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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/131 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 131. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 Inhalt: Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . . 10267 A Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1979 (Haushaltsgesetz 1979) — Drucksachen 8/2150, 8/2317 — Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes — Drucksache 8/2404 — Dr. Kohl CDU/CSU 10267 C Wehner SPD 10281 B Mischnick FDP 10290 B Dr. Althammer CDU/CSU 10296 C Dr. Ehmke SPD 10303 A, 10352 B Hoppe FDP 10305 A Schmidt, Bundeskanzler . . . 10306 C, 10342 B Dr. von Weizsäcker CDU/CSU 10320 D Genscher, Bundesminister AA 10327 B Dr. Barzel CDU/CSU . . . . . . . . 10334 C Dr. Marx CDU/CSU 10347 C Dr. Bangemann FDP 10359 A Namentliche Abstimmung 10366 C Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — Drucksachen 8/2405, 8/2470 — Picard CDU/CSU 10368 B Dr. Bußmann SPD 10371 B Schäfer (Mainz) FDP 10372 A Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister AA 10374 C Vizepräsident Frau Funcke 10369 C Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksache 8/2420 — 10376 B II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — Drucksachen 8/2414, 8/2470 — Hauser (Bonn-Bad Godesberg) CDU/CSU 10376 C Stöckl SPD 10378 D Weiskirch (Olpe) CDU/CSU . . . . . 10380 B Möllemann FDP 10383 A Dr. Apel, Bundesminister BMVg . . . 10386 D Namentliche Abstimmung . . . . . . 10389 A Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — Drucksache 8/2425 — 10391 C Nächste Sitzung 10391 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 10393 A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10267 131. Sitzung Bonn, den 24. Januar 1979 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Adams * 26. 1. Dr. von Aerssen 26. 1. Dr. Aigner * 26. 1. Alber * 24. 1. Dr. Bayerl * 25. 1. Brandt 26. 1. Flämig * 26. 1. Gruhl 24. 1. Haase (Fürth) * 26. 1. Haberl 25. 1. Hoffmann (Saarbrücken) * 26. 1. Ibrügger * 26. 1. Dr. h. c. Kiesinger 24. 1. Klinker 26. 1. Koblitz 26. 1. Kroll-Schlüter 24. 1. Lange * 25. 1. Dr. Lenz (Bergstraße) 26. 1. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lücker * 24. 1. Luster * 26. 1. Müller (Bayreuth) 26. 1. Müller (Berlin) 26. 1. Müller (Mülheim) * 26. 1. Neuhaus 24. 1. Schmidt (München) * 26. 1. Schmidt (Wuppertal) 24. 1. Dr. Schmitt-Vockenhausen 26. 1. Schreiber * 26. 1. Dr. Schröder (Düsseldorf) 26. 1. Seefeld * 24. 1. Dr. Starke (Franken) * 24. 1. Frau Dr. Walz * 26. 1. Wawrzik * 25. 1. Dr. von Weizsäcker 25. 1. Würtz * 26. 1. Ziegler 26. 1. *für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Richard Stücklen


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Abgeordneter Bangemann, kommen Sie zu Ihrer Zwischenfrage.





Rede von Dr. Martin Bangemann
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Kohl, ist Ihnen entgangen, daß ich nicht von einer Wahl, sondern von einem Wunsch gesprochen habe, und sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß in einer funktionierenden Demokratie gerade bei diesem höchsten Staatsamt die Wahl außerhalb eines Parteienstreites entschieden werden sollte

