Rede:
ID0813100200

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 8131

  • date_rangeDatum: 24. Januar 1979

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    Plenarprotokoll 8/131 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 131. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 Inhalt: Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . . 10267 A Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1979 (Haushaltsgesetz 1979) — Drucksachen 8/2150, 8/2317 — Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes — Drucksache 8/2404 — Dr. Kohl CDU/CSU 10267 C Wehner SPD 10281 B Mischnick FDP 10290 B Dr. Althammer CDU/CSU 10296 C Dr. Ehmke SPD 10303 A, 10352 B Hoppe FDP 10305 A Schmidt, Bundeskanzler . . . 10306 C, 10342 B Dr. von Weizsäcker CDU/CSU 10320 D Genscher, Bundesminister AA 10327 B Dr. Barzel CDU/CSU . . . . . . . . 10334 C Dr. Marx CDU/CSU 10347 C Dr. Bangemann FDP 10359 A Namentliche Abstimmung 10366 C Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — Drucksachen 8/2405, 8/2470 — Picard CDU/CSU 10368 B Dr. Bußmann SPD 10371 B Schäfer (Mainz) FDP 10372 A Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister AA 10374 C Vizepräsident Frau Funcke 10369 C Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksache 8/2420 — 10376 B II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — Drucksachen 8/2414, 8/2470 — Hauser (Bonn-Bad Godesberg) CDU/CSU 10376 C Stöckl SPD 10378 D Weiskirch (Olpe) CDU/CSU . . . . . 10380 B Möllemann FDP 10383 A Dr. Apel, Bundesminister BMVg . . . 10386 D Namentliche Abstimmung . . . . . . 10389 A Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — Drucksache 8/2425 — 10391 C Nächste Sitzung 10391 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 10393 A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 10267 131. Sitzung Bonn, den 24. Januar 1979 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Adams * 26. 1. Dr. von Aerssen 26. 1. Dr. Aigner * 26. 1. Alber * 24. 1. Dr. Bayerl * 25. 1. Brandt 26. 1. Flämig * 26. 1. Gruhl 24. 1. Haase (Fürth) * 26. 1. Haberl 25. 1. Hoffmann (Saarbrücken) * 26. 1. Ibrügger * 26. 1. Dr. h. c. Kiesinger 24. 1. Klinker 26. 1. Koblitz 26. 1. Kroll-Schlüter 24. 1. Lange * 25. 1. Dr. Lenz (Bergstraße) 26. 1. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lücker * 24. 1. Luster * 26. 1. Müller (Bayreuth) 26. 1. Müller (Berlin) 26. 1. Müller (Mülheim) * 26. 1. Neuhaus 24. 1. Schmidt (München) * 26. 1. Schmidt (Wuppertal) 24. 1. Dr. Schmitt-Vockenhausen 26. 1. Schreiber * 26. 1. Dr. Schröder (Düsseldorf) 26. 1. Seefeld * 24. 1. Dr. Starke (Franken) * 24. 1. Frau Dr. Walz * 26. 1. Wawrzik * 25. 1. Dr. von Weizsäcker 25. 1. Würtz * 26. 1. Ziegler 26. 1. *für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Generalaussprache über den Etat des Bundeskanzlers ist der Zeitpunkt und der Ort, um über die politische Lage unserer Bundesrepublik Deutschland zu sprechen, zu diskutieren und sich auseinanderzusetzen. Sie, Herr Bundeskanzler, haben in Ihrer Neujahrsansprache vor allem versucht, für das kommende Jahr Zuversicht zu verbreiten. Sie haben gesagt, der Boden sei „für eine gute politische und wirtschaftliche Entwicklung bereitet". Ich hoffe mit meinen Freunden in der CDU/CSU sehr, daß eine Ihrer Prognosen endlich einmal zutreffen könnte.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Denn wir alle hoffen nach diesen Jahren der wirtschaftlichen Entwicklung, daß sich die erkennbaren Anzeichen — es sind nicht mehr als Anzeichen — für eine Besserung der Lage weiter durchsetzen. Die Bundesrepublik Deutschland kann nach den mageren und krisenreichen Jahren unter Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, solche Zeichen der Ermutigung sehr wohl vertragen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wer ins Land hineinschaut, weiß, daß diese Bundesrepublik Deutschland materiell, geistig und psychologisch die Kraft hat, um mit ihren Problemen fertig zu werden. Aber die Erfahrungen der letzten Jahre haben deutlich gemacht, daß bloße politische Technokraten eben nicht in der Lage sind, diese Kräfte unseres Volkes zu mobilisieren. Denn, meine Damen und Herren, wir haben erlebt, daß Sie sich, Herr Bundeskanzler, und Ihre Regierung vor allem an Zahlen und nicht an der Wertordnung, an Prozentsätzen, die dann noch manipuliert werden, und nicht an den Grundsätzen, an Trends, statt an wirklichen Zielen orientieren. Wir wissen, daß dies die Bürger wenig berührt. Es wird immer wieder gesagt, einige tausend Arbeitslose weniger als eine Million, einige Zehntel-Prozentpunkte mehr Bruttosozialprodukt seien bereits der entscheidende Durchbruch, das signalisiere einen neuen Horizont der wirtschaftlichen Perspektive, damit seien alle Probleme gelöst. Wir jedoch wissen, daß Sie sich mit solchen Aussagen Jahr für Jahr um die wirklichen Probleme herumgewunden haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)




    Dr. Kohl
    Wir wissen, daß hinter jedem Prozentpunkt der Arbeitsmarktstatistik Menschen und ihre Schicksale stehen. Wir wissen, daß die Sorge, die gerade die Macher gerne vergessen, wenn sich der Scheinwerfer nur auf die nackte Zahl richtet, bei diesen Mitbürgern umgeht. Was wir in der Bundesrepublik Deutschland brauchen, sind politische Entscheidungen, die gerade diesen Problemen, die sich als langfristige Probleme eingestellt haben, endlich gerecht werden.
    Aber, meine Damen und Herren von der Koalition, der innere Zustand Ihrer Parteien erlaubt es ja gar nicht mehr,

    (Lachen bei der SPD und der FDP)

    die notwendigen und wirklichen Entscheidungen zu treffen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Denn welch einen Entscheidungsspielraum haben Sie denn noch, Herr Bundeskanzler, wenn etwa in der Energiepolitik nur die Rücktrittsdrohung aller der FDP angehörenden Minister und des Fraktionsvorsitzenden der FDP Ihnen überhaupt erspart hat, die Vertrauensfrage im Bundestag zu stellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie müssen Sachfragen des Alltags, Sachfragen, die die Zukunft bestimmen, zu Machtfragen erheben, um überleben zu können. Das war so bei der Entscheidung über Kalkar, das war so bei den Entscheidungen über den Steuerkompromiß, das war so bei den dann ausgebliebenen Entscheidungen im Kampf um die Verbesserung der inneren Sicherheit. Das wird sich jeden Tag wieder und immer wieder wiederholen; denn in der SPD und der FDP gibt es in diesen zentralen Sachfragen der deutschen Politik keine Übereinstimmung. Das einzige, was Sie hier übereinstimmend vortragen können, ist der Wille, um jeden Preis an der Macht zu bleiben; das ist Ihr gemeinsamer Nenner.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deshalb, Herr Bundeskanzler, findet eben Politik nicht mehr statt. Deswegen weichen Sie auf die Gipfel aus, um, von Gipfel zu Gipfel springend, dann Ihre Botschaft möglichst nichtssagend unter die Bürger zu bringen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deshalb ist inzwischen, statt tatkräftige Politik zu praktizieren, Politik durch Propaganda abgelöst, und deshalb wird Führung durch Selbstdarstellung ersetzt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es wird in diesen Monaten immer deutlicher, daß — und im Oktober feiern Sie ja das zehnjährige Jubiläum der Regierung von SPD und FDP — die Bundesrepublik Deutschland in diesen Jahren immer mehr aus ihrer Substanz gelebt hat. Sie sind dabei, das aufzuzehren, was zuvor an Kraft und Reserven geschaffen wurde. Sie teilen aus, was da ist, und Sie verschließen fest und entschlossen die Augen vor der Zukunft.
    Die Rechnung wird früher oder später präsentiert. Daß sie ruinös sein wird, wird jeden Tag deutlicher.
    Mit jedem Jahr, Herr Bundeskanzler, in dem die Geburtenentwicklung weiterhin rückläufig ist, wird die Struktur unserer Bevölkerung weiter verzerrt, werden Überalterung und Abnahme unserer Bevölkerung stärker, werden die negativen Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung unübersehbar, werden die Konsequenzen für den allgemeinen Lebensstandard unabweisbar. Die Belastungen für die im Erwerbsleben stehende Generation, für die äußere Sicherheit und für die internationale Bedeutung des Landes nehmen zu. Aber Sie, Herr Bundeskanzler — und Sie schulden uns dazu eine Antwort heute und an diesem Pult —, haben veranlaßt, daß die Analyse des Bundesinnenministeriums über die Bevölkerungsentwicklung zur Verschlußsache erklärt wurde, damit möglichst wenig über diesen gravierendsten Vorgang der deutschen Innenpolitik diskutiert wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir wollen heute und hier von Ihnen erfahren, was Sie dazu vorzuschlagen haben, was Sie zu tun beabsichtigen.
    Wir haben gestern in einer langen und intensiven Diskussion über die Entwicklung der öffentlichen Schulden in der Bundesrepublik Deutschland gesprochen. Herr Bundeskanzler, Sie verfahren hierbei nach dem alten Raster, daß die Summen, um die es hier geht, den meisten Bürgern im Normalleben gar nicht begreifbar sind und daß die Probleme, wie Sie glauben, deshalb nicht politisch oder parteipolitisch beunruhigend sind. Mit jedem Jahr, in dem unser Staat weiter auf Schulden lebt, bürdet er nachfolgenden Regierungen und späteren Generationen Lasten auf, denen kein realer Gegenwert gegenübersteht. Das muß man immer wieder deutlich sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Anstatt Ihren pflichtgemäßen Beitrag zur Konsolidierung der Haushalte zu leisten, fahren Sie mit einer unseriösen Finanzpolitik fort, mit einer Politik nach dem Motto: Was nach uns kommt, schert uns nicht weiter. Wann, Herr Bundeskanzler, haben Sie ein Wort dazu gesagt, daß Ihre Schuldenpolitik für die zukünftige Generation, für die nachwachsende Generation eine Hypothek sondergleichen bedeutet?
    Eine dauerhafte Sanierung der Rentenfinanzen, der sozialen Systeme ist immer noch nicht in Sicht. Nach dem Rentenbetrug 1976 soll bereits jetzt für den nächsten, den Rentenbetrug 1980, die Bahn bereitet werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Freien Demokraten, Herr Bundeskanzler, ziehen mittlerweile in Zweifel, ob Sie — obwohl Sie hier persönlich etwas anderes gesagt haben — Ihr Versprechen wahrmachen und 1982 die dynamische bruttolohnbezogene Rente wiederherstellen können. Wir erwarten heute hier eine Antwort, nicht aber eine geplante Antwort für den Tag nach der Bundestagswahl, wie wir das schon einmal erlebt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der Bevölkerungsrückgang, der Schuldenberg, die ungesicherten Finanzgrundlagen der sozialen Sicherung sind nur drei Beispiele für die Art, wie Ihre Regierung, Herr Bundeskanzler, aus Schwäche Pro-



    Dr. Kohl
    bleme in die Zukunft abdrängt. Perspektiven kann aber nur eine Regierung entwickeln, die für sich selbst eine Zukunft sieht, die nicht Tag für Tag um den Machterhalt bangen muß, die es sich leisten kann — das heißt doch Regieren —, auch in der Tagespolitik scheinbar unbequeme Entscheidungen zu treffen, wenn diese Entscheidungen zum Wohl des Ganzen zwingend und notwendig sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, wir wollen es Ihnen frühzeitig sagen, damit auch deutlich ist, in welcher Verantwortung Sie stehen: Wer dazu nicht in der Lage ist, bereitet den Boden für einen Konflikt zwischen den Generationen, dessen Härte — dessen bin ich sicher — die des früheren Konflikts zwischen den sozialen Klassen bei weitem übertreffen kann. Wenn unsere Generation heute unsolidarisch handelt und ihre Probleme, die Probleme des Heute, der kommenden Generation zuschiebt, ist zu befürchten, daß dafür später einmal Lösungen zu Lasten der dann älteren Generation gesucht werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Solidarität ist auch zwischen den Generationen — den heutigen Alten, der heute tragenden Generation, und den Jungen — keine Einbahnstraße. Deshalb trägt eine Regierung Verantwortung auch weit über den Tag hinaus, über die zeitliche Grenze ihres politischen Mandats hinaus. An diese Verantwortung gerade gegenüber den jungen Leuten in der Bundesrepublik Deutschland werden wir Sie in der vor uns liegenden Zeit immer wieder und immer deutlicher erinnern, Herr Bundeskanzler.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    In Ihrer Neujahrsansprache haben Sie — dann auch noch in der Bundespressekonferenz vor einigen Tagen — „von großem Zukunftsvertrauen", „von wirtschaftlichem und politischem Optimismus" gesprochen. Sie haben, Herr Bundeskanzler — und das ist erstaunlich, wenn man in die Welt blickt —, „ein außenpolitisch ruhiges Jahr" angekündigt. Das, meine Damen und Herren, ist der Versuch, das Bild einer heilen Welt zu entwerfen, in ,der jeder so zufrieden ist, wie ihm von der Regierung Zufriedenheit zugeteilt wird, voller Hoffnung und Zuversicht für sein persönliches Leben.
    Herr Bundeskanzler, es stellt sich doch die Frage — und ,das mitten in Ihrer Regierungszeit, mitten in dieser Legislaturperiode —, warum gerade auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland junge Leute unter einer tiefgreifenden Orientierungskrise leiden, in der jungen Generation in einem bestürzenden Ausmaß der Rückzug in den Bereich des Privaten zu sehen ist, sich viele vom Staat und von ihrer Mitverantwortung im Gemeinwesen abwenden, die Zahl derer, ,die sich in Sekten, Alkohol und Drogen flüchten, weit in die Hunderttausende gegangen ist und Kriminalität in diesem Bereich zunimmt. Das muß uns doch betroffen machen.
    Sehen Sie, Herr Bundeskanzler, nicht, daß zwischen Ihrer heilen Welt, die Sie den Bürgern aus Wahlgründen vortragen, und der Wirklichkeit eine immer tiefergehende Kluft zu beobachten ist? Herr
    I Bundeskanzler, in einer solchen Situation stellt sich für jede Regierung die Frage nach ihrer Mitverantwortung für den wachsenden, zutiefst befremdlichen Fatalismus in unserer Gesellschaft. Sie müssen sich als Regierungschef doch die Frage stellen, warum Sie diese Entwicklung in Ihrer Analyse ausklammern.
    Auch das wirtschaftliche, soziale und politische Klima des Jahres 1979 wird erheblichen Belastungen ausgesetzt sein.. Wenn Sie gesagt haben, „der Optimismus werde durch die Auswirkungen des Arbeitskampfes in der Stahlindustrie nicht beeinträchtigt", dann frage ich mich wirklich, ob Sie diese Äußerung nur deshalb machen konnten, weil Sie einen Teil dieser Auseinandersetzung in fernen Gefilden erlebt haben. Die „Zeit", eine Ihnen doch ganz gewiß gewogene Stimme, schreibt in diesem Zusammenhang:
    Die Arbeitnehmer haben in den sechs .Wochen, die sie vor den Werkstoren verbrachten, Einkommenseinbußen erlitten, die sie nie wieder aufholen können ...
    Die Allgemeinheit wird durch geringere Steuereinnahmen, neue soziale Lasten und wohl auch durch eine weitere Verzögerung des erhofften Aufschwungs in Mitleidenschaft gezogen.
    Damit, meine Damen und Herren, wird ausgedrückt, was Millionen Bürger der Bundesrepublik Deutschland in diesen Streiktagen empfunden haben.
    Es besteht doch gar kein Zweifel, Herr Bundeskanzler, daß über die meßbaren ökonomischen und wettbewerblichen Wirkungen hinaus durch die Härte und Stärke der Auseinandersetzung gerade auch die so lebensnotwendigen psychologischen Grundlagen des Aufschwungs in Gefahr geraten sind. Vertrauen schafft doch nach Ihren eigenen Worten das halbe Wachstum.
    Wir alle sind froh, daß dieser Streik endlich, wenn auch unter großen Schwierigkeiten beendet werden konnte. Aber das, was Sie, Herr Bundeskanzler, laut der Zeitschrift „Der Spiegel" auf den Bahamas zu diesem Streik gesagt haben, zeigt, daß Sie sich während dieses dramatischen Arbeitskampfes nicht nur geographisch von der Bundesrepublik Deutschland abgesetzt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie sind weit, weit weg von der Wirklichkeit des Landes, dessen Regierungschef Sie sind. Was soll das folgende Zitat:
    Alle diese deutschen Kleinbürger, die meinen, ein Streik sei ein Zeichen von Unordnung, die können mir den Buckel runterrutschen?
    Herr Bundeskanzler, es ist die riesige Mehrheit der Bundesrepublik Deutschland, die Ihnen den Buckel runterrutschen muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich weiß, daß Sie in Ihrem Selbstwertgefühl kaum zu erschüttern sind. Dennoch rate ich Ihnen — .Sie wollen ja Regierungschef des Landes sein, dessen Bürger Ihnen den Buckel runterrutschen sollen —, darüber nachzudenken, ob all jene, egal, wo sie



    Dr. Kohl
    politisch stehen, ob Arbeitgeber oder Gewerkschaftler, die in diesen Tagen voller Sorge auch die innere Entwicklung dieses Streiks und jener Kräfte betrachtet haben, welche dabei sichtbar wurden, die Lage wirklich so fahrlässig einschätzen, wie Sie es getan haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es kann im Deutschen Bundestag keine Frage sein, daß Streik ein legitimes Mittel des Arbeitskampfes ist, aber Streik ist kein Selbstzweck. Es gibt in jeder Tarifauseinandersetzung die konkrete Verantwortung der Gewerkschaft und der Arbeitgeberverbände für einen Tarifbereich. Aber wir alle, ohne uns in die Tarifhoheit einmischen zu wollen, die ein wichtiges Gut freiheitlicher Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland ist, die wir erhalten wollen, haben als Bürger dieses Landes — auch Gewerkschaftsvertreter und Arbeitgeber sind Bürger dieses Landes — eine wohlverstandene Gesamtverantwortung für die Gesamtentwicklung der Bundesrepublik Deutschland.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das Ja zur vollen, uneingeschräntken Tarifautonomie darf nicht heißen, daß die, die gerade verhandeln, in ihrem Sektor völlig autonom reden, denken und verabreden können, ohne auf die Gesamtentwicklung Rücksicht zu nehmen. Wer heute Tarifverträge aushandelt, muß daran denken — auf beiden Seiten des Tisches —, daß dort eine Million Arbeitslose mit sitzen und daß das Gut eines sicheren Arbeitsplatzes in solchen Zeiten ein besonders wichtiges Gut ist und daß das Gut der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft auch zur Sicherung der Arbeitsplätze eine Grundvoraussetzung ist. Das alles muß dabei mit angesprochen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es geht immer auch um die Sorgen und Nöte der vom Streik Betroffenen,. um die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen. Ich frage mich, Herr Bundeskanzler, woher Sie das Recht nehmen, diese Probleme so von oben herab abzutun. Natürlich war das für Sie ärgerlich, weil es die geplante große Schau in der optischen Darstellung etwas einschränkte; aber wir leben in unserem Land nicht von der Schau, die Sie jeweils inszenieren, sondern wir leben davon, daß wir in einer vernünftigen Politik ein Stück vorankommen. Das ist das, was wir brauchen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie, Herr Bundeskanzler, haben als steilvertretender Vorsitzender der SPD mit dazu beigetragen, daß die Verhältnisse während dieses Streikes noch eskalierten. Mit Ihrem Kölner Europa-Programm hat die Sozialdemokratische Partei ein wesentliches Stück Mitverantwortung für die Eskalation dieses Streiks zu tragen. Sie von der SPD haben in diesen kritischen Tagen. 01 in das Feuer sozialer Konflikte gegossen, und Sie haben auch den Ihnen nahestehenden Freunden der SPD im Deutschen Gewerkschaftsbund mit dieser Entscheidung auf dem Kölner Parteitag einen Bärendienst erwiesen; Sie haben ihnen überhaupt nicht geholfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Denn verunsicherte, ihrer Basis entfremdete Gewerkschaften nützen überhaupt keinem, sie nützen auch unserer Volkswirtschaft im ganzen nichts.
    Sie von der SPD haben mit ihrem Vorgehen nicht nur die Tarifautonomie in Frage gestellt, sie haben auch das wirtschaftlich Mögliche gefährdet. Angesichts härtester sozialpolitischer Auseinandersetzungen mit dem Rückfall in klassenkämpferische Agitation des 19. Jahrhunderts auf dem Kölner Parteitag haben Sie sich, Herr Bundeskanzler, mit Allerweltsparolen aus Ihrer Führungsverantwortung gestohlen. Ich will dazu nur ein Beispiel aus der vergangenen Woche nennen.
    In einem Interview im „Spiegel" haben Sie — ich zitiere wörtlich — „die flache Re-Ideologisierung, hinter der nicht genug eigene geistige Arbeit steckt", bedauert. Herr Bundeskanzler, wer trägt denn in diesem Staat mehr zur flachen Re-Ideologisierung bei als Sie?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    In demselben Interview äußern Sie sich wie folgt zur Forderung nach der 35-Stunden-Woche. Sie sagen zum einen, die Forderung sei „in Ordnung und notwendig". Das ist so richtig der Helmut Schmidt: „in Ordnung und notwendig". Sie sagen zum anderen, „allen wirtschaftlich klar Denkenden" sei „bewußt, daß die 35-Stunden-Woche auch 1985 nicht erreicht werden könne".
    Sie sagen zum dritten — das alles im gleichen Interview —, „daß ein realer Einstieg in die 35-StundenWoche jederzeit denkbar sei". Herr Bundeskanzler, hätten Sie die Güte, uns einmal zu sagen, was Sie jetzt wirklich meinen!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Bürger der Bundesrepublik Deutschland, die Gewerkschaften, die Vertreter der Wirtschaftsverbände, sie alle haben einen Anspruch, wir . haben einen Anpruch darauf, von Ihnen persönlich von diesem Pult aus zu erfahren, was Sie zum Thema 35-Stunden-Woche wirklich denken, und zwar. in Ihrer Eigenschaft als einer der großen Ökonomen, wie Sie sich selbst einschätzen, als stellvertretender Parteivorsitzender, als einer, der weiß, daß er ohne seine sozialdemokratischen Freunde im DGB längst nicht mehr an der Macht wäre. In diesen drei Funktionen wollen wir eine Antwort von Ihnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir wollen nicht, daß die Politik oder auch der Regierungschef in die Aufgaben eines politischen Schlichters in solchen Auseinandersetzungen gedrängt werden. Es gibt aber Zeiten, wo es das allgemeine Wohl verlangt zu schweigen, und es gibt Zeiten, wo es das allgemeine Wohl gebietet, das Notwendige zu sagen.
    Ich will in diesem Zusammenhang nur noch auf das hinweisen, was Sie im gleichen Interview über die möglichen Folgen der Entwicklung im Iran gesagt haben. Ich finde, daß Sie heute auch dazu ein klärendes Wort sagen sollten. Es ist doch zumindest leichtfertig, wenn Sie angesichts der dramatischen Entwicklung dort sagen, im Iran würden „schlimmstenfalls vorübergehende Störungen für
    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 1.31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Januar 1979 - 10271
    Dr. Kohl
    möglich" gehalten, die würden „leicht behoben" werden können. Ich weiß nicht, wie Sie diese Störungen leicht beheben werden.

