Rede von
Norbert
Gansel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ja, sicher, sonst würde ich mich darüber nicht äußern. Nur, Herr Kollege Maucher,
9384 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Gansel
Sie wissen doch selbst, daß der Personenkreis, der vom Schwerbehindertengesetz erfaßt worden ist, gerade durch unser Gesetz, das wir gemeinsam beraten haben, erheblich verändert worden ist. Sie wissen deshalb auch, daß man Zahlen aus dem Vorjahr einfach nicht zum Vergleich heranziehen kann. Diese Zahlen beziehen sich auf die anerkannten Schwerbehinderten, und diese Zahlen liegen unter dem Durchschnitt, und das ist ein Erfolg.
Durch das Schwerbehindertengesetz ist aber nicht nur die Kündigung erschwert worden, sondern durch die Regelung von Pflichtplätzen und Ausgleichsabgaben ist auch die Erlangung eines Arbeitsplatzes erleichtert worden. Natürlich müssen dann gerade die Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst auch besetzt werden, und zwar nicht, weil die Schwerbehinderten, die die private Wirtschaft produziert, auf den öffentlichen Dienst abgeschoben werden sollen, sondern weil der Staat selbst die Gesetze vorbildlich erfüllen muß, die er in Gang gesetzt hat. Deshalb bin ich auch nicht zufrieden mit den Zahlen der Bundesdienststellen. Nur: Wir haben die ja so vorgefunden. Wir haben keine Schwerbehinderten entlassen seit 1969, Herr Maucher.
Sie wissen doch selbst, wie das Problem ist. Man kann nur freiwerdende Plätze neu besetzen. Und so schlecht ist das Ergebnis nicht, wenn ich mit Schleswig-Holsteins Landesministerien vergleiche: Lege ich dort nur 6 % zugrunde, dann wären 3 352 Arbeitsplätze zu besetzen; in Wirklichkeit sind nur 1 366 besetzt. Dies ist wirklich eine schändliche Zahl.
Ich möchte aber bei dieser Gelegenheit ausdrücklich darauf hinweisen, daß durch die Ausgleichsabgabe die Arbeitgeber auch einen Anreiz erhalten, Behinderte, Schwerbehinderte einzustellen. Sie sollten dabei auch wissen, daß Schwerbehinderte oft nicht nur durchschnittliche, sondern überdurchschnittliche Leistungen erbringen, wenn ihr Arbeitsplatz entsprechend eingerichtet ist. Und gerade, weil auch die Fälle der weniger schwer Behinderten ein Problem sind — ich habe das vorhin angesprochen, das sind die Zahlen, auf die Herr Maucher und Herr Burger sich bezogen —, möchte ich darauf hinweisen, daß die Gleichstellung bei nur 30 % geminderter Erwerbsfähigkeit mit einem Schwerbehinderten nach § 2 des Schwerbehindertengesetzes auch dann möglich ist, wenn infolge der Behinderung ein geeigneter Arbeitsplatz sonst nicht erlangt werden kann. Es wäre gut, wenn alle Betroffenen dies wüßten und wenn die Arbeitsvermittler dies entsprechend berücksichtigen würden.
Damit komme ich noch kurz zu dem Punkt — da die Fragezeit der Redezeit hinzugerechnet wird —
des Wissens um die eigenen Rechte, der Aufklärung und der Beratung. Wir haben in § 3 des Rehabilitationsangleichungsgesetzes den Weg dazu gewiesen: Unterrichtung der Bevölkerung, und nicht in dem Sinne der eitlen Selbstdarstellung von Institutionen, die auf Hochglanzpapier verteilt wird, sondern genau auch um das Umweltbewußtsein zu fördern, das Herr Burger angesprochen hat. Noch immer gibt es erschreckende Fälle von sozialer Diskriminierung.
Bei einem Fußballspiel wähend der Weltmeisterschaft in Hamburg wollte man 20 Rollstuhlfahrer nicht ins Stadion lassen. Zitat: „Wesentliches Argument ist die gegebene Sichtbehinderung der Bandenwerbung durch Rollstühle", erklärte dazu der Sprecher des Weltmeisterschaftsorganisationskomitees. Hier wurden Behinderte glattweg zu Behinderungen erklärt, und das noch aus einem Anlaß, der mit öffentlichen Mitteln finanziert wurde. Über die Schule in Oberbayern, wo eine Bürgerinitiative versucht zu verhindern, daß dort sehbehinderte Kinder unterrichtet werden, will ich nichts weiter sagen. Die Sache ist so traurig, und die Interessierten werden sie auch kennen.
Gerade jetzt in Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten scheint arroganter Egoismus, offen zur Schau getragener Eigennutz in Mode zu kommen. Um so richtiger und um so wichtiger ist das, was Willy Brandt vor einem Jahr bei einem Besuch in den Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel gesagt hat: „An den Benachteiligten zeigt sich, ob die in Sonntagsreden so oft gepriesene Solidarität der Demokraten etwas taugt. Hier geht es um Bewährungsproben." Nie ist so viel getan worden für die Behinderten, wie seit 1969. Wir Sozialdemokraten hoffen deshalb, daß wir diese Bewährungsprobe bestehen werden, und wir respektieren dabei auch die Anstrengung einzelner und einzelner Gruppen aus der CDU.
Aber ich habe es auch für erforderlich gehalten, das, was uns unterscheidet, deutlich zu machen, damit auch das, was uns verbindet, um so klarer ins Werk gesetzt werden kann.