Protokoll:
18002

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 2

  • date_rangeDatum: 18. November 2013

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 13:30 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 17:56 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/2 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 2. Sitzung Berlin, Montag, den 18. November 2013 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Brigitte Zypries . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 A Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 23 D Begrüßung der Botschafterin der Philippinen, Frau Maria Natividad . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 D Wirbelsturm auf den Philippinen . . . . . . . . . . 23 D Tagesordnungspunkt 1: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: Gipfel der Östlichen Part- nerschaft am 28./29. November 2013 in Wilna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 B Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . 24 B Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE) . . . . . . . . 27 A Dr. h. c. Gernot Erler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 29 B Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 D Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 32 B Michael Roth (Heringen) (SPD) . . . . . . . . . . . 34 A Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 C Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) . . . . . 36 B Dr. Katarina Barley (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 37 D Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 39 A Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 40 B Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 41 B Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 B Tagesordnungspunkt 2: Vereinbarte Debatte: zu den Abhöraktivitä- ten der NSA und den Auswirkungen auf Deutschland und die transatlantischen Be- ziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 B Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 B Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) . . . . . . . . 45 C Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 47 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 C Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU). . . . . . . 52 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 B Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 55 B Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 56 A Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 A Dr. Günter Krings (CDU/CSU). . . . . . . . . . . . 58 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 D Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 C Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 61 C Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 B Peter Beyer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 64 C Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (zur Geschäftsordnung) . . . . . . 66 B Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013 Jan Korte (DIE LINKE)  (zur Geschäftsordnung). . . . . . . . . . . . . . . . 67 C Thomas Oppermann (SPD)  (zur Geschäftsordnung). . . . . . . . . . . . . . . . 68 D Zusatztagesordnungspunkt 1: Antrag der Fraktion DIE LINKE: Einsetzung von Ausschüssen  (Drucksache 18/54) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 D Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktion DIE LINKE: Bestim- mung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen (Drucksache 18/53). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 D Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 A Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 73 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013 23 (A) (C) (D)(B) 2. Sitzung Berlin, Montag, den 18. November 2013 Beginn: 13.30 Uhr
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    (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung. Berlin, Montag, den 18. November 2013 73 (A) (C) (B) Anlage zum Stenografischen Bericht Liste der entschuldigten Abgeordneten (D)  Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Agnes Alpers (DIE LINKE) 18.11.2013 Sabine Bätzing- Lichtenthäler (SPD) 18.11.2013 Heidrun Bluhm (DIE LINKE) 18.11.2013 Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) 18.11.2013 Klaus Brähmig (CDU/CSU) 18.11.2013 Marco Bülow (SPD) 18.11.2013 Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 18.11.2013 Dr. Lars Castellucci (SPD) 18.11.2013 Roland Claus (DIE LINKE) 18.11.2013 Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18.11.2013 Alois Gerig (CDU/CSU) 18.11.2013 Nicole Gohlke (DIE LINKE) 18.11.2013 Monika Grütters (CDU/CSU) 18.11.2013 Wolfgang Gunkel (SPD) 18.11.2013 Uda Heller (CDU/CSU) 18.11.2013 Wolfgang Hellmich (SPD) 18.11.2013 Josip Juratovic (SPD) 18.11.2013 Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) 18.11.2013 Dr. Bärbel Kofler (SPD) 18.11.2013 Anette Kramme (SPD) 18.11.2013 Michael Kretschmer (CDU/CSU) 18.11.2013 Barbara Lanzinger (CDU/CSU) 18.11.2013 Silke Launert (CDU/CSU) 18.11.2013 Michael Leutert (DIE LINKE) 18.11.2013 Dr. Jan-Marco  Luczak (CDU/CSU) 18.11.2013 Daniela Ludwig (CDU/CSU) 18.11.2013 Andreas Mattfeldt (CDU/CSU) 18.11.2013 Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 18.11.2013 Dietrich Monstadt (CDU/CSU) 18.11.2013 Marlene Mortler (CDU/CSU) 18.11.2013 Dietmar Nietan (SPD) 18.11.2013 Johannes Röring (CDU/CSU) 18.11.2013 Dr. Dorothee  Schlegel (SPD) 18.11.2013 Bernhard Schulte- Drüggelte (CDU/CSU) 18.11.2013 Sonja Steffen (SPD) 18.11.2013 Wolfgang Tiefensee (SPD) 18.11.2013 Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18.11.2013 Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) 18.11.2013 Beate Walter- Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18.11.2013 Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 18.11.2013  Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 2. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 1 Regierungserklärung zum Gipfel der Östlichen Partnerschaft in Wilna TOP 2 Vereinbarte Debatte zu den Abhöraktivitäten der NSA ZP 1 Antrag auf Einsetzung von Ausschüssen ZP 2 Antrag zur Berechnung der Stellenanteile Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1800200000

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich zur 2. Sitzung des Deutschen Bundestages in
der 18. Legislaturperiode.

Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, habe ich
Ihnen einige Mitteilungen zu machen.

Ich beginne mit der rundum erfreulichen Mitteilung,
dass die Kollegin Brigitte Zypries am vergangenen
Samstag einen runden Geburtstag feiern konnte.


(Beifall)


Ich gratuliere ihr im Namen des ganzen Hauses auch auf
diesem Wege noch einmal herzlich und wünsche ihr al-
les Gute für das neue Lebensjahr.

Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass es eine inter-
fraktionelle Verständigung gibt, den bereits am 21. März
dieses Jahres im Ältestenrat vereinbarten vorläufigen
Zeitplan für das Jahr 2014 zu bestätigen. Mit „vorläufi-
ger Zeitplan“ sind selbstverständlich die Sitzungswo-
chen des Bundestages im Jahre 2014 gemeint. – Dazu
gibt es eine Wortmeldung. Herr Kollege Gysi, bitte.


Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1800200100

Herr Präsident! Meine Wortmeldung ist natürlich

nicht dazu, sondern ich missbrauche mein Recht. Denn
eines geht nicht, und zwar, dass hier nicht erwähnt wird,
dass Sie am vergangenen Samstag 65 Jahre alt geworden
sind. Meine herzlichen Glückwünsche, ich glaube, im
Namen des ganzen Hauses!


(Beifall)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1800200200

Herr Kollege Gysi, ich bedanke mich sehr. Es wäre

natürlich schon gegangen. Im Unterschied zu manch an-
derem bestünde hierfür keine verfassungsrechtliche Not-
wendigkeit.


(Heiterkeit)

Umso mehr beeindruckt mich Ihre Kurzintervention.
Wenn wir das während der Legislaturperiode auf diesem
Niveau durchhalten könnten, wäre das schon einmal eine
Perspektive.


(Heiterkeit und Beifall)


Damit ist jedenfalls der Sitzungsplan für das Jahr
2014 beschlossen. Das schließt im Übrigen natürlich
nicht aus, dass wir durch Vereinbarungen noch einmal
Korrekturen vornehmen könnten. Jeder kann sich aber
darauf einstellen, wann im nächsten Jahr Sitzungswo-
chen einzuplanen sind.

Darüber hinaus gibt es eine interfraktionelle Verein-
barung, die für heute vereinbarte Tagesordnung um die
Anträge der Fraktion Die Linke zur Einsetzung von Aus-
schüssen sowie zur Bestimmung des Verfahrens für die
Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen auf den
Drucksachen 18/53 und 18/54 zu erweitern. Beide An-
träge sollen als Zusatzpunkte im Anschluss an den
Tagesordnungspunkt 2 aufgerufen und dann ohne Aus-
sprache abgestimmt werden. Sind Sie auch damit einver-
standen? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so
beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich Tages-
ordnungspunkt 1 aufrufe, möchte ich auf der Ehrentri-
büne die Botschafterin der Philippinen, Frau Maria
Natividad, begrüßen


(Beifall)


und unsere Gedanken von den Aufgaben und Herausfor-
derungen im eigenen Land in jenen Teil der Welt lenken,
der am Freitag vor einer Woche vom tropischen Wirbel-
sturm „Haiyan“ heimgesucht wurde. Dieser Taifun war
einer der stärksten, der jemals von Meteorologen regis-
triert wurde, und hat auf den Philippinen schwerste Ver-
wüstungen angerichtet – ganz besonders auf den Inseln
Samar und Leyte.

Die Bilder, die uns in den letzten Tagen erreicht und
erschüttert haben, zeigen Städte und Landschaften, die in
einem geradezu apokalyptischen Ausmaß zerstört sind.
Besonders schlimm hat es die Stadt Tacloban getroffen,
die völlig zerstört worden ist. Aber auch in anderen





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Teilen der Philippinen sind Millionen Menschen vom
Sturm betroffen. Nach Schätzungen der Behörden sind
mehrere Tausend Tote zu beklagen. Die materiellen
Schäden sind noch gar nicht abzuschätzen, aber schon
jetzt ist offensichtlich, dass viele, sehr viele Menschen
ihre Existenzgrundlage verloren haben.

