Herr Kollege Pfeifer, auch diese Frage steht leider nicht in der Tradition einer vernünftigen Diskussion über Hochschulen, sondern in dem Versuch, einzelne Gruppen oder einzelne Parteien zu diffamieren.
Und jetzt lassen Sie mich etwas sagen: Ich verstehe sehr gut und teile mit Ihnen — wir haben das in der Verfassungsdebatte hier besprochen — die Kritik an manchen extremistischen Randgruppen, die es in den Universitäten gibt. Aber Sie tun der ganzen Demokratie keinen Gefallen, wenn Sie versuchen, scheibchenweise zuerst den KSV, dann den SHB und den MSB Spartakus, dann die Jusos und zum Schluß die ganze SPD in einen verfassungsfreien Raum hinauszudrängen.
Damit tun Sie dieser Demokratie keinen Dienst, meine Damen und Herren.
Richtig ist die Feststellung, die hier vorhin schon getroffen worden ist
— ich erlaube mir noch einmal darauf hinzuweisen, um von einer demagogischen zu einer sachlichen Diskussion zurückzukommen —, daß viele von denen, die heute an den Hochschulen auf Grund der Partizipation Gruppenkämpfe beklagen, früher solchen Gruppenkämpfen in der Tat nicht ausgesetzt waren, weil sie allein entscheiden konnten. Aber die anderen, Herr Kollege Pfeifer, über die entschieden worden ist, waren auf die Dauer aus den Entscheidungsprozessen nicht auszuklammern.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9323
Parl. Staatssekretär Dr. Glotz
Ich würde Sie bitten, zu sehen, daß das Prinzip Mitbestimmung in den gesellschaftlichen Institutionen auch ein Integrationsprinzip ist. Gerade deshalb lehnen extreme und radikale Gruppen Mitbestimmung in den gesellschaftlichen Institutionen strikt ab. Diese Mitbestimmung ist aber ein Integrationsinstrument, das wir gegenüber der Legitimationskrise, in die unsere Industriegesellschaften geraten, dringend, dringend brauchen können. Das gilt auch für die Hochschulen.
Meine Damen und Herren, der Hinweis auf vor-vornehmlich extremistische Gruppen in den Hochschulen, in der akademischen Linken ist notwendig, aber ich glaube, der ausschließliche Hinweis auf diese Gruppen verdeckt oft die eigentlichen Probleme der Hochschule. Viel schlimmer als der verbale Radikalismus — und leider ist es manchmal nicht nur ein verbaler Radikalismus — ist die konsequente Abschirmung der Universität gegen Bedürfnisse der gesellschaftlichen Praxis. Viel schlimmer ist beispielsweise der Horror, den manche Teile liberal-konservativer Professoren und manche Teile von Emanzipationsstudenten gemeinsam vor einer vernünftigen Regelung der Regelstudienzeit haben. Denn ich räume Ihnen gern ein: Auch die Gruppenuniversität — nicht nur die Ordinarienuniversität — ist zu kollektivem Egoismus fähig. Ich halte es in der Tat für ein Zeichen von kollektivem Egoismus, wenn an Hochschulen heute eine straffere Gliederung des Studiums, eine Entschlackung der Studiengänge abgelehnt wird und wenn man versucht, um sich eigene Freiheiten zu erhalten, andere — im Effekt — aus den Hochschulen herauszuhalten. Auch die hinhaltende, trickreiche, erfolgreiche Abwehrhaltung verschiedener Universitätsselbstverwaltungen etwa gegen einheitliche Kapazitätsermittlungen und gegen die Aufdeckung ungenutzter Kapazitäten ist ein solches Phänomen von kollektivem Egoismus.
Ich will gar nicht wegstreiten, daß alle diese Haltungen durchaus auch verständliche Motive haben: Die Studenten wollen mehr Zeit, um sich in einem vom Druck der Arbeitswelt freien Raum intellektuell umzusehen; die Professoren wollen ja nicht faulenzen, sie wollen forschen. Vielen Universitätsbürgern mag es noch gar nicht bewußt sein, aber dahinter steht eigentlich immer noch neuhumanistisches Gedankengut, wenn Sie so wollen, die Idee, die Universität sei eine Einrichtung der sich selbst bildenden Idealisten, der Bildung durch Wissenschaft, der Bildung als sittlicher Grundeinstimmung des Lebens — oder wie all diese Begriffe heißen, die wir kennen.
Diese Idee hat — das wollen wir zugeben — viel bewirkt, aber sie ist praktiziert worden über einem Abgrund von sozialer Ungerechtigkeit. Die Explosion der Zahlen, der Kampf um mehr Gerechtigkeit verlangen heute, glaube ich, eine neue Konzeption.
