Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, als Nachfolgerin für den Abgeordneten Wienand ist mit Wirkung vom 9. Dezember 1974 die Abgeordnete Frau Steinhauer in den Bundestag eingetreten. Ich begrüße die neue Kollegin sehr herzlich und wünsche ihr alles Gute im Deutschen Bundestag.
Nach einer interfraktionellen Veränderung soll Punkt 8 der Tagesordnung Änderung des Lastenausgleichsgesetzes — abgesetzt werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist somit beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Hochschulrahmengesetzes
— Drucksache 7/1328 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/2905 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Althammer
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft
— Drucksachen 7/2844, 7/2932 — Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Gölter Abgeordneter Möllemann Abgeordneter Dr. Schäuble Abgeordneter Dr. Schweitzer Abgeordneter Dr. Wernitz
Ich darf vorher einen Hinweis geben. Zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft auf Drucksache 7/2932 möchte ich Ihnen folgendes sagen: Der Bericht enthält in der Anlage eine Gegenüberstellung der Beschlüsse des Ausschusses und der von den Beschlüssen abweichenden An-
träge im Ausschuß. Meine Zustimmung zu diesem bisher nicht üblichen Verfahren habe ich nur ausnahmsweise erteilt, um zu verhindern, daß die im Ältestenrat vereinbarte Beratung des Hochschulrahmengesetzes wegen Fehlens des Ausschußberichts gefährdet werden würde. Ich darf ausdrücklich darauf hinweisen, daß diese Form des Berichts keine präjudizierende Wirkung für künftige Berichte haben kann.
Ich erteile nunmehr dem Berichterstatter, dem Kollegen Dr. Wernitz, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die Kolitionsfraktionen SPD und FDP darf ich hier die Berichterstattung zusammen abgeben.
Fast auf den Tag genau ein Jahr nach der ersten Lesung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Hochschulrahmengesetzes finden heute die zweite und die dritte Beratung statt. Rund fünf Jahre dauert jetzt die Debatte um eine Rahmengesetzgebung des Bundes für die Hochschulen. Es scheint so, daß sich Bund, Länder und Parteien nach wie vor über die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes prinzipiell einig sind. Entsprechende einvernehmliche Passagen im Vorblatt zum Antrag des Ausschusses stellen gleichfalls heraus, daß ein Hochschulrahmengesetz als Beitrag zur Lösung der strukturellen und quantitativen Probleme im Hochschulbereich gebraucht wird.
Aber bis heute ist es nicht gelungen, die unterschiedlichen Vorstellungen, wie die erkannte Aufgabe gelöst werden soll, inhaltlich auf einen hinreichend gemeinsamen hochschulpolitischen Nenner zu bringen. Der Antrag des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft auf Verabschiedung des Hochschulrahmengesetzes in der nunmehr vorliegenden Fassung hat dementsprechend die Zustimmung von SPD und FDP und die Ablehnung durch die CDU/ CSU gefunden. Der Regierungsentwurf wurde im Verlauf der Ausschußberatungen — in wesentlichen Bereichen einvernehmlich, teils mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen — grundlegend verändert.
Das jahrelange Ringen um die Hochschulrahmengesetzgebung wurde mit der Ankündigung des Gesetzes in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 eingeläutet. Im Februar 1970 wurden 14 Thesen zur Hochschulreform vorgelegt, die eine intensive Diskussion auslösten. Der Regierungsentwurf wurde vom Kabinett im Dezember 1970 verabschie-
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det und dem Bundestag im Februar 1971 zugeleitet. Ein Gesetzentwurf der CDU/CSU über die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens wurde dem Parlament im Januar 1971 übersandt. Beide Gesetzentwürfe wurden im Juni 1972 vom Ausschuß für Bildung und Wissenschaft abschließend kontrovers beraten. Bericht und Antrag wurden dem Bundestag im September 1972 zugeleitet. Das vorzeitige Ende der 6. Wahlperiode verhinderte die zweite und dritte Lesung.
In der laufenden Wahlperiode brachte die Bundesregierung am 30. August 1973 einen neuen Entwurf ein, der einerseits in wichtigen Teilen auf der 1972 verabschiedeten Ausschußvorlage basierte, andererseits jedoch in wesentlichen Teilen verändert worden war. Dies hing zusammen mit neuen Erfahrungen seit 1970, mit neuen gesetzgeberischen Tatbeständen und der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Vor diesem Hintergrund mußte der Regierungsentwurf selbstverständlich mehr als nur eine Neuauflage des alten Gesetzentwurfs sein. Dies schmälert in keiner Weise die verdienstvollen Bemühungen jener, die seit 1970 die Hochschulrahmengesetzgebung von seiten der Bundesregierung vorangetrieben haben. Sie verdienen in dieser Stunde auch einmal ein Wort des Dankes für die geleistete Vorarbeit.
Zur Vorbereitung der Beratungen im Ausschuß wurden bereits im November 1973 rund 50 im Hochschulbereich tätige Organisationen und Verbände um schriftliche Stellungnahmen gebeten. Hinzu kamen im ersten Halbjahr 1974 mehrere öffentliche und nichtöffentliche Diskussions- bzw. Anhörungssitzungen. Der mitberatende Innenausschuß beriet den Gesetzentwurf nach mehreren Sitzungen abschließend am 20. Juni 1974. Der mitberatende Rechtsausschuß hat sich gleichfalls in mehreren Sitzungen bis zum 20. Juni mit dem Regierungsentwurf befaßt. Der Haushaltsausschuß hat seinen korrigierten Bericht zur Kostenfrage inzwischen gesondert vorgelegt und festgestellt, daß die dem Bund entstehenden Kosten im Entwurf des Haushalts 1975 berücksichtigt sind. Der Bildungsausschuß hat den Regierungsentwurf unter Berücksichtigung der in den Informationssitzungen gewonnenen Erkenntnisse und unter Einbeziehung der von den mitberatenden Ausschüssen abgegebenen Stellungnahmen zuletzt am 13. und 14. November 1974 beraten. Die Ausschußberatungen fanden, insbesondere nach der Sommerpause, in einer fairen und konstruktiven Atmosphäre statt.
Im Laufe der Beratungen der Berichterstatter und der Ausschußberatungen selbst konnten zunächst unüberbrückbar erscheinende Meinungsdifferenzen zwischen Mehrheit und Minderheit ausgeräumt werden. Die Anlage zum Ausschußbericht mit der Gegenüberstellung der Beschlüsse und der von diesen abweichenden abgelehnten Anträge der Opposition macht jedoch deutlich, daß es im Ausschuß keine fragwürdige Verkleisterung von Gegensätzen gegeben hat.
Der umfangreiche Gesetzentwurf mit seinen 87 Paragraphen kann hier verständlicherweise in seiner komplexen Materie nicht in allen Einzelheiten dargestellt werden. Es genügt die Konzentration auf Themenkreise, die sich im Ausschuß mehr oder weniger als Schwerpunkte herauskristallisierten.
Hierzu gehört erstens die Sicherung der Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung, Lehre und Studium. Einmütig war man der Auffassung, daß im Hochschulrahmengesetz wesentliche Aspekte der Grundgesetzgarantie konkretisiert werden sollten. Dementsprechend wurden Regelungen beschlossen, durch die der Inhalt der in Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes gewährleisteten Grundrechte der Freiheit der Forschung und Lehre beispielhaft beschrieben wird.
Die Koalition sprach sich im übrigen für die Regierungsfassung aus, wonach die Mitglieder der Hochschule ihre Rechte „im Bewußtsein ihrer Verantwortung vor der Gesellschaft" nutzen und wahren. Damit sollen die Grundrechtsträger auf die Bedeutung hingewiesen werden, die einer freien Wissenschaft für die Entwicklung der Gesellschaft zukommt. Die Opposition lehnte diese Formel ab, weil sie darin eine unzulässige Relativierung des nach Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes geschützten Freiheitsrechtes sah. Dieses mögliche Mißverständnis soll nunmehr durch einen Änderungsantrag der Koalition im Ablauf der heutigen Beratung ausgeschlossen werden. Eine weitere Präzisierung im Zusammenhang mit dem Verhältnis von Lehrfreiheit und Lehrverpflichtung wird mit dem zweiten Änderungsantrag der Koalition bezweckt.
Zweiter Schwerpunkt: die Neuordnung des Hochschulwesens und die Gesamthochschule. Im beschlossenen Text ist die Zusammenfassung von Hochschulen zu Gesamthochschulen vorgesehen, die mit bisher unterschiedlicher Rechts- und Aufgabenstellung unverbunden nebeneinander bestehen. Diese Gesamthochschulen sollen ein Angebot von abgestuften und aufeinander bezogenen und integrierten Studiengängen gewährleisten, um so den unterschiedlichen Neigungen und Begabungen der Studierenden Rechnung zu tragen. Nach Auffassung von SPD und FDP ist aus dem Gesetz zwar keine rechtliche Priorität für die integrierte oder kooperative Gesamthochschule herzuleiten. Die Koalition stellte aber unabhängig davon ihre politische Option für die integrierte Gesamthochschule heraus. Demgegenüber wandte die CDU/CSU ein, daß die beschlossene Fassung die rechtliche Gleichrangigkeit nicht mehr zweifelsfrei zum Ausdruck bringe.
Dritter Schwerpunkt: das Zusammenwirken von Hochschulen, die Landes- und die Bundeshochschulkonferenz. Der Ausschuß war zwar einmütig der Ansicht, daß ein Zusammenwirken der Hochschulen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben vorzusehen ist. Strittig zwischen Koalition und Opposition blieb jedoch die Frage, ob und inwieweit die Organisation dieses Zusammenwirkens dem Landesgesetzgeber vorbehalten werden und ob eine Aussage zu einer Bundeshochschulkonferenz gemacht werden soll.
Mit der beschlossenen Fassung bieten SPD und FDP die Möglichkeit zur Schaffung von Landeshochschulkonferenzen. Auch die Bildung einer Kon-
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ferenz der Hochschulen aller Bundesländer als Bundeshochschulkonferenz bleibt möglich. Beides ist jedoch nicht zwingend, sondern hat reinen Angebotscharakter an die Länder. Die CDU/CSU wollte demgegenüber die Sicherstellung des Zusammenwirkens der Hochschulen eines Landes allein dem Landesgesetzgeber überlassen und bestritt im übrigen die Gesetzgebungskompetenz des Bundes.
Vierter Schwerpunkt war die Studienreform, die Regelstudienzeit und die Studienreformkommissionen. Die Studienreform, mit der Kernpunkt der Hochschulreform, soll auf ein berufliches Tätigkeitsfeld vorbereiten. Eine Entrümpelung der Studiengänge soll mit Hilfe von Regelstudienzeiten zur Verkürzung der Studien- und Verweildauer an den Hochschulen führen. Bei Überschreitung der Regelstudienzeit sind Sanktionsmechanismen vorgesehen. So erlöschen nach § 18 Abs. 3 die Rechte des Studenten aus der Einschreibung, wenn er sich nach Aufforderung nicht zur Abschlußprüfung meldet, ohne eine Nachfrist beantragt zu haben, oder wenn er eine ihm gesetzte Nachfrist nicht einhält. Der Anspruch auf Zulassung zur Prüfung bleibt bestehen, sofern die hierfür erforderlichen Leistungen nachgewiesen sind.
Regelstudienzeiten bedeuten im übrigen nicht, daß für die Studienreform ein starrer zeitlicher Rahmen vorgegeben wird. Dieses einschließlich der notwendigen unverzüglichen Bildung arbeitsfähiger Studienreformkommissionen — war unumstritten. Die CDU/CSU wollte jedoch mit Hinweis auf die Landeszuständigkeit von der Arbeit der Kommissionen Studiengänge ausnehmen, die mit staatlichen Prüfungen abschließen. SPD und FDP bestanden dagegen mit Nachdruck auf einer Einbeziehung der Studiengänge mit Staatsprüfung, weil man sonst die Studienreform im Ansatz gefährdet sah, da die Mehrzahl der Hochschulabsolventen das Studium mit einer staatlichen Prüfung abschließt.
Mit den Stimmen von SPD und FDP hielt der Ausschuß auch an der Verpflichtung zur Bildung bundesweiter Studienreformkommissionen fest. Ebenso setzte sich die Koalition gegen die Opposition mit einer bundesgesetzlichen Regelung des Stimmrechts und der Sicherung der Parität für die von den Hochschulen benannten Kommissionsmitglieder durch.
Fünfter Schwerpunkt: Forschung aus Mitteln Dritter und Verbesserung der Transparenz. Forschungsprojekte, die nicht aus den der Hochschule zur Verfügung stehenden Mitteln finanziert werden also die sogenannte Drittmittelforschung —, sollen nach dem Beschluß der Koalition einer Anzeigepflicht über den Fachbereich an die Hochschulleitung unterliegen. Der Fachbereich hat danach das Recht, unter bestimmten Voraussetzungen gegen die Inanspruchnahme seines Personals, der Sachmittel und Einrichtungen Widerspruch zu erheben. Die Drittmittel sind von der Hochschule zu verwalten. Hauptberufliche Mitarbeiter, die als Personal der Hochschule einzustellen sind, sind aus diesen Mitteln zu bezahlen. Die Opposition lehnte diese Regelung unter anderem als einem Rahmengesetz nicht angemessen ab und befürchtete im übrigen künftig ein Ausbleiben von Drittmitteln. Die Anzeigepflicht von aus Drittmitteln finanzierten Projekten soll nach Ansicht der Mehrheit zusammen mit den Vorschriften über die grundsätzliche Öffentlichkeit von Kollegialorganen der Hochschule und die Anzeigepflicht der Nebentätigkeit der Hochschullehrer — letzteres gegen die CDU/CSU beschlossen — die Transparenz im Hochschulwesen herstellen bzw. fördern.
Sechstens: Schutz der Hochschulen vor Störungen, Ordnungsrecht. Meine Damen und Herren, alle Fraktionen waren sich bei unterschiedlicher Vorstellung über die konkrete Ausgestaltung darin einig, daß zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Hochschulen und zum Schutz der Rechte ihrer Mitglieder besondere hochschulrechtliche Bestimmungen erforderlich sind.
Der Rechtsausschuß hat sowohl den Vorschlag der Koalition als auch den der Opposition für verfassungskonform angesehen.
Nach der von SPD und FDP beschlossenen Fassung kann die Hochschule — in diesem Fall ist es der Leiter der Hochschule, soweit landesrechtlich keine andere Zuständigkeit begründet ist — den Widerruf der Einschreibung aussprechen. Dies hat zur Folge, daß für eine bestimmte Frist — bis zu zwei Jahren — die Immatrikulation an der gleichen und im Regelfall auch an jeder anderen Hochschule im Bundesgebiet ausgeschlossen ist. Voraussetzung ist, daß ein Student durch die Anwendung körperlicher Gewalt oder durch unmittelbare Bedrohung mit Gewalt den Betrieb einer Hochschuleinrichtung, die Tätigkeit eines Hochschulorgans oder die Durchführung einer Hochschulveranstaltung behindert, ein Hochschulmitglied von der Ausübung seiner Rechte und Pflichten abhält oder dies versucht und nach den Umständen die Gefahr weiterer Beeinträchtigungen zu erwarten ist. Das gleiche gilt für die Teilnahme, d. h. für die Anstiftung und Beihilfe. Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten soll ohne Widerspruchsverfahren gegeben sein, die Klage jedoch keine aufschiebende Wirkung haben.
Ergänzend kommt eine andere, einvernehmlich auf Vorschlag der Koalition beschlossene Vorschrift hinzu, wonach die Leitung der Hochschule deren Ordnung wahrt und das Hausrecht ausübt. Während die Koalition ihre Vorstellungen, die im wesentlichen auf denen der WRK basieren, als angemessen ansah, votierte die Opposition ausdrücklich für ein abgestuftes Ordnungsrecht.
Ein siebenter Schwerpunkt: Die Neuordnung des Hochschulzugangs. Im Gegensatz zur Ausgangslage bei Aufnahme der Ausschußberatungen gehen nunmehr alle Fraktionen einschließlich der Opposition davon aus, daß es notwendig ist, im Hochschulrahmengesetz eine bundeseinheitliche Rahmenregelung vorzusehen, durch die die heute bereits erkennbaren Mängel im Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen beseitigt werden sollten. Koalition und Opposition haben sich übereinstimmend dahin entschieden, bei der Vergabe der Studienplätze zwei Verfahren zu unterscheiden, einmal das Auswahl-
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verfahren für Studiengänge mit geringerem und zum anderen besondere Auswahlverfahren für Studiengänge mit größerem Bewerberüberhang in bestimmten Fällen. Beim allgemeinen Auswahlverfahren sind die Studienplätze nach Vorabberücksichtigung von fünf Sonderquoten bis hin zu einem Drittel überwiegend nach dem Grade der Qualifikation der Bewerber zu vergeben. Im übrigen wird bei der Auswahl auf die Dauer einer Berufstätigkeit oder Berufsausbildung abgestellt. Die Opposition wollte demgegenüber, jedoch ohne Erfolg, die Wartezeit als Kriterium für den Hochschulzugang nicht ganz aufheben und die Möglichkeit eines sogenannten Parkstudiums in einem anderen Fach ebenfalls offenhalten.
Einvernehmlich beschloß der Ausschuß, für Härtefälle insbesondere sozialer Art, Fälle besonderen öffentlichen Bedarfs, für ausländische Studienbewerber, für die Fälle des Übergangs von Fachhochschulen und für das Zweitstudium Sonderquoten vorzusehen. Diese Bewerber nach 4 und 5 werden dann nur über die Sonderquoten zugelassen und konkurrieren bei den Hauptquoten nicht mehr mit den anderen Bewerbern.
In Fällen, in denen das Abitur praktisch keinerlei Aussagekraft für die Qualifikation zum späteren Studium mehr hat wie etwa in der Medizin und wo wegen der großen Zahl der Studienbewerber die Entscheidung über den Studienbeginn für einen unvertretbar großen Teil der Bewerber unangemessen verzögert würde, ist ein besonderes Auswahlverfahren vorgesehen. Die Entwicklung besonderer Auswahlverfahren hat nach dem Willen der Mehrheit im Zusammenwirken von Bund und Ländern zu erfolgen.
Die Konkretisierung der Grundsatznormen des Hochschulrahmengesetzes zum Hochschulzugang muß nach Auffassung von SPD und FDP über eine Verordnungsermächtigung sichergestellt sein. Der Oppositionsantrag, diese Vorschrift zu streichen, fand keine Mehrheit. Die Koalition hielt ergänzende Verordnungen für erforderlich, weil der Unionsantrag letztlich auf den Abschluß eines neuen Staatsvertrages hinauslaufen würde, was aber gerade durch das Hochschulrahmengesetz entbehrlich gemacht werden sollte.
Achter Schwerpunkt war das Thema Mitbestimmung. Einstimmig hielt der Ausschuß am Grundsatz der funktionsgerechten Mitwirkung fest, bei dem nach Aufgaben der Gremien, nach der Funktion, nach der Qualifikation und Betroffenheit der Mitglieder zu differenzieren ist. Das Stimmenverhältnis der Mitgliedergruppen soll für die zentralen Kollegialorgane und den Fachbereichsrat durch den Landesgesetzgeber geregelt werden, soweit es das Hochschulrahmengesetz nicht selbst bestimmt. Nach dem Wegfall des Assistenzprofessors bilden die Professoren, die Studenten, die wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiter mit den Hochschuldozenten und die sonstigen Mitarbeiter je eine Gruppe. Die Vertretung weiterer Hochschulmitglieder wie z. B. der Lehrkräfte für besondere Aufgaben wird durch Landesrecht geregelt.
Übereinstimmend war der Ausschuß der Ansicht, daß in den zentralen Kollegialorganen und im Fachbereichsrat alle Mitgliedergruppen stimmberechtigt vertreten sein müssen. Hierbei traten SPD und FDP zwecks Sicherung des vom Bundesverfassungsgericht geforderten Einflusses der Hochschullehrer für eine Regelung ein, wonach die Professoren in allen Entscheidungsgremien über die Zahlen von Stimmen verfügen, die für die absolute Mehrheit erforderlich, aber auch ausreichend sind. Bei dem Kollegialorgan, das für den Erlaß der Grundordnung der Hochschule zuständig ist, darf die Mitgliederzahl einer Gruppe die Hälfte der gewählten Mitglieder nicht erreichen. Die Opposition lehnte diese rahmengesetzliche Begrenzung der Mehrheit der Professoren ab und trat dafür ein, dem Landesgesetzgeber die Möglichkeit zu größeren Professorenmehrheiten zu geben.
Neunter Schwerpunkt waren die Neuordnung der Personalstruktur, der wissenschaftliche Nachwuchs und die Überleitungsregelungen. Das hauptberuflich tätige wissenschaftliche und künstlerische Personal der Hochschulen besteht künftig aus den Professoren, den Hochschuldozenten, den wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeitern sowie den Lehrkräften für besondere Aufgaben. Hinzu treten können z. B. noch hauptamtliche Lehrbeauftragte. In Würdigung der von fast allen Verbänden und Organisationen in den öffentlichen Anhörungen vorgetragenen kritischen Einwände entschloß sich der Ausschuß einmütig, die Institution der Assistenzprofessur nicht in das Gesetz aufzunehmen. Die von SPD und FDP angenommene Fassung sieht vor, daß dem Hochschuldozenten die Hälfte seiner Arbeitszeit für die Tätigkeit in der Forschung nach eigener Entscheidung zusteht.
Der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ruft das Plenum auf, sich vielleicht auch einmal Gedanken darüber zu machen, ob man nicht noch eine bessere Formulierung oder Etikettierung für den Hochschuldozenten findet. Wir waren uns darüber im klaren, daß das noch nicht das Nonplusultra ist, allerdings auch nicht die anderen im Ausschuß gemachten Vorschläge.
Bei vorliegender Qualifikation des Hochschuldozenten kann er im ersten Jahr auf Antrag bis zu vier Wochenstunden Lehrveranstaltungen selbständig übernehmen. In der Folgezeit, also dem zweiten Jahr, soll dies obligatorisch sein. In der ihm dann noch verbleibenden Zeit obliegen ihm wissenschaftliche Dienstleistungen. Der Hochschuldozent soll Beamter auf Zeit sein, mit der Möglichkeit, nach drei Jahren das Dienstverhältnis um weitere drei Jahre verlängert zu bekommen.
Während die Koalition Hochschullehrernachwuchs und wissenschaftliche Mitarbeiter voneinander abgrenzen will, sprach sich die CDU/CSU gegen den Hochschuldozenten und für seine Zuordnung zum wissenschaftlichen Mitarbeiter als Sonderform und in Gestalt des Beamten auf Widerruf aus. Ein wichtiges Ziel der Personalstrukturreform ist es, den bisher bestehenden personellen Wildwuchs zu beschneiden. Dies soll auch mit Hilfe der Überleitungsvorschriften erreicht werden. Neben pauschaler
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Übernahme als Professor für einzelne Ämter gibt es als Auffangnorm eine Bestimmung, wonach individuell auf Antrag zum Professor übergeleitet werden kann. Nach Auffassung der Koalition fallen unter diese Bestimmung Wissenschaftler mit Professorenqualifikation, die ausschließlich Aufgaben in Forschung oder Lehre tatsächlich wahrnehmen, unabhängig davon, ob diese ausgeübte Funktion ihrem Dienstverhältnis und Status entsprach oder nicht.
Die CDU/CSU suchte vergeblich durchzusetzen, daß die Überleitung an den Lehrbedarf gekoppelt wird, und sie wollte die wissenschaftlichen Assistenten und Lektoren auch in Fällen ausschließlicher Wahrnehmung der Professorenaufgaben von der Einzelüberleitung ausnehmen. Die Koalition lehnte diesen Antrag ab, weil sie eine solche Ausschlußregelung für unvereinbar mit der Zielsetzung einer Flurbereinigung der bisherigen Personalstruktur ansah und überdies nur ein begrenzter Personenkreis für diese Muß-Überleitung in Frage kommt. Einvernehmlich beschlossen wurden dagegen Bestimmungen zur Überleitung nach Maßgabe des Bedarfs und der Länderhaushalte.
Der zehnte Schwerpunkt betraf das Verhältnis zwischen Hochschule und Staat. Einstimmig sprach sich der Ausschuß dafür aus, daß die Hochschulen Körperschaften des öffentlichen Rechts und zugleich Einrichtungen des Staates sind. Die Hochschulen unterliegen grundsätzlich der Rechtsaufsicht des Staates, die vom zuständigen Land ausgeübt wird. SPD und FDP beschlossen in Übereinstimmung mit dem Bundesrat in staatlichen Angelegenheiten eine über die Rechtsaufsicht hinausgehende Aufsicht als Kann-Vorschrift. Demgegenüber votierte die CDU/ CSU für eine obligatorische Vorschrift.
SPD und FDP vertraten die Ansicht, daß die Dienstherreneigenschaft der Hochschule durch die beschlossene Fassung nicht ausgeschlossen ist. Dabei wird davon ausgegangen, daß als oberste Dienstbehörde ein Kuratorium gebildet werden kann. Die Koalitionsfraktionen haben sichergestellt, daß dem Landesrecht die Möglichkeit offenbleibt, einen eigenen Hochschulhaushalt, den sognannten Globalhaushalt, vorzusehen. Die Opposition hat beide Bestimmungen abgelehnt.
Auf zahlreiche andere, ebenfalls wichtige Fragen und Passagen des Hochschulrahmengesetzes bei der Beratung im Ausschuß — wie etwa die Rahmenkompetenzfrage, Aufgaben der Hochschule, Fernstudium, verfaßte Studentenschaft, Studienberatung, Hochschulgrade, Wahlen, Hochschulleitung, Fachbereichsstruktur, wissenschaftliche Einrichtungen und Betriebseinheiten sowie die Hochschulplanung — kann hier nur mehr hingewiesen werden.
Bei der Bewältigung der oft recht diffizilen Einzelprobleme zeigte das Ministerium für Bildung und Wissenschaft einen außerordentlich kooperativen Stil, der übrigens allen drei Fraktionen dieses Hauses und letzten Endes dem Gesetz selbst zugute kam. Insbesondere in der Schlußphase der umfangreichen Arbeiten zur Antrags- und Ausschußberichterstellung kam auf die Mitarbeiter des Ministeriums, aber auch auf zwei Bundesratsvertreter — was hier nicht
unerwähnt sein soll — und auf das Ausschußsekretariat und seine Mitarbeiter einiges zu. Allen Beteiligten sei hier für die Arbeit herzlich gedankt.
Ich komme zu den letzten vier Bemerkungen von meiner Seite.
Erstens. Bundesregierung und Koalition können von der im Ausschuß verabschiedeten Fassung des Hochschulrahmengesetzes insgesamt mit gutem Gewissen sagen, daß hier eine realistische Reformkonzeption mit Perspektiven vorgelegt wird.
Zweitens. Die Opposition kann bei konkretem Bezug auf die vorliegende Fassung des Hochschulrahmengesetzes ihre Ablehnung nur mühsam aufrechterhalten. Sie selbst hat bei der Fassung des Berichts großen Wert darauf gelegt, daß deutlich wird, in welchen Passagen Einvernehmlichkeit hergestellt werden konnte. Die Anlage zum Bericht mit den abgelehnten Oppositionsanträgen weist zwar rund 60 abweichende Einzelvoten aus; in der Substanz schmelzen sie jedoch auf kaum mehr als ein Viertel zusammen.
Drittens. Die Möglichkeiten, zu einvernehmlichen Regelungen zu gelangen, sind in den Ausschußberatungen weitgehend ausgelotet und genutzt worden, und zwar von beiden Seiten. Dies ist in einer parlamentarischen Demokratie eigentlich etwas Selbstverständliches und sollte in der Öffentlichkeit nicht als fauler Kompromiß verteufelt werden. Die jetzt gewonnene Substanz des Hochschulrahmengesetzes darf jedoch nicht herabgemindert werden. Regierung und Koalition müssen auch bei bestehender Gesprächsbereitschaft klarstellen, daß es ein Hochschulrahmengesetz zum Nulltarif nicht geben wird.
Vierte Bemerkung. Das Hochschulrahmengesetz fand auf seinem bisherigen Weg — ob es sich, bildlich gesprochen, um kritische Links- oder Rechtskurven handelte — immer sein Publikum, das engagiert und erwartungsfroh das Scheitern erhoffte. Dies trifft vorzüglich auf zwei Meinungen zu, die mit „Utopie" und „Blockade" stichwortartig markiert sind. Die eine Meinung ist am lupenrein idealtypischen Bild einer Hochschulreformkonzeption orientiert und lehnt alles, was dieser Elle widerspricht, schlicht ab. Für manche aus diesem Lager stellt sich das Hochschulrahmengesetz nach seinem langen Marsch fälschlich so dar wie der zum Skelett reduzierte Fisch am Boot von Hemingways „Der alte Mann und das Meer". Die anderen von rechts tun grundlos so, als ob sie jederzeit irrtumslos stromlinienförmige Hochschulpolitik betrieben hätten, und sie erheben verbal den Anspruch, ex cathedra alles in der Hochschulreformpolitik dieses Landes, dieser Bundesrepublik, über ihren Leisten schlagen zu müssen.
Die praktische Gesetzgebungsarbeit des letzten Jahres mußte sich demgegenüber ihren Weg zwischen beiden Extrempositionen oft recht mühsam, aber doch erfolgreich bahnen. Das Hochschulrahmengesetz, meine Damen und Herren, verdient nach wie vor seine Chance.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort hat nun der Herr Berichterstatter Dr. Gölter.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf mich zunächst dem Dank, den Kollege Dr. Wernitz ausgesprochen hat, recht herzlich anschließen. Sie gestatten mir darüber hinaus, daß ich als einer der beiden Berichterstatter der CDU/CSU in Ergänzung des vorliegenden Schriftlichen Berichts die Aufmerksamkeit des Plenums in Anspruch nehme.
Die CDU/CSU hat bei den ein volles Jahr dauernden Ausschußberatungen und den der Vorbereitung der Ausschußarbeit dienenden zahlreichen Berichterstattersitzungen konsequent die Leitlinien vertreten, die die Sprecher unserer Fraktion bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfes am 13. Dezember 1973 formuliert haben. Ich darf diese Leitlinien wie folgt zusammenfassen:
Erstens. Das Hochschulrahmengesetz muß die Freiheit von Forschung und Lehre sichern bzw. wiederherstellen,
Zweitens. Die Sicherung der Freiheit von Forschung und Lehre ist die Voraussetzung für die Qualität der Arbeit an unseren Hochschulen.
Drittens. Qualität und die ausdrückliche Verankerung des Leistungsprinzips in Forschung und Lehre sind Voraussetzung sachgerechter Bildungs- und Ausbildungschancen unserer Studenten.
Viertens. Das Hochschulrahmengesetz muß die Voraussetzungen für eine wirksame Studienreform, für die Reform der Personalstruktur und für die Sicherung eines qualifizierten Hochschullehrernachwuchses schaffen.
Fünftens. Das Hochschulrahmengesetz darf künftige Hochschulstrukturen keiner einseitigen Festlegung unterwerfen; es muß Raum geben für sachgerechte Entwicklungen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich diese Zielsetzungen der Union, die Linie unseres Verhaltens vor der ersten Lesung bis zur Verabschiedung im Ausschuß, komprimiert auf die Formel bringen: Es geht um eine sachgerechte Verknüpfung von Freiheitssicherung, Gemeinwohlverpflichtung und Mitwirkungsrecht im Hochschulbereich.
Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn zuvor die Voraussetzungen geklärt sind, wenn eine klare Antwort auf die Frage gegeben wird, was unter „Hochschule" zu verstehen und wie ihr Verhältnis zu staatlichen Organen abzugrenzen ist.
Ich habe als Berichterstatter in den Ausschußberatungen mehrfach auf die Definition von „Hochschule" zurückgegriffen, die Professor Richard Löwenthal, Berlin, in der Schrift „Hochschule für die Demokratie, Grundlinien für eine sinnvolle Hochschulreform, Köln 1971" gegeben hat. Da diese Definition die Position der CDU/CSU in den Ausschußberatungen präzise wiedergibt, sei sie der Redlichkeit halber, aber auch wegen ihrer seltenen Prägnanz zitiert. Die Hochschule
ist ein funktionales Organ der Gesamtgesellschaft und des Staates für die von diesen gesetzten Zwecke der wissenschaftlichen Forschung und Lehre, wenngleich sich aus der Eigenart dieser Zwecke die Notwendigkeit eines relativ großen Spielraums innerer Autonomie, verglichen mit anderen funktionalen Institutionen ergibt. Daher können weder die Haushalts- und Planungsentscheidungen über die Mittelverteilung auf verschiedene Fächer, Institute oder Forschungsprojekte noch die inhaltlichen Reformen der Studiengänge und Prüfungsordnungen, weder die Gestaltung der Lehrpläne im einzelnen noch die Erteilung von Promotionen oder Habilitationen, weder die Einstellungen von Tutoren und Assistenten noch die Berufungen ständiger Hochschullehrer sinnvoll als politische Entscheidungen zwischen Interessengruppen innerhalb der Hochschule erfolgen:
Sie sind entweder Sachentscheidungen, die wie in anderen funktionalen Organen auf Grund von Sachkenntnis und unter dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit getroffen werden müssen, oder, soweit sie politischen Charakter tragen, betreffen sie nicht die Gruppen der Hochschulangehörigen allein, sondern die Gesellschaft als ganzes und sind legitim nur in einem von deren demokratischen Organen gesetzten Rahmen möglich.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie: Ich vermag nur sehr schwer zu erkennen, daß das eine Berichterstattung ist und möchte Sie bitten, auf die Gegensätze in den Ausschußberatungen im einzelnen einzugehen.
Frau Präsidentin, ich habe eine Definition vorgetragen, die ich nachweislich des Ausschußprotokolls im Ausschuß mehrfach zitiert habe. Ich werde sofort auf die einzelnen Unterschiede in den Ausschußberatungen eingehen.
Vielen Dank.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nur eine solch klare Präzisierung der Ausgangsposition ermöglicht, kontinuierlich eine Position einzunehmen, die sich — in den Grundsätzen klar, in der Argumentation eindeutig — an den sachlichen Anforderungen und Notwendigkeiten orientiert, denen unsere Hochschulen gegenübergestellt sind.
Die CDU/CSU hat in den Ausschußberatungen ihre Gesprächspartner auf seiten der Koalition zu kei-
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nem Zeitpunkt über ihre Zielsetzungen im unklaren gelassen. Kein Abgeordneter der Koalition, schon gar nicht die Berichterstatter, können widersprechen, wenn ich ausführe, daß sich unsere Position von der ersten Lesung kontinuierlich durch die Ausschußberatungen hindurchgezogen hat. Trotz eindeutiger Verbesserungen gegenüber dem Regierungsentwurf
ich werde darauf im einzelnen zurückkommen — ist daher die Ablehnung dieses Gesetzes durch die CDU/CSU im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft die konsequente Schlußfolgerung unserer Position.
Lassen Sie mich schwerpunktartig begründen, warum die CDU/CSU im Ausschuß zur Ablehnung gekommen ist.
Erstens. Es ist zwar ein Fortschritt, daß Koalition und Opposition in dieser Legislaturperiode von Anfang an der Auffassung waren, die grundgesetzliche Garantie der Freiheit von Kunst und Wissenschaft, von Forschung und Lehre im Hochschulrahmengesetz zu konkretisieren. Die CDU/CSU bedauert jedoch, daß Bundesregierung und Koalitionsfraktionen an der Formulierung festgehalten haben, die die Mitglieder der Hochschule verpflichtet, diese grundgesetzlich garantierten Rechte „im Bewußtsein ihrer Verantwortung vor der Gesellschaft" zu nutzen und zu wahren.
Die CDU/CSU hält die von der SPD und FDP in den Ausschußberatungen gegebene Begründung nicht für stichhaltig. Ich zitiere aus dem Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft vom 7. Juni 1974 den Abgeordneten Dr. Meinecke :
Die Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft sei ein Programmsatz, der aufzeigen solle, daß auch die Hochschulen bzw. ihre Mitglieder in die Verantwortung vor der Gesellschaft eingebunden seien.
Die CDU/CSU hat in den Ausschußberatungen die Verantwortung des Wissenschaftlers eindeutig bejaht. Sie ist der Auffassung, daß jeder Wissenschaftler die Konsequenzen der Ergebnisse seiner Arbeit bedenken und die aus wirtschaftlichen, technischen und sozialen Veränderungen entspringenden Anforderungen einbeziehen müsse. De jure kennt das Grundgesetz allerdings nur die Bindung der Lehrfreiheit an die Treue zur Verfassung. Allenfalls diese Formulierung hätte in den Gesetzestext aufgenommen werden können; notwendig ist sie indessen nicht.
Die CDU/CSU betrachtet die von der Koalition gewählte Formulierung als eine unzulässige Relativierung der grundgesetzlichen Garantie nach Art. 5 Abs. 3.
Die Verankerung der Verantwortung vor einer nicht näher definierten Gesellschaft,
möglicherweise an — um mit Jürgen Habermas zu
sprechen — „gesellschaftlichen Optionen" — somit
vor einer Größe, die beliebigen und willkürlichen
Interpretationsversuchen ausgesetzt ist oder ausgesetzt sein kann —,
beinhaltet daher die Gefahr, daß diese Klausel als Vehikel für Wissenschafts- und Forschungskontrolle oder zur Begründung eines wie auch immer gearteten politischen Primats mißbraucht wird.
Gestatten Sie mir, daß ich das Plenum auf einen bemerkenswerten Vorgang im Rahmen der Ausschußberatungen hinweise. Da die Mitglieder der Koalitionsfraktionen im Ausschuß erklärt hatten, die genannte Formulierung habe nur deklaratorische Bedeutung, sie beinhalte keine rechtliche Bindung für das einzelne Hochschulmitglied, wurde von dem Kollegen Professor Zeitel beantragt, diese Interpretation einvernehmlich im schriftlichen Bericht festzuhalten. Dieser Antrag wurde jedoch von den Koalitionsfraktionen abgelehnt,
ein Beweis dafür, daß die Koalitionsfraktionen mit dieser Formulierung aus der Sicht der CDU/CSU extensivere Vorstellungen verfolgen.
Zweitens. Das Ziel: Sicherung der Freiheit von Forschung und Lehre, die davon abhängige Zielsetzung der Sicherung der Qualität der Arbeit an unseren Hochschulen, dies führt mitten in die Problematik der „Mitbestimmung", der Rechte und Pflichten der einzelnen Mitglieder. Die CDU/CSU begrüßt, daß es im Ausschuß gelungen ist, in dieser in der hochschulpolitischen Diskussion der letzten Jahre besonders umstrittenen Frage im Vergleich zu früheren Auseinandersetzungen ein größeres Maß an Gemeinsamkeit zu finden.
Einvernehmlich ist der Ausschuß der Auffassung, daß der Grundsatz der funktionsgerechten Mitwirkung eine Differenzierung nach Aufgaben der Gremien sowie nach der Funktion, Qualifikation und Betroffenheit der Mitglieder notwendig macht. Die CDU/CSU begrüßt, daß sich die Koalition die von Teilen der Öffentlichkeit erhobene Forderung nach Aufnahme einer „Experimentierklausel" nicht zu eigen gemacht hat. Wie von uns in den Ausschußberatungen ausgeführt, hätte eine solche Experimentierklausel eindeutig der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1973 widersprochen.
Wir begrüßen darüber hinaus, daß die Koalition die noch im Entwurf des Hochschulrahmengesetzes enthaltene Zusammenfassung des wissenschaftlichen Nachwuchses, also der sogenannten Assistenzprofessoren mit den Lebenszeitprofessoren zu einer Gruppe
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Dr. Gölter
in den Kollegialorganen, fallen ließ. Eine solche Zusammenfassung in Funktion und Status weitgehend inhomogener Gruppen hätte dem Leitsatz des Bundesverfassungsgerichts, der notwendigen Homogenität der Zusammensetzung auf Grund der Homogenität der Interessen, frontal widersprochen.
Der von der Koalition im Ausschuß schließlich durchgesetzten Regelung konnte sich die CDU/CSU jedoch nicht anschließen. Nach der Auffassung der Koalition reicht es aus, wenn die Professoren in allen Entscheidungsgremien über die Zahl von Stimmen verfügen, die für die absolute Mehrheit erforderlich und ausreichend ist. Abweichend hiervon darf in dem für den Erlaß der Grundordnung zuständigen Hochschulorgan die Mitgliederzahl einer Gruppe die Hälfte der gewählten Mitglieder nicht erreichen. Dies bedeutet im Klartext, daß in dem Grundordnungsorgan, wenn man will, im „Konzil" oder „Großen Senat", die Professoren nach Auffassung der Koalition in der Minderheit sein müssen.
Eine wie auch immer geartete „Forschungssicherungsklausel" hat die Koalition nicht vorgesehen. Lediglich in Fragen der Berufung sagt der Beschluß der Ausschußmehrheit, daß in den Fällen, in denen die Mehrheit der anwesenden Professoren überstimmt wird, diese berechtigt ist, ihren Vorschlag als Minderheitenvorschlag mit einzureichen.
Die CDU/CSU hat in den Ausschußberatungen ausführlich dargelegt, daß sie diese Position, abgesehen von noch offenen verfassungsrechtlichen Fragen, nicht für sachgerecht hält. „Hochschule" ist nicht der Zusammenschluß ihrer Angehörigen zur Vertretung bestimmter Interessen; es geht in der Hochschule gerade nicht um die Austragung politischer Ziel- und Interessenkonflikte. Die zu treffenden Entscheidungen sind Sachentscheidungen — mit dem Blick auf eine optimale Erfüllung des Gemeinwohls. Der Gesetzgeber hat daher nach Auffassung der CDU/CSU die politische Verpflichtung, gerade in Fragen der Forschung und der Lehre darauf zu achten, daß der ausgewiesene Sachverstand der Professoren zum Tragen kommt.
Die Konsequenz des Beschlusses von SPD und FDP im Ausschuß, daß die Mehrheit der Professoren in Forschungsfragen immer überstimmt, in Berufungsfragen immer in eine Minderheitenposition hineingedrängt werden könnte, ist aus der Sicht der CDU/ CSU mit Blick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1973 zumindest fragwürdig. Die CDU/CSU hat daher in den Ausschußberatungen beantragt, daß Entscheidungen über Fragen der Forschung und Berufung nicht nur von der Mehrheit des Gremiums, sondern auch von der Mehrheit der Professoren getragen werden müssen.
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts unter V 4 b und c, wo den Studenten in Fragen der Forschung lediglich „ein gewisses Mitwirkungsrecht" eingeräumt wird, in Fragen der Berufung lediglich von einem „verfassungsrechtlich vertretbaren Mitentscheidungsrecht" der Studenten gesprochen wird.
Die CDU/CSU hat in den Ausschußberatungen darauf verzichtet, der rechtlichen Problematik wei-
ter nachzugehen, weil wir unabhängig von den rechtlichen Fragen die Position der Koalition in der Sache für falsch halten.
Die Notwendigkeit, den ausgewiesenen Sachverstand insgesamt zum Tragen kommen zu lassen, hat die CDU/CSU darüber hinaus veranlaßt, die von der Koalition als Verpflichtung vorgesehene Begrenzung der Professoren auf 51 °,'o abzulehnen. Nach unserer Auffassung muß dem Landesgesetzgeber die Möglichkeit gegeben sein, darüber hinausgehende Mehrheiten der Professoren in Landeshochschulgesetzen vorzusehen.
3. Die Beratung des Themenkomplexes „Neuordnung des Hochschulwesens" hat teils zu gemeinsam getragenen, teils aber auch zu zwischen Koalition und Opposition erheblich differierenden Positionen geführt.
Die CDU/CSU hat im Ausschuß immer wieder vorgetragen, es könne nicht Aufgabe eines Hochschulgesetzes sein, zukünftige Strukturen unserer Hochschulen einseitigen Festlegungen zu unterwerfen. Kein Hochschulgesetz in der Bundesrepublik Deutschland vergleichbaren Staaten treffe eine solche Vorentscheidung. Offenheit der Strukturen sei, so die CDU/CSU, nicht nur Chance für die Hochschulen, sondern auch Chance für die Hochschulpolitik.
Die CDU/CSU begrüßt, daß sich die Koalition unter dem Eindruck dieser Argumente zu einer Neufassung des § 5 bereit gefunden hat, die vom Regierungsentwurf erheblich abweicht und sowohl die integrierte Gesamthochschule wie die kooperative Gesamthochschule wie das Zusammenwirken nicht miteinander verbundener Hochschulen gleichberechtigt anführt. Diese Neufasssung des § 5 entspricht dem Bildungsgesamtplan.
Um so bedauerlicher ist, daß sich die Koalition in den Ausschußberatungen nicht bereit finden konnte, in dem vorausgehenden, die inhaltlichen Ziele der Neuordnung regelnden § 4 genauso zu verfahren. Die von SPD und FDP vorgenommene ausdrückliche Verankerung integrierter Studiengänge bedeutet aus der Sicht der CDU/CSU — sie findet sich darin durch Ausführungen von Koalitionsabgeordneten im Ausschuß bestätigt nicht nur eine politische, sondern auch eine rechtliche Priorität zugunsten der integrierten Gesamthochschule.
Diese Vorentscheidung, meine Damen und Herren, hält die CDU/CSU nicht für sachgerecht. Das Hochschulrahmengesetz hat nach unserer Auffassung nicht über Wert oder Unwert einzelner umstrittener Gestaltungsformen der Hochschule zu entscheiden.
Die CDU/CSU hat sich im Ausschuß entsprechend der Linie des Bildungsgesamtplans für gleichberechtigte Alternativen ausgesprochen. Sie hätte sich daher im Ausschuß inkonsequent verhalten, hätte sie irgendeine Form von Gesamthochschule oder von Zusammenwirken mit politischer oder rechtlicher Priorität versehen wollen. Wer für eine offene, dynamische Entwicklung eintritt, wie wir
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es in den Ausschußberatungen getan haben, muß daraus auch in den entsprechenden Gesetzesparagraphen die Konsequenzen ziehen.
Die Beratungspunkte „Landeshochschulkonferenz" und „Bundeshochschulkonferenz" seien nur kurz gestreift.
Es ist aus der Sicht der CDU/CSU immer selbstverständlich gewesen, daß die Hochschulen eines Landes sinnvollerweise zusammenwirken. Die Regelung dieses Zusammenwirkens ist jedoch dem Landesgesetzgeber zu überlassen. Die von der Koalition mit Mehrheit beschlossene detaillierte Regelung der Zusammensetzung der Landeshochschulkonferenz mußte auf unseren Streichungsantrag stoßen, nicht nur wegen unserer verfassungsrechtlichen Position, die hier die Länder in besonderer Verantwortung sieht, sondern auch aus sachlichen Gründen. In der Fassung der Koalition werden große Flächenstaaten wie Nordrhein-Westfalen oder Bayern dem gleichen Schema unterworfen wie das Saarland oder die Stadtstaaten, ein Vorgehen, das einsichtig und verständlich zu machen den Abgeordneten der Koalition aus unserer Sicht in den Ausschußberatungen gerade nicht gelungen ist.
Die in dem Beschluß der Ausschußmehrheit als Möglichkeit festgehaltene Bundeshochschulkonferenz ist auf unseren entschiedenen Widerspruch gestoßen. Wir bedauern, daß die Koalition trotz der zum Teil vernichtenden Kritik der Sachverständigen in den öffentlichen Anhörungen an der Konstruktion einer solchen Einrichtung festgehalten hat, die weder mit einem sachlichen Bedürfnis begründbar noch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten unseres Erachtens in einem Hochschulrahmengesetz formulierbar ist.
Die Wahrnehmung bundesweiter Aufgaben auf dem Gebiet des Hochschulwesens sowie der Belange der Hochschule gegenüber dem Bund obliegt ausschließlich den Ländern. Die Hochschulen können nach Auffassung der CDU/CSU als Einrichtungen der Länder nicht über die Länder hinweg in unmittelbare Rechtsbeziehungen zum Bund treten.
4. Der Themenbereich „Studienreform, Studienreformkommissionen und Regelstudienzeit" ist ebenfalls durch ein beträchtliches Maß an Übereinstimmung, aber auch durch noch nicht ausgeräumte Differenzen gekennzeichnet. Unumstritten ist die Notwendigkeit der unverzüglichen Bildung arbeitsfähiger Studienreformkommissionen. Die CDU/CSU hat in den Ausschußberatungen dabei allerdings den Standpunkt vertreten, in der rahmenrechtlichen Regelung der Studienreformkommissionen müßten aus rechtlichen Gründen diejenigen Studiengänge ausgenommen bleiben, die mit staatlichen Prüfungen abgeschlossen werden. Zuständigkeit und Verantwortlichkeit für diese Studiengänge liege eindeutig bei den Ländern.
Wir verkennen nicht — wir haben dies in den Ausschußberatungen auch zum Ausdruck gebracht —, daß Sachargumente für eine Zusammenfassung der Studiengänge mit abschließender Staatsprüfung und der Studiengänge mit abschließender Hochschulprüfung vorgebracht werden können. Die Koalition hätte, wenn sie sich unseren Einwänden schon I nicht anschließen konnte, konsequenterweise jedoch eine andere Zusammensetzung der Studienreformkommision konzipieren, zumindest aber dem Landesgesetzgeber die Möglichkeit einer anderen Zusammensetzung einräumen müssen. Wir haben in den Ausschußberatungen verdeutlicht, daß man nicht Studiengänge mit Hochschulprüfungen und Studiengänge mit Staatsprüfungen in einer Kommission ungeachtet der rechtlichen Fragen zusammenfassen, den Mitgliedern der Hochschulen dann aber bundesweit mindestens 50 "/o der Stimmen einräumen kann, wie es die Koalition mit ihrem Mehrheitsbeschluß tut.
Gerade die auch von der Koalition bejahte Notwendigkeit der unverzüglichen Bildung arbeitsfähiger Studienreformkommissionen macht unseres Erachtens für den Landesgesetzgeber einen größeren Spielraum bei der Zusammensetzung der Kommissionen notwendig.
Die CDU/CSU hat darüber hinaus Bedenken dagegen erhoben, daß die Länder durch das Hochschulrahmengesetz zur Bildung von Studienreformkommissionen „für den Geltungsbereich dieses Gesetzes" verpflichtet werden sollen. Die Rahmenkompetenz des Bundes nach Artikel 75 Nr. 1 a GG reicht hierfür unseres Erachtens nicht aus. Wir betonen allerdings, daß auch nach unserer Auffassung die Bildung bundesweiter bzw. überregionaler Studienreformkommissionen durch Vereinbarungen der Länder ausdrücklich möglich ist.
Die Frage, ob die den reformierten Studienordnungen entspringende Regelstudienzeit mit Sanktionen verbunden sein muß oder nicht, hat den Ausschuß in besonderem Umfang beschäftigt. Die CDU/CSU hat — nach anfänglichem Zögern — in den Ausschußberatungen die Position der Bundesregierung, wie sie im Regierungsentwurf ihren Niederschlag gefunden hatte, übernommen. Die Regelstudienzeiten ohne einen wirksamen Sanktionsmechanismus wären nichts anderes als Richtstudienzeiten und damit kein Beitrag für eine sinnvolle Strukturierung der Studiengänge und eine Linderung des Numerus clausus.
Die Koalitionsfraktionen jedoch sind in den Ausschußberatungen zunächst von der Position der Bundesregierung abgerückt. Es war ein in der Parlamentsarbeit sicher nicht alltäglicher Vorgang, daß Bundesregierung und Oppositionsfraktion die Koalitionsfraktionen in intensiven Beratungen in diesem Punkt von der Sachgerechtigkeit des Regierungsentwurfs zu überzeugen versuchten. Wir begrüßen, daß die Koalitionsfraktionen die Frage nach Abschluß ihrer Beratungen erneut aufgegriffen haben und zu einer einvernehmlichen Regelung mit uns im Ausschuß gekommen sind.
— Lernprozeß, Herr Kollege Meinecke!
Fünftens. Gestatten Sie mir ganz kurze Bemerkungen zum Verhältnis Hochschule/Staat. Auch hier im Plenum sei unterstrichen, daß der Ausschuß
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Hochschulen" sowohl als Körperschaften des Öffentlichen Rechts wie als staatliche Einrichtungen bezeichnet hat. Diese Definition beinhaltet nach Auffassung der CDU/CSU nicht nur, daß die Hochschulen der Rechtsaufsicht des jeweiligen Landes unterliegen, sondern sie beinhaltet auch, daß der Landesgesetzgeber eine weitergehende Aufsicht vorsieht, soweit die Hochschulen staatliche Aufgaben wahrnehmen. Die CDU/CSU hat daher in den Ausschußberatungen beantragt, diese weitergehende Aufsicht im Hochschulrahmengesetz als obligatorische Verpflichtung für den Landesgesetzgeber zu verankern. SPD und FDP wollen es dem Landesgesetzgeber überlassen, eine solche über die Rechtsaufsicht hinausgehende Aufsicht vorzusehen oder nicht.
Ohne diese weitergehende staatliche Aufsicht ist jedoch unseres Erachtens eine parlamentarische Verantwortung der Landesregierung für die von den Hochschulen wahrzunehmenden staatlichen Aufgaben nicht mehr gegeben.
Bei der Regelung des Verhältnisses von Hochschule und Staat ist aus der Sicht der CDU/CSU noch von besonderer Bedeutung, daß die Koalitionsfraktionen in der Ausschußvorlage die Möglichkeit des Globalhaushaltes vorgesehen haben. Die CDU/CSU hat dies abgelehnt, da damit dem Landesparlament und der Landesregierung, insbesondere im Bereich der Erfüllung der staatlichen Aufgaben durch die Hochschulen, nicht das Ausmaß des Einflusses bei der Verteilung und der Verwendung der Mittel verbleibt, das vor allem im Blick auf die Verantwortung gegenüber dem Steuerzahler unabdingbar ist.
Sechstens. Bei den intensiven Ausschußberatungen zur Frage des Hochschulzugangs hat sich aus der Sicht der CDU/CSU ein noch zu Beginn der Sommerpause nicht für möglich gehaltenes Maß an Übereinstimmung herausgeschält. Gerade dieses zweite Kapitel des Gesetzes ist in seiner heute vorliegenden Form ein Beweis dafür, daß die von der CDU/CSU im Sommer im Ausschuß eingenommene Position richtig war, die Beratungen nicht unmittelbar vor der Sommerpause abzubrechen, sondern durch Expertenanhörungen die Ausgangssituation zu präzisieren und die Beratungen im Herbst in aller Ruhe fortzusetzen.
Koalition und Opposition haben übereinstimmend vorgesehen, im Falle von Zulassungsbeschränkungen bei der Vergabe der Studienplätze zwei Verfahren zu unterscheiden: ein „allgemeines Auswahlverfahren" für Studiengänge mit geringerem und ein „besonderes Auswahlverfahren" für Studiengänge mit größerem Bewerberüberhang.
Siebtens. Die CDU/CSU begrüßt, daß die noch im Regierungsentwurf enthaltene Abwertung des Reifezeugnisses als Zugangsvoraussetzung — nur ein Drittel der Studienplätze sollte nach dem Grad der erworbenen Qualifikation vergeben werden — vom Ausschuß einvernehmlich nicht übernommen wurde. Der Ausschußbeschluß sieht vor, daß nach der Vorabberücksichtigung der sogenannten Sonderquoten die Studienplätze überwiegend nach dem Grad der Qualifikation der Bewerber zu vergeben sind.
Der verbleibende Teil der Studienplätze sollte in der von der Ausschußmehrheit leider nicht übernommenen Konzeption der CDU/CSU nach einer Kombination aus Wartezeit und ausgewiesener Qualifikation vergeben werden. Mit diesem Antrag wollte die CDU/CSU insbesondere den Bewerbern, die die Zulassungsschwelle knapp verfehlt haben, in überschaubarer Zeit die Chance des Studienbeginns geben. Diese Kombination aus Wartezeit und Qualifikation sollte unseres Erachtens nach Möglichkeit durch die besondere Berücksichtigung einer Berufstätigkeit oder einer Berufsausbildung ergänzt werden.
Die CDU/CSU hat damit der Position der Koalition, nach der ohne jede Berücksichtigung der mitgebrachten Qualifikation ausschließlich Berufstätigkeit oder Berufsausbildung seit dem Erwerb der Hochschulberechtigten die Zulassungschance erhöhen, widersprochen. Wir hatten im Ausschuß darauf hingewiesen, daß Engpässe auf dem Arbeitsmarkt oder der Berufsausbildung und beides ist ja in der Tat nicht aus der Luft gegriffen — das ausschließlich auf Berufstätigkeit abgestellte Konzept der Koalition unmöglich machen könnten.
Hinzu kommt, daß es aus der Sicht der CDU/CSU sinnvoll sein kann, in bestimmten Studiengängen Studienzeiten in beschränktem Umfang auf die Wartezeit anzurechnen, z. B. wenn ein Studienbewerber, der Medizin studieren will, vorher Chemie oder Biologie studieren kann. Wir sehen in diesem Antrag nicht zuletzt die Chance, gerade in Fächern mit besonders großem Bewerberüberhang die durchschnittliche Studienzeit zu verringern und damit die Chance der noch nicht zugelassenen Bewerber zu verbessern.
Meine Damen und Herren, zu begrüßen ist, daß die von dem Ausschuß vorgeschlagene Formulierung für das besondere Auswahlverfahren in Fällen mit unverhältnismäßig großem Bewerberüberhang im wesentlichen einvernehmlich erarbeitet werden konnte.
Umstritten bleibt, ob die zur Umsetzung des Ausschußbeschlusses notwendigen Rechtsverordnungen vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft mit Zustimmung des Bundesrats erlassen werden sollen so die Koalition — oder ob die Umsetzung in die Verantwortung der Länder gelegt werden muß — so die CDU/CSU —.
Neben den von uns vorgetragenen verfassungsrechtlichen Überlegungen — ich verweise auf den Schriftlichen Bericht, allgemeiner Teil Punkt 7 -war für den Vorschlag der CDU, CSU auch die in diesem Bereich unseres Erachtens unbezweifelbare größere Erfahrung und Ortsnähe der Länder maßgebend.
Gestatten Sie mir, außerhalb der zwangsläufig trockenen Diktion des Berichterstatters darauf hinzuweisen, daß unser Vorschlag, die Bundesregie-
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rung von der Last der Rechtsverordnungen zugunsten der Länder zu befreien, ein sprichwörtlicher Akt christlicher Nächstenliebe ist. Leider scheint uns die Bundesregierung bereits in den Ausschußberatungen nicht abgenommen zu haben, daß es die Opposition in diesen Punkten mit der Regierung in der Tat nur gut gemeint hat.
Achtens. Die CDU/CSU hat in den Ausschußberatungen begrüßt, daß die Koalitionsfraktionen nach langem Zögern bereit waren, zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Hochschule und zum Schutz der Rechte ihrer Mitglieder besondere hochschulrechtliche Bestimmungen in den Ausschußbeschluß aufzunehmen.
Die CDU/CSU hat es bedauert, daß die Ausschußmehrheit ihren Vorschlag ausschließlich auf die Anwendung körperlicher Gewalt oder unmittelbarer Bedrohung mit Gewalt beschränkt und zudem das Vorhandensein der Gefahr weiterer gewaltsamer Beeinträchtigung zur Voraussetzung des Handelns der Hochschule gemacht hat.
Die CDU/CSU ist der Auffassung, daß diese Regelung all jene Störungen und Beeinträchtigungen nicht erfaßt, die auch ohne Anwendung von körperlicher Gewalt oder Drohung mit Gewalt verursacht werden können. Wir hatten daher im Ausschuß für die Aufnahme einer Vorschrift votiert, die ein abgestuftes Ordnungsrecht zum Inhalt hat; das zuständige Staatsorgan kann demnach die der Schwere der Pflichtverletzung entsprechenden Maßnahmen ergreifen wie z. B. Verwarnung, befristete Versagung der Teilnahme an einzelnen Lehrveranstaltungen, befristeter Ausschluß von der Benutzung von Einrichtungen der Hochschule, befristeter Entzug des Wahlrechts, für Fälle besonders schwerer oder wiederholter Pflichtverletzung Ausschluß als Mitglied der Hochschule bis zu zwei Jahren.
Neuntens. Die CDU/CSU hat in den Ausschußberatungen ausgeführt, daß die Hochschulpolitik über den dringenden Fragen der Lehre die Belange der Forschung insgesamt zuwenig im Auge behalten hat. Die Qualität der Lehre wird durch die Qualität der Forschung bestimmt und nicht umgekehrt; die Qualität der Forschung setzt die Bejahung von Leistung, Wettbewerb und Konkurrenz in unseren Hochschulen voraus.
Daß es in der Ausschußvorlage gelungen ist, dem Leistungsgedanken insgesamt stärker zum Durchbruch zu verhelfen als im Regierungsentwurf, ist aus der Sicht der CDU/CSU ein Fortschritt.
Als Berichterstatter unterstreiche ich daher ausdrücklich die vom Ausschuß vorgenommene einvernehmliche Verankerung der Habilitation oder gleichwertiger wissenschaftlicher Leistungen als Einstellungsvoraussetzung insbesondere in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen. Der die Einstellungsvoraussetzungen der Hochschullehrer regelnde § 48 ist gegenüber der Regierungsvorlage eine unbezweifelbare Verbesserung im Sinne eines Bekenntnisses zum Leistungsgedanken in unseren Hochschulen.
Ich verweise darüber hinaus auf die im Ansatz einvernehmlich gefundene Regelung zur Sicherung qualifizierten Hochschullehrernachwuchses. Auch wenn es dem Ausschuß nicht gelungen ist, die in der beamtenrechtlichen Form und dienstrechtlichen Ausprägung unterschiedlichen Vorstellungen völlig auf einen Nenner zu bringen, so ist doch in dem gemeinsamen Versuch, eine Reform der Personalstruktur gerade unter dem Gesichtspunkt der Gewinnung qualifizierten Hochschullehrernachwuchses vorzusehen, eine der großen Vorzüge der Ausschußvorlage zu sehen.
Meine Damen und Herren, unter dem Gesichtspunkt der Sicherung der Qualität der Arbeit an unseren Hochschulen begrüßen wir darüber hinaus ausdrücklich, daß die Koalition ihre Anträge bezüglich der Einführung der integrierten Wahl und einer sehr extensiven Regelung der Öffentlichkeit der Hochschulgremien fallengelassen hat.
Im Interesse der zukünftigen Forschung an unseren Hochschulen hätten wir es jedoch begrüßt, wenn die Koalition auf die detaillierten Regelungen betreffend die Drittmittelforschung verzichtet hätte. Wir haben im Ausschuß insbesondere die Verpflichtung zur Kontrolle der Drittmittelforschung durch den Fachbereich als nicht gerechtfertigt bezeichnet. Wir befürchten auf Grund der detaillierten Vorschriften des Gesetzes eine Einengung der Initiative des Forschers, eine Behinderung seiner Arbeit und — dies ist im Blick auf die zukünftige Haushaltssituation aller Bundesländer ja nicht ohne Bedeutung — ein Ausbleiben von Drittmitteln.
Zehntens. Auf Grund des besonderen Interesses, das weite Teile der Hochschulen, aber auch der Öffentlichkeit der Frage der Studentenschaft entgegenbringen, gestatten Sie mir dazu noch eine ganz kurze Bemerkung. Die Entscheidung, ob der Bundesgesetzgeber den Landesgesetzgeber verpflichten sollte, eine verfaßte Studentenschaft einzuführen, hat den Ausschuß ausführlich beschäftigt. Im Gegensatz zur Koalition war die CDU/CSU der Auffassung, daß in jedem Falle eine Studentenvertretung zu bilden sei, deren Stellung und Finanzierung durch Landesrecht geregelt werden sollte. Die CDU/CSU wollte es jedoch der Regelung durch Landesrecht überlassen, ob verfaßte Studentenschaften gebildet werden sollen oder nicht. Sie hat im Ausschuß die Meinung vertreten, daß neben der verfaßten Studentenschaft auch andere Formen der Studentenvertretung geeignet sein können, die Wahrnehmung hochschulpolitischer, sozialer und kultureller Belange der Studenten zu sichern.
Der Ausschuß war einvernehmlich der Meinung, daß auch der verfaßten Studentenschaft kein politisches Mandat zukomme; einvernehmlich wurde die Regelung verabschiedet, die Studentenschaft der Rechtsaufsicht der Leitung der Hochschule und der zuständigen Landesbehörde zu unterstellen sowie die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Überprüfung durch den Landesrechnungshof zu unterwerfen.
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Dr. Gölter
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich hatte eingangs die Leitlinien vorgetragen, an denen sich die CDU/CSU in den Ausschußberatungen orientiert hat. Die Würdigung der in den einzelnen Paragraphen von der Mehrheit im Ausschuß durchgesetzten Vorlage hat uns zu der Wertung veranlaßt, daß zwar gegenüber dem Regierungsentwurf erhebliche Verbesserungen erreicht werden konnten, daß diese Verbesserungen aber den Anforderungen nicht gerecht werden, die die CDU/CSU an ein von ihr zu vertretendes Hochschulrahmengesetz stellt. Diese Anforderungen sind:
1. eine unbezweifelbare Sicherung der Freiheit und der Qualität von Forschung, Lehre und Studium,
2. eine Zusammensetzung der Organe der Hochschule, die dem ausgewiesenen Sachverstand die Entscheidung zubilligt,
3. eine klare Verankerung der staatlichen, parlamentarisch kontrollierten Verantwortung,
4. die Voraussetzungen für eine unverzügliche Studienreform,
5. die Offenheit für zukünftige sachgerechte und nicht ideologisch vorgeprägte Entwicklungen und
6. eine effiziente Verwendung der für die Hochschule aufgebrachten Steuergelder.
Angesichts dieser Position hat die CDU/CSU das Gesetz in der Schlußabstimmung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft einhellig abgelehnt.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Möllemann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach einjähriger Beratung über den Entwurf eines Hochschulrahmengesetzes legt der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft heute seinen Bericht sowie den Antrag vor, die von der sozialliberalen Mehrheit im Ausschuß gebilligte Fassung dieses Gesetzes zu verabschieden. Gestatten Sie mir, mich zunächst für die FDP-Fraktion bei den Mitarbeitern des zuständigen Ressorts, Herrn Dr. Böning, Herrn Dr. Dallinger und Herrn Tschöpe für die außerordentlich wirksame Unterstützung unserer Arbeit zu bedanken.
Dieser Dank gilt auch den phasenweise besonders stark beanspruchten Mitarbeitern des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft, und er gilt — das möchte ich der sachlichen Auseinandersetzung mit der Opposition vorausschicken — auch den Kollegen, mit denen ich als Berichterstatter zusammengearbeitet habe. Glücklicherweise ist es uns bei unserer Arbeit gelungen, nach gewissen Anfangsturbulenzen die klaren sachlichen Dissense nicht zum bestimmenden Element unseres Verhandlungsklimas werden zu lassen. Dies gilt auch dann, wenn diese Debatte einen anderen Eindruck entstehen lassen sollte.
Meine Damen und Herren, wir legen Ihnen heute einen Gesetzentwurf vor, der sich von der ursprünglichen Regierungsvorlage nicht unerheblich unterscheidet. Die Veränderungen basieren sowohl auf Anregungen aus den Koalitionsfraktionen als auch auf Informationen, die wir in den verschiedenen Anhörverfahren erhielten. Sie beruhen aber auch zum Teil darauf, daß wir manche Vorschläge der Opposition eingearbeitet haben. Die Berücksichtigung von sachlich überzeugenden Argumenten von Ihrer Seite muß ich hier nicht begründen. Wir haben aber auch Unionsvorstellungen in einigen Bereichen akzeptiert, in denen uns unsere eigene Konzeption lieber gewesen wäre, in denen uns unsere Auffassung besser erschien. Zu Beginn der Gesetzesberatung standen wir nämlich vor der Alternative, entweder ein sozusagen lupenrein sozialliberales Gesetz zu erarbeiten, wohl wissend, daß ein solches nicht die Zustimmung des CDU-beherrschten Bundesrats erhalten hätte, die es nach der Verfassungslage nun einmal braucht, oder aber auf dem Wege des Kompromisses zu einer Gesetzesfassung zu gelangen, die sowohl der sozialliberalen Mehrheit im Bundestag als auch der konservativen im Bundesrat in wichtigen Positionen Rechnung trägt bzw. beiden einiges zumutet und die dennoch den Anspruch erheben kann, ein Gesetz darzustellen, welches unsere Hochschulen in wichtigen Bereichen weiterentwickelt.
In diesem Bestreben sind wir der mit den CDU-Ländern inhaltlich stets abgestimmten Opposition dieses Hauses weit entgegengekommen, weit genug, wie wir glauben, um den nötigen Konsens möglich zu machen. Wer unsere in der ersten Lesung dargelegte liberale Position kennt, weiß, wie stark wir Ihnen des Kompromisses wegen entgegengekommen sind,
nach Meinung vieler unserer Freunde draußen im Land, die ich in vielen Punkten verstehen kann, sogar zu weit, Herr Kollege Probst, jedenfalls so weit, daß ich Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, bitten muß, Ihre noch weitergehenden Forderungen für den folgenden Verfahrensgang zu überprüfen. Wenn die vom Kollegen Pfeifer öffentlich artikulierte Auffassung, nur beim Einschwenken der Koalition auf die Meinung der Opposition in den zentralen Fragen dieses Gesetzes werde das Hochschulrahmengesetz den Bundesrat passieren können, tatsächlich zur Maxime der Beratungen dort und im Vermittlungsausschuß werden sollte,
werden wir deutlich machen müssen, daß Sie es sind, die dieses Gesetz scheitern lassen wollen.
Wir wollen dieses Gesetz so, wie es jetzt vorliegt, verabschieden, weil es eben die Hochschulen weiterbringen kann. Ein Hochschulrahmengesetz aber, welches die teilweise rückschrittlichen Landeshochschul-
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gesetze der CDU/CSU-regierten Länder unberührt und weiterbestehen läßt,
während die von SPD und FDP regierten Länder zur Novellierung ihrer Gesetze gezwungen werden, werden wir nicht mit tragen.
— Herr Kollege Probst, wenn Sie außer Ihrem Lachen einmal ein inhaltliches Argument bringen könnten, bin ich gern bereit, darauf einzugehen. Ich fürchte nur, ein solches Argument wird von Ihnen nicht kommen.
Wir gehen davon aus, daß in einem solchen Fall ein nicht zustimmungspflichtiges Rahmengesetz oder ebenso nicht zustimmungspflichtige Einzelgesetze zu wesentlichen Schwerpunkten der Hochschulreform vorgelegt und verabschiedet werden. Diese würden dann natürlich wieder und ausschließlich von den sozialliberalen Vorstellungen zur Hochschulreform geprägt sein. Diesen Hinweis empfinde ich im übrigen nicht als eine — ich zitiere — unverantwortliche Störaktion, wie es ein Kollege im Deutschen Depeschen-Dienst genannt hat, sondern als die notwendige Präzisierung unserer Haltung zum weiteren Verfahrensgang, auf die die Kollegen von der Opposition ebenso Anspruch haben wie die hochverehrlichen Mitglieder des Bundesrates.
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf in der von der Koalition verabschiedeten Fassung soll den Rahmen für eine bundesweite leistungsfähige Organisation des Hochschulbereichs schaffen, die von der Mitwirkung aller Hochschulmitglieder geprägt und in der Lage ist, die anstehenden Probleme der Hochschulen in Forschung, Lehre und Studium zu lösen. Wie schon in der ersten Lesung, so kristallisierten sich in den Berichterstattergesprächen und in den Ausschußsitzungen sehr bald zehn Schwerpunkte heraus, die ich hier darlegen möchte: 1) die Sicherung der Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung, Lehre und Studium, 2) die Neuordnung des Hochschulwesens in Gesamthochschulen, 3) das Zusammenwirken von Hochschulen in Landes- und Bundeshochschulkonferenzen, 4) die Schaffung eines geeigneten Instrumentariums zur besseren Bewältigung der Studienreform, 5) die Lösung der Probleme der Drittmittelforschung, 6) die Diskussion um ein Ordnungsrecht, 7) die Neugestaltung des Hochschulzugangs angesichts des sich ausweitenden Numerus clausus, 8) die Mitwirkung und Mitbestimmung aller Hochschulmitglieder in allen Fragen der Hochschulselbstverwaltung, 9) die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie 10) und letztens die Ausgestaltung des Verhältnisses von Hochschule und Staat.
Gestatten Sie mir, daß ich die im Gesetz skizzierten Lösungen einiger der genannten Probleme aus der Sicht der FDP erörtere. Zu den Aussagen im Gesetz über die Sicherung der Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung, Lehre und Studium liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Koalition vor,
der das eigentliche Anliegen präzisiert und Mißbräuche, insbesondere eine unzulässige Einschränkung des genannten Grundrechts, ausschließen soll. Dieser Antrag wird noch begründet.
Meine Damen und Herren, die Neuordnung des Hochschulwesens soll nicht nur die bestmögliche Nutzung aller Hochschuleinrichtungen bewirken; sie soll darüber hinaus einen Aufbau der Studiengänge nach sich ziehen, der beim Übergang in Studiengänge gleicher oder verwandter Fachrichtungen eine weitgehende Anrechnung erbrachter vergleichbarer Studien- und Prüfungsleistungen ermöglicht. Dies setzt unseres Erachtens ein Angebot von inhaltlich und zeitlich gestuften integrierten und aufeinander bezogenen Studiengängen mit entsprechenden Abschlüssen in allen dafür geeigneten Bereichen voraus.
Wir haben allerdings, Herr Kollege Gölter, mehrfach deutlich gemacht, daß letztlich nur integrierte Gesamthochschulen dieser Anforderung gerecht werden dürften. Wenn wir dennoch einer Formulierung zugestimmt haben, die sowohl die integrierte als auch die kooperative Gesamthochschule zuläßt, dann geschah dies einmal aus der erwähnten Kompromißbereitschaft heraus, zum anderen aber auch deshalb, weil uns die inhaltlichen Zielbestimmungen wichtiger sind als das Etikett. Schließlich ist auf diese Weise auch der im Bildungsgesamtplan gefundene Konsens berücksichtigt worden. Wir werden allerdings in den Ländern darauf hinarbeiten, daß die Zielvorstellungen der integrierten Gesamthochschule verwirklicht werden.
Eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste Aufgabe, die sich den Hochschulen seit geraumer Zeit stellt und die bislang nur in Ansätzen verwirklicht worden ist, ist die Studienreform. Im Gesetzentwurf heißt es hierzu:
Die Hochschulen haben die ständige Aufgabe, im Zusammenwirken mit den zuständigen staatlichen Stellen Inhalte und Formen des Studiums im Hinblick auf die Entwicklungen in Wissenschaft und Kunst, die Bedürfnisse der beruflichen Praxis und die notwendigen Veränderungen in der Berufswelt zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Die Studienreform soll gewährleisten, daß
1. die Studieninhalte im Hinblick auf Veränderungen in der Berufswelt den Studenten breite berufliche Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen;
2. die Formen der Lehre und des Studiums den methodischen und didaktischen Erkenntnissen entsprechen;
3. die Studenten befähigt werden, Studieninhalte wissenschaftlich selbständig zu erarbeiten und deren Bezug zur Praxis zu erkennen;
4. die Gleichwertigkeit einander entsprechender Hochschulabschlüsse gewährleistet und die Möglichkeit des Hochschulwechsels erhalten bleiben.
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Daß diese Aufgabe bisher praktisch nicht gelöst wurde, liegt sicherlich nicht nur an der Unfähigkeit der Hochschulen, sondern auch und wahrscheinlich noch mehr am fehlenden Instrumentarium. Dem hilft dieses Gesetz sowohl durch die Einrichtung von Studienreformkommissionen auf Bundes- und Landesebene als auch durch die notwendige Freistellung von Hochschulmitgliedern für diese Aufgabe ab. Da sich unseres Erachtens der entscheidende Sachverstand für die Aufgaben der Studienreform in den Hochschulen befindet, haben wir festgelegt, daß in all diesen Kommissionen die Vertreter der Hochschulen mindestens die Hälfte der Mitglieder stellen müssen. Dies gilt für Studiengänge mit akademischen Abschlüssen ebenso wie für die mit staatlichen Prüfungen. Eine Aufteilung wäre hier sachlich nicht vertretbar. Die Reform der Studiengänge und Studienordnungen betrifft die Interessen der Lehrenden ebenso wie die der Studierenden. Folgerichtig müssen beide an dieser Aufgabe beteiligt werden. Mir persönlich wäre es allerdings lieber gewesen, wenn wir auch hier eine Mindestbeteiligung der einzelnen Gruppen fixiert hätten. Die Wahrnehmung gesellschaftlicher Belange und die notwendige Bezugnahme auf die Berufspraxis sollen durch die Beteiligung staatlicher Vertreter ebenso gewährleistet werden wie durch die beratende und sicherlich sehr hilfreiche Mitarbeit von Sachverständigen aus Gewerkschaften, Fachverbänden, Berufsorganisationen und aus der Berufsberatung. Wir haben die Hoffnung, daß es den Studienreformkomrnissionen im Zusammenwirken mit den Hochschulen gelingen
wird, in der geplanten Frist ihre Aufgabe zu bewältigen. Dabei kann es sich allerdings nur um einen ersten Abschnitt handeln, denn im übrigen gehen wir davon aus, daß die Studienreform eine permanente Aufgabe der Hochschulen sein muß. Neben der inhaltlichen Reform hoffen wir besonders darauf, daß es diese Maßnahme den Studierenden ermöglichen wird, ihr Studium in der jeweils vorgesehenen Regelstudienzeit zum Abschluß zu bringen.
An dieser Stelle möchte ich eine kritische Bemerkung zu einer Regelung anfügen, die nicht auf unser Drängen in das Gesetz aufgenommen worden ist, zu der wir sozusagen hingeleitet worden sind.
Ich meine den in § 18 angelegten Sanktionsmechanismus, also die Drohung mit dem Ausschluß vorn Studium bzw. den Ausschluß selbst. Dieser Mechanismus soll die Einhaltung der Regelstudienzeiten gewährleisten. Zweifellos ist es in der jetzigen Zeit gerade recht populär, gegenüber den Hochschulen im allgemeinen und gegenüber den Studenten im besonderen harte Töne anzuschlagen.
— Natürlich, Herr Kollege. Ich sage ja, wir stimmen diesem Gesetz zu. Dennoch kann es sinnvoll sein, differenziert darzulegen, wie wir zu bestimmten Punkten stehen, wie wir zu bestimmten Entscheidungen gekommen sind.
— Natürlich! — Es ist im Moment recht populär, harte Töne gegenüber den Hochschulen und den Studenten anzuschlagen. Ob es allerdings Ausdruck besonderer sachlicher Kompetenz ist, die Lösung des Problems der gestiegenen durchschnittlichen Verweildauer an den Hochschulen argumentativ auf wenige Dauerstudenten, möglicherweise gar im eigenen Bekannten- oder Familienkreis, zu verengen und für die bislang nicht erfolgte Studienreform, für die unzureichende Personal- und Raumausstattung und deren das Studium verlängernde Wirkung ausgerechnet jene Gruppe zu bestrafen, die darauf bislang und auch weiterhin am wenigsten Einfluß hat, das möchte ich ernsthaft bezweifeln. Dies um so mehr, als gerade jetzt eine Studie der Universität Heidelberg ausweist, daß das Bummelantentum von Studierenden der unwesentlichste Faktor für das Ansteigen der durchschnittlichen Verweildauer ist. Viel wichtiger ist neben den vorher schon genannten Gründen z. B. das sogenannte Parkstudium — also das Warten in einem Studiengang, den man eigentlich gar nicht will, auf die Zulassung in einen anderen —, das wir folgerichtig auch im Kapital „Zulassung" entsprechend angehen wollen.
Wenn man die Aussagen des Gesetzes zum Thema Studienreform insgesamt betrachtet, überwiegt allerdings das Positive. Wir freuen uns, daß selbst der CDU-Kultusminister Vogel anerkannt hat, daß es das Verdienst der FDP sei, die Aussagen zu diesem Komplex in eine zweckmäßige Reihenfolge gebracht zu haben: also erst Studienreform, dann differenzierte Regelstudienzeiten und dann — da es gar nicht anders ging — liberalisierte Sanktionsmechanismen.
Bei der Studienreform, aber auch im Selbstverwaltungsbereich der Hochschulen, entstehen mehr und mehr Aufgaben, die sinnvoll nur landes- oder bundesweit wahrgenommen werden können. Diese Aufgaben sollen nach unserer Auffassung nicht in unmittelbar staatliche Verwaltung genommen werden, sondern Arbeitsgegenstände für eine Bundesbzw. für Landeshochschulkonferenzen sein. Wir möchten die Einrichtung dieser Konferenz, auch der Bundeshochschulkonferenz dringend befürworten. Wir halten es auch für wichtig und notwendig, daß in diesem zentralen und repräsentativen Organ der deutschen Hochschulen Mitglieder sowohl der Lehrenden als auch der Studierenden sowie des nichtlehrenden Personals vertreten sind. Sie bilden nun einmal gemeinsam die Hochschulen, und es geht darum, dort die Probleme aller Gruppen zu behandeln. Wir anerkennen die bisherige Arbeit der Westdeutschen Rektorenkonferenz und verstehen aus deren Tätigkeit heraus auch deren Argumentation zu dieser Frage. Wir glauben aus den genannten Gründen aber auch an die Notwendigkeit der Hochschulkonferenzen und möchten sie deshalb eingeführt sehen.
Ein Thema, das man schon vergessen glauben durfte, hat dann doch sehr plötzlich Eingang in unsere Beratungen gefunden; ich meine das Ordnungsrecht. In der öffentlichen hochschulpolitischen Diskussion, aber z. B. auch in der letzten
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Möllemann
Legislaturperiode hier im Deutschen Bundestag, ist immer wieder die Frage erörtert worden, ob zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der deutschen Hochschulen eine bundesgesetzliche Ordnungsrechtsregelung notwendig sei. Wir, die FDP, waren immer der Meinung, daß wir einem solchen Sonderrecht außerordentlich mißtrauisch gegenüberstehen sollten. Wir waren der Meinung, daß eigentlich auch die einschlägigen Bestimmungen des Straf- und Verwaltungsrechts ausreichen, um gegen nachhaltige Störer und Angehörige krimineller Gruppen vorgehen zu können. Wir hätten meines Erachtens auch dabei bleiben können. Die CDU hatte von vornherein für ein abgestuftes Ordnungsrecht votiert, so wie es in einigen Ihrer Länder besteht und das Strafmaßnahmen unterschiedlichster Art schon für leichteste Störungen ermöglicht. Wenn ich den Zwischenruf des Kollegen Carstens, der im Moment leider nicht mehr da ist, richtig verstanden habe, dann habe ich den Eindruck gehabt, als könnte man als letzten Punkt Ihrer Sanktionsliste das Verhungern einführen, wie bewährt.
bitte mich in Schutz zu nehmen! Ich bin
kein Unmensch!)
— Herr Gölter, ich habe nicht gesagt, daß Sie ein Unmensch sind, sondern ich habe den Kollegen Carstens zitiert, der bei anderer Gelegenheit diese Maßnahme als angemessen bezeichnet hat.
In der Koalition wurde die anfänglich völlig ablehnende Haltung modifiziert. Man hat eine Regelung gefunden, die die Tatbestandsvoraussetzungen für eine befristete Exmatrikulation, für einen empfindlichen Eingriff in ein Grundrecht also, relativ eng umgrenzt. Nach dem vorliegenden § 31 ist im einzelnen Voraussetzung, daß ein Student durch Anwendung körperlicher Gewalt oder durch unmittelbare Drohung mit Gewalt den Betrieb einer Hochschuleinrichtung, die Tätigkeit eines Hochschulorgans oder die Durchführung einer Hochschulveranstaltung behindert, ein Hochschulmitglied von der Ausübung seiner Rechte und Pflichten abhält oder abzuhalten versucht und nach den Umständen die Gefahr weiterer entsprechender Beeinträchtigungen zu erwarten ist, wobei gleiches für die Teilnahme, also Anstiftung oder Beihilfe zu solchen Handlungen, gilt.
Mit dieser eng umgrenzten Regelung soll jeder Mißbrauch in Richtung auf willkürliche Handhabung und der mögliche Versuch, politische Disziplinierung vorzunehmen, ausgeschlossen werden. Ich habe mein Unbehagen gegenüber dieser Regelung bereits verdeutlicht. Die Befürworter der vorliegenden Regelung müssen befürchten, daß sie immer noch nicht klar genug sein könnte, daß diese Regelung auch Anlaß zum Mißbrauch sein kann. Ich kenne die Kritik an dieser Regelung im Bereich der Hochschulen und auch im Bereich der Öffentlichkeit ganz allgemein und nehme diese Kritik sehr ernst.
Manche Hochschulmitglieder, manche Hochschulgruppen müssen sich aber auch sagen lassen, daß sie durch ihr eigenes Verhalten oder aber auch dadurch, daß sie in akademischen Diskussionen angefangen haben, Gewalt für bedingt zulässig zu erklären, dazu beigetragen haben, daß dieses Thema wieder auf der Tagesordnung steht.
Die Diskussion um Hochschulreformen war lange Zeit fast ausschließlich von der Forderung des Mittelbaus und der Studierenden nach Mitbestimmung geprägt. Die alte Ordinarienuniversität wurde als unzeitgemäß und undemokratisch abgelehnt, da die Entscheidung in allen die Gesamtheit der Hochschulmitglieder betreffenden Fragen den Professoren vorbehalten blieb und darüber hinaus die Entscheidungsprozesse überhaupt nicht durchschaubar, weil der Hochschulöffentlichkeit nicht zugänglich, waren.
Wir alle erinnern uns der heftigen Diskussionen und Demonstrationen Ende der 60er Jahre, an denen manche von uns als Studentenvertreter, Hochschullehrer oder Parteienvertreter teilgenommen haben. Am Ende war die Notwendigkeit der Reform allseits unumstritten. Nicht mehr das Ob, sondern das Wie und das Wieviel der Mitbestimmung bestimmten die Diskussion.
In der Reformbewegung an den Hochschulen wie auch in den sozialliberalen Parteien fand das Modell der sogenannten Drittelparität zunächst die größte Unterstützung. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum niedersächsischen Vorschaltgesetz wurde dieses Modell rechtlich und damit auch politisch unhaltbar.
Wir haben uns dementsprechend bemüht, den gesetzten Spielraum des Urteils voll auszunützen und eine Regelung zu finden,
die die Mitwirkung der verschiedenen Gruppen nicht zur Farce werden läßt. Als Farce aber müssen von allen Mitgliedergruppen im Modell der Gruppenuniversität, das nun einmal auf der Annahme von Gruppeninteressen beruht, Mitbestimmungsregelungen empfunden werden, die etwa im Verhältnis von 9 oder 10 : 2 : 1 :1 den Professoren eine solche übergroße Mehrheit zusichern, daß die anwesenden Vertreter der anderen Gruppen auch bei Koalitionen quer durch die Gruppen praktisch nichts entscheiden können, daß sie also nur Alibifunktion haben.
Unsere Regelung, die wir im Gesetz gefunden haben, ist demokratischer. Wir treten für eine Regelung ein, nach der die Professoren in allen Entscheidungsgremien über die Zahlen von Stimmen verfügen, die für die absolute Mehrheit erforderlich und ausreichend sind, also für eine Ober- und eine Untergrenze. Abweichend hiervon darf in dem für den Erlaß der Grundordnung zuständigen Kollegialorgan die Mitgliederzahl einer Gruppe die Hälfte der gewählten Mitglieder nicht erreichen.
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Möllemann
Wir glauben, daß diese Regelung geeignet ist, eine echte Kooperation der Gruppen möglich und sinnvoll erscheinen zu lassen, und hoffen, daß alle Gruppen in verantwortlicher Weise hiervon Gebrauch machen.
Herr Kollege Gölter, Sie haben vorhin gesagt, Sie seien froh, daß wir dem Petitum nach Einräumung einer Experimentierklausel nicht entsprochen hätten, da dies ja wohl verfassungswidrig sei. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß Ihre CDU-Kollegin Frau Weber, die im DGB tätig ist, dann offenkundig verfassungsfeindliche Äußerungen gemacht hat;
sie hat noch vor zwei Wochen gefordert, es solle eine Experimentierklausel eingerichtet werden. Ich nehme an, Sie haben Frau Weber nicht deswegen im DGB an führender Stelle, weil Sie ihr sachlich keine Kompetenz zutrauen.
Eine Einbeziehung möglichst vieler Hochschulmitglieder in die Entscheidungsabläufe soll die von uns gewollte Öffentlichkeit der Tagungen der Hochschulorgane ermöglichen. Meine Partei tritt für Transparenz und Öffentlichkeit im gesamten politischen Bereich ein, seien es nun Gemeindeausschüsse oder seien es die Hochschulen. Unser Appell geht an die Länder, diese Offenheit zu übernehmen; das Gesetz räumt diese Möglichkeit ausdrücklich ein.
Meine Damen und Herren, ich habe die Hoffnung ausgedrückt, daß sich alle Gruppen in den Hochschulen verantwortlich an deren Selbstverwaltung beteiligen mögen. Der Gruppe der Studierenden gilt dieser Appell in besonderem Maße. Wir, d. h. die Koalition, wollen deswegen auch die verfaßte Studentenschaft und haben sie gegen die Forderungen der CDU/CSU verteidigt und aufrechterhalten.
Bereits in der ersten Lesung, meine Damen und Herren von der Opposition, habe ich gesagt, daß Sie dieser Einrichtung vor allen Dingen deshalb so ablehnend gegenüberstehen, weil sie Ihnen schlicht und ergreifend unbequem ist. Ihre Kollegen im Ausschuß haben dies mehr aus sachlichen Gründen motiviert; Ihre Fraktion aber unter Anleitung des Kollegen Vogel aus Warendorf läßt gar keinen Zweifel daran aufkommen, wie sie die Studentenschaft beurteilt, wie sie wirklich zu ihr steht. In einer Kleinen Anfrage Ihrer Fraktion haben Sie praktisch alle studentischen Bundesverbände mit Ausnahme des RCDS als Verfassungsfeinde dargestellt
und gleich unverholen mit angeregt, Jungsozialisten, GEW-Mitglieder und Liberale im LHV aus dem Staatsdienst fernzuhalten. Dies ist allerdings eine Gesinnungsschnüffelei und politische Hexenjagd, die in aller Klarheit auch von hier zurückgewiesen werden muß.
Solange Sie solche Positionen vertreten, ist natürlich klar, daß Sie und warum Sie eine verfaßte Studentenschaft nicht wollen.
Meine Damen und Herren, das Hochschulrahmengesetz unternimmt auch den Versuch, der brennenden Problematik des Hochschulzugangs unter den Vorzeichen eines sich ausweitenden Numerus clausus besser zu entsprechen, als dies der Staatsvertrag der Länder leistet.
Wir brauchen dringend eine solche bessere bundesgesetzliche Regelung, wenn sie natürlich auch den Mangel nicht beseitigen wird. Wir hoffen, daß die Opposition ihre anfängliche Weigerung, Bestimmungen zum Hochschulzugang in dieses Gesetz aufzunehmen, aufgeben und der gefundenen Lösung zustimmen wird. Zu den inhaltlichen Gesichtspunkten dieses Kapitels ebenso wie zum Thema „Personalstrukturreform", bei dem sich ja die Vorstellungen von Koalition und Opposition erheblich einander angenähert haben, wird sich in der nächsten Runde meine Kollegin Frau Schuchardt äußern.
Meine Damen und Herren, ich habe versucht, deutlich werden zu lassen, daß wir dieses Gesetz so, wie es jetzt vorliegt — —
— Ja, ist Ihnen das noch nicht deutlich geworden, Herr Kollege Dr. Waigel? Es ist immer so: die einen schaffen es gleich, die anderen brauchen ein bißchen länger. Vielleicht schaffen Sie es auch irgendwann einmal.
Ich habe versucht, deutlich werden zu lassen, daß wir dieses Gesetz so, wie es jetzt vorliegt, verabschieden wollen. Gerade die FDP hätte gern einige Fragen anders geregelt, um das Gesetz vielleicht noch besser machen zu können. Wir haben aber gemeinsam mit unserem Koalitionspartner, der das sicherlich ebenso empfindet, einige wesentliche Anliegen zurückgestellt, um Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, die Zustimmung zu ermöglichen. Wir würden es begrüßen, wenn Sie dieses Angebot annähmen, damit die drängenden Aufgaben der Hochschulreform und der Studienreform sofort in Angriff genommen werden können. Die sozialliberale Koalition leistet dazu mit diesem Gesetz ihren Beitrag. Die CDU/CSU sollte es nicht mit bloßem Neinsagen bewenden lassen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer die Diskussionen zum Hochschulrahmengesetz in der 6. Legislaturperiode nachliest oder sich an die erste Lesung des neuen Regierungsentwurfs vor einem Jahr in diesem Hohen Hause erinnert, der vermag der Koalitionsmehrheit nicht zu bestreiten, daß sie in einer Reihe wichtiger Punkte durch unsere besseren Argumente zu besserer Einsicht gelangt ist.
Herr Kollege Möllemann, Sie haben zwar hier diese Einsicht vermissen lassen. Aber da Sie all diesen Punkten im Ausschuß zugestimmt haben, war das wohl ein Beitrag einer etwas verspäteten Doppelstrategie.
Dieser Weg der Einsicht, meine Damen und Herren von der Koalition, ist weit. Sie sind ihn ein Stück weit in vielen Kurven und unter personellen Verlusten gegangen. Aber Sie sind noch nicht am Ende.
Die Position der Union war demgegenüber immer klar und konsequent. Die hochschulpolitische Konzeption der CDU/CSU konnte konstant bleiben, weil sie sachbezogen und richtig war und ist.
Die CDU/CSU geht dabei von einem eindeutig definierten Verständnis von Staat und Wissenschaft aus. Wir bejahen die staatliche Verantwortung für Hochschule und Wissenschaft. Wir treten für die Freiheit der Wissenschaft ein, und wir anerkennen die Ausbildungsfunktion wissenschaftlicher Institutionen. Die Freiheit der Wissenschaft ist für uns nicht nur eine Verpflichtung des Grundgesetzes, sondern wir wissen, daß ohne eine freie Wissenschaft eine freiheitliche Lebensordnung denknotwendig nicht möglich ist. Über die Manipulation der Wissenschaft geraten Einzelner wie staatliche Gemeinschaft in Abhängigkeit.
Die staatliche Verantwortung für Hochschule und Wissenschaft hat diese Freiheit, hat die Leistungsfähigkeit der Hochschulen für die von Staat und Gesellschaft gesetzten Aufgaben zu sichern. Hochschulen sind deshalb — um an die schon von meinem Kollegen Dr. Gölter zitierte Definition Richard Löwenthals anzuknüpfen — kein politischer Freiraum, sondern sie sind ein Raum, in dem sachbezogene Entscheidungen und demokratische, d. h. parlamentarische Verantwortung Freiheit und Leistung ermöglichen.
Die Anerkennung der Ausbildungsfunktion der Hochschulen bedeutet, daß sich wissenschaftliche Institutionen ihres Bezuges zu Beruf und Praxis bewußt sein müssen. Staatliche Verantwortung, Freiheit der Wissenschaft und die Ausbildungsfunktion der Hochschulen stehen in einem natürlichen Spannungsverhältnis. Für die CDU/CSU hat ein Hochschulrahmengesetz die Aufgabe, dieses Spannungsverhältnis mit gesetzlichen Mitteln im Bundesstaat fruchtbar zu lösen.
Das Hochschulrahmengesetz muß die Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit der hochschulrechtlichen Ordnungen unserer Länder herstellen und dieses Ziel mit der pluralistischen Vielfalt des Bundesstaates vereinbaren, einer Vielfalt, die letztlich nichts anderem als der individuellen Freiheit dient.
Wenn ich betone, daß dieser Versuch mit gesetzlichen Mitteln unternommen werden muß, dann liegt darin die Absage an die bildungspolitischen Ideologen in der Koalition, die an Stelle klarer, vollziehbarer Rechtsnormen ein Sammelsurium unverbindlicher, interpretationsbedürftiger Programmsätze im Gesetz festschreiben wollen. Noch so hehre gesellschaftspolitische Absichten allein, Herr Kollege Möllemann, machen noch kein Gesetz. Bloße Programmatik in der Form von Gesetzesparagraphen führt zur Verundeutlichung von Rechtsbeziehungen.
Wer das Elend deutscher Hochschulen unter der Verantwortung sozialdemokratischer Kultusminister — Herr Kollege Möllemann, das war offenbar die von Ihnen gemeinte lupenreine sozialliberale Hochschulpolitik —
in den zurückliegenden Jahren verfolgt hat, der kann sich der Erkenntnis nicht mehr verschließen, daß auch und gerade an Hochschulen die Klarheit der rechtlichen Verhältnisse nicht nur im Interesse der Durchführbarkeit der Gesetze liegt, sondern daß nur diese Klarheit den jeweils Betroffenen die Achtung und Wahrung ihrer Rechtssphäre garantiert.
Der Mangel an Rechtssicherheit durch ideologische Vernebelung bildungspolitischer Gesetze hat die Freiheit von Forschung und Lehre und die Leistungsfähigkeit vieler deutscher Hochschulen entscheidend beeinträchtigt. Die CDU/CSU hat sich mit aller Kraft dagegen gewehrt, daß diese Gesetzgebungsmethoden über ein Hochschulrahmengesetz bundesweit hochschulpolitischen Schaden anrichten. Die CDU/ CSU wird bei dieser Linie bleiben; denn auch die im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft mit der Koalitionsmehrheit beschlossene Fassung des Hochschulrahmengesetzes enthält noch zu viele Restbestände unvergorener bildungspolitischer Ideologie.
Gesetzgebung ist umgesetzte, verarbeitete Programmatik. Rechtssätze müssen von anderer Qualität als bloße Programmsätze sein. Was uns die Koalition heute — zugegeben: erfreulicherweise weniger als vor einem Jahr — zumutet, ist noch immer zu viel unausgegorene, nicht verarbeitete, sondern bloß in Paragraphenform gegossene Ideologie. Wir lehnen eine unausgegorene Programmatik in Form eines Hochschulrahmengesetzes ab. Wer nur ein wenig vom Wein versteht, meine Damen und Herren — wenigstens drei der ingsgesamt fünf kaum zu beneidenden Berichterstatter kommen ja aus
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Dr. Schäuble
solch' gesegneten Landen —, muß wissen, daß Wein,
der in Flaschen gefüllt weitergärt, ungenießbar wird.
Die Gärschäden sozialdemokratischer Hochschulpolitik in unserem Lande zwingen uns, beim Hochschulrahmengesetz auf einer Art Reinheitsgebot zu bestehen —, um auch unsere Freunde des deutschen Biers von der hochschulpolitischen Diskussion nicht auszuschließen.
Der bildungspolitischen Konzeption der Union, die wir beim Hochschulrahmengesetz kontinuierlich durchgehalten haben, entspricht es, daß wir das Spannungsverhältnis von Wissenschaftsfreiheit, staatlicher Verantwortung und Ausbildungsfunktion der Hochschulen mit größtmöglicher Klarheit auflösen. Die gesetzliche Regelung muß eindeutig vollziehbar sein. Denn nur in der praktischen Anwendung vermag die gesetzliche Regelung Freiheit und Leistungsfähigkeit zu sichern. Wir können der Regierungskoalition nicht erlauben, aus ihrer Unfähigkeit bei der Lösung der Probleme der Gegenwart in programmatische Absichtserklärungen und ideologischen Nebel bei der Gesetzgebung zu flüchten. Ich wiederhole mit allem Nachdruck, weil dies ein entscheidender Mangel in der Bildungspolitik der Koalition ist: Nur die Klarheit der hochschulgesetzlichen Regelung und ihre Bewährung in der praktischen Anwendung sichern Freiheit von Forschung und Lehre und Leistungsfähigkeit unserer Hochschulen.
Dabei soll keineswegs bestritten werden, daß die jetzige Fassung des Gesetzes gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf erheblich verbessert ist. Wir stehen nicht an, der Koalition zu bescheinigen, daß sie in einer Reihe von wichtigen Punkten unsere besseren Argumente ganz oder teilweise akzeptiert hat. Die jetzt vorliegende Fassung des Gesetzes ist unseren hochschulpolitischen Vorstellungen wesentlich angenähert und damit verbessert.
Die Freiheit der Forschung an den Hochschulen ist durch die Neuformulierung der §§ 24 ff. zum Teil besser gesichert. Der sozialistische Fetisch, daß gemeinschaftliche oder kollektive Forschung gegenüber individueller Forschungsarbeit in jedem Fall Priorität haben müsse, ist geschwunden. Auch bei der Drittmittelforschung hat die Koalition offenbar eingesehen, daß von außen kommende Forschungsaufträge der Hochschulforschung nicht nur zusätzliche Mittel verschaffen können, sondern auch einen zusätzlichen Bezug zur Praxis ermöglichen.
Gegenüber den Vorstellungen der Koalition aus der 6. Legislaturperiode ist nun der untrennbare Zusammenhang von Regelstudienzeiten und inhaltlicher Studienreform klargestellt.
In der Personalstruktur haben wir erreichen können, daß Gesichtspunkte der fachlichen Qualifikation vorrangig sind. Die Diskriminierung der Habilitation ist zumindest teilweise abgebaut. Wir haben — nicht zuletzt durch ein Anhörverfahren, das, Herr Kollege Schweitzer, uns den Vorwurf der Verzögerung eintrug und das dann doch wichtige Verbesserungen brachte — erreicht, daß die spezifischen Sachgesichtspunkte der medizinischen Krankenversorgung berücksichtigt werden. Wir haben in der Personalstruktur weiter erreicht, daß an den Hochschulen die notwendigen wissenschaftlichen Dienstleistungen und lehrbegleitenden Aufgaben mit einem eher vertretbaren finanziellen und personellen Aufwand erbracht werden können.
Die Koalition hat sich unserer Forderung nach Wegfall des Assistenzprofessors nicht verschließen können. Mit dieser Einsicht wurde der Weg für eine erhebliche Klärung der korporationsrechtlichen Struktur unserer Hochschulen geöffnet. Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Homogenität der Gruppen der Hochschulmitglieder ist durch unseren Widerstand gegen eine dem Grundgesetz nicht entsprechende Regelung des Regierungsentwurfs erreicht worden.
Ebenso haben wir in § 43 den Wegfall der integrierten Wahl durchgesetzt, die eine Aushöhlung gruppenparitätischer Vertretungsrechte bedeutet hätte. Vielleicht, wenn ich das einfügen darf, bezieht die Koalition diesen ihren Lernprozeß auch noch auf das Wahlverfahren bei der Mitbestimmung im Unternehmen.
Auch bei den die Öffentlichkeit der Hochschulgremien regelnden Bestimmungen des § 44 verkennen wir eine gewisse Verbesserung nicht.
Die Koalitionsmehrheit hat auch an einigen Stellen des Entwurfs unserem Hinweis Rechnung getragen, daß ein Hochschulrahmengesetz von der bundesstaatlichen Ordnung unseres Grundgesetzes ausgehen muß.
Das Zusammenwirken zwischen Hochschule und Staat ist eindeutiger geregelt, und die Bestimmungen für die staatliche Aufsicht der Länder über die Hochschulen sind klarer und damit für alle Beteiligten sicherer geworden.
Für den hauptberuflichen Leiter der Hochschule haben wir Mindestqualifikationsnormen erreicht, die der Leistungsfähigkeit der Hochschulen ebenso zugute kommen wie die klarere Beschreibung seiner Rechtsstellung.
Beim Hochschulzugang haben wir eine Reihe der schlimmsten Regelungen der Koalition abgerungen, wobei ich unter „schlimm" verstehe, daß mit den von der Koalition vorgesehenen Regelungen, etwa der Hochschuleingangsprüfung und der weitgehenden Entwertung des Abiturs, die Funktionsfähigkeit unserer Hochschulen wohl endgültig zerstört worden wäre. Wir begrüßen auch ausdrücklich, daß die Koalition auf unsere Einwendungen hin das sogenannte Schulgutachten fallengelassen hat.
Schließlich — um einen letzten Punkt in diesem Zusammenhang zu erwähnen — haben wir bei den Überleitungsbestimmungen Regelungen gefunden, die Kostengesichtspunkten wenigstens ein Stück weit Rechnung tragen, obwohl die Bundesregierung bis heute die Antwort auf die Frage nach den finanziellen Auswirkungen des Hochschulrahmengesetzes schuldig geblieben ist.
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Dr. Schäuble
Wir haben auch die Gefahr, daß über die Überleitungsregelungen die personalstrukturelle Entwicklung der Hochschulen auf absehbare Zeit zugeschüttet würde, wenigstens gemindert.
Alle diese Verbesserungen, meine Damen und Herren, im ursprünglichen Regierungsentwurf im Zuge der intensiven Ausschußberatungen werden von uns gerne eingeräumt. Die Koalition hat unter der Überzeugungskraft unserer Argumente, Herr Kollege Meinecke, ein beachtliches Stück Lernprozeß absolviert.
Nur, diese unbestreitbaren Verbesserungen eines schlechten Entwurfs reichen noch nicht aus, um dieses Gesetz für uns zustimmungsfähig zu machen. Dabei geht es bei der Diskussion überhaupt nicht darum, nachzuzählen, wie viele Sätze oder Paragraphen in der jetzt vorliegenden Fassung von Ihnen oder von uns entscheidend beeinflußt worden sind,
sondern mir, Herr Kollege Meinecke, geht es um den Beweis, daß die hochschulpolitische Konzeption der Union zwingend ist. Wenn unsere Konzeption falsch wäre, meine Damen und Herren von 'der Koalition, warum hätten Sie dann wohl in so vielen Punkten unsere Vorstellungen übernommen?
Herr Kollege Möllemann und meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben sich doch wohl nicht falschen Argumenten gebeugt.
Unsere Vorstellungen von der Ordnung des Hochschulwesens sind eine Einheit. Die Sicherung der Freiheit von Forschung und Lehre, die Verankerung der Leistungsfähigkeit der Hochschulen und des Leistungsprinzips in Forschung und Lehre, die Bewältigung der Kapazitätsprobleme, das Offenhalten der Hochschulstrukturen für künftige Entwicklungen, auch unter einem Hochschulrahmengesetz, und das richtige Zusammenwirken von staatlicher Verantwortung und Wissenschaftsfreiheit — all dies sind Ziele, bei deren Verwirklichung wir nicht auf halbem Wege stehenbleiben können. Hier geht es nicht um einen Kuhhandel, sondern hier geht es um das Ringen um die sachlich richtige Lösung.
Die Union hat die Richtigkeit ihrer hochschulpolitischen Ordnungsvorstellungen bewiesen, nicht nur in den Diskussionen des Bundestages, sondern auch in der hochschulpolitischen Wirklichkeit der Länder, die von Kultusministern der CDU/CSU verantwortet werden, im Gegensatz zu der Hochschulmisere in den sozialdemokratisch regierten Ländern. Deshalb müssen wir das Gesetz in seiner vorliegenden Fassung ablehnen.
Mein Kollege Gölter hat die Anträge beschrieben, die wir im Wissenschaftsausschuß gestellt haben, um
das Gesetz akzeptabel zu machen, und meine Kollegen werden im Anschluß noch im einzelnen die Änderungsanträge begründen, die wir in der zweiten Lesung hier in diesem Hause stellen. Ohne die Annahme dieser Änderungsanträge werden wir das Gesetz ablehnen müssen. Das Gesetz leidet in der vom Ausschuß beschlossenen Fassung trotz aller Verbesserungen unter einer seltsamen Gespaltenheit; die Rede des Kollegen Möllemann war ein geradezu klassischer Beweis für diese Gespaltenheit der Koalition.
Die Koalition hat zwar in vielen Punkten unseren Vorschlägen zugestimmt, aber gleichwohl hat man an einer Reihe von unvereinbaren Regelungen festgehalten, und man muß fragen, ob hier sozialistische Doppelstrategie am Werke war
oder ob nur der frustrierten Linken Trostpflaster geboten werden sollen.
— Herr Kollege Wernitz, warum schafft man den Assistenzprofessor ab zugunsten einer eindeutigen Zuordnung des Nachwuchswissenschaftlers in korporationsrechtlicher Hinsicht zum Mittelbau, wenn man den Hochschuldozenten dann besoldungs- und dienstrechtlich doch wieder in die Hochschullehrergruppe einordnen will? Warum stimmen Sie zu, daß der Hochschullehrernachwuchs wissenschaftlich betreut werden muß, lehnen es aber ab, daß dazu ein Professor bestimmt werden soll?
Kann denn ein Hochschulorgan Aufgaben einer persönlichen Betreuung ausüben? — Ich habe ja Verständnis, Herr Kollege Wernitz, daß Sie unsere Argumente nur hinter den verschlossenen Türen des Ausschusses, aber nicht in der Öffentlichkeit hören wollen. Aber ich kann Sie davon nicht entlasten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wernitz?
Bitte schön!
Herr Kollege Schäuble, warum sagen Sie dann nicht auch hier im Plenum, daß wir den Assistenzprofessor auf Grund der Anhörungsergebnisse abgeschafft haben und daß dies ein rein sachbezogenes Ergebnis war, das dort von allen Seiten getragen wurde?
Herr Kollege Wernitz, ich habe gesagt, daß Sie auf Grund unserer sachlichen Argumente, die wir mit Hilfe von Anhörverfahren noch durch neutrale Sachverständige untermauert haben, überzeugt worden sind. Ich anerkenne ja, daß Sie diesen Lernprozeß absolviert ha-
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Dr. Schäuble
ben. Aber ich will Ihnen Ihre Zwiespältigkeiten noch ein Stück weiter aufzählen.
Warum stimmen Sie bei § 5 des Gesetzentwurfs der Union zu, daß das Hochschulrahmengesetz die zukünftigen Hochschulstrukturen, entsprechend den einverständlichen Formulierungen des Bildungsgesamtplanes nicht einseitig festschreiben soll, wenn Sie eben dies bei § 4 wieder unterlaufen und durch die Hintertüre eine Priorität für die integrierte Gesamtschule einführen wollen? Mein Kollege Dr. Gölter hat den Eiertanz schon beschrieben, den Sie in dieser Frage im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft aufgeführt haben.
Warum folgen Sie den Argumenten der Union und den überzeugenden Darlegungen des Bundesverfassungsgerichts und statuieren eine Mehrheit der Professoren in den Gremien mit Entscheidungsbefugnissen, wenn Sie im selben Zuge diese Mehrheit auf das absolute Minimum begrenzen? Wenn die Mehrheit der Professoren in den Entscheidungsgremien richtig ist, frage ich Sie: Warum dann die rahmengesetzliche Vorschrift, daß diese Mehrheit nur ja nicht das absolute Minimum überschreiten darf?
Sie führen auf Grund unseres Drängens, des Drängens der Union, die Habilitation wieder in das Hochschulrahmengesetz ein, und zugleich unterlaufen Sie die Habilitation, indem Sie daneben ein weiteres formalisiertes Verfahren schaffen. Damit Sie mich nicht falsch interpretieren können: Auch die Union will die Habilitation nicht zur ausschließlichen Hochschullehrerqualifikation machen. Die Hochschullehrerqualifikation muß bei individueller Leistung und Eignung auch ohne formalisiertes Verfahren erworben werden können. Nur, warum man gleich zwei formalisierte Verfahren schaffen will, dafür würden wir doch gern einmal eine Begründung hören.
Sie schaffen unter dem Druck der öffentlichen Meinung ein Ordnungsrecht und konstruieren es zugleich so grobschlächtig, daß damit jede praktische Anwendbarkeit verhindert wird. Dann verstecken Sie es noch schamhaft als persönliche Zugangsregelung im Gesetz. Hier müssen Sie schon Schneid gegenüber Ihren Linken haben. Sie können sich nicht gegenüber der Öffentlichkeit mit Ordnungsliebe brüsten und sich gegenüber Ihrer frustrierten Linken verstecken. Ein Ordnungsrecht, das nur für den Extremfall die Extremsanktion vorsieht, ist eine wirkungslose Vogelscheuche.
Bei aller scheinbaren Einsicht haben Sie in den Regelungen, die das Zusammenwirken von Staat und Hochschule betreffen, noch immer zahlreiche Mechanismen verborgen, die die Ausschaltung der parlamentarischen Verantwortung für die Hochschulen ermöglichen. Ich nenne nur die Zusammensetzung der Studienreformkommissionen, die Landes- und Bundeshochschulkonferenzen, die Probleme der Dienstherrenfähigkeit und die Möglichkeiten des Globalhaushalts.
Der Versuch, ein Zusammenwirken der Hochschulen mit dem Bund unter Ausschaltung der Län-
der zu ermöglichen, läßt jeden Respekt vor der bundesstaatlichen Ordnung unseres Hochschulwesens vermissen.
Mein Kollege Professor Klein wird Sie vermutlich noch fragen, was die Einengung der Wissenschaftsfreiheit auf die Verantwortung vor der Gesellschaft eigentlich soll. Im Ausschuß konnten Sie sich ja mit sich selbst nicht einigen, ob dies eine deklaratorische Lehrformel oder eben doch mehr sein soll. Vielleicht ist es tatsächlich nur als Gedächtnisstätte für Ihre Bildungsideologen gemeint, die zur Zeit ja nicht gerade Hochkonjunktur haben.
Aber die Klarheit der rechtlichen Regelung, an der uns im Interesse unserer Hochschulen und all ihrer Mitglieder liegt, leidet unter diesem ideologischen Nebel.
Die Reihe Ihrer Zwiespältigkeiten läßt sich beinahe beliebig fortsetzen. Sie begründet unser Nein zum Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung.
Ablehnen müssen wir den Gesetzentwurf auch wegen der nicht befriedigenden Neuregelung des Hochschulzugangs. Wir verkennen dabei nicht, daß gerade in diesem zweiten Kapitel des Gesetzentwurfs die Koalition große Schritte in Richtung auf unsere Position unternommen hat. Wir hoffen, daß mit Hilfe unserer Änderungsanträge wenigstens hier doch noch eine einvernehmliche Regelung in diesem Hause möglich wird.
Wir haben uns in den zurückliegenden Monaten in diesem Hohen Hause mehrfach mit den wachsenden Problemen der Zulassungsbeschränkungen an unseren Hochschulen beschäftigen müssen. Es gehört keine besondere Sehergabe dazu, vorauszusagen, daß dies heute nicht das letzte Mal der Fall sein wird. Selbst die nach dem 4. Rahmenplan für 1978 vorgesehenen 800 000 Studienplätze werden für die Studienbrechtigten nicht ausreichen. Die Zahl der Abiturienten steigt von Jahr zu Jahr. Der Anteil der Studierwilligen unter den Abiturienten ist ebenfalls gestiegen. Über 100 000 junge Menschen, die wir in den zurückliegenden Jahren teilweise noch durch Bildungswerbung zum Abitur gebracht haben, werden in den kommenden Jahren trotz genereller Studienberechtigung keinen Studienplatz mehr finden.
Keiner, dem Bildungspolitik ernst ist, kann dieses Problem leicht nehmen; denn es sind Lebensschicksale junger Menschen, für die neue Wege gefunden werden müssen, und es sind Eltern, deren Opfer und Erwartungen, die sie in die Ausbildung ihrer Kinder investiert haben, enttäuscht werden.
Deshalb müssen wir beim Hochschulrahmengesetz diesem Problem ganz besondere Aufmerksam widmen. Das Hochschulrahmengesetz schafft keinen einzigen zusätzlichen Studienplatz, auch wenn Ihr Amtsvorgänger, Herr Minister, vor einem Jahr noch gegenteilige Erwartungen zu erwecken schien. Unsere Aufgabe kann es nur sein, durch dieses Gesetz eine Zugangsregelung zu schaffen, die die vorhandenen Schwierigkeiten nicht vermehrt, sondern mindert.
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Dr. Schäuble
Angesichts der bildungspolitischen Sackgasse, in die uns diese Bundesregierung geführt hat, müssen wir uns dieser Aufgabe mit einem großen Maß an realistischer Bescheidenheit unterziehen in dem Bewußtsein, daß jede Verwaltung dieser Mangelsituation nicht nur unvollkommen, sondern höchst unbefriedigend ist.
Dabei wehren wir uns gegen jede Bildungsfeindlichkeit. Wir sagen ein klares Ja zum Bildungsanspruch jedes einzelnen, wobei wir allerdings hinzufügen, daß für diesen Bildungsanspruch die berufliche Bildung ebenso wichtig ist wie das allgemeinbildende Schul- und Hochschulwesen. Der Numerus clausus darf nicht zu einer Demontage der bildungspolitischen Bemühungen führen. Wir wollen über die Hochschulzugangsregelung keine sozialen Restriktionen, sondern wir wollen in dieser Mangelsituation das Leistungsprinzip erhalten, weil die Verteilung 'knapper Studienplätze nach dem Grad der Qualifikation und der Studieneignung der Bewerber die sozial gerechteste und freiheitlichste Lösung in einer insgesamt unbefriedigenden Situation ist.
Wir müssen alles vermeiden, was die Kapazitätsprobleme der Hochschulen vermehrt und in andere Bereiche verlagert. Deshalb begrüßen wir, daß die Koalition jedenfalls vorläufig — ihre Bestrebungen, das Abitur auszuhöhlen, weitgehend aufgegeben hat.
Ebenso wichtig war, daß wir uns mit unserer Forderung durchsetzen konnten, keine Hochschuleingangsprüfungen einzuführen. Wenn die Kapazitäten der Hochschulen ohnedies bei weitem nicht ausreichen, wäre es geradezu irrsinnig, durch Hochschuleingangsprüfungen — wie es der Regierungsentwurf vorsah — zusätzliche Hochschulkapazitäten zu binden.
In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren von der Koalition, erwarten wir in dieser Debatte eigentlich ein Wort der Entschuldigung, daß Sie uns Verzögerungstaktik vorgeworfen haben, als wir zu der von Ihnen vertretenen Zugangsregelung vor der Sommerpause Sachverständige hören wollten, weil wir die Verantwortung für das totale Chaos an unseren Hochschulen nicht übernehmen konnten, das die Verwirklichung Ihrer damaligen Vorstellungen ja wohl auch nach Ihrer heutigen eigenen Einsicht bedeutet hätte.
Inzwischen haben Sie sich unserem Standpunkt angenähert.
Wir wollen das Abitur als zentrale Studienberechtigung nicht aushöhlen, und wir wollen, daß die Aussagekraft des Abiturs für die Auswahl unter mehreren Studienberechtigten für bestimmte Fächer erhöht wird, indem Noten mit fachspezifischer Aussagekraft über den wahrscheinlichen Studienerfolg besonders gewichtet werden. Wir wollen auch ein besonderes Auswahlverfahren in den Fällen, in denen durch ein starkes Mißverhältnis zwischen den Bewerberzahlen und der Zahl der vorhandenen Studienplätze die Anwendung des allgemeinen Auswahlverfahrens zu nicht mehr realistischen Zulassungsschwellen oder zu unangemessenen Wartezeiten führt. Dabei sollen die von den Ländern vorzusehenden besonderen Auswahlverfahren nach § 36 auf das sachlich und zeitlich unbedingt erforderliche Maß beschränkt werden.
Beim allgemeinen Auswahlverfahren unterscheiden wir uns von der Koalition — und darauf bezieht sich unser Änderungsantrag zu § 35 — dadurch, daß wir die Studienplätze, die nicht vorab nach dem Grad der Qualifikation der Bewerber vergeben werden, nicht nur nach der Dauer einer Berufstätigkeit oder Berufsausbildung verteilen wollen. Warum soll eigentlich ein Abiturient, der den geforderten Notendurchschnitt von beispielsweise 1,6 mit 1,7 knapp verfehlt, gleich einem anderen Bewerber mit dem Notendurchschnitt 4,0 behandelt werden? Diese Regelung läuft angesichts zunehmender Wartezeiten auf eine Aushöhlung des Abiturs hinaus.
Wer sich an unseren Schulen auskennt, der weiß schon heute um die sich ausbreitende Lethargie der Schüler, die weder die Durchschnittsnote von 1,6 schaffen noch ernstlich Gefahr laufen, das Abitur nicht zu bestehen. Zwischen diesen beiden Extremen soll nach Ihren Vorstellungen völlige Nivellierung herrschen. Deshalb wollen wir die Aussagekraft des Abiturs auch außerhalb der Zulassungsschwelle des § 35 Abs. 3 Nr. 1 erhalten.
Dies heißt nicht, daß wir nicht auch wie die Koalition mit Entschiedenheit dafür sind, daß die Abiturienten die Zeit, während der sie auf ihren Studienplatz warten müssen, in einer beruflichen Tätigkeit oder Berufsausbildung sinnvoll nutzen. Wir müssen das „Parkstudium" verhindern, weil dadurch die Hochschulkapazitäten zusätzlich belastet werden. Unser Vorschlag zu § 35 Abs. 3 Nr. 2 sieht vor, daß die Studienbewerber, die die Zulassungsschwelle auf Anhieb nicht erreichen, in der Wartezeit die ihren Rang bestimmende Qualifikation durch Art und Weise einer beruflichen Tätigkeit oder Berufsausbildung verbessern können. Damit haben wir auch insoweit beim Hochschulzugang das Leistungsprinzip durchgängig verwirklicht; denn der Rang des Bewerbers bestimmt sich nach seiner Abiturleistung und nach der nach dem Abitur erbrachten Leistung.
Die Mischung von Abiturnote und Wartezeit ist ein entscheidender Beitrag zu mehr sozialer Chancengerechtigkeit beim Hochschulzugang; denn daß Studienplätze am Ende an denjenigen vergeben werden sollen, der es sich leisten kann, am längsten zu warten, ist gewiß weniger gerecht, als wenn die eigene Leistung über die Studierchance entscheidet.
Im übrigen unterscheidet sich unser Antrag zu § 35 Abs. 3 Nr. 2 von dem der Koalition nicht dadurch, daß wir die besondere Berücksichtigung von Berufstätigkeit und Berufsausbildung in der Wartezeit nicht genauso wollen wie die Koalition; nur haben wir die nicht absehbaren Probleme der Verlagerung des Numerus clausus vom Hochschulzu-
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Dr. Schäuble
gang in die berufliche Bildung ernster genommen als die Koalition.
Wir befürchten, daß bei der stringenten Regelung der Koalition die Ausbildungsplätze in der beruflichen Bildung durch Abiturienten, die auf Studienplätze warten, bald zugestopft sind. Dann sind Sie mit Ihrer starren Regelung, für deren Realisierbarkeit Sie keinerlei praktische Erfahrungen haben und für deren Funktionieren kein Sachverständiger bereit war, die Hand ins Feuer zu legen, am Ende. Wir wollen, daß Abiturienten, die auf einen Studienplatz warten müssen, die berufliche Wirklichkeit kennenlernen, und wir erhoffen uns auch, daß dadurch manch einer die größere Attraktivität einer berufspraktischen Tätigkeit nach dem Abitur für sich erfährt, damit das Abitur nicht immer weiter eine Einbahnstraße in Richtung Hochschulstudium bleibt. Aber wir wollen über die Hochschulzugangsregelung den Numerus clausus nicht in die Berufsstellen und in die Ausbildungsplätze für junge Menschen übertragen. Wir haben in den zurückliegenden Jahren schon erlebt, wie ein Numerus clausus in einem Studienfach alle anderen Studienfächer „infiziert". Deshalb ist unser dringender Appell an die Koalition: Stimmen Sie unserem Antrag zu, damit nicht auch noch die in der beruflichen Bildung ohnehin vorhandenen Probleme von der Hochschulzugangsregelung her entscheidend verschärft werden! Helfen Sie mit, diese Ansteckungsgefahr zu bannen!
Lassen Sie mich zum Hochschulzugang noch einen
) weiteren Punkt erwähnen. Die Koalition hat im Laufe der Ausschußberatungen auf Grund unserer Argumente und der geradezu bedrückenden Darlegungen aller Sachverständigen einsehen müssen, daß detaillierte Hochschulzugangsregelungen im Hochschulrahmengesetz nicht möglich sind, weil die Frage der Praktikabilität völlig ungeklärt ist. Die Erfahrungen mit dem Staatsvertrag beweisen die ungeheure Kompliziertheit dieser Materie. Der vom Regierungsentwurf unternommene Versuch legislativer Perfektion hätte mit Sicherheit das totale Chaos für die Studienbewerber geschaffen.
Die Koalition beschränkt sich nunmehr entsprechend unseren Vorstellungen auf die Aufnahme der Grundsätze des Auswahlverfahrens in das Hochschulrahmengesetz. Aber sie will im Gegensatz zu uns die Einzelheiten durch die Rechtsverordnung des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft regeln lassen. Wir lehnen diese Ermächtigung in § 39 aus mehreren Gründen ab.
1. Die Probleme des Hochschulzugangs sind nur in Zusammenarbeit der Länder zu bewältigen. Die Länder sind Träger der Hochschulkapazität. Sie haben die Verantwortung für die personelle und sachliche Ausstattung der Hochschulen, also für das Angebot an Studienplätzen. Deshalb muß ihnen auch die Verantwortung der Entscheidung über die nachgefragten Studienplätze verbleiben.
2. Die Länder und ihre Ministerialbürokratie haben aus den Erfahrungen mit dem Staatsvertrag den größeren Sachverstand in dieser überaus komplizierten Materie. Es schwingt geradezu Mitleid mit den
Beamten des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft mit, wenn wir ihnen ersparen wollen, ohne jede praktische Erfahrung den aussichtslosen Versuch unternehmen zu müssen, eine praktikable Rechtsverordnung zum Hochschulzugang zu erarbeiten. Der Sachverstand der primär betroffenen Länder ist zur Detailregelung dieser Materie völlig unverzichtbar.
Der Einwand, daß schließlich der Bundesrat nach § 39 dieser Rechtsverordnung zustimmen müsse, geht an der Sache vorbei; denn bei § 39 muß der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft die Rechtsverordnung entwerfen, während die Länder eine nur passive Zustimmungsfunktion haben, nicht aber die Detailregelungen selbst gestalten können.
— Deswegen spreche ich ja von Sachverstand der mit dem Staatsvertrag befaßten Länder.
3., Herr Kollege Möllemann, stößt die Verordnungsermächtigung des § 39 auf nicht völlig ausgeräumte verfassungsrechtliche Bedenken. Wollen Sie denn die Verantwortung dafür übernehmen, daß am Ende das Hochschulzugangsverfahren wegen Verfassungswidrigkeit völlig zusammenbricht?
Kein Vorschlag zur Zugangsproblematik kann perfekt sein. Angesichts der ungeheuren praktischen Probleme ziemt uns allen die bescheidene Einsicht, daß gerade hier mit unvollkommenen Lösungen gelebt werden muß. Hier ist nicht der Raum für die theoretische Perfektion der Ideologen,
sondern hier tut der nüchterne Realismus not, der angesichts der gegebenen Schwierigkeiten über programmatischen Utopien das real Machbare nicht aus dem Auge verliert.
Der Absicht der Koalition, für die Bundesregierung beim Hochschulzugang neue Kompetenzen in Anspruch zu nehmen, muß im übrigen auch deshalb mit Skepsis begegnet werden, weil diese Bundesregierung mit allen seit 1969 ihr neu übertragenen Kompetenzen auf dem Gebiet der Bildungspolitik die Probleme nirgends bewältigt, sondern die Schwierigkeiten nur vermehrt hat.
Die Kapazitätsprobleme unserer Hochschulen, auch die Haushaltssituation der öffentlichen Hand, müssen im übrigen auch in anderen Bereichen beim Hochschulrahmengesetz berücksichtigt werden. Wir müssen endlich die Konsequenzen daraus ziehen, daß ein immer größerer Teil der Hochschulkapazitäten heute weithin durch Selbstverwaltungsaufgaben aufgezehrt wird. Die Auswüchse universitärer Selbstverwaltung hat sich wohl selbst Herr Parkinson nicht träumen lassen. Diese Kapazitäten fehlen den Studienberechtigten, die keinen Studienplatz finden, Herr Kollege Möllemann. An sie müssen Sie in diesem Zusammenhang auch einmal denken.
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Dr. Schäuble
Deshalb schlagen wir für die Selbstverwaltung der Hochschulen wie für das Verhältnis von Staat und Hochschule Regelungen vor, die den Gesichtspunkten von Leistungsfähigkeit und Effizienz Rechnung tragen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Möllemann?
Ich muß mich an meine Redezeit halten, Frau Präsidentin!
— Herr Kollege Möllemann, ich bitte um Nachsicht, ich muß an die Zeit denken. Ich bin mit meinen Ausführungen gleich am Ende.
Herr Kollege Möllemann, wir schlagen Ihnen Regelungen vor — um das noch einmal aufzugreifen —, die den Gesichtspunkten von Leistungsfähigkeit und Effizienz Rechnung tragen. Wir bestehen — nicht zuletzt bei den Überleitungsbestimmungen — auf finanziell zu verkraftenden Regelungen. Bis heute — ich wiederhole es — war die Bundesregierung zu einer Aussage über die finanziellen Auswirkungen des Hochschulrahmengesetzes nicht bereit oder nicht in der Lage. Wer Bildungspolitik ohne solide finanzielle Grundlage betreiben will — zumal angesichts der zu erwartenden Rekorddefizite in den öffentlichen Haushalten —, leistet der Bildungsfeindlichkeit Vorschub.
Unser Nein zu der von der Ausschußmehrheit vorgelegten Fassung des Hochschulrahmengesetzes heißt nicht, daß wir ein Hochschulrahmengesetz grundsätzlich ablehnen. Wir wollen die Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit der hochschulrechtlichen Ordnungen unserer Länder. Wir wollen aber ein Hochschulrahmengesetz, das nicht die Zustände von Hessen, Bremen oder Berlin festschreibt, sondern das den gesunden Hochschulen in den von der CDU/ CSU regierten Ländern ihre Entwicklungschancen läßt und der von den Koalitionsregierungen verantworteten Hochschulmisere die Chance der Besserung bietet.
Meine Damen und Herren, die vorliegende Ausschußfassung ist ein Schritt auf dem Weg zu einem sachgerechten Hochschulrahmengesetz, aber sie enthält noch zuviel von der ideologischen Gespaltenheit der Koalition. Helfen Sie mit, ein Hochschulrahmengesetz zu schaffen, das den Problemen unserer Hochschulen gerecht wird, das Freiheit von Forschung und Lehre, die Leistungsfähigkeit der Hochschulen und die parlamentarische Verantwortung sichert und das der Generation von Studienbewerbern faire Chancen bietet, durch freiheitliche Leistung nicht nur
einen Studienplatz zu erlangen, sondern auch zum Studienerfolg zu kommen. Stimmen Sie unseren Anträgen zu!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schweitzer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe vorsorglich eine halbe Stunde Redezeit beantragt, hoffe aber, sie nicht in Anspruch nehmen zu müssen. Für die Bildungspolitiker in diesem Hause möchte ich folgendes feststellen. Nachdem sich der deutsche Wald hier vor einigen Monaten in einer, wenn ich es recht in Erinnerung habe, fünfstündigen Debatte Belaubt hat, sollten wir uns hier, wie ich meine, auch eine längere Debatte erlauben.
Meine Damen und Herren, das Gesetz, das wir heute hier zu verabschieden haben werden, ist nach unserer Überzeugung zwanzig Jahre überfällig. Das muß ich einmal ganz deutlich zur Opposition hin sagen. Auf ein solches Gesetz warten seit langem viele hauptamtlichen Angehörige der Hochschulen ebenso wie die jeweils zum Studium anstehende Generation von jungen Menschen und nicht zuletzt, ja, vor allem Millionen von Bürgerinnen und Bürgern in unserem Lande, die längst begriffen haben, daß Hochschulpolitik immer auch ein Stück Gesellschaftspolitik, daß Hochschulreform immer auch ein Stück gesamtgesellschaftliche Reform ist. Diese Bürgerinnen und Bürger werden sich auch nicht durch reaktionäre Kräfte in unserem Volke irremachen lassen, die mit ebensoviel Lautstärke wie Demagogie den gestern, heute und morgen leicht zu widerlegenden Eindruck zu erwecken versuchen, als ob diese unsere sozialliberale Koalition seit 1969 im Grunde über Reformen nur geredet, aber keine entscheidenden Reformen durchgebracht habe und auch nicht durchsetzen könne.
Herr Kollege Schäuble, ich muß sagen, Ihre Einlassungen zu Anfang schienen mir ein wenig in den karnevalistischen Bereich hineinzureichen.
Sie haben in Ihren einleitenden Einlassungen den Eindruck zu erwecken versucht, lieber Herr Kollege Schäuble, als ob von der Regierung und von der Koalition her gewissermaßen nur diffuse Leerformeln in dieses Gesetz hineingeschrieben worden seien. Darauf kommen wir nachher noch. Dann haben Sie das Bild von dem Wein gebracht, der hier offeriert wird.
Ich muß sagen, mit Ihren einleitenden Auslassungen
haben Sie diesen Weich doch ziemlich verpanscht uno
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Dr. Schweitzer
dem Anlaß, der uns hier zusammenführt, nicht unbedingt Genüge getan.
Sie kamen dann, Herr Kollege Schäuble — ich darf das auch gleich zu Anfang feststellen; dies gilt auch für andere Redner der Opposition —, auf dieses Ammenmärchen, das uns gestern hier auch am Rande beschäftigt hat, als ob von der Regierungsseite, von unserer Seite, nicht sinnvoll und nicht ausführlich zur Kostenfrage Stellung genommen worden sei. Sie wissen doch ganz genau, daß wir diese Dinge im Ausschuß sehr ausführlich beraten haben und daß uns die entsprechenden Vorlagen vorliegen. Die Bundesregierung wird sicher anschließend zu diesem Punkt noch ausführlich Stellung nehmen.
— Ja, aber es lagen immerhin exakte Untersuchungen des Ministeriums vor.
Ich habe manchmal das Gefühl gehabt, Herr Kollege Pfeifer, daß die so oft nein sagende und so oft das Wagnis jeder Reform scheuenden Opposition innerhalb und außerhalb des Bundestages diese unsere Regierung und Koalition um die Tatsache beneidet, daß es ihr nach immerhin fünf Jahren — im Gegensatz zu den 20 vorhergehenden Jahren unter der Regie Ihrer Kanzler — endgültig gelungen ist, ein solches Gesetz auszuarbeiten, einzubringen und im Deutschen Bundestag verabschieden zu lassen.
Was Herrn Schäuble betrifft, so möchte ich als eingefleischter Potsdamer doch einmal den Versuch machen, der Opposition auf rheinisch zu sagen — so drückt man es hier wohl aus —: Man muß och jönne könne! Unsere Mitbürger, meine Damen und Herren von der Opposition, haben nach meinem Empfinden ein sehr feines Gespür für Neinsagerei aus der mangelnden Fähigkeit, auch der anderen Seite Erfolg gönnen zu können.
Dieses Gesetz, das hier jetzt dem Bundestag vorliegt, ist als ein gutes, wohlabgewogenes Gesetz zu bezeichnen. Es sichert und garantiert die Freiheit von Lehre und Forschung in diesem Lande, schafft neue Mechanismen und Institutionen, in denen sich die Freiheit von Forschung und Lehre zum Wohle aler entfalten kann. Wenn der hier jetzt abwesende Doppelkollege Carstens in diesem Zusammenhang wie auch andere Sprecher der CDU auf die Formulierung von der „Verantwortung vor der Gesellschaft" im Gesetz angespielt hat, worauf nachher noch einmal zurückzukommen sein wird, wenn es um Anträge geht, und in diesem Zusammenhang davon gesprochen hat, daß sich in solchen Formulierungen auf unserer Seite eine „Angst vor linken Genossen" bemerkbar mache, muß ich dem Kollegen Carstens ganz hart sagen: Er wird dem Ernst der Debatte mit solchen Zwischenrufen in keiner Weise gerecht. Er müßte ja nun gerade als vormaliger
Hochschullehrer sehr genau wissen, selbstkritisch wissen, wie ich das auch weiß, daß viele Kollegen, Professoren in diesem Falle, an Deutschlands Hochschulen immer wieder — ich darf es einmal so formulieren — der Versuchung erlegen waren, am Bedarf sozusagen „vorbeizulesen". Das wissen alle; das ist gemeint, und darauf wird nachher auch noch der Kollege Meinecke für uns im einzelnen eingehen.
— Ich denke jetzt an die Tatsache, daß er ja immerhin den Titel eines Professors führt. So ist es ja doch wohl.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier ganz generell daran erinnern, ohne die Geschichtsforschung vorwegzunehmen — und dies muß noch einmal gesagt werden —, daß die jahrelange, ja jahrzehntelange Verzögerung einer Hochschulreform auf Bundesebene — ich weiß natürlich um die Zuständigkeiten, die erst später in vollem Umfang auf den Bund zukamen — zumindest eine der entscheidenden Ursachen für die spätestens seit der Mitte der 60er Jahre zum Ausdruck gekommenen Krise in unserem tertiären Bildungsbereich gewesen ist. Ich muß dem Kollegen Schäuble, der hier immer Aufteilungen ganz simpler Art zwischen A-Ländern und B-Ländern vornimmt, sagen, daß kein Bundesland in der Vergangenheit von diesen Sünden frei war.
Das hat sich in entsprechenden Manifestationen an den Hochschulen gezeigt.
— Weil ich einen anderen Ruf bekommen habe; eine ganz einfache Sache, Herr Schäuble! Wenn Sie mich so persönlich fragen, will ich Ihnen gerne ganz persönlich antworten.
— Kommen wir doch zur Sache! Dies ist doch viel zu ernst, als daß durch solche persönlichen, ich möchte beinahe sagen: karnevalistischen Zwischenrufe — ich darf das wiederholen, Herr Schäuble — an der Sache vorbeigeredet werden sollte.
Ich meine, hierarchisch verkrustete Personalstrukturen, gelegentliche Ausbeutung von abhängigen Angestellten, fehlende Mitbestimmungsmechanismen, boykottierte Studienreform, überholte Prüfungsordnungen und vieles mehr waren auslösende Faktoren für Versuche studentischer Protestbewegungen, eine revolutionäre Strömung in unserem Lande zu erzeugen und mit „Revolutiönchen" — so will ich einmal sagen — in Hochschule und Gesellschaft zu spielen.
Ich will an dieser Stelle keineswegs ein negatives Bild von der Entwicklung an unseren Hochschulen nach 1945 zeichnen. Alle in diesem Hause und in der breiteren Öffentlichkeit werden sich der gro-
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Dr. Schweitzer
ßen Leistungen bewußt sein, die auf der Linie der Tradition von Forschung und Lehre auch nach 1945 in unserem Lande erbracht worden sind. Mir geht es nur um die Andeutung eines Zusammenhangs zwischen sogenannten Studentenrevolten und Reformüberfälligkeit seinerzeit —, eines Zusammenhangs, dem wir durch diese Vorlage heute abhelfen wollen. Wie so oft in der deutschen Geschichte arbeiteten sich Vertreter extremer Standpunkte — in den sechziger Jahren vor allen Dingen — gegenseitig in die Hände, das heißt, sie lösten eine Kettenreaktion der Eskalation aus. Ich wiederhole daher, meine Damen und Herren von der Opposition: Das Gesetz, das wir heute verabschieden, ist mehr als zwanzig Jahre überfällig.
Aus diesem Grunde möchte ich dem früheren Bundesminister für Bildung und Wissenschaft — sein Nachfolger wird nachher hier noch Stellung nehmen —, dem Kollegen D o h n a n y i, von dieser Stelle aus persönlich und im Namen meiner Fraktion für den Mut und die Hartnäckigkeit danken, mit der er als Mitglied der Bundesregierung das hier anstehende Gesetz entwerfen und schließlich einbringen ließ.
Namens der SPD-Fraktion möchte ich auch noch einmal ad personam zu Protokoll geben, daß wir in unseren Dank und unsere Anerkennung auch die Herren des Ministeriums einschließen,
die in jahrelanger Kärrnerarbeit — ich nenne meinerseits, wie das der FDP-Kollege schon getan hat, die Herren Dallinger und Böhning stellvertretend für alle — bis zuletzt mit uns gemeinsam hart an der Sache gearbeitet haben. In dieses Sonderlob schließe ich auch ausdrücklich Vertreter mancher B-Länder ein — das mag hier überraschen —, die wir als Berichterstatter bis zuletzt ebenfalls als gern gesehene Mitarbeiter an diesem Gesetzgebungswerk unter uns gehabt haben.
Ich sprach eben von dem Mut des Kollegen Dohnanyi — hier ist er inzwischen — als vorher zuständigem Minister, weil der Gesetzentwurf in vielen Bereichen neue Wege beschritten hat. Auch dort, wo von dem einen oder anderen Weg im Verlauf der Beratungen wieder abgegangen wurde, verdient schon der Versuch nachträgliche Anerkennung. Ich freue mich für den Kollegen Dohnanyi und die Herren seines Hauses,
daß wir die Einführung eines neuen Modells für
besondere Hochschuleingangsverfahren in diesem
Gesetz fest verankern konnten, gegen den zunächst
sehr hartnäckigen Widerstand der Opposition; das ist nachweislich im Ausschußprotokoll festgehalten. Meines Erachtens werden uns und damit dem Ministerium und der Koalition allein Tausende von potentiellen Medizinstudenten für diese — wie ich sie selber öfter bezeichnet habe — bahnbrechende Innovation in unserem Hochschulwesen dankbar sein.
Zur Opposition gewandt möchte ich an dieser Stelle sagen — ebenfalls zu meiner Freude, keineswegs mit Schadenfreude —: In diesem Punkt wie in so manchem anderen kamt ihr „spät, doch ihr kamt". Ich möchte dem Kollegen Schäuble an dieser Stelle vor der Öffentlichkeit in einem ausdrücklich beipflichten: Durch diese und andere Regelungen kann das Problem des Numerus clausus nicht aus der Welt geschafft werden. Das hat auch niemand behauptet, weder von uns noch von der Oppositon. Wir haben hier Verbesserungen eingebracht, die diesem Problem weiter beikommen werden. Aber das Problem hat tiefer sitzende Ursachen. Ich möchte für die Geschichtsschreibung festhalten, daß das Numerus-clausus-Problem nicht von uns geschaffen worden ist, sondern — das ist kein Vorwurf an eine spezielle Adresse — auf die frühen sechziger Jahre zurückgeht, also auf eine verfehlte Bildungspolitik damals. Ich möchte ausdrücklich sagen, daß die Numerus-clausus-Problematik eine Sache ist, für die Bund und Länder gemeinsam, in erster Linie eigentlich die Länder, die Verantwortung tragen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Kollege Schweitzer, wenn dem so wäre, warum hat dann die Bundesregierung 1970 und 1971 erklärt, daß es im Jahre 1975 mit Ausnahme des Fachs Medizin an den deutschen Hochschulen einen Numerus clausus nicht mehr geben werde?
Ich würde sagen, die Erklärung für diese von Ihnen angeschnittene Problematik liegt zum einen darin, daß die Statistiken zu jener Zeit noch nicht auf dem neuesten, höchsten Stand waren.
Die Statistiken werden ja zu einem großen Teil von den Ländern geliefert. Zum anderen konnte damals nicht übersehen werden — das muß man einmal deutlich als Positivum herausstellen —, wie groß das Bildungsengagement der jungen Generation heute ist und wie stark diese Generation in das Hochschulstudium drängt. Eine dritte Antwort, Herr Kollege Pfeifer — das ist letztlich ein Vorwurf an uns alle —, lautet: Wir haben uns alle gemeinsam in der Tat in der Bildungspolitik zuwenig Gedanken darüber gemacht, wie man neben dem Hochschulstudium noch weitere, für das spätere Berufsleben
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Dr. Schweitzer
sinnvolle Ausbildungswege für Absolventen an unseren Hochschulen eröffnen kann.
Manche Äußerungen von der Opposition hier im Bundestag, aber auch sonst im Bundesgebiet — ich denke dabei insbesondere an Äußerungen des Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz vor einiger Zeit —, veranlassen mich zu einem besonderen Appell an die Bundesratsbank, die ja auch mit einem Vertreter der B-Länder, was die Ministerseite betrifft, besetzt ist.
—B-Länder sind Ihre Länder, wenn Sie das noch nicht wissen sollten.
Zu meinem Erstaunen habe ich hier von einer Feststellung des Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz in einem Interview der „Welt" Kenntnis genommen. Mit Erlaubnis der Frau Präsident darf ich zitieren. Er hat dort zum Hochschulrahmengesetz folgendes gesagt:
Hier werden wir — das ist ein zustimmungspflichtiges Gesetz; niemand hat daran gezweifelt — eine harte Auseinandersetzung mit der Bundesregierung zu führen haben. Wir werden ausprobieren, ob die Regierung dabei zu einem vernünftigen Miteinander bereit ist.
Ganz abgesehen davon, daß sich in einer solchen Äußerung ein erschreckendes Verständnis von parlamentarischer Demokratie und dem Zusammenspiel zwischen Exekutive und Legislative im Gesetzgebungsverfahren bemerkbar macht
— ich weiß gar nicht, Herr Kollege Klein, warum Sie das mit einem „Ach!" quittieren --, müssen wir, so glaube ich, an dieser Stelle vor der deutschen Öffentlichkeit im Zusammenhang mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf sehr deutlich vor dem warnen, was ich einmal als „Bundesratsneurose" bezeichnen möchte, die in den letzten Wochen und Monaten zweifellos von einigen Kollegen aus den B-Ländern im Rahmen des Bundesrats entwickelt worden ist
und von der offensichtlich auch einige Kollegen
der Opposition in diesem Hause nicht ganz frei sind.
Zur Bundesratsbank gewandt, insbesondere zu dem Herrn Kultusminister des Landes Rheinland-Pfalz, möchte ich sagen: Vergessen Sie bei Ihrer abschließenden Mitwirkung an diesem Gesetz nicht das Ganze, um das es uns allen gehen muß. Erlauben Sie einigen Scharfmachern in Ihren eigenen Reihen nicht, im Endeffekt in dieser Frage die Parteiräson über unser aller Staatsräson zu stellen.
Wir von der Koalition müßten sonst den Wählerinnen und Wählern dieser unserer Bundesrepublik Deutschland sehr klarmachen, daß es auf seiten der
CDU/CSU auch heute noch Kräfte gibt, die um möglicher parteitaktischer Vorteile willen mühsam zustande gebrachte Kompromisse mutwillig zerstören und damit gegen den Geist unserere ganzen parlamentarischen Regierungsweise überhaupt verstoßen,
die schließlich gerade bei zustimmungspflichtigen Gesetzesmaterien auf dem Grundgedanken des parlamentarischen Kompromisses basiert.
Ich möchte einmal sehr deutlich sagen: Kompromisse bedeuten nach der ganzen Anlage der parlamentarischen Regierungsweise nicht, meine Herren Schäuble und Pfeifer wir haben uns ja kürzlich gemeinsam in einem Blatt des Deutschen Lehrerverbandes geäußert —, daß die eine Seite immer nur Forderungen stellt und sagt: Wenn ihr da nicht nachgebt, sagen wir nein!
Es mögen sich diejenigen, die in der Opposition auf Bundesebene mit Planspielchen eines Boykotts dieses Hochschulreformgesetzes beschäftigt sind, ein Beispiel an der Art und Weise nehmen, wie die Berichterstatter von Regierung und Opposition im federführenden Ausschuß dieses Gesetz behandelt haben, ja, wie der gesamte Ausschuß dieses Gesetz gemeinsam behandelt hat.
Ich gestehe freimütig, daß ich das nach dem Eklat kurz vor der Sommerpause nicht mehr erwartet hatte. Das sei zu Ihnen gesagt, Herr Schäuble.
— Das mag sein. Irren ist menschlich, das ist eine sehr vernünftige Feststellung, die man immer wieder treffen sollte. Ich komme in anderem Zusammenhang noch darauf zu sprechen.
Mit um so mehr Genugtuung erfüllt es mich, an dieser Stelle feststellen zu können, daß wir gemeinsam einen Prozeß guter, nicht fauler Kompromisse hinter uns gebracht haben. Wenn irgendwo, dann war und ist in dem Bereich, um den es hier geht, die Gemeinsamkeit aller demokratischen Kräfte ein Gebot der Stunde. Insofern bedaure ich ein wenig die polemischen Ausführungen besonders von Ihnen, Herr Schäuble; denn Sie selber haben sich ja im Ausschuß mit Ihren Kollegen völlig anders verhalten. Das sei hier einmal zu Protokoll gegeben und vor der Öffentlichkeit festgestellt.
Ich möchte Sie von der Opposition gerade zu einem speziellen Einlenken beglückwünschen. Wir haben auch ein paarmal eingelenkt, sehr richtig, aber ich möchte Sie zu Ihrem Einlenken in Richtung auf eine Hereinnahme des Kapitels 2, also des ganzen Zugangskapitels, in das Hochschulrahmengesetz überhaupt beglückwünschen. Das war ja ursprünglich von der CDU/CSU-Opposition nicht gewollt. Wir hätten in der Tat eine hier durchgehaltene Weigerung auch sehr gut als Wahlkampfmunition benutzen können, denn wir hätten ja sagen müssen — und würden das auch sagen, meine Damen und Herren von der Opposition —, daß Hunderttausende von Studierenden mit Recht mit den derzeitigen Regelungen des Staatsvertrages in dieser ganzen Frage
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Dr. Schweitzer
unzufrieden sind; das wird uns später, wenn es zu kurzen Begründungen der Anträge kommt, noch ein wenig beschäftigen.
Ich fasse an dieser Stelle zu diesem Punkt zusammen: Eine verzögerte Verabschiedung oder auch Verwässerung des vom federführenden Ausschuß dieses Hauses vorgelegten Entwurfs im Bundesrat wäre nicht zu verantworten. Dazu noch ganz kurz einige Gründe, Hinweise und Appelle an bestimmte Gruppen in unserem Volke:
Erstens. Die an unseren Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland Lehrenden und Lernenden haben einen Anspruch darauf, daß der Bundesgesetzgeber seinem Verfassungsauftrag nachkommt und in diesem so wichtigen Bereich ein Höchstmaß an Bundeseinheitlichkeit festlegt. Wir können es im Grunde keinen Monat länger hinnehmen, daß sich unsere Hochschulen weiter auseinanderentwickeln. Das hat zwar der Kollege Schäuble auch bestätigt, er hat dann aber immer wieder hinzugefügt: Ja, in den B-Ländern sieht es sehr schön aus, alles in Ordnung; in den A-Ländern funktioniert es nicht. Das ist doch einfach Geschichtsklitterung, die Ihrer im Grunde eigentlich nicht würdig ist, Herr Kollege Schäuble.
Ich wiederhole das, was ich schon vor einem Jahr hier im Plenum gesagt habe: daß sich diesem Ziel einer Bundeseinheitlichkeit A-Länder wie B-Länder unterzuordnen haben und daß dies naturgemäß für eine Reihe von Ländern bedeutet — für Länder aller Schattierungen —, Abstriche von einem jeweils erreichten eigenen Besitzstand machen zu müssen. B-Länder wie Rheinland-Pfalz, verehrter Herr Kollege Vogel, oder A-Länder wie Nordrhein-Westfalen — Herr Rau war ja vorhin auch hier — würden an ihrer Hochschulgesetzgebung kaum Änderungen vorzunehmen haben, wenn dieses Hochschulrahmengesetz in Kraft getreten sein wird.
— Doch! Das spricht für diese Länder und ebenso für diejenigen, die das Hochschulrahmengesetz im Ausschuß verabschiedet haben.
Auf der anderen Seite ist es uns Sozialdemokraten — das sage ich ganz offen — nach Fühlungnahme mit unseren politischen Freunden in Bremen z. B. auch nicht leichtgefallen, die ursprüngliche Absicht einer sogenannten Experimentierklausel fallenzulassen. Für uns gingen bei diesem Entschluß die Erfordernisse einer Bundeseinheitlichkeit eben über Parteiinteressen. Daher ist es für mich und für meine politischen Freunde eigentlich auch selbstverständlich, daß auch ein Land wie Bayern Abstriche machen sollte, etwa in puncto Paritäten, die uns nachher noch im Zusammenhang mit dem Antrag der CDU/ CSU beschäftigen werden.
Hinzu kam in der Tat — das ist schon gesagt worden —, daß wir auch neue Erkenntnisse aus den Hearings gewonnen haben. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben vorhin diese Hearings schon angesprochen. Ich finde, Sie tun denjenigen im Lande einen schlechten Dienst, die sich zur Teilnahme an solchen Hearings bereit erklären, wenn Sie diese Hearings hier immer ein wenig lächerlich machen. Diese Hearings sind sehr notwendig geworden. Der Sinn solcher Hearings liegt darin, daß wir als Parlamentarier gemeinsam noch dazulernen können,
— Wir haben sie gemeinsam beantragt. Das wissen Sie doch ganz genau.
— Ach, Herr Schäuble, lassen Sie doch diese Versuche, in karnevalistischer Weise Pluspunkte herauszuholen, die auf Ihrer Seite gar nicht drin sind.
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Ich möchte namens der Koalitionsfraktionen nur eindeutig feststellen: auf die von uns offerierte Konstruktion eines neuen sogenannten Hochschuldozenten können wir im Interesse der Sache, die wir alle gemeinsam im Auge haben sollten, nicht verzichten. Wir von der Koalition wollen in der Tat auch mit diesem Hochschuldozenten ein Stück dringend notwendiger Hochschulreform vorantreiben und mit diesen Stelleninhabern eben keine alten abhängigen Assistenten im neuen Gewande schaffen.
Die neue Konstruktion ist, wie wir hoffen, attraktiv genug — wegen der Möglichkeiten selbständigen Lehrens und Forschens, vor allem aber wegen der verbesserten Chancen des Weiterkommens im Hochschulbereich —, um einen qualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchs für unsere Hochschulen in noch größerem Umfange zu gewinnen. Wir können nur hoffen, daß sich hier auch die Länderfinanzminister ihrer ernsten Verantwortung für die Verbesserung unserer Bildung im tertiären Bereich bewußt sein werden.
An dieser Stelle möchte ich namens der SPD-Fraktion einen besonderen Appell an unsere Hunderttausende von Studierenden richten. Ich fordere diese Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland auf, bei aller Kritik, die man an jedem Gesetzesvorhaben anbringen kann, zu würdigen, daß der Bundesgesetzgeber in erster Linie ein Gesetz schaffen wollte — und, wie ich glaube, auch geschaffen hat —, das ihren, nämlich der Studenten ureigensten Interessen dienen soll. Diese Feststellung gilt auch für den in diesem Gesetz gemeinsam fixierten Zusammenhang zwischen Studienreform und Regelstudienzeiten.
Diese Regelstudienzeiten sind einerseits die Ausgangsbasis für Studienordnungen und damit Stu-. dienreformen und andererseits logische Konsequenzen derselben. Unsere Studierenden müssen ein Interesse daran haben, daß sie von Anbeginn ihres Studiums an wissen, wie sie dieses Studium im Hinblick auf die von ihnen gewählte Berufsrichtung in einem gewissermaßen dialektischen Verhältnis zwischen freier Stoff-, Lehr- und Prüfungswahl einerseits und Pflichtelementen in der gewählten Disziplin andererseits absolvieren können.
Die heute überdurchschnittlich lange Verweildauer unserer Studierenden an den Hochschulen ist ja keineswegs darauf zurückzuführen, daß unsere akademische Jugend heute etwa dem Gammeln zugeneigt wäre. Das muß auch einmal im Plenum des Deutschen Bundestages sehr deutlich festgestellt werden. Entscheidende Ursache für diese lange Verweildauer ist vielmehr der Umstand, daß es bisher in vielen Bereichen unseres Hochschulwesens nicht möglich gewesen ist, zu sinnvoll strukturierten Lehrangeboten zu kommen. Das ist jedenfalls meine Erfahrung nach 14 Jahren aktiver Tätigkeit als Lehrender an Hochschulen.
Ebenso deutlich möchte ich festhalten, daß nach meinen Beobachtungen von einem Wunsch nach weniger Leistung bei unseren Studierenden — von
einigen sozusagen natürlichen Ausnahmen abgesehen — nicht die Rede sein kann.
— Na gut. — Auch überspannt einseitige Fixierungen auf ganz bestimmte wissenschaftstheoretische Richtungen pendeln sich langsam wieder auf das normale Maß ein. Wir sollten uns in diesem Hause ebensowenig wie die Masse der Hochschulangehörigen selber verunsichern lassen von zweckbestimmten Parolen eines angeblich bewußt erzeugten Leistungsdruckes zur Abstützung einer kapitalistischen Ordnung — oder wie immer dergleichen Schlagworte mehr heißen mögen. Leistung und akademische Freiheit werden in unseren Hochschulen auch in Zukunft in einem sinnvollen, gewissermaßen dialektischen Verhältnis zueinander stehen.
Zur Frage der Gewaltanwendung wird nachher bei den Anträgen noch einiges anzumerken sein.
Meine vorletzte Bemerkung namens der SPD-Fraktion richtet sich an die Hochschullehrer. Wir haben, nicht zuletzt mit den Mitbestimmungsregelungen, wie wir glauben, auch sehr berechtigte Interessen aus den Reihen der Hochschullehrer berücksichtigt. Dazu wird später etwas zu sagen sein. Wir haben, wie wir meinen, hier eine sinnvolle Regelung für einen besser qualifizierten Nachwuchs getroffen. Auch das ist im Interesse aller hauptamtlich an den Hochschulen Tätigen. Ich möchte an diese hauptamtlich an den Hochschulen Lehrenden von dieser Stelle aus appellieren, sich auf der Grundlage dieses unseres Hochschulrahmengesetzes gemeinsam und konzentriert in den Dienst der Verbesserung unserer Bildung und Ausbildung im Hochschulbereich zu stellen.
Ich selber glaube, ein wenig ermessen zu können, welche Frustrationen bei Hochschullehrern in den einzelnen Bundesländern in den letzten Jahren durch immer neue Versuche von Teilreformen, Experimenten und dergleichen mehr entstanden sind. Gerade diesem, wenn man so will, häufiger zu beobachtenden Durcheinander, das hier und da geschaffen wurde, soll durch dieses übergreifende Hochschulrahmengesetz ein Ende bereitet werden. Wir können nur auf die engagierte Mitarbeit der hauptamtlich an den Hochschulen Lehrenden im Rahmen des hier von uns vorgelegten Gesetzentwurfes im Bereich der Studienreform hoffen. Diese muß in der Tat im Interesse aller Hochschulangehörigen — lassen Sie mich das auch zur Opposition sagen —, auch die staatlichen Prüfungen mit einbeziehen; das kann Ihnen jeder bestätigen, der ein wenig Ahnung von der Praxis hat. Wir hoffen auf die engagierte Mitarbeit der hauptamtlich Lehrenden besonders auch bei den hier zu entwickelnden Hochschuleingangsverfahren, für die nach unserer Formulierung zwar Bund und Länder die gemeinsame Verantwortung tragen, die aber sicherlich im engen Einvernehmen mit den Hochschullehrern und anderen an den Hochschulen Tätigen und Studierenden entwickelt werden.
Wir hoffen nicht zuletzt auf eine engagierte Mitarbeit im Rahmen der Verwirklichung unserer Ziel-
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Dr. Schweitzer
vorstellungen von der Gesamthochschule. Es geht uns im Hinblick auf Gesamthochschulen um eine bessere Ausnutzung der vorhandenen Lehr- und Forschungskapazitäten, um ein noch breiteres Angebot für die Studierenden und nicht zuletzt um hochschul- und gesellschaftspolitisch eminent wichtige Zielvorstellungen, die man nicht, Herr Kollege Schäuble, mit irgendwelchen ideologisch fixierten Leerformeln demagogisch abtun kann; das geht doch völlig an der Sache vorbei.
Ein letztes Wort an die Vertreter der vielen Verbände und Interessengruppen, die uns einzeln oder in Gruppen angesprochen und angeschrieben oder die eben auch an diesen ausgedehnten Hearings teilgenommen haben. An dieser Stelle sollten wir ihnen für das Engagement und für das Interesse danken, das sie in den letzten Jahren bei der Beratung dieses Gesetzgebungswerks an den Tag gelegt haben, und sollten sie daran erinnern, daß sich die auf Zeit gewählten Volksvertreter bei allen Gesetzesvorhaben nur nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden konnten und damit manche Einzelwünsche und Einzeleinwände im Interesse des Ganzen auch bei diesem hier von der Koalition vorgelegten und von der Opposition entscheidend mitgetragenen Gesetzesentwurf unberücksichtigt bleiben mußten.
Die Koalition, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ist davon überzeugt, daß die Beteiligten und Betroffenen mit diesem Hochschulrahmengesetz, das wir hier vorlegen, gut fahren werden, daß sie die dringend notwendige, gemeinsame Aufgabe der Bildungsreform mit diesem Gesetz ein entscheidendes Stück voranbringen können.
Das Wort hat ,der Herr Parlamentarische Staatssekretär Glotz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte das, was verschiedene Kollegen schon gesagt haben, bestätigen: daß in diesem letzten Jahr zwischen allen Fraktionen dieses Hauses in der Hochschulpolitik vernünftige Diskussionen stattgefunden haben, die auf beiden Seiten zu Lernprozessen geführt haben. Da Sie direkt dazu aufgefordert haben, Herr Kollege Schäuble, möchte ich auch klar und deutlich einräumen: auch die Monate und Wochen seit der Sommerpause — wir wollten bis zur Sommerpause fertig werden — haben für dieses Hochschulrahmengesetz noch etwas gebracht. Die Positionen, die Sie, Herr Gölter und Herr Pfeifer, in dieser taktischen Debatte vertreten haben — Sie haben das ja immer gesagt —, waren durchaus richtig. Wir möchten Sie nur darauf hinweisen, daß wir die Verabschiedung im Sommer wollten aus der Sorge heraus, daß die gesamtpolitische Atmosphäre nach dem Sommer dazu führen könnte, daß dieses Hochschulrahmengesetz überhaupt nicht mehr verabschiedet wird. Dies war also nicht der Versuch, eine andere Fraktion zu übertölpeln, sondern dem lag, wie gesagt, diese Sorge zugrunde. Ich freue mich, daß diese Sorge nicht in dem Ausmaß berechtigt war,
wie wir damals dachten, und daß wir jetzt noch in diesen Wochen und Monaten gut miteinander diskutieren konnten.
Herr Kollege Schäuble, lassen Sie mich, eben weil wir auch gerade im Ausschuß oft stundenlang sachlich diskutiert haben, doch noch etwas zu Ihrer Rede sagen. Sie haben heute auch hier sachliche Ausführungen gemacht, doch zwischendurch auch einen Pflichtteil an Polemik abgeliefert, die an manchen Stellen, glaube ich, nicht mehr ganz seriös war. Als Weinexperte sind Sie mir lieb und wert, aber als Hochschulexperte waren Sie mir heute nicht ganz so lieb und wert; da sind Sie manchmal über das Ziel hinausgeschossen, und ich will sagen, an einem Punkt — —
— Selbstverständlich, jeder darf dies so tun, wie er will, Herr Kollege Gölter. Aber ich halte den Versuch des Kollegen Schäuble, differenzierte Lösungen, beispielsweise bei der Personalstruktur oder beim Ordnungsrecht, über die man natürlich verschiedener Meinung sein kann, mit dem Begriff „sozialistische Doppelstrategie" zu bedenken, nur für demagogisch. Dies führt uns keinen Schritt weiter, Herr Kollege Schäuble.
Ich mag diese Art von Diskussion nicht. Aber wenn schon, dann müßte ich sagen, Herr Kollege Fuchs: Hier ist es in der Hochschulpolitik eine — von vielen von uns gemeinsam wahrscheinlich mit Sorge gesehene — Entwicklung, daß es eine konservative Doppelstrategie gibt, nämlich: im Ausschuß in den Einzeldebatten fachmännisch, sachlich, vorzüglich am Punkt — natürlich ausgehend von Ihren Wertorientierungen, wie es richtig und vernünftig ist und wie es verständlich ist —, aber dann draußen in der Öffentlichkeit, wenn es um Hochschulen geht, grobschlächtig und demagogisch. Dies ist eine schlechte Doppelstrategie, Herr Kollege Schäuble.
— Das will ich jetzt mit einzelnen dieser Punkte tun, Herr Schäuble.
Erstens möchte ich wenige Sätze zum Thema Studienreform sagen. Ich finde es gut — ich glaube, die sozialliberale Koalition sollte dafür dankbar sein —, daß die Opposition in ihren Anträgen zur Studienreform nicht mehr aufgegriffen hat, was sie noch im Ausschuß vertrat und was in vielen Diskussionen von der Opposition hier vertreten wurde. Herr Kol-
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Parl. Staatssekretär Dr. Glotz
lege Schweitzer hat schon darauf hingewiesen: Die ganze Studienreform wäre eine halbe Sache gewesen, meine Damen und Herren, wenn wir die Staatsprüfungen aus ihr ausgeklammert hätten oder wenn wir sie ausklammern würden. Das wäre eine ganz unhaltbare Sache.
Ich freue mich auch, daß kein Antrag von seiten der Opposition vorliegt, unsere Regelung mit dem Diplom, die also einen einzigen Diplombegriff für verschiedene Arten von Diplomen vorsieht, wegzubringen. Ich freue mich, daß hier keine Anträge von der Opposition gestellt worden sind.
Herr Kollege Schäuble, weil Sie immer gesagt haben, hier habe die SPD eine Erkenntnisprozeß vollzogen, und dort habe sie einen Erkenntnisprozeß vollzogen: Wir haben an manchen Stellen durchaus auch Ihre Argumente für richtig befunden; das ist ja richtig. Lassen Sie mich doch sagen: Ich hoffe, daß Sie den Erkenntnisprozeß, den Sie — die Bundestagsopposition — in diesen Punkten vollzogen haben, auch Ihren Kollegen vom Bundesrat, den konservativen Ländern im Bundesrat, vermitteln können, damit dies gewahrt bleibt und dieser wichtigste Komplex der Studienreform vernünftig über die Bühne kommt.
Eines möchte ich zu dem sagen, was Herr Gölter hier zum Thema Studienreformkommissionen angeführt hat. Herr Kollege Gölter, unsere Regelung besagt erstens, daß der Staat in allen Studienreformkommissionen mit 50 % vertreten ist. Das ist gerade deshalb gemacht worden — gegenüber sehr viel weitergehenden Forderungen aus den Hochschulen —, um die Staatsprüfungen hineinzubringen. Und zweitens, Herr Kollege Gölter, bleibt bei Staatsprüfungen ja die Möglichkeit des Staates bestehen, letztlich die Studienordnung bei Studiengängen zu erlassen, die mit einer Staatsprüfung abschließen. Insofern kann ich Ihre Bedenken, daß unsere jetzige Regelung die Staatsprüfungen in irgendeiner Form gefährde, nicht teilen.
Jetzt ein paar Bemerkungen zum zweiten großen Problem, zum Hochschulzugang. Auch da, Herr Kollege Schäuble, hilft es uns nichts, wenn wir die echten oder vermeintlichen Fehler des anderen sozusagen triumphierend verwalten. Ich glaube schon, wir brauchen eine eigene Konzeption. Ich halte nichts von diesem Verwalten, auch nichts von diesem gegenseitigen Aufrechnen; Sie haben heute ja ein bißchen eine Aufrechnungsrede gehalten. Aber wenn Sie schon sagen: „An dem Punkt habt ihr euch unseren Argumenten angeschlossen, und an dem Punkt habt ihr euch unseren Argumenten angeschlossen", dann muß ich Sie beim Zugang auf eines hinweisen: Sie wollten beim Zugang zuerst eine völlige Streichung des Kapitels. Jetzt haben wir — sicher mit Differenzierungen — die Regelungen, die die Bundesregierung vorgeschlagen hat, weitgehend auch mit Ihrer Zustimmung im Gesetz. An diesem Punkt haben Sie sich zwar nicht um 180, aber vielleicht um 150 Grad gedreht. Das heißt, hier haben wir S i e überzeugt. Wir freuen uns darüber, meine Damen und Herren.
Nun zu zwei Einzelpunkten, die allerdings wichtig sind. Sie haben gesagt, Herr Kollege Schäuble, daß durch dieses Hochschulrahmengesetz kein neuer Studienplatz geschaffen wird. Dies ist halb richtig. Es wird kein neuer Studienplatz gebaut. Aber, Herr Kollege Schäuble, es wird dafür gesorgt, durch dieses Hochschulrahmengesetz, daß bestehende Studienplätze sehr viel besser benutzt und ausgenutzt werden können als bisher. Erstens: Regelstudienzeiten — eine Regelung, wo wir einig sind. Es gibt heute Ausrechnungen, die besagen, daß wir bei 5,7 Jahren Verweilzeit in der Hochschule Mitte der 80er Jahre ohne Regelstudienzeitmechanismus in der Bundesrepublik anderthalb Millionen oder mehr Studenten haben werden. Die Finanzminister streiten sich zur Zeit darüber, ob man für diese Zeit 800 000, 850 000 oder 900 000 Studienplätze bauen könne. Dieser Unterschied ist nur durch das System der Regelstudienzeiten mit Sanktionen zu überbrücken, wie es in diesem Hochschulrahmengesetz steht. Sie können also nicht sagen, daß wir mit diesem Hochschulrahmengesetz nicht mindestens zu einer besseren Nutzung der Plätze an den deutschen Hochschulen beitrügen.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäuble?
Gerne!
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, dem Hohen Hause einmal zu schildern, wie die Opposition im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zusammen mit der Regierung gegen die Koalition für die Sanktionen bei den Regelstudienzeiten kämpfen mußte?
Herr Kollege Dr. Schäuble, nachdem Sie das schon so ausführlich geschildert haben, muß ich Sie in dem Punkt nicht wiederholen.
So etwas kann doch in einem Parlament einmal vorkommen. Sonst werfen Sie uns als Regierung doch immer vor, daß ein Regierungsentwurf erarbeitet wird und anschließend die Koalitionsparteien stur das machen, was in dem Regierungsentwurf steht. Das ist der normale Vorwurf der Opposition.
Jetzt gibt es auf einmal eine unterschiedliche Meinung in der Koalition, und jetzt unterstützt einmal,
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dankenswerterweise, die Opposition die Regierung. Das werfen Sie uns jetzt auch vor.
Das ist auch nicht sehr konsequent, Herr Schäuble.
— Herr Pfeifer, würdigen Sie bitte mein Argument. Herr Schäuble hat gesagt, es werde kein neuer Studienplatz geschaffen. Ich weise auch für die Öffentlichkeit darauf hin: Durch dieses Hochschulrahmengesetz wird dafür gesorgt, daß die bestehenden Studienplätze besser genutzt werden.
Das zweite Element sind die Fachwechsler. Es sind unsere Regelungen, die dafür sorgen werden, daß die Fachhochschule künftig nicht nur eine pure Durchlaufstation auf dem Weg zur Hochschule ist. Dies ist das zweite Element, wo wir für die bessere Nutzung der Hochschulplätze Sorge tragen. Das sollte man berücksichtigen.
Lassen Sie mich noch auf ein weiteres Element beim Zugang eingehen! Das scheint mir die wichtigste Kontroverse zu sein, die hier noch zwischen Regierung und Opposition besteht. Herr Kollege Schäuble, ich komme zur Regelung bei der Wartezeit. Wir sind uns inzwischen einig, daß wir das reine „Parkstudium" abschaffen wollen. Es ist gut, daß wir uns darüber einig sind. Wenn Sie aber bei der Regelung, wonach ein Teil der Studenten über eine berufspraktische Tätigkeit zugelassen wird, auch wieder — sozusagen — einen Filter einziehen und diejenigen, die so zugelassen werden, nun auch wieder nach der Reihenfolge ihrer Abiturnoten zulassen, dann führt das dazu, daß der durchschnittliche Abiturient — Sie haben von dem extremen Notendurchschnitt von 4,0 gesprochen; ich erinnere aber auch an den, der ein Abitur mit einem Notendurchschnitt von 2,5 oder 3,0 hat —, wenn der Druck noch stärker wird, überhaupt keine Chance haben wird, in die Hochschule hineinzukommen. Wir haben durch die jetzige Regelung die Leistung im Abitur sehr stark bewertet.
— Aber wenn Sie dem durchschnittlichen Studenten gar keine Chance geben wollen, Herr Dr. Schäuble, so halte ich dies erstens auf Grund des Numerusclausus-Urteils für verfassungsrechtlich bedenklich und zweitens politisch nicht für tragbar. Ich glaube, es ist richtig, daß wir sehr, sehr viele mit Rücksicht auf ihre Leistung zulassen. Wir sollten aber auch einem Abiturienten mit schlechterem Durchschnitt die Möglichkeit geben, in die Hochschule zu kornmen.
Damit komme ich zum dritten Punkt, den ich mir vorgenommen hatte, zu ein paar Bemerkungen über das Thema Mitbestimmung. Herr Kollege Gölter, ich anerkenne, daß man über die Frage, welche Mehrheit von Professoren in den Universitätsgremien vorhanden sein sollen, politisch verschiedener Auffassung sein kann. Das, was jetzt vorgelegt wird, ist wohl — auch von Ihnen unbestritten, hoffe
ich — voll vereinbar mit dem, was das Bundesverfassungsgericht statuiert. In einem Punkt sind wir
— und das wird uns oft vorgeworfen — sogar noch über das Verlangen des Bundesverfassungsgerichts hinausgegangen. Sie wissen, daß man bei Lehrfragen auch eine geringere Mehrheit der Professoren hätte vorsehen können, als jetzt im Hochschulrahmengesetz vorgesehen ist. Wir haben das nicht gemacht, weil wir den Universitäten ersparen wollen, ständig in Fachbereichen Geschäftsordnungsstreitigkeiten darüber zu haben, ob es nun um Lehr- oder um Forschungsfragen gehe. Ich halte das für praktikabel und vernünftig. Nun kann man sagen — wie Sie —: das, was jetzt über die Mehrheit im Gesetzentwurf steht, wollen wir politisch nicht, weil wir noch größere Professorenmehrheiten für richtig halten. Dies kann man tun. Darüber will ich mich letztlich zumindest nicht weltanschaulich streiten. Das ist eine Frage der Zweckmäßigkeit, nicht der Weltanschauung. Aber die Regelung, die jetzt da ist, ist verfassungsrechtlich voll abgedeckt. Das ist mir wichtig.
— Im weiteren Verfahren, Herr Kollege Gölter, sollten wir uns darüber unterhalten, ob Ihre Position richtig ist oder unsere, daß nämlich politisch eine größere Mehrheit von Professoren notwendig wäre, als wir sie vorsehen.
— Ich nehme das zur Kenntnis, Herr Kollege Gölter. Ich bin sicher, daß wir hier irgendwann noch eine Juristenrunde haben werden, die das dann im einzelnen aufgreifen sollte. Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß wir von der Übereinstimmung der jetzigen Regelung mit der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ausgehen.
Eine politische Schlußbemerkung zur Mitbestimmung. Herr Kollege Gölter, selbstverständlich gibt es gegenüber der Grundidee der Partizipation, der Mitbestimmung an Hochschulen und in anderen gesellschaftlichen Einrichtungen verschiedene Auffassungen. Sie wissen, daß hier ein Grundprinzip unserer Politik liegt. Da gibt es natürlich auch heute Probleme und Fehlentwicklungen. Ich weise auf zwei solcher Fehlentwicklungen hin, die gerade an Hochschulen auftreten. Das eine ist die Überforderung der partizipationsfähigen Minderheiten nicht nur der Hochschullehrer, sondern auch der Hochschulbürger insgesamt. Das ist eines der schwierigen Probleme, die bei der Partizipation in allen Einrichtungen auftritt.
Ich verweise auf ein zweites Problem: daß die „outside" nicht genügend berücksichtigt wird. Das ist also die Gesellschaft draußen, bei Unternehmen sind es die Kunden, die Verbraucher, bei Hochschulen beispielsweise ist es die Gesellschaft, sind es die Steuerzahler, die das finanzieren. Die Dinge werden also sozusagen von den Gruppen ausgemacht, die in der Hochschule drin sind. Sie achten nicht genug auf die Bedürfnisse derjenigen, die außerhalb der Institution stehen.
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Das Verhältnis zwischen Staat und Hochschule ist ein ernstes Problem, das man organisationssoziologisch betrachten muß. Da gibt es Fehlentwicklungen. Aber leider ist es nicht so, daß, wenn über Mitbestimmung diskutiert wird — oft außerhalb, manchmal auch innerhalb dieses Hohen Hauses —, konkret auf derartige Mängel hingewiesen wird. Vielmehr beschränkt sich die Opposition, glaube ich, oft darauf, Symptome, die es an den Hochschulen gibt, propagandistisch auszuschlachten und die Hochschule zu einem Argumentations-, manchmal auch zu einem gesellschaftspolitischen Konfrontationsfeld aufzubauen.
— Ich weiß, daß Ihnen — ich meine jetzt nicht Sie persönlich, Herr Kollege Benz, sondern die Opposition — das gar nicht schlecht gelingt. Ich denke daran, wieviel wichtige Probleme das Hochschulrahmengesetz regelt: Studienreform, Hochschulzugang und manches andere. Ich bin manchmal geradezu resignativ, worüber eigentlich zum Thema Hochschulen draußen diskutiert wird, was draußen von unseren Bemühungen ankommt.
Ich habe vor einem halben Jahr eine große Diskussion mit dem bayerischen Kultusminister vor vielen hundert Studenten gehabt. Dort hat jeder von uns eine Rede gehalten. Jede Rede hat eine Stunde gedauert. 55 Minuten hat Maier, 55 Minuten habe ich über Zugang, Studienreform und vieles andere gesprochen. Und fünf Minuten hat Professor Maier und fünf Minuten habe ich über Ordnungsrecht gesprochen. In den Zeitungen stand nur das, was Herr Maier und was ich über das Ordnungsrecht gesagt haben.
So weit haben wir es gebracht, meine Damen und Herren, daß die Öffentlichkeit nur noch das als wichtig empfindet, was mit dem Krawall an den Hochschulen zusammenhängt. Das ist schlimm, meine Damen und Herren! Daran haben die Krawallmacher an den Hochschulen schuld.
— Und dann haben u. a. auch diejenigen daran schuld, Herr Kollege Schäuble, die nicht so wie manche von Ihnen hier sachlich über Hochschulprobleme und viele Einzelheiten diskutieren, sondern die wie beispielsweise im Wahlkampf draußen Herr Dregger oder Herr Strauß ausschließlich „law and order" machen und die Hochschulen als Konfrontationsfeld mißbrauchen; auch die haben daran schuld, meine Damen und Herren.
— Die Partizipation und die Mitbestimmung — das möchte ich zum Abschluß des Themas Mitbestimmung noch sagen, Herr Pfeifer — haben die Konflikte zwischen den Gruppen nicht geschaffen, sondern sichtbar gemacht.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Staatssekretär, nachdem Sie eben in einer Weise das Thema Krawallmacher angesprochen haben, der man sicher zustimmen kann, möchte ich Sie fragen: Wieviel dieser Krawallmacher sind Mitglied der SPD?
Herr Kollege Pfeifer, auch diese Frage steht leider nicht in der Tradition einer vernünftigen Diskussion über Hochschulen, sondern in dem Versuch, einzelne Gruppen oder einzelne Parteien zu diffamieren.
Und jetzt lassen Sie mich etwas sagen: Ich verstehe sehr gut und teile mit Ihnen — wir haben das in der Verfassungsdebatte hier besprochen — die Kritik an manchen extremistischen Randgruppen, die es in den Universitäten gibt. Aber Sie tun der ganzen Demokratie keinen Gefallen, wenn Sie versuchen, scheibchenweise zuerst den KSV, dann den SHB und den MSB Spartakus, dann die Jusos und zum Schluß die ganze SPD in einen verfassungsfreien Raum hinauszudrängen.
Damit tun Sie dieser Demokratie keinen Dienst, meine Damen und Herren.
Richtig ist die Feststellung, die hier vorhin schon getroffen worden ist
— ich erlaube mir noch einmal darauf hinzuweisen, um von einer demagogischen zu einer sachlichen Diskussion zurückzukommen —, daß viele von denen, die heute an den Hochschulen auf Grund der Partizipation Gruppenkämpfe beklagen, früher solchen Gruppenkämpfen in der Tat nicht ausgesetzt waren, weil sie allein entscheiden konnten. Aber die anderen, Herr Kollege Pfeifer, über die entschieden worden ist, waren auf die Dauer aus den Entscheidungsprozessen nicht auszuklammern.
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Ich würde Sie bitten, zu sehen, daß das Prinzip Mitbestimmung in den gesellschaftlichen Institutionen auch ein Integrationsprinzip ist. Gerade deshalb lehnen extreme und radikale Gruppen Mitbestimmung in den gesellschaftlichen Institutionen strikt ab. Diese Mitbestimmung ist aber ein Integrationsinstrument, das wir gegenüber der Legitimationskrise, in die unsere Industriegesellschaften geraten, dringend, dringend brauchen können. Das gilt auch für die Hochschulen.
Meine Damen und Herren, der Hinweis auf vor-vornehmlich extremistische Gruppen in den Hochschulen, in der akademischen Linken ist notwendig, aber ich glaube, der ausschließliche Hinweis auf diese Gruppen verdeckt oft die eigentlichen Probleme der Hochschule. Viel schlimmer als der verbale Radikalismus — und leider ist es manchmal nicht nur ein verbaler Radikalismus — ist die konsequente Abschirmung der Universität gegen Bedürfnisse der gesellschaftlichen Praxis. Viel schlimmer ist beispielsweise der Horror, den manche Teile liberal-konservativer Professoren und manche Teile von Emanzipationsstudenten gemeinsam vor einer vernünftigen Regelung der Regelstudienzeit haben. Denn ich räume Ihnen gern ein: Auch die Gruppenuniversität — nicht nur die Ordinarienuniversität — ist zu kollektivem Egoismus fähig. Ich halte es in der Tat für ein Zeichen von kollektivem Egoismus, wenn an Hochschulen heute eine straffere Gliederung des Studiums, eine Entschlackung der Studiengänge abgelehnt wird und wenn man versucht, um sich eigene Freiheiten zu erhalten, andere — im Effekt — aus den Hochschulen herauszuhalten. Auch die hinhaltende, trickreiche, erfolgreiche Abwehrhaltung verschiedener Universitätsselbstverwaltungen etwa gegen einheitliche Kapazitätsermittlungen und gegen die Aufdeckung ungenutzter Kapazitäten ist ein solches Phänomen von kollektivem Egoismus.
Ich will gar nicht wegstreiten, daß alle diese Haltungen durchaus auch verständliche Motive haben: Die Studenten wollen mehr Zeit, um sich in einem vom Druck der Arbeitswelt freien Raum intellektuell umzusehen; die Professoren wollen ja nicht faulenzen, sie wollen forschen. Vielen Universitätsbürgern mag es noch gar nicht bewußt sein, aber dahinter steht eigentlich immer noch neuhumanistisches Gedankengut, wenn Sie so wollen, die Idee, die Universität sei eine Einrichtung der sich selbst bildenden Idealisten, der Bildung durch Wissenschaft, der Bildung als sittlicher Grundeinstimmung des Lebens — oder wie all diese Begriffe heißen, die wir kennen.
Diese Idee hat — das wollen wir zugeben — viel bewirkt, aber sie ist praktiziert worden über einem Abgrund von sozialer Ungerechtigkeit. Die Explosion der Zahlen, der Kampf um mehr Gerechtigkeit verlangen heute, glaube ich, eine neue Konzeption.
Auch durch diese Debatte, meine Damen und Herren, sollten wir unseren Hochschulbürgern klarmachen, daß sie den Funktionswandel der Hochschulen akzeptieren müssen. Denn es ist mit unseren doch wohl gemeinsamen Vorstellungen, Herr Kollege Probst, die das ganze Haus hier teilt, nicht
vereinbar, daß sich eine kleine und sozial homogene Elite in Einsamkeit und Freiheit bildet, während die Mehrheit der anderen Menschen dafür arbeitet. Dies bedeutet aber eben, daß die Hochschulen heute nicht mehr Akademien sind, wie sie Humboldt konzipiert hat. Wir müssen sie sehen und akzeptieren als Zentren der Dienstleistung mit hoher wissenschaftlicher Qualifikation, mit Elastizität nach draußen zur gesellschaftlichen Praxis, innerlich geprägt von einem Teamgeist, einem funktionsbezogenen Teamgeist. Wenn wir dies nicht schaffen, dann könnten wir gemeinsam Kräfte gegen die Hochschulen und gegen unsere Hochschulpolitik mobilisieren, die wir möglicherweise alle nicht mehr kontrollieren können.
Sie sollten also erkennen, meine Damen und Herren, daß die eigentliche Frontstellung der Hochschulpolitik in den nächsten Jahren nicht mehr so sehr zwischen Demokraten auf der einen und Extremisten auf der anderen Seite verlaufen wird, wobei wir uns dann im Einzelfall vielleicht darüber streiten, was ein Extremist ist oder was keiner ist. Die eigentliche Frontstellung an den Hochschulen wird künftig verlaufen zwischen den Parlamenten und demokratischen, reformistischen Staatsverwaltungen auf der einen Seite — wo im übrigen die Unterschiede zwischen christdemokratischer, freidemokratischer und sozialdemokratischer Verwaltung oft geringer sind, als wir gegenseitig zugeben — und einem hochspezialisierten, aber nostalgischen Akademikertum auf der anderen Seite.
Ich möchte mit diesen Begriffen nicht pauschal alle Betroffenen belegen. Es gibt nichtreformistische, nämlich stockkonservative Verwaltungen, und es gibt selbstverständlich viele Akademiker, die durchaus zukunftsorientiert sind. Aber, glauben Sie mir, der Grundkonflikt, von dem ich hier gesprochen habe denken Sie an die kommenden Diskussionen über die Kapazität der Hochschulen, die Studienreform — ist entscheidender als das von Ihnen perpetuierte Links-Rechts-Schema, das man in der hochschulpolitischen Diskussion oft hört.
Lassen Sie mich zum Schluß noch folgendes sagen. Ich bin davon überzeugt — Herr Minister Vogel ist jetzt gerade nicht im Raum —, daß er als Vorsitzender des Bundeskulturausschusses der Union, daß Sie als Bildungspolitiker der Union, daß viele in der Union eine Regelung und damit ein Hochschulrahmengesetz wollen. Sie wollen verschiedene Änderungen; dies ist von Ihrer Position aus verständlich und berechtigt. Ich sehe aber natürlich auch, daß es den einen oder anderen geben mag — auch dies ist eine, wenn Sie so wollen, in parteipolitischen Auseinandersetzungen legitime strategische Haltung —, die sagen: Nein, beim Thema Hochschule soll keine Ruhe einkehren, da muß weiterhin diskutiert werden können und offen ohne Gesetz diskutiert werden können, und wir wollen dieser Regierung keinen Erfolg im Sinne eines Gesetzes gönnen. Heute steht in der „Süddeutschen Zeitung" — Sie werden es gelesen haben, Herr Kollege Pfeifer; Sie werden dort auf einer Seite ständig zitiert —:
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Die CDU/CSU will aber die Hochschulpolitik — anders ist ihr Verhalten in den letzten vier Jahren und kurz vor der Debatte nicht zu verstehen — als Konfrontationsfeld erhalten. Der Preis, den die Koalition zahlen muß, wenn das leidige Thema des Rahmengesetzes endlich abgeschlossen und der Startschuß für die Studienreform gegeben werden kann, ist der Gesichtsverlust.
Meine Hoffnung ist, meine Damen und Herren, daß sich bei dieser Auseinandersetzung die sachverständigen Bildungspolitiker der Union durchsetzen, und nicht diejenigen, die einen Konfrontationskurs und die Hochschule als Konfrontationsfeld erhalten wollen.
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich von einer interfraktionellen Vereinbarung über den Ablauf der heutigen Beratungen Kenntnis geben. Alle Fraktionen sind auf 13.30 Uhr zu Fraktionssitzungen einberufen. Dafür soll die Bundestagssitzung bis 15 Uhr unterbrochen werden. Die Fragestunde, die während dieser Zeit angesetzt war, fällt heute aus und wird morgen am Ende der Beratungen angefügt werden. Der Ältestenrat wird auf 15.30 Uhr einberufen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Probst.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben eben eine Rede von Herrn Staatssekretär Glotz gehört, die in der Grundstimmung maßvoll und auch von konziliantem Ton war. Sie beinhaltete manche Aussagen, die er vor drei Jahren mit Sicherheit noch nicht gemacht hätte, z. B. die Aussage, daß die Hochschule eine Institution für Dienstleistungen sei.
Herr Kollege Glotz, Sie stellten in der näheren Vergangenheit öfters dar, daß Sie sich in der politischen Wertung der hochschulpolitischen Landschaft und Gesetzgebung natürlich auch geirrt und daß Sie dazugelernt hätten. So einfach ist es aber nicht. Sie und Ihre Genossen tragen durch Ihre Politik gegen Ende der 60er Jahre die Hauptverantwortung für die teilweise verheerende Entwicklung an manchen deutschen Hochschulen. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
Sie hatten damals weder die Einsicht noch den Mut, den Modetorheiten Widerstand zu leisten. Sie, Herr Kollege Glotz, haben 1968 die Drittelparität für die Universität München gefordert.
Wenn ich Herrn Möllemann richtig verstehe, möchte er die Drittelparität immer noch haben, obwohl sie mittlerweile für verfassungswidrig erklärt wurde.
Herr Kollege Glotz kritisierte noch 1972 den Entwurf des Bayerischen Hochschulgesetzes als den konservativsten Entwurf, der mit massiven Einflußnahmen des Staates ausgestattet sei. Nun, München ist Gott sei Dank nicht Berlin oder Bremen geworden. Das ist aber nicht Ihr Verdienst. Sie regierten nämlich nicht in Bayern. Ihre heutige Abkehr von damaligen Irrlehren zeigt zwar, wie flexibel Sie sind, läßt jedoch die Frage offen, was Sie morgen für opportun halten.
In diesen Tagen sah sich der Berliner Senat unter dem Eindruck der unhaltbaren Zustände an den Berliner Universitäten und vor allem aus Angst vor dem Urteil der Berliner Bevölkerung in den kommenden Wahlen gezwungen, das Berliner Universitätsgesetz von 1969 neu zu fassen. Herr Staatssekretär Glotz, wenn Sie etwas Konservatives sehen wollen, dann sehen Sie sich einmal diese Neufassung etwas genauer an. Der in den fünf Jahren entstandene Schaden wird sich jedoch — wenn überhaupt — über Nacht nicht reparieren lassen.
Die Bundesregierung und die SPD/FDP-Koalition können sich bei der Union bedanken, wenn Ihnen eine ähnliche Panne beim Hochschulrahmengesetz bisher erspart blieb, denn ein nicht gelinder Schauer erfaßt einen, wenn man nachliest, was maßgebliche Bildungspolitiker der Koalitionsparteien, die — nie lange im Amt — meist schon in die Ahnengalerie entrückt sind, in den letzten fünf Jahren zur Hochschulpolitik von sich gegeben haben. Minister Leussink — es wurde schon gesagt — wollte den Numerus clausus bis 1975 abgeschafft haben.
— Herr Möllemann, Frau Hamm-Brücher hielt jeden Menschen zum Universitätsstudium für fähig. Der Herr Minister von Dohnanyi betrachtete Bildungsfragen als Machtfragen, Klassenfragen; wahrscheinlich tut er es jetzt noch. Herr Glotz war für die Drittelparität.
Es ist ein positives Zeichen, wenn der jetzige Bundeswissenschaftsminister vor einer, wie er wörtlich sagt, an utopischen Zielen ausgerichteten Entwicklung von Bildungsgebäuden, die auf Wolken, aber nicht auf dem Boden der Tatsachen stehen, warnt. So Herr Minister Rohde.
Meine Damen und Herren, das ist ein Ansatz, den wir begrüßen.
Wer den Weg des Hochschulrahmengesetzes von Leussinks 14 Thesen über den ersten Regierungsentwurf bis zur heutigen Ausschußvorlage verfolgt, stellt gewichtige Verbesserungen fest, die auf die Argumentation der CDU/CSU und — das ist heute viel zu wenig zum Ausdruck gekommen — auf die Lehren aus der Praxis zurückgehen. Die Koalition hat viele Stellungen geräumt, aber nicht etwa wegen besserer Einsicht — dies dokumentierte sich auch heute wieder —, sondern im wesentlichen erst dann, wenn ihre Position unhaltbar geworden war.
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Dr. Probst
Wesentliche Fragen des Hochschulrechts mußten durch Gerichtsentscheidungen geklärt werden. So erklärte das Bundesverfassungsgericht 1973 Teile des niedersächsischen Vorschaltgesetzes für verfassungswidrig. Erst die Verfassungsrichter haben die Bundesregierung durch diese Entscheidung mit der Nase auf den Artikel 5 Abs. 3 des Grundgesetzes stoßen müssen, daß nämlich dem Hochschullehrer als Folge seines Grundrechts der Freiheit von Forschung und Lehre, Kunst und Wissenschaft eine herausgehobene Stellung in den Kollegialorganen der Universität zukommt.
Wie wenig die Bundesregierung und die SPD/FDPregierten Länder ihre innere Einstellung geändert haben, offenbarten sie mit dem Trick, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit Hilfe der Zusammenfassung von Assistenzprofessoren und Professoren in einer Gruppe zu unterlaufen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sofort. — Nachdem dieser Versuch gescheitert war, versuchte es die Bundesregierung mit Minimallösungen. Sie tut dem Grundgesetz gerade so Genüge, ohne zu erkennen, daß die Mehrheit der Professoren in den Gremien nicht nach Art des Aktienrechts einfach bei 51 % festgeschrieben werden kann. Bitte schön!
Bitte schön, Herr Abgeordneter Glotz.
Herr Kollege Probst, nachdem Sie nun mehrfach darauf hingewiesen haben, daß durch das Verfassungsgerichtsurteil sozialdemokratische Länder zur Novellierung ihrer Gesetze gezwungen worden seien, möchte ich Sie fragen: Was sagen Sie dazu, daß das doch ohne Zweifel christdemokratische Land Schleswig-Holstein durch das Urteil ebenfalls dazu gezwungen worden ist?
Es steht jedenfalls fest, daß bisher in hochschulpolitisch wichtigen Ländern, die sozialdemokratisch regiert sind, eine Änderung in Richtung auf das Verfassungsgerichtsurteil nicht durchgeführt worden ist, z. B. in Bremen.
Meine Damen und Herren, wir jedenfalls wollen, daß in den Gremien klare Verantwortlichkeiten geschaffen werden und daß bei den Entscheidungen der Gremien der Sachverstand der Professoren, ihre Erfahrung und ihr lebenslanges Engagement in der Hochschule ihren Niederschlag finden. Schließlich ist die Arbeit unserer. Hochschullehrer zu wertvoll, als daß man sie in politisierten, oft ergebnislosen Dauersitzungen verschleißen könnte.
Die CDU/CSU hat daher zur Frage der Mehrheitsverhältnisse konkrete Änderungsvorschläge eingebracht.
In der Frage des Ordnungsrechts verhält sich die SPD/FDP-Koalition ähnlich zwiespältig wie in der Frage der Mitbestimmungsregelung. Geschockt durch die schwerwiegenden Störungen und Terrorakte in den vergangenen Semestern, bequemte sie sich schließlich zu einem sogenannten Gewaltschutzparagraphen. Wir meinen, daß diese Bestimmung heute weitgehend ins Leere geht, da sich die Kampfformen der Linksradikalen wesentlich verfeinert haben. Wir wissen doch, welches Ausmaß der Psychoterror an manchen Universitäten angenommen hat. Hier hilft nur ein klar formuliertes Ordnungsrecht mit abgestuften Maßnahmen, wie die CDU/CSU es will.
In manchen ihrer Vorschläge erweckt die Koalition den Eindruck, als ob sie immer noch überflüssigen ideologischen Ballast nicht loswird. Die nach dem Grundgesetz nicht zulässige Relativierung des Grundrechts der Freiheit von Forschung und Lehre, Wissenschaft und Kunst durch den Passus „Verantwortlichkeit vor der Gesellschaft" fordert eine einseitige Interpretation des Grundrechts nach Artikel 5 Abs. 3 des Grundgesetzes durch Linksradikale und Kommunisten geradezu heraus. Diese Verbeugung nach links ist weder nötig noch sinnvoll.
In eine ähnliche Kategorie fallen auch die Pläne zur Gesamthochschule. Früher oder später wird die SPD/FDP-Koalition ihr verhätscheltes Lieblingskind namens Gesamthochschule fallenlassen müssen, weil sich daraus ein Monster entwickeln wird. Es hieße, das Problem der Massenuniversität noch verschärfen, würde man den Weg, der zur Gesamthochschule führt, zwingend vorschreiben. Die Zahl der Massenuniversitäten steigt. Die Massenuniversitäten wachsen sich zu nicht mehr überschaubaren monströsen Gebilden aus. Es ist nicht zu bestreiten, daß viele unserer Studenten heute vereinsamt und mutlos sind, ein Effekt, der durch die Massenuniversitäten noch verstärkt wird, wie in einem Artikel der „Welt" von gestern nachzulesen ist.
Kein Wunder, daß sich viele dieser Studierenden in politische Radikalität flüchten. Das will die CDU/ CSU vermieden wissen.
Was die verfaßte Studentenschaft angeht, so dürfte doch offensichtlich sein, daß der bisherige Weg an vielen Universitäten ins Abseits geführt hat. Die Union ist sehr für eine sinnvolle Mitverantwortung der Studenten im Hochschulbereich. Es geht uns um unmittelbare und direkte Teilnahme an der Verantwortung. Aber diese findet in den Kollegialorganen statt und nicht ausschließlich in Form einer sogenannten verfaßten Studentenschaft, die vielfältig in rechtswidriger Weise ein allgemeinpolitisches Mandat unter Mißbrauch von zwangsweise erhobenen Mitgliedsbeiträgen für sich in Anspruch genommen hat. Dabei braucht man gar nicht nur an die Aktivitäten des kommunistisch unterwanderten VDS zu denken.
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Dr. Probst
Die CDU/CSU hält an ihren Änderungsvorschlägen, die nachher noch einzeln begründet werden, entschieden fest, nicht aus Rechthaberei, sondern in Erkenntnis der Tatsache, daß das Hochschulrahmengesetz eine rechtliche und politische Weichenstellung in der Hochschulpolitik bringen würde, die nach Auffassung der CDU/CSU große Probleme der Hochschule nicht löst, sondern zusätzliche schafft. Hier können wir uns aber keinen Fehler leisten.
Die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt, daß die CDU/CSU — und nicht die Koalitionsparteien — die richtigen Marksteine auf dem Wege zu einer Neugestaltung des Hochschulwesens gesetzt hat. In aller Bescheidenheit darf ich hier auch darauf hinweisen, daß dabei vor allem Bayern und sein Kultusminister Maier die Änderung der Bewußtseinslage maßgeblich mit eingeleitet haben. Es ist noch gar nicht so lange her, daß das bayerische Hochschulgesetz von manchen lauthals als reaktionär verdammt wurde, der heute neidvoll auf die konsolidierten und modern geregelten Hochschulen des Freistaates Bayern schaut. Mancher Hochschullehrer mit gepflegtem linksliberalem Image hat sich vor dem linksradikalen Terror oder unerträglich gewordenen Arbeitsbedingungen an eine bayerische Hochschule geflüchtet, nachdem er vorher vielleicht sogar sogenannte progressive Hochschulgesetze mit verfochten hat. Schließlich dürfte es wohl auch kein Zufall sein, daß in Bayern lediglich 2 % der Studenten für eine revolutionäre Systemveränderung der Bundesrepublik Deutschland eintreten, in Bremen jedoch 50% nach der Emnid-Umfrage von 1973.
Nach Professor Nipperdey — übrigens Mitglied der SPD — gibt es in der Bundesrepublik vier Gruppen von Hochschulen. Ich zitiere aus seiner Rede vor der Mitgliederversammlung des Bundes Freiheit der Wissenschaft vom 20. November 1974 in Godesberg:
Es gibt unter den deutschen Hochschulen
1. solche, die noch einigermaßen normal funktionieren, z. B. Köln und München,
2. solche, die hart umkämpft und ständig gefährdet sind, z. B. Frankfurt und jetzt die Universitäten in Niedersachsen,
3. solche, die in wesentlichen Bereichen von Linksradikalen erobert sind, z. B. die Berliner Universitäten und die Universität Marburg,
und 4. ist zu befürchten, daß sich nach dem Muster der institutionalisierten Gegenuniversität Bremen
— so Nipperdey —
weitere Neugründungen wie Oldenburg, Osnabrück und Kassel gebildet werden.
Ein Blick in die Vorlesungsverzeichnisse gerade der vierten Gruppe muß jeden Demokraten zutiefst erschrecken. Hier wimmelt es nur so von Lehrangeboten über Klassenkampf, BRD-Imperialismus, bürgerliche Ideologien und ähnlichem.
Der Bremer Professor Geiss, der sich selbst als Linken versteht, schrieb über die Universität Bremen:
Wenn ich gewußt hätte, daß als mögliche Ausfüllung des Bremer Modells nur der sogenannte wissenschaftliche Sozialismus marxistisch-leninistischer — heute würde ich hinzufügen: in Wahrheit stalinistischer — Observanz zugelassen wird, hätte ich mich weder für diese Universität beworben noch mich an ihrer Gründung beteiligt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Im Moment nicht. Das Zitat lautet weiter:
Allmählich komme ich mir mit meiner Beteiligung an der Gründung dieser Universität nur als nützlicher Idiot für politische Kräfte vor, von deren Existenz ich im Frühjahr 1970 noch nichts wußte.
So, meine Damen und Herren, sieht es also in Bremen aus. In Hessen übernimmt derzeit die ehemalige Präsidentin der Gesamthochschule Kassel, Vera Rüdiger, die nicht unmaßgeblich an der politischen Entwicklung der Gesamthochschule Kassel beteiligt war, als Staatssekretärin die Stafette im Friedeburgschen Rahmenrichtlinienlauf. Daraus kann man doch nur entnehmen, daß die Bildungspolitiker der SPD im Kern nicht umgedacht haben, aus ihren Fehlern nicht gelernt haben, sondern die alten Ziele in einem neuen Trikot weiter verfolgen.
Dies, meine Damen und Herren, bestärkt die CDU/CSU in ihrer Überzeugung, an ihrem eingeschlagenen Weg festzuhalten. SPD und FDP haben gerade in der Hochschulpolitik ein solches Ausmaß an Fehlentscheidungen getroffen, haben sich in ideologischen Sackgassen verlaufen und zur Misere der deutschen Universitäten so eklatant beigetragen, daß es beiden Parteien schwerfallen muß, ihre Kompetenz überhaupt noch nachzuweisen. Mit halbem Herzen sind sie der Union auf dem Weg zu einer realistischen Hochschulpolitik teilweise gefolgt. Es hat jedoch keinen Sinn, um des lieben Friedens willen einen Kompromiß zu schließen, an dessen negativen Auswirkungen wir für den Rest dieses Jahrhunderts zu kauen hätten. Es geht um die Durchsetzung einer klaren Richtung.
Erstens. Die Funktion der Hochschule muß als Forschungs- und Lerneinrichtung gesehen werden, deren geordneter Betrieb gesichert sein muß, wenn es notwendig ist, auch mit law and order, Herr Staatssekretär Glotz, was ja nichts anderes bedeutet als „Gesetz und Ordnung". Wir ordnen den Staat mit Gesetzen, und deshalb ist Ordnung auf Grund der Gesetze nicht etwas, was Demokraten in einem ohnehin bedrohten Lande in dieser Weise ständig diffamieren dürfen.
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Dr. Probst
Zweitens. Die Verantwortlichkeit der Hochschullehrer für Forschung und Lehre, Wissenschaft und Kunst muß in den Entscheidungsstrukturen garantiert sein.
Drittens. Die Studienreform muß endlich durchgeführt werden. Sie führt im Ergebnis zur Regelstudienzeit.
Viertens. Die Massenuniversität — das ist ein
Kernproblem — ist aufzubrechen, in überschaubare Einheiten aufzugliedern. Schon deshalb darf die Gesamthochschule nicht zur Regel werden.
Fünftens. Die Universität hat ihren Platz in Staat und Gesellschaft. Sie unterliegt daher der parlamentarischen Kontrolle; darüber kann es überhaupt keinen Zweifel geben.
Sechstens. Der Hochschulzugang muß neu geregelt werden.
Lassen Sie mich schließen: Wenn das Hochschulrahmengesetz sich an diesen Zielen orientiert, könnte ein Wiederaufstieg der deutschen Universitäten, die einst Weltruf hatten, eingeleitet werden. Vor zwei Trugschlüssen muß jedoch die Öffentlichkeit gewarnt werden:
1. Das Hochschulrahmengesetz — das ist schon gesagt worden, aber ich unterstreiche es noch einmal — schafft keinen einzigen Studienplatz mehr. Es bringt allenfalls eine bessere Methode für die Zwangsverteilung der zu wenigen Studienplätze, aber es greift nicht die Frage auf, die sich heute jeder verantwortliche Bildungspolitiker stellen muß, nämlich ob wir es uns auch aus sozialen Gründen,
Herr Minister, werden leisten können, der Einbahnwanderung zur Universität tatenlos zuzusehen.
2. Das Hochschulrahmengesetz ändert nichts an den von Linksradikalen und Kommunisten bereits eroberten Machtpositionen in den Hochschulen. Dazu bedarf es der vielbeschworenen Solidarität der Demokraten, die endlich zu konsequentem Handeln entschlossen sein müssen.
Das Wort hat als Mitglied des Bundesrates Herr Staatsminister Dr. Vogel .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, hier einen ausführlichen Beitrag zu leisten; dies wird in dem anderen Haus des Parlaments geschehen, wo wir fraglos eine eingehende Erörterung der Gesetzesmaterie vornehmen müssen. — Übrigens, Herr Abgeordneter Möllemann, in diesem anderen Haus des Parlaments, im Bundesrat, „herrscht" die CDU nicht, sondern sie hat dort eine Mehrheit, wie Sie sie hier haben,
und sie hat ihr Recht, dort zu formulieren.
Ich wäre auch ganz dankbar, Herr Abgeordneter Schweitzer, wenn wir bei dieser Gesetzesmaterie nicht von „ihren Ländern" und „euren Ländern",
sondern von „unseren Ländern" sprächen, insbesondere beim Hochschulgesetz, weil eben hier die Län-
der nach wie vor die Last zu 90 % zu tragen haben.
Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil ich Ihnen sagen möchte, daß wir ein Hochschulrahmengesetz wollen. Wir warten seit Jahren, in der zweiten Legislaturperiode und unter der Stabführung des dritten Ministers auf dieses Gesetz. Allein der letzte Durchgang im Deutschen Bundestag hat 14 Monate in Anspruch genommen. Dennoch sage ich auch heute: Wir haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß wir das Gesetz wollen, und wenn ich „wir" sage, Herr Staatssekretär Glotz, dann meine ich auch „wir". Ich verstehe Ihren Versuch, da zu differenzieren; aber ich muß Sie leider enttäuschen: dies ist gemeinsame Meinung aller meiner Freunde; hier gibt es keinen Unterschied.
Wir werden zu einem solchen Gesetz sofort ja sagen, wenn wir zur Überzeugung kommen, daß es den deutschen Hochschulen hilft. Aber der Satz von Herrn Abgeordneten Schweitzer, daß sich die Länder dem Ziel der Einheitlichkeit unterzuordnen hätten, stimmt nicht. Denn, meine Damen und Herren, Einheitlichkeit ist kein Wert an sich. Wir wollen keine Einheitlichkeit der deutschen Hochschulen nach dem Modell von Bremen, Berlin oder Frankfurt.
Dann lieber Uneinheitlichkeit! Und wenn Sie, Herr Möllemann, das „rückschrittlich" nennen, dann bekenne ich mich gern dazu, „rückschrittlich" zu sein.
Was heute als Gesetzentwurf vorliegt, kann unsere Zustimmung — und gestatten Sie, daß ich das hier sage, damit jeder weiß, woran man hinsichtlich unserer Meinung ist — nicht finden, und zwar — zusammengefaßt — aus drei Gründen: erstens weil die Funktionsfähigkeit der Hochschule uns nicht voll gesichert zu sein scheint — die Paritäten beispielsweise, die Sie setzen, können vor den Erfahrungen der letzten fünf Jahre nicht bestehen —, zweitens weil wir die Formel von der ,,Verantwortung vor der Gesellschaft" — und dies, meine Damen und Herren, ist für uns ein ganz entscheidender Punkt — auf keinen Fall akzeptieren können. Nirgendwo in der Welt außer in einigen versponnenen Theorien ist eine solche Formel zu finden. Wir sind bereit zur Verantwortung vor Staat und Verfassung, aber nicht bereit zu einer solch nebulösen Formulierung, mit der das Saatgut einiger Landesgesetze aufzugehen scheint. Es stellt eine verfassungsrechtliche unzulässige Relativierung der vorbehaltlos geschützten Freiheitsrechte der deutschen Wissenschaft dar, wenn man so formuliert wie hier oder im vorliegenden Abänderungsvorschlag vorgesehen. Auch darf in diesem Zusammenhang die parlamentarische Verantwortlichkeit, die auch für die deutschen Universitäten gilt, nicht verkürzt werden, sondern bei ihr muß es bleiben; und deswegen dieser Widerspruch.
Der vorliegende Entwurf kann unsere Zustimmung drittens deshalb nicht finden, weil für dieses Rah-
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Staatsminister Dr. Vogel
mengesetz nicht die Finanzierung, ja nicht einmal die Kosten mit Sicherheit zu nennen sind. Die Diskussion, die Sie hatten, hat es gezeigt; ein leider unbefriedigender Briefwechsel, den ich in dieser Sache mit dem Bundeswissenschaftsminister hatte, hat es bestätigt. Selbst grobe Schätzungen, was es denn kostet, wenn man diesem Gesetz zustimmt, liegen nicht vor. Es bleibt bei der dekuvrierenden Formulierung in der Drucksache der Bundesregierung, den Ländern entstünden „gewisse Kosten".
In der gegenwärtigen bildungspolitischen Notsituation — und sehen Sie doch bitte, was die für die Länderhaushalte Verantwortlichen kürzen müssen: sie müssen zu einem Drittel im Bildungshaushalt kürzen, weil Länderhaushalte überwiegend Bildungshaushalte sind — können wir uns mit der Formulierung „gewisse Kosten" nicht abfinden. Es ist ja eine Illusion, daß keine Kosten entstünden. Berechnen Sie nur bitte einmal als eines von vielen Beispielen die Überleitungskosten, die es verursachen wird, wenn wir auf dieser Basis überleiten müßten.
Unsere Ablehnung — damit das deutlich gesagt sei —, bezieht sich auf diese drei Gesichtspunkte und ihre Konsequenzen in den einzelnen Artikeln. Sie bezieht sich nicht auf das Kapitel Zulassung; denn wir stimmen mit allen Kollegen darin überein: Eine Änderung, eine Novellierung der Regelungen des Staatsvertrags, insbesondere hinsichtlich seines § 11 Abs. 8, ist notwendig. Sie kann in diesem Gesetz geschehen, sie kann aber auch, wie Sie wissen, auf anderem Weg vorgenommen werden.
Die Verantwortlichen haben sich mit dieser Gesetzesvorlage sehr viel Zeit gelassen. Die Wandlungen seit Leussinks und Hamm-Brüchers Zeiten, die in den Texten vorgenommen worden sind, sind beachtenswert. Man kann, bitte, nicht diejenigen als Boykotteure oder als Scharfmacher bezeichnen, die sich jetzt zu Wort melden und die jetzt, weil sie über jahrzehntelange Erfahrung in Hochschulgesetzgebung und Hochschulleitung verfügen, darauf bestehen, daß ihr Wort entsprechend gehört wird. Und darum, Herr Kollege Möllemann, bitte keine zwischen den Zeilen eingestreute Drohung: Wenn ihr dort drüben nicht sofort ja sagt, dann kommen wir mit ewas ganz anderem; sondern doch bitte die Bestätigung, daß das gemeinsam weiterberaten und betrieben wird, daß man aber nicht diejenigen auf die Seite schiebt, die in den letzten Jahren unter schwierigen Bedingungen die deutschen Hochschulen am Leben halten mußten und die es nicht verdient haben, jetzt als Reaktionäre bezeichnet zu werden dafür, daß sie wenigstens an einem Teil der Hochschulen arbeitsfähige Möglichkeiten aufrechterhalten haben.
Ich kann nur sagen: Hier hat der Fortschritt in der Tat eine gewisse Tradition. Ich meine in der Tat, es ist fortschrittlich, sich um ein Hochschulgesetz zu bemühen, das allen Hochschulen diese Basis gibt. Noch scheint mir das möglich. Auf der Basis der
heute zur Verabschiedung stehenden Vorlage wird das aber leider nicht gelingen.
Meine Herren und Damen, das Wort hat der Bürgermeister Biallas, Hamburg, als Mitglied des Bundesrats.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem hier im Haus wiederholt von der Situation in den verschiedenen Bundesländern die Rede gewesen ist, nachdem mein verehrter Kollege Vogel soeben den Anschein erweckt hat, als sei es Rheinland-Pfalz und anderen Ländern, die von seinen Parteifreunden regiert werden, vorbehalten, funktionsfähige Hochschulen geschaffen und erhalten zu haben, erscheint es mir nun doch unerläßlich, einiges aus der Sicht eines Hamburger Politikers in dieser Debatte zu sagen.
Lassen Sie mich zunächst vorweg grundsätzlich feststellen, daß die Verabschiedung eines Hochschulrahmengesetzes durch den Bundestag natürlich zu begrüßen ist, weil wir alle daran interessiert sein müssen, die Einheitlichkeit im Hochschulwesen wiederherzustellen bzw. sie für die künftige Entwicklung nicht weiter zu gefährden, weil wir natürlich darauf hoffen, daß durch ein solches Gesetz neue Impulse zur Hochschul- und insbesondere zur Studienreform erfolgen können.
Herr Bürgermeister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schäuble?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, bitte!
Herr Bürgermeister, ich habe hier eine Pressemeldung aus der „Frankfurter Rundschau" vom 11. Juni 1974, und ich möchte Sie fragen, ob diese Pressemeldung zutrifft. Da heißt es, daß der Hamburger Hochschulsenator, Dieter Biallas, gesagt habe:
Statt eines solchen Gesetzes
— gemeint ist das Hochschulrahmengesetz —
sollte man besser überhaupt kein Gesetz verabschieden. Der Politiker, der in der Hamburgischen SPD/FDP-Koalitionsregierung das Amt des Zweiten Bürgermeisters bekleidet, will sich dafür einsetzen, daß die Hamburgische Landesregierung dem vorliegenden Gesetzentwurf im Bundesrat die Zustimmung verweigert.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, falls eine Reihe von Bedingungen, die Sie nun nicht zitiert haben, von diesem Gesetz nicht erfüllt werden, und dazu wollte ich gerade meine Auffassung vortragen.
Die Verabschiedung eines Hochschulrahmengesetzes ist ferner zu begrüßen — um meinen Gedanken
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9329
Zweiter Bürgermeister Dr. Biallas
von vorhin wiederaufzunehmen —, weil die unterschiedlichen Entwicklungen in der Besoldungs- und Lehrkörperstruktur gestoppt und wieder vereinheitlicht werden müssen, weil dieses Hochschulrahmengesetz den Raum autonomer Gestaltung für die Hochschulen bundesweit sichert und nicht zuletzt, weil eine Bundesregierung der Hochschulzulassung und des Hochschulzugangs einer Regelung über den Staatsvertrag natürlich vorzuziehen ist. Aus diesen Gründen ist ein Hochschulrahmengesetz notwendig.
Die Absichten der Regierung und der Koalitionsfraktionen des Bundes sind von den CDU-regierten Ländern — jedenfalls wenn man die Debatte im Hause verfolgt und wenn man auch das — Sie haben ja auch darauf verwiesen —, was draußen gesagt wird, verfolgt — doch immer wieder untergraben worden. Als Grund solcher Bemühungen kann man wohl nur konstatieren, daß Reformen hier in der Baisse gehandelt werden, daß es eine generelle Reformunwilligkeit der Union gibt und daß es das Bemühen gibt, partikularistischen Interessen den Vorrang — zuweilen jedenfalls — vor bundeseinheitlichen Regelungen zu geben.
Es liegt nunmehr als Ergebnis ein Gesetzentwurf vor, bei dem die sozialliberale Koalition weitgehende Kompromisse gemacht hat. Das betrifft die Lehrkörperstruktur und die Mitbestimmungsfragen, wo sich, wie ich glaube, in der Haltung der Union, insbesondere auch in dem Beitrag des Herrn Abgeordneten Probst, das deutliche Mißtrauen gegen Mitspracherechte, das auch in anderen Bereichen die Politik der Union kennzeichnet, erneut bestätigt.
Das — diese Kompromisse — betrifft die Studienreform, die im Grunde konsequent nur auf dem Weg über die integrierte Gesamthochschule zu erreichen ist, will man nicht die überkommene, durch die gegenwärtige Situation eigentlich nicht zu rechtfertigende, unorganische Zersplitterung des tertiären Bereichs fortschreiben und eben durch Hochschulen mit unterschiedlichem Sozialprestige die dringend notwendige Ausdehnung praxisorientierter Studiengänge und die für eine moderne Ausbildung unerläßliche Flexibilität zwischen den verschiedenen Bildungszweigen des Tertiärbereichs gefährden. Gerade hier aber, in diesem Auftrag Gesamthochschule, integrierte Gesamthochschule zu schaffen, ist der Einfluß der Opposition auf den Gesetzentwurf besonders deutlich.
Auch der Beitrag von Herrn Probst, wie vieles, was von der Union in der Öffentlichkeit gesagt worden ist, erweckte in mir den Eindruck, als sei es eines der vorrangigen hochschulpolitischen Ziele der Union, die Studentenschaft zu disziplinieren. Das jedenfalls, was zum Ordnungsrecht gesagt wurde, und die vielfältigen Anstrengungen, es restriktiv zu gestalten, lassen daran wohl kaum Zweifel. Und man fragt sich, ob sich hier nicht bei manchem Unionspolitiker die späte Rache an einer Bewegung vollzieht, die als geistiger Aufbruch ihren Ausgang auch von den Hochschulen genommen hat, dann im Endeffekt natürlich zur Installation einer sozialliberalen Koalition führte
und die in ihrer Konsequenz der CDU/CSU natürlich nicht recht sein kann. So steht denn auch zu befürchten, meine Damen und Herren, daß das Ordnungsrecht in CDU-regierten Ländern — und das ist sehr wohl ein ernstzunehmender Gesichtspunkt auch für die übrige politische Landschaft — dazu benutzt werden könnte, mißliebige politische Aktivitäten an den Hochschulen zu unterdrücken.
Überdies muß man sagen, daß die Erfahrung im Grunde lehrt, daß die wirklich ernstzunehmenden und wirklich gefährlichen Aktivitäten gegen Lehrveranstaltungen, gegen Mitglieder der Hochschulen häufig genug ja gar nicht von Studenten, sondern von anderen wahrgenommen werden, so daß die Möglichkeit der Exmatrikulation doch keineswegs das Strafrecht überflüssig macht. Im Grunde, so glaube ich, wird durch Ordnungsrecht nicht viel bewirkt werden können.
Ich muß wohl auch Wasser in den Wein manch anderer Erwartungen an das Hochschulrahmengesetz gießen. Es ist sicherlich ein erstrebenswertes Ziel, die Verweildauer der Studenten an den Hochschulen zu verkürzen und auch im Interesse der Studenten selbst eine möglichst zügige Ausbildung zu ermöglichen. Dies — und dafür schafft der Gesetzentwurf die Voraussetzung — wird in erster Linie durch Maßnahmen der Studienreform erreicht werden müssen.
Die Kapazität unserer Hochschulen, insbesondere die in den Numerus-clausus-Fächern, wird ja doch vor allem bestimmt durch einen gewissen Katalog, durch eine beschränkte Anzahl von Lehrveranstaltungen, die eben beschränkten Zugang, beschränkte Teilnehmerzahlen haben auf Grund mangelnder technischer Einrichtungen, auf Grund auch mangelnden Personals. Kapazität an den Hochschulen zu erweitern, heißt letzten Endes doch eben gerade, diese Flaschenhälse einer Ausbildung zu dehnen oder aber — das wäre die Konsequenz — den mehrfachen und häufigen Zugang zu solchen Flaschenhälsen zum Erwerb von Leistungsnachweisen zu verhindern. Ich glaube nicht, daß, wenn man sich darüber klar ist, die Regelstudienzeiten mit den anschließenden Sanktionen als Ei des Kolumbus gelten können. Diese Regelstudienzeiten, die ja auf Höchstzeiten hinauslaufen, sind wohl auch deshalb nicht geeignet, solche Ziele zu erreichen, weil unter anderem, wie es der Gesetzentwurf vorsieht, eine Exmatrikulation doch nur dann erfolgen soll und kann, wenn die für einen Studiengang notwendigen Veranstaltungen dem einzelnen ordnungsgemäß nicht zugänglich waren. Dies aber ist doch gerade die entscheidende Aufgabe, die vor einer Reglementierung zu lösen wäre, und es ist außerordentlich schwer, solche ordnungsgemäßen Bedingungen zu sichern.
Zudem müßte geprüft werden, ob nicht andere, vom einzelnen nicht zu vertretende Umstände die Einhaltung der Studienzeit verhindert haben. Es wäre auch nachzuprüfen, ob nicht durch Tätigkeit in der Selbstverwaltung oder für die Studentenschaft Aufschub zu gewähren wäre. Zudem läßt die Überantwortung solcher Entscheidungen an Fachbereich oder Verwaltung natürlich die Gefahr entweder zu großzügiger oder restriktiver Handhabung aufkom-
9330 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Zweiter Bürgermeister Dr. Biallas
men. Da solche Entscheidungen selbstverständlich der Verwaltungsgerichtsbarkeit unterliegen, werden Hochschulen und Staat durch eine Fülle schwieriger Rechtsstreite und möglicherweise widersprechender Entscheidungen zunächst immer aufs neue in Unsicherheit über die Handhabung solcher Sanktionen gedrängt werden. Schließlich aber wird das Ganze einen Verwaltungsaufwand verursachen, von dem füglich bezweifelt werden muß, ob er noch in angemessener Relation zum Erfolg steht.
Es ist hiernach nicht sicher, daß der Nutzen für die Allgemeinheit dennoch so beträchtlich sein kann, daß damit der zweifellos nicht wünschenswerte Eingriff in die Entscheidung einzelner gerechtfertigt werden kann. Bedenklich erscheint ein solcher Eingriff natürlich auch vor dem Hintergrund, daß er die sozial schwächergestellten Studenten deshalb besonders trifft, weil bei ihnen die Nebenbeschäftigung zur Finanzierung des Studiums sehr wohl zu Studienverzögerungen führen kann, ohne daß deshalb schon eine im Gesetz vorgesehene Studienzeitverlängerung gewährt werden könnte. Ich bin nicht ganz sicher, ob wir nicht dem Schlachtruf des sozialen Numerus clausus Vorschub leisten, insbesondere solange mit Recht geltend gemacht werden kann, daß Studienförderung in vielen Fällen eben nicht zureicht.
Dennoch, meine Damen und Herren, wenn Regelstudienzeiten dazu dienen können, wirklich Kapazität zu erweitern, und wenn die Ausnahmeregelungen vernünftig genug sind — nun gut, dann mag ein solcher Eingriff wohl für manchen gerechtfertigt
sein; fragwürdig bleibt er.
Zum Schluß möchte ich auf bewährte Modelle der Hochschulform verweisen. Es ist in dieser Debatte immer wieder davon die Rede gewesen, daß die Länder am besten gefahren seien, die sich der Hochschulreform am beharrlichsten verschlossen haben.
Ich glaube, dieser Eindruck kann, mindestens vor dem Hintergrund der Hamburger Situation, nicht aufrechterhalten werden. Die Hamburger haben zu einer Zeit eine Hochschulreform durchgeführt, als — Sie verzeihen, Herr Abgeordneter Probst — die Bayern auf diesem Gebiet, so glaube ich, das Wort „Reform" noch nicht einmal buchstabieren konnten.
Hamburg hat mit seinem Universitätsgesetz, dem Fachhochschulgesetz und dem Gesetz für die Künstlerischen Hochschulen Regelungen geschaffen, die einerseits die dringend gebotenen Veränderungen brachten und andererseits dennoch arbeitsfähige Hochschulen ermöglichten, in denen sich Konflikte in Grenzen hielten und von den Beteiligten in den dafür vorgesehenen Organen selbst ausgetragen und bereinigt wurden. Diese Mechanismen zur Konfliktregelung sind doch gerade in einer pluralistischen Gesellschaft, zu der dann auch pluralistische Hochschulen gehören, Ziel und Zweck von Mitbestimmungsregelungen.
Die Hamburger Hochschulgesetze haben damit allem, was von den Kritikern der Hochschulreform inzwischen insgesamt — und speziell zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung — gesagt worden ist, den Wind aus den Segeln genommen; denn die Hamburger Regelungen sind mindestens das, was der Bund als Rahmenregelungen vorschreibt.
Damit ist der Beweis erbracht, daß solche Regelungen jedenfalls praktikabel und funktional sind. Die Praxis zeigt es. Es ist auch keineswegs die Leistung der Hamburger Hochschulen beeinträchtigt worden. Die Hamburger Universität erfreut sich nach wie vor eines ausgezeichneten Rufs, eines besseren Rufes als manche andere, die in der stillen Beschaulichkeit alter akademischer Traditionen versucht, weiter dahinzuleben.
Wir haben versucht, in Hamburg durch Studienordnungen das Lehrangebot so zu gestalten, daß das Studium in sechs bis acht Semestern abgeschlossen werden kann. Wir haben den Studenten durch Studienreformen Orientierungshilfen gegeben, nach denen sich die Mehrzahl der Studenten richtet. Die Hamburger waren die ersten — mittlerweile von den anderen Kollegen in den Bundesländern beneidet —, die auf Grund ihres Universitätsgesetzes Kapazitätsberechnungen vorgelegt haben. Diese Kapazitätsberechnungen sind nunmehr Modell für die Regelungen in den anderen Bundesländern.
Hier muß ich eines ganz deutlich sagen: Bei Kapazitätsberechnungen gibt es eben keine objektiven Parameter. Da kommt es durchaus darauf an, wie das I Leistungsvermögen eines einzelnen Fachbereichs bewertet wird. In diesem Zusammenhang haben sich die Mitbestimmungsregelungen in Hamburg sehr wohl bewährt; denn es ist keineswegs auszuschließen, daß Hochschullehrer — es wurde von Egoismus geredet; ich kenne Beispiele dafür; ich bin selbst einer gewesen— aus Egoismus heraus versuchen, die Kapazität ihres Fachbereichs zu beschränken, wenn es um die Kapazitätsberechnung geht. Es sind Studenten und andere Leute gewesen, die gesagt haben: Das ist im Interesse derer, die auf der Straße stehen, nicht zulässig. Wir müssen bis an den Rand unserer Möglichkeiten gehen. Das ist eine Konsequenz, die bei Mitbestimmung, auch bei studentischer Mitbestimmung, allzu häufig übersehen wird.
Herr Bürgermeister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber gern!
Herr Bürgermeister, nachdem Sie nach meinem Eindruck offenbar zum Ende Ihrer Rede kommen, meine Frage entgegen Ihrer Ankündigung aber nicht beantwortet haben, möchte ich Sie noch einmal fragen. Sie haben am 10. Juni erklärt, daß Sie sich dafür einsetzen wollten, daß das Land Hamburg im Bundesrat diesen Gesetzentwurf ablehne. Sie haben diese Kritik laut diesem Artikel in der „Frankfurter Rundschau"
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9331
Dr. Schäuble
vom 11. Juni damit begründet, daß das Bewußtsein, daß Reformpolitik augenblicklich in Mißkritik geraten sei, zu stark durchgeschlagen sei. Sie haben das zweitens mit dem vorgesehenen Ordnungsrecht, drittens mit den Regelstudienzeiten und viertes damit begründet, daß von der Hochschulmitbestimmung die Fragen der Lehre und Forschung ausgeschlossen werden sollten. In welchen dieser Punkte ist Ihre Kritik durch die Veränderung des Gesetzentwurfs seit dem 10. Juni bis heute hinfällig geworden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es hat bisher glücklicherweise noch kein Ordnungsrecht gegeben.
— Nein, ein abgestuftes Ordnungsrecht, wie es Ihnen vorschwebt, ist etwas anderes als diese Bestimmung.
— Würden Sie mich bitte ausreden lassen!
Zum anderen ist sehr die Frage, wie die Ausgestaltung dieser Regelstudienzeiten vorgenommen werden soll. Das war damals sehr die Frage.
— Aber es waren Sanktionen im Gespräch.
Drittens muß ich Ihnen sagen, daß ich natürlich immer noch den Eindruck habe, daß in Ihren Änderungsanträgen die Reformunwilligkeit immer noch sehr durchschlägt.
Jetzt komme ich wirklich zu der Schlußbemerkung, die ich mir selber vorgenommen habe.
— Natürlich habe ich Ihnen die Antwort gegeben. — Die zusammenfassende Würdigung eines Hochschulrahmengesetzes wird erst dann möglich sein, wenn über Ihre Änderungswünsche in Bundestag und Bundesrat befunden worden ist. Dann wird es mir auch möglich sein, die allgemeinen Maßstäbe, die ich in jenem Artikel genannt habe, auf dieses spezielle Gesetz anzuwenden. Ich muß Ihnen aber sagen: Nach meiner Auffassung ist hier kaum noch nennenswerter Spielraum für die Vorstellungen der Gestrigen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schuchardt.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schäuble hat vorhin die sozialliberale Koalition hier in Bonn für eine politische Sackgasse verantwortlich gemacht. Nun frage ich mich allerdings, wie das in einem Bundestag möglich ist, der im Bildungsbereich so gut wie überhaupt keine Kompetenzen hat und heute in diesem
Zusammenhang den ersten Versuch unternimmt, eine Rahmenkompetenz, die er hat, auszufüllen. Insoweit kann man diese Äußerung ja wohl nur als eine Irreführung der Öffentlichkeit betrachten.
Zum zweiten. Herr Schäuble, Sie haben von uns erwartet, daß wir uns auf Grund Ihres Vorwurfs der verzögerlichen Behandlung entschuldigten.
Ich will es differenziert tun. Wir haben nie etwas gegen Anhörverfahren einzuwenden gehabt, die Sie beantragt haben. Was uns vor der Sommerpause allerdings zutiefst gestört hat, war, daß Sie die Ausschußberatungen durch stundenlange Geschäftsordnungsdebatten hingehalten haben, statt die Debatten mit Inhalt zu füllen. Dagegen haben wir uns gewendet, gegen nichts anderes. Ich kann nur sagen: Jeder Jungdemokrat wäre vor Neid erblaßt, wenn er solche Geschäftsordnungsexzesse in irgendwelchen gemeinsamen oder gemischt zusammengesetzten Organen erlebt hätte. Gegen so etwas haben wir uns gewendet, Herr Schäuble. Sie haben die Geschäftsordnungsdebatte benutzt, um inhaltlichen Debatten auszuweichen. Hätten wir vor der Sommerpause genau die gleiche Kooperationsbereitschaft bemerkt, die Sie nach der Sommerpause Gott sei Dank an den Tag gelegt haben, wären wir eher fertig geworden. Insoweit möchte ich eine differenzierte Entschuldigung mit dem Dank für die Kooperationsbereitschaft nach der Sommerpaurse verbinden.
— Aber es ist immerhin eine völlig neue Erfahrung, daß sich die CDU an Jungdemokraten orientiert.
Meine Damen und Herren, die Notwendigkeit eines Rahmengesetzes möchte ich noch einmal kurz zusammenfassen. Zu einer Zeit, wo in einer Reihe von Studienfächern kein Studienbewerber mehr die Möglichkeit hat, die Hochschule oder gar das Bundesland auszusuchen, in dem er studieren möchte, kurz: wo eine Studienplatzvergabe bundesweit geregelt wird, ist es wohl notwendig, daß man gerade den Bereich der Hochschulpolitik bundesgesetzlich regelt.
Es hat eine Reihe einvernehmlicher Formulierungen gegeben. Wir haben uns im Ausschuß bemüht, uns möglichst schon so weit entgegenzukommen, wie es vertretbar war. Daß es dennoch unterschiedliche Auffassungen gibt oder erhalten geblieben sind, wird niemanden besonders erstaunen.
Meine Damen und Herren, die Kooperationsbereitschaft, die ich eben erwähnte, die von seiten der Opposition gezeigt wurde, bekam bereits am Tage nach der Verabschiedung eine überraschende Wendung, als der wissenschaftspolitische Sprecher Pfeifer in einer Presseerklärung mitteilte, daß die wohl noch verbleibenden gravierenden unterschiedlichen Auffassungen noch ausgeräumt werden müß-
9332 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Frau Schuchardt
ten — es versteht sich: im Sinne der CDU/CSU —, wenn es überhaupt zum Hochschulrahmengesetz kommen sollte. Dies ist allerdings, Herr Minister Vogel, ein Ton, der sich sehr stark von dem unterscheidet, was Sie hier eben gesagt haben. Ich kann nur sagen: Der Ausgangspunkt für die Diskussion im Bundesrat ist damit nicht als besonders positiv zu bewerten. Ich frage mich in diesem Zusammenhang erneut, warum eigentlich die Opposition im Mai 1969 einer Grundgesetzänderung zugestimmt hat, durch die die Rahmenkompetenz dem Bund übertragen worden ist, wenn sie immer wieder sofort darauf hinweist, daß sie es gern verhindern würde, zu einer rahmengesetzlichen Regelung zu kommen.
Meine Damen und Herren, die Kompromißbereitschaft, die wir im wesentlichen spüren konnten, ist heute in einer sehr eigenartigen Weise von Herrn Schäuble interpretiert worden. Herr Schäuble hat nämlich gemeint, wir hätten die ursprünglichen Meinungen der CDU übernommen und hielten sie jetzt grundsätzlich für richtig.
Nach meiner Meinung ist Kompromißbereitschaft eine der grundlegenden Voraussetzungen für einen Demokraten überhaupt, und ich halte es für außerordentlich unfair, wenn man diese Kompromißbereitschaft dann so auslegt, als habe sich allein die Überzeugung einer Seite durchgesetzt.
Herr Möllemann hat bereits angedeutet, daß ich mich noch mit den Fragen des Hochschulzugangs und der Personalstruktur befassen möchte. Der Bereich des Hochschulzugangs hat im Laufe der Beratungen des Ausschusses eine Reihe von Änderungen erfahren. Was aber das Entscheidende ist: Er ist anerkanntermaßen auch von der Opposition als ein Bestandteil des Hochschulrahmengesetzes betrachtet worden. Dies ist nun in der Tat eine ganz wesentliche und positive Änderung, die hier von seiten der Opposition vorgenommen wurde. Ich möchte nur daran erinnern, daß Herr Minister Vogel bei der Einbringung dieses Gesetzes ein striktes Nein zu einer bundesrechtlichen Regelung des Hochschulzugangs gesagt hat, und zwar mit zwei meiner Meinung nach sehr bemerkenswerten Argumenten.
Einmal meinte Herr Dr. Vogel, daß ein solcher Passus im Hochschulrahmengesetz wohl vor allem der mangelnden Erfahrung der Bundesregierung in dieser Frage zuzurechnen sei. Nun, heute, nach einem Jahr weiterer Erfahrung mit dem Staatsvertrag der Länder, wissen wir, daß man diese Aussage wohl nur als arrogant und nicht als richtig bewerten kann.
Zweitens wies Herr Dr. Vogel damals darauf hin, daß immerhin elf Länderparlamente diesem Staatsvertrag nach ausführlicher Beratung zugestimmt hat-
ten. Nun, dies wiederum kann man wohl nur als Zynismus betrachten, weiß man doch, daß die Länderparlamente nur noch die Möglichkeit haben, ja oder nein zu sagen,
da es sich hier im wesentlichen um ausgearbeitete Werke der Kultusverwaltungen handelt. Von einer gestaltenden Mitbestimmung der Parlamente kann wohl kaum eine Rede sein.
Wir haben keinen Zweifel daran gelassen, daß wir uns im Falle eines Scheiterns des Hochschulrahmengesetzes immer für die Ablösung des Staatsvertrages und die Ersetzung durch eine bundesgesetzliche Regelung einsetzen würden. Die Behauptung, daß der Bund für diesen Bereich keine Gesetzgebungskompetenz hat, weil kein Bedürfnis für eine bundesgesetzliche Regelung besteht, wird selbst durch das Bundesverfassungsgericht widerlegt. Danach ist es in erster Linie Sache des Bundes, die notwendigen Regelungen der Voraussetzungen für Zulassungsbeschränkungen und der anzuwendenden Auswahlkriterien zu treffen.
Der Text in der Ausschußfassung enthält auch zu der Frage des Hochschulzugangs eine Reihe von Änderungen. Natürlich wird auch die jetzige Fassung nicht ideal genannt werden können. Wie könnte es auch anders sein in einem Bereich, in dem man den Mangel verwaltet! Die vorgesehenen Regelungen sind aber unserer Meinung nach besser und gerechter als die gegenwärtigen im Staatsvertrag. Darüber hinaus meine ich, daß dieses Hochschulrahdengesetz eine flexiblere Handhabung von erforderlichen Änderungen durch Bundesgesetz in stärkerem Maße sicherstellt.
Die Mängel des Staatsvertrages werden von seiten der CDU ja erst in jüngster Zeit zugegeben. Es entsteht fast der Eindruck, als habe man diese Mängel irgendwann einmal gutgeheißen. Ich komme noch auf die Frage der Leistungsbewertung zurück, die Herr Schäuble vorhin ansprach.
Das im Staatsvertrag vorgesehene Zulassungsverfahren vorwiegend nach Abiturnotendurchschnitt führt zu unerträglichen Ergebnissen.
Jeder weiß, daß die Notengebung von Land zu Land, von Schule zu Schule, ja sogar von Lehrer zu Lehrer, völlig unterschiedlich ist. Eine Korrelation zwischen Abiturdurchschnittsnoten und Studien- und Berufserfolg ist bisher noch nicht nachgewiesen worden. Es dürfte wohl inzwischen auch Einigkeit darber bestehen, daß Schulnoten nur als grobe Orientierung dienen können und daß die Verteilung von Lebensschancen nach Dezimalstellen hinter dem Komma von Durchschnittsnoten sinnwidrig ist. Im übrigen muß noch einmal darauf hingewiesen werden, daß die Rückwirkungen in die Sekundarstufe II bei einer so starken Bewertung der Abiturnoten sehr negativ zu bewerten ist. Die Oberstufenreform wird in Frage gestellt, weil die Schüler ihre Wahl-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9333
Frau Schuchardt
) fächer nicht nach Neigung und Eignung, sondern nach den Zulassungskriterien aussuchen.
Die wohl wichtigsten Kriterien und Änderungen für den Hochschulzugang stellen sich wie folgt dar: Etwa ein Drittel der Studienplätze werden für Bewerber, für die soziale Härte zutrifft oder die sich für Bereiche besonderen öffentlichen Bedarfs bewerben, für ausländische und staatenlose Studierende sowie für Studienwechsler und Zusatzstudierende offengehalten. Die verbleibenden zwei Drittel der Studienplätze werden überwiegend nach dem Grad der Qualifikation für das gewählte Studium vergeben, wobei — und das ist das Entscheidende — die Länder für die Vergleichbarkeit dieser Qualifikation zu sorgen haben und die Leistungen, die über die Eignung für einen besonderen Studiengang besonderen Aufschluß geben, auch besonders gewichtet werden. Der verbleibende Teil, also höchstens etwa ein Drittel — der genaue Prozentsatz wird durch die Rechtsverordnung zu bestimmen sein —, wird unter Berücksichtigung der Dauer der Berufstätigkeit und der Berufsausbildung vergeben.
Meine Damen und Herren, Herr Schäuble hat hier gesagt, daß der heute vorliegende Entwurf eines Hochschulrahmengesetzes einen Sprung zwischen denjenigen enthalte, die mit einer Durchschnittsnote von 1,7 vielleicht noch zugelassen werden, und denjenigen, die mit einer Durchschnittsnote von 1,8 genausolange warten müssen wie diejenigen, die das Abitur mit knapp „ausreichend" bestanden haben.
Dieses ist falsch; denn gerade die FDP hat Wert darauf gelegt, daß für einen Teil der Studienplätze — der Prozentsatz ist wiederum durch eine Rechtsverordnung genau festzusetzen — die schulische und die berufspraktische Qualifikation zusammen gewertet werden. Durch diese kumulative Bewertung wollen wir Härten, die durch den starken Sprung zwischen gerade noch für ein bestimmtes Studienfach Zugelassenen und nicht mehr Zugelassenen entstehen könnten, verhindern. Nichts anderes bewirkt das, was Sie vorhaben, nur daß Ihre Vorschläge leider zu einer totalen Benachteiligung derer führen, die zwar das Abitur bestanden, aber schlecht bestanden haben. Daher ist, meine ich, Ihr Vorschlag eher mit dem Vorwurf zu belegen, daß Sie das Abitur in Frage stellen, weil Sie nämlich dann die Zensurgebung dem Abitur generell vorziehen.
Meine Damen und Herren, die besonderen Auswahlverfahren sollen im Zusammenwirken von Bund und Ländern entwickelt werden. Dieses gilt natürlich besonders für Fachbereiche, wo die Durchschnittsabiturnote so gut wie überhaupt keinen Aufschluß über die spätere Studienfähigkeit gibt. Zweitens sollte auch überlegt werden, ob solche besonderen Auswahlverfahren nicht eine zusätzliche Chance eröffnen sollten. Ich möchte hier eindeutig darauf hinweisen, daß meine Fraktion dieses Auswahlverfahren nicht als einen Einstieg in eine generelle Hochschuleingangsprüfung ansieht.
Das Entscheidende und damit sicherlich auch Entlastende für die Hochschulen wird darin liegen, daß
wir die heute noch sehr beliebten Wartestudien abgeschafft haben und daß damit vielleicht erreicht werden kann, daß einige Studienfächer, die heute unter dem Numerus clausus leiden, zukünftig nicht mehr darunter leiden werden und auf der anderen Seite echte Interessenten an einem Studienfach nicht Wartezeiten hinnehmen müssen, weil sogenannte Wartestudenten ihren Studienplatz blockieren.
Wir sind der Auffassung, daß das Wichtigste unter dem Kapital des Hochschulzugangs die Rechtsverordnung des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft ist. Die Vorschläge, die von der CDU/ CSU unterbreitet werden, nämlich daß die Länder einheitliche Verordnungen erlassen sollten, können ja wiederum nur über einen Staatsvertrag verwirklicht werden. Um die Schwerfälligkeit eines solchen Vertrages eben auf Grund der erforderlichen Einstimmigkeit wissen wir. Wir haben ja unsere Erfahrungen mit dem heutigen Staatsvertrag gemacht. Im übrigen würde sich diese von der CDU/CSU vorgeschlagene Lösung erneut parlamentarischer Kontrolle entziehen. Aber parlamentarische Kontrolle ist es ja gerade, die wir als Koalition einführen wollten, insbesondere in einem Bereich, der viele unserer Bürger so wesentlich betrifft.
— Meine Damen und Herren, die Rechtsverordnung ist insoweit sicherlich sehr viel einfacher durch diesen Bundestag zu kontrollieren, als sie unter der Federführung des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft erlassen wird. Im übrigen ist dann auch nur eine Zustimmung des Bundesrates mit Mehrheit, nicht aber die Einstimmigkeit sicherzustellen. Das ist ein wesentlicher Fortschritt.
Meine Damen und Herren, die Ermittlung und Festsetzung der Kapazitäten wird wohl zu den schwierigsten Aufgaben gehören. Die Hochschulen haben sich, was dies angeht, in der Vergangenheit nicht gerade so verantwortlich gezeigt, wie es ihrem eigenen Wunsch nach Autonomie angemessen gewesen wäre. Es wird nicht zuletzt von der Verantwortlichkeit der Hochschulen und ihrer Organe abhängen, ob die Kapazitäten optimal genutzt werden und wie hoch die Zahl der abgewiesenen Bewerber ist. Nehmen die Hochschulen die hierin liegende Herausforderung nicht an, werden sie selbst ihre Autonomie in Frage stellen.
Was die Personalstruktur angeht, die in den Auseinandersetzungen einen großen Raum einnimmt, so ist zu sagen, daß wir uns von der Konstruktion des Assistenzprofessors getrennt haben. Herr Schäuble, ich erinnere daran, daß wir uns bei der Einbringung des Gesetzes sehr offen zu dieser Frage geäußert haben.
Ich mache aber auch keinen Hehl daraus, daß es für uns sehr schwierig war, uns grundsätzlich von dem Assistenzprofessor zu trennen, weil wir der Meinung sind, daß damit gleichzeitig auch die Konstruktion des Professors auf Zeit verhindert wurde. Dieses, so meine ich, ist eine negative Begleiterschei-
9334 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Frau Schuchardt
nung. Das hohe Qualifikationsniveau auf der einen Seite und die soziale Unsicherheit durch die befristete Tätigkeit der Assistenzprofessoren auf der anderen Seite haben aber dann doch zu der Einsicht geführt, daß die Konstruktion des Assistenzprofessors nicht beibehalten werden sollte.
Der Hochschullehrernachwuchs wird sich künftig vorwiegend aus der Gruppe der Hochschuldozenten ergeben, die während ihrer Tätigkeit als Dozenten ihre Qualifikation sowohl in selbständiger Forschung als auch in selbständiger Lehre erwerben sollen. Durch die selbständige Wahrnehmung von Lehraufgaben wird die Fähigkeit in der Lehre nachweisbar. Eine wesentliche Frage, die uns beschäftigt hat, lautete ja: Wie vermitteln wir eigentlich dem zukünftigen Hochschullehrer die Befähigung zur Lehre? Wir sind der Meinung, daß man die Hochschuldozenten, um ihre Unabhängigkeit sicherzustellen, in der Betreuung dem zuständigen Hochschulorgan und nicht obligatorisch einem Professor zuordnen sollte.
— Natürlich wird das Organ delegieren;
das Entscheidende ist aber, wer diesbezüglich die Federführung hat. Wenn Sie eine obligatorische Zuordnung zu einem Professor haben, ist damit zugleich ein unmittelbares Abhängigkeitsverhältnis zwischen Hochschuldozent und Professor gegeben. Das ist doch wohl ganz logisch. Zumindest empfinde ich das als logisch.
Die Gruppe der Professoren sollte — ich habe darauf schon hingewiesen — unserer Meinung nach nicht auf einer Verbeamtung auf Lebenszeit bestehen. Wir sind deshalb der Meinung, daß die Länder die Vorschriften über die Verbeamtung auf Lebenszeit und die Einstellung auf Zeit sowie über die Probezeit sehr viel ernster nehmen sollten, als es heute der Fall ist. Es wird nicht zuletzt von den Professoren selbst immer darauf hingewiesen, daß gerade die Verbeamtung auf Lebenszeit ihre Unabhängigkeit wahre. In diesem Zusammenhang sei aber der Hinweis erlaubt, daß eine solche Unabhängigkeit, die durch Arbeitsplatzsicherung erworben wird, nicht zwangsläufig auch gleichzeitig zur Leistungsfähigkeit beiträgt. Wir werden es deshalb begrüßen, wenn die Länder in ihrer Stellenpolitik die Möglichkeiten des Gesetzes ausnutzen.
Ich möchte nur noch kurz zu den anderen Bereichen, die hier immer wieder im Mittelpunkt der Diskussion standen, Stellung nehmen. Auf seiten der CDU/CSU ist es sehr beliebt, in der Öffentlichkeit. immer wieder den Eindruck zu erwecken, daß alles, was nicht ihrer Meinung entspricht, als verfassungswidrig zu bezeichnen sei. Meine Partei hat noch einmal auf ihrem Parteitag darauf hingewiesen, daß sie die Majorität der Professoren in den Organen, in denen nicht über Fragen der Forschung, Lehre sowie der Berufungen entschieden wird, nicht für gut hält, sondern hier die Gruppen gleichgewichtig vertreten sehen will. Dies ist auch entgegen der Behauptung der Opposition und des Bundes Freiheit der Wissenschaft verfassungskonform. Ich meine, man sollte die Verfassung nicht so leichtfertig für seine politischen Ziele einsetzen und mißbrauchen.
Wenn es um die Diskussion des Hochschulrahmengesetzes geht — das ist bereits von Herrn Glotz sehr deutlich dargestellt worden —, sind die Begriffe Ordnungsrecht und Regelstudienzeit nicht selten im Mittelpunkt. Offenbar hofft man, über diese Mechanismen allein Ruhe und Ordnung sicherstellen zu können.
Es ist ja auch nicht das erstemal, daß man Sanktionsmechanismen als Ersatz für politische Auseinandersetzungen einsetzt.
Es gibt in diesem Hause sicherlich keinen Zweifel darüber, daß Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung scharf abzulehnen ist. Deshalb haben war auch einem Gewaltschutzparagraphen zugestimmt Dies ist eine sehr deutliche Äußerung von seiten der Koalition gewesen und nicht ein „Herumeiern", wie Sie es bezeichnet haben.
— Herr Gölter, ich weiß gar nicht, warum Sie sich immer so schrecklich aufregen. Sie können doch einmal zuhören.
— Wir stimmen sehr differenziert zu.
Das ist eben genau das Problem, Herr Gölter, daß Sie offenbar als aufrechter Demokrat nicht feststellen, daß allein Kompromisse die Grundlage sind, wenn man zu Mehrheitsentscheidungen kommen will.
Es muß doch aber zulässig sein, daß man hier der Öffentlichkeit klarmacht, welches die Positionen der eigenen Partei sind. Sie tun dies ja auch.
Meine Damen und Herren, alles, was über den Gewaltschutz hinaus an ordnungsrechtlichen Maßnahmen eingeführt wird, kann man wohl nur als den Versuch bezeichnen, die Auseinandersetzungen über Disziplinierungsmaßnahmen zu vermeiden. Dies wird unsere Zustimmung jedenfalls nicht finden.
Für die weitere Behandlung dieses Gesetzes im Bundesrat möchte ich zum Schluß noch ein Zitat des früheren bayerischen Staatsministers für Unterricht und Kultus, Professor Theodor Maunz, an die Opposition richten. Herr Maunz war, soweit ich weiß, CSU-Mitglied. Er sagte nämlich:
In der Weimarer Zeit haben mitunter politische
Parteien das bundesstaatliche Gefüge des Rei-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9335
Frau Schuchardt
ches benützt, um von den Landesregierungen und Landtagen aus gegen das Reich und die Reichsorgane parteipolitische Opposition zu machen. Man sprach damals vom Parteienbundesstaat und verstand darunter die Ausnutzung des Reich-Länder-Verhältnisses zu parteipolitischen Zielen. Diese Gefahr muß im Interesse eines gesunden bundesstaatlichen Lebens mit allen möglichen Mitteln vermieden werden. Der Parteienbundesstaat führt zur Diskreditierung bundesstaatlicher Einrichtungen und damit zur Krise des Bundesstaatsgedankens.
Ich hoffe, daß dieses Gesetz im Bundesrat nicht aus parteipolitischen Gründen scheitert.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung. Der Bundestag tritt um 15 Uhr wieder zusammen.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um die folgenden in der Ihnen vorliegenden Liste aufgeführten Vorlagen ergänzt werden:
1. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Finanzierung ölpreisbedingter Zahlungsbilanzdefizite von Mitgliedstaaten im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
— Drucksache 7/2860
Bericht und Antrag des Haushaltsausschusses — Drucksache 7/2961
Berichterstatter: Abgeordneter Carstens
2. Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Entlastung der Landgerichte und zur Vereinfachung des gerichtlichen Protokolls
— Drucksache 7/2939
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Hauser
Das Haus ist einverstanden; die Erweiterung der Tagesordnung ist beschlossen.
Ich schlage vor, den Bericht des Vermittlungsausschusses, den Zusatzpunkt 2, jetzt aufzurufen. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe also den Zusatzpunkt 2 auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Entlastung der Landgerichte und zur Vereinfachung des gerichtlichen Protokolls
— Drucksache 7/2939 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Hauser
Ich erteile das Wort dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Dr. Hauser .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz zur Entlastung der Landgerichte und zur Vereinfachung des gerichtlichen Protokolls, das in diesem Hohen Hause am 14. November dieses Jahres verabschiedet wurde, bot dem Bundesrat in seiner Sitzung vom 29. November Anlaß zur Anrufung des Vermittlungsausschusses in drei Kernpunkten mit den entsprechenden Folgebestimmungen.
Erstens sollten einem Zeugen, Sachverständigen oder einer Partei, deren Aussagen in einem Prozeß unmittelbar auf einem Tonbandgerät festgehalten waren, das Recht zustehen, ihre Angaben nochmals im Zusammenhang abgespielt zu bekommen und so überprüfen zu können — dies schon mit Rücksicht auf die strafrechtlichen Folgen einer Falschaussage. Hier war ursprünglich vorgesehen, das nochmalige Abspielen allein dem Ermessen des Gerichts zu überlassen. Diesem Anliegen entsprach der Vermittlungsausschuß mit der Fassung, die in der Drucksache 7/2939 in einem Nachsatz zum § 162 Abs. 2 Satz 1 vorgeschlagen ist.
Zweitens sah es der Bundesrat aus praktischen Gründen als erforderlich an, neben dem streitentscheidenden Richter in einem Richterkollegium, der neu eingeführt wurde, auch den sogenannten vorbereitenden Richter weiterhin beizubehalten, der nach den gegenwärtigen Bestimmungen der Zivilprozeßordnung die Aufgabe hat, einen Rechtsstreit so aufzubereiten, daß er möglichst in einer mündlichen Verhandlung abgeschlossen werden kann. Der Vermittlungsausschuß griff die Empfehlung für die Berufungsverfahren sowohl bei den Landgerichten als auch bei den Oberlandesgerichten auf, weil hier insbesondere zur Beschleunigung das Institut des vorbereitenden Richters schwerlich entbehrt werden kann; soll doch aus grundsätzlichen Erwägungen in den Berufungsverfahren nicht der streitentscheidende Einzelrichter tätig werden. Sie finden dies in der neugefaßten Vorschrift des § 524 der Zivilprozeßordnung.
Drittens ging es dem Bundesrat darum, die Beschwerdesumme für Beschwerden gegen Kostenentscheidungen von bisher 50 DM auf 100 DM anzuheben. Auch diesem Vorschlag entsprach der Vermittlungsausschuß.
Alle weiteren Änderungen, die Sie in der Drucksache vorfinden, sind lediglich, wie bereits gesagt, Folgewirkungen aus den soeben dargelegten drei grundsätzlichen Entscheidungen.
Der Vermittlungsausschuß empfiehlt Ihnen die Annahme dieser Vorschläge, damit die Novelle, die insbesondere den Landgerichten eine notwendige Entlastung bringen muß, noch rechtzeitig zum 1. Januar 1975 — dieses Datum ist ja bereits festgelegt — in Kraft treten kann.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Sie haben zur Kenntnis genommen, daß über den Änderungsantrag des Vermittlungsausschusses ge-
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Vizepräsident Dr. Jaeger
meinsam abzustimmen ist. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir fahren nunmehr mit der Beratung über Punkt 3 der Tagesordnung fort, und zwar mit der Einzelberatung in der zweiten Lesung. Ich rufe § 1 auf und erteile zur Begründung des Änderungsantrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/2957 Nr. 1 dem Abgeordneten Dr. Klein das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, damit einverstanden zu sein, daß ich gleichzeitig, da ich einmal das Wort habe, auch die Nrn. 3 und 5 unseres Antrags auf Drucksache 7/2957 begründe.
Die Fraktion der CDU/CSU wünscht, entsprechend dem Vorbild des Beamtenrechtsrahmengesetzes in einer einleitenden Bestimmung des vorliegenden Gesetzentwurfs klargestellt zu sehen, daß das Hochschulrahmengesetz mit Ausnahme seines Schlußkapitels nur den Landesgesetzgeber bindet, aber ohne unmittelbare Wirkung für den Bürger bleibt. Dies — und dies allein, so meinen wir — entspricht dem Charakter des Rahmenrechts und überdies der Tatsache, daß das Grundgesetz den Bundesgesetzgeber ohnehin nur zum Erlaß allgemeiner Grundsätze des Hochschulrechts ermächtigt.
Von ungleich größerem Gewicht allerdings ist es
aus meiner Sicht, daß § 3 Abs. 1 des Entwurfs eine Korrektur erfährt. Zwar ist es als ein Fortschritt zu werten, daß sich die Koalition bereit gefunden hat, eine inhaltliche Umschreibung der Freiheit von Forschung, Lehre und Studium in das Gesetz aufzunehmen. Noch in der letzten Legislaturperiode hat sie sich mit Händen und Füßen dagegen gesträubt. Erst im Verlauf eines in dieser Legislaturperiode vollzogenen schrittweisen Kapitulationsprozesses kam es zu den jetzigen Formulierungen, die übrigens, wenn ich das vorwegnehmen darf, in einem nicht unwesentlichen Punkt durch den uns vorliegenden Antrag wieder relativiert werden sollen. Vor allem aber die Formulierung des § 3 Abs. 1, nach der die Mitglieder der Hochschule die ihnen verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheiten der Wissenschaft und Kunst, der Forschung und der Lehre sowie des Studiums „im Bewußtsein ihrer Verantwortung vor der Gesellschaft" zu nutzen und zu wahren haben, muß fallen. Selbst wenn das Gesetz im übrigen uneingeschränkt nach unserem Geschmack wäre: solange es diese Formulierung enthält, werden wir ihm nicht zustimmen können.
Dabei sehe ich von der Frage ab, ob diese Formel im Rahmen der heutigen Fassung des § 3 Abs. 1 oder auch der möglicherweise zu ändernden Fassung überhaupt einen normativen Gehalt hat, ob ihr also rechtliche Bedeutung zukommt. Immerhin — das hat Herr Kollege Gölter heute morgen schon angesprochen — war die Koalition ja nicht bereit, die verharmlosende Erklärung, es handle sich hier um eine Leerformel, in den Bericht des Ausschusses aufzunehmen, obgleich dies die Meinung in Ihren Reihen zu sein schien.