(Demonstrativer Beifall bei der CDU/CSU — Lachen und anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)

und unter Berücksichtigung des Wunsches auch desjenigen Teiles der Bevölkerung, der Ihnen parteipolitisch sehr viel nähersteht als uns?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Bangemann, ich frage mich wirklich, für wie dumm Sie eigentlich die Zuhörer hier im Saal und draußen an den Fernsehern halten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Kollege Bangemann, zu einem Zeitpunkt, als in der CDU/CSU noch gar keine Erklärung zum Thema Bundespräsident vorlag, haben Ihr Parteivorsitzender Hans-Dietrich Genscher und Sie doch alles getan, um damit etwa im hessischen Wahlkampf Stimmen zu gewinnen. Sie haben doch das Thema in den Wahlkampf gebracht. Was soll das? Es ist doch ein Akt von Scheinheiligkeit, wenn Sie etwa ein Parteiführergespräch zu Fragen des Bundespräsidenten vorschlagen, um möglichst überparteilich dazustehen, und diese Frage dennoch jeden Tag im Wahlkampf zu einem Thema machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bangemann, was ich nun wirklich überhaupt nicht verstehen kann, ist, wie ein Freier Demokrat nach den Erfahrungen der letzten Jahre von Wählerwillen hier im Hause reden kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie werden doch im Ernst nicht sagen, daß Sie sich in Hessen nach dem Wählerwillen gerichtet haben, als Sie Herrn Osswald, der doch wirklich auf den Krücken der Politik durchs Land schlich, immer wieder, nur um an der Macht zu bleiben, gehalten haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bangemann, Sie haben doch 1969 nicht nach . dem Wählerwillen gefragt, als Sie Herrn Brandt nach jenem Wahlergebnis Kurt Georg Kiesingers zum Kanzler wählten. Das wissen Sie doch ganz genau.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Im übrigen verstehe ich auf Grund Ihrer Lage Ihre Demoskopiegläubigkeit; aber Demoskopie ersetzt doch nicht politisch verantwortliches Handeln. Das ist doch eine ganz schlimme, ganz falsche Vorstellung, die Sie hier entwickeln. Ich biete Ihnen noch einmal an, damit Sie hier nicht ausweichen können: Lassen Sie uns offen darüber reden, wenn Sie die Verfassung ändern wollen. Sie müssen dann auch mit Ihrem sozialdemokratischen Koalitionspartner in diesem Punkte zu einer Übereinstimmung kommen. Und dann sagen Sie uns bitte: Was ist 1978, was ist 1979 in der Grundbetrachtung unserer Verfassungsordnung gegenüber 1948 anders? Denn wenn Sie schon wieder mit dem Volkswillen, mit der Demoskopie operieren, Herr Bangemann, und wenn Demoskopie sagt, daß die Mehrheit der Deutschen den Bundespräsidenten in direkter Wahl wählen will, frage ich Sie: Ziehen Sie dann auch da diese Konsequenz? So können wir doch nicht miteinander Politik machen! Was ich von Ihnen erwarte, ist, daß Sie draußen, wenn Sie in Wahlkämpfen auftreten, endlich ehrlich sind,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und was ich von Ihnen erwarte — ganz allgemein, nicht nur von Ihnen als Person, aber ganz besonders vom Bundeskanzler —, ist, daß er nicht nur einmal mit einer gedrückten Erklärung, sondern mannhaft und offen aufsteht. Auch das gehört zur Statur eines Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland.

    (Lachen bei der SPD)

    — Natürlich, das können Sie kaum mehr begreifen, weil es ja ein Stück Gemeinsamkeit beinhaltet! — Der Bundeskanzler müßte einmal aufstehen und sagen, daß diese erbärmliche Schnüffelei im Leben der einzelnen hier immer unerträglicher wird.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Die sollen bei sich selbst schnüffeln!)

    Meine Damen und Herren, ich habe diese letzten Monate wirklich mit wachem Bewußtsein erlebt, ich habe erlebt, was hier vonstatten ging, wie diese erbärmliche Schnüffelei in der Vorgeschichte, in der Jugendzeit einzelner Politiker — in diesem Falle aus der Union — stattfand.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Die sollen in ihrer eigenen Jugend herumschnüffeln!)

    Und erst dann, als diese Kampagne die Regierungsbank erreicht hatte, sind Sie jäh zusammengezuckt und haben geschwiegen!

    (Starker Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich weiß das um so besser, weil ich in diesen Monaten in meinen eigenen Reihen manchen Vorwurf einstecken mußte. Mir wurde vorgehalten: Warum gibst du nicht mit der gleichen Münze, warum schlägst du nicht in der gleichen Art zurück?