Auch durch diese Debatte, meine Damen und Herren, sollten wir unseren Hochschulbürgern klarmachen, daß sie den Funktionswandel der Hochschulen akzeptieren müssen. Denn es ist mit unseren doch wohl gemeinsamen Vorstellungen, Herr Kollege Probst, die das ganze Haus hier teilt, nicht
vereinbar, daß sich eine kleine und sozial homogene Elite in Einsamkeit und Freiheit bildet, während die Mehrheit der anderen Menschen dafür arbeitet. Dies bedeutet aber eben, daß die Hochschulen heute nicht mehr Akademien sind, wie sie Humboldt konzipiert hat. Wir müssen sie sehen und akzeptieren als Zentren der Dienstleistung mit hoher wissenschaftlicher Qualifikation, mit Elastizität nach draußen zur gesellschaftlichen Praxis, innerlich geprägt von einem Teamgeist, einem funktionsbezogenen Teamgeist. Wenn wir dies nicht schaffen, dann könnten wir gemeinsam Kräfte gegen die Hochschulen und gegen unsere Hochschulpolitik mobilisieren, die wir möglicherweise alle nicht mehr kontrollieren können.
Sie sollten also erkennen, meine Damen und Herren, daß die eigentliche Frontstellung der Hochschulpolitik in den nächsten Jahren nicht mehr so sehr zwischen Demokraten auf der einen und Extremisten auf der anderen Seite verlaufen wird, wobei wir uns dann im Einzelfall vielleicht darüber streiten, was ein Extremist ist oder was keiner ist. Die eigentliche Frontstellung an den Hochschulen wird künftig verlaufen zwischen den Parlamenten und demokratischen, reformistischen Staatsverwaltungen auf der einen Seite — wo im übrigen die Unterschiede zwischen christdemokratischer, freidemokratischer und sozialdemokratischer Verwaltung oft geringer sind, als wir gegenseitig zugeben — und einem hochspezialisierten, aber nostalgischen Akademikertum auf der anderen Seite.
Ich möchte mit diesen Begriffen nicht pauschal alle Betroffenen belegen. Es gibt nichtreformistische, nämlich stockkonservative Verwaltungen, und es gibt selbstverständlich viele Akademiker, die durchaus zukunftsorientiert sind. Aber, glauben Sie mir, der Grundkonflikt, von dem ich hier gesprochen habe denken Sie an die kommenden Diskussionen über die Kapazität der Hochschulen, die Studienreform — ist entscheidender als das von Ihnen perpetuierte Links-Rechts-Schema, das man in der hochschulpolitischen Diskussion oft hört.
Lassen Sie mich zum Schluß noch folgendes sagen. Ich bin davon überzeugt — Herr Minister Vogel ist jetzt gerade nicht im Raum —, daß er als Vorsitzender des Bundeskulturausschusses der Union, daß Sie als Bildungspolitiker der Union, daß viele in der Union eine Regelung und damit ein Hochschulrahmengesetz wollen. Sie wollen verschiedene Änderungen; dies ist von Ihrer Position aus verständlich und berechtigt. Ich sehe aber natürlich auch, daß es den einen oder anderen geben mag — auch dies ist eine, wenn Sie so wollen, in parteipolitischen Auseinandersetzungen legitime strategische Haltung —, die sagen: Nein, beim Thema Hochschule soll keine Ruhe einkehren, da muß weiterhin diskutiert werden können und offen ohne Gesetz diskutiert werden können, und wir wollen dieser Regierung keinen Erfolg im Sinne eines Gesetzes gönnen. Heute steht in der „Süddeutschen Zeitung" — Sie werden es gelesen haben, Herr Kollege Pfeifer; Sie werden dort auf einer Seite ständig zitiert —:
9324 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Parl. Staatssekretär Dr. Glotz
Die CDU/CSU will aber die Hochschulpolitik — anders ist ihr Verhalten in den letzten vier Jahren und kurz vor der Debatte nicht zu verstehen — als Konfrontationsfeld erhalten. Der Preis, den die Koalition zahlen muß, wenn das leidige Thema des Rahmengesetzes endlich abgeschlossen und der Startschuß für die Studienreform gegeben werden kann, ist der Gesichtsverlust.
Meine Hoffnung ist, meine Damen und Herren, daß sich bei dieser Auseinandersetzung die sachverständigen Bildungspolitiker der Union durchsetzen, und nicht diejenigen, die einen Konfrontationskurs und die Hochschule als Konfrontationsfeld erhalten wollen.