Aber wie dem auch sei, entscheidend für uns ist, daß diese Formulierung, deren Verwandtschaft mit dem berüchtigten § 6 des hessischen Universitätsgesetzes nicht zu verkennen ist,
für eine Hochschulpolitik steht, die die Wissenschaft vergesellschaften oder, genauer, die institutionellen Voraussetzungen für eine parteiliche Wissenschaft schaffen will.
Zwar — auch das ist heute morgen schon angeklungen — befinden sich die Protagonisten einer solchen Hochschulpolitik heute allenthalben auf dem Rückzug. Aber, meine Damen und Herren, die Begleitumstände, unter denen sie ihre Ämter verlieren, zeigen doch zugleich, wie wenig tot ihre Ideen sind.
Diese Protagonisten einer gescheiterten Hochschulpolitik gehen heute auf Tauchstation, und die Formulierung, an der wir Anstoß nehmen, hat die Funktion, sie auf bessere Zeiten zu vertrösten.
Sie signalisiert, daß die pragmatischen Zugeständnisse des vorliegenden Entwurfs, die wir anerkennen, taktischen Rücksichten entspringen und nicht prinzipieller Natur sind.
Die Formulierung „im Bewußtsein ihrer Verantwortung vor der Gesellschaft" — auch wenn man hinzufügt: „in einer freiheitlich-demokratischen Ordnung" oder ähnlich — symbolisiert eine Auffassung, die nur die gesellschaftlich nützliche Wissenschaft als legitim betrachtet. Und dieser Symbolkraft wegen ist es auch von relativ untergeordneter Bedeutung, welcher aktualisierbare normative Sinn dieser Formulierung innewohnt. Die Verpflichtung, die gesellschaftlichen Folgen wissenschaftlicher Erkenntnis mitzubedenken — so formuliert das hessische Gesetz —, mag als eine moralische Verpflichtung selbstverständlich sein. Wenn sie aber der staatliche Gesetzgeber zu rechtlicher Relevanz erhebt — und das geschieht doch, wenngleich zugegebenermaßen in abgeschwächter Form, auch durch den uns vorliegenden Entwurf, auch durch den nachher zu begründenden Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen —, dann wird eben unvermeidlich in einer Weise, für die die Verfassung keine Grundlage bietet, die Freiheit der wissenschaftlichen Erkenntnis durch einen ihr nicht immanenten Gesichtspunkt eingeschränkt bzw. inhaltlich determiniert.
Das aber, meine Damen und Herren, würde nicht mehr und nicht weniger bedeuten als einen Rückfall in voraufklärerische Zeiten. Es widerspräche dem von Theodor Mommsen formulierten Grundsatz der „Voraussetzungslosigkeit aller wissenschaftlichen Forschung als dem idealen Ziel, dem jeder gewissenhafte Mann zustrebt", also — und das war da-
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Dr. Klein
mals, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wie es scheint, nicht weniger aktuell als heute -- dem Grundsatz der Unabhängigkeit der Wissenschaft von religiösen und politischen Dogmen. Es widerspräche vor allem dem von Max Weber geforderten und seither in allen freiheitlichen Staaten anerkannten Prinzip der Wertfreiheit der Wissenschaft, einem Prinzip, das besagt, daß sich Werturteile wissenschaftlich nicht begründen lassen und daß Werturteile in wissenschaftlichen Begründungszusammenhängen keinen Platz haben.
Immer haben sich totalitäre Mächte durch diese Idee der Wertfreiheit der Wissenschaft herausgefordert gefühlt. Das gilt für Hitler, der in einem seiner Tischgespräche den Gedanken einer freien, voraussetzungslosen Wissenschaft als absurd und die Wissenschaft als ein soziales Phänomen bezeichnete, das wie ein jedes solches Phänomen durch den Nutzen oder Schaden begrenzt sei, den es für die Allgemeinheit stifte. Das gilt aber auch für den totalitären Marxismus, der die Wissenschaft dem Prinzip der Parteilichkeit unterwerfen will. „Das Denken muß parteilich sein und ist es immer gewesen", schrieb Ernst Bloch in einem 1951 veröffentlichten Aufsatz.
Vor diesem Hintergrund sind die die jüngste Vergangenheit der hochschulpolitischen Entwicklung in der Bundesrepublik bestimmenden Bestrebungen zu sehen, die von der Frankfurter Schule ausgehenden Anstöße, die die SPD aufgenommen hat, indem sie einen ihrer prominentesten Vertreter zum hessischen Kultusminister avancieren ließ, und die Universitätsgründungen in Bremen und Oldenburg, zu deren Beurteilung es genügt, einerseits auf die bekannten Äußerungen von Immanuel Geiss, andererseits auf den Plan zu verweisen, sich durch Vertrag in den Dienst des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu stellen.
Was Bremen angeht, ist übrigens auch auf dem Hintergrund des vorhin Gesagten aufschlußreich genug, was der dortige Gründungsrektor, Herr von der Vring, einstmals führendes Mitglied der Jungsozialisten und auch heute nicht ohne Einfluß in der SPD, vor Jahren in einem „Spiegel"-Gespräch erklärte, daß nämlich die Hochschule eine treibende Kraft zur Veränderung der Gesellschaft sein solle. Ihre Aufgabe sei es, zur Revolutionierung des Bewußtseins beizutragen, indem sie Partei ergreife und sich offen auf die Seite des Fortschritts stelle.
Meine Damen und Herren, für derartige Bestrebungen steht symbolhaft die von uns beanstandete Formulierung, und ich bitte um Verständnis dafür, daß wir da nicht mitmachen können.
Bei Begründungen gibt es keine Zwischenfragen.
Tut mir leid, Herr Kollege Glotz.
Ich habe noch auf einen letzten Punkt einzugehen. Meine Fraktion besteht auf der Aufnahme eines Ordnungsrechts in das Gesetz. Ich darf hier zu Ihrer Orientierung einflechten, daß in der Ihnen vorliegenden Anlage zum Ausschußbericht unser Vorschlag versehentlich nur unvollständig abgedruckt ist. Das können Sie bei einem Vergleich mit dem vorgelegten Antrag leicht feststellen. Eine Vorschrift, die, wie § 31 des vorliegenden Entwurfs, lediglich Schutz vor körperlicher Gewalt und ihrer Androhung gewährt und die es im übrigen bei dem gesetzlich nirgendwo geregelten Hausrecht der Universitätsleitung beläßt, genügt den Anforderungen nicht.
Ich gehöre nicht zu denen, meine Damen und Herren, die sich von einem Ordnungsrecht Wunder versprechen. Die Befriedung unserer Hochschulen wird gewiß auch anderer Mittel bedürfen. Ich bin der Meinung, daß der Staat, der über Jahre den planmäßigen Störungen des Universitätsbetriebes weitgehend untätig zugesehen hat, der es in zahllosen Fällen den betroffenen Hochschullehrern und anderen Universitätsbediensteten überlassen hat, sich der gegen sie gerichteten Angriffe zu erwehren, es den Hochschulangehörigen nunmehr schuldig ist, klarzustellen, daß der Rechtsstaat an den Toren der Universität nicht endet.
Meine Damen und Herren, hier gilt es, ein Zeichen zu setzen, nicht halbherzig,, nicht verschämt und im Grunde widerwillig, wie es die Koalition mit ihren Vorschlägen tut — und welche Mühe hat es doch gekostet, ihr selbst diese Zugeständnisse abzuringen! —, sondern klar und unmißverständlich. Dabei geht es nicht zuletzt auch um die Selbstachtung dieses Staates, für den einmal wieder verbindlich gemacht werden muß, daß dem Gedanken der Demokratie jede andere Form der Auseinandersetzung als die argumentative widerspricht, ob es dabei um den Prozeß der politischen Willensbildung oder um den Prozeß der wissenschaftlichen Erkenntnis geht.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang hat unser Antrag, das Ordnungsrecht betreffend, eine Bedeutung, die über das Hochschulrecht weit hinausgeht.
Ich bitte Sie, den von mir begründeten Anträgen zuzustimmen.
Das Wort hat ider Abgeordnete Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gehöre zu den Abgeordneten, die nach der Rede des Kollegen Professor Klein eine gelinde Enttäuschung nicht verbergen können. Seine Rede hat aber wenigstens einen Vorteil: daß mein Frak-
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Dürr
tionskollege Dr. Meinecke und ich uns bei der Erwiderung kürzer fassen können.
Herr Kollege Klein, ich frage mich allmählich, ob die Richtlinien der CDU-Politik jetzt von der Arbeitsgruppe Semantik im Konrad-Adenauer-Haus bestimmt werden.
Darüber könnte man meditieren.
: Dann meditieren
Sie mal! — Weitere Zurufe von der CDU/
CSU)
— Herr Benz, wenn Sie zuhören, dann denken Sie als ein Mann, der mit der Vermittlung von Tatsachen an die Bürger beruflich zu tun hat, einmal darüber nach, ob es richtig ist, wenn die Opposition immer wieder das gleiche Strickmuster gebraucht, nämlich wichtig seien nicht die durch Gesetz getroffenen Anordnungen, sondern wichtig sei lediglich die bitterböse Absicht der Koalition, die die Opposition hinter unseren Gesetzentwürfen vermutet. Wenn Sie das noch öfter sagen — und ich würde sagen: bitte nur weiter so! —, dann merkt allmählich jeder, wie man hier nicht informiert, sondern bloße Propaganda nahe an der Grenzlinie zur Demagogie zu machen versucht.
Und nun zu Ihrem Antrag Nr. 1 zu § 1. Herr Kollege Klein hat sich da kurz gefaßt, und ich glaube, dieser Antrag der Opposition war mehr ein Pflichttanz gegenüber Wünschen des Bundesrats.
Herr Abgeordneter Dürr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Maucher? — Bitte!
Herr Kollege, wenn ich mir Ihre vorherigen Ausführungen vergegenwärtige: Was ist Ihre Meinung, wenn Sie sich die Wahlergebnisse der letzten Zeit einmal genau ansehen, wem das Volk mehr glaubt?
Verehrter Kollege Maucher, ich bin zu jeder Diskussion mit Ihnen bereit. Aber wenn ich jetzt auf Ihre Zwischenfrage hin eine Rede über Wahlanalyse hielte, dann würde ich mir wirklich den Widerspruch aller geplagten Kollegen zuziehen, die hier in diesem Hause warten, daß die Entscheidung über das Hochschulrahmengesetz zügig weitergeht. Ein anderes Mal sehr gern.
Zu Ihrem Antrag Nr. 1: Sie wiederholen den Wunsch des Bundesrats, der meint, der Bund könne kein für die Hochschulen oder den einzelnen unmittelbar geltendes Recht setzen, er könne nur Richtlinien erlassen. Sie stimmen mit dem Bundesrat überein, der eine Beschränkung des Entwurfs auf Anweisungsnormen an die Landesgesetzgeber will. Rahmenvorschriften nach Art. 75 Nr. 1 a des Grundgesetzes dürfen — natürlich in dem zulässigen Umfang — auch Einzelregelungen treffen. Auch diese Einzelregelungen können nämlich grundsätzlicher Natur sein. Einzelregelungen ja, soweit notwendig, um allgemeine Grundsätze des Hochschulwesens zu präzisieren, ohne abschließende Regelungen zu treffen.
Die Auslegung, was eine Rahmenvorschrift nach Art. 75 ist, ist eine reine Rechtsfrage, die in vollem Umfang gerichtlicher Nachprüfung unterliegt. Rahmenregelungen müssen nicht in allen Bestimmungen, wohl aber als Ganzes auf die Ausfüllung durch Landesgesetzgebung hin angelegt sein. Sie dürfen auch Einzelheiten regeln, wenn den Ländern nur insgesamt gesehen eigene gesetzgeberische Entscheidungen von Gewicht verbleiben. So kann der Bundesgesetzgeber mit der Rahmengesetzgebung auch unmittelbar für den einzelnen geltende Rechtssätze schaffen. Er darf sich aber auch darauf beschränken, Richtlinien zu erlassen, die den einzelnen nicht unmittelbar binden, und er darf in das gleiche Gesetz die eine und die andere Art von Rechtssätzen nebeneinander aufnehmen. Eine Beschränkung des Bundes auf programmatische Leitsätze würde der Bundesrahmenkompetenz zum Hochschulrecht jeden praktischen Wert nehmen. Die für die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, die Gleichheit der Bildungschancen und die Freizügigkeit im Hochschulwesen erforderliche Rechtseinheit läßt sich unter völligem Verzicht auf Detailregelungen nicht herstellen. Das wird sich bei der Diskussion um § 39 mit Sicherheit zeigen. Eine sinnvolle Interpretation der allgemeinen Grundsätze kann ihre Bedeutung nicht im Ausschluß von Detailregelungen sehen. Vielmehr muß ihre Formulierung als ein Gebot verstanden werden, nur Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für das gesamte Hochschulwesen bundesgesetzlich zu regeln.
Das Bundesverfassungsgericht hat übrigens — und dieser Hinweis ist für verfassungsrechtlich Interessierte von Bedeutung — die Regelung der Verjährung für Pressedelikte zu den allgemeinen Rechtsverhältnissen der Presse gerechnet. Es besteht keinerlei Zweifel darüber, daß bundesrechtliche Verjährungsvorschriften unmittelbar geltende Wirkung für den einzelnen Staatsbürger, auch ohne Umsetzung durch Landesrecht, haben.
Diesen Anforderungen an unsere Kompetenz entspricht das Hochschulrahmengesetz. Wir halten uns im Rahmen der Kompetenz und lehnen deshalb den Änderungsantrag Nr. 1 der Opposition zu § 1 des Gesetzes ab.
Wird hierzu des weiteren das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann lasse ich über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/2957 zu Ziffer 1 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Das zweite ist die Mehrheit, der Antrag ist abgelehnt.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9339
Vizepräsident Dr. Jaeger
Ich lasse über § 1 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich komme zu § 2 und damit zu dem Änderungsantrag auf Drucksache 7/2953 Ziffer 1.
Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Dr. Meinecke.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir schlagen in diesem Antrag vor, in § 2 nach Abs. 1 einen Abs. 2 mit folgendem Wortlaut einzufügen:
Die Mitglieder der Hochschule erfüllen ihre Aufgaben in Kunst und Wissenschaft, Forschung, Lehre und Studium im Bewußtsein ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft in einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat.
Als Folge daraus ergibt sich, daß die Abs. 2 bis 8
um jeweils eine Nummer erhöht werden: Abs. 2
wird Abs. 3 dann fortlaufend bis: Abs. 8 wird Abs. 9.
Als weitere Folge — Herr Präsident, wenn es mir erlaubt ist, dies gleich zu erwähnen — ergibt sich daraus, daß im § 3 Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung, Lehre und Studium — der neue Abs. 1 nunmehr folgenden Wortlaut erhält:
Das Land und die Hochschulen haben sicherzustellen, daß die Mitglieder der Hochschule die durch Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes verbürgten Grundrechte wahrnehmen können.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir einige Entgegnungen auf die Ausführungen meines Vorredners. Er hat gesagt, daß § 3 des Gesetzes den Versuch unternimmt, die Freiheit von Kunst, Wissenschaft, Forschung, Lehre und Studium im einzelnen zu erläutern. Das ist richtig. Dies war damals eine Anregung der CDU/CSU. Alle Fraktionen haben sich im Ausschuß gemeinsam um die nunmehr vorliegenden Formulierungen bemüht.
Verbunden mit den positiv dargestellten Rechten werden — schon im Text erkennbar —gleichzeitig auch die Grenzen dieser Rechte bzw. der Rechtmäßigkeit von Beschlüssen der Hochschulorgane genannt, die sich organisatorisch oder im Interesse des zu gewährleistenden Betriebes der Hochschule auf diese Rechte beziehen und damit den Rahmen der Ausübung dieser Freiheiten abstecken. Wenn der Opposition damals dieser Vorschlag vernünftig, normal und notwendig erschien, dann ist es heute für uns nicht einzusehen, warum nicht auch die Aufforderung an die Mitglieder der Hochschule ergehen sollte, sich über ihre Verantwortung in der Wissenschaft — und das kann ja nur eine humane im weitesten Sinne sein — klar zu sein. Gemeint ist die Verantwortung gegenüber unserer Gesellschaft, die als eine demokratische in einem sozialen Rechtsstaat zu verstehen ist, und nicht eine Abhängigkeit in einer diktatorischen — nationalsozialistischen
oder irgendeiner anderen — Gesellschaft. Dies hat hiermit nichts zu tun.
Es ist ja kein Zufall, daß hier in einer fast widerwärtigen Weise die Vergewaltigung des nationalsozialistischen Staates gegenüber der Wissenschaft angeführt wird. Herr Professor Klein weiß natürlich ganz genau, daß die Väter des Grundgesetzes die Ideologisierung und den Zwang des Staates als Einengung der Wissenschaft gemeint haben, als sie diesen Artikel so formuliert haben.
— Das Grundgesetz gewährt audi andere, gleichberechtigte Grundrechte, aufgeführt in Art. 1 bis 17, und schränkt diese in Art. 17 a bis 19 ein. Es ist wahrhaftig nicht schwer, sich vorzustellen, daß durch Entwicklungen in der Wissenschaft audi andere Grundrechte berührt werden; denken Sie nur an Menschenwürde oder an das Grundrecht der Meinungsfreiheit, an das Recht auf Gesundheit und an die Informationsfreiheit. Es ist doch nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch möglich bezüglich moderner wissenschaftlicher Entwicklungen, daß einmal eine Grenze erreicht werden kann, wo nicht die Wissenschaft durch den Staat oder die Gesellschaft eingeengt wird, sondern wo auch die Lebensinteressen unserer Gesellschaft vor Entwicklungen in der Wissenschaft geschützt werden sollten. Es ist somit ein Appell — dies ist als eine positive Aufforderung zu verstehen —, Wissenschaft möge sich der Interessen und Lebensbedingungen unserer Gesellschaft annehmen — so steht es auch im saarländischen Universitätsgesetz, welches von Ihnen formuliert wurde —, aber auch die Grenzen dessen bedenken, was Folgen von Entwicklungen bedeuten, die sich einmal schädlich auswirken können.
Um es der Opposition leichter zu machen, noch einmal darüber nachzudenken, und endlich den Verdacht loszuwerden, wir wollten die Freiheit von Wissenschaft und Forschung einengen durch unterschiedlich motivierte Vorstellungen einzelner Gruppen, die z. B. an den Hochschulen ihre eigenen Interessen oder politischen Vorstellungen mit denen der Gesellschaft zu identifizieren pflegen, versuchen wir nun, im neuformulierten § 2 klarzustellen, welche Gesellschaft wir meinen und nach welchen Regeln diese Gesellschaft im Staat sich selbst strukturiert hat und miteinander umgeht. Wir machen auch klar, daß der neue Text jetzt unter den Aufgaben der Hochschule zu finden ist und insofern ein Widerspruch und eine Einengung in § 3 nicht mehr suspiziert werden kann.
Ich wage Ihnen vorauszusagen, daß in wenigen Jahren oder Jahrzehnten große Gruppen unserer Bevölkerung und die Wissenschaft selbst dies für einen modernen und vernünftigen Appell halten werden. Ich könnte Ihnen, Herr Professor Klein, eine genauso große Zahl von Wissenschaftlern, wie Sie angeführt haben, meinerseits zitieren, die sich ihrerseits durchaus ihrer Verantwortung in der Wissenschaft bewußt sind und auch bereit sind, dies zu
9340 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Dr. Meinecke
deklarieren, ohne es als einen Eingriff in ihre Grundrechte zu verstehen.
Wenn Sie nun immer noch nicht überzeugt sind, daß Sie dem zustimmen können, ohne hiermit gleich wieder die Revolution zu intendieren, dann möchte ich noch aus der Konvention zum Schutz der Menschenrechte zitieren, die auch international Deklarationscharakter besitzt, d. h. die im rechtlichen Sinne eine Erklärung grundsätzlicher Art darstellt. Hier heißt es, daß die Ausübung der in der Konvention angeführten einzelnen Rechte und Freiheiten gleichzeitig Pflichten und Verantwortung mit sich bringt. Nichts anderes, als die Deklaration der Menschenrechte im europäischen Rahmen sagt, wollen wir hier: einen positiven Appell an die Wissenschaft und damit dies den Universitäten als Aufgabe zuordnen. Ich bitte Sie, einmal zu überlegen, ob das Gesetz wirklich an dieser Formulierung scheitern muß.
Herr Präsident, ich bitte Sie, daß ich gleich noch zu § 3 eine letzte Änderung begründen darf; damit wäre dann der Antrag der Koalitionsfraktionen insgesamt begründet.
In § 3 Abs. 3, der die Freiheit der Lehre im einzelnen behandelt, ergibt sich nach einer Umformulierung, die gemeinsam im Ausschuß gefunden wurde, die Notwendigkeit, klarzustellen, daß die Freiheit der Lehre nicht davon entbindet, das Lehrangebot, die notwendige Zahl von Lehrveranstaltungen für den gesamten Universitätsbereich sicherzustellen. Darum möchten wir gern formulieren:
Die Freiheit der Lehre umfaßt, unbeschadet des Art. 5 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes, im Rahmen der zu erfüllenden Lehraufgaben die Abhaltung von Lehrveranstaltungen und deren inhaltliche methodische Gestaltung sowie das Recht auf Äußerung von wissenschaftlichen und künstlerischen Lehrmeinungen.
Dies ist der Zusatzantrag zu § 3 Abs. 3, der in unserer Antragsdrucksache enthalten ist.
Wir bitten, den beiden Anträgen zuzustimmen.
Wird hierzu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann komme ich bei § 2 zur Abstimmung über Ziff. 1 des Änderungsantrags der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 7/2953. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
Dann lasse ich über § 2 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
Wir kommen damit zu § 3. Hierzu liegen die soeben begründeten Änderungsanträge der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 7/2953 — Ziff. 2 und 3 — und der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/2957 — Ziff. 2 — vor. Wenn Ziff. 2 des Änderungsantrags der Fraktionen der SPD und FDP angenommen wird, entfällt wohl Ziff. 2 des Änderungsantrags der Fraktion der CDU/CSU.
Wird das Wort gewünscht? — Die Anträge sind begründet. Eine Aussprache ist nicht mehr erforderlich.
Dann lasse ich zuerst abstimmen über Ziff. 2 des Änderungsantrags der Fraktionen der SPD und FDP, Neufassung des § 3 Abs. 1. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
Dann komme ich zu Ziff. 3 des Antrags der Fraktionen der SDP und FDP, die die Einfügung einiger Worte vorsieht. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
Ziff. 2 des Änderungsantrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/2957 entfällt.
Damit kann ich über § 3 in der Ausschußfassung einschließlich der beiden soeben beschlossenen Änderungen abstimmen lassen. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu § 4. Dazu liegt der Änderungsantrag der CDU/CSU unter Ziffer 3 der Drucksache 7/2957 vor. Hierzu spricht Frau Abgeordnete Benedix.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Neben der Frage der Verantwortung für die Freiheit von Forschung und Lehre, über die eben der Kollege Professor Klein gesprochen hat, gibt es für uns noch eine zweite unabdingbare Forderung für dieses Gesetz: die echte Gleichrangigkeit kooperativer und integrierter Formen der Gesamthochschulen neben den Einzelhochschulen, eine Gleichrangigkeit, die keine Vorgabe duldet.
Die Formulierung in § 4 des Gesetzentwurfs, nach der ein Angebot von integrierten Studiengängen durch die Neuordnung zu gewährleisten ist, ist für uns unannehmbar. Das Wort „Gewährleisten" beinhaltet Obligatorisches. Die von uns vorgeschlagene Formulierung „Durch die Neuordnung des Hochschulwesens sollen insbesondere erreicht werden" zielt auf gleichgewichtige Alternativen.
Wer es noch nicht begriffen hatte, daß Sie eben diese gleichgewichtige Alternative nicht wollen, wurde durch Ihre unnachgiebige Haltung bei unseren wiederholten Anträgen belehrt, das Wort „integriert" zu streichen und statt dessen zu formulieren „aufeinander bezogene Studiengänge". Unsere einvernehmliche Regelung in § 5 entspricht dem Wortlaut des Bildungsgesamtplans.
Sie wurde durch Ihre Fassung von § 4 Abs. 3 Nr. 1
glatt unterlaufen. Sie betonen immer wieder, daß
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9341
Frau Benedix
aus dem Gesetz eine rechtliche Priorität für die eine oder andere Form nicht herzuleiten sei. Wenn das so wäre, meine Damen und Herren von der Koalition, warum zerstreuen Sie dann nicht unsere Zweifel? Es müßte Ihnen doch möglich sein, auf die Formel „Gewährleisten von integrierten Studiengängen" zu verzichten.
Aber Sie erklären ja auch immer wieder, diese integrierten Gesamthochschulen seien sehr wohl Ihr politisches Ziel, auf dessen gesetzliche Festlegung Sie hier lediglich verzichten. Ich meine, wer unter dieser Prämisse mit der Aussage, aus dem Gesetz ergebe sich keine Prioirität für die eine oder andere Form, glaubwürdig bleiben will, muß doch eine Formulierung wählen, die die gleiche Rangfolge ohne jeden Zweifel zum Ausdruck bringt.
Und, meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, Sie befinden sich ja schließlich, was rechtliches Verschreiben und politisches Wollen in der Frage der Integration betrifft — ich muß das wiederholen, Herr Dr. Dürr —, nicht mehr im Zustand der Unschuld.
Sie haben uns ja die Erfahrungen beigebracht, und Sie können es uns nicht übelnehmen, wenn wir jetzt daraus lernen.
Da haben wir ja z. B. im schulischen Sektor in einigen Ländern Erfahrungen, die die Methoden doch sehr durchsichtig machen. Ich höre immer noch im Geiste die Erklärungen der jeweils verantwortlichen Minister im Kultusbereich in den Ländern und des Wissenschaftsministers im Bund; ich sage „die jeweiligen", weil sich ja doch die negativen Aufladungen dieser Minister in immer schnellerer Folge vollziehen und dann die Auswechselung erfolgen muß. Herr Minister Rohde, ich fürchte, das ist schon fast eine Gesetzmäßigkeit.
Die politischen Erklärungen zur integrierten Gesamtschule, die eine Parallele aufweisen, lauten — ich darf kurz zitieren — im Zeitablauf von etwa einem halben Jahr: Wir wollen es mit integrierten Schulen versuchen. Dann: Wir wollen sie mit dem Ziel ihrer obligatorischen Einführung. Dann: Wir wollen sie mit wissenschaftlicher Begleitung; Ergebnis offene Prüfung. Dann: Die Prüfung wäre eventuell schädlich. Und zum Schluß — aus dem Munde des zur Zeit vorletzten Kultusministers in Niedersachsen — sinngemäß: Sind auch die pädagogischen Probleme nicht gelöst, wir haben uns für diese Schule entschieden; das ist eine politische Entscheidung. — Und hier ist die Parallele zu Ihrer politischen Entscheidung für die integrierte Gesamthochschule! Dann rückte die Wahl in Niedersachsen heran; es ging in die letzte Runde; das Schulgesetz spielte die entscheidende Rolle, und dies war der entscheidende Punkt im Wahlkampf. Und jetzt lautete die Erklärung — hier gleichen sich die Bilder —: Es gibt keine Festlegung im Gesetz für diese integrierte Schule.
Aber das sind die Tatsachen: In der Gesetzesabfolge wird durch eine Kombination von Vorschriften über Schulformen in Verbindung mit Vorschriften über die Errichtung von Schulen durch Schulträger, über Schulentwicklungspläne, Schuleinzugsbereiche usw. indirekt ein Marsch in dieses integrierte System festgeschrieben. Ich habe damals umfangreiche Erfahrungen sammeln müssen, und das erhöht natürlich die Skepsis hinsichtlich der von Ihnen gegebenen Erklärung, meine Damen und Herren. Das können Sie uns nicht übelnehmen.
Ich meine, wir sollten uns auch gar nichts vormachen. In Wirklichkeit ist es doch eben so: Der Bildungsgesamtplan wurde unterschrieben, und da besteht ja doch wohl noch eine Verbindlichkeit im Amt. Wer ihn unterschrieben hat, der kann die integrierte Gesamthochschule natürlich nicht expressis verbis obligatorisch in ein Gesetz übernehmen, aber Ihren erklärten politischen Willen wollen Sie nicht fallenlassen, und da boten sich eben wobei Sie sehr wohl wußten, daß dies eine Weichenstellung in Richtung integrierte Gesamthochschule darstellt — die integrierten Studiengänge an. Aus Ihrer Sicht ist das absolut schlüssig. Sie haben ein hartes politisches Ziel, und Sie haben einen nur schwer zu bändigenden Linksaußenflügel, bei dem Sie sich ohne diese Formel nicht mehr sehen lassen können. So ist es begreiflich, daß Sie Ihre politische Zielsetzung im Gesetz festschreiben lassen wollen.
Unser Widerstand bringt Sie nun zu dieser widersprüchlichen Aussage in den §§ 4 und 5, und dies ist ein Schattenspiel, das Sie mit uns nicht machen können. Sie möchten den SPD-regierten Ländern eine zusätzliche Legitimation verschaffen, aber eine solche Weichenstellung darf keinesfalls in einem Rahmengesetz erfolgen.
Wir bleiben dabei: Für uns ist jeder Versuch von Ihrer Seite, die integrierte Form der Gesamthochschule zu privilegieren, eine Nagelprobe auf den Bildungsgesamtplan. Am Ergebnis der Abstimmung über diesen Antrag werden wir messen, ob die Unterschrift unter den Bildungsplan, die ein sozialdemokratischer Bundeskanzler und sozialdemokratische Ministerpräsidenten geleistet haben, weiter ohne Wenn und Aber gilt.
Hier, meine Damen und Herren, wäre ein Punkt im Hochschulrecht gewesen, bei dein Sie Ihren echten Willen zur Kurskorrektur überzeugend hätten darstellen können.
Denn der Bürger merkt längst, daß Langsamergehen noch keine Richtungsänderung darstellt, und auch ein Zurück ist so lange keine Einsicht, wie dieses Zurück vor der Weiche stehenbleibt.
Wir müssen auf diesen „Vormarsch zurück zur Vernunft" bestehen. Wir verlangen lediglich das Aufgeben der einseitigen Festlegung; weiter nichts als: Offenheit.
9342 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Frau Benedix
Wir geben keine politische Willenserklärung ab und verlangen keine Privilegien für eine kooperative Gesamthochschule. Wir beziehen also gar keine Position, die für Sie eine schwierige Kompromiß-frage bringen könnte. Wir wollen nichts als die gleiche Chance für beide Modelle. Wir sind zum Entgegenkommen bereit. Ihre Bereitschaft fehlt noch. Wir müssen sie fordern, weil eine Fülle von Problemen ungelöst ist. Sie kennen sie selbst, und Sie bekennen sich ja auch zu ihnen.
Ich nenne z. B. nur die Frage der integrierten Grundstudiengänge, etwa nach dem Y-Modell; die vorgesehenen Semesterzahlen dafür, wie man sie mit den praktischen Anforderungen in Einklang bringen kann. Bei den Natur- und Ingenieurwissenschaften erkennt man schon heute, daß einerseits die wissenschaftliche Ausbildung zu kurz kommt und andererseits an dieser Hürde Grundstudium über längere Semester hinweg viele Studenten scheitern, die für praktische Tätigkeiten hervorragend geeignet wären. Ich nenne weiter: das Problem der Stoffülle -- ob man das überhaupt mit Integrierungen meistern kann oder nicht besser mit Doppelspezialisierungen—; die Projektstudiengänge, für die die Integrationsverbunde überhaupt gar nicht groß genug sein können; oder denken Sie an die Frage, die die Experten immer mehr bewegt, die Frage, ob die Exaktheit in den Grundlagen nicht in Gefahr gerät. Und gehört zur Integration nicht auch die räumliche Konzentration? Wie schaffen wir das in unseren Flächenstaaten? Oder wo liegt die Obergrenze bei der zahlenmäßigen Konzentration?
Nun noch einige Stichworte, mit Fragezeichen versehen: unrealistisch, organisatorisch kaum zu bewältigen, studienverlängernd, Tendenz zur verhängnisvollen Mammutisierung — ich sage das mit allem Ernst —, die die Ursache der zunehmenden psychologischen Störungen bei den Studenten ist.
Das alles muß durchdacht, nein: es muß vor allen Dingen erprobt werden. Wir dürfen uns hier nicht auf Abenteuer einlassen, unter denen wir doch im schulischen Bereich gerade genug leiden.
Carlo Schmid hat einmal formuliert: Politik heißt, Möglichkeiten zu schaffen, das Notwendige zu tun. Was notwendig ist, sagt uns nicht die Partei. Sie ist nicht der Hort der Wahrheitsfindung. Was notwendig ist, muß an der Sache, um die es geht, gemessen werden. Hier dürfen wir uns nicht auf parteipolitische Denkansätze, sondern nur auf empirisch gesicherte Erkenntnisse stützen. Diese Erkenntnisse gilt es zu sammeln, und sie müssen dann durch den politischen Willen umgesetzt werden. Das ist der Weg.
Weil wir die Verantwortung für den gesetzlichen Rahmen tragen, in dem sich in Zukunft Forschung und Lehre entfalten, und für die akademische Jugend, darum müssen wir uns gegen jede dogmatische Fixierung wenden. Wir dürfen nicht in dieselben katastrophalen Fehler verfallen, die die Schulreform aufzeigt, nämlich Motoren, die noch unerprobt sind, einzubauen und dann zu erleben, daß das Fahrzeug nicht vorangebracht wird, sondern sich alle
Beteiligten nur mit ständiger Störungssuche beschäftigen. Darum noch einmal die dringende Aufforderung, sich zur Offenheit durchzuringen und unserem Antrag doch noch zuzustimmen.
Gestatten Sie, daß ich gleich noch die Begründung zu unserem Antrag zu § 7 anschließe. Wir votieren für Streichung der Forderung nach einer Landeshochschulkonferenz, weil es eine genuine Aufgabe des Landesgesetzgebers ist, für seinen Bereich eine Hochschulkonferenz vorzusehen oder eben nicht vorzusehen. Hierzu sollte der Bundesgesetzgeber in einem Rahmengesetz kein Wort verlieren. Außerdem sind die Organisationshilfen, die der Entwurf für die Landeshochschulkonferenz vorsieht, wenig hilfreich. Die Organisation einer Landeshochschulkonferenz läßt sich eben nicht über einen Leisten scheren, etwa bei einem Flächenstaat oder bei einem Stadtstaat.
Zu dem von Ihnen in § 7 Abs. 3 geforderten neuen Organ einer Bundeshochschulkonferenz muß ich zunächst bemerken, daß ja auch der Rechtsausschuß der Meinung ist, daß die Länder dazu nicht verpflichtet werden können. Wenn aber die Rede davon ist, Herr Dr. Dürr, daß es sich hier lediglich um ein Angebot handelt, so kann ich nur sagen: ein Rahmengesetz kann ja wohl nicht die Aufgabe haben, durch Angebote unterschiedliche Rechtslagen zu schaffen. Es kann ja wohl nur die Aufgabe haben, einen Rechtszustand zu vereinheitlichen.
Im übrigen bestehen gegen einen Zusammenschluß der Hochschulen in einem Organ, das als „Bundeshochschulkonferenz" bezeichnet wird, verfassungsrechtliche Bedenken. Die Wahrnehmung der überregionalen bundesweiten Aufgaben auf dem Gebiet des Hochschulwesens sowie die Wahrnehmung der Belange der einzelnen Hochschulen gegenüber dem Bund obliegt nach unserer Auffassung den Ländern. Neben den Ländern können die Hochschulen nicht selbständige Verhandlungspartner des Bundes sein, auch nicht in einem Zusammenschluß in Form einer Bundeshochschulkonferenz. Stellt man sich die Größe dieser Gremien vor, die bei etwa 300 Mitgliedern liegen könnte, so stellt sich die Frage nach der Effizienz einer solchen neuen Mammutveranstaltung. Der Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz urteilte ja sehr drastisch: sie würde gegen Null konvergieren. Viele neue Ämter müßten besetzt werden. Es entstünde erneut ein exemplarischer Fall für das berüchtigte Parkinsonsche Gesetz.
Sieht man aber, wie es Professor Löwenthal tat, eine Vertretungskompetenz dieser Bundeshochschulkonferenz in Fragen der Forschung, dann erwächst die große Gefahr — so auch Professor Löwenthal —, daß die funktionierende Deutsche Forschungsgemeinschaft durch eine drittelparitätische und, wie er sich ausdrückte, daher nicht funktionierende neugeschaffene Institution unterlaufen wird.
Meine Damen und Herren, ich begreife, daß Sie sich in Ihrer Fraktion und Partei starken Gruppen gegenüber zur Wehr setzen müssen durch gewisse Sollerfüllung in Ideologie. Ich meine aber, daß ein so schwerwiegendes Gesetz wie das Hochschulrah-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9343
Frau Benedix
mengesetz es darstellt, dazu völlig ungeeignet ist. Deshalb noch einmal unser Appell an Ihre Einsicht, viel mehr aber noch an Ihre politische Kraft, inner-fraktionell, innerparteilich der Vernunft zum Durchbruch zu verhelfen und unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schuchardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verspreche Ihnen, im Rahmen meines Diskussionsbeitrages zu § 4 des Hochschulrahmengesetzes nicht über die Vorschule zu sprechen.
Aber ich meine, es wäre vielleicht doch richtig gewesen, Frau Benedix, wenn Sie zugegeben hätten, daß es einem Hochschulrahmengesetz angemessen gewesen wäre, wenn wir uns auf eine Form von Gesamthochschule geeinigt hätten. Denn gerade zu einem Zeitpunkt, in dem man sich als Studienbewerber eben nicht mehr so ohne weiteres die Hochschule aussuchen kann, wäre es schon gut gewesen, wenn sich der Bundesgesetzgeber auf eine Form der Gesamthochschule geeinigt hätte.
Während der Debatte vorhin ist vieles zu diesem Thema gesagt worden. Ich möchte deshalb zur Begründung der Ablehnung dieser beiden Anträge für die Koalition nur weniges sagen.
Die Koalition ist der Auffassung, das in allen dazu geeigneten Studiengängen inhaltlich und zeitlich gestufte, integrierte und aufeinander bezogene Studiengänge angeboten werden sollten. Nur dadurch kann sichergestellt werden, daß wir Zwischenabschlüsse erreichen, die Berufsqualifikationen bringen und es ermöglichen, daß jemand nach einer gewissen Zeit von Berufstätigkeit — darauf abfbauend — weiter studieren kann. Wir müssen uns darüber Gedanken machen. Wir müssen im Rahmen der Studienreform eine Lösung finden, die bewirkt, daß wir den Studenten nicht so lange in der Erstausbildung halten, bis er alle Qualifikationen erreicht hat. Vielmehr muß es eben auch möglich sein — gerade im Zusammenhang mit dem Gedanken der Weiterbildung —, Lernschritte nachzuholen, damit jemandem, der den Mut hatte, eher aus unserem Bildungssystem auszusteigen, nicht gleichzeitig die Aufstiegschancen beschränkt sind.
Außerdem ist es für uns ein sehr wichtiges Anliegen, nicht Hochschulen erster und zweiter Ordnung zu schaffen. Wir haben ja die Erfahrung gemacht, daß z. B. Fachhochschulabgänger gerne auf die Hochschulen überwechseln, weil damit erfahrungsgemäß Aussichten auf bessere Besoldung, Aufstiegschancen und höheres Sozialprestige verbunden sind.
Die Verwirklichung dieser Beschlüsse bleibt dann den Ländern überlassen. Sie haben zu entscheiden,
ob sie in einer kooperativen oder integrierten Gesamthochschule durchzusetzen sind.
Nun zur Frage der Hochschulkonferenzen. Ich kann es verstehen, daß der Gesetzgeber in Bund und Land diejenigen, mit denen er zusammenarbeiten will, sich lieber in ihrer Meinungsbildung zerstückeln läßt, als daß er ihnen Gelegenheit gibt, zu einer gemeinsamen, koordinierten Auffassung zu kommen. Wenn der Landesgesetzgeber heute hochschulpolitische Fragen berät, steht er in der Regel einem ganzen Bukett von Hochschulen gegenüber, die naturgemäß unterschiedliche Auffassungen vertreten. Wir möchten im Rahmen dieses Gesetzes zumindest die Grundlage dafür schaffen, daß es möglich ist, daß die Hochschulen auf Landesebene sich ein Sprachrohr bilden. Im Gesetz findet sich nur eine Kann-Bestimmung. Das heißt, CDU/CSU-regierte Länder, die dieses Verfahren nicht wollen, brauchen es nicht einzuführen. Wenn über Fragen der Bundeshochschulkonferenz gesprochen wird, so muß vorab gesagt werden, daß eine Bundeshochschulkonferenz nur entstehen kann, wenn wir bereits Landeshochschulkonferenzen haben. Also auch hier ist der Einfluß der Länder natürlich entsprechend groß. Die Tatsache, daß wir heute den Versuch machen, die Rahmengesetzgebung des Bundesgesetzgebers auszunutzen, sollte für uns Anlaß sein, dem Bundesgesetzgeber die Chance zu geben, auf Bundesebene einen repräsentativen Gesprächspartner für Hochschulen zu schaffen. Der Entwurf enthält nur ein Angebot in dieser Hinsicht. Die Vorschrift ist nicht zwingend. Insofern ist es für uns als Koalitionsfraktionen völlig unergründlich, warum die Opposition diese ablehnende Haltung einnimmt.
Liegen weitere Wortmeldungen zu diesem Punkt vor? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU unter Ziffer 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wer § 4 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erstere war die Mehrheit. § 4 ist angenommen.
Ich rufe die §§ 5 und 6 auf. Hierzu liegen keine Änderungsanträge vor. Wer den beiden Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe § 7 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/2957 unter Ziffer 4 ein Änderungsantrag der CDU/ CSU-Fraktion vor, der soeben von der Abgeordneten Frau Bendix bereits begründet wurde. Wird zu diesem Antrag noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU unter Ziffer 4 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei-
9344 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Vizepräsident Dr. Jaeger
chen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt!
Ich lasse nunmehr über § 7 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? Mit Mehrheit beschlossen!
Ich rufe die §§ 8 bis 30 auf. — Das Wort wird hierzu nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. -
Enthaltungen? — Mit Mehrheit beschlossen!
Ich rufe § 31 auf. Hierzu liegt der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU unter Ziffer 5 der Drucksache 7/2957 vor, der von dem Abgeordneten Dr. Klein begründet wurde. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schweitzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU schlägt hier zweierlei vor: zum einen die Ersetzung des § 31 durch einen neuen § 44 a und zum anderen eine inhaltlich andere Fassung für das, was die Koalition hier unter § 31 vorlegt. Zu dem ersten Aspekt möchte ich sagen, es handelt sich dabei möglicherweise — das möchte ich ganz offen so formulieren — um einen Trick, der den Anschein erwecken soll, als ob es der Opposition darum gehe, alle Hochschulangehörigen, also auch die Hochschullehrer gegebenenfalls wirksam disziplinieren zu können.
) Das ist natürlich abwegig, weil ja auch die Opposition wissen muß, daß die Hochschullehrer, sofern sie Beamte sind, besonderen Disziplinarmöglichkeiten unterliegen.
Zur Sache ist folgendes zu sagen. SPD und FDP waren und sind im Grunde immer noch der Auffassung, daß die Notwendigkeit zum Einbau solcher Paragraphen — in unserem Falle eines Gewaltschutzparagraphen — in das Hochschulrahmengesetz auf Grund der Entwicklung an unseren Hochschulen — meßbar z. B. an manchen Asta-Wahlen der jüngsten Zeit — beinahe schon als überholt angesehen werden kann und Rufe nach solchen Bestimmungen heute eigentlich schon wieder negligiert werden können, um diesen Ausdruck wieder einmal zu benutzen. Die jetzt von der Koalition vorgeschlagenen Bestimmungen des § 31 stellen daher heute für uns eine Randerscheinung dieses Reformgesetzes, d. h. eine Quantité négligeable.
Ich gebe das zu Protokoll, um ebenso demagogische wie letztlich alberne Vorwürfe chaotischer Hochschulangehöriger, dieses Gesetz diene überhaupt nur der Disziplinierung einer fortschrittlichen Studentenschaft, von vornherein ad absurdum zu führen. Das ist selbstverständlich nach unserer Auffassung schärfstens zurückzuweisen. Als aktiver Hochschullehrer darf ich ausnahmsweise persönlich hinzufügen, daß ich selber wie viele andere immer schon mit der Androhung von Sanktionsmaßnahmen nach geltendem Strafrecht ausgekommen bin. Die Koalition glaubte dennoch, daß der Gesetzgeber der Tatsache Rechnung zu tragen habe, daß in den letzten Jahren an einer Reihe von Hochschulen sowohl
in sozial-demokratisch als auch in christlich-demokratisch regierten Ländern nachweislich immer wieder Situationen aus der Kontrolle geraten sind und Gewaltanwender nicht schnell genug — das ist der Punkt — und nicht wirksam genug zur Rechenschaft gezogen werden konnten.
Wir lehnen jedoch ganz eindeutig die Alternativfassung der Opposition ab, d. h. wir bestehen auf unserer Fassung für § 31, weil wir den Standpunkt vertreten, meine Damen und Herren, daß wirklich nur Fälle der Gewaltanwendung bzw. der Androhung von Gewalt mit der Möglichkeit von Sanktionen belegt werden sollten, daß aber nicht mit Begriffen, wie sie die Opposition, vertreten durch den Kollegen Klein, hier vorhin wiederum vorgeschlagen hat, der willkürlichen Handhabung Tür und Tor geöffnet werden darf. Wir müssen auch nur den Anschein vermeiden, daß mit solchen Bestimmungen z. B. rational begründete Kritik an und in Lehrveranstaltungen abgewürgt werden soll.
So ernst wir im übrigen in der Vergangenheit revolutionäre Planspiele an unseren Hochschulen oder auch die nach außen hin hier und da ruhiger verlaufenden, immer noch ein wenig nachzuweisenden „Märsche durch die Institutionen" genommen haben, so sehr meine ich, daß von einer ernsten Gefährdung unserer gesamtstaatlichen Ordnung von den Hochschulen her heute nicht mehr gesprochen werden kann. Wer in diesem Zusammenhang, wie es immer wieder geschehen ist, Gespenster an die Wand malt, handelt entweder aus unverantwortlichem Parteiegoismus mit dem Ziel, durch demagogische Ausfälle Stimmen Uninformierter einzufangen, oder aber ist inzwischen selber Opfer dessen geworden, was man im angelsächsischen Sprachgebrauch nur als sich selbst erfüllende Prophezeiungen bezeichnen kann.
Ganz generell sei in diesem Zusammenhang angemerkt: Appelle an Angst oder Hysterie könnten bei uns wieder einmal Geister rufen, die wir dann nicht wieder loswerden. Der Preis, den das gesamte Volk dann zu zahlen hätte, nur weil es einige wenige unter allen Umständen wieder nach der Macht im Staat gelüstet, könnte entsetzlich hoch werden.
§ 41 des Koalitionsentwurfs geht daher ausschließlich von den Merkmalen der Gewaltanwendung und — ich darf es wiederholen — der Androhung von Gewalt aus. Solchen Möglichkeiten soll und wird künftig durch die von uns vorgeschlagenen Sanktionsmechanismen wirksam begegnet werden können.
Darüber hinaus hat die Koalition im Gesetz nochmals ausdrücklich einen speziellen Hinweis auf das Hausrecht der Universitätsspitze untergebracht. Unsere Fassung des § 31 erfüllt nach Auffassung der SPD- und der FDP-Fraktion voll und ganz den intendierten Zweck.
Namens der Koalition beantrage ich die Ablehnung des von der CDU/CSU vorgelegten Gegenantrags.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9345
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann lasse ich über Ziffer 5 des Antrags der Fraktion der CDU/CSU abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse über § 31 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; § 31 ist angenommen.
Zu den §§ 32, 33 und 34 sind keine Änderungsanträge gestellt. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Zu § 35 liegt der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU unter Ziffer 6 vor. Wünscht dazu jemand das Wort? — Herr Abgeordneter Dr. Schäuble!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf noch wenige Sätze zu Ziffer 6 unseres Antrags, also zu § 35 Abs. 3 Nr. 2, sagen. Es geht uns bei diesem Antrag um zweierlei, um dies zumal angesichts der größeren Präsenz der Kollegen zu wiederholen. Wir wollen nicht, daß die Abiturienten, die etwa den geforderten Notendurchschnitt von 1,5 um Bruchteile, um vielleicht ein Zehntel, nicht erreicht haben, mit denjenigen Abiturienten gleichbehandelt werden, die das Abitur gerade noch mit 4,0 oder 3,9 bestanden haben.
Wir meinen, daß dies angesichts der länger gewordenen Wartezeiten eine Nivellierung und eine Aushöhlung des Abiturs bedeuten würde. Es ist nicht zu verkennen, daß an unseren Schulen für einen Oberprimaner, der weiß, daß er weder eine Durchschnittsnote von 1,5 erreichen wird noch Gefahr läuft durchzufallen, im Grunde jeder Leistungsanreiz zwischen 1,5 und 4,0 fehlt. Deswegen schlagen wir Ihnen eine Mischung aus der Abiturleistung und der nach dem Abitur in einer Berufstätigkeit erbrachten Leistung vor. Ich glaube, daß dies gerechter ist als die von Ihnen vorgeschlagene Regelung der Nivellierung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
bei aller Wertschätzung, Ihr Argument ist falsch. Die Frage ist, wie Sie Abitur und Berufstätigkeit während der Wartezeit gewichten. Es ist eine Frage der Strukturierung innerhalb unserer Formulierung von § 35 Abs. 3 Nr. 2, der durch die Länder bzw. — nach Ihrem Vorschlag — durch eine Rechtsverordnung ausgefüllt werden muß. Es ist nicht richtig, wenn Sie sagen, daß nach unserem Verfahren der durchschnittliche Abiturient keine Chance mehr habe.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, meinen Appell wiederholen. Sie wissen nicht, wie
schnell die Ausbildungsplätze in der beruflichen
Bildung nach Ihrer Regelung durch Abiturienten, die auf einen Studienplatz warten, zugestopft sein werden.
Wir alle kennen die Probleme in der beruflichen Bildung, für die Sie ja einen nicht geringen Teil Verantwortung tragen.
Da dem so ist, wollen wir nicht durch die Hochschulzugangsregelung das Problem des Numerus clausus von den Hochschulen auch noch in die berufliche Bildung und in die Arbeitsplätze, die Stellen für Jugendliche, verlagern. Das ist der Punkt, um den es geht. In der Sache sind wir gleicher Meinung. Wir wollen, daß der Abiturient die Wartezeit mit einer berufspraktischen Tätigkeit ausfüllt oder eine Berufsausbildung durchmacht. Aber wir wehren uns gegen die Starrheit Ihrer Regelung, die am Ende dazu führen wird, daß der Numerus clausus von den Hochschulen über die Hochschulzugangsregelung, wie Sie sie vorschlagen, in die berufliche Bildung verlagert wird. Vor dieser Infektion müssen wir warnen, und wir müssen an Sie appellieren, unserem Antrag zuzustimmen. Wir müssen Sie im Interesse sowohl der Abiturienten als auch der Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz in der beruflichen Bildung suchen, bitten, unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Herr Präsident, ich darf zu § 39 noch einmal auf die drei Punkte hinweisen, die ich heute morgen vortragen durfte, um dies gleich mitzubegründen. Wir möchten gern über die Streichung des § 39 erreichen, daß der Sachverstand der Länder in die Ausgestaltung der Detailregelungen des Hochschulzugangsverfahrens einbezogen wird. Dies ist bei einer Rechtsverordnung nicht möglich, denn diese muß das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft ausarbeiten,
und die Länder haben lediglich zuzustimmen oder abzulehnen. Aber die Gestaltung liegt beim Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, das keine praktischen Erfahrungen mit diesen Problemen hat, weil der Staatsvertrag von den Ländern geschlossen worden ist.
Im übrigen meinen wir, daß die Länder die Entscheidung über die Verteilung des zu knappen Angebots behalten müssen, weil sie schließlich auch für dieses Angebot zuständig sind; denn die personelle und finanzielle Ausstattung der Hochschulen und damit die Gestaltung der Hochschulkapazität wollen Sie ja nicht übernehmen, obwohl Sie sonst alle möglichen Kompetenzen anstreben. Sie lassen ja die Länder weiterhin mit dem Problem der Folgekosten des Hochschulausbaus allein, und deswegen müssen die Länder auch die Entscheidung über das Verfahren hinsichtlich der Zuteilung der Studienplätze haben.
Lassen Sie mich drittens sagen: Solange Sie die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Ihren § 39
9346 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Dr. Schäuble
nicht definitiv ausgeräumt haben, ist es ein abenteuerliches Unterfangen, eine Regelung für das Hochschulzugangsverfahren in dieses Gesetz hineinnehmen zu wollen, von der sie selber nicht sicher sein können, daß sie nicht am Ende wegen Verfassungswidrigkeit nichtig ist. Dann aber würde die gesamte Hochschulzugangsregelung mit unabsehbaren Konsequenzen zusammenbrechen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wernitz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf Grund der Aussprache, die zu § 35 Abs. 3 Nr. 2 in diesem Hause bereits stattgefunden hat, kann ich mich sehr kurz fassen. Ich muß Sie, Herr Kollege Schäuble, enttäuschen: Wir sehen uns nicht in der Lage, Ihrem Antrag zuzustimmen.
Ich darf noch einmal daran erinnern, daß wir von seiten der Koalition in der Aussprache ausgeführt haben, daß unsere Fassung einfach sachgerechter ist. Nach Ihrer Fassung kommen jene, die etwas schlechtere Abiturnoten haben, in der Tat nicht zum Zuge. Das muß man sehen; das ist ein ganz entscheidender Einwand. Außerdem — das ist ja alles in den Beratungen des Ausschusses bereits im einzelnen diskutiert und beraten worden — liegt in Ihrer Fassung — Herr Gölter, Sie haben ja die Position Ihres Änderungsantrags sehr stark vertreten — auch eine Tendenz zur Dynamisierung des Abiturs. Das darf man dabei auch nicht verkennen. Wenn man auf der einen Seite das Abitur so stark als Qualifikation herausstellt, sollte man dies von Ihrer Seite auch in die eigene Betrachtung und Argumentation einbeziehen.
Zwei weitere kurze Bemerkungen:
In Ihrem Änderungsantrag ist wiederum das Institut der Wartezeit enthalten. Ich darf hier nur an das erinnern, was in der Aussprache dazu gesagt wurde. Wir lehnen die Wartezeit ab; wir halten sie nicht für ein adäquates Instrument. Ich darf in diesem Zusammenhang auch daran erinnern, daß wir hier in sehr guter Gesellschaft sind. Ich erinnere an den Wirtschaftsrat und auch an die Ausführungen des Planungsausschusses zum Vierten Rahmenplan, wo dazu sehr klare Aussagen gemacht worden sind.
Letzte Bemerkung!
— Nein, ich möchte zum Schluß kommen. — In Ihrem Antrag ist noch einmal das „Parkstudium" enthalten. Auch das halten wir für nicht sachgerecht.
Alles in allem: Es besteht keine Grundlage, Ihrem Änderungsantrag zuzustimmen. Die sozialliberale Koalition bittet um Ablehnung dieses Änderungsantrags.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich lasse über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU unter Ziffer 6 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit abgelehnt.
Damit komme ich zur Abstimmung über § 35 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit derselben Mehrheit angenommen.
Ich rufe die §§ 36, 37 und 38 suf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit angenommen.
Ich komme zu § 39. Hier ist Streichung beantragt. Die Begründung ist soeben durch den Abgeordneten Schäuble erfolgt. Wird noch das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Gerechtigkeit wegen im Hochschulwesen etwas bundeseinheitlich sein muß, dann doch ganz bestimmt der Hochschulzugang. Der Bund hat nach Art. 75 Nr. 1 a des Grundgesetzes eine Gesetzgebungskompetenz, die die Aufnahme einer Verordnungsermächtigung im Hochschulrahmengesetz zuläßt.
Nun hat der Kollege Schäuble erklärt, seine verfassungsrechtlichen Bedenken seien nicht völlig ausgeräumt. Ich darf versuchen, mit wenigen Worten Ausräumkommando zu spielen.
Erstens. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Verordnungsermächtigungen in einem Rahmengesetz hat der Bundesrat schon im Oktober 1954, nämlich beim vorläufigen Besoldungsrahmengesetz, selbst bejaht.
Zweitens. Von dieser Möglichkeit wurde vom Bundesrat unbeanstandet z. B. beim Bundesjagdgesetz und beim Entwurf eines Bundesmeldegesetzes beim ersten Durchgang im Bundesrat Gebrauch gemacht.
— Das Gutachten des Herrn Professors Maunz zu dieser Frage kenne ich. Es ist in dem Punkt nicht einschlägig, es ist aber insbesondere dadurch bemerkenswert, daß er sich mit der Numerus-claususEntscheidung nicht auseinandersetzt. Wenn Sie die Numerus-clausus-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts danebenhalten, werden Sie aus dieser
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9347
Dürr
Entscheidung mehr Honig saugen können als aus
dem klugen Gutachten des Herrn Professor Maunz.
Das Bundesverfassungsgericht hat in Kenntnis der Stellungnahme des Bundesrates zum Hochschulrahmengesetz im ersten Durchgang gesagt, die Verteilung aller freien Studienplätze solle möglichst unter Anwendung einheitlicher Auswahlkriterien erfolgen, und es sei in erster Linie Sache des Bundes, hier unter Ausnutzung der ihm gegebenen legislativen und verwaltungsmäßigen Möglichkeiten das Notwendige zu tun. Die Verordnungsermächtigung ist also verfassungsrechtlich unbedenklich.
Sie ist auch sachlich geboten. Es wird eine Lösung angestrebt, die den Ländern neue, möglicherweise erfolglose Einigungsbemühungen erspart. Bei dieser Lösung können der Staatsvertrag und die ergänzenden Länderverordnungen als solche erhalten bleiben, freilich mit den durch das Hochschulrahmengesetz bewirkten inhaltlichen Änderungen. Diese Ermächtigung macht die Kündigung des Staatsvertrages durch die Länder entbehrlich, die eine solche Kündigung bereits in Aussicht gestellt haben. Diese Kündigung sollte vermieden werden, schon weil die Kündigung des Staatsvertrages die Auflösung der Zentralstelle mit sich bringen würde, zu deren Aufrechterhaltung das Hochschulrahmengesetz die Länder ja gerade verpflichtet.
Nun sagte Herr Dr. Schäuble, die Verordnungsermächtigung sei nicht richtig, denn der Bund habe auf diesem Gebiet keine praktische Erfahrung.
Herr Kollege Schäuble, der Bund wird sich, bevor er eine Verordnung beschließt und dem Bundesrat zuleitet, schon aus eigenem Interesse mit den Ländern in Verbindung setzen, weil eine solche Verordnung nämlich der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Gegenüber dem Regierungsentwurf wurde übrigens die Verordnungsermächtigung auf alle sonstigen Bestimmungen zur Durchführung von § 35, der das allgemeine Auswahlverfahren behandelt, erweitert, soweit Bundeseinheitlichkeit erforderlich ist und übereinstimmendes Landesrecht nicht besteht. Diese nur subsidiäre Ermächtigung soll den Bedenken Rechnung tragen, daß die Anwendung der Maßstäbe des § 35 an mangelnder Einigung der Länder über Durchführungsbestimmungen scheitern könnte. Zur Zeit besteht noch übereinstimmendes Landesrecht. Die subsidiäre Verordnungskompetenz des Bundes soll nur für den Eventualfall bei Kündigung des Staatsvertrags Vorsorge treffen.
Ich möchte Sie bitten, von Ihrem Änderungsantrag Abstand zu nehmen und mit den Koalitionsparteien diesem subsidiären Sicherheitsnetz zuzustimmen.
Wird des weiteren das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Abstimmung. Streichungsanträge werden in zweiter Lesung dadurch erledigt, daß diejenigen, die streichen wollen, mit Nein stimmen.
Wenn sie die Mehrheit erreichen, ist damit ja der Paragraph gefallen. Ich lasse also über § 39 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; § 39 ist in der Ausschußfassung angenommen. Der Streichungsantrag ist damit erledigt.
Ich komme damit zu den §§ 40 und 41. Wer den Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit großer Mehrheit beschlossen.
Ich komme zu § 42 und damit zum Änderungsantrag der CDU/CSU unter Ziffer 8. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Dr. Fuchs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In § 42 sind die Zusammensetzung der Hochschulgremien und der Stimmenanteil in ihnen festgelegt. Diese Regelung hat eine enorme Bedeutung für den den Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverstand und für die Festlegung und die Abgrenzung der Verantwortung der einzelnen Gruppen.
Nun ist in Abs. 3 der Stimmenanteil umstritten, den die Professoren in den Gremien mit Entscheidungsbefugnissen haben. Sicher ist festzustellen, daß die SPD und die FDP auf einem mühsamen und sicher auch widerwillig begangenen Weg von der Drittelparität über den Versuch, durch die Zusammenfassung von Professoren und Assistenzprofessoren das Bundesverfassungsgerichtsurteil zu unterlaufen, bis zu der jetzigen Formulierung einen Fortschritt erzielt haben. Aber es gibt keinen Zweifel für die CDU/CSU-Fraktion, daß die Koalition den entscheidenden Schritt dabei noch nicht getan hat. Es bleiben gravierende Mängel, die beseitigt werden müssen, wenn eine Mitbestimmung nach Funktion, nach Qualifikation und nach Betroffenheit der Mitglieder worüber ja zwischen den Fraktionen Einigkeit besteht — tatsächlich dieses Gesetz bestimmen soll.
Die Koalition vertritt in Abs. 3 beim Stimmenanteil der Professoren, die auf Grund ihres Sachverstandes, ihrer Erfahrung, ihrer lebenslangen Verantwortung für die Hochschule und für die von der Hochschule wahrzunehmenden Aufgaben mit Recht das Hauptgewicht bei den Entscheidungen für Lehre und Forschung haben müssen, leider auch jetzt das Prinzip der Minimalisierung, wenn sie die Regelung getroffen hat, daß in den Kollegialorganen die Gruppe der Professoren lediglich über die Zahl der Stimmen verfügen darf, die für die absolute Mehrheit gerade erforderlich und noch ausreichend ist. Eine so sehr auf das Patt hin gegriffene Regelung bringt aber zweifelsohne Instabilität mit sich,
weil keine klare Verantwortung einer Gruppe festgeschrieben ist.
Und Instabilität bringt auch die Gefährdung der Institution Hochschule mit sich. Die CDU/CSU-Frak-
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Dr. Fuchs
tion lehnt demgegenüber diese verpflichtende rahmengesetzliche Begrenzung der Mehrheit der Professoren in § 42 Abs. 3 des Gesetzentwurfs auf die Mindestanforderung der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung vom 29. Mai 1973 ab. Sie will mit dieser Änderung des Abs. 3 erreichen, daß den Landesgesetzgebern die Möglichkeit eröffnet wird, darüber hinausgehende Mehrheiten der Professoren vorzusehen. Denn andernfalls wird der gesetzgeberische Spielraum der Landesgesetzgeber völlig beseitigt. Dies widerspricht aber dem Charakter eines Rahmengesetzes, das nur die allgemeinen Grundsätze vorsehen kann.
Ein besonders schwerwiegender Mangel der Koalitionsfassung liegt im Abs. 5 vor, der den Entscheidungsvorgang bei Berufungsvorschlägen regelt. Das Bundesverfassungsgericht hat festgelegt, daß bei Entscheidungen, die unmittelbar die Forschung oder die Berufung von Hochschullehrern betreffen, der Gruppe der Hochschullehrer ein weitergehender, ausschlaggebender Einfluß so wörtlich — vorbehalten bleiben muß. Von einem ausschlaggebenden Einfluß kann aber nicht gesprochen werden, wenn die Professoren dann, wenn ihre Mehrheit nicht mit dem Vorschlag des Berufungsgremiums einverstanden ist, nach dem Wortlaut des jetzt vorliegenden Gesetzentwurfs lediglich einen weiteren Berufungsvorschlag vorlegen können; denn damit kann die Berufung eindeutig auch gegen den Willen der Mehrheit der Professoren erfolgen.
Um den Professoren das ihnen vom Bundesverfassungsgericht zugestandene Recht bei den Berufungen nicht vorzuenthalten, schlägt die CDU/CSU-Fraktion die Regelung vor, daß Berufungsvorschläge der Mehrheit der Stimmen der dem Gremium angehörenden Professoren bedürfen, so daß der Kultusverwaltung von seiten der Hochschule nur eine Berufungsliste vorliegt.
Um diesen ausschlaggebenden Einfluß der Professoren zu sichern, ist es weiter erforderlich, daß, wenn im zweiten Abstimmungsvorgang keine Entscheidung mit der Mehrheit der Professoren zustande gekommen ist, für Berufungsvorschläge dann die Mehreit der dem Gremium angehörenden Professoren genügt.
Damit ist der Verantwortung der Professoren bei Berufungen Rechnung getragen.
Meine Damen und Herren, eine gleiche Regelung ist bei Entscheidungen in Angelegenheiten der Forschung erforderlich. Dieser Gesichtspunkt ist bedauerlicherweise bei der von den Fraktionen der SPD und der FDP vorgelegten Formulierung völlig außer acht gelassen worden. Nur durch die Vorschläge der CDU/CSU-Fraktion wird dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts voll Rechnung getragen werden können.
Herr Präsident, wenn Sie gestatten, werde ich gleich Ziffer 9 unseres Änderungsantrags — hier geht es um § 45 — begründen. In diesem § 45 sind die Aufgaben und die Stellung der Studentenschaft geregelt. Als wichtigsten Punkt sieht der Gesetzentwurf die verfaßte Studentenschaft verpflichtend für alle Bundesländer vor. Zunächst: es ist zweifelsohne eine gewisse Inkonsequenz, daß für eine einzige Gruppe der Hochschule eine eigene Teilkörperschaft festgelegt wird.
Es besteht die Gefahr, daß auch andere Gruppen eine ähnliche Statusregelung anstreben können und daß dadurch das Zusammenwirken der Hochschulgruppen eher gestört als gefördert wird. Entscheidend ist aber, daß keinerlei Grund ersichtlich ist, zwangsweise eine Vereinheitlichung der Studentenvertretung in allen Bundesländern einzuführen. Gerade hinsichtlich dieser Frage der Organisation der Studentenschaft sollte die Möglichkeit bestehen, meine Damen und Herren, neben der verfaßten Studentenschaft auch andere, modernere Formen der studentischen Vertretung zu belassen und in Konkurrenz zueinander weitere Modelle zu entwickeln. Ein Hochschulwesen, das das Zusammenwirken der einzelnen Gruppen auf eine neue gesetzliche Basis stellt, sollte auch in der Frage der Studentenvertretung neue Wege gehen können.
Die CDU/CSU tritt mit ihrem Antrag zu § 45 für eine flexiblere Regelung ein. Sie will es dem Landesgesetzgeber überlassen, welche Organisationsformen der Studentenvertretung er hinsichtlich seines Be- reiches für angemessen hält. Ich darf hier auf die Regelung z. B. des bayerischen Hochschulgesetzes verweisen. Nach diesem Modell haben die Studenten auch ohne verfaßte Studentenschaft ein vermehrtes Mitspracherecht in den akademischen Gremien, und sie verfügen ebenfalls über eine zentrale Organisation. Gleichzeitig werden aber Möglichkeiten des Mißbrauchs der Organisation und der Finanzen verhindert. Meine Damen und Herren, es gilt, gerade diesen Gesichtspunkt hier mit besonderem Nachdruck zu bedenken.
Im Gesetzentwurf ist zwar festgelegt, daß die Studentenschaft auf die Wahrnehmung hochschulpolitischer, sozialer und kultureller Belange der Studenten beschränkt sein muß.
Die leidvolle Erfahrung hat aber bewiesen, daß die verfaßte Studentenschaft trotz der Tatsache, daß ihr kein allgemeines politisches Mandat zusteht — ich meine, das steht den Volksvertretungen zu —, zweifelsfrei oft genug in rechtswidriger Weise und unter Mißachtung des Sinnes der Zwangsmitgliedsbeiträge dieses allgemein-politische Mandat ausgeübt hat.
Daraus ergeben sich rechtliche Probleme, wie uns ja
Verwaltungsgerichtsurteile bestätigen. Gerade die-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9349
Dr. Fuchs
ses immer wieder in Anspruch genommene oder jedenfalls praktizierte Mandat, das sehr schwer gegenüber den hochschulpolitischen Fragen abzugrenzen ist, hat die verfaßte Studentenschaft oft in Mißkredit gebracht und den Studenten und den Hochschulen insgesamt einen mehr als schlechten Dienst erwiesen. Deswegen sollte im Gesetz eine liberalere Möglichkeit für die Gesetzgebung der einzelnen Bundesländer vorgesehen werden.
Aus all diesen Gründen glaube ich sagen zu können, daß der Vorschlag, den wir, die CDU/CSU, machen, vernünftiger, freizügiger ist, daß er künftigen Belastungen mehr gewachsen ist.
Damit darf ich abschließen und Ihnen die Änderungsanträge zum Thema Mitbestimmung in Forschungs- und Berufungsfragen und zum Thema der studentischen Vertretung zur Annahme empfehlen. Sie zielen auf eine klare Abgrenzung und Zumessung der Verantwortung ab. Sie wollen den Bundesländern im Rahmen des Grundgesetzes und des Zweckmäßigen einen Entscheidungsspielraum belassen, und sie leisten einen Beitrag für eine solide und freiheitliche Entwicklung an unseren Hochschulen. Ich bitte Sie, diesen Änderungsanträgen zuzustimmen.
'Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Meine Damen und Herren, damit sind die Änderungsanträge unter den Ziffern 8 und 9 der Drucksache 7/2957 begründet. Zur Aussprache hat sich der Herr Abgeordnete Möllemann gemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Fuchs hat gerade darauf hingewiesen, daß Demokratisierung manchmal auch Instabilität bringen könne. Wenn ich daraus den Umkehrschluß ziehen wollte, käme ich zu beachtenswerten Staatsformen auf der größeren Ebene und zu anderen Schlüssen für Mitwirkungsrechte auf der niedrigeren Ebene.
— Herr Kollege Reddemann, nun reden Sie wenigstens nicht bei Sachen mit, von denen Sie wirklich nichts verstehen.
Die Kollegin Frau Benedix hat hier zwei bemerkenswerte Redewendungen geprägt. Einmal hat sie von dem Vormarsch auf dem Weg zurück gesprochen. Ich meine, dieser Änderungsantrag ist tatsächlich ein Vormarsch auf dem Weg zurück, und zwar — jetzt komme ich zu Ihrem zweiten Ausdruck, zur Mammutisierung — auf dem Weg zur Mammutisierung des Professorenanteils in allen Entscheidungsgremien. Wir meinen, wir sollten diese Regelung, wie sie von Ihnen vorgeschlagen wird, nicht akzeptieren, sondern die von der Koalition vorgeschlagene Regelung annehmen, die erstens verfassungsgemäß, zweitens sachlich vertretbar und drittens demokratischer ist.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, natürlich.
Herr Möllemann, haben Sie recht hingehört, oder interpretieren Sie den Weg zur Vernunft als einen Weg zurück?
Ich interpretiere den Weg zur Vernunft als einen Weg, auf den sich die sozialliberale Koalition gar nicht mehr begeben muß, weil sie schon immer darauf gewesen ist.
Sie, verehrte Frau Kollegin Benedix, haben für Ihre Fraktion hier erklärt — so haben Sie wörtlich gesagt —: „Der Vormarsch auf dem Weg zurück zur Vernunft muß weitergehen. „Für uns ist der Vormarsch auf dem Weg zur Vernunft niemals ein Weg zurück, sondern immer nach vorn, wie wir überhaupt mit unserer Politik nach vorn gehen und nicht zurück. Dieser Antrag ist nun einmal leider ein Schritt zurück in Zustände, die wir hier nicht haben wollen.
— Ich weiß nicht, wieviel Brecht Sie jeden Tag lesen; mir reicht eigentlich meine Portion, die ich pro Woche habe.
Der zweite Bereich: Der Antrag unter Ziffer 9 zum Thema verfaßte Studentenschaft. Hier haben wir heute bereits in der Aussprache zur zweiten Lesung dargelegt, warum wir glauben, daß die CDU/CSU eine starke Abneigung gegenüber der Organisationsform der verfaßten Studentenschaft hat: vorwiegend deswegen, weil ihr diese Gremien recht unbequem sind. Wir glauben, daß in der Vergangenheit sich die verfaßte Studentenschaft als die sachgemäßeste Organisationsform erwiesen hat. Die Aufsichtsregelungen, die der Kollege Fuchs hier noch unterstrichen hat, stehen auch im Gesetz.
Wir haben darüber hinaus ein eindeutiges Votum sowohl der Dachverbände der Studentenschaften als auch aller politischen Bundesverbände der Studentenschaft. Ich bin in der eigenartigen Situation, Sie bitten zu müssen, dem Votum des RCDS und der CDU Nordrhein-Westfalen zuzustimmen, die genau wie wir für die verfaßte Studentenschaft sind. Dies tue ich an sich nicht gern, weil die Idee eigentlich von uns kommt. Die nordrhein-westfälischen Kolle- gen der CDU werden jedenfalls den Beschluß ihrer
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Möllemann
Landespartei realisieren und diesem Vorschlag zustimmen.
Das Wort wird nicht mehr begehrt. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Ziffer 8 des Änderungsantrags auf Drucksache 7/2957 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Danke. Der Antrag ist abgelehnt.
Wer § 42 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Bei zwei Stimmenthaltungen ist § 42 angenommen.
Ich rufe nunmehr § 43 und § 44 auf. Wer den aufgerufenen Paragraphen in der zweiten Lesung zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Bei wenigen Gegenstimmen und zahlreichen Stimmenthaltungen angenommen.
Wir kommen damit zu § 45. Der Änderungsantrag unter Ziffer 9 der Drucksache 7/2957 ist bereits begründet. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer § 45 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — § 45 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe die §§ 46 bis 62 auf. — Das Wort wird nicht begehrt. Wer den aufgrufenen Paragraphen in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Bei zahlreichen Stimmenthaltungen sind die aufgerufenen Paragraphen angenommen.
Ich rufe § 63 auf. Hier liegt ein Änderungsantrag auf Drucksache 7/2957 Ziffer 10 vor. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Oldenstädt. Herr Kollege, wenn ich das richtig sehe, wollen Sie gleichzeitig den Antrag unter Ziffer 11 begründen. Dann erteile ich Ihnen auch dazu das Wort und rufe gleichzeitig § 67 auf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil unsere Änderungsanträge zu den §§ 63 und 67 des Hochschulrahmengesetzes eine logische Konsequenz aus den grundsätzlichen Ausführungen meiner Kollegen Dr. Gölter, Dr. Schäuble und Dr. Probst sind — insbesondere zum Verhältnis von Staat und Hochschule — und weil ich nicht die Hoffnung habe, durch noch so eingehende und überzeugende Argumente oder deren Wiederholung Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause jetzt zu ändern, fasse ich mich kurz.
§ 63 trägt die Überschrift „Aufsicht". Die Regierungskoalition hat sich lange gegen eine über die reine Rechtsaufsicht hinausgehende Aufsicht gewehrt. Sie hat sich schließlich zu einer Formulierung bereit gefunden, die das Wort „Fachaufsicht" zwar ängstlich vermeidet, dem Landesgesetzgeber in einer Kann-Vorschrift jedoch das Recht einräumt, durch Gesetz eine weitergehende Aufsicht in den Bereichen einzuführen, in denen die Hochschulen staatliche Aufgaben wahrnehmen, insbesondere in der Personalverwaltung, der Wirtschaftsverwaltung, der Haushalts- und Finanzverwaltung und der Krankenversorgung.
Es soll nicht verkannt werden, daß die durch die SPD/FDP-Mehrheit im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft beschlossene Fassung weithin den Vorstellungen des Bundesrates entspricht. Diese Vorstellungen hatte der rheinland-pfälzische Kultusminister Bernhard Vogel in der 397. Sitzung des Bundesrates am 19. Oktober 1973 wie folgt formuliert — ich darf mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, zitieren —:
Die Aufsicht des Landes darf nicht auf Rechtsaufsicht zugeschnitten werden. In § 60
— das ist der jetzige § 63 —
muß unmißverständlich und zweifelsfrei dem Landesrecht eine weitergehende Aufsicht ermöglicht werden. Wir fordern dies nicht, um die Hochschule stärker beschränken zu können, sondern weil wir ihr durch die Entlastung von einer falschen Allzuständigkeit wieder größeren Freiraum für ihre eigentlichen Aufgaben in Wissenschaft und Forschung verschaffen wollen. Viele, die forschen, und viele, die lehren und studieren möchten, werden es uns danken.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion geht mit ihrem Änderungsvorschlag einen Schritt weiter. Sie möchte die Kann-Vorschrift zur weitergehenden Aufsicht im Bereich der staatlichen Aufgaben der Hochschule zu einer uneingeschränkten Verpflichtung für den Landesgesetzgeber machen. Das soll aus Gründen der Einheitlichkeit geschehen — wir sind nämlich nicht sicher, daß in den sozialdemokratisch geführten Ländern die gleichen Konsequenzen aus der Kann-Vorschrift gezogen werden wie in den von CDU und CSU regierten Ländern —, und es soll geschehen, weil wir den zuständigen Ministern nicht nur Rechte einräumen, sondern auch Pflichten auferlegen wollen, deren Erfüllung der parlamentarischen Kontrolle unterliegt.
Unser Antrag zur Änderung des § 63 lautet:
In Absatz 2 Satz 1 letzter Halbsatz ist das Wort „kann" durch das Wort „ist" zu ersetzen. Die Worte „vorgesehen werden" sind durch das Wort „vorzusehen" zu ersetzen.
§ 67 definiert die Aufgaben zentraler Kollegialorgane. Im Regierungsentwurf war der gesamte Katalog der Aufgaben zunächst einem zentralen Kollegialorgan zugeordnet. In Abs. 2 dieses Paragraphen war lediglich angedeutet, daß die Aufgaben auch mehreren zentralen Kollegialorganen zugewiesen werden könnten. Wir begrüßen ausdrücklich, daß im Ausschuß eine Formulierung gefunden werden konnte, die einem Organ, dem Konzil oder dem
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Dr.-Ing. Oldenstädt
Großen Senat, die politischen und repräsentativen Aufgaben der Beschlußfassung über die Grundordnung und der Wahl der Leitung der Hochschule und die übrigen Aufgaben dem zweiten Kollegialorgan, dem Kleinen Senat, überträgt und sie damit in erster Linie der Kompetenz der Professoren unterstellt. Wir begrüßen diese Entwicklung aus sachlichen Erwägungen, aber auch deshalb, weil die Koalition hier ursprünglich ideologisch bestimmte Positionen aufgegeben und aus veränderten Erkenntnissen in demokratischer Offenheit neue Schlüsse gezogen hat.
In einem Punkte allerdings können wir auch der Ausschußfassung nicht zustimmen, und darauf bezieht sich unser Änderungsantrag. Die Koalitionsfraktionen möchten dem Landesgesetzgeber die Möglichkeit geben, die Hochschulen mit einem eigenen Haushalt zu versehen, über dessen global zugeteilte Mittel diese in einem zentralen Kollegialorgan beschließen. Die CDU/CSU-Fraktion ist demgegenüber der Auffassung, daß die Mitwirkungsmöglichkeiten der Hochschulen bei der Aufstellung der Landeshaushalte genügen. Sie betrachtet eine globale Mittelzuweisung zugleich als einen Rückzug aus der Hochschulpolitik. — Wir stellen den Antrag, den zweiten Halbsatz in Abs. 2 Nr. 2 des § 67 in der Ausschußfassung zu streichen.
Im Geleitwort des bayerischen Staatsministers für Unterricht und Kultus, Hans Maier, zum bayerischen Hochschulgesetz vom 21. Dezember 1973 heißt es — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —:
Richard Löwenthal hat mit Recht hervorgehoben, daß heute die Gefährdung freier Wissenschaft und Forschung in den westlichen Ländern nicht mehr so sehr vom Staat ausgeht, sondern aus der akademischen Korporation selbst kommt.
Gesetzgebung wird unter solchen Umständen zum notwendigen Geleitschutz der Reform. Sie muß Reforminitiativen aus den Hochschulen so absichern, daß sie nicht mangels Kompetenz auf der Strecke bleiben oder im Dickicht der Gruppeninteressen ersticken. In diesem Sinn will das Gesetz eine Hilfe für die Hochschulen sein.
Dies ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, genau der Hintergrund, vor dem wir unsere Änderungsanträge stellen. Wir sind der Auffassung, daß das letztgenannte Ziel, eine Hilfe für die Hochschule zu sein, durch das Hochschulrahmengesetz nur erreicht werden kann, wenn Sie unseren Anträgen zustimmen.
Damit sind die Anträge unter den Ziffern 10 und 11 begründet. Das Wort in der Aussprache hat der Herr Abgeordnete Dr. Wernitz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mich wiederum sehr kurz fassen. — Wir haben bei beiden Anträgen, die hier soeben begründet worden sind, eine Argumentation festzustellen, die in sich nicht mehr schlüssig ist. Sie sagen auf der einen Seite ständig, man solle die Länder nicht zwingen, man solle sich an den Charakter des Rahmengesetzes halten. Hier aber sagen Sie nun, es wäre gut, wenn man eine flexiblere Regelung hätte. Diesen Bruch, den Sie in der Argumentation haben, kann man nach unserer Meinung nicht mitvollziehen. Das wollte ich einmal zum Grundsätzlichen sagen.
Zweitens eine Bemerkung zu dem Antrag bezüglich des § 63. Wir haben hier klipp und klar für die Länder die Möglichkeit eröffnet, im Rahmen der Kann-Vorschrift eine weitergehende Aufsicht als die Rechtsaufsicht einzuführen. Diese Möglichkeit kann von den Ländern wahrgenommen werden. Ich meine, daß das auch durchaus ausreicht; zumal sich der Bundesrat exakt auf denselben Standpunkt stellt. Dann soll man da nicht wieder herumdividieren.
Zum dritten, was den Antrag zu § 67 angeht: Unsere Fassung stellt sicher, daß jene Länder, die einen solchen Globalhaushalt, einen eigenen Hochschulhaushalt haben und ihn beibehalten wollen, das in Zukunft auch tun können. Das ist vernünftig; das entspricht dem Charakter des Rahmengesetzes.
Wir bitten deshalb, beide Änderungsanträge abzulehnen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag auf Drucksache 7/2957 unter Ziffer 10 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über § 63 in der Ausschußfassung. Wer § 63 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe !
— Stimmenthaltungen? — Gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe die §§ 64, 65 und 66 auf. — Das Wort wird nicht begehrt. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen.
— Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Bei zahlreichen Stimmenthaltungen sind die aufgerufenen Paragraphen angenommen.
Ich rufe § 67 auf. Hierzu liegt der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/2957 unter Ziffer 11 vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
— Danke. Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer § 67 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe die §§ 68 bis 87, Einleitung und Überschrift, auf. Wer diesen Paragraphen, der Einleitung
9352 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
und Überschrift in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Gegen die Stimmen der Opposition ohne Stimmenthaltungen in der zweiten Beratung angenommen. Meine Damen und Herren, damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort hat der Herr Bundesminister Rohde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn nunmehr zwölf Monate nach der ersten Lesung das Hochschulrahmengesetz in diesem Hause zur Verabschiedung in dritter Lesung vorliegt, dann ist das in erster Linie der intensiven und, wie ich hinzufügen möchte, auch konstruktiven Beratung im Bundestagsausschuß für Bildung und Wissenschaft zu verdanken. Ich möchte diesem Sachverhalte gegenüber gleich zu Beginn meinen Respekt erweisen und beziehe in diesen Dank auch meinen Amtsvorgänger ein, der für diesen Entwurf wichtige Richtpunkte gesetzt hat.
Es ist kein Zweifel, daß die Ausschußberatungen mit komplizierten Einzelvorschriften befaßt waren, daß sie aber auch, zu Beginn jedenfalls, von einer Reihe kontroverser Auffassungen in Grundsatzpositionen gekennzeichnet gewesen sind. Die heutige Debatte — und dabei stütze ich mich auf Erklärungen aus allen Fraktionen — hat ergeben, daß im Laufe der Beratungen diese grundsätzlichen Auffassungsunterschiede, die kontroversen Positionen abgebaut werden konnten. Das ist nicht nur ein Vorgang, der im Parlament deutlich geworden ist. Er kennzeichnete in den letzten Monaten auch die öffentliche Diskussion. Dieser Prozeß der Annäherung kann nun nicht als eine Linie des „faulen Kompromisses" bezeichnet werden. Dahinter steht das Ergebnis umfänglicher Sachverständigenanhörungen und schließlich auch das Wissen darum, daß eine Rahmengesetzgebung für ein föderalistisches Bildungssystem die hochschulpolitischen Erfahrungen und die Auffassungen der Länder nicht außer acht lassen kann. Daß dies nicht bedeutet, grundlegende Reformnotwendigkeiten aufzugeben, zeigt der Gesetzentwurf in seiner vorliegenden Fassung.
Es würde nun dem tatsächlichen Verlauf der Ausschußberatungen nicht gerecht und würde auch in der Sache überhaupt nicht weiterhelfen, wenn jetzt gleichsam, wie das teilweise in der Debatte heute versucht worden ist, an Hand einer Strichliste von allen Beteiligten ein Punktekonto jeweils zu ihren Gunsten ausgezählt würde. Ich werde mich an diesem Zählen unter dem Gesichtspunkt der Selbstgerechtigkeit nicht beteiligen.
Angesichts der großen Strukturprobleme unseres Hochschulwesens zählen nach meiner Meinung keine kleinlichen parteitaktischen Gesichtspunkte. Von Gewicht ist allein die Frage, in welcher Weise der Bund
mit diesem Gesetz gesamtstaatliche Verantwortung für das Hochschulwesen wahrnimmt.
Mit dem Hochschulrahmengesetz ist mithin für den Bund die wichtige Frage verbunden, ob er seine bildungspolitische Aufgabe, die ihm von der Verfassung zugewiesen worden ist, erfüllen will. Würde er das nicht und würde sich der Bund nur darauf beschränken, finanzielle Beiträge zum Ausbau der Hochschulen zu leisten, ohne ihre innere Ordnung mitzugestalten, wie es die Verfassung will, so würde dies schwerwiegende Konsequenzen haben. Ich will es zugespitzt, wie ich zugebe, sagen: die Bildungspolitiker im Bundestag und auch in der Bundesregierung dürfen nicht in die Rolle hineingeraten, nur Lobbyisten für den quantitativen Ausbau des Hochschulwesens innerhalb eines föderalistischen Bildungssystems zu sein.
Ich darf daran erinnern, daß 1969 von diesem Parlament, und zwar mit großer Mehrheit, der finanzielle Beitrag zum Hochschulausbau und die Rahmenkompetenz für die innere Ordnung der Hochschulen als eine Einheit betrachtet worden sind. Diese Bundesverpflichtung würde aus dem Gleichgewicht geraten, würde sich der Bund in Zukunft nur noch finanziell engagieren, aber nicht mehr seine hochschulpolitischen Verpflichtungen erfüllen.
Ersten würde das bedeuten, daß an die Stelle einer am gesamtstaatlichen Interesse orientierten Bildungspolitik wieder das treten würde, was in der Vergangenheit gelegentlich der „Kirchturmsföderalismus" genannt worden ist. Dann würde der Bund nichts weiter als der Notar der auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebrachten Länderinteressen sein. Ich will dazu offen sagen: hierzu hätte es der Verfassungsänderung von 1969 nicht bedurft.
Zweitens würden wir in einem solchen Falle Gefahr laufen, daß sich nicht Grundstrukturen einer deutschen Hochschule entwickeln, sondern die bayerische, niedersächsische und andere Hochschullandschaften unverbunden nebeneinander stehen würden. Das einzig Stetige wären dann gleichsam das dauernde Experimentieren und die permanente Auseinandersetzung. Der vielzitierten Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse und den gleichen Chancen im föderalistischen Bildungssystem wäre dann weithin der Boden entzogen.
Das würde — dies möchte ich den Worten des Kollegen Vogel aus Rheinland-Pfalz hinzufügen — dann auch entscheidend die Leistungsfähigkeit und die Funktionsfähigkeit der Hochschulen in der Bundesrepublik insgesamt berühren.
Drittens muß nüchtern festgestellt werden, daß es eine Reihe von schwerwiegenden Problemen gibt — das spiegeln die öffentliche Diskussion und auch die Erfahrungen der Studierenden an den Hochschulen wider —, die allein mit quantitativem
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9353
Bundesminister Rohde
Ausbau der Hochschulen nicht mehr bewältigt werden können. Das muß an dieser Stelle heute festgestellt werden. Wenn wir keine rahmenrechtliche Regelung für Studienreform, keinen sozial gerechteren Hochschulzugang und keine sachgerechte Personalstruktur verabschieden, dann bedeutet dies, die Hochschule nicht nur ohne Antwort auf ihren gegenwärtigen, doch schon sehr zugespitzten Probleme zu lassen, sondern sie auch mit neuen Belastungen und Ungewißheiten in die Zukunft hineingehen zu lassen. Es ist — auch das will ich offen zu der Anmerkung meines Kollegen Vogel aus Rheinland-Pfalz sagen — bei realistischer Wertung des deutschen Bildungssystems überhaupt nicht zu erkennen, wie diese Strukturprobleme — vor allem das Problem des Hochschulzugangs und das Problem der Studienreform — anders als durch rahmenrechtliche Regelungen des Bundes in einer absehbaren Zeit bewältigt werden können.
Heute wurde von Herrn Gölter und anderen gefragt, warum das Bundesbildungsministerium eigentlich die Unbequemlichkeit auf sich nehmen wolle — in diesem Zusammenhang wurde uns ja sogar Nächstenliebe angedient —, in Rechtsverordnungen den Hochschulzugang zu regeln. Nun, bequem ist die Sache für uns sicherlich nicht, Herr Pfeifer. Aber angesichts der Probleme, die sich beim Hochschulzugang entwickelt haben, können wir uns im Deutschen Bundestag heute nicht auf die Linie der größten Bequemlichkeit einigen.
Das ist jedenfalls nicht die Linie der Bundesregierung.
Zu meinen eindruckvollsten Erfahrungen als Bildungsminister, die ich in den letzten Monaten gemacht habe, gehört die Erkenntnis, wie groß die Diskrepanz zwischen der Größe und Dringlichkeit vieler Probleme und der Dauer der Entscheidungsprozesse im deutschen Bildungswesen ist. Ich möchte nicht, daß die Frage des Hochschulzugangs wieder in die Grauzone all der Unterkommissionen zwischen Bund und Ländern abgeschoben wird. Wir müssen vielmehr darauf hinwirken, daß das Parlament in dieser wichtigen Frage eine politische Entscheidung fällt.
Würde der Bund die ihm durch die Verfassung zugewiesene Kompetenz nicht wahrnehmen, so würde — daran wäre dann nicht mehr zu deuteln; das muß hier nüchtern festgestellt werden — ein wesentlicher Inhalt bildungspolitischer Gesamtplanung in diesem Staat grundlegend in Frage gestellt. Das bliebe nicht ohne Konsequenzen. Das sage ich nicht, um Einwände mit drohendem Unterton zu machen. Das ist eine nüchterne Feststellung.
Es gibt Stimmen, die die Notwendigkeit des bundeseinheitlichen Rahmens für das Hochschulwesen in Zweifel ziehen und oft mit sehr hurtigen Urteilen über diesen Gesetzentwurf zur Hand sind. Bei näherem Hinsehen erkennen wir, daß es sich dabei um eine Summe von ganz widersprüchlichen Auffassungen handelt. Resignation auf der einen, hoch-
schulpolitische Selbstzufriedenheit auf der anderen Seite, mangelnder Realismus, ja, auch ideologische Einseitigkeit und Überschätzung der Kraft der Hochschulen, mit den Problemen selbst fertig zu werden, sind dabei im Spiel. Das alles — betrachtet man es genau — sind Elemente einer Stimmungslage, mit der nach meiner Meinung weder hochschulpolitische Ordnung noch Zukunft zu gestalten ist. Diese Stimmung spiegelt im Grunde genommen eine Koalition von Widersprüchen wider.
Dadurch darf sich aber der Bund nicht von seiner Pflicht abbringen lassen, für die rund 400 000 jungen Menschen in den letzten Gymnasialjahren bessere Voraussetzungen für den Zugang zu den Hochschulen zu schaffen, für die 700 000 Studierenden die Rahmenbedingungen des Studiums zu verbessern und den Bürgern dieses Landes Gewißheit zu vermitteln, daß die erheblichen finanziellen Mittel für den Ausbau der deutschen Hochschulen sinnvoll und effektiv genutzt werden. Länder und Bund haben — das will ich an dieser Stelle, wenn es sein muß, einmal ganz buchhalterisch zusammengefaßt deutlich machen — in den letzten Jahren hohe Ausgaben für den Ausbau der Hochschulen geleistet.
Erstens. Für den Hochschulbau im engeren Sinne sind von 1970 bis 1973 rund 9,6 Milliarden DM aufgewandt worden; davon hat allein der Bund 5,7 Milliarden DM getragen. Wenn manche Kollegen von der CDU/CSU in der Debatte heute nach den Leistungen des Bundes gefragt haben, so ist dazu zu sagen: Seit Bestehen der sozialliberalen Koalition unterscheidet sich der Finanzanteil des Bundes an dem Ausbau der Hochschulen entscheidend von dem, was früher unter Ihrer politischen Führung gang und gäbe war.
Zweitens. Seit 1969 wurden 200 000 Studienplätze neu geschaffen. Das spricht sich leicht aus, aber in Wahrheit bedeutet das, daß in diesem Staat in jedem Jahr zwei bis drei Universitäten von der Größe der Universität Bonn neu gebaut worden sind.
— Baden-Württemberg hätte seine Universitäten nicht in diesem Ausmaß bauen können, wenn nicht der Bund dafür erhebliche Vorleistungen erbracht hätte.
Drittens. Im Hochschulausbau bis 1978 wollen Bund und Länder weitere Milliarden-Beträge bereitstellen und weitere neue Studienplätze schaffen.
Viertens. Das wissenschaftliche Personal der Hochschulen ist von 1966 bis 1972 um 23 000 Personen gestiegen; das sind 74 % und in einigen Fachbereichen, beispielsweise dem der Humanmedizin, mehr als 200 %.
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Fünftens. Nicht nur die Investitionskosten sind beachtlich. Stärker noch schlagen heute die personellen und sachlichen sowie vor allem auch die sozialen Folgekosten zu Buche. Jährlich werden vom Hochschulausbau bis zur sozialen Sicherung insgesamt mehr als 12 Milliarden DM für die Hochschulen aufgewandt.
Dieser Ausbau, meine Damen und Herren, hat sich in einer Zeit vollzogen, in der sich nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in allen Industrieländern, vor allem in den Industrieländern der westlichen Welt, eine tiefgreifende Diskussion über Inhalt von Forschung und Lehre, über die Beziehungen zwischen Studenten und Studierenden und über das Verhältnis übernommener Formen der Hochschule und Anforderungen an die Zukunft entwickelt hat. Die Hochschulen waren und sind — mehr noch als andere Bereiche — ein Spiegelbild der grundlegenden Diskussion über die Entwicklung der Gesellschaft, über das Verhältnis der Generationen zueinander, der Ausprägung demokratischer Beziehungen über den staatlichen Bereich hinaus. Das, wie gesagt, ist keine typisch deutsche Erfahrung, damit hatten sich alle westlichen Industrieländer auseinanderzusetzen. Aber für uns als Bundesrepublik kam hinzu, daß dieser weltweite Diskussionsprozeß in unserem Lande mit einem quantitativen Ausbau des deutschen Hochschulwesens gekoppelt war, wie ihn die Universitäten in Deutschland in ihrer Geschichte niemals zu bewältigen hatten. Deshalb ist allen Ernstes gegenüber manchen sehr kleinlich zugespitzten, kritischen Fragen der Sprecher der Opposition die Frage zu stellen, ob sich alle in zureichender Weise selbst klargemacht haben, was es für die Gesellschaft bedeutet, innerhalb weniger Jahre nicht mehr nur 5 bis 10 %, sondern heute nahezu 20 % eines Altersjahrgangs eine Hochschulausbildung zu eröffnen.
Das Hochschulrahmengesetz — und das ist seine eigentliche Aufgabe in dieser Phase — will nun in diesem Prozeß des raschen quantitativen Ausbaus, der sich unter erheblichen Problemen und oft auch — zugegeben — beunruhigenden Umständen vollzog, einen Beitrag zur Konsolidierung der Hochschulen leisten, in denen heute rund 1 Million Menschen arbeiten.
Lassen Sie mich zusammengefaßt und gleichsam auch anknüpfend an Ihre zehn Punkte, Herr Schäuble, einige Hauptgesichtspunkte hervorheben und darstellen, in welcher Weise dieser Prozeß der Konsolidierung bewirkt werden soll.
Erstens. Daß praktisch eine Dezimalstelle beim Notendurchschnitt des Abiturs, wie das nach dem Staatsvertrag der Länder zur Zeit der Fall ist, über Studier- und Lebenschancen eines jungen Menschen entscheidet, ist nicht mehr zu verantworten.
Wir wissen, daß angesichts stark wachsender Zahlen der Studienbewerber und einer trotz Ausbaus begrenzten Zahl von Hochschulplätzen in dieser Beziehung kein Stein der Weisen gefunden werden kann. Aber befriedigender, als es. die Computer-
Gerechtigkeit nach dem Staatsvertrag ausweist, kann und muß für die Zukunft der Hochschulzugang geregelt werden.
Auf diesem Hintergrund scheint mir die gegenwärtige Diskussion — das will ich aufgreifen — um die Bewertung oder die Abwertung des Abiturs zu abstrakt geführt zu sein. Niemand kann behaupten, ein Abitur mit der Durschnittsnote 1,6 sei mehr wert als eines mit der Note 1,7. Dennoch entscheidet genau diese Dezimalstelle in einer Reihe von Studiengängen, ob der Abiturient sofort zugelassen wird oger vier bis sechs Jahre warten muß. Ich bin der festen Überzeugung, daß nicht derjenige das Abitur in Frage stellt, der diese Ungereimtheit korrigieren will, sondern derjenige, der meint, man könne das im wesentlichen, nur mit einigen partiellen Korrekturen versehen, auch für die Zukunft festschreiben.
Wir wollen, daß künftig auch die Fähigkeiten und Kenntnisse gewertet werden, die nicht im Abiturzeugnis ausgewiesen sind. Deshalb berücksichtigen wir in dem allgemeinen Auswahlverfahren, also dem Regelverfahren der Zulassung, auch die Dauer einer Berufstätigkeit. Denn Leistung — das sage ich hier aus meiner grundsätzlichen Überzeugung — besteht nicht allein in Schulwissen, sondern auch aus der Kenntnis und den Erfahrungen der Berufswelt und des Arbeitslebens.
Wir werden die Vorschrift in diesem Punkt, Herr Kollege Schäuble, so flexibel gestalten, daß die von Ihnen genannten Befürchtungen nicht zutreffen. Sie können aus dem Gesetzestext ablesen, daß es nicht nur um Berufsausbildungsverhältnisse, sondern um Berufstätigkeiten überhaupt geht. Aber in einer Berufstätigkeit zu sein erscheint mir besser, als junge Menschen in den besten Jahren ihres Lebens durch Gesetz gleichsam in einen Wartestand zu versetzen.
In den Studiengängen, in denen wegen der großen Bewerberzahl auch diese von mir als allgemeines Verfahren gekennzeichnete Regel nicht ausreicht — das trifft in erster Linie, wie sie wissen, auf die Medizin zu —, wollen wir gemeinsam mit den Ländern besondere Auswahlverfahren entwickeln, nicht um das Abitur durch eine andere, punktuelle Prüfung zu ersetzen, sondern um es durch zusätzliche Auswahlmaßstäbe zu ergänzen, um dem jungen Menschen, der die Dezimalstelle von 1,6 nicht erreicht, noch eine Chance zu geben, seine Eignung, seine Fähigkeiten und seine Motivation für ein bestimmtes Studium zusätzlich zur Geltung bringen zu können.
Das halte ich für eine vernünftige Regelung.
Ich will im Hinblick auf die Bemerkungen von Herrn Kollegen Vogel von heute vormittag sagen, daß wir bei den Rechtsverordnungen, die diese besonderen Auswahlverfahren zu regeln haben, selbstverständlich mit den Ländern zusammenarbeiten.
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Herr Kollege Vogel weiß ja auch, daß die Sachverständigengespräche über die Art des Verfahrens längst eingesetzt haben.
Zweitens. Neben der Zulassung wird nach meiner Auffassung vor allem die Studienreform Einfluß auf das Bild der Hochschulen haben, wie es sich in den Augen der jungen Generation darstellt. Dieses Bild wird ihre Haltung gegenüber und in der Gesellschaft prägen. Das müssen wir nüchtern in Rechnung stellen. Da helfen keine Beschwörungen von diesem Pult. Das sind ihre Lebenserfahrungen. Sie haben Einfluß auf die Reaktion in der Gesellschaft.
Wir wollen, daß die Studienreform nach jahrelangen, weitgehend theoretischen Diskussionen nunmehr im Zusammenwirken von Hochschulen, Staat und Berufswelt in die Praxis umgesetzt wird. Wir stehen heute vor dem Tatbestand, daß die Studienzeiten immer länger werden, ohne daß man dem Ziel, alles zu wissen, auch nur im entferntesten näherkommt. Wissenschaft ist ja auch — darin sind wir uns sicherlich einig — mehr als Vielwisserei. Wir brauchen kürzere, auf berufspraktische Erfordernisse abgestellte Studiengänge, die die Studenten besser auf ihre berufliche Tätigkeit vorbereiten. Die Mehrheit der Studenten will auch nicht lange, sondern sie will nutzbringend studieren. Das wissen wir aus Untersuchungen und Umfragen, die wir in der jüngsten Zeit auf den Weg gebracht haben. Kürzere, vom Ballast befreite und modernisierte Studiengänge sind deshalb im Interesse der Studenten, aber auch der Studienbewerber, die vor den Toren der Hochschulen warten, notwendig.
Drittens. Bei allen Anforderungen und Ansprüchen der Lehre darf die Hochschulforschung nicht vernachlässigt werden. Wir wollen daher auch durch das Gesetz Hochschulforschung in Freiheit sichern und ihre Hinwendung zu konkreten, für unsere soziale und wirtschaftliche Entwicklung besonders dringenden Problemen fördern. Das Gesetz wird die organisatorischen Voraussetzungen für die Forschung in den Hochschulen verbessern und dadurch ein Abwandern der Forschung aus den Hochschulen verhindern. Ich möchte sagen: Unser Verhältnis zur Forschung, insonderheit an den Hochschulen, wird nun nicht nur gekennzeichnet durch die Paragraphen dieses Gesetzes, sondern durch die Tatsächlichkeit des Zusammenwirkens zwischen Bundesregierung, Deutscher Forschungsgemeinschaft und den anderen Wissenschaftsorganisationen.
Viertens wollen wir mit der Neuordnung der Personalstruktur den Menschen, die in der Hochschule tätig sind, sachgerechte und befriedigende Voraussetzungen für ihre Arbeit schaffen. Ich weiß, daß die Ausschußberatungen in dem zuständigen Parlamentsausschuß nicht leicht waren — nicht nur wegen politischer Auffassungsunterschiede, sondern weil es dem Bund natürlich nicht leichtfällt, unterschiedlich entwickelte Personalstrukturen der Länder in einen Hochschulrahmen einzuordnen.
Zu dem, was wir zu leisten gewillt sind, gehört auch, daß künftig nicht gleiche Aufgaben in Forschung und Lehre von verschiedenen Personalgruppen mit unterschiedlicher Rechtsstellung wahrgenommen werden. Ich glaube nicht, daß die bisherige Personalstruktur in ihrer oft unübersichtlichen Vielfalt und ihren von der Sache her nicht gerechtfertigten hierarchischen Über- und Unterordnungsverhältnissen der freien Forschung und Lehre immer gutgetan hat. Die neue Personalstruktur wird auch den Weg zur Gesamthochschule ebnen, insbesondere weil sie die Abstimmung des Lehrangebots und die Entwicklung eines aufeinander abgestimmten Studiensystems — und darum geht es schließlich im Hochschulbereich — erleichtert. Der wissenschaftliche Nachwuchs erhält in der neuen Personalstruktur die Chance, in Selbstverantwortung und Freiheit sich wissenschaftlich zu qualifizieren und damit auf den Beruf des Hochschullehrers vorzubereiten.
Fünftens. Wer Konsolidierung der Hochschule will, muß sich auch zur Mitbestimmung äußern. Die Hochschule einer demokratischen Gesellschaft ist nicht als ein streng hierarchisch geordnetes System ohne wechselseitige Einflußmöglichkeiten und ohne zureichende Kommunikation denkbar.
Alle bereits bestehenden Landesgesetze haben die Gruppenuniversität eingeführt. Wer dagegen polemisiert — in Untertönen war das in der heutigen Debatte der Fall — und wer sich nur Ressentiments hingibt — insofern haben es sich auch einige Debattenredner leichtgemacht —, der muß dann aber aufrichtigerweise von diesem Pult aus die Frage beantworten, welches andere Modell er für die Hochschule der demokratischen Gesellschaft eigentlich vorschlagen will.
Das Karlsruher Urteil zur Mitbestimmung hat Richtlinien gegeben,. die für Bund und Länder in gleicher Weise bindend sind. Das findet in diesem Entwurf seinen Ausdruck. Mitbestimmung — darüber will ich aus der Sicht der Bundesregierung keinen Zweifel lassen — bedeutet auch Mitverantwortung. Als einer, der, wie Sie wissen, in den vergangenen Jahren Mitbestimmungsregelungen für die Arbeitnehmer mitgestaltet hat, will ich aus Erfahrung sagen, daß Mitbestimmung kein Prinzip ist, das einen Freibrief für Gruppenegoismus beinhaltet.
Es bedeutet, dessen bin ich mir bewußt, ein Angebot der Gesellschaft an ihre Bürger, ihr Wort und ihre Vorstellungen gesamtverantwortlich zur Geltung zu bringen. Mitbestimmung ist insofern stets auch ein Angebot von Vertrauen. Eine demokratische Gesellschaft würde sich ohne dieses Vertrauen eines wesentlichen Teils ihrer Überzeugungskraft begeben. Daß dieses Angebot dort seine Grenze findet, wo es offen und gewollt gegen die Funktionsfähigkeit der Hochschule und die Freiheit ihrer Mitglieder ins Spiel gebracht und mißbraucht wird, macht das Hochschulrahmengesetz deutlich.
Damit komme ich zu einem sechsten Punkt, zur Funktionsfähigkeit. Zunächst will ich darauf hinweisen, daß Funktionsfähigkeit der Hochschule nicht allein von Vorschriften über den Schutz vor Störungen definiert werden kann. Das wäre nun
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wirklich ein zu verengter Gesichtspunkt unter der Überschrift „Hochschulrahmengesetz des Bundes".
Studienreform, Hochschulzugang, innere Ordnung, Zusammenwirken der die Hochschule tragenden Gruppen und Kräfte sowie die Straffung der Verwaltung und eine sinnvolle Personalstruktur sind doch zunächst die entscheidenden Eckwerte, mit denen Funktionsfähigkeit gemessen werden muß. Daher stehen diese Sachfragen auch im Vordergrund des vorliegenden Entwurfs. Aber gerade auch die Reform braucht den Schutz vor der Gewalt. Dafür habe ich mich in den Beratungen der letzten Wochen eingesetzt. Wir haben dazu in dem vorliegenden Entwurf das Notwendige getan. Ich hätte kein Verständnis dafür, wenn die Opposition weiterhin darüber hinausgehende Detailregelungen fordern würde, nachdem sie sonst in anderen Abschnitten des Gesetzes doch mehr für globale Rahmenregelungen eingetreten ist. Es erscheint nach den Diskussionen, die wir an vielen Stellen darüber geführt haben, überflüssig, einen ganzen Katalog geringfügiger Sanktionen bundesrechtlich einzuführen. In diesem Gesetz haben wir im Grunde genommen Antwort auf die Frage zu geben, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, um die schärfste Sanktion, nämlich den Verweis von der Hochschule auf Zeit, rechtlich zu begründen und wirksam werden zu lassen.
Ich kann nun — und damit komme ich zu einem siebenten und abschließenden Punkt — nicht noch einmal auf alle Einzelheiten der Kostenfrage eingehen. Der Kollege Vogel hat heute morgen darauf aufmerksam gemacht. Ich muß ihm erwidern, daß auf der Grundlage von Stellungnahmen der Bundesregierung und einer Reihe von Materialien die Kostenfragen im Ausschuß eingehend erörtert worden sind. Zunächst ist auch gestern deutlich geworden, daß für den Bund keine Kosten erwachsen, die nicht durch seine finanzielle Leistungsfähigkeit gedeckt sind. Soweit es die Länder angeht, will ich zunächst folgendes anmerken: Die quantitative Expansion im Hochschulbereich kann diesem Gesetz, das ebenso wie die Hochschulgesetze der Länder ein reines Strukturgesetz ist, nicht zugeschrieben und nicht zugeschoben werden. Steuerungsinstrumente auf diesem Felde sind der Bildungsgesamtplan und die Entscheidungen, die wir vor allem im Planungsausschuß für den Hochschulbau treffen. Dieses Gesetz ist auch nicht ursächlich für die Kosten, die aus der Neuordnung der Hochschullehrerbesoldung entstehen. Das wird auf der Grundlage der Besoldungsgesetze zu beraten sein, die von der Bundesregierung und über den Bundesrat vorgelegt worden sind.
Die Länder haben in ihren Vorlagen Kosten geschätzt, deren Rahmen auch durch die Regelung der Personalstruktur im Hochschulrahmengesetz nicht gesprengt wird. Die Überleitungsbestimmungen im Hochschulrahmengesetz, auf die der Kollege Vogel besonders hingewiesen hat, entsprechen im wesentlichen den Vorstellungen der Länder; sie sind eher kostenbewußter im Hochschulrahmengesetz als das ursprüngliche Länderkonzept. Ich halte es daher nicht für vertretbar, wenn dies jetzt zu einem Argument gegen das Hochschulrahmengesetz ins Feld geführt und umgemünzt wird.
Auf der anderen Seite kann auch kein Zweifel darüber bestehen, daß die maßgeblichen Strukturentscheidungen, die mit dem HRG bewirkt werden sollen, entscheidende Weichen für ein effektives Hochschulsystem stellen. Ich nenne hier nur die Vorschriften über die Regelstudienzeit und über die künftige Nichtanrechnung des sogenannten Wartestudiums.
Eine abschließende Bemerkung: Ich habe nicht die Illusion, daß in einem Hochschulrahmengesetz des Bundes alle Probleme der Hochschulen gelöst werden können. Es ist aber meine Überzeugung, daß das Gesetz das notwendige Maß an gemeinsamen Rechten, an Freiheit für Forschung und Lehre, Neuorganisation des Studiums und Gestaltung des Hochschulzuganges bringt. Deshalb appelliere ich am Schluß der Beratung des Bundestags nachdrücklich an die Vertretung der Länder, an den Bundesrat, das Gesetz zügig zu beraten und zu verabschieden. Der Deutsche Bundestag hat bei seinen Beratungen — würdige ich das Ergebnis im ganzen — in Rechnung gestellt, daß dieses Gesetz nicht gegen die Auffassungen des Bundesrats verabschiedet werden kann. Umgekehrt wird sich aber auch die Mehrheit dieses Hauses nicht zu einem Vollzugsorgan der Mehrheit des Bundesrats machen lassen können.
Die abschließenden Beratungen über das Hochschulrahmengesetz dürfen von keiner Seite im Stil der Nötigung und der Zumutung geführt werden.
Wer — wie der Kollege Vogel heute morgen — sagt: Wir sind für das Hochschulrahmengesetz!, der muß dazu auch einen konstruktiven Beitrag leisten.
Ein Hochschulrahmengesetz kann in einem föderalistischen Bildungssystem nicht durch eine Addition von Halsstarrigkeiten erreicht werden. Die Hochschulpolitik muß in unserem Land, wie mir scheint, endlich aus dem Bereich der wechselseitigen Drohungen und permanenten Konfrontationen herausgeführt werden. Brächten die gesetzgeberischen Körperschaften nicht die Kraft und die Fähigkeit zur Ordnung der Dinge auf, dann würde sich niemand wundern dürfen, wenn davon auch das Klima und die Wirklichkeit der Hochschule bestimmt würden. Es ist meine Hoffnung, daß von dieser Erfahrung her auch die Beratungen im Bundesrat gekennzeichnet sein werden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Pfeifer.
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Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst, Herr Minister Rohde: Bei weiten Teilen Ihrer Rede weiß ich eigentlich gar nicht, an wessen Adresse Sie argumentiert haben.
Sie haben hier zu vielem gesprochen, wo wir gar nicht auseinander sind. Nur zu den Streitpunkten, um die es hier geht, haben Sie herzlich wenig gesagt.
Ich meine, daß doch gerade dazu von Ihnen eine Aussage erwartet worden wäre, zumal Sie sich doch bisher bei den Gesetzesberatungen mit Aussagen zu den Streitpunkten sehr zurückgehalten haben. Wenn Ihnen so viel an diesem Gesetz liegt, wie Sie hier zum Ausdruck gebracht haben und daran zweifle ich nicht —, dann hätten wir zum Beispiel eine Antwort erwartet auf die Argumente, die meine Kollegen Dr. Schäuble, Dr. Gölter, Dr. Probst und andere hier den ganzen Tag über vorgetragen haben. Und vor allem: Wenn Ihnen so viel an der Verabschiedung dieses Gesetzes liegt, dann sollten Sie dem Kultusminister von Rheinland-Pfalz nicht vorwerfen, daß Sie noch auf einen konstruktiven Beitrag von ihm warten.
Meine Damen und Herren, was ist denn das, was die Unionsfraktionen hier in den Ausschüssen und die Kultusminister der CDU und der CSU beim ersten Durchgang im Bundesrat geleistet haben, anderes gewesen als der Versuch, Sie durch konstruktive Alternativen zu überzeugen. Sie sollten das nicht so gering achten, wie es in Ihrer Rede zum Ausdruck gekommen ist.
Sonst werden hier falsche Fronten aufgebaut, und falsche Fronten helfen diesem Gesetz nicht. Ich will Ihnen dazu ein Beispiel geben. Sie sagen mit einer Reihe von Gründen: Dieses Hochschulrahmengesetz muß verabschiedet werden. Meine Damen und Herren von der Koalition, wer von der CDU/CSU hat denn jemals gesagt, daß wir ein Hochschulrahmengesetz nicht wollen? Wogegen wir sind, ist das Hochschulrahmengesetz in der Fassung, wie es die Koalitionsfraktionen heute in zweiter Lesung verabschiedet haben.
Dieses Gesetz bringt den Hochschulen zwar alles Mögliche, aber es bringt ihnen letztlich nicht das, was in den Hochschulen am dringendsten erwartet wird, nämlich erstens eine Garantie für Qualität und Niveau von Forschung, Lehre und Studium, zweitens eine entschiedene und kompromißlose Sicherung der Freiheit für Forschung und Lehre, ohne die es leistungsfähige Wissenschaft nicht geben kann und nicht geben wird, drittens eine leistungsfähige Organisation des gesamten Hochschulbereichs und damit eine effizientere Verwendung der Steuergelder; darauf hat nicht zuletzt auch der Steuerzahler einen Anspruch. Meine Damen und Herren, dies alles
bringt dieses Gesetz, so wie Sie es heute verabschieden, nicht.
Nun haben Sie, Herr Minister Rohde, auf die Leistungen hingewiesen, die der Bund für den Ausbau der Hochschulen erbracht hat. Das will niemand gering achten. Aber sicher ist doch auch, daß die Leistungen nur deshalb zum Erfolg geführt Haben, weil auch die Länder — in einer Art und Weise, die bis an die Grenze des finanziell Möglichen in den Ländern gegangen ist — bereit waren, zu dem Hochschulausbau und vor allein zu den laufenden Unterhaltskosten in den Hochschulen beizutragen,
Dann noch etwas: Wenn die Verhältnisse an den
Hochschulen heute nicht noch schlechter sind, als sie es sind, hängt dies doch auch damit zusammen, daß beispielsweise in Ländern wie Bayern, Baden-Württemberg und anderen, in denen die CDU bzw. die CSU regiert, seit Beginn der sechziger Jahre konsequent nicht nur ein Ausbau der Hochschulen, sondern auch eine Neugründungspolitik in Gang gekommen ist, und zwar noch zu einer Zeit, wo Sie den von der SPD regierten Ländern beispielsweise zehn Jahre gebraucht haben, um überhaupt nur die Universität Bremen zu gründen. Und was ist denn daraus entstanden?
Die Frage ist, Herr Minister Rohde, auch heute noch, ob denn das Geld immer effizient verwendet wird. Ich meine, daß man hier einige Fragezeichen machen muß. Dem Steuerzahler kann es einfach nicht länger zugemutet werden, daß auch nur an einer Hochschule, auch nur in einem Fachbereich gleichsam wie in roten Elfenbeintürmen der Kampf gegen unsere Gesellschaft organisiert wird und die Machtansprüche ideologischer Cliquen dann auch noch mit horrend steigenden Beträgen aus Steuermitteln finanziert werden, und zwar aus Steuermitteln, die auch die Arbeitnehmer in diesem Lande aufbringen. Auch das ist ein Grund, weswegen dieses Gesetz umgestaltet werden muß: damit es effizienter hinsichtlich der Verwendung der Steuermittel wird.
Effizientere Verwendung der Steuermittel heißt, daß z. B. wieder überall in den Hochschulen ausschließlich wissenschaftliche Kriterien zum Maßstab der Entscheidungen in den Hochschulgremien werden. Effizientere Verwendung der Steuermittel heißt, daß z. B. Forschung wieder an den eigenen Prinzipien der Wissenschaft unter wissenschaftstheoretischen Ansätzen und unabhängig von ideologischen Zielsetzungen ausgerichtet werden kann.
Effizientere Verwendung der Steuermittel heißt, daß der Hochschullehrer wieder als Wissenschaftler und nicht als Politiker gefordert ist,
daß er nicht mehr tagelang nutzlos endlose Debatten in Hochschulgremien absitzen muß, sondern daß er sich wieder seinen eigentlichen Aufgaben zuwenden kann.
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Effizientere Verwendung der Steuermittel heißt, daß dem einzelnen Studenten wieder chancengerechte, optimale Ausbildungs- und Bildungsmöglichkeiten eröffnet werden. Dies alles bewirkt der vorliegende Gesetzentwurf nicht in dem Maße, wie es möglich wäre und unseren Vorstellungen entspricht.
Dabei verkenne ich nicht, daß die Koalition sich in einer Reihe von Punkten unserer Linie angeschlossen hat. Das haben die Kollegen, die vor mir in der zweiten Lesung gesprochen haben, ausführlich dargelegt. Dies begrüßen wir. Nun haben die verehrten Kollegen aus der Koalition gefragt, warum denn bei soviel Nachgeben der Koalition jetzt nicht auch einmal die CDU/CSU nachgeben könnte. Das ist eine der Fragen, um die es hier geht, und dazu will ich Ihnen folgendes sagen: Wer so argumentiert, der argumentiert vordergründig, weil er an zwei Tatbeständen vorbei argumentiert, nämlich erstens: Die Position der CDU/CSU in der Hochschulpolitik und in der Hochschulgesetzgebung war von Anfang an klar in den Grundsätzen und eindeutig in der Argumentation und im Unterschied zur Koalition seit Jahren kontinuierlich und an den Anforderungen orientiert, die unser Staat und unsere Gesellschaft an die Hochschulen stellen. Diese Position hat in den Hochschulen dazu beigetragen, daß die CDU/CSU zunehmend Vertrauen, auch neues Vertrauen für ihre Politik gewonnen hat. Deswegen werden wir uns von dieser Position nichts abhandeln lassen, schon gar nicht nach der Methode des orientalischen Teppichhandels.
Das Zweite, was ich sagen möchte, ist: Was für uns zählt, sind Argumente. Dabei sage ich offen, daß dort, wo die Argumente der Koalition gut waren, wir uns ihnen nicht verschlossen haben. Wir sind beispielsweise der Überzeugung, daß es die künftige Dimension des Numerus clauses erforderlich macht, das Problem des Hochschulzugangs nochmals zu überdenken. Wir haben uns davon überzeugen lassen, daß es richtig ist, dies rahmenrechtlich zu regeln. Das ist unstrittig. Ich bin auch überzeugt, daß wir im Laufe des weiteren Gesetzgebungsverfahrens bestehende Meinungsverschiedenheiten über den Hochschulzugang ausräumen können. Dort aber, wo unsere Argumente besser sind, werden wir nicht nachgeben. Dies hat mit parteitaktischer Position überhaupt nichts zu tun.
— Das hat auch mit Rechthaberei nichts zu tun.
Wir werden auch nicht um Formulierungen feilschen. Worum es geht, ist, daß wir in der Substanz unserer Konzeption zu Kompromissen nicht bereit sind. Deswegen lassen Sie mich die Substanz unserer Konzeption nochmals in sieben Punkten zusammenfassen.
Erstens. Das Hochschulrahmengesetz darf die Minimalerfordernisse des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Mitbestimmung nicht zur generellen und damit zur maximalen Norm erheben. Bei diesem Urteil geht es um die Minimalvoraussetzungen für die Freiheit und damit auch um die Minimalvoraussetzungen für die Leistungsfähigkeit der Hochschulen in Forschung und Lehre. Unsere Verantwortung für die Hochschulen in diesem Lande erlaubt es nicht, daß wir uns in dieser für die Zukunft unserer Hochschulen, für die Zukunft unseres Staates und für die Zukunft unserer jüngeren Generation essentiellen Frage mit Minimalpositionen zufriedengeben. Nichts ist für die Erhaltung der Qualität von Forschung und Lehre entscheidender als beispielsweise die hervorragende Qualifikation der Hochschullehrer. Deshalb kann über die Berufung eines Hochschullehrers niemand anders entscheiden als die Mehrheit derer, die in den Hochschulen berufen sind, ihr Fach in Forschung und Lehre zu vertreten, und das sind die Professoren. Herr Minister Rohde, dies ist beispielsweise bei den Sozialdemokraten, die das Hochschulgesetz für die Universität Basel vorgelegt haben, so unbestritten, wie ich es hier sage.
Zweitens. Wir lehnen drittel- und viertelparitätische Konzilien, wie sie inzwischen der neueste Hit der Bildungslinken geworden sind und denen sich leider auch wieder der letzte Bundesparteitag der FDP angeschlossen hat, entschieden ab. Diese Konzilien erlassen nicht nur die Hochschulsatzung, sie wählen auch den Hochschulpräsidenten. Der Hochschulpräsident aber ist das Scharnier, in welchem sich die gemeinsame Verantwortung von Hochschule und Staat repräsentiert, und der Hochschulpräsident ist zugleich die Spitze der größten wissenschaftlichen, ökonomischen und sozialen Organismen, die unser Staat überhaupt kennt.
Die Wahl dieses Hochschulpräsidenten darf nicht länger Gremien in einer Zusammensetzung überlassen bleiben, die dann beispielsweise solche Hochschulpräsidenten wählen, wie sie in Berlin zum Niedergang der Freien Universität und in Marburg zur Machtübernahme der Radikalen geführt haben. Das ist doch z. B. ein Problem, um das es bei der Mitbestimmung auch geht: Die Wahl der Hochschulpräsidenten muß wieder in die Verantwortung der Wissenschaftler einer Hochschule gegeben werden, und von dieser Position werden Sie uns nicht herunterbekommen.
Wir sind auch nicht bereit, uns damit abzufinden, daß die Hochschullehrer in jedem Fall nicht mehr als 51 % der Sitze in den Hochschulgremien haben sollen. Eine 51-%-Grenze, wie sie die Koalition will, zwingt die Hochschullehrer zu einem Blockdenken, das auf die Dauer der Liberalität und der Innovation ebenso schadet, wie es eine Konfliktuniversität heraufführt, von der wir doch endlich Abstand nehmen sollten.
Drittens. Wir lehnen es entschieden ab, daß die in Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes garantierte Freiheit von Forschung und Lehre der Verantwortung einer nicht näher definierten Gesellschaft untergeordnet wird. Meine Damen und Herren, natürlich muß jeder Wissenschaftler die Konsequenzen und Auswirkungen seiner Forschung und Lehre bedenken. Aber dies ist eine an die Selbstkontrolle und an das Ethos des Wissenschaftlers zu richtende For-
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derung, Herr Kollege Schweitzer, wie sie dem Grundgesetz immanent ist.
Die von der Koalition beschlossene Formulierung enthält dagegen eben immer noch die Gefahr, daß Sie zum Vehikel für Wissenschafts- und Forschungskontrolle oder zur Statuierung eines politischen oder kollektiven Primats über Wissenschaft und Forschung verwendet wird. Sie werden doch von der Union nicht erwarten, daß wir dazu denen, die dies wollen, nun auch noch einen gesetzlich formulierten Vorwand geben.
Viertens. Ich habe schon in der ersten Lesung dieses Gesetzes ausgeführt: Zur Sicherung der Freiheit von Forschung und Lehre gehört die Autonomie der Hochschule. Autonomie ist die institutionelle Form der Sicherung der Freiheit. Deshalb ist der Gesetzgeber legitimiert, von den autonomen Hochschulen die Sicherung von Freiheit in Forschung und Lehre sowie die Sicherung der demokratischen Grundordnungen, der demokratischen Rechte des einzelnen zu verlangen.
Dafür bedarf es aber entscheidend der Anerkennung des folgenden Grundsatzes: Wenn in einer Hochschule die Autonomie mißbraucht wird, um Freiheitsrechte zu schmälern oder zu verweigern, dann hat der demokratische Staat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, kraft seiner Ordnungsfunktion die vom Grundgesetz garantierten Freiheitsrechte und die Grundrechte des einzelnen zu sichern und zu verteidigen.
Dementsprechend muß eben zwingend — nicht nur fakultativ, wie Sie es tun — das Verhältnis von Hochschule und Staat gestaltet werden. Der Kultusminister eines Landes muß parlamentarisch verantwortlich gemacht werden können für die Sicherung der Grundrechte in den Universitäten. Wir sind nicht bereit, länger zuzusehen, wie sich Minister in Bremen und anderswo ihrer parlamentarischen Verantwortung entziehen, indem sie sich hinter einer falsch programmierten Autonomie verstecken.
Fünftens. Wir sind auch nicht bereit, einem Gesetz zuzustimmen, das der integrierten Gesamthochschule politische Priorität einräumt. Die integrierte Gesamthochschule wird inzwischen in allen unseren europäischen Nachbarländern in Ost und West und ebenso in den außereuropäischen Industriestaaten als Irrweg der jüngsten deutschen Hochschulentwicklung angesehen.
Die integrierte Gesamthochschule ist nicht die Hochschule der Zukunft. Die integrierte Gesamthochschule führt doch nur zu noch weniger überschaubaren, noch unbeweglicheren, noch weniger effizienten Hochschulorganismen. Die integrierte Gesamthochschule ist als Hochschulstruktur für die Zukunft ungeeignet, weil sie die Dynamik der Entwicklung verhindert. Wir sind aber für eine Hochschulstruktur, welche die Dynamik der Entwicklung offenhält.
Sechstens. Herr Rohde hat über die Bereiche des Zugangs gesprochen. Lassen Sie mich dazu folgendes sagen. Wir sind zunächst einmal einig, daß der Hochschulzugang neu geregelt werden muß. Es ist für die Abiturienten auf die Dauer in der Tat nicht erträglich, wenn sie in Fächern mit extremem Numerus clausus — wie zur Zeit etwa in Medizin oder Pharmazie — nur mit einem extrem guten Abiturzeugnis die Chance haben, sofort einen Studienplatz zu erhalten, während alle anderen, gleichgültig, wie gut oder wie schlecht ihr Abiturzeugnis ist, auf jahrelange Wartezeiten verwiesen sind, in denen sie nichts, aber auch gar nichts für die Verbesserung ihrer Studienchancen leisten können. In Numerusclausus-Fächern müssen zum Abitur Auswahlverfahren hinzukommen, in denen die Abiturnote studienspezifisch gewichtet wird, in denen die Bewerber in der Wartezeit durch eigene Anstrengungen eine Verbesserung ihrer Studienchancen erreichen können und in denen bei Fächern mit extremem Numerus clausus auf die Feststellung der besonderen Eignung eines Studienbewerbers für das gewählte Fach abgehoben wird, beispielsweise durch den Nachweis von Fähigkeiten, die das Abitur nicht ausweist.
Das sind Punkte, die in diesem Zusammenhang zwischen uns im Prinzip nicht mehr umstritten sind. Wir sind auch der Meinung, daß bei Auswahlverfahren berufspraktische Tätigkeit Berücksichtigung finden soll, Herr Rohde. Aber aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit muß die Anrechnung berufspraktischer Tätigkeit dort ihre Grenze finden, wo sie einen Run der Abiturienten auf Ausbildungsplätze bewirken würde, die bisher den Real-, Haupt- oder Sonderschülern vorbehalten gewesen sind. Das ist unser Anliegen.
Ich fürchte, die Beschlüsse der Koalition werden dazu führen, daß die Auswirkungen des Numerus clausus weg von den Abiturienten auf die Real-, Volks- und Sonderschüler verlagert werden. Dies aber wäre eine soziale Ungerechtigkeit, weil es die Probleme des Hochschulzugangs zu Lasten derer löste, die den beruflichen Bildungsweg eingeschlagen haben, und dies können wir doch nicht wollen.
Siebentens. Dieses Gesetz leistet auch nicht, was es zur Minderung des Numerus clausus leisten könnte. Gewiß, meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben sich bei der Regelstudienzeit einem unserer Grundsätze angeschlossen, der lautet: Wir wollen eine inhaltliche Reform der Studiengänge, die es einem Studenten erlaubt, in der Regel nach vier Jahren zu einem Studienabschluß zu kommen. Wir wollen eine Regelung, die es der Hochschule erlaubt, einem Studenten, der diese Regelstudienzeit ohne triftigen Grund wesentlich überschreitet, schlicht und einfach zu sagen: bitte, mache deinen
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Studienplatz frei für einen der vielen, die vor den Toren der Universität auf einen Studienplatz warten.
Es widerspricht unseren Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit, wenn ein Student drei, vier oder fünf Semester länger als notwendig einen Studienplatz besetzt hält, solange andere Abiturienten eben keinen Studienplatz haben. So weit sind wir uns ja inzwischen nach hartem Ringen wo wir Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, überzeugen mußten einig.
Aber, meine Damen und Herren, Sie sollten doch noch einmal prüfen, ob das Gesetz an einigen Stellen nicht noch mehr zur Minderung des Numerus clausus tun könnte. Hierfür ein Beispiel: Sie setzten hier heute Übergangsbestimmungen durch, die — wie wir in diesen Tagen gelesen haben — über 400 Dozenten und Assistenten an der Universität Hamburg nutzen wollen, um auf dem Überleitungsweg zum Professor aufzusteigen. Wir meinen, daß die Überleitung dieser Personen in die Funktion von Professoren doch mindestens voraussetzen muß, daß diese dann auch etwas zur Verbesserung des wissenschaftlichen Lehrangebots und damit zur Minderung des Numerus clausus beitragen.
Und darüber hinaus habe ich auch starke Zweifel, ob einige Bestimmungen zur dienstrechtlichen Ausgestaltung der Personalstruktur nicht dazu führen werden, daß das Lehrangebot geringer wird.
Diesen sieben substantiellen Forderungen wird der vorliegende Gesetzentwurf nicht gerecht. Darüber hinaus halte ich aber dieses Gesetz auch für finanziell nicht abgesichert. Dies hat der Haushaltsausschuß in seinem ersten Beschluß völlig zutreffend festgestellt. Und daran ändert auch Ihre Formalargumentation nichts, das Gesetz belaste den Bund kaum, es belaste nur die Lander. Was heißt denn hier „nur die Länder"? Ich habe einmal mit einem, der etwas von dieser Sache versteht, überschlägige Berechnungen angestellt. Die haben ergeben, daß allein das Land Baden-Württemberg durch dieses Gesetz jährlich um 100 Millionen DM mehr belastet wird.
Nehmen Sie das, gemessen an den Studentenzahlen,
mal sechs, dann ergibt sich für die Länder insgesamt
eine jährliche Mehrbelastung von 600 Millionen DM.
– Sie werden die Zahlen angreifen. Aber warum haben Sie denn dann bis zum heutigen Tag nicht Ihre Berechnungen vorgelegt, damit man einmal eine solide Grundlage gehabt hätte?
Bei diesen 600 Millionen DM sagen Sie, das belaste nur die Länder. Als ob diese Mehrbelastungen der Länder nicht über den Finanzausgleich wieder auf den Bund zukommen würden!
Lassen Sie mich hier einmal eine Frage an die Finanzpolitiker und auch an den Finanzminister stellen. Ein Teil dieser Mehrkosten sind Personalkosten. Die Bundesregierung hat kürzlich den Ländern ein Abkommen vorgeschlagen, in dem es heißt, daß aus wirtschafts-, haushalts- und finanzpolitischen Gründen eine gemeinsame stabilitätskonforme Steuerung der Personalkosten im öffentlichen Dienst unerläßlich sei. Wie stehen Sie eigentlich zu einem Gesetz, Herr Staatssekretär Porzner, das die Länder allein im Hochschulbereich, wie ich befürchte, mehr als eine halbe Milliarde DM pro Jahr mehr kosten wird?
Spüren Sie denn nicht, daß diese Regierung unglaubwürdig wird, wenn Sie einerseits Sparappelle an alle und jeden richten und andererseits dieses Gesetz dann in dieser Form passieren lassen?
— Sie sagen, es ist sachlich falsch. Entschuldigen Sie bitte: Warum haben Sie his zum heutigen Tag nicht einmal eine seriöse Berechnung Ihrerseits vorgelegt? Das wäre doch Ihre Aufgabe gewesen.
Eine zweite Frage richte ich an den Wirtschaftsminister. Er ist nicht da; aber er hat doch dieser Tage im Zusammenhang mit der Neuordnung der Finanzierung der beruflichen Bildung einen Brief geschrieben, in dem er vorgeschlagen hat, einen Teil der Mittel für die Hochschulen zugunsten der beruflichen Bildung umzuschichten. Einmal ganz unabhängig davon, ob das richtig ist oder nicht: Wie will der Bundeswirtschaftsminister eigentlich glaubwürdig bestehen, wenn er einerseits solches vorschlägt und dann andererseits nicht fragt, was dieses Gesetz die Länder eigentlich kostet?
Ich bin überzeugt: Das alles wird uns beim Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens noch einmal beschäftigen. Sie mögen heute mit Ihrer Mehrheit beschließen, was Sie für richtig halten. Aber ich prophezeie Ihnen eines: Bei Philippi sehen wir uns auch in dieser Frage wieder; und Philippi schreibe ich in diesem Zusammenhang mit V wie Vermittlungsausschuß.
Und seien Sie sicher: Da werden Ihnen Ihre eigenen Finanzminister eine Philippika halten, die sich gewaschen hat so wahr sich Wertz mit W schreibt.
Aus diesen Gründen lehnen wir das Gesetz ab, und wir sind ganz sicher, daß das im Interesse der Hochschulentwicklung dieses Landes ist.
Die CDU/CSU ist seit 1969 im Bund in der Opposition. Aber es wird vielleicht einmal als ein Verdienst der CDU/CSU in der Geschichte dieses Landes anerkannt werden, daß sich die der CDU angehörigen Kultusminister nicht nur verbal, sondern auch in der Tat allen widersetzt haben, welche die
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9361
Pfeifer
Institutionen der Forschung und Lehre zu Basen für den politischen Kampf gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung umfunktionieren wollten;
daß diese Kultusminister mit dem Willen zur Reform gleichzeitig auch die Grenze der Reform markiert haben und daß sie ihre Hochschulpolitik ausschließlich und mit Erfolg am System der Freiheit und der Leistung und der Verantwortung des Staates für die Hochschulen und deren freiheitliche Grundstruktur orientiert haben.
Wir sind eben nicht bereit — Herr Vogel hat das heute morgen gesagt — zuzulassen, daß das alles nun auch nur zu einem Teil durch dieses Gesetz wieder gefährdet wird, daß uns die Fehlentwicklungen in Berlin, Bremen, Niedersachsen und Hessen, über die doch auch viele in Ihren eigenen Reihen nicht glücklich sind, nun auch noch in Mainz, Freiburg, München, Kiel oder Saarbrücken beschert werden.
Ich bin überzeugt, dagegen werden sich diese Länder im Bundesrat zur Wehr setzen. Dagegen müssen sich diese Länder im Bundesrat zur Wehr setzen; denn das entspricht dem Wählerwillen, wie er in den Landtagswahlen in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und dem Saarland zum Ausdruck gekommen ist.
Die Wähler haben ja dort die CDU unter anderem auch deswegen gewählt, weil sie zu der Hochschulpolitik der CDU/CSU inzwischen mehr Vertrauen haben als zu Ihrer Hochschulpolitik.
Lassen Sie mich zum Abschluß ganz kurz noch zwei Punkte ansprechen, die die Perspektive von morgen betreffen. Herr Minister Rohde, Sie haben die Bedeutung der Studienreform unterstrichen; auch da sind wir nicht verschiedener Meinung. Nur glaube ich, die eigentlichen Probleme haben Sie wieder ausgeklammert: in den nächsten Jahren wird einer der Hauptkonfliktplätze der hochschulpolitischen Entwicklung die Auseinandersetzung nicht nur um die Studienreform, sondern vor allem um die Studieninhalte werden. Hier rüsten sich doch bereits wieder die radikalen Systemveränderer, die Positionen eben erobert haben — oder, um Professor Nipperdey zu zitieren, das reformekstatische neue Hochschul-Establishment —, um die Studienreform nach dem Modell der hessischen Rahmenrichtlinien in Gang zu setzen. Deswegen sage ich: jeder Ideologisierung wissenschaftlichen Arbeitens und insbesondere jeder Ideologisierung der Studieninhalte sagen wir auch in der Zukunft entschieden den Kampf an.
Dies gilt ganz besonders für die Lehrerbildung. Wir
bekennen uns klar und eindeutig zu einer Reform
der Studieninhalte, die die Ausbildungsfunktion der
Hochschulen bejaht. Die Studienreform muß dem Gedanken der Berufsbezogenheit und Praxisorientierung verpflichtet sein. Wissenschaftsfreiheit und Pluralität sind unsere Grundnormen für die Studienreform. Eine Studienreform mit ideologischen Vorgaben wäre aber nicht eine Reform, sondern in Wahrheit eine mit einem wissenschaftlichen Mäntelchen behängte Indoktrination. Dies darf nicht sein. Um die freiheitliche Pluralität zu gewährleisten, muß die Studienreform in der Verantwortung von wissenschaftlicher, beruflicher und staatlicher Kompetenz entwickelt und realisiert werden.
Das Zweite! Unsere Prinzipien für die Studieninhalte gelten vergleichbar auch im anderen Wissenschaftsbereich: für die Forschung. Auch dieser Bereich ist in Gefahr, da und dort ideologisch korrumpiert zu werden. Einseitige Berufungspraxis und die einseitige Bevorzugung eines wissenschaftstheoretischen Ansatzes müssen — darauf hat Herr Kollege Dr. Probst hingewiesen — zu institutionalisierten Gegenuniversitäten führen, wie nicht nur in Bremen eine besteht, sondern wie sie auch in Oldenburg, Osnabrück und Kassel zu entstehen drohen, Universitäten, in denen einem eben der antiliberale, antipluralistische und antiwissenschaftliche Geist hes-sicher Rahmenrichtlinien in potenzierter Form entgegenschlägt.
Forschung in solchen Universitäten wird, fürchte ich, zu Erkenntnissen führen, die unserer freiheitlichen Gesellschaft bei der Bewältigung ihrer Zukunftsprobleme kaum Hilfe sein werden, die im Gegenteil die Grundlagen dieser freiheitlichen Gesellschaft zerstören. Ohne Freiheitlichkeit und Pluralität der Wissenschaft, ohne klare Verantwortlichkeiten, Rechte und Kompetenzen sind die anstehenden Sachprobleme nicht zu lösen. Dies gilt nicht nur für morgen und übermorgen, dies gilt auch für das Gesetz, das wir heute hier beschließen.
Ich komme zum Schluß. Die Maßstäbe für die Hochschulpolitik der CDU/CSU waren immer Freiheit, Leistung und Verantwortung. Mit diesen Maßstäben haben wir, wie jeder in diesem Lande heute sehen kann, erfolgreiche Hochschulpolitik gemacht. Diese Maßstäbe zwingen uns heute, das Gesetz in der vorliegenden Form abzulehnen. Wir tun dies, damit unsere Maßstäbe auch in der Zukunft die politische Entwicklung in den Hochschulen bestimmen können.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die mit unverminderter Härte vorgetragenen Thesen der CDU/CSU-Fraktion und die Wiederholung ihrer sogenannten Konzeption, die unter den Leitworten „Freiheit, Leistung, Verantwortung, Ruhe und Ordnung, keine Veränderungen" steht, betrüben mich außerordentlich.
Immer wieder gelingt es Ihnen, mit Ihren Thesen
bei einigen auch für uns und für manche anderen
schwer zu ertragenden und kritisch zu betrachtenden
9362 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Dr. Meinecke
Phänomenen unserer Universitäten anzusetzen. Im Grunde genommen beginnen Sie mit Ihrer Diskussion erneut und immer wieder im Jahre 1968. Was damals geschah, haben Sie nicht verwunden.
Dabei zeichnen Sie eine Landschaft der deutschen Hochschulen — Herr Kollege Pfeifer, seien Sie mir nicht böse, wenn ich dies so sage —, die geradezu abenteuerlich ist.
— Lassen Sie mich bitte ausreden. Wir haben das Gehämmer Ihres Kollegen Pfeifer auch eine halbe Stunde ertragen.
Dies haben Sie bereits schriftlich niedergelegt. Für Sie gibt es in Deutschland eine Landschaft, die schwarz ist — das ist die Landschaft der Universitäten in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und im Saarland —, und eine andere Landschaft, die rot ist — das ist die Landschaft in Hessen, Bremen und in Oldenburg —.
Nun begehen Sie den ersten kardinalen Fehler, indem Sie bei dieser Beschreibung der hochschulpolitischen Landschaft die Universitäten in Hamburg und Nordrhein-Westfalen ausklammern. Gerade das Hochschul- und Universitätsgesetz in Hamburg — dies hat Herr Bürgermeister Biallas bereits dargelegt — enthält einige der von Ihnen inkriminierten Formeln und Klauseln, von denen Sie meinen, daß damit wiederum die Weltrevolution ausgebrochen sei.
Herr Kollege Pfeifer, erinnern Sie sich nicht daran, daß wir in den Jahren 1968 und 1969 und vielleicht auch noch im Jahre 1970, als wir hier über die Ursachen der sogenannten Studentenrevolte gesprochen haben, wesentlich differenzierter und wesentlich eingehender und unterschiedlicher in der Betrachtungsweise versucht haben, den Dingen auf den Grund zu gehen? Wir haben damals doch alle festgestellt, daß die Ursachen nicht nur in wenigen Monokausalitäten und ganz bestimmt nicht in fortschrittlichen Formulierungen in modernen Hochschulgesetzen liegen. Dies wäre doch geradezu abenteuerlich.
Sie müssen sich doch der Erörterungen in Amerika, England, Frankreich, Osterreich und in vielen anderen Ländern der Welt erinnern.
Man sollte darüber nachdenken: Woran liegt denn dieser jungen Generation von Studierenden? Was macht sie so unzufrieden? Wie kommt es zu diesen Explosionen? Sie kommen dann zu einem ganzen Katalog unterschiedlicher Ursachen, wobei ein Faktor ganz gewiß mit eine Rolle spielt, nämlich der Wunsch und der Wille, in irgendeiner vernünftigen Form an den Entscheidungsprozessen in den Hochschulen mitzuwirken.
Dies alles wollen Sie doch wieder auf das Stadium vor fünf oder zehn Jahren zurückdrehen.
Im Grunde genommen wollen Sie nichts verändert haben. Sie wollen alles beim alten, bei der alten Ordinarienuniversität belassen. Wenn es dann kompliziert wird, führen Sie die Kosten ins Feld. Wenn das Argument der Kosten nicht zieht, stellen Sie sieben Essentials auf. Zum Schluß sagen Sie dann: Wir können das auf gar keinen Fall mitmachen, schon weil gewisse Bestimmungen nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Sie drehen sich im Kreis, weil Sie in Wirklichkeit dieses und auch ein anderes Hochschulrahmengesetz nicht wollen. Dafür allerdings haben wir Verständnis.
Ein Staatsmann — ein Zyniker — hat einmal verlautbaren lassen, ein Hochschulgesetz sei desto besser, je mehr Unmut und Widerstand es bei den Beteiligten hervorrufe. Er mag diese Erklärung abgegeben haben, weil die Früchte jahrelangen Bemühens allein schon um ein Landesuniversitätsgesetz Regierung und Parlament versagt blieben und weil nichts als Arger blieb. Heute leben die Betroffenen in Hamburg gut und zufrieden mit dem Universitätsgesetz, das durch dieses Hochschulrahmengesetz in keinem einzigen Punkt geändert werden muß. Das belegt und beweist — da ja die Hamburger nicht besonders besonnene Leute sind, sondern sich im Durchschnitt von der Gesamtbevölkerung nicht unterscheiden —, daß die Zustände an einigen Hochschulen, die Sie hier dauernd anprangern, andere Ursachen haben und in anderen Verhaltensweisen begründet sind, die wir hier doch wirklich nicht im einzelnen analysieren und beurteilen können.
Ich glaube, daß gerade das hier im Pressedienst abenteuerlich gezeichnete Kontrastprogramm zwischen den Hochschulen guter Art — das bedeutet zugleich: Hochschulen leistungsfähiger Art, in denen die Wissenschaft blüht — und den Kaderschmieden der modernen Revolution eine derartige Schwarzweißmalerei darstellt, daß es von den Beteiligten in den Hochschulen — davon bin ich überzeugt — mit allergrößter Schärfe zurückgewiesen würde.
Es gibt diese Krise, von der Sie immer sprechen, nicht. Dies ist eine Verteufelung, die unglaublich ist. Ich belege Ihnen dies auch. In der „Zeit" vom 22. November erfahren Sie auf Grund einer „Infratest"-Befragung von Vertretern aller Hochschulgruppen die Auskunft darüber, wie sie das Leben und die Situation an den Hochschulen beurteilen. Diese Befragung ist repräsentativ; sie umfaßte insgesamt eine Zahl von 1900 Hochschullehrern. Lassen Sie sich die Ergebnisse dieser Befragung von Hochschullehrern aus allen Universitäten unseres Landes ein wenig darstellen!
Die „Zeit" sagt dazu: Die Auskünfte entbehren jeglicher Dramatik und vermitteln insgesamt den Eindruck, der einem breit und ruhig fließenden Strom mehr entspricht als einem in rauhen Winden aufgewühlten Gewässer. Die Arbeitsbedingungen
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Dr. Meinecke
werden als gut beurteilt. Nur 4 °/o gaben an, daß Lehrveranstaltungen in ihren Bereichen gestört würden.
— Da bin ich mit Ihnen nicht einer Meinung. Im übrigen kann man das „Stören" auch unterschiedlich interpretieren.
Hier gibt es auch hohe Empfindsamkeiten. — Die Ausstattung wird nur von einer Minderheit als unzulänglich bewertet.
Im übrigen mag es, weil die Umfrage repräsentativ ist, für Sie interessant sein, daß zwei von drei Wissenschaftlern, gleich rund 60 °/o, politisch — wenn Sie den Wissenschaftlern auch noch gestatten, sich vielleicht politisch zu engagieren —
zum sozialliberalen Lager hin tendieren,
während nur rund ein Viertel, 24%, der Meinung ist, daß die CDU die richtigen Lösungen auch in der Hochschulpolitik anbietet.
Was kann man daraus schließen? — Entweder sind dies alles Chaoten, oder Sie malen die Landschaft falsch.
Herr Kollege Pfeifer, ich identifiziere mich nicht mit jener enttäuschten politischen Persönlichkeit. Ich sage Ihnen aber, daß Sie auch Ihre Erwartungen gegenüber einem Rahmengesetz anders formulieren müssen, als Sie es hier getan haben: zum einen bezüglich der Kosten, zum anderen auf Grund der Tatsache, daß wir doch gerade über die Umsetzbarkeit des Rahmengesetzes in Landesgesetze und über die Wirksamkeiten im Augenblick hier nur potentielle und prognostische Aussagen machen können, wenn wir die Grundsätze in einem Rahmengesetz einmal formulieren.
Ich habe wirklich das Gefühl, daß Sie politisch insofern auf dem richtigen Weg sind, als Sie meinen, daß dort, wo keine Katastrophe ist, diese herbeigeredet werden muß, und dort, wo gewissermaßen schwierige Situationen sind, diese dramatisiert werden müssen.
Damit befinden Sie sich wirklich — überlegen Sie sich das bitte! — in guter Gesellschaft mit denjenigen, die gerade an diesem Rahmengesetz in den letzten Wochen eine massive Kritik geübt haben. Verbale Kraftakte sind zwar modern, aber sie erfolgen allzu häufig, so meinen wir, in der Philosophie des passionierten Biertrinkers, der ein nicht ganz gefülltes Glas bereits angewidert als Abfall zurückschiebt.
In diese merkwürdige Mentalität des „Alles oder Nichts" reiht sich beispielgebend genau Ihre Argumentation ein — essential für essential —, und
wenn den Vorstellungen, den Konzeptionen der CDU nicht in jedem Punkt gefolgt wird, dann wird es kein Hochschulrahmengesetz geben. Sie identifizieren sich, auch wenn Sie es heute in dieser Presseerklärung zurückgenommen haben, hier sofort mit dem Bundesrat. Und da meine ich, dann könnten wir doch gleich zum Einkammersystem zurückkehren.
Ich war bisher der Meinung, jenes gesetzgebende Organ gründe sich besonders auf das Prinzip des Föderalismus. Aber das föderalistische Prinzip gleich auf das erste Gesetzgebungsorgan auszuweiten, diese Möglichkeit läßt unsere Verfassung nicht zu. Hier waren die Erklärungen Ihres Kultusministers aus Rheinland-Pfalz wesentlich maßvoller und wesentlich vernünftiger,
und sie ließen mich hoffen; daß es noch zu einer vernünftigen Einstellung des Bundesrates zu diesem Gesetz kommen kann. Deshalb — und auch nur deshalb, meine verehrten Kollegen von der FDP — halte ich im Augenblick auch das Drohen mit der großen Schere, dieses Gesetz jetzt schon zu zerschneiden, politisch für nicht vernünftig. Ich will Ihnen sagen, warum: weil ich nicht das Argument mitliefern möchte, den Bundesrat von der Gelegenheit zu entbinden, eine konstruktive Denkpause einzulegen und zu überlegen, ob im Sinne einer gesamtstaatlichen Verantwortung und gesamtstaatlichen Entwicklung unseres Bildungswesens dieses Rahmengesetz nicht doch nützlich ist.
Im übrigen war das Gesetz bezüglich vieler Bestimmungen in dieser Form zu erwarten. Diese Bestimmungen ergeben sich aus dem Bildungsgesamtplan, der gemeinsam von Bund und Ländern beschlossen worden ist und in dem nicht, wie der Sprecher der CSU aus Bayern sagt, steht, die Gesamtschulen müssen zerhackt und abgeschnitten werden — die neueste Erfindung Ihrer Bildungspolitik. Wir bekennen uns zur Entwicklung der Gesamtschule, und nach dem Gesetz ist die Entwicklung der koordinierten und der integrierten Gesamtschule nebeneinander möglich. Die Erfahrung wird erweisen, welches das bessere System ist. Aber die Erfahrung hat nicht erwiesen, daß integrierte Studiengänge falsch und unnütz sind.
Im übrigen ergibt sich dieser Gesetzentwurf auch aus dem Hochschulbauförderungsgesetz, in dem man schon damals festgestellt hat, die Gemeinschaftsaufgabe müsse so erfüllt werden, daß die Hochschulen als Beispiel eines gemeinsamen Forschungs- und Bildungssystems künftigen Anforderungen genügten. Was sind denn nun künftige Anforderungen an die Entwicklung der Hochschulen oder an eine moderne Hochschulpolitik? Ein Blick in die Presse genügt heute, um zu erkennen. wo die Schwierigkeiten liegen. Die heißen Diskussionen über unzureichend berechnete Kapazitäten, über falsch oder richtig angegebene Kapazitäten, darüber, ob die Notwendigkeit des Numerus clausus ein Märchen ist oder nicht, zeigen, daß hier die er-
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Dr. Meinecke
forderlichen Schritte schnellstens getan werden müssen.
Es geht um eine inhaltlich und zeitlich sinnvoll gestaltete Studienzeit und Studienreform, nicht aber um die von vornherein repressive Anwendung von Regelstudienzeiten. Warum verschweigen Sie denn, daß nach diesem Gesetz jedem, der unter diese Maßnahmen fällt und der eines Tages seine Rechte aus der Einschreibung verliert, das Recht, sich einer Prüfung zu unterziehen, in jedem Fall erhalten bleibt und das dieses Recht ihm nach einem baden-württembergischen Landesgesetz abgesprochen oder entzogen werden kann? Das sind doch die Dinge, die zu Konflikten geführt haben. Hätten Sie nicht von vornherein die andere Seite verbal so betont, wären wir hier vielleicht zu etwas übereinstimmenden Regelungen gekommen.
Ich will die Punkte, die der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft als Kardinalpunkte der Hochschulreform und der Aufgaben unserer Hochschulen in Zukunft aufgeführt hat, nicht wiederholen. Ich weiß, daß viele unserer Kollegen hier überstrapaziert sind. Aber den Ausführungen des Kollegen Pfeifer mußte entgegengetreten werden. Ich möchte nur noch eins sagen.
Vergleichen wir einmal dieses Hochschulrahmengesetz und die zur Zeit bestehenden zehn oder elf Landesgesetze über Universitäten und Universitätserrichtungen miteinander! Dann werden wir erkennen, daß alle Landesgesetze im wesentlichen so angelegt sind, daß sie inneruniversitäre, infrastrukturelle Angelegenheiten bis ins Detail regeln. Die von uns hier heute diskutierten Fragen aber werden in den meisten Ländergesetzen überhaupt nicht angerührt. Sie brauchen nur den Aufgabenkatalog der Hochschulen zu vergleichen, um festzustellen: Der Katalog der Aufgaben der Hochschulen in diesem Rahmengesetz ist der umfassendste, der deutlichste, der weitestgreifende Katalog auch für die Zukunft, der in irgendeinem Hochschulgesetz unseres Landes definiert ist. Dies ist doch immerhin etwas, was wir erreicht haben und was künftige Entwicklungen anderer Art ermöglicht.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns darüber im klaren sein, daß dieses Rahmengesetz manche Hoffnungen nicht erfüllen wird. Es wird bedauerlicherweise weiterhin Zulassungsbeschränkungen geben. Aber die Fragen, die mit dem Numerus clausus zusammenhängen, werden nicht nur in dem Kapitel über die Zulassung geregelt. Wenn man das Gesetz Punkt für Punkt durchgeht, wird man entdecken, daß sich auf dem Sektor der Studienreform wie bei den Fragen der Regelstudienzeiten, den Zulassungsbestimmungen, den Bestimmungen über Prüfungsordnungen Elemente finden, die eines Tages vielleicht auch in dieser Frage zu bestimmten Entlastungen führen werden.
Nicht regeln wird dieser Rahmengesetzentwurf die Konsequenzen, die sich aus einer falschen oder einseitigen Bewertung von Bildungsabschlüssen in unserer gesamten Arbeits- und Berufswelt sowie im öffentlichen Dienst ergeben. Hier muß heute die Aufforderung ergehen, rasch eine Übereinstimmung zwischen den Problemen und den Strukturen un-
serer Arbeitswelt, den Laufbahnen und den Studiengängen an Hochschulen und Universitäten und den Fragen der Berufsausbildung und der Berufsbildung an der dritten Seite dieses Dreiecks zu finden. Hier gebe ich dem Kollegen Pfeifer recht, daß Verlagerungen innerhalb dieses Systems von oben nach unten nicht gestattet werden dürfen und wir hier Auswege finden müssen.
Sie haben immer wieder gesagt, meine Herren Kollegen von der CDU/CSU: Die Hochschulen sollen effizient werden, sie sollen geistige Kreativität entfalten. Dies — so glauben wir doch wohl alle — werden wir aber nicht allein durch Gesetze erreichen können. Hierzu gehört mehr. Hierzu gehört im Grunde genommen etwas, was ja in unserem Land die — im internationalen Vergleich — wirtschaftliche Stabilität ausmacht: hierzu gehört grundlegend ein gesundes soziales Klima, eine gewisse politische Vernunft im Verhalten aller Bürger. Dies ist wiederum durch sozialpolitische Aktivitäten bedingt, aber auch durch Mitspracherecht in den Einrichtungen, in denen unsere Bürger tätig sind, in den Schulen, in denen sie lernen, und in den Hochschulen, in denen sie studieren. Darum glaube ich nicht, daß, wenn sich Hochschulen und Gesellschaft mehr umeinander kümmern, das Bild, das Sie von der Zukunft zeichnen, in irgendeiner Weise relevant werden kann.
Wir bejahen das Hochschulrahmengesetz bis zum letzten Moment. Wir müßten dann für ein Scheitern den Bundesrat verantwortlich machen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Möllemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in einer teilweise bewußt differenzierenden Diskussion die Positionen der einzelnen Fraktionen zum vorliegenden Gesetzentwurf verdeutlicht. Ich halte es auch für eine gute Sache, daß wir dabei erläutert haben, welche Kompromisse zwischen den Koalitionsfraktionen einerseits und welche zwischen diesen und der Opposition andererseits entstanden sind. Es war und bleibt auch notwendig, die politische Begründung dafür zu geben, daß es zwischen Koalition und Opposition zu solchen Kompromissen kam.
Dieses Gesetz trägt deshalb für alle Seiten erkenntlich die Merkmale eines Kompromisses, weil wir eben davon ausgingen, daß nur so Ihnen von der CDU/CSU und den von Ihren Parteien regierten Ländern im Bundesrat die Zustimmung zu diesem Gesetz abverlangt werden kann. Allerdings — das muß ich jetzt auch deutlich sagen — habe ich nach dem Beitrag des Kollegen Pfeifer den Eindruck, Herr Kollege Meinecke, daß ich mit meiner Annahme richtig gelegen habe: daß es nicht darum geht, dieses Gesetz zu realisieren, sondern lediglich darum, ein weiteres Gesetz zu haben, an dem man sich bundespolitisch weiter hochziehen kann.
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Möllemann
Herr Kohl hat das schon deutlich gesagt, und Herr Pfeifer hat es hier unterstrichen.
Auch unsere Kompromißbereitschaft, Herr Kollege Pfeifer, kennt ihre Grenzen; denn wir müssen das, was wir tun, gegenüber unseren Parteien politisch verantworten. Deswegen möchte ich in Erwiderung auf Ihre Position in -acht Punkten jene zentralen Anliegen nennen, die für uns den Grenzbereich für eine mögliche Zustimmung im Vermittlungsausschuß markieren
— ich rede jetzt für die Fraktion, Herr Kollege Gölter; sonst würde ich hier nicht stehen —:
1. die Beibehaltung der inhaltlichen Zielvorstellungen bei der Einrichtung der Gesamthochschulen,
2. die Absicherung einer bundesgesetzlichen Regelung des Hochschulzugangs und damit die Ablösung des Staatsvertrags der Länder,
3. die Schaffung einer Personalstruktur, in der die Abhängigkeiten des wissenschaftlichen Nachwuchses verringert werden,
4. die extensive Interpretation des rechtlichen Spielraums für die Absicherung der Mitbestimmung aller Hochschulmitglieder in allen Fragen der Hochschulselbstverwaltung,
5. die Sicherung des besonderen Anteils der Hochschulen bei der Studienreform,
6. die Ablehnung der Fachaufsicht,
7. die Zurückweisung eines disziplinierenden, illiberalen Ordnungsrechts und
8. die Absicherung der verfaßten Studentenschaft.
Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion geht davon aus, daß dieses Gesetz den unter den gegebenen Verhältnissen bestmöglichen Rahmen für eine bundesweite, leistungsfähige Organisation des Hochschulwesens schafft, die von der Mitwirkung aller Hochschulmitglieder geprägt und in der Lage ist, die anstehenden Probleme der Hochschulen in Forschung, Lehre und Studium zu lösen.
Deswegen stimmen wir diesem Gesetzentwurf zu.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung in der dritten Beratung.
Bevor wir aber abstimmen, nehme ich noch eine schriftliche Erklärung der Abgeordneten Grobecker, Grunenberg und Waltemathe gemäß § 59 der Geschäftsordnung des Bundestages zur Abstimmung über den Hochschulrahmengesetzentwurf in dritter Beratung zu Protokoll.
Meine Damen und Herren, wer dein Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Gegenprobe! —
Danke. Ich muß noch nach Stimmenthaltungen fragen. — Bei 4 Stimmenthaltungen und gegen die Stimmen der Opposition ist das Gesetz angenommen.
Ich stelle noch fest, daß die zum Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt erklärt werden. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, bevor ich Punkt 4 der heutigen Tagesordnung aufrufe, möchte ich darauf hinweisen, daß wir in dem zeitlichen Ablauf der Plenarsitzungen in gewisse Schwierigkeiten gekommen sind, zumal wir morgen außer der Konjunkturdebatte zu Punkt 38 der Tagesordnung und der Fragestunde wohl kaum noch andere Tagesordnungspunkte erledigen können. Ich wäre dankbar, wenn das Haus bei der weiteren Beratung auf diese Geschäftslage Rücksicht nehmen würde.
Wir fahren in der Abwicklung der Tagesordnung fort. Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Abgeordneten Burger, Frau Hürland, Geisenhofer, Mancher, Dr. Götz, Müller , Dr. von Bismarck, Katzer, Franke (Osnabrück), Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Picard und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Wiedereingliederung körperlich, geistig und seelisch Behinderter in Gesellschaft, Arbeit und Beruf
— Drucksachen 7/1457, 7/2842 —
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Burger.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktionen im Deutschen Bundestag befassen sich in diesen Tagen vorrangig mit sorgenvollen Problemen: zunehmender Arbeitslosigkeit, vermindertem Wachstum und steigenden Preisen. Trotzdem bin ich davon überzeugt, daß es erforderlich ist, sich auch um die Probleme der Behinderten zu kümmern, die als besonders Betroffene Gefahr laufen, von der allgemeinen Entwicklung zusätzlich betroffen zu werden. Wir alle haben daran gearbeitet, für die Behinderten eine geachtete Stellung in der Gemeinschaft und möglichst Dauerarbeitsplätze zu schaffen. Diese positive Entwicklung muß sich auch in einer Schlechtwetterzone bewähren. Deshalb ist die heutige Debatte aktuell, auch aus einem zweiten Grund: Die Kosten der Sozialversicherung steigen sprunghaft. Prävention und Rehabilitation sollten deshalb besonderes Gewicht erhalten.
Rehabilitation geschieht um der Menschen willen. Sie ist aber auch ein versicherungsrechtlicher Vorgang geworden; denn andauernde Leistungsbehinderung erzeugt hohe Kosten. Rehabilitation dient aber dazu, die Kosten zu senken.
9366 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Burger
Meine Damen und Herren, auf dem Wege zur umfassenden Rehabilitation ist vieles in Bewegung gekommen. Die CDU/CSU unterstützt mit Nachdruck die vielfältigen Bemühungen zur Integration der Behinderten in eine humanere Gesellschaft. Die Große Anfrage und die heutige Debatte sollen dazu beitragen, daß Begonnenes fortgeführt, die heutige Situation kritisch bewertet und vor allem Anstehendes oder neuerdings sichtbar Gewordenes aufgegriffen und durchgesetzt wird. Vorurteile, psychologische, administrative und bauliche Barrieren sollten ebenso ausgeräumt werden wie Gleichgültigkeit oder Unwissenheit bezüglich der Probleme der Behinderten. Die Rehabilitation, eine moderne Hilfe für den behinderten Menschen im Rahmen der Daseinsvorsorge, ist zum festen Bestandteil unseres Systems der sozialen Sicherheit geworden.
Doch manche Anstrengungen, die gesellschaftliche Eingliederung zu verstärken, stoßen auf ein schwerwiegendes Hindernis: das mangelnde Umweltverständnis. Es ist bisher nur unzureichend gelungen, der breiten Öffentlichkeit die Probleme der Behinderten nahezubringen.
Ernst Klee läßt in seinem Buch „Behinderten-Report"
im Vorwort einen Spastiker sprechen. Dieser sagt:
Es ist nicht die Behinderung, die lähmt, sondern die Rolle des Außenseiters nimmt uns die Möglichkeit der Bewährung. Nicht das Mitleid tötet, sondern daß man es als Anmaßung empfindet, so wie die anderen sein zu wollen.
Diese Äußerung beweist, wie stark das fehlende Umweltverständnis die behinderten Mitbürger bedrückt.
Wer aber zur Eingliederung der Behinderten A sagt, der muß auch B sagen, ja, der muß auch Z sagen.
Denn die abgeschlossene berufliche und medizinische Rehabilitation wird zur Endstation, wenn für die Betroffenen kein Dauerarbeitsplatz gefunden wird und wenn die Gesellschaft die Behinderten nicht annimmt. Diese sind ja keine geschlossene Gruppe, sondern Mitbürger, die neben Eigenschaften, die sie gleich anderen Menschen haben, das besondere Schicksal haben, blind, taub, leicht oder schwer körperbehindert, chronisch krank oder geistig behindert zu sein. Der Vielfalt dieser Bedürfnisse muß eine entsprechende Vielfalt sozialer Leistungen, Dienste und Institutionen gegenüberstehen.
Untersuchungsergebnisse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit lassen erkennen, daß Behinderte besonders im Berufsleben benachteiligt sind, so daß von einer Chancengleichheit noch nicht gesprochen werden kann.
Gemessen an den Zielvorstellungen sind die bisherigen Bemühungen bestenfalls teilweise erfolgreich gewesen.
Benachteiligungen zeigen sich bereits in der beruflichen Stellung. Volksschulabgänger weisen mit 17% den im Vergleich zu anderen Gruppen höchsten Anteil an Behinderten auf, was darauf hindeutet, daß zumindest bei einem Teil der Behinderten schon die Ausbildung erkennbar beeinträchtigt wurde. Aber auch bei gleichem Ausbildungsniveau lassen sich Unterschiede nachweisen. Insbesondere sind behinderte Volksschulabgänger mit abgeschlossener Berufsausbildung in stärkerem Maße als ungelernte und angelernte Arbeiter beschäftigt.
Verminderte Aufstiegschancen und erhöhtes Absteigerisiko lassen sich ebenfalls nachweisen. Zwischen 1965 und 1970 sind etwa 16 % Behinderte aus einer Facharbeiterposition abgestiegen gegenüber 9 % Nichtbehinderten. Umgekehrt gelang es nur 5 % Behinderten, in eine Facharbeiterposition aufzusteigen, gegenüber 9% Nichtbehinderten. Ähnlich liegt es auch bei den Angestellten.
Leider sind über ein Drittel, und zwar 34 %, der Behinderten den Erhebungen zufolge nicht ausbildungsgerecht beschäftigt. Ihre Fähigkeiten werden nicht ausgeschöpft. Sie werden oft mit Routinearbeiten beschäftigt und damit auch in eine gewissen Isolation in der Arbeitswelt abgedrängt.
Insgesamt lassen alle Einzelergebnisse dieser Erhebungen Benachteiligungen erkennen, wobei die Untersuchungen wenig darüber auszusagen vermögen, woraus die Benachteiligungen für Behinderte vor allem resultieren.
Die Bundesregierung irrt nach meiner Meinung, wenn sie behauptet, daß die Untersuchungsergebnisse aus dem Jahre 1970 sich nicht auf die Gegenwart übertragen lassen. Die neuesten Arbeitslosenzahlen beweisen nicht nur eine besondere Betroffenheit der Behinderten innerhalb dieser aktuellen Arbeitslosigkeit, sondern sie zeigen auch die Schwierigkeiten, Rehabilitanden derzeit zu vermitteln. Die Zahl der arbeitslosen Rehabilitanden betrug nämlich Ende Mai dieses Jahres 22 400. Der Anteil dieser Gruppe an allen Arbeitslosen beläuft sich somit auf 4,9%. Darunter befindet sich eine sehr große Zahl 20- bis 25jähriger Rehabilitanden.
Bei 3 600 der von Arbeitslosigkeit Betroffenen dauerte diese zum Zeitpunkt der Erhebung bereits länger als ein Jahr.
Beispiele aus dem Alltag bestätigen in etwa die Ergebnisse dieser Erhebungen.
So schreibt uns ein Behinderter aus Siegen — ich zitiere —:
Nach Abschluß der Hauptschule wurde ich in einer Ausbildungsstätte für Körperbehinderte in Bremen drei Jahre zum Bürokaufmann ausgebildet. Diese Ausbildung habe ich am 21. Juni 1973 mit der Kaufmannsgehilfenprüfung vor der Handelskammer in Bremen abgeschlossen. Ne-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9367
Burger
benbei nahm ich an einem Einführungskursus in die Datenverarbeitung teil, den ich mit „Sehr gut" abgeschlossen habe. Da das Arbeitsamt Siegen seit dem 25. Juni 1973 nicht in der Lage war, mir einen Arbeitsplatz zu vermitteln, bin ich arbeitslos.
In einem anderen Brief schreibt Alfred Gerlach aus Weinsberg:
Erlauben Sie mir aber, auf einen Punkt, der den Behinderten besonders auf den Nägeln brennt, nochmals hinzuweisen. Dieses Problem ist das der Benachteiligung im Beruf, der Aufstiegsmöglichkeiten. In dieser Hinsicht gibt es meiner Erfahrung gemäß noch die unglaublichsten Zustände, Diskriminierungen, die bis hin zur persönlichen Beleidigung reichen.
Schließlich noch ein Zitat aus einem Brief des Behinderten Jörg Blücken aus Birkendorf. Er schreibt:
Am 3. November habe ich Ihnen freudig mitgeteilt, daß ich bei der AOK eine Beschäftigung gefunden habe. Auf Grund der psychologischen und medizinischen Tests der Arbeitsämter und des Reha-Zentrums in Heidelberg sollte ich durch die Vermittlung des Arbeitsamtes sechs Monate auf verschiedenen Arbeitsgebieten erprobt werden. So sollte für mich der geeignete Arbeitsplatz gefunden werden. Da aber nur in der Telefonvermittlung ein Platz für mich frei war, begann ich dort meine Tätigkeit. Eingearbeitet wurde ich von einem jungen Fräulein, das wenig Verständnis hatte und wenig Rücksicht nahm auf meine körperliche Behinderung. Es war für mich eine sehr hektische Beschäftigung. Von morgens bis abends war ich sehr stark beansprucht. Am 14. Januar 1974 wurde mir nun unerwartet gekündigt, nachdem mein Hausarzt darauf hingewiesen hatte, daß ich in der Telefonzentrale unter keinen Umständen beschäftigt werden sollte. An einer anderen Stelle aber wurde ich nicht erprobt.
Der Behinderte schreibt weiter:
Nun sitze ich ab 1. Februar 1974 wieder da ohne Arbeit und falle dem Staat zur Last. Was aber viel, viel schlimmer ist: Ich bin todunglücklich über meinen verlorenen Arbeitsplatz. Was wird nicht alles in der Presse, im Rundfunk und im Fernsehen über die Hilfe für die Behinderten berichtet! Leider sieht es
— so schließt der Brief —
in der Praxis sehr viel trostloser aus. Sie kennt keine Rücksichtnahme.
