

    „Trennt die SPD von der Bundesregierung!", die kam gerade rechtzeitig, was die Veröffentlichung angeht. Wir haben es gerade noch rechtzeitig gemerkt. Wir werden das nicht vergessen, was Sie als Strategie ausgegeben haben.

    (Heiterkeit bei der SPD und der FDP)

    Ich sage Ihnen schlicht und einfach: Es kann sein, daß sich die Opposition eines Tages von ihrem Kanzlerkandidaten trennt — das mag so sein —, aber um z. B. mich von der Sozialdemokratischen Partei zu trennen, muß ein bißchen mehr Gewicht auf die Bühne gebracht werden, als der Herr Kohl und der Herr Biedenkopf zusammen an Gewicht ausmachen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und Beifall bei Abgeordneten der FDP)

    Sie haben vor ein paar Tagen in Duisburg von der Zukunft geredet, von der „visionären Schau". Ich stelle mir vor, zu einer der Zukunft verpflichteten Politik gehört die Fähigkeit des Politikers, zu erkennen, was problematisch ist, was geändert werden muß; die Fähigkeit, zu erkennen, wie man das ändern kann; die Fähigkeit, andere zu überzeugen, daß sie mithelfen, das zu ändern. Die Vorstellung von der Zukunft entscheidet sich an den konkreten Einzelfragen, die man in ihrer Veränderbarkeit, in ihrer Reformfähigkeit erkennen muß, die man in ihrer Reform konkret fördern muß.
    Dazu bedarf es der Nachdenklichkeit. Es bedarf auch der Sensibilität, Entwicklungen zu erkennen. Es bedarf auch des Mutes zum Umdenken, auch der Bereitschaft, zu entscheiden und zu handeln. Was war es denn eigentlich an Ihrer heutigen Rede, das zukunftsorientiert in diesem Sinne war, Herr Abgeordneter Kohl?

    (Zurufe von der SPD: Nichts!)

    Wenn Sie uns vorwerfen, wir hätten kein Bild von der Zukunft, sage ich Ihnen: Das wichtigste Bild von der Zukunft, das ich habe, ist das der Bewahrung des äußeren Friedens und das der Bewahrung des inneren Friedens. Ohne das geht in unserem Land gar nichts.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich denke, daß die sozialliberale Koalition in bald zehn Jahren dazu einiges beigetragen hat. Das wird auch auf der ganzen Welt anerkannt: die Kontinuität der Politik zum Frieden. Das sollten Sie bedenken, wenn Sie Entwürfe für die Zukunft darüber machen, wie denn Ihre Friedenspolitik aussähe. Vielleicht sähe sie gar nicht viel anders aus. Ich halte es für möglich, daß Sie im Grunde meinen: „Die machen es schon ganz gut, nur darf man es nicht zugeben." Das könnte sein. Die Mehrheit der Deutschen denkt: „Die machen es ganz gut", aber die Mehrheit gibt es auch gerne zu, Herr Kohl.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wie ist das mit dem anderen großen weltpolitischen Thema? Welches sind Ihre Konzeptionen, wenn nicht von West-Ost, sondern von Nord-Süd die Rede ist?

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Das hat doch Offergeld doch gestern gesagt, welches Ihre sind!)

    Soll im Ernst gelten, was Ihr jugendlicher Sprecher vertritt, so daß man das Gefühl bekommt, daß wir mit missionarischem Eifer die eigenen parteiinternen ordnungspolitischen Vorstellungen auf die südliche Hälfte der Erdkugel übertragen sollen? Ist das gemeint? Ist das die Zukunftskonzeption?
    Was ist Ihre Zukunftskonzeption in der Überprüfungspraxis, von der die Rede war?
    Was ist Ihre Zukunftskonzeption, was die Entwicklung der politischen Parteien angeht? Wir wissen immer noch nicht, wie das mit der vierten Partei ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wartet mal ab!)

    Jetzt wird uns gesagt, Sie entschieden nach der schleswig-holsteinischen Landtagswahl. Das hat zwei Nachteile. Zum einen wird an dieser Prognose „das entscheiden wir nach der Landtagswahl in Kiel" deutlich, daß Sie sich nicht getrauen, den dortigen Wählern vorher zu sagen, was Sie wirklich wollen. Zum anderen könnte es sein, daß Sie sich opportunistisch danach richten wollen, wer zufällig eine Stimme oder einen Sitz mehr bekommt. In Wirklichkeit hilft Ihnen das Verschieben von Problemen nichts. Sie müssen sich entscheiden, ob Sie zwei christliche Parteien wollen. Ich bin nicht dafür. Es würde uns Sozialdemokraten und den Freien Demokraten kurzfristig nützen, langfristig aber führt es zu einer Aufspaltung des deutschen Parteienspektrums. Ich wäre nicht dafür. Aber Sie müssen endlich einen Entschluß fassen, nachdem Sie drei Jahre lang darüber öffentlich debattieren, und kein Mensch weiß, was Sie wirklich wollen. Vielleicht dürfen Sie keinen Entschluß fassen, vielleicht macht das der Herr Zimmermann oder der



    Bundeskanzler Schmidt
    Herr Strauß? Dann sollen diese beiden uns das sagen.

    (Pfeffermann [CDU/CSU] : Was geht Sie das an?)

    — Das geht mich sehr viel an, weil mich das Schicksal der deutschen parlamentarischen Demokratie etwas angeht, verehrter Herr Kollege.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wenn von Zukunft die Rede ist, könnten Sie auch ein anderes Thema nehmen, ein kleines, überschaubares, Herr Kollege Kohl.

    (Heiterkeit bei der SPD und der FDP)

    Nehmen Sie aus dem großen Bereich des Konfliktes zwischen ökonomischen Notwendigkeiten und ökologischen Notwendigkeiten, des Widerspruchs zwischen Arbeitsplatzbeschaffungspolitik und Umweltschutz den kleinen Ausschnitt Umweltchemikaliengesetz. Ein ganz kleiner Ausschnitt. Hier ist ein konkretes Stück Zukunftsbewältigung, das vor uns liegt. Da wird es ein Gesetz geben, das eines der vielen Ergebnisse des Nachdenkens über das Leben unserer Kinder und unserer Enkel ist. Zum Beispiel dieses Gesetz, das Umweltchemikaliengesetz, wird auch Gelegenheit geben, richtig, ausgewogen, abgewogen zwischen ökonomischen und ökologischen Notwendigkeiten zu entscheiden.

    (Zuruf des Abg. Dr. Jenninger [CDU/CSU])

    Es wird auch Gelegenheit geben, Herr Kollege, klarzumachen, daß Sie in der Opposition den Einflüsterungen der industriellen Lobby widerstehen können.

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Wie Ihnen die BASF-Leute das gesagt haben!)

    So könnten Sie viele Stücke der Zukunftsbewältigung herausgreifen, wenn Sie es nur wollten.
    Sie haben Ihre Rede begonnen, Herr Abgeordneter Kohl, mit einer Kritik an meiner Zuversicht für das Jahr 1979, und Sie haben gesagt, mit jedem Jahre werde die Entwicklung weiter rückläufig sein. Da schüttelt's einen. Ich finde immer noch — ich weiß, die große Mehrheit der Deutschen findet mit mir, und Ihre Konpatriotin Frau Noelle-Neumann kann es Ihnen zeigen; die hat das sogar bei den Menschen erfragt —, daß wir Grund haben, mit Ver. trauen in die Zukunft zu sehen. Sie haben sich bemüht — nicht immer sehr redlich, denke ich —, die Zukunft schwarzzumalen. Aber im Grunde haben Sie nur wenige überzeugt, vielleicht nicht einmal alle auf den Bänken der Opposition.
    Wir störten das Vertrauen in die wirtschaftliche Zukunft? Das ist doch nicht wahr. Fragen Sie doch einmal die Gewerkschaften und ebenso die Unternehmer. Fragen Sie einmal draußen in der ganzen Welt. Das ist doch nicht wahr. Es gibt doch kaum eine Volkswirtschaft, in die gegenwärtig mehr Vertrauen gesetzt wird als in die unsrige. Sicherlich kann man sich noch alles viel schöner und besser vorstellen; da bin ich Ihrer Meinung. Aber wir haben ja auch nicht versprochen, Unmögliches zustande zu bringen — jedenfalls nicht sofort.

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Gleichzeitig sprechen Sie von politischer Führung, die ausgeübt werden müsse, um Vertrauen zu gewinnen. Der Herr Kollege Barzel hat recht. Er hat vor ein paar Tagen in der „Welt" geschrieben: Die Union hat die Wahl noch nicht verloren. Das stimmt. Aber dem Sieg sind Sie heute auch nicht nähergekommen, Herr Kohl.

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Es ist ja auch noch eine lange Zeit bis zur Wahl.
    Ich bin dafür, daß Sie uns dort kritisieren, wo wir etwas übersehen, wo wir etwas falsch machen. Ich bin dafür, daß Sie dann sagen: dieses muß aber so und das muß anders und jenes muß wieder anders gemacht werden. Ich habe auch nichts dagegen, wenn Sie etwas übertreiben. Aber mir tut es leid, daß Sie überhaupt nicht sagen, was Sie anders machen wollen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich weiß, daß nach mir auch noch andere Sprecher der Opposition auftreten werden. Sie werden sicherlich gleich dartun, was der Bundeskanzler alles versäumt hat, an tiefschürfender Analyse zu liefern.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das kann man wohl sagen!)

    Ich hätte das ja gerne getan, wenn sie Anlaß gegeben hätten.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Weizsäcker.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Richard von Weizsäcker


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ehe ich zur Darlegung meines zusammenhängenden Gedankengangs komme, möchte ich ein paar Punkte aufgreifen, die teils der Bundeskanzler, teils der Kollege Ehmke hier in die Debatte eingeführt haben.
    Herr Bundeskanzler und Herr Ehmke, Sie beide haben noch einmal von der bevorstehenden Wahl des Bundespräsidenten gesprochen. Sie, Herr Bundeskanzler, haben sich von einer eigenen Teilnahme an einer politischen Kampagne in bezug auf die Vergangenheit des amtierenden Bundestagspräsidenten distanziert, und Herr Ehmke hat erklärt, die Sozialdemokratische Partei habe eine politische Kampagne in bezug auf die Vergangenheit unseres Kollegen Carstens nicht geführt und werde sie nicht führen.
    Ich empfehle Ihnen, zu lesen, was Ihr und unser Bundestagskollege Herr Schwende gestern veröffentlicht hat.

    (Seiters [CDU/CSU] : Leider wahr!)

    Er verwahrt sich darin namens Ihrer Fraktion in bezug auf die Vergangenheit während des Dritten Reichs ausdrücklich gegen diese Kandidatur.

    (Seiters [CDU/CSU]: So ist es!)


    Dr. von Weizsäcker
    Solange Sie hier nicht Ordnung schaffen, können wir mit Ihren Beteuerungen, Herr Ehmke und Herr Bundeskanzler, sehr wenig anfangen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Dann haben Sie, Herr Bundeskanzler, eine Reihe einzelner Punkte aufgegriffen. Sie lieben es, auch mit Zahlen zu kommen, um auf diese Weise die Überzeugungskraft eines Gedankengangs zu unterstützen. Sie haben davon gesprochen, daß die Verschuldung der Bundesrepublik Deutschland uns praktisch an das Ende der Schuldenliste vergleichbarer Länder befördere.
    Ihnen ist schon von dem Kollegen Narjes der Hinweis übermittelt worden — auf den Sie ja gar keine Antwort gegeben haben —, daß sich der deutsche Staat zweimal von seinen Altschulden getrennt hat und infolgedessen die Vergleichbarkeit in Ihrer Tabelle dahin ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das zweite — was nicht weniger wichtig ist — können Sie in dem Sachverständigen-Jahresgutachten lesen. Dort ist nämlich von dem Trend des Anstiegs der Zinsausgaben die Rede. Dort ist die sehr interessante Zahl enthalten, daß der Anteil der Zinsausgaben, der 1962 nur 2,8 % betragen hatte, unter Ihrer Kanzlerschaft, Herr Bundeskanzler, auf 5,3 % gestiegen ist und 1979 voraussichtlich 5,5 % erreichen wird, so daß wir bezüglich der Ausgaben, die wir auf Grund von Schuldenlasten zu tragen haben, nicht ans Ende, sondern an die Spitze der Industrieländer gelangt sind.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Dann, Herr Bundeskanzler, haben Sie zu dem Stichwort — —

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Er möchte gar nicht zuhören!)

    — Nein, er hört nicht zu. Aber ich werde mich nicht beirren lassen, alles richtigzustellen, was der Herr Bundeskanzler hier gesagt hat.
    Dann haben Sie, Herr Bundeskanzler, zu dem Stichwort „Rentner" wieder die typische Form der Erwiderung gewählt, die man von Ihnen so oft erlebt. Erst beklagen Sie sich darüber, daß wir vom „Rentenbetrug" sprechen, und dann sagen Sie als Antwort bloß: Die Rentner haben es bei uns noch nie so gut gehabt wie heute. Worum es geht, ist, daß sich Ihre eigene Ankündigung im letzten Bundestagswahlkampf als ein Betrug herausgestellt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD)