Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die mit unverminderter Härte vorgetragenen Thesen der CDU/CSU-Fraktion und die Wiederholung ihrer sogenannten Konzeption, die unter den Leitworten „Freiheit, Leistung, Verantwortung, Ruhe und Ordnung, keine Veränderungen" steht, betrüben mich außerordentlich.
Immer wieder gelingt es Ihnen, mit Ihren Thesen
bei einigen auch für uns und für manche anderen
schwer zu ertragenden und kritisch zu betrachtenden
9362 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Dr. Meinecke
Phänomenen unserer Universitäten anzusetzen. Im Grunde genommen beginnen Sie mit Ihrer Diskussion erneut und immer wieder im Jahre 1968. Was damals geschah, haben Sie nicht verwunden.
Dabei zeichnen Sie eine Landschaft der deutschen Hochschulen — Herr Kollege Pfeifer, seien Sie mir nicht böse, wenn ich dies so sage —, die geradezu abenteuerlich ist.
— Lassen Sie mich bitte ausreden. Wir haben das Gehämmer Ihres Kollegen Pfeifer auch eine halbe Stunde ertragen.
Dies haben Sie bereits schriftlich niedergelegt. Für Sie gibt es in Deutschland eine Landschaft, die schwarz ist — das ist die Landschaft der Universitäten in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und im Saarland —, und eine andere Landschaft, die rot ist — das ist die Landschaft in Hessen, Bremen und in Oldenburg —.
Nun begehen Sie den ersten kardinalen Fehler, indem Sie bei dieser Beschreibung der hochschulpolitischen Landschaft die Universitäten in Hamburg und Nordrhein-Westfalen ausklammern. Gerade das Hochschul- und Universitätsgesetz in Hamburg — dies hat Herr Bürgermeister Biallas bereits dargelegt — enthält einige der von Ihnen inkriminierten Formeln und Klauseln, von denen Sie meinen, daß damit wiederum die Weltrevolution ausgebrochen sei.
Herr Kollege Pfeifer, erinnern Sie sich nicht daran, daß wir in den Jahren 1968 und 1969 und vielleicht auch noch im Jahre 1970, als wir hier über die Ursachen der sogenannten Studentenrevolte gesprochen haben, wesentlich differenzierter und wesentlich eingehender und unterschiedlicher in der Betrachtungsweise versucht haben, den Dingen auf den Grund zu gehen? Wir haben damals doch alle festgestellt, daß die Ursachen nicht nur in wenigen Monokausalitäten und ganz bestimmt nicht in fortschrittlichen Formulierungen in modernen Hochschulgesetzen liegen. Dies wäre doch geradezu abenteuerlich.
Sie müssen sich doch der Erörterungen in Amerika, England, Frankreich, Osterreich und in vielen anderen Ländern der Welt erinnern.
Man sollte darüber nachdenken: Woran liegt denn dieser jungen Generation von Studierenden? Was macht sie so unzufrieden? Wie kommt es zu diesen Explosionen? Sie kommen dann zu einem ganzen Katalog unterschiedlicher Ursachen, wobei ein Faktor ganz gewiß mit eine Rolle spielt, nämlich der Wunsch und der Wille, in irgendeiner vernünftigen Form an den Entscheidungsprozessen in den Hochschulen mitzuwirken.
Dies alles wollen Sie doch wieder auf das Stadium vor fünf oder zehn Jahren zurückdrehen.
Im Grunde genommen wollen Sie nichts verändert haben. Sie wollen alles beim alten, bei der alten Ordinarienuniversität belassen. Wenn es dann kompliziert wird, führen Sie die Kosten ins Feld. Wenn das Argument der Kosten nicht zieht, stellen Sie sieben Essentials auf. Zum Schluß sagen Sie dann: Wir können das auf gar keinen Fall mitmachen, schon weil gewisse Bestimmungen nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Sie drehen sich im Kreis, weil Sie in Wirklichkeit dieses und auch ein anderes Hochschulrahmengesetz nicht wollen. Dafür allerdings haben wir Verständnis.
Ein Staatsmann — ein Zyniker — hat einmal verlautbaren lassen, ein Hochschulgesetz sei desto besser, je mehr Unmut und Widerstand es bei den Beteiligten hervorrufe. Er mag diese Erklärung abgegeben haben, weil die Früchte jahrelangen Bemühens allein schon um ein Landesuniversitätsgesetz Regierung und Parlament versagt blieben und weil nichts als Arger blieb. Heute leben die Betroffenen in Hamburg gut und zufrieden mit dem Universitätsgesetz, das durch dieses Hochschulrahmengesetz in keinem einzigen Punkt geändert werden muß. Das belegt und beweist — da ja die Hamburger nicht besonders besonnene Leute sind, sondern sich im Durchschnitt von der Gesamtbevölkerung nicht unterscheiden —, daß die Zustände an einigen Hochschulen, die Sie hier dauernd anprangern, andere Ursachen haben und in anderen Verhaltensweisen begründet sind, die wir hier doch wirklich nicht im einzelnen analysieren und beurteilen können.
Ich glaube, daß gerade das hier im Pressedienst abenteuerlich gezeichnete Kontrastprogramm zwischen den Hochschulen guter Art — das bedeutet zugleich: Hochschulen leistungsfähiger Art, in denen die Wissenschaft blüht — und den Kaderschmieden der modernen Revolution eine derartige Schwarzweißmalerei darstellt, daß es von den Beteiligten in den Hochschulen — davon bin ich überzeugt — mit allergrößter Schärfe zurückgewiesen würde.
Es gibt diese Krise, von der Sie immer sprechen, nicht. Dies ist eine Verteufelung, die unglaublich ist. Ich belege Ihnen dies auch. In der „Zeit" vom 22. November erfahren Sie auf Grund einer „Infratest"-Befragung von Vertretern aller Hochschulgruppen die Auskunft darüber, wie sie das Leben und die Situation an den Hochschulen beurteilen. Diese Befragung ist repräsentativ; sie umfaßte insgesamt eine Zahl von 1900 Hochschullehrern. Lassen Sie sich die Ergebnisse dieser Befragung von Hochschullehrern aus allen Universitäten unseres Landes ein wenig darstellen!
Die „Zeit" sagt dazu: Die Auskünfte entbehren jeglicher Dramatik und vermitteln insgesamt den Eindruck, der einem breit und ruhig fließenden Strom mehr entspricht als einem in rauhen Winden aufgewühlten Gewässer. Die Arbeitsbedingungen
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werden als gut beurteilt. Nur 4 °/o gaben an, daß Lehrveranstaltungen in ihren Bereichen gestört würden.
— Da bin ich mit Ihnen nicht einer Meinung. Im übrigen kann man das „Stören" auch unterschiedlich interpretieren.
Hier gibt es auch hohe Empfindsamkeiten. — Die Ausstattung wird nur von einer Minderheit als unzulänglich bewertet.
Im übrigen mag es, weil die Umfrage repräsentativ ist, für Sie interessant sein, daß zwei von drei Wissenschaftlern, gleich rund 60 °/o, politisch — wenn Sie den Wissenschaftlern auch noch gestatten, sich vielleicht politisch zu engagieren —
zum sozialliberalen Lager hin tendieren,
während nur rund ein Viertel, 24%, der Meinung ist, daß die CDU die richtigen Lösungen auch in der Hochschulpolitik anbietet.
Was kann man daraus schließen? — Entweder sind dies alles Chaoten, oder Sie malen die Landschaft falsch.
Herr Kollege Pfeifer, ich identifiziere mich nicht mit jener enttäuschten politischen Persönlichkeit. Ich sage Ihnen aber, daß Sie auch Ihre Erwartungen gegenüber einem Rahmengesetz anders formulieren müssen, als Sie es hier getan haben: zum einen bezüglich der Kosten, zum anderen auf Grund der Tatsache, daß wir doch gerade über die Umsetzbarkeit des Rahmengesetzes in Landesgesetze und über die Wirksamkeiten im Augenblick hier nur potentielle und prognostische Aussagen machen können, wenn wir die Grundsätze in einem Rahmengesetz einmal formulieren.
Ich habe wirklich das Gefühl, daß Sie politisch insofern auf dem richtigen Weg sind, als Sie meinen, daß dort, wo keine Katastrophe ist, diese herbeigeredet werden muß, und dort, wo gewissermaßen schwierige Situationen sind, diese dramatisiert werden müssen.
Damit befinden Sie sich wirklich — überlegen Sie sich das bitte! — in guter Gesellschaft mit denjenigen, die gerade an diesem Rahmengesetz in den letzten Wochen eine massive Kritik geübt haben. Verbale Kraftakte sind zwar modern, aber sie erfolgen allzu häufig, so meinen wir, in der Philosophie des passionierten Biertrinkers, der ein nicht ganz gefülltes Glas bereits angewidert als Abfall zurückschiebt.
In diese merkwürdige Mentalität des „Alles oder Nichts" reiht sich beispielgebend genau Ihre Argumentation ein — essential für essential —, und
wenn den Vorstellungen, den Konzeptionen der CDU nicht in jedem Punkt gefolgt wird, dann wird es kein Hochschulrahmengesetz geben. Sie identifizieren sich, auch wenn Sie es heute in dieser Presseerklärung zurückgenommen haben, hier sofort mit dem Bundesrat. Und da meine ich, dann könnten wir doch gleich zum Einkammersystem zurückkehren.
Ich war bisher der Meinung, jenes gesetzgebende Organ gründe sich besonders auf das Prinzip des Föderalismus. Aber das föderalistische Prinzip gleich auf das erste Gesetzgebungsorgan auszuweiten, diese Möglichkeit läßt unsere Verfassung nicht zu. Hier waren die Erklärungen Ihres Kultusministers aus Rheinland-Pfalz wesentlich maßvoller und wesentlich vernünftiger,
und sie ließen mich hoffen; daß es noch zu einer vernünftigen Einstellung des Bundesrates zu diesem Gesetz kommen kann. Deshalb — und auch nur deshalb, meine verehrten Kollegen von der FDP — halte ich im Augenblick auch das Drohen mit der großen Schere, dieses Gesetz jetzt schon zu zerschneiden, politisch für nicht vernünftig. Ich will Ihnen sagen, warum: weil ich nicht das Argument mitliefern möchte, den Bundesrat von der Gelegenheit zu entbinden, eine konstruktive Denkpause einzulegen und zu überlegen, ob im Sinne einer gesamtstaatlichen Verantwortung und gesamtstaatlichen Entwicklung unseres Bildungswesens dieses Rahmengesetz nicht doch nützlich ist.
Im übrigen war das Gesetz bezüglich vieler Bestimmungen in dieser Form zu erwarten. Diese Bestimmungen ergeben sich aus dem Bildungsgesamtplan, der gemeinsam von Bund und Ländern beschlossen worden ist und in dem nicht, wie der Sprecher der CSU aus Bayern sagt, steht, die Gesamtschulen müssen zerhackt und abgeschnitten werden — die neueste Erfindung Ihrer Bildungspolitik. Wir bekennen uns zur Entwicklung der Gesamtschule, und nach dem Gesetz ist die Entwicklung der koordinierten und der integrierten Gesamtschule nebeneinander möglich. Die Erfahrung wird erweisen, welches das bessere System ist. Aber die Erfahrung hat nicht erwiesen, daß integrierte Studiengänge falsch und unnütz sind.
Im übrigen ergibt sich dieser Gesetzentwurf auch aus dem Hochschulbauförderungsgesetz, in dem man schon damals festgestellt hat, die Gemeinschaftsaufgabe müsse so erfüllt werden, daß die Hochschulen als Beispiel eines gemeinsamen Forschungs- und Bildungssystems künftigen Anforderungen genügten. Was sind denn nun künftige Anforderungen an die Entwicklung der Hochschulen oder an eine moderne Hochschulpolitik? Ein Blick in die Presse genügt heute, um zu erkennen. wo die Schwierigkeiten liegen. Die heißen Diskussionen über unzureichend berechnete Kapazitäten, über falsch oder richtig angegebene Kapazitäten, darüber, ob die Notwendigkeit des Numerus clausus ein Märchen ist oder nicht, zeigen, daß hier die er-
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forderlichen Schritte schnellstens getan werden müssen.
Es geht um eine inhaltlich und zeitlich sinnvoll gestaltete Studienzeit und Studienreform, nicht aber um die von vornherein repressive Anwendung von Regelstudienzeiten. Warum verschweigen Sie denn, daß nach diesem Gesetz jedem, der unter diese Maßnahmen fällt und der eines Tages seine Rechte aus der Einschreibung verliert, das Recht, sich einer Prüfung zu unterziehen, in jedem Fall erhalten bleibt und das dieses Recht ihm nach einem baden-württembergischen Landesgesetz abgesprochen oder entzogen werden kann? Das sind doch die Dinge, die zu Konflikten geführt haben. Hätten Sie nicht von vornherein die andere Seite verbal so betont, wären wir hier vielleicht zu etwas übereinstimmenden Regelungen gekommen.
