Rede von
Prof. Dr.
Hans Hugo
Klein
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, damit einverstanden zu sein, daß ich gleichzeitig, da ich einmal das Wort habe, auch die Nrn. 3 und 5 unseres Antrags auf Drucksache 7/2957 begründe.
Die Fraktion der CDU/CSU wünscht, entsprechend dem Vorbild des Beamtenrechtsrahmengesetzes in einer einleitenden Bestimmung des vorliegenden Gesetzentwurfs klargestellt zu sehen, daß das Hochschulrahmengesetz mit Ausnahme seines Schlußkapitels nur den Landesgesetzgeber bindet, aber ohne unmittelbare Wirkung für den Bürger bleibt. Dies — und dies allein, so meinen wir — entspricht dem Charakter des Rahmenrechts und überdies der Tatsache, daß das Grundgesetz den Bundesgesetzgeber ohnehin nur zum Erlaß allgemeiner Grundsätze des Hochschulrechts ermächtigt.
Von ungleich größerem Gewicht allerdings ist es
aus meiner Sicht, daß § 3 Abs. 1 des Entwurfs eine Korrektur erfährt. Zwar ist es als ein Fortschritt zu werten, daß sich die Koalition bereit gefunden hat, eine inhaltliche Umschreibung der Freiheit von Forschung, Lehre und Studium in das Gesetz aufzunehmen. Noch in der letzten Legislaturperiode hat sie sich mit Händen und Füßen dagegen gesträubt. Erst im Verlauf eines in dieser Legislaturperiode vollzogenen schrittweisen Kapitulationsprozesses kam es zu den jetzigen Formulierungen, die übrigens, wenn ich das vorwegnehmen darf, in einem nicht unwesentlichen Punkt durch den uns vorliegenden Antrag wieder relativiert werden sollen. Vor allem aber die Formulierung des § 3 Abs. 1, nach der die Mitglieder der Hochschule die ihnen verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheiten der Wissenschaft und Kunst, der Forschung und der Lehre sowie des Studiums „im Bewußtsein ihrer Verantwortung vor der Gesellschaft" zu nutzen und zu wahren haben, muß fallen. Selbst wenn das Gesetz im übrigen uneingeschränkt nach unserem Geschmack wäre: solange es diese Formulierung enthält, werden wir ihm nicht zustimmen können.
Dabei sehe ich von der Frage ab, ob diese Formel im Rahmen der heutigen Fassung des § 3 Abs. 1 oder auch der möglicherweise zu ändernden Fassung überhaupt einen normativen Gehalt hat, ob ihr also rechtliche Bedeutung zukommt. Immerhin — das hat Herr Kollege Gölter heute morgen schon angesprochen — war die Koalition ja nicht bereit, die verharmlosende Erklärung, es handle sich hier um eine Leerformel, in den Bericht des Ausschusses aufzunehmen, obgleich dies die Meinung in Ihren Reihen zu sein schien.
Aber wie dem auch sei, entscheidend für uns ist, daß diese Formulierung, deren Verwandtschaft mit dem berüchtigten § 6 des hessischen Universitätsgesetzes nicht zu verkennen ist,
für eine Hochschulpolitik steht, die die Wissenschaft vergesellschaften oder, genauer, die institutionellen Voraussetzungen für eine parteiliche Wissenschaft schaffen will.
Zwar — auch das ist heute morgen schon angeklungen — befinden sich die Protagonisten einer solchen Hochschulpolitik heute allenthalben auf dem Rückzug. Aber, meine Damen und Herren, die Begleitumstände, unter denen sie ihre Ämter verlieren, zeigen doch zugleich, wie wenig tot ihre Ideen sind.
Diese Protagonisten einer gescheiterten Hochschulpolitik gehen heute auf Tauchstation, und die Formulierung, an der wir Anstoß nehmen, hat die Funktion, sie auf bessere Zeiten zu vertrösten.
Sie signalisiert, daß die pragmatischen Zugeständnisse des vorliegenden Entwurfs, die wir anerkennen, taktischen Rücksichten entspringen und nicht prinzipieller Natur sind.
Die Formulierung „im Bewußtsein ihrer Verantwortung vor der Gesellschaft" — auch wenn man hinzufügt: „in einer freiheitlich-demokratischen Ordnung" oder ähnlich — symbolisiert eine Auffassung, die nur die gesellschaftlich nützliche Wissenschaft als legitim betrachtet. Und dieser Symbolkraft wegen ist es auch von relativ untergeordneter Bedeutung, welcher aktualisierbare normative Sinn dieser Formulierung innewohnt. Die Verpflichtung, die gesellschaftlichen Folgen wissenschaftlicher Erkenntnis mitzubedenken — so formuliert das hessische Gesetz —, mag als eine moralische Verpflichtung selbstverständlich sein. Wenn sie aber der staatliche Gesetzgeber zu rechtlicher Relevanz erhebt — und das geschieht doch, wenngleich zugegebenermaßen in abgeschwächter Form, auch durch den uns vorliegenden Entwurf, auch durch den nachher zu begründenden Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen —, dann wird eben unvermeidlich in einer Weise, für die die Verfassung keine Grundlage bietet, die Freiheit der wissenschaftlichen Erkenntnis durch einen ihr nicht immanenten Gesichtspunkt eingeschränkt bzw. inhaltlich determiniert.
Das aber, meine Damen und Herren, würde nicht mehr und nicht weniger bedeuten als einen Rückfall in voraufklärerische Zeiten. Es widerspräche dem von Theodor Mommsen formulierten Grundsatz der „Voraussetzungslosigkeit aller wissenschaftlichen Forschung als dem idealen Ziel, dem jeder gewissenhafte Mann zustrebt", also — und das war da-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9337
Dr. Klein
mals, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wie es scheint, nicht weniger aktuell als heute -- dem Grundsatz der Unabhängigkeit der Wissenschaft von religiösen und politischen Dogmen. Es widerspräche vor allem dem von Max Weber geforderten und seither in allen freiheitlichen Staaten anerkannten Prinzip der Wertfreiheit der Wissenschaft, einem Prinzip, das besagt, daß sich Werturteile wissenschaftlich nicht begründen lassen und daß Werturteile in wissenschaftlichen Begründungszusammenhängen keinen Platz haben.
Immer haben sich totalitäre Mächte durch diese Idee der Wertfreiheit der Wissenschaft herausgefordert gefühlt. Das gilt für Hitler, der in einem seiner Tischgespräche den Gedanken einer freien, voraussetzungslosen Wissenschaft als absurd und die Wissenschaft als ein soziales Phänomen bezeichnete, das wie ein jedes solches Phänomen durch den Nutzen oder Schaden begrenzt sei, den es für die Allgemeinheit stifte. Das gilt aber auch für den totalitären Marxismus, der die Wissenschaft dem Prinzip der Parteilichkeit unterwerfen will. „Das Denken muß parteilich sein und ist es immer gewesen", schrieb Ernst Bloch in einem 1951 veröffentlichten Aufsatz.
Vor diesem Hintergrund sind die die jüngste Vergangenheit der hochschulpolitischen Entwicklung in der Bundesrepublik bestimmenden Bestrebungen zu sehen, die von der Frankfurter Schule ausgehenden Anstöße, die die SPD aufgenommen hat, indem sie einen ihrer prominentesten Vertreter zum hessischen Kultusminister avancieren ließ, und die Universitätsgründungen in Bremen und Oldenburg, zu deren Beurteilung es genügt, einerseits auf die bekannten Äußerungen von Immanuel Geiss, andererseits auf den Plan zu verweisen, sich durch Vertrag in den Dienst des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu stellen.
Was Bremen angeht, ist übrigens auch auf dem Hintergrund des vorhin Gesagten aufschlußreich genug, was der dortige Gründungsrektor, Herr von der Vring, einstmals führendes Mitglied der Jungsozialisten und auch heute nicht ohne Einfluß in der SPD, vor Jahren in einem „Spiegel"-Gespräch erklärte, daß nämlich die Hochschule eine treibende Kraft zur Veränderung der Gesellschaft sein solle. Ihre Aufgabe sei es, zur Revolutionierung des Bewußtseins beizutragen, indem sie Partei ergreife und sich offen auf die Seite des Fortschritts stelle.
Meine Damen und Herren, für derartige Bestrebungen steht symbolhaft die von uns beanstandete Formulierung, und ich bitte um Verständnis dafür, daß wir da nicht mitmachen können.