Meine Damen und Herren, dies sind einige Stellungnahmen aus der Praxis, die sich durchaus mit den Ergebnissen der Umfrage decken.
Hinsichtlich der Beschäftigung Schwerbeschädigter bei den Bundesdienststellen zeigt eine Aufstellung vom April dieses Jahres, daß nur zwei Bundesministerien die Pflichtplätze besetzt haben, während alle anderen erhebliche Defizite ausweisen. Ich meine,
gerade hier sollte man doch mit gutem Beispiel vorangehen.
Das neue Behindertengesetz, das für alle Behinderten die rechtliche Gleichstellung brachte, wird meiner Auffassung nach neue Probleme bringen. Ich zweifle manchmal daran, daß es gelingt, die geweckten Hoffnungen zu erfüllen und die von allen Parteien getragene Konzeption auch umzusetzen. Es ist fraglich, ob die institutionelle und personelle Ausstattung der für das Gesetz zuständigen Organe und Einrichtungen ausreicht, um die Aufgaben zu lösen. Es fehlt auch an einer klaren Definition des Behindertenbegriffes. Sprecher der Verbände kritisieren, daß man Langzeitstrafentlassene, nicht Seßhafte und sozial Gefährdete als Behinderte bezeichnet. Damit werde das Gegenteil von dem erreicht, was das Ziel der gesetzlichen und sonstigen Maßnahmen sei. Rehabilitation sei eine Sache, Resozialisierung sei eine andere.
In der Sozialwissenschaft wird der Begriff Behinderung immer noch kontrovers diskutiert. Man ist nicht auf einen gemeinsamen Begriffsnenner gekommen. Um nur ein Beispiel zur bringen: Was ist z. B. „seelisch behindert"? In einem Kommentar findet man folgende Definitionen:
Seelisch behindert ist, wer in seinem subjektiven Befinden und Erleben, in seiner Affektivität und Vitalität, in seiner sozialen Einordnung, in seinem normativen Verhalten gestört und anders als sein soziales Umfeld ist.
Daß diese weitgefaßten Definitionen, meine Damen und Herren, den Anforderungen der Praxis genügen werden, ist zu bezweifeln.
Ein anderes Problem: mehrfache Behinderungen. Wie werden sie gemessen? Viele körperlich Behinderte sind erheblich seelisch behindert, z. B. Monika, eines der 2 450 Contergan-Kinder. Sie ist 15 Jahre alt, vierfach geschädigt, d. h. sie ist an Armen und Beinen verkürzt, und trägt vier Prothesen.
Sehen Sie, ich habe keine Arme und keine Beine. Wer wird ein solches Monstrum schon lieben?,
meint sie und fährt fort:
Ich wäre ein gesellschaftliches Problem, hat der Berufsberater gesagt. Ich habe zurückgefragt: Für ihn, für die Umwelt oder für mich selbst? Da wußte er keine Antwort. Er gab mir ein Buch, und ich mußte aus ihm vorlesen. Da hat ihn gestört, daß ich mit der Zunge umblätterte. Ja, meinte er, das wäre doch sehr schwierig. Als ich sagte, da seien wir gleicher Meinung, wußte er entgegen seinem Berufsplan keine Worte mehr.
Meine Damen und Herren, eines von 2 400 echten Problemen! Dazu werden Hunderttausende andere kommen, und ich fürchte, daß weder die Behörden und Ämter noch Arbeitgeber und Mitarbeiter und schon gar nicht die Umwelt darauf vorbereitet sind. Unkenntnis aber schafft immer neue seelische Behinderungen. Auch die Anhaltspunkte für die ärzt-
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liche Gutachtertätigkeit, einst etwas rauh „Knochentaxe" genannt, sind als Maßstab für die Einstufung der Behinderten kaum mehr ausreichend.
Absolut unzureichend ist auch die sogenannte nachgehende Fürsorge. Nach medizinischer Behandlung und nach beruflicher Rehabilitation sind die Behinderten am Arbeitsplatz allein gelassen. Bei auftretenden Anpassungsschwierigkeiten fehlt ein Helfer, der dem Behinderten beisteht, um die Schwierigkeiten der ersten Wochen zu bestehen. Wie oft könnten in Gesprächen mit Arbeitgebern oder Mitarbeitern Schwierigkeiten ausgeräumt, Vorurteile abgebaut und Leistungsknicke der ersten Zeit überbrückt werden. Manches Scheitern mit neuen seelischen Behinderungen könnte man auf diese Weise verhindern. Den Sozialfürsorger erwartet hier ein wichtiges Arbeitsfeld.
Berufsförderungswerke und Berufsbildungswerke für Jugendliche werden nun mehr und mehr die Behinderten für den allgemeinen Arbeitsmarkt ausbilden. Für diejenigen, die das nicht schaffen, sollen Werkstätten für Behinderte eingerichtet werden. Wir halten diese Konzeption für gut und richtig. Es liegt aber zwischen beiden Bereichen meiner Auffassung nach eine Lücke. Es gibt nämlich eine sehr große Zahl von Betroffenen, die über dem Leistungsstandard einer Werkstätte liegen, die aber vielleicht nur an zwei Drittel oder drei Viertel einer vollen Arbeitskraft herankommen. Es wäre zu überlegen, ob diese Gruppe nicht mit Sondertarifen oder wie in Holland nach einem System mit Mindestlöhnen beschäftigt werden könnte. Vielfach würden dadurch manche Behinderte vor einem nicht zumutbaren Streß bewahrt, und gleichzeitig käme man vielfachen Bedürfnissen der Wirtschaft und der Behörden entgegen.
Die Normen der Leistungsgesellschaft sind Schnelligkeit, Erfolg und Flexibilität. Diese Normen kann der Behinderte nicht immer erfüllen. Wen wundert es, wenn 91 °/o der Bevölkerung nicht wissen, wie sie sich gegenüber Behinderten verhalten sollen. Die Ergebnisse der Meinungsumfragen sind nicht ermutigend. Die Einstellungen und Vorurteile zementieren die Getto-Situation der Behinderten.
An manche Gruppen hat sich der Normalbürger zwar gewöhnt. Wenn aber die landläufige Vorstellung von dem, was Behinderung darstellt, durch vermeintlich Schlimmeres gestört wird, wenn z. B. die Mutter mit ihrem mongoloiden Kind im Wagen vorüberfährt oder der junge Mann mit dem Wasserkopf vorübergeht, dann wendet sich der Bürger ab. Für allzu viele gilt noch: wegschauen, verdrängen, ignorieren. Vorurteile aber behindern die Teilhabe der Behinderten am Leben der Gesellschaft, und dies ist ja das eigentliche Ziel der Rehabilitation. In einer Gesellschaft, in der Jugend, Gesundheit, Schönheit und Tatkraft sich als alleiniger Maßstab für die menschliche Existenz anbieten, müssen die Behinderten sich fremd fühlen. In dieser bunten Welt des Peter Stuyvesant sind Behinderungen ein Ärgernis. Lebensprotzerei schließt die Bildung von Randgruppen mit ein. Was ist Gesellschaft? Eine Anzahl von Personen, die Familie, die Schule, die Gemeinde, der Betrieb.
Entscheidend ist oft die Erstberatung der Eltern. Die Erkenntnis für die Eltern, ein Kind zu haben, dessen Entwicklung anders verläuft, als sie es einmal erhofften, ist schmerzlich. Dr. Virginia Axline schildert in ihrem Buch „Dibs" den Schmerz einer enttäuschten Muter, wenn sie diese sprechen läßt — ich zitiere —:
Ein geistig zurückgebliebenes Kind war mehr, als wir ertragen konnten. Wir schämten uns. Wir waren gedemütigt. In keiner unserer Familien hat es jemals so etwas gegeben.
Es ist eigenartig, fast alle Eltern fragen, wenn ihnen ein behindertes Kind geboren wird, zunächst nicht nach der Ursache, sondern nach der Schuld für dieses einschneidende Ereignis.
Meine Damen und Herren, das Thema erscheint mir doch ernst genug, um zuzuhören und nicht soviel Privatgespräche zu führen.
Die Bereitschaft zu helfen, hat in der Bevölkerung zugenommen, wobei kleinere Gemeinschaften für die Integration günstiger sind. Eine Reihe von Ihnen, meine Damen und Herren, werden in ihrem Wahlkreis Ähnliches erlebt haben wie ich. Im Landkreis Wolfach war es der Amtsrichter Dr. Eberhard, der die Initiative ergriff, die „Lebenshilfe" gründete und in mehrjähriger harter Arbeit mit Eltern und Gleichgesinnten, mit Hilfe der Vereine und Gemeinden eines Kreises für die Behinderten eine Schule, eine Werkstatt und ein Wohnheim geschaffen hat. Alle halfen mit. Deshalb sind die Behinderten dort integriert; denn ihre Rehabilitation ist durch tätige Mithilfe zu einer Aufgabe für alle geworden. Auf Eigeninitiative kann einfach nicht verzichtet werden.
Stärker gefördert werden sollten die Klubs für Behinderte. In diesen Zusammenschlüssen haben sie die Möglichkeit, zu zeigen, daß sie eigener Initiativen fähig sind und nach Wegen suchen, ihr Schicksal zu meistern. Allerdings: Wenn die Eingliederung in die Gesellschaft gelöst werden soll, müssen ihre Leitbilder korrigiert werden. Die heile Welt ist eben nicht nur die der lebensfrohen Reklamemenschen; zum Leben gehört eben mehr als Laufenkönnen, zum Glücklichsein mehr als gesunde Beine.
Vielleicht denken daran auch die Teilnehmer einer Veranstaltung des Niedersächsischen Jagdklubs, die — einer Pressemeldung zufolge sich in der Stadthalle von Hannover vergnügten, 45 000 DM Eintrittsgelder bezahlten und ganze 461,50 DM für die Aktion Sorgenkind spendeten.
Neben der Freiheit und der Gleichheit sollte der dritten der Revolutionstugenden, der Brüderlichkeit, die meist unter den Tisch fällt, mehr Raum gegeben werden.
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Jeder, meine Damen und Herren, kann morgen schon Behinderter sein. Niemand ist gefeit; jeder kann genötigt sein, schon morgen die Hilfen der Rehabilitation in Anspruch nehmen zu müssen. Günther Windschild vom Hessischen Rundfunk führte in einem Beitrag folgendes aus:
Als am 4. Juli 1954 Reporter Herbert Zimmermann vom Norddeutschen Rundfunk mit überschnappender Stimme ins Mikrofon schrie „Toni, du bist ein Gott!", da hätte sich niemand vorstellen können, daß dieser im Weltmeisterschaftsfinale hervorragende Nationaltorwart Toni Turek 19 Jahre später prominenter Patient in der Rehabilitation werden könnte. Turek, selber kerngesund bis zu jenem tragischen Tag, als er gelähmt ins Krankenhaus gebracht werden mußte, dürfte das Wort Rehabilitation als ein Fremdwort abgetan haben wie Millionen andere Menschen auch.
Die Medien haben das Verständnis für Behinderte erfolgreich gefördert. Neuerdings gibt es eine ganze Reihe hervorragender Bücher über Behindertenschicksale; vielleicht ein aktuelles Geschenk zu Weihnachten.
Nun zur Antwort der Bundesregierung. Die sehr ausführliche Antwort der Bundesregierung, für die wir danken, liest sich da und dort manchmal ein bißchen wie der Wehrmachtsbericht einer vergangenen Epoche. Darstellungen der Erfolge decken manchmal die schwierigen Probleme, die noch vor uns liegen, zu.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich nie gescheut, die Gesetze dieser Regierung zur Verbesserung der Lage der Behinderten zu würdigen. Ich tue dies auch heute. Und doch sollte man nicht vergessen, daß Bundesminister Walter Arendt am 14. April 1970 in Wiesbaden folgendes erklärte:
Ich weiß sehr wohl, daß wir mit dem Aktionsprogramm kein Neuland betreten, daß wir mit der Rehabilitation in der Bundesrepublik Deutschland nicht erst am Anfang stehen, sondern mit Stolz zurückschauen können auf ausgezeichnete Erfolge und vorbildliche Einrichtungen in fast allen Bereichen der Rehabilitation.
In der Debatte im September 1970 erklärte der Minister:
Ich weiß, daß sich mein Vorgänger sehr für die Rehabilitation eingesetzt hat.
Meine Damen und Herren, Rehabilitation wird um der Menschen willen betrieben. Sie ist aber auch ein versicherungsrechtlicher Vorgang geworden. Andauernde Leistungsbehinderung erzeugt hohe Kosten. Rehabilitation dient dazu, die Kosten zu senken. Auch deshalb geben die westlichen Industrieländer der Prävention und der Rehabilitation Priorität. Die Bundesrepublik nimmt keine Ausnahmestellung ein, wenn sie die zunehmenden Möglichkeiten
für eine Verbesserung der gesetzlichen Grundlagen wahrnimmt.
Wenn wir schon von Leistungen sprechen, dürfen wir auch die Bundesländer nicht vergessen. Mit Recht weist die Bundesregierung darauf hin, daß sie 60 Millionen DM für bauliche Maßnahmen einsetzt; mit gleichem Recht füge ich hinzu, daß für das RehaZentrum Neckargemünd Ministerpräsident Filbinger den Löwenanteil von 41 Millionen DM Landesmittel melden konnte. Bund und Länder, Kommunen, Sozialversicherung und freie Träger bringen erhebliche Mittel auf. Dank verdienen aber an erster Stelle vor allem jene Fachkräfte, die heute und in der Vergangenheit die medizinischen, pädagogischen, berufsfördernden und sozialen Maßnahmen vollziehen und vollzogen haben.
Überraschend stark engagieren sich vor allem auch junge Menschen.
Die heutige Debatte — ich habe vorhin schon darauf hingewiesen — entbehrt nicht einer ernsten Aktualität. Ein erheblicher Teil der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik ist nicht konjunkturell, sondern strukturell bedingt; viele Arbeitsplätze sind bereits verschrottet. Mit Überbeschäftigung ist es auf Jahre hinaus wahrscheinlich vorbei. Die Behörden haben Einstellungsstopp. Die Zahl der arbeitslosen Schwerbeschädigten hat sich innerhalb eines Jahres verdoppelt. Ministerpräsident Filbinger hat bereits an die Wirtschaft appelliert, den Konjunkturabschwung nicht auf dem Rücken der Behinderten auszutragen. Mit Sorge betrachtet er den Rückgang von Lehrstellen für Behinderte und die drastische Schrumpfung von Aufträgen der Wirtschaft für die Behindertenwerkstätten.
Einige andere Probleme, die noch vor uns liegen: Das gegliederte System droht zu einem zergliederten zu werden. Die Rehabilitation muß überschaubarer dargestellt werden; Fachleute fordern bereits ein einheitliches Rehabilitationsgesetz. Vielleicht bietet sich hier im Hinblick auf mehr Überschaubarkeit das Sozialgesetzbuch an. Im beruflichen Teil sollte die Stellung der Bundesanstalt für Arbeit gestärkt werden. Es gibt in der Praxis Schwierigkeiten zwischen der Rentenversicherung und der Bundesanstalt für Arbeit in Fragen der Umschulung. Ähnliche Schwierigkeiten bestehen zwischen Krankenkassen und Rentenversicherung in der medizinischen Rehabilitation. Beide Kostenträger sind an der medizinischen Rehabilitation beteiligt, es fehlt aber eine klare Abgrenzung. In beiden Fällen gibt es Leerlauf, in beiden Fällen wird die Effizienz gestört, und in beiden Fällen zahlt der Behinderte die Zeche für diese im einzelnen teilweise ungeklärte Kompetenz.
Auch die Tatsache, daß das Jugendhilfe-Reformgesetz nun nicht mehr kommen wird, wird für die Rehabilitation ein Negativum darstellen. Es werden Beratungsstellen fehlen, und es werden auch Sondereinrichtungen hiervon betroffen sein. Es fehlen auch qualifizierte Fachkräfte. Das System des Chan-
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Genausgleichs, das die beste Ausbildung für diejenigen reservieren würde, die in anderer Hinsicht benachteiligt sind, ist noch lange nicht erreicht.
Zum Schluß, meine Damen und Herren: Rehabilitation braucht einen langen Atem. Fraktion und Parteien der CDU/CSU werden sich mit Nachdruck und Augenmaß für die Eingliederung der Behinderten in Arbeit, Beruf und Gesellschaft einsetzen. Wir werden dabei im Sinne eines Wettbewerbs des guten Willens die Zusammenarbeit suchen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Bundesregierung möchte ich die schriftliche Antwort auf die Große Anfrage der Opposition zur Rehabilitation noch mit einigen Ausführungen ergänzen. Ich handle damit auch im Einvernehmen mit meiner Kollegin Frau Focke, die leider erkrankt ist und daher an dieser Debatte nicht teilnehmen kann.
— Vielen Dank!
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung begrüßt, daß die Große Anfrage der Opposition die Gelegenheit bietet, den Gesamtkomplex der Rehabilitation in diesem Hohen Hause zu erörtern.
Die Rehabilitation bildet einen besonderen Schwerpunkt in der Politik der Bundesregierung. Die Bundesregierung betrachtet die Eingliederung und die Wiedereingliederung unserer behinderten Mitbürger in Beruf und Gesellschaft als eine Aufgabe von hohem Rang, und das nicht erst seit gestern. Dieser Auffassung haben wir schon 1970, wenige Monate nach der Übernahme der Regierungsverantwortung, mit unserem „Aktionsprogramm Rehabilitation" sichtbaren Ausdruck verliehen. In diesem Programm das in der Öffentlichkeit eine gute Aufnahme gefunden hat, haben wir die Ziele und Aufgaben einer fortschrittlichen Rehabilitation umrissen, und demgemäß und entsprechend diesem Programm haben wir in den hinter uns liegenden Jahren konsequent und konzentriert gehandelt. Darum darf ich heute mit Fug und Recht feststellen, daß wir in den letzten Jahren gerade in der Rehabilitation ein gutes Stück vorangekommen sind. Diese Erfolge sind vor allem auch der Arbeit dieses Hohen Hauses zu danken.
Das Jahr 1974 ist für die Rehabilitation und ihre Weiterentwicklung von herausragender Bedeutung. Wir haben in diesem Jahr für die Eingliederung der Behinderten eine Fülle neuer, zum Teil bahnbrechender Rechtsvorschriften geschaffen. In diesem Umfang hat es das vorher zu keiner Zeit gegeben. Erinnert sei nur an das neue Schwerbehindertengesetz, an das Rehabilitationsangleichungsgesetz, an die Dritte Novelle zum Bundessozialhilfegesetz und an die dem Parlament noch vorliegenden Gesetzentwürfe der Bundesregierung über die Sozialversicherung der Behinderten und die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr. Wir haben den Behinderten, die früher nicht selten im Schatten der Wohlstandsgesellschaft standen, neue und bessere Chancen eröffnet.
Hierfür nur einige Beispiele: Wir haben die Eingliederungshilfen des neuen Schwerbehindertengesetzes unabhängig von Art und Ursache der Behinderung allen Behinderten zur Verfügung gestellt. Wir haben für alle Schwerbehinderten das Recht auf besondere Hilfen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes und zur beruflichen Förderung, einen umfassenden Kündigungsschutz und einen Zusatzurlaub von sechs Arbeitstagen eingeführt.
Und, Herr Burger, wenn ich das noch anmerken darf: Die Arbeitslosenquote der Behinderten ist in der letzten Zeit zurückgegangen. Sie befindet sich weit unter dem Bundesdurchschnitt der sonstigen Arbeitnehmer.
Wir haben im Bundessozialhilfegesetz die Leistungen der Eingliederungshilfen für Behinderte und die Hilfe zur Pflege verbessert, den Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert und die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfen erleichtert. Und wir haben dafür gesorgt, daß heute von allen Rehabilitationsträgern einheitliche Sach- und Geldleistungen zur Rehabilitation erbracht werden, vor allem ein einheitliches Übergangsgeld in Höhe des bisherigen Nettoeinkommens des Behinderten.
Die teilweise grundlegenden Neuerungen in den gesetzlichen Grundlagen der Rehabilitation sind der Hintergrund, wie ich meine, einer sich abzeichnenden Neuorientierung der Rehabilitation als eines eigenständiges Zweiges moderner Sozialpolitik. Durch das am 1. Oktober dieses Jahres in Kraft getretene Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation wird nämlich erstmals der Versuch gemacht, die Leistungen zur Eingliederung der Behinderten über mehrere Sozialleistungsbereiche hinweg zu koordinieren und anzugleichen. Damit ist eine Entwicklung eingeleitet, die einmal dazu führen kann daß die Rehabilitation aus ihrer bisherigen Rolle eines unselbständigen Teilaspekts in den verschiedenen Sparten der sozialen Sicherung herausgelöst, zu einem eigenständigen Faktor fortschrittlicher Gesellschaftspolitik gemacht und in dieser Funktion auch in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt werden kann.
Die Voraussetzungen für eine derartige Entwicklung erscheinen deshalb günstig, weil der Gesetzgeber selbst anläßlich der Verabschiedung des Rehabilitationsangleichungsgesetzes die Bundesregierung aufgefordert hat, auf dem Wege zur weiteren Angleichung der Rehabilitationsleistungen fortzufahren und mit einem nächsten Schritt die
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Bundesminister Arendt
Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz in die Angleichung einzubeziehen. Die Bundesregierung wird entsprechend dem ihr durch das Rehabilitationsangleichungsgesetz erteilten Auftrag bis zum 31. Dezember 1975 über diese Probleme berichten und dem Hohen Haus Vorschläge zur Weiterführung der Harmonisierung unterbreiten.
Ich will diesen Rückblick auf unsere Bemühungen um bessere gesetzliche Grundlagen der Rehabilitation nicht abschließen ohne ein besonderes Wort des Dankes an dieses Hohe Haus. Sie haben unseren Gesetzgebungsvorschlägen in vollem Umfang zugestimmt. Die Diskussion sowohl zum neuen Schwerbehindertengesetz als auch zum Rehabilitationsangleichungsgesetz war geprägt vom gemeinsamen Bemühen, den behinderten Mitbürgern zu helfen. Beide Gesetze sind einstimmig verabschiedet worden. Mein Dank gilt daher auch Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition.
Die Initiativen der Bundesregierung zur Verbesserung der Situation der Behinderten waren nicht auf den Bereich der Gesetzgebung beschränkt. Der Katalog des Aktionsprogramms reichte von der Beseitigung baulicher Hindernisse über eine bessere Behindertenstatistik bis zu einer Veränderung in der Einstellung der Öffentlichkeit zu den Behinderten. Auch hier sind wir in den letzten Jahren ein gutes Stück vorangekommen. Ich verweise auf die Schaffung von DIN-Normen für den Bau behindertengerechter Wohnungen, und zwar sowohl für Rollstuhlfahrer als auch für Blinde. Ich verweise ferner auf die im Schwerbehindertengesetz geschaffenen Grundlagen einer umfassenden Behinderten- und Rehabilitationsstatistik. Schließlich verweise ich auf die Welle des Interesses an Fragen der Rehabilitation, die in den letzten Jahren unser Land erfaßt hat, auf die vielen Beiträge in Presse, Funk und Fernsehen, die mit dazu beitragen, das Verständnis für die Probleme der Behinderten zu wecken und zu fördern. Für dieses Engagement möchte ich auch vor diesem Hohen Haus den Damen und Herren der Presse, des Rundfunks und des Fernsehens herzlich danken.
Besonderen Dank aber möchte ich dem Ehepaar Heinemann aussprechen.
Gustav Heinemann hat das Ansehen seines hohen Amtes in den Dienst der behinderten Mitbürger gestellt und bei vielen Gelegenheiten vor allem auf die humanitäre Seite der Rehabilitation hingewiesen. Seine Worte — und ich darf ihn zitieren — „Unsere so sehr auf Leistung und Wettbewerb ausgerichtete Gesellschaft ist nur dann eine menschliche Ordnung, wenn sie behinderten Minderheiten volle Achtung, volle Gemeinschaft und ein Höchstmaß an Eingliederung gewährt" sind heute schon Allgemeingut der deutschen Rehabilitation geworden.
Frau Heinemann hat durch die Gründung der HildaHeinemann-Stiftung auf das besondere Anliegen der Wohnraumbeschaffung für Behinderte aufmerksam gemacht.
Auf einem Gebiet sind die Erfolge der verstärkten Bemühungen der Bundesregierung besonders deutlich geworden, nämlich bei der Schaffung eines bundesweiten bedarfsdenkenden Netzes von Rehabilitationseinrichtungen. Moderne, leistungsfähige Einrichtungen für die verschiedenen Bereiche der Rehabilitation sind ein sichtbarer Beweis einer beispiellosen Aufwärtsentwicklung. In allernächster Zeit werden wir für die behinderten Erwachsenen über insgesamt 21 moderne Berufsförderungswerke verfügen. Das ist eine Leistung, die auch über die Grenzen unseres Landes hinaus große Beachtung gefunden hat.
Der Ausbau der Berufsförderungswerke hat die Rehabilitation ganz entscheidend beeinflußt. Die Umschulungsmaßnahmen haben kontinuierlich zugenommen. Betrachtet man den Zeitraum der letzten fünf Jahre, so ist eine Steigerung von 11 400 bewilligten Umschulungsmaßnahmen im Jahre 1969 auf 23 000 im Jahre 1973 zu verzeichnen. Das ist eine Steigerung um mehr als 100 Prozent. Diese Steigerung ist erreicht worden, ohne daß die rehabilitationsfeindlichen Wartezeiten angestiegen wären. Das Gegenteil ist sogar der Fall. Heute kann jeder Behinderte in einem überschaubaren Zeitraum von etwa sechs bis acht Monaten mit dem Beginn seines Umschulungslehrgangs rechnen. Unser Ziel, jedem Behinderten, der auf eine besondere medizinische und soziale Betreuung während der Umschulung angewiesen ist, einen modernen Ausbildungsplatz in der Nähe seines Heimatortes anzubieten, ist nahezu erreicht.
Das ist nur möglich, weil für die Förderung der beruflichen Einrichtungen zur Rehabilitation im Bundeshaushalt zu keiner Zeit so viel finanzielle Mittel bereitgestellt worden sind wie seit 1969. Für das Jahr 1974 sind es 59 Millionen DM; dazu kommen die Aufwendungen der Länder, der Bundesanstalt für Arbeit und der übrigen Rehabilitationsträger. Insgesamt werden zur Zeit jährlich rund 300 Millionen für die Rehabilitation investiert. Das hat es vorher zu keiner Zeit gegeben.
Meine Damen und Herren, auf eine Kategorie der beruflichen Einrichtungen zur Rehabilitation möchte ich etwas näher eingehen, nämlich die Werkstätten für Behinderte. In der Großen Anfrage wird in Frage 16 die Befürchtung geäußert, daß künftig nur bestimmte, besonders leistungsfähige Werkstätten eine Förderung erfahren könnten. Ähnliche Äußerungen sind uns auch aus Kreisen der Behindertenorganisationen und der Werkstätten selbst bekanntgeworden.
Um es vorwegzunehmen: Diese Befürchtungen sind unbegründet. Mit den Ländern, den überörtlichen Trägern der Sozialhilfe und der Bundesanstalt für Arbeit sind inzwischen gemeinsame Grundsätze für ein vorläufiges Anerkennungsverfahren der Werkstätten entwickelt worden. Durch die vorläufige Anerkennung soll sichergestellt werden, daß die Werkstätten vom 1. Januar des nächsten Jahres an die im Schwerbehindertengesetz vorgesehenen Vergünstigungen in Anspruch nehmen können. Von diesem Zeitpunkt an nämlich sind die Arbeitgeber verpflichtet, Ausgleichsabgaben zu zahlen, wenn sie
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Bundesminister Arendt
nicht sämtliche Pflichtplätze mit Schwerbehinderten besetzt haben. Das Anerkennungsverfahren soll — besonders in der Aufbauphase der Werkstätten —großzügig gehandhabt werden.
Eine Reihe von Fragen — so vor allem die Gestaltung der individuellen Leistungen der Sozialhilfe und der Bundesanstalt für Arbeit, die Entlohnung der Behinderten und insbesondere die Defizitdeckung — sind noch offen. Sie müssen in der nächsten Zeit gelöst werden, wenn wir die Aufwärtsentwicklung der Werkstätten nicht gefährden wollen. Hierbei mitzuwirken, sind alle Beteiligten aufgerufen, vor allem aber die Werkstätten selbst.
Meine Damen und Herren, wir können alle stolz auf das sein, was in den letzten fünf Jahren auf diesem Feld erreicht worden ist. Aber sicher sind noch nicht sämtliche Probleme der Rehabilitation gelöst. Das war nicht möglich und — das füge ich hinzu — das wird auch in Zukunft nicht möglich sein, denn Wiedereingliederung der Behinderten in Beruf und Gesellschaft ist eine permanente Aufgabe der Gesellschaft.
Deshalb möchte ich noch einige Bemerkungen über die künftigen Aufgaben machen.
Vorrangig wird es in den nächsten Jahren darum gehen, die verbesserten gesetzlichen Grundlagen der Rahabilitation für die Behinderten in vollem Umfang zu erschließen. Wir werden mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln darum bemüht sein, daß die in den Gesetzen geregelten Leistungen auch nahtlos und zügig die Behinderten erreichen.
Unser Ziel muß es sein, im Rehabilitationsverfahren zu bestmöglichen Erfolgsquoten zu kommen. Fehlmaßnahmen dürfen nicht eintreten, denn hinter jedem Rehabilitationsverfahren steht ein hilfesuchender Mensch. Hinter jedem schief gelaufenen oder verzögerten Verfahren steht eine enttäuschte Hoffnung.
Ich sehe eine ganz wichtige Aufgabe künftig in der Aus- und Fortbildung der Fachkräfte der Rehabilitation, und zwar sowohl für die Rehabilitationseinrichtungen selbst als auch für die Rehabilitationsträger.
Bei allem Verständnis für den durch die neuen Aufgaben gestiegenen Arbeitsanfall kann die Lösung nicht in einer uferlosen Personalvermehrung gefunden werden. Die Grenzen der Belastung öffentlicher Haushalte durch Personalausgaben sind inzwischen mehr als deutlich geworden. Die Lösung kann daher nur lauten: vereinfachen, rationalisieren und mehr Effektivität.
Meine Damen und Herren, wir werden in der nächsten Woche hier in Bonn für das „Haus der Behinderten" den Grundstein legen. In etwas mehr als einjähriger Vorbereitungszeit ist es gelungen, die planerischen und finanziellen Voraussetzungen für die Verwirklichung dieses Modellprojekts der Rehabilitation zu schaffen. Bald wird ein Zentrum entstehen, das den Gedanken der Eingliederung der Behinderten in die Gesellschaft fördern und die Zusammenarbeit aller in der Rehabilitation Beteiligten
sichtbar zum Ausdruck bringen soll. Ein Angebot vielfältiger Hilfen soll den Behinderten zur Verfügung stehen. Gedacht ist dabei an beratende therapeutische, kulturelle und soziale Maßnahmen — angefangen mit einem Früherkennungs- und Beratungszentrum über einen Sonderkindergarten bis hin zur Freizeitgestaltung.
Besonderer Wert soll auf die sportliche und gesellige Betätigung gelegt werden. Zugleich soll aber auch eine Begegnungsstätte für Behinderte und Nichtbehinderte entstehen. Nicht zuletzt soll das „Haus der Behinderten" als Modell Anregungen zur Schaffung entsprechender Zentren in anderen Orten geben.
Meine Damen und Herren, ich habe es schon gesagt — ich wiederhole es —: Die Rehabilitation ist und bleibt eine ständige Aufgabe. Wir müssen dafür sorgen, daß die behinderten Menschen in unserer Gesellschaft mit ihren Sorgen und Problemen nicht alleingelassen werden. Die Bundesregierung nimmt diese Verpflichtung sehr ernst. Wir werden, wie bisher, auch in Zukunft um eine fortschrittliche Weiterentwicklung der Rehabilitation bemüht sein. Wir vertrauen darauf, daß wir dabei auch weiterhin auf die Unterstützung dieses Hohen Hauses rechnen dürfen.
Das Haus hat die schriftliche und die mündliche Antwort der Bundesregierung entgegengenommen. Ich unterstelle, daß mindestens eine Fraktion eine Aussprache wünscht. — Das ist der Fall. Dann treten wir in die Aussprache ein.
Das Wort hat der Abgeordnete Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor etwa viereinhalb Jahren, im Jahre 1970, hat die Bundestagsfraktion der CDU/CSU zum erstenmal in der Geschichte dieses Hauses eine Große Anfrage zur Rehabilitation der Behinderten eingebracht. Damals war dies für die Regierungskoalition — und auch für mich persönlich — ein willkommener Anlaß, vor einer breiten Öffentlichkeit ihre Konzeption zur Sozialpolitik für Behinderte zu erläutern. Die jetzige Große Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hingegen ist, so meine ich, eine Gelegenheit, darzustellen, daß es für die Regierungskoalition nicht beim Entwerfen von Programmen geblieben ist, sondern daß diesen Programmen weitere Ideen und vor allem auch Taten gefolgt sind.
Vor etwas mehr als fünf Jahren hat Bundeskanzler Brandt in der ersten Regierungserklärung der sozialliberalen Koalition der Rehabilitation der Behinderten eine besondere Priorität in der Sozialpolitik eingeräumt. Das war das erste Mal, daß eine Bundesregierung, und zwar eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung, die Behinderten in einer Regierungserklärung überhaupt erwähnt hat. Kein einziger CDU-Bundeskanzler hatte das zuvor für notwendig befunden. Damals sagte Willy Brandt:
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Glombig
Die Bundesregierung wird um verstärkte Maßnahmen bemüht sein, die den Benachteiligten und Behinderten in Beruf und Gesellschaft, wo immer dies möglich ist, Chancen eröffnen.
Schon ein halbes Jahr später, im April 1970, hat Bundesarbeitsminister Walter Arendt, dem ich und, so glaube ich, die Behinderten im ganzen Lande dafür sehr dankbar sind, das „Aktionsprogramm zur Förderung der Rehabilitation" vorgelegt. In diesem Programm wurde zum erstenmal eine Konzeption in der Sozialpolitik für Behinderte entwickelt, die über die Entschädigung von Kriegs- und Arbeitsopfern und über Maßnahmen der medizinischen und beruflichen Rehabilitation für diesen Personenkreis hinausgeht, eine Konzeption also, die der umfassenden Aufgabe der Eingliederung aller Behinderten in die Gesellschaft, nämlich sowohl in Arbeit und Beruf als auch in das Leben der Gemeinschaft — und das scheint mir das Entscheidende dabei zu sein; ich werde darauf noch eingehen —, gerecht wird.
Eine planmäßige und zielgerichtete Sozialpolitik für alle Behinderten hat in der Bundesrepublik — ich darf das ohne Überheblichkeit feststellen — erst mit der sozialliberalen Koalition eingesetzt. Die Regierungserklärungen von 1969 und 1972 und das Aktionsprogramm von 1970 haben eine völlig neue Entwicklung auf diesem Gebiet eingeleitet. Das betrifft übrigens nicht nur die Gesetzgebung des Bundestages und der Bundesregierung; die Impulse, die von der sozialliberalen Koalition ausgegangen sind, haben auch die Länder und Gemeinden zu neuen Anstrengungen angeregt und — das halte ich für besonders wichtig und ist auch von Bundesarbeitsminister Arendt bereits betont worden — eine Veränderung des Bewußtseins in der Öffentlichkeit und eine wachsende Aufgeschlossenheit der Bürger für die Probleme der behinderten Mitmenschen bewirkt.
Diese Probleme der Behinderten sind äußerst vielfältig, äußerst kompliziert und auch nur sehr schwierig darstellbar. Die Sozialpolitik für Behinderte umfaßt ein weites Aufgabenfeld, das sich von der Gesundheitspolitik über die Bildungspolitik und die Wohnungsbaupolitik bis hin zum Sozialversicherungsrecht und zum Steuerrecht erstreckt. Wir haben das, was das Steuerrecht angeht, auch bei unserer Entscheidung über die Steuerreform erlebt. Beim Amtsantritt der Regierung der sozialliberalen Koalition im Jahre 1969 waren viele — ich sage: viele — dieser Aufgaben nur unbefriedigend gelöst, einige sogar überhaupt noch nicht in Angriff genommen worden.
Ausgehend von dieser Bestandsaufnahme hat die sozialliberale Koalition auf dem Gebiet der Sozialpolitik für Behinderte umfangreiche Reformen in Angriff genommen. Darauf ist bereits hingewiesen worden. Gestatten Sie mir aber, daß ich in wenigen Sätzen noch einmal auf die Grundsätze, von denen wir dabei ausgegangen sind, eingehe, weil ich meine, daß das sehr wichtig ist.
Erstens. Oberstes Ziel in der Rehabilitation muß es sein und war es für uns, dem Behinderten die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit zu ermöglichen. Die Hilfe darf sich also nicht allein auf die
Ein- oder Wiedereingliederung des Behinderten in den Arbeitsprozeß beschränken. Sie muß auch demjenigen Behinderten zuteil werden — das ist ebenfalls eine ganz neue Überlegung in diesem Zusammenhang gewesen —, der wegen Art oder Schwere seiner Behinderung nicht in der Lage ist, am allgemeinen Erwerbsleben teilzunehmen.
Zweitens. Der Behinderte muß einen klaren und gesicherten Rechtsanspruch auf individuelle Leistungen, auf individuelle Hilfen zur Rehabilitation haben. Er darf nicht allein von karitativer Hilfe und von Ermessensentscheidungen der Behörden abhängen. Damit ist — das sage ich mit allem Nachdruck — nichts gegen den Wert karitativer Hilfen gesagt. Aber das Angewiesensein auf karitative Hilfe allein schafft oftmals Abhängigkeit, auch wenn die Helfenden das nicht wollen. Ich glaube, daß diese Helfenden das inzwischen auch begriffen und auch damit den Behinderten sehr geholfen haben.
Drittens. Der bislang weithin dominierende Grundsatz der Kausalität muß dem Grundsatz der Finalität weichen, und er ist dem Grundsatz der Finalität durch unsere Gesetzgebung weithin gewichen. Der Anspruch des Behinderten auf Hilfe zur Rehabilitation darf nicht von der Ursache seiner Behinderung abhängen. Ausschlaggebend dürfen allein Art und Schwere der Behinderung sein.
Viertens. Alle Hilfen und Einrichtungen für Behinderte müssen ohne bürokratische Hemmnisse und lange Wartezeiten — daß auch das sich zu einem Teil bereits erfüllt hat, ist uns klargeworden — ineinandergreifen und aufeinander abgestimmt sein. Hierbei sollte — ich wiederhole es immer wieder — am gegliederten System der Rehabilitation nur insoweit festgehalten werden, als es sich in der Praxis für die Behinderten bewährt hat; denn dieses System ist für die Behinderten da, und nicht umgekehrt.
Die Bemühungen der sozialliberalen Koalition haben zu einer ganzen Reihe wichtiger Gesetze geführt, von denen man mit Recht sagen kann, daß sie in ihrem Zusammenwirken die soziale Landschaft der Bundesrepublik für die Behinderten von Grund auf verändert haben. Ich möchte mich nicht in Details verlieren. Ich möchte aber eine kurze Zusammenfassung geben, weil ich meine, daß uns diese Große Anfrage dazu nicht nur die Gelegenheit, sondern geradezu die Verpflichtung gibt.
Erstens. Seit dem 1. April 1971 sind alle Kindergartenkinder, Schüler und Studenten in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Das allein aber ist nicht ausschlaggebend. Damit hat eine große Gruppe, die vormals im Falle der Behinderung auf die Sozialhilfe verwiesen werden mußte, Zugang zu den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung bekommen. Das bedeutet erstens eine Entlastung der Sozialhilfe und zweitens einen großen sozialen Fortschritt.
Zweitens. Seit dem 1. Juli 1971 haben alle Kinder bis zur Vollendung des vierten Lebensjahres einen Rechtsanspruch auf Untersuchungen zur Früherken-
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nung von Krankheiten, die eine normale körperliche, geistige oder seelische Entwicklung der Kinder in besonderem Maße gefährden. Damit ist ein wichtiger Anlauf unternommen worden, um Behinderungen durch bessere Vorbeugung und Frühbehandlung zu verhindern.
Drittens. Durch das Bundesgesetz zur Errichtung einer Stiftung Hilfswerk für behinderte Kinder — in der Öffentlichkeit fast schon vergessen —, das am 1. Oktober 1972 in Kraft getreten ist, erhalten zirka 3 000 contergangeschädigte Kinder mit Hilfe des Bundes — mit Hilfe des Bundes, meine Damen und Herren — Rentenzahlungen und unter bestimmten Voraussetzungen Abfindungen, und zwar auf Grund dieser schrecklichen Contergan-Katastrophe. Die Leistungen aus diesem Gesetz haben nicht nur deshalb Bedeutung, weil sie viele besonders schwere Einzelschicksale lindern helfen, sondern auch deshalb, weil sie als Modell für die Zukunft, als Modell für eine für alle betroffenen Behinderten geltenden Versorgungsgesetzgebung, z. B. im Zusammenhang mit der Reform der Arzneimittelgesetzgebung, angesehen werden können.
Viertens. Durch die Rentenreform von 1972 ist die gesetzliche Rentenversicherung für die gesamte Bevölkerung geöffnet worden. Was ist daran bemerkenswert? — Dadurch hat ein weiterer großer Personenkreis Zug ang zu den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten.
Fünftens. Am 1. April 1974 ist die Dritte Novelle zum Bundessozialhilfegesetz in Kraft getreten. Sie enthält eine ganze Reihe von Verbesserungen für Behinderte. Folgende Punkte möchte ich dabei besonders erwähnen: Erstmals haben alle körperlich, geistig und seelisch wesentlich Behinderten unter Beachtung — das war nicht wegzubringen — der Grundsätze der Subsidiarität und der Individualisierung einen Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe. Der Gedanke der sozialen Rehabilitation — von dem ich vorhin bereits gesprochen habe —, der über die Eingliederung in das Erwerbsleben hinausgeht, wurde besonders in den Vordergrund gerückt, sowohl bei der Hilfe zur Pflege als auch bei der Gewährung der Leistungen, die dazu dienen, dem behinderten Menschen das Gefühl zurückzugeben, daß seine Menschenwürde gewährleistet ist. Die Hilfen zur Pflege sind, wie gesagt, wesentlich verbessert worden. Die Heranziehung der Unterhaltsverpflichteten zu den Kosten der Sozialhilfe wurde erheblich eingeschränkt. Ich muß es damit bewenden lassen, obwohl das noch ein Kapitel für sich wäre. Das ist vor allem für die Angehörigen, für die Enkel und für die Großeltern von entscheidender Bedeutung, die seit Inkrafttreten dieses Gesetzes von Rückerstattungen an die Sozialhilfe befreit sind. Das ist nicht unwichtig.
Sechstens. Das am 1. Mai dieses Jahres in Kraft getretene Schwerbehindertengesetz hat den Grundsatz der Finalität zur vollen Geltung gebracht. Die Hilfen zur Beschaffung und Erhaltung eines Arbeitsplatzes, die bislang weitgehend den Schwerkriegsbeschädigten und den Schwer-Arbeitsunfallverletzten vorbehalten waren, stehen nun allen Schwer-
behinderten, und zwar unabhängig von Art und Ursache der Behinderung, offen.
Der neuen Konzeption des Schwerbehindertengesetzes, die Eingliederung in den Arbeitsprozeß für alle Schwerbehinderten zu erleichtern, entspricht es, daß nunmehr alle privaten und öffentlichen Arbeitgeber einen Solidarbeitrag zu leisten haben. Das wird uns vielleicht etwas versöhnen mit der nicht ganz überzeugenden Statistik über die Beschäftigung von Schwerbehinderten, die uns von seiten der Bundesbehörden regelmäßig vorgelegt wird. Öffentliche und private Arbeitgeber werden also gleichermaßen und ohne Ausnahme einen Solidarbeitrag für die Eingliederung der Schwerbehinderten zu leisten haben, indem sie entweder Schwerbehinderte beschäftigen oder eine Ausgleichsabgabe entrichten.
In diesem Zusammenhang ein kurzes Wort zur Arbeitslosigkeit der Schwerbehinderten. Darauf wird mein Freund Norbert Gansel im einzelnen noch eingehen. Wir müssen natürlich, wenn wir von der Arbeitslosigkeit von Schwerbehinderten sprechen, auch von den gleichen Kriterien ausgehen, nämlich denen des Schwerbehindertengesetzes. Es ist doch nicht zu bestreiten, daß am 30. November 1974 im Bundesgebiet 15 959 arbeitslose anerkannte Schwerbehinderte und Gleichgestellte gezählt worden sind. Wenn Sie Ende Mai bereits 20 000 gezählt haben, dann doch nur deswegen, weil Sie alle Behinderten, auch die unter 50 v. H. erwerbsgeminderten Behinderten, in diese Statistik hineingenommen haben, die aber nicht mit der Statistik nach dem Schwerbehindertengesetz übereinstimmt. Da müssen wir im Interesse der Klarheit und Wahrheit eine Klärung herbeiführen.
Siebtens. Das Rehabilitations-Angleichungsgesetz, das am 1. Oktober 1974 in Kraft getreten ist, hat die bislang unkoordinierten Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Rentenversicherung, der gesetzlichen Unfallversicherung, der Kriegsopferversorgung und der Bundesanstalt für Arbeit vereinheitlicht und aufeinander abgestimmt. Die Einkommenshilfen während des Rehabilitationsverfahrens werden nach gleichen Grundsätzen gewährt und dem Wirtschaftswachstum angepaßt, d. h. dynamisiert wie die Renten.
Der vielleicht wichtigste Fortschritt in diesem Zusammenhang — ich kann hier nicht alle nennen; wir haben darüber gesprochen , den das Gesetz gebracht hat, besteht aber darin, daß nun auch die gesetzliche Krankenversicherung Rehabilitationsträger geworden ist. Auch damit wird die Sozialhilfe entlastet, nämlich für alle behinderten Kinder, die in der Familienhilfe versichert sind, und für die behinderten Hausfrauen. Auch Kostenbeiträge im Rahmen der Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln gibt es für Versicherte und Familienangehörige seit dem 1. Oktober nicht mehr.
Achtens. In der Ausschußberatung befindet sich gegenwärtig der Gesetzentwurf über die Sozialversicherung Behinderter. Alle Behinderten, die in Werkstätten für Behinderte arbeiten — hier geht es nicht allein um die Förderung der Werkstätten für
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Behinderte, sondern auch um die Förderung der Behinderten in den Werkstätten oder die, die wegen ihrer Behinderung in Anstalten, Heimen und sonstigen Einrichtungen beschäftigt werden; wir haben doch alle Informationen darüber, daß wir es hier und da, gelinde ausgedrückt, mit einer Ausnutzung dieser behinderten Arbeitskräfte zu tun haben —, alle diese Behinderten, auch die letzteren, sollten nach Auffassung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion den Schutz der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung erhalten. Die Beitragsleistungen zur gesetzlichen Rentenversicherung sollen aus Mitteln des Bundes und der Länder subventioniert werden. Dies ist ein erster Schritt auf einem Weg, der eines Tages, so hoffen wir, dazu führen wird, daß alle Behinderten in die Sozialversicherung einbezogen sein werden, und zwar auch dann, wenn sie, sei es wegen der Schwere der Behinderung, sei es aus Mangel an entsprechenden Einrichtungen, nicht in einer Behindertenwerkstatt oder einer gleichartigen Einrichtung arbeiten können. Wir möchten es diesem Zufall allein nicht überlassen.
Neuntens. Als vorläufig letztes aus der Reihe unserer Reformgesetze zur Rehabilitation möchte ich das geplante Gesetz über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr erwähnen, das die Bundesregierung vor kurzem den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet hat. Dieses Gesetz soll einen besonders wichtigen Teilbereich des Vergünstigungswesens für Behinderte nach den Grundsätzen der Finalität und der Behinderungsgerechtigkeit umgestalten. Künftig sollen alle Schwerbehinderten unabhängig von der Ursache ihrer Behinderung und ohne Einkommensgrenzen ein Recht auf kostenlose Benutzung öffentlicher Nahverkehrsmittel haben, und zwar einschließlich der Bundesbahn, wenn im Rahmen des Nahverkehrs ein Tarifverbund besteht. Ist eine Begleitperson erforderlich, so soll auch diese unentgeltlich befördert werden, sowohl im Nah- als auch im Fernverkehr. Voraussetzung für diese Vergünstigungen soll sein, daß die Erwerbsfähigkeit des Behinderten um wenigstens 50 v. H. gemindert ist und eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nachgewiesen wird. Beträgt die Minderung der Erwerbsfähigkeit 80 v. H. oder mehr, so soll ein Nachweis der Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit nicht verlangt werden.
Diese Reformgesetze sind eine stolze Leistungsbilanz. Angesichts der Ausgangslage in der Rehabilitation war es aber schon im Jahre 1969 für alle Beteiligten völlig klar — und ich nehme an, auch für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion —, daß auch bei größter Anstrengung eine umfassende Reform der Rehabilitation nur schrittweise — und wir haben hier große Schritte gemacht — und auf längere Sicht möglich sein würde. Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß es auch weiterhin weiße Flecken auf der Landkarte der Sozialpolitik für Behinderte gibt. Das bestreiten wir überhaupt nicht. Wir sind bereit, diese weißen Flecken mit Ihrer Hilfe zu tilgen.
Ich möchte deshalb meine Ausführungen mit einem ganz kurzen Ausblick auf die noch unge-
lösten Probleme der Rehabilation abschließen. Dabei möchte ich folgende Punkte nennen:
Erstens. Die vorschulische und schulische Rehabilitation: Es kann gar kein Zweifel bestehen, daß in vielen Regionen der Bundesrepublik, insbesondere in ländlichen Gebieten, noch ein erheblicher Man- gel an Sonderkindergärten und Sonderschulen besteht. Es ist daher notwendig, daß der Sonderpädagogik im Bildungsgesamtplan ein noch größeres Gewicht beigemessen wird und daß die Koordinierung der Sonderpädagogik mit den anderen Zweigen der Rehabilitation verbessert wird.
Zweitens. Die Berücksichtigung der besonderen Belange der Behinderten im allgemeinen Schulsystem, in der allgemeinen beruflichen Bildung und in der Ausbildungsförderung: Es ist klar, daß die Schaffung von speziellen Einrichtungen der schulischen und beruflichen Rehabilitation und die individuelle Förderung von Behinderten, die solche Einrichtungen besuchen müssen, unbedingt notwendig ist. Aber wo immer es möglich ist, meine Damen und Herren, muß der Behinderte in die Lage versetzt werden, zusammen mit Nichtbehinderten allgemeinbildende Schulen, Einrichtungen der beruflichen Bildung und Hochschulen zu besuchen. Andernfalls würden wir auf den Irrweg der Ausgliederung der Behinderten geraten. Unser Ziel muß aber auch hier bleiben: die Eingliederung der Behinderten in die Gesellschaft. Deshalb muß die Förderung der Behinderten im allgemeinen Bildungssystem verstärkt werden. Das ist auch ein Appell an die Adresse der Länder und Gemeinden!
Drittens. Die Beseitigung baulicher und technischer Hindernisse für Behinderte, insbesondere bei öffentlichen Bauten und Verkehrseinrichtungen: Auf diesem Sektor ist bereits einiges geschehen; wir haben es ja heute gehört. Trotzdem — auch das soll nicht geleugnet werden —, wir stehen noch am Anfang. Allerdings wird es wohl kaum möglich sein — das müssen auch die Behinderten einsehen —, in jedem Falle bereits bestehende Bauten so abzuändern, daß alle Hindernisse für Behinderte beseitigt werden. Leider ist das nicht möglich. Aber bei Neubauten müßte es ohne allzu großen Aufwand möglich sein, den Belangen der Behinderten ausreichend Rechnung zu tragen, auch bei Neubauten im Bereich der Bundesbehörden und des Deutschen Bundestages,
damit das, was ich hier heute wieder erlebt habe, nicht mehr vorkommen kann: da wollte sich eine Gruppe von Rollstuhlfahrern diese Diskussion anhören und hatte ihre Schwierigkeiten, in diesen Saal zu kommen. Ich meine, darauf sollten wir — ich wiederhole es noch einmal — auch bei der Planung von Neubauten im parlamentarischen Bereich und im Bereich der Bundesregierung achten.
Es wäre sehr zu begrüßen, meine Damen und Herren, wenn wir hier bald zu einer zwischen Bund, Ländern und Gemeinden koordinierten Lösung, womöglich auf gesetzlicher Grundlage — wir bitten darum, diese Möglichkeit zu prüfen —, kämen.
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Bei dieser Gelegenheit ein besonderer Dank an Bundesarbeitsminister Walter Ahrendt. Das Haus der Behinderten, zu dem in der nächsten Woche hier in Bonn der Grundstein gelegt wird, wird — ich hoffe es nicht nur, ich bin davon überzeugt — ein Vorbild für alle größeren Städte der Bundesrepublik Deutschland sein, um auch den Behinderten, den Schwerstbehinderten die Möglichkeit der Teilnahme am Leben der Gemeinschaft über solche Einrichtungen zu geben. Hier müssen wir auch etwas Praktisches tun. Da genügen Gesetze allein nicht.
Viertens. Die Einkommenssicherung aller Behinderten, die auf Dauer nicht wieder ins Arbeitsleben eingegliedert werden oder niemals eine Erwerbstätigkeit ausüben können, hat bis heute noch keine befriedigende Regelung erfahren: angemessene Renten gibt es heute nur für die Arbeitsunfallverletzten, die Kriegsbeschädigten und die ihnen versorgungsrechtlich Gleichgestellten sowie für diejenigen, die eine Anwartschaft auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente der gesetzlichen Rentenversicherung erwerben konnten. Das Gesetz über die Sozialversicherung für die Behinderten wird uns die Möglichkeit geben, über dieses Problem weiter nachzudenken.
Der Weg, den der Bundesrat gehen zu sollen glaubt — abgeleitete Ansprüche für Behinderte —, ist zum einen zu teuer. Statt 45 Millionen DM — diese Summe hat der Bundesrat ermittelt -- wären dann nämlich 225 Millionen DM, also mehr als das Fünffache, erforderlich. Ich vermag nicht ernsthaft zu glauben, daß der Bundesrat unter diesen Umständen diesen Gesetzentwurf aufrechterhalten will. Dieser Gesetzentwurf des Bundesrates ist derzeit nicht finanzierbar. Er trifft aber auch zum anderen auf grundsätzliche sozialpolitische Bedenken, weil für die Behinderten nur abgeleitete Ansprüche geschaffen werden sollen — und das zu einem Zeitpunkt, wo es zur allgemeinen Anschauung wird, daß es auf eigenständige Ansprüche ankommt.
Was für die Frauen gilt, meine Damen und Herren, sollte auch für die Behinderten gelten. Das müßte übrigens auch die CDU/CSU einsehen, Kollege Burger. Nachdem die CDU/CSU begonnen hat, Pläne zur eigenständigen Sicherung der Frau abzuschreiben, meine ich, daß die CDU/CSU auch in diesem Punkte von uns abschreiben sollte. Ich könnte es ihr nur empfehlen.
Dieser Ausblick auf die noch ungelösten Probleme der Rehabilitation zeigt, daß wir noch viele Aufgaben zu bewältigen haben. Auch wenn nicht alle Ziele in absehbarer Zeit erreichbar sind, so sollten wir sie doch im Auge behalten, um die konkreten Schritte, die jetzt möglich sind, in die richtige Richtung zu lenken.
Die sozialliberale Koalition hat gezeigt, wieviel möglich gemacht werden kann, wenn der politische Wille vorhanden ist. Ein Rückblick auf das Jahr 1974 bestätigt das. 1974 ist das Jahr der Gesetzgebung für die Behinderten geworden. Ich bin überzeugt, daß das Jahr 1975 und die folgenden Jahre von den Trägern der Rehabilitation dazu genutzt werden, diese Gesetze bei ihrer praktischen Arbeit in dem Geiste anzuwenden, in dem sie vom Gesetzgeber — und zwar von dem Gesetzgeber in seiner Gesamtheit — verabschiedet worden sind, d. h. möglichst unbürokratisch und damit im Geiste der Humanität.
Das Wort hat Frau_ Abgeordnete Hürland.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Walter Arendt, außerordentlich dankbar, daß er heute abend so oft das Jahr 1969 mit der Fortentwicklung der Rehabilitation in Zusammenhang gebracht hat. Er gibt mir damit Gelegenheit, hier einmal Hans Katzer zu danken, der nämlich das Arbeitsförderungsgesetz eingebracht hat.
Dieses Arbeitsförderungsgesetz wurde 1969 verabschiedet. Wenn wichtige Markierungspunkte in der Rehabilitation gesetzt worden sind, dann ist das wohl durch die CDU/CSU-Fraktion geschehen.
Für neue Wege in der Rehabilitation war das Jahr 1969 also nicht weniger wichtig als das Jahr 1974. Herr Kollege Glombig, ich weiß, daß Sie persönlich immer sehr stark in der Rehabilitation engagiert sind. Ist es nicht so, daß Sie sich in Ihrer Fraktion doch nicht so recht durchsetzen konnten?
Wie kam es denn, daß Sie vor 1970, als Sie noch in der Opposition waren, keine Große Anfrage zur Rehabilitation eingebracht haben? Wie soll ich mir das sonst erklären?
Frau Abgeordnete Hürland, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glombig?
Bitte schön!
Frau Kollegin Hürland, da Sie zu der Zeit, als das Arbeitsförderungsgesetz verabschiedet wurde, noch nicht Mitglied dieses Hauses waren, frage ich Sie: Ist Ihnen bekannt, daß die Bestimmungen über die Rehabilitation im Arbeitsförderungsgesetz nicht in der Regieungsvorlage von Herrn Katzer enthalten waren, sondern auf Initiative der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion während der Beratung des Arbeitsförderungsgesetzes im Laufe des Jahres 1969 eingebaut worden sind?
Herr Kollege Glombig, ich bin sehr lange in der Sozialarbeit, und ich weiß, wann die ersten Gedanken gekommen sind, die Rehabilitation in das Arbeitsförderungsgesetz aufzunehmen, nämlich bereits 1966, und zwar durch meine früheren Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion. Wir verkennen in gar keiner Weise die Fort-
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Frau Hürland
schritte, die seit 1969 gemacht worden sind. Wir las-
sen uns nur nicht gern Erstgeburtsrechte nehmen.
Bei meinen Ausführungen zum Harmonisierungsgesetz habe ich bereits darauf hingewiesen, daß in der Rehabilitation noch einige Dinge offen sind, die durch die Gesetzgebung zwar teilweise geregelt wurden, aber noch nicht in die Praxis Eingang gefunden haben. Es ist bisher nicht gesichert, daß körperbehinderte Kinder, Jugendliche und Studenten eine ihrer Eignung und Neigung entsprechende schulische Bildung erfahren oder ein Studium aufnehmen können.
So sollte die Bundesregierung alle Anstrengungen unternehmen, die in der Antwort zur Großen Anfrage gemachten Ankündigungen, nämlich die Fortentwicklung der Rehabilitation auf allen Teilgebieten zu betreiben, zu verwirklichen. Es ist leider auch heute noch nicht so, wie Herr Minister Arendt sagte, daß es keine Behinderten mehr gäbe, die im Schatten stünden. Leider gibt es noch sehr viele, die im Schatten stehen, und ich hoffe, daß die Koalition dies nicht übersieht.
Warum lesen wir denn in der Antwort fast nur etwas über die berufliche Bildung, warum ist denn nur an ein Netz von Berufsbildungswerken für behinderte Jugendliche und nicht auch an ein entsprechendes Angebot der schulischen Bildung gedacht?
— Einen Augenblick, Herr Kollege Glombig, ich komme schon noch darauf. Die Bundesregierung sagt selber, daß sie weitergehende Funktionen übernehmen will. Dann müssen Sie sich einmal die Antwort auf die Große Anfrage sehr genau ansehen; ich komme noch darauf.
Die Bundesregierung sagt, das Aktionsprogramm gehe über ihren Zuständigkeitsbereich hinaus. Sie kann hier aber nicht auf die Alleinzuständigkeit der Kultusminister der Länder verweisen. Sie hat zumindest in Modellen beispielgebend für die Länder zu sein, und ich meine, es ist ihre Pflicht, die Länder auf die vorhandenen Lücken im Bereich der weiterführenden Schulen für körperbehinderte Kinder und Jugendliche anzusprechen und sie zu ermuntern, derartige Einrichtungen zu schaffen.
Wie wichtig aber der Minister für Bildung und Wissenschaft dieses Thema nimmt, erkennt man daran, daß aus seinem Hause bei dieser Debatte keiner der Verantwortlichen anwesend ist.
Es mag stimmen, daß durch Maßnahmen des Bundes, der Länder und Gemeinden neue Schulen für Behinderte geschaffen wurden; an weiterführende Schulen für körperbehinderte Kinder und Jugendliche wurde leider nicht gedacht.
Frau Kollegin Hürland, gestatten Sie bitte eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Schuchardt?
Bitte!
Frau Hürland, ist Ihnen aufgefallen, daß aus Ihrer Fraktion kein Vertreter der Bildungspolitik hier ist?
Entschuldigen Sie bitte, Frau Schuchardt, wenn Sie sich erinnern wollen; ich bin ordentliches Mitglied im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft; ich glaube, das sollte genügen.
Ich hoffe, daß bei den Verantwortlichen nicht noch die Auffassung im Hinterkopf sitzt, „nur in einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist".
Soweit mir bekannt ist, gibt es weiterführende Schulen nur in Hessisch Lichtenau und neuerdings in Neckargemünd. Das reicht aber für das gesamte Bundesgebiet nicht aus. Hessisch Lichtenau erfüllt nur bedingt die Voraussetzungen, die an eine weiterführende Schule zu stellen sind, weil dort keine einheitliche Trägerschaft vorhanden ist. Die am Ort bestehende weiterführende Schule wird von Behinderten und Nichtbehinderten besucht; die Behinderten werden in der genannten Einrichtung nur wohnungsmäßig und therapeutisch betreut. Wenn man das Zusammenwirken aller Leistungen erreichen will, schafft man das mit dieser Struktur nicht. Schule und Internat gehören in eine Trägerschaft und sollten räumlich aufeinander abgestimmt sein.
In der Form Hessisch Lichtenau ist keine Einwirkung auf den Unterricht gegeben. Durch die räumliche Trennung von Schule und Internat können Ausfallzeiten durch Krankheit nicht durch audiovisuelle Teilnahme am Unterricht im Krankenbett überbrückt werden. So entstehen unnötige Fehlzeiten, welche die Ausbildung verzögern und die Gesamtausbildungszeit verlängern. Nicht zuletzt durch solche Ausfallzeiten ist zu erklären, daß körperbehinderte Abiturienten oder Fachoberschulabsolventen in der Regel mehrere Jahre später mit dem Studium beginnen als Nichtbehinderte.
Die durch die räumliche Trennung von Schule und Internat geschaffenen Erschwernisse ergeben weitere Benachteiligungen für Schüler vom Rhythmus her. Dazu kommt, daß Behinderte mit schwierigen Behinderungsarten gar nicht erst in das Internat aufgenommen werden. Das bedeutet, daß Behinderte, für die Pflegeleistungen notwendig sind, weder in ein Internat noch in eine Schule kommen.
An dieser Frage der unterschiedlichen Trägerschaft scheiden sich die Geister. Von der Integrationsidee her ist die Lösung Hessisch Lichtenau scheinbar wunderschön, aber die Rehabilitationseinrichtungen sind nicht in erster Linie unter dem Integrationsgedanken angetreten, sondern zunächst unter dem Gedanken der optimalen schulischen Bildung.
Grundbedingung zur Stabilisierung der Persönlichkeit — dies gilt ganz besonders für die Behin-
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derten — ist eine solide fachliche Qualifikation, die zunächst nur durch die Schule erreicht werden kann. Die Integration in die Gesellschaft muß schulbegleitend im häuslichen Bereich, im Freizeitbereich und im nachschulischen Bereich stattfinden. Dies gilt selbstverständlich analog auch für die berufliche Bildung.
Der Gedanke der weiterführenden schulischen Bildung für körperbehinderte Kinder und Jugendliche hat im Förderungskatalog des Bundes kaum Eingang gefunden. Die CDU/CSU-Fraktion bedauert dies außerordentlich.
Im Zusammenhang mit der Förderung der weiterbildenden Schulen für Körperbehinderte ist auch der Bericht des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft über den Komplex „Körperbehinderung und Studium" zu sehen. Mit bemerkenswerter Offenheit, die ich dankbar anerkenne, ist in diesem Bericht aufgezeigt, wie wenig Gedanken man sich bisher über die von mir hier angesprochenen Probleme gemacht hat.
Zur vollwertigen Eingliederung der Behinderten in Beruf und Gesellschaft sollte selbstverständlich auch das Angebot des Hochschulstudiums gehören. Als Modellfall eines Studentenwohnheims für behinderte Studenten gilt das Konrad-Biesalski-Haus in Marburg. Dort werden zusätzlich zu den Wohngelegenheiten, die im Spezialfall auch in baulicher Hinsicht auf die Bedürfnisse Behinderter abgestimmt sind, ausbildungsbegleitende notwendige Leistungen angeboten: Behindertenpflege und -therapie sowie sinnvolle Freizeitgestaltung. Da die genannte Einrichtung hoffnungslos überlastet ist und die wenigen sonst vorhandenen anderen Plätze an Hochschulen ebenfalls nicht ausreichen, muß die Schaffung ähnlicher Wohn- und Pflegehäuser an anderen Hochschulorten angestrebt werden. Die bis jetzt vorhandenen Möglichkeiten genügen nicht; sie reichen auch sicher dann nicht aus, wenn dem Bereich der weiterführenden Schulen für Körperbehinderte die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Wenn den meisten Körperbehinderten nach dem Bericht des Ministers für Bildung und Wissenschaft das Studium zur Zeit nur deshalb möglich ist, weil sie zufällig günstige Wohnmöglichkeiten haben oder andere glückliche Umstände zutreffen, dann haben wir uns zu fragen, wohin denn die körperbehinderten Studierwilligen die nicht diese glücklichen Umstände haben, ausweichen sollen. Müssen sie — über ihr schweres Schicksal der Behinderung hinaus — auch noch einen Beruf ausüben, der nicht ihrer Eignung und Neigung entspricht? Mutet man ihnen hier in ihrem ganz persönlichen Leben nicht etwas zu, das ihre Kräfte übersteigt?
Es darf nicht einfach zur Kenntnis genommen werden, daß Bewerbungen von Schwerbehinderten um Studien- oder Heimplätze abgelehnt werden und Wartezeiten von mehrjähriger Dauer zu verzeichnen sind, um dann zur Tagesordnung überzugehen.
Es ist unsere gemeinsame Pflicht, bemüht zu sein, Versäumnisse aufzuarbeiten.
Lassen Sie mich ein Letztes sagen. Geeignete Behinderte müssen rechtzeitig auf alle Bildungswege hingewiesen werden. Unter diesem Gesichts-. punkt ist es notwendig, daß die Rehabilitation bei der Ausbildung von Pädagogen, Soziologen, Sozialpädagogen usw. auch praxisnah — etwa durch den Besuch von Rehabilitationseinrichtungen Eingang in Lehrpläne findet, damit durch Fachkräfte der Gedanke der behindertengemäßen beruflichen und schulischen Bildung frühzeitig an behinderte Kinder und Jugendliche herangetragen wird. Chancengerechtigkeit? Hier, am Beispiel der behinderten Menschen, können wir sie verwirklichen.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Lüdemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die uns vorliegende sehr ausführliche Antwort der Bundesregierung und die Rede des Herrn Ministers Arendt sowie die des Herrn Kollegen Glombig sind als ein Resümee von fünf Jahren Behindertenpolitik der sozialliberalen Koalition anzusehen. Am Anfang dieser Koalition standen die Erwähnung der Behinderten in der Regierungserklärung 1969 und die daran anknüpfende umfassende Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU vom Juni 1970 sowie das „Aktionsprogramm Rehabilitation" der Bundesregierung in derselben Drucksache.
Die Schwerpunkte des Aktionsprogramms und der genannten Großen Anfrage von 1970 sind die Verbesserung der individuellen Hilfen für Behinderte durch einen Ausbau der Gesetzgebung sowie die institutionellen Hilfen durch die Schaffung eines Netzes von Rehabilitationseinrichtungen. Dementsprechend sind die Schwerpunkte der Antwort auf die jetzige Große Anfrage einmal der Ausbau der Behindertengesetzgebung und zum anderen die Schaffung eines Netzes von Berufsförderungswerken, Berufsbildungswerken und Werkstätten für Behinderte. Drei wichtige, weittragende Gesetze für Behinderte konnten allein in diesem Jahr vom Bundestag für die Behinderten verabschiedet werden. Außerdem sind die Gesetzentwürfe für die Sozialversicherung Behinderter und für die Neuordnung der gesetzlichen Grundlage über die unentgeltliche Beförderung der Schwerbehinderten im öffentlichen Personenverkehr vom Kabinett verabschiedet und befinden sich im Gesetzgebungsverfahren.
Die diesbezügliche Bilanz ist sehr eindrucksvoll, nicht nur auf gesetzgeberischem Gebiet, sondern auch hinsichtlich der bereitgestellten Bundesmittel. So konnten für bauliche Maßnahmen im Bereich der beruflichen Rehabilitation die Mittel von 5 Millionen DM im Jahre 1968 auf ca. 60 Millionen DM im Jahre 1974 erhöht werden. Dies alles stellt eine wahrhaft stolze Bilanz der sozialliberalen Koalition
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Frau Lüdemann
dar, die eine Große Anfrage der CDU/CSU meiner Ansicht nach nicht gerechtfertigt hat.
Ich hätte es sehr viel eher verstanden, wenn die Opposition erstens darauf verwiesen hätte, daß z. B. das Schwerbehindertengesetz noch nicht überall bis in die unteren Verwaltungen hinein bekanntgeworden zu sein scheint. Jedenfalls weiß ich, daß in Frankfurt und anderen großen Städten die kulturellen städtischen Einrichtungen wie z. B. Zoo, Palmengarten, Museen und ähnliches von den Inhabern der Kriegsbeschädigtenausweise eintrittsfrei besucht werden können, während Zivilbehinderte, auch Rollstuhlfahrer, volles Eintrittsgeld bezahlen müssen. Das Schwerbehindertengesetz kennt aber nur eine Gruppe der Behinderten und macht keinen Unterschied mehr zwischen Kriegs- und Zivilbehinderten. Da die Gebührenfestsetzung eine Selbstverwaltungsaufgabe der Kommunen ist, könnte das längst angepaßt sein.
Mir wäre zweitens auch verständlich gewesen, wenn die CDU/CSU darauf aufmerksam gemacht hätte, daß Stadtplaner und Architekten teilweise noch immer zuwenig Rücksicht auf die Belange der Behinderten nehmen, d. h. daß öffentliche Gebäude noch mit hohen Treppen und zu engen Durchgängen gebaut werden. Ich habe aber in dieser Beziehung gerade in jüngster Zeit hervorragende Beispiele gesehen, wie in einem neuen Bürgerhaus und einem neuen Postgebäude den Belangen der Behinderten vorzüglich Rechnung getragen wurde.
Drittens sehe ich noch einen kritischen Ansatzpunkt darin, daß die Bezahlung in beschützenden Werkstätten für Behinderte und Rehabilitanden weit auseinanderklafft. Das dürfte jedoch durch die Landeswohlfahrtsverbände und Landschaftsverbände in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt werden. Die Werkstätten bei uns in Hessen müssen vom Gesamterlös zunächst die Materialkosten und den Arbeitgeberanteil zur Krankenkasse abziehen. Von diesem Nettoerlös müssen 25 % an den Landeswohlfahrtsverband abgeführt werden. Vorgeschrieben sind zusätzlich 20 % Rücklage.
Somit bleiben nur 55 % des Nettoeinkommens der Werkstatt zur Ausschüttung als Arbeitsentgelt. Dabei bleiben durchschnittlich 90 DM monatlich für jeden Behinderten, und von diesen 90 DM werden 40 DM als häusliche Ersparnis für die in der Werkstatt eingenommene Mahlzeit zu Mittag wieder vom Landeswohlfahrtsverband einbehalten. Rehabilitanden hingegen erhalten bei unter Umständen gleicher Arbeitsleistung zirka 960 DM monatlich, von denen die Werkstätten nur 20% aufzubringen haben, während die übrigen 80 % vom Arbeitsamt bezahlt werden. Das zu verändern, ist ein Anliegen, welches wir Freien Demokraten verfolgen.
Viertens gibt es noch eine Gruppe von Behinderten, für die unserer Ansicht nach noch etwas getan werden muß. Das sind die älteren behinderten Arbeitslosen. Wenn Sie das angesprochen hätten, hätte ich dafür Verständnis gehabt. Das Schwerbehindertengesetz schützt zwar den Behinderten vor Kündigung nach meiner Ansicht hinreichend. Auch Fälle, in denen Behinderte durch Konkurs ihrer Firma arbeitslos werden, finden genügend Berücksichtigung durch die Verpflichtung der Arbeitsämter, die Behinderten bevorzugt in neue Stellen zu vermitteln oder sie umzuschulen.
Hinzu tritt das kürzlich verabschiedete Gesetz über Konkursausfallgeld als zusätzliche Sicherung. Aber was wird, wenn der behinderte Arbeitssuchende zum Umschulen zu alt ist, d. h. Anfang der 50er Jahre, und kein seiner Behinderung entsprechender Arbeitsplatz gefunden werden kann? Das sind Fragen, die uns Freien Demokraten noch echt Sorge bereiten.
Fünftens. Die gesetzlichen Bestimmungen für die Vorsorgeuntersuchungen bei Säuglingen und Kleinkindern zur Früherkennung von Behinderungen sind ausreichend, aber leider — das hat Herr Burger angesprochen werden sie von den jungen Familien nicht ausreichend genutzt. Die ersten zwei Untersuchungen nach der Geburt werden von den Müttern für ihre Kinder meist während des Klinikaufenthalts und bei der Entlassung wahrgenommen. Aber je älter das Kind wird, desto mehr verlassen sich die Eltern auf ihre eigene Beobachtungsgabe. Wie hart und grausam aber ist dann das Erwachen, wenn eines Tages z. B. beim Eintritt in den Kindergarten oder bei der Einschulung festgestellt wird, daß ein Kind einen geistigen Schaden hat. Vieles ist dann versäumt und nicht mehr nachzuholen. Meines Erachtens müßten wir Politiker dafür sorgen, daß in den Massenmedien noch viel mehr davon gesprochen und geschrieben wird, daß durch Frühbehandlung die Krankheit wesentlich eingedämmt, ja sogar geheilt werden kann.
Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie diese Fragenkomplexe in Ihrer Großen Anfrage angesprochen hätten, dann hätte ich Verständnis dafür gehabt. Aber es geht auch in einer sozialliberalen Koalition nicht alles auf einmal. Wir haben gesehen: es liegt gar nicht alles nur an mangelnden Gesetzen und an mangelnden Geldern, sondern auch daran, daß die Verwaltungen bereit sind, ihre Rege-lungen anzupassen, und an den Betroffenen selbst, diese anzunehmen.
In Ihrem heute früh uns auf den Tisch gelegten Entschließungsantrag — Sie haben ihn noch nicht offiziell angesprochen, aber ich möchte doch schon dazu Stellung nehmen fordern Sie unter anderem den unverzüglichen Erlaß der Rechtsverordnung gemäß § 55 des Schwerbehindertengesetzes über die Anerkennung von Werkstätten. Wir haben soeben von Herrn Minister Arendt gehört, daß das BMA dabei ist, ein vorläufiges Anerkennungsverfahren zu erarbeiten, damit auch die Bundesanstalt für Arbeit eine vorläufige Liste der anerkannten Werkstätten erstellen kann. Damit ist gewährleistet, daß bis zur ersten Abrechnung am 1. Januar 1976 jetzt die Anrechnung der 30 °/o des Auftragsbetrages auf die Ausgleichsabgabe erfolgen kann. Dieses Ziel dürften Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU mit Ihrem Antrag verfolgt haben.
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Mir scheint dies aber nicht nur für die Ausführung des Schwerbeschädigtengesetzes, sondern auch für die Inkraftsetzung der Sozialversicherung Behinderter außerordentlich wichtig zu sein. Denn je mehr Aufträge an die Werkstatt gegeben werden, desto höher wird das Arbeitseinkommen, und folglich steigert sich auch die Bezahlung des einzelnen Behinderten in der Werkstatt und damit sein eigener Versicherungsanteil.
Noch ein paar Sätze zu dem Entschließungsantrag! Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Kollegen der Opposition bei der Vorbereitung ihrer Reden für die heutige Debatte auf einige Punkte gestoßen sind, die nach ihrer Ansicht noch verbessert werden können. So wurde Hals über Kopf der Entschließungsantrag abgefaßt. Er ist deshalb für uns nicht genügend ausgewogen und muß meines Erachtens in seinen Einzelheiten genau überprüft werden. Deshalb halten wir Freien Demokraten es für unerläßlich, den Antrag in die beiden entsprechenden Ausschüsse zu überweisen, damit im Interesse der Behinderten alle Fragen gründlich beraten werden können.
— Freut mich, daß wir uns einig sind!
Meine Damen und Herren, mir scheint hier und heute aber noch ein anderer Gesichtspunkt angesprochen werden zu müssen. Eben ist schon gesagt worden: In der Bevölkerung ist das Verständnis für die Situation der Behinderten in den letzten fünf Jahren ungeheuer gewachsen. Denken wir an die vielen „Aktionen Sorgenkind". Die Bürger und Jugendlichen, ja, sogar Kinder sind bereit, nicht nur Geldbeträge aus ihrem Privatbudget, sondern auch erhebliche Aufwendungen an Zeit und Energie aufzubringen. Ich glaube sicher, daß die Massenmedien an dieser Popularität der Behinderten stark beteiligt sind. Wenn ich an die vielen Veranstaltungen der Vereine und Verbände jeglicher Art denke, kann ich feststellen, daß die Bereitschaft, den Behinderten zu helfen, außerordentlich gestiegen ist. Damit wird auch den Eltern behinderter Kinder sehr geholfen, sich in der Öffentlichkeit zu ihrem Kind zu bekennen. Das war in der Vergangenheit keineswegs selbstverständlich! So viel zum erfreulichen Teil der Stellung der Behinderten in der Öffentlichkeit.
Es gibt in dieser Beziehung jedoch auch einen unerfreulichen Teil. Ich meine den persönlichen Umgang mit den Behinderten. Soll eine Behinderteneinrichtung in einer Gemeinde oder Stadt geschaffen werden, dann erhebt sich oft Protest in der Bevölkerung, ja, es werden Bürgerinitiativen gegründet, die sich gegen die Einrichtung in ihrem Ortsteil wenden. Wir als Gesunde scheuen vielfach den Umgang mit Behinderten und fühlen uns durch sie verunsichert. Der Herr Kollege Sperling hat kürzlich einmal den Satz geprägt: Wir Gesunde sind behindert im Umgang mit den Behinderten.
Ich habe in meinem Wahlkreis erlebt, daß sich eine ganze Gemeinde gegen die vorübergehende
Unterbringung einer Sonderschulklasse für Lernbehinderte in ihrem Schulgebäude aufgelehnt hat. Lernbehinderte Kinder haben, wie wir wissen, nur eine Lernschwäche, leben aber sonst gesund und normal. Der Schulträger hat sich in diesem Fall durchgesetzt und eine Klasse des neunten Schuljahres in einer regulären Grundschule untergebracht. Wie glücklich ist heute diese Symbiose. Die großen Sonderschüler erfreuen die kleinen Grundschüler immer wieder mit Laienspielen, Bastelarbeiten und ähnlichen Dingen.
Erlauben Sie, daß ich bei dieser Gelegenheit noch eine Zwischenbemerkung zu Ihnen, Frau Hürland, und Ihren Ausführungen mache. In den meisten Bundesländern schreiben die Gesetze vor, daß, wenn mindestens soundso viel Behinderte da sind, für diese eine Einrichtung geschaffen werden müsse.
— Ja, bei uns in Hessen gibt es das. Seinerzeit gab es diese Einrichtungen aber auch nicht, und es bedurfte meiner Initiative, um eine Schule für praktisch Bildbare einzurichten. Ich glaube, wir müssen erst einmal forschen, ob in dem Schulgesetz nicht doch etwas steht, was vielleicht gar nicht so bekannt ist.
Wir Bundespolitiker, die wir zusätzlich noch kommunale Mandate haben, sollten uns, so meine ich, in den kommunalen Parlamenten dafür einsetzen, daß bei Grundstückskäufen die Behinderteneinrichtungen nicht in Gettos verbannt werden, sondern daß den Behinderten die Möglichkeit gegeben wird, mit- ten unter uns zu leben und mitten unter uns zu arbeiten. Das haben die Behinderten nötig.
Wir Politiker sollten auch bei Gesprächen mit Unternehmern dafür sorgen, daß die Bereitschaft geweckt wird, geschützte Arbeitsplätze für eine Gruppe Behinderter einzurichten. Wir Politiker sollten bemüht sein, Pflegestellen für behinderte Kinder und Erwachsene in Familien zu finden. Meine Damen und Herren, es gibt solche Pflegestellen, und die Pflegeeltern oder Partner sind in dem Zusammenleben glücklich und zufrieden. Aber Werbung ist notwendig. Denn es ist viel zu wenig bekannt, daß sogar durch die Bestimmungen im BSHG die gesetzlichen Voraussetzungen für solche Familiengemeinschaften sehr günstig sind. Solches Werben kostet nichts als unseren persönlichen Einsatz, und es nützt den Behinderten mehr als z. B. eine Große Anfrage oder lange Reden mit allen statistischen Zahlen.
Meiner Ansicht nach ist es unumgänglich, daß wir Politiker in unseren Veranstaltungen an der Basis dieses Thema immer wieder aufgreifen und die Verantwortlichen auffordern, mit ihren Vereinen, mit denen sie Spendenaktionen durchführen, auch einmal einen Sonderkindergarten, eine Schule für praktisch Bildbare oder eine beschützende Werkstatt zu besuchen. Mit meinen Schulklassen habe ich das früher im Zuge des sozialpolitischen Unterrichts, und zwar bei der Behandlung des Themas „Bundeswehr" : Wehrpflicht oder Ersatzdienst, regelmäßig
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Frau Lüdemann
getan. Denn in den Einrichtungen für Behinderte sind ja die Ersatzdienstleistenden zum Teil tätig.
So konnten mit einer Besichtigung gleich zwei politische Themen zusammen behandelt werden, ohne daß ein Schultag verlorenging. Die Schüler haben bei der Auswertung solcher Besichtigungsfahrten das Thema „Behinderte" gegenüber dem Thema „Ersatzdienstleistende" meistens weit in den Vordergrund gestellt. Denn ihnen war diese Materie völlig neu und fremd, und immer wieder kam der Ausspruch: Das habe ich nicht gewußt, daß es soviel Leid und Elend gibt. Aber die Schüler haben auch erkennen können, daß auch geistig schwer Behinderte froh und zufrieden sein können, wenn man ihnen die erforderlichen Entfaltungsmöglichkeiten gibt und sie Erfolgserlebnisse haben dürfen. Dafür sind die beschützenden Werkstätten außerordentlich geeignet. Bei unseren Bürgern und sicher auch bei einigen Politikern muß das Bewußtsein noch erheblich erweitert werden, daß Behinderte die gleichen Grundrechte wie alle anderen haben.
Zum Schluß meiner Ausführungen möchte ich noch speziell auf die Frage Nr. 17 in der Großen Anfrage eingehen, die sich damit befaßt, der Arbeitsgemeinschaft der Clubs mit Behinderten eine größere Förderung zuteil werden zu lassen. Diese Clubs mit Behinderten und ihre Bundesarbeitsgemeinschaft sind eine noch relativ junge Organisation. Mir widerstrebt es, diese Vereinigung hier einseitig anzusprechen; denn andere, auch private Behindertenverbände, haben für ihre Problemgruppen unendlich viel geleistet. Neuerdings nimmt sich z. B. auch der VdK der Zivilbehinderten an.
In meinem Heimatkreis ist eine vorzügliche Kooperation des Club mit Behinderten mit dem Verein der Lebenshilfe gegeben, und das ist eine großartige Sache. Der Verbandsname „Club mit Behinderten" macht deutlich, daß in der Clubarbeit Gesunde mit Behinderten zusammen sind, daß der Club einseitig auf Integration ausgerichtet ist. Er will durch diese Integration die Selbständigkeit und den Leistungswillen der Behinderten fördern und Hilfe zur Selbsthilfe geben, eine großartige, begrüßenswerte Zielsetzung. Da diese Zielsetzung aber eine völlig andere ist als z. B. die der Vereinigung „Lebenshilfe für geistig und Körperbehinderte", ist die Zusammenarbeit beider Organisationen außerordentlich wertvoll.
Deshalb befriedigt auch die Antwort der Bundesregierung, daß zur Zeit in engem Zusammenwirken mit den Behindertenverbänden ein Programm zur Verbesserung der Freizeitmöglichkeiten für Behinderte erarbeitet wird. Überhaupt stecken in allen 18 Einzelantworten der Bundesregierung nur positive Aussagen. So hat die Opposition den Koalitionsparteien mit ihrer Großen Anfrage — wahrscheinlich gar nicht so sehr beabsichtigt — Gelegenheit gegeben, hier einmal die wahrhaft großen Leistungen dieser Regierung für nur eine einzige Personengruppe darzustellen.
Ich staune eigentlich über den Mut der CDU/CSU,
daß sie die Anfrage eingereicht hat. Denn durch die
vielen jetzt verabschiedeten Gesetze wird deutlich,
wieviel die CDU/CSU in der Vergangenheit, während sie die Regierungsverantwortung trug, für die Behinderten, vor allem für die Zivilbehinderten, zu tun versäumt hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Gansel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte ein paar Bemerkungen zu der Frage 4 der Opposition machen, in der nach der Verringerung des jährlichen Zugangs von Frühinvaliden gefragt wird. Dabei wäre es gut, wenn bei der Diskussion dieser Fragen die Fragesteller anwesend wären; denn gerade in diesem Zusammenhang hätte ich auch gern Herrn von Bismarck vom Wirtschaftsrat der CDU hier gesehen.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit ein paar Bemerkungen zur Prävention machen,
wie lange es dauert, bis begonnene Präventivmaßnahmen Erfolg haben können und wie der gesellschaftspolitische und parteipolitische Hintergrund dieser Frage ist. Auch letzteres ist wichtig und sollte diskutiert werden. Man tut den Behinderten keinen Gefallen, wenn das Thema Rehabilitation entpolitisiert wird. Es geht hier ja nicht nur um technischmedizinische Lösungen oder um Caritas, so wichtig beides ist. Letztlich geht es hier auch darum, für die Behinderten Grundrechte zu verwirklichen, die Verfassung einzulösen. Daß SPD und CDU/CSU darüber unterschiedlicher Meinung sind, ist schon oft deutlich geworden, vor allem natürlich darin, was wir seit 1969 getan haben und was Sie bis 1969 nicht getan haben.
Meine Damen und Herren, Prävention umfaßt jedes Lebensalter und alle Lebenslagen, den Schüler, das Baby, den älteren Mitbürger, die Arbeit im Haushalt, die Freizeit.
Was übrigens das Baby betrifft — ich sage das, weil es Herr Burger angesprochen hat —, so beginnt Prävention natürlich dann, wenn Mann und Frau in Liebe und Verantwortung ein Kind zeugen wollen. Deshalb bedaure ich es, daß gerade das Paket der flankierenden Sozialmaßnahmen zum § 218, in dem wir nämlich schon genau diese Beratung vorgesehen haben, die Sie gefordert haben, im Bundesrat durch Ihre Obstruktionspolitik lahmgelegt worden ist. Man darf das nicht verschweigen; das gehört mit zu den parteipolitischen Unterschieden in dieser Frage. Präventionsmaßnahmen reichen eben von einer
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Gansel
schärferen Kontrolle der pharmazeutischen Industrie bis hin zum Tempo 120, zwei Maßnahmen übrigens, über die Sozialdemokraten und CDU/CSU unterschiedliche Meinungen haben; denn sie sind auch unterschiedlicher Meinung über die Sozialpflichtigkeit nicht nur des Privateigentums, sondern auch der Freiheit.
Ich möchte zur Bedeutung der Prävention vor allem etwas in bezug auf die Arbeitswelt sagen;
denn danach haben Sie ja die Frage 4 gestellt. 1968 gab es in den Rentenversicherungen 268 000 Rentenneuzugänge wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit, 1973 waren es 255 000 Frühinvaliden, also Personen, die aus gesundheitlichen Gründen vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze aus dem Arbeitsleben geschieden sind. 1969 gab es im deutschen Arbeitsleben 2 630 000 Unfälle und 6 247 Tote, 1973 2 480 000 Unfälle und 5 885 Tote. Ich weiß nicht, ob man den Rückgang dieser Zahlen als Erfolg feiern darf; sicherlich ist er ein Fortschritt.
Diese nüchternen Zahlen machen deutlich, daß wir Sozialdemokraten, wenn wir von der Humanisierung der Arbeitswelt sprechen, vor allem die Befriedung des Schlachtfeldes Produktion meinen. Daß diese Befriedung immer nur relativ sein wird, ist eine bittere, aber unausweichliche Erkenntnis. Arbeitssicherheit und Rentabilität — früher sagte man in Deutschland und heute sagt man im Ausland „Profit" — stehen nun einmal in einem Widerspruch, der nie völlig aufhebbar sein wird. Wollte man z. B. einen Großtanker so bauen, daß dabei kein Werftarbeiter gefährdet würde, so müßte er aus Gummi bestehen und dürfte auch nur die Größe eines Schlauchbootes haben.
Dennoch ist es nicht falsch oder vermessen, wenn ich sage: Im Konflikt zwischen dem Menschen und der Rentabilität stehen wir Sozialdemokraten traditionell auf der Seite des Arbeitnehmers. Jüngere Parteien können das schon auf Grund ihrer soziologischen Zusammensetzung nicht von sich behaupten.
Mit dem Forschungsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens und mit dem Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit haben die Bundesregierung und die sie tragende Koalition zwei große Schritte in Richtung auf den Menschen getan. Das Jugendarbeitsschutzgesetz wird ein weiterer Schritt sein; auch dieses Gesetz sollte man in diesem Zusammenhang nicht vergessen. Deshalb wäre es wiederum gut, wenn die Herren vom Wirtschaftsrat der CDU bei der Behandlung dieser Fragen anwesend wären.
-- Entschuldigung, Ihre beiden Aktienpakete reichen dafür nicht aus; da müssen Sie schon mehr vorweisen, um für den Wirtschaftsrat zu sprechen.
Wir haben in der Bundesrepublik ein schon gut entwickeltes System von Arbeitsschutzvorschriften. Sie müssen aber ständig der sich wandelnden Produktion und der wissenschaftlichen Entwicklung angepaßt werden.
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung, die 1972 ihre Arbeit aufgenommen hat, wird dabei eine große Hilfe sein.
Noch wichtiger aber ist eine bessere Kontrolle der geltenden Arbeitsschutzvorschriften. Das beweist allein die Tatsache, daß im letzten Jahr 1 254 000 Beanstandungen festgestellt wurden.
In medizinischen Fragen des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung werden die Betriebsärzte in Zukunft eine viel wichtigere Rolle spielen als heute. Das Betriebsärztegesetz ist aber auch ein Gesetz, an dem deutlich wird, daß Reformpolitik nicht kurzfristig wirken kann. Wir haben die 10 000 Betriebsärzte noch gar nicht, die wir für die Verwirklichung dieses Gesetzes eigentlich bräuchten. Da Sie dazu nur mit dem Kopf schütteln, weiß ich auch: Wir würden sie nie bekommen, wenn wir mit dem Gesetz nicht begonnen hätten. Es gibt in der Bundesrepublik noch nicht die Mediziner mit den erforderlichen Spezialkenntnissen.
1973 gab es ganze 15 Lehrstühle für Arbeitsmedizin und 7 für Sozialmedizin. Deshalb ist zum Beispiel die Zusammenarbeit zwischen der Universität Bremen und der Arbeiterkammer dort so wichtig. Und ich finde es bezeichnend, daß das heute morgen bei der Debatte über das Hochschulrechtsrahmengesetz so abgetan worden ist. In Schleswig-Holstein gar gibt es keinen einzigen Lehrstuhl für Arbeitsmedizin, obwohl Arbeitsmedizin nach der Approbationsordnung seit Jahren Prüfungsfach ist.
— Ich weiß, daß Schleswig-Holstein in mancher Beziehung schlimmer ist als Bayern; aber das liegt daran, daß in Schleswig-Holstein die CDU noch länger regiert als die CSU in Bayern.
Vielleicht haben wir noch nicht einmal die Studenten, die auf dem Gebiet der Arbeitsmedizin Spezialkenntnisse erwerben wollen, um Betriebsärzte zu werden. Denn das hohe Einkommen, das ein sogenannter freier Arzt bezieht, wird ein Betriebsarzt
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Gansel
nie erhalten. Wir brauchen deshalb Studenten, die aus sozialer Verantwortung bereit sind, später weniger Geld zu verdienen als ihre Kollegen.
Wenn diese soziale Verantwortung nicht im Elternhaus vermittelt wird — in einer Gesellschaft, in der die Leistung nur noch am Einkommen gemessen wird —, dann muß das schon die Schule tun. Deshalb sind z. B. Rahmenrichtlinien für den Schulunterricht so wichtig, ob das in Hessen, in Nordrhein-Westfalen oder in Niedersachsen ist. Dies ist ein gesellschaftspolitischer Zusammenhang, den wir nicht zerreißen lassen und den die CDU/CSU vor den Augen der deutschen Arbeiter nicht verschleiern darf.
Dabei müssen wir auch deutlich machen, daß es länger als bis zum nächsten Wahlkampf dauert, bis dieses Gesetz für den Arbeitnehmer praktisch erfahrbar wird.
Herr Mertes, wenn Sie dazwischenrufen „Ideologie": wenn dies von einem Juristen kommt, kränkt es nie.
Wir Sozialpolitiker, wohl in allen Parteien, haben Sorgen, daß die Erfolge bei der Wiedereingliederung von Behinderten in das Arbeitsleben, die natürlich zur Zeit der Voll- und Überbeschäftigung leichter als heute waren, zunichte gemacht werden könnten. Wir verstehen deshalb, wenn immer wieder sorgenvoll auf die Arbeitslosigkeit von Schwerbehinderten hingewiesen wird, doch helfen falsche Zahlen dabei nicht. Es ist richtig, Herr Burger, daß nach der Strukturanalyse der Bundesanstalt für Arbeit vom Mai 1967 24,9 % Arbeitslose mit gesundheitlichen Einschränkungen waren und 4,9 % Rehabilitanten. Nur waren dies eben nicht alles Schwerbehinderte im Sinne des Schwerbehindertengesetzes. Dennoch sind sie ein schweres sozialpolitisches Problem, und es stecken viele menschliche, individuelle Probleme dahinter. Sie sind aber keineswegs neu. Schon immer hatte der Gesunde Vorteile gegenüber dem gesundheitlich Benachteiligten im Arbeitsleben.
Wielange schon währt der Kampf der Gewerkschaften gegen die Herabgruppierung ihrer Kollegen, die durch Unfall oder lebenslangen Arbeitsstreß einen Teil ihrer Arbeitskraft eingebüßt haben? Wo waren da die Sorgen der CDU/CSU? Wo war da etwa die Unterstützung des Wirtschaftsrates bei Tarifverhandlungen? Bitte, da zeigt sich, wo das Engagement echt ist, wo man bereit ist, dafür zu zahlen, oder wo es nur schöne Worte sind, wo man sich mit der Aura der Caritas auf den gemachten Weg begibt, den die anderen erkämpft haben.
— Bitte sehr, Herr Maucher.
Herr Gansel, haben Sie sich wirklich die Mühe gemacht, einmal alle Rehabilitationsgesetze in ihren Einzelheiten und ihrer Entstehungsgeschichte zu studieren? Wir haben jetzt an sich ein Harmonisierungsgesetz gemacht. Wenn man harmonisieren will, muß doch etwas da sein. Sie wissen doch auch, daß man nur den einen Schritt nach dem anderen tun kann.
Und wären Sie einmal bei mir gewesen — ich stelle
die Frage — —
Herr Abgeordneter Maucher, Sie müssen eine Frage stellen.
Ich bedanke mich für den Hinweis, Herr Maucher. Natürlich habe ich das nicht alles gelesen. Aber wenn man sich nicht auch über Dinge äußern könnte, über die man nicht alles gelesen hat, dürfte man überhaupt nichts mehr sagen, und die Debatten wären wesentlich kürzer, selbst wenn es um das Hochschulrechtsrahmengesetz ginge.
Meine Damen und Herren, theoretisch hätten wir natürlich bei der Behandlung des Schwerbehindertengesetzes auch die Fälle der weniger schweren Behinderungen in den Schutz des Schwerbehindertengesetzes einbeziehen können. Das haben wir nicht gewollt, weil wir in den schwereren Fällen, nämlich bei einer Verminderung der Erwerbsfähigkeit um 50 % haben helfen wollen. Dieser Personenkreis wurde bei der Einbringung des Gesetzes auf etwa 560 000 Personen geschätzt, vielleicht sind es sogar 600 000. Wir haben heute 800 000 Arbeitslose, unter denen sich nach Auskunft der Bundesanstalt nur 15 959 Schwerbehinderte befinden. Wenn ich sage „nur", so ist das gewiß nicht zynisch gemeint, aber bei einer Arbeitslosenquote von 3,5% aller Beschäftigten beträgt eben die Arbeitslosenquote der Schwerbehinderten nur 2,7 bis 2,9 %. Sie liegt deutlich unter dem Durchschnitt, und das ist gewiß auch ein Erfolg des verbesserten Kündigungsschutzes des Schwerbehindertengesetzes.
Gestatten Sie eine zweite Frage des Abgeordneten Maucher?
Bitte sehr!
Herr Gansel, darf ich Sie fragen, ob Sie die Berichte des VdK gelesen haben, daß in der Tat gegenüber dem Vorjahr die doppelte Zahl Behinderter beschäftigt ist. Sind Sie über die gegenwärtige Entwicklung der Beschäftigung unterrichtet?
Ja, sicher, sonst würde ich mich darüber nicht äußern. Nur, Herr Kollege Maucher,
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Gansel
Sie wissen doch selbst, daß der Personenkreis, der vom Schwerbehindertengesetz erfaßt worden ist, gerade durch unser Gesetz, das wir gemeinsam beraten haben, erheblich verändert worden ist. Sie wissen deshalb auch, daß man Zahlen aus dem Vorjahr einfach nicht zum Vergleich heranziehen kann. Diese Zahlen beziehen sich auf die anerkannten Schwerbehinderten, und diese Zahlen liegen unter dem Durchschnitt, und das ist ein Erfolg.
Durch das Schwerbehindertengesetz ist aber nicht nur die Kündigung erschwert worden, sondern durch die Regelung von Pflichtplätzen und Ausgleichsabgaben ist auch die Erlangung eines Arbeitsplatzes erleichtert worden. Natürlich müssen dann gerade die Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst auch besetzt werden, und zwar nicht, weil die Schwerbehinderten, die die private Wirtschaft produziert, auf den öffentlichen Dienst abgeschoben werden sollen, sondern weil der Staat selbst die Gesetze vorbildlich erfüllen muß, die er in Gang gesetzt hat. Deshalb bin ich auch nicht zufrieden mit den Zahlen der Bundesdienststellen. Nur: Wir haben die ja so vorgefunden. Wir haben keine Schwerbehinderten entlassen seit 1969, Herr Maucher.
Sie wissen doch selbst, wie das Problem ist. Man kann nur freiwerdende Plätze neu besetzen. Und so schlecht ist das Ergebnis nicht, wenn ich mit Schleswig-Holsteins Landesministerien vergleiche: Lege ich dort nur 6 % zugrunde, dann wären 3 352 Arbeitsplätze zu besetzen; in Wirklichkeit sind nur 1 366 besetzt. Dies ist wirklich eine schändliche Zahl.
Ich möchte aber bei dieser Gelegenheit ausdrücklich darauf hinweisen, daß durch die Ausgleichsabgabe die Arbeitgeber auch einen Anreiz erhalten, Behinderte, Schwerbehinderte einzustellen. Sie sollten dabei auch wissen, daß Schwerbehinderte oft nicht nur durchschnittliche, sondern überdurchschnittliche Leistungen erbringen, wenn ihr Arbeitsplatz entsprechend eingerichtet ist. Und gerade, weil auch die Fälle der weniger schwer Behinderten ein Problem sind — ich habe das vorhin angesprochen, das sind die Zahlen, auf die Herr Maucher und Herr Burger sich bezogen —, möchte ich darauf hinweisen, daß die Gleichstellung bei nur 30 % geminderter Erwerbsfähigkeit mit einem Schwerbehinderten nach § 2 des Schwerbehindertengesetzes auch dann möglich ist, wenn infolge der Behinderung ein geeigneter Arbeitsplatz sonst nicht erlangt werden kann. Es wäre gut, wenn alle Betroffenen dies wüßten und wenn die Arbeitsvermittler dies entsprechend berücksichtigen würden.
Damit komme ich noch kurz zu dem Punkt — da die Fragezeit der Redezeit hinzugerechnet wird —
des Wissens um die eigenen Rechte, der Aufklärung und der Beratung. Wir haben in § 3 des Rehabilitationsangleichungsgesetzes den Weg dazu gewiesen: Unterrichtung der Bevölkerung, und nicht in dem Sinne der eitlen Selbstdarstellung von Institutionen, die auf Hochglanzpapier verteilt wird, sondern genau auch um das Umweltbewußtsein zu fördern, das Herr Burger angesprochen hat. Noch immer gibt es erschreckende Fälle von sozialer Diskriminierung.
Bei einem Fußballspiel wähend der Weltmeisterschaft in Hamburg wollte man 20 Rollstuhlfahrer nicht ins Stadion lassen. Zitat: „Wesentliches Argument ist die gegebene Sichtbehinderung der Bandenwerbung durch Rollstühle", erklärte dazu der Sprecher des Weltmeisterschaftsorganisationskomitees. Hier wurden Behinderte glattweg zu Behinderungen erklärt, und das noch aus einem Anlaß, der mit öffentlichen Mitteln finanziert wurde. Über die Schule in Oberbayern, wo eine Bürgerinitiative versucht zu verhindern, daß dort sehbehinderte Kinder unterrichtet werden, will ich nichts weiter sagen. Die Sache ist so traurig, und die Interessierten werden sie auch kennen.
Gerade jetzt in Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten scheint arroganter Egoismus, offen zur Schau getragener Eigennutz in Mode zu kommen. Um so richtiger und um so wichtiger ist das, was Willy Brandt vor einem Jahr bei einem Besuch in den Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel gesagt hat: „An den Benachteiligten zeigt sich, ob die in Sonntagsreden so oft gepriesene Solidarität der Demokraten etwas taugt. Hier geht es um Bewährungsproben." Nie ist so viel getan worden für die Behinderten, wie seit 1969. Wir Sozialdemokraten hoffen deshalb, daß wir diese Bewährungsprobe bestehen werden, und wir respektieren dabei auch die Anstrengung einzelner und einzelner Gruppen aus der CDU.
Aber ich habe es auch für erforderlich gehalten, das, was uns unterscheidet, deutlich zu machen, damit auch das, was uns verbindet, um so klarer ins Werk gesetzt werden kann.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Braun.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Wenn über die Wiedereingliederung körperlich, geistig und seelisch Behinderter in Gesellschaft, Arbeit und Beruf gesprochen wird, dann kann und darf meines Erachtens ein Problem nicht ausgeklammert werden, welches gerade für die Eingliederung der Behinderten in die Gesellschaft von großer Bedeutung ist. Ich meine das eben nur kurz angesprochene Thema der auch heute noch überall vorhandenen baulichen und technischen Hindernisse sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor. Ich bedauere, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung in ihrer Antwort und insbesondere in der Einleitung auf dieses so wichtige Thema mit keiner Silbe eingegangen ist.
Von Chancengleichheit wird heute viel gesprochen. Aber eine Chancengerechtigkeit kann nur verwirklicht werden, wenn auch die technischen Möglichkeiten hierfür geschaffen werden. In vielen Fällen können körperbehinderte Kinder eine Schule nur deshalb nicht besuchen, weil einfach die Auf-
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Braun
fahrtrampe fehlt. In den Studentenwohnheimen werden auch heute Plätze für Behinderte kaum oder überhaupt nicht eingeplant und bereitgestellt. Eine Eingliederung der Behinderten in die Gesellschaft muß scheitern, wenn nicht auch — oder besser gesagt: gerade — Bund, Länder und Gemeinden mit gutem Beispiel vorangehen und insbesondere bereit sind, bei ihren Bauvorhaben auf die Probleme der Behinderten Rücksicht zu nehmen.
Hier decken sich in vielen Bereichen die Probleme und Sorgen der Behinderten mit denen der älteren Generation. Ich denke z. B. an die Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten im öffentlichen Personenverkehr. Bei einem großen Teil der auch heute noch benutzten Personenwagen der Deutschen Bundesbahn ist es behinderten und älteren Mitbürgern einfach unmöglich, ohne fremde Hilfe dieses Verkehrsmittel zu benutzen. Wenn ein Behinderter auf die Idee kommt, ein öffentliches Verkehrsmittel zu benutzen, dann muß man feststellen, daß der Verkehrsträger gar nicht darauf eingestellt ist.
So klärte — laut Behinderten-Report von Ernst Klee — die Deutsche Bundesbahn in ihrer Zeitschrift „Schöne Welt" ihre Fahrgäste auf, warum auch die pünktliche Deutsche Bundesbahn nicht immer pünktlich sein kann. Diese „Schöne Welt" schreibt — ich zitiere —:
Man rollt eine ältere Dame im Stuhl herbei, hebt sie hilfreich, aber mühsam in einen Wagen 1. Klasse, schiebt den Rollstuhl zum Gepäckwagen, und der Zugführer steht schwitzend vor des Geschickes Mächten und schreibt in seinen Fahrtenbericht: Koblenz, 1,5 Minuten Verspätung wegen Zulaufs einer körperbehinderten Dame.
Soweit dieses Zitat, sicherlich in dem EisenbahnerDeutsch.
Meine Damen und Herren, das was ich eben zitierte, ist sicher kein Einzel- und Ausnahmefall. Ähnliche Beispiele ließen sich aus dem Bereich der Post und vor allem auch der Städte und Gemeinden bringen. Überzeugen Sie sich selbst einmal in Ihren Wahlkreisen davon, wie z. B. Sozialämter und Beratungsstellen für behinderte und ältere Personen erreicht werden können. Dabei gibt es einen Erlaß, den Herr Minister Arendt eben angesprochen hat und der im gemeinsamen Ministerialblatt 1973, Nr. 11, zum Thema „Bauen für Behinderte, Katalog der Schwerpunkte bei der Beseitigung baulicher und technischer Hindernisse" veröffentlicht wurde. In diesem Erlaß heißt es wörtlich — ich zitiere —:
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Rehabilitation der Behinderten und für die Verbesserung der Lebensverhältnisse der älteren Menschen ist die Schaffung einer hindernisfreien baulichen Umwelt, und zwar sowohl in der Wohnung und am Arbeitsplatz als im gesamten öffentlichen Bereich.
Goldene Worte, die man nur unterstreichen kann. Aber gleichzeitig muß man doch feststellen, daß dieser Erlaß in der Öffentlichkeit, bei den zuständigen Stellen — bei denen, die es angeht —, entweder unbekannt ist oder einfach nicht beachtet wird.
Im Sommer dieses Jahres habe ich die Bundesregierung gefragt, ob sie einen Überblick darüber hat, in welchem Umfange dieser Katalog laut Erlaß Beachtung gefunden hat. Die Antwort von Bundesminister Ravens — nachzulesen in der BundestagsDrucksache — war alles andere als befriedigend.
Meine Damen und Herren, es muß unser gemeinsames Anliegen sein, daß dieser Katalog auch wirklich beachtet wird. Daher bitte ich die Bundesregie, rung, dem Hohen Hause alle zwei Jahre einen Bericht vorzulegen, der einen Überblick darüber gibt, wie und in welcher Weise nun wirklich etwas hinsichtlich des Baus z. B. von Fußgängerüberwegen, die auch von Behinderten als Überwege benutzt werden können, oder des Baus von Fußgängerbrücken und Fußgängertunneln getan wurde. Schließlich sollten wir auch regelmäßig einen Überblick bekommen, wo z. B. bei Großbauvorhaben wie U-Bahn-Bau den Bedürfnissen der Behinderten Rechnung getragen wurde. Vor Negativbeispielen sollte der Bericht allerdings auch nicht zurückschrecken.
Darüber hinaus erscheint es notwendig — und das möchte ich weiter anregen —, daß bei der Bundesbaubehörde, bei der Deutschen Bundesbahn und bei der Bundespost Beauftragte benannt werden, die jeweils ein Bauvorhaben vor endgültiger Genehmigung daraufhin prüfen, ob es den Belangen und Bedürfnissen der Behinderten und auch der älteren Generation gerecht wird. Hier brauchen keine neuen, zusätzlichen Stellen geschaffen zu werden, es muß sich nur jemand verantwortlich fühlen und den entsprechenden Auftrag erhalten.
In den letzten Monaten hat sich das Fernsehen erfreulicherweise mit dem eben von mir behandelten Thema „Bauen für Behinderte" mehrfach befaßt. Es ist erfreulich, daß eine breite Öffentlichkeit so auf dieses Problem aufmerksam gemacht wurde und um Verständnis, nicht um Mitleid, geworben wurde. Aber es gibt auch Wünsche an die Fernsehanstalten. Es gibt viele Arten von Behinderung; es gibt unter den Behinderten ca. 81 000 Hörgeschädigte. Es kommt darauf an, auch diesem Personenkreis einen Teil der Fernsehsendungen zu vermitteln und verständlich zu machen. Auf Grund einer von mir eingereichten Frage hat mir der Parlamentarische Staatssekretär Herr Zander mitgeteilt, daß sich Frau Minister Focke im November vergangenen Jahres an die Verantwortlichen der beiden Fernsehanstalten gewandt habe, um zu erreichen, daß den Belangen der Hörbehinderten in angemessener Weise Rechnung getragen wird. Ich würde nun gern bald hören und sehen, wie das Fernsehen auf die Belange der Hörbehinderten eingehen wird und wann das in Aussicht gestellte technische Vorhaben verwirklicht wird.
Zum Schluß darf ich kurz etwas zu einem Problem der Frührentner vorbringen. Am 4. Oktober dieses Jahres hat mir die Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn mitgeteilt, daß sie grundsätzlich bereit wäre, die Sonderangebote für Senioren auf die Frührentner auszudehnen. Ob sich diese Absicht verwirklichen lasse, hänge aber davon ab, ob sich der Personenkreis der Frührentner durch ein einheitliches Legitimationspapier ausweisen könne.
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Braun
Meine Damen und Herren, es darf nicht wahr sein, daß eine solche Vergünstigung für einen Personenkreis, der es sicherlich verdient und notwendig hat, an technisch-organisatorischen Problemen scheitert.
Daher die herzliche Bitte an die Bundesregierung, sich darum zu mühen, daß die laufenden Verhandlungen baldigst zu einem positiven Abschluß gebracht werden.
In diesen Tagen vor Weihnachten werden uns täglich Spendenbitten vorgetragen. Bei aller Notwendigkeit, einen finanziellen Beitrag zu leisten — loskaufen kann sich damit niemand. Behinderte sind ein natürlicher Teil der Gesellschaft, kein Fremdkörper, der außerhalb steht. Wir müssen und können die baulichen und technischen Voraussetzungen dafür schaffen, daß sich die Behinderten wirklich als Teil dieser unserer Gesellschaft fühlen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hölscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen von der Opposition, ich habe versucht, aus Ihren Beiträgen heute abend einen Bezug zu Ihrer Großen Anfrage herzustellen; bis jetzt ist mir das nicht so recht gelungen. Ich werde versuchen, die Rolle der Opposition — denn
das eine oder andere ist auch kritisch anzumerken — in meinem Beitrag mit zu übernehmen. Herr Kollege Burger und Herr Kollege Braun, was Sie gesagt haben insbesondere was Sie, Herr Burger, über das schwere Schicksal der Behinderten sagten —, ist richtig; dem kann nur beigepflichtet werden. Herr Kollege Burger, Sie haben, wenn ich das richtig gesehen habe, den Beifall des ganzen Hauses bekommen. Was sollte man dem auch entgegensetzen?
Ich fühle mich aber doch genötigt zu fragen: Welche Funktion soll unsere Beratung heute abend haben? Es ist sicher sinnvoll, immer wieder auf das Schicksal der Behinderten hinzuweisen, um z. B. eine Verbesserung des Verhältnisses der Bürger ihren behinderten Mitbürgern gegenüber zu erreichen. Dazu wäre es sicher notwendig, dann zu sprechen, wenn wir eine volle Pressetribüne haben. Alles das ist nicht der Fall. Ich glaube, wir Sozialpolitiker, die wir in erster Linie in diesem Bereich arbeiten, brauchen uns nicht gegenseitig zu bescheinigen, daß wir alles tun wollen. Ich glaube, wir haben uns in der Vergangenheit auch bemüht, das Optimale für die Behinderten zu erreichen.
Wenn Sie, Herr Kollege Braun, von dem Auftrag des Fernsehens reden, in seinem Bereich etwas mehr für die Behinderten zu tun, dann, liegt das auch in der Kompetenz Ihrer eigenen Partei; denn in den meisten Rundfunkanstalten sind Sie doch in den Aufsichtsgremien sehr kräftig vertreten. Das gilt natürlich auch für uns. Wir müssen überall in den politischen Bereichen, in denen wir vertreten
sind, bzw. in allen Lebensbereichen, in denen wir
Einflußmöglichkeiten haben, für Besserung sorgen.
Ich glaube, daß wir als Gesetzgeber genaugenommen wenig tun können, um eine bessere Einstellung, eine Entkrampfung der Bevölkerung gegenüber den Behinderten zu erreichen. Wir können Gesetze machen, wir können aber nicht, Herr Kollege Burger, durch Gesetze ein bestimmtes Verhalten verordnen. Das wissen Sie auch.
Das eigentlich als Vorbemerkung zu Ihren Beiträgen, die sich mit Ihrer Großen Anfrage im Kern nicht befaßt haben. Ich verstehe das; denn Ihre Große Anfrage ist tatsächlich überholt. Es ist gewiß auch verständlich und legitim, daß Sie dann auf eine mehr oder weniger allgemeine Darstellung des Problems ausweichen, und zwar in einer Art und Weise, die, wie Sie, Herr Kollege Burger, es gemacht haben, selbstverständlich richtig ist.
— Herr Kollege Burger, am 19. Dezember 1973 befand sich das Schwerbebindertengesetz bereits in den parlamentarischen Beratungen. Sie kannten auch die Entwürfe zum Rehabilitationsangleichungsgesetz. Das alles war zu diesem Zeitpunkt nicht unbekannt.
Lassen Sie mich eine Bemerkung zu den Ausführungen meiner verehrten Frau Kollegin Hürland machen. Frau Kollegin Hürland, ich wünschte mir, daß der Beitrag, den Sie hier gehalten haben, von Ihren Kollegen, von den Kollegen der SPD und unseren Kollegen in den Landtagen gebracht würde; denn Sie haben hier — bitte, das ist kein formales Argument — im wesentlichen Kompetenzen der Länder angesprochen, und Sie haben ja selbst gesagt, daß die Kompetenz des Bundes im wesentlichen nur in der Durchführung von Modellförderungen besteht.
Frau Kollegin Hürland, erlauben Sie mir an diesem Tag, der von einer sehr umfangreichen Debatte zum Hochschulrahmengesetz bestimmt war, folgende Bemerkung. Wir mußten es doch gerade heute erleben, daß die Kollegen aus Ihrer Fraktion immer dann ganz besonders polemisch wurden und den Vorstellungen der Koalitionsfraktionen entscheidenden Widerstand entgegenbrachten, wenn auch nur im Ansatz, nur millimeterweise, in die Kompetenzen der Länder eingegriffen werden soll.
Insofern hätte ich mir gewünscht, daß Sie Ihre wirklich berechtigten Forderungen im Laufe des heutigen Tages auch in Ihrer Eigenschaft als Mitglied des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft hier vorgetragen hätten. Wenn Anträge von Ihnen in dieser Richtung vorgelegen hätten, dann hätte ich mir im nachhinein vorstellen können, daß wir hierüber sehr ernsthaft diskutiert hätten.
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Hölscher
Machen wir uns nichts vor: Solange der Bund nicht die Kompetenzen für die Aufstellung allgemeinverbindlicher Kriterien für die schulische Bildung hat, solange er nicht die Kompetenzen hat, tatsächlich ein Angebot für Behinderte bezüglich des Hochschulzugangs zu schaffen, bleibt es bei der Modellförderung. Die letzten Entscheidungen liegen bei den Ländern. Hier war insbesondere die CDU nicht bereit — so, wie wir als Liberale das ohnehin seit langem wollen —, dem Bund eine verstärkte Kompetenz zu geben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Hürland? — Bitte!
Herr Kollege Hölscher, aus welcher Zuständigkeit heraus hat denn dann der Minister für Bildung und Wissenschaft den Situationsbericht über Körperbehinderung und Studium gegeben, und mit welchem Recht haben die SPD-Fraktion und die Bundesregierung das Aktionsprogramm zur Rehabilitation über den normalen Zuständigkeitsbereich hinaus geschaffen?
Nun, Aktionsprogramme zu schaffen, Frau Kollegin Hürland, ist die Aufgabe des Bundes, selbstverständlich. Hier muß der Bund übergreifend handeln,
was die Aufstellung von Aktionsprogrammen angeht,
nicht aber was die gesetzliche Umsetzung angeht. Hier müssen Sie differenzieren, hier müssen Sie unterscheiden.
Wir müssen es deshalb tun — und wir befassen uns ja auch mit diesen Dingen —, weil wir eben die Zersplitterung in Länderhoheiten haben, und der Bund muß hier meines Erachtens eine Lücke füllen; er kann aber letzten Endes nur Empfehlungen geben. Ob man diesen Empfehlungen nachkommt, entscheidet im schulischen Bereich das Land und nicht der Bund.
Ich möchte aber eigentlich zu dem kommen, was Kern Ihrer Anfrage und was auch Kern der Antwort der Bundesregierung ist. Ich möchte zunächst einmal feststellen: Für diese Große Anfrage zur Situation der Behinderten können wir uns bei Ihnen eigentlich nur recht herzlich bedanken, liebe Kollegen von der Opposition,
denn — entschuldigen Sie, wenn ich das sage —
wo gibt es das schon, daß ein Konkurrent seinem
Mitbewerber auf so eindrucksvolle Weise hilft, die Qualität seiner Produkte darzustellen?
— Konkurrenz im parteipolitischen Raum, Herr Kollege Burger; das ist nicht anders zu verstehen, ganz normal.
— Nein, Herr Kollege Burger, Sie werden an meinen folgenden Ausführungen merken, worum es mir geht,
nämlich um die Verabschiedung ganz bestimmter Gesetze, die wir hier gemeinsam vollzogen haben. Das ist völlig von dem zu unterscheiden, was Sie zur Situation des einzelnen Behinderten und zu seinem Schicksal gesagt haben. Da habe ich ja Ihren Beitrag — so haben Sie mich hoffentlich richtig verstanden — positiv gewürdigt.
Jetzt geht es um die Verantwortung dieses Parlaments im Gesetzgebungsverfahren. Ich denke, die Antwort der Bundesregierung ist — das muß ich in aller Deutlichkeit sagen — fast ein Standardwerk deutscher Rehabilitationsleistungen. Sie ist gleichzeitig die Zwischenbilanz einer Leistung in der Behindertengesetzgebung, für die es wohl weder im Inland noch im Ausland in der Vergangenheit ein Beispiel gegeben hat. Es gibt keinen Bereich der Sozialgesetzgebung, in dem die sozialliberale Koalition solche Erfolge aufzuweisen hat.
Diese Leistungsbilanz macht aber auch deutlich, wie groß der Nachholbedarf, wie groß der Mangel in der Behindertengesetzgebung war. Dabei behaupte ich nicht — um das klar festzustellen —, daß erst 1969 mit der Behindertengesetzgebung begonnen worden wäre, aber diese Leistungsbilanz macht eben deutlich, daß hier etwas aufgeholt werden mußte, und wir sollten uns eigentlich in allen Fraktionen darüber freuen, daß uns das auch gelungen ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Burger?
Bitte schön!
Herr Kollege, darf ich Sie fragen, ob Ihnen nicht bekannt ist, wann das Rentenversicherungsgesetz mit den Rehabilitationsleistungen verabschiedet worden ist, das Sozialhilferecht, das BVG, das Schwerbehindertengesetz? Haben Sie Bethel vergessen, das seit Jahrzehnten besteht? Und haben Sie nicht in Ihren Modellen Heidelberg immer wieder neu geschaffen? Und dies ist
9388 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Burger
auch unter Verantwortung von CDU-Regierungen auf die grüne Wiese gesetzt worden. Ist das, was Sie jetzt von sich geben, nicht ungerecht?
Aber Herr Kollege Burger, ich glaube, Sie haben mich gerade bei meinem letzten Satz nicht verstanden. Ich habe ja ausdrücklich festgestellt, daß nicht erst im Jahre 1969 mit der Behindertengesetzgebung begonnen wurde. Ich habe aber festgestellt, daß die Leistungsbilanz der letzten zwei Jahre, die wir gemeinsam geschaffen haben, auch deshalb so gut ist, weil eben bis 1969 ein entsprechendes Defizit entstanden war. Und das können wir auch statistisch nachweisen. Ihre Große Anfrage wird ja durch eine Erhebung aus dem Jahre 1970 begründet, und wir wissen alle, daß sich die Negativbilanz, die aus dieser Umfrage ja nun abzulesen ist, inzwischen relativ ins Positive gekehrt hat.
Aber ich möchte gern in meinen Ausführungen fortfahren. Wir alle haben — Herr Kollege Burger, meine Damen und Herren von der Opposition, lassen Sie mich das einmal als Gemeinsamkeit ansprechen — uns in den letzten zwei Jahren redlich bemüht, eben diese Lücken, die entstanden waren, zu schließen. Ich weiß, daß gerade Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, hieran im Arbeits- und Sozialausschuß konstruktiv mitgearbeitet haben. Ich meine, wir haben uns doch um eine gute Gesetzgebung bemüht, auch wenn die Initiativen — auch das möchte ich sagen — nun nicht von Ihnen kamen von Ihnen waren keine Gesetzentwürfe eingebracht worden —, sondern von der Bundesregierung bzw. den Koalitionsfraktionen.
Dennoch: Wir alle haben diese Gesetze einstimmig verabschiedet. Wir haben so manchen Änderungsantrag der Opposition angenommen. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang sehr gern an die gute Zusammenarbeit mit der verehrten Frau Kollegin Hürland und auch mit anderen Kollegen der Opposition. Um so unverständlicher das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen —, ja nahezu grotesk finde ich es, wenn Sie in Ihrer Anfrage behaupten, von einer Chancengleichheit für Behinderte, im Sinne der Zielvorstellung, sie voll in das Berufsleben zu integrieren und die aus der Behinderung resultierende Benachteiligung voll auszugleichen, könne bislang kaum gesprochen werden. Damit werten Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, im nachhinein Ihre eigene und wirklich konstruktive Mitarbeit und Ihren Anteil an der Gesetzgebung ab.
Ein großer Teil Ihrer Fragen ist durch die Verabschiedung der entsprechenden Gesetze längst erledigt, ja waren eben auch zum Zeitpunkt der Einbringung Ihrer Anfrage bereits erledigt bzw. eingeleitet, weil sich z. B. Schwerbehindertengesetz und Rehabilitationsangleichungsgesetz schon in der parlamentarischen Beratung befanden. Ich will deshalb gar nicht in voller Breite auf die Leistungen der letzten zwei Jahre — Schwerbehindertengesetz, Rehabilitationsangleichungsgesetz, Verzehnfachung der Bundesmittel für Rehabilitationseinrichtungen
Die Forschungsprogramme hierzu laufen. Hoffentlich wird uns nicht von der Opposition, wenn es dann
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9389
Hölscher
um die Realisierung dieser Programme geht, entgegengehalten, hiermit dürfe man die Wirtschaft auf keinen Fall belasten.
Meine Damen und Herren, sicher ist für die Behinderten noch manches zu tun. Wir werden nie den Zeitpunkt erreichen, an dem wir sagen können: Nun ist alles in Ordnung. Manches können wir als Bundesgesetzgeber gar nicht regeln, weil es nicht in unsere, sondern in die Kompetenz der Länder fällt. Die Opposition hat das auch in ihrer Großen Anfrage in einigen Punkten offensichtlich übersehen. Für anderes wiederum können wir nur den gesetzlichen Rahmen geben, nicht aber auch schon den Erfolg sicherstellen, weil eben zu viel vom guten Willen und auch von den Möglichkeiten der Verantwortlichen im gegliederten Sozialsystem abhängt.
Wir hätten ein Rehabilitations-Angleichungsgesetz gar nicht benötigt, wenn die Träger selbst rechtzeitig für eine Angleichung der Leistungen gesorgt hätten. Nun, wir haben als Gesetzgeber jetzt dafür gesorgt, daß jeder Behinderte unabhängig von der Art seiner Behinderung und unabhängig davon, welcher Rehabilitationsträger zuständig ist, die gleichen Leistungen erhält. Dennoch bleibt den Trägern auch im Rahmen dieses Gesetzes ein weiter Spielraum für Eigeninitiative.
Ich habe mich, wie sich gewiß der eine oder andere Fachkollege erinnern wird, im Arbeits- und Sozialausschuß sehr für die Beibehaltung des Selbstverwaltungsprinzips in diesem Bereich eingesetzt, sicher auch gegen die verständlichen und begründeten Bedenken der Kollegen aus den beiden großen Fraktionen. Diese Kollegen führten mit Recht an, daß z. B. die Frankfurter Vereinbarung der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation wirklich nicht das gehalten hat, was wir uns von ihr versprachen.
Gerade aber weil wir Liberalen uns für das im allgemeinen bewährte Prinzip der Selbstverwaltung auch in diesem Fall ausgesprochen und letztlich durchgesetzt haben, möchte ich als Vertreter der FDP-Fraktion an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen: Krankenkassen, Rentenversicherungsträger, Unfallversicherungen, Berufsgenossenschaften, Bundesanstalt für Arbeit und die anderen Träger, auch die Kassenärztlichen Vereinigungen, müssen jetzt zur Zusammenarbeit kommen. Ich war etwas überrascht, gerade zu diesem Punkt z. B. von Frau Kollegin Hürland nichts zu hören. Nicht an Zuständigkeitsfragen, an falsch verstandenem Unabhängigkeitsdenken, an unnötigem bürokratischem Formelkram dürfen Energien vergeudet werden, sondern alles muß darangesetzt werden, den Behinderten oder den von der Behinderung Bedrohten schnell und umfassend zu helfen. Das gilt gleichermaßen für die Ausgestaltung der Meldepflicht, die Durchführung der Beratungen wie auch für die Aufstellung eines Gesamtplans.
Wenn die Träger diese Aufgaben nicht im Rahmen der ihnen nach wie vor zugestandenen Eigeninitiative bewältigen, muß die Bundesregierung im Interesse der Behinderten von ihrer Ermächtigung, Rechtsverordnungen zu erlassen, Gebrauch machen.
Meine Damen und Herren, meine Zeit geht zu Ende. Deshalb muß ich zum Schluß kommen. Ich darf
folgendes sagen. Wir als Gesetzgeber können nur I den Rahmen abstecken, der letzten Endes nur dann optimal ausgefüllt werden kann, wenn das Verhältnis der Bevölkerung draußen den behinderten Mitbürgern gegenüber gebessert wird. Ich finde es schlimm, immer wieder in den Zeitungen lesen zu müssen, daß irgendeine Bürgerinitiative es gibt nämlich auch Bürgerinitiativen gegen die Interessen der Behinderten —, irgendein Gemeinderat gegen die Errichtung einer Behinderteneinrichtung zu Felde zieht. Hier sollten wir unseren Einfluß geltend machen, auch unseren Kollegen in den Gemeindeparlamenten gegenüber.
Meine Damen und Herren von der Opposition, vielleicht haben Sie, weil sich das meistens auf dem flachen Land abspielt, noch eher die Gelegenheit, dort wegen der politischen Struktur zu helfen, jedenfalls eher als wir. Ich glaube, das wäre nützlicher als diese Große Anfrage im Bundestag, für die wir uns natürlich im übrigen herzlich bedanken.
Widerspruch in sich selber!)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Geisenhofer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es bleibt mir nicht die Zeit, im einzelnen auf die Ausführungen der Vorredner einzugehen. Herr Glombig und einige andere Redner haben hier zehn Gesetze, die entwickelt worden sind, dargestellt und dabei den Eindruck erweckt, als seien die Probleme der Behinderten bereits weitgehend gelöst. Einige dieser Gesetze sind in Zeiten, in denen die Union die Regierung stellte, entstanden. Zu allen Gesetzen hat die CDU/CSU einen wesentlichen Beitrag geleistet. Das wollte ich vorweg einmal ganz klar sagen.
Ich möchte hier dazu Stellung nehmen, daß die Situation in vielen Bereichen noch nicht befriedigend ist, und mich dabei insbesondere auf die Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU betreffend Behindertenwerkstätten beziehen. In der Antwort auf Frage 16 führt die Bundesregierung aus:
Die Voraussetzungen für diese Fragestellung sind inzwischen durch die fortgeschrittene Rechtsentwicklung offensichtlich entfallen. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestages ist bei den Beratungen des neuen Schwerbehindertengesetzes zu der Auffassung gelangt, daß in Zukunft von einem einheitlichen, umfassenden Begriff der Werkstätte für Behinderte auszugehen ist.
Das ist gut so. Herr Kollege Burger hat hier vorhin auch schon die Anerkennung dafür ausgesprochen. Die CDU/CSU-Fraktion stellt mit Genugtuung fest, daß es ihr in den Ausschußberatungen gelungen ist, durch einen Änderungsantrag die Begriffsbestimmung der Behindertenwerkstätten noch wesentlich zu verbessern. Sie hat damit an der fortschrittlichen
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Geisenhofer
Rechtsentwicklung, von der die Bundesregierung spricht, einen wesentlichen Anteil.
Vorher hat es nämlich ganz anders ausgesehen. Der Regierungsentwurf des Schwerbehindertengesetzes, der unsere Anfrage unter Ziffer 16 ausgelöst hat, sah in § 38 b vor, daß in Werkstätten für Behinderte nur Behinderte aufgenommen werden könnten, die die fachlichen Anforderungen des Arbeitsförderungsgesetzes und der hierzu ergangenen Durchführungsbestimmungen erfüllten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das hätte bedeutet, daß ein Behinderter in den Werkstätten mindestens den Regelsatz nach dem Bundessozialhilfegesetz hätte ereichen müssen, was einem Arbeitsentgelt von 250 DM im Monat entsprochen hätte. Die Realität in den Werkstätten ist aber eine ganz andere. Nach den Feststellungen des Instituts für Sozialrecht an der Universität Bochum haben 1971 80 % der Behinderten weniger als 115 DM Entgelt erhalten. Diese Regelung hätte also bedeutet, daß 80 %der Behinderten vom Besuch der Werkstätten ausgeschlossen worden wären.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Union vertritt mit maßgeblichen Fachleuten die Auffassung, daß es im Rahmen der Bemühungen der Werkstätten ein großer Erfolg ist, wenn Behinderte auch nur kleine Schritte zur Gemeinschaftsfähigkeit hin machen können, ferner in die Lage versetzt werden, verwertbare Arbeit zu leisten, und dadurch Selbstbestätigung und Selbstvertrauen wiederfinden.
Zu dem verabschiedeten Schwerbehindertengesetz müssen wir folgendes feststellen.
Erstens. Der Begriff „Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeit" ist immer noch nicht definiert. Dies hat zur Folge, daß bei den Trägern der Werkstätten Rechtsunsicherheit besteht. Daher fragen wir die Bundesregierung: Wie wird die Lösung, die zu erwarten ist, aussehen? Wird sie vor allem in Verfolg des § 52 die Untergrenze des Entgelts bei 5 % auf 1 % oder auf 0,1 % der vergleichbaren Arbeitsleistung eines nicht behinderten ungelernten Arbeitnehmers ansetzen?
Zweitens. Die Rechtsverordnung nach § 55 liegt immer noch nicht vor. Der Erlaß der Rechtsverordnung ist vordringlich — und zwar trotz der Möglichkeit des vorläufigen Anerkennungsverfahrens —, damit eine baldige und endgültige Klarheit für die Werkstätten und für die auftraggebenden Betriebe erreicht wird. Werkstätten und Betriebe müssen langfristig disponieren können. Hiermit habe ich die diesbezügliche Forderung in Ziffer 1 unseres Entschließungs-Antrages bereits begründet. Ich werde nachher also aus Zeitgründen deswegen nicht noch einmal an das Rednerpult treten.
Frau Kollegin Lüdemann, Sie haben gesagt, die vorläufige Anerkennung werde die Rechtsunsicherheit beseitigen. Das würde nur dann stimmen, wenn bei der vorläufigen Anerkennung von den gleichen Kriterien ausgegangen wird, die die zu erwartende Rechtsverordnung nach § 55 beinhaltet. Darauf warten wir.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach dem Gesetzentwurf über die Sozialversicherung für
Behinderte ergeben sich für die Werkstätten unerträgliche Härten in bezug auf die Entrichtung der Krankenkassen- und der Rentenversicherungsbeiträge. Nach § 4 des Gesetzentwurfs hat die Werkstatt 1975 bis zu einem Entgelt von monatlich 305 DM die Beiträge zur Krankenversicherung das sind jetzt durchschnittlich 10 °/o, also monatlich etwa 30 DM — ganz allein zu tragen, und das auch dann, wenn der betreffende Behinderte nur 20 DM Entgelt bekommt. Ferner hat die Werkstatt nach § 8 auch die Beiträge für die Rentenversicherung bis zu einem Entgelt von 280 DM monatlich, das sind 50 DM monatlich bei 18% Beitrag in der Sozialversicherung, zu tragen. Die Rentenversicherungsbeiträge, bis hinauf zu 90 % des Durchschnittsverdienstes aller Arbeitnehmer, tragen je zur Hälfte Bund und Land. Jedoch hat die Werkstatt auch hier die Lasten der Berechnung und der Buchhaltung aufzubringen.
Meine Damen und Herren, wenn beispielsweise für einen Behinderten — und nehmen Sie das jetzt ernst — von einer Werkstatt insgesamt 80 DM Beiträge allein getragen werden müssen, so ist damit die Voraussetzung für den Konkurs der Behindertenwerkstatt und für ein Werkstattsterben geschaffen, vor allem dann, wenn die Beitragslast höher ist als das erzielte Entgelt, was bei der überwiegenden Zahl der Behinderten praktisch der Fall ist.
Meine Damen und Herren, die Auffassung, daß diese Beitragsbelastung von den Sozialhilfeträgern übernommen wird, ist umstritten. Die Verhandlungen von seiten einiger Werkstattträger mit den Sozialhilfeträgern haben ergeben, daß diese Mehraufwendungen nicht als Bestandteil der Pflegesätze anerkannt werden. Da andere Mittel in nennenswerten Umfang in Werkstätten nicht zur Verfügung stehen, besteht nur die Möglichkeit, das Arbeitsentgelt der Behinderten zu kürzen, was behindertenfeindlich wäre.
Meine Damen und Herren, daher wird von den Werkstätten — ich meine: mit Recht — gefordert, daß die gesamte Beitragsbelastung von Land und Bund getragen wird. Herr Glombig hat in seinen Ausführungen so getan, als sei das jetzt schon der Fall; das ist eben nicht der Fall!
Die CDU/CSU-Fraktion ersucht die Bundesregierung, diese Forderungen der Werkstätten zu prüfen und Überlegungen anzustellen, ob eine Regelung der Art gefunden werden kann, daß sich die Beiträge zur Rentenversicherung am Mindestmaß verwertbarer Arbeitsleistung, d. h. an einem monatlichen Entgelt ab 50 DM, orientieren, wobei die Beitragsbefreiung der Werkstätten ins Auge gefaßt werden müßte. Die gleiche Beitragsbefreiungsmöglichkeit müßte auch im Krankenversicherungsbereich geprüft werden. Darüber hinaus sollte auch geprüft werden, ob Werkstätten mit stationären Einrichtungen unter diese Versicherungspflicht fallen, sofern sie die Voraussetzungen des § 52 erfüllen.
Zum Entwurf des Gesetzes über die Sozialversicherung Behinderter noch ganz kurz folgendes. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, kann schon heute festgestellt werden, daß der beabsichtige Zweck, eine unabhängige Altersversorgung für
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Geisenhofer
Behinderte aufzubauen, allenfalls nur für langfristig Versicherte, also für Behinderte mit 30, 40 und 50 Beitragsjahren, erreicht wird. Dagegen wird bei kurzfristig versicherten Behinderten, vor allem bei Versicherungszeiten, die nicht mehr als 20 Jahre betragen, dieses Ziel nicht erreicht werden. Frage: Was ist mit jenen Behinderten, die bereits jetzt 45 Jahre oder älter sind und die Anwartschaft von 20 Jahren gar nicht mehr erreichen können? Bei kurzfristig versicherten Behinderten werden Renten entstehen, die nicht höher als die Sätze der Sozialhilfe sind, ja, die Sozialhilfe gewährt sogar höhere Leistungen, als der neue Rentenversicherungsentwurf vorsieht, und zwar ohne jegliche Beitragsleistungen.
Wenn man bedenkt, daß bei einer künftigen 20jährigen Versicherungszeit ein Beitragsaufkommen von 60 000 DM zustande kommt und der betreffende Rentner nichts, aber auch gar nichts von dieser Beitragsleistung hat, weil die Sozialhilfe mehr zahlt, als aus diesen 60 000 DM an Rente herauskommt, so ist dies bedauerlich. Da kann die Zielsetzung nicht mehr stimmen.
Herr Glombig hat die Nachentrichtungsmöglichkeit der Behinderten zur Rentenversicherung zurück bis zum Jahre 1956 angesprochen. Herr Glombig, abgesehen davon, daß die Behinderten oder ihre Angehörigen kaum eine Geldsumme von 20 000 oder 30 000 DM aufbringen können, ist auch diese Nachzahlung völlig zwecklos, weil die Sätze der Sozialhilfe, die ohne Beitragsleistung gewährt werden, höher sind als die zu erwartende Rente. Es kann doch nicht Sinn dieses Teils des Gesetzes, den ich kritisiere, sein, die Sozialhilfe zu subventionieren.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU ersucht die Bundesregierung, zu prüfen, ob die Beitragsentrichtung durch die Schaffung eines Rentenfreibetrages in der Sozialhilfe in etwa honoriert werden kann.
Wir werden im Ausschuß die weitere Beratung dieses Gesetzentwurfs, der für die Behinderten sehr wichtig ist, mit großer Aufmerksamkeit verfolgen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Prinz zu Sayn-Wittgenstein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion hat — das kann wohl nicht bezweifelt werden — zahlreiche zusätzliche Fragen und Probleme der Wiedereingliederung körperlich, geistig und seelisch Behinderter in Gesellschaft, Arbeit und Beruf in die Diskussion eingeführt, die nach unserer Auffassung — wie aber auch der vieler Sachverständiger — noch einer Lösung bedürfen. Wir hätten uns daher gewünscht, daß die Vertreter der Koalitionsparteien — ich nehme hier Herrn Hölscher ausdrücklich aus — mehr auf die angeschnittenen Fragen der Großen Anfrage
eingegangen wären. Dafür hat man versucht, als Beginn der Zeitrechnung der Rehabilitation das Jahr 1969 einzuführen. Man ist anscheinend nicht bereit, die Leistungen früherer CDU-Bundesregierungen etwa im Bereich des Arbeitsförderungsgesetzes oder, was noch wichtiger ist, die Leistungen der freien Träger, etwa der Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel, zur Kenntnis zu nehmen.
An die Adresse der Koalitionsparteien ist hier einmal zu sagen, daß eine solche, ich hätte fast gesagt, beleidigte Reaktion auf unsere Große Anfrage weder dem Thema angemessen noch der Sache förderlich ist.
Wenn wir das Bewußtsein der Bevölkerung in bezug auf das Behindertenproblem schärfen und ein stärkeres Engagement unserer Mitbürger für die behinderten Mitbürger erreichen wollen, dann darf man hier nicht von Konkurrenz reden, dann darf man hier keine Erbhöfe einrichten oder bestimmte Gebiete der Sozial- und Gesellschaftspolitik pachten wollen. Damit trägt man nur zur Polarisierung bei, und die dient nicht der Sache, Herr Gansel.
Wir suchen die Zusammenarbeit, und wir bieten sie Ihnen — ich sage es noch einmal — ausdrücklich an.
Das Schwerbehindertengesetz hat mit dem § 51 neue Möglichkeiten für die Behindertenstatistik gebracht, und wir erhoffen uns hiervon aussagekräftige Unterlagen über die Gesamtzahl der körperlich, geistig und seelisch Behinderten. Da es aber eine allgemeine und umfassende Definition des Begriffs der Behinderung bisher noch nicht gibt und auch die Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere Anfrage feststellt, daß eine „Fixierung eines umfassenden, für alle gesetzlichen Normen maßgebenden Begriffs" noch nicht erreicht worden ist, sollte das Anlaß sein, verstärkt den Versuch zu unternehmen, eine möglichst allgemeingültige Begriffsbestimmung zu erarbeiten.
Da sich bisher weder in der Fachliteratur noch in der Rechtsprechung eine allgemeine und umfassende Definition des Begriffs der Behinderung herausgebildet hat, möchte ich in die Diskussion eine zusammenfassende Darstellung der Merkmale der Behinderung einführen, die ich einer Arbeit von MinRat Dr. Franzen vom wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages entnommen habe. Es heißt dort:
Behinderung ist — unabhängig von Art und Ursache — jede dauernde, zumindest langfristige sowie wesentliche körperliche, geistige oder seelische Abweichung von der Norm — im Vergleich zu einem gesunden Menschen des gleichen Alters, Geschlechtes und der gleichen kulturellen Herkunft —, die sich in einer fehlerhaften Funktion, Struktur, Organisation oder Entwicklung des Gesamtorganismus oder einer seiner Anlagen, Systeme, Organe oder von Teilen hiervon offenbart und deren Folgen vom
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Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
Behinderten nicht aus eigener Kraft überwunden werden können, um seine körperlichen, geistigen oder seelischen Fähigkeiten und Kräfte zu entfalten und an dem ihm adäquaten beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und damit einen angemessenen Platz in der Gesellschaft einzunehmen.
Unabhängig von der Beurteilung, ob diese Definition umfassender als alle den verschiedenen Gesetzen zugrunde liegenden Legaldefinitionen sind, müssen im Hinblick auf eine befriedigende statistische Erfassung für die Formulierung der Fragestellung im Rahmen des Mikrozensus die wichtigsten Behinderungsarten, ihre Erscheinungsformen und ihre Auswirkungen näher erläutert werden. Allerdings wird es im Hinblick auf Vielzahl und Vielfalt der Behinderungen und die Schwierigkeit der Abgrenzung nicht möglich sein, alle maßgebenden Behinderungstatbestände zu spezifizieren und zu präzisieren.
Wie groß in dem Problembereich die Schwierigkeiten sein werden, zeigt beispielsweise die Tatsache, daß es zur Zeit in Deutschland nicht möglich ist, repräsentative Angaben über Häufigkeit und Auswirkungen der rheumatischen Erkrankungen auf die Gesamtbevölkerung zu erhalten, da der von den amtlichen Stellen verwandte Diagnosenschlüssel wegen mangelnder Trennschärfe unzulänglich ist.
Ein anderes Beispiel: Nur Fachleuten ist bekannt, daß es in der Bundesrepublik Deutschland ca. 3 Millionen Menschen gibt, die an Psoriasis — das ist die Schuppenflechte — erkrankt sind. Da viele dieser Mitbürger, von denen allein 5% an der schwersten Form leiden, nämlich einer arthritischen Veränderung, besonderer Rehabilitationsmaßnahmen bedürfen, zeigt, wie groß die „graue Zone" noch unvollständig erfaßter Rehabilitationsfälle ist, um so mehr, als auch andere Erscheinungsformen dieser Krankheit zur Behinderung führen.
Alle Bemühungen um eine möglichst umfassende Statistik können aber nur dann einen Sinn haben, wenn es gelingt, jedem Behinderten optimale Behandlungsmöglichkeiten und die notwendigen Einrichtungen der Rehabilitation anzubieten. So fehlt für Unfallverletzte und andere orthopädisch erkrankte Personen nach wie vor eine ausreichende Anzahl von Krankenhausbetten, obwohl von der Gesamtzahl her gesehen die Zahl der Krankenhausbetten in der Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich an der Spitze steht. Zum Beispiel werden aber eben in Klinikneubauten und -umbauten zu wenige orthopädische Stationen eingerichtet, um diesen Mangel zu beseitigen. Es gibt also einen „Numerus clausus" für orthopädisch zu Versorgende, wie anläßlich der 61. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie festgestellt wurde.
Unter den 3 Millionen hör-, sprach- und stimmgestörten Patienten befinden sich Schätzungen zufolge allein 250 000 hörgestörte Kinder; 20 000 von ihnen sind gehörlos. Daher kommt dem Ausbau und der Vermehrung von Kliniken und Abteilungen für Phoniatrie besondere Bedeutung zu. Entsprechende Einrichtungen in Schule, Berufsschule und Berufsbildungswerken für hör- und sprachgestörte Kinder gehören selbstverständlich mit hinzu.
Die Bundesregierung kann sich in der Beantwortung unserer Großen Anfrage nicht mit dem Hinweis begnügen, daß der Bund nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz keine Möglichkeit hat, auf die Beseitigung „eines eventuellen Mangels" an Spezialbetten hinzuwirken. Abgesehen davon, daß der Mangel eben nicht „eventuell" ist, wie ich soeben nachgewiesen habe, muß in diesem Zusammenhang auf § 23 Abs. 2 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes hingewiesen werden, wonach 20 % der Finanzhilfen des Bundes durch den Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit nach Schwerpunkten zur Befriedigung eines überregionalen Bettenbedarfs und zur Durchführung von Modellmaßnahmen im Benehmen mit dem Ausschuß für Fragen der wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser verteilt werden können. Auch wenn ich anerkennen will, daß der Bund in den letzten Jahren erhebliche Mittel für überregionale Einrichtungen der Prävention und Rehabilitation bereitgestellt hat, sollte es möglich sein, in Zusammenarbeit mit den Ländern mit Hilfe eben dieses § 23 Sondereinrichtungen zu schaffen.
Im Zusammenhang mit Maßnahmen der Wiedereingliederung Behinderter wird mit gutem Grund die Notwendigkeit verstärkter Prävention erwähnt, um drohende Behinderungen im frühesten Stadium zu verhindern oder zumindest in den Auswirkungen zu verringern. Aus diesem Grunde hatte die CDU/ CSU-Fraktion durch Gesetzesinitiative bereits im Mai 1970 die Einführung von Vorsorgeuntersuchungen für Kinder in den ersten vier Lebensjahren als Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenkassen gefordert. Nachdem dann die Bundesregierung im September des gleichen Jahres mit einem eigenen Gesetzentwurf diesen Überlegungen folgte, gehört diese Vorsorgeuntersuchung zum Leistungsangebot unserer Krankenkassen. 1972 nahmen 2,6 Millionen — das sind 54 °/o aller anspruchsberechtigten Kinder —an diesen Untersuchungen teil. Es muß aber erreicht werden, daß ein höherer Prozentsatz als bisher an den Vorsorgeuntersuchungen teilnimmt, denn Früherkennung und Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen sind genauso wichtig wie die Möglichkeiten der Medizin.
Alljährlich muß festgestellt werden, daß die gesetzlich vorgesehenen Vorsorgeuntersuchungen für werdende Mütter ebenfalls nicht genügend in Anspruch genommen werden. Wenn auch immerhin 80 °/o der Schwangeren wenigstens einmal zur Untersuchung kommen, so ist immer wieder festzustellen, daß sich ein sehr großer Prozentsatz von werdenden Müttern über Sinn und Ziel von Schwangeren-Vorsorgeuntersuchungen nicht im klaren ist. Das gleiche gilt für Kleinkinderuntersuchungen. Nur die Mutter, die die von den Krankenkassen angebotenen zehn Kontrolluntersuchungen nutzt und zugleich ihr Kind regelmäßig zu den Früherkennungsuntersuchungen bringt, handelt verantwortungsbewußt und kann sich und ihr Kind vor verhängnisvollen Schäden bewahren. Daher muß die gesundheitliche Aufklärung und Beratung weitaus stärker gefördert und müssen die bisherigen Methoden hinsichtlich ihrer Effizienz untersucht werden.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9393
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
Der verstärkte Ausbau von Forschungs- und Behandlungseinrichtungen im Bereich der sogenannten perinatalen Medizin gehört gleichfalls zum Bereich Prävention. Zur Früherkennung und Behandlung von sogenannten Risikokindern müssen, über das ganze Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verteilt, Fachabteilungen an Krankenhäusern nachgewiesen bzw. geschaffen werden. Eine solche Frühbehandlung könnte vielen gefährdeten Kindern das Schicksal ersparen, ein körperlich oder geistig behindertes Leben zu führen.
Mancher Fall von Erbkrankheiten könnte vermieden werden, wenn die betroffenen Eltern zur Vermeidung von Erkrankungsrisiken von Kindern humangenetische Aufklärung und Beratung in Anspruch nähmen.
Diese Beispiele mögen genügen, die Vielzahl von Einwirkungsmöglichkeiten aufzuzeigen, die geeignet sind, die Zahl der potentiellen Behinderungen zu vermindern oder Behinderungen therapeutisch zu beeinflussen und damit gleichzeitig die Wiedereingliederung zu ermöglichen.
Neben allen Maßnahmen, die vom Staat und von zahlreichen gemeinnützigen Organisationen durchgeführt wurden oder durchgeführt werden könnten, bedarf es einer noch stärkeren Anteilnahme der Bevölkerung an dem Schicksal unserer behinderten Mitbürger.
Allerdings sind hier nicht Mitleid oder verlegene Distanz, sondern Hinwendung und tätige Mithilfe wichtige Voraussetzungen, die eine Wiedereingliederung unserer behinderten Mitbürger in die Gesellschaft erst möglich machen.
Meine Damen und Herren, mit den Ausführungen der Vertreter der CDU/CSU haben wir gleichzeitig, Herr Präsident, den Entschließungsantrag auf Drucksache 7/2963 begründet, so daß es einer weiteren Begründung nicht bedarf. Wir beantragen, diesen Entschließungsantrag den Ausschüssen für Arbeit und Sozialordnung sowie für Jugend, Familie und Gesundheit zu überweisen.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister — — Er verzichtet.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag auf Drucksache 7/2963 an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend — und an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zur Mitberatung zu überweisen. — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften
— Drucksachen 7/2861, 7/2880 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/2958 — Berichterstatter: Abgeordneter Walther
b) Bericht und Antrag des Innenausschusses
— Drucksache 7/2919 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Berger Abgeordneter Liedtke
Ich danke den Herren Berichterstattern. — Sie wünschen zur Berichtigung das Wort? — Das Wort hat der Abgeordnete Berger als Berichterstatter.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Zusammenstellung der Beschlüsse des Innenausschusses in Drucksache 7/2919 ist übersehen worden, die neue Ortszuschlagstabelle gemäß Art. 1 Nr. 13 des Gesetzentwurfs abzudrucken. Ich möchte als Berichterstatter darauf hinweisen, daß diese Anlage II zum Bundesbesoldungsgesetz ebenfalls unverändert vom Ausschuß gebilligt worden und Bestandteil des Gesetzesbeschlusses ist.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die zweite Lesung. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die zweite Lesung.
Wer den einzelnen Bestimmungen in den Art. I bis X sowie Einleitung und Überschrift in der eben vom Berichterstatter dargelegten Form zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Wir treten in die dritte Beratung ein. Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die dritte Beratung. Wer dem Gesetz insgesamt zuzustimmen beabsichtigt, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Wir müssen noch über den Antrag des Ausschusses unter Ziffer 2 abstimmen. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ebenfalls einstimmig beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuerge-
9394 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Vizepräsident von Hassel
setzen und des Aufwertungsausgleichsgesetzes
— Drucksache 7/2696 —
aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/2959 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. von Bülow
bb) Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/2930 —
Berichterstatter: Abgeordneter Halfmeier
b) Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und des Aufwertungsausgleichsgesetzes
— Drucksache 7/2111 —
aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
-- Drucksache 7/2959 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. von Bülow
bb) Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/2930 —
Berichterstatter: Abgeordneter Halfmeier
Ich danke den Berichterstattern. Wünschen die Berichterstatter zur Ergänzung das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen dann zur zweiten Lesung. In der zweiten Lesung erbittet Herr Abgeordneter Müller das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur abschließenden Beratung der Änderung des Umsatzsteuergesetzes und des Aufwertungsausgleichsgesetzes möchte ich für die SPD-Fraktion unter Hinweis auf meine Ausführungen anläßlich der ersten Lesung des Entwurfs am 8. November dieses Jahres folgende Erklärung abgeben:
Nach zügigen Beratungen und einstimmigen Beschlüssen in den zuständigen Gremien des Bundesrates und Bundestages ist sichergestellt, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung unverzüglich in Kraft treten kann. Somit werden ab 1. Januar 1975 die Umsatzsteuer-Durchschnittssätze und die Vorsteuerpauschalen sowohl für Landwirte als auch für Forstwirte um jeweils 1 Prozentpunkt angehoben. Für die Landwirte steigt danach die Vorsteuerpauschale von 5 auf 6 % und für Forstwirte von 3 auf 4 % des Nettoumsatzes. Da gleichzeitig auch die Umsatzsteuer-Durchschnittssätze entsprechend angehoben werden, können Forstwirte künftig ihre Erzeugnisse um 4 % über dem Nettopreis, Landwirte und Gärtner unter Einschluß des 3°/oigen Aufwertungsausgleichs um 9 % über dem Nettopreis veräußern.
Mit Genugtuung ist festzustellen, daß sich die Bundesregierung bereit erklärt hat, trotz der jedermannn bewußten äußerst angespannten Haushaltslage zur Durchführung dieser Maßnahmen Mindereinnahmen in Kauf zu nehmen und umgekehrt den stattlichen Betrag von 410 Millionen DM jährlich der deutschen Landwirtschaft zufließen zu lassen.
Wir stimmen diesem Gesetzentwurf in der Überzeugung zu, daß wir mit der Anhebung der Vorsteuerpauschale die in Bedrängnis geratene deutsche Landwirtschaft nach besten Kräften unterstützen. Damit wird die von der Bundesregierung und von uns wiederholt gegebene Zusicherung, die Landwirtschaft nicht im Stich zu lassen, erneut bestätigt.
Die Anhebung der Vorsteuerpauschale ist insofern ein angemessenes Mittel zur Behebung der landwirtschaftlichen Schwierigkeiten, als sie der steuerlichen Gerechtigkeit dient, zur Verbesserung des landwirtschaftlichen Einkommens beiträgt, kostendeckend wirkt und die Stellung der deutschen Landwirtschaft im europäischen Wettbewerb verbessert.
Da selbstverständlich ist, daß in einer Zeit der erzwungenen Sparsamkeit besonders behutsam über öffentliche Mittel verfügt werden muß, sind wir froh, nach sorgfältigen Prüfungen und Beratungen einen vernünftigen Weg der Finanzierung gefunden zu haben. Jedermann, der von vornherein ernsthaft die Durchsetzung dieser Maßnahme wollte, muß einsehen, daß eine Geste des guten Willens notwendig war und ein Teilbetrag zur Deckung der Mindereinnahmen dem Einzelplan 10 entnommen werden mußte. Wir alle wissen: Dies war die letzte und einzige Möglichkeit, ein volles Prozent für die Landwirtschaft durchzusetzen.
Die heute zu beschließende gesetzliche Maßnahme begünstigt den Kreis der landwirtschaftlichen Betriebe, der pauschaliert. Wir wissen sehr wohl, daß die erschreckend geringe Zahl von Buchführungsbetrieben in der Landwirtschaft all denen, die zu einer ordnungsgemäßen Buchführung verpflichtet sind, ein Stein des Anstoßes ist. Wir werden eingedenk der Schwierigkeiten, die sich ergeben können, weiterhin dafür eintreten, daß in den kommenden Jahren mehr Landwirte zur Buchführung angehalten werden. Schließlich liegt eine ordnungsgemäße Buchführung in ihrem eigenen Interesse. Eine moderne und leistungsfähige Landwirtschaft, die wir alle wollen, ist nur möglich, wenn gut ausgebildete Betriebsleiter an Hand sorgfältiger Aufzeichnungen selbst den Zustand und die Chancen ihrer Betriebe ablesen und beurteilen können.
Das Wort hat Herr Abgeordneter von Alten-Nordheim.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9395
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem der Herr Berichterstatter nicht das Wort genommen hat, möchte ich doch auf einen nicht unerheblichen Fehler im Bericht hinweisen. In der ersten Zeile des letzten Absatzes heißt es: die Erhöhung der Vorsorgepauschalen. Es muß richtig heißen: die Erhöhung der Vorsteuerpauschalen.
Ich bitte, dies zu berichtigen.
Im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gebe ich zur dritten Lesung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und des Aufwertungsausgleichsgesetzes, Drucksache 7/2930, folgende Erklärung ab.
Mit der Vorlage dieses Gesetzentwurfs im Eilverfahren über den Bundesrat nun zum Schluß des Jahres erfüllt die Bundesregierung endlich die gesetzliche Verpflichtung gegenüber der deutschen Landwirtschaft, die durch steigende Kosten für landwirtschaftliche Betriebsmittel und durch sinkende Erzeugerpreise entstandene höhere Belastung an Mehrwertsteuer, die sogenannte Vorsteuerbelastung, durch Anhebung der Vorsteuerpauschale um jeweils ein Prozent für die Land- und Forstwirtschaft auszugleichen. Seit Jahren mußte die deutsche Landwirtschaft durch die auseinanderlaufende PreisKosten-Entwicklung erheblich mehr an Mehrwertsteuern bezahlen, als sie es nach dem Willen des Gesetzgebers soll. Nach letzten Berechnungen beträgt dieses Mehr rund 400 Millionen DM jährlich.
Um diese Ungerechtigkeit auf steuerlichem Gebiet zu beseitigen, hatte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bereits im Mai 1974 durch die Vorlage eines Gesetzentwurfs beantragt, die Vorsteuerpauschale bei der Mehrwertsteuer für die Landwirtschaft von 5 auf 6 °/o mit Wirkung vom 1. Juli 1974 anzuheben.
Bundesregierung, SPD und FDP haben die Beratung dieses Gesetzentwurfs bis nach den Parlamentsferien blockiert. Damit konnte die steuerliche Ungerechtigkeit nicht mehr vor der Ernte beseitigt werden, was die Landwirtschaft wiederum mit rund 200 Millionen DM belastet hat.
Außer diesem verspäteten Inkrafttreten ist die Finanzierung des Gesetzesvorhabens durch die Bundesregierung zu kritisieren. Infolge unterschiedlicher Berechnungen zwischen dem Bundesminister der Finanzen und dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über die tatsächliche Höhe der Vorsteuerbelastung mußte sich der Bundesernährungsminister Ertl gefallen lassen — wie auch schon in anderen Bereichen der Agrarpolitik, in denen Kanzler und Wirtschaftsminister sein Ressort laufend korrigierten —, daß zu Lasten der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes 80 Millionen DM aus dem Agrarhaushalt abgezweigt werden. Zusammen
mit den daran gekoppelten Mehrleistungen der Länder werden dem ländlichen Raum damit insgesamt 133 Millionen DM an strukturverbessernden Mitteln entzogen. Dieses Vorgehen ist nicht nur ungerechtfertigt, sondern angesichts der derzeitigen bedrohlichen wirtschaftlichen Situation und konjunkturellen Entwicklung gerade für diese ländlichen Räume unverständlich und bedrohlich. Die CDU/CSU-Fraktion hat sich mit aller Entschiedenheit bereits in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs gegen diese unbegreifliche Art der Finanzierung ausgesprochen und wiederholt an dieser Stelle deutlich die Kritik.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird diesem Gesetzentwurf zustimmen, der in diesem Bereich längst fälliger Steuergerechtigkeit entspricht und einen gesetzlich verankerten Besitzstand endlich wiederherstellt und nicht, wie es häufig zu hören ist, eine Subventionierung der Landwirtschaft darstellt, obwohl die Anhebung der Vorsteuerpauschale schon zum 1. Juli erforderlich gewesen wäre, wie es unser Gesetzentwurf verlangt hat. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird zukünftig aber auch darüber wachen, daß notwendig werdende gesetzliche Anpassungen nicht wiederum einseitig zu Lasten eines Berufsstandes so spät erfolgen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der verehrte Vorredner, Herr von Alten-Nordheim, war so freundlich, mich in der ersten Lesung der jetzt zu behandelnden Vorlage als „wild verwegen" zu bezeichnen. Ich habe das als ein Kompliment empfunden und möchte dieses Kompliment im Augenblick gern zurückgeben, Herr von Alten-Nordheim. Es gehört schon eine wilde Entschlossenheit dazu, in dieser vorgerückten Stunde über eine Vorlage, über die zwischen den Fraktionen Einigkeit besteht, noch einmal in eine Aussprache einzutreten. Ich habe das nicht ganz verstanden.
— Erklärungen? Sie sind auf jeden Fall in eine Auseinandersetzung über diese Frage eingetreten.
— Eine Erklärung von zwei Minuten. Da Sie die zwei Minuten überschritten haben, kann ich mich vielleicht auch auf einige sachliche Bemerkungen zu Ihren Ausführungen einlassen.
Die „wilde Verwegenheit", Herr von Alten-Nordheim, von vor der Sommerpause gibt mir Gelegenheit, einmal auf folgendes hinzuweisen.
9396 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Ronneburger
- Wilde Verwegenheit ist immer eine gute Sache.
Warum soll die mir nicht gut bekommen?
— Ihre Zwischenrufe, Herr Niegel, sind in dieser späten Abendstunde nicht mehr gefragt.
— Ich habe oft genug versucht, mich mit Herrn Niegel auseinanderzusetzen, und es ist immer ein vergeblicher Versuch geblieben. Wollen wir uns doch darauf nicht mehr einlassen!
Vor der Sommerpause haben wir im Ernährungsausschuß über das gleiche Thema verhandelt. Wir haben damals die Zahlen des BML auf dem Tisch gehabt, die eine Belastung von 5,5% auswiesen. Ich sage Ihnen heute hier mit aller Nüchternheit: Wenn es damals zu einer Anhebung um ein halbes Prozent auf 5,5 % gekommen wäre, dann wären alle Ihre Berechnungen, Herr von Alten-Nordheim, bezüglich einer verspäteten Anhebung auf 6 % bei einer jetzt gegebenen Basis von 5,8% Vorsteuerbelastung nicht haltbar gewesen.
Denn Sie werden sich darüber im klaren sein und werden mir auch nicht abstreiten wollen, daß, wenn wir damals eine Anhebung etwa um einen halben Prozentsatz durchgesetzt hätten, es in diesem Herbst und auch im nächsten Jahr sicherlich nicht möglich gewesen wäre, auf den vollen Prozentsatz von 6% anzuheben. Ich glaube, es ist wichtig, daß man dies in voller Höhe jetzt bei 5,8 % tatsächlich durchsetzt. Herr von Alten-Nordheim, diese Vorsteuerpauschale hat ja nicht nur die Aufgabe, die tatsächliche Vorsteuerbelastung auszugleichen, sondern auch die Aufgabe, die Schwankungen aufzufangen, die im Laufe der Zeit bei dieser Vorsteuerbelastung eintreten.
Ich sage Ihnen, erinnernd an die Einführung der Pauschalierung für die Landwirtschaft: Seinerzeit, als die 5%ige Vorsteuerpauschale eingeführt wurde, lag nach den damaligen Berechnungen die tatsächliche Belastung bei 4,8%. Von dort aus hat sie sich mit gewissen Schwankungen allerdings auch über 5 % hinausbewegt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Alten-Nordheim?
Verehrter Herr Kollege Ronneburger, ist Ihnen nicht bekannt, daß der Gesetzentwurf der CDU/CSU gerade dieses eine Prozent gefordert hat, nämlich die Anhebung von 5 auf 6 °/o?
Das ist mir sehr wohl bekannt. Aber sowohl Ihnen als auch mir sind auch die Schwierigkeiten bekannt, die bei der damaligen Berechnungsgrundlage bestanden hätten, auf eine
volle Erhöhung auf 6 °/o zu jenem Zeitpunkt zu kommen.
Es ist doch unbestritten, daß zu jenem Zeitpunkt, Herr von Alten-Nordheim, die Berechnungen bei 5,5 % lagen. Ich möchte die Erwägungen zu diesem Komplex hier nicht weiter ausdehnen.
Wenn Sie hier noch einmal darauf hinweisen, Herr Ertl habe hinnehmen müssen, daß ein gewisser Prozentsatz der Finanzierung, nämlich 0,2% von diesem einen Prozent, aus dem Einzelplan 10 herausgenommen wurde, müssen Sie dabei auch sehen, daß die tatsächliche Belastung im Augenblick bei 5,8 % liegt.
Ich möchte hier mit allem Nachdruck sagen, daß auch alles das, was in den letzten Debatten an Vorwürfen und Verdächtigungen gegenüber Herrn Ertl und seiner Stellung im Kabinett geäußert worden ist, jeder Grundlage entbehrt und daß die FDP-Fraktion mit aller Entschiedenheit hinter ihrem Bundeslandwirtschaftsminister und seinen Argumentationen steht.
Er ist auf dieser Basis auch in der Lage, Herr Niegel, seine Auffassung von Agrarpolitik hier und im Kabinett durchzusetzen.
In einem Punkt, Herr von Alten-Nordheim, befinden wir uns in voller Übereinstimmung, nämlich hinsichtlich der Frage, ob denn diese Anhebung der Vorsteuerpauschale eine Leistung für die Landwirtschaft oder eine Unterstützung der Landwirtschaft sei. Hier sage ich in voller Übereinstimmung mit Ihnen:
Hier geht es um ein auf Gesetz beruhendes Gebot der Steuergerechtigkeit, dem jetzt auf Grund vorliegender Berechnungen in der notwendigen Höhe Rechnung getragen wird.
Von dieser Sicht der Dinge her stimmt die FDP-Fraktion voller Überzeugung der Vorlage der Bundesregierung zu.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache in zweiter Lesung.
Wer den Art. 1, 2, 3 und 4, Einleitung und Überschrift in zweiter Lesung zustimmt, gebe bitte das Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. —Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Ich eröffne die Aussprache. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die dritte Beratung.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem 1 Gesetz in dieser Form zustimmt, möge sich erhe-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9397
Vizepräsident von Hassel
ben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? Einstimmig so beschlossen.
Wir müssen dann noch über den Antrag des Ausschusses auf Seite 2 der Drucksache abstimmen. Wer zustimmt, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? Es ist so beschlossen.
Bevor ich Punkt 7 der Tagesordnung aufrufe, möchte ich auf folgendes aufmerksam machen. Wir haben heute abend noch über etwa 30 Tagesordnungspunkte zu befinden. Es wurde angemeldet, daß sechs Tagesordnungspunkte mit Erklärungen oder einer kurzen Debatte verbunden sind. Ich möchte Sie bitten, darauf zu achten, daß es jetzt 22.08 Uhr ist. Irgendwann, glaube ich, wären alle dankbar, wenn sich die kommenden Redner kurzfaßten.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Einkommensteuerreformgesetz
— Drucksache 7/2722 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/2960 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. v. Bülow
b) Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksachen 7/2931, 7/2945 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Weber Abgeordneter Dr. Wagner (Trier)
Ich danke den Berichterstattern. Zur Ergänzung hat als Berichterstatter der Abgeordnete Dr. Weber das Wort erbeten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bitte, es kurz zu machen, wird beherzigt; gleichwohl einige ergänzende Ausführungen dazu, weil der schriftliche Bericht in seinem Paragraphenwust ja sehr trocken ist.
Das Gesetz enthält neben der steuerrechtlichen Bestimmung, die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung allgemein nicht mehr als Voraussetzung für die Inanspruchnahme steuerlicher Vergünstigungen zu betrachten, Vergünstigungen für Berliner.
Einmal ist die Ausnahme von der allgemeinen Verlustklausel nach § 7 a des Einkommensteuergesetzes zu erwähnen. Diese Regelung ist vorgesehen, um die Investitionstätigkeit in Berlin nicht in einem unvertretbaren Ausmaße zu beeinträchtigen. Es können also erhöhte Absetzungen oder Sonderabschreibungen für Investitionen in Berlin
auch dann noch in Anspruch genommen werden, wenn ein Verlust entsteht.
Während der Ausschußberatungen haben wir eine zweite Vergünstigung für Berlin eingeführt. Wir haben nämlich die Frist, ab der für die Umsatzsteuervergünstigungen bei Berliner Wertschöpfung 10 v. H. nicht unterschritten werden dürfen, um ein Jahr verlängert, um dadurch Arbeitsplätze in Berlin nicht zu gefährden.
Zwei weitere Maßnahmen innerhalb des Berlin-Bereichs verdienen hervorgehoben zu werden: Die Berlinzulage wird im Interesse der Gleichbehandlung aller Berliner Arbeitnehmer im Falle der Erkrankung grundsätzlich weitergezahlt, also auch dann, wenn der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Krankengeld nach der gesetzlichen Krankenversicherung hat. Bei der Zahlung von Konkursausfallgeld wird ebenfalls die Berlinzulage berücksichtigt.
Das Gesetz enthält des weiteren Änderungen hinsichtlich des sozialen Wohnungsbaus und des Wohngeldes. Es wird klargestellt, daß das Kindergeld bei der Einkommensberechnung unberücksichtigt bleibt, daß also diesen Gruppen der Bevölkerung das verbesserte Kindergeld bei der Berechnung der Einkommensteuer nicht zum Nachteil gereicht.
Änderungen im Bereich des Sozialrechts dienen grundsätzlich der Wahrung des bisherigen Besitzstandes für Schwerkriegsbeschädigte und Empfänger von Pflegezulagen.
An den Ausschuß sind insbesondere vom VdK und anderen Organisationen verschiedene Bitten herangetragen worden, Rentner mit Kindern, bei denen der andere Ehepartner noch berufstätig ist, besser zu behandeln. Wir haben uns dazu nicht entschlossen. Es gibt bei Rentnern zwar keinen unmittelbaren Ersatz für die wegfallenden Kinderfreibeträge, jedoch müssen nach Meinung des Ausschusses folgende Vorteile gesehen werden: Die allgemeinen Steuerentlastungen, die den betroffenen Rentnerfamilien ebenso wie allen anderen Steuerpflichtigen zugute kommen, verhindern, daß es zu realen Einkommenseinbußen kommt. Die Leistungen der Sozialversicherung sind wesentlich günstiger als das Kindergeld, und dieser Vorteil bleibt den Rentnern erhalten. Durch die regelmäßige Anpassung der Sozialversicherungsleistungen an die Einkommensentwicklung werden auch die Kinderzulagen und Kinderzuschüsse der Sozialversicherung jährlich steigen. Auch ein Teilkindergeld für erwerbstätige Rentner oder deren Ehegatten ist sozialpolitisch nicht zu begründen, weil die arbeitenden Rentner gegenüber den Arbeitnehmern und gegenüber den Rentnern, die nicht arbeiten können, unverhältnismäßige Vorteile erhalten würden. — Diese Erwägungen gelten auch für Sozialhilfeempfänger.
