Rede von
Anton
Pfeifer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst, Herr Minister Rohde: Bei weiten Teilen Ihrer Rede weiß ich eigentlich gar nicht, an wessen Adresse Sie argumentiert haben.
Sie haben hier zu vielem gesprochen, wo wir gar nicht auseinander sind. Nur zu den Streitpunkten, um die es hier geht, haben Sie herzlich wenig gesagt.
Ich meine, daß doch gerade dazu von Ihnen eine Aussage erwartet worden wäre, zumal Sie sich doch bisher bei den Gesetzesberatungen mit Aussagen zu den Streitpunkten sehr zurückgehalten haben. Wenn Ihnen so viel an diesem Gesetz liegt, wie Sie hier zum Ausdruck gebracht haben und daran zweifle ich nicht —, dann hätten wir zum Beispiel eine Antwort erwartet auf die Argumente, die meine Kollegen Dr. Schäuble, Dr. Gölter, Dr. Probst und andere hier den ganzen Tag über vorgetragen haben. Und vor allem: Wenn Ihnen so viel an der Verabschiedung dieses Gesetzes liegt, dann sollten Sie dem Kultusminister von Rheinland-Pfalz nicht vorwerfen, daß Sie noch auf einen konstruktiven Beitrag von ihm warten.
Meine Damen und Herren, was ist denn das, was die Unionsfraktionen hier in den Ausschüssen und die Kultusminister der CDU und der CSU beim ersten Durchgang im Bundesrat geleistet haben, anderes gewesen als der Versuch, Sie durch konstruktive Alternativen zu überzeugen. Sie sollten das nicht so gering achten, wie es in Ihrer Rede zum Ausdruck gekommen ist.
Sonst werden hier falsche Fronten aufgebaut, und falsche Fronten helfen diesem Gesetz nicht. Ich will Ihnen dazu ein Beispiel geben. Sie sagen mit einer Reihe von Gründen: Dieses Hochschulrahmengesetz muß verabschiedet werden. Meine Damen und Herren von der Koalition, wer von der CDU/CSU hat denn jemals gesagt, daß wir ein Hochschulrahmengesetz nicht wollen? Wogegen wir sind, ist das Hochschulrahmengesetz in der Fassung, wie es die Koalitionsfraktionen heute in zweiter Lesung verabschiedet haben.
Dieses Gesetz bringt den Hochschulen zwar alles Mögliche, aber es bringt ihnen letztlich nicht das, was in den Hochschulen am dringendsten erwartet wird, nämlich erstens eine Garantie für Qualität und Niveau von Forschung, Lehre und Studium, zweitens eine entschiedene und kompromißlose Sicherung der Freiheit für Forschung und Lehre, ohne die es leistungsfähige Wissenschaft nicht geben kann und nicht geben wird, drittens eine leistungsfähige Organisation des gesamten Hochschulbereichs und damit eine effizientere Verwendung der Steuergelder; darauf hat nicht zuletzt auch der Steuerzahler einen Anspruch. Meine Damen und Herren, dies alles
bringt dieses Gesetz, so wie Sie es heute verabschieden, nicht.
Nun haben Sie, Herr Minister Rohde, auf die Leistungen hingewiesen, die der Bund für den Ausbau der Hochschulen erbracht hat. Das will niemand gering achten. Aber sicher ist doch auch, daß die Leistungen nur deshalb zum Erfolg geführt Haben, weil auch die Länder — in einer Art und Weise, die bis an die Grenze des finanziell Möglichen in den Ländern gegangen ist — bereit waren, zu dem Hochschulausbau und vor allein zu den laufenden Unterhaltskosten in den Hochschulen beizutragen,
Dann noch etwas: Wenn die Verhältnisse an den
Hochschulen heute nicht noch schlechter sind, als sie es sind, hängt dies doch auch damit zusammen, daß beispielsweise in Ländern wie Bayern, Baden-Württemberg und anderen, in denen die CDU bzw. die CSU regiert, seit Beginn der sechziger Jahre konsequent nicht nur ein Ausbau der Hochschulen, sondern auch eine Neugründungspolitik in Gang gekommen ist, und zwar noch zu einer Zeit, wo Sie den von der SPD regierten Ländern beispielsweise zehn Jahre gebraucht haben, um überhaupt nur die Universität Bremen zu gründen. Und was ist denn daraus entstanden?
Die Frage ist, Herr Minister Rohde, auch heute noch, ob denn das Geld immer effizient verwendet wird. Ich meine, daß man hier einige Fragezeichen machen muß. Dem Steuerzahler kann es einfach nicht länger zugemutet werden, daß auch nur an einer Hochschule, auch nur in einem Fachbereich gleichsam wie in roten Elfenbeintürmen der Kampf gegen unsere Gesellschaft organisiert wird und die Machtansprüche ideologischer Cliquen dann auch noch mit horrend steigenden Beträgen aus Steuermitteln finanziert werden, und zwar aus Steuermitteln, die auch die Arbeitnehmer in diesem Lande aufbringen. Auch das ist ein Grund, weswegen dieses Gesetz umgestaltet werden muß: damit es effizienter hinsichtlich der Verwendung der Steuermittel wird.
Effizientere Verwendung der Steuermittel heißt, daß z. B. wieder überall in den Hochschulen ausschließlich wissenschaftliche Kriterien zum Maßstab der Entscheidungen in den Hochschulgremien werden. Effizientere Verwendung der Steuermittel heißt, daß z. B. Forschung wieder an den eigenen Prinzipien der Wissenschaft unter wissenschaftstheoretischen Ansätzen und unabhängig von ideologischen Zielsetzungen ausgerichtet werden kann.
Effizientere Verwendung der Steuermittel heißt, daß der Hochschullehrer wieder als Wissenschaftler und nicht als Politiker gefordert ist,
daß er nicht mehr tagelang nutzlos endlose Debatten in Hochschulgremien absitzen muß, sondern daß er sich wieder seinen eigentlichen Aufgaben zuwenden kann.
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Effizientere Verwendung der Steuermittel heißt, daß dem einzelnen Studenten wieder chancengerechte, optimale Ausbildungs- und Bildungsmöglichkeiten eröffnet werden. Dies alles bewirkt der vorliegende Gesetzentwurf nicht in dem Maße, wie es möglich wäre und unseren Vorstellungen entspricht.
Dabei verkenne ich nicht, daß die Koalition sich in einer Reihe von Punkten unserer Linie angeschlossen hat. Das haben die Kollegen, die vor mir in der zweiten Lesung gesprochen haben, ausführlich dargelegt. Dies begrüßen wir. Nun haben die verehrten Kollegen aus der Koalition gefragt, warum denn bei soviel Nachgeben der Koalition jetzt nicht auch einmal die CDU/CSU nachgeben könnte. Das ist eine der Fragen, um die es hier geht, und dazu will ich Ihnen folgendes sagen: Wer so argumentiert, der argumentiert vordergründig, weil er an zwei Tatbeständen vorbei argumentiert, nämlich erstens: Die Position der CDU/CSU in der Hochschulpolitik und in der Hochschulgesetzgebung war von Anfang an klar in den Grundsätzen und eindeutig in der Argumentation und im Unterschied zur Koalition seit Jahren kontinuierlich und an den Anforderungen orientiert, die unser Staat und unsere Gesellschaft an die Hochschulen stellen. Diese Position hat in den Hochschulen dazu beigetragen, daß die CDU/CSU zunehmend Vertrauen, auch neues Vertrauen für ihre Politik gewonnen hat. Deswegen werden wir uns von dieser Position nichts abhandeln lassen, schon gar nicht nach der Methode des orientalischen Teppichhandels.
Das Zweite, was ich sagen möchte, ist: Was für uns zählt, sind Argumente. Dabei sage ich offen, daß dort, wo die Argumente der Koalition gut waren, wir uns ihnen nicht verschlossen haben. Wir sind beispielsweise der Überzeugung, daß es die künftige Dimension des Numerus clauses erforderlich macht, das Problem des Hochschulzugangs nochmals zu überdenken. Wir haben uns davon überzeugen lassen, daß es richtig ist, dies rahmenrechtlich zu regeln. Das ist unstrittig. Ich bin auch überzeugt, daß wir im Laufe des weiteren Gesetzgebungsverfahrens bestehende Meinungsverschiedenheiten über den Hochschulzugang ausräumen können. Dort aber, wo unsere Argumente besser sind, werden wir nicht nachgeben. Dies hat mit parteitaktischer Position überhaupt nichts zu tun.
— Das hat auch mit Rechthaberei nichts zu tun.
Wir werden auch nicht um Formulierungen feilschen. Worum es geht, ist, daß wir in der Substanz unserer Konzeption zu Kompromissen nicht bereit sind. Deswegen lassen Sie mich die Substanz unserer Konzeption nochmals in sieben Punkten zusammenfassen.
Erstens. Das Hochschulrahmengesetz darf die Minimalerfordernisse des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Mitbestimmung nicht zur generellen und damit zur maximalen Norm erheben. Bei diesem Urteil geht es um die Minimalvoraussetzungen für die Freiheit und damit auch um die Minimalvoraussetzungen für die Leistungsfähigkeit der Hochschulen in Forschung und Lehre. Unsere Verantwortung für die Hochschulen in diesem Lande erlaubt es nicht, daß wir uns in dieser für die Zukunft unserer Hochschulen, für die Zukunft unseres Staates und für die Zukunft unserer jüngeren Generation essentiellen Frage mit Minimalpositionen zufriedengeben. Nichts ist für die Erhaltung der Qualität von Forschung und Lehre entscheidender als beispielsweise die hervorragende Qualifikation der Hochschullehrer. Deshalb kann über die Berufung eines Hochschullehrers niemand anders entscheiden als die Mehrheit derer, die in den Hochschulen berufen sind, ihr Fach in Forschung und Lehre zu vertreten, und das sind die Professoren. Herr Minister Rohde, dies ist beispielsweise bei den Sozialdemokraten, die das Hochschulgesetz für die Universität Basel vorgelegt haben, so unbestritten, wie ich es hier sage.
Zweitens. Wir lehnen drittel- und viertelparitätische Konzilien, wie sie inzwischen der neueste Hit der Bildungslinken geworden sind und denen sich leider auch wieder der letzte Bundesparteitag der FDP angeschlossen hat, entschieden ab. Diese Konzilien erlassen nicht nur die Hochschulsatzung, sie wählen auch den Hochschulpräsidenten. Der Hochschulpräsident aber ist das Scharnier, in welchem sich die gemeinsame Verantwortung von Hochschule und Staat repräsentiert, und der Hochschulpräsident ist zugleich die Spitze der größten wissenschaftlichen, ökonomischen und sozialen Organismen, die unser Staat überhaupt kennt.
Die Wahl dieses Hochschulpräsidenten darf nicht länger Gremien in einer Zusammensetzung überlassen bleiben, die dann beispielsweise solche Hochschulpräsidenten wählen, wie sie in Berlin zum Niedergang der Freien Universität und in Marburg zur Machtübernahme der Radikalen geführt haben. Das ist doch z. B. ein Problem, um das es bei der Mitbestimmung auch geht: Die Wahl der Hochschulpräsidenten muß wieder in die Verantwortung der Wissenschaftler einer Hochschule gegeben werden, und von dieser Position werden Sie uns nicht herunterbekommen.
Wir sind auch nicht bereit, uns damit abzufinden, daß die Hochschullehrer in jedem Fall nicht mehr als 51 % der Sitze in den Hochschulgremien haben sollen. Eine 51-%-Grenze, wie sie die Koalition will, zwingt die Hochschullehrer zu einem Blockdenken, das auf die Dauer der Liberalität und der Innovation ebenso schadet, wie es eine Konfliktuniversität heraufführt, von der wir doch endlich Abstand nehmen sollten.
Drittens. Wir lehnen es entschieden ab, daß die in Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes garantierte Freiheit von Forschung und Lehre der Verantwortung einer nicht näher definierten Gesellschaft untergeordnet wird. Meine Damen und Herren, natürlich muß jeder Wissenschaftler die Konsequenzen und Auswirkungen seiner Forschung und Lehre bedenken. Aber dies ist eine an die Selbstkontrolle und an das Ethos des Wissenschaftlers zu richtende For-
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derung, Herr Kollege Schweitzer, wie sie dem Grundgesetz immanent ist.
Die von der Koalition beschlossene Formulierung enthält dagegen eben immer noch die Gefahr, daß Sie zum Vehikel für Wissenschafts- und Forschungskontrolle oder zur Statuierung eines politischen oder kollektiven Primats über Wissenschaft und Forschung verwendet wird. Sie werden doch von der Union nicht erwarten, daß wir dazu denen, die dies wollen, nun auch noch einen gesetzlich formulierten Vorwand geben.
Viertens. Ich habe schon in der ersten Lesung dieses Gesetzes ausgeführt: Zur Sicherung der Freiheit von Forschung und Lehre gehört die Autonomie der Hochschule. Autonomie ist die institutionelle Form der Sicherung der Freiheit. Deshalb ist der Gesetzgeber legitimiert, von den autonomen Hochschulen die Sicherung von Freiheit in Forschung und Lehre sowie die Sicherung der demokratischen Grundordnungen, der demokratischen Rechte des einzelnen zu verlangen.
Dafür bedarf es aber entscheidend der Anerkennung des folgenden Grundsatzes: Wenn in einer Hochschule die Autonomie mißbraucht wird, um Freiheitsrechte zu schmälern oder zu verweigern, dann hat der demokratische Staat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, kraft seiner Ordnungsfunktion die vom Grundgesetz garantierten Freiheitsrechte und die Grundrechte des einzelnen zu sichern und zu verteidigen.
Dementsprechend muß eben zwingend — nicht nur fakultativ, wie Sie es tun — das Verhältnis von Hochschule und Staat gestaltet werden. Der Kultusminister eines Landes muß parlamentarisch verantwortlich gemacht werden können für die Sicherung der Grundrechte in den Universitäten. Wir sind nicht bereit, länger zuzusehen, wie sich Minister in Bremen und anderswo ihrer parlamentarischen Verantwortung entziehen, indem sie sich hinter einer falsch programmierten Autonomie verstecken.
Fünftens. Wir sind auch nicht bereit, einem Gesetz zuzustimmen, das der integrierten Gesamthochschule politische Priorität einräumt. Die integrierte Gesamthochschule wird inzwischen in allen unseren europäischen Nachbarländern in Ost und West und ebenso in den außereuropäischen Industriestaaten als Irrweg der jüngsten deutschen Hochschulentwicklung angesehen.
Die integrierte Gesamthochschule ist nicht die Hochschule der Zukunft. Die integrierte Gesamthochschule führt doch nur zu noch weniger überschaubaren, noch unbeweglicheren, noch weniger effizienten Hochschulorganismen. Die integrierte Gesamthochschule ist als Hochschulstruktur für die Zukunft ungeeignet, weil sie die Dynamik der Entwicklung verhindert. Wir sind aber für eine Hochschulstruktur, welche die Dynamik der Entwicklung offenhält.
Sechstens. Herr Rohde hat über die Bereiche des Zugangs gesprochen. Lassen Sie mich dazu folgendes sagen. Wir sind zunächst einmal einig, daß der Hochschulzugang neu geregelt werden muß. Es ist für die Abiturienten auf die Dauer in der Tat nicht erträglich, wenn sie in Fächern mit extremem Numerus clausus — wie zur Zeit etwa in Medizin oder Pharmazie — nur mit einem extrem guten Abiturzeugnis die Chance haben, sofort einen Studienplatz zu erhalten, während alle anderen, gleichgültig, wie gut oder wie schlecht ihr Abiturzeugnis ist, auf jahrelange Wartezeiten verwiesen sind, in denen sie nichts, aber auch gar nichts für die Verbesserung ihrer Studienchancen leisten können. In Numerusclausus-Fächern müssen zum Abitur Auswahlverfahren hinzukommen, in denen die Abiturnote studienspezifisch gewichtet wird, in denen die Bewerber in der Wartezeit durch eigene Anstrengungen eine Verbesserung ihrer Studienchancen erreichen können und in denen bei Fächern mit extremem Numerus clausus auf die Feststellung der besonderen Eignung eines Studienbewerbers für das gewählte Fach abgehoben wird, beispielsweise durch den Nachweis von Fähigkeiten, die das Abitur nicht ausweist.
Das sind Punkte, die in diesem Zusammenhang zwischen uns im Prinzip nicht mehr umstritten sind. Wir sind auch der Meinung, daß bei Auswahlverfahren berufspraktische Tätigkeit Berücksichtigung finden soll, Herr Rohde. Aber aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit muß die Anrechnung berufspraktischer Tätigkeit dort ihre Grenze finden, wo sie einen Run der Abiturienten auf Ausbildungsplätze bewirken würde, die bisher den Real-, Haupt- oder Sonderschülern vorbehalten gewesen sind. Das ist unser Anliegen.
Ich fürchte, die Beschlüsse der Koalition werden dazu führen, daß die Auswirkungen des Numerus clausus weg von den Abiturienten auf die Real-, Volks- und Sonderschüler verlagert werden. Dies aber wäre eine soziale Ungerechtigkeit, weil es die Probleme des Hochschulzugangs zu Lasten derer löste, die den beruflichen Bildungsweg eingeschlagen haben, und dies können wir doch nicht wollen.
Siebentens. Dieses Gesetz leistet auch nicht, was es zur Minderung des Numerus clausus leisten könnte. Gewiß, meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben sich bei der Regelstudienzeit einem unserer Grundsätze angeschlossen, der lautet: Wir wollen eine inhaltliche Reform der Studiengänge, die es einem Studenten erlaubt, in der Regel nach vier Jahren zu einem Studienabschluß zu kommen. Wir wollen eine Regelung, die es der Hochschule erlaubt, einem Studenten, der diese Regelstudienzeit ohne triftigen Grund wesentlich überschreitet, schlicht und einfach zu sagen: bitte, mache deinen
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Studienplatz frei für einen der vielen, die vor den Toren der Universität auf einen Studienplatz warten.
Es widerspricht unseren Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit, wenn ein Student drei, vier oder fünf Semester länger als notwendig einen Studienplatz besetzt hält, solange andere Abiturienten eben keinen Studienplatz haben. So weit sind wir uns ja inzwischen nach hartem Ringen wo wir Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, überzeugen mußten einig.
Aber, meine Damen und Herren, Sie sollten doch noch einmal prüfen, ob das Gesetz an einigen Stellen nicht noch mehr zur Minderung des Numerus clausus tun könnte. Hierfür ein Beispiel: Sie setzten hier heute Übergangsbestimmungen durch, die — wie wir in diesen Tagen gelesen haben — über 400 Dozenten und Assistenten an der Universität Hamburg nutzen wollen, um auf dem Überleitungsweg zum Professor aufzusteigen. Wir meinen, daß die Überleitung dieser Personen in die Funktion von Professoren doch mindestens voraussetzen muß, daß diese dann auch etwas zur Verbesserung des wissenschaftlichen Lehrangebots und damit zur Minderung des Numerus clausus beitragen.
Und darüber hinaus habe ich auch starke Zweifel, ob einige Bestimmungen zur dienstrechtlichen Ausgestaltung der Personalstruktur nicht dazu führen werden, daß das Lehrangebot geringer wird.
Diesen sieben substantiellen Forderungen wird der vorliegende Gesetzentwurf nicht gerecht. Darüber hinaus halte ich aber dieses Gesetz auch für finanziell nicht abgesichert. Dies hat der Haushaltsausschuß in seinem ersten Beschluß völlig zutreffend festgestellt. Und daran ändert auch Ihre Formalargumentation nichts, das Gesetz belaste den Bund kaum, es belaste nur die Lander. Was heißt denn hier „nur die Länder"? Ich habe einmal mit einem, der etwas von dieser Sache versteht, überschlägige Berechnungen angestellt. Die haben ergeben, daß allein das Land Baden-Württemberg durch dieses Gesetz jährlich um 100 Millionen DM mehr belastet wird.
Nehmen Sie das, gemessen an den Studentenzahlen,
mal sechs, dann ergibt sich für die Länder insgesamt
eine jährliche Mehrbelastung von 600 Millionen DM.
– Sie werden die Zahlen angreifen. Aber warum haben Sie denn dann bis zum heutigen Tag nicht Ihre Berechnungen vorgelegt, damit man einmal eine solide Grundlage gehabt hätte?
Bei diesen 600 Millionen DM sagen Sie, das belaste nur die Länder. Als ob diese Mehrbelastungen der Länder nicht über den Finanzausgleich wieder auf den Bund zukommen würden!