    (Zurufe von der SPD)

    — Ich weiß nicht, was Sie mir mit diesem Zwischenruf sagen, Herr Kollege. Ich muß Ihnen nur sagen: Dies ist unser gemeinsamer Staat, und wenn in dieser Form mit dem Staat umgegangen wird, liegt der Schaden doch nicht bei einem einzelnen oder bei einer Fraktion; wir alle haben doch den Schaden durch diese Entwicklung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich habe mich innerhalb der Union leidenschaftlich dem Gedanken widersetzt, daß nach dem Motto verfahren wird: Wenn da veröffentlicht wird, daß dieser und jener Mitglied der Partei war, muß das sofort entsprechend vergolten werden. Meine Damen und Herren, natürlich kann man das. Ich habe ja angedeutet., wie diese Psychose der Schnüffelei die Regierungsbank ergriffen hat und wie



    Dr. Kohl
    nicht wenige auf der Regierungsbank zusammenzuckten, wenn sie dann auf ihr eigenes Leben zurückblickten.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: So ist es! Die haben auch Grund, zusammenzuzucken!)

    Nur, wohin soll uns das eigentlich führen? Glauben Sie denn, daß es in einem Augenblick, in dem die junge Generation Filme über die damalige Zeit im deutschen Fernsehen erregt diskutiert, der handelnden Generationen, der Generation der zwischen 1933 und 1945 Jungen zuträglich ist, wenn aus der Sicht von heute, wo die Dinge ganz anders sind und junge Leute gar nicht mehr verstehen können, wie das damals war, in einer so vordergründigen, erbärmlichen Weise Lebensschicksale behandelt werden?

    (Beifalll bei der CDU/CSU)

    Es gibt in diesem Zusammenhang noch einen Punkt, Herr Bundeskanzler, wo ich Sie ganz persönlich anspreche. Es gibt ja auch — und Ihnen als einem Sozialdemokraten sollten die Erfahrungen des Reichspräsidenten Friedrich Ebert nicht gänzlich fremd sein — Überlegungen im justiziablen Bereich. Hier sind Sie als Hausherr des Kanzleramts auch in Ihrer Fürsorgepflicht gegenüber früheren Beamten angesprochen. Ich werde sorgfältig hinschauen und werde mich rechtzeitig öffentlich melden, wenn das weitergeht, was hier zu beobachten ist, daß nämlich wichtigste Mitarbeiter früherer Bundesregierungen jetzt in einer Weise behandelt werden, daß ihnen Verantwortung zugeschoben werden soll, und dies nicht wegen ihrer damaligen Tätigkeit, sondern wegen ihrer heutigen Position und um den politischen Gegner zu erledigen. Darum geht es!

    (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Kollege Wehner, ein Wort zu Ihnen:


    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Der steckt nämlich dahinter!)

    denn immer, wenn so etwas im Land passiert, tauchen Sie alsbald entweder hinter oder vor den Kulissen auf. Wir sind jetzt schon ganz dankbar, daß man Ihre Statur vor den Kulissen sieht. Sie haben jetzt eine Diskussion über den Termin der Bundesversammlung begonnen.

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Das ist eine Kampagne!)

    Diese Diskussion soll natürlich psychologisch verbunden werden — und Ihre Emissäre sind eifrig dabei, das zu machen — mit den sonstigen Teilen der Kampagne gegen Karl Carstens.
    Der Bundestagspräsident ist nach dem Gesetz gehalten, die Bundesversammlung einzuberufen. Er hat sie für einen Termin, den 23. Mai, einberufen. Jetzt wird in dieser Sache unter die Leute gebracht, daß dieser Termin womöglich eine Manipulation zugunsten eines Kandidaten sei.

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU] : Unglaublich ist das!)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das nüchtern aufklären, damit sich jeder sein Urteil über die moralische Qualität dieses Tuns bilden
    kann. In diesem Zusammenhang ist der Zeitraum zwischen dem Zusammentritt der Bundesversammlung und dem Beginn der Sperrfrist von 30 Tagen vor dem Ablauf der Amtszeit des Bundespräsidenten entscheidend. Herr Kollege Wehner,. sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, wie das bei der Wahl früherer Präsidenten gehandhabt wurde? 1954 fand die Bundesversammlung 25 Tage vor dieser Sperrfrist statt. 1959 waren es 41 Tage, 1964 waren es 41 Tage, 1969 — das war die Wahl nach dem vorzeitigen Rücktritt Heinrich Lübkes — waren es 146 Tage, 1974 waren es 15 Tage, und jetzt sind es sieben Tage. Wollen Sie etwa behaupten, daß ein Präsident, der die bisher knappeste Frist gewählt hat — wenn man ihm überhaupt einen Vorwurf machen könnte, könnte man ihm entgegenhalten, ob die Frist von sieben Tagen nicht zu knapp sei —, hier manipuliert? Ich erwarte von Ihnen heute hier von diesem Pult eine Auskunft.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Kollege Wehner, nicht der Präsident des Deutschen Bundestages hat manipuliert, Sie, Herbert Wehner, haben manipuliert.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Was mich am meisten verblüfft hat, ist, daß Sie offensichtlich darauf spekulieren, daß alle Ihre Weggenossen alles vergessen, was Sie tun. Ich saß doch dabei — mit anderen; Herr Hoppe war für die FDP dabei —, als der Bundestagspräsident uns im letzten Jahr den Termin vorgetragen hat. Sie haben doch gar keinen Protest erhoben.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    In dieser Sitzung mußte doch jedermann davon ausgehen — auch ich —, daß Sie mit dem Termin einverstanden waren. Was soll das jetzt, daß Sie hier mitten in dieser sonstigen Kampagne den Versuch machen, einen aufrechten Mitbürger ins Zwielicht zu bringen? Das ist doch das Ziel.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, ich will Ihnen ein weiteres schlimmes Beispiel für dieses völlige Aufgeben des Grundkonsenses hier in der Erwartung sagen, daß Sie sich dazu äußern. Ich spreche von den Beschlüssen Ihres Bundesparteitags, der Verabschiedung des Europa-Programms der SPD in Köln. Das Programm, Herr Bundeskanzler, das Ihre Partei vor wenigen Wochen in Köln verabschiedet hat, ist wahrlich nicht mehr das Programm einer Volkspartei — aber das ist Ihre Sache. Das ist das Programm einer sozialistischen Klassenkampfpartei, die mit festem Schritt ins 19. Jahrhundert zurückmarschiert.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Man mag das bedauern. Ich bedaure das, weil ich der Meinung bin, daß es eigentlich für das Funktionieren der deutschen Demokratie wichtig ist, daß sich die SPD in ihrer Wertediskussion auf der Höhe der Zeit des letzten Viertels des 20. Jahrhunderts orientiert und nicht im 19. Jahrhundert. Aber das ist trotzdem Ihre Sache. In diesem Programm, Herr Bundeskanzler, steht aber folgender Satz:



    Dr. Kohl
    Im Streit um die Mehrheit in der Europäischen Gemeinschaft sind die konservativen Parteien der Hauptgegner.
    Herr Bundeskanzler, wenn dies der Inhalt Ihrer Politik, der Inhalt auch der Politik Ihres Vizekanzlers, der Koalition von SPD und FDP ist, dann ist das Tischtuch zwischen uns zerschnitten. Dies muß man ganz einfach, klar und direkt aussprechen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    In einem Augenblick, in dem wir in wichtigen europäischen Ländern die Herausforderung kommunistischer Parteien von beachtlicher Stärke — mit Stimmanteilen von 20 bis 30 °% und mehr — haben, in einem Augenblick, in dem wir alle wissen, daß mit der Wahl des Europäischen Parlaments in diesem Sommer Weichen in eine Zukunft gestellt werden, die niemand von uns genau übersehen kann, haben Sie das Band bewußt zerschnitten. — Was immer Sie unter „Konservativen" verstehen: Sie gehen hier nicht von geschichtlichen Begriffen, sondern von dem jeweiligen Verleumdungskapital aus. Das ist ja das, was Sie dabei drängt.
    . (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren von der SPD und Herr Bundeskanzler Helmut Schmidt: Wer nicht mehr die Kommunisten und Faschisten, sondern Demokraten zu Hauptgegnern im Kampf um die Mehrheit im Europäischen Parlament ernennt, gibt zu erkennen, daß ihm — um der Macht willen — ein Linkspakt mit den Kommunisten gegen die politische Mitte Europas wichtiger und erstrebenswerter erscheint als die Gemeinsamkeit aller demokratischer Kräfte gegen den Totalitarismus, ob er von rechts oder von links kommt.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wir werden in diesen Monaten jedem Bürger unseres Landes deutlich machen, was dies bedeutet. Das bedeutet das Ende jener Gemeinsamkeit, die es möglich machte, in schlimmen und schwierigen Jahren, vor allem in der Gründungszeit der Bundesrepublik, die Kommunisten in allen gesellschaftlichen Bereichen abzudrängen, jener Politik, die zur Stabilität unseres Staates wesentlich beigetragen hat, jener Politik, die auch zur Folge hatte, daß bei der letzten Bundestagswahl — darauf können wir alle stolz sein — nur 0,9 °/o der Wähler rechts- oder linksradikal gewählt haben. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, müssen diesen Beschluß mit der Abgrenzungspolitik Kurt Schumachers und Ernst Reuters vereinbaren. Sie haben das zu vertreten, was sich hier an schlimmer Entwicklung für die Zukunft voraussehen läßt.
    So ganz neu ist dies nicht. Nach dem Parteitag habe ich einem Freund gesagt: Helmut Schmidt hat auf die Anfrage, wie er es denn damit halte, daß die Jugendorganisation seiner eigenen Partei seit vielen. Jahren Volksfrontkoalitionen an deutschen Universitäten abgeschlossen hat, um den Ring Christlich-Demokratischer Studenten auszuschließen, bislang immer geschwiegen. Herr Bundeskanzler, ich mag zwar nicht glauben, daß das bereits Ihre Politik ist, aber es ist Mangel an Mut, um es ganz deutlich zu sagen, es ist Feigheit gegenüber Ihrer eigenen Partei, wenn Sie hier nicht aufstehen und pflichtgemäß sagen: Leute, das ist ein unmöglicher Weg, den wir da in Europa einschlagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bangemann, ich hätte Sie nicht angesprochen, wenn Sie sich nicht so tönend zu Wort gemeldet hätten. Wie wollen Sie Ihre Rede zur Europapolitik, die Sie auf dem Dreikönigstreffen in Stuttgart gehalten haben, mit diesem Europa-Manifest in Einklang bringen? Man muß wirklich Freier Demokrat sein, um das zu können, meine Damen und Herren.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Hier mit den Sozialdemokraten an der Regierung zu sein, dort den großen Antikommunisten zu machen, geht nicht. Es sind doch die gleichen Sozialdemokraten, Herr Bangemann! Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat doch noch niemals eine Liste mit so vielen extrem links eingestellten Sozialisten für ein Parlament aufgestellt wie die, die man in Köln beschlossen hat. Das sind doch Ihre Kollegen im neuen Europäischen Parlament. Hören Sie doch bitte auf, den Leuten draußen im Lande zu sagen, Sie seien gegen diese Politik der SPD! Es ist doch gar nicht wahr; Sie sind doch nur verbal dagegen; in Wahrheit stützen Sie doch diese Politik.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie haben doch — denken Sie an die Wahl jetzt in Schleswig-Holstein — just mit den Leuten in der SPD gemeinsam paktiert, die in Köln am meisten in diese Richtung geredet haben. Wie wollen Sie dem Wähler eigentlich erklären, daß Sie hier so unterschiedlich handeln? Ich muß sagen, man muß das tiefenpsychologische Verständnis von Politik eines Freien Demokraten haben, um das verstehen zu können.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Glauben Sie denn im Ernst, daß Ihnen das die Bürger auf die Dauer abnehmen?
    Herr Bundeskanzler, Sie wollen — das ist ja das Ziel der ganzen Strategie um Ihre Person für die Wahl 1980 — im Urteil unserer Mitbürger als ein Politiker der demokratischen Mitte, des Ausgleichs und als ein Verfechter der Marktwirtschaft, der sozialen Partnerschaft und nicht des Klassenkampfes und der bürokratischen Planwirtschaft gelten; obwohl ich sagen muß: das kann eigentlich auch nur einer glauben, der die Zeitungen nicht liest. Denn vor den Geschichtslehrern sind Sie für den Geschichtsunterricht, vor linken Kreisen der Partei ist „Stamokap" nur irgendein Wort für Sie; bei den Unternehmern sprechen Sie so, daß sie feuchte Augen bekommen. Das haben wir in den letzten Jahren ja immer wieder erlebt. Aber das ist Ihre Sache. Was jedoch uns alle hier angeht, das ist, daß Ihre Partei — und Sie sind der stellvertretende Vorsitzende der SPD — dabei ist, die Gräben, die leider ohnedies schon da sind in unserem Lande, immer weiter aufzureißen. Warum schweigen Sie denn eigentlich, Herr Bundeskanzler, wenn sich führende Vertreter Ihrer Partei in ihren Attacken auf die freiheitliche



