Rede von
Dr.
Wolfgang
Schäuble
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer die Diskussionen zum Hochschulrahmengesetz in der 6. Legislaturperiode nachliest oder sich an die erste Lesung des neuen Regierungsentwurfs vor einem Jahr in diesem Hohen Hause erinnert, der vermag der Koalitionsmehrheit nicht zu bestreiten, daß sie in einer Reihe wichtiger Punkte durch unsere besseren Argumente zu besserer Einsicht gelangt ist.
Herr Kollege Möllemann, Sie haben zwar hier diese Einsicht vermissen lassen. Aber da Sie all diesen Punkten im Ausschuß zugestimmt haben, war das wohl ein Beitrag einer etwas verspäteten Doppelstrategie.
Dieser Weg der Einsicht, meine Damen und Herren von der Koalition, ist weit. Sie sind ihn ein Stück weit in vielen Kurven und unter personellen Verlusten gegangen. Aber Sie sind noch nicht am Ende.
Die Position der Union war demgegenüber immer klar und konsequent. Die hochschulpolitische Konzeption der CDU/CSU konnte konstant bleiben, weil sie sachbezogen und richtig war und ist.
Die CDU/CSU geht dabei von einem eindeutig definierten Verständnis von Staat und Wissenschaft aus. Wir bejahen die staatliche Verantwortung für Hochschule und Wissenschaft. Wir treten für die Freiheit der Wissenschaft ein, und wir anerkennen die Ausbildungsfunktion wissenschaftlicher Institutionen. Die Freiheit der Wissenschaft ist für uns nicht nur eine Verpflichtung des Grundgesetzes, sondern wir wissen, daß ohne eine freie Wissenschaft eine freiheitliche Lebensordnung denknotwendig nicht möglich ist. Über die Manipulation der Wissenschaft geraten Einzelner wie staatliche Gemeinschaft in Abhängigkeit.
Die staatliche Verantwortung für Hochschule und Wissenschaft hat diese Freiheit, hat die Leistungsfähigkeit der Hochschulen für die von Staat und Gesellschaft gesetzten Aufgaben zu sichern. Hochschulen sind deshalb — um an die schon von meinem Kollegen Dr. Gölter zitierte Definition Richard Löwenthals anzuknüpfen — kein politischer Freiraum, sondern sie sind ein Raum, in dem sachbezogene Entscheidungen und demokratische, d. h. parlamentarische Verantwortung Freiheit und Leistung ermöglichen.
Die Anerkennung der Ausbildungsfunktion der Hochschulen bedeutet, daß sich wissenschaftliche Institutionen ihres Bezuges zu Beruf und Praxis bewußt sein müssen. Staatliche Verantwortung, Freiheit der Wissenschaft und die Ausbildungsfunktion der Hochschulen stehen in einem natürlichen Spannungsverhältnis. Für die CDU/CSU hat ein Hochschulrahmengesetz die Aufgabe, dieses Spannungsverhältnis mit gesetzlichen Mitteln im Bundesstaat fruchtbar zu lösen.
Das Hochschulrahmengesetz muß die Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit der hochschulrechtlichen Ordnungen unserer Länder herstellen und dieses Ziel mit der pluralistischen Vielfalt des Bundesstaates vereinbaren, einer Vielfalt, die letztlich nichts anderem als der individuellen Freiheit dient.
Wenn ich betone, daß dieser Versuch mit gesetzlichen Mitteln unternommen werden muß, dann liegt darin die Absage an die bildungspolitischen Ideologen in der Koalition, die an Stelle klarer, vollziehbarer Rechtsnormen ein Sammelsurium unverbindlicher, interpretationsbedürftiger Programmsätze im Gesetz festschreiben wollen. Noch so hehre gesellschaftspolitische Absichten allein, Herr Kollege Möllemann, machen noch kein Gesetz. Bloße Programmatik in der Form von Gesetzesparagraphen führt zur Verundeutlichung von Rechtsbeziehungen.
Wer das Elend deutscher Hochschulen unter der Verantwortung sozialdemokratischer Kultusminister — Herr Kollege Möllemann, das war offenbar die von Ihnen gemeinte lupenreine sozialliberale Hochschulpolitik —
in den zurückliegenden Jahren verfolgt hat, der kann sich der Erkenntnis nicht mehr verschließen, daß auch und gerade an Hochschulen die Klarheit der rechtlichen Verhältnisse nicht nur im Interesse der Durchführbarkeit der Gesetze liegt, sondern daß nur diese Klarheit den jeweils Betroffenen die Achtung und Wahrung ihrer Rechtssphäre garantiert.
Der Mangel an Rechtssicherheit durch ideologische Vernebelung bildungspolitischer Gesetze hat die Freiheit von Forschung und Lehre und die Leistungsfähigkeit vieler deutscher Hochschulen entscheidend beeinträchtigt. Die CDU/CSU hat sich mit aller Kraft dagegen gewehrt, daß diese Gesetzgebungsmethoden über ein Hochschulrahmengesetz bundesweit hochschulpolitischen Schaden anrichten. Die CDU/ CSU wird bei dieser Linie bleiben; denn auch die im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft mit der Koalitionsmehrheit beschlossene Fassung des Hochschulrahmengesetzes enthält noch zu viele Restbestände unvergorener bildungspolitischer Ideologie.
Gesetzgebung ist umgesetzte, verarbeitete Programmatik. Rechtssätze müssen von anderer Qualität als bloße Programmsätze sein. Was uns die Koalition heute — zugegeben: erfreulicherweise weniger als vor einem Jahr — zumutet, ist noch immer zu viel unausgegorene, nicht verarbeitete, sondern bloß in Paragraphenform gegossene Ideologie. Wir lehnen eine unausgegorene Programmatik in Form eines Hochschulrahmengesetzes ab. Wer nur ein wenig vom Wein versteht, meine Damen und Herren — wenigstens drei der ingsgesamt fünf kaum zu beneidenden Berichterstatter kommen ja aus
9308 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Dr. Schäuble
solch' gesegneten Landen —, muß wissen, daß Wein,
der in Flaschen gefüllt weitergärt, ungenießbar wird.
Die Gärschäden sozialdemokratischer Hochschulpolitik in unserem Lande zwingen uns, beim Hochschulrahmengesetz auf einer Art Reinheitsgebot zu bestehen —, um auch unsere Freunde des deutschen Biers von der hochschulpolitischen Diskussion nicht auszuschließen.
Der bildungspolitischen Konzeption der Union, die wir beim Hochschulrahmengesetz kontinuierlich durchgehalten haben, entspricht es, daß wir das Spannungsverhältnis von Wissenschaftsfreiheit, staatlicher Verantwortung und Ausbildungsfunktion der Hochschulen mit größtmöglicher Klarheit auflösen. Die gesetzliche Regelung muß eindeutig vollziehbar sein. Denn nur in der praktischen Anwendung vermag die gesetzliche Regelung Freiheit und Leistungsfähigkeit zu sichern. Wir können der Regierungskoalition nicht erlauben, aus ihrer Unfähigkeit bei der Lösung der Probleme der Gegenwart in programmatische Absichtserklärungen und ideologischen Nebel bei der Gesetzgebung zu flüchten. Ich wiederhole mit allem Nachdruck, weil dies ein entscheidender Mangel in der Bildungspolitik der Koalition ist: Nur die Klarheit der hochschulgesetzlichen Regelung und ihre Bewährung in der praktischen Anwendung sichern Freiheit von Forschung und Lehre und Leistungsfähigkeit unserer Hochschulen.
Dabei soll keineswegs bestritten werden, daß die jetzige Fassung des Gesetzes gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf erheblich verbessert ist. Wir stehen nicht an, der Koalition zu bescheinigen, daß sie in einer Reihe von wichtigen Punkten unsere besseren Argumente ganz oder teilweise akzeptiert hat. Die jetzt vorliegende Fassung des Gesetzes ist unseren hochschulpolitischen Vorstellungen wesentlich angenähert und damit verbessert.
Die Freiheit der Forschung an den Hochschulen ist durch die Neuformulierung der §§ 24 ff. zum Teil besser gesichert. Der sozialistische Fetisch, daß gemeinschaftliche oder kollektive Forschung gegenüber individueller Forschungsarbeit in jedem Fall Priorität haben müsse, ist geschwunden. Auch bei der Drittmittelforschung hat die Koalition offenbar eingesehen, daß von außen kommende Forschungsaufträge der Hochschulforschung nicht nur zusätzliche Mittel verschaffen können, sondern auch einen zusätzlichen Bezug zur Praxis ermöglichen.
Gegenüber den Vorstellungen der Koalition aus der 6. Legislaturperiode ist nun der untrennbare Zusammenhang von Regelstudienzeiten und inhaltlicher Studienreform klargestellt.
In der Personalstruktur haben wir erreichen können, daß Gesichtspunkte der fachlichen Qualifikation vorrangig sind. Die Diskriminierung der Habilitation ist zumindest teilweise abgebaut. Wir haben — nicht zuletzt durch ein Anhörverfahren, das, Herr Kollege Schweitzer, uns den Vorwurf der Verzögerung eintrug und das dann doch wichtige Verbesserungen brachte — erreicht, daß die spezifischen Sachgesichtspunkte der medizinischen Krankenversorgung berücksichtigt werden. Wir haben in der Personalstruktur weiter erreicht, daß an den Hochschulen die notwendigen wissenschaftlichen Dienstleistungen und lehrbegleitenden Aufgaben mit einem eher vertretbaren finanziellen und personellen Aufwand erbracht werden können.
Die Koalition hat sich unserer Forderung nach Wegfall des Assistenzprofessors nicht verschließen können. Mit dieser Einsicht wurde der Weg für eine erhebliche Klärung der korporationsrechtlichen Struktur unserer Hochschulen geöffnet. Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Homogenität der Gruppen der Hochschulmitglieder ist durch unseren Widerstand gegen eine dem Grundgesetz nicht entsprechende Regelung des Regierungsentwurfs erreicht worden.
Ebenso haben wir in § 43 den Wegfall der integrierten Wahl durchgesetzt, die eine Aushöhlung gruppenparitätischer Vertretungsrechte bedeutet hätte. Vielleicht, wenn ich das einfügen darf, bezieht die Koalition diesen ihren Lernprozeß auch noch auf das Wahlverfahren bei der Mitbestimmung im Unternehmen.
Auch bei den die Öffentlichkeit der Hochschulgremien regelnden Bestimmungen des § 44 verkennen wir eine gewisse Verbesserung nicht.
Die Koalitionsmehrheit hat auch an einigen Stellen des Entwurfs unserem Hinweis Rechnung getragen, daß ein Hochschulrahmengesetz von der bundesstaatlichen Ordnung unseres Grundgesetzes ausgehen muß.
Das Zusammenwirken zwischen Hochschule und Staat ist eindeutiger geregelt, und die Bestimmungen für die staatliche Aufsicht der Länder über die Hochschulen sind klarer und damit für alle Beteiligten sicherer geworden.
Für den hauptberuflichen Leiter der Hochschule haben wir Mindestqualifikationsnormen erreicht, die der Leistungsfähigkeit der Hochschulen ebenso zugute kommen wie die klarere Beschreibung seiner Rechtsstellung.
Beim Hochschulzugang haben wir eine Reihe der schlimmsten Regelungen der Koalition abgerungen, wobei ich unter „schlimm" verstehe, daß mit den von der Koalition vorgesehenen Regelungen, etwa der Hochschuleingangsprüfung und der weitgehenden Entwertung des Abiturs, die Funktionsfähigkeit unserer Hochschulen wohl endgültig zerstört worden wäre. Wir begrüßen auch ausdrücklich, daß die Koalition auf unsere Einwendungen hin das sogenannte Schulgutachten fallengelassen hat.
Schließlich — um einen letzten Punkt in diesem Zusammenhang zu erwähnen — haben wir bei den Überleitungsbestimmungen Regelungen gefunden, die Kostengesichtspunkten wenigstens ein Stück weit Rechnung tragen, obwohl die Bundesregierung bis heute die Antwort auf die Frage nach den finanziellen Auswirkungen des Hochschulrahmengesetzes schuldig geblieben ist.
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Wir haben auch die Gefahr, daß über die Überleitungsregelungen die personalstrukturelle Entwicklung der Hochschulen auf absehbare Zeit zugeschüttet würde, wenigstens gemindert.
Alle diese Verbesserungen, meine Damen und Herren, im ursprünglichen Regierungsentwurf im Zuge der intensiven Ausschußberatungen werden von uns gerne eingeräumt. Die Koalition hat unter der Überzeugungskraft unserer Argumente, Herr Kollege Meinecke, ein beachtliches Stück Lernprozeß absolviert.
Nur, diese unbestreitbaren Verbesserungen eines schlechten Entwurfs reichen noch nicht aus, um dieses Gesetz für uns zustimmungsfähig zu machen. Dabei geht es bei der Diskussion überhaupt nicht darum, nachzuzählen, wie viele Sätze oder Paragraphen in der jetzt vorliegenden Fassung von Ihnen oder von uns entscheidend beeinflußt worden sind,
sondern mir, Herr Kollege Meinecke, geht es um den Beweis, daß die hochschulpolitische Konzeption der Union zwingend ist. Wenn unsere Konzeption falsch wäre, meine Damen und Herren von 'der Koalition, warum hätten Sie dann wohl in so vielen Punkten unsere Vorstellungen übernommen?
Herr Kollege Möllemann und meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben sich doch wohl nicht falschen Argumenten gebeugt.
Unsere Vorstellungen von der Ordnung des Hochschulwesens sind eine Einheit. Die Sicherung der Freiheit von Forschung und Lehre, die Verankerung der Leistungsfähigkeit der Hochschulen und des Leistungsprinzips in Forschung und Lehre, die Bewältigung der Kapazitätsprobleme, das Offenhalten der Hochschulstrukturen für künftige Entwicklungen, auch unter einem Hochschulrahmengesetz, und das richtige Zusammenwirken von staatlicher Verantwortung und Wissenschaftsfreiheit — all dies sind Ziele, bei deren Verwirklichung wir nicht auf halbem Wege stehenbleiben können. Hier geht es nicht um einen Kuhhandel, sondern hier geht es um das Ringen um die sachlich richtige Lösung.
Die Union hat die Richtigkeit ihrer hochschulpolitischen Ordnungsvorstellungen bewiesen, nicht nur in den Diskussionen des Bundestages, sondern auch in der hochschulpolitischen Wirklichkeit der Länder, die von Kultusministern der CDU/CSU verantwortet werden, im Gegensatz zu der Hochschulmisere in den sozialdemokratisch regierten Ländern. Deshalb müssen wir das Gesetz in seiner vorliegenden Fassung ablehnen.
Mein Kollege Gölter hat die Anträge beschrieben, die wir im Wissenschaftsausschuß gestellt haben, um
das Gesetz akzeptabel zu machen, und meine Kollegen werden im Anschluß noch im einzelnen die Änderungsanträge begründen, die wir in der zweiten Lesung hier in diesem Hause stellen. Ohne die Annahme dieser Änderungsanträge werden wir das Gesetz ablehnen müssen. Das Gesetz leidet in der vom Ausschuß beschlossenen Fassung trotz aller Verbesserungen unter einer seltsamen Gespaltenheit; die Rede des Kollegen Möllemann war ein geradezu klassischer Beweis für diese Gespaltenheit der Koalition.
Die Koalition hat zwar in vielen Punkten unseren Vorschlägen zugestimmt, aber gleichwohl hat man an einer Reihe von unvereinbaren Regelungen festgehalten, und man muß fragen, ob hier sozialistische Doppelstrategie am Werke war
oder ob nur der frustrierten Linken Trostpflaster geboten werden sollen.
— Herr Kollege Wernitz, warum schafft man den Assistenzprofessor ab zugunsten einer eindeutigen Zuordnung des Nachwuchswissenschaftlers in korporationsrechtlicher Hinsicht zum Mittelbau, wenn man den Hochschuldozenten dann besoldungs- und dienstrechtlich doch wieder in die Hochschullehrergruppe einordnen will? Warum stimmen Sie zu, daß der Hochschullehrernachwuchs wissenschaftlich betreut werden muß, lehnen es aber ab, daß dazu ein Professor bestimmt werden soll?
Kann denn ein Hochschulorgan Aufgaben einer persönlichen Betreuung ausüben? — Ich habe ja Verständnis, Herr Kollege Wernitz, daß Sie unsere Argumente nur hinter den verschlossenen Türen des Ausschusses, aber nicht in der Öffentlichkeit hören wollen. Aber ich kann Sie davon nicht entlasten.