Lassen Sie mich hier einmal eine Frage an die Finanzpolitiker und auch an den Finanzminister stellen. Ein Teil dieser Mehrkosten sind Personalkosten. Die Bundesregierung hat kürzlich den Ländern ein Abkommen vorgeschlagen, in dem es heißt, daß aus wirtschafts-, haushalts- und finanzpolitischen Gründen eine gemeinsame stabilitätskonforme Steuerung der Personalkosten im öffentlichen Dienst unerläßlich sei. Wie stehen Sie eigentlich zu einem Gesetz, Herr Staatssekretär Porzner, das die Länder allein im Hochschulbereich, wie ich befürchte, mehr als eine halbe Milliarde DM pro Jahr mehr kosten wird?
Spüren Sie denn nicht, daß diese Regierung unglaubwürdig wird, wenn Sie einerseits Sparappelle an alle und jeden richten und andererseits dieses Gesetz dann in dieser Form passieren lassen?
— Sie sagen, es ist sachlich falsch. Entschuldigen Sie bitte: Warum haben Sie his zum heutigen Tag nicht einmal eine seriöse Berechnung Ihrerseits vorgelegt? Das wäre doch Ihre Aufgabe gewesen.
Eine zweite Frage richte ich an den Wirtschaftsminister. Er ist nicht da; aber er hat doch dieser Tage im Zusammenhang mit der Neuordnung der Finanzierung der beruflichen Bildung einen Brief geschrieben, in dem er vorgeschlagen hat, einen Teil der Mittel für die Hochschulen zugunsten der beruflichen Bildung umzuschichten. Einmal ganz unabhängig davon, ob das richtig ist oder nicht: Wie will der Bundeswirtschaftsminister eigentlich glaubwürdig bestehen, wenn er einerseits solches vorschlägt und dann andererseits nicht fragt, was dieses Gesetz die Länder eigentlich kostet?
Ich bin überzeugt: Das alles wird uns beim Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens noch einmal beschäftigen. Sie mögen heute mit Ihrer Mehrheit beschließen, was Sie für richtig halten. Aber ich prophezeie Ihnen eines: Bei Philippi sehen wir uns auch in dieser Frage wieder; und Philippi schreibe ich in diesem Zusammenhang mit V wie Vermittlungsausschuß.
Und seien Sie sicher: Da werden Ihnen Ihre eigenen Finanzminister eine Philippika halten, die sich gewaschen hat so wahr sich Wertz mit W schreibt.
Aus diesen Gründen lehnen wir das Gesetz ab, und wir sind ganz sicher, daß das im Interesse der Hochschulentwicklung dieses Landes ist.
Die CDU/CSU ist seit 1969 im Bund in der Opposition. Aber es wird vielleicht einmal als ein Verdienst der CDU/CSU in der Geschichte dieses Landes anerkannt werden, daß sich die der CDU angehörigen Kultusminister nicht nur verbal, sondern auch in der Tat allen widersetzt haben, welche die
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Institutionen der Forschung und Lehre zu Basen für den politischen Kampf gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung umfunktionieren wollten;
daß diese Kultusminister mit dem Willen zur Reform gleichzeitig auch die Grenze der Reform markiert haben und daß sie ihre Hochschulpolitik ausschließlich und mit Erfolg am System der Freiheit und der Leistung und der Verantwortung des Staates für die Hochschulen und deren freiheitliche Grundstruktur orientiert haben.
Wir sind eben nicht bereit — Herr Vogel hat das heute morgen gesagt — zuzulassen, daß das alles nun auch nur zu einem Teil durch dieses Gesetz wieder gefährdet wird, daß uns die Fehlentwicklungen in Berlin, Bremen, Niedersachsen und Hessen, über die doch auch viele in Ihren eigenen Reihen nicht glücklich sind, nun auch noch in Mainz, Freiburg, München, Kiel oder Saarbrücken beschert werden.
Ich bin überzeugt, dagegen werden sich diese Länder im Bundesrat zur Wehr setzen. Dagegen müssen sich diese Länder im Bundesrat zur Wehr setzen; denn das entspricht dem Wählerwillen, wie er in den Landtagswahlen in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und dem Saarland zum Ausdruck gekommen ist.
Die Wähler haben ja dort die CDU unter anderem auch deswegen gewählt, weil sie zu der Hochschulpolitik der CDU/CSU inzwischen mehr Vertrauen haben als zu Ihrer Hochschulpolitik.
Lassen Sie mich zum Abschluß ganz kurz noch zwei Punkte ansprechen, die die Perspektive von morgen betreffen. Herr Minister Rohde, Sie haben die Bedeutung der Studienreform unterstrichen; auch da sind wir nicht verschiedener Meinung. Nur glaube ich, die eigentlichen Probleme haben Sie wieder ausgeklammert: in den nächsten Jahren wird einer der Hauptkonfliktplätze der hochschulpolitischen Entwicklung die Auseinandersetzung nicht nur um die Studienreform, sondern vor allem um die Studieninhalte werden. Hier rüsten sich doch bereits wieder die radikalen Systemveränderer, die Positionen eben erobert haben — oder, um Professor Nipperdey zu zitieren, das reformekstatische neue Hochschul-Establishment —, um die Studienreform nach dem Modell der hessischen Rahmenrichtlinien in Gang zu setzen. Deswegen sage ich: jeder Ideologisierung wissenschaftlichen Arbeitens und insbesondere jeder Ideologisierung der Studieninhalte sagen wir auch in der Zukunft entschieden den Kampf an.
Dies gilt ganz besonders für die Lehrerbildung. Wir
bekennen uns klar und eindeutig zu einer Reform
der Studieninhalte, die die Ausbildungsfunktion der
Hochschulen bejaht. Die Studienreform muß dem Gedanken der Berufsbezogenheit und Praxisorientierung verpflichtet sein. Wissenschaftsfreiheit und Pluralität sind unsere Grundnormen für die Studienreform. Eine Studienreform mit ideologischen Vorgaben wäre aber nicht eine Reform, sondern in Wahrheit eine mit einem wissenschaftlichen Mäntelchen behängte Indoktrination. Dies darf nicht sein. Um die freiheitliche Pluralität zu gewährleisten, muß die Studienreform in der Verantwortung von wissenschaftlicher, beruflicher und staatlicher Kompetenz entwickelt und realisiert werden.
Das Zweite! Unsere Prinzipien für die Studieninhalte gelten vergleichbar auch im anderen Wissenschaftsbereich: für die Forschung. Auch dieser Bereich ist in Gefahr, da und dort ideologisch korrumpiert zu werden. Einseitige Berufungspraxis und die einseitige Bevorzugung eines wissenschaftstheoretischen Ansatzes müssen — darauf hat Herr Kollege Dr. Probst hingewiesen — zu institutionalisierten Gegenuniversitäten führen, wie nicht nur in Bremen eine besteht, sondern wie sie auch in Oldenburg, Osnabrück und Kassel zu entstehen drohen, Universitäten, in denen einem eben der antiliberale, antipluralistische und antiwissenschaftliche Geist hes-sicher Rahmenrichtlinien in potenzierter Form entgegenschlägt.
Forschung in solchen Universitäten wird, fürchte ich, zu Erkenntnissen führen, die unserer freiheitlichen Gesellschaft bei der Bewältigung ihrer Zukunftsprobleme kaum Hilfe sein werden, die im Gegenteil die Grundlagen dieser freiheitlichen Gesellschaft zerstören. Ohne Freiheitlichkeit und Pluralität der Wissenschaft, ohne klare Verantwortlichkeiten, Rechte und Kompetenzen sind die anstehenden Sachprobleme nicht zu lösen. Dies gilt nicht nur für morgen und übermorgen, dies gilt auch für das Gesetz, das wir heute hier beschließen.
Ich komme zum Schluß. Die Maßstäbe für die Hochschulpolitik der CDU/CSU waren immer Freiheit, Leistung und Verantwortung. Mit diesen Maßstäben haben wir, wie jeder in diesem Lande heute sehen kann, erfolgreiche Hochschulpolitik gemacht. Diese Maßstäbe zwingen uns heute, das Gesetz in der vorliegenden Form abzulehnen. Wir tun dies, damit unsere Maßstäbe auch in der Zukunft die politische Entwicklung in den Hochschulen bestimmen können.