Rede von
Jürgen W.
Möllemann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach einjähriger Beratung über den Entwurf eines Hochschulrahmengesetzes legt der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft heute seinen Bericht sowie den Antrag vor, die von der sozialliberalen Mehrheit im Ausschuß gebilligte Fassung dieses Gesetzes zu verabschieden. Gestatten Sie mir, mich zunächst für die FDP-Fraktion bei den Mitarbeitern des zuständigen Ressorts, Herrn Dr. Böning, Herrn Dr. Dallinger und Herrn Tschöpe für die außerordentlich wirksame Unterstützung unserer Arbeit zu bedanken.
Dieser Dank gilt auch den phasenweise besonders stark beanspruchten Mitarbeitern des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft, und er gilt — das möchte ich der sachlichen Auseinandersetzung mit der Opposition vorausschicken — auch den Kollegen, mit denen ich als Berichterstatter zusammengearbeitet habe. Glücklicherweise ist es uns bei unserer Arbeit gelungen, nach gewissen Anfangsturbulenzen die klaren sachlichen Dissense nicht zum bestimmenden Element unseres Verhandlungsklimas werden zu lassen. Dies gilt auch dann, wenn diese Debatte einen anderen Eindruck entstehen lassen sollte.
Meine Damen und Herren, wir legen Ihnen heute einen Gesetzentwurf vor, der sich von der ursprünglichen Regierungsvorlage nicht unerheblich unterscheidet. Die Veränderungen basieren sowohl auf Anregungen aus den Koalitionsfraktionen als auch auf Informationen, die wir in den verschiedenen Anhörverfahren erhielten. Sie beruhen aber auch zum Teil darauf, daß wir manche Vorschläge der Opposition eingearbeitet haben. Die Berücksichtigung von sachlich überzeugenden Argumenten von Ihrer Seite muß ich hier nicht begründen. Wir haben aber auch Unionsvorstellungen in einigen Bereichen akzeptiert, in denen uns unsere eigene Konzeption lieber gewesen wäre, in denen uns unsere Auffassung besser erschien. Zu Beginn der Gesetzesberatung standen wir nämlich vor der Alternative, entweder ein sozusagen lupenrein sozialliberales Gesetz zu erarbeiten, wohl wissend, daß ein solches nicht die Zustimmung des CDU-beherrschten Bundesrats erhalten hätte, die es nach der Verfassungslage nun einmal braucht, oder aber auf dem Wege des Kompromisses zu einer Gesetzesfassung zu gelangen, die sowohl der sozialliberalen Mehrheit im Bundestag als auch der konservativen im Bundesrat in wichtigen Positionen Rechnung trägt bzw. beiden einiges zumutet und die dennoch den Anspruch erheben kann, ein Gesetz darzustellen, welches unsere Hochschulen in wichtigen Bereichen weiterentwickelt.
In diesem Bestreben sind wir der mit den CDU-Ländern inhaltlich stets abgestimmten Opposition dieses Hauses weit entgegengekommen, weit genug, wie wir glauben, um den nötigen Konsens möglich zu machen. Wer unsere in der ersten Lesung dargelegte liberale Position kennt, weiß, wie stark wir Ihnen des Kompromisses wegen entgegengekommen sind,
nach Meinung vieler unserer Freunde draußen im Land, die ich in vielen Punkten verstehen kann, sogar zu weit, Herr Kollege Probst, jedenfalls so weit, daß ich Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, bitten muß, Ihre noch weitergehenden Forderungen für den folgenden Verfahrensgang zu überprüfen. Wenn die vom Kollegen Pfeifer öffentlich artikulierte Auffassung, nur beim Einschwenken der Koalition auf die Meinung der Opposition in den zentralen Fragen dieses Gesetzes werde das Hochschulrahmengesetz den Bundesrat passieren können, tatsächlich zur Maxime der Beratungen dort und im Vermittlungsausschuß werden sollte,
werden wir deutlich machen müssen, daß Sie es sind, die dieses Gesetz scheitern lassen wollen.
Wir wollen dieses Gesetz so, wie es jetzt vorliegt, verabschieden, weil es eben die Hochschulen weiterbringen kann. Ein Hochschulrahmengesetz aber, welches die teilweise rückschrittlichen Landeshochschul-
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gesetze der CDU/CSU-regierten Länder unberührt und weiterbestehen läßt,
während die von SPD und FDP regierten Länder zur Novellierung ihrer Gesetze gezwungen werden, werden wir nicht mit tragen.
— Herr Kollege Probst, wenn Sie außer Ihrem Lachen einmal ein inhaltliches Argument bringen könnten, bin ich gern bereit, darauf einzugehen. Ich fürchte nur, ein solches Argument wird von Ihnen nicht kommen.
Wir gehen davon aus, daß in einem solchen Fall ein nicht zustimmungspflichtiges Rahmengesetz oder ebenso nicht zustimmungspflichtige Einzelgesetze zu wesentlichen Schwerpunkten der Hochschulreform vorgelegt und verabschiedet werden. Diese würden dann natürlich wieder und ausschließlich von den sozialliberalen Vorstellungen zur Hochschulreform geprägt sein. Diesen Hinweis empfinde ich im übrigen nicht als eine — ich zitiere — unverantwortliche Störaktion, wie es ein Kollege im Deutschen Depeschen-Dienst genannt hat, sondern als die notwendige Präzisierung unserer Haltung zum weiteren Verfahrensgang, auf die die Kollegen von der Opposition ebenso Anspruch haben wie die hochverehrlichen Mitglieder des Bundesrates.
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf in der von der Koalition verabschiedeten Fassung soll den Rahmen für eine bundesweite leistungsfähige Organisation des Hochschulbereichs schaffen, die von der Mitwirkung aller Hochschulmitglieder geprägt und in der Lage ist, die anstehenden Probleme der Hochschulen in Forschung, Lehre und Studium zu lösen. Wie schon in der ersten Lesung, so kristallisierten sich in den Berichterstattergesprächen und in den Ausschußsitzungen sehr bald zehn Schwerpunkte heraus, die ich hier darlegen möchte: 1) die Sicherung der Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung, Lehre und Studium, 2) die Neuordnung des Hochschulwesens in Gesamthochschulen, 3) das Zusammenwirken von Hochschulen in Landes- und Bundeshochschulkonferenzen, 4) die Schaffung eines geeigneten Instrumentariums zur besseren Bewältigung der Studienreform, 5) die Lösung der Probleme der Drittmittelforschung, 6) die Diskussion um ein Ordnungsrecht, 7) die Neugestaltung des Hochschulzugangs angesichts des sich ausweitenden Numerus clausus, 8) die Mitwirkung und Mitbestimmung aller Hochschulmitglieder in allen Fragen der Hochschulselbstverwaltung, 9) die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie 10) und letztens die Ausgestaltung des Verhältnisses von Hochschule und Staat.
Gestatten Sie mir, daß ich die im Gesetz skizzierten Lösungen einiger der genannten Probleme aus der Sicht der FDP erörtere. Zu den Aussagen im Gesetz über die Sicherung der Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung, Lehre und Studium liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Koalition vor,
der das eigentliche Anliegen präzisiert und Mißbräuche, insbesondere eine unzulässige Einschränkung des genannten Grundrechts, ausschließen soll. Dieser Antrag wird noch begründet.
Meine Damen und Herren, die Neuordnung des Hochschulwesens soll nicht nur die bestmögliche Nutzung aller Hochschuleinrichtungen bewirken; sie soll darüber hinaus einen Aufbau der Studiengänge nach sich ziehen, der beim Übergang in Studiengänge gleicher oder verwandter Fachrichtungen eine weitgehende Anrechnung erbrachter vergleichbarer Studien- und Prüfungsleistungen ermöglicht. Dies setzt unseres Erachtens ein Angebot von inhaltlich und zeitlich gestuften integrierten und aufeinander bezogenen Studiengängen mit entsprechenden Abschlüssen in allen dafür geeigneten Bereichen voraus.
Wir haben allerdings, Herr Kollege Gölter, mehrfach deutlich gemacht, daß letztlich nur integrierte Gesamthochschulen dieser Anforderung gerecht werden dürften. Wenn wir dennoch einer Formulierung zugestimmt haben, die sowohl die integrierte als auch die kooperative Gesamthochschule zuläßt, dann geschah dies einmal aus der erwähnten Kompromißbereitschaft heraus, zum anderen aber auch deshalb, weil uns die inhaltlichen Zielbestimmungen wichtiger sind als das Etikett. Schließlich ist auf diese Weise auch der im Bildungsgesamtplan gefundene Konsens berücksichtigt worden. Wir werden allerdings in den Ländern darauf hinarbeiten, daß die Zielvorstellungen der integrierten Gesamthochschule verwirklicht werden.
Eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste Aufgabe, die sich den Hochschulen seit geraumer Zeit stellt und die bislang nur in Ansätzen verwirklicht worden ist, ist die Studienreform. Im Gesetzentwurf heißt es hierzu:
Die Hochschulen haben die ständige Aufgabe, im Zusammenwirken mit den zuständigen staatlichen Stellen Inhalte und Formen des Studiums im Hinblick auf die Entwicklungen in Wissenschaft und Kunst, die Bedürfnisse der beruflichen Praxis und die notwendigen Veränderungen in der Berufswelt zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Die Studienreform soll gewährleisten, daß
1. die Studieninhalte im Hinblick auf Veränderungen in der Berufswelt den Studenten breite berufliche Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen;
2. die Formen der Lehre und des Studiums den methodischen und didaktischen Erkenntnissen entsprechen;
3. die Studenten befähigt werden, Studieninhalte wissenschaftlich selbständig zu erarbeiten und deren Bezug zur Praxis zu erkennen;
4. die Gleichwertigkeit einander entsprechender Hochschulabschlüsse gewährleistet und die Möglichkeit des Hochschulwechsels erhalten bleiben.
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Daß diese Aufgabe bisher praktisch nicht gelöst wurde, liegt sicherlich nicht nur an der Unfähigkeit der Hochschulen, sondern auch und wahrscheinlich noch mehr am fehlenden Instrumentarium. Dem hilft dieses Gesetz sowohl durch die Einrichtung von Studienreformkommissionen auf Bundes- und Landesebene als auch durch die notwendige Freistellung von Hochschulmitgliedern für diese Aufgabe ab. Da sich unseres Erachtens der entscheidende Sachverstand für die Aufgaben der Studienreform in den Hochschulen befindet, haben wir festgelegt, daß in all diesen Kommissionen die Vertreter der Hochschulen mindestens die Hälfte der Mitglieder stellen müssen. Dies gilt für Studiengänge mit akademischen Abschlüssen ebenso wie für die mit staatlichen Prüfungen. Eine Aufteilung wäre hier sachlich nicht vertretbar. Die Reform der Studiengänge und Studienordnungen betrifft die Interessen der Lehrenden ebenso wie die der Studierenden. Folgerichtig müssen beide an dieser Aufgabe beteiligt werden. Mir persönlich wäre es allerdings lieber gewesen, wenn wir auch hier eine Mindestbeteiligung der einzelnen Gruppen fixiert hätten. Die Wahrnehmung gesellschaftlicher Belange und die notwendige Bezugnahme auf die Berufspraxis sollen durch die Beteiligung staatlicher Vertreter ebenso gewährleistet werden wie durch die beratende und sicherlich sehr hilfreiche Mitarbeit von Sachverständigen aus Gewerkschaften, Fachverbänden, Berufsorganisationen und aus der Berufsberatung. Wir haben die Hoffnung, daß es den Studienreformkomrnissionen im Zusammenwirken mit den Hochschulen gelingen
wird, in der geplanten Frist ihre Aufgabe zu bewältigen. Dabei kann es sich allerdings nur um einen ersten Abschnitt handeln, denn im übrigen gehen wir davon aus, daß die Studienreform eine permanente Aufgabe der Hochschulen sein muß. Neben der inhaltlichen Reform hoffen wir besonders darauf, daß es diese Maßnahme den Studierenden ermöglichen wird, ihr Studium in der jeweils vorgesehenen Regelstudienzeit zum Abschluß zu bringen.
An dieser Stelle möchte ich eine kritische Bemerkung zu einer Regelung anfügen, die nicht auf unser Drängen in das Gesetz aufgenommen worden ist, zu der wir sozusagen hingeleitet worden sind.
Ich meine den in § 18 angelegten Sanktionsmechanismus, also die Drohung mit dem Ausschluß vorn Studium bzw. den Ausschluß selbst. Dieser Mechanismus soll die Einhaltung der Regelstudienzeiten gewährleisten. Zweifellos ist es in der jetzigen Zeit gerade recht populär, gegenüber den Hochschulen im allgemeinen und gegenüber den Studenten im besonderen harte Töne anzuschlagen.
— Natürlich, Herr Kollege. Ich sage ja, wir stimmen diesem Gesetz zu. Dennoch kann es sinnvoll sein, differenziert darzulegen, wie wir zu bestimmten Punkten stehen, wie wir zu bestimmten Entscheidungen gekommen sind.
— Natürlich! — Es ist im Moment recht populär, harte Töne gegenüber den Hochschulen und den Studenten anzuschlagen. Ob es allerdings Ausdruck besonderer sachlicher Kompetenz ist, die Lösung des Problems der gestiegenen durchschnittlichen Verweildauer an den Hochschulen argumentativ auf wenige Dauerstudenten, möglicherweise gar im eigenen Bekannten- oder Familienkreis, zu verengen und für die bislang nicht erfolgte Studienreform, für die unzureichende Personal- und Raumausstattung und deren das Studium verlängernde Wirkung ausgerechnet jene Gruppe zu bestrafen, die darauf bislang und auch weiterhin am wenigsten Einfluß hat, das möchte ich ernsthaft bezweifeln. Dies um so mehr, als gerade jetzt eine Studie der Universität Heidelberg ausweist, daß das Bummelantentum von Studierenden der unwesentlichste Faktor für das Ansteigen der durchschnittlichen Verweildauer ist. Viel wichtiger ist neben den vorher schon genannten Gründen z. B. das sogenannte Parkstudium — also das Warten in einem Studiengang, den man eigentlich gar nicht will, auf die Zulassung in einen anderen —, das wir folgerichtig auch im Kapital „Zulassung" entsprechend angehen wollen.
Wenn man die Aussagen des Gesetzes zum Thema Studienreform insgesamt betrachtet, überwiegt allerdings das Positive. Wir freuen uns, daß selbst der CDU-Kultusminister Vogel anerkannt hat, daß es das Verdienst der FDP sei, die Aussagen zu diesem Komplex in eine zweckmäßige Reihenfolge gebracht zu haben: also erst Studienreform, dann differenzierte Regelstudienzeiten und dann — da es gar nicht anders ging — liberalisierte Sanktionsmechanismen.
Bei der Studienreform, aber auch im Selbstverwaltungsbereich der Hochschulen, entstehen mehr und mehr Aufgaben, die sinnvoll nur landes- oder bundesweit wahrgenommen werden können. Diese Aufgaben sollen nach unserer Auffassung nicht in unmittelbar staatliche Verwaltung genommen werden, sondern Arbeitsgegenstände für eine Bundesbzw. für Landeshochschulkonferenzen sein. Wir möchten die Einrichtung dieser Konferenz, auch der Bundeshochschulkonferenz dringend befürworten. Wir halten es auch für wichtig und notwendig, daß in diesem zentralen und repräsentativen Organ der deutschen Hochschulen Mitglieder sowohl der Lehrenden als auch der Studierenden sowie des nichtlehrenden Personals vertreten sind. Sie bilden nun einmal gemeinsam die Hochschulen, und es geht darum, dort die Probleme aller Gruppen zu behandeln. Wir anerkennen die bisherige Arbeit der Westdeutschen Rektorenkonferenz und verstehen aus deren Tätigkeit heraus auch deren Argumentation zu dieser Frage. Wir glauben aus den genannten Gründen aber auch an die Notwendigkeit der Hochschulkonferenzen und möchten sie deshalb eingeführt sehen.
Ein Thema, das man schon vergessen glauben durfte, hat dann doch sehr plötzlich Eingang in unsere Beratungen gefunden; ich meine das Ordnungsrecht. In der öffentlichen hochschulpolitischen Diskussion, aber z. B. auch in der letzten
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Legislaturperiode hier im Deutschen Bundestag, ist immer wieder die Frage erörtert worden, ob zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der deutschen Hochschulen eine bundesgesetzliche Ordnungsrechtsregelung notwendig sei. Wir, die FDP, waren immer der Meinung, daß wir einem solchen Sonderrecht außerordentlich mißtrauisch gegenüberstehen sollten. Wir waren der Meinung, daß eigentlich auch die einschlägigen Bestimmungen des Straf- und Verwaltungsrechts ausreichen, um gegen nachhaltige Störer und Angehörige krimineller Gruppen vorgehen zu können. Wir hätten meines Erachtens auch dabei bleiben können. Die CDU hatte von vornherein für ein abgestuftes Ordnungsrecht votiert, so wie es in einigen Ihrer Länder besteht und das Strafmaßnahmen unterschiedlichster Art schon für leichteste Störungen ermöglicht. Wenn ich den Zwischenruf des Kollegen Carstens, der im Moment leider nicht mehr da ist, richtig verstanden habe, dann habe ich den Eindruck gehabt, als könnte man als letzten Punkt Ihrer Sanktionsliste das Verhungern einführen, wie bewährt.
bitte mich in Schutz zu nehmen! Ich bin
kein Unmensch!)
— Herr Gölter, ich habe nicht gesagt, daß Sie ein Unmensch sind, sondern ich habe den Kollegen Carstens zitiert, der bei anderer Gelegenheit diese Maßnahme als angemessen bezeichnet hat.
In der Koalition wurde die anfänglich völlig ablehnende Haltung modifiziert. Man hat eine Regelung gefunden, die die Tatbestandsvoraussetzungen für eine befristete Exmatrikulation, für einen empfindlichen Eingriff in ein Grundrecht also, relativ eng umgrenzt. Nach dem vorliegenden § 31 ist im einzelnen Voraussetzung, daß ein Student durch Anwendung körperlicher Gewalt oder durch unmittelbare Drohung mit Gewalt den Betrieb einer Hochschuleinrichtung, die Tätigkeit eines Hochschulorgans oder die Durchführung einer Hochschulveranstaltung behindert, ein Hochschulmitglied von der Ausübung seiner Rechte und Pflichten abhält oder abzuhalten versucht und nach den Umständen die Gefahr weiterer entsprechender Beeinträchtigungen zu erwarten ist, wobei gleiches für die Teilnahme, also Anstiftung oder Beihilfe zu solchen Handlungen, gilt.
Mit dieser eng umgrenzten Regelung soll jeder Mißbrauch in Richtung auf willkürliche Handhabung und der mögliche Versuch, politische Disziplinierung vorzunehmen, ausgeschlossen werden. Ich habe mein Unbehagen gegenüber dieser Regelung bereits verdeutlicht. Die Befürworter der vorliegenden Regelung müssen befürchten, daß sie immer noch nicht klar genug sein könnte, daß diese Regelung auch Anlaß zum Mißbrauch sein kann. Ich kenne die Kritik an dieser Regelung im Bereich der Hochschulen und auch im Bereich der Öffentlichkeit ganz allgemein und nehme diese Kritik sehr ernst.
Manche Hochschulmitglieder, manche Hochschulgruppen müssen sich aber auch sagen lassen, daß sie durch ihr eigenes Verhalten oder aber auch dadurch, daß sie in akademischen Diskussionen angefangen haben, Gewalt für bedingt zulässig zu erklären, dazu beigetragen haben, daß dieses Thema wieder auf der Tagesordnung steht.
Die Diskussion um Hochschulreformen war lange Zeit fast ausschließlich von der Forderung des Mittelbaus und der Studierenden nach Mitbestimmung geprägt. Die alte Ordinarienuniversität wurde als unzeitgemäß und undemokratisch abgelehnt, da die Entscheidung in allen die Gesamtheit der Hochschulmitglieder betreffenden Fragen den Professoren vorbehalten blieb und darüber hinaus die Entscheidungsprozesse überhaupt nicht durchschaubar, weil der Hochschulöffentlichkeit nicht zugänglich, waren.
Wir alle erinnern uns der heftigen Diskussionen und Demonstrationen Ende der 60er Jahre, an denen manche von uns als Studentenvertreter, Hochschullehrer oder Parteienvertreter teilgenommen haben. Am Ende war die Notwendigkeit der Reform allseits unumstritten. Nicht mehr das Ob, sondern das Wie und das Wieviel der Mitbestimmung bestimmten die Diskussion.
In der Reformbewegung an den Hochschulen wie auch in den sozialliberalen Parteien fand das Modell der sogenannten Drittelparität zunächst die größte Unterstützung. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum niedersächsischen Vorschaltgesetz wurde dieses Modell rechtlich und damit auch politisch unhaltbar.
Wir haben uns dementsprechend bemüht, den gesetzten Spielraum des Urteils voll auszunützen und eine Regelung zu finden,
die die Mitwirkung der verschiedenen Gruppen nicht zur Farce werden läßt. Als Farce aber müssen von allen Mitgliedergruppen im Modell der Gruppenuniversität, das nun einmal auf der Annahme von Gruppeninteressen beruht, Mitbestimmungsregelungen empfunden werden, die etwa im Verhältnis von 9 oder 10 : 2 : 1 :1 den Professoren eine solche übergroße Mehrheit zusichern, daß die anwesenden Vertreter der anderen Gruppen auch bei Koalitionen quer durch die Gruppen praktisch nichts entscheiden können, daß sie also nur Alibifunktion haben.
Unsere Regelung, die wir im Gesetz gefunden haben, ist demokratischer. Wir treten für eine Regelung ein, nach der die Professoren in allen Entscheidungsgremien über die Zahlen von Stimmen verfügen, die für die absolute Mehrheit erforderlich und ausreichend sind, also für eine Ober- und eine Untergrenze. Abweichend hiervon darf in dem für den Erlaß der Grundordnung zuständigen Kollegialorgan die Mitgliederzahl einer Gruppe die Hälfte der gewählten Mitglieder nicht erreichen.
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Wir glauben, daß diese Regelung geeignet ist, eine echte Kooperation der Gruppen möglich und sinnvoll erscheinen zu lassen, und hoffen, daß alle Gruppen in verantwortlicher Weise hiervon Gebrauch machen.
Herr Kollege Gölter, Sie haben vorhin gesagt, Sie seien froh, daß wir dem Petitum nach Einräumung einer Experimentierklausel nicht entsprochen hätten, da dies ja wohl verfassungswidrig sei. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß Ihre CDU-Kollegin Frau Weber, die im DGB tätig ist, dann offenkundig verfassungsfeindliche Äußerungen gemacht hat;
sie hat noch vor zwei Wochen gefordert, es solle eine Experimentierklausel eingerichtet werden. Ich nehme an, Sie haben Frau Weber nicht deswegen im DGB an führender Stelle, weil Sie ihr sachlich keine Kompetenz zutrauen.
Eine Einbeziehung möglichst vieler Hochschulmitglieder in die Entscheidungsabläufe soll die von uns gewollte Öffentlichkeit der Tagungen der Hochschulorgane ermöglichen. Meine Partei tritt für Transparenz und Öffentlichkeit im gesamten politischen Bereich ein, seien es nun Gemeindeausschüsse oder seien es die Hochschulen. Unser Appell geht an die Länder, diese Offenheit zu übernehmen; das Gesetz räumt diese Möglichkeit ausdrücklich ein.
Meine Damen und Herren, ich habe die Hoffnung ausgedrückt, daß sich alle Gruppen in den Hochschulen verantwortlich an deren Selbstverwaltung beteiligen mögen. Der Gruppe der Studierenden gilt dieser Appell in besonderem Maße. Wir, d. h. die Koalition, wollen deswegen auch die verfaßte Studentenschaft und haben sie gegen die Forderungen der CDU/CSU verteidigt und aufrechterhalten.
Bereits in der ersten Lesung, meine Damen und Herren von der Opposition, habe ich gesagt, daß Sie dieser Einrichtung vor allen Dingen deshalb so ablehnend gegenüberstehen, weil sie Ihnen schlicht und ergreifend unbequem ist. Ihre Kollegen im Ausschuß haben dies mehr aus sachlichen Gründen motiviert; Ihre Fraktion aber unter Anleitung des Kollegen Vogel aus Warendorf läßt gar keinen Zweifel daran aufkommen, wie sie die Studentenschaft beurteilt, wie sie wirklich zu ihr steht. In einer Kleinen Anfrage Ihrer Fraktion haben Sie praktisch alle studentischen Bundesverbände mit Ausnahme des RCDS als Verfassungsfeinde dargestellt
und gleich unverholen mit angeregt, Jungsozialisten, GEW-Mitglieder und Liberale im LHV aus dem Staatsdienst fernzuhalten. Dies ist allerdings eine Gesinnungsschnüffelei und politische Hexenjagd, die in aller Klarheit auch von hier zurückgewiesen werden muß.
Solange Sie solche Positionen vertreten, ist natürlich klar, daß Sie und warum Sie eine verfaßte Studentenschaft nicht wollen.
Meine Damen und Herren, das Hochschulrahmengesetz unternimmt auch den Versuch, der brennenden Problematik des Hochschulzugangs unter den Vorzeichen eines sich ausweitenden Numerus clausus besser zu entsprechen, als dies der Staatsvertrag der Länder leistet.
Wir brauchen dringend eine solche bessere bundesgesetzliche Regelung, wenn sie natürlich auch den Mangel nicht beseitigen wird. Wir hoffen, daß die Opposition ihre anfängliche Weigerung, Bestimmungen zum Hochschulzugang in dieses Gesetz aufzunehmen, aufgeben und der gefundenen Lösung zustimmen wird. Zu den inhaltlichen Gesichtspunkten dieses Kapitels ebenso wie zum Thema „Personalstrukturreform", bei dem sich ja die Vorstellungen von Koalition und Opposition erheblich einander angenähert haben, wird sich in der nächsten Runde meine Kollegin Frau Schuchardt äußern.
Meine Damen und Herren, ich habe versucht, deutlich werden zu lassen, daß wir dieses Gesetz so, wie es jetzt vorliegt — —
— Ja, ist Ihnen das noch nicht deutlich geworden, Herr Kollege Dr. Waigel? Es ist immer so: die einen schaffen es gleich, die anderen brauchen ein bißchen länger. Vielleicht schaffen Sie es auch irgendwann einmal.
Ich habe versucht, deutlich werden zu lassen, daß wir dieses Gesetz so, wie es jetzt vorliegt, verabschieden wollen. Gerade die FDP hätte gern einige Fragen anders geregelt, um das Gesetz vielleicht noch besser machen zu können. Wir haben aber gemeinsam mit unserem Koalitionspartner, der das sicherlich ebenso empfindet, einige wesentliche Anliegen zurückgestellt, um Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, die Zustimmung zu ermöglichen. Wir würden es begrüßen, wenn Sie dieses Angebot annähmen, damit die drängenden Aufgaben der Hochschulreform und der Studienreform sofort in Angriff genommen werden können. Die sozialliberale Koalition leistet dazu mit diesem Gesetz ihren Beitrag. Die CDU/CSU sollte es nicht mit bloßem Neinsagen bewenden lassen.
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