Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn nunmehr zwölf Monate nach der ersten Lesung das Hochschulrahmengesetz in diesem Hause zur Verabschiedung in dritter Lesung vorliegt, dann ist das in erster Linie der intensiven und, wie ich hinzufügen möchte, auch konstruktiven Beratung im Bundestagsausschuß für Bildung und Wissenschaft zu verdanken. Ich möchte diesem Sachverhalte gegenüber gleich zu Beginn meinen Respekt erweisen und beziehe in diesen Dank auch meinen Amtsvorgänger ein, der für diesen Entwurf wichtige Richtpunkte gesetzt hat.
Es ist kein Zweifel, daß die Ausschußberatungen mit komplizierten Einzelvorschriften befaßt waren, daß sie aber auch, zu Beginn jedenfalls, von einer Reihe kontroverser Auffassungen in Grundsatzpositionen gekennzeichnet gewesen sind. Die heutige Debatte — und dabei stütze ich mich auf Erklärungen aus allen Fraktionen — hat ergeben, daß im Laufe der Beratungen diese grundsätzlichen Auffassungsunterschiede, die kontroversen Positionen abgebaut werden konnten. Das ist nicht nur ein Vorgang, der im Parlament deutlich geworden ist. Er kennzeichnete in den letzten Monaten auch die öffentliche Diskussion. Dieser Prozeß der Annäherung kann nun nicht als eine Linie des „faulen Kompromisses" bezeichnet werden. Dahinter steht das Ergebnis umfänglicher Sachverständigenanhörungen und schließlich auch das Wissen darum, daß eine Rahmengesetzgebung für ein föderalistisches Bildungssystem die hochschulpolitischen Erfahrungen und die Auffassungen der Länder nicht außer acht lassen kann. Daß dies nicht bedeutet, grundlegende Reformnotwendigkeiten aufzugeben, zeigt der Gesetzentwurf in seiner vorliegenden Fassung.
Es würde nun dem tatsächlichen Verlauf der Ausschußberatungen nicht gerecht und würde auch in der Sache überhaupt nicht weiterhelfen, wenn jetzt gleichsam, wie das teilweise in der Debatte heute versucht worden ist, an Hand einer Strichliste von allen Beteiligten ein Punktekonto jeweils zu ihren Gunsten ausgezählt würde. Ich werde mich an diesem Zählen unter dem Gesichtspunkt der Selbstgerechtigkeit nicht beteiligen.
Angesichts der großen Strukturprobleme unseres Hochschulwesens zählen nach meiner Meinung keine kleinlichen parteitaktischen Gesichtspunkte. Von Gewicht ist allein die Frage, in welcher Weise der Bund
mit diesem Gesetz gesamtstaatliche Verantwortung für das Hochschulwesen wahrnimmt.
Mit dem Hochschulrahmengesetz ist mithin für den Bund die wichtige Frage verbunden, ob er seine bildungspolitische Aufgabe, die ihm von der Verfassung zugewiesen worden ist, erfüllen will. Würde er das nicht und würde sich der Bund nur darauf beschränken, finanzielle Beiträge zum Ausbau der Hochschulen zu leisten, ohne ihre innere Ordnung mitzugestalten, wie es die Verfassung will, so würde dies schwerwiegende Konsequenzen haben. Ich will es zugespitzt, wie ich zugebe, sagen: die Bildungspolitiker im Bundestag und auch in der Bundesregierung dürfen nicht in die Rolle hineingeraten, nur Lobbyisten für den quantitativen Ausbau des Hochschulwesens innerhalb eines föderalistischen Bildungssystems zu sein.
Ich darf daran erinnern, daß 1969 von diesem Parlament, und zwar mit großer Mehrheit, der finanzielle Beitrag zum Hochschulausbau und die Rahmenkompetenz für die innere Ordnung der Hochschulen als eine Einheit betrachtet worden sind. Diese Bundesverpflichtung würde aus dem Gleichgewicht geraten, würde sich der Bund in Zukunft nur noch finanziell engagieren, aber nicht mehr seine hochschulpolitischen Verpflichtungen erfüllen.
Ersten würde das bedeuten, daß an die Stelle einer am gesamtstaatlichen Interesse orientierten Bildungspolitik wieder das treten würde, was in der Vergangenheit gelegentlich der „Kirchturmsföderalismus" genannt worden ist. Dann würde der Bund nichts weiter als der Notar der auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebrachten Länderinteressen sein. Ich will dazu offen sagen: hierzu hätte es der Verfassungsänderung von 1969 nicht bedurft.
Zweitens würden wir in einem solchen Falle Gefahr laufen, daß sich nicht Grundstrukturen einer deutschen Hochschule entwickeln, sondern die bayerische, niedersächsische und andere Hochschullandschaften unverbunden nebeneinander stehen würden. Das einzig Stetige wären dann gleichsam das dauernde Experimentieren und die permanente Auseinandersetzung. Der vielzitierten Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse und den gleichen Chancen im föderalistischen Bildungssystem wäre dann weithin der Boden entzogen.
Das würde — dies möchte ich den Worten des Kollegen Vogel aus Rheinland-Pfalz hinzufügen — dann auch entscheidend die Leistungsfähigkeit und die Funktionsfähigkeit der Hochschulen in der Bundesrepublik insgesamt berühren.
Drittens muß nüchtern festgestellt werden, daß es eine Reihe von schwerwiegenden Problemen gibt — das spiegeln die öffentliche Diskussion und auch die Erfahrungen der Studierenden an den Hochschulen wider —, die allein mit quantitativem
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Ausbau der Hochschulen nicht mehr bewältigt werden können. Das muß an dieser Stelle heute festgestellt werden. Wenn wir keine rahmenrechtliche Regelung für Studienreform, keinen sozial gerechteren Hochschulzugang und keine sachgerechte Personalstruktur verabschieden, dann bedeutet dies, die Hochschule nicht nur ohne Antwort auf ihren gegenwärtigen, doch schon sehr zugespitzten Probleme zu lassen, sondern sie auch mit neuen Belastungen und Ungewißheiten in die Zukunft hineingehen zu lassen. Es ist — auch das will ich offen zu der Anmerkung meines Kollegen Vogel aus Rheinland-Pfalz sagen — bei realistischer Wertung des deutschen Bildungssystems überhaupt nicht zu erkennen, wie diese Strukturprobleme — vor allem das Problem des Hochschulzugangs und das Problem der Studienreform — anders als durch rahmenrechtliche Regelungen des Bundes in einer absehbaren Zeit bewältigt werden können.
Heute wurde von Herrn Gölter und anderen gefragt, warum das Bundesbildungsministerium eigentlich die Unbequemlichkeit auf sich nehmen wolle — in diesem Zusammenhang wurde uns ja sogar Nächstenliebe angedient —, in Rechtsverordnungen den Hochschulzugang zu regeln. Nun, bequem ist die Sache für uns sicherlich nicht, Herr Pfeifer. Aber angesichts der Probleme, die sich beim Hochschulzugang entwickelt haben, können wir uns im Deutschen Bundestag heute nicht auf die Linie der größten Bequemlichkeit einigen.
Das ist jedenfalls nicht die Linie der Bundesregierung.
Zu meinen eindruckvollsten Erfahrungen als Bildungsminister, die ich in den letzten Monaten gemacht habe, gehört die Erkenntnis, wie groß die Diskrepanz zwischen der Größe und Dringlichkeit vieler Probleme und der Dauer der Entscheidungsprozesse im deutschen Bildungswesen ist. Ich möchte nicht, daß die Frage des Hochschulzugangs wieder in die Grauzone all der Unterkommissionen zwischen Bund und Ländern abgeschoben wird. Wir müssen vielmehr darauf hinwirken, daß das Parlament in dieser wichtigen Frage eine politische Entscheidung fällt.
Würde der Bund die ihm durch die Verfassung zugewiesene Kompetenz nicht wahrnehmen, so würde — daran wäre dann nicht mehr zu deuteln; das muß hier nüchtern festgestellt werden — ein wesentlicher Inhalt bildungspolitischer Gesamtplanung in diesem Staat grundlegend in Frage gestellt. Das bliebe nicht ohne Konsequenzen. Das sage ich nicht, um Einwände mit drohendem Unterton zu machen. Das ist eine nüchterne Feststellung.
Es gibt Stimmen, die die Notwendigkeit des bundeseinheitlichen Rahmens für das Hochschulwesen in Zweifel ziehen und oft mit sehr hurtigen Urteilen über diesen Gesetzentwurf zur Hand sind. Bei näherem Hinsehen erkennen wir, daß es sich dabei um eine Summe von ganz widersprüchlichen Auffassungen handelt. Resignation auf der einen, hoch-
schulpolitische Selbstzufriedenheit auf der anderen Seite, mangelnder Realismus, ja, auch ideologische Einseitigkeit und Überschätzung der Kraft der Hochschulen, mit den Problemen selbst fertig zu werden, sind dabei im Spiel. Das alles — betrachtet man es genau — sind Elemente einer Stimmungslage, mit der nach meiner Meinung weder hochschulpolitische Ordnung noch Zukunft zu gestalten ist. Diese Stimmung spiegelt im Grunde genommen eine Koalition von Widersprüchen wider.
Dadurch darf sich aber der Bund nicht von seiner Pflicht abbringen lassen, für die rund 400 000 jungen Menschen in den letzten Gymnasialjahren bessere Voraussetzungen für den Zugang zu den Hochschulen zu schaffen, für die 700 000 Studierenden die Rahmenbedingungen des Studiums zu verbessern und den Bürgern dieses Landes Gewißheit zu vermitteln, daß die erheblichen finanziellen Mittel für den Ausbau der deutschen Hochschulen sinnvoll und effektiv genutzt werden. Länder und Bund haben — das will ich an dieser Stelle, wenn es sein muß, einmal ganz buchhalterisch zusammengefaßt deutlich machen — in den letzten Jahren hohe Ausgaben für den Ausbau der Hochschulen geleistet.
Erstens. Für den Hochschulbau im engeren Sinne sind von 1970 bis 1973 rund 9,6 Milliarden DM aufgewandt worden; davon hat allein der Bund 5,7 Milliarden DM getragen. Wenn manche Kollegen von der CDU/CSU in der Debatte heute nach den Leistungen des Bundes gefragt haben, so ist dazu zu sagen: Seit Bestehen der sozialliberalen Koalition unterscheidet sich der Finanzanteil des Bundes an dem Ausbau der Hochschulen entscheidend von dem, was früher unter Ihrer politischen Führung gang und gäbe war.
Zweitens. Seit 1969 wurden 200 000 Studienplätze neu geschaffen. Das spricht sich leicht aus, aber in Wahrheit bedeutet das, daß in diesem Staat in jedem Jahr zwei bis drei Universitäten von der Größe der Universität Bonn neu gebaut worden sind.
— Baden-Württemberg hätte seine Universitäten nicht in diesem Ausmaß bauen können, wenn nicht der Bund dafür erhebliche Vorleistungen erbracht hätte.
Drittens. Im Hochschulausbau bis 1978 wollen Bund und Länder weitere Milliarden-Beträge bereitstellen und weitere neue Studienplätze schaffen.
Viertens. Das wissenschaftliche Personal der Hochschulen ist von 1966 bis 1972 um 23 000 Personen gestiegen; das sind 74 % und in einigen Fachbereichen, beispielsweise dem der Humanmedizin, mehr als 200 %.
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Fünftens. Nicht nur die Investitionskosten sind beachtlich. Stärker noch schlagen heute die personellen und sachlichen sowie vor allem auch die sozialen Folgekosten zu Buche. Jährlich werden vom Hochschulausbau bis zur sozialen Sicherung insgesamt mehr als 12 Milliarden DM für die Hochschulen aufgewandt.
Dieser Ausbau, meine Damen und Herren, hat sich in einer Zeit vollzogen, in der sich nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in allen Industrieländern, vor allem in den Industrieländern der westlichen Welt, eine tiefgreifende Diskussion über Inhalt von Forschung und Lehre, über die Beziehungen zwischen Studenten und Studierenden und über das Verhältnis übernommener Formen der Hochschule und Anforderungen an die Zukunft entwickelt hat. Die Hochschulen waren und sind — mehr noch als andere Bereiche — ein Spiegelbild der grundlegenden Diskussion über die Entwicklung der Gesellschaft, über das Verhältnis der Generationen zueinander, der Ausprägung demokratischer Beziehungen über den staatlichen Bereich hinaus. Das, wie gesagt, ist keine typisch deutsche Erfahrung, damit hatten sich alle westlichen Industrieländer auseinanderzusetzen. Aber für uns als Bundesrepublik kam hinzu, daß dieser weltweite Diskussionsprozeß in unserem Lande mit einem quantitativen Ausbau des deutschen Hochschulwesens gekoppelt war, wie ihn die Universitäten in Deutschland in ihrer Geschichte niemals zu bewältigen hatten. Deshalb ist allen Ernstes gegenüber manchen sehr kleinlich zugespitzten, kritischen Fragen der Sprecher der Opposition die Frage zu stellen, ob sich alle in zureichender Weise selbst klargemacht haben, was es für die Gesellschaft bedeutet, innerhalb weniger Jahre nicht mehr nur 5 bis 10 %, sondern heute nahezu 20 % eines Altersjahrgangs eine Hochschulausbildung zu eröffnen.
Das Hochschulrahmengesetz — und das ist seine eigentliche Aufgabe in dieser Phase — will nun in diesem Prozeß des raschen quantitativen Ausbaus, der sich unter erheblichen Problemen und oft auch — zugegeben — beunruhigenden Umständen vollzog, einen Beitrag zur Konsolidierung der Hochschulen leisten, in denen heute rund 1 Million Menschen arbeiten.
Lassen Sie mich zusammengefaßt und gleichsam auch anknüpfend an Ihre zehn Punkte, Herr Schäuble, einige Hauptgesichtspunkte hervorheben und darstellen, in welcher Weise dieser Prozeß der Konsolidierung bewirkt werden soll.
Erstens. Daß praktisch eine Dezimalstelle beim Notendurchschnitt des Abiturs, wie das nach dem Staatsvertrag der Länder zur Zeit der Fall ist, über Studier- und Lebenschancen eines jungen Menschen entscheidet, ist nicht mehr zu verantworten.
Wir wissen, daß angesichts stark wachsender Zahlen der Studienbewerber und einer trotz Ausbaus begrenzten Zahl von Hochschulplätzen in dieser Beziehung kein Stein der Weisen gefunden werden kann. Aber befriedigender, als es. die Computer-
Gerechtigkeit nach dem Staatsvertrag ausweist, kann und muß für die Zukunft der Hochschulzugang geregelt werden.
Auf diesem Hintergrund scheint mir die gegenwärtige Diskussion — das will ich aufgreifen — um die Bewertung oder die Abwertung des Abiturs zu abstrakt geführt zu sein. Niemand kann behaupten, ein Abitur mit der Durschnittsnote 1,6 sei mehr wert als eines mit der Note 1,7. Dennoch entscheidet genau diese Dezimalstelle in einer Reihe von Studiengängen, ob der Abiturient sofort zugelassen wird oger vier bis sechs Jahre warten muß. Ich bin der festen Überzeugung, daß nicht derjenige das Abitur in Frage stellt, der diese Ungereimtheit korrigieren will, sondern derjenige, der meint, man könne das im wesentlichen, nur mit einigen partiellen Korrekturen versehen, auch für die Zukunft festschreiben.
Wir wollen, daß künftig auch die Fähigkeiten und Kenntnisse gewertet werden, die nicht im Abiturzeugnis ausgewiesen sind. Deshalb berücksichtigen wir in dem allgemeinen Auswahlverfahren, also dem Regelverfahren der Zulassung, auch die Dauer einer Berufstätigkeit. Denn Leistung — das sage ich hier aus meiner grundsätzlichen Überzeugung — besteht nicht allein in Schulwissen, sondern auch aus der Kenntnis und den Erfahrungen der Berufswelt und des Arbeitslebens.
Wir werden die Vorschrift in diesem Punkt, Herr Kollege Schäuble, so flexibel gestalten, daß die von Ihnen genannten Befürchtungen nicht zutreffen. Sie können aus dem Gesetzestext ablesen, daß es nicht nur um Berufsausbildungsverhältnisse, sondern um Berufstätigkeiten überhaupt geht. Aber in einer Berufstätigkeit zu sein erscheint mir besser, als junge Menschen in den besten Jahren ihres Lebens durch Gesetz gleichsam in einen Wartestand zu versetzen.
In den Studiengängen, in denen wegen der großen Bewerberzahl auch diese von mir als allgemeines Verfahren gekennzeichnete Regel nicht ausreicht — das trifft in erster Linie, wie sie wissen, auf die Medizin zu —, wollen wir gemeinsam mit den Ländern besondere Auswahlverfahren entwickeln, nicht um das Abitur durch eine andere, punktuelle Prüfung zu ersetzen, sondern um es durch zusätzliche Auswahlmaßstäbe zu ergänzen, um dem jungen Menschen, der die Dezimalstelle von 1,6 nicht erreicht, noch eine Chance zu geben, seine Eignung, seine Fähigkeiten und seine Motivation für ein bestimmtes Studium zusätzlich zur Geltung bringen zu können.
Das halte ich für eine vernünftige Regelung.
Ich will im Hinblick auf die Bemerkungen von Herrn Kollegen Vogel von heute vormittag sagen, daß wir bei den Rechtsverordnungen, die diese besonderen Auswahlverfahren zu regeln haben, selbstverständlich mit den Ländern zusammenarbeiten.
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Herr Kollege Vogel weiß ja auch, daß die Sachverständigengespräche über die Art des Verfahrens längst eingesetzt haben.
Zweitens. Neben der Zulassung wird nach meiner Auffassung vor allem die Studienreform Einfluß auf das Bild der Hochschulen haben, wie es sich in den Augen der jungen Generation darstellt. Dieses Bild wird ihre Haltung gegenüber und in der Gesellschaft prägen. Das müssen wir nüchtern in Rechnung stellen. Da helfen keine Beschwörungen von diesem Pult. Das sind ihre Lebenserfahrungen. Sie haben Einfluß auf die Reaktion in der Gesellschaft.
Wir wollen, daß die Studienreform nach jahrelangen, weitgehend theoretischen Diskussionen nunmehr im Zusammenwirken von Hochschulen, Staat und Berufswelt in die Praxis umgesetzt wird. Wir stehen heute vor dem Tatbestand, daß die Studienzeiten immer länger werden, ohne daß man dem Ziel, alles zu wissen, auch nur im entferntesten näherkommt. Wissenschaft ist ja auch — darin sind wir uns sicherlich einig — mehr als Vielwisserei. Wir brauchen kürzere, auf berufspraktische Erfordernisse abgestellte Studiengänge, die die Studenten besser auf ihre berufliche Tätigkeit vorbereiten. Die Mehrheit der Studenten will auch nicht lange, sondern sie will nutzbringend studieren. Das wissen wir aus Untersuchungen und Umfragen, die wir in der jüngsten Zeit auf den Weg gebracht haben. Kürzere, vom Ballast befreite und modernisierte Studiengänge sind deshalb im Interesse der Studenten, aber auch der Studienbewerber, die vor den Toren der Hochschulen warten, notwendig.
Drittens. Bei allen Anforderungen und Ansprüchen der Lehre darf die Hochschulforschung nicht vernachlässigt werden. Wir wollen daher auch durch das Gesetz Hochschulforschung in Freiheit sichern und ihre Hinwendung zu konkreten, für unsere soziale und wirtschaftliche Entwicklung besonders dringenden Problemen fördern. Das Gesetz wird die organisatorischen Voraussetzungen für die Forschung in den Hochschulen verbessern und dadurch ein Abwandern der Forschung aus den Hochschulen verhindern. Ich möchte sagen: Unser Verhältnis zur Forschung, insonderheit an den Hochschulen, wird nun nicht nur gekennzeichnet durch die Paragraphen dieses Gesetzes, sondern durch die Tatsächlichkeit des Zusammenwirkens zwischen Bundesregierung, Deutscher Forschungsgemeinschaft und den anderen Wissenschaftsorganisationen.
Viertens wollen wir mit der Neuordnung der Personalstruktur den Menschen, die in der Hochschule tätig sind, sachgerechte und befriedigende Voraussetzungen für ihre Arbeit schaffen. Ich weiß, daß die Ausschußberatungen in dem zuständigen Parlamentsausschuß nicht leicht waren — nicht nur wegen politischer Auffassungsunterschiede, sondern weil es dem Bund natürlich nicht leichtfällt, unterschiedlich entwickelte Personalstrukturen der Länder in einen Hochschulrahmen einzuordnen.
Zu dem, was wir zu leisten gewillt sind, gehört auch, daß künftig nicht gleiche Aufgaben in Forschung und Lehre von verschiedenen Personalgruppen mit unterschiedlicher Rechtsstellung wahrgenommen werden. Ich glaube nicht, daß die bisherige Personalstruktur in ihrer oft unübersichtlichen Vielfalt und ihren von der Sache her nicht gerechtfertigten hierarchischen Über- und Unterordnungsverhältnissen der freien Forschung und Lehre immer gutgetan hat. Die neue Personalstruktur wird auch den Weg zur Gesamthochschule ebnen, insbesondere weil sie die Abstimmung des Lehrangebots und die Entwicklung eines aufeinander abgestimmten Studiensystems — und darum geht es schließlich im Hochschulbereich — erleichtert. Der wissenschaftliche Nachwuchs erhält in der neuen Personalstruktur die Chance, in Selbstverantwortung und Freiheit sich wissenschaftlich zu qualifizieren und damit auf den Beruf des Hochschullehrers vorzubereiten.
Fünftens. Wer Konsolidierung der Hochschule will, muß sich auch zur Mitbestimmung äußern. Die Hochschule einer demokratischen Gesellschaft ist nicht als ein streng hierarchisch geordnetes System ohne wechselseitige Einflußmöglichkeiten und ohne zureichende Kommunikation denkbar.
Alle bereits bestehenden Landesgesetze haben die Gruppenuniversität eingeführt. Wer dagegen polemisiert — in Untertönen war das in der heutigen Debatte der Fall — und wer sich nur Ressentiments hingibt — insofern haben es sich auch einige Debattenredner leichtgemacht —, der muß dann aber aufrichtigerweise von diesem Pult aus die Frage beantworten, welches andere Modell er für die Hochschule der demokratischen Gesellschaft eigentlich vorschlagen will.
Das Karlsruher Urteil zur Mitbestimmung hat Richtlinien gegeben,. die für Bund und Länder in gleicher Weise bindend sind. Das findet in diesem Entwurf seinen Ausdruck. Mitbestimmung — darüber will ich aus der Sicht der Bundesregierung keinen Zweifel lassen — bedeutet auch Mitverantwortung. Als einer, der, wie Sie wissen, in den vergangenen Jahren Mitbestimmungsregelungen für die Arbeitnehmer mitgestaltet hat, will ich aus Erfahrung sagen, daß Mitbestimmung kein Prinzip ist, das einen Freibrief für Gruppenegoismus beinhaltet.
Es bedeutet, dessen bin ich mir bewußt, ein Angebot der Gesellschaft an ihre Bürger, ihr Wort und ihre Vorstellungen gesamtverantwortlich zur Geltung zu bringen. Mitbestimmung ist insofern stets auch ein Angebot von Vertrauen. Eine demokratische Gesellschaft würde sich ohne dieses Vertrauen eines wesentlichen Teils ihrer Überzeugungskraft begeben. Daß dieses Angebot dort seine Grenze findet, wo es offen und gewollt gegen die Funktionsfähigkeit der Hochschule und die Freiheit ihrer Mitglieder ins Spiel gebracht und mißbraucht wird, macht das Hochschulrahmengesetz deutlich.
Damit komme ich zu einem sechsten Punkt, zur Funktionsfähigkeit. Zunächst will ich darauf hinweisen, daß Funktionsfähigkeit der Hochschule nicht allein von Vorschriften über den Schutz vor Störungen definiert werden kann. Das wäre nun
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wirklich ein zu verengter Gesichtspunkt unter der Überschrift „Hochschulrahmengesetz des Bundes".
Studienreform, Hochschulzugang, innere Ordnung, Zusammenwirken der die Hochschule tragenden Gruppen und Kräfte sowie die Straffung der Verwaltung und eine sinnvolle Personalstruktur sind doch zunächst die entscheidenden Eckwerte, mit denen Funktionsfähigkeit gemessen werden muß. Daher stehen diese Sachfragen auch im Vordergrund des vorliegenden Entwurfs. Aber gerade auch die Reform braucht den Schutz vor der Gewalt. Dafür habe ich mich in den Beratungen der letzten Wochen eingesetzt. Wir haben dazu in dem vorliegenden Entwurf das Notwendige getan. Ich hätte kein Verständnis dafür, wenn die Opposition weiterhin darüber hinausgehende Detailregelungen fordern würde, nachdem sie sonst in anderen Abschnitten des Gesetzes doch mehr für globale Rahmenregelungen eingetreten ist. Es erscheint nach den Diskussionen, die wir an vielen Stellen darüber geführt haben, überflüssig, einen ganzen Katalog geringfügiger Sanktionen bundesrechtlich einzuführen. In diesem Gesetz haben wir im Grunde genommen Antwort auf die Frage zu geben, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, um die schärfste Sanktion, nämlich den Verweis von der Hochschule auf Zeit, rechtlich zu begründen und wirksam werden zu lassen.
Ich kann nun — und damit komme ich zu einem siebenten und abschließenden Punkt — nicht noch einmal auf alle Einzelheiten der Kostenfrage eingehen. Der Kollege Vogel hat heute morgen darauf aufmerksam gemacht. Ich muß ihm erwidern, daß auf der Grundlage von Stellungnahmen der Bundesregierung und einer Reihe von Materialien die Kostenfragen im Ausschuß eingehend erörtert worden sind. Zunächst ist auch gestern deutlich geworden, daß für den Bund keine Kosten erwachsen, die nicht durch seine finanzielle Leistungsfähigkeit gedeckt sind. Soweit es die Länder angeht, will ich zunächst folgendes anmerken: Die quantitative Expansion im Hochschulbereich kann diesem Gesetz, das ebenso wie die Hochschulgesetze der Länder ein reines Strukturgesetz ist, nicht zugeschrieben und nicht zugeschoben werden. Steuerungsinstrumente auf diesem Felde sind der Bildungsgesamtplan und die Entscheidungen, die wir vor allem im Planungsausschuß für den Hochschulbau treffen. Dieses Gesetz ist auch nicht ursächlich für die Kosten, die aus der Neuordnung der Hochschullehrerbesoldung entstehen. Das wird auf der Grundlage der Besoldungsgesetze zu beraten sein, die von der Bundesregierung und über den Bundesrat vorgelegt worden sind.
Die Länder haben in ihren Vorlagen Kosten geschätzt, deren Rahmen auch durch die Regelung der Personalstruktur im Hochschulrahmengesetz nicht gesprengt wird. Die Überleitungsbestimmungen im Hochschulrahmengesetz, auf die der Kollege Vogel besonders hingewiesen hat, entsprechen im wesentlichen den Vorstellungen der Länder; sie sind eher kostenbewußter im Hochschulrahmengesetz als das ursprüngliche Länderkonzept. Ich halte es daher nicht für vertretbar, wenn dies jetzt zu einem Argument gegen das Hochschulrahmengesetz ins Feld geführt und umgemünzt wird.
Auf der anderen Seite kann auch kein Zweifel darüber bestehen, daß die maßgeblichen Strukturentscheidungen, die mit dem HRG bewirkt werden sollen, entscheidende Weichen für ein effektives Hochschulsystem stellen. Ich nenne hier nur die Vorschriften über die Regelstudienzeit und über die künftige Nichtanrechnung des sogenannten Wartestudiums.
Eine abschließende Bemerkung: Ich habe nicht die Illusion, daß in einem Hochschulrahmengesetz des Bundes alle Probleme der Hochschulen gelöst werden können. Es ist aber meine Überzeugung, daß das Gesetz das notwendige Maß an gemeinsamen Rechten, an Freiheit für Forschung und Lehre, Neuorganisation des Studiums und Gestaltung des Hochschulzuganges bringt. Deshalb appelliere ich am Schluß der Beratung des Bundestags nachdrücklich an die Vertretung der Länder, an den Bundesrat, das Gesetz zügig zu beraten und zu verabschieden. Der Deutsche Bundestag hat bei seinen Beratungen — würdige ich das Ergebnis im ganzen — in Rechnung gestellt, daß dieses Gesetz nicht gegen die Auffassungen des Bundesrats verabschiedet werden kann. Umgekehrt wird sich aber auch die Mehrheit dieses Hauses nicht zu einem Vollzugsorgan der Mehrheit des Bundesrats machen lassen können.
Die abschließenden Beratungen über das Hochschulrahmengesetz dürfen von keiner Seite im Stil der Nötigung und der Zumutung geführt werden.
Wer — wie der Kollege Vogel heute morgen — sagt: Wir sind für das Hochschulrahmengesetz!, der muß dazu auch einen konstruktiven Beitrag leisten.
Ein Hochschulrahmengesetz kann in einem föderalistischen Bildungssystem nicht durch eine Addition von Halsstarrigkeiten erreicht werden. Die Hochschulpolitik muß in unserem Land, wie mir scheint, endlich aus dem Bereich der wechselseitigen Drohungen und permanenten Konfrontationen herausgeführt werden. Brächten die gesetzgeberischen Körperschaften nicht die Kraft und die Fähigkeit zur Ordnung der Dinge auf, dann würde sich niemand wundern dürfen, wenn davon auch das Klima und die Wirklichkeit der Hochschule bestimmt würden. Es ist meine Hoffnung, daß von dieser Erfahrung her auch die Beratungen im Bundesrat gekennzeichnet sein werden.