Rede von
Dr.
Rolf
Meinecke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir schlagen in diesem Antrag vor, in § 2 nach Abs. 1 einen Abs. 2 mit folgendem Wortlaut einzufügen:
Die Mitglieder der Hochschule erfüllen ihre Aufgaben in Kunst und Wissenschaft, Forschung, Lehre und Studium im Bewußtsein ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft in einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat.
Als Folge daraus ergibt sich, daß die Abs. 2 bis 8
um jeweils eine Nummer erhöht werden: Abs. 2
wird Abs. 3 dann fortlaufend bis: Abs. 8 wird Abs. 9.
Als weitere Folge — Herr Präsident, wenn es mir erlaubt ist, dies gleich zu erwähnen — ergibt sich daraus, daß im § 3 Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung, Lehre und Studium — der neue Abs. 1 nunmehr folgenden Wortlaut erhält:
Das Land und die Hochschulen haben sicherzustellen, daß die Mitglieder der Hochschule die durch Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes verbürgten Grundrechte wahrnehmen können.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir einige Entgegnungen auf die Ausführungen meines Vorredners. Er hat gesagt, daß § 3 des Gesetzes den Versuch unternimmt, die Freiheit von Kunst, Wissenschaft, Forschung, Lehre und Studium im einzelnen zu erläutern. Das ist richtig. Dies war damals eine Anregung der CDU/CSU. Alle Fraktionen haben sich im Ausschuß gemeinsam um die nunmehr vorliegenden Formulierungen bemüht.
Verbunden mit den positiv dargestellten Rechten werden — schon im Text erkennbar —gleichzeitig auch die Grenzen dieser Rechte bzw. der Rechtmäßigkeit von Beschlüssen der Hochschulorgane genannt, die sich organisatorisch oder im Interesse des zu gewährleistenden Betriebes der Hochschule auf diese Rechte beziehen und damit den Rahmen der Ausübung dieser Freiheiten abstecken. Wenn der Opposition damals dieser Vorschlag vernünftig, normal und notwendig erschien, dann ist es heute für uns nicht einzusehen, warum nicht auch die Aufforderung an die Mitglieder der Hochschule ergehen sollte, sich über ihre Verantwortung in der Wissenschaft — und das kann ja nur eine humane im weitesten Sinne sein — klar zu sein. Gemeint ist die Verantwortung gegenüber unserer Gesellschaft, die als eine demokratische in einem sozialen Rechtsstaat zu verstehen ist, und nicht eine Abhängigkeit in einer diktatorischen — nationalsozialistischen
oder irgendeiner anderen — Gesellschaft. Dies hat hiermit nichts zu tun.
Es ist ja kein Zufall, daß hier in einer fast widerwärtigen Weise die Vergewaltigung des nationalsozialistischen Staates gegenüber der Wissenschaft angeführt wird. Herr Professor Klein weiß natürlich ganz genau, daß die Väter des Grundgesetzes die Ideologisierung und den Zwang des Staates als Einengung der Wissenschaft gemeint haben, als sie diesen Artikel so formuliert haben.
— Das Grundgesetz gewährt audi andere, gleichberechtigte Grundrechte, aufgeführt in Art. 1 bis 17, und schränkt diese in Art. 17 a bis 19 ein. Es ist wahrhaftig nicht schwer, sich vorzustellen, daß durch Entwicklungen in der Wissenschaft audi andere Grundrechte berührt werden; denken Sie nur an Menschenwürde oder an das Grundrecht der Meinungsfreiheit, an das Recht auf Gesundheit und an die Informationsfreiheit. Es ist doch nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch möglich bezüglich moderner wissenschaftlicher Entwicklungen, daß einmal eine Grenze erreicht werden kann, wo nicht die Wissenschaft durch den Staat oder die Gesellschaft eingeengt wird, sondern wo auch die Lebensinteressen unserer Gesellschaft vor Entwicklungen in der Wissenschaft geschützt werden sollten. Es ist somit ein Appell — dies ist als eine positive Aufforderung zu verstehen —, Wissenschaft möge sich der Interessen und Lebensbedingungen unserer Gesellschaft annehmen — so steht es auch im saarländischen Universitätsgesetz, welches von Ihnen formuliert wurde —, aber auch die Grenzen dessen bedenken, was Folgen von Entwicklungen bedeuten, die sich einmal schädlich auswirken können.
Um es der Opposition leichter zu machen, noch einmal darüber nachzudenken, und endlich den Verdacht loszuwerden, wir wollten die Freiheit von Wissenschaft und Forschung einengen durch unterschiedlich motivierte Vorstellungen einzelner Gruppen, die z. B. an den Hochschulen ihre eigenen Interessen oder politischen Vorstellungen mit denen der Gesellschaft zu identifizieren pflegen, versuchen wir nun, im neuformulierten § 2 klarzustellen, welche Gesellschaft wir meinen und nach welchen Regeln diese Gesellschaft im Staat sich selbst strukturiert hat und miteinander umgeht. Wir machen auch klar, daß der neue Text jetzt unter den Aufgaben der Hochschule zu finden ist und insofern ein Widerspruch und eine Einengung in § 3 nicht mehr suspiziert werden kann.
Ich wage Ihnen vorauszusagen, daß in wenigen Jahren oder Jahrzehnten große Gruppen unserer Bevölkerung und die Wissenschaft selbst dies für einen modernen und vernünftigen Appell halten werden. Ich könnte Ihnen, Herr Professor Klein, eine genauso große Zahl von Wissenschaftlern, wie Sie angeführt haben, meinerseits zitieren, die sich ihrerseits durchaus ihrer Verantwortung in der Wissenschaft bewußt sind und auch bereit sind, dies zu
9340 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Dr. Meinecke
deklarieren, ohne es als einen Eingriff in ihre Grundrechte zu verstehen.
Wenn Sie nun immer noch nicht überzeugt sind, daß Sie dem zustimmen können, ohne hiermit gleich wieder die Revolution zu intendieren, dann möchte ich noch aus der Konvention zum Schutz der Menschenrechte zitieren, die auch international Deklarationscharakter besitzt, d. h. die im rechtlichen Sinne eine Erklärung grundsätzlicher Art darstellt. Hier heißt es, daß die Ausübung der in der Konvention angeführten einzelnen Rechte und Freiheiten gleichzeitig Pflichten und Verantwortung mit sich bringt. Nichts anderes, als die Deklaration der Menschenrechte im europäischen Rahmen sagt, wollen wir hier: einen positiven Appell an die Wissenschaft und damit dies den Universitäten als Aufgabe zuordnen. Ich bitte Sie, einmal zu überlegen, ob das Gesetz wirklich an dieser Formulierung scheitern muß.
Herr Präsident, ich bitte Sie, daß ich gleich noch zu § 3 eine letzte Änderung begründen darf; damit wäre dann der Antrag der Koalitionsfraktionen insgesamt begründet.
In § 3 Abs. 3, der die Freiheit der Lehre im einzelnen behandelt, ergibt sich nach einer Umformulierung, die gemeinsam im Ausschuß gefunden wurde, die Notwendigkeit, klarzustellen, daß die Freiheit der Lehre nicht davon entbindet, das Lehrangebot, die notwendige Zahl von Lehrveranstaltungen für den gesamten Universitätsbereich sicherzustellen. Darum möchten wir gern formulieren:
Die Freiheit der Lehre umfaßt, unbeschadet des Art. 5 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes, im Rahmen der zu erfüllenden Lehraufgaben die Abhaltung von Lehrveranstaltungen und deren inhaltliche methodische Gestaltung sowie das Recht auf Äußerung von wissenschaftlichen und künstlerischen Lehrmeinungen.
Dies ist der Zusatzantrag zu § 3 Abs. 3, der in unserer Antragsdrucksache enthalten ist.
Wir bitten, den beiden Anträgen zuzustimmen.