Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich zur 2. Sitzung des Deutschen Bundestages in
der 18. Legislaturperiode.
Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, habe ich
Ihnen einige Mitteilungen zu machen.
Ich beginne mit der rundum erfreulichen Mitteilung,
dass die Kollegin Brigitte Zypries am vergangenen
Samstag einen runden Geburtstag feiern konnte.
Ich gratuliere ihr im Namen des ganzen Hauses auch auf
diesem Wege noch einmal herzlich und wünsche ihr al-
les Gute für das neue Lebensjahr.
Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass es eine inter-
fraktionelle Verständigung gibt, den bereits am 21. März
dieses Jahres im Ältestenrat vereinbarten vorläufigen
Zeitplan für das Jahr 2014 zu bestätigen. Mit „vorläufi-
ger Zeitplan“ sind selbstverständlich die Sitzungswo-
chen des Bundestages im Jahre 2014 gemeint. – Dazu
gibt es eine Wortmeldung. Herr Kollege Gysi, bitte.
Herr Präsident! Meine Wortmeldung ist natürlich
nicht dazu, sondern ich missbrauche mein Recht. Denn
eines geht nicht, und zwar, dass hier nicht erwähnt wird,
dass Sie am vergangenen Samstag 65 Jahre alt geworden
sind. Meine herzlichen Glückwünsche, ich glaube, im
Namen des ganzen Hauses!
Herr Kollege Gysi, ich bedanke mich sehr. Es wärenatürlich schon gegangen. Im Unterschied zu manch an-derem bestünde hierfür keine verfassungsrechtliche Not-wendigkeit.
Umso mehr beeindruckt mich Ihre Kurzintervention.Wenn wir das während der Legislaturperiode auf diesemNiveau durchhalten könnten, wäre das schon einmal einePerspektive.
Damit ist jedenfalls der Sitzungsplan für das Jahr2014 beschlossen. Das schließt im Übrigen natürlichnicht aus, dass wir durch Vereinbarungen noch einmalKorrekturen vornehmen könnten. Jeder kann sich aberdarauf einstellen, wann im nächsten Jahr Sitzungswo-chen einzuplanen sind.Darüber hinaus gibt es eine interfraktionelle Verein-barung, die für heute vereinbarte Tagesordnung um dieAnträge der Fraktion Die Linke zur Einsetzung von Aus-schüssen sowie zur Bestimmung des Verfahrens für dieBerechnung der Stellenanteile der Fraktionen auf denDrucksachen 18/53 und 18/54 zu erweitern. Beide An-träge sollen als Zusatzpunkte im Anschluss an denTagesordnungspunkt 2 aufgerufen und dann ohne Aus-sprache abgestimmt werden. Sind Sie auch damit einver-standen? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das sobeschlossen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich Tages-ordnungspunkt 1 aufrufe, möchte ich auf der Ehrentri-büne die Botschafterin der Philippinen, Frau MariaNatividad, begrüßen
und unsere Gedanken von den Aufgaben und Herausfor-derungen im eigenen Land in jenen Teil der Welt lenken,der am Freitag vor einer Woche vom tropischen Wirbel-sturm „Haiyan“ heimgesucht wurde. Dieser Taifun wareiner der stärksten, der jemals von Meteorologen regis-triert wurde, und hat auf den Philippinen schwerste Ver-wüstungen angerichtet – ganz besonders auf den InselnSamar und Leyte.Die Bilder, die uns in den letzten Tagen erreicht underschüttert haben, zeigen Städte und Landschaften, die ineinem geradezu apokalyptischen Ausmaß zerstört sind.Besonders schlimm hat es die Stadt Tacloban getroffen,die völlig zerstört worden ist. Aber auch in anderen
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Präsident Dr. Norbert Lammert
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Teilen der Philippinen sind Millionen Menschen vomSturm betroffen. Nach Schätzungen der Behörden sindmehrere Tausend Tote zu beklagen. Die materiellenSchäden sind noch gar nicht abzuschätzen, aber schonjetzt ist offensichtlich, dass viele, sehr viele Menschenihre Existenzgrundlage verloren haben.Die Menschen auf den Philippinen brauchen jetzt vorallem Hilfe – schnell und konkret. Schon unmittelbarnach den ersten Meldungen über die Katastrophe habenRegierungen und Hilfsorganisationen aus aller Welt ihreHilfe zugesagt. Auch die Bundesregierung hat raschHilfsgüter zur Verfügung gestellt, um die erste Not zulindern. Zahlreiche Helfer aus Deutschland sind bereitsvor Ort oder auf dem Weg, um den Menschen zu helfen.Viele Menschen in unserem Land beteiligen sich mit be-achtlichen Spenden an den Bemühungen zur Bewälti-gung der riesigen Probleme und Aufgaben.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschen aufden Philippinen machen in diesen Tagen eine unendlichschwere Zeit durch. Wir in Deutschland können das Leidnur erahnen, aber nicht ermessen. Aber wir wollen Ih-nen, Frau Botschafterin, deutlich machen, dass wir inunseren Gedanken bei Ihnen und bei den Menschen inIhrem Land sind und nach Kräften dabei helfen wollen,Schäden zu beseitigen und Leid zu lindern. UnsereTrauer und Anteilnahme gilt den Angehörigen der Opfer,unser Mitgefühl den betroffenen Menschen und unserDank und Respekt all denen, die nach Kräften helfen;manche auch über ihre Kräfte hinaus. Vielen Dank.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Abgabe einer Regierungserklärung durch dieBundeskanzlerinGipfel der Östlichen Partnerschaft am 28./29. No-vember 2013 in WilnaHierzu liegt ein Entschließungsantrag der FraktionDie Linke vor, über den wir am Ende der Debatte befin-den.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-rung 94 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Wider-spruch. Dann können wir so verfahren.Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hatdie Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Botschafterin, auchim Namen der Bundesregierung möchte ich noch einmaldie herzlichen Wünsche an das philippinische Volk vondiesem Ort aus überbringen. Der Bundesaußenministersteht in ständigem Kontakt. Ich habe mit dem Präsiden-ten Aquino persönlich telefoniert. Sie dürfen wissen,dass wir alles, was in unseren Möglichkeiten steht, tunwerden, um dem philippinischen Volk in dieser schwe-ren Stunde zur Seite zu stehen.
Meine Damen und Herren, in zehn Tagen wird in Vil-nius der dritte Gipfel der Östlichen Partnerschaft stattfin-den. Auf Einladung der litauischen Ratspräsidentschaft,der Präsidentin Dalia Grybauskaite, treffen dort alle Mit-gliedstaaten der EU mit den Vertretern der sechs osteuro-päischen Partnerländer Moldau, Georgien, Armenien,Ukraine, Weißrussland und Aserbaidschan zusammen.Ich werde an diesem Gipfel wie an den beiden früherenGipfeln in Prag und Warschau teilnehmen. Mit meinerTeilnahme möchte ich die Verbundenheit Deutschlandsund der gesamten Europäischen Union mit unseren östli-chen Nachbarn unterstreichen. Es ist unser gemeinsamesstrategisches Interesse, die Weiterentwicklung dieserLänder zu fördern, die Transformation in den BereichenDemokratie, Menschenrechte und gute Regierungsfüh-rung zu unterstützen und die wirtschaftliche Entwick-lung dieser Länder zu stärken.Ich sehe in der Östlichen Partnerschaft ein großesPotenzial. Sie ist ein eigenständiges Instrument europäi-scher Politik, das unseren osteuropäischen Nachbarneine völlig neue Qualität der Annäherung ermöglicht.Sie steht neben anderen strategischen Partnerschaften,die der Europäischen Union wichtig sind, wie etwa derPartnerschaft mit Russland oder den Verhandlungen überein Freihandelsabkommen wie zum Beispiel mit denVereinigten Staaten von Amerika.An dieser Stelle möchte ich aus aktuellem Anlassauch wenige Sätze zu Amerika sagen. Die Beratungenmit Amerika zeigen, dass solche Verhandlungen zumBeispiel über Freihandelsabkommen immer mehr sindals Beratungen über Wirtschaft und freien Handel; esgeht bei solchen Verhandlungen immer auch um Ver-trauen. Deutschland und Amerika teilen gemeinsame Er-fahrungen, Werte und Interessen. Wir stehen gemeinsamfür freiheitliche, offene und demokratisch verfasste Ge-sellschaften. Das transatlantische Verhältnis und damitauch die Verhandlungen über ein transatlantisches Frei-handelsabkommen werden gegenwärtig ganz ohne Zwei-fel durch die im Raum stehenden Vorwürfe gegen dieUSA um millionenfache Erfassung von Daten auf eineProbe gestellt. Die Vorwürfe sind gravierend; sie müssenaufgeklärt werden. Und wichtiger noch: Für die Zukunftmuss neues Vertrauen aufgebaut werden.
Das kann nur durch Transparenz einerseits und das Be-wusstsein andererseits geschehen, dass das transatlanti-sche Verhältnis für beide Partner – ich betone: für beidePartner –, gerade aber auch für Deutschland wesentli-cher Garant unserer Freiheit und unserer Sicherheit ist.Ich sage deshalb ausdrücklich: Trotz allem sind und blei-ben das deutsch-amerikanische und das transatlantischeVerhältnis von überragender Bedeutung für Deutschlandund genauso für Europa.Meine Damen und Herren, das steht im Übrigen inkeiner Weise im Gegensatz dazu, dass Deutschland undEuropa größtes Interesse an weiteren Instrumenten euro-päischer Politik haben. Dazu gehört auch die ÖstlichePartnerschaft. Um Missverständnissen vorzubeugen: DieÖstliche Partnerschaft ist kein Instrument der EU-Erwei-terungspolitik. Es geht im Rahmen der Östlichen Part-
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nerschaft nicht um EU-Beitrittsperspektiven; es geht viel-mehr darum, unsere Partner bei der Demokratisierung undModernisierung zu unterstützen, indem wir politischeAnnäherung und wirtschaftliche Integration anbieten.Dabei lassen wir uns von den Grundsätzen der Kondi-tionalität und der Differenzierung leiten. Das heißt, dassdie Länder, die auf dem Weg zu Demokratie und Rechts-staat mehr oder weniger voranschreiten, auch unter-schiedlich behandelt werden und damit unterschiedlichvon der EU-Förderung und der Kooperation profitierenkönnen. Drei Punkte sind in diesem Zusammenhang be-sonders wichtig: erstens eine erfolgreiche Transforma-tion unserer Partnerländer, zweitens ihre souveräne Ent-scheidung über ihre politische Ausrichtung und drittensdie Kontakte von Mensch zu Mensch.Eine gute wirtschaftliche und politische Entwicklungunserer östlichen Nachbarn ist von großer Bedeutung,und zwar nicht nur für unsere Partner, sondern auch fürdie Stärke und den Wohlstand der Europäischen Union.Auch deshalb müssen wir unser Engagement für unsereNachbarn entschlossen fortsetzen. Unsere Partnerschaftverpflichtet nämlich beide Seiten: Wir wollen den wirt-schaftlichen Austausch und die Kontakte zwischen unse-ren Gesellschaften, zwischen der EU und ihren Partnernwie auch zwischen den Partnern untereinander.Den Zivilgesellschaften in den östlichen Partnerlän-dern kommt in diesem Prozess eine entscheidende Rollezu. Sie müssen diesen Wandel tragen, fordern und för-dern. Sie sollen die politische Annäherung ihrer Länderan die EU und die Chancen der wirtschaftlichen Integra-tion erleben und gestalten können. Dieser besondereSchwerpunkt nicht nur im Bereich der Regierungszu-sammenarbeit, sondern ebenso des Zusammenwirkensder Menschen drückt sich auch darin aus, dass beides,die wirtschaftliche Kooperation und die Zusammen-arbeit der Zivilgesellschaften, elementare Bestandteileder Östlichen Partnerschaft sind.Dafür haben wir bestimmte Instrumente in der Hand.Sie klingen oftmals sehr technisch, aber sie bedeuten injedem einzelnen Fall konkrete Verbesserungen des Zu-sammenlebens. Dazu gehören Assoziierungs- und Frei-handelsabkommen ebenso wie Erleichterungen in Visa-fragen. Wesentlich für das gegenseitige Verständnis istdie Teilnahme junger Menschen aus den östlichen Part-nerländern an EU-Programmen wie ERASMUS und an-deren. All diese Elemente tragen zu einer zunehmendenOrientierung der östlichen Partner an unseren Wertenund unseren Standards bei.Auf dem kommenden Gipfel wollen wir mit Moldauund Georgien Assoziierungs- und umfassende Freihan-delsabkommen paraphieren. Beide Länder haben in denvergangenen Jahren eine insgesamt positive Entwick-lung genommen. In Georgien kam es zu einem friedli-chen Regierungswechsel durch demokratische Wahlenund einer Verbreiterung des gesellschaftlichen Konsen-ses über die Ausrichtung des Landes.Die Republik Moldau hat unter den östlichen Partnerntrotz mancher innenpolitischer Turbulenzen die viel-leicht größte Entschlossenheit bei der Verabschiedungund Umsetzung von Reformen gezeigt. Damit die anste-hende Paraphierung der Assoziierungs- und Freihandels-abkommen auch rasch wirksam werden kann, haben wiruns beim letzten Europäischen Rat in Brüssel dazu ver-pflichtet, die Voraussetzungen für eine anschließendeUnterzeichnung schnellstmöglich zu schaffen.Unsere Beziehungen zu Moldau und Georgien wer-den dadurch enger denn je. Die ausgehandelten Verträgeermöglichen es diesen Ländern, eine Annäherung an dieEU von bislang einmaliger Tiefe und auch Themenbreitezu erreichen. Sie gewähren Chancen zur wirtschaftlichenEntwicklung, zur Modernisierung der Gesellschaftenund der Staatswesen sowie zur Unterstützung beim Auf-bau eines modernen Rechtsstaats. Dieser wiederum kanndie rechtlichen Rahmenbedingungen für Investitionenund Handel, aber auch für den Kampf gegen Korruptionstärken. Das sind die Chancen, die der Abschluss einesAssoziierungs- und Freihandelsabkommens mit der Eu-ropäischen Union für ein Land der Östlichen Partner-schaft bieten kann.Eine solch enge Anbindung an die EU bringt jedochauch Verpflichtungen mit sich. Das ist vor allem die Ver-pflichtung zur Implementierung dessen, was wir verein-bart haben. Das Freihandelsabkommen verpflichtet un-sere Partner zum Beispiel zur Übernahme europäischerStandards. Dies ist zum Teil eine große Herausforderungfür die Volkswirtschaften der betroffenen Länder, die– und da dürfen wir uns wirklich nichts vormachen –viele Jahre in Anspruch nehmen wird. Wirtschaft ist dabeinur ein wichtiges Kapitel in den Assoziierungsabkommen.Ebenso wichtig ist, dass die Assoziierungsabkommenihre Unterzeichner zur Wahrung von Rechtsstaatlichkeit,Demokratie und Menschenrechten verpflichten.Das führt uns natürlich zu unseren Beratungen mit derUkraine. Allein schon die Größe verleiht der Ukraine be-sonderes Gewicht innerhalb der Östlichen Partnerschaft.Mit ihr ist die EU in der Gestaltung ihrer neuen vertrag-lichen Beziehungen am weitesten fortgeschritten. Wirhaben der Ukraine in der Vergangenheit immer deutlichgemacht, dass die neue vertragliche Qualität der Zusam-menarbeit, dass die gemeinsame Verpflichtung auf euro-päische Werte wie Demokratie, Rechtsstaat und Bürger-freiheiten mehr als ein Lippenbekenntnis sein muss.Die EU-Außenminister haben beim Außenrat im De-zember 2012 insbesondere drei Bereiche genannt, indenen Fortschritte nötig sind: erstens bei der Reform derWahlgesetzgebung, zweitens bei Schritten zur Beendi-gung der sogenannten selektiven Justiz, wofür symbol-haft der Fall von Julija Timoschenko steht, und drittensbei der Implementierung der Assoziierungsagenda. Ichmöchte an dieser Stelle erneut betonen: Wir erwartenvon der Ukraine glaubhafte Schritte zur Erfüllung derVoraussetzungen für eine Unterzeichnung des Assoziie-rungsabkommens. Wir erwarten, dass dieser Prozessnachhaltig und unumkehrbar umgesetzt wird.Es steht außer Zweifel, dass die Ukraine weiterhin vorgroßen Reformanstrengungen im Innern steht. Eine zu-sätzliche enorme Herausforderung für die Ukraine ist dieHaushaltskonsolidierung. Ohne solide Finanzen wird esdas Beistandsabkommen mit dem IWF nicht geben kön-
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nen. Wir glauben, dass ein solches Beistandsabkommenmit der Ukraine dringend notwendig wäre. Daran hän-gen auch die substanziellen bilateralen Kredite der EUals Makrofinanzhilfe, insgesamt mehr als eine halbeMilliarde Euro. Hier ist unser stetiger Rat an dieUkraine, die nötigen Reformen zu unternehmen. DieseSchritte können wir der ukrainischen Regierung nichtabnehmen. Sie müssen auch unabhängig von der Unter-zeichnung des Assoziierungs- und Freihandelsabkom-mens unternommen werden. Wir wissen, dass Reformennicht von heute auf morgen vollständig umgesetzt wer-den können. Wir möchten auch die Ukraine bei ihren Re-formen mit Kooperationsangeboten und mit finanziellenMitteln der Europäischen Nachbarschaftspolitik unter-stützen, aber die Voraussetzungen dafür muss dieUkraine selbst schaffen, und zwar nicht irgendwann,sondern jetzt.In diesen Tagen – ich sagte ja, es sind noch zehn Tagebis zu dem Gipfel – findet eine Vielzahl von Gesprächenstatt, ebenso Beratungen im ukrainischen Parlament.Heute muss ich Ihnen hier sagen: Es ist noch nicht abzu-sehen, ob die Ukraine willens ist, die Voraussetzungenfür eine mögliche Unterzeichnung zu schaffen. Heuteund morgen debattiert auch der Außenministerrat inBrüssel über genau dieses Thema. Wenn die Ukraine un-sere Erwartungen erfüllt und wir somit unterzeichnenkönnen, dann könnten wir der Ukraine nicht zuletzt übereine breite vorläufige Anwendbarkeit des Abkommensauch für den Fall den Rücken stärken, dass sie sich mitNachteilen seitens Russlands konfrontiert sieht.Wir wissen, dass die Entscheidung für die Anbindungan die Europäische Union nicht nur der Ukraine, sondernunseren Partnern insgesamt nicht leichtfällt. In den letz-ten Monaten sahen sich einige von ihnen zum Teil erheb-lichem Druck ausgesetzt. Ich werde mich deshalb auchin Vilnius dafür einsetzen, dass die EU diesem Druckkonkrete Chancen und gelebte Solidarität entgegensetzt,sei es durch zusätzliche Absatzmöglichkeiten für Pro-dukte unserer Partner, die zum Beispiel nicht nach Russ-land eingeführt werden dürfen, oder durch Hilfe bei derbreiteren Aufstellung ihrer Energieversorgung.Um es klar zu sagen: Die Länder entscheiden alleinüber ihre zukünftige Ausrichtung. Ein Vetorecht Dritterkann es nicht geben. Das ist unser Verständnis der unein-geschränkten gegenseitigen Achtung der Entscheidungs-freiheit, wie sie in der OSZE-Charta festgeschrieben ist.Ich habe diese Frage auch in meinen Gesprächen mitdem russischen Präsidenten Wladimir Putin immer wie-der thematisiert. Ich habe wiederholt deutlich gemacht,dass sich weder die Östliche Partnerschaft noch die bi-lateralen vertraglichen Beziehungen, die die EU mitihren Partnern abschließen will, gegen Russland richten.Im Gegenteil: Von der Stärkung und Modernisierung derVolkswirtschaften unserer osteuropäischen Partner würde,so ist unser Verständnis, auch Russland profitieren. DieEU hat immer wieder Gesprächsangebote an Russlandgerichtet, um die beiderseitigen Vorteile einer Koopera-tion herauszuarbeiten. Wir müssen – das ist meine tiefeÜberzeugung – weiter daran arbeiten, dass es kein Ent-weder-oder zwischen einer Annäherung der Länder derÖstlichen Partnerschaft an die EU und dem russischenBemühen um eine engere Partnerschaft mit diesen Län-dern geben sollte. Die EU hat Russland dafür Vorschlägeunterbreitet, über die wir schnellstmöglich sprechenmüssen.Armenien hat sich in dieser Situation für den Beitrittzur Zollunion Russlands, Weißrusslands und Kasach-stans und damit gegen die Paraphierung des ausgehan-delten Assoziierungs- und Freihandelsabkommens mitder EU entschieden. Selbstverständlich akzeptieren wirdiese Entscheidung. Gleichzeitig werden wir Wege füreine künftige Zusammenarbeit der EU mit Armenien fin-den. Sie wird nicht die besondere Qualität der Koopera-tion mit Georgien oder Moldau haben, aber Armenienbleibt ein wichtiger östlicher Partner.Lassen Sie mich an dieser Stelle noch ein Wort zuWeißrussland sagen: Dies ist und bleibt das schwierigsteKapitel im Bereich der Östlichen Partnerschaft. Seit dererneuten Repression im Zuge der Präsidentschaftswah-len im Dezember 2010 sind unverändert politische Ge-fangene in Haft. Bürger, die sich um Pluralität in dieserGesellschaft bemühen, wurden hinter Gitter gebracht.Ich denke unter anderem an Ales Beljazki, den Trägerdes Menschenrechtspreises des Europarates. Wir allestehen dafür ein, dass diese Menschen wieder frei reden,handeln und agieren können.
Auch mit Weißrussland wollen wir die Zusammenarbeitwieder vertiefen, aber das kann nur gelingen, wenn diepolitischen Gefangenen freigelassen und rehabilitiertwerden. Es wäre sehr bedeutend, wenn der Gipfel in Vil-nius hier ein Hoffnungszeichen setzen könnte.Meine Damen und Herren, dieser Gipfel ist einewichtige Bestätigung unseres Angebots der politischenAnbindung und wirtschaftlichen Integration an die östli-chen Partner. Mindestens ebenso wichtig ist, dass wir inder Folge gemeinsam das Potenzial nutzen, das uns diesePartnerschaft bietet. Wir haben viele Kooperationsfelderaufgeschlossen, aber wir müssen weiter nachhaltigeFortschritte erreichen. Der möglichen Unterschrift bzw.Paraphierung eines Assoziierungs- und Freihandelsab-kommens müssen konsequente Umsetzungen folgen.Die Visaaktionspläne zeigen auf, was nötig ist, um lang-fristig das Ziel der Befreiung von der Visumpflicht zu er-reichen. Die regionale Kooperation bietet viele Möglich-keiten, voneinander zu lernen.Der Gipfel in Vilnius wird ein wichtiger Meilensteinauf dem Transformationspfad unserer Partner im Ostensein. Er wird einen Weg in die Zukunft zeigen, aber erwird auch deutlich machen, welche Arbeit noch vor unsliegt. Die Schatten des Kalten Krieges sind nach wie vorexistent, und es ist unsere Aufgabe – gerade auch dieAufgabe Deutschlands –, einen Beitrag dazu zu leisten,dass der Kalte Krieg für alle vorbei ist, auch für unsereöstlichen Partner.Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
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Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Dietmar Bartsch für die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichfreue mich, für meine Fraktion auf die Bundeskanzlerinantworten zu können. Die Reihenfolge der Redner istschon so, wie sie bei einer eventuellen Großen Koalitionsein wird. Offensichtlich gehen CDU/CSU und SPD da-von aus, dass ihre Verhandlungen wie auch der Mitglie-derentscheid der SPD erfolgreich sein werden, obwohlman im Moment vom Koalitionsvertrag vor allen Din-gen viel Nebel kennt. Die Oppositionsführerschaft bringtfür die Fraktion Die Linke eine besondere Verantwor-tung. Ich kann den Menschen in unserem Land verspre-chen, dass wir alles daransetzen werden, dieser Verant-wortung gerecht zu werden.
Beginnen will ich damit, dass es ein Unding ist, dasswir heute die erste Sitzung des Bundestages – einmal ab-gesehen von der Wahl des Präsidiums – seit Juni haben.
Ja, wir hatten eine Bundestagswahl. Ich hoffe, dass dasGerücht nicht stimmt, dass die Frau Bundeskanzlerineine geheime Absprache mit der FDP hat, so lange zuverhandeln, bis die Legislaturperiode zu Ende ist. Ichhoffe, dass das wirklich nicht den Tatsachen entspricht.
Fakt ist: Sie machen mit Ihren Koalitionsverhandlun-gen das Parlament zur Geisel. Sind das bereits die Vor-boten der Großen Koalition? Wir erwarten nichts ande-res als Respekt gegenüber dem Parlament. Nicht dieamtierende Bundesregierung und auch nicht eine Bun-desregierung in spe, sondern der Deutschen Bundestagist der Souverän.
Wie wollen Sie den Menschen, die uns gewählt haben,erklären, dass Sie uns nicht arbeiten lassen? Dies trifftim Übrigen auf die Oppositionsabgeordneten wie auchauf die meisten Regierungsabgeordneten zu. Wir allewerden hier nicht fürs Rumsitzen bezahlt. Ich sehe nicht,dass der heutige Sitzungstag dem Anspruch, als Parla-mentarier aktiv zu werden, gerecht wird.Es ist gut, vor dem Gipfel über die osteuropäischePartnerschaft zu sprechen.
Es muss jedoch die Frage erlaubt sein, warum wir unsheute damit beschäftigen, jedoch nicht mit den Themen,die vielen, vielen Menschen noch viel mehr auf den Nä-geln brennen, abgesehen von der NSA-Debatte, die ja,seitdem es das Handy der Bundeskanzlerin betrifft, vonder Regierung nicht mehr totgeschwiegen oder für been-det erklärt werden kann. Das ist aber bei weitem nichtdas einzige Thema, dem wir uns widmen müssen.Dringend wäre geboten, die schwache Binnenkon-junktur in Deutschland zu behandeln, die Gefahr einerdauerhaften Depression oder Deflation in Europa, dieEnteignung der Kleinsparer durch negative Realzinsen,die Bankenunion oder – die Bundeskanzlerin hat einpaar Worte dazu gesagt – das Freihandelsabkommen mitden USA. Darüber müssen wir wirklich einmal reden,und zwar auch kontrovers. Das alles sind Themen, diedie Mehrheit der Menschen in Deutschland bewegen.Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass die Euro-Krisevorbei ist, wenn sich Irland und Spanien demnächst dasGeld wieder teuer auf dem Finanzmarkt leihen müssen!Das vermehrt vielleicht sichere Profite für Banken, diesich das Geld momentan quasi umsonst von der Europäi-schen Zentralbank leihen können. Aber die Krise machtdoch keine Pause. Sie wird derzeit nur mit billigem Geldzugeschüttet.Morgen soll eine neue Kredittranche aus dem soge-nannten Rettungsschirm an Portugal freigegeben wer-den. Wollen Sie das den Menschen verschweigen? Wol-len Sie verhindern, dass Ihre Europapolitik debattiertwird? Darüber muss geredet werden! Aus diesem Grundhaben wir eine etwas kreative Aufsetzungsarbeit betrie-ben und einen Entschließungsantrag zur Krisenpolitikgegenüber Portugal in die heutige Debatte eingebracht,zu dem ich gleich noch ein paar Worte sagen werde.Aber nun zur europäischen Partnerschaft
und zum diesbezüglichen Gipfel in Vilnius. Natürlichbegrüßen wir als Linke eine engere Zusammenarbeit
mit den östlichen Nachbarn der EU. Ja, vielleicht mussman auch im deutschen Parlament noch einmal deutlichsagen, dass Europa bis zum Ural geht und dass viele ehe-malige Sowjetrepubliken und Russland genauso zu Eu-ropa gehören wie Frankreich, Spanien oder Griechen-land.
Deshalb ist es gut, dass es mehr Handel, mehr Austauschgeben soll, dass diese Beziehungen den Menschen inganz Europa zugutekommen sollen.Ja, Frau Bundeskanzlerin, wir aus den neuen Ländernhaben da eine besondere Verantwortung. Für die neuenLänder ist das auch eine Chance. Wir wissen, dass vieletraditionelle Verbindungen in diese Länder zusammen-gebrochen sind. Es gibt sie aber noch. Vor allen Dingen– das wissen wir beide – gibt es einen Erfahrungsvor-sprung, insbesondere was Sprachkenntnisse und kultu-relle Beziehungen betrifft. Entscheidend wird aber sein,dass bei der osteuropäischen Partnerschaft nicht dieDinge, die Europa in die Krise gezwungen haben, ganzoben stehen: wie die Liberalisierung des Kapitalver-
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kehrs, der Freihandel, die Konkurrenz um Löhne nachunten oder die Konkurrenz um die schlechtesten Arbeits-bedingungen. Nein, das wäre der falsche Weg.
Es muss vor allen Dingen um Integration gehen; esdarf nicht nur um knallharte Interessenpolitik und nichtnur um mehr Export aus der EU in diese Länder gehen.Ein sehr, sehr wichtiger Punkt wären zum Beispiel er-leichterte Visabedingungen für die Menschen aus derUkraine, aus Belarus, Moldau, Georgien, Armenien undAserbaidschan.
Wenn es für Menschen, die zum Beispiel unterLukaschenko leiden müssen – Sie haben das geschildert –,nur ganz schwer möglich ist, ein Visum erteilt zu be-kommen, dann ist das ein Problem. Wir können durchmehr Offenheit dabei helfen, dass dort Mauern fallen.Deswegen ist die Visafrage eine zentrale Frage. Tun Sieetwas, damit diese Menschen leichter nach Deutschlandkommen können!
Verbessern Sie die Visabedingungen, Frau Bundeskanz-lerin! Wenn ich mich recht entsinne, regieren Sie seitacht Jahren. Jetzt fordern Sie Verbesserungen ein. Das istaus meiner Sicht etwas komisch.
– Immerhin.Ein sehr wesentlicher Punkt bei diesem Gipfel ist na-türlich – Sie haben darauf hingewiesen – das Verhältniszu Russland. Es kann nicht das Ziel sein, die osteuropäi-schen Länder dem Einfluss Russlands zu entziehen unddie traditionsreichen Sonderbeziehungen zu kappen. Ge-genteiliges muss das Ziel sein, nämlich gleichzeitig dieBeziehungen zu Russland auszubauen und gemeinsammit Russland die Beziehungen zu den osteuropäischenLändern zu entwickeln. Das sollte einhergehen mit deut-lichen Positionen, zum Beispiel zum unsäglichen Agie-ren der Putin-Regierung gegenüber Schwulen und Les-ben.
Es ist doch klar, dass Russland dieses Projekt mit Ar-gusaugen beobachtet. Es passt zur NATO-Osterweite-rung. Es ist ein Baustein zur Unterstützung transatlanti-scher Eliten. Es geht der EU offensichtlich nicht um einePartnerschaft auf Augenhöhe. Eine Beitrittsperspektivesteht im Moment überhaupt nicht zur Debatte. Manmöchte die eigenen Regeln durchsetzen, wo es günstigist, jedoch keine Einflussnahme der anderen Seite riskie-ren. Es geht darum, beste Bedingungen fürs Kapital zuschaffen und die Absatzmärkte für die eigenen Produktezu erweitern, gerne auch auf Kosten der Wirtschaft derPartnerländer. Die vielgepriesene Demokratieförderungdient der EU als Mittel, ihre neoliberale Hegemonial-politik in den osteuropäischen Ländern fortzuführen.Das schulmeisterliche Auftreten der EU gegenüber denosteuropäischen Partnern würde man sich andersherumselbstverständlich verbitten. Es geht der EU viel zu we-nig um Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit oder Demo-kratie
und viel zu viel um Einflussnahme und Machtpolitik.
Das bedeutet dann auch, dass die EU kein Interesse da-ran hat, etwa soziale oder ökologische Standards auf ho-hem Niveau festzuschreiben. So wird eine große Chanceverpasst.Mir scheint, dass die EU auch bei der osteuropäischenPartnerschaft unverdrossen weiter auf genau die Rezeptesetzt, die uns in die Krise geführt haben: Liberalisierung,Freihandel, Lohnkonkurrenz. Im Ergebnis sind zahlrei-che Volkswirtschaften Osteuropas der Deindustrialisie-rung und spekulativen Kapitalflüssen ausgesetzt.Eine wahrhaftige Östliche Partnerschaft, die diesenNamen verdient, muss den osteuropäischen Staaten er-möglichen, ihre Wirtschaft zu schützen und sie zu entwi-ckeln, und sollte nicht gegen Russland gerichtet sein.