Die Menschen auf den Philippinen brauchen jetzt vor
allem Hilfe – schnell und konkret. Schon unmittelbar
nach den ersten Meldungen über die Katastrophe haben
Regierungen und Hilfsorganisationen aus aller Welt ihre
Hilfe zugesagt. Auch die Bundesregierung hat rasch
Hilfsgüter zur Verfügung gestellt, um die erste Not zu
lindern. Zahlreiche Helfer aus Deutschland sind bereits
vor Ort oder auf dem Weg, um den Menschen zu helfen.
Viele Menschen in unserem Land beteiligen sich mit be-
achtlichen Spenden an den Bemühungen zur Bewälti-
gung der riesigen Probleme und Aufgaben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschen auf
den Philippinen machen in diesen Tagen eine unendlich
schwere Zeit durch. Wir in Deutschland können das Leid
nur erahnen, aber nicht ermessen. Aber wir wollen Ih-
nen, Frau Botschafterin, deutlich machen, dass wir in
unseren Gedanken bei Ihnen und bei den Menschen in
Ihrem Land sind und nach Kräften dabei helfen wollen,
Schäden zu beseitigen und Leid zu lindern. Unsere
Trauer und Anteilnahme gilt den Angehörigen der Opfer,
unser Mitgefühl den betroffenen Menschen und unser
Dank und Respekt all denen, die nach Kräften helfen;
manche auch über ihre Kräfte hinaus. Vielen Dank.


(Beifall)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin

Gipfel der Östlichen Partnerschaft am 28./29. No-
vember 2013 in Wilna

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor, über den wir am Ende der Debatte befin-
den.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung 94 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann können wir so verfahren.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1800200300

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Botschafterin, auch
im Namen der Bundesregierung möchte ich noch einmal
die herzlichen Wünsche an das philippinische Volk von
diesem Ort aus überbringen. Der Bundesaußenminister
steht in ständigem Kontakt. Ich habe mit dem Präsiden-
ten Aquino persönlich telefoniert. Sie dürfen wissen,
dass wir alles, was in unseren Möglichkeiten steht, tun
werden, um dem philippinischen Volk in dieser schwe-
ren Stunde zur Seite zu stehen.


(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren, in zehn Tagen wird in Vil-
nius der dritte Gipfel der Östlichen Partnerschaft stattfin-
den. Auf Einladung der litauischen Ratspräsidentschaft,
der Präsidentin Dalia Grybauskaite, treffen dort alle Mit-
gliedstaaten der EU mit den Vertretern der sechs osteuro-
päischen Partnerländer Moldau, Georgien, Armenien,
Ukraine, Weißrussland und Aserbaidschan zusammen.
Ich werde an diesem Gipfel wie an den beiden früheren
Gipfeln in Prag und Warschau teilnehmen. Mit meiner
Teilnahme möchte ich die Verbundenheit Deutschlands
und der gesamten Europäischen Union mit unseren östli-
chen Nachbarn unterstreichen. Es ist unser gemeinsames
strategisches Interesse, die Weiterentwicklung dieser
Länder zu fördern, die Transformation in den Bereichen
Demokratie, Menschenrechte und gute Regierungsfüh-
rung zu unterstützen und die wirtschaftliche Entwick-
lung dieser Länder zu stärken.

Ich sehe in der Östlichen Partnerschaft ein großes
Potenzial. Sie ist ein eigenständiges Instrument europäi-
scher Politik, das unseren osteuropäischen Nachbarn
eine völlig neue Qualität der Annäherung ermöglicht.
Sie steht neben anderen strategischen Partnerschaften,
die der Europäischen Union wichtig sind, wie etwa der
Partnerschaft mit Russland oder den Verhandlungen über
ein Freihandelsabkommen wie zum Beispiel mit den
Vereinigten Staaten von Amerika.