    Dr. Kohl
    Wirtschaftsordnung gegenseitig überbieten? Ich habe aus Anlaß des Todes von Ludwig Erhard hier von Ihnen gehört, daß Sie sich in den Reigen der Erben Ludwig Erhards einreihen wollen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Erbschleicher!)

    Herr Bundeskanzler, warum sind Sie denn eigentlich in Köln stumm geblieben bei jenen Beschlüssen des SPD-Parteitags, die doch blanken Klassenkampf und bürokratische Planwirtschaft als Zukunftsperspektive weisen? Herr Bundeskanzler, was haben Sie getan, als Ihr Freund Klose unter dem kräftigen Beifall breiter sozialdemokratischer Kreise verkündete, er halte die kommunistische Theorie vom staatsmonopolistischen Staatskapitalismus heute nicht mehr für ganz und gar falsch? Herr Bundeskanzler, Sie haben nichts getan. Sie haben diese Herausforderung unbeantwortet gelassen, weil Sie es sich gar nicht mehr leisten können, den übermächtigen Linken in der eigenen Partei entgegenzutreten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, sollen wir die klägliche Entgegnung Ihres Regierungssprechers — doch sicherlich von Ihnen in diesem Sinne legitimiert —, Herr Klose hätte Ihrer Meinung nach, statt des Wortes „Stamokap" besser ein anderes Wort gewählt, als Ausdruck politischer Führung und Tatkraft werten?
    Wenn die Bundesrepublik in Zukunft ihre Freiheit bewahren will, dann brauchen wir die uneingeschränkte Rückkehr zu den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft, die unter Ludwig Erhard auch die Wirtschaftsordnung unseres Landes groß gemacht hat; dann brauchen wir nicht, wie Herr Klose meint, den Staat als Reparaturbetrieb des Kapitalismus, sondern dann brauchen wir die Soziale Marktwirtschaft Ludwig Erhards als Reparaturbetrieb sozialistischer Politik. Das ist die Grundfrage.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Der Grundkonsens zwischen den politischen Kräften ist auch in anderen wichtigen Bereichen zerbrochen. In diesen Tagen haben wir ein besonders schwerwiegendes Beispiel im Blick auf Ihre Einstellung, Herr Bundeskanzler, zum Thema „wehrhafte Demokratie" erlebt. Es waren doch immer wieder Ihre Parteifreunde, die Punkt für Punkt entscheidende Positionen in diesem Themenbereich „Extremisten" in Frage stellten, und dann diese Positionen geräumt haben. Ich frage Sie hier: Was haben Sie als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland getan, um diesen Erosionsprozeß aufzuhalten? Was haben Sie etwa Herrn Klose, dem Führer der neuen Linken, gesagt, als er Ende November im Blick auf die Extremistenfrage erklärte, die große Mehrheit der SPD sei bereit, Positionen in Frage zu stellen und sich auf neue Positionen zu begeben? Oder was haben Sie denjenigen in der SPD entgegengehalten, die in der Öffentlichkeit die Agitationsbegriffe „Berufsverbot" und „Schnüffelpraxis" gemeinsam mit den Verleumdern auf seiten des internationalen Kommunismus unter die Leute gebracht haben?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Nun haben Sie, meine Damen und Herren, in der vergangenen Woche im Kabinett einen Beschluß gefaßt, wonach die Bundesregierung bei der Einstellung von Beamten bewußt auf eine Anfrage bei den Verfassungsschutzbehörden verzichtet. Ich frage mich, was eigentlich in dieser Kabinettssitzung im Vizekanzler vorgegangen ist.

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Der war nicht da!)

    Er war viele Jahre ein erfolgreicher Innenminister. Als einer der Ministerpräsidenten habe ich damals, im Jahre 1972, die Gespräche mit ihm und dem damaligen Bundeskanzler Brandt im Blick auf den Extremistenerlaß geführt. Ich kann mich noch gut an das erinnern, was Hans-Dietrich Genscher und übrigens auch Willy Brandt — von Herrn Ehmke will ich gar nicht reden —

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das lohnt auch nicht!)

    in jener Zeit sagten.
    Ich habe das alles noch im Ohr. Meine Damen und Herren, was eigentlich hat sich denn in der Grundherausforderung der freiheitlichen Demokratie seit 1972 geändert?

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Genscher hat sich geändert!)

    Wenn es darum geht — wir haben das hier oft genug gesagt —, Fehler und Unzuträglichkeiten dieses Systems zu beseitigen, sind wir — nicht nur wir hier in der Fraktion, sondern auch unsere Freunde, die in den Ländern Regierungsverantwortung tragen — sofort zum Gespräch bereit. Es kann doch niemand sagen, daß die Herausforderung durch totalitäre Gesinnung heute geringer wäre als damals. Herr Bundesinnenminister Baum, schauen Sie doch einmal Ihre eigenen Berichte zu diesem Thema der Radikalen von rechts und links an. Es ist doch im weitesten Sinne des Wortes nicht „besser" geworden. Wer die Behörden dazu zwingt, sich bei der Prüfung der Verfassungstreue ihrer Beamten künstlich blind und taub zu stellen, macht sich doch einer groben Amtspflichtverletzung schuldig.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, es gibt namhafte Juristen in der Bundesrepublik — Sie als Regierungschef haben sie gerne als Gutachter herangezogen —, die in diesem Zusammenhang schlicht und einfach erklärt haben: Das, was Sie hier machen, ist verfassungswidrig. Und Sie müssen doch die Konsequenzen sehen. Es mag sein, daß dies vom Verfassungsgericht überprüft wird, und dann haben wir doch wieder ein Beispiel dafür, daß jemand fahrlässig und deshalb, weil er sich im politischen Leben wegen der Mehrheitsverhältnisse nicht durchsetzen kann, damit konfrontiert wird, daß dieses Bundesorgan in Anspruch genommen wird. Wichtiger aber ist, daß hier ein Stück Verfassungsgemeinsamkeit leichtfertig, ohne Not, nur aus Angst vor den Linken in der eigenen Partei aufgegeben wird. Das ist doch die Erfahrung!