    (Zuruf des Abg. Franke [CDU/CSU])

    Das erinnert fatal an das "Problemchen" aus dem Jahre 1976 im Zusammenhang mit dem Rentenbetrug.
    Ich will nur nachtragen, damit die Zahlen klar sind: Diese Entwicklung im Iran ist für alle . EG-Länder von erheblicher Bedeutung, weil alle im Durchschnitt mit 16 O/0 vom iranischen 01 abhängig sind und weil die EG-Länder mit 40 0/o an der Spitze der iranischen Einfuhr stehen. - Bei uns stehen wenigstens 50 000 Arbeitsplätze mit auf dem Spiel.
    Herr Bundeskanzler, Sie verlieren in diesem Zusammenhang kein Wort. darüber, welche Gefahren für den Geldwert in der Bundesrepublik Deutschland entstehen. Statt dessen riskieren Sie einen Streit mit der Bundesbank, welchen Rang die Geldwertstabilität unter den fundamentalen wirtschaftspolitischen Zielen einnehmen soll. Die Dollarschwankungen, der Außenhandel — ich will das hier alles nur stichwortartig anführen — müssen doch hier angesprochen werden.
    Herr Bundeskanzler, ich hoffe auch, daß Sie heute hier dem Hause eine Auskunft im Blick auf Ihre Erklärung vom Dezember über das Europäische Währungssystem geben. Meine Damen und Herren, nach den Beschlüssen des Europäischen Rates sollte der Währungsverbund ' am 1. Januar dieses Jahres in Kraft treten. Der gerade von Ihnen, Herr Bundeskanzler, so spektakulär betriebene Plan ist nun vorerst geplatzt. Dies schafft doch nun wahrlich in einem wichtigen wirtschaftspolitischen Augenblick für die Wirtschaft in Europa und in Deutschland kein Mehr an Vertrauen. Sie, Herr Bundeskanzler, haben Anfang Dezember hier im Plenarsaal gesagt und die Dinge so dargestellt, als würde das Inkrafttreten des Währungssystems ohne jede Schwierigkeit zum 1. Januar 1979 zu erwarten sein. Sie haben uns kein Wort gesagt — weder hier noch in irgendeinem der Ausschüsse —, daß im agrarmonetären Ausgleich zwischen Frankreich und Deutschland erhebliche Probleme bestehen. Die Tatsache, daß auf dem Gebiet der Agrarpolitik — und wir haben doch in Europa auf diesem Feld Erfahrungen aus den letzten 20 Jahren — wichtige Vereinbarungen offengeblieben sind, ist uns sehr viel später und über die Presse bekanntgemacht worden. Sie, Herr Bundeskanzler, haben es sich selbst zuzuschreiben, wenn über die Hintergründe dieser Differenzen mannigfaltige und allesamt schädliche Vermutungen angestellt werden. Die Frage drängt sich doch auf : Entweder haben Sie die mit dem französischen Staatspräsidenten getroffene Vereinbarung 'in ihrer Substanz nicht ganz erkannt, dann wäre fahrläsig gehandelt worden, oder Sie haben dem Hohen Hau- se, dem Bundestag, die vorliegenden Streitpunkte wissentlich vorenthalten; dann aber, Herr Bundeskanzler, bedeutet das, daß -Sie die deutsche Öffentlichkeit und den Deutschen Bundestag bewußt getäuscht haben. Wir haben Anspruch auf Ihre Antwort.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie sollten auch an das Ansehen Ihres Kabinettskollegen Ertl_ denken, einer Stütze Ihrer Koalition. Hat Herr Ertl den Dissens nicht gekannt? Wurde Herrn Ertl der Dissens nicht nahegebracht? Hat Herr Ertl aus Gründen der Räson dazu geschwiegen? Das sind doch alles Fragen, die sich aufdrängen. Und wenn Herr Ertl nicht rechtzeitig unterrichtet wurde, dann stellt sich doch die Frage so: Wollten Sie, Herr Bundeskanzler, etwa den Widerstand eines Ressortministers, den Sie unter allen Umständen brauchen, dadurch brechen, daß Sie unser gemeinsames Ziel der europäischen Integration so sehr in den Vordergrund gestellt haben, damit die Frage des Grenzausgleichs daneben als eine Lappalie erscheint? Wie immer sich dieser Vorgang im einzelnen abgespielt haben mag, Herr Bundeskanzler, wir erwarten heute von Ihnen eine klare Auskunft. Der Deutsche Bundestag und die deutsche Öffentlichkeit haben einen Anspruch darauf. Diese Art von Politik . ist unerträglich.
    Sie haben in diesem Zusammenhang genauso leichtfertig und oberflächlich gehandelt wie vor wenigen Monaten in der Steuerpolitik, als Sie in einem Handstreichverfahren bestimmte Daten setzen wollten und der Aufstand der Oberbürgermeister an Rhein und Ruhr Sie wieder zurücktrieb.
    Herr Bundeskanzler, Sie haben — das ist richtig — die Anpassung der deutschen Wirtschaft an die sich verändernde Struktur der Weltwirtschaft als eines der ganz großen Probleme dieses Jahrzehntes bezeichnet. Wir teilen diese Einschätzung. Wir haben auch die notwendigen Konsequenzen gezogen. Ich denke an unsere Steuerinitiativen seit 1974. Ich empfehle Ihnen in diesem Zusammenhang auch noch ein- mal das Programm der Union zum Thema Zukunftschancen der jungen Generation.
    Mit der Politik, die ich soeben ansprechen mußte, schaffen Sie es einfach nicht, Vertrauen in die wirtschaftliche und damit in die politische Zukunft zurückzugewinnen. Eine wesentliche Voraussetzung für Vertrauen ist Klarheit über die zukünftige Steuerpolitik. Das haben in diesen Tagen auch die Sachverständigen in ihrem Gutachten wieder dargelegt. Vertrauenschaffende Maßnahmen sind eben seit Ludwig Erhards ' Tagen die Voraussetzung jeder staatlichen Wirtschaftspolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber solange Sie es als Regierungschef und als stellvertretender SPD-Vorsitzender zulassen, daß in Ihrer eigenen Partei unentwegt darüber nachgedacht und diskutiert wird, wie man die Wirtschaft immer mehr mit Bürokratie und Kontrolle überziehen kann, solange Sie nicht bereit sind, entschlossen, kämpferisch und mutig mit uns gemeinsam dafür einzutreten, daß wir nicht mehr Bürokratie, sondern mehr Freiheit für den Bürger unseres Landes brauchen, solange werden Sie kein Vertrauen gewinnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wer die Diskussionen zwischen Herrn Klose, dem neuen Führer der Linken in der SPD, und Ihnen und anderen verfolgt hat

