Rede von
Dr.
Carl-Ludwig
Wagner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist der Nachgesang oder der Abgesang zur sogenannten Steuerreform. Es verhält sich mit ihm so wie mit der Steuerreform selbst: In Übereile und Hektik mußte das verabschiedet werden, was nun noch unbedingt vor dem 1. Januar 1975 zu verabschieden ist.
Wir sehen in dieser übereilten Prozedur einen neuen
Beweis dafür, daß die Zeitplanung, zu der das Par-
lament das übrigens, wie uns scheint, beim der-
zeitigen Regierungsbetrieb in Bonn mehr und mehr als störend empfunden wird
genötigt worden ist, von vornherein nicht zu verantworten war.
Ich erspare es mir, auf eine größere Zahl von Einzelheiten dieses Gesetzes einzugehen. Herr Weber hat ja als Berichterstatter einiges gesagt. Nur noch eine Bemerkung: Wir haben bei der Beratung dieses Gesetzes festgestellt, daß die Steuerreform eben nicht nur Vorteile bringt natürlich bringt sie auch Vorteile —, sondern daß sie auch Härten bringt; Härten, die uns bekannt waren, als das Steuerreformgesetz verabschiedet wurde, und Härten, die sich jetzt so nach und nach, Stückchen für Stückchen bei näherem Überlegen, d. h. bei der Prozedur, die eigentlich einer Gesetzesverabschiedung vorausgehen sollte, herausstellen.
Es hätte nahegelegen, und es hätte vor allen Dingen unsern Wünschen entsprochen, bei einer Reihe solcher Härten Besserungsanträge zu stellen. Z. B. sind wir sehr wohl der Auffassung — um auf ein Thema einzugehen, das Herr Weber behandelt hat —, daß die kinderabhängigen Leistungen in der Arbeitslosenversicherung es — in einem gewissen Umfange jedenfalls — verdienten, erhalten zu bleiben. Ferner sind wir der Auffassung, daß es auch bei diesem Gesetz durchaus der Mühe wert gewesen wäre, noch einmal darüber nachzudenken, ob es z. B. richtig war, die Steuervergünstigungen für Diätaufwendungen schlicht zu streichen; eine Vergünstigung für eine kleine Gruppe von Menschen, die nicht viel kostet, die aber für diese kleine Gruppe von Bedeutung ist. Und eine Reihe von anderen Dingen mehr. Auch das Problem der Frührentner wäre sehr wohl einer neuen Überlegung wert gewesen.
Wenn wir weitgehend davon abgesehen haben, Anträge in dieser Richtung zu stellen, so hatte dies im wesentlichen folgende Gründe: erstens den Zeitdruck, unter dem die Beratungen gestanden haben und der das Formulieren von Anträgen fast unmöglich machte, und zweitens — das will ich hier klar sagen — die katastrophale Finanzlage des Bundes, die es auch uns als Opposition verbietet, Anträge, die kostenwirksam sind, auch wenn sie als berechtigt empfunden werden müssen, zu stellen. Meine Damen und Herren, es ist zwar spät, aber dies muß ich noch sagen; denn in bezug auf jenen Versuch, noch einmal Ordnung in die Bundesfinanzen zu bringen, ist es mindestens so spät, ist es wahrscheinlich erheblich später, als die Uhr hier zeigt.
Von der Bundesregierung wird gesagt bzw. wird gesagt werden, daß die Hauptursache für die schlechte Finanzlage, die im kommenden Jahre vor uns liegt, die Steuerreform darstelle. Dies ist eine typische Teilwahrheit. Es wird dabei unterschlagen, daß diese Bundesregierung seit 1970 heimliche
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9399
Dr. Wagner
Steuererhöhungen in einer Größenordnung von 30 Milliarden DM kassiert hat, von denen sie einen Teil jetzt zurückgibt,
daß sie offene Steuererhöhungen in einer Größenordnung von 9 Milliarden DM jährlich einkassiert hat und weiter einkassiert und daß trotzdem eine Schuldenlawine ganz ungeahnten und ungeheuren Ausmaßes auf uns zukommt, eines Ausmaßes, wie es vor zwei Jahren noch niemand hätte voraussehen können oder vorauszusehen gewagt hätte. Wir können uns unter diesen Umständen der Einsicht nicht verschließen
— der bitteren Einsicht nicht verschließen —, daß man sich sehr, sehr beschränken muß und sehr genau abwägen muß, ob überhaupt noch Verbesserungen möglich sind. Deswegen haben wir zahlreiche Dinge zurückgestellt und stellen einen einzigen Antrag.
Dieser Antrag, den ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten gleich mitbegründen möchte, befindet sich auf Drucksache 7/2974. Er betrifft Steuervergünstigungen für Investitionen, die dem Umweltschutz dienen. Wie ist die Sachlage? Gegenwärtig gibt es derartige Steuervergünstigungen. Sie laufen zum Jahresende, also mit dem 31. Dezember 1974, aus. In der Erkenntnis, daß diese Steuervergünstigungen notwendig sind, also nicht auflaufen dürfen, hat die Bundesregierung in ihrem Entwurf eines Dritten Steuerreformgesetzes eine Fristverlängerung vorgeschlagen, und nicht nur eine Fristverlängerung, sondern sie hat auch eine Verbesserung dieser Vorschriften vorgeschlagen. Deren Verabschiedung ist zurückgestellt worden, weil zu dem Zeitpunkt, als die Steuerreform im Finanzausschuß beraten wurde, noch Bedenken der EG-Kommission gegen diese Bestimmungen bestanden. Diese Bedenken konnten inzwischen nicht zuletzt durch Bemühungen der Bundesregierung — für die wir danken — ausgeräumt werden.
Deswegen müßte heute einer Verabschiedung dieser Vorschläge der Bundesregierung selber nichts mehr im Wege stehen. Unser Antrag Drucksache 7/2974 enthält nichts anderes als die Bestimmungen, die im Dritten Steuerreformgesetz in dieser Hinsicht vorgeschlagen waren. Wir haben deswegen schon im Finanzausschuß kein Verständnis dafür gehabt, daß die Koalitionsparteien erklärt haben, sie hätten dieses Problem bisher nicht ausreichend beraten können. Ich muß sagen, meine Herren von der SPD und von der FDP, Sie hatten für dieses Problem immerhin einige Wochen Zeit. Hier in diesem Hause und namentlich im Bereich Steuerpolitik sind Probleme ganz anderen Ausmaßes in kürzerer Zeit behandelt worden.
Deswegen können wir diese Einlassung nur als eine Ausflucht betrachten. Wir sind der Auffassung, daß es dringlich ist, hier Klarheit zu schaffen, der Wirtschaft Sicherheit zu verschaffen, daß diese Bestimmungen nicht auslaufen, sondern daß sie in der verbesserten Form zum 1. Januar 1975 in Kraft treten. Deswegen bitten wir Sie heute, diesem Antrag zuzustimmen.