Der wichtigste Teil befaßt sich mit Änderungen des Arbeitsförderungsgesetzes. Sie bezwecken die Anpassung der Lohnersatzleistungen an die durch die Reform ,des Familienlastenausgleichs und des Einkommensteuerrechts geschaffene neue Rechtslage. Die Höhe dieser Leistungen wird danach künftig allein an dem ausfallenden Nettoarbeitsentgelt ausgerichtet. Arbeitslosengeld, Kurzarbeitergeld
9398 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Dr. Weber
und Schlechtwettergeld werden auf 68 v. H., das Unterhaltsgeld für Teilnehmer an beruflichen Bildungsmaßnahmen auf 90 v. H. und die Arbeitslosenhilfe auf 58 v. H. des anfallenden Nettoarbeitsentgelts festgesetzt. Dadurch wird — mit dem Kindergeld zusammen — der Arbeitslose oder Kurzarbeiter so gestellt, daß er durchschnittlich 75 %seines zuletzt bezogenen Arbeitsentgeltes erhält.
Die Bezieher von Schwerverletztenrenten der gesetzlichen Unfallversicherung werden in Zukunft für ihre Kinder weiterhin an Stelle des Kindergeldes Kinderzulagen erhalten. Diese Kinderzulagen werden vom 1. Januar 1975 an mindestens ebenso hoch wie das gesetzliche Kindergeld sein.
Wir haben die zivilrechtlichen Folgen des neuen Kindergeldgesetzes erörtert, insbesondere die Frage, in welchem Umfange Kindergeldzahlungen an einen Elternteil bei Unterhaltsleistungen des anderen Elternteils bei getrennt lebenden oder geschiedenen Eltern und bei Eltern nichtehelicher Kinder berücksichtigt werden sollen. Wir haben davon abgesehen, gesetzliche Regelungen vorzuschlagen. Der Ausschuß hat aber seinen Willen zum Ausdruck gebracht, im Interesse der Rechtssicherheit sowohl im Verhältnis der Eltern nichtehelicher Kinder als auch der getrennt lebenden oder geschiedenen Eltern zueinander von einem Halbteilungsgrundsatz auszugehen.
Das Einführungsgesetz fand die einstimmige Billigung mit einer Ausnahme, nämlich der der Regelung über die Sonderabschreibungen zum Umweltschutz. Ich bitte das Plenum, diesem Gesetz zuzustimmen.
Ebenso einstimmig ist die vorliegende Entschließung angenommen. Sie soll der späteren Kontrolle der Auswirkungen dieses Gesetzes auf dem Gebiete des Arbeitsrechtes und der Sozialordnung dienen.
Lassen Sie mich abschließend ein Wort des Dankes an die Regierung und die Beamten der Ministerien sagen, die an diesem Gesetz mitgearbeitet und sein rechtzeitiges Inkrafttreten mit ermöglicht haben.
Ich danke dem Berichterstatter. Ich eröffne die Aussprache in zweiter Lesung. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wagner .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist der Nachgesang oder der Abgesang zur sogenannten Steuerreform. Es verhält sich mit ihm so wie mit der Steuerreform selbst: In Übereile und Hektik mußte das verabschiedet werden, was nun noch unbedingt vor dem 1. Januar 1975 zu verabschieden ist.
Wir sehen in dieser übereilten Prozedur einen neuen
Beweis dafür, daß die Zeitplanung, zu der das Par-
lament das übrigens, wie uns scheint, beim der-
zeitigen Regierungsbetrieb in Bonn mehr und mehr als störend empfunden wird
genötigt worden ist, von vornherein nicht zu verantworten war.
Ich erspare es mir, auf eine größere Zahl von Einzelheiten dieses Gesetzes einzugehen. Herr Weber hat ja als Berichterstatter einiges gesagt. Nur noch eine Bemerkung: Wir haben bei der Beratung dieses Gesetzes festgestellt, daß die Steuerreform eben nicht nur Vorteile bringt natürlich bringt sie auch Vorteile —, sondern daß sie auch Härten bringt; Härten, die uns bekannt waren, als das Steuerreformgesetz verabschiedet wurde, und Härten, die sich jetzt so nach und nach, Stückchen für Stückchen bei näherem Überlegen, d. h. bei der Prozedur, die eigentlich einer Gesetzesverabschiedung vorausgehen sollte, herausstellen.
Es hätte nahegelegen, und es hätte vor allen Dingen unsern Wünschen entsprochen, bei einer Reihe solcher Härten Besserungsanträge zu stellen. Z. B. sind wir sehr wohl der Auffassung — um auf ein Thema einzugehen, das Herr Weber behandelt hat —, daß die kinderabhängigen Leistungen in der Arbeitslosenversicherung es — in einem gewissen Umfange jedenfalls — verdienten, erhalten zu bleiben. Ferner sind wir der Auffassung, daß es auch bei diesem Gesetz durchaus der Mühe wert gewesen wäre, noch einmal darüber nachzudenken, ob es z. B. richtig war, die Steuervergünstigungen für Diätaufwendungen schlicht zu streichen; eine Vergünstigung für eine kleine Gruppe von Menschen, die nicht viel kostet, die aber für diese kleine Gruppe von Bedeutung ist. Und eine Reihe von anderen Dingen mehr. Auch das Problem der Frührentner wäre sehr wohl einer neuen Überlegung wert gewesen.
Wenn wir weitgehend davon abgesehen haben, Anträge in dieser Richtung zu stellen, so hatte dies im wesentlichen folgende Gründe: erstens den Zeitdruck, unter dem die Beratungen gestanden haben und der das Formulieren von Anträgen fast unmöglich machte, und zweitens — das will ich hier klar sagen — die katastrophale Finanzlage des Bundes, die es auch uns als Opposition verbietet, Anträge, die kostenwirksam sind, auch wenn sie als berechtigt empfunden werden müssen, zu stellen. Meine Damen und Herren, es ist zwar spät, aber dies muß ich noch sagen; denn in bezug auf jenen Versuch, noch einmal Ordnung in die Bundesfinanzen zu bringen, ist es mindestens so spät, ist es wahrscheinlich erheblich später, als die Uhr hier zeigt.
Von der Bundesregierung wird gesagt bzw. wird gesagt werden, daß die Hauptursache für die schlechte Finanzlage, die im kommenden Jahre vor uns liegt, die Steuerreform darstelle. Dies ist eine typische Teilwahrheit. Es wird dabei unterschlagen, daß diese Bundesregierung seit 1970 heimliche
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9399
Dr. Wagner
Steuererhöhungen in einer Größenordnung von 30 Milliarden DM kassiert hat, von denen sie einen Teil jetzt zurückgibt,
daß sie offene Steuererhöhungen in einer Größenordnung von 9 Milliarden DM jährlich einkassiert hat und weiter einkassiert und daß trotzdem eine Schuldenlawine ganz ungeahnten und ungeheuren Ausmaßes auf uns zukommt, eines Ausmaßes, wie es vor zwei Jahren noch niemand hätte voraussehen können oder vorauszusehen gewagt hätte. Wir können uns unter diesen Umständen der Einsicht nicht verschließen
— der bitteren Einsicht nicht verschließen —, daß man sich sehr, sehr beschränken muß und sehr genau abwägen muß, ob überhaupt noch Verbesserungen möglich sind. Deswegen haben wir zahlreiche Dinge zurückgestellt und stellen einen einzigen Antrag.
Dieser Antrag, den ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten gleich mitbegründen möchte, befindet sich auf Drucksache 7/2974. Er betrifft Steuervergünstigungen für Investitionen, die dem Umweltschutz dienen. Wie ist die Sachlage? Gegenwärtig gibt es derartige Steuervergünstigungen. Sie laufen zum Jahresende, also mit dem 31. Dezember 1974, aus. In der Erkenntnis, daß diese Steuervergünstigungen notwendig sind, also nicht auflaufen dürfen, hat die Bundesregierung in ihrem Entwurf eines Dritten Steuerreformgesetzes eine Fristverlängerung vorgeschlagen, und nicht nur eine Fristverlängerung, sondern sie hat auch eine Verbesserung dieser Vorschriften vorgeschlagen. Deren Verabschiedung ist zurückgestellt worden, weil zu dem Zeitpunkt, als die Steuerreform im Finanzausschuß beraten wurde, noch Bedenken der EG-Kommission gegen diese Bestimmungen bestanden. Diese Bedenken konnten inzwischen nicht zuletzt durch Bemühungen der Bundesregierung — für die wir danken — ausgeräumt werden.
Deswegen müßte heute einer Verabschiedung dieser Vorschläge der Bundesregierung selber nichts mehr im Wege stehen. Unser Antrag Drucksache 7/2974 enthält nichts anderes als die Bestimmungen, die im Dritten Steuerreformgesetz in dieser Hinsicht vorgeschlagen waren. Wir haben deswegen schon im Finanzausschuß kein Verständnis dafür gehabt, daß die Koalitionsparteien erklärt haben, sie hätten dieses Problem bisher nicht ausreichend beraten können. Ich muß sagen, meine Herren von der SPD und von der FDP, Sie hatten für dieses Problem immerhin einige Wochen Zeit. Hier in diesem Hause und namentlich im Bereich Steuerpolitik sind Probleme ganz anderen Ausmaßes in kürzerer Zeit behandelt worden.
Deswegen können wir diese Einlassung nur als eine Ausflucht betrachten. Wir sind der Auffassung, daß es dringlich ist, hier Klarheit zu schaffen, der Wirtschaft Sicherheit zu verschaffen, daß diese Bestimmungen nicht auslaufen, sondern daß sie in der verbesserten Form zum 1. Januar 1975 in Kraft treten. Deswegen bitten wir Sie heute, diesem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Böhme .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Hinblick auf die fortgeschrittene Zeit werde ich versuchen, es ebenfalls sehr kurz zu machen, und insbesondere auf Ihre Polemik zum Stichwort „Abgesang der sogenannten Steuerreform" nicht weiter eingehen. Offensichtlich schmerzt es Sie sehr, daß es der Koalition gelungen ist, den Familienlastenausgleich und die Einkommensteuerreform unter Dach und Fach zu bringen und damit einen Kernpunkt ihres Reformprogrammes in dieser Legislaturperiode zu verwirklichen.
Daß dieses Gesetz tatsächlich tief in die Strukturen unserer Sozial- und Wirtschaftsordnung eingegriffen hat, zeigt nichts besser als dieses Einführungsgesetz, mit dem über 30 andere Gesetze geändert werden mußten, um eine Anpassung an eben die Einkommensteuerreform, an den Familienlastenausgleich und an die Neuregelung der Sparförderung herbeizuführen.
Alle Redner und Autoren, die eine Strukturreform in Abrede stellen, werden durch dieses Einführungsgesetz eigentlich Lügen gestraft.
Lassen Sie mich nun einige Worte zu dem gestellten Änderungsantrag sagen, wobei ich mich auch auf den Kern der Sache beschränken will. Damit wir wissen, wovon wir reden, Herr Dr. Wagner, möchte ich zunächst sagen: Es liegt kein Antrag der CDU/CSU vor; der Antrag ist inhaltlich vielmehr Teil unseres Steuerreformkonzeptes.
Er findet sich in Drucksache 7/1470 unter § 168 und dann auch wieder in Umdruck 1. Sie haben ihn — bis auf die Beschränkung der Geltungsdauer — wortwörtlich übernommen. Ich möchte mich herzlich dafür bedanken, daß die Opposition jetzt endlich dazu übergeht, die Vorlagen der Regierung wortwörtlich zu übernehmen.
Ein Weiteres. Dieser Teil des Steuerreformpakets konnte im Rahmen der Beratungen über die Steuerreform nicht zu Ende beraten werden und wurde deshalb im Rahmen der Steuerreform auch nicht beschlossen, weil, wie Sie mit Recht ausgeführt haben, die EG-Kommission ein Prüfungsverfahren nach Art. 93 des EWG-Vertrages eingeleitet hatte. Deshalb mußte damals im Sommer die Beratung dieses Teiles
9400 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Dr. Böhme
des Reformpaketes zurückgestellt werden. Inzwischen ist das Prüfungsverfahren zwar noch nicht abgeschlossen; die Kommission hat sich aber bereit erklärt, die Sonderabschreibungen zu akzeptieren, wenn die Geltungsdauer bis 31. Dezember 1980 beschränkt wird.
Über diesen neuen Sachstand ist der Finanzausschuß erst vor wenigen Wochen informiert worden. Wir hatten keine Gelegenheit, ausreichend über den ganzen Komplex zu beraten. Im Vordergrund — das werden Sie sicher verstehen — mußte zum einen die Beratung des Betriebsrentengesetzes und zum anderen die Beratung des Einführungsgesetzes stehen, um die neuen Regelungen über das Kindergeld endgültig unter Dach und Fach zu bringen. Wir haben im Finanzausschuß jedoch erklärt — und dies möchte ich vor dem Hohen Hause jetzt wiederholen —, daß erstens die jetzigen Abschreibungsvergünstigungen nicht auslaufen sollen, d. h. zumindest verlängert werden und daß wir zweitens den Umfang der unter § 7 d in Umdruck 1 niedergelegten Steuerpräferenzen sehr genau prüfen wollen, auch unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Erweiterung von Steuerpräferenzen für Althausbesitzer, welche Investitionen aus Umweltschutzgründen — etwa für Schallschutz oder Wärmeisolierungen — vornehmen. Wir haben ausgeführt, daß es sehr wohl möglich ist, diesen Teil des Steuerreformpaketes im Januar zu beschließen und rückwirkend zum 1. Januar 1975 in Kraft treten zu lassen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, zum Schluß bleibt somit nur die Feststellung zu treffen: Mit diesem Antrag wurde viel Lärm um nichts gemacht. Die Vorschriften sind im Finanzausschuß noch nicht beraten worden. Die Beratungen werden im Januar stattfinden. Der Bundestag wird dann auch seine Entscheidung treffen. Heute muß der Änderungsantrag abgelehnt werden.
Ich bitte im übrigen uni Annahme des Einführungsgesetzes zum Gesetz zur Reform der Einkommensteuer, des Familienlastenausgleichs und der Sparförderung im Sinne der Ausführungen des Berichterstatters.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache in zweiter Lesung.
Wir kommen zur Einzelabstimmung in zweiter Lesung. Wer den Art. 1 und 2 in der vorgesehenen Form zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Wir stimmen dann ab über den Änderungsantrag Drucksache 7/2974. Dieser Antrag zielt auf Einfügung eines Art. 2 a ab. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt. Ich glaube, wir können dann über die Art. 3 bis 44 zusammen abstimmen. Bestehen Bedenken, darüber zusammen abzustimmen? — Das ist nicht der Fall.
Ich rufe die Art. 3 bis 44, Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Wer dem Gesetz in
dritter Beratung
— zu ihr wird das Wort nicht gewünscht; deshalb brauche ich die Aussprache nicht zu eröffnen und auch nicht zu schließen — zustimmt, bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Punkt 8 der Tagesordnung ist abgesetzt. Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes 1964
— Drucksachen 7/2580, 7/2690, 7/2839 —
Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/2823 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Weber
Ich danke dem Herrn Berichterstatter, Wünscht der Berichterstatter das Wort zur Ergänzung? — Das ist nicht der Fall. Wir treten dann in die zweite Beratung ein, die ich hiermit eröffne.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor einer Woche ist hier in diesem Hause das Energieprogramm der Bundesregierung mit seiner ersten Fortschreibung beraten worden. Ziel dieses Energiesicherungsprogrammes ist, den Mineralölanteil an der Energieversorgung noch stärker zurückzudrängen und eine neue Position für den wichtigsten deutschen Enegieträger, nämlich die Steinkohle, zu finden.
Meine politischen Freunde haben in dieser Lesung überzeugend dargelegt, daß erstmals diese Bundesregierung ein in sich geschlossenes Energieprogramm vorgelegt hat, und mit dem nun vorliegenden Gesetz wird dieses Energieprogramm abgeschlossen, weil nämlich dem heimischen Energieträger durch eine gleichbleibende Belastung des Heizöls auch die Wettbewerbsfähigkeit verliehen wird.
Die Haltung der Opposition in dieser Frage war widersprüchlich. Da gab es 15 CDU-Mitglieder im Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages, die von der Notwendigkeit dieses Gesetzes überzeugt waren und damit der Verlängerung der Heizölsteuer zustimmten. Dann gab es 15 Mitglieder der CDU/CSU im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages, die von diesen volkswirtschaftlichen Zusammenhängen offenbar nichts verstanden oder aus
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9401
Dr. Weber
Oppositionslust nichts davon verstehen wollten und dieses Gesetz ablehnten — und das, obwohl der sonstige verlängerte Arm der Opposition, nämlich der Bundesrat, keine Einwendungen gegen das Gesetz erhoben hatte.
Meine Damen und Herren, die Heizölsteuer hat eine rein kohlepolitische Zielsetzung; daran hat sich bis heute nichts geändert. Dieses Gesetz ist nicht neu, es besteht seit 1960. Die CDU/CSU wollte es einmal auslaufen lassen, dann wiederum wollte sie es degressiv gestalten. Beide Lösungen hat sie innerhalb der Zeit, in der sie Regierungsverantwortung zu tragen hatte, nicht durchgesetzt. Der Strukturwandel auf der Energiemarkt erfordert auch diese Steuer als flankierende Maßnahme, die den Absatz, insbesondere des schweren Heizöls, verlangsamen und zugleich Mittel für Hilfsmaßnahmen zugunsten des Steinkohlebergbaus erbringen soll.
1963, als die erste selbstgesetzte Frist für die Steuer abgelaufen war, mußten Sie von der CDU/ CSU klarmachen, daß diese flankierende Maßnahme nicht auslaufen durfte. Folgerichtig wurde diese Steuer auf einen bestimmten Termin, nämlich das Frühjahr 1969, verlängert, und Sie wollten den vorübergehenden Charakter dieser Steuer damit betonen, daß Sie vom Frühjahr 1967 an eine Degressionsstufe auf die Hälfte vorsahen. Weder die Befristung noch die Degression hat die CDU/CSU durchgehalten.
Auf Grund der Verhältnisse im Kohlebergbau im Jahre 1967 wurde die Steuer verlängert. Es bestand und besteht kein Zweifel, daß man bei einer solchen Entwicklung besonders sorgfälig prüfen muß, ob die Voraussetzungen für eine Verlängerung vorliegen. Wir sind der Meinung, daß diese Voraussetzungen auch heute noch gegeben sind, weil gerade jetzt auf dem Gebiet der Energieversorgung durch das Verhalten der Ölländer weitere Schwierigkeiten für die Bundesrepublik aufgetreten sind.
Deshalb möchte ich kurz die Gründe anführen, weshalb wir auf die Steuer nicht verzichten können.
Erstens. Es ist nicht möglich, auf die Schutzwirkung der Steuer für das schwere Heizöl zugunsten des Kohlebergbaus zu verzichten. Zwar ist zur Zeit der Kohleabsatz gut, die Haldenbestände sind geringer; die Arbeitnehmer im Bergbau können wieder beruhigt in die Zukunft sehen. Aber das Bild könnte und würde sich dann ändern, wenn die Steuer für das Heizöl wegfiele und dadurch ein starker Anreiz geschaffen würde, zum Verbrauch von schwerem Heizöl überzugehen. Das ist ein Faktum, an dem wir nicht vorbeikommen.
Zweitens. Wenn gesagt wird, daß Heizöl bei einem Wegfall der Steuer billiger würde, muß dies mit allem Vorbehalt in Zweifel gezogen werden. Mit der Weitergabe von Steuerdegressionen haben wir schlechte Erfahrungen gemacht. Im privaten Bereich, und zwar bei der Verwendung des leichten Heizöls, beträgt der Anteil am Endverbrauchpreis nur etwa 2,5 v. H. bei einem Durchschnittspreis von 80 Pf. Wir haben dort, wo sozial schwache Gruppen durch die
Heizölpreissteigerungen in eine wirtschaftliche Notlage gekommen wären, aus unserer sozialen Verantwortung diesen sozial schwachen Gruppen durch staatliche Zuschüsse geholfen.
Drittens. Das Aufkommen aus der Heizölsteuer in Höhe von 800 bis 900 Millionen DM jährlich wird benötigt, um die Energiepolitik in einem wichtigen Teilbereich maßgeblich zu beeinflussen. Deswegen kann der Finanzausschuß das Argument --- er hat es ja zurückgewiesen —, durch die Heizölsteuer würden insbesondere revierferne Gebiete benachteiligt, nicht anerkennen. Ich verweise insoweit auf die Beantwortung der Kleinen Anfrage von CDU/CSU-Abgeordneten im 6. Deutschen Bundestag, Drucksache V1/1629.
Viertens. Ein letztes Argument, meine Damen und Herren. Auch die Steuerharmonisierung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft gebietet die Beibehaltung der Heizölsteuer. Bei einem Auslaufen der Heizölsteuer zum 31. Dezember 1974 würde die Bundesrepublik als einziges wichtiges Industrieland der Europäischen Gemeinschaft auf eine derartige steuerliche Belastung des Heizöls insgesamt verzichten. Deswegen bitte ich darum, das Gesetz über die Verlängerung der Heizölsteuer anzunehmen. Die Angriffe der CDU/CSU im Finanzausschuß dagegen waren nicht nur unseriös, sondern mit ihrem eigenen Verhalten in der Vergangenheit nicht vereinbar.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spilker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag steht heute abend vor der schwierigen Frage, ob er eine Steuer verlängern soll, die nach seinem eigenen Beschluß aus dem Jahre 1971 in wenigen Tagen auslaufen sollte.
Ich spreche von der Heizölsteuer, über die es in der Tat in diesem Hohen Hause seit ihrem Bestehen, bei ihren Änderungen und Verlängerungen verschiedene Meinungen und wechselnde Mehrheiten gegeben hat. Manche von denen, die heute eine Verlängerung der Heizölsteuer um fünf Jahre befürworten, waren bei ihrer Einführung noch gegen sie eingestellt. Andere, die heute der Verlängerung der Heizölsteuer skeptisch gegenüberstehen oder sie gar ablehnen, haben sich 1960 für die Einführung der Heizölsteuer ausgesprochen. Diese Wechselseitigkeit, die für dieses Parlament spricht, mag manche überraschen. Sie korrespondiert mit der unterschiedlichen Beurteilung der energiewirtschaftlichen Situation in der Bundesrepublik. So scheint es nach den Ausführungen von Herrn Dr. Weber auch heute zu sein.
Zunächst darf ich noch einmal auf das Ende der 50er Jahre zurückblicken, in denen es notwendig wurde, die Heizölsteuer als eine Art Schutzsteuer einzuführen. Man wollte und mußte der Steinkohle helfen und wollte darüber hinaus das weitere Vordringen des Heizöls auf dem Markt wenigstens ver-
9402 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Spilker
langsamen. Damals war das Heizöl auf breiter Front im Vormarsch, und die deutsche Steinkohle geriet in eine trostlose Wettbewerbssituation.
Fast 20 Millionen Tonnen Steinkohle waren auf Halden gelagert, von den sozialen Folgeschwierigkeiten ganz zu schweigen.
Damals, meine Damen und Herren, waren wir es zwar nicht gewöhnt, wie heute über gefährdete Arbeitsplätze zu sprechen, da wir in stabilen wirtschaftlichen, sozialen und finanziellen Verhältnissen lebten. In diesem Bereich aber mußte geholfen werden, und daher war der Beschluß dieses Hohen Hauses im Jahre 1960 notwendig und richtig. Man wollte der Kohle helfen und damit den Menschen, die im Revier tätig waren.
So war auch die Zweckbindung des Aufkommens aus der Heizölsteuer zu verstehen, die — 1971 erweitert — die Finanzierung energiewirtschaftlicher Maßnahmen zur Anpassung des Steinkohlebergbaus an die veränderte Lage auf dem Energiemarkt zum Ziele hatte. Damals, 1971, war also eine veränderte Lage Ausgangspunkt für die Heizölsteuer.
Meine Damen und Herren, Herr Dr. Weber meinte eben, wir hätten heute die gleiche Situation. Dieser Meinung sind wir gar nicht. Wir haben nämlich eine ganz andere Situation. Sie ist ohne jeden Zweifel eine völlig andere, wenn auch die Bundesregierung heute in der Begründung zu diesem Gesetzentwurf sagt, die Notwendigkeit, den Konsolidierungsprozeß des deutschen Steinkohlebergbaus auch künftig abzustützen, habe sich durch die neueste Entwicklung auf dem Energiemarkt nicht grundlegend geändert. — Geändert hat sie sich also schon, nur, meine Damen und Herren, nicht grundlegend.
Aus diesem Grunde hat die Bundesregierung dann wohl auch in anderem Zusammenhang, nämlich in ihrem fortgeschriebenen Energieprogramm, gesagt, daß sich die Wettbewerbsrelationen zwischen 01 und den anderen Energieträgern und damit auch der Steinkohle gravierend verschoben haben. Damit korrigiert sich die Bundesregierung selbst und erspart mir und uns hier weitergehende Ausführungen. Es ist nämlich so: Die Steinkohle scheint, wenigstens vom Preis her, gegenüber dem Heizöl wettbewerbsfähig bzw. wenigstens wettbewerbsfähiger zu sein, und die Schutzwirkung — das ist wohl das Entscheidende —, die von der Heizölsteuer ausging und ausgehen sollte, scheint heute nicht mehr notwendig. Das Heizöl oder, besser gesagt, das Öl überhaupt ist nämlich nicht mehr auf dem Vormarsch; auf dem Vormarsch sind die Preise, die wir dafür zu bezahlen haben.
Je mehr diese steigen, desto leiser sollte eigentlich unser Ruf nach der Heizölsteuer sein; denn das 01 ist teuer genug.
Ich darf noch einmal zusammenfassen. Sosehr die Heizölsteuer bei ihrer Einführung und bei ihren Änderungen vor allem wegen ihrer Schutzwirkung
notwendig war, so wenig scheint sie von dieser Seite her gesehen heute geboten zu sein. Wenn Sie, meine Damen und Herren, Geld brauchen, um notwendige Maßnahmen, z. B. auch energiepolitische Maßnahmen, zu finanzieren, so sprechen Sie das klar und deutlich aus, wie Sie, Herr Dr. Böhme, das vorhin schon in einem anderen Zusammenhang getan haben. Dann reden wir aber nicht mehr von unserer alten Heizölsteuer, sondern von einer Fiskalsteuer, deren Notwendigkeit Sie uns allerdings bis zu dieser Stunde nicht deutlich genug nachgewiesen haben.
Übrigens wollte Ihr früherer Bundesfinanzminister Möller eine solche Steuer nicht. Er sagte nämlich bei der Debatte wegen der Verlängerung im Jahre 1971, er möchte ein Zeichen für den Abbau der Heizölsteuer setzen und nicht zulassen, daß sie in ihrem Charakter zu einer Fiskalsteuer umgewandelt werde.
Meine Damen und Herren, noch eine andere Bemerkung: Wir hörten hier eben einiges über das Energieprogramm der Bundesregierung, wir hörten einiges über die Fortschreibung des Energieprogramms. Ich darf das ein bißchen fortsetzen. Wir sprachen vor einer Woche auch über das Verstromungsgesetz und über das Energiesicherungsgesetz. Ich frage Sie: Warum faßt man diese energiepolitischen Fragen nicht einmal zusammen, um eine Konzeption, gemeinsam oder nicht, zu erarbeiten?
Vielleicht können wir dann auch einmal die Gelder errechnen, die notwendig sind, um das, was wir als Konzeption erarbeiten, in die Tat umzusetzen.
Darum geht es uns nämlich, daß wir die Dinge nicht nur bereden, sondern sie dann, wenn wir sie für richtig und notwendig halten, auch realisieren. Das war jedenfalls immer der Standpunkt meiner Fraktion.
Wir sprachen hier z. B. vor kurzem über das Verstromungsgesetz, mit dem doch ebenfalls Geld für energiepolitische Zwecke abgeschöpft werden soll. Wer zahlt denn die Zeche dafür, meine Damen und Herren? Doch der Verbraucher — privat oder industriell —, genau derjenige, der auch bei Verlängerung der Heizölsteuer die Kosten zu tragen hat. Sie machen das vielleicht geschickt, meine Damen und Herren, aber deshalb nicht richtig. Sie machen das nämlich nicht auf einmal, sondern in Stufen oder etwa in Raten. Diese Ratengeschäfte in der Politik liegen Ihnen mehr.
Noch einige Worte zu den Steuern,
deren Aufkommen Sie, meine Damen und Herren
von den Regierungsparteien, benötigen, um Ihren
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9403
Spilker
seit Jahren überzogenen Haushalt zu finanzieren. Sie benötigen das Geld. Ich darf Sie daran erinnern, wie Sie seit 1969 oder etwas vorher mit all Ihren Versprechungen auch auf dem Gebiete der Steuerpolitik durch die Lande gezogen sind, bei direkten und indirekten Steuern; Sie nahmen das nicht so genau.
Meine Damen und Herren, Sie sprechen heute in Ihren Versammlungen, in Ihren Diskussionen — Sie hören das nicht gern, das macht mir aber gar nichts aus —, immer wieder von den Erleichterungen, die die Gesetzgebung auf dem Gebiete der Lohnsteuer und der Einkommensteuer mit Wirkung vom 1. Januar 1975 bringen soll, eine Entlastung im übrigen, meine Damen und Herren, die zum Ausgleich der inflationären Entwicklung längst überfällig war, die wir vorher schon mehrere Male beantragt, die Sie aber abgelehnt hatten. Die Entlastung war überfällig, das lassen Sie sich sagen. Dieser Entlastung stehen zahlreiche Steuererhöhungen gegenüber, worüber Sie natürlich nicht reden, für die Sie aber die Verantwortung tragen. Ich denke an die Branntweinsteuer, die Tabaksteuer, die Mineralölsteuer zweimal. Und jetzt kommen Sie auch noch mit der Heizölsteuer und machen es sich so einfach, als ob auf energiepolitischem Gebiet die Situation heute die gleiche wäre wie 1971 oder gar 1960. So leicht, meine Damen und Herren, ist das nicht.
Meine Damen und Herren, Sie sind Regierungspartei und nehmen für sich die Erleichterungen in Anspruch, die hier auf dem Gebiet der Lohn- und Einkommensteuer — wenn auch zu spät — mit Wirkung vom 1. Januar 1975 beschlossen worden sind. Die Verantwortung für Steuererhöhungen wollen Sie aber nicht allein tragen. Dafür wollen Sie unsere Zustimmung haben. Dazu möchte ich Ihnen zum Schluß dies sagen:
Erstens. Von der Notwendigkeit, der Verlängerung der Heizölsteuer um weitere fünf Jahre haben Sie uns wahrlich nicht überzeugt. Nach unserer Überzeugung ist die Geschäftsgrundlage für die Heizölsteuer weggefallen.
Zweitens. Einer Verlängerung der Heizölsteuer in Form einer, sagen wir, verkappten Fiskalsteuer stimmen wir nicht zu.
Drittens. Wenn Sie neue oder andere Mittel brauchen, um Ihren Haushalt 1975 oder folgende Haushalte finanzieren zu können, dann sprechen Sie das offen aus! Solange aber Ihr zuständiger Minister — damit meine ich den Bundesminister der Finanzen — sagt, daß Steuererhöhungen 1975 nicht in Betracht kämen und nicht geplant seien, meine Damen und Herren, können Sie nicht die Hilfe der Opposition erwarten, um über den Widerspruch zwischen diesen Ankündigungen oder Versprechungen und dem tatsächlichen Verhalten der Bundesregierung z. B. bei der Heizölsteuer den Mantel der Nächstenliebe zu decken. Dafür stehen wir nicht zur Verfügung.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache in der zweiten Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Wer §§ 1, 2 und 3 sowie Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen; ich bitte um die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit den Stimmen der Koalition, gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache der dritten Beratung.
Wir kommen zur Schlußabstimmung über diesen Gesetzentwurf. Wer ihm zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit dem gleichen Verhältnis, also mit den Stimmen der Koalition, gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Meine Damen und Herren, wir müssen noch einmal zu Punkt 7 der Tagesordnung zurückkehren. Wir müssen da über die Ausschußempfehlung auf Seite 3 der Drucksache abstimmen. Es handelt sich um einen Entschließungsantrag mit einem Ersuchen an die Bundesregierung. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — So beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 31. Oktober 1973 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Sozialistischen Republik Rumänien über die steuerliche Behandlung von Straßenfahrzeugen im internationalen Verkehr
— Drucksache 7/2694 —
Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/2816
Berichterstatter: Abgeordneter Schreiber
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wünscht er in der zweiten Beratung noch das Wort? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die zweite Beratung.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer den Art. 1, 2 und 3 sowie Einleitung und Überschrift zustimmt und damit den Gesetzentwurf annimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. April 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über gegenseitige
9404 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Vizepräsident von Hassel
Unterstützung zur Verhinderung, Ermittlung und Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen die Zollvorschriften
- Drucksache 7/2695 —
Bericht und Antrag des Finanzauschusses
— Drucksache 7/2817
Berichterstatter: Abgeordneter Löbbert
Ich danke dem Berichterstatter. Er begehrt das Wort nicht. In der Aussprache zur zweiten Beratung wird das Wort nicht begehrt. Ich schließe sie.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung über Artikel 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift, verbunden mit der Schlußabstimmung. Wer zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. April 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Trinidad und Tobago zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und zur Förderung des internationalen Handels und der internationalen Investitionstätigkeit
— Drucksache 7/2393 —
Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/2824 —
Berichterstatter: Abgeordneter Schinzel
Auch hier danke ich dem Berichterstatter. Er wünscht zur Ergänzung nicht das Wort. In der Aussprache zur zweiten Beratung wird das Wort nicht begehrt. Ich schließe sie.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung, verbunden mit der Schlußabstimmung. Wer Artikel 1, 2, 3, 4, Einleitung und Überschrift zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 18. Dezember 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
— Drucksache 7/2520 —
Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/2825
Berichterstatter: Abgeordneter Schinzel
Ich danke dem Berichterstatter. Das Wort wird von ihm und in der Aussprache zur zweiten Beratung nicht begehrt. Ich schließe die zweite Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung, verbunden mit der Schlußabstimmung. Wer Art. 1, 2, 3, 4, Einleitung und Überschrift zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 30. Mai 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Sambia zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
— Drucksache 7/2395 —
Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/2837 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Kreile
Ich danke dem Berichterstatter. Das Wort wird von niemandem begehrt. Ich schließe die Aussprache in zweiter Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung, verbunden mit der Schlußabstimmung. Wer Art. 1, 2, 3, 4, Einleitung und Überschrift zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zwei Enthaltungen, im übrigen einstimmig so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Juni 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Rumänien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
— Drucksache 7/2515 —
Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/2838
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Kreile
Ich danke dem Berichterstatter. Er wünscht nicht das Wort. Das Wort wird in zweiter Beratung nicht begehrt. Ich schließe sie.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung, verbunden mit der Schlußabstimmung. Wer Art. 1, 2, 3, 4, Einleitung und Überschrift zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9405
Vizepräsident von Hassel
Ich rufe den Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 23. August 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über die gegenseitige Unterstützung ihrer Zollverwaltungen
— Drucksache 7/2114
Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/2883 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Becker
Ich danke dem Berichterstatter. Das Wort wird von ihm nicht begehrt. In der zweiten Beratung wird das Wort ebenfalls nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung, verbunden mit der Schlußabstimmung. Wer Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift zustimmt, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. Ich bitte um
die Gegenprobe. — Enthaltungen? Einstimmig so
beschlossen.
Hier liegt außerdem noch ein Ausschußantrag vor, nämlich Ziffer 2 auf Seite 2 der Drucksache 7/2883. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den rechtlichen Status der Bundeswasserstraße Saar
— Drucksache 7/2692 —
Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache 7/2834 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Schulte
Ich danke den Berichterstattern. Das Wort wird von diesen nicht mehr begehrt.
Ich eröffne die zweite Beratung. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die zweite Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Wer den §§ 1, 2, 3, 4, Einleitung und Überschrift zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Gesetz zu-
zustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben.
— Enthaltungen? — Gegenstimmen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Internationalen Übereinkommen vom 29. November 1969 über die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden und vom 18. Dezember 1971 über die Errichtung eines Internationalen Fonds zur Entschädigung von Ölverschmutzungsschäden
— Drucksache 7/2299 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/2908 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Müller
b) Bericht und Antrag des Rechtsausschusses
— Drucksache 7/2855 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Schwenk
Abgeordneter Dr. Wittmann
Ich danke den Berichterstattern. Diese wünschen nicht das Wort.
Ich eröffne die zweite Beratung. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die zweite Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar in der Fassung des Ausschußantrags, verbunden mit der Schlußabstimmung. Wer den Art. 1, 2, 3, 4 bis 15, Einleitung und Überschrift zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 19 — Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Verwaltungsreform in den Ländern — von der Tagesordnung abgesetzt werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Sie werden sicher einverstanden sein, daß ich die Punkte 20 bis 26 — es handelt sich um die von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwürfe — zusammen aufrufe. Ich rufe die Punkte 20 bis 26 der Tagesordnung auf:
20. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 31. Januar 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung seiner Anwendung
— Drucksache 7/2835 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
9406 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Vizepräsident von Hassel
21. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 31. Januar 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen und die Erleichterung seiner Anwendung
— Drucksache 7/2836
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
22. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. Juli 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen über die gegenseitige Unterstützung in Zollangelegenheiten
— Drucksache 7/2869
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
23. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Zusatzvereinbarungen vom 29. März 1974 zum Abkommen vom 22. Dezember 1966 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik 'Osterreich über Soziale Sicherheit und zu der Vereinbarung zur Durchführung dieses Abkommens
— Drucksache 7/2870 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
24. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes
— Drucksache 7/2874 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
25. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Auflösung, Abwicklung und Löschung von Kolonialgesellschaf ten
— Drucksache 7/2885
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß
26. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 12. Juni 1973 über Flüchtlingsseeleute
— Drucksache 7/2897 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Das Wort wird dazu nicht gewünscht. Die Überweisungsvorschläge bitte ich aus der Tagesordnung, die Ihnen vorliegt, zu entnehmen. Ist das Haus mit den vom Ältestenrat vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich teile Ihnen mit, daß zur Zeit für die weiteren Tagesordnungspunkte sieben Wortmeldungen vorliegen, und rufe den Punkt 27 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes
— Drucksache 7/2873
Überwcisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Das Wort zur Einbringung hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Dr. Schmude.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung verfolgt mit dem vorliegenden Gesetzesvorhaben zwei Ziele: Erstens die Klärung von Rechtsfragen, die sich bei der Auslegung und Anwendung des Bundeswahlgesetzes ergeben haben, und zweitens die Aktualisierung der Wahlkreiseinteilung für die Wahl zum Achten Deutschen Bundestag.
Im ersten Teil des Entwurfs schlägt die Bundesregierung die Änderung einer Reihe von Vorschriften des Bundeswahlgesetzes vor, die Kritik gefunden und bei deren Anwendung in der Praxis sich Schwierigkeiten ergeben haben. Entsprechend der Entschließung des Deutschen Bundestags vom 22. Mai 1974 hat die Bundesregierung allerdings davon abgesehen, in den Gesetzentwurf einen Vor- I schlag zur Ausdehnung des Wahlrechts zum Bundestag auf außerhalb der Bundesrepublik Deutschland lebende Deutsche aufzunehmen. Im zweiten Teil des Gesetzentwurfs schlägt die Bundesregierung eine Aktualisierung und Fortschreibung der seit 1964 im wesentlichen unverändert gebliebenen Wahlkreiseinteilung für die Wahl zum 8. Deutschen Bundestag vor.
Erhebliche Schwierigkeiten bei der Erarbeitung dieser Vorschläge haben dazu geführt, daß der Gesetzentwurf nicht dem Wunsch des Bundestages entsprechend bereits zum 1. September 1974 vorgelegt werden konnte und daß er insoweit unvollständig ist, als sein Vorschlag für eine Wahlkreiseinteilung in Nordrhein-Westfalen noch fehlt.
Die Bundesregierung hat sorgfältig alle Konsequenzen und möglichen Alternativen geprüft, die sich aus der Bevölkerungsentwicklung und aus den abgeschlossenen oder noch betriebenen Gebietsoder Verwaltungsreformen für die Wahlkreiseinteilung ergeben. Dabei konnte die Bundesregierung zum großen Teil auf die wertvollen Vorarbeiten der zu Beginn dieser Legislaturperiode eingesetzten Wahlkreiskommission zurückgreifen.
Zwar ist die Bundesregierung in Übereinstimmung mit der erwähnten Entschließung dieses Hauses nicht dem Vorschlag der Kommission zur teil' weisen Neuverteilung der Wahlkreise zwischen den Ländern gefolgt. Ich möchte es an dieser Stelle dennoch nicht versäumen, den Mitgliedern der Wahl-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9407
Parl. Staatssekretär Dr. Schmude
kreiskommission im Namen der Bundesregierung für die geleistete Arbeit zu danken. Ich glaube, daß die Tätigkeit dieser aus unabhängigen und namhaften Sachkennern zusammengesetzten Kommission viel zur Objektivierung und Klärung der mit jeder Wahlkreiseinteilung verbundenen Fragen beigetragen hat und auch in Zukunft beitragen wird.
Im Interesse der Objektivität und Parteienneutralität hat die Bundesregierung großen Wert darauf gelegt, bereits für ihre Vorschläge nach Möglichkeit die Zustimmung aller im Deutschen Bundestag vertretenen politischen Parteien zu erreichen. Bei der Erarbeitung der Vorschläge zur Wahlkreiseinteilung sind deshalb entsprechend der Empfehlung des Innenausschusses des Bundestages die politischen Parteien auf Landesebene durch die jeweilige Landesregierung beteiligt worden.
In Übereinstimmung mit der Entschließung des Bundestages vom 22. Mai hat die Bundesregierung keine Vorschläge für eine Neuverteilung der 248 Wahlkreise zwischen den Ländern unterbreitet. Maßgebend für diese Entscheidung der Bundesregierung war, daß Verschiebungen von Wahlkreisen von einem Land zum anderen tiefgreifende Änderungen mit sich bringen, die erst vorgenommen weden sollten, wenn die Gebietsreformen in allen Ländern auf kommunaler Ebene und auf Kreisebenen zum Abschluß gelangt sind. Im Interesse einer dauerhaften Lösung, die dann über mehrere Wahlperioden hinaus Bestand haben kann, sollte die Frage der Umverteilung der Wahlkreise erst zur Wahl zum 9. Deutschen Bundestag endgültig entschieden werden.
Zu den Neuabgrenzungsvorschlägen im einzelnen ist auf folgendes kurz hinzuweisen. Alle Wahlkreise halten sich hinsichtlich ihres Bevölkerungsumfangs innerhalb der verfassungsrechtlich zulässigen Toleranzgrenze, die besagt, daß die Abweichung von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise nicht mehr als 331/3 % nach oben oder unten betragen darf. Die Wahlkreise sind soweit wie möglich an die neugeschaffenen Gebiets- und Verwaltungseinheiten angepaßt und die Beschreibungen sowie Bezeichnungen der Wahlkreise sind aktualisiert worden.
Die im Entwurf vorgeschlagene Wahlkreiseinteilung für die Länder Bayern, Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein sind vom Konsens der parlamentarisch vertretenen politischen Parteien auf Landesebene getragen. In den Ländern Baden-Würtemberg, Hamburg und Hessen hat sich eine Übereinstimmung zwischen den politischen Parteien über die Fortschreibung der Wahlkreiseinteilung nicht erzielen lassen. Hier hat es die Bundesregierung im Gesetzentwurf bei dem bisherigen Zustand belassen, sofern keine Überoder Unterschreitung der Toleranzgrenze von 331/3% vorlag.
In diesen Ländern wurden die Wahlkreise lediglich neu beschrieben und dabei Gemeindedurchschneidungen vermieden, die sonst infolge der Gebiets- oder Verwaltungsreformmaßnahmen eingetreten wären. Es werden insoweit also nur solche Änderungen vorgeschlagen, die aus rechtlichen und verwaltungsorganisatorischen Gründen unumgänglich sind.
Für Nordrhein-Westfalen hat die Bundesregierung in Übereinstimmung mit der Auffassung des Innenausschusses wegen der Sondersituation in diesem Lande — die Gebiets- und Verwaltungsreform ist hier erst vor kurzem zum Abschluß gekommen — von einem eigenen Neuabgrenzungsvorschlag abgesehen. Ein entsprechender Vorschlag wird während der parlamentarischen Beratungen des Gesetzentwurfs nachgeschoben werden.
Meine Damen und Herren, wir alle schätzen die Bedeutung des Wahlrechts für die Demokratie hoch ein. Ich bitte Sie um Ihre Mitarbeit bei der Fortschreibung dieses Rechts und die Unterstützung für eine zügige Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfs. Und zu dieser Stunde möchte ich noch sagen: Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
Sie haben die Begründung zur Einbringung gehört. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Bundeswahlgesetzes verfolgt das Ziel, die gegenwärtige Wahlkreiseinteilung für die nächste Bundestagswahl anzupassen: erstens an die inzwischen erfolgte Bevölkerungsentwicklung und zweitens an den neuesten Stand der Gebiets- und Verwaltungsreform. So heißt es jedenfalls in der Begründung und auf dem Vorblatt unter dem Stichwort „Lösung". Außerdem sollen Unklarheiten und Schwierigkeiten, die sich bei einzelnen Vorschriften ergeben haben, ausgeräumt werden. Leider wird der Entwurf der Bundesregierung diesen selbstgesteckten Zielen und den sachlichen Notwendigkeiten nur unzureichend gerecht. Erhebliche Verbesserungen und Ergänzungen sind deshalb geboten.
In Art. 1 Nr. 1 des Entwurfs wird klargestellt, daß die Wahlkreiskommission über Änderungen des Bevölkerungsstandes zu berichten und gegebenenfalls im Hinblick auf Änderungen der Bevölkerungszahlen Vorschläge zur Wahlkreiseinteilung zu machen hat. Genau das hat die Wahlkreiskommission in ihrem Bericht für die 7. Wahlperiode des Deutschen Bundestages in der Drucksache 7/1379 getan und auf Grund der Zahlen für die deutsche Bevölkerung am 1. Januar 1973 die Verschiebung von insgesamt drei Wahlkreisen zwischen fünf Ländern vorgeschlagen. Leider aber lehnten die Koalitionsfraktionen bei den bisherigen Beratungen einen entsprechenden Antrag der CDU/CSU ab.
Nun bemüht sich die Bundesregierung, auf Seite 42 in der Begründung des vorliegenden Entwurfs mit vielen Worten darzustellen, warum entgegen dem Vorschlag der Wahlkreiskommission an der Verteilung der Wahlkreise unter den Ländern keine Änderung vorgenommen wird. Wir sind von der Richtigkeit der zu diesem Punkt in der Bundes-
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Berger
tagsdrucksache 7/2873 niedergeschriebenen Überlegungen nicht überzeugt, werden aber bei der Beratung des vorliegenden Entwurfs von dem Ergebnis der hier am 22. Mai dieses Jahres erfolgten Abstimmung ausgehen, obwohl es im neuen Text zu § 3 des Bundeswahlgesetzes heißen soll: „Die Zahl der Wahlkreise in den einzelnen Ländern soll dem Bevölkerungsanteil so weit wie möglich entsprechen."
Ich fand es übrigens recht eindrucksvoll, daß mein Vorredner, Herr Staatssekretär Schmude, als Vertreter der Bundesregierung der Wahlkreiskommission, wenn er schon ihren Vorschlägen nicht folgen wollte, zumindest den Dank für ihre Arbeit aussprach.
Mehr Sorgen macht uns aber, daß das andere Ziel, die gegenwärtige Wahlkreiseinteilung an den neuesten Stand der Gebiets- und Verwaltungsreform anzupassen, in einigen Ländern voraussichtlich nicht erreicht wird. Zwar heißt es in der Begründung auf Seite 43, der Entwurf berücksichtige grundsätzlich — aber eben nur grundsätzlich — die bis zum 1. Juli 1974 verabschiedeten und in Kraft getretenen gesetzliche Regelungen der Gebiets- und Verwaltungsreform in den Ländern; es wird aber auch mit Recht darauf hingewiesen, daß wir alle hier in diesem Hause bisher den Standpunkt vertreten haben, daß jede Änderung der Wahlkreiseinteilung im Interesse der Objektivität und Parteineutralität von allen berührten, d. h. in den Landtagen oder hier im Bundestag parlamentarisch vertretenen Parteien getragen sein sollte.
Leider hat sich ein Konsens der politischen Parteien hinsichtlich der Wahlkreiseinteilung in den Ländern Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen bisher nicht oder nicht in vollem Umfange erreichen lassen. Auch in Nordrhein-Westfalen ist die Hoffnung auf einen einheitlich vertretenen Neuvorschlag leider nur noch sehr gering.
Für Baden-Württemberg hat der Bundesrat abweichende Vorschläge vorgelegt, weil die im Regierungsentwurf vorgesehene Wahlkreiseinteilung die durch die Kreisreform eingetretenen einschneidenden Änderungen der Verwaltungsgliederung des Landes nicht berücksichtige und ohne sachliche Gründe gegen Grundsätze des Wahlgesetzes verstoße. — Meine politischen Freunde und ich messen der Stellungnahme des Bundesrates große Bedeutung bei und appellieren daher nachdrücklich an die politischen Parteien, sich in allen Fällen, in denen bisher ein Konsens nicht erreicht werden konnte, weiterhin um eine einvernehmliche Lösung entsprechend den von uns allen getragenen Grundsätzen des Bundeswahlgesetzes zu bemühen.
Einer Feststellung in der vorliegenden Bundestagsdrucksache auf Seite 44 — möchte ich voll zustimmen, nämlich: „Ohne eine Anpassung der Wahlkreisgrenzen an die geänderten Gemeindegrenzen wäre die ordnungsmäßige Vorbereitung und Durchführung der nächsten Bundestagswahl in großen Teilen des Wahlgebietes gefährdet oder zumindest erschwert." Ich möchte noch hinzufügen: Eine Verschiebung der notwendigen Anpassung von Wahlkreisgrenzen um vier Jahre wäre eine völlig unnötige und unverständliche Erschwernis der politischen Vertretung für die betroffenen Bürger und Abgeordneten.
Ich möchte nun einen anderen wichtigen Punkt kurz ansprechen und darauf hinweisen, daß wir bei der Beratung des vorliegenden Entwurfs in den Ausschüssen den Antrag der Abgeordneten Dr. Stark, Vogel, Berger, Dr. Miltner und Fraktion der CDU/CSU betreffend Sicherstellung korrekter Wahlergebnisse — Drucksache 7/2435 — in unsere Überlegung einbeziehen werden. Die auffällige Häufung von Zähl-, Rechen- und ähnlichen Auswertungsfehlern bei den Landtags- und Kommunalwahlen in Niedersachsen hat in bestürzender Weise Fehlerquellen aufgezeigt, die ähnlich auch bei der Bundestagswahl wirksam werden können.
Das zwingt zur Überprüfung der Wahlvorschriften nicht nur für die Landtags- und Kommunalvertretungen, sondern auch für den Bundestag.
Das elementare demokratische Bürgerrecht auf Wahl steht und fällt mit der absolut korrekten Ermittlung der Wahlergebnisse. Jeder einzelne Bürger muß bei Bundestags-, Landtags- und Gemeindewahlen die jederzeit nachprüfbare Gewißheit haben können, daß seine Stimme mit vollem Gewicht mitzählt.
Schließlich möchte ich darauf hinweisen, daß eine andere wichtige Frage in dem vorliegenden Entwurf nicht gelöst ist. Ich meine das Wahlrecht der im Ausland lebenden Deutschen. Der Deutsche Bundestag hat mit der Entschließung vom 9. Juni 1972 — Drucksache VI/3482 — die Bundesregierung ersucht, den gesetzgebenden Körperschaften eine befriedigende Lösung zur Ausweitung des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag auf nicht im Wahlgebiet wohnende Deutsche zu unterbreiten. Der Bundesminister des Innern hat darauf zwei Lösungsvorschläge vorgelegt, von denen die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion das Kombinationsmodell für das bessere hält, weil es nach unserer Auffassung die bisherigen Schwierigkeiten bei der Bestimmung des wahlberechtigen Personenkreises in befriedigender Weise ausräumt.
Danach soll nämlich das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag auf Deutsche im Ausland ausgedehnt werden, die entweder in den europäischen Gebieten der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft leben oder seit nicht mehr als fünf Jahren in einem Nichtmitgliedstaat oder in außereuropäischen Gebieten der Europäischen Gemeinschaft leben und in beiden Fällen unmittelbar vor ihrem Wegzug mindestens drei Monate im Geltungsbereich des Bundeswahlgesetzes gewohnt oder sich gewöhnlich aufgehalten haben.
Bei den Beratungen im Innenausschuß werden wir
diese Vorschläge wiederholen, weil wir der Auf-
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fassung sind, daß der Verwirklichung des einmütigen Bundestagsbeschlusses vom 9. Juni 1972 nichts mehr im Wege steht.
Wir stimmen der Ausschußüberweisung zu und hoffen, in den Ausschußberatungen die Gelegenheit zur gemeinsamen Bemühung um die notwendigen Verbesserungen und Ergänzungen zu finden.
Das Wort hat der Abgeordnete Wittmann .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe im Auftrag der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zu der vorliegenden Gesetzesvorlage eine Erklärung abzugeben. Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes wurde uns noch rechtzeitig vorgelegt, und ich darf der Bundesregierung dafür danken.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich daran erinnern, daß sich der Bundestag in seiner 103. Sitzung am 22. Mai 1974 mit dem Bericht der Wahlkreiskommission für die 7. Wahlperiode befaßt hat. Dabei wurde sehr eingehend das Für und Wider einer Wahlkreisumverteilung auf die einzelnen Länder diskutiert. Der Bundestag hat damals fast einmütig den Entschließungsantrag des Innenausschusses gebilligt, von einer Umverteilung zum gegenwärtigen Zeitpunkt abzusehen. Herr Kollege Berger, ich bin sehr verwundert, daß Sie so tun, als wenn die Opposition da etwas anderes wollte. Lesen Sie das Protokoll nach! Dann werden Sie feststellen, daß Ihre Kollegen mitgestimmt haben. Auch konnte Übereinstimmung darüber erzielt werden, das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag nicht über den Kreis der bisher Wahlberechtigten auszudehnen. Hier ging es insbesondere darum, das Wahlrecht der im Ausland lebenden Deutschen auszuweiten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Berger?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Erinnern Sie sich denn nicht, Herr Kollege Wittmann, daß hier im Plenum des Bundestages die Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU in dem Punkt, den Sie soeben anschnitten, und auch in der Frage des Wahlrechts für Deutsche im Ausland mit Mehrheit abgelehnt worden sind?
Herr Kollege Berger, ich unterscheide dabei die Schlußabstimmung über die Vorlage und die Entschließung, die der Bundestag zu dem Kommissionsbericht gefaßt hat. In der Entschließung steht deutlich, daß wir von einer Umverteilung Abstand nehmen, und da gab es nur ganz wenige Gegenstimmen.
Die SPD-Fraktion begrüßt es, daß die Bundesregierung in dem Entwurf zahlreiche Vorschriften des Bundeswahlgesetzes neu formuliert hat, die bisher
in der Praxis bei Anwendung des Gesetzes kritisiert wurden. Damit werden aufgetretene Schwierigkeiten und Unklarheiten bereinigt.
Der neugefaßte § 3 mit den Grundsätzen der Wahlkreisneueinteilung findet unsere volle Zustimmung. Danach müssen Ländergrenzen eingehalten werden. Die Bevölkerungszahl eines Wahlkreises soll von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise nicht um mehr als 25 v. H. nach oben und unten abweichen. Beträgt die Abweichung mehr als 331/3 v. H., ist eine Neuabgrenzung vorzunehmen; so lautet das Verfassungsgebot. Die Zahl der Wahlkreise in den einzelnen Ländern soll deren Bevölkerungsanteil so weit wie möglich entsprechen. Die Wahlkreise sollen ein zusammenhängendes Gebiet bilden. Die Grenzen der Gemeinden, Kreise und kreisfreien Städte sollen nach Möglichkeit eingehalten werden. Dabei ist der Gebietsstand in den Ländern vom 1. Juli 1974 zugrunde zu legen, d. h. die Gebiets- und Verwaltungsreform soll berücksichtigt werden. Für die Wahlkreisneueinteilung sollte in den einzelnen Bundesländern das Einvernehmen zwischen den politischen Parteien hergestellt werden. Leider ist das nicht in allen Ländern gelungen. Ich hoffe, daß das im Laufe der parlamentrischen Beratungen im Interesse der Objektivität und der Parteineutralität noch erreicht werden kann.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hält die Beratung und rasche Verabschiedung des Gesetzentwurfs Drucksache 7/2873 für dringend notwendig. Sie bittet um Überweisung an den Innenausschuß — federführend — und an den Haushaltsausschuß und an den Rechtsausschuß zur Mitberatung.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Wahlgesetz stammt aus dem Jahre 1956. Es wird nun zum neunten Mal geändert. Das ist immerhin eine ganz bemerkenswerte Zahl bei einem Gesetz, bei dem wir uns an sich alle darin einig sind, daß man gerade auf diesem Gebiet Änderungen nur sehr vorsichtig und sehr zurückhaltend betreiben sollte, daß gerade auf diesem Gebiet eine Kontinuität besonders wichtig ist. Das sollte uns dazu führen, die Frage, ob eine Änderung notwendig ist, auch mit der gebührenden Vorsicht und Zurückhaltung zu bewerten.
In dem ersten Teil des Gesetzes ist eine ganze Reihe mehr technischer Regelungen enthalten, die aber wichtig sind: die Präzisierung der Aufgaben der Wahlkreiskommission — darauf ist Herr Kollege Berger schon eingegangen —, die Regelung für Listenverbindungen, die nähere Umschreibung des aktiven Wahlrechts im Zusammenhang mit der Wohnsitznahme, die engere Fassung von Gründen des Ausschlusses vom Wahlrecht, exakte Regelungen für die Aufstellung von Kandidaten und dergleichen mehr.
Die Frage des Auslandswahlrechts, die der Kollege Berger angesprochen hat, haben wir schon in der Debatte aus Anlaß der Entschließung vom 22.
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Dr. Hirsch
Mai 1974 eingehend behandelt. Ich glaube, daß dabei deutlich geworden ist, Herr Berger, daß das Wahlrecht für Deutsche im Ausland hier keinesfalls im Prinzip abgelehnt wird, sondern daß es in diesem Hause Überlegungen in der Richtung gibt, ob man die Regelung des Wahlrechtes für Deutsche im Ausland als einen Ansatzpunkt benutzen kann, ein Wahlrecht für alle Europäer zu finden, die in Europa, aber nicht in ihrem eigenen Land leben. Man sollte der Frage, ob dieser Gedanke zu verwirklichen ist — ich persönlich stehe diesem Gedanken skeptisch gegenüber —, einmal nachgehen. Um dieses Gedankens willen kann man sicherlich auch eine Verschiebung der Frage, in welchem Umfang Deutschen im Ausland das Wahlrecht gegeben werden kann, in Kauf nehmen. Diese Frage haben wir in der Debatte aus Anlaß der Entschließung vom 22. Mai 1974 ausgiebig behandelt und erörtert. Es ist einfach falsch, wenn der Eindruck erweckt wird, als ob Sie und Ihre Fraktion die einzigen Vorkämpfer für die Ausdehnung des Wahlrechts auf Deutsche im Ausland seien. Das ist einfach nicht richtig.
Über die Frage der Wahlkreiseinteilung, die Frage der Verschiebung von Wahlkreisen zwischen den Ländern haben wir hier auch eingehend gesprochen. Wir haben hier dargelegt, warum es richtig ist, diese Einteilung jetzt noch nicht vorzunehmen: weil sich nämlich aus den Zahlen deutlich ergibt, daß die Bevölkerungsverschiebung noch nicht abgeschlossen ist, auch nach dem Gutachten der Wahlkreiskommission, das ja zu einer weiteren Verschiebung von Wahlkreisen führen müßte, nämlich zur Verschiebung eines Wahlkreises von Rheinland-Pfalz nach Hessen. Wir meinen, daß wir gerade wegen der Kontinuität, die für ein Wahlgesetz notwendig ist, abwarten müssen, ob dieser Trend, wie er sich in den Zahlen zeigt, anhält. Selbst wenn rechnerisch eine Verschiebung möglich oder geboten wäre — verfassungsrechtlich ist sie jedenfalls nicht zwingend. Der Gedanke der Kontinuität ist gerade auf diesem Gebiet außerordentlich wichtig.
Ich hoffe, daß in diesem Hause Einmütigkeit darüber besteht, daß das oberste Gebot im Hinblick auf den Zuschnitt der Grenzen der Wahlkreise der Gedanke ist, daß Änderungen des Status quo nur einmütig von allen hier vertretenen Parteien beschlossen werden sollten. Meine Damen und Herren, wollte man von diesem Grundsatz abgehen, werden wir bald in einen Zustand geraten, in dem dann von den verschiedensten Seiten versucht wird, sich über Mehrheitsentscheidungen die Wahlkreise so zurechtzuschneiden, wie sie nützlich sind. Das wäre ein Vorgang, der der schlechteste von allen denkbaren auf diesem Gebiet wäre. Der oberste Grundsatz muß also sein, daß Veränderungen des Status quo nur einmütig erfolgen sollten, auch dann, wenn die eine oder andere gegenwärtige Regelung lästig ist. Wir sehen den Ausschußberatungen und insbesondere den Anträgen, die der Kollege Berger nun erneut angekündigt hat, mit gedämpftem Interesse entgegen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Überweisungsvorschlag ist Ihnen bekannt. — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 28 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Neufassung des Verwarnungsgeldkataloges
— Drucksache 7/2755 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
Rechtsausschuß
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Dreyer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betreffend Neufassung des Verwarnungsgeldkatalogs begründe ich namens meiner Fraktion wie folgt.
Erstens. Die Ankündigung einer drastischen Erhöhung der Verwarnungsgelder um teilweise 300 % hat eine breite öffentliche Diskussion ausgelöst, die insgesamt wenig Verständnis für diese Maßnahme erkennen ließ. Vielleicht war es deshalb gar nicht einmal erstaunlich, daß sich weder der Bundesverkehrsminister noch die Länder bereit zeigten, für diese geplante Maßnahme die Verantwortung zu übernehmen. Während sich der Bundesverkehrsminister von dieser Maßnahme immer wieder distanziert bzw. distanzieren will, weisen die Bundesländer ihrerseits die Verantwortung zurück. Man denke an die Erklärung des Bremer Verkehrssenators und Vorsitzenden der Verkehrsministerkonferenz, Herrn Brinkmann. Richtig ist doch wohl, daß hier von den zuständigen Referenten des Bundesministers für Verkehr, gemeinsam mit den zuständigen Länder-Referenten, der Entwurf einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu Papier gebracht worden ist. Deshalb kann sich auch der Bundesminister für Verkehr nicht auf Kosten der Länder aus der Verantwortung herauswinden,
schon deshalb nicht, meine Damen und Herren, weil er in seinem Hause zu dieser Maßnahme selbst eine Anhörung veranstaltet hat.
Die Tatsache, daß gegenwärtig niemand der Urheber dieser geplanten Erhöhung der Verwarnungsgelder sein will, spricht allein schon für die Notwendigkeit des CDU/CSU-Antrages.
Zweitens. Die Arbeiten an einer möglichst umfassenden politischen Strategie zur Verbesserung der Verkehrssicherheit sind in vollem Gange. Die Bundesregierung ist dabei, bis Ende dieses Jahres das vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat erarbeitete Verkehrsicherheitsprogramm auf Antrag der CDU/
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Dreyer
CSU in einem politisch relevanten Maßnahmen-ZeitKatalog zu formen.
In der Grundtendenz dieses Programms kommt es darauf an, den Verkehrsteilnehmer durch ein ganzes Bündel aufeinander abgestimmter Maßnahmen zu einem besseren Verkehrsverhalten zu bewegen. Der positiven Beeinflussung des Verkehrsteilnehmers wird dabei der Vorzug vor Strafen und Strafdrohungen gegeben. Wenn sich der deutsche Bundestag mit einer derartig konzipierten Verkehrssicherheitsstrategie immer wieder auseinanderzusetzen hat, kann eine Maßnahme wie die jetzt geplante drastische Erhöhung der Verwarnungsgebühren für Verkehrsordnungswidrigkeiten nicht am Parlament vorbei entschieden werden.
Es ist nach Auffassung der CDU/CSU eine ganz wichtige Frage, ob angesichts einer Entwicklung, die auf ein besseres Verkehrsverhalten der Autofahrer auf unseren Straßen hindeutet, der mit der geplanten Erhöhung der Verwarnungsgelder vorbereitete Griff des Staates in das Portemonnaie der Autofahrer der richtige Weg ist, um dessen Verkehrsverhalten noch weiter zu verbessern.
Als Beispiel erwähne ich nur folgende wenige Positionen. Einen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung stellt beispielsweise das Nichtbeachten der Verkehrsverbote nach Zeichen 241, 250, 251 oder nach Zeichen 253 dar. Hier soll das Verwarnungsgeld von 10 DM auf 40 DM erhöht werden.
Das Verwarnungsgeld für das Führen einer unzulässigen Schallzeichenvorrichtung soll von 5 DM auf 20 DM erhöht, und für ein hinten am Fahrzeug befindliches mangelhaftes Kennzeichen sollen in Zukunft statt bisher 10 DM 20 DM gezahlt werden.
— Wir müssen mal abwarten, Herr Wehner, ich habe noch keine Ahnung.
Hier gilt es, die einzelnen Positionen des Verwarnungsgeldkatalogs unter diesem Aspekt genau zu prüfen. Wir wollen mit diesem Antrag sicherstellen, daß darüber im Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages beraten wird. Es geht unseres Erachtens nicht an, daß ein ganzer Schwarm interessierter Verbände in das Bundesverkehrsminiserium geladen wird, um zu dem neuen Verwarnungsgeldkatalog Stellung zu beziehen, während andererseits das Parlament in dieser Frage völlig übergangen wird.
Drittens. Die Berechtigung der Forderung im vorliegenden Antrag der CDU/CSU, die inflationär motivierten Erhöhungen der Verwarnungsgelder in jedem Fall auszuschalten, dürfte inzwischen bereits bestätigt sein; denn die im ursprünglichen Referentenentwurf vorgesehenen Erhöhungen der Verwarnungsgelder sind mittlerweile in vielen Positionen deutlich reduziert worden. Wir werten dies jedenfalls als einen guten Erfolg unserer Initiative. Aber gerade diese Kosmetik im Zweiten Anlauf ist auch ein Hinweis dafür, daß der Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages die Neufassung des Verwarnungsgeldkatalogs noch einmal gründlich unter die Lupe nehmen sollte.
Ich darf Sie bitten, meine Damen und Herren, dem Überweisungsvorschlag des Ältestenrates Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die FDP-Fraktion begrüße ich es, daß uns die Opposition an dieser Stelle, wenn auch zu dieser späten Nachtstunde, Gelegenheit gibt, zu dem in der Öffentlichkeit tatsächlich sehr heiß diskutierten Thema Verwarnungsgeld Stellung zu nehmen. Das gibt uns nämlich die Chance, Herr Dreyer, einiges von dem grundsätzlich richtigzustellen, was in der öffentlichen Betrachtung und was auch von Ihnen heute abend hier ins falsche Licht geraten ist.
Zunächst ist grundsätzlich festzustellen, daß die vorgesehene Neufassung des Verwarnungsgeldkatalogs nicht auf die Initiative des Bundes zurückgeht, sondern in der Tat einer Forderung der Länder entspricht, deren zuständige Referenten auf Grund der polizeilichen Erfahrungen, die sie jahrelang gemacht haben, eine neue Bewertung einiger Verstöße verlangen, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Damit, Herr Dreyer, ist Ihr Zweifel an der Urheberschaftsfrage tatsächlich schon geklärt. Deshalb darf auch die Bundesregierung von Ihnen nicht in die Rolle des Prügelknaben für eine Sache gedrängt werden, für die sie nach der gesetzlichen Zuständigkeit nur verordnend tätig wird, die aber inhaltlich in Wirklichkeit letztlich von den Bundesländern, also im Bundesrat, entschieden wird.
Wir halten es deshalb geradezu für pharisäisch, wenn die Opposition in der Begründung zu ihrem Antrag, mit dem sie eine Überarbeitung des ursprünglichen Entwurfs verlangt, schlichtweg erklärt, allein die Bundesregierung wolle die Verwarnungsgelder, die übrigens pro zugelassenes Auto im Schnitt jährlich 2 bis 3 DM ausmachen — um das auch einmal deutlich zu machen . auf breiter Front drastisch erhöhen. Bei etwas mehr Redlichkeit, meine Damen und Herren von der Opposition, müßte dann auch verdeutlicht werden, daß der Ertrag aus den Verwarnungsgeldern nicht mit einer einzigen Mark in die Taschen des Bundes fließt.
Nun aber zum Antrag im einzelnen. Sie fordern, daß der ursprüngliche, von den Referenten der Länder und des Bundesverkehrsministeriums abgestimmte Verwarnungsgeldkatalog zurückgezogen
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und eine neue Fassung vorgelegt wird. Das, meine Damen und Herren, ist geschehen, nachdem sich, nicht wegen irgendwelcher kosmetischer
Operationen, sondern auf Grund von Anhörungen der Verbände und auch weiterer Bund-Länder-Abstimmungen — die letzten haben ja erst vorgestern stattgefunden —, eine ganze Reihe von Änderungen als zweckdienlich herausgestellt haben. Es sollte deshalb hier auch nicht der falsche Eindruck erweckt werden, als hätte der Entwurf bereits die Billigung des zuständigen Ministers oder die vorlagereife Fassung für den Bundesrat gehabt.
Sie verdrehen schlechterdings die Tatsachen, wenn Sie den von Ihnen mehrheitlich geführten Ländern unterstellen, daß durch die Erhöhung bei 24 der bisher rund 60 Verwaltungsgeldkategorien nur mehr Geld in die Kassen geschaufelt werden soll. Tatsächlich geht es doch darum, diejenigen Verkehrsteilnehmer empfindlicher zu treffen, die trotz umfassendster Erziehungs- und Aufklärungsmaßnahmen zu besseren Verhaltensweisen im Straßenverkehr nicht zu bewegen sind. Vor allem sollen höhere Verwarnungsgelder ausgesprochen werden, wenn ein wirklich gefahrenträchtiges, ein erheblich behinderndes oder umweltbeeinträchtigendes Verhalten vorliegt, das nach den polizeilichen Erfahrungen, ganz besonders im Verhältnis zu anderen Übertretungen, bisher zu gering abgetan wurde. Dort, wo diese Merkmale nicht vorliegen — und das sind insgesamt immerhin 36 Positionen —, behält der neue Entwurf deshalb auch die bisherigen Verwarnungsgelder bei, so z. B. bei verbotenem Parken auf Gehwegen ohne Verkehrsbehinderung, bei Überschreiten der Parkzeiten, bei Nichtmitführen von Ausweispapieren, ja selbst beim Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeiten im Bereich bis zu 20 km/h oder gar beim Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot, wo nach Ansicht meiner Fraktion sogar eine Veränderung des gleichbleibenden Verwarnungsgeldes in Höhe von 20 DM sicher noch einmal diskussionswürdig wäre. Aber das gilt aus meiner Sicht z. B. auch für das Blockieren einer Straßenbahn durch falsch geparkte Autos, das mit 10 DM nur halb so hoch bewertet wird wie das behindernde Parken auf einem Gehweg.
Mit Recht — und nicht inflationistisch, sondern ganz sachlich begründet — sieht der Entwurf demgegenüber spürbare Erhöhungen des Verwarnungsgeldes von z. B. 10 auf 40 DM vor, wenn ein Lkw verbotswidrig in eine Fußgängerzone einfährt oder wenn das Halteverbot auf Autobahnen mißachtet wird. Ähnliches gilt beispielsweise für das Nichtbeachten des Stopp-Zeichens oder fehlende oder mangelhafte Warneinrichtungen zur Sicherung liegengebliebener Fahrzeuge, was jetzt nach dem Entwurf mit 20 DM statt vorher 10 DM geahndet werden soll. Ebenso muß es als sachlich notwendig
erachtet werden, wenn z. B. künftig bei mutwilligem oder unnötigem Motorenlärm in einem Wohngebiet 20 DM statt bisher 10 DM erhoben werden.
Von einer „inflationären Aufblähung" — wie es in der Begründung heißt — des Verwarnungsgeldkatalogs kann sicher auch dann nicht gesprochen werden, wenn jetzt zehn Verkehrsübertretungen neu in den Katalog aufgenommen worden sind.
Und um allen Mißverständnissen oder unsachlichen wie polemischen Äußerungen hierzu — wie etwa in der Bild-Zeitung vom 5. 12. 1974 — vorzubeugen, muß mit Nachdruck betont werden, daß man künftig nun nicht etwa für etwas bestraft werden soll, was bisher straffrei war. Denn alle diese Verkehrsübertretungen wie z. B. das in der BildZeitung im Foto so hübsch dargestellte Fehlen von Erste-Hilfe-Material waren ja auch bisher nach den einschlägigen Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung oder der Straßenverkehrs-Zulassungsordnung als Ordnungswidrigkeiten erfaßt. Durch die Hineinnahme der in Frage stehenden Ordnungswidrigkeiten in den Verwarnungsgeldkatalog soll jetzt lediglich der Zustand geändert werden, daß die Festsetzung der Verwarnungsgeldhöhe in das freie Ermessen z. B. eines Polizisten gestellt ist. Durch die Einfügung dieser zehn Übertretungen in den Katalog wird erreicht, daß für diese Ordnungswidrigkeiten bundeseinheitlich ein im vorhinein genau festgelegtes Verwarnungsgeld erhoben wird.
Es muß auch einmal darauf hingewiesen werden, daß das bisherige Ermessen ja oft ein höheres Verwarnungsgeld nach sich zog, als es jetzt nach Aufnahme in den Katalog einheitlich festgeschrieben werden soll. Dazu zählt, daß z. B. Verkehrsteilnehmer, die Einsatzfahrzeuge im Einsatz behindern, künftig 40 DM bezahlen müssen, ebenso viel wie diejenigen, die auf einer bestimmten Strecke ständig grundlos hin- und herfahren, um gleich die zwei teuersten neu gefaßten Verstöße zu nennen. Dazu zählt auch, daß je 20 DM Verwarnungsgeld erhoben werden, wenn Radfahrer bei Dunkelheit ohne Licht auf der Straße sind, wenn Überholvorgänge grundlos behindert werden, wenn Lkws vor Bahnübergängen nicht unmittelbar nach der einstreifigen Bake halten oder wenn Lkw-Ladungen die Sicht des Fahrers behindern — alles doch Verstöße, meine Damen und Herren von der Opposition, die die Verkehrsicherheit ganz erheblich beeinträchtigen. Es kann tatsächlich nicht als inflationär bezeichnet werden, wenn der bisher geltende Ermessensspielraum durch Gesetz und wohl auch der Schwere angemessene Verwarnungsgelder abgelöst wird.
— Wenn ein schwerer Verkehrsunfall dadurch entsteht, daß abends Radfahrer ohne Licht auf der Straße sind oder daß ein Lkw nicht an der vorgeschriebenen Stelle vor dem Bahnübergang hält,
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Hoffie
und Sie darüber dann lachen, daß dieses
40 DM kosten soll, ist es bedauerlich, daß Sie hier überhaupt den Ausführungen noch weiter folgen.
— Nun gut, man muß hier ja einmal richtigstellen, was falsch dargestellt wird und was lediglich Stimmung machen soll, wie Sie ja aus der „Bild-Zeitung" und anderen ähnlichen Blättern in den letzten Tagen zur Genüge gesehen haben.
— Das überlasse ich Ihrer Beurteilung.
Wer sich also wie die Opposition ständig und ansonsten hier bei Verkehrsdebatten zum Gralshüter von mehr Verkehrssicherheit aufzuspielen versucht, sollte nicht auf der Woge einer mit unvollständigen oder falschen Informationen versorgten öffentlichen Meinung derart vordergründigen Opportunismus betreiben. Sicherlich werden die meisten von uns immer unterschiedlicher Meinung sein, ob bei einer bestimmten Verkehrsübertretung das festgelegte Verwarnungsgeld als angemessen anzusehen ist. So hat ja z. B. auch die FDP, wie ich schon erwähnte, im Einzelfall hier oder dort Bedenken oder Zweifel. Gerade deshalb begrüßen wir es aber, wenn im Ausschuß und eben nicht so ganz am Parlament vorbei noch einmal Gelegenheit gegeben ist, diese Einzelfälle an Hand des insgesamt doch recht ausgewogenen letzten Entwurfs des Verwarnungsgeldkataloges zu diskutieren. Wir werden uns sicher sehr schnell darüber einig sein, inwieweit Sie das eine oder andere zurückzunehmen haben, wozu Sie heute noch erklären, dies seien Erhöhungen, die nicht der Sache gerecht würden, sondern inflationär bedingt seien. Vielleicht werden Sie spätestens dort darüber aufgeklärt, daß die Korrekturen tatsächlich erforderlich und sinnvoll sind.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — federführend — sowie an den Rechtsausschuß — mitberatend -- zu überweisen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 29 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Rollmann, Dreyer, Ey, Schröder und Genossen
betr. Information ausländischer Kraftfahrer über nationales Verkehrsrecht im europäischen Raum
— Drucksache 7/2829 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
Das Wort wird dazu nicht gewünscht.
Sie haben den Überweisungsvorschlag vorliegen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 30 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 29 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 7/2827 —
b) Beratung der Sammelübersicht 30 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 7/2849 —
Das Wort wird nicht gewünscht.
Es ist beantragt worden, diesen Anträgen zuzustimmen. — Ich sehen keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 bis 37 auf:
31. Beratung und Antrag des Innenausschusses zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (Euratom) des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Forschungsstelle, die in den Niederlanden dienstlich verwendet werden
— Drucksachen 7/2608, 7/2813 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Schäfer
32. Beratung des Berichts und des Antrags des Finanzausschusses zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates
zur Änderung der Verordnung Nr. 803/68 bezüglich der Lieferfristen von eingeführten Waren
über die zollrechtliche Behandlung von zu Erprobungs- und Untersuchungszwecken eingeführten Waren
— Drucksachen 7/2230, 7/2309, 7/2818 — Berichterstatter: Abgeordneter Bremer
33. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Rückwärtsgang und den Geschwindigkeitsmesser in Kraftfahrzeugen
— Drucksachen 7/2529, 7/2832 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Oetting
34. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen zu dem
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Vizepräsident von Hassel
von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission
für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bremsanlagen von land- und forstwirtschaftlichen Zugmaschinen auf Rädern
zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Anbau der Beleuchtungs- und Lichtsignaleinrichtungen für land-und forstwirtschaftliche Zugmaschinen auf Rädern
— Drucksachen 7/2428, 7/2833 — Berichterstatter: Abgeordneter Tillmann
35. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr und für das Post und Fernmeldewesen zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über radioelektrische Störungen durch Geräte für Frequenzen im Bereich 10 kHz bis 18 GHz — industrielle, wissenschaftliche und medizinische Hochfrequenzgeräte (ISM) und ähnliche Geräte
— Drucksachen 7/2614, 7/2893 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Weber
36. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Verankerungen der Sicherheitsgurte — Drucksachen 7/2500, 7/2894 —
Berichterstatter: Abgeordneter Ollesch
37. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates über Sondervorschriften, die auf den Handel mit Tomatenkonzentraten zwischen der Gemeinschaft in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung und den neuen Mitgliedstaaten anwendbar sind
— Drucksachen 7/2298, 7/2915 —
Berichterstatter: Abgeordneter Eigen
Es handelt sich um Anträge der Ausschüsse über Vorschläge der Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Die Berichterstatter scheinen das Wort nicht zu wünschen. Eine Aussprache wird nicht begehrt. Das Haus ist sicher damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber über diese Punkte gemeinsam abstimmen. — Ich sehe keinen Widerspruch.
Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen 7/2813, 2818, 2832, 2833, 2893, 2894 und 2915. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Als letzten Punkt unserer heutigen Tagesordnung rufe ich den Zusatzpunkt 1 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Finanzierung ölpreisbedingter Zahlungsbilanzdefizite von Mitgliedstaaten im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
— Drucksache 7/2860 —
Bericht und Antrag des Haushaltsausschusses
— Drucksache 7/2961 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Carstens (Erste Beratung 134. Sitzung)
Ich danke dem Berichterstatter. Er hat um das Wort gebeten. Bitte, Herr Carstens , Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich sagen, daß wir durch meine Wortmeldung als Berichterstatter immerhin etwa 20 bis 30 Minuten einsparen.
Bei der Gemeinschaftsanleihe der EG-Staaten handelt es sich um ein ungemein wichtiges Problem. Geht es doch darum, daß der erste Schritt auf einem Weg gemacht wird, der dazu führen soll, mit den Zahlungsbilanzschwierigkeiten der EG-Länder fertig zu werden, die durch die gestiegenenen Ölpreise bereits entstanden sind bzw. noch entstehen werden. In der ersten Lesung haben die Redner der drei Fraktionen hierauf bereits hingewiesen.
Der federführende Haushaltsausschuß hat seinen Unterausschuß für Fragen der Europäischen Gemeinschaften mit der Erarbeitung einer Vorlage beauftragt und unter Berücksichtigung der Voten des Wirtschafts- und des Finanzausschusses einstimmig beschlossen. Bei diesen Beratungen haben folgende Fragen im Vordergrund gestanden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn es darum geht, den Zahlungsbilanzschwierigkeiten der EG-Länder im Wege des Recycling zu begegnen, dann ist die Einbringung von Geldern der erdölexportierenden Staaten in einen gemeinsamen Fonds aller EG-Staaten sicherlich eine der besten überhaupt denkbaren Möglichkeiten. Diese erdölexportierenden Staaten erwerben nämlich nicht Eigentumsrechte, wie es bei Krupp und Mercedes der Fall gewesen ist, sondern lediglich Gläubigerrechte. Deswegen haben auch alle Fraktionen dieser Gemeinschaftsanleihe grundsätzlich zugestimmt.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9415
Carstens
Für uns als Bundesrepublik Deutschland stellt sich hierbei nun aber das besondere Problem, daß wir als das Land mit den größten Devisenbeständen einmal ein großes Risiko in Prozentsätzen zu übernehmen haben und zum anderen zwar nicht unbedingt damit rechnen müssen und auch nicht davon auszugehen haben, es aber nicht ausschließen können, daß diese Risiken auch einmal in Anspruch genommen werden.
Hierbei muß zunächst einmal geklärt werden, wie hoch unser Risiko überhaupt ist. Im Gesetzentwurf steht, daß es 22,02 % sind. Dieser Satz kann niemals als Mindestgrenze oder Untergrenze eingehalten werden, weil ja für das Land, das in der Haftung oder in der Zahlungsfähigkeit ausfällt, prozentual auf die anderen Länder aufgeteilt werden muß. Falls das also bei mehreren anderen Ländern der Fall sein sollte, würde dieser Prozentsatz auf 44,04 % ansteigen können.
Hiermit ist es aber noch nicht genug. Denn falls es in der Tat so kommen sollte, daß kein Land in der Lage ist, seine Verpflichtungen zu erfüllen, würde der Restbetrag von etwa 56 °/o in den Gemeinschaftshaushalt fließen bzw. aus diesem finanziert werden müssen. Dann hätten wir wiederum unseren prozentualen Anteil von 28% zu tragen, was zirka 16 % ausmacht. Das Höchstrisiko bei dieser Gemeinschaftsanleihe könnte sich also auf etwa 60% belaufen.
Ich gestehe ein, daß es sich hierbei um ein theoretisches Rechenbeispiel handelt, welches man sich aus heutiger Sicht nicht gut vorstellen kann, das aber in der Praxis letzten Endes nicht völlig auszuschließen ist. Trotzdem müssen wir dieses Risiko eingehen, da ansonsten größere Krisensituationen wohl kaum zu vermeiden wären. Entscheidend in den Ausschußberatungen war, daß wir Wert darauf gelegt haben, daß im Anfangsstadium dieser Gemeinschaftsanleihe möglichst Sicherheiten eingebaut werden, die ein erhöhtes Risiko ausschließen sollen.
Der Haushaltsausschuß hat hierzu insgesamt sechs Punkte in einer Entschließung zusammengefaßt. Hierbei geht es zum einen darum, daß man bei der Vergabe der Kredite Auflagen an die Länder geben soll, die die Kredite aufnehmen, z. B. Stabilitätsauflagen, daß aber zum anderen schon vor Aufnahme des Kredits seitens der EG-Länder nachgewiesen werden muß, daß vorher rechtzeitig stabilitätspolitische Maßnahmen eingeleitet wurden.
Ein ganz entscheidender Punkt ist ferner, daß diese Kredite nur für Zahlungsbilanzdefizite, die durch die gestiegenen Erdölpreise entstanden sind, aufgenommen werden dürfen und sollen. Wir haben dies noch einmal besonders festgelegt, weil wir darauf großen Wert gelegt haben.
Auf die Erläuterung der Punkte 5 und 6 kann ich aus zeitlichen Gründen verzichten.
Abschließend kann festgestellt werden, daß eine Gemeinschaftsanleihe mehrerer Länder sicherlich eine der besten Formen des Recycling ist. Aber wir sollten uns alle darüber im klaren sein, daß die großen Probleme, die durch die Erhöhung der Erdölpreise auf uns zukommen, dadurch noch keineswegs behoben sind, sondern sich weiterhin unübersehbar vor uns auftürmen.
Ich bitte, dem Vorschlag des Haushaltsausschusses, der einstimmig gefaßt worden ist, zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, durch die Worte des Berichterstatters haben wir 20 Minuten gespart, so daß wir heute abend doch noch vor 24 Uhr unsere Sitzung beenden können.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung in zweiter Lesung. Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Lesung über die §§ 1, 2, 3 und 4 sowie über Einleitung und Überschrift. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Gegen eine Stimme angenommen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die dritte Beratung. Wer dem Gesetz insgesamt seine Zustimmung gibt, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Jetzt ist es einstimmig so beschlossen.
Wir müssen noch über den Antrag des Ausschusses abstimmen, die Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für eine Verordnung über Gemeinschaftsanleihen zur Kenntnis zu nehmen sowie die unter Buchstabe c) abgedruckte Entschließung zu fassen. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Damit sind wir am Ende der heutigen Sitzung angelangt. Ich darf Ihnen allen danken, daß Sie so lange ausgeharrt haben. Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen früh, Freitag, den 13. Dezember 1974, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.