    (Widerspruch bei der SPD)




    Dr. Kohl
    — ich weiß, daß Ihnen das wehtut, weil ja bei Ihnen viele sitzen, die auch gerne Führer der neuen Linken sein möchten —,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    der muß doch wissen, daß allein schon der Begriff Stamokap und die Ideologie, die dem zugrunde gelegt ist, Gift für die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland ist.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber, Herr Bundeskanzler, was mich im Blick auf die Zukunft des Landes und unseres Volkes noch mehr bedrückt und beunruhigt als der faktische Stillstand der Regierungstätigkeit, ist der immer deutlicher werdende Schwund an demokratischer Gemeinsamkeit in Grundfragen unserer politischen und wirtschaftlichen Ordnung.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Ich habe inzwischen den Eindruck gewonnen, daß der Begriff Gemeinsamkeit in Grundfragen nicht nur der großen Mehrheit der SPD nichts mehr besagt, sondern auch Ihnen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Leider wahr!)

    Ich muß zugeben, daß ich mein Urteil in diesem Punkt revidiert habe. Übereinstimmung in den Grundfragen schließt doch wahrlich — damit kein Zweifel aufkommt — hartes, notwendiges, faires demokratisches Ringen um den richtigen Weg der Politik nicht aus. Übereinstimmung in den Grundfragen heißt, daß wir, wo immer wir in .der Tagespolitik stehen mögen, ob in Regierung oder in Opposition, gemeinsam wissen, daß es für den Fortbestand unserer freiheitlichen Ordnung lebensnotwendig ist, daß in den wirklich entscheidenden Fragen unseres Staates eine Mindestausstattung ich sage es sehr vorsichtig — an Gemeinsamkeit besteht. Herr Bundeskanzler, das ist die entscheidende Voraussetzung jeder wirklichen Regierungskunst: nicht nur mit einer Stimme Mehrheit regieren zu wollen, sondern in den tragenden Fragen konsensfähig zu werden. Das ist Voraussetzung von wirklicher Regierungskunst.
    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich will aus den letzten Monaten zwei Beispiele anführen, die zeigen, daß Sie gar keinen Wert mehr darauf legen, dieses Mindestmaß an Gemeinsamkeit zu pflegen. Kommen Sie bitte nicht, Herr Bundeskanzler, und sagen: Das geht mich doch nichts an. Sie sind der stellvertretende Vorsitzende der SPD, und ohne Sie — das wissen Sie am besten, und das erfreut Sie ja auch — ist die SPD an, der Regierung gar nicht mehr denkbar. Weil dies so ist, stehen Sie hier zudem Thema Gemeinsamkeit voll in der Verantwortung.
    Ich will unsere Erfahrungen im Zusammenhang mit der Wahl des Bundespräsidenten ansprechen. Die Kampagne gegen unseren Freund Karl Carstens ist ebenso einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wie erbärmlich und abstoßend.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Diese Kampagne macht deutlich, daß wir im Verständnis von Demokratie offensichtlich nicht mehr die gleiche Sprache sprechen.

    (Stücklen [CDU/CSU] Sehr richtig!)

    Denn Demokratie heißt Verwaltung von Macht und Amt auf Zeit. Demokratie schließt lebensnotwendig den Wechsel nach dieser Zeit ein — im Rahmen der Legalität, im Rahmen derer, die dazu berufen sind.
    Herr Bundeskanzler, ich sage schlicht und einfach: Das, was an Kampagne gegen Carl Carstens betrieben wird und noch betrieben werden wird — und Sie sind nicht aufgestanden; Sie waren in den Landtagswahlkämpfen sogar an dieser Kampagne beteiligt;

    (Pfui-Rufe bei der CDU/CSU — Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Diffamierung!)

    ich komme noch darauf zu sprechen —, das alles, Herr Bundeskanzler, hat nur das Ziel,

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Wo hat er das gelernt?)

    daß Sie und Ihre Partei an der Macht bleiben.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie und viele Ihrer Helfershelfer 'draußen im Lande sind dabei,

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Vor allem der ''Schüler!)

    nahezu jeden Preis zu zahlen, um an der Macht zu bleiben.
    Respekt und Achtung vor dem Lebensweg und der Persönlichkeit eines um diesen Staat hochverdienten Mannes und Mitbürgers bedeuten nichts; Fairneß und Anstand bedeuten nichts. Aber wenn all diese Tugenden mit Füßen getreten werden, dürfen wir uns doch nicht wundern, wenn junge Leute sich von dem Tun derer abwenden, die in diesem Staat Politik machen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Um was geht es denn wirklich bei diesem Thema? Die Amtszeit des Staatsoberhaupts läuft ab. Die Neuwahl steht an. Das ist ein ganz und gar normaler Vorgang im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung unseres Landes. Wenn dann Überlegungen über Kandidaten angestellt werden, hat das überhaupt nichts mit Mangel an Respekt vor dem gegenwärtigen Amtsinhaber zu tun. Es hat damit zu tun, daß jeder von uns die Pflicht hat, an seinem Platz 'das Notwendige zu tun, um seinen Beitrag zur Lösung auch dieser Frage beizusteuern.
    Da ist folgende nüchterne Feststellung am Platz. Die CDU/CSU-Fraktion ist die stärkste Fraktion in der Bundesversammlung 1979. Ich will 'das nur einmal sagen, weil es kaum mehr einer weiß.

    (Beifall bei der CDU/CSU Lachen bei der SPD und 'der FDP — Zurufe von der FDP)

    — Ihr liberales Gewissen, Frau Kollegin, sieht man an diesem Punkte deutlich. Ihr Verfassungsverständnis ist deutlich. Sie nehmen offensichtlich nicht zur Kenntnis, daß zum erstenmal in der Geschichte



    Dr. Kohl
    der Bundesrepublik — zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik! — Die CDU/CSU-Fraktion die absolute Mehrheit in der Bundesversammlung hat.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Woher kommt denn diese Mehrheit? Die Bürger der Bundesrepublik haben der CDU/CSU in einer Serie von Landtagswahlen und bei der Bundestagswahl 1976 diese Mehrheit verliehen. Das ist die Grundlage.

    (Beifall bei 'der CDU/CSU)

    Da wurde nichts manipuliert, sondern hier hat der Bürger ein klares und eindeutiges Wort gesprochen. Es entspricht demokratischer Tradition, daß man, ob es einem paßt oder nicht, die Haltung, das Votum des obersten Souveräns — 'das ist der Bürger in unserem Lande — respektiert.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Möllemann [FDP] : Fragen Sie doch mal, was die wollen!)

    Meine Damen und Herren, Sie haben in der Serie dieser Wahlen die Sitze verloren, die Sie jetzt gerne hätten, um bei dieser Entscheidung ebenfalls sich durchsetzen zu können.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Und jetzt, Herr Möllemann, kommt Ihr Zwischenruf: „Dann fragen Sie doch einmal, was die wollen!" Sehen Sie, Herr Möllemann, das ist es ja. Das ist ein weiteres Stück Verrat liberaler Ideen, die Sie mit diesem Zwischenruf deutlich machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie wollen jetzt ein Pseudo-Plebiszit in dieser Frage einführen. Meine Damen und Herren, dann lassen Sie uns ernsthaft darüber reden, daß wir die Verfassung ändern und den Präsidenten vom Volk wählen lassen. Aber nicht so: wenn es Ihnen paßt, wird er von der Versammlung gewählt, und wenn es Ihnen nicht paßt, wird ein Plebiszit veranstaltet!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn an irgendeinem Punkte der Bürger in der Bundesrepublik die Möglichkeit hat, den geistigen Niedergang der Freien Demokraten beurteilen zu können, dann in der Form 'der Verfassungsmanipulation, die Sie hier öffentlich betreiben.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Bangemann [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Bangemann?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Gleich, wenn ich die Passage zu Ende habe, Herr Kollege.

    (Zurufe von der FDP)

    Sie können dann die Frage gleich noch dazu stellen, Herr Bangemann. Es ist eine Frage, die sich einem bedrückend aufdrängt: Was geht eigentlich bei Ihnen vor, wenn Sie aus der nackten Angst das
    Amt des Staatsoberhaupts in den Wahlkampf zerren, um über die 5 % zu kommen?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie wissen genau: der Bundespräsident kann sich von Amts wegen nicht zur Wehr setzen. Dennoch gehen Sie von Landtagswahl zu Landtagswahl und tun gegenüber dem Wähler so, als sei seine Wahlentscheidung jetzt eine Entscheidung zur Wahl des Bundespräsidenten.

    (V o r sitz : Vizepräsident Stücklen)

    Sie wissen, daß das nach der Zahl falsch ist. Sie wissen, daß keine der Landtagswahlen, die jetzt stattfinden, noch eine Veränderung der Wahlmännerzahl in dem von Ihnen gewünschten Sinn erreichen kann. Sie täuschen bewußt den Wähler, nur um überleben zu können.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)