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    10278 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung: Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979
    Dr. Kohl
    Herr Bundeskanzler,. in Ihrer Neujahrsbotschaft haben Sie unserem Volk zugerufen: Laue Demokraten können wir nicht brauchen.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    An anderer Stelle fügten Sie hinzu: genausowenig wie Erwachsene, die sich aus Angst vor dem Widerspruch der jungen Leute selbst wider besseres Wissen anpassen. Ich unterstreiche diesen Satz. Aber, Herr Bundeskanzler, wer paßt sich denn an? Sie passen sich doch in einer ganzen schlimmen Weise an!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie haben hier oft in vielen Funktionen und in eindrucksvoller Weise, auch auf Grund Ihrer Lebenserfahrung, die Entwicklung der Weimarer Republik, der Nazizeit und unserer Republik beschrieben; Sie wissen das so gut wie jeder oder fast jeder hier im Saal. Und Sie stehen in der großen Kontinuität einer Partei, die wichtige geschichtliche Beiträge geleistet hat. Wie wollen Sie eigentlich den Kabinettsbeschluß jener Woche mit jener zeitlosen Aussage des großen Sozialdemokraten Otto Braun konfrontieren, der damals, schon 1932, in einer visionären Schau — leider haben ihn damals viel zu wenige in allen Parteien der Demokratie begriffen — gerufen hat, daß Nationalsozialisten und Kommunisten im Staatsdienst nichts verloren haben, daß Feinde der Demokratie nicht an die Schaltstellen staatlicher Macht dürfen?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir erleben nun in dieser Woche, wie im Zusammenhang mit dieser amerikanischen Fernsehserie eine tiefe Diskussion durch die Familien in der Bundesrepublik geht. Was man jetzt immer bewertend dazu sagen mag — es ist hier aber nicht der Ort, darüber zu sprechen —, eines ist die Folge: daß sich viele Hunderttausende junger Leute am Abend auf dem Stuhl herumdrehen und den Großvater und den Vater fragen: Wie konnte denn das damals geschehen? Darin steckt doch der Vorwurf, Herr Bundeskanzler, daß zu viele hochachtbare Männer und Frauen, denen unser ganzer Respekt gehört, es nicht glauben wollten, was Totalitäre von rechts und links bewegen können; das ist die geschichtliche Erfahrung.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir, die Heutigen, können doch nicht mehr sagen: Diese Erfahrung gab es nicht. Wer 1932 lebte, hat ein gutes moralisches Recht, uns heute zu sagen: Es ist unvorstellbar; niemand von uns konnte glauben, daß Auschwitz, Majdanek und Treblinka je erdacht und Wirklichkeit werden konnten.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Und 1944!)

    Meine Damen und Herren, was am Ende des Krieges etwa im Zusammenhang mit deutschen Flüchtlingen in Mittel- und Osteuropa geschehen ist, das alles war doch unvorstellbar. Man glaubte doch zu Beginn dieses Jahrhunderts, das große Zeitalter der Vernunft, der Menschlichkeit sei gekommen. Aber es war ganz anders.
    Wer konnte 1932 dies alles wissen? Es gab kluge, weitsichtige Menschen, die es sahen; aber es waren zu wenige. Ihr Ruhm ist heute um so größer, daß sie sich nicht beirren ließen. Das sage ich ganz deutlich und ausdrücklich.
    Aber es gab eben viele, die nicht glauben konnten, daß einer im Ulmer Reichswehrprozeß, Adolf Hitler, vor dem Reichsgericht einen so blanken Meineid schwören konnte, es werde nur mit verfassungsmäßigen Mitteln an die Macht kommen und regieren. Aber, meine Damen und Herren, wir haben es in Deutschland erlebt, und wir haben es auf dem Hradschin in Prag nach 1945 erlebt, was die Meineide von Kommunisten dort bedeutet haben. Wir haben es in Warschau, in Budapest, in Bukarest und mitten in Deutschland, in Ost-Berlin, erlebt. Wir sind nicht mehr eine geschichtlich blauäugige Generation.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir sind die Generation, die fähig sein muß, aus der Geschichte zu lernen.
    Herr Bundeskanzler, Ihr Satz ist goldrichtig: ... genausowenig wie Erwachsene, die sich aus Angst vor dem Widerspruch der jungen Leute selbst wider besseres Wissen anpassen. Da ist sie wieder, die Demoskopie, Herr Bangemann. Junge Leute können das nicht verstehen. Warum können sie es nicht verstehen? Weil in den letzten 15 Jahren unter dem Schlagwort des Progressiven die Hauptakteure, wobei sie oft nur ihre eigene ganz persönliche Vergangenheit bewältigt haben — zu diesem Schluß kommt man, wenn man die Namen vor sich sieht —,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    den Zustand der Geschichtslosigkeit als eine neue, positive Perspektive 'dargestellt haben.