Rede von
Friedrich
Hölscher
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Aber Herr Kollege Burger, ich glaube, Sie haben mich gerade bei meinem letzten Satz nicht verstanden. Ich habe ja ausdrücklich festgestellt, daß nicht erst im Jahre 1969 mit der Behindertengesetzgebung begonnen wurde. Ich habe aber festgestellt, daß die Leistungsbilanz der letzten zwei Jahre, die wir gemeinsam geschaffen haben, auch deshalb so gut ist, weil eben bis 1969 ein entsprechendes Defizit entstanden war. Und das können wir auch statistisch nachweisen. Ihre Große Anfrage wird ja durch eine Erhebung aus dem Jahre 1970 begründet, und wir wissen alle, daß sich die Negativbilanz, die aus dieser Umfrage ja nun abzulesen ist, inzwischen relativ ins Positive gekehrt hat.
Aber ich möchte gern in meinen Ausführungen fortfahren. Wir alle haben — Herr Kollege Burger, meine Damen und Herren von der Opposition, lassen Sie mich das einmal als Gemeinsamkeit ansprechen — uns in den letzten zwei Jahren redlich bemüht, eben diese Lücken, die entstanden waren, zu schließen. Ich weiß, daß gerade Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, hieran im Arbeits- und Sozialausschuß konstruktiv mitgearbeitet haben. Ich meine, wir haben uns doch um eine gute Gesetzgebung bemüht, auch wenn die Initiativen — auch das möchte ich sagen — nun nicht von Ihnen kamen von Ihnen waren keine Gesetzentwürfe eingebracht worden —, sondern von der Bundesregierung bzw. den Koalitionsfraktionen.
Dennoch: Wir alle haben diese Gesetze einstimmig verabschiedet. Wir haben so manchen Änderungsantrag der Opposition angenommen. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang sehr gern an die gute Zusammenarbeit mit der verehrten Frau Kollegin Hürland und auch mit anderen Kollegen der Opposition. Um so unverständlicher das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen —, ja nahezu grotesk finde ich es, wenn Sie in Ihrer Anfrage behaupten, von einer Chancengleichheit für Behinderte, im Sinne der Zielvorstellung, sie voll in das Berufsleben zu integrieren und die aus der Behinderung resultierende Benachteiligung voll auszugleichen, könne bislang kaum gesprochen werden. Damit werten Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, im nachhinein Ihre eigene und wirklich konstruktive Mitarbeit und Ihren Anteil an der Gesetzgebung ab.
Ein großer Teil Ihrer Fragen ist durch die Verabschiedung der entsprechenden Gesetze längst erledigt, ja waren eben auch zum Zeitpunkt der Einbringung Ihrer Anfrage bereits erledigt bzw. eingeleitet, weil sich z. B. Schwerbehindertengesetz und Rehabilitationsangleichungsgesetz schon in der parlamentarischen Beratung befanden. Ich will deshalb gar nicht in voller Breite auf die Leistungen der letzten zwei Jahre — Schwerbehindertengesetz, Rehabilitationsangleichungsgesetz, Verzehnfachung der Bundesmittel für Rehabilitationseinrichtungen
Die Forschungsprogramme hierzu laufen. Hoffentlich wird uns nicht von der Opposition, wenn es dann
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9389
Hölscher
um die Realisierung dieser Programme geht, entgegengehalten, hiermit dürfe man die Wirtschaft auf keinen Fall belasten.
Meine Damen und Herren, sicher ist für die Behinderten noch manches zu tun. Wir werden nie den Zeitpunkt erreichen, an dem wir sagen können: Nun ist alles in Ordnung. Manches können wir als Bundesgesetzgeber gar nicht regeln, weil es nicht in unsere, sondern in die Kompetenz der Länder fällt. Die Opposition hat das auch in ihrer Großen Anfrage in einigen Punkten offensichtlich übersehen. Für anderes wiederum können wir nur den gesetzlichen Rahmen geben, nicht aber auch schon den Erfolg sicherstellen, weil eben zu viel vom guten Willen und auch von den Möglichkeiten der Verantwortlichen im gegliederten Sozialsystem abhängt.
