Rede von
Ursula
Benedix
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Neben der Frage der Verantwortung für die Freiheit von Forschung und Lehre, über die eben der Kollege Professor Klein gesprochen hat, gibt es für uns noch eine zweite unabdingbare Forderung für dieses Gesetz: die echte Gleichrangigkeit kooperativer und integrierter Formen der Gesamthochschulen neben den Einzelhochschulen, eine Gleichrangigkeit, die keine Vorgabe duldet.
Die Formulierung in § 4 des Gesetzentwurfs, nach der ein Angebot von integrierten Studiengängen durch die Neuordnung zu gewährleisten ist, ist für uns unannehmbar. Das Wort „Gewährleisten" beinhaltet Obligatorisches. Die von uns vorgeschlagene Formulierung „Durch die Neuordnung des Hochschulwesens sollen insbesondere erreicht werden" zielt auf gleichgewichtige Alternativen.
Wer es noch nicht begriffen hatte, daß Sie eben diese gleichgewichtige Alternative nicht wollen, wurde durch Ihre unnachgiebige Haltung bei unseren wiederholten Anträgen belehrt, das Wort „integriert" zu streichen und statt dessen zu formulieren „aufeinander bezogene Studiengänge". Unsere einvernehmliche Regelung in § 5 entspricht dem Wortlaut des Bildungsgesamtplans.
Sie wurde durch Ihre Fassung von § 4 Abs. 3 Nr. 1
glatt unterlaufen. Sie betonen immer wieder, daß
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974 9341
Frau Benedix
aus dem Gesetz eine rechtliche Priorität für die eine oder andere Form nicht herzuleiten sei. Wenn das so wäre, meine Damen und Herren von der Koalition, warum zerstreuen Sie dann nicht unsere Zweifel? Es müßte Ihnen doch möglich sein, auf die Formel „Gewährleisten von integrierten Studiengängen" zu verzichten.
Aber Sie erklären ja auch immer wieder, diese integrierten Gesamthochschulen seien sehr wohl Ihr politisches Ziel, auf dessen gesetzliche Festlegung Sie hier lediglich verzichten. Ich meine, wer unter dieser Prämisse mit der Aussage, aus dem Gesetz ergebe sich keine Prioirität für die eine oder andere Form, glaubwürdig bleiben will, muß doch eine Formulierung wählen, die die gleiche Rangfolge ohne jeden Zweifel zum Ausdruck bringt.
Und, meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, Sie befinden sich ja schließlich, was rechtliches Verschreiben und politisches Wollen in der Frage der Integration betrifft — ich muß das wiederholen, Herr Dr. Dürr —, nicht mehr im Zustand der Unschuld.
Sie haben uns ja die Erfahrungen beigebracht, und Sie können es uns nicht übelnehmen, wenn wir jetzt daraus lernen.
Da haben wir ja z. B. im schulischen Sektor in einigen Ländern Erfahrungen, die die Methoden doch sehr durchsichtig machen. Ich höre immer noch im Geiste die Erklärungen der jeweils verantwortlichen Minister im Kultusbereich in den Ländern und des Wissenschaftsministers im Bund; ich sage „die jeweiligen", weil sich ja doch die negativen Aufladungen dieser Minister in immer schnellerer Folge vollziehen und dann die Auswechselung erfolgen muß. Herr Minister Rohde, ich fürchte, das ist schon fast eine Gesetzmäßigkeit.
Die politischen Erklärungen zur integrierten Gesamtschule, die eine Parallele aufweisen, lauten — ich darf kurz zitieren — im Zeitablauf von etwa einem halben Jahr: Wir wollen es mit integrierten Schulen versuchen. Dann: Wir wollen sie mit dem Ziel ihrer obligatorischen Einführung. Dann: Wir wollen sie mit wissenschaftlicher Begleitung; Ergebnis offene Prüfung. Dann: Die Prüfung wäre eventuell schädlich. Und zum Schluß — aus dem Munde des zur Zeit vorletzten Kultusministers in Niedersachsen — sinngemäß: Sind auch die pädagogischen Probleme nicht gelöst, wir haben uns für diese Schule entschieden; das ist eine politische Entscheidung. — Und hier ist die Parallele zu Ihrer politischen Entscheidung für die integrierte Gesamthochschule! Dann rückte die Wahl in Niedersachsen heran; es ging in die letzte Runde; das Schulgesetz spielte die entscheidende Rolle, und dies war der entscheidende Punkt im Wahlkampf. Und jetzt lautete die Erklärung — hier gleichen sich die Bilder —: Es gibt keine Festlegung im Gesetz für diese integrierte Schule.
Aber das sind die Tatsachen: In der Gesetzesabfolge wird durch eine Kombination von Vorschriften über Schulformen in Verbindung mit Vorschriften über die Errichtung von Schulen durch Schulträger, über Schulentwicklungspläne, Schuleinzugsbereiche usw. indirekt ein Marsch in dieses integrierte System festgeschrieben. Ich habe damals umfangreiche Erfahrungen sammeln müssen, und das erhöht natürlich die Skepsis hinsichtlich der von Ihnen gegebenen Erklärung, meine Damen und Herren. Das können Sie uns nicht übelnehmen.
Ich meine, wir sollten uns auch gar nichts vormachen. In Wirklichkeit ist es doch eben so: Der Bildungsgesamtplan wurde unterschrieben, und da besteht ja doch wohl noch eine Verbindlichkeit im Amt. Wer ihn unterschrieben hat, der kann die integrierte Gesamthochschule natürlich nicht expressis verbis obligatorisch in ein Gesetz übernehmen, aber Ihren erklärten politischen Willen wollen Sie nicht fallenlassen, und da boten sich eben wobei Sie sehr wohl wußten, daß dies eine Weichenstellung in Richtung integrierte Gesamthochschule darstellt — die integrierten Studiengänge an. Aus Ihrer Sicht ist das absolut schlüssig. Sie haben ein hartes politisches Ziel, und Sie haben einen nur schwer zu bändigenden Linksaußenflügel, bei dem Sie sich ohne diese Formel nicht mehr sehen lassen können. So ist es begreiflich, daß Sie Ihre politische Zielsetzung im Gesetz festschreiben lassen wollen.
Unser Widerstand bringt Sie nun zu dieser widersprüchlichen Aussage in den §§ 4 und 5, und dies ist ein Schattenspiel, das Sie mit uns nicht machen können. Sie möchten den SPD-regierten Ländern eine zusätzliche Legitimation verschaffen, aber eine solche Weichenstellung darf keinesfalls in einem Rahmengesetz erfolgen.
Wir bleiben dabei: Für uns ist jeder Versuch von Ihrer Seite, die integrierte Form der Gesamthochschule zu privilegieren, eine Nagelprobe auf den Bildungsgesamtplan. Am Ergebnis der Abstimmung über diesen Antrag werden wir messen, ob die Unterschrift unter den Bildungsplan, die ein sozialdemokratischer Bundeskanzler und sozialdemokratische Ministerpräsidenten geleistet haben, weiter ohne Wenn und Aber gilt.
Hier, meine Damen und Herren, wäre ein Punkt im Hochschulrecht gewesen, bei dein Sie Ihren echten Willen zur Kurskorrektur überzeugend hätten darstellen können.
Denn der Bürger merkt längst, daß Langsamergehen noch keine Richtungsänderung darstellt, und auch ein Zurück ist so lange keine Einsicht, wie dieses Zurück vor der Weiche stehenbleibt.
Wir müssen auf diesen „Vormarsch zurück zur Vernunft" bestehen. Wir verlangen lediglich das Aufgeben der einseitigen Festlegung; weiter nichts als: Offenheit.
9342 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1974
Frau Benedix
Wir geben keine politische Willenserklärung ab und verlangen keine Privilegien für eine kooperative Gesamthochschule. Wir beziehen also gar keine Position, die für Sie eine schwierige Kompromiß-frage bringen könnte. Wir wollen nichts als die gleiche Chance für beide Modelle. Wir sind zum Entgegenkommen bereit. Ihre Bereitschaft fehlt noch. Wir müssen sie fordern, weil eine Fülle von Problemen ungelöst ist. Sie kennen sie selbst, und Sie bekennen sich ja auch zu ihnen.
Ich nenne z. B. nur die Frage der integrierten Grundstudiengänge, etwa nach dem Y-Modell; die vorgesehenen Semesterzahlen dafür, wie man sie mit den praktischen Anforderungen in Einklang bringen kann. Bei den Natur- und Ingenieurwissenschaften erkennt man schon heute, daß einerseits die wissenschaftliche Ausbildung zu kurz kommt und andererseits an dieser Hürde Grundstudium über längere Semester hinweg viele Studenten scheitern, die für praktische Tätigkeiten hervorragend geeignet wären. Ich nenne weiter: das Problem der Stoffülle -- ob man das überhaupt mit Integrierungen meistern kann oder nicht besser mit Doppelspezialisierungen—; die Projektstudiengänge, für die die Integrationsverbunde überhaupt gar nicht groß genug sein können; oder denken Sie an die Frage, die die Experten immer mehr bewegt, die Frage, ob die Exaktheit in den Grundlagen nicht in Gefahr gerät. Und gehört zur Integration nicht auch die räumliche Konzentration? Wie schaffen wir das in unseren Flächenstaaten? Oder wo liegt die Obergrenze bei der zahlenmäßigen Konzentration?
Nun noch einige Stichworte, mit Fragezeichen versehen: unrealistisch, organisatorisch kaum zu bewältigen, studienverlängernd, Tendenz zur verhängnisvollen Mammutisierung — ich sage das mit allem Ernst —, die die Ursache der zunehmenden psychologischen Störungen bei den Studenten ist.
Das alles muß durchdacht, nein: es muß vor allen Dingen erprobt werden. Wir dürfen uns hier nicht auf Abenteuer einlassen, unter denen wir doch im schulischen Bereich gerade genug leiden.
Carlo Schmid hat einmal formuliert: Politik heißt, Möglichkeiten zu schaffen, das Notwendige zu tun. Was notwendig ist, sagt uns nicht die Partei. Sie ist nicht der Hort der Wahrheitsfindung. Was notwendig ist, muß an der Sache, um die es geht, gemessen werden. Hier dürfen wir uns nicht auf parteipolitische Denkansätze, sondern nur auf empirisch gesicherte Erkenntnisse stützen. Diese Erkenntnisse gilt es zu sammeln, und sie müssen dann durch den politischen Willen umgesetzt werden. Das ist der Weg.
Weil wir die Verantwortung für den gesetzlichen Rahmen tragen, in dem sich in Zukunft Forschung und Lehre entfalten, und für die akademische Jugend, darum müssen wir uns gegen jede dogmatische Fixierung wenden. Wir dürfen nicht in dieselben katastrophalen Fehler verfallen, die die Schulreform aufzeigt, nämlich Motoren, die noch unerprobt sind, einzubauen und dann zu erleben, daß das Fahrzeug nicht vorangebracht wird, sondern sich alle
Beteiligten nur mit ständiger Störungssuche beschäftigen. Darum noch einmal die dringende Aufforderung, sich zur Offenheit durchzuringen und unserem Antrag doch noch zuzustimmen.
Gestatten Sie, daß ich gleich noch die Begründung zu unserem Antrag zu § 7 anschließe. Wir votieren für Streichung der Forderung nach einer Landeshochschulkonferenz, weil es eine genuine Aufgabe des Landesgesetzgebers ist, für seinen Bereich eine Hochschulkonferenz vorzusehen oder eben nicht vorzusehen. Hierzu sollte der Bundesgesetzgeber in einem Rahmengesetz kein Wort verlieren. Außerdem sind die Organisationshilfen, die der Entwurf für die Landeshochschulkonferenz vorsieht, wenig hilfreich. Die Organisation einer Landeshochschulkonferenz läßt sich eben nicht über einen Leisten scheren, etwa bei einem Flächenstaat oder bei einem Stadtstaat.
Zu dem von Ihnen in § 7 Abs. 3 geforderten neuen Organ einer Bundeshochschulkonferenz muß ich zunächst bemerken, daß ja auch der Rechtsausschuß der Meinung ist, daß die Länder dazu nicht verpflichtet werden können. Wenn aber die Rede davon ist, Herr Dr. Dürr, daß es sich hier lediglich um ein Angebot handelt, so kann ich nur sagen: ein Rahmengesetz kann ja wohl nicht die Aufgabe haben, durch Angebote unterschiedliche Rechtslagen zu schaffen. Es kann ja wohl nur die Aufgabe haben, einen Rechtszustand zu vereinheitlichen.
Im übrigen bestehen gegen einen Zusammenschluß der Hochschulen in einem Organ, das als „Bundeshochschulkonferenz" bezeichnet wird, verfassungsrechtliche Bedenken. Die Wahrnehmung der überregionalen bundesweiten Aufgaben auf dem Gebiet des Hochschulwesens sowie die Wahrnehmung der Belange der einzelnen Hochschulen gegenüber dem Bund obliegt nach unserer Auffassung den Ländern. Neben den Ländern können die Hochschulen nicht selbständige Verhandlungspartner des Bundes sein, auch nicht in einem Zusammenschluß in Form einer Bundeshochschulkonferenz. Stellt man sich die Größe dieser Gremien vor, die bei etwa 300 Mitgliedern liegen könnte, so stellt sich die Frage nach der Effizienz einer solchen neuen Mammutveranstaltung. Der Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz urteilte ja sehr drastisch: sie würde gegen Null konvergieren. Viele neue Ämter müßten besetzt werden. Es entstünde erneut ein exemplarischer Fall für das berüchtigte Parkinsonsche Gesetz.
Sieht man aber, wie es Professor Löwenthal tat, eine Vertretungskompetenz dieser Bundeshochschulkonferenz in Fragen der Forschung, dann erwächst die große Gefahr — so auch Professor Löwenthal —, daß die funktionierende Deutsche Forschungsgemeinschaft durch eine drittelparitätische und, wie er sich ausdrückte, daher nicht funktionierende neugeschaffene Institution unterlaufen wird.
Meine Damen und Herren, ich begreife, daß Sie sich in Ihrer Fraktion und Partei starken Gruppen gegenüber zur Wehr setzen müssen durch gewisse Sollerfüllung in Ideologie. Ich meine aber, daß ein so schwerwiegendes Gesetz wie das Hochschulrah-
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Frau Benedix
mengesetz es darstellt, dazu völlig ungeeignet ist. Deshalb noch einmal unser Appell an Ihre Einsicht, viel mehr aber noch an Ihre politische Kraft, inner-fraktionell, innerparteilich der Vernunft zum Durchbruch zu verhelfen und unserem Antrag zuzustimmen.