Rede von
Dr.
Axel
Wernitz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die Kolitionsfraktionen SPD und FDP darf ich hier die Berichterstattung zusammen abgeben.
Fast auf den Tag genau ein Jahr nach der ersten Lesung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Hochschulrahmengesetzes finden heute die zweite und die dritte Beratung statt. Rund fünf Jahre dauert jetzt die Debatte um eine Rahmengesetzgebung des Bundes für die Hochschulen. Es scheint so, daß sich Bund, Länder und Parteien nach wie vor über die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes prinzipiell einig sind. Entsprechende einvernehmliche Passagen im Vorblatt zum Antrag des Ausschusses stellen gleichfalls heraus, daß ein Hochschulrahmengesetz als Beitrag zur Lösung der strukturellen und quantitativen Probleme im Hochschulbereich gebraucht wird.
Aber bis heute ist es nicht gelungen, die unterschiedlichen Vorstellungen, wie die erkannte Aufgabe gelöst werden soll, inhaltlich auf einen hinreichend gemeinsamen hochschulpolitischen Nenner zu bringen. Der Antrag des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft auf Verabschiedung des Hochschulrahmengesetzes in der nunmehr vorliegenden Fassung hat dementsprechend die Zustimmung von SPD und FDP und die Ablehnung durch die CDU/ CSU gefunden. Der Regierungsentwurf wurde im Verlauf der Ausschußberatungen — in wesentlichen Bereichen einvernehmlich, teils mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen — grundlegend verändert.
Das jahrelange Ringen um die Hochschulrahmengesetzgebung wurde mit der Ankündigung des Gesetzes in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 eingeläutet. Im Februar 1970 wurden 14 Thesen zur Hochschulreform vorgelegt, die eine intensive Diskussion auslösten. Der Regierungsentwurf wurde vom Kabinett im Dezember 1970 verabschie-
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det und dem Bundestag im Februar 1971 zugeleitet. Ein Gesetzentwurf der CDU/CSU über die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens wurde dem Parlament im Januar 1971 übersandt. Beide Gesetzentwürfe wurden im Juni 1972 vom Ausschuß für Bildung und Wissenschaft abschließend kontrovers beraten. Bericht und Antrag wurden dem Bundestag im September 1972 zugeleitet. Das vorzeitige Ende der 6. Wahlperiode verhinderte die zweite und dritte Lesung.
In der laufenden Wahlperiode brachte die Bundesregierung am 30. August 1973 einen neuen Entwurf ein, der einerseits in wichtigen Teilen auf der 1972 verabschiedeten Ausschußvorlage basierte, andererseits jedoch in wesentlichen Teilen verändert worden war. Dies hing zusammen mit neuen Erfahrungen seit 1970, mit neuen gesetzgeberischen Tatbeständen und der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Vor diesem Hintergrund mußte der Regierungsentwurf selbstverständlich mehr als nur eine Neuauflage des alten Gesetzentwurfs sein. Dies schmälert in keiner Weise die verdienstvollen Bemühungen jener, die seit 1970 die Hochschulrahmengesetzgebung von seiten der Bundesregierung vorangetrieben haben. Sie verdienen in dieser Stunde auch einmal ein Wort des Dankes für die geleistete Vorarbeit.
Zur Vorbereitung der Beratungen im Ausschuß wurden bereits im November 1973 rund 50 im Hochschulbereich tätige Organisationen und Verbände um schriftliche Stellungnahmen gebeten. Hinzu kamen im ersten Halbjahr 1974 mehrere öffentliche und nichtöffentliche Diskussions- bzw. Anhörungssitzungen. Der mitberatende Innenausschuß beriet den Gesetzentwurf nach mehreren Sitzungen abschließend am 20. Juni 1974. Der mitberatende Rechtsausschuß hat sich gleichfalls in mehreren Sitzungen bis zum 20. Juni mit dem Regierungsentwurf befaßt. Der Haushaltsausschuß hat seinen korrigierten Bericht zur Kostenfrage inzwischen gesondert vorgelegt und festgestellt, daß die dem Bund entstehenden Kosten im Entwurf des Haushalts 1975 berücksichtigt sind. Der Bildungsausschuß hat den Regierungsentwurf unter Berücksichtigung der in den Informationssitzungen gewonnenen Erkenntnisse und unter Einbeziehung der von den mitberatenden Ausschüssen abgegebenen Stellungnahmen zuletzt am 13. und 14. November 1974 beraten. Die Ausschußberatungen fanden, insbesondere nach der Sommerpause, in einer fairen und konstruktiven Atmosphäre statt.
Im Laufe der Beratungen der Berichterstatter und der Ausschußberatungen selbst konnten zunächst unüberbrückbar erscheinende Meinungsdifferenzen zwischen Mehrheit und Minderheit ausgeräumt werden. Die Anlage zum Ausschußbericht mit der Gegenüberstellung der Beschlüsse und der von diesen abweichenden abgelehnten Anträge der Opposition macht jedoch deutlich, daß es im Ausschuß keine fragwürdige Verkleisterung von Gegensätzen gegeben hat.
Der umfangreiche Gesetzentwurf mit seinen 87 Paragraphen kann hier verständlicherweise in seiner komplexen Materie nicht in allen Einzelheiten dargestellt werden. Es genügt die Konzentration auf Themenkreise, die sich im Ausschuß mehr oder weniger als Schwerpunkte herauskristallisierten.
Hierzu gehört erstens die Sicherung der Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung, Lehre und Studium. Einmütig war man der Auffassung, daß im Hochschulrahmengesetz wesentliche Aspekte der Grundgesetzgarantie konkretisiert werden sollten. Dementsprechend wurden Regelungen beschlossen, durch die der Inhalt der in Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes gewährleisteten Grundrechte der Freiheit der Forschung und Lehre beispielhaft beschrieben wird.
Die Koalition sprach sich im übrigen für die Regierungsfassung aus, wonach die Mitglieder der Hochschule ihre Rechte „im Bewußtsein ihrer Verantwortung vor der Gesellschaft" nutzen und wahren. Damit sollen die Grundrechtsträger auf die Bedeutung hingewiesen werden, die einer freien Wissenschaft für die Entwicklung der Gesellschaft zukommt. Die Opposition lehnte diese Formel ab, weil sie darin eine unzulässige Relativierung des nach Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes geschützten Freiheitsrechtes sah. Dieses mögliche Mißverständnis soll nunmehr durch einen Änderungsantrag der Koalition im Ablauf der heutigen Beratung ausgeschlossen werden. Eine weitere Präzisierung im Zusammenhang mit dem Verhältnis von Lehrfreiheit und Lehrverpflichtung wird mit dem zweiten Änderungsantrag der Koalition bezweckt.
Zweiter Schwerpunkt: die Neuordnung des Hochschulwesens und die Gesamthochschule. Im beschlossenen Text ist die Zusammenfassung von Hochschulen zu Gesamthochschulen vorgesehen, die mit bisher unterschiedlicher Rechts- und Aufgabenstellung unverbunden nebeneinander bestehen. Diese Gesamthochschulen sollen ein Angebot von abgestuften und aufeinander bezogenen und integrierten Studiengängen gewährleisten, um so den unterschiedlichen Neigungen und Begabungen der Studierenden Rechnung zu tragen. Nach Auffassung von SPD und FDP ist aus dem Gesetz zwar keine rechtliche Priorität für die integrierte oder kooperative Gesamthochschule herzuleiten. Die Koalition stellte aber unabhängig davon ihre politische Option für die integrierte Gesamthochschule heraus. Demgegenüber wandte die CDU/CSU ein, daß die beschlossene Fassung die rechtliche Gleichrangigkeit nicht mehr zweifelsfrei zum Ausdruck bringe.
Dritter Schwerpunkt: das Zusammenwirken von Hochschulen, die Landes- und die Bundeshochschulkonferenz. Der Ausschuß war zwar einmütig der Ansicht, daß ein Zusammenwirken der Hochschulen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben vorzusehen ist. Strittig zwischen Koalition und Opposition blieb jedoch die Frage, ob und inwieweit die Organisation dieses Zusammenwirkens dem Landesgesetzgeber vorbehalten werden und ob eine Aussage zu einer Bundeshochschulkonferenz gemacht werden soll.
Mit der beschlossenen Fassung bieten SPD und FDP die Möglichkeit zur Schaffung von Landeshochschulkonferenzen. Auch die Bildung einer Kon-
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ferenz der Hochschulen aller Bundesländer als Bundeshochschulkonferenz bleibt möglich. Beides ist jedoch nicht zwingend, sondern hat reinen Angebotscharakter an die Länder. Die CDU/CSU wollte demgegenüber die Sicherstellung des Zusammenwirkens der Hochschulen eines Landes allein dem Landesgesetzgeber überlassen und bestritt im übrigen die Gesetzgebungskompetenz des Bundes.
Vierter Schwerpunkt war die Studienreform, die Regelstudienzeit und die Studienreformkommissionen. Die Studienreform, mit der Kernpunkt der Hochschulreform, soll auf ein berufliches Tätigkeitsfeld vorbereiten. Eine Entrümpelung der Studiengänge soll mit Hilfe von Regelstudienzeiten zur Verkürzung der Studien- und Verweildauer an den Hochschulen führen. Bei Überschreitung der Regelstudienzeit sind Sanktionsmechanismen vorgesehen. So erlöschen nach § 18 Abs. 3 die Rechte des Studenten aus der Einschreibung, wenn er sich nach Aufforderung nicht zur Abschlußprüfung meldet, ohne eine Nachfrist beantragt zu haben, oder wenn er eine ihm gesetzte Nachfrist nicht einhält. Der Anspruch auf Zulassung zur Prüfung bleibt bestehen, sofern die hierfür erforderlichen Leistungen nachgewiesen sind.
Regelstudienzeiten bedeuten im übrigen nicht, daß für die Studienreform ein starrer zeitlicher Rahmen vorgegeben wird. Dieses einschließlich der notwendigen unverzüglichen Bildung arbeitsfähiger Studienreformkommissionen — war unumstritten. Die CDU/CSU wollte jedoch mit Hinweis auf die Landeszuständigkeit von der Arbeit der Kommissionen Studiengänge ausnehmen, die mit staatlichen Prüfungen abschließen. SPD und FDP bestanden dagegen mit Nachdruck auf einer Einbeziehung der Studiengänge mit Staatsprüfung, weil man sonst die Studienreform im Ansatz gefährdet sah, da die Mehrzahl der Hochschulabsolventen das Studium mit einer staatlichen Prüfung abschließt.
Mit den Stimmen von SPD und FDP hielt der Ausschuß auch an der Verpflichtung zur Bildung bundesweiter Studienreformkommissionen fest. Ebenso setzte sich die Koalition gegen die Opposition mit einer bundesgesetzlichen Regelung des Stimmrechts und der Sicherung der Parität für die von den Hochschulen benannten Kommissionsmitglieder durch.
Fünfter Schwerpunkt: Forschung aus Mitteln Dritter und Verbesserung der Transparenz. Forschungsprojekte, die nicht aus den der Hochschule zur Verfügung stehenden Mitteln finanziert werden also die sogenannte Drittmittelforschung —, sollen nach dem Beschluß der Koalition einer Anzeigepflicht über den Fachbereich an die Hochschulleitung unterliegen. Der Fachbereich hat danach das Recht, unter bestimmten Voraussetzungen gegen die Inanspruchnahme seines Personals, der Sachmittel und Einrichtungen Widerspruch zu erheben. Die Drittmittel sind von der Hochschule zu verwalten. Hauptberufliche Mitarbeiter, die als Personal der Hochschule einzustellen sind, sind aus diesen Mitteln zu bezahlen. Die Opposition lehnte diese Regelung unter anderem als einem Rahmengesetz nicht angemessen ab und befürchtete im übrigen künftig ein Ausbleiben von Drittmitteln. Die Anzeigepflicht von aus Drittmitteln finanzierten Projekten soll nach Ansicht der Mehrheit zusammen mit den Vorschriften über die grundsätzliche Öffentlichkeit von Kollegialorganen der Hochschule und die Anzeigepflicht der Nebentätigkeit der Hochschullehrer — letzteres gegen die CDU/CSU beschlossen — die Transparenz im Hochschulwesen herstellen bzw. fördern.
Sechstens: Schutz der Hochschulen vor Störungen, Ordnungsrecht. Meine Damen und Herren, alle Fraktionen waren sich bei unterschiedlicher Vorstellung über die konkrete Ausgestaltung darin einig, daß zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Hochschulen und zum Schutz der Rechte ihrer Mitglieder besondere hochschulrechtliche Bestimmungen erforderlich sind.
Der Rechtsausschuß hat sowohl den Vorschlag der Koalition als auch den der Opposition für verfassungskonform angesehen.
Nach der von SPD und FDP beschlossenen Fassung kann die Hochschule — in diesem Fall ist es der Leiter der Hochschule, soweit landesrechtlich keine andere Zuständigkeit begründet ist — den Widerruf der Einschreibung aussprechen. Dies hat zur Folge, daß für eine bestimmte Frist — bis zu zwei Jahren — die Immatrikulation an der gleichen und im Regelfall auch an jeder anderen Hochschule im Bundesgebiet ausgeschlossen ist. Voraussetzung ist, daß ein Student durch die Anwendung körperlicher Gewalt oder durch unmittelbare Bedrohung mit Gewalt den Betrieb einer Hochschuleinrichtung, die Tätigkeit eines Hochschulorgans oder die Durchführung einer Hochschulveranstaltung behindert, ein Hochschulmitglied von der Ausübung seiner Rechte und Pflichten abhält oder dies versucht und nach den Umständen die Gefahr weiterer Beeinträchtigungen zu erwarten ist. Das gleiche gilt für die Teilnahme, d. h. für die Anstiftung und Beihilfe. Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten soll ohne Widerspruchsverfahren gegeben sein, die Klage jedoch keine aufschiebende Wirkung haben.
Ergänzend kommt eine andere, einvernehmlich auf Vorschlag der Koalition beschlossene Vorschrift hinzu, wonach die Leitung der Hochschule deren Ordnung wahrt und das Hausrecht ausübt. Während die Koalition ihre Vorstellungen, die im wesentlichen auf denen der WRK basieren, als angemessen ansah, votierte die Opposition ausdrücklich für ein abgestuftes Ordnungsrecht.
Ein siebenter Schwerpunkt: Die Neuordnung des Hochschulzugangs. Im Gegensatz zur Ausgangslage bei Aufnahme der Ausschußberatungen gehen nunmehr alle Fraktionen einschließlich der Opposition davon aus, daß es notwendig ist, im Hochschulrahmengesetz eine bundeseinheitliche Rahmenregelung vorzusehen, durch die die heute bereits erkennbaren Mängel im Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen beseitigt werden sollten. Koalition und Opposition haben sich übereinstimmend dahin entschieden, bei der Vergabe der Studienplätze zwei Verfahren zu unterscheiden, einmal das Auswahl-
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verfahren für Studiengänge mit geringerem und zum anderen besondere Auswahlverfahren für Studiengänge mit größerem Bewerberüberhang in bestimmten Fällen. Beim allgemeinen Auswahlverfahren sind die Studienplätze nach Vorabberücksichtigung von fünf Sonderquoten bis hin zu einem Drittel überwiegend nach dem Grade der Qualifikation der Bewerber zu vergeben. Im übrigen wird bei der Auswahl auf die Dauer einer Berufstätigkeit oder Berufsausbildung abgestellt. Die Opposition wollte demgegenüber, jedoch ohne Erfolg, die Wartezeit als Kriterium für den Hochschulzugang nicht ganz aufheben und die Möglichkeit eines sogenannten Parkstudiums in einem anderen Fach ebenfalls offenhalten.
Einvernehmlich beschloß der Ausschuß, für Härtefälle insbesondere sozialer Art, Fälle besonderen öffentlichen Bedarfs, für ausländische Studienbewerber, für die Fälle des Übergangs von Fachhochschulen und für das Zweitstudium Sonderquoten vorzusehen. Diese Bewerber nach 4 und 5 werden dann nur über die Sonderquoten zugelassen und konkurrieren bei den Hauptquoten nicht mehr mit den anderen Bewerbern.