Ich will die Punkte, die der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft als Kardinalpunkte der Hochschulreform und der Aufgaben unserer Hochschulen in Zukunft aufgeführt hat, nicht wiederholen. Ich weiß, daß viele unserer Kollegen hier überstrapaziert sind. Aber den Ausführungen des Kollegen Pfeifer mußte entgegengetreten werden. Ich möchte nur noch eins sagen.
Vergleichen wir einmal dieses Hochschulrahmengesetz und die zur Zeit bestehenden zehn oder elf Landesgesetze über Universitäten und Universitätserrichtungen miteinander! Dann werden wir erkennen, daß alle Landesgesetze im wesentlichen so angelegt sind, daß sie inneruniversitäre, infrastrukturelle Angelegenheiten bis ins Detail regeln. Die von uns hier heute diskutierten Fragen aber werden in den meisten Ländergesetzen überhaupt nicht angerührt. Sie brauchen nur den Aufgabenkatalog der Hochschulen zu vergleichen, um festzustellen: Der Katalog der Aufgaben der Hochschulen in diesem Rahmengesetz ist der umfassendste, der deutlichste, der weitestgreifende Katalog auch für die Zukunft, der in irgendeinem Hochschulgesetz unseres Landes definiert ist. Dies ist doch immerhin etwas, was wir erreicht haben und was künftige Entwicklungen anderer Art ermöglicht.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns darüber im klaren sein, daß dieses Rahmengesetz manche Hoffnungen nicht erfüllen wird. Es wird bedauerlicherweise weiterhin Zulassungsbeschränkungen geben. Aber die Fragen, die mit dem Numerus clausus zusammenhängen, werden nicht nur in dem Kapitel über die Zulassung geregelt. Wenn man das Gesetz Punkt für Punkt durchgeht, wird man entdecken, daß sich auf dem Sektor der Studienreform wie bei den Fragen der Regelstudienzeiten, den Zulassungsbestimmungen, den Bestimmungen über Prüfungsordnungen Elemente finden, die eines Tages vielleicht auch in dieser Frage zu bestimmten Entlastungen führen werden.
Nicht regeln wird dieser Rahmengesetzentwurf die Konsequenzen, die sich aus einer falschen oder einseitigen Bewertung von Bildungsabschlüssen in unserer gesamten Arbeits- und Berufswelt sowie im öffentlichen Dienst ergeben. Hier muß heute die Aufforderung ergehen, rasch eine Übereinstimmung zwischen den Problemen und den Strukturen un-
serer Arbeitswelt, den Laufbahnen und den Studiengängen an Hochschulen und Universitäten und den Fragen der Berufsausbildung und der Berufsbildung an der dritten Seite dieses Dreiecks zu finden. Hier gebe ich dem Kollegen Pfeifer recht, daß Verlagerungen innerhalb dieses Systems von oben nach unten nicht gestattet werden dürfen und wir hier Auswege finden müssen.
Sie haben immer wieder gesagt, meine Herren Kollegen von der CDU/CSU: Die Hochschulen sollen effizient werden, sie sollen geistige Kreativität entfalten. Dies — so glauben wir doch wohl alle — werden wir aber nicht allein durch Gesetze erreichen können. Hierzu gehört mehr. Hierzu gehört im Grunde genommen etwas, was ja in unserem Land die — im internationalen Vergleich — wirtschaftliche Stabilität ausmacht: hierzu gehört grundlegend ein gesundes soziales Klima, eine gewisse politische Vernunft im Verhalten aller Bürger. Dies ist wiederum durch sozialpolitische Aktivitäten bedingt, aber auch durch Mitspracherecht in den Einrichtungen, in denen unsere Bürger tätig sind, in den Schulen, in denen sie lernen, und in den Hochschulen, in denen sie studieren. Darum glaube ich nicht, daß, wenn sich Hochschulen und Gesellschaft mehr umeinander kümmern, das Bild, das Sie von der Zukunft zeichnen, in irgendeiner Weise relevant werden kann.
Wir bejahen das Hochschulrahmengesetz bis zum letzten Moment. Wir müßten dann für ein Scheitern den Bundesrat verantwortlich machen.