Nun ein paar Bemerkungen zu unserem Entschlie-ßungsantrag. Die Euro-Krise ist, wie ich gesagt habe,nicht verschwunden und erst recht nicht überwunden. InKürze soll eine neue Kredittranche für Portugal in Höhevon 5,6 Milliarden Euro, davon 3,7 Milliarden Eurodurch die EFSF, bewilligt werden. Dafür haften auch dieSteuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland. Un-ser Steuergeld wird verbrannt, weil Portugal aufgrundder Schuldenlast und der wachstumsfeindlichen Kür-zungsdiktate diese Kredite niemals wird bedienen kön-nen. Das Memorandum of Understanding sieht gar vor,dass die Unternehmensbesteuerung in Portugal sinkensoll. Das ist doch alles nicht mehr zu fassen! Portugalwird nicht gerettet, sondern die Banken und Gläubigerwerden freigekauft; Demokratie und Sozialstaat werdenzerstört. Darum geht es in Wahrheit. Seit Beginn der so-genannten Euro-Rettung stieg die StaatsverschuldungPortugals auf etwa 128 Prozent des Bruttoinlandspro-dukts. Das ist das Niveau, das die Staatsverschuldung inGriechenland bei Ausbruch der Krise hatte. Die Arbeits-losigkeit ist in Portugal auf über 17 Prozent gestiegen.Dass die bisherige Europapolitik gescheitert ist, er-kennt man, wenn man sich einmal anschaut, wie sich dieArbeitslosenquote in den europäischen Ländern bei jun-gen Menschen unter 24 Jahren entwickelt hat: Sie liegtin Portugal bei 42 Prozent, in Griechenland bei erschre-ckenden 57,3 Prozent, in Spanien bei 56,5 Prozent. Aberauch in den Ländern, die später dazugekommen sind, istdie Situation katastrophal: In Bulgarien liegt die Jugend-arbeitslosigkeit bei 28,3 Prozent, in der Slowakei bei31,1 Prozent, in Kroatien bei sagenhaften 52,8 Prozent.Das alles sind Fakten, die in der Politik einen Aufschreihervorrufen müssten
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und zu einem Nachdenken über die bisherige Politik füh-ren müssten. Vor allem darf das kein Muster für die ost-europäische Partnerschaft sein, meine Damen und Her-ren.Die Linke fordert daher eine andere, eine verantwor-tungsvolle Europapolitik. Wir beantragen mit unseremEntschließungsantrag, dass der deutsche Vertreter im Di-rektorium der EFSF der Bewilligung der Kredite seineZustimmung versagt.
Wir wollen die privaten Gläubiger Portugals durch einenSchuldenschnitt in die Pflicht nehmen. Die Eigentümerder Banken, die Inhaber der Bankanleihen sowie dieEinlagen von ausländischen Banken und Geldmarkt-fonds sind für die Verluste der Banken heranzuziehen.
Nur die Einlagen der Kleinsparer und das gewerblicheKreditgeschäft müssen abgesichert werden.Portugal braucht Investitionsprogramme statt Ban-kenrettungspakete.
Dafür brauchen wir eine EU-weite Vermögensabgabe fürMillionäre. Allein das Vermögen der europäischen Milli-onäre – 14 Billionen Euro – übertrifft die gesamteStaatsverschuldung aller 28 EU-Mitgliedstaaten.Korrigieren Sie diese Europapolitik! Weisen Sie beimGipfel in Vilnius darauf hin, dass diese Fehler nicht wie-derholt werden dürfen, sondern dass es eine Kehrtwendein der Europapolitik geben muss!Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Gernot Erler für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Mit Ihrer Genehmigung komme ichgleich auf den Tagesordnungspunkt „Östliche Partner-schaft“ zu sprechen; ich habe auch vor, dabei zu bleiben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Östliche Part-nerschaft hat sich aus der EU-Strategie der ENP, der Eu-ropäischen Nachbarschaftspolitik, heraus entwickelt, dieihren Beginn 2003 hatte. Damit ordnet sich die ÖP ineine der wichtigsten EU-Strategien neben der EU-Erwei-terung ein, nämlich die Schaffung von Regionen koope-rierender Staaten rund um die Europäische Union mitdem Ziel, Stabilität in der EU-Nachbarschaft vor allemdurch gutnachbarschaftliche Zusammenarbeit und Ver-trauensbildung zu erreichen. Zu diesem Programm ge-hörten und gehören neben der Östlichen Partnerschaftdie Ostseekooperation, der Stabilitätspakt für Südost-europa, die EMP, der Barcelona-Prozess, die Union fürdas Mittelmeer, die Black Sea Synergy und die Zentral-asienstrategie der EU, zuletzt auch die Donauraumstrate-gie.Der Ansatz ist immer derselbe: Die EU prämiert– auch mit finanzierten Programmen und Projekten – diegrenzüberschreitende Zusammenarbeit und wirbt dabeiauch für europäische Werte und Verhaltensweisen. Sosteht das auch in dem Programm der Östlichen Partner-schaft, die im Mai 2009 auf dem Gipfel in Prag auf denWeg gebracht wurde.Hier war sehr deutlich, dass es da ein besonderes Inte-resse von Polen gab, das auch noch etwas anderes imSinn hatte, nämlich möglichst die Ukraine, das Nachbar-land von Polen, näher an die europäische Integration he-ranzuführen. Offiziell sollte die Östliche Partnerschaftaber eben gerade nicht eine Beitrittsperspektive für diesechs beteiligten Länder schaffen. Das haben Sie, FrauBundeskanzlerin, eben auch noch einmal unterstrichen.Es gibt einen Arbeitsrhythmus der ÖP mit Gipfelnalle zwei Jahre und jährlichen Außenministertreffen. Esgab schon zwei Gipfel, und wir stehen jetzt vor dem drit-ten in Vilnius. Viereinhalb Jahre sind jetzt vergangen.Deshalb ist es vielleicht sinnvoll, einmal eine kritischeZwischenbilanz zu ziehen, und das will ich versuchen.Dabei will ich zunächst die regionalen Konflikte be-trachten. Es war ein Anspruch der Östlichen Partner-schaft, diese Konflikte zumindest zu entschärfen. Ichmuss feststellen, dass die Probleme bei den drei soge-nannten Frozen Conflicts weiter virulent sind: Das giltfür Nagornij Karabach, wo die beiden KonfliktpartnerArmenien und Aserbaidschan eher auf Aufrüstung set-zen, als dass es Fortschritte bei dem sogenannten Minsk-Prozess gegeben hätte. Das gilt leider auch für Ab-chasien und Südossetien, wo es nach wie vor starreFronten zwischen Russland und Georgien gibt; vielleichtkönnen wir jetzt Hoffnung haben, dass sich durch dieVeränderungen in Georgien im Verhältnis der beidenLänder etwas ändert. Das gilt auch für den Transnistrien-Konflikt, in den die Meseberg-Initiative zunächst Bewe-gung gebracht hat – es hat auch wieder die Fünf-plus-Zwei-Verhandlungen gegeben –; die meisten Beobachtersind sich jedoch darin einig, dass das Momentum derMeseberg-Initiative allmählich ausläuft, aber zumindestwar das ein Teilerfolg.In der Summe kann man bezogen auf die Konfliktenicht sagen, dass die regionale Zusammenarbeit beson-ders gestärkt wurde.Ganz anders sieht das bei der Heranführung an dieEU aus: Hier setzt Brüssel auf eine Verbindung von As-soziationsagreements mit Freihandelsabkommen, überdie jahrelang verhandelt wurde, verbunden mit einer ver-lockenden Zugabe, nämlich der Visaliberalisierung. HerrBartsch, das, was Sie hier fordern, gehört also ganz offi-ziell längst zur EU-Politik vor Ort. Daneben gibt es aucheine vertiefte Zusammenarbeit der Zivilgesellschaften,der Civil Societies, der beteiligten Länder. Näheres dazuwird gleich meine Kollegin Katarina Barley sagen.
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Dr. h. c. Gernot Erler
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Von Anfang an war Belarus wegen der innenpoliti-schen Situation und auch wegen der Zugehörigkeit zurZollunion aus diesen Angeboten ausgenommen. Aser-baidschan musste als Nicht-WTO-Land zunächst auch inden Wartestand und bekommt jetzt so etwas wie einestrategische Modernisierungspartnerschaft. Mit den an-deren vier Ländern – Ukraine, Moldova, Georgien undArmenien – wurden erfolgreich entsprechende Assoziie-rungsabkommen ausgehandelt. Armenien entschied sichallerdings kürzlich, im Oktober, doch dafür, der Zoll-union von Putin beizutreten.Der Höhepunkt des Gipfels sollte die Unterzeichnungdes Abkommens mit der Ukraine sein. Dieser Erfolg– das wissen wir leider aus den aktuellen Mitteilungen –ist im Augenblick alles andere als gesichert, weil nichtklar ist, ob die Werchowna Rada, also das ukrainischeParlament, in letzter Minute noch über einige wichtigeGesetze, zum Beispiel ein Gesetz über die Reform desWahlrechts und ein Gesetz über die Reform der Staats-anwaltschaft, sowie eine Lösung für Frau Timoschenkoentscheidet. Es gibt eigentlich nur noch den morgigenTag als Chance dafür, und die Außenminister in Brüsselschauen im Augenblick tatsächlich nach Kiew, ob dasnoch gelingt.Wie konnte die Östliche Partnerschaft in eine solchkritische Situation geraten, und wie lässt sich erklären,dass wir hier womöglich vor einem regelrechten Schei-tern der Ostpolitik der EU stehen, wenn morgen in Kiewnicht noch ein kleines Wunder passiert?Bei dieser Frage stößt man sehr schnell auf den Fak-tor Russland. Viereinhalb Jahre nach dem verheißungs-vollen Auftakt der Östlichen Partnerschaft muss manfeststellen: Die EU ist nicht müde geworden, zu versi-chern, dass sich ihre Annäherungspolitik gegenüber densechs östlichen Nachbarn nicht gegen die InteressenRusslands richtet – Frau Bundeskanzlerin, auch Sie ha-ben das eben noch einmal bestätigt –, aber es ist leidernicht gelungen, die russische Führung davon zu überzeu-gen. Diese hat sich in einem Denken in geopolitischenEinflusskonkurrenzen als Nullsummenspiel verfestigt.Danach versucht die EU ganz einfach, den russischenEinfluss in dieser Region zulasten von Russland zurück-zudrängen.Der EU ist es auch nicht gelungen, die Russische Fö-deration von Anfang an in die Aktivitäten der ÖstlichenPartnerschaft zum eigenen Nutzen einzubinden. Insofernsteht hier die Zollunion in einer Konkurrenz zu den As-soziationsabkommen der EU. Vielleicht ist es auch nichtimmer von Anfang an klar geworden, dass es hierbei ei-nen logischen Unterschied bzw. ein logisches Entweder-oder gibt: Man kann nicht beiden Organisationen ange-hören.Dieser Konflikt wurde durch das verstärkt, wasWladimir Putin im Wahlkampf mit der sogenanntenEurasischen Union und dem Plan entwickelt hat, bis2015 eine erweiterte Zollunion zu schaffen und dafürweitere Mitglieder zu gewinnen. Das ist zwar vielleichtjetzt mit Armenien und Kirgistan gelungen, aber es istvöllig klar: Die Ukraine spielt eine entscheidende Rolledabei, ob diese Idee einer Neuorganisation des post-sowjetischen Raumes gelingen kann oder nicht.Vor diesem Hintergrund ist zu bedauern, dass sich tat-sächlich eine Art geopolitisches Ringen zwischen Russ-land und der EU entwickelt hat. Wir sehen auch mit gro-ßem Bedauern, in welcher Weise Russland hier Druckausübt. Es gibt eine Person namens Gennadij Onischenko,die es zu einer traurigen Berühmtheit gebracht hat. Dasist der oberste russische Lebensmittelkontrolleur. Er hatplötzlich festgestellt, dass es bei ukrainischer Schoko-lade, bei Wein aus Moldova und bei Milchprodukten ausLitauen schwerwiegende Probleme gibt, die allerdingsbisher kein anderer Lebensmittelkontrolleur weltweitfestgestellt hat. Natürlich hat das zu Embargosituationengeführt. Das Signal ist klar: Wer mit der EU kooperiert,hat Nachteile im Handel mit Russland.Es gibt auch ein zweites Instrument: den Gaspreis.Ganz plötzlich hat Armenien, als es sich für die Zoll-union entschieden hat, eine Reduktion des Gaspreises inerheblichem Umfang gewährt bekommen. Der stellver-tretende Ministerpräsident Rogosin hat dem kleinenLand Moldova, nebenbei bemerkt dem ärmsten Land inganz Europa, mit einem kalten Winter gedroht. DieserHebel wird also ebenso eingesetzt wie schließlich auchder Sicherheitshebel. Armenien hat sich auch deshalb soentschieden, weil es nicht weiß, wie es anders zu einergrößeren Sicherheit in Bezug auf den KonkurrentenAserbaidschan kommen soll. Es gibt auch Angebote fürerhebliche Waffenlieferungen an Kiew von russischerSeite.Nach viereinhalb Jahren Östlicher Partnerschaft stehtalso die EU leider vor einer ziemlich deprimierenden Al-ternative: Entweder es gibt einen Rückschlag für dieOstpolitik der EU, oder es gibt einen Dauerkonflikt zwi-schen Russland und den Ländern der Östlichen Partner-schaft, die dann auch zu Konflikten mit der EU werden.Insofern brauchen wir tatsächlich eine Initiative auchvon Deutschland aus, uns kreativ mit dieser Entwicklungauseinanderzusetzen. Wir brauchen Ideen, wie wir ausdieser Konfliktlage herauskommen. Denn die ÖstlichePartnerschaft ist wertvoll. Sie muss unterstützt werden,und sie braucht Unterstützung in dieser schwierigen Si-tuation.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Anton Hofreiter ist der nächste Redner für die Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bun-deskanzlerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heu-tige Debatte zeigt, dass die Europäische Union auch jen-seits der Euro-Krise vor wichtigen Entscheidungen steht,die nicht aus dem Blick geraten dürfen. Das Verhältniszu unseren Nachbarn im Osten und im Süden ist von
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013 31
Dr. Anton Hofreiter
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zentraler Bedeutung für ein starkes Europa. Hier wirdsich entscheiden, welche Rolle Europa zukünftig auf derinternationalen Bühne spielen wird. Allerdings wird sichdie Rolle Europas auch daran entscheiden, wie wir mitdem Freihandelsabkommen mit den USA umgehen. Wirsind der festen Überzeugung, dass wir, solange die be-stehenden Vorwürfe nicht aufgeklärt sind, die Verhand-lungen mit den USA aussetzen müssen; denn wir könnenschlecht mit jemandem verhandeln, der gleichzeitig un-sere Position ausspäht. Dann handelt es sich fast um einVerhandeln der anderen Seite mit sich selbst. Das machtkeinen Sinn.
Noch eine kleine Anmerkung zur Linken. HerrBartsch, Sie haben beklagt, dass das Parlament nichthäufiger tagt. Heute tagt das Parlament, und wir beratenüber das wichtige Thema Östliche Partnerschaft. Undwas machen Sie? Anstatt über dieses Thema zu spre-chen, nutzen Sie diese Debatte für Klamauk.
Sie führen Ihre eigene Forderung, eine vernünftige De-batte im Parlament zu führen, ad absurdum, wenn Sie dieerste Gelegenheit dafür missbrauchen.
Die Menschen südlich und östlich von uns setzengroße Hoffnungen in die Europäische Union. Sie sehnensich nach einer europäischen Perspektive und wünschensich ein entsprechendes Signal von Europa; denn dieseMenschen kennen die großen Vorteile, die Europa bietet.Aber sie dürfen sie nicht selbst erfahren, zum Beispieldie Reisefreiheit. Deshalb wünschen sich diese Men-schen, Teil Europas, Teil der Europäischen Union zuwerden.Nehmen wir als Beispiel die Visapolitik. Frau Kanzle-rin, Sie haben angedeutet, dass eine Vereinfachung beider Visaerteilung das Leben der Menschen östlich derEU erleichtern würde. Frau Kanzlerin, dann setzen Siesich doch dafür ein! Die Liberalisierung der Visapolitikist der Schlüssel für Reformen und gesellschaftlichenWandel.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das geplante Asso-ziierungsabkommen mit der Ukraine ist von zentralerBedeutung. Wir Europäer dürfen uns gegenüber derUkraine nicht verschließen. Wir müssen das Bedürfnisder Menschen in der Ukraine nach einer Anbindung andie EU ernst nehmen und signalisieren: Wir wollen einePartnerschaft und eine enge Zusammenarbeit, weil sieim Interesse der Menschen in der Ukraine und der Men-schen in der EU liegt. Aber Sie, Frau Bundeskanzlerin,bleiben auf halbem Wege stehen. Natürlich geht es lang-fristig auch um eine EU-Beitrittsperspektive unserer öst-lichen Nachbarn.
Es ist richtig, dass die Europäische Union dabei hoheAnsprüche an den Annäherungsprozess der östlichenNachbarn stellt. Die EU beruht auf Demokratie, Rechts-staatlichkeit und Menschenrechten. Diese Werte sindnicht verhandelbar. Wer näher an die EU heranrückenwill, muss diese Werte teilen. Darin stimmen wir allehier im Hause sicherlich überein.
Herr Janukowitsch ist weit davon entfernt, unserenStandards zu genügen. Die ukrainische Regierung mauertnicht nur im Fall Julija Timoschenko. Wichtige Reformenin den Bereichen des Wahlrechts und des Justizsystemswurden noch nicht umgesetzt. Janukowitsch muss zeigen,wofür er steht: für Rechtsstaatlichkeit und damit für eineHinwendung nach Europa – das will die Mehrheit derUkrainerinnen und Ukrainer – oder für eine reaktionärePolitik der Unfreiheit, was bedeuten würde, dass er sichendgültig in die Abhängigkeit von Putin begibt. FrauBundeskanzlerin, es reicht nicht, Julija Timoschenko nursymbolhaft zu erwähnen. Das geht so nicht. Wir solltenuns alle doch einig sein: Präsident Janukowitsch mussJulija Timoschenko freilassen.
Bei bloßen Appellen darf es aber nicht bleiben. Wennes in Vilnius zu Unterschriften kommt, ist die Gefahrgroß, dass Putin die östlichen Partner unter Druck setzenwird. Putin könnte – genauso wie in der Vergangenheit –den Druck auf die Ukraine erhöhen und mit Handelsbar-rieren oder ruinösen Gaspreisen versuchen, die Daumen-schrauben anzuziehen. Wird Deutschland in den kom-menden Wochen deutliche Worte gegenüber Moskaufinden? Wird Deutschland in einem solchen Fall helfenund Solidarität zeigen? Das wird dann die Herausforde-rung sein. Wir hoffen, dass es keinen Rückfall in dieRusslandpolitik der letzten Großen Koalition gebenwird. Wenn Putin der Ukraine den Erdgashahn zudreht,werden die Menschen nicht mit warmen Worten durchden Winter kommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde mir dieEinigkeit dieser Debatte auch in einer weiteren Heraus-forderung der Europapolitik wünschen. Es geht kein Ge-spenst in Europa um, es ist eine reale Gefahr: Sie heißtRechtspopulismus. Wilders, Le Pen und andere wollensich in einer unheiligen Allianz gegen die europäischenWerte der Solidarität und der Freiheit verbünden. Wemdiese Werte wichtig sind, der muss sich gegen diese Ge-fahr stemmen. Ich finde, das sollten wir alle tun.
Aber das muss sich dann auch im Handeln widerspie-geln. Wer den Antieuropäern die Stirn bieten will, derdarf nicht per Protokollerklärung gleichzeitig europäi-schen Krisenstaaten mit dem Rausschmiss drohen, wiedas die CSU gemacht hat. Kaum feiert die AfD erste Er-folge, wird die CSU nervös und bringt sich selbst in dieNähe des Rechtspopulismus.
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Dr. Anton Hofreiter
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Der Populismus Seehofer’scher Prägung ist schon in derMautdebatte schwer zu ertragen, aber in der Europapoli-tik ist er schlicht und einfach unverantwortlich.
Wir erwarten von Ihnen, Frau Kanzlerin, diesem Treibenendlich ein Ende zu setzen. Das sind Sie Deutschlandund Europa schuldig.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir eines ausunserer gemeinsamen Geschichte wissen, dann ist esdies: Massenarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeitsind ein Nährboden für Ressentiments und Extremismus.Wer Europas Zusammenhalt bewahren will, der mussmehr gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa tun, dermuss den Menschen, gerade den jungen, wieder Zukunftbieten. Die Krisenpolitik der Bundesregierung hat dieseZustände auch mit verursacht, nicht weil Sie auf Konso-lidierung und Reformen gedrängt haben, sondern weilSie die andere Seite der Medaille ignoriert haben. Wirmüssen den Ländern in der Krise helfen, zu investieren,ihnen einen Green New Deal bieten, ihnen neue Perspek-tiven bieten, auch neue wirtschaftliche Perspektiven – unddas muss jetzt getan werden.
Stattdessen haben Sie Symbolpolitik gemacht, wie sooft. Eine Jugendgarantie haben Sie ausgesprochen, aberdann kam nichts mehr hinterher. Das ist peinlich. Leidersieht es sehr danach aus, dass sich daran wenig ändert.Der Zwischenstand Ihrer Koalitionsberatung für dieGroße Koalition ist zwar ein schönes Stück – manchmalauch ein weniger schönes Stück – deutscher Prosa, aberehrliche, entschlossene Lösungen für die Massenarbeits-losigkeit Europas finden sich bisher nicht darin.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, IhreWende in der Krisenpolitik beschränkt sich bis jetzt aufein paar schöne Überschriften. Das reicht nicht. Ich wün-sche Ihnen, aber vor allem Europa, dass Sie in den kom-menden zwei Wochen diese Kraft noch finden.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun der Kollege
Volker Kauder das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!Ja, wir reden heute über die Östliche Partnerschaft. DieBundeskanzlerin hat dazu, so wie es auch vorgesehenund gewünscht ist, dem Deutschen Bundestag vor einemsolchen Gipfel einen Bericht gegeben, damit wir darüberdiskutieren. Natürlich, Herr Kollege Bartsch, kann manes auch so machen wie Sie und noch einige anderePunkte mit in die Debatte hineinnehmen. Das will ichjetzt gar nicht einmal kritisieren.
Aber ich finde schon: Wenn man das macht, sollteman nicht an mehreren Stellen Falsches sagen. Sonst er-weckt man den Eindruck, wie Sie es gemacht haben,dass man nicht auf der Höhe der Zeit ist. Jetzt will ichIhnen einmal Folgendes sagen:
Sie haben gesagt, seit Juli habe es keine Sitzung desDeutschen Bundestages mehr gegeben. Ich möchte docheinmal wissen, wo Sie am 2. und 3. September waren.Da hatten wir nämlich Sitzungen des Deutschen Bundes-tages.
Waren Sie vielleicht nicht da? Oder haben Sie das nichtzur Kenntnis genommen? Damals haben wir beispiels-weise über den Haushalt diskutiert und auch überEuropa.Dann haben Sie Kroatien angesprochen und gesagt,dass es in Kroatien eine Jugendarbeitslosigkeit von52 Prozent gibt. Das stimmt,
aber Sie haben damit den Eindruck erweckt, dass dieseJugendarbeitslosigkeit entstanden sei, weil Kroatien indie EU eingetreten ist. Kroatien ist aber gerade einmalein paar Monate in der EU. Sie sind mit den 52 ProzentJugendarbeitslosigkeit in die EU gekommen, HerrBartsch,
und wollen jetzt eine bessere Situation erreichen. Es istnicht so, wie Sie es erzählt haben. Also, in zwei Punktenliegen Sie völlig daneben.
Das legt den Verdacht nahe, dass auch Ihre anderenPunkte nicht stimmen.
Angesichts dessen, dass Sie für die führende Opposi-tionsfraktion gesprochen haben, müssen Sie schon nochein bisschen üben. Das war noch nicht so, wie es norma-lerweise sein soll.
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Ja, völligrichtig: Man kann jetzt das Thema „Was passiert inEuropa?“ behandeln. Wir haben, wie es vorgesehen ist,den Deutschen Bundestag über die Situation in Portugalund über die Auszahlungen, die dort stattfinden, infor-miert. Die Troika hat, wie es das Gesetz vorsieht, ihrenBericht vorgelegt. Sie hat empfohlen, die Tranchen aus-
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Volker Kauder
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zubezahlen. Der Deutsche Bundestag kann dazu eine Er-klärung abgeben. Die Tranchen werden nun ausbezahlt.Eines, Herr Kollege Bartsch, dürfen Sie nicht ma-chen: Sie dürfen hier nicht den Eindruck erwecken, dassdie Menschen in den europäischen Ländern, die esschwer haben, sich nicht so angestrengt hätten, um dortzu Erfolgen zu kommen. Ich will Ihnen noch etwas sa-gen: Es zeigt sich doch, dass wir auf einem guten Wegsind. Ich sage: Glückwunsch nach Irland und nach Spa-nien dafür, dass sie mit ihren Anstrengungen so weit ge-kommen sind, dass sie den Rettungsschirm verlassenkönnen.
Sie sollten sich nicht hierhinstellen und so tun, als ob danichts geschehen sei.Wenn man sich die Zinsen anschaut, muss man sagen:Die Situation hat sich auch in den Ländern, die unterdem Rettungsschirm sind, erheblich verbessert. Der jet-zige Stand unserer Koalitionsverhandlungen ist so, dasswir uns einig sind, diesen Weg fortzusetzen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden auch überdie Östliche Partnerschaft. Das ist ein Thema, das einegroße Bedeutung hat. Es ist völlig richtig, dass sichEuropa nicht allein darauf konzentriert, neue Staatenaufzunehmen, sondern dass es auch einen Weg sucht,mit solchen Nachbarn politisch zu kooperieren, die keinePerspektive haben, in den nächsten Jahren in die Euro-päische Union aufgenommen zu werden. Herr KollegeErler, ich gebe Ihnen ausdrücklich recht: Ja, es muss nunein Weg gefunden werden, diese Partnerschaft so auszu-gestalten, dass sie in erster Linie nicht unter geopoliti-schen Gesichtspunkten ausgerichtet wird.Die Bundeskanzlerin hat deshalb zu Recht gesagt:Wir müssen im Rahmen der Östlichen Partnerschaft end-lich Wege finden, die Politik des Kalten Krieges voll-ständig zu überwinden. Dabei kommt es darauf an, Russ-land klarzumachen, dass eine vertiefte, eine nähereBeziehung zu unseren östlichen Partnern nicht gegenRussland gerichtet ist. Das kann vielleicht dadurch ge-lingen, dass wir auch klarmachen, dass es auf der Welteine ganze Reihe von Herausforderungen und Gefahrengibt, die auch uns hier in Europa und in Deutschland be-drohen, und dass es daher notwendig ist, dass Russlandund wir zusammenarbeiten, um an diesen Punkten vo-ranzukommen; ich nenne als Beispiel nur das Stichwort„Iran“. Es gibt also Aufgaben, die eine solche Dimen-sion haben, dass ich finde, es wirkt geradezu politischkleinkariert, wenn Russland meint, es sei eine geopoliti-sche Frage, wie wir in Zukunft unsere Probleme in derWelt lösen.Es gibt beispielsweise das Problem des Terrorismus;dagegen müssen wir miteinander etwas unternehmen. Esgibt das Problem der Sicherheit der Weltmeere und vie-les andere. Ich wäre dankbar, Frau Bundeskanzlerin,wenn es Ihnen in Ihren Gesprächen mit Putin gelingenkönnte, auch einmal darauf hinzuweisen, dass er derWelt einen Dienst leisten kann, wenn er einmal ein biss-chen weiter als über unsere Östliche Partnerschaft hi-nausblickt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlichhat diese Zusammenarbeit, die Östliche Partnerschaft,eine ganz zentrale Bedeutung. Es ist angesprochen wor-den, dass es natürlich um wirtschaftliche Fragen geht.Zur gleichen Zeit hat die Bundeskanzlerin aber auchdarauf hingewiesen, dass es ebenfalls – gerade in derDiskussion jetzt mit der Ukraine – um Werte geht, umMenschenrechte, Demokratie, eine unbestechliche Justizbeispielsweise. Da wird schon etwas deutlich, was wirgerade in der heutigen Zeit immer wieder formulierenmüssen, damit die Menschen in unserem Land auchOrientierung haben: Dieses Europa ist nicht nur eineVeranstaltung von Euro und Cent, liebe Kolleginnen undKollegen; dieses Europa ist vor Euro und Cent zunächsteinmal eine Wertegemeinschaft.
Das müssen wir auch in der Zusammenarbeit mit an-deren deutlich machen. Da, finde ich schon, muss klarsein, dass wir uns bei der Östlichen Partnerschaft nichtausschließlich um wirtschaftliche Dinge kümmern soll-ten, sondern dass wir auch unsere Werte entsprechendeinfordern müssen.Ich sage – ich weiß, dass es da auch andere Auffas-sungen gibt; aber in diesem Saal kann man ja auch ein-mal unterschiedliche Positionen darstellen –: Wir sindumso glaubwürdiger darin, dass wir eine Wertegemein-schaft sind, wenn wir diese Werte in Europa auch dannernst nehmen, wenn wir wirtschaftliche Interessen habenund Freihandelsabkommen abschließen, und wenn wirdiese Werte in Verhandlungen mit Ländern einfordern,die in die Europäische Union kommen wollen.Das gilt gerade auch in unseren Gesprächen mit derTürkei. Die Menschenrechte, die Religionsfreiheit etwa,sind ein Teil unserer Wertegemeinschaft, der umgesetztwerden muss, bevor wir in Europa ganz zueinander ge-hören können, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Da hilft es relativ wenig, zu sagen: Ja, wenn es dann malso weit ist, wenn dann alle dabei sind, wird das auch sokommen. – Wenn man diese Auffassung hat, dann kannman auch vertreten, dass es vorher geklärt werden muss;denn wir sehen ja in dem einen oder anderen Fall, wieschwer wir uns tun, unsere Positionen in Ländern, diezur EU gekommen sind, durchzusetzen. Deswegen halteich es für richtig, notwendig und zentral, Frau Bundes-kanzlerin, dass Sie nicht nur das Thema der wirtschaftli-chen Entwicklung, sondern auch diesen Wertetransferberücksichtigen.Dann habe ich noch einen Punkt, den wir uns in die-sem Parlament immer wieder vor Augen führen müssen:Sowohl in der Östlichen Partnerschaft als auch in ande-ren Bereichen haben wir ein Instrument – neben denen,die die Bundeskanzlerin angesprochen hat –, das wirnicht zu klein darstellen dürfen, und das ist unser Instru-ment der Auswärtigen Kulturpolitik. Deswegen rate ichdringend, dass wir in den Haushaltsberatungen daraufWert legen. Nichts ist im Augenblick erfolgreicher alsDeutsch-Sprachkurse, die unter anderem von unserenGoethe-Instituten in der ganzen Welt angeboten werden.
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Volker Kauder
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Deswegen glaube ich schon, dass das Thema „Kultur,Werte, Präsenz in einem Land“ von einer zentralen Be-deutung ist.Vor diesem Hintergrund wünsche ich Ihren Gesprä-chen und Verhandlungen viel Erfolg. Wir brauchen Part-ner in unserer Region, in Europa. Wir brauchen Partnerauch in der Welt. Gerade im Hinblick auf das, was wirnachher noch diskutieren, kann ich nur sagen: Was davon Amerika ausgehend passiert ist, ist nicht schön. –Aber ich muss auch sagen: Die Zusammenarbeit mitAmerika, die Freundschaft mit Amerika wird zwingendnotwendig sein, gerade wenn wir die Östliche Partner-schaft weiter ausbauen wollen.Herzlichen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Michael Roth für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Auch von mir herzlichen Glück-wunsch nachträglich zum Geburtstag. – Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Die heutige Debatte gibt uns Gele-genheit, eines deutlich zu machen: Europa ist mehr alsdiese Krise.Lieber Kollege Toni Hofreiter, ich will all denjenigenhier in diesem Saal, die den Koalitionsverhandlungenskeptisch gegenüberstehen, sagen: Eines ist für uns alsSozialdemokratie zentral: Wir wollen, dass der Kampfgegen die Massenarbeitslosigkeit junger Menschen inEuropa ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt wird,
dass Europa wieder zu sozialer Stabilität zurückfindetund dass wir die Spaltung in Europa überwinden. Darumgeht es uns. Sie können sich darauf verlassen: Dafürkämpfen wir, nicht nur in den nächsten Wochen, sondernüber vier Jahre hinweg!
Aber es ist auch wichtig, dass wir deutlich machen:Europa ist eben nicht nur die Krise. Europa ist ein faszi-nierendes Projekt für Frieden, Freiheit, Demokratie undRechtsstaatlichkeit. Wenn wir manchmal in Zweifel ge-raten, ist es gut, den Blick nach außen zu richten und zusehen, wie neidisch und fasziniert die Menschen außer-halb der Europäischen Union, gerade in unseren Nach-bar- und Anrainerstaaten, auf uns blicken und sagen:Toll! Was denen gelungen ist, das wollen auch wir errei-chen. Diese Werte wollen auch wir für unsere Bürgerin-nen und Bürger erstreiten und erkämpfen.Das sollten wir uns gerade in diesen Wochen und Mo-naten, in denen wir uns wegen der Krise in Europaschwertun, immer wieder in Erinnerung rufen; denndiese Werte sind das eigentliche Fundament Europas. Ichkann dem Kollegen Kauder nur zustimmen: Es gehtnicht in erster Linie um Euro und um Cent. Es geht umdie Verteidigung von Werten, für die Generationen vonMenschen vieles haben riskieren müssen. Wir haben siejetzt. Aber es ist eben auch wichtig, dass wir die Univer-salität dieser Ideen immer wieder in den Mittelpunkt un-serer politischen Arbeit rücken.So wichtig es ist, dass wir uns derzeit mit uns selbstbeschäftigen, um die Probleme innerhalb der Europäi-schen Union zu lösen, so wichtig ist es auch, unserenPartnern im Süden, im Osten und im Westen die Handzur gemeinsamen Arbeit zu reichen. Da sind die Heraus-forderungen in Osteuropa sicherlich besonders groß. Da-für hat jede Bundesregierung unsere volle Unterstützungverdient.Dies ist für uns mit einer großen Chance verbunden.Wir wissen, manches in der Europapolitik stößt bei unse-ren Bürgerinnen und Bürgern auf große Skepsis. Aberdie Bürgerinnen und Bürger erwarten – das zeigen auchdie jüngsten Umfragen –, dass wir es schaffen, dassEuropa in der Außen- und Sicherheitspolitik mit einerStimme zu sprechen vermag. 65 Prozent der Bürgerin-nen und Bürger erwarten in Europa mehr Zusammen-arbeit in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, mehrZusammenarbeit in der Außen- und Entwicklungspoli-tik. Das sollte für uns ein Auftrag sein, hier etwas ambi-tionierter zu arbeiten, als das vielleicht in den vergange-nen Jahren der Fall war.
Anspruch und Wirklichkeit klaffen hier sehr weit aus-einander. Ich weiß, in vielen außen- und sicherheitspoli-tischen Fragen ist es innerhalb der Europäischen Unionsehr schwierig, auf einen gemeinsamen Nenner zu kom-men. Ich nenne in diesem Zusammenhang den NahenOsten, den Mittleren Osten und unser Verhältnis zu Is-rael. Aber trotz der Schwierigkeiten wäre es wichtig,wenn es die Europäische Union schaffte, sich auf einigezentrale außen- und sicherheitspolitische Projekte zuverständigen, und es uns gelänge, dort endlich einmalvoranzukommen.
Da sehe ich für uns auch Potenzial im Bereich der Östli-chen Partnerschaft. Da kann sich etwas bewegen; dakann sich etwas tun. Dabei geht es nicht alleine um dieVisaerleichterung, die eben zu Recht angesprochenwurde.Wir müssen eine weitere Frage klären. In den vergan-genen Jahrzehnten war der Umgang mit unseren Nach-barn, die geografisch zu Europa gehören, relativ einfach:Wir haben, wenn diese Länder einen Antrag auf Mit-gliedschaft in der Europäischen Union gestellt haben,das Angebot des Beitritts eröffnet. Hier hat die Bundes-kanzlerin sicherlich recht: Es geht bei der Östlichen Part-nerschaft nicht um Beitritte. Es muss uns dennoch gelin-gen, diesen Staaten ein attraktives Angebot aufAugenhöhe zu eröffnen, bei dem sie spüren: Sie sindnicht etwa ein Wurmfortsatz Europas, sondern sie gehö-ren zu Europa. Wir haben ein Interesse daran, dass dieseStaaten zu der Stabilität, zu der demokratischen Reifeund zu der Form von Rechtsstaatlichkeit kommen, wie
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sie in der Europäischen Union, zumindest meistens,selbstverständlich sind. In dieser Frage müssen wir am-bitionierter werden.Gleiches gilt für den Dialog mit einem für uns ganzbesonders wichtigen Partner, nämlich Polen. Diejenigenvon uns, die sich intensiver mit unseren polnischen Part-nern beschäftigen, wissen, dass der Blick unserer polni-schen Freunde natürlich auch nach Osten gerichtet ist.Da wäre es auch in Anbetracht der herausragenden Be-deutung der Verantwortung Deutschlands zentral, wennDeutschland und Polen in der Frage, wie mehr Stabilitätfür unsere östlichen Nachbarn erreicht werden kann, vo-rangingen und gemeinsame Initiativen entwickelten.Diese Initiativen müssten so attraktiv sein, dass alle an-deren Mitgliedstaaten in der Europäischen Union bereitund in der Lage sind, mitzumachen.Eines hat mich dann doch ein bisschen überrascht,Herr Kollege Kauder. Sie haben eben etwas angespro-chen, was für meine Fraktion in den vergangenen Jahrenzentral war: unsere Glaubwürdigkeit im Umgang mitRechtsstaatlichkeit und Grundwerten. Wir sind in ersterLinie eine Werteunion. Es ist daher wichtig, wie wir dieWahrung der Rechtsstaatlichkeit und der Grundwerte in-nerhalb der Europäischen Union vertreten.
Ich habe allerdings in den vergangenen Jahren nichtimmer den Eindruck gehabt, dass fraktionsübergreifendgehandelt wurde, wenn die Wahrung der Grundwerte in-nerhalb der Europäischen Union infrage gestellt wurde.
Hier gibt es keine Rabatte; hier darf nichts relativiertwerden. Wir können unsere Werte nur dann glaubhaftnach außen vertreten, wenn niemand den Anlass hat, da-ran zu zweifeln, dass wir in unseren eigenen Reihenernsthaft und konsequent mit diesen Werten umgehen.
Ich möchte ganz bewusst einzelne Länder jetzt garnicht erwähnen; denn ich will keine kleinkarierte De-batte führen.
– Ja. Rumänien, Ungarn und auch Italien. Ich könnteeine ganze Reihe anderer Staaten nennen. Der Antisemi-tismus in Deutschland gehört selbstverständlich auchdazu.
Die Grundrechteagentur hat uns allen ins Stammbuchgeschrieben, dass auch wir, wenn es um die Verteidigungder Freiheitswerte geht, noch etwas lernen können unddass bei uns nicht alles nur rosarot ist. Da haben Sierecht, Herr Kauder. Umso wichtiger ist es, dass wir dieseWerte konsequent verteidigen. Das wäre ein gemeinsa-mes Projekt für diese Legislaturperiode. Ich würde michdarüber freuen, wenn möglichst viele Fraktionen, viel-leicht sogar alle, bereit wären, die SPD in diesem enga-gierten Kampf zu unterstützen.Vielen herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort der Kollegin Marieluise Beck fürdie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DerGipfel von Vilnius erinnert uns daran, dass die Vereini-gung Europas noch lange nicht vollendet ist und dass wirgerade im Westen immer noch Gefahr laufen, Europamit der Europäischen Union gleichzusetzen. Aber Eu-ropa ist größer. Dieser vielfältige Kontinent ist immernoch dabei, die Wunden des vergangenen Jahrhundertszu schließen. Im kommenden Jahr, im Jahre 2014, wer-den wir sicherlich noch häufig Gelegenheit haben, überdieses katastrophale vergangene Jahrhundert zu spre-chen, in dem Europa für viele Jahre gespalten war.Wir können diese Spaltung nun überwinden. Aberviele von uns müssen das ganze geografische Europaerst wieder kennenlernen. Ich verkneife mir jetzt einenKommentar zu der Linken, die, wo wir doch über denOsten sprechen, einen Antrag zu Portugal einbringt.23 Jahre nachdem diese Spaltung begonnen hat, sichaufzulösen, sind Warschau, Prag und Riga wieder be-kannte Namen. Für Städte wie Baku und Kischinau giltdas weniger. Aber Europa reicht auch bis dorthin. Des-wegen, Frau Bundeskanzlerin, widerspreche ich Ihnenentschieden, wenn Sie sagen, die Östliche Partnerschaftenthalte keine EU-Beitrittsperspektive.
Sie nehmen damit die Gründungserklärung der ÖstlichenPartnerschaft von 2009 zurück, die diese Frage explizitoffengelassen hat. Auch Sie, Herr Roth, haben eben ge-sagt, es sei keine Beitrittsperspektive enthalten. Das istin der Sache nicht richtig.
Außerdem möchte ich daran erinnern, dass Art. 49des EU-Vertrages ganz klar festhält, dass alle europäi-schen Staaten das Recht haben, einen Antrag auf Auf-nahme zu stellen, sofern sie dem Wertekanon der EUentsprechen. Ich meine auch, dass Sie mit dieser Aus-sage, Frau Bundeskanzlerin, die Instrumente der Östli-chen Partnerschaft schwach machen – man möchte fastsagen: noch schwächer, als sie schon sind.Es kann bei der Östlichen Partnerschaft nicht darumgehen, die betroffenen Länder zwischen Brüssel undMoskau zu zerreiben. Mit Blick auf Moskau sage ich:Alle sechs Länder der Östlichen Partnerschaft sind sou-verän. Sie haben das Recht, selbst zu entscheiden, wel-che Verträge sie schließen wollen und welche sie nichtschließen wollen.
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36 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013
Marieluise Beck
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Da verbieten sich massiver Druck, wie ihn Russland der-zeit ausübt, und eine Erpressung mithilfe von Gaspreisenund Handelskriegen, um die Länder in einen eurasischenBlock zu zwingen und sie vom Zugang zur EU fernzu-halten. Das ist inakzeptabel, und das müssen wir sehrdeutlich sagen.
Aber Nachbarschaft hat auch eine Geschäftsgrund-lage. Unsere Geschäftsgrundlage heißt: Rechtsstaatlich-keit, Meinungsfreiheit und Toleranz gegenüber Vielfalt.Das ist gerade auch bei den Entwicklungen in Russlandsehr wichtig.Wir haben gelernt, dass demokratische Gesellschaf-ten, wenn sie Bestand haben sollen – von Ungarn undRumänien war eben die Rede –, nicht von oben einge-führt werden können. Demokratie muss wachsen undbraucht dazu aktive Bürgerinnen und Bürger. Ja, in Bela-rus herrscht der letzte Diktator Europas. Ich füge hinzu:In Aserbaidschan sieht es nicht sehr viel besser aus.Aber die Menschen dort wollen Freiheit. Sie wollen rei-sen. Deswegen ist die Visumfreiheit eines der wenigenwirklich wirkungsvollen Instrumente, das wir in derHand haben. Wir dürfen dem Präsidenten Lukaschenkonicht mehr helfen, seine Menschen einzusperren, indemwir 60 Euro für ein Visum verlangen. 60 Euro sind in ei-nem Land wie Belarus nämlich sehr viel Geld.
Also muss der erste große wirkungsvolle Schritt sein:Aufgabe der Zögerlichkeit bei Visumfreiheit. Das giltnatürlich auch mit Blick auf die Ukraine.Die EU ist derzeit nicht in bester Verfassung. Das istrichtig. Aber es ist ein wunderbares Ziel, das ganze Eu-ropa zu vereinen. Das braucht Geduld, Klugheit und eineechte Mitgliedsperspektive für alle Länder Europas. Ichwünsche mir, dass das ganze Haus in der 18. Legislatur-periode bei dieser Herausforderung zusammenarbeitet.Schönen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Andreas
Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ZuBeginn meiner Rede möchte ich Folgendes mitteilen:Mehrere Vorredner haben darauf hingewiesen, dass dieEuropäische Kommission am 24. Oktober die Auszah-lung der nächsten Kredittranche in Höhe von insgesamt5,6 Milliarden Euro an Portugal vorgeschlagen hat.Unsere Parlamentsbeteiligungsrechte geben dem Haus-haltsausschuss das Recht, dazu eine Stellungnahme ab-zugeben. Da wir derzeit noch keinen neuen Haushalts-ausschuss haben, fällt das Recht zur Stellungnahme indiesem Fall dem Plenum zu. Wir haben uns in der CDU/CSU-Fraktion eingehend mit dem Umsetzungsberichtbeschäftigt. Aus unserer Sicht spricht nichts gegen dieAuszahlung der nächsten Tranche. Portugal ist insge-samt auf dem richtigen Weg.
Nun zur Östlichen Partnerschaft. Fast ein Vierteljahr-hundert nach der Überwindung der Teilung gibt es inEuropa noch zwei Regionen, in denen Sicherheit undStabilität – und das heißt vor allem Demokratie, Rechts-staatlichkeit und wirtschaftliche Entwicklung – weitergestärkt werden müssen; denn je mehr das gelingt, destobesser kann sich Europa auf die wachsenden Herausfor-derungen konzentrieren, die von außerhalb unseres Kon-tinents kommen. Ich nenne nur die Entwicklungen inNordafrika und im Nahen und Mittleren Osten.Eine dieser Regionen ist der westliche Balkan. Hiersind wir mit dem Assoziierungs- und Erweiterungspro-zess auf einem guten Weg. Die andere Region sind dieLänder in unserer östlichen Nachbarschaft. Dort darf eskein Zwischeneuropa geben. Welche fatalen Folgen dieEntstehung eines Zwischeneuropas hat, wissen wir ausder Geschichte. Deshalb liegt es im vitalen Interesse derEuropäischen Union, dass diese östlichen Länder eineklare europäische Orientierung und Verankerung habenund nicht zwischen ihren großen Nachbarn hin- und her-gerissen sind.Das zu erreichen, ist die große strategische Aufgabeder Östlichen Partnerschaft. Sie muss ein wirksames In-strument zur Vermeidung eines neuen Zwischeneuropasund zur Stabilisierung und Stärkung dieser Nachbar-schaftsländer sein. Angesichts dieses vitalen Interessesund dieser großen Aufgabe wünsche ich mir für die Zu-kunft ein stärkeres Engagement und eine bessere Wahr-nehmung dieser Länder durch die Europäische Union.Einige dieser Nachbarn haben ein starkes Interesse aneiner möglichst engen Zusammenarbeit mit der EU. An-dere zeigen zurzeit ein eher geringeres Interesse. Drittesind zwischen der EU und Russland hin- und hergeris-sen. Dennoch ist es richtig, dass die EU allen Länderndieser Region auch weiterhin eine möglichst enge Zu-sammenarbeit anbietet. Assoziierungs-, Freihandels- undVisaerleichterungsabkommen und eine stärkere Zusam-menarbeit mit der Zivilgesellschaft sind und bleiben da-für die besten Instrumente. Aber es ist wichtig, dass dieEU dabei differenzierter vorgeht, nach dem Prinzip:more for more, less for less.Meine sehr geehrten Damen und Herren, beim Gipfelder Östlichen Partnerschaft Ende des Monats ist – dieBundeskanzlerin hat es erwähnt – die Unterzeichnungbzw. Paraphierung einer neuen Generation von Assoziie-rungsabkommen mit drei Ländern vorgesehen. Diesesind mit einem sogenannten tiefen und umfassendenFreihandelsabkommen verbunden. Diese Verträge mar-kieren nicht nur den Weg hin zu einem neuen Niveauwirtschaftlicher Zusammenarbeit und einer neuen Öff-nung auf die europäischen und globalen Märkte. Sie be-deuten auch die schrittweise Annäherung an europäischeNormen und Werte.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013 37
Dr. Andreas Schockenhoff
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Nicht zuletzt eröffnen diese Abkommen den Länderndie europäische Perspektive einer Teilhabe am Europäi-schen Wirtschaftsraum – mit allen Vorteilen, wie dieSchweiz oder Norwegen sie haben. Die Eröffnung dieserPerspektive ist die Kernbotschaft, die von der Unter-zeichnung bzw. Paraphierung der Abkommen beim Gip-fel der Östlichen Partnerschaft ausgeht. Die Menschen indiesen Ländern verbinden damit große Hoffnungen. Dasmuss auch der ukrainische Präsident Janukowitsch be-denken, wenn er über den Fall von Julija Timoschenkoentscheidet.Lassen Sie mich dazu in aller Klarheit sagen: Wirwollen, dass die Ukraine enger an die EU angebundenwird. Wir wünschen uns eine Unterzeichnung des Asso-ziierungsabkommens beim Gipfel. Aber es liegt allein inden Händen der Ukraine, die gemeinsam abgesproche-nen Voraussetzungen dafür zu erfüllen. Das gilt auch mitBlick auf Frau Timoschenko.Wir sehen sehr genau, wie Russland versucht, eineUnterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit derUkraine mit allen Mitteln zu verhindern: Neben der alt-bekannten Energiewaffe werden Handelsembargos,Boykotts, Importstopps oder gar der totale Zusammen-bruch der Ukraine angedroht. Diese Versuche Russlands,nicht nur die Ukraine, sondern auch andere Staaten derÖstlichen Partnerschaft, etwa Moldau, unter Druck zusetzen, weil sie einen anderen Weg gehen wollen, alsMoskau es will, sind eine gravierende Verletzung derPrinzipien der OSZE-Charta von Paris. Solche Eingriffein die Souveränität einzelner Länder sind völlig inakzep-tabel. Russland verstößt damit eklatant gegen sein eige-nes Konzept eines gemeinsamen wirtschaftlichen undhumanitären Raums Europa.Auch deshalb ist die Zeit für einen weiteren Schlin-gerkurs vorbei. Kiew muss jetzt eine klare Entscheidungtreffen. Das heißt auch: Ohne eine Ausreise von FrauTimoschenko für eine medizinische Behandlung imAusland kann es keine Unterschrift unter das Assoziie-rungsabkommen geben.Mit Blick auf die angedrohten russischen Vergel-tungsmaßnahmen sage ich aber auch: Die EU wird sichauf jeden Fall mit dem Partner Ukraine solidarisch zei-gen. Dafür gibt es bereits die notwendigen Instrumente.Sie werden umso besser genutzt werden können, je mehrKiew die erforderlichen Voraussetzungen dafür schafft.Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Die ÖstlichePartnerschaft ist nicht exklusiv oder konfrontativ, undsie ist vor allem nicht gegen Russland gerichtet. Esbleibt den östlichen Partnern unbenommen, gute politi-sche und wirtschaftliche Beziehungen mit Russland undmit der Zollunion zu wahren und gleichzeitig mit weite-ren Partnern Freihandel zu treiben. Von einer Moderni-sierung und wirtschaftlichen Entwicklung seiner Nach-barstaaten, die durch diese Assoziierungsabkommenbewirkt werden können, kann auch Russland profitieren.Das liegt auch in unserem Interesse.Präsident Putin hat das Projekt eines gemeinsameneuropäischen Wirtschaftsraumes vorgeschlagen. Seinneues außenpolitisches Konzept wiederholt die Idee ei-nes gemeinsamen wirtschaftlichen und humanitärenRaums zwischen Atlantik und Pazifik. Ist die Vision ge-meinsamer Räume nicht am ehesten über solche Abkom-men zu erzielen, die der wachsenden Kooperation undAnnäherung dienen?Das aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist genaudas Gegenteil des alten Nullsummendenkens, welches ineiner vertraglichen Bindung der Staaten der ÖstlichenPartnerschaft an die EU einen Machtverlust sieht stattdie Chance, eine gemeinsame neue Ordnung – auch einegemeinsame neue Sicherheitsordnung – zu schaffen.Deshalb müssen wir mit Russland nicht nur über die un-terschiedlichen Konzepte einer Modernisierungspartner-schaft reden, sondern auch über den Umgang mit derSouveränität der Länder in unserer gemeinsamen Nach-barschaft.Auf eines möchte ich schon heute hinweisen: Die Un-terzeichnung und Paraphierung neuer Abkommen in Vil-nius ist nur ein erster Schritt. Danach stellt die Imple-mentierung alle Seiten, auch die EU, vor eine vielleichtnoch größere Herausforderung. Es wird ein langer Wegwerden. Umso wichtiger ist es, dass die Implementie-rung nach dem Gipfel zügig und im Geiste der Partner-schaft erfolgt und nicht verzögert wird. Eine zügige underfolgreiche Umsetzung ist der einzige Weg, um einem„Zwischeneuropa“ entgegenzuarbeiten.Herzlichen Dank.
Als erstem der neu gewählten Mitglieder im Deut-
schen Bundestag erteile ich jetzt der Kollegin Katarina
Barley das Wort für die SPD-Fraktion.
Herzlichen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Sozialdemokratinkann man die erste Rede im Deutschen Bundestag, vorallem, wenn es um Osteuropa geht, wahrscheinlich nichthalten, ohne auf Willy Brandt Bezug zu nehmen, dernächsten Monat 100 Jahre alt geworden wäre. WillyBrandt hat 1971 den Friedensnobelpreis für seine Ost-und Entspannungspolitik erhalten. „Wandel durch Annä-herung“ war sein großes Thema, und das bedeutete eineVerständigung auf gemeinsame Ziele und Werte, aufAusgleich und Entspannung, insbesondere mit Ost-europa.Übertragen auf die heutige Debatte heißt das: Die Eu-ropäische Union trägt Verantwortung gegenüber ihrenöstlichen Nachbarstaaten und der dort lebenden Bevöl-kerung. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich den in dernächsten Woche stattfindenden EU-Gipfel zur ÖstlichenPartnerschaft in Vilnius. Das Ziel der Politik der Östli-chen Partnerschaft ist die Beförderung von Stabilität undWohlstand sowie Frieden und Sicherheit in der unmittel-baren Nachbarschaft. Achtung der Menschenrechte, frei-heitlich-demokratische Grundordnung, Rechtsstaatlich-keit und Marktwirtschaft sind die Prinzipien, die es zustärken und auszubauen gilt.
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38 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013
Dr. Katarina Barley
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Die Östliche Partnerschaft zielt auf eine politischeund wirtschaftliche Annäherung der EuropäischenUnion an die Ukraine, Georgien, Moldova, Aserbaid-schan, Armenien und Belarus.Es gibt keinen Automatismus für einen Beitritt zurEuropäischen Union. Es geht aber auch nicht um dieWahl zwischen Russland oder der Europäischen Union.Alle Länder der Östlichen Partnerschaft haben das sou-veräne Recht, selbstständig zu entscheiden, mit wem sieHandelsverträge schließen und Teil welchen Wirt-schaftsraums sie werden wollen.In der Östlichen Partnerschaft haben wir es mit sehrverschiedenen Partnern zu tun. Ihr Verständnis vonRechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechtenist teilweise sehr problematisch. Das gilt vor allen Din-gen für Belarus. Durch das harte Vorgehen des Präsiden-ten Lukaschenko gegen die Opposition nach den letztenPräsidentschaftswahlen im Jahre 2010 sind die Bezie-hungen mit der Europäischen Union sehr angespannt.Auch die im letzten Jahr durchgeführten Parlamentswah-len waren mit internationalen Standards nicht vereinbar.Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union undBelarus befinden sich in einer Sackgasse. Die Europäi-sche Union ist zu einer Politik des kritischen Engage-ments gegenüber Belarus verpflichtet. Dabei geht es vorallem um die Unterstützung von Oppositionellen, dieverfolgt werden.
Hier kann eine Politik der kleinen Schritte oftmals aufanderer Ebene mehr erreichen, vor allem dann, wenn da-durch auch kritische Kräfte sowie die Bevölkerung ein-gebunden werden. Wandel entsteht durch Annäherungauf breiter Basis. Wirtschaftlicher, politischer, kulturellerund gesellschaftlicher Austausch ist gleichermaßen wich-tig. Wir müssen Foren schaffen, in denen dieser Aus-tausch stattfinden kann. Erfolgreiche EU-Programmemüssen dafür bedarfsgerecht auf die Partnerländer aus-geweitet werden. Hierzu gehören beispielsweise die Un-terstützung der Zusammenarbeit von Städten und Ge-meinden, Erleichterungen bei der Visumvergabe – dashaben wir heute schon mehrfach gehört – und die Ver-besserung der Bildungs- und Forschungsmöglichkeitenin den Bereichen Hochschulbildung, außerschulischeBildung und Erwachsenenbildung. Das Haus Europabauen die Menschen, die hier leben. Wir müssen Koope-rationen auf kommunaler Ebene und zwischenmenschli-che Kontakte fördern. Die Partnerschaften müssen in derLebenswirklichkeit spürbar sein.Ich komme aus einem der schönsten Wahlkreise derRepublik, ganz sicher.
– Damit habe ich gerechnet, trotz Welpenschutz.
Anträge liegen mir dazu nicht vor. Wir werden da-
rüber jetzt keine Kampfabstimmung durchführen.
Mein Wahlkreis, Trier, weist aber noch eine Beson-derheit auf: Trier liegt in der Mitte Europas, und mankann, wenn man es will und es schafft, mit dem Fahrradan einem Tag durch vier europäische Länder fahren.
In Trier kann ich das Miteinander täglich erleben. Inmeiner Heimat ist es eine Selbstverständlichkeit, dasssich Franzosen, Luxemburger, Belgier, Deutsche undauch Menschen anderer Nationen jeden Tag auf der Ar-beit, in der Freizeit oder an der Universität begegnen.Aus diesen Begegnungen erwächst Vertrauen, und ausVertrauen erwächst Frieden.Ich bin der festen Überzeugung, dass wir einen sol-chen Weg auch mit den östlichen Partnerschaften gehenkönnten. Ende Oktober hat das erste Jugendforum derÖstlichen Partnerschaft stattgefunden. Mehr als 200 Ju-gendliche aus der Europäischen Union und den sechsPartnerländern trafen sich in Litauen. Dieses Projekt istein vielversprechender Schritt in die richtige Richtung.Wir brauchen mehr solcher Projekte.Im Mittelpunkt der Debatte mit unseren Partnern ste-hen deshalb drei zentrale Punkte:Erstens. Die bestehenden Kooperationsformen auf eu-ropäischer Ebene müssen vertieft werden. Hier bestehenmit der Europäischen Nachbarschaftspolitik und dergemeinsamen Parlamentarischen Versammlung EURO-NEST gute Ansätze. Gerade in den Staaten Osteuropasist die Stärkung demokratischer Institutionen ein wichti-ger Teil des Entwicklungsprozesses.Zweitens. Die Schaffung von sozialer Stabilität ist dieGrundvoraussetzung für die Schaffung von Frieden undWohlstand in der gesamten Region.Drittens. Die Kooperation im Rahmen der ÖstlichenPartnerschaft muss die Zivilgesellschaft und die Bevöl-kerung mit einbeziehen.Das alles bedeutet aber auch: Wenn wir unseren östli-chen Partnerländern Standards vorgeben, verpflichtetuns das gleichzeitig, unsere eigenen Standards fortwäh-rend zu überprüfen. Auch die Europäische Union selbstmuss sich stetig weiterentwickeln. Deshalb ist es wich-tig, dass wir in der EU den nächsten Schritt wagen, denSchritt zu einem Europa, das die soziale Dimensiongleichberechtigt zur wirtschaftlichen Integration voran-bringt.
Dieses soziale Europa, wie wir Sozialdemokraten esschon lange fordern, ist deshalb das europäische Projektder nächsten Jahre.Danke schön.
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Frau Kollegin Barley, ich gratuliere Ihnen herzlich zu
Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag,
auch zu dem seltenen Kunststück, beim ersten Mal mit
der knappen Redezeit nicht nur ausgekommen zu sein,
sondern eine virtuelle Reserve angelegt zu haben,
was ich allen weiteren Rednern als leuchtendes Beispiel
für die Legislaturperiode empfehlen möchte.
Thomas Silberhorn ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieFrau Bundeskanzlerin hat einen Ausblick auf den nächs-ten Gipfel in Wilna zur Östlichen Partnerschaft gegeben.Wir als CSU vertrauen ganz auf ihre große Routine
und ihr ebenso großes Geschick, das sie auf vielen Gip-feln unter Beweis gestellt hat. Sie wird unsere Interessendort gut vertreten und den Blick auf die ganze Europäi-sche Union bewahren.Meine Damen und Herren, bei der Östlichen Partner-schaft geht es um eine strategische Ausrichtung der Eu-ropäischen Union bezüglich folgender Länder im Osten:Weißrussland, Ukraine, Moldawien, Aserbaidschan, Ar-menien und Georgien. Wir reden nicht nur über Handels-erleichterungen, über Visaerleichterungen, sondern wirmüssen insbesondere über die grundsätzliche Richtungdieser Staaten reden. Wir wollen, dass sie den Weg zuDemokratie und Rechtsstaatlichkeit finden. Dafür bietenwir unsere Unterstützung konkret an.Diese Länder haben noch einen weiten Weg vor sich.Deswegen ist es richtig, dass wir diese Östliche Partner-schaft nicht in Verbindung mit einer Beitrittsperspektivebringen. Für die Zukunft ist nichts ausgeschlossen, aberwir sollten uns auch nicht mit zu großen Erwartungenüberfrachten. Vielmehr sollten wir die nächsten gangba-ren Schritte gehen.Es gibt Länder, die möglicherweise eine Entwicklungin die andere Richtung vollziehen wollen, was uns mitSorge erfüllen muss. Deswegen müssen wir sehr klar da-rauf hinwirken, dass Erleichterungen im Handel und beiVisa klare Voraussetzungen haben. Wir wollen sichtbareFortschritte bei der Einhaltung der Menschenrechte, beiunabhängiger Justiz, bei freier Presse, bei alldem, wasinsgesamt den Bewegungsspielraum der Zivilgesell-schaft angeht. Wir können auf das Ausbleiben von Re-formen oder sogar auf verschärfte Repressionen nichtdadurch antworten, dass wir fröhlich Abkommen schlie-ßen, sondern wir müssen dort, wo es Fortschritte gibt,positiv reagieren und die Entwicklung unterstützen.Dort, wo Fortschritte nicht in dem von uns gewünschtenUmfang möglich sind, weil die Bedingungen eben nichtvorliegen, müssen wir aber immerhin den Gesprächsfa-den aufrechterhalten und weiter zeigen, dass wir an einerkonstruktiven Zusammenarbeit interessiert sind.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Euro-päische Union unterbreitet ganz konkrete Angebote derZusammenarbeit. Das steht in einem bemerkenswertenKontrast zu der Vorgehensweise Russlands. Dass Russ-land mehr oder weniger offen versucht, diesen Prozesszu torpedieren, ist hier schon angesprochen worden. Wirmüssen nicht nur klarmachen, dass wir ein Veto von drit-ter Seite für den Prozess der Europäischen Union nichtakzeptieren können, sondern dass Drohgebärden undDruck auch keine geeigneten Instrumente für Partner-schaften sind. Russland wird sich die Frage stellen müs-sen, ob es nicht andere Handlungsmöglichkeiten hat, alsmehr oder weniger stark am Gashahn zu drehen oder Le-bensmitteleinfuhren zu kontrollieren.Wir in der Europäischen Union unterbreiten daher einAngebot für eine umfassende Partnerschaft auf der Basiseines solidarischen Miteinanders. Wir sollten Russlandallerdings auch davon überzeugen, dass diese ÖstlichePartnerschaft nicht gegen Russland gerichtet ist. Wirmüssen den Gesprächsfaden auch mit Russland aufrecht-erhalten. Wir müssen uns über die geplanten Projektekontinuierlich austauschen und informieren. Ein ge-meinsamer Wirtschaftsraum, der in der Zukunft entste-hen könnte, kann durchaus auch Russland offenstehen.Deswegen sind die Freihandelsabkommen, über die wirgerade im Rahmen der Östlichen Partnerschaft diskutie-ren und verhandeln, nicht ausschließend gemeint.Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Hinblickauf die Östliche Partnerschaft will ich darauf hinweisen,dass auch die Projekte der transeuropäischen Verkehrs-netze von großer Bedeutung sind. Sie erschließen nichtnur die Peripherie, sondern sie sollen auch den gesamtenBinnenmarkt in der Europäischen Union stärken. Gerademit Blick auf unsere östlichen Nachbarn können dietranseuropäischen Netze die Handelschancen deutlichverbessern. Deutschland liegt im Zentrum der meistendieser geplanten Verkehrswege. Deshalb profitieren wirals Tor zu Osteuropa in ganz besonderem Maße von die-sen transeuropäischen Verkehrsnetzen.Ein zentrales Thema in der Europäischen Unionbleibt freilich weiter die Bekämpfung der Schulden- undFinanzkrise. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, da-für zu sorgen, dass alle Länder in der Euro-Zone wettbe-werbsfähig werden und bleiben. Wir müssen unsereWettbewerbsfähigkeit aber auch im globalen Maßstabdefinieren. Es hilft uns in der Europäischen Unionnichts, wenn man versucht, die Stärkeren schwächer zumachen – damit ist niemandem gedient –, sondern wirmüssen gemeinsam als Europäische Union, als Binnen-markt im globalen Wettbewerb wettbewerbsfähig sein.
Meine Damen und Herren, Haushaltsdisziplin, die da-mit verbundenen Strukturreformen und die Sanierungder nationalen Haushalte bleiben Anker unserer Politik.Es geht dabei auch darum, dass Gerechtigkeit zwischen
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Thomas Silberhorn
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den Generationen geübt wird. Denn gerade dort, wodurch Schulden die Lasten auf die nächste Generationübertragen werden, wird der Spielraum für diese nächsteGeneration immer kleiner. Deswegen führt kurzfristigeNachsicht bei Reformanstrengungen nicht zum Ziel. Wirmüssen hier klar Kurs halten.Dass einige Länder das Schlimmste überstanden ha-ben und mittlerweile wieder besser dastehen, ist geradediesem Beharren auf strikte Haushaltskonsolidierung zuverdanken. Es sind erhebliche Reformmaßnahmen um-gesetzt worden; das zeigen die Ergebnisse in Irland undPortugal. Die Kommission hat die Defizitverfahren fürviele Länder aufgeschoben oder ganz aufgehoben. Irlandwird den Rettungsschirm im Dezember dieses Jahresnach nur drei Jahren verlassen. Auch Portugal erfülltnach den jüngsten Berichten der Kommission in den re-levanten Bereichen die vereinbarten Auflagen. Deswe-gen hat der Bundestag allen Grund, nach Unterrichtungdurch den Bundesfinanzminister einen positiven Be-schluss zur Auszahlung der nächsten Kredittranche mit-zutragen, der im Direktorium der Europäischen Finanz-stabilisierungsfazilität für nächsten Dienstag vorgesehenist.
Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Liebich?
Bitte schön.
Herr Kollege Silberhorn, Sie nutzen ja, wie auch un-
ser Redner, Dietmar Bartsch, die Gelegenheit, auch über
Portugal zu sprechen; das finde ich sehr gut. Daran
möchte ich anknüpfen und Ihnen eine Frage stellen. Die
CSU hat ja den Vorschlag gemacht, einige Länder soll-
ten die Europäische Union verlassen können. Darüber
gab es, wie den Medien zu entnehmen war, allerlei De-
batten. Vielleicht können Sie, da Sie ja Mitglied der CSU
sind, diese Gelegenheit nutzen, diesen Vorschlag hier im
Parlament ein bisschen zu erläutern.
Vielen Dank für diese Zwischenfrage, die mir die Ge-legenheit gibt, klarzustellen, dass die CSU keineswegsden Vorschlag unterbreitet hat, dass Länder die Europäi-sche Union verlassen sollen;
das war nie unser Anliegen. Hinweise darauf findet manin entsprechenden Urteilen des Bundesverfassungsge-richts. Das haben wir nie zum Thema gemacht.Die Frage ist: Wie gehen wir mit einem Land um, dasauf absehbare Zeit nicht in der Lage sein wird, demWettbewerbsdruck in der Euro-Zone standzuhalten? Ineinem solchen Fall muss man Staatsschulden restruktu-rieren, wie es am Beispiel Griechenlands bereits einmalvollzogen worden ist. Wir treten dafür ein, für einen sol-chen Fall Verfahren zu entwickeln, die sicherstellen,dass man nicht ad hoc entscheiden muss, was zu tun ist.Denn dann würde man feststellen, dass man, wie imFalle Griechenlands, gar nicht alle Gläubiger einbindenkann, sondern darauf angewiesen ist, dass die Gläubigereine Vereinbarung treffen; diejenigen, die sie nicht tref-fen wollen, sind dann nicht mit im Boot.Vor diesem Hintergrund brauchen wir entsprechendeVerfahren. Dazu gibt es Vorschläge, zum Beispiel einenVorschlag des Internationalen Währungsfonds. Wir wol-len, dass die Euro-Zone für einen solchen Fall im Vor-feld selbst Regelungen trifft. Wir haben in der Tat erneuteinen Vorschlag markiert, den der CSU-Parteitag im Ok-tober letzten Jahres einstimmig beschlossen hat.
Auch in anderen Parteien gibt es klare Beschlüsse dahingehend, dass über das Thema, wie man die Euro-Zoneinsgesamt zusammenhalten kann, sehr grundsätzlichnachgedacht werden muss. Das haben wir getan. Wirwissen sehr wohl, dass die Bundesregierung zum jetzi-gen Zeitpunkt nicht der Adressat ist, wenn es darumgeht, diese Debatte zu führen; denn es sind Entscheidun-gen getroffen worden, deren Umsetzung jetzt ansteht.Ich will durchaus anerkennen, dass wir am Beispiel Por-tugal sehen können, dass die vereinbarten Reformmaß-nahmen greifen. Darauf sollten wir uns konzentrieren.Wissen Sie, Herr Kollege Liebich, ich gehöre zu de-nen, die in der letzten Legislaturperiode hin und wiederdifferenziert abgestimmt haben. Ich habe dem Hilfspaketfür Portugal zugestimmt, und ich sehe mich durch dieEntwicklung in Portugal bestätigt,
dass die Ziele bei strikten Auflagen auch erreicht werdenkönnen. Ich habe auch dem Reformpaket für Irland zu-gestimmt, und ich sehe mich auch da durch die Entwick-lung bestätigt. Deswegen lege ich weiterhin Wert darauf,festzustellen, dass wir zwar einerseits bereit sind, solida-risch zu helfen, aber andererseits auch klare Anforderun-gen formuliert werden müssen. Das wird auch in Zu-kunft so bleiben.Deswegen, meine Damen und Herren, bleibt solideHaushaltsführung bedeutsam. Auch auf EU-Ebene ha-ben wir das jetzt in einem großen Schritt verwirklicht:Im mehrjährigen Finanzrahmen muss erstmals die euro-päische Ebene selbst Haushaltsdisziplin üben. Wir habenalso einiges erreicht.Wir wollen auf diesem Weg weitergehen. Wir wollenkeine Haftungsunion, wir wollen Schulden nicht verge-meinschaften, weder Staatsschulden noch Bankenschul-den. Mit Rücksicht auf kommende Generationen lehnenwir eine Vergemeinschaftung von Schulden in Europaab. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Haushaltsstabili-tät und wirtschaftliche Dynamik gehören zusammen.Schuldentilgung und Wachstum führen gemeinsam zumErfolg.
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Thomas Silberhorn
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, es kommtimmer wieder die Forderung, dass Europa jetzt bürger-näher und transparenter werden müsse. In dieser Allge-meinheit kann man das teilen; aber wir müssen auchkonkret überlegen, was wir tun können, um die Bürgerwieder für Europa zu gewinnen. Dafür ist es notwendig,dass sich die Europäische Union klare Ziele setzt. Dafürist es notwendig, dass die Bürger stärker beteiligtwerden. Die Prinzipien der Subsidiarität und der Regiona-lität sind die Schlüssel dafür. Wir brauchen einen Aus-gleich zwischen regionalen, nationalen und europäischenInteressen. Das Prinzip der Subsidiarität ist der Violin-schlüssel dafür, dass dieser Ausgleich in angemessenerForm gelingen kann.
Wir brauchen eine starke Europäische Union, wenn esdarum geht, das Gewicht Europas in der Welt zur Gel-tung zu bringen. Aber wir brauchen eine schlanke Euro-päische Union, wenn es darum geht, den Alltag vonBürgern und Betrieben zu regulieren. Durch beides zu-sammen wird ein Schuh daraus. Themen wie die Ener-giewende oder die Digitale Agenda müssen wir stärkereuropäisch angehen. Es gibt aber auch Kompetenzen, beidenen wir die Frage stellen müssen, ob diese Kompeten-zen auf regionaler Ebene nicht besser angesiedelt wären –wie wir das ganz konkret für die Daseinsvorsorge vor-schlagen.Herr Präsident, ich sehe, meine Zeit ist abgelaufen.Mir wurde gesagt, dass die Kollegen Kauder undSchockenhoff noch viele Minuten für mich übrig gelas-sen hätten. Vielleicht lässt sich das klären?
Die sind wahrscheinlich für weitere Debatten vorge-
sehen.
Dann will ich damit schließen, dass die Mitarbeit an
der europäischen Integration eine der zentralen Aufga-
ben der neuen Bundesregierung und dieses Bundestages
bleibt. Solange wir uns über den richtigen Kurs für die
europäische Integration heftig streiten können, so lange
machen wir auch deutlich, dass uns die europäische Inte-
gration wichtig ist. Daran will ich gerne mitwirken.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen undKollegen! Im Zusammenhang mit den Verhandlungenüber die Östliche Partnerschaft beraten wir über einwichtiges Instrument der europäischen Außenpolitik.Nachdem meine Fraktionskollegen schon ausführlichdazu Stellung bezogen haben, möchte ich mich in mei-nen Ausführungen darauf beschränken, drei Länder kon-kret anzusprechen.Zunächst möchte ich etwas zu Weißrussland sagen.Wir haben Weißrussland 2009 die Tür zur Teilnahme ander Östlichen Partnerschaft offen gehalten, dabei aberdie Erwartung geäußert, dass sich die Lage der Men-schen in Weißrussland verbessert.Wie vorhin schon in der Debatte gesagt worden ist:Lukaschenko ist der letzte Diktator auf dem europäi-schen Kontinent. Die Situation in diesem Land ist nichtbesser, sondern schlechter geworden. Deshalb möchteich auch bei dieser Debatte wie schon oft hier im Deut-schen Bundestag für meine Fraktion die Gelegenheitnutzen, das Engagement des Deutschen Bundestages,aber auch der Regierung für die Opposition in Weißruss-land hervorzuheben und deutlich zu machen, dass wirdas Vorgehen Lukaschenkos gegen die Zivilgesellschaftnicht dulden, sondern die Opposition weiter massiv un-terstützen wollen.
Viele Abgeordnete hier haben Patenschaften für poli-tische Gefangene übernommen. Der junge Mann, für denich seit Jahren die Patenschaft übernommen habe, istVorsitzender einer politischen Jugendorganisation. HerrDashkevich ist vor kurzem aus dem Gefängnis entlassenworden, und nur weil er erneut unter dem Verdachtstand, politisch aktiv zu sein, ist er wieder in Untersu-chungshaft gekommen. Vor diesem Hintergrund appel-liere ich daran, dass Lukaschenko in sich geht und über-legt, ob das der richtige Weg ist. Ansonsten müssen wirmit all den uns zur Verfügung stehenden Maßnahmendarum werben, dass Weißrussland den politischen,diplomatischen und wirtschaftlichen Druck der westli-chen Gemeinschaft zu spüren bekommt.
Gerade unser Kanzleramtschef Ronald Pofalla setzt sichdort sehr stark ein. Ich möchte ihm an dieser Stelle dafürdanken; denn Weißrussland steht nicht jeden Tag im Fo-kus der Debatte.Auch zur Ukraine haben meine Vorredner schon et-was gesagt. Bei der Ukraine erwarten wir natürlich mitSpannung, wie es im Fall Timoschenko weitergeht. Aberich möchte das nicht nur an diesem Fall festmachen;Julija Timoschenko steht ja nur als Pars pro Toto fürgroße Unregelmäßigkeiten, die es im ukrainischenRechts- und Justizwesen gibt.Es gibt Signale aus der Ukraine, dass das Parlamentuns morgen eventuell eine Lösung präsentieren und amDonnerstag weiter gehende Schritte, die wir als Prinzi-pien und Entscheidungsparameter für unseren Findungs-prozess deutlich gemacht haben, auf den Weg bringenkönnte. Ich formuliere das extra vorsichtig, weil ich mirnicht sicher bin, inwiefern das, was uns kürzlich und
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Philipp Mißfelder
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auch am heutigen Tag präsentiert worden ist, von Dauersein wird. Die Ukraine hat lange genug Zeit gehabt, alldie Kriterien zu erfüllen, die in mühsamen Verhandlun-gen immer wieder auf die Tagesordnung gebracht wor-den sind. Deshalb glaube ich nicht, dass die Situation inder Ukraine durch einen einfachen Parlamentsbeschlussbesser wird, sondern wir müssen erst einmal abwarten,was in dem Land tatsächlich langfristig passiert.Aber auch hier sage ich: Die Östliche Partnerschaft istnicht nur auf kurzfristige Entwicklungen in den betroffe-nen Ländern ausgerichtet, sondern sie ist für uns langfris-tig ein strategisches Instrument, um über den Rahmender Europäischen Union hinaus Offenheit gegenüber denöstlichen Partnern zu zeigen. Deshalb ist die Frage derPartnerschaft, egal wie schwierig die Situation in derUkraine auch sein mag, für uns nicht ganz einfach zu be-antworten; denn wir wollen dieses Land auch nicht auf-geben. Mit Blick auf den Interessenausgleich, den dieBundeskanzlerin gegenüber Russland angesprochen hat,wollen wir gleichzeitig deutlich machen, dass auch dieEuropäische Union ein geopolitisches Interesse hat,wenn es um die früheren Länder der Sowjetunion insge-samt geht.Zum Abschluss möchte ich auf ein Land eingehen,das insbesondere in unserer Fraktion sehr viel Aufmerk-samkeit genießt, nämlich die Republik Moldau.
Die Bundeskanzlerin hat Moldau vor einem Jahr be-sucht. Wir befinden uns in einer Situation, in der ich da-rauf hinweisen muss, dass unsere Partner in diesem Landgerade jetzt unsere Unterstützung brauchen; denn derökonomische Druck und der politische Druck innerhalbdes Landes werden immer größer, und der engagierteVorwahlkampf, der durch die Kommunisten dort geradebetrieben wird, setzt der Regierung massiv zu. Deshalbmüssen wir gerade diesem Land die europäische Per-spektive aufzeigen und dafür sorgen, dass die Regierungihrer eigenen Bevölkerung auch Erfolge vorweisenkann.Daher spreche ich mich nachdrücklich dafür aus, dasswir dort gerade beim Thema Visaliberalisierung Offen-heit zeigen; denn ich glaube, gerade die Regierung inMoldau, in Chisinau, hat zum jetzigen Zeitpunkt unsereUnterstützung verdient.
Eine Zwischenfrage der Kollegin Beck, bitte schön.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Herr Kollege, ich möchte Ihnen gerne noch zwei
Minuten Redezeit verschaffen, weil Sie nichts zu Aser-
baidschan gesagt haben. Über Aserbeidschan zu spre-
chen, halte ich aber auch deswegen für wichtig, weil ge-
rade aus Ihrer Fraktion heraus der Verlauf der Wahlen in
Aserbaidschan als durchaus annehmbar bezeichnet wor-
den ist, die Menschenrechtslage dort katastrophal ist und
wir davon ausgehen müssen, dass es viele politische Ge-
fangene gibt, wobei aus der CDU/CSU-Fraktion immer
wieder eine gewisse Unschärfe kommt, um es vorsichtig
zu formulieren.
Was Aserbaidschan angeht, glaube ich, dass auch aus
unserer Fraktion Wahlbeobachter vor Ort waren. Ich
müsste mich erst einmal schlaumachen, wer das tatsäch-
lich war. Aber soweit ich weiß, ist der Bericht, der durch
die Delegation der OSZE vorgelegt worden ist, sehr kri-
tisch gewesen. Wir sind natürlich auch jederzeit bereit,
uns damit auseinanderzusetzen.
Ich finde, angesichts der Situation in Armenien, das
sich bewusst für die russisch dominierte Zollunion ent-
schieden hat, und der Tatsache, dass in Baku kaum
Nachdruck an den Tag gelegt wird, damit Aserbaidschan
ein Teil der Östlichen Partnerschaft – außer der wirt-
schaftlichen Seite – werden kann, muss man die Ent-
wicklung der Östlichen Partnerschaft mit großem Inte-
resse betrachten. Wir haben für alle diese Länder die Tür
geöffnet: Aus unterschiedlichen Gründen sind sie entwe-
der bereit, durch diese Tür hindurchzugehen, wie die Re-
publik Moldau, oder eben nicht, wie Armenien und zum
Teil Aserbaidschan. Aus unserer Sicht stellt sich die
Frage, inwieweit es die Länder der Östlichen Partner-
schaft ernst meinen, bei diesem Vehikel mitarbeiten zu
wollen.
Was die Menschenrechtssituation angeht – wir haben
darüber schon oft diskutiert; ich glaube, vor einigen Jah-
ren ist auch eine Resolution des Deutschen Bundestages
zu diesem Thema verfasst worden –, scheint die Situa-
tion etwas besser geworden zu sein, zumindest wenn ich
den Bericht richtig gelesen habe. Ich selber war nicht als
Wahlbeobachter bei der Wahl in Baku. Deswegen kann
ich dazu nichts sagen. Mir ist aber auch keine Äußerung
aus meiner Fraktion dazu bekannt; das muss ich ganz of-
fen sagen.
– Ja. Für ein Mitglied unserer Fraktion gab es ein Einrei-
severbot.
– Man kann doch Nachfragen stellen.
Nein. Wir sind jetzt langsam am Ende der vereinbar-
ten Gesamtredezeit, Herr Kollege Mißfelder. Das kann
nicht durch bilaterale Vereinbarungen außer Kraft ge-
setzt werden.
Die Zeit läuft noch. Aber ich komme zum Schluss.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013 43
Philipp Mißfelder
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Wir legen großen Wert darauf, das Instrument derÖstlichen Partnerschaft im Ausgleich mit den Interessender Russischen Föderation auszubauen. Aber ich willauch deutlich machen: Wir sind als CDU/CSU-Bundes-tagsfraktion massiv daran interessiert, dass die Europäi-sche Union nicht nur als ökonomischer Raum gesehenwird, sondern dass die Wertegemeinschaft der Europäi-schen Union auch tatsächlich deutlich macht, dass diesesAngebot nicht nur auf Freihandel, Handel und Trans-portwegen beruht, sondern auch mit Demokratisierung,Justizwesen und Antikorruption einhergehen muss. Dassind die Eckpfeiler, die für uns neben den ökonomischenAspekten wichtig sind.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.Bevor ich über den Entschließungsantrag der FraktionDie Linke auf der Drucksache 18/64 abstimmen lasse,will ich noch einmal darauf hinweisen, dass aus gutenGründen in dieser Diskussion außer der Aussprache überdie Regierungserklärung zum EU-Gipfel die Frage derAuszahlung der EU-Tranche an Portugal eine Rolle ge-spielt hat. Das ist deswegen von Bedeutung, weil dienach unseren gesetzlichen Regelungen jederzeit mögli-che Stellungnahme des Bundestages, wenn sie denn ge-wünscht wäre, heute hätte erfolgen müssen, weil die da-für vorgesehenen Fristen heute auslaufen. Dies hat aberin der Diskussion und offenkundig auch in den Frak-tionsberatungen eine breite Rolle gespielt. Auch der Ent-schließungsantrag der Fraktion Die Linke nimmt daraufausdrücklich Bezug.Ich komme nun zur Abstimmung über den Entschlie-ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache18/64. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit istdieser Entschließungsantrag mit breiter Mehrheit allerübrigen Fraktionen außer den Antragstellern abgelehnt.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:Vereinbarte Debatte:zu den Abhöraktivitäten der NSA und denAuswirkungen auf Deutschland und die trans-atlantischen BeziehungenHierzu liegen wiederum ein Entschließungsantrag derFraktion Die Linke und ein weiterer der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen vor. Auch hier haben die Fraktioneneine Gesamtdebattenzeit von 94 Minuten vereinbart.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offenkundig derFall. Dann ist das so beschlossen.Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wortzunächst dem Bundesinnenminister Dr. Hans-PeterFriedrich.Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-nern:Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren Kollegen! Die deutsch-amerikani-schen Beziehungen sind seit Bestehen der Bundesrepu-blik eng. Sie sind freundschaftlich und partnerschaftlich.Wir haben enge wirtschaftliche Beziehungen. Wir ha-ben, Herr Ströbele, seit vielen Jahrzehnten auch enge au-ßenpolitische Beziehungen. Wir haben eine Gemein-same Außen- und Sicherheitspolitik. Es gilt auch dieinnere Sicherheit in Deutschland und Europa gemeinsamzu schützen. Aber über allem steht – ich glaube, das istnoch sehr viel wichtiger –, dass wir, Deutsche, Europäerund Amerikaner, eine Wertegemeinschaft bilden. Wirbekennen uns in dieser Wertegemeinschaft zu Demokra-tie und Freiheit. Das unterscheidet uns von manch ande-rer Region in der Welt. Auch das darf man in der Diskus-sion hin und wieder erwähnen und vielleicht zurKenntnis nehmen.Wahr ist aber auch, dass jedes gute Verhältnis immerwieder erneuert, erarbeitet und gestärkt werden muss.Die Veröffentlichungen der angeblichen Dokumente desUS-amerikanischen Staatsbürgers Snowden vom Juni2013 waren mehr als irritierend. Sie waren beunruhi-gend. Was aber noch beunruhigender und irritierenderist, ist, dass seit der ersten Veröffentlichung am 5. Juni2013 die Informationspolitik unserer amerikanischenFreunde leider zu wünschen übrig lässt, und das auchzum Schaden der Vereinigten Staaten selbst. So konntebeispielsweise – das ist heute schon kurz angeklungen –im Sommer über Wochen in der europäischen Öffent-lichkeit behauptet werden, dass Millionen Daten monat-lich von der NSA in Deutschland erhoben werden. Dashat natürlich zu großer Aufregung geführt; denn impli-ziert war der Vorwurf, Millionen Bürger in Deutschlandwürden ausgespäht. Dann hat sich im Laufe des Augustsherausgestellt, dass es sich bei den 500 Millionen Daten-sätzen pro Monat, die in Rede standen, um Daten han-delte, die der Bundesnachrichtendienst aufgrund vonGesetzen, die von diesem Parlament verabschiedet wor-den waren, erhoben hat, und zwar in Krisengebieten, un-ter anderem in Afghanistan. Dabei ging es auch darum,den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten sowie un-serer Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sicherzu-stellen. Ich glaube, es ist unsere gemeinsame Aufgabe,das zu tun; denn wenn wir schon Frauen und Männer insolche Krisengebiete schicken, um dort Frieden herzu-stellen und die Interessen Deutschlands, Europas und derganzen freien westlichen Welt zu vertreten, dann müssenwir sie auch entsprechend schützen. Das ist dadurch ge-schehen, dass der Bundesnachrichtendienst Kommuni-kationsdaten in diesen Krisengebieten erhoben hat undgemeinsam mit den amerikanischen Freunden und Part-nern ausgewertet hat.Ich sage ausdrücklich: Das alles hat stattgefunden aufder Grundlage von Gesetzen. Unsere Behörden, sowohlder Verfassungsschutz als auch der Bundesnachrichten-dienst, handeln aufgrund gesetzlicher Vorschriften.Wenn der Bundesdatenschutzbeauftragte heute sagt, esgebe so etwas wie einen kontrollfreien Raum der Nach-richtendienste, dann muss ich dem ausdrücklich wider-sprechen. Der Bundestag hat durch ein sehr enges Ge-flecht aus Kontrollmöglichkeiten sichergestellt, dass zujeder Zeit die Geheimdienste in diesem Land kontrolliertwerden.
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Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich
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– Da können Sie lachen, so viel Sie wollen. – Die Kolle-gen, die Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgre-miums sind und sich stundenlang hinter verschlossenenTüren die Berichte der Präsidenten der Nachrichten-dienste anhören, haben auf jeden Fall den Respekt diesesHauses verdient. Die Kollegen gehen ihrer Aufgabenach.
Des Weiteren gibt es die G-10-Kommission, einge-setzt vom Deutschen Bundestag. Sie befasst sich aus-führlich und detailliert mit der Fragestellung, wann undunter welchen Umständen Nachrichtendienste handelnkönnen. Deswegen irrt der Bundesdatenschutzbeauf-tragte, wenn er glaubt, dass seine Behörde die Überkon-trollbehörde sei.
Nein, neben dem PKGr und neben der G 10 gibt es auchden Bundesdatenschutzbeauftragten. Das wollte ich nursagen, weil die Kritik heute von den Agenturen verbrei-tet wurde, die aber meines Erachtens nicht gerechtfertigtist.
Aber nun zum Schweigen unserer amerikanischenFreunde, das leider dazu führt, dass es allerhand Ver-schwörungstheorien
und in der Zwischenzeit ein Misstrauen sowohl in derWirtschaft als auch in der Politik und in der Bevölkerunggibt.
Deswegen kann man mit Fug und Recht davon sprechen,dass das Vertrauen, das notwendig ist, damit Deutsch-land und Amerika auf guter Basis auch in der Zukunftweiter zusammenarbeiten, gestört ist und wiederherge-stellt werden muss. Die Amerikaner müssen aufklären.Sie dürfen sich nicht in Widersprüche verstricken. Dasgilt im Übrigen auch für die Vorwürfe, die in den Raumgestellt worden sind und die das angebliche Abhören desHandys der Frau Bundeskanzlerin angehen.
Ich möchte an der Stelle sagen, dass es auch dazu bisherkeine ausreichenden Einlassungen und Informationender amerikanischen Partner gibt. Ich kann Ihnen aberauch sagen, dass sich jeder, der ein Handy oder Kommu-nikation in Deutschland abhört, egal ob es die Kommu-nikation von Bürgern oder die Kommunikation von Be-hörden oder Regierungsmitgliedern ist, strafbar macht.Wann immer strafbares Handeln im Raum steht bzw. einhinreichender Anfangsverdacht besteht, gehen unsereErmittlungsbehörden diesen strafbaren Handlungen nachund nehmen Ermittlungen auf.Deswegen werden auch in der Frage, ob das Handyder Bundeskanzlerin abgehört worden ist, die zuständigeStaatsanwaltschaft oder die Generalbundesanwaltschaftentscheiden, wie zu ermitteln ist. Das ist in einemRechtsstaat so vorgesehen. Das macht nicht die Politik,sondern das machen rechtsstaatliche Stellen – Staatsan-wälte, Generalstaatsanwälte –, wenn sie einen Verdachthaben. Sie vernehmen auch Zeugen, wenn von diesenZeugen etwas zu erwarten ist.Die Aufklärungsbemühungen der Bundesregierungebenso wie die der Europäischen Union sind umfang-reich. Wir, sowohl die Justizministerin als auch ich, ha-ben schriftliche Anfragen gestellt, und zwar schon imJuni. Es wurde uns bisher nur ein Teil dieser Anfragenbeantwortet. Es wurde eine Vielzahl von Delegationsrei-sen in die eine wie in die andere Richtung durchgeführt;hochrangige Gespräche fanden statt. Die amerikanischeRegierung ist hierdurch sehr frühzeitig problembewusstgeworden.
Wenn der amerikanische Außenminister heute eineReise nach Europa plant, dann ist das, glaube ich, einZeichen dafür, dass die Gespräche gewirkt haben.Wir haben eine umfangreiche technische Sonderprü-fung durch unseren Bundesverfassungsschutz vorneh-men lassen. Wo immer irgendwelche Vorwürfe im Raumstanden, hat der Verfassungsschutz umgehend Ermittlun-gen aufgenommen. Wir haben die Provider informiertund versucht, herauszufinden, ob es an irgendwelchenKnoten tatsächlich unerlaubte Zugriffe gegeben hat. Alldiese Dinge sind erfolgt.Die Demokratie kennt aber noch weitere Mechanis-men. Wir sehen das derzeit in den Vereinigten Staaten.Im amerikanischen Parlament, im amerikanischen Kon-gress, genauso wie in der Öffentlichkeit gibt es einebreite Diskussion, und es werden die Fragen gestellt,was die amerikanischen Geheimdienste dürfen – die-selbe Frage stellen auch wir im Deutschen Bundestag –,ob die Verhältnismäßigkeit gegeben ist und wie man mitFreunden umgeht. Daran können Sie erkennen, dass De-mokratien verschiedene Wege und Mechanismen haben,diesen Selbstreinigungsprozess, wo er notwendig ist,durchzuführen. Dass der amerikanische Präsidenthöchstpersönlich einen Bericht über die Spionagetätig-keit seiner Behörden angeordnet hat und dieser Berichtam 15. Dezember vorliegen soll, ist, glaube ich, einwichtiger Punkt. Auch wir erwarten umfangreiche Infor-mationen aus diesem Bericht.Was haben wir veranlasst, und was planen wir, um dieSpionageabwehr zu verstärken? Zum Ersten: Das Bun-desamt für Verfassungsschutz hat im Rahmen eines Re-formprozesses, der im Frühjahr angestoßen wurde,schon im April und Mai angefangen, die Spionageab-wehr personell, organisatorisch und technologisch zuverstärken. Wir haben dafür gesorgt, dass in einem en-gen Dialog mit der Internetwirtschaft, angestoßen durchdie Bundeskanzlerin in einem IT-Gipfelprozess, seit vie-len Jahren die Fragen der Sicherheit im Internet erörtertwerden und auch auf ihre technologische Machbarkeithin überprüft werden.
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Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich
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Wir brauchen mehr und bessere Verschlüsselungen;das ist ein wichtiger Punkt. Dafür brauchen wir aberauch vertrauenswürdige Hersteller und Dienstleister.Das Ganze ist eine zentrale Aufgabe, die wir gemeinsamangehen müssen. Wir können die digitale SouveränitätEuropas nur dann erhalten, wenn es uns gelingt, in derZukunft die technologische Souveränität über die Netz-infrastruktur und die Netztechnik zu erlangen und zuverstärken.
Hier liegt im Übrigen eine wichtige Aufgabe für dieEuropäische Union. Wenn man nach den großen euro-päischen Themen und Aufgaben fragt, dann bekommtman zur Antwort, dass es eine wichtige Aufgabe ist,auch in der Netzpolitik die technologische SouveränitätEuropas herzustellen, um sicherzustellen, dass wir in derdigitalen Welt ebenfalls souverän bleiben. Wir müssendas Vertrauen der Wirtschaft stärken. Die Allianz für Cy-ber-Sicherheit hat dafür gesorgt, dass wir mit den mittel-ständischen und mit den großen Unternehmen pragmati-sche Lösungen finden können.Ich habe bereits zu Beginn des Jahres den Entwurf ei-nes IT-Sicherheitsgesetzes vorgelegt, bei dem es darumgeht, zusammen mit den Betreibern kritischer Infrastruk-tur jederzeit ein Lagebild über Angriffe auf die Netzeund Sabotage der Netze erstellen zu können. Ich hoffe,dass wir diesen Entwurf eines Sicherheitsgesetzesschnell in diesem Hause verabschieden können.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir prüfen,in welchem Maße es möglich und unter Kostengesichts-punkten sinnvoll ist, dass wir in der Zukunft die Mög-lichkeit eines europäischen Routings, also des Durchlei-tens von Daten nur über europäische Netze, anbieten. Ichglaube, dass das wichtig ist. Ich habe mich in der vergan-genen Woche mit der EU-Kommissarin Kroes über dieFrage einer europäischen Cloud, also einer sicherenCloud für die Aufbewahrung von Daten europäischerBürger, unterhalten. Ich meine, dass es eine wichtigeAufgabe der Europäischen Union in der Zukunft seinkann, einen Rechtsraum, einen Wirtschaftsraum, einenSicherheitsraum zum Schutz der Daten herzustellen.Wir müssen auf europäischer Ebene die Datenschutz-Grundverordnung sehr schnell umsetzen. Ein wichtigerPunkt in dieser Datenschutz-Grundverordnung ist füruns, dass sichergestellt sein muss, dass, wann immer Da-ten europäischer Bürger an Behörden ausländischerStaaten ausgeliefert werden, Transparenz gewährleistetwird. Jeder Bürger muss das Recht haben, gegen einesolche Auslieferung vorgehen zu können.Schließlich ist es wichtig, dass wir auch im Verhältnismit unseren amerikanischen Freunden, insbesonderehinsichtlich unserer Beziehungen in wirtschaftlicher undsicherheitspolitischer Hinsicht, deutlich machen, dasswir ein gemeinsames Verständnis von Datenschutz undDatensicherheit entwickeln müssen.
Herr Minister, Sie müssen zum Schluss kommen.
Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-
nern:
Ich komme zum Ende. – Deswegen ist es wichtig,
dass wir eine Art digitale Grundrechtscharta auf den
Weg bringen und ein gemeinsames Verständnis entwi-
ckeln.
Aber über allem, meine sehr verehrten Damen und
Herren, steht, dass wir die enge Partnerschaft mit unse-
ren amerikanischen Freunden und Partnern brauchen,
auch um die Sicherheit der Bürger in diesem Land in der
Zukunft gewährleisten zu können.
Vielen Dank.
Der nächste Redner ist Dr. Frank-Walter Steinmeier.
Frau Präsidentin, vorab wünsche ich Ihnen für Ihre
neue Aufgabe eine glückliche Hand.
Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Kaum Vorstellbares ist geschehen. Ich hätte mir jeden-falls bis vor einigen Wochen nicht vorstellen können,dass Mobiltelefone deutscher Regierungschefs systema-tisch und über Jahre hinweg abgehört worden sind, undzwar von Freunden. Wir müssen inzwischen wohl leiderdavon ausgehen, dass vorhandene Hinweise der Wahr-heit entsprechen. Ich bin nicht bereit, mit allfälligen For-meln wie „Das machen doch alle“ darüber hinwegzuge-hen. Ich hoffe, es machen eben nicht alle unsererFreunde. Ich hoffe vor allem, dass es denjenigen, dienicht zu unseren Freunden zählen, nicht gelingt. Vor al-lem gibt es keine Rechtfertigung, die notwendige Auf-klärung – wir alle sehen das so – in eine ferne Zukunftzu verschieben. Wir brauchen diese Aufklärung, weilschlicht und einfach Vertrauen verloren gegangen ist. Ei-nes kann man mir abnehmen: Ich habe keine Freude andiesem transatlantischen Streit; ganz im Gegenteil. Aberich sage Ihnen auch: Alle Versuche diesseits und jenseitsdes Atlantiks, das Geschehene zu banalisieren, zum Ka-valiersdelikt herunterzuspielen, dürfen wir nicht akzep-tieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Deutschland ist fester Bestandteil des transatlanti-schen Bündnisses, und das ist nicht nur ein Bündnis, dasauf Dauer angelegt ist, sondern, wie wir alle miteinanderimmer wieder sagen – die Frau Bundeskanzlerin hat esin ihrer Regierungserklärung auch noch einmal gesagt –,auch ein Bündnis, das sich auf gemeinsame Werte grün-
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Dr. Frank-Walter Steinmeier
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det. Ein solches Bündnis kann nur bestehen, wenn mandie Regeln des Umgangs in einem solchen Bündnis mit-einander und untereinander tatsächlich beachtet. Einedieser Regeln heißt doch wohl, dass Spionage unterFreunden sich nicht gehört. Sie ist überflüssig, liebeFreunde, und gehört sich einfach nicht.
Schon deshalb müssen wir auf Aufklärung dringen.„Wie lange gibt es diese Praxis schon?“, ist die ersteFrage. Wann hat sie begonnen? Was war der Anlass?Wurden nur Regierungschefs ausgespäht? Oder beziehtsich das auch auf andere? Wenn ja, wer wurde von derNSA ins Visier genommen? Wer hat die Daten ausge-wertet? Wie wurden sie genutzt? War das Weiße Hausüber Ausspähaktionen informiert? Haben sie in der ame-rikanischen Deutschlandpolitik eine Rolle gespielt? Dasmuss man doch wissen, meine Damen und Herren, bevorman in den Alltag des deutsch-amerikanischen Ge-schäfts zurückkehrt. Wir müssen wieder Grund unter denFüßen bekommen, weil wir alle miteinander wissen, ausder nationalen Politik wie aus der internationalen Politik:Auf Misstrauen jedenfalls lässt sich keine Zukunft grün-den. – Das gilt auch hier.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, das, was ich Ihnen vorgetragen habe, ist imGrunde genommen dramatisch genug. Aber natürlich:Es geht nicht nur um Politiker und Spionage im politi-schen Raum; vor allen Dingen geht es um die Fragen,die mindestens genauso offen sind: In welchem Umfangist der Internetverkehr deutscher Bürgerinnen und Bür-ger überwacht worden, in welchem Umfang wurde mög-licherweise auch deutschen Unternehmen hinterherspio-niert?Wenn große amerikanische Internetunternehmen,Dienstleister in der Internetbranche, jetzt um ihren gutenRuf fürchten, dann mag das berechtigt sein. Aber dieentscheidende Frage ist doch: Wie gelingt es uns, in ei-ner digital vernetzten Welt und angesichts neuer Bedro-hungen, die es ganz offenbar gibt, Freiheit und Sicher-heit wieder ins Lot zu bringen? Da ist in den letztenJahren doch offenbar ganz vieles aus den Fugen geraten.Da geht es um mehr als um die Frage, ob Spionage zwi-schen Freunden erlaubt ist oder nicht; es geht auch umdie Frage: Wie sichern wir im 21. Jahrhundert unter völ-lig veränderten Kommunikationsbedingungen eigent-lich den Schutz der Privatsphäre der Bürger als elemen-tares Grundrecht? Die erste Regel, von der ich sagenwürde, dass sie doch gelten muss, ist: Nicht alles, meineDamen und Herren, was technisch möglich ist, ist auchrechtlich erlaubt oder politisch klug.
Deshalb darf man sich im weiteren Gefolge der De-batten und Verhandlungen, die wir jetzt möglicherweisemit den amerikanischen Freunden führen werden, amEnde nicht mit unverbindlichen Absprachen zufrieden-geben. Wir brauchen belastbare, überprüfbare Verein-barungen, sodass massenhaftes Ausspähen, was esmöglicherweise gegeben hat, und Nachspionieren beiWirtschaftsunternehmen in Zukunft ausgeschlossensind.
Wir brauchen das nicht nur, meine Damen und Her-ren, sondern – auch das, lieber Herr Friedrich, ist Teilvon Souveränität – wir werden dafür eintreten müssenund wir werden dafür kämpfen müssen. Vom Himmelfällt das nicht.
Hier geht es nicht um irgendetwas, sondern es gehteben um das, was ich am Anfang gesagt habe: Wenn sichdieses Bündnis auf Werte gründet, dann geht es jetzt inden nächsten Monaten, vielleicht auch Jahren, um dieGlaubwürdigkeit dieser transatlantischen Wertegemein-schaft. Gott sei Dank sind wir nicht die Einzigen, die dasso sehen. Wenn ich die Debatte auf der anderen Seite desAtlantiks richtig beobachte, dann gibt es inzwischenauch dort viel Unbehagen, viel Empörung über wildge-wordene Dienste, die niemanden oder möglicherweisenicht die Richtigen in der Politik über das, was sie tun,informiert haben. Da wächst Entrüstung, auch in denParlamenten in den USA. Auch dort wächst das Be-wusstsein – davon bin ich fest überzeugt –, dass manSpionage gegen Freunde nicht schlicht und einfach miteinem Schulterzucken abtun kann.
Ich glaube – das gilt für die Menschen bei uns wieauch in den USA –, dass die Menschen spüren, dass eshier nicht um eine einmalige Verfehlung geht oder da-rum, dass jemand über seine Befugnisse hinausgegangenist. Ich glaube, dass die Menschen spüren – darum hatdie Debatte in diesem Jahr eine solche Wucht –, dass dasehr grundsätzliche Fragen berührt sind, dass es darumgeht, wie wir individuelle Freiheitsrechte und damitRechtsstaatlichkeit und Demokratie im digitalen Zeital-ter gewährleisten können.Es geht um die Fragen: Welche moralischen, rechtli-chen und politischen Leitplanken brauchen wir eigent-lich, um in diesem 21. Jahrhundert mit verändertenKommunikationsbedingungen, neuen Risiken und demMachthunger, etwa von Diensten, umzugehen? Was istdie Aufgabe von Politik und dieses Deutschen Bundesta-ges? Es geht nicht nur darum, über die moralischen Leit-planken zu reden und zu diskutieren, möglichst auchstreitig, sie am Ende vielleicht zu definieren, sondern esgeht auch darum, dass man aus diesen moralischen Leit-planken wieder geltendes Recht macht.
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Dr. Frank-Walter Steinmeier
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Ich habe einmal an anderer Stelle gefragt: Was ist ei-gentlich die große zivilisatorische Leistung des 20. Jahr-hunderts gewesen? Was ist mit dem Völkerbund, denVereinten Nationen und der UNO-Charta? Man hat ausMachtungleichgewichten Recht gemacht, man hat Un-gleichgewichte in Recht aufgelöst. Im Grunde genom-men ist die Aufgabe, die wir jetzt im 21. Jahrhundert voruns haben, nicht kleiner. Es geht nicht um Machtun-gleichgewichte, sondern darum, die Unterschiede beiden technischen Möglichkeiten, die aber eben nur eini-gen wenigen auf der Welt zur Verfügung stehen, in Rechtzu übersetzen und Ungleichgewichte durch Recht auszu-gleichen.Das wird ohne politische Verhandlungen nicht ge-schehen können. Ich misstraue ein wenig all den Ankün-digungen, die ich gelesen habe, man könne diesen Aus-gleich auf technische Art und Weise herstellen. Ichmisstraue dem, weil ich weiß: Wir leben auf keiner Insel,sondern das Netz ist worldwide. Ich bin sicher, wir allemiteinander werden die Zeit nicht zurückstellen können.Die Lösungen hierfür werden wir nicht aus Lösungender Vergangenheit ableiten können. Wenn wir in Zukunftdiese Balance von Sicherheit und Freiheit wiederherstel-len können, dann werden wir nicht die Übersichtlichkeitder alten Welt zurückgewinnen, sondern wir werden Re-geln für diese neue Welt brauchen. Ich glaube, das wirdam Ende nicht durch technische Abschottung geschehenkönnen.Ich habe viel dafür übrig, dass sich deutsche und eu-ropäische Dienstleister stärker präsentieren. Ich habenichts dagegen, wenn sie sagen: Deutsche Sicherheits-standards können sogar ein Wettbewerbsvorteil gegen-über anderen sein. – Aber ich glaube, helfen wird dasnicht, weil auch deutsche Dienstleister in der Regel in-ternationale Eigentümer haben, weil auch deutsche Un-ternehmen international vernetzt sind. Deshalb glaubeich, dass wir es nur politisch gemeinsam schaffen, dieserZügellosigkeit der Datenfischerei wieder Einhalt zu ge-bieten.
Wir brauchen wirklich so etwas – ich habe das schon an-gedeutet – wie ein Völkerrecht im Netz. Das müssen wirhinbekommen. Dafür ist Politik da.
Bevor wir an die Gestaltung der Zukunft gehen, müs-sen wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen. DieAufklärung ist eben noch lange nicht erledigt, wie man-che das im Sommer gehofft haben. Trotzdem bleibt dieFrage, welches Instrument das richtige ist, um Licht indiese Affäre, um Licht ins Dunkel zu bringen. Es kannsein – wie viele sagen –, dass das ein parlamentarischerUntersuchungsausschuss ist, dass der parlamentarischeUntersuchungsausschuss das schärfste Aufklärungs-instrument ist. Kann sein! Ich rate uns nur zum gegen-wärtigen Zeitpunkt, darüber nachzudenken, ob das wirk-lich auch richtig ist. Mindestens, würde ich sagen,besteht die Gefahr, dass wir uns in einen Prozess stetigerparlamentarischer Selbstenttäuschung hineinbringen,wenn am Anfang einer jeden Sitzung des parlamentari-schen Untersuchungsausschusses mitgeteilt werdenmuss, dass dieser oder jener Zeuge, den wir aus demAusland eingeladen haben, dass dieses oder jenes Doku-ment, das wir von den Amerikanern eingefordert haben,nicht gekommen ist. Weil uns das alles fehlt, könnte dieFolge sein, dass wir uns am Ende mehr mit den Opfernvon staatlichen Überwachungsaktivitäten beschäftigenals mit denjenigen, die dafür verantwortlich sind. Das istam Ende auch nicht der Sinn eines parlamentarischenUntersuchungsausschusses.
Herr Kollege Steinmeier, auch Sie müssen zum Ende
kommen.
Ich bin fertig. – Wir müssen uns deshalb gar nicht ge-
gen ein solches Instrument entscheiden. Ich schlage vor,
dass wir uns zu Gesprächen zwischen den Fraktionen zu-
sammensetzen und überlegen, was das richtige Instru-
ment ist unter Einbeziehung der Frage, ob ein institutio-
nell aufgerüstetes Parlamentarisches Kontrollgremium
diese Aufgabe nicht auch, vielleicht sogar besser erledi-
gen kann. Ich hoffe, dass es zu solchen Gesprächen zwi-
schen den Fraktionen kommt.
Herzlichen Dank.
Der nächste Redner ist Dr. Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Auch von uns alle guten Wünschefür Sie.Meine Damen und Herren! Wir haben es mit einemSkandal zu tun, der in seinem Ausmaß in dieser Art bis-her noch nicht vorgekommen ist. Er bringt die Bevölke-rung dazu, sich eine Vielzahl von Fragen zu stellen. Dieerste Pflicht der Regierung wäre gewesen: Aufklärung,Aufklärung, Aufklärung. Sie haben aber in Wirklichkeitdas Gegenteil betrieben.
Was haben eigentlich die amerikanischen und briti-schen Geheimdienste gemacht? Sie nutzen die Internet-technologien, um jedes Land in der Welt auszuspähen,egal ob Freunde oder Feinde. Das spielt für sie gar keineRolle. Es sind fünf Länder, die das machen, die berühm-ten „Five Eyes“, die fünf Augen: die USA, Großbritan-
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Dr. Gregor Gysi
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nien, Australien, Kanada und Neuseeland. Nur unter-einander spionieren sie nicht; aber den ganzen Rest derWelt spionieren sie aus. „Untereinander“ stimmt aller-dings auch nicht ganz – ich werde Ihnen von einemTrick berichten –: Der NSA ist es nämlich verboten, inbestimmten Fällen US-Bürgerinnen und US-Bürger ab-zuhören. Das macht dann für sie der britische Dienst undschickt ihr die Daten. So wird da getrickst. Das ist dieRealität, um die es geht.Das Ganze steht unter dem Stichwort Bekämpfungvon Terrorismus, von Drogenkriminalität. Eine flächen-deckende, umfassende Überwachung der Bevölkerungenfast aller Staaten hat etwas mit der Bekämpfung von Ter-rorismus und Drogenkriminalität zu tun? In welchemVerdacht steht eigentlich unsere Kanzlerin, wenn auchderen Handy abgehört wird? Ich glaube, bei dieser Be-gründung wird es doch grotesk.
Ich muss ganz klar sagen: Von der Existenz und demUmfang dieses Überwachungssystems wissen wir nurdurch Edward Snowden. Es ist sein großes Verdienst. Erist kein Krimineller, sondern er will die Weltbevölke-rung vor Kriminalität schützen.
Was hat er schon erreicht? Er hat eine andere Sensibilitäterreicht. Ich hoffe, dass sich vieles ändern wird. Des-halb schulden wir Edward Snowden Dank. Es gibt ei-nen sehr schönen Satz von Christa Wolf in ihrem RomanKassandra. Dort heißt es:Das alte Lied: … Und dass wir lieber den bestrafen,der die Tat benennt, als den, der sie begeht:Genau das muss sich ändern.
Aufgrund der Veränderungen, die wir erlebt haben,schlage ich vor, Edward Snowden den Friedensnobel-preis zu verleihen. Er hat ihn verdient.
Ja, er hat ihn verdient.
– Ob sie sich nach meinem Vorschlag richten, ist eineandere Frage. Aber vorschlagen darf ich es doch noch.Oder darf ich das auch nicht mehr?Was wissen wir? Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter derUS- und der britischen Botschaft haben direkt hier imRegierungsviertel abgehört. Warum haben Sie – dieBundesregierung, der Außenminister – nicht den Mut,jede einzelne dieser Personen zur Persona non grata zuerklären? Das sieht das Völkerrecht in einem solchenFalle vor. Dann müssten sie innerhalb einer bestimmtenFrist Deutschland verlassen, und die US-Regierung unddie britische Regierung wüssten: Wir dulden eine solcheVorgehensweise nicht. Das wäre doch wohl das Min-deste.
Wir haben es also mit einem massenhaften Abhörender Bürgerinnen und Bürger – bis zum Handy der Kanz-lerin –, aber auch der Unternehmen zu tun. Wir wissen,dass die britischen und amerikanischen Militärstütz-punkte als Horchposten genutzt werden. Und wir wissen,dass es Industrie- und Wirtschaftsspionage mit Milliar-denschäden für Unternehmen in unserem Land gibt.Nicht mal da werden Sie wach; nicht mal da unterneh-men Sie wirklich etwas, um dies auszuschließen.Die Briten und Amerikaner zapfen Internetkabel anKnotenpunkten an zum millionenfachen Absaugen vonDaten. Es ist schon gesagt worden: Google, Amazon,Facebook, Twitter und Microsoft geben auf AnfrageDaten an die Geheimdienste weiter. Und nun habenwir gehört, dass auch noch die Server dieser Kommuni-kationskonzerne angezapft worden seien, ohne dass dieKonzerne es wussten. Es wird immer abstruser. Ich sagenoch einmal: All diese Informationen verdanken wirHerrn Snowden. Er hat noch nie gelogen. Was er gesagthat, hat sich immer als wahr herausgestellt.
Es gab immer eine Zusammenarbeit des BND mit bri-tischen und amerikanischen Diensten. Der Datenaus-tausch war immer recht einseitig: Es ging mehr ausDeutschland dorthin als umgekehrt. Das war vor denTerroranschlägen vom 11. September so und danachauch. Das hat sich im Kern gar nicht geändert. Der BNDhat den britischen Geheimdienst mit modernster Spiona-getechnologie beliefert.Es gab schon einmal einen Fall von Wirtschaftsspio-nage: das Programm Echelon. Da gab es einen Untersu-chungsausschuss der Europäischen Union. Er hat dannfestgestellt, dass es keine Zweifel mehr an der Existenzeines globalen Kommunikationsabhörsystems gebenkann, das von den USA, Großbritannien, Australien,Neuseeland und Kanada betrieben wird, also wiederumvon den „Five Eyes“; das hat der Untersuchungsaus-schuss 2001 festgestellt. Jetzt haben wir 2013, und es istnichts geschehen.Herr Bundesminister Friedrich, Sie waren ja in denUSA. Dann kamen Sie wieder und sagten, Sie sind jetztvollständig aufgeklärt; es ist alles in Ordnung. Ich mussIhnen sagen: Sie haben sich einlullen lassen.
Oder haben die Ihnen erzählt, dass sie gerade noch dabeisind, die Kanzlerin abzuhören? Und dann stellt sich derKanzleramtschef Pofalla hin und sagt: Das Thema ist er-ledigt; es ist alles erledigt. – Wann haben Sie sich dennjetzt mal bei der Bevölkerung entschuldigt und gesagt:
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Dr. Gregor Gysi
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„Wir sind getäuscht worden, wir haben uns geirrt“? Ichmeine, Sie müssten sich doch wenigstens mal dafür ent-schuldigen.
Ich will auch noch etwas anderes sagen, das mir wich-tig ist: Ich verstehe, dass die USA, Großbritannien undFrankreich 1949 und danach Deutschland ausspionierthaben. Es gab ein tiefes Misstrauen gegenüber unseremLand. Aber wir haben nicht mehr 1949, wir haben 2013.Inzwischen führen Sie – wenn auch gegen unseren Wil-len – gemeinsam Kriege wie in Afghanistan. Dann der-artig ausspioniert zu werden, ist unverschämt und nichthinnehmbar. Dagegen muss man etwas tun, dagegenmuss man sich wehren.
Ich habe schon gesagt: Jetzt geht es um Aufklärung.Dazu brauchen wir Edward Snowden. Eine Befragung inRussland – ich bitte Sie! – ist doch indiskutabel. StellenSie sich mal vor: Ein Staatsanwalt oder Mitglieder desUntersuchungsausschusses befragen Snowden in Russ-land.
Dann macht er sich strafbar, indem er antwortet. Unddann sagen wir zu Putin: Kümmere dich um seine Si-cherheit! – Na, sagen Sie mal, das ist doch wohl grotesk.
Ich weiß gar nicht, seit wann Ihr Sicherheitsverhältnis zuPutin so eng ist.Die Bevölkerung hat einen Anspruch auf Aufklärung.Und Sie haben recht, Herr Bundesminister. Sie sagen:Wenn Bürgerinnen und Bürger und die Kanzlerin abge-hört wurden, dann sind das Straftaten, dann muss ermit-telt werden. – Aber wie wollen Sie das ohne Snowdenermitteln? Das geht ja überhaupt nur, wenn Sie den Zeu-gen Snowden hören. Deshalb müssen wir ihm die Si-cherheit gewähren.Ich sage es ganz klar: Deutschland ist erst dann sou-verän, wenn es Herrn Snowden anhört, ihn schützt, ihmAsyl gewährt und seinen sicheren Aufenthalt organisiert –dann ist Deutschland souverän, vorher nicht.
Wenn Sie „Wie?“ rufen, dann sage ich Ihnen: Wenn un-sere Dienste nicht einmal das können, dann sollen siedichtmachen. Das ist ja wohl das Mindeste, was wir ge-währleisten können müssen.
Jetzt komme ich zu der Frage – sie ist auch interessant –,wie das alles überhaupt rechtlich läuft. Ich habe mich einbisschen damit beschäftigt. Es gab die Pariser Verträge,die 1955 in Kraft getreten sind. Das hat Adenauer ge-macht, um der Bevölkerung sagen zu können: Das Be-satzungsstatut ist aufgehoben worden. – Das Problemwar bloß, dass die Amis sagten, sie würden gerne ihre al-ten Rechte behalten. Deshalb sind Geheimverträge abge-schlossen worden. Ich hatte naiverweise erwartet, dassdiese Verträge im Zuge der Zwei-plus-Vier-Gesprächeaufgehoben wurden. Sie wurden aber nicht aufgehoben,weil nämlich nur Abkommen mit allen vier Mächtenaufgehoben wurden, nicht aber Abkommen mit dreiMächten, mit zwei Mächten oder mit einer Macht.Da war zwar alles, was mit den Russen und den ande-ren drei Mächten gemeinsam vereinbart war, heraus,aber der Rest blieb; und das geht nicht. Jetzt haben Sieerklärt: Im Sommer sind diese Verträge für unwirksamerklärt worden. – Wie eigentlich? Ich würde gerne ein-mal die Noten sehen. Was stand da eigentlich drin? Esgab auch neue Verwaltungsvereinbarungen. Sie sehen:Das ist alles ein Wirrwarr, der nicht mehr zu erklären ist.Vergessen Sie auch nicht das Aufenthaltsabkommen unddas NATO-Truppenstatut. Auch hier haben sie Rechte,die fast an die Besatzungszeit erinnern. Ich kann nur sa-gen: Auch hier muss sich einiges ändern.
Ich möchte jetzt wissen: Welche Verträge sind nun auf-gehoben, welche gelten noch, und was steht da drin? Ichfinde, die Bürgerinnen und Bürger haben einen An-spruch darauf, das zu erfahren.Ich möchte, dass eine weitere Frage beantwortet wird.In Wiesbaden wird gerade ein gigantisches Geheim-dienstzentrum der NSA aufgebaut. Wer hat das eigent-lich erlaubt? Von wem geht das aus? Was sollen die dabetreiben? Auch hier hat die Bevölkerung doch einenAnspruch auf Informationen. Möglicherweise muss manden USA diesen Bau eben versagen.
Es gibt noch etwas, was mich interessiert. Herr Bun-desinnenminister, ich nenne Ihnen vier Varianten – advo-katisch –, wenn es um die Frage geht: Was haben eigent-lich unsere Dienste in Bezug auf die Rechtsverletzungendurch britische und amerikanische Dienste getrieben?Die erste Möglichkeit ist: Sie haben sie dabei unter-stützt. Dann haben sie gegen das Grundgesetz verstoßen,sich an Straftaten beteiligt, und das müsste sehr ernst-hafte Konsequenzen nach sich ziehen.Die zweite Möglichkeit ist: Sie haben es nur gewusst,aber nicht unterstützt. Dann müssen sie aber die Bundes-regierung informiert haben. Wenn die Bundesregierunginformiert war, aber nichts erklärt hat, dann haben Siedas Grundgesetz verletzt, dann haben Sie Ihren Amtseidverletzt, und dann haben Sie großen Schaden angerich-tet.
Wenn die Dienste es gewusst haben und die Bundes-regierung nicht informiert haben – dritte Variante –,dann haben sie wiederum so eine schwere Pflichtverlet-zung begangen, dass wir schon wieder über ihre Zukunftdiskutieren müssen.
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50 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013
Dr. Gregor Gysi
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Dann gibt es noch eine vierte Möglichkeit: Sie habenes gar nicht gewusst. Aber dann sind sie so was von un-fähig, dass man sie auflösen kann. Darauf darf ich dochhinweisen!
Ich habe folgende Frage: Gibt es denn Spionageab-wehr nur gegen den Osten, nicht gegen den Westen?Dürfen wir Milliardenschäden, zum Beispiel in der Wirt-schaft, zulassen, bloß weil wir uns nicht trauen, gegen-über den USA eine Spionageabwehr zu organisieren?Auch das geht nicht.Es gibt immer zwei Einwände, die auch Sie benutzthaben: Der eine Einwand betrifft die Wertegemeinschaftund der andere die Freundschaft mit den USA. Es gibtgemeinsame Werte zwischen den USA und Deutschland,aber es gibt auch Kriege wie in Vietnam, in Afghanistanoder im Irak. Es gab den Militärputsch in Chile mit derErmordung von Allende. Es gibt das GefangenenlagerGuantánamo, wo täglich Menschenrechte verletzt wer-den. Es gibt den Krieg mit Drohnen. – Eine Wertege-meinschaft nutzt nichts, wenn man bei der Verletzungvon Werten nicht deutliche Kritik übt, und genau dasmachen Sie nicht.
Ich bin kein Antiamerikanist, überhaupt nicht. Ich bingerne in den USA und spreche gerne dort mit den Men-schen. Aber eines sage ich Ihnen: Freundschaft, wie Siesie sich vorstellen, gibt es nicht. Mit Duckmäusertumund Hasenfüßigkeit
erreicht man keine Freundschaft, sondern das Gegenteil.
Nur dann, wenn wir gegenseitige Achtung und gegensei-tigen Respekt herstellen, kann es eine wirkliche Freund-schaft geben.Dazu brauchen Sie als Bundesregierung Mumm. Siemüssen der US-Regierung sagen: Schluss, aus; wir hö-ren Snowden und schützen ihn. – Dann erst sind wirwirklich souverän. Sie müssen fordern: Verhandelt mituns auf Augenhöhe! – Dann kriegen wir auch eineFreundschaft mit den USA hin. Was Sie machen, istDuckmäusertum. Das kenne ich seit Jahrzehnten, undich bin es so was von leid.
– Ja, haben Sie endlich mal den Mumm! Genau so sindSie hier auch. Ist doch nicht zu fassen!
Zum Schluss sage ich Ihnen: Wenn Sie nichts machen– Herr Friedrich, Sie haben gesagt, Sie verhandeln mitdenen –, wissen Sie, was Sie diesen fünf Ländern damiteigentlich sagen? Sie sagen ihnen damit: Macht ruhigweiter so, von uns habt ihr nicht den geringsten Nachteilzu erwarten! – Ich wiederhole: Das verletzt schwer denEid, den Sie geleistet haben, nämlich Schaden von unse-rer Bevölkerung abzuwenden.Ich möchte, dass Sie jetzt den Mumm haben, die Be-ziehung auf eine andere Grundlage zu stellen, auf dieGrundlage der Gleichberechtigung. Das ist nicht zu vielund das ist nicht zu wenig verlangt. Die Weltmacht mitihren Weltmachtallüren muss endlich begreifen, dass wirein gleichberechtigter Partner sind und nicht jemand, mitdem man machen kann, was man will. Dazu brauchenSie eine grundsätzlich andere Haltung, Frau Bundes-kanzlerin und Herr Friedrich.
Als nächster Redner hat der Kollege ChristianStröbele das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. – Verehrte Kolleginnen undKollegen! Ich habe eine Frage, Frau Bundeskanzlerin:
Haben Sie mal darüber nachgedacht, sich bei EdwardSnowden zu bedanken? Immerhin haben Sie es ihm undseinen mutigen Enthüllungen zu verdanken, dass IhrHandy derzeit wahrscheinlich nicht abgehört wird.
Immerhin haben Sie es ihm zu verdanken, dass Sie mitdem US-Präsidenten telefonieren durften, konnten,
dass Sie Anlass hatten, ihm zu erklären, dass das garnicht geht, und dass Sie vom Präsidenten die Zusiche-rung bekommen haben: Jetzt und in Zukunft hören wirSie nicht ab. – Sind Sie überhaupt nicht dankbar? Wärees nicht eine menschliche Geste, Herrn Snowden zu sa-gen: „Danke schön“?
Frau Bundeskanzlerin, warum reden Sie heute hier nicht,wo es doch um Ihr Handy geht, um Ihre Aufgabe, diedeutsche Bevölkerung vor millionenfachem Abhörenund Abfangen der Telekommunikationsverbindungen zuschützen? Warum ducken Sie sich weg? Sie haben in Ih-rer Rede zum ersten Tagesordnungspunkt nur eine kleineAndeutung gemacht und sitzen jetzt hier und hören sichdas an. Das ist nicht mutig. Ich hatte etwas anderes vonIhnen erwartet.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013 51
Hans-Christian Ströbele
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Nun komme ich zu Herrn Friedrich. Ich habe ihn imPKGr erlebt und seine Äußerungen in der Presse gele-sen. Herr Friedrich, Sie hätten sich hier einmal hinstellenund sagen können: Ich habe mich geirrt im August.
Sie sind aus den USA zurückgekommen und haben ge-sagt – soll ich es Ihnen vorlesen? –: Alle Vorwürfe habensich „in Luft aufgelöst“. – Ich habe immer geguckt, weildas schon damals nicht richtig war.
Falsch war auch, was Herr Pofalla erklärt hat: Die Vor-würfe sind „vom Tisch“. – Falsch war auch, was Ihnenund Ihren Präsidenten die NSA und deren General er-klärt haben, nämlich dass sie in Deutschland Gesetz undRecht einhalten. Das war falsch. Das war die Unwahr-heit. Mich interessiert: Was haben Ihre Emissäre, die Siedort hingeschickt haben, die Präsidenten der Geheim-dienste, ihren Kollegen eigentlich dazu gesagt, dass sieso reingelegt worden sind, dass sie nämlich nach ihrerRückkehr nach Deutschland gesagt haben: „Es ist über-haupt nichts gewesen; die halten sich selbstverständlichan Gesetz und Recht“?
Und dann hören sie, dass die Kanzlerin abgehört wordenist. In welchem deutschen Gesetz, in welchem deutschenRecht steht, dass man die Bundeskanzlerin abhörendarf?
Jetzt komme ich auf Ihre Rede von heute zu sprechen,Herr Friedrich: Sie betonen immer, in Deutschland sindMillionen Deutsche nicht abgehört worden. HerrFriedrich, Sie wissen, dass ich Ihnen immer wieder dieFrage stelle: Können Sie sagen, wie viele MillionenDeutsche über ihre Telekommunikationsverbindungen,über das Internet, über die Server in den USA, über dieGlasfaserknotenpunkte in Südengland abgehört wurden?Von wie vielen Millionen Deutschen wurden die Tele-kommunikationsverbindungen gespeichert und ausge-wertet? Sagen Sie einmal etwas dazu! Waren es 1 Mil-lion, waren es 20 Millionen, waren es 50 Millionen,waren es 80 Millionen? Und: Was ist dran an dem Vor-wurf – dazu haben Sie sich geäußert, aber das war dasfalsche Beispiel –, dass in einem Monat über 400 Millio-nen Telekommunikationsverbindungen von Deutschenabgehört worden sind?
Erklären Sie das doch mal! Beantworten Sie die Frage!Sie gehen nämlich in die USA und stellen dort nicht ein-mal konkrete Fragen. Sie haben einen Fragenkataloghingeschickt. Die Fragen, die Sie im Juni verschickt ha-ben, sind bis heute nicht beantwortet worden. Eine ein-zige Frage, nämlich die, was man sich unter Prism vor-zustellen hat, ist beantwortet worden, sonst nichts. Wasmachen Sie denn da? Sagen Sie Ihren Kollegen: „Dasnehme ich nicht länger hin! So könnt ihr mit mir nichtumgehen! So geht man mit Freunden nicht um!“? Nein,Sie machen überhaupt nichts. Sie sind in einem Maßedevot, wie es eines deutschen Bundesinnenministersnicht würdig ist.
Wir haben aufzuklären, nicht nur im Interesse derKanzlerin, nicht nur im Interesse der deutschen Wirt-schaft, sondern vor allem im Interesse der 80 MillionenBürgerinnen und Bürger in diesem Lande. Es geht umderen Grundrecht. Es geht um deren Freiheit der Kom-munikation über Handy, über E-Mail, über Telefon. Da-rum geht es. Um das aufzuklären, brauchen wir eine par-lamentarische Instanz; denn Sie, die Bundesregierung,haben in diesem Bereich völlig versagt.
Der Kollege Grosse-Brömer wird wahrscheinlich gleichetwas dazu sagen.Wir brauchen mindestens ein besser ausgerüstetesPKGr, eher ein noch wirksameres parlamentarischesKontrollorgan. Da gibt es in einigen Punkten auch Einig-keit.
Wir brauchen einen parlamentarischen Untersuchungs-ausschuss, der die Rechte hat, Zeugen zu befragen.
Das, was Herr Steinmeier sagt, stimmt. Ich kann mirnicht vorstellen, dass General Alexander nach Deutsch-land kommt und aussagt. Ich kann mir nicht vorstellen,dass andere NSA-Leute nach Deutschland kommen undaussagen. Wir haben das in anderen Untersuchungsaus-schüssen probiert, und die haben nicht einmal geantwor-tet. Deshalb brauchen wir Edward Snowden, um hier inDeutschland aufklären zu können. In Deutschland voreinem deutschen Untersuchungsausschuss muss er dieseMöglichkeit haben.Herr Kollege Uhl, Sie haben ja immer wieder betont:Was kann der uns denn schon sagen? Seine Dokumentesind doch unterwegs. – Herr Snowden hat diese Doku-mente ja nicht ohne Grund ausgewählt. Er kann uns sa-gen, in welchem Zusammenhang sie stehen. Er kann unserklären, was sie bedeuten. Er kann uns die Interpreta-tion geben. Wenn das kein klassischer Kronzeuge ist,dann kenne ich keine Kronzeugen. Er muss nachDeutschland kommen können und hier vor der Justiz,
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Hans-Christian Ströbele
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also beim Generalbundesanwalt, aber auch vor einemparlamentarischen Untersuchungsausschuss aussagen.
Es wird ja immer wieder gefragt: Woher wissen wirdenn, dass der die Wahrheit sagt? Darauf haben Sie jazutreffend hingewiesen, Herr Kollege Steinmeier. Ichhabe das genau verfolgt. Ich habe mir das noch einmalangesehen. Es sind verschiedene Dokumente, die er üb-rigens nicht aus Moskau schickt, sondern die er schon inHongkong an Journalisten weitergegeben hat; diese ver-öffentlichen die jetzt. Alle Dokumente, die er weiterge-geben hat, sind bestätigt. Bei nicht einem einzigenDokument davon bestreitet die NSA, dass es echt ist.Deshalb ist das ein Zeuge, den wir hier brauchen.Ich sage Ihnen noch etwas zu diesem No-Spy-Ab-kommen, das Sie vorbereiten. Es kann doch nicht nur da-rum gehen, dass die Kanzlerin und die deutsche Indus-trie nicht abgehört werden. Es geht um die 80 MillionenDeutschen, die nicht abgehört werden dürfen.
Das heißt, ein No-Spy-Abkommen, das nur Sie schützt,nur die deutsche Industrie schützt, ist ja ganz schön. Dassind wichtige Punkte. Auch ich will nicht, dass dieKanzlerin von der NSA abgehört wird. Aber es gehtletztlich um die ganze deutsche Bevölkerung.Lassen Sie mich abschließend noch sagen – so langehabe ich hier noch nie reden dürfen; ich hätte sogar nochviel mehr zu sagen –:
Wir, die diese Sitzung beantragt haben, die gesagt haben,dass das ganze Problem in das Plenum des DeutschenBundestages muss, wir, die jetzt Forderungen gestelltund in unserem Antrag auch aufgelistet haben, vertretenhier 60 Prozent der deutschen Bevölkerung. Deshalb istes notwendig und richtig, dass Sie unseren Verlangennachkommen. Wir wollen unsere Aufgabe ernst nehmen.Wenn wir es nicht in der Regierung können, dann ma-chen wir es in der Opposition hier im Bundestag. Es gehtum unsere Aufgabe, die Telekommunikationsbeziehun-gen der deutschen Bevölkerung wieder sicher zu ma-chen, es zumindest zu versuchen. Darum geht es uns.Deshalb hatten wir die heutige Sitzung beantragt.
Der nächste Redner ist Michael Grosse-Brömer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Was mich bei der Debatte immer gestört hat, ist, dass siein erster Linie durch Empörung und Aufgeregtheit ge-prägt wird.
Glauben Sie, dass irgendjemand in diesem Haus es gutfindet, dass deutsche Staatsangehörige widerrechtlichabgehört werden?
Glauben Sie, dass irgendjemand gut findet, dass dieKanzlerin oder sonstige Regierungsmitglieder abgehörtwerden?
Zu der Debatte gehört nicht nur Aufgeregtheit. Zu derDebatte gehören auch Aufklärung, notwendige Forde-rungen, gemeinsames Handeln und im Übrigen Vor-schläge, wie alles besser werden kann.Es ist zu wenig, nur zu fragen: Was sollen denn die in-ternationalen Abkommen? Wenn Ihnen internationale Ab-kommen von Anfang an als unwirksam erscheinen, dannkönnen Sie internationale Politik gleich sein lassen.
Die Debatte um die NSA muss geprägt sein von Lö-sungsvorschlägen.
Da, muss ich sagen, waren Sie, von Herrn Steinmeier ab-gesehen, relativ blank, insbesondere Sie, Herr Gysi.
Wir und mit uns die Bundesregierung haben uns ins-besondere im Rahmen des Parlamentarischen Kontroll-gremiums in den letzten Wochen und Monaten intensivmit diesem Thema beschäftigt. Wir haben klare Maßnah-men ergriffen. Es ist deklassifiziert worden; es gab einenDeklassifizierungsprozess; Herr Ströbele, Sie wissen dasja alles, weil Sie dabei waren. Wenn Sie sich hierhinstel-len und sagen: „Es ist nichts passiert“, so ist das definitivfalsch. Das ist eine falsche Behauptung.Zur notwendigen Aufregung, zur notwendigen Sorgeüber möglicherweise ungerechtfertigte Abhörmaßnah-men gehört auch der Hinweis, dass es uns im Rahmender Aufklärung gelungen ist, darauf hinzuweisen, dassdie zwischenzeitlich behauptete massenhafte Ausspä-hung deutscher Staatsangehöriger – das wurde ganz kon-kret behauptet – so, wie behauptet, nie stattgefunden hat.
Wenn Sie ehrlich sind, sagen Sie, dass Sie wissen, dasswir das anhand einer Codierung konkret überprüft undfestgestellt haben: Die Zusammenarbeit, die zwischendem BND und der NSA in diesem Fall angeblich stattge-funden hat, war ein Teil der Auslandsaufklärung und hat
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013 53
Michael Grosse-Brömer
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nichtdeutsche Staatsangehörige betroffen. Auch so etwasmuss man bei der nüchternen Analyse und Bewertungdes Sachverhaltes sagen können und darf sich nicht nuraufregen.
Ich will darauf hinweisen, dass wir gar nicht weitvoneinander entfernt sind. Wir haben doch gesagt: Wirkönnen Herrn Snowden informatorisch befragen. – DasParlamentarische Kontrollgremium hat sogar überein-stimmend darauf hingewiesen, dass es eine Prüfung ge-ben muss, ob und was Herr Snowden noch zur Aufklä-rung beitragen kann, und das, obwohl er auch nach IhrerAuffassung ja gar keine Dokumente mehr hat. Man mussganz klar sagen: Wenn es um den Zeugen Snowden geht,ist der Generalbundesanwalt gefragt. Wird er ein Ermitt-lungsverfahren einleiten, dann brauchen wir auch Zeu-gen. Wenn wir kein Ermittlungsverfahren haben, werdenwir auch keine Zeugen haben. Auch das muss ich Ihnennicht erklären.
Wir haben den übereinstimmenden Willen und denübereinstimmenden Wunsch, aufzuklären und für dieZukunft Lösungen anzubieten. Zur Ehrlichkeit gehörtdann aber, auch zu sagen: Die Abschöpfung von Datenim Ausland durch fremde Dienste werden weder dasParlamentarische Kontrollgremium noch welche Bun-desregierung auch immer verhindern können. Ich weißnicht, wie Sie glauben, russischen, chinesischen oderwomöglich amerikanischen Geheimdiensten vorschrei-ben zu können, was sie zu tun haben.
Herr Kollege Grosse-Brömer, Herr Ströbele möchte
gerne eine Zwischenfrage stellen.
Nein. Herr Ströbele hat nach eigenem Bekunden solange geredet wie seit langem nicht mehr. Ich möchtejetzt fortfahren.
– Ich habe im PKGr zu diesem Thema sehr viele Debat-ten mit Herrn Ströbele geführt, und wir haben sehr vieleFragen erörtert; das müssen wir jetzt nicht alles öffent-lich wiederholen.
Wir haben festzustellen – das ist das Ergebnis nüch-terner Analyse –: Die Verhältnismäßigkeit beim Einsatznachrichtendienstlicher Mittel ist, jedenfalls im Zusam-menhang mit der NSA, ein Stück weit verloren gegan-gen. Das mag an 9/11 liegen, das mag an einer Traumati-sierung liegen; welches die Gründe sind, können wir nurvermuten. Aber wir müssen darüber nachdenken, wiewir zumindest für Deutschland eine Verbesserung her-beiführen können. Da, glaube ich, müssen wir ganz klarfeststellen: Der Einsatz von Diensten zum Schutz vorterroristischen Anschlägen und zur Verhinderungschwerwiegender Kriminalität ist sinnvoll und erforder-lich.
Jeder von uns weiß, dass wir auch durch Hinweise deramerikanischen Geheimdienste Anschläge in Deutsch-land verhindern konnten; das gehört als Teil der Wahr-heit zu dieser Debatte. Aber wir müssen auch darübernachdenken, wie wir ein Abhören künftig verhindernkönnen. Denn – auch daran besteht kein Zweifel – dasAbhören der Kanzlerin, das Abhören von Ministern, dasAbhören von Bürgerinnen und Bürgern ohne konkretenTatverdacht gehört sich nicht, durch gar keinen Dienstund erst recht nicht durch den amerikanischen Geheim-dienst in Deutschland.
Ich glaube, dass man klar darauf hinarbeiten muss,Vertrauen zurückzugewinnen. Ich teile die Auffassungder Bundesregierung, dass wir auch zukünftig in vielfäl-tiger Weise auf die Zusammenarbeit mit den Amerika-nern angewiesen sein werden. Dass das transatlantischeBündnis eine gewisse Bedeutung hat, bestreitet selbstHerr Gysi nicht.Ich bekomme in diesen Tagen viele Zuschriften vonBürgern. Manche fordern – ein bisschen mit derGysi’schen Argumentation von vorhin –, dass wir unsvon den Amerikanern rigoros abnabeln. Andere fordern,dass wir den Amerikanern eine Lektion erteilen, indemwir das Freihandelsabkommen auf keinen Fall abschlie-ßen. Wieder andere fordern – wie Herr Gysi –, dass wirauf jeden Fall Herrn Snowden Asyl gewähren, um ein-mal zu verdeutlichen, wie unabhängig wir sind.Ich sage Ihnen: Wenn Sie juristisch argumentieren,dann seien Sie auch konsequent! Im Grundgesetz stehendie Vorschriften zum Asylrecht. Auf dieser Grundlagefinden Sie keinen Grund dafür, Herrn Snowden Asyl zugewähren.
Jetzt kann man darüber nachdenken, ob es andere Mög-lichkeiten gibt, etwa nach dem Aufenthaltsgesetz.
Darüber kann man nachdenken. Man kommt aber nichtdaran vorbei, abzuwägen: Ist es zum Schaden oder zumNutzen Deutschlands, Herrn Snowden aufzunehmen?
– Nein, ich bringe das jetzt eben zu Ende. – Sie werdenjetzt argumentieren: Ja, das ist genau richtig fürDeutschland; denn dadurch emanzipieren wir uns vonden Vereinigten Staaten von Amerika.
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Michael Grosse-Brömer
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Ich habe eine andere Auffassung; ich halte keinen die-ser Wege für richtig. Ich glaube, Verärgerung und Wutsind verständlich, aber sie sind keine guten Ratgeber.Lösungen finden wir nur zusammen mit den VereinigtenStaaten von Amerika.
Das ist jedenfalls unser Ansatz. Um Missstände zu behe-ben, reicht es nicht, die anderen zu beschimpfen, son-dern man muss gemeinsam Lösungen suchen.Ich finde es gut, dass sich Außenminister Kerry ent-schieden hat, eine Versöhnungsreise anzutreten. Er wirdausreichend Zeit haben, sich in Deutschland aufhalten.Ich glaube, das ist das richtige Signal in dieser Debatte.Ich will zum Abschluss sagen: Ich glaube, dass die in-tensiven Bemühungen der Bundesregierung, Daten-schutz und Datensicherheit auf europäischer und interna-tionaler Ebene zu stärken, richtig sind. Dafür muss mansich weiter einsetzen, und dieser Einsatz lohnt sich. Aberauch wir Parlamentarier sollten uns an dem Versuch be-teiligen, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewin-nen. Deswegen hat die Union im ParlamentarischenKontrollgremium vorgeschlagen – ich glaube, das findetsogar die Zustimmung Herrn Ströbeles –, dass wir unsmit den amerikanischen Kolleginnen und Kollegen imSenat, im Repräsentantenhaus zusammensetzen, insbe-sondere mit denen, die den amerikanischen Geheim-dienst kontrollieren. Dann kommen wir ein bisschenrunter, dann empören wir uns nicht nur, dann sind wirnicht nur aufgeregt, sondern dann arbeiten wir konkretan einer Lösung.
Ich glaube, es ist der wesentlich sinnvollere Weg, daranzu arbeiten, dass wir besser werden, dass wir Skandalevermeiden und gemeinsam wieder gut zusammenarbei-ten. Das ist der Punkt.Was die konkrete Umsetzung betrifft, haben meinKollege Dr. Krings und mein Kollege MichaelKretschmer klare Vorgaben erarbeitet, wie IT-Sicherheit,wie Datensicherheit gewährleistet werden kann und wieSicherheitsforschung, wie Aufklärung, Transparenzstattfinden kann. Der Kollege Dr. Krings wird dazunachher noch etwas sagen.
Herr Kollege Grosse-Brömer, gestatten Sie jetzt noch
eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?
Ja, bitte – aber nur, weil meine Redezeit gerade zu
Ende ist.
Ich wollte Ihnen die Möglichkeit verschaffen, noch
etwas ausführlicher zu werden.
Herr Grosse-Brömer, Sie haben gerade die Forderung
nach Aufnahme von Herrn Snowden mit dem Hinweis
auf das Asylrecht abgebügelt, allerdings eingeräumt, es
gebe natürlich eine andere Möglichkeit nach dem Auf-
enthaltsgesetz. Nach § 22 Aufenthaltsgesetz gibt es die
Möglichkeit, Einzelpersonen aufzunehmen, und zwar
aus zwei Gründen: entweder wenn es den politischen In-
teressen der Bundesrepublik Deutschland entspricht oder
wenn es aus humanitären Gründen geboten ist.
Würden Sie nicht sagen, dass es den politischen Inte-
ressen Deutschlands entsprach, dass wir von Herrn
Snowden Informationen über die Abhörpraxis der NSA
gegen Staatsbürger und selbst die Regierungschefin der
Bundesrepublik Deutschland bekommen haben? Meinen
Sie nicht auch, dass es ein humanitäres Gebot ist – weil
Russland Herrn Snowden nur für begrenzte Zeit Aufent-
halt gewährt und Russland eine Diktatur ist –, dass wir
als Land der Freiheit und Partner der Vereinigten Staaten
sagen: „In einem solchen Fall nehmen wir den auf“?
Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass man für
diese Aufnahme sein kann und trotzdem als Transatlanti-
ker sagen kann: „Uns verbindet gerade mit den Vereinig-
ten Staaten eine Wertegemeinschaft für Rechtsstaatlich-
keit und Menschenrechte. Wir haben an diesem Punkt
einen fachlichen Dissens, aber keinen Dissens der
Grundwerte, und diese Grundwerte gebieten gerade eine
Aufnahmeentscheidung der Bundesrepublik“?
Herr Grosse-Brömer.
Herr Kollege Beck, ich habe vorhin schon versucht,das ein Stück weit deutlich zu machen, aber Sie habenmir vielleicht nicht zugehört. Ich will das gerne wieder-holen.Ich finde, es muss die Abwägung geben, von der Siegesprochen haben: die Abwägung der Interessen vonHerrn Snowden mit den Interessen Deutschlands an derAufrechterhaltung und Weiterentwicklung des transat-lantischen Bündnisses. Das ist vielleicht keine einfacheEntscheidung. Ich gebe Ihnen in einem recht: Ich glaube,dass Herr Snowden eine wichtige Debatte angestoßenhat, die Debatte um die künftige Sicherheit. Man kanndas auch mit den Worten des amerikanischen Präsiden-ten sagen: Nicht alles, was technisch möglich ist, istkünftig auch technisch umzusetzen. Hier müssen wir unsstärker einmischen, zumindest in Bezug auf Deutsch-land; denn darüber hinaus sind wir ja nicht zuständig.Ich komme bei dieser Abwägung zu einem anderenErgebnis als Sie; das will ich Ihnen klar sagen. Mir istnämlich noch nicht klar, in welcher Form Herr Snowdennoch weiter gehende Zeugenaussagen machen kann, undich glaube, dass die Fortentwicklung des transatlanti-schen Bündnisses für die Bundesrepublik Deutschlandund deren Interessen wichtig ist.Jenseits der Tatsache, dass Herr Snowden eine wich-tige Debatte angestoßen hat, hat Herr Snowden auchmassiv gegen strafrechtliche Vorschriften in seinemLand verstoßen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013 55
Michael Grosse-Brömer
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Das gehört ebenfalls zur Gesamtbewertung. Lassen Siees mich deshalb so sagen: Das ist vielleicht keine einfa-che Entscheidung; man kann sie sicherlich erst nach län-gerem Nachdenken treffen, und es werden vielleichtauch unterschiedliche Interessen vorangestellt. Ichglaube aber, dass eine Abwägung dazu führt, dass wirHerrn Snowden aus übergeordneten Interessen nicht inDeutschland aufnehmen sollten.Ich will zum Abschluss sagen: Wir haben in punctoDatensicherheit und Schutz der Privatsphäre der Bürge-rinnen und Bürger in Deutschland eine gemeinsamepolitische Herausforderung. Deswegen glaube ich, dassHerr Steinmeier mit dem „Völkerrecht im Netz“ Richti-ges gesagt hat. Das sind neue Herausforderungen, umdie wir uns kümmern müssen, aber eben nur national.Wir sollten nicht so tun, als könnten wir den agierendenGeheimdiensten weltweit vorschreiben, wie sie sich ver-halten. Man kann das bedauern, aber es ist so. Wir habeninsgesamt dafür zu sorgen, dass die richtige Balancezwischen Sicherheit und Freiheit bei den Geheimdiens-ten, beim Abhören gewährleistet wird. Wir sollten unse-ren Beitrag dazu vorrangig im Parlamentarischen Kon-trollgremium leisten.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Oppermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit denersten Enthüllungen und Berichten über Dokumente vonEdward Snowden im Juni hören wir jetzt fast im Wo-chenrhythmus von neuen Enthüllungen. Zuletzt war esein Bericht der Süddeutschen Zeitung, in dem beschrie-ben wurde, wie unsere Sicherheitsbehörden mit demdeutschen Tochterunternehmen der Computer SciencesCorporation zusammenarbeiten. Ich finde, dieser Berichtoffenbart ein grundlegendes Problem; denn wenn es zu-treffen sollte, dass die CSC Teil jenes nachrichtendienst-lich-industriellen Komplexes ist, also jenes Geflechtesvon Geheimdiensten und Technologieunternehmen inden USA mit mehreren Zehntausend Beschäftigten,dann müssen wir uns heute fragen, ob wir etwas falschmachen, wenn wir solche Unternehmen daran beteiligen,Staatstrojaner zu testen oder die verschlüsselte Kommu-nikation in Regierungsnetzen zu entwickeln.
Solange wir kein rechtlich verbindliches Abkommenüber den Schutz vor Spionage haben, gehören solcheAufträge auf den Prüfstand.Unser Land hat in einem gemeinsamen Kraftakt vonWirtschaft, Bund und Ländern das Lissabon-Ziel, nachdem 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschungund Entwicklung ausgegeben werden sollen, erreicht.Wir geben in jedem Jahr 75 Milliarden Euro für For-schung und Entwicklung aus. Das ist die wichtigsteVoraussetzung dafür, dass wir auf vielen Teilmärkten dieTechnologieführerschaft haben. Das ist die wichtigsteVoraussetzung für unsere Exporterfolge. Aber was nütztdas alles, wenn hart erarbeitete Wissens- oder Technolo-gievorsprünge für die Wettbewerber und die Konkurren-ten mehr oder weniger offen einsehbar sind oder leichtausgekundschaftet werden können?
Unsere Unternehmen erleiden Milliardenverluste durchIndustriespionage. Wir können sie nicht effektiv genugdavor schützen. Deshalb müssen wir auch über dieRückgewinnung oder zumindest über die partielle Wie-derherstellung technologischer Souveränität nachden-ken. Das bedeutet sichere Netze, sichere Kommunika-tion, Verschlüsselung und weitere Vorsorge. Dasbedeutet vor allen Dingen mehr Forschung und Entwick-lung in diesem Bereich. Damit können wir nur die Kern-bereiche unserer Unternehmen schützen – Frank-WalterSteinmeier hat zu Recht darauf hingewiesen, dass siealle international verzweigt und verflochten sind –, aberdas müssen wir tun. Insofern sollte die NSA-Affäre einabsoluter Weckruf für alle sein. Wir müssen ja nichtdümmer sein, als die Polizei erlaubt.
Ich finde es richtig, dass die Bundesregierung jetzt einAnti-Spionage-Abkommen mit den USA verhandelt. Einsolches Abkommen darf sich aber nicht auf den Schutzvon Regierungen und Unternehmen beschränken, son-dern muss auch der Überwachung der privaten Kommu-nikation der Bürgerinnen und Bürger klare Schrankensetzen.
Wir wissen bis heute nicht – auch wenn das zwischen-zeitlich anders gesehen wurde –, in welchem Umfangdie NSA durch Programme wie Prism die private Kom-munikation deutscher Staatsbürger überwacht. ImSommer hatte die NSA gegenüber der Bundesregierungversichert, es gebe keine massenhafte Ausspähung deut-scher Bürger. Aber die NSA hat auch versichert, sie haltesich in Deutschland an deutsches Recht. Spätestens seitdem Lauschangriff auf die Bundeskanzlerin wissen wir,dass das nicht stimmt. Warum sollten die Vertreter derNSA der deutschen Regierung die Wahrheit sagen, wennsie zugleich den eigenen Kongressabgeordneten über dasAusmaß der Überwachung nach dem Patriot Act in denUSA mehrfach die Unwahrheit gesagt haben?
Ich finde, es war grenzenlos naiv, das alles zu glauben.
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56 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013
Thomas Oppermann
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Das Vertrauen ist in der Tat tief gestört. Es kann nurdurch Aufklärung und Vereinbarung klarer, verbindli-cher Regeln wiederhergestellt werden. Die Aufklärungmüssen, finde ich, zuerst unsere amerikanischen Partnerleisten; denn wir können doch nicht allein auf die Doku-mente von Edward Snowden verwiesen werden. Daswäre doch etwas seltsam.
Kollege Oppermann, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Liebich?
Ja, bitte.
Herr Kollege Oppermann, Sie haben eben gesagt,
dass Sie die Verhandlungen über ein No-Spy-Abkom-
men im Grundsatz gut finden. Ich habe den Medien ent-
nommen, dass diejenigen, die darüber verhandeln, die
Chefs der Geheimdienste sind. Finden Sie es nicht ein
bisschen absurd, dass die Chefs von NSA und BND mit-
einander darüber verhandeln, wie künftig nicht mehr be-
spitzelt werden soll?
Ich nenne das geplante Abkommen lieber Anti-Spio-nage-Abkommen, weil ich dann weiß, was damit ge-meint ist. Das wird zurzeit zwischen der Bundesregie-rung und dem Weißen Haus verhandelt. Wenn es amEnde nur ein Stillhalteabkommen zwischen zwei Ge-heimdiensten wäre, wäre mir das entschieden zu wenig.Ich finde, es muss ein Regierungsabkommen werden. Esmuss rechtsverbindlich sein, und die Menschen in die-sem Lande müssen, wenn neues Vertrauen entstehensoll, sich auf so etwas auch verlassen können.
Wir sollten die Aufklärung trotz allem nicht allein denRegierungen überlassen, sondern auch auf die Zusam-menarbeit der Parlamente setzen.
Ich finde es ausgesprochen ermutigend, dass viele Kon-gressabgeordnete die Kritik an der ausgeuferten NSA-Überwachung teilen. Dianne Feinstein, die Vorsitzendedes Geheimdienstausschusses im Senat, lehnt die Abhör-maßnahmen gegen Politiker von US-Verbündeten kate-gorisch ab und fordert die vollständige Unterrichtung derMitglieder des Geheimdienstausschusses im Senat. VieleAbgeordnete beider Fraktionen und in beiden Häusernzweifeln daran, dass der NSA-Komplex noch politischsteuerbar oder demokratisch kontrollierbar ist. Ich finde,dass der Bundestag und der US-Kongress in dieser Frageeinen intensiven Austausch betreiben sollten; denn wirdürfen nicht zulassen, dass die ausgeuferte Überwa-chungspraxis der NSA Deutschland und Amerika spal-tet.
Die USA sind unser wichtigster Bündnispartner, nichtnur, aber besonders wenn es um den Schutz unsererSoldaten in Afghanistan oder um den Schutz vor Terror-anschlägen in Deutschland geht. Wir sind auf eine ver-trauensvolle Zusammenarbeit angewiesen. Mit vertrau-ensvoller Zusammenarbeit ist aber nicht vereinbar, wennwir von unseren engsten Verbündeten ausspioniert wer-den. Ich finde, das ist auch eine Frage des wechselseiti-gen Respekts souveräner Partner, die zwischen Freundund Feind, zwischen Recht und Unrecht unterscheidenkönnen.
Herr Gysi, ich habe mich gefragt, welches Verständ-nis von Souveränität Sie haben, als Sie sagten: Deutsch-land ist erst dann souverän, wenn wir Edward Snowdenhierher holen und als Zeugen befragen. – Der Souveräni-tätsbegriff, von dem Sie ausgehen, erinnert mich mehran Carl Schmitt: Souverän ist, wer Mutproben gewinnt.„Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entschei-det.“ Das ist nicht der Souveränitätsbegriff unseres de-mokratischen Staates.
Souverän ist nach unserem demokratischen Verständnis,wer aufgrund des Rechts Gesetze geben oder aufhebenkann. Souverän ist ein demokratischer Staat, wenn erverantwortlich und klug handelt, wenn er die verschiede-nen Interessen abwägt. Nicht souverän ist ein Staat, dereinseitige Entscheidungen trifft. Das ist Unilateralismus,Herr Gysi. Das kommt Ihnen vielleicht aus früheren Zei-ten bekannt vor, hat aber mit der Debatte, die wir heuteführen, gar nichts zu tun.
Wir haben drei Ziele gleichzeitig zu verfolgen, HerrGysi. Erstens geht es darum, dass wir die Ausspähungenaufklären und die schrankenlose Überwachung durchUS-Geheimdienste beenden. Zweitens geht es darum,dass wir die Partnerschaft mit den USA intakt halten.Wir dürfen sie nicht preisgeben. Wir müssen sie wiederauf jene Wertebasis zurückführen, auf der sie gegründetwurde, nämlich auf Demokratie, Freiheit und Herrschaftdes Rechts. Diese Werte sind mit schrankenloser Über-wachung der Privatsphäre unvereinbar. Drittens geht esum eine humanitäre Lösung für Edward Snowden, nichtum eine einseitig entschiedene Lösung. Herr Gysi, wirhaben auch mit dem Vertreter Ihrer Partei im Parlamen-tarischen Kontrollgremium eine sehr nachdenkliche Dis-kussion geführt, nachdem uns Herr Ströbele über dasGespräch mit Herrn Snowden in Moskau informierthatte. Wir waren uns am Ende darüber einig, dass diesnicht im Zuge einer Mutprobe entschieden werden kann,weil damit insbesondere Edward Snowden gar nicht ge-dient wäre. Ihm ist wahrscheinlich nur mit einer verhan-delten Lösung gedient.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013 57
Thomas Oppermann
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(B)
Ein demokratischer Staat, der in Partnerschaft mit an-deren lebt, entscheidet nicht einseitig über bestimmteFragen, sondern sucht nach Verhandlungslösungen, undzwar im Rahmen des Rechts. Es geht darum, diesenKonflikt politisch und rechtlich und nicht durch einsei-tige Entscheidungen zu bewältigen.Vielen Dank.
Der nächste Redner ist Dr. Konstantin von Notz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn man Sie hier so reden hört, Herr Grosse-
Brömer und Herr Friedrich, zu Ihren Aufklärungsbemü-
hungen bezüglich dieses größten Datenschutz- und Ge-
heimdienstskandals aller Zeiten, dann hat man den Ein-
druck: Sie können nicht vernebeln, dass Sie nach einem
halben Jahr nichts vorzuweisen haben. Sie stehen hier
mit völlig leeren Händen.
Sie haben mehrere Reisen in die USA unternommen
bzw. unternehmen lassen, Herr Friedrich. Herausgekom-
men ist gar nichts. Zuletzt haben Sie den Bock zum
Gärtner gemacht und Geheimdienstler mit Geheim-
dienstlern Geheimes geheim besprechen lassen. Aber
auch diese sind ohne Ergebnisse zurückgekommen. Sie
verstehen offensichtlich nicht, was nach diesem Skandal
am wichtigsten ist, nämlich Transparenz, um das verlo-
ren gegangene Vertrauen in die wichtigste Kommunika-
tionsstruktur unserer Zeit zurückzugewinnen.
Wer diese bisherigen Bemühungen, Herr Friedrich,
als Erfolg feiert, der dokumentiert seinen Unwillen und
seine Unfähigkeit, überhaupt Konsequenzen aus diesem
Skandal zu ziehen. Der Bundesbeauftragte für den Da-
tenschutz, Peter Schaar, wohnt übrigens dieser Debatte
bei. Er mahnt in seiner Stellungnahme, die auch Grund-
lage unserer heutigen Debatte ist, an, wie notwendig an-
gesichts der fundamentalen Grundrechtsbedrohung die
Aufklärung ist. Von Ihnen kommt nichts dazu, Herr
Friedrich,
nach all den Monaten nichts, nur eine schwurbelige
Rede.
Ich sage Ihnen einmal, welche Fragen sich stellen:
Welche Rolle spielen deutsche Geheimdienste im inter-
nationalen Datenaustauschring? Sie selbst haben erzählt,
dass wir selber Millionen von Daten weitergeben. Das
ist ein zusammenhängendes System. Das ist für jeden
normal denkenden Menschen offensichtlich. Sie klären
nichts auf. Sie fixieren die Diskussion auf die NSA und
die USA. Das sage ich zum Vorwurf des Antiamerika-
nismus. Wer redet denn von einer digitalen Besatzungs-
macht? Das ist doch Ihr Kollege von der Union, Herr
Uhl. Wie antiamerikanisch soll es denn noch werden?
Was ist denn mit den anderen Geheimdiensten, zum Bei-
spiel mit dem britischen Geheimdienst? Deren Aktivitä-
ten sind keinen Deut unproblematischer.
Warum, Frau Bundeskanzlerin, hat die Spionageab-
wehr bei Ihrem Handy so massiv versagt? Man kann sich
hier im Raum einmal locker die Frage stellen, wessen
Telefon – das betrifft auch die Regierungsbank – eigent-
lich noch abgehört wird.
Dazu haben wir nichts von Ihnen gehört. Was tun Sie
aktiv, um die Grundrechte der Menschen in diesem Land
– auch das ist nicht ganz unwesentlich – und die Integri-
tät der Daten von Wirtschaftsunternehmen zu schützen?
All das sind gravierende Fragen. Bei denen sind Sie
völlig blank. Das merkt man auch in dieser Debatte
heute nur allzu deutlich. Das ist nach den sechs Monaten
ein Skandal. Deswegen brauchen wir den Untersu-
chungsausschuss.
Eines ist doch auch völlig klar: Die parlamentarische
Kontrolle hat versagt. Wir brauchen eine Reform von
G 10 bis PKGr. Herr Bundesinnenminister, Sie haben
eben versucht, dies mit der Anerkennung der Arbeit der
Kolleginnen und Kollegen zu verschwurbeln. Das hilft
doch niemandem. Das ist ein strukturelles Problem. Das
sagt übrigens auch der Bundesdatenschutzbeauftragte in
seinem Bericht.
Wir als Abgeordnete müssen uns – das wurde hier
schon gesagt, und das ist ein ganz wichtiger Punkt – mit
den Parlamentariern in den USA, die eine schärfere
Kontrolle wollen, zusammensetzen, und wir müssen als
Parlament, als Abgeordnete die Kontrolle der Geheim-
dienste wieder auf die Füße stellen. Wir sind diejenigen,
die kontrollieren.
Herr Kollege von Notz, Sie müssen zum Schlusskommen.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Dass dasProblem heute so aufschlägt, ist auch eine Konsequenzder Versäumnisse Ihrer Politik in den letzten Jahren.Man kann geradezu von einer Sabotage der Frage spre-chen, was wir für besseren Datenschutz tun können. Werhat denn die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung unmöglichgemacht? Das waren Sie in der letzten Bundestagssit-zung der vergangenen Wahlperiode. Jetzt stehen Sie bla-miert da. Die ganzen IT-Großprojekte der letzten Jahre
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Dr. Konstantin von Notz
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wie N-Perso, De-Mail und Gesundheitskarte sind diskre-ditiert.
Ihre Antwort, Herr Friedrich, ist ein Zentrum für Cy-berabwehr, und dem gesellen Sie jetzt noch ein Zentrumfür Cybersicherheit hinzu.
Herr Kollege von Notz, kommen Sie bitte zum
Schluss.
Ich gratuliere. Wenn das alles ist, was Sie die nächs-
ten vier Jahre liefern wollen, dann kann einem nur angst
und bange um die Grundrechte in diesem Land werden.
Ganz herzlichen Dank.
Der nächste Redner ist Dr. Günter Krings.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir haben zumindest bei der letzten Rede einenbemerkenswerten Vorgang erlebt. Man kann auch Oppo-sitionsreflexe entwickeln, bevor überhaupt die Regie-rung gebildet ist. Das haben Sie jedenfalls gezeigt.
Ich weiß nicht, ob wir mit der Aneinanderreihung vonVorwürfen und teilweise unhaltbaren Behauptungen derErnsthaftigkeit und der Bedeutung der Debatte gerechtwerden.
Datensicherheit ist unbestritten eines der Kernele-mente moderner Sicherheitspolitik jedes souveränenStaates. Die Gewährleistung von Sicherheit insgesamtist natürlich das wichtigste Fundament des Staates. In-vestitionen in Sicherheit und damit auch Investitionen inDatensicherheit mögen auch in den kommenden Bun-deshaushalten manchmal weniger populär sein als Inves-titionen etwa in Bildung oder Soziales, aber sie sindsicherlich nicht weniger wichtig. Weil die Sicherheit un-serer Daten untrennbarer Bestandteil der StaatsaufgabeSicherheit ist, sind wir der Überzeugung, dass ameri-kanische Nachrichtendienste hier über jedes verant-wortbare Maß hinaus tätig geworden sind. Die Verant-wortlichen der NSA haben mit einem gigantischenDatenstaubsauger schlichtweg unentschuldbare Fehlergemacht.Aber, meine Damen und Herren, zur Ehrlichkeit ge-hört auch: Den Gefahren des Terrorismus können wir im21. Jahrhundert nicht mit massiver physischer Polizei-präsenz allein entgegenwirken. Wir können auf Terror-strukturen, auf bestimmte Formen der organisiertenSchwerstkriminalität nur dann effektiv reagieren, wennwir über solche Netzwerke Informationen erlangen undAnschläge verhindern und diese Netzwerke zerschlagen.Das Problem ist daher nicht, dass überhaupt Daten zurTerror- und Kriminalitätsbekämpfung erhoben werden.Die Frage ist vielmehr, in welchem Umfang, mit wel-chen Methoden und auf welcher rechtsstaatlichenGrundlage das geschieht. Die Grenzen der Verhältnismä-ßigkeit sind selbst im Kampf gegen den Terror einzuhal-ten.Die deutsche und europäische Antwort muss sein, dierichtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zufinden. Es dürfte nämlich auch die Amerikaner wenigbeeindrucken, wenn wir sie wegen der NSA-Affäre voll-kommen berechtigt kritisieren, aber zugleich in Deutsch-land, in Europa unsere eigenen Abwehrmöglichkeiten soverkümmern lassen, dass wir immer dann, wenn es ernstwird, um Daten und Erkenntnisse aus den US-Program-men bitten müssen. Die Angewiesenheit auf US-Ge-heimdiensterkenntnisse ist schon in der Vergangenheitsehr real gewesen. Ich nenne als Beispiel nur die Sauer-land-Gruppe, die monströse Anschlagspläne verfolgthat, was ohne US-Hilfe nicht hätte aufgedeckt werdenkönnen. Deutschland, ja die ganze Europäische Unionmuss jetzt beweisen, dass sich beides miteinander ver-binden lässt: ein tauglicher Radarschirm gegenüber deminternationalen Terrorismus und ein datenschutzrechtlichhohes Niveau.Das heißt zum Beispiel, dass das sogenannte SWIFT-Abkommen mit den USA zur Ermittlung von Bankdatenauf den Prüfstand gehört. Aber auf Grundlage dieses Ab-kommens haben die US-Behörden in den letzten Jahrensage und schreibe 1 700 Gefährdungsberichte mit wert-vollen, unverzichtbaren Erkenntnissen zur Terrorabwehrallein an die Staaten der Europäischen Union gesandt.Wir können deshalb auch ein solches Abkommen erstneu verhandeln, nachdem wir in der Europäischen Unionein eigenes, dann natürlich datenschutzfreundliches eu-ropäisches System zur Analyse von Finanztransaktioneneingeführt haben. Dazu fehlt uns bislang aber leider derMut. Wir können nicht beides tun: die amerikanischeHilfe ausschlagen und zugleich nicht in der Lage sein,eigene Instrumente auf höherem Niveau einzuführen.Wenn wir bestimmte amerikanische Radarschirme zurTerrorismusbekämpfung nicht mehr uneingeschränktnutzen wollen, dann darf die Alternative eben nicht einsicherheitspolitischer Blindflug sein.Unsere Aufgabe in Deutschland und Europa ist dieRückgewinnung der digitalen Souveränität im Umgangmit unseren Daten. Dazu müssen wir nicht nur rechtli-che, sondern auch technische Vorkehrungen und Strate-gien entwickeln.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013 59
Dr. Günter Krings
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Ein paar Stichworte zum Bereich der Technik. Einebessere IT-Sicherheit führt auch zu mehr Datensicher-heit. Es gibt technische Lösungen, die den Datenverkehrzwar nicht vollkommen schützen, aber eben weniger an-fällig für das Ausspähen machen. Dazu gehört ganzpraktisch, Möglichkeiten zu schaffen, dass zum Beispieleine E-Mail, die von Köln nach Düsseldorf gesendetwird, nicht länger zwingend über andere Länder oderKontinente geleitet wird. Es geht ja nicht darum, ein ab-geschirmtes nationales oder europäisches Netz aufzu-bauen. Sinnvoll erscheint es aber, zunächst in Europa ei-nen Verbund von Ländern zu bilden, die sich auf einähnlich hohes Niveau der Datensicherheit einigen. In ei-nem solchen Schengen-Raum im Netz würden wir danneinen gemeinsamen Sicherheitsstandard nach innen unddie gemeinsame Gefahrenabwehr nach außen organisie-ren.Zum technischen Bereich gehört auch die schleu-nigste Verabschiedung eines IT-Sicherheitsgesetzes. Esgibt bisher eine hohe Dunkelziffer von nicht gemeldetenHacker-Angriffen; der überwiegende Teil wird von derIndustrie nicht gemeldet. Man hat offenbar Angst vorschlechter Publicity. Aber damit fördert man weitere An-griffe. Man verhindert auch, dass sich Behörden und Un-ternehmen vor künftigen Angriffen schützen. Dem müs-sen wir ein Ende machen. Wir brauchen deshalb unteranderem eine Meldepflicht bei solchen Angriffen.Das Gleiche gilt für einen höheren Mindeststandardbei wichtigen Infrastrukturen, etwa der Energie- undWasserversorgung. Auch hier müssen und können wirmehr tun.Meine Damen und Herren, flankiert werden muss dietechnische Ertüchtigung aber auch mit rechtlichen Maß-nahmen. Eine Maßnahme wurde eben genannt: die EU-Datenschutz-Grundverordnung. Die brauchen wir alsDatenschutzgrundgesetz Europas. Was nutzt es einemBundesbürger, wenn wir zwar in Deutschland ein hohesDatenschutzniveau haben, aber dieser Datenschutz nichtmehr greift, wenn wir auch nur eine innereuropäischeGrenze überschreiten oder wenn auch nur unsere Dateneine innereuropäische Grenze überschreiten? Europa hatmit 500 Millionen Bürgern die Marktmacht, auch glo-bale Standards zu setzen, und die Möglichkeit, Daten-sicherheit zum Exportschlager zu machen.Es ist richtig: Die Arbeit der NSA hat transatlanti-sches Vertrauen beschädigt. Zwischen modernen Staatenist das probate Mittel zur Wiederherstellung von Ver-trauen insbesondere das Völkerrecht. Es ist deshalb rich-tig, dass derzeit ein Anti-Spionage-Abkommen mit denUSA verhandelt wird und hoffentlich auch bald zum Ab-schluss gebracht werden kann. Zwischen zwei souverä-nen Staaten gibt es auf diesem Feld eigentlich nur zweiMöglichkeiten: Entweder man spioniert sich gegenseitigaus, oder man verzichtet wechselseitig auf Spionage. Diezweite Variante ist mir deutlich lieber, meine Damen undHerren.Ich will zum Schluss noch deutlich machen, dass wirim Umgang mit dieser Geschichte insgesamt, bei allemÄrger, nicht den Boden des Rechts verlassen dürfen. Un-sere Antwort auf die Ausspähung deutscher Daten sollteauf dem Boden unserer nationalen und der internationa-len Rechtsordnung stehen. Anhand dieses ganz einfa-chen Maßstabs lassen sich ganz kurz und klar auch dieIdeen beantworten, Edward Snowden etwa Asyl inDeutschland zu geben.Das Asylgrundrecht, meine Damen und Herren, istkein fürstliches Privileg, das die Bundesregierung oderder Bundestag nach Gutdünken erteilen darf. Das Asyl-grundrecht ist ein Recht mit einem klaren Tatbestand.Edward Snowden – bei allem Mut, den man ihm zuspre-chen muss – ist nicht politisch verfolgt, sondern er wirdjuristisch belangt; das ist ein Unterschied. Strafrechtli-che Ermittlungen eines Rechtsstaats sind ganz offen-sichtlich nicht geeignet, eine politische Verfolgung zubegründen. Übrigens würde auch unsere Strafjustiz in ei-nem vergleichbaren Fall wegen Hoch-, Landes- oderGeheimnisverrats ermitteln müssen. Es ist schwer einzu-sehen, warum wir bei Tausenden von Flüchtlingen na-türlich sehr genau prüfen, ob Asylgründe vorliegen, denFall Snowden aber ungeprüft durchwinken sollten, nurweil er inzwischen eine Medienberühmtheit gewordenist.Meine Damen und Herren, natürlich verdanken wirEdward Snowden interessante Hinweise auf die Spiona-getätigkeit der NSA. Aber Kennzeichen eines Rechts-staats ist, dass der gute Zweck eben nicht jedes Mittelheiligt. Unser Auslieferungsabkommen mit den USAgilt. Es gilt auch im Fall Snowden. Es ist eine große Er-rungenschaft der modernen internationalen Rechtsord-nung, dass die Rechts- und Strafverfolgung immer weni-ger an nationalen Grenzen haltmachen muss. Es wäreunseres Rechtsstaats unwürdig, würden wir im Stil vonWinkeladvokaten in diesem Auslieferungsabkommen ir-gendwelche Schlupflöcher suchen.
Kollege Krings, lassen Sie eine Zwischenfrage vom
Kollegen Ströbele zu?
Da ich keine Redezeit mehr habe, ist das eine will-kommene Verlängerung. – Bitte schön.
Herr Kollege, danke, dass ich fragen darf. Darüberfreue ich mich immer.Ist Ihnen bekannt, dass man sowohl in Deutschlandals auch in den USA selbst bei Begehung schwerer Straf-taten die Möglichkeit hat – ich möchte nicht sagen, dassdas tägliche Rechtspraxis ist; es ist, sagen wir einmal,monatliche Rechtspraxis –, von der Bestrafung ganz ab-zusehen oder die Strafe ganz wesentlich zu vermindern,wenn die Person, der man Straftaten vorwirft, sich beider Aufklärung, insbesondere bei der Aufklärung ande-rer Straftaten, bei der Aufklärung von in hohem öffentli-chen Interesse liegenden Sachverhalten, verdient ge-macht hat?
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60 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013
Hans-Christian Ströbele
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Nehmen wir einmal die bei der Union etwas umstrit-tene Praxis, Leute, die aus der Schweiz Steuerdaten vondeutschen Steuerflüchtlingen liefern, nicht nur keinerBestrafung zuzuführen, sondern ihnen auch noch 1 Mil-lion Euro zu geben und ihnen durch eine neue IdentitätSchutz zu gewähren. Ich kenne auch einen Fall, in demeiner Person ein Bauernhof übereignet worden ist, damitsie eine Existenzgrundlage hat.Ist Ihnen das bekannt? Meinen Sie nicht, dass sichHerr Snowden hier weltweit Verdienste erworben hat?Es geht ja nicht nur um Deutschland und nicht nur umdie Kanzlerin. Es geht um Frankreich. Es geht um Ita-lien. Es geht um den Papst. Es geht um Brasilien. Es gehtum Mexiko. Überall tritt dieses Problem mit der Ausspä-hung auf. Die Präsidentin Brasiliens hat einen Besuch inden USA abgesagt, weil auch sie und ihre Regierungausspioniert worden sind. Auch das hat EdwardSnowden berichtet.Meinen Sie nicht, dass eine Güterabwägung, wie siebei der Justiz und beim Staat immer üblich ist, auch beiSnowden durchgeführt werden müsste und er deshalb alsZeuge hierhergeholt werden könnte, ohne bestraft zuwerden?
Lieber Kollege Ströbele, dass einem Whistleblower
einmal ein Bauernhof geschenkt worden ist, das war mir
bisher in der Tat nicht bekannt. – Von mir aus können
Sie sich gerne hinsetzen, aber üblich ist es, sich die Ant-
wort im Stehen anzuhören; das ist also schon in Ord-
nung. – Das ist eine neue Information für mich und eine
ganz nette Arabeske.
Die Möglichkeiten der Strafprozessordnung sind mir
sehr wohl bekannt. Es geht aber hier nicht um den Straf-
anspruch des deutschen Staates, auch nicht um Steuer-
straftaten; darüber können wir lange sprechen. Wir als
Union hatten ganz andere und rechtsstaatskonformere
Dinge vorgeschlagen. Hier geht es um den Strafanspruch
der Vereinigten Staaten von Amerika.
Ich habe es eben verglichen: Man könnte sich auch den
Fall vorstellen, dass es um den Strafanspruch unseres
Landes gegenüber einem Spion oder vielleicht einem
Mitarbeiter geht, der in ein anderes Land gegangen ist.
Übrigens hat dieser Edward Snowden nicht nur inte-
ressante Schriftstücke zur Ausspähung mitgenommen,
sondern er hat, wie man ebenfalls hört, auch Listen mit
Namen von Geheimagenten mit ihren Klarnamen mitge-
nommen. Ob das alles so wenig sicherheitsrelevant ist,
das möchte ich wirklich sehr bezweifeln. Also, die Figur
Edward Snowden ist wahrscheinlich etwas vielschichti-
ger, bei allem respektablen Mut, den man ihm zuspre-
chen kann.
Hier gilt der Strafanspruch der Vereinigten Staaten.
Es gilt das Auslieferungsabkommen, das wir geschlos-
sen haben und das wir umgekehrt übrigens auch ange-
wandt sehen wollten. Man mag an irgendeiner Stelle ein
Schlupfloch für diesen Fall finden. Aber ich finde, das
kann nicht der Stil sein, in dem Rechtsstaaten miteinan-
der umgehen sollten. Wenn das andere Staaten so ma-
chen, hindert das uns nicht daran, rechtsstaatlich mit gu-
tem Beispiel voranzugehen.
Die Zukunft – lassen Sie mich diesen einen Satz noch
sagen und damit zum Ende kommen – des deutsch-ame-
rikanischen Verhältnisses darf nicht im wechselseitigen
Rechtsbruch liegen, sondern sie liegt in der wechselseiti-
gen Vertrags- und Rechtstreue.
Danke schön.
Als nächste Rednerin spricht Dr. Eva Högl.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Seit die ersten Informationen über die massenhafteverdachtsunabhängige Überwachung des Telekommuni-kationsverkehrs durch ausländische Dienste in Deutsch-land bekannt wurden, fühle ich mich sehr an die Zeit vorfast zwei Jahren erinnert, Ende 2011, als die Naziterror-zelle NSU aufflog.Auch damals drängte sich jeder und jedem von unseine Vielzahl von Fragen auf, Fragen, die sich alle Bür-gerinnen und Bürger in Deutschland gleichermaßenstellten, Fragen, die uns an der Arbeitsfähigkeit und derEffektivität unserer Sicherheitsbehörden zweifeln ließen,und Fragen, die einer umfassenden und transparentenAufklärung zugeführt werden mussten.Wir haben damals hier im Deutschen Bundestag ge-meinsam über alle Partei- und Fraktionsgrenzen hinwegeinen vorbildlichen Weg eingeschlagen, die Aufklärungdieser Fragen kooperativ, sachorientiert und transparentzu ermöglichen. Die Art und Weise, wie wir dies beimFall NSU gemacht haben, wurde von vielen als Stern-stunde des Parlamentarismus bezeichnet. Auch wennSternstunden sich dadurch auszeichnen, dass sie etwasAußergewöhnliches sind, können sie sich ja trotzdemwiederholen. Deswegen plädiere ich dafür, dass wir unsan diesen Geist unseres damaligen Vorgehens erinnernund bei dieser Debatte an diese Einigkeit anknüpfen.
Die Fragen, mit denen wir es zu tun haben, und dieFragen, die wir uns alle stellen, eignen sich nicht für denüblichen parteipolitischen Streit. Wir alle wollen dochwissen: Seit wann, durch wen, in welchem Ausmaß er-folgt die massenhafte verdachtsunabhängige Überwa-chung der Kommunikationsbeziehungen von Bürgerin-nen und Bürgern in Deutschland? Wo werden welcheDaten technisch gewonnen? Auf deutschem Hoheitsge-biet oder nur auf Kommunikationswegen im Ausland?Inwieweit werden die Auslandsvertretungen hier in Ber-lin dazu genutzt, Kommunikationsbeziehungen auf deut-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013 61
Dr. Eva Högl
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schem Boden auszuspähen, und das nicht nur in Bezugauf die Bundeskanzlerin, sondern in Bezug auf alle Bür-gerinnen und Bürger dieses Landes?Welche rechtlichenRegelungen gelten eigentlich für die Tätigkeit ausländi-scher Nachrichtendienste in Deutschland? Was und seitwann wussten deutsche Stellen über die massenhafteverdachtsunabhängige Überwachung? Waren sie even-tuell sogar daran beteiligt? Und, liebe Kolleginnen undKollegen: Konnten unsere Dienste wirklich ernsthaft da-von ausgehen, dass Regierungsmitglieder nicht über-wacht werden?Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle diese Fragen,die ich eben aufgezählt habe, wollte oder konnte dieBundesregierung bisher nicht beantworten. Jedenfallssind sie bisher komplett unbeantwortet. Wir haben alsoviele Fragen, und wir haben viele Fragen, die sich in ers-ter Linie an ausländische Dienste richten und die mit un-seren parlamentarischen Mitteln nur schwer aufzuklärenund zu beantworten sind. Wir haben aber auch viele Fra-gen, die in Richtung unserer Nachrichtendienste gehen,die ihr Wissen, ihre Arbeitsweise und ihre mögliche Be-teiligung betreffen. Dafür ist zunächst einmal das Parla-mentarische Kontrollgremium zuständig, das ganz offen-kundig – das merken wir jetzt – in seiner jetzigenVerfassung und bei seiner jetzigen Arbeitsweise an seineGrenzen stößt. Deswegen begrüße ich ganz ausdrücklichdie Vorschläge zur Verbesserung der Arbeitsfähigkeitdes Parlamentarischen Kontrollgremiums. Es solltetransparenter tagen, teilweise öffentlich tagen, vielleichtsogar Fernsehübertragungen ermöglichen. Wir haben aneinem Beispiel in England gesehen, wie dies machbarist. Ich denke, dass nicht alles, was Nachrichtendienstemachen oder wissen, geheimhaltungsbedürftig ist, son-dern auch in der Öffentlichkeit debattiert werden muss.Wir sollten uns für eine Verbesserung der Strukturund Ausstattung des Kontrollgremiums engagieren. Un-sere Vorschläge dazu haben wir dem Deutschen Bundes-tag vorgelegt. Sie finden sich im NSU-Abschlussbericht.Ich denke, dies ist ein guter Fall, sie umzusetzen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen keineZeit mehr verlieren, sondern wir müssen tatsächlichganz engagiert, und zwar gemeinsam, aufklären. Daskann ein Kontrollgremium sein, das können Sachver-ständige sein, die wir einsetzen. Das kann eine Verbesse-rung der Transparenz des Verfahrens sein. Der Innenaus-schuss kann seine Aufgabe wahrnehmen. Wir könneneine Enquete-Kommission oder auch einen parlamentari-schen Untersuchungsausschuss einrichten. Ich sage es hierganz deutlich: Die Organisationsform, in der wir als Parla-ment aufklären, ist zweitrangig. Entscheidend kommt esauf die Inhalte und den Aufklärungswillen an.
Deswegen appelliere ich an alle, auch an die, die jetztnicht applaudieren,
dass wir sehr offen Gespräche darüber beginnen, wie wirgemeinsam über Partei- und Fraktionsgrenzen hinwegaufklären können, wie wir gemeinsam all die Fragen be-antworten können, die hier gestellt wurden. Ich verspre-che mir davon, dass wir etwas von dem, was ich vorhinals Sternstunde bezeichnet habe, dem Geist des NSU-Ausschusses, auf dieses schwerwiegende Thema NSAübertragen können.Herzlichen Dank.
Als nächster Redner hat Herr Dr. Uhl das Wort.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Her-ren! Als im Sommer, im Juni, die Snowden-Enthüllun-gen ihren Anfang nahmen, war die Empörung groß unddie Meldungen nicht immer richtig. Ich habe noch ein-mal das Titelbild des Spiegels im Juli herausgesucht.Dort hieß es:Der PaktAußer Kontrolle: Die geheime Zusammenarbeitvon NSA, BND und VerfassungsschutzDas war die Titelgeschichte des Spiegels, „Der Pakt“.
Da hieß es, Hunderte Millionen Daten von Deutschenwerden monatlich durch kollusives Zusammenwirkenzwischen NSA einerseits und den deutschen Dienstenandererseits nach Amerika geliefert. Das war der Vor-wurf.Diesen Dingen sind wir nachgegangen und musstenwir nachgehen. Wir konnten dies glücklicherweise Punktfür Punkt widerlegen. Insofern ist es unsere Aufgabe,den Bundesinnenminister in Schutz zu nehmen. Auchden Kanzleramtsminister Pofalla müssen wir in Schutznehmen, als er sagte, dass die Affäre insoweit aufgeklärtund beendet sei. Dieses kollusive Zusammenwirken hates nicht gegeben.
Das sind wir als Parlamentarier unseren Beamten auchschuldig. Man kann nicht zulassen, dass die Medien denBeamten unwidersprochen millionenfachen Rechtsbruchunterstellen und dann sagen: Aha, so sind die anschei-nend; sie leisten einen Eid auf die Einhaltung der Ge-setze, und dann begehen sie monatlich millionenfachRechtsbruch. Das kann so nicht stehen bleiben.
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Herr Kollege Uhl, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen von Notz?
Nein. Diese Dinge sind für mich ausdiskutiert und be-endet.
Deswegen will ich auch keine Zwischenfrage dazu ha-ben.Meine Damen und Herren, aber was danach kam, hatuns in der Tat die Augen geöffnet, weil wir von amerika-nischer Seite eben nicht mit der Wahrheit bedient wor-den sind.
Insofern haben Sie recht, Herr Steinmeier, wenn Sie sa-gen, dass wir die Dinge nicht bagatellisieren sollen. Aberwir sollten jetzt auch keinen Überbietungswettbewerbveranstalten: Wer von uns allen ist über diese Vorgängeam empörtesten? Wir sollten uns vielmehr gemeinsamGedanken machen: Was sind taugliche Instrumente zurAufklärung dieses Sachverhaltes?In die Empörung des Sommers mischte sich der Vor-schlag, einen parlamentarischen Untersuchungsaus-schuss einzurichten, meine Damen und Herren. Nun hates der Wähler so gewollt, dass die Minderheitsfraktionenzusammen nur rund 20 Prozent der Sitze innehaben.
Dennoch wollten wir die Ausübung des wichtigstenMinderheitenrechts der Opposition, einen parlamentari-schen Untersuchungsausschuss einzurichten, nicht be-hindern. Aber ist es wirklich ein taugliches Instrument– da bedanke ich mich bei Ihnen, Herr Steinmeier; IhreNachdenklichkeit, von der wir heute hier gehört ha-ben, ist wichtig –, einen parlamentarischen Untersu-chungsausschuss des Deutschen Bundestages zur Auf-klärung amerikanischen Regierungshandelns einsetzen?Ist es ein kluges, ein richtiges, ein weiterführendes In-strument? Natürlich nicht. Deswegen sollten wir darübernoch einmal nachdenken.Ich meine, wir sind an einem ganz schwierigen Punktangelangt. Es ist bekannt, dass Deutschland mit seinenDatenschutzbestimmungen weltweit führend ist; derdeutsche Datenschutz ist sprichwörtlich führend. Das hatzur Folge, dass der deutsche Staat den Bürgern – allenBürgern, nicht nur der Kanzlerin – das Recht auf infor-mationelle Selbstbestimmung zusichert. Und jetzt dieFrage:
Kann der Staat seinen Bürgern in Zeiten der weltweitenKommunikation, in denen Milliarden Daten über Glasfa-serkabel um den Erdball gejagt, Milliarden von Daten ir-gendwo auf der Welt in Clouds gespeichert werden, nochein solches Recht auf informationelle Selbstbestimmungzusichern? Wenn wir jetzt festgestellt haben, dass er esnicht konnte, stellt sich die Frage: Wie kann er es denn inZukunft? Damit sind wir an dem Punkt angelangt, denwir in Ruhe diskutieren sollten.Variante eins der Lösung: völkerrechtliche Abkom-men, No-Spy-Abkommen und was es alles für Verträgegeben kann. Es wird wohl wichtig sein, dass wir auf die-sem Weg mit den Amerikanern weiterkommen.Variante zwei sind technische Lösungen. Da teile ichnicht Ihre Auffassung, Herr Steinmeier, wenn Sie das soabtun. Ich glaube schon, dass die Rückgewinnung vonnationaler Souveränität ein Stück weit auch über techni-sche Antworten gelingen kann. Ich sage: auch über tech-nische Antworten. Ob es das geplante IT-Sicherheitsge-setz ist, ob es die De-Mail ist, ob es ein Routen innerhalbdes Landes ist, wenn eine Nachricht das Land nichtzwingend verlassen muss und damit unseren Daten-schutzbestimmungen unterworfen bleibt, ob es die Ver-schlüsselung von sensibler Regierungskommunikationist – hier haben wir hervorragende deutsche Kryptofir-men, die wir zum Einsatz bringen können –: Es gibt eineMenge von Maßnahmen – technische Antworten –, dieneben den völkerrechtlichen Verträgen sicherlich auchein guter Teil der Lösung sind.Lassen Sie mich ein Wort zu den Anträgen der Grü-nen und vor allem der Linken sagen. Herr Gysi, IhreAusführungen zur Souveränität Deutschlands und zurRückgewinnung derselben werden durch einen Antrags-katalog mit 16 Maßnahmen, 16 Aktionen ergänzt, dieweitgehend schon von Antiamerikanismus geprägt sind,obwohl Sie das abgestritten haben.
Wenn man das, was Sie alles vorschlagen, der Reihenach durchgeht, dann merkt man: Es riecht sehr nachRache. Das ist nicht die Lösung. Sie meinen wohl: Wennuns die Amerikaner so gedemütigt haben, dann mussman sich rächen können. Daraus leiten Sie ab: Souverä-nität haben wir erst dann wieder gewonnen, wenn dasgroße Amerika auf Ihrer Augenhöhe, Herr Gysi, mit unsredet. –
Das ist, glaube ich, nicht die Antwort auf das Problem.Nein, wir sollten mit den Amerikanern sehr konse-quent reden. Vieles ist angedeutet worden; das will ichjetzt nicht wiederholen. Wir werden nach Amerika fah-ren. Die Mitglieder der amerikanischen parlamentari-schen Kontrollorgane werden zu uns kommen. Wir wer-den auch regierungsseitig miteinander verhandeln undAbkommen schließen.Ein Wort noch zu Snowden, dann komme ich zumEnde, Frau Präsidentin. Erstens. Es ist sicher richtig,dass Herr Snowden nach den geltenden Bestimmungenkein Asyl bekommen kann; denn er ist ja gar nicht im
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013 63
Dr. Hans-Peter Uhl
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Lande. Asyl gewähren kann man nur dem, der im Landeist.Zweitens. Die Möglichkeit, nach § 22 des Aufent-haltsgesetzes vorzugehen, wurde erwähnt. Meine Damenund Herren, natürlich liegt es im Interesse Snowdens,hierherzukommen. Er will sich vor amerikanischer Straf-verfolgung schützen, indem er zu uns kommt. Aber liegtes im deutschen Interesse, Herrn Snowden diesen Gefal-len zu tun? Es tut mir für Sie und Ihren Mandanten, HerrStröbele, leid, aber ich glaube, bei der Abwägung deut-scher Interessen und Snowdens Interessen muss manschon sehr genau darüber nachdenken, ob es klug ist, ausGründen der Staatsräson zu sagen:
Herr Snowden soll zu uns kommen, weil wir den Streitmit den Amerikanern zwecks Rückgewinnung der Sou-veränität auf die Spitze treiben wollen. Das ist nicht derWeg, der uns weiterführt.Danke schön.
Das Wort hat Lars Klingbeil.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Es ist gut, dass sich der Deutsche Bundestagmit dem Thema NSA beschäftigt. Wir werden in dieserLegislaturperiode noch sehr oft mit dem Abhörskandalund den Überwachungsmechanismen zu tun haben. Wirhaben eine lange Strecke vor uns, wenn es darum geht,aufzuklären. Ich will auch anmerken, dass wir als Parla-ment gut beraten sind, wenn wir das an vielen Stellen ge-meinsam mit dem amerikanischen Kongress tun und unsdort nicht allein auf die Regierung verlassen.Der Bundestag hat Aufklärungsarbeit zu leisten. Daserwarten die Menschen von uns. Wir müssen daran ar-beiten, Vertrauen in die Grundrechte wiederherzustellen.Wir müssen dafür sorgen, dass das Vertrauen in sichereKommunikation wieder wächst. Wir müssen die Privat-sphäre zurückerobern. Wir müssen aber auch daran ar-beiten, das transatlantische Verhältnis wieder ins Lot zubringen, aus dem es in den letzten Wochen geraten ist.Ich sage Ihnen auch, liebe Kolleginnen und Kollegen:Wir müssen dafür sorgen, dass Geheimdienste, die ausdem Ruder gelaufen sind, endlich wieder dem Primat derPolitik untergeordnet werden.
Herr Minister Friedrich, ich muss schon sagen: Ichhätte mir in Ihrer Rede ein bisschen mehr Demut erwar-tet;
denn in den letzten Monaten ist doch einiges schiefge-gangen, als es darum ging, dass die jetzt geschäftsfüh-rende Bundesregierung die Aufgaben, die sie wahrzu-nehmen hat, wahrnimmt, wenn es um Schutz geht, wennes um Vertrauen geht. Ich sage auch: Es ist völlig be-rechtigt, dass wir hier in Deutschland Empörung erleben,wenn wir mitbekommen, dass das Handy der Bundes-kanzlerin abgehört wurde. Das dürfen wir uns nicht ge-fallen lassen. Aber auch in den Monaten vorher gab esgenügend Anlass, empört zu sein, genügend Anlass, ak-tiv zu werden: als es Hinweise darauf gab, dass dieGrundrechte der deutschen Bürgerinnen und Bürger ge-fährdet sind.
Das alles wurde heruntergespielt.Da ich nicht nur nach vorne schauen will, sondernauch die Ereignisse der letzten Monate ansprechen will,sage ich deutlich: Es hilft der Aufklärung nicht, wennwir über den Begriff des „Supergrundrechts“ verschie-dene Grundrechte in Deutschland gegeneinander aus-spielen.
Es hilft auch nicht – leider hat auch der von mir ge-schätzte Kollege Uhl das gerade getan –, wenn wir einenoch nicht einmal begonnene Aufklärung einfach für be-endet erklären.
Das stärkt doch nicht das Vertrauen der Bürgerinnen undBürger. Wenn dann auf einmal Vorschläge auftauchen,etwa zur Internetknotenüberwachung oder zur Verwen-dung von Mautdaten, dann frage ich mich: Was habenwir in den letzten Monaten aus der Diskussion über denUmgang mit den Daten eigentlich gelernt?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es muss Schlusssein mit dem Schlingerkurs der letzten Monate. Wir alsParlament und auch die künftige Bundesregierung habeneine Aufgabe wahrzunehmen, wenn es darum geht, aktivzu werden, wenn es darum geht, aufzuklären, und wennes darum geht, die richtigen Konsequenzen aus demSkandal rund um die NSA – ich will anmerken, dassnoch andere Geheimdienste damit zu tun haben – zu zie-hen.Lassen Sie mich kurz fünf Punkte nennen. Erstens.Unseren amerikanischen Freunden muss in aller Deut-lichkeit gesagt werden, dass die bisherige Praxis sofortgestoppt werden muss.
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64 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013
Lars Klingbeil
(C)
(B)
Der zweite Punkt ist – das haben uns gerade die Ver-öffentlichungen in den letzten Tagen gezeigt –: Wir müs-sen souveräner werden. Dabei geht es nicht – auch daswill ich deutlich sagen – um einen IT-Nationalismus. Esgeht nicht darum, dass wir das Internet renationalisierenwollen. Aber wir sehen doch selbst, dass wir in Deutsch-land besser werden müssen, wenn es darum geht, in For-schung und Entwicklung zu investieren, wenn es darumgeht, die Rahmenbedingungen für Hardware- und Soft-warelösungen in Deutschland zu verbessern, wenn es da-rum geht, Sicherheitsstandards zu definieren. Auch dassind Aufgaben für die nächsten vier Jahre. Es geht auchdarum, dass Deutschland die Kontrolle hat und dasKnow-how besitzt, damit der Staat verantwortungsvollhandeln kann.Dritter Punkt. Es geht um internationale Abkommenwie SWIFT und Safe Harbor, die ausgesetzt und überar-beitet werden müssen. Das Europäische Parlament for-dert dies bereits. Ich rate uns als Parlament, dass wir unsdiesen Forderungen anschließen. Wir brauchen Gewiss-heit, was mit den Daten passiert.
Vierter Punkt: völkerrechtliche Absicherung. Auchdieses Thema ist schon angesprochen worden. Ein No-Spy-Abkommen darf nicht ausschließlich zwischen Ge-heimdiensten verhandelt werden. Das muss politischverhandelt werden, und es muss nachher völkerrechtlichabgesichert werden.Der fünfte Punkt, den ich ansprechen will, ist dieFrage nach Edward Snowden. Ich will es hier ganz klarsagen: Wir als deutsches Parlament, als deutsche Öffent-lichkeit haben Edward Snowden viel zu verdanken.
Da ist ein mutiger junger Mann, der Informationen ge-sammelt und diese veröffentlicht hat, um die Sicherheitzu stärken. Ich warne davor, jetzt in kurzfristige Lösun-gen und Antworten zu verfallen. Wir müssen jetzt eineAntwort finden, die sich an zwei Parametern misst. EinParameter ist: Zur Aufklärung brauchen wir Informatio-nen. Der zweite Parameter ist: Wir müssen den bestmög-lichen Schutz für Edward Snowden garantieren und si-cherstellen. Deswegen ist es richtig, dass es jetzt denAuftrag gibt, hierfür Lösungen zu finden.Wenn wir diese fünf Punkte erfüllen, dann kommenwir in dieser Legislaturperiode auf dem Weg, verlorengegangenes Vertrauen wieder aufzubauen, ein gutesStück voran.Herzlichen Dank.
Als nächster Redner hat Peter Beyer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Siemich vorab meine Freude zum Ausdruck bringen, dassauch ich als Außenpolitiker in dieser sehr innenpolitischausgerichteten Debatte zu Wort kommen darf.
– Das ist ja auch eine gute Sache.Es ist gut, dass die Abhöraktivitäten der National Se-curity Agency ans Licht gekommen sind. Das ist vor al-lem deshalb gut, weil wir dadurch gezwungen werden,gründlich über das transatlantische Verhältnis nachzu-denken, etwas, was in den letzten Jahren häufig zu kurzgekommen ist. Der Abhörskandal zwingt uns gewisser-maßen dazu, uns bewusst zu machen, was die transatlan-tische Partnerschaft sowohl für uns Europäer als auch fürdie Amerikaner bedeutet. Das transatlantische Verhältniswurde lange Zeit von vielen gewissermaßen als Selbst-läufer betrachtet, als eine gute Sache, um die man sichim Grunde genommen nicht weiter zu kümmern braucht.Durch die aktuelle Debatte denken wir wieder über dietransatlantischen Gemeinsamkeiten und über die Unter-schiede, über unsere Abhängigkeiten und die Natur un-serer Zusammenarbeit nach.Die Vereinigten Staaten waren schon immer einer derwichtigsten Partner der Bundesrepublik. Sie haben mit-geholfen, Deutschland zu dem zu machen, was es heuteist. Uns verbinden nicht nur die gemeinsamen histori-schen Erfahrungen, sondern auch gemeinsame Werte,die auf den Prinzipien von Demokratie, Rechtsstaatlich-keit, Freiheit des Individuums und Marktwirtschaftgründen. Deutschland und Europa sind mit keiner ande-ren Region der Welt so eng verbunden wie mit Amerika.Man muss aber auch einen realistischen Blick auf dastransatlantische Verhältnis werfen. Amerika und Europahaben sich vor einigen Jahren ein Stück weit entfremdet.Die Gründe dafür sind vielfältig: die Differenzen überden Irakkrieg, ein stärkerer strategischer Fokus Wa-shingtons in Richtung Pazifik oder Deutschlands sicher-heitspolitische Zurückhaltung bei internationalen Kon-flikten in der jüngeren Zeit. Den Anstrengungen vonBundeskanzlerin Angela Merkel haben wir es zu verdan-ken, dass wir zu einem vertrauensvollen Umgang zu-rückgefunden haben.
Durch den Abhörskandal hat das transatlantischeBündnis nun eine ernsthafte Belastung erfahren. DieEmpörung, die auf beiden Seiten herrscht, zeigt, dassGrenzen überschritten worden sind. Um es klar zu sagen:Das Abhören unserer Kanzlerin und von Regierungsmit-gliedern ist nicht akzeptabel. Auch Industriespionage istnicht hinnehmbar.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013 65
Peter Beyer
(B)
Ferner ist zu fragen, ob die mutmaßliche flächende-ckende Aufzeichnung von Telefonaten, E-Mails undInternetverbindungen in Europa in dem Maße notwendigist, wie sie offenbar betrieben worden ist. Das Gebot derStunde heißt jedoch, die Aufregung auf ein nüchternesMaß zurückzufahren. Eine weitere Skandalisierung hilftda nicht weiter. Auch eine Trotzreaktion und eine Ver-weigerungspolitik wären sicherlich der falsche Weg.Eine starke Partnerschaft hält es aus, dass man unange-nehme Dinge anspricht. Jetzt ist umso mehr eine leben-dige Kommunikation gefragt. Wir müssen Probleme an-sprechen und unsere Erwartungen an die US-Regierungklar formulieren.Was passiert ist, können wir nicht rückgängig ma-chen. Aber es liegt in unserem Interesse, dass das Ver-trauen auf beiden Seiten des Atlantiks wiederhergestelltwird, und zwar rasch. Dazu bedarf es einer besonnenenAufklärung und Aufarbeitung des Sachverhalts, wasnicht auf Kosten der transatlantischen Beziehungen er-folgen darf. Daher bin ich dagegen, Edward Snowden inDeutschland zu befragen oder ihm hier bei uns Asyl zugewähren. Neben den bereits angesprochenen rechtli-chen Bedenken würde das den Konflikt mit Washingtonunweigerlich und unnötig verschärfen.
Der Besuch des Kollegen Ströbele in Moskau – er mel-det sich gerade lautstark zu Wort – war da möglicher-weise sogar kontraproduktiv
und stellt eine zusätzliche Belastung des transatlanti-schen Verhältnisses dar.
Eine gute Partnerschaft mit den USA liegt in unseremureigenen Interesse. Daher steht eine Antwort auf dieFrage, ob Snowden in Deutschland aussagen sollte, im-mer unter dem Vorbehalt, ob das langfristig auch deut-schen Interessen dient.Wir fordern darüber hinaus eine Aufarbeitung vonUS-amerikanischer Seite aus. In Ansätzen wird in denUSA bereits eine Diskussion über das Spannungsfeldzwischen Freiheit einerseits und Sicherheit andererseitsgeführt. Es wäre gut, wenn eine breite gesellschaftlicheDebatte stattfinden würde, an deren Ende eine Balancezwischen Sicherheit und individuellen Freiheitsrechtensteht.
Wir müssen jetzt unsere gute Position nutzen und dieVerhandlungen zur Transatlantischen Handels- und In-vestitionspartnerschaft, kurz TTIP, weiter vorantreiben.Diese jetzt auf Eis zu legen, wie dies leider einige for-dern, wäre die falsche Reaktion, ein Reflex, der gegenunsere eigenen Interessen gerichtet wäre. Denn insbe-sondere von einem verbesserten Marktzugang im Zugeeines erfolgreich verhandelten Abkommens profitiertvor allem die Exportnation Deutschland mit ihrem star-ken Mittelstand. Das Potenzial einer transatlantischenFreihandelszone, in der Handel und Investitionen unbe-lastet von tarifären und nichttarifären Hemmnissen statt-finden können, ist enorm. Allein in Deutschland könnenwir mit circa 160 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen rech-nen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, das transat-lantische Freihandelsabkommen ist das Projekt der trans-atlantischen Zukunft. Das Abkommen wird die Zusam-menarbeit mit den USA auf Jahrzehnte hinaus prägen.Was die NATO im 20. Jahrhundert im Sicherheitsbereichgewesen ist, wird die TTIP für das 21. Jahrhundert imökonomischen Bereich und noch weit darüber hinaussein. Die TTIP wird gleich einer vertraglichen Klammerwirken, die dem deutschen Mittelstand zugutekommenund unseren Wohlstand sichern helfen wird. Daher kannsie nicht zur Disposition stehen.In die Zukunft gerichtet haben Europa und die Verei-nigten Staaten noch viel miteinander vor. GlobalenHerausforderungen können wir nur in enger Zusammen-arbeit und Abstimmung begegnen. Internationaler Terro-rismus, die steigende Zahl asymmetrischer Konflikte,die Verbreitung von biologischen, chemischen und ato-maren Vernichtungswaffen, Klimawandel, Unterent-wicklung und Armut – machen wir uns nichts vor, ohnedie USA wird eine Lösung der Probleme nicht möglichsein.In vielen Bereichen gibt es noch Möglichkeiten unddie Notwendigkeit zum weiteren Ausbau der transatlan-tischen Zusammenarbeit. Da wären zum Beispiel Fragender Energieversorgung, Chancen neuer Technologienund Innovationen, der Zugang zu Rohstoffen und einegemeinsam abgestimmte Afrikapolitik, um nur einigewenige zu nennen. Auch in den USA hat es einen Wan-del im Energiesektor gegeben. Mit Interesse schauen dieAmerikaner vor allem nach Deutschland, um zu erfah-ren, wie wir die Energiewende gestalten. Hier können siedurchaus von uns in Deutschland noch einiges lernen,insbesondere was die Fragen von Nachhaltigkeit und er-neuerbaren Energien anbelangt.Es gilt also, den Blick nach vorne zu richten und dieKrise als Chance zu begreifen, als Chance, das transat-lantische Bündnis für die Zukunft auf ein solides Funda-ment zu stellen. Genau deshalb hat der NSA-Skandalauch etwas Gutes. Denn er gibt uns die Chance, das Ver-hältnis zu den USA im positiven Sinne zu überdenken,uns für die Zukunft breit aufzustellen und unsere Part-nerschaft zu festigen. Wir sind füreinander beste Partner.Wer damit zündelt, handelt fehlerhaft und gefährdet sta-bile politische und ökonomische Systeme.
„Miteinander reden, nicht raufen“ heißt die Devise.Vielen Dank.
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66 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013
(C)
(B)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen jetzt zu dem Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/56 sowie zu dem
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 18/65.
Die Fraktion Die Linke sowie die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen wünschen jeweils Abstimmung in der Sa-
che. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wün-
schen jeweils Überweisung an den geplanten Hauptaus-
schuss.
Wir haben uns im Bundestag schon häufiger mit einer
vergleichbaren Fragestellung beschäftigt. Nach einer
vom Plenum bestätigten Auslegung der Geschäftsord-
nung kann die antragstellende Fraktion der Überweisung
eines Entschließungsantrages bei vereinbarten Debatten
nicht gemäß § 88 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung wi-
dersprechen. Daher stimmen wir nach ständiger Übung
über Anträge auf Ausschussüberweisung zuerst ab.
Dazu hat die Kollegin Haßelmann das Wort zur Ge-
schäftsordnung erbeten. – Frau Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Wir möchten uns inder Tat gemäß § 29 der Geschäftsordnung gegen dasvorgeschlagene Verfahren aussprechen. Zu Recht kam jaaus meiner Fraktion gerade schon der Zwischenruf: „Inwelche Ausschüsse denn?“
Meine Damen und Herren, es ist völlig klar: Der Bun-destag hat sich bis zum heutigen Tag keinen Ausschussgegeben. Bis kurz vor der Sitzung waren CDU/CSU undSPD ja noch nicht einmal einig, an welchen Ausschuss– in Klammern: den es gar nicht gibt – das Ganze über-wiesen werden soll.
Auf der einen Seite war auf der Arbeitsebene zu hö-ren: an den Innenausschuss. Auch der, meine Damenund Herren, ist noch nicht eingerichtet. Auf der anderenSeite war zu hören: an den Hauptausschuss. Auch dengibt es noch nicht.
Von daher widersprechen wir an dieser Stelle ganz deut-lich Ihrer Initiative; denn sie ist durchsichtig.
Wer den Reden hier heute nur einigermaßen gefolgtist, hat deutlich gemerkt, dass Union und SPD unter-schiedliche Auffassungen haben, was die Bewertung desNSA-Skandals und seiner Dimension für Deutschlandangeht.
Das soll jetzt natürlich verkleistert werden, und zwar da-durch, dass man die beiden Entschließungsanträge vonGrünen und Linken heute in einen Ausschuss versenkt,den es noch gar nicht gibt.
Meine Damen und Herren, das muss einmal offen ange-sprochen werden.
Ich hoffe, dass Sie sehr viele Leute dazu verdammt nochmal zur Rede stellen werden.
Kommen Sie mir gleich bitte nicht mit dem Hinweisauf die geltende Praxis. Ich habe schon gemerkt, dassman einen Ansatzpunkt gefunden hat. In der 13. Legisla-turperiode, am 10. November 1994, hat das Plenum, dasParlament insgesamt, einmal Einvernehmen darüber her-gestellt, dass Anträge überwiesen werden und nicht so-fort über sie abgestimmt wird, obwohl zwei Fraktionen– eine war meine Fraktion – eine Sofortabstimmung ge-wünscht hatten. Darüber ist aber im Gegensatz zu heutevor der Sitzung Einvernehmen hergestellt worden. Bis-her ist es gängige Praxis im Parlament, dass, wenn eineFraktion zu einer Regierungserklärung oder einer verein-barten Debatte einen Entschließungsantrag einbringt unddiesen zur sofortigen Abstimmung stellt, über diesendann auch sofort abgestimmt wird. Darauf beziehen wiruns heute, und das erwarten wir.
Tatsache ist, dass Ihnen dieser Antrag unbequem ist.Wir haben heute nämlich nicht, Herr Grosse-Brömer,einfach nur gebrüllt, wie Sie es gerne sagen. Ich finde,Herr Ströbele hat ganz ruhig und gelassen geredet. Er hatnämlich viel zu sagen; schließlich hat er das Ganze mitseinem Besuch bei Herrn Snowden ins Rollen gebracht.Der Kollege Notz hat Ihnen dargelegt, was wir in un-serem Entschließungsantrag verlangen. Es geht um zehn
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013 67
Britta Haßelmann
(C)
(B)
Punkte, die sind schnell gelesen. Zu diesen Punkten ha-ben Sie alle sich heute in Ihren Reden verhalten. Jetztwollen Sie sich wegducken, einen Konflikt, den es beiIhnen offensichtlich gibt, hier im Parlament nicht austra-gen und diesen Antrag in Ausschüsse versenken, die esnicht gibt. Ich finde, das ist ein skandalöses Verfahren.Das können wir an dieser Stelle so nicht akzeptieren.
Beim nächsten Tagesordnungspunkt – ich will dieGelegenheit kurz nutzen, dazu etwas zu sagen – wird esgleich noch einmal um das Verfahren zur Einsetzung derAusschüsse gehen. Es besteht in der Tat Klärungsbedarfbezüglich der Frage: Richtet man jetzt verfassungsmä-ßige Ausschüsse ein, und zwar bevor sie koalitionsver-handelt sind, oder was richtet man jetzt ein?Beim Antrag der Linken, um den es gleich geht,
werden wir uns allerdings enthalten. Die Linke schlägtnämlich willkürlich vor, einfach neun Ausschüsse einzu-richten
– neun Ausschüsse –, aber nicht nur die in der Verfas-sung vorgesehenen, sondern darüber hinaus noch den Fi-nanzausschuss, den Innenausschuss und den Rechtsaus-schuss. Genauso gut könnte man fragen: Warum nichtauch den Ausschuss für Arbeit und Soziales?
Dieser Ausschuss könnte sich dann nämlich mit demThema Rentenbeitrag befassen.
Das werden wir gleich noch diskutieren. Jetzt geht esuns erst einmal darum, darauf zu bestehen, dass, wie eshier gängige Praxis ist, über Entschließungsanträge so-fort abgestimmt wird. Verhalten Sie sich doch einfach zuden zehn Vorschlägen zum Umgang mit der NSA-Af-färe!Vielen Dank.
Jetzt hat der Kollege Korte das Wort, danach der Kol-
lege Oppermann.
Liebe Kollegin Haßelmann, die Linke wäre bereit,alle Ausschüsse einzusetzen; denn wir sind seit dem23. September abends arbeitsfähig. Wir sind bereit, zuarbeiten; das wird aber hier insgesamt verhindert.
Weil das so ist, will ich hier begründen, warum wirder Auffassung sind, dass wir über die vorliegenden An-träge zu einem Themenfeld, das ja nun sehr viele Men-schen in diesem Lande bewegt – und das nicht erst seitdas Handy der Kanzlerin abgehört wurde,
sondern bereits seit dem Sommer –, heute abstimmensollten und Sie Farbe bekennen müssen:Erstens. Wir müssen heute darüber abstimmen, weilwir gar nicht wissen, wann wir das nächste Mal hier zu-sammenkommen oder ob wir überhaupt hier zusammen-kommen; denn das verschiebt sich ja Woche um Woche.Deswegen sollten wir zumindest in diesem Punkt heuteeinmal klare Kante zeigen und darüber abstimmen. Dasist doch wohl das Mindeste!
Sie von Union und SPD führen Koalitionsverhand-lungen und nehmen damit den ganzen Bundestag in Gei-selhaft; er darf nicht arbeiten.
Wir tun das trotzdem; aber wir wollen auch hier arbeiten.Nur weil Ihre Koalitionsverhandlungen mittlerweile et-was obskure Züge annehmen,
blockieren Sie, dass die Ausschüsse des Bundestagesihre Arbeit aufnehmen können. Das geht nicht!
Zweitens. Es ist nun mehrfach – insbesondere vonRednerinnen und Rednern der zukünftigen Großen Ko-alition – hier angemahnt worden, dass wir mit unserenKolleginnen und Kollegen in den Vereinigten Staaten,mit den Parlamentariern im Kongress, zusammenarbei-ten sollten, um die Aufklärung voranzubringen. Das isteine gute Idee, der sich meine Fraktion vollumfänglichanschließt. Es gibt nur ein organisatorisches Problem,liebe Kolleginnen und Kollegen: Der Kongress arbeitet,er hat Ausschüsse und kommt regelmäßig zusammen;wir aber nicht. Sollen von uns über 600 Leute nachWashington fliegen, oder wie stellen Sie sich das vor?
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68 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013
Jan Korte
(C)
(B)
Ein absurder Vorschlag! – Die arbeiten, und Sie blockie-ren hier, dass gearbeitet werden kann.
Einen dritten Punkt möchte ich noch ansprechen, ausdem hervorgeht, warum wir heute sofortige Abstim-mung beantragt haben. Insbesondere vonseiten derUnion ist hier ununterbrochen darauf hingewiesen wor-den, wie wichtig das transatlantische Verhältnis sei.
Dieses Verhältnis ist wichtig; das stimmt. Genauso wich-tig ist für uns als Linke aber – auch das gehört zumtransatlantischen Verhältnis – die Arbeit von Bürger-rechtsorganisationen, von kritischen Künstlern, von kri-tischen Rockmusikern und von den Kollegen im Kon-gress. Sie haben ein Recht darauf, zu erfahren, was derBundestag von diesen ganzen Vorgängen hält. Deswegenmüssen wir als Bundestag heute eine Position finden,liebe Kolleginnen und Kollegen. Das sollte nicht soschwer sein.
Am besten fand ich den Vorschlag, die Vorlage an densogenannten Hauptausschuss zu überweisen. Das kenneich noch aus meiner Zeit in der Kommunalpolitik. ImStadtparlament gibt es einen Haupt- bzw. Verwaltungs-ausschuss. Das kann doch nicht allen Ernstes hier diePosition sein! Dass die SPD das mitträgt, HerrOppermann, die hier in Bezug auf die Aufklärung unddie Transparenz bei dieser ganzen NSA-Affäre ebennoch in die Tasten gehauen hat, kann ich nun wirklichnicht verstehen. Sie haben den Koalitionsvertrag dochnoch gar nicht unterschrieben, und Ihre Mitglieder habendem noch gar nicht zugestimmt. Deshalb könnten Siehier doch zumindest bis dahin ordentliche parlamenta-rische Arbeit machen und nicht schon jetzt die großeBlockade durchführen. Es ist doch absurd, als SPD dasmitzutragen, obwohl es die Große Koalition noch garnicht gibt.
Lange Rede, kurzer Sinn: In dem Entschließungsan-trag von uns Linken, der übrigens, Kollege Uhl, nichtantiamerikanisch, sondern verantwortlich ist, betrachtenwir die Abkommen, die es gibt. Ein Beispiel ist das Ab-kommen zum Fluggastdatenaustausch mit den Vereinig-ten Staaten. Auf unsere Frage, was mit den europäischenFluggastdaten, die in den USA gesammelt werden, ei-gentlich geschieht, kann man doch angesichts der gan-zen Affären, die jeden Tag neu aufs Tapet kommen,nicht einfach sagen: Wir stimmen das hier nicht ab, dasinteressiert uns nicht, das ist antiamerikanisch. – Dierichtige Antwort wäre, diese ganzen Abkommen auszu-setzen und neu zu verhandeln. Das ist doch das Min-deste, was die Menschen erwarten können.
Man könnte hier noch viele Punkte aufzählen. Ichfinde, das ist überhaupt kein gutes Omen für die nächs-ten vier Jahre. Erstens haben Sie, wie wir eben gesehenhaben, viel zu viel Redezeit,
und zweitens ist das, was Sie sagen, wirklich unerträg-lich.Sie können ruhig die Große Koalition bilden – das istIhr gutes Recht –, aber bei so einem Vorgang, der soviele Menschen umtreibt – die Leute sind verängstigt,weil sie nicht wissen, was von ihnen gespeichert wird –,
ist es das Mindeste, dass der Bundestag – seit Septemberdiskutieren wir diese Affäre – zumindest einmal Farbebekennt und Sie alle sagen, was Sie zu diesen Vorgängenmeinen und ob Sie bereit sind, die notwendigen Schluss-folgerungen daraus zu ziehen. Sie verweigern sich dem,und das kritisieren wir aufs Allerschärfste.Schönen Dank.
Jetzt hat Herr Kollege Oppermann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich ver-stehe die Aufregung der Kollegen Korte und Haßelmannüberhaupt nicht:
Seit Tagen hören wir, dass der Bundestag endlich mitAusschussberatungen beginnen soll.
Wo wir Ihnen heute die Möglichkeit geben, diese An-träge in einem noch zu bestimmenden Ausschuss zu be-raten, sind Sie aber auch dagegen.
– Natürlich, aber den wird es ja geben.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013 69
Thomas Oppermann
(C)
(B)
In der nächsten Sitzung des Bundestages werden wir ei-nen Ausschuss einsetzen, und dann wird dieser Antragdort beraten.
Das ist ja durchaus auch die Chance für Sie, dass ausden Anträgen noch etwas wird.
Ich finde in den Anträgen berechtigte Punkte, denen ichzustimmen könnte, ich finde dort Diskussionswürdiges,aber ich finde dort auch falsche Punkte.
Die Ausschussberatung ist doch die Chance, dass wir dieSpreu vom Weizen trennen,
dass Sie Ihre Argumente noch einmal nachschärfen unddass wir am Ende möglicherweise sogar zu einem ge-meinsamen Ergebnis kommen.
Ich will bei dieser Gelegenheit auch sagen, dass ichnoch in dieser Woche zusammen mit dem KollegenGrosse-Brömer und den Vertretern der Grünen und derLinken ins Gespräch darüber kommen will, wie wir dasParlamentarische Kontrollgremium aufstellen, welchenZuschnitt es haben soll und welche Instrumente ihm zurVerfügung stehen sollen.
Das kann relativ schnell geschehen, und dann könnenwir das alles auf den Weg bringen.Es wird also in der nächsten Sitzung
der Vorschlag von der Union und von der SPD kommen,einen Hauptausschuss einzurichten.
Dieser Hauptausschuss kann Beratungen und Anhörun-gen durchführen und parlamentarisch sachgerecht arbei-ten. Das ist natürlich viel mehr wert als Sofortentschei-dungen ohne die handwerkliche Arbeit im Ausschuss;diese sollte man nicht geringschätzen.
Deshalb möchte ich Sie jetzt bei Ihrem eigenen Wortnehmen. Eine Ausschussberatung ist bei diesen Anträ-gen in der Sache genau angemessen.Vielen Dank.
Gibt es weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht derFall.Dann kommen wir jetzt zu den Abstimmungen. Werstimmt für die beantragten Überweisungen? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit sind dieÜberweisungen beschlossen
mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen dieStimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Inder Sache stimmen wir damit heute nicht ab.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Zusatz-punkt 1 auf:Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKEEinsetzung von Ausschüssen– Drucksache 18/54 –Eine Aussprache ist dazu nicht vorgesehen.Daher kommen wir gleich zur Abstimmung über denAntrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/54.Wer stimmt für diesen Antrag? – Das ist die Linke. Werstimmt dagegen? – Die SPD-Fraktion und die CDU/CSU-Fraktion. Wer enthält sich? – Das ist die FraktionBündnis 90/Die Grünen. Damit ist der Antrag mit denStimmen der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion abge-lehnt.Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKEBestimmung des Verfahrens für die Berech-nung der Stellenanteile der Fraktionen– Drucksache 18/53 –Aufgrund der soeben erfolgten Ablehnung des An-trags auf Einsetzung von Ausschüssen hat die Fraktion
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70 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
(C)
(B)
Die Linke als Antragsteller erklärt, ihren Antrag zur Be-stimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stel-lenanteile der Fraktionen zurückzuziehen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-ordnung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Der Terminfür die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages wirdIhnen – –
– Frau Sitte.
Frau Präsidentin, ich hatte bereits zu Beginn der Sit-
zung angekündigt, dass ich gerne eine Erklärung zum
Abstimmungsverhalten abgeben möchte.
Diese Gelegenheit möchte ich jetzt gemäß § 31 unserer
Geschäftsordnung wahrnehmen.
Das ist selbstverständlich Ihr Recht.
Danke. – Ich möchte gerne etwas zu den Abstimmun-gen sagen, die eben im Bundestag durchgeführt wurden.
Sie wissen so gut wie ich, dass in den letzten Tagen zahl-reiche Forderungen erhoben wurden, die insbesondereauch in den Medien reflektiert worden sind, dass derBundestag endlich liefern muss. Er tut das nämlich zur-zeit nicht. Wir haben es gerade erlebt. Niemand Geringe-rer als der Bundestagspräsident selbst hat es in seinerAntrittsrede klargestellt – ich zitiere –:Und selbstverständlich bedarf eine geschäftsfüh-rend amtierende Bundesregierung nicht wenigerparlamentarischer Kontrolle als eine neu gewählte.
Und weiter in seiner Rede:Niemand wird deshalb ernsthaft erwarten dürfen,dass der Bundestag seine Arbeit erst nach Ab-schluss der Koalitionsverhandlungen aufnehmenwird.Die Linke sieht das genauso. Deshalb haben wir den An-trag gestellt, und deshalb ist uns Ihr Verhalten völlig un-verständlich.
Im Übrigen: Wer kritisiert, welche Anträge wir ge-stellt haben, dem sage ich: Das Grundgesetz steht sicher-lich nicht im Verdacht, willkürlich zu sein. Wir habenuns nämlich in unseren Anträgen im Wesentlichen amGrundgesetz orientiert.
Wir fordern die Einsetzung des Petitionsausschusses,weil es derzeit ungefähr 1 000 Petitionen gibt, die imBundestag nicht bearbeitet werden.Wir fordern die Einsetzung des Innenausschusses unddes Auswärtigen Ausschusses, weil eben, wie geradedeutlich geworden ist, die NSA-Affäre dort nicht beratenwerden kann.
Der US-Kongress tagt dazu permanent. Das Europapar-lament hat bereits zehn Anhörungen zu dieser Problema-tik durchgeführt.Wir beantragen weiterhin die Einsetzung des Verteidi-gungsausschusses, weil Auslandseinsätze einer Parla-mentsarmee eben auch einer parlamentarischen Beglei-tung bedürfen. Zudem steht die Verlängerung vonAuslandseinsätzen an. Sie haben das selbst konstatiert.Natürlich braucht man zeitnahe Informationen über denVerlauf und über Probleme von Auslandseinsätzen.Schließlich haben wir die Einsetzung des Haushalts-ausschusses, des Finanzausschusses und des Rechtsaus-schusses beantragt. Das sind übrigens alles Ausschüsse,die es etwa seit der dritten Wahlperiode in völlig unver-änderter Form und in diesem Zuschnitt gibt. Es sinddoch Gesetzentwürfe aus dem Bundesrat zu behandeln,beispielsweise zur Kita, beispielsweise zur Schließungvon Steuerschlupflöchern.Natürlich bringen auch wir Linke parlamentarischeInitiativen ein, zu denen sich der Bundestag verhaltenmuss. Das betrifft die Gesetzentwürfe zur Stabilisierungdes Rentenbeitrags, die zu erwarten sind. Es geht aberauch um die Frage des Mindestlohns oder die Verbesse-rung von Erwerbsminderungsrenten. Zu klären sind auchdie Fragen der Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Le-benspartnerschaften, der Abschaffung des Betreuungs-geldes oder auch der Abschaffung sachgrundloser Be-fristungen von Arbeitsverträgen.
Das alles sind brennende Themen. Meine Fraktion undich haben überhaupt keine Lust, auf Ihre Diätkost ausder Koalitionsvereinbarung einer Großen Koalition zuwarten.
Wir wollen auch an dieser Stelle unsere Forderungen inden Bundestag einbringen und seriös behandelt wissen.
Nun zu Ihrem tollen Hauptausschuss. Wissen Sie ei-gentlich, was dieser Hauptausschuss ist? Es ist ein
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013 71
Dr. Petra Sitte
(C)
Hauptausschuss nach dem Prinzip „Hauptsache weg“.Darauf kommen Sie doch nie wieder zurück; das ist dochvöllig klar.
– Ich hätte sehr gerne vor der Abstimmung geredet, HerrKauder. Aber das wollte Ihre Fraktion nicht. Das ist übri-gens auch ein Beispiel dafür, warum Minderheitenrechtein diesem Hause anders geregelt werden müssen.
Sie können uns doch als so pfundige Fraktion, die Siesind, nicht ernsthaft erklären, dass Sie nicht in der Lagesind, diese Ausschüsse einzusetzen und Abgeordnete zumobilisieren, die in diesen Ausschüssen arbeiten.
Sie wollen in Zukunft regieren. Dann werden Sie wohldie Besetzung der Ausschüsse hinbekommen. Mithinverhandeln wohl nicht alle Ihre Abgeordneten in denKoalitionsgruppen.
So weit von meiner Seite zu diesen Fragen.Ich will es noch einmal deutlich machen: Die letzteFraktion, die hier in diesem Haus nicht geliefert hat,wurde durch Wahlentscheidungen ausgesteuert. Die Ab-geordneten dieser Fraktion haben ihre Plätze hier verlo-ren. Ich finde, das sollte diesem Haus eine ernste War-nung sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind jetzt am
Schluss der Debatte.
Der Termin für die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages wird Ihnen rechtzeitig bekannt gegeben.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend oder eine
gute Rückfahrt in Ihren Wahlkreis.
Die Sitzung ist geschlossen.