In Fällen, in denen das Abitur praktisch keinerlei Aussagekraft für die Qualifikation zum späteren Studium mehr hat wie etwa in der Medizin und wo wegen der großen Zahl der Studienbewerber die Entscheidung über den Studienbeginn für einen unvertretbar großen Teil der Bewerber unangemessen verzögert würde, ist ein besonderes Auswahlverfahren vorgesehen. Die Entwicklung besonderer Auswahlverfahren hat nach dem Willen der Mehrheit im Zusammenwirken von Bund und Ländern zu erfolgen.
Die Konkretisierung der Grundsatznormen des Hochschulrahmengesetzes zum Hochschulzugang muß nach Auffassung von SPD und FDP über eine Verordnungsermächtigung sichergestellt sein. Der Oppositionsantrag, diese Vorschrift zu streichen, fand keine Mehrheit. Die Koalition hielt ergänzende Verordnungen für erforderlich, weil der Unionsantrag letztlich auf den Abschluß eines neuen Staatsvertrages hinauslaufen würde, was aber gerade durch das Hochschulrahmengesetz entbehrlich gemacht werden sollte.
Achter Schwerpunkt war das Thema Mitbestimmung. Einstimmig hielt der Ausschuß am Grundsatz der funktionsgerechten Mitwirkung fest, bei dem nach Aufgaben der Gremien, nach der Funktion, nach der Qualifikation und Betroffenheit der Mitglieder zu differenzieren ist. Das Stimmenverhältnis der Mitgliedergruppen soll für die zentralen Kollegialorgane und den Fachbereichsrat durch den Landesgesetzgeber geregelt werden, soweit es das Hochschulrahmengesetz nicht selbst bestimmt. Nach dem Wegfall des Assistenzprofessors bilden die Professoren, die Studenten, die wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiter mit den Hochschuldozenten und die sonstigen Mitarbeiter je eine Gruppe. Die Vertretung weiterer Hochschulmitglieder wie z. B. der Lehrkräfte für besondere Aufgaben wird durch Landesrecht geregelt.
Übereinstimmend war der Ausschuß der Ansicht, daß in den zentralen Kollegialorganen und im Fachbereichsrat alle Mitgliedergruppen stimmberechtigt vertreten sein müssen. Hierbei traten SPD und FDP zwecks Sicherung des vom Bundesverfassungsgericht geforderten Einflusses der Hochschullehrer für eine Regelung ein, wonach die Professoren in allen Entscheidungsgremien über die Zahlen von Stimmen verfügen, die für die absolute Mehrheit erforderlich, aber auch ausreichend sind. Bei dem Kollegialorgan, das für den Erlaß der Grundordnung der Hochschule zuständig ist, darf die Mitgliederzahl einer Gruppe die Hälfte der gewählten Mitglieder nicht erreichen. Die Opposition lehnte diese rahmengesetzliche Begrenzung der Mehrheit der Professoren ab und trat dafür ein, dem Landesgesetzgeber die Möglichkeit zu größeren Professorenmehrheiten zu geben.
Neunter Schwerpunkt waren die Neuordnung der Personalstruktur, der wissenschaftliche Nachwuchs und die Überleitungsregelungen. Das hauptberuflich tätige wissenschaftliche und künstlerische Personal der Hochschulen besteht künftig aus den Professoren, den Hochschuldozenten, den wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeitern sowie den Lehrkräften für besondere Aufgaben. Hinzu treten können z. B. noch hauptamtliche Lehrbeauftragte. In Würdigung der von fast allen Verbänden und Organisationen in den öffentlichen Anhörungen vorgetragenen kritischen Einwände entschloß sich der Ausschuß einmütig, die Institution der Assistenzprofessur nicht in das Gesetz aufzunehmen. Die von SPD und FDP angenommene Fassung sieht vor, daß dem Hochschuldozenten die Hälfte seiner Arbeitszeit für die Tätigkeit in der Forschung nach eigener Entscheidung zusteht.
Der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ruft das Plenum auf, sich vielleicht auch einmal Gedanken darüber zu machen, ob man nicht noch eine bessere Formulierung oder Etikettierung für den Hochschuldozenten findet. Wir waren uns darüber im klaren, daß das noch nicht das Nonplusultra ist, allerdings auch nicht die anderen im Ausschuß gemachten Vorschläge.
Bei vorliegender Qualifikation des Hochschuldozenten kann er im ersten Jahr auf Antrag bis zu vier Wochenstunden Lehrveranstaltungen selbständig übernehmen. In der Folgezeit, also dem zweiten Jahr, soll dies obligatorisch sein. In der ihm dann noch verbleibenden Zeit obliegen ihm wissenschaftliche Dienstleistungen. Der Hochschuldozent soll Beamter auf Zeit sein, mit der Möglichkeit, nach drei Jahren das Dienstverhältnis um weitere drei Jahre verlängert zu bekommen.
Während die Koalition Hochschullehrernachwuchs und wissenschaftliche Mitarbeiter voneinander abgrenzen will, sprach sich die CDU/CSU gegen den Hochschuldozenten und für seine Zuordnung zum wissenschaftlichen Mitarbeiter als Sonderform und in Gestalt des Beamten auf Widerruf aus. Ein wichtiges Ziel der Personalstrukturreform ist es, den bisher bestehenden personellen Wildwuchs zu beschneiden. Dies soll auch mit Hilfe der Überleitungsvorschriften erreicht werden. Neben pauschaler
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Übernahme als Professor für einzelne Ämter gibt es als Auffangnorm eine Bestimmung, wonach individuell auf Antrag zum Professor übergeleitet werden kann. Nach Auffassung der Koalition fallen unter diese Bestimmung Wissenschaftler mit Professorenqualifikation, die ausschließlich Aufgaben in Forschung oder Lehre tatsächlich wahrnehmen, unabhängig davon, ob diese ausgeübte Funktion ihrem Dienstverhältnis und Status entsprach oder nicht.
Die CDU/CSU suchte vergeblich durchzusetzen, daß die Überleitung an den Lehrbedarf gekoppelt wird, und sie wollte die wissenschaftlichen Assistenten und Lektoren auch in Fällen ausschließlicher Wahrnehmung der Professorenaufgaben von der Einzelüberleitung ausnehmen. Die Koalition lehnte diesen Antrag ab, weil sie eine solche Ausschlußregelung für unvereinbar mit der Zielsetzung einer Flurbereinigung der bisherigen Personalstruktur ansah und überdies nur ein begrenzter Personenkreis für diese Muß-Überleitung in Frage kommt. Einvernehmlich beschlossen wurden dagegen Bestimmungen zur Überleitung nach Maßgabe des Bedarfs und der Länderhaushalte.
Der zehnte Schwerpunkt betraf das Verhältnis zwischen Hochschule und Staat. Einstimmig sprach sich der Ausschuß dafür aus, daß die Hochschulen Körperschaften des öffentlichen Rechts und zugleich Einrichtungen des Staates sind. Die Hochschulen unterliegen grundsätzlich der Rechtsaufsicht des Staates, die vom zuständigen Land ausgeübt wird. SPD und FDP beschlossen in Übereinstimmung mit dem Bundesrat in staatlichen Angelegenheiten eine über die Rechtsaufsicht hinausgehende Aufsicht als Kann-Vorschrift. Demgegenüber votierte die CDU/ CSU für eine obligatorische Vorschrift.
SPD und FDP vertraten die Ansicht, daß die Dienstherreneigenschaft der Hochschule durch die beschlossene Fassung nicht ausgeschlossen ist. Dabei wird davon ausgegangen, daß als oberste Dienstbehörde ein Kuratorium gebildet werden kann. Die Koalitionsfraktionen haben sichergestellt, daß dem Landesrecht die Möglichkeit offenbleibt, einen eigenen Hochschulhaushalt, den sognannten Globalhaushalt, vorzusehen. Die Opposition hat beide Bestimmungen abgelehnt.
Auf zahlreiche andere, ebenfalls wichtige Fragen und Passagen des Hochschulrahmengesetzes bei der Beratung im Ausschuß — wie etwa die Rahmenkompetenzfrage, Aufgaben der Hochschule, Fernstudium, verfaßte Studentenschaft, Studienberatung, Hochschulgrade, Wahlen, Hochschulleitung, Fachbereichsstruktur, wissenschaftliche Einrichtungen und Betriebseinheiten sowie die Hochschulplanung — kann hier nur mehr hingewiesen werden.
Bei der Bewältigung der oft recht diffizilen Einzelprobleme zeigte das Ministerium für Bildung und Wissenschaft einen außerordentlich kooperativen Stil, der übrigens allen drei Fraktionen dieses Hauses und letzten Endes dem Gesetz selbst zugute kam. Insbesondere in der Schlußphase der umfangreichen Arbeiten zur Antrags- und Ausschußberichterstellung kam auf die Mitarbeiter des Ministeriums, aber auch auf zwei Bundesratsvertreter — was hier nicht
unerwähnt sein soll — und auf das Ausschußsekretariat und seine Mitarbeiter einiges zu. Allen Beteiligten sei hier für die Arbeit herzlich gedankt.
Ich komme zu den letzten vier Bemerkungen von meiner Seite.
Erstens. Bundesregierung und Koalition können von der im Ausschuß verabschiedeten Fassung des Hochschulrahmengesetzes insgesamt mit gutem Gewissen sagen, daß hier eine realistische Reformkonzeption mit Perspektiven vorgelegt wird.
Zweitens. Die Opposition kann bei konkretem Bezug auf die vorliegende Fassung des Hochschulrahmengesetzes ihre Ablehnung nur mühsam aufrechterhalten. Sie selbst hat bei der Fassung des Berichts großen Wert darauf gelegt, daß deutlich wird, in welchen Passagen Einvernehmlichkeit hergestellt werden konnte. Die Anlage zum Bericht mit den abgelehnten Oppositionsanträgen weist zwar rund 60 abweichende Einzelvoten aus; in der Substanz schmelzen sie jedoch auf kaum mehr als ein Viertel zusammen.
Drittens. Die Möglichkeiten, zu einvernehmlichen Regelungen zu gelangen, sind in den Ausschußberatungen weitgehend ausgelotet und genutzt worden, und zwar von beiden Seiten. Dies ist in einer parlamentarischen Demokratie eigentlich etwas Selbstverständliches und sollte in der Öffentlichkeit nicht als fauler Kompromiß verteufelt werden. Die jetzt gewonnene Substanz des Hochschulrahmengesetzes darf jedoch nicht herabgemindert werden. Regierung und Koalition müssen auch bei bestehender Gesprächsbereitschaft klarstellen, daß es ein Hochschulrahmengesetz zum Nulltarif nicht geben wird.
Vierte Bemerkung. Das Hochschulrahmengesetz fand auf seinem bisherigen Weg — ob es sich, bildlich gesprochen, um kritische Links- oder Rechtskurven handelte — immer sein Publikum, das engagiert und erwartungsfroh das Scheitern erhoffte. Dies trifft vorzüglich auf zwei Meinungen zu, die mit „Utopie" und „Blockade" stichwortartig markiert sind. Die eine Meinung ist am lupenrein idealtypischen Bild einer Hochschulreformkonzeption orientiert und lehnt alles, was dieser Elle widerspricht, schlicht ab. Für manche aus diesem Lager stellt sich das Hochschulrahmengesetz nach seinem langen Marsch fälschlich so dar wie der zum Skelett reduzierte Fisch am Boot von Hemingways „Der alte Mann und das Meer". Die anderen von rechts tun grundlos so, als ob sie jederzeit irrtumslos stromlinienförmige Hochschulpolitik betrieben hätten, und sie erheben verbal den Anspruch, ex cathedra alles in der Hochschulreformpolitik dieses Landes, dieser Bundesrepublik, über ihren Leisten schlagen zu müssen.
Die praktische Gesetzgebungsarbeit des letzten Jahres mußte sich demgegenüber ihren Weg zwischen beiden Extrempositionen oft recht mühsam, aber doch erfolgreich bahnen. Das Hochschulrahmengesetz, meine Damen und Herren, verdient nach wie vor seine Chance.
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