Wir hätten ein Rehabilitations-Angleichungsgesetz gar nicht benötigt, wenn die Träger selbst rechtzeitig für eine Angleichung der Leistungen gesorgt hätten. Nun, wir haben als Gesetzgeber jetzt dafür gesorgt, daß jeder Behinderte unabhängig von der Art seiner Behinderung und unabhängig davon, welcher Rehabilitationsträger zuständig ist, die gleichen Leistungen erhält. Dennoch bleibt den Trägern auch im Rahmen dieses Gesetzes ein weiter Spielraum für Eigeninitiative.
Ich habe mich, wie sich gewiß der eine oder andere Fachkollege erinnern wird, im Arbeits- und Sozialausschuß sehr für die Beibehaltung des Selbstverwaltungsprinzips in diesem Bereich eingesetzt, sicher auch gegen die verständlichen und begründeten Bedenken der Kollegen aus den beiden großen Fraktionen. Diese Kollegen führten mit Recht an, daß z. B. die Frankfurter Vereinbarung der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation wirklich nicht das gehalten hat, was wir uns von ihr versprachen.
Gerade aber weil wir Liberalen uns für das im allgemeinen bewährte Prinzip der Selbstverwaltung auch in diesem Fall ausgesprochen und letztlich durchgesetzt haben, möchte ich als Vertreter der FDP-Fraktion an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen: Krankenkassen, Rentenversicherungsträger, Unfallversicherungen, Berufsgenossenschaften, Bundesanstalt für Arbeit und die anderen Träger, auch die Kassenärztlichen Vereinigungen, müssen jetzt zur Zusammenarbeit kommen. Ich war etwas überrascht, gerade zu diesem Punkt z. B. von Frau Kollegin Hürland nichts zu hören. Nicht an Zuständigkeitsfragen, an falsch verstandenem Unabhängigkeitsdenken, an unnötigem bürokratischem Formelkram dürfen Energien vergeudet werden, sondern alles muß darangesetzt werden, den Behinderten oder den von der Behinderung Bedrohten schnell und umfassend zu helfen. Das gilt gleichermaßen für die Ausgestaltung der Meldepflicht, die Durchführung der Beratungen wie auch für die Aufstellung eines Gesamtplans.
Wenn die Träger diese Aufgaben nicht im Rahmen der ihnen nach wie vor zugestandenen Eigeninitiative bewältigen, muß die Bundesregierung im Interesse der Behinderten von ihrer Ermächtigung, Rechtsverordnungen zu erlassen, Gebrauch machen.
Meine Damen und Herren, meine Zeit geht zu Ende. Deshalb muß ich zum Schluß kommen. Ich darf
folgendes sagen. Wir als Gesetzgeber können nur I den Rahmen abstecken, der letzten Endes nur dann optimal ausgefüllt werden kann, wenn das Verhältnis der Bevölkerung draußen den behinderten Mitbürgern gegenüber gebessert wird. Ich finde es schlimm, immer wieder in den Zeitungen lesen zu müssen, daß irgendeine Bürgerinitiative es gibt nämlich auch Bürgerinitiativen gegen die Interessen der Behinderten —, irgendein Gemeinderat gegen die Errichtung einer Behinderteneinrichtung zu Felde zieht. Hier sollten wir unseren Einfluß geltend machen, auch unseren Kollegen in den Gemeindeparlamenten gegenüber.
Meine Damen und Herren von der Opposition, vielleicht haben Sie, weil sich das meistens auf dem flachen Land abspielt, noch eher die Gelegenheit, dort wegen der politischen Struktur zu helfen, jedenfalls eher als wir. Ich glaube, das wäre nützlicher als diese Große Anfrage im Bundestag, für die wir uns natürlich im übrigen herzlich bedanken.
Widerspruch in sich selber!)