An dieser Stelle möchte ich aus aktuellem Anlass
auch wenige Sätze zu Amerika sagen. Die Beratungen
mit Amerika zeigen, dass solche Verhandlungen zum
Beispiel über Freihandelsabkommen immer mehr sind
als Beratungen über Wirtschaft und freien Handel; es
geht bei solchen Verhandlungen immer auch um Ver-
trauen. Deutschland und Amerika teilen gemeinsame Er-
fahrungen, Werte und Interessen. Wir stehen gemeinsam
für freiheitliche, offene und demokratisch verfasste Ge-
sellschaften. Das transatlantische Verhältnis und damit
auch die Verhandlungen über ein transatlantisches Frei-
handelsabkommen werden gegenwärtig ganz ohne Zwei-
fel durch die im Raum stehenden Vorwürfe gegen die
USA um millionenfache Erfassung von Daten auf eine
Probe gestellt. Die Vorwürfe sind gravierend; sie müssen
aufgeklärt werden. Und wichtiger noch: Für die Zukunft
muss neues Vertrauen aufgebaut werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das kann nur durch Transparenz einerseits und das Be-
wusstsein andererseits geschehen, dass das transatlanti-
sche Verhältnis für beide Partner – ich betone: für beide
Partner –, gerade aber auch für Deutschland wesentli-
cher Garant unserer Freiheit und unserer Sicherheit ist.
Ich sage deshalb ausdrücklich: Trotz allem sind und blei-
ben das deutsch-amerikanische und das transatlantische
Verhältnis von überragender Bedeutung für Deutschland
und genauso für Europa.

Meine Damen und Herren, das steht im Übrigen in
keiner Weise im Gegensatz dazu, dass Deutschland und
Europa größtes Interesse an weiteren Instrumenten euro-
päischer Politik haben. Dazu gehört auch die Östliche
Partnerschaft. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die
Östliche Partnerschaft ist kein Instrument der EU-Erwei-
terungspolitik. Es geht im Rahmen der Östlichen Part-





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)

nerschaft nicht um EU-Beitrittsperspektiven; es geht viel-
mehr darum, unsere Partner bei der Demokratisierung und
Modernisierung zu unterstützen, indem wir politische
Annäherung und wirtschaftliche Integration anbieten.

Dabei lassen wir uns von den Grundsätzen der Kondi-
tionalität und der Differenzierung leiten. Das heißt, dass
die Länder, die auf dem Weg zu Demokratie und Rechts-
staat mehr oder weniger voranschreiten, auch unter-
schiedlich behandelt werden und damit unterschiedlich
von der EU-Förderung und der Kooperation profitieren
können. Drei Punkte sind in diesem Zusammenhang be-
sonders wichtig: erstens eine erfolgreiche Transforma-
tion unserer Partnerländer, zweitens ihre souveräne Ent-
scheidung über ihre politische Ausrichtung und drittens
die Kontakte von Mensch zu Mensch.

Eine gute wirtschaftliche und politische Entwicklung
unserer östlichen Nachbarn ist von großer Bedeutung,
und zwar nicht nur für unsere Partner, sondern auch für
die Stärke und den Wohlstand der Europäischen Union.
Auch deshalb müssen wir unser Engagement für unsere
Nachbarn entschlossen fortsetzen. Unsere Partnerschaft
verpflichtet nämlich beide Seiten: Wir wollen den wirt-
schaftlichen Austausch und die Kontakte zwischen unse-
ren Gesellschaften, zwischen der EU und ihren Partnern
wie auch zwischen den Partnern untereinander.

Den Zivilgesellschaften in den östlichen Partnerlän-
dern kommt in diesem Prozess eine entscheidende Rolle
zu. Sie müssen diesen Wandel tragen, fordern und för-
dern. Sie sollen die politische Annäherung ihrer Länder
an die EU und die Chancen der wirtschaftlichen Integra-
tion erleben und gestalten können. Dieser besondere
Schwerpunkt nicht nur im Bereich der Regierungszu-
sammenarbeit, sondern ebenso des Zusammenwirkens
der Menschen drückt sich auch darin aus, dass beides,
die wirtschaftliche Kooperation und die Zusammen-
arbeit der Zivilgesellschaften, elementare Bestandteile
der Östlichen Partnerschaft sind.

Dafür haben wir bestimmte Instrumente in der Hand.
Sie klingen oftmals sehr technisch, aber sie bedeuten in
jedem einzelnen Fall konkrete Verbesserungen des Zu-
sammenlebens. Dazu gehören Assoziierungs- und Frei-
handelsabkommen ebenso wie Erleichterungen in Visa-
fragen. Wesentlich für das gegenseitige Verständnis ist
die Teilnahme junger Menschen aus den östlichen Part-
nerländern an EU-Programmen wie ERASMUS und an-
deren. All diese Elemente tragen zu einer zunehmenden
Orientierung der östlichen Partner an unseren Werten
und unseren Standards bei.

Auf dem kommenden Gipfel wollen wir mit Moldau
und Georgien Assoziierungs- und umfassende Freihan-
delsabkommen paraphieren. Beide Länder haben in den
vergangenen Jahren eine insgesamt positive Entwick-
lung genommen. In Georgien kam es zu einem friedli-
chen Regierungswechsel durch demokratische Wahlen
und einer Verbreiterung des gesellschaftlichen Konsen-
ses über die Ausrichtung des Landes.

Die Republik Moldau hat unter den östlichen Partnern
trotz mancher innenpolitischer Turbulenzen die viel-
leicht größte Entschlossenheit bei der Verabschiedung
und Umsetzung von Reformen gezeigt. Damit die anste-
hende Paraphierung der Assoziierungs- und Freihandels-
abkommen auch rasch wirksam werden kann, haben wir
uns beim letzten Europäischen Rat in Brüssel dazu ver-
pflichtet, die Voraussetzungen für eine anschließende
Unterzeichnung schnellstmöglich zu schaffen.

Unsere Beziehungen zu Moldau und Georgien wer-
den dadurch enger denn je. Die ausgehandelten Verträge
ermöglichen es diesen Ländern, eine Annäherung an die
EU von bislang einmaliger Tiefe und auch Themenbreite
zu erreichen. Sie gewähren Chancen zur wirtschaftlichen
Entwicklung, zur Modernisierung der Gesellschaften
und der Staatswesen sowie zur Unterstützung beim Auf-
bau eines modernen Rechtsstaats. Dieser wiederum kann
die rechtlichen Rahmenbedingungen für Investitionen
und Handel, aber auch für den Kampf gegen Korruption
stärken. Das sind die Chancen, die der Abschluss eines
Assoziierungs- und Freihandelsabkommens mit der Eu-
ropäischen Union für ein Land der Östlichen Partner-
schaft bieten kann.

Eine solch enge Anbindung an die EU bringt jedoch
auch Verpflichtungen mit sich. Das ist vor allem die Ver-
pflichtung zur Implementierung dessen, was wir verein-
bart haben. Das Freihandelsabkommen verpflichtet un-
sere Partner zum Beispiel zur Übernahme europäischer
Standards. Dies ist zum Teil eine große Herausforderung
für die Volkswirtschaften der betroffenen Länder, die
– und da dürfen wir uns wirklich nichts vormachen –
viele Jahre in Anspruch nehmen wird. Wirtschaft ist dabei
nur ein wichtiges Kapitel in den Assoziierungsabkommen.
Ebenso wichtig ist, dass die Assoziierungsabkommen
ihre Unterzeichner zur Wahrung von Rechtsstaatlichkeit,
Demokratie und Menschenrechten verpflichten.

Das führt uns natürlich zu unseren Beratungen mit der
Ukraine. Allein schon die Größe verleiht der Ukraine be-
sonderes Gewicht innerhalb der Östlichen Partnerschaft.
Mit ihr ist die EU in der Gestaltung ihrer neuen vertrag-
lichen Beziehungen am weitesten fortgeschritten. Wir
haben der Ukraine in der Vergangenheit immer deutlich
gemacht, dass die neue vertragliche Qualität der Zusam-
menarbeit, dass die gemeinsame Verpflichtung auf euro-
päische Werte wie Demokratie, Rechtsstaat und Bürger-
freiheiten mehr als ein Lippenbekenntnis sein muss.

Die EU-Außenminister haben beim Außenrat im De-
zember 2012 insbesondere drei Bereiche genannt, in
denen Fortschritte nötig sind: erstens bei der Reform der
Wahlgesetzgebung, zweitens bei Schritten zur Beendi-
gung der sogenannten selektiven Justiz, wofür symbol-
haft der Fall von Julija Timoschenko steht, und drittens
bei der Implementierung der Assoziierungsagenda. Ich
möchte an dieser Stelle erneut betonen: Wir erwarten
von der Ukraine glaubhafte Schritte zur Erfüllung der
Voraussetzungen für eine Unterzeichnung des Assoziie-
rungsabkommens. Wir erwarten, dass dieser Prozess
nachhaltig und unumkehrbar umgesetzt wird.

Es steht außer Zweifel, dass die Ukraine weiterhin vor
großen Reformanstrengungen im Innern steht. Eine zu-
sätzliche enorme Herausforderung für die Ukraine ist die
Haushaltskonsolidierung. Ohne solide Finanzen wird es
das Beistandsabkommen mit dem IWF nicht geben kön-

(B)






Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

nen. Wir glauben, dass ein solches Beistandsabkommen
mit der Ukraine dringend notwendig wäre. Daran hän-
gen auch die substanziellen bilateralen Kredite der EU
als Makrofinanzhilfe, insgesamt mehr als eine halbe
Milliarde Euro. Hier ist unser stetiger Rat an die
Ukraine, die nötigen Reformen zu unternehmen. Diese
Schritte können wir der ukrainischen Regierung nicht
abnehmen. Sie müssen auch unabhängig von der Unter-
zeichnung des Assoziierungs- und Freihandelsabkom-
mens unternommen werden. Wir wissen, dass Reformen
nicht von heute auf morgen vollständig umgesetzt wer-
den können. Wir möchten auch die Ukraine bei ihren Re-
formen mit Kooperationsangeboten und mit finanziellen
Mitteln der Europäischen Nachbarschaftspolitik unter-
stützen, aber die Voraussetzungen dafür muss die
Ukraine selbst schaffen, und zwar nicht irgendwann,
sondern jetzt.

In diesen Tagen – ich sagte ja, es sind noch zehn Tage
bis zu dem Gipfel – findet eine Vielzahl von Gesprächen
statt, ebenso Beratungen im ukrainischen Parlament.
Heute muss ich Ihnen hier sagen: Es ist noch nicht abzu-
sehen, ob die Ukraine willens ist, die Voraussetzungen
für eine mögliche Unterzeichnung zu schaffen. Heute
und morgen debattiert auch der Außenministerrat in
Brüssel über genau dieses Thema. Wenn die Ukraine un-
sere Erwartungen erfüllt und wir somit unterzeichnen
können, dann könnten wir der Ukraine nicht zuletzt über
eine breite vorläufige Anwendbarkeit des Abkommens
auch für den Fall den Rücken stärken, dass sie sich mit
Nachteilen seitens Russlands konfrontiert sieht.

Wir wissen, dass die Entscheidung für die Anbindung
an die Europäische Union nicht nur der Ukraine, sondern
unseren Partnern insgesamt nicht leichtfällt. In den letz-
ten Monaten sahen sich einige von ihnen zum Teil erheb-
lichem Druck ausgesetzt. Ich werde mich deshalb auch
in Vilnius dafür einsetzen, dass die EU diesem Druck
konkrete Chancen und gelebte Solidarität entgegensetzt,
sei es durch zusätzliche Absatzmöglichkeiten für Pro-
dukte unserer Partner, die zum Beispiel nicht nach Russ-
land eingeführt werden dürfen, oder durch Hilfe bei der
breiteren Aufstellung ihrer Energieversorgung.

Um es klar zu sagen: Die Länder entscheiden allein
über ihre zukünftige Ausrichtung. Ein Vetorecht Dritter
kann es nicht geben. Das ist unser Verständnis der unein-
geschränkten gegenseitigen Achtung der Entscheidungs-
freiheit, wie sie in der OSZE-Charta festgeschrieben ist.
Ich habe diese Frage auch in meinen Gesprächen mit
dem russischen Präsidenten Wladimir Putin immer wie-
der thematisiert. Ich habe wiederholt deutlich gemacht,
dass sich weder die Östliche Partnerschaft noch die bi-
lateralen vertraglichen Beziehungen, die die EU mit
ihren Partnern abschließen will, gegen Russland richten.
Im Gegenteil: Von der Stärkung und Modernisierung der
Volkswirtschaften unserer osteuropäischen Partner würde,
so ist unser Verständnis, auch Russland profitieren. Die
EU hat immer wieder Gesprächsangebote an Russland
gerichtet, um die beiderseitigen Vorteile einer Koopera-
tion herauszuarbeiten. Wir müssen – das ist meine tiefe
Überzeugung – weiter daran arbeiten, dass es kein Ent-
weder-oder zwischen einer Annäherung der Länder der
Östlichen Partnerschaft an die EU und dem russischen
Bemühen um eine engere Partnerschaft mit diesen Län-
dern geben sollte. Die EU hat Russland dafür Vorschläge
unterbreitet, über die wir schnellstmöglich sprechen
müssen.

Armenien hat sich in dieser Situation für den Beitritt
zur Zollunion Russlands, Weißrusslands und Kasach-
stans und damit gegen die Paraphierung des ausgehan-
delten Assoziierungs- und Freihandelsabkommens mit
der EU entschieden. Selbstverständlich akzeptieren wir
diese Entscheidung. Gleichzeitig werden wir Wege für
eine künftige Zusammenarbeit der EU mit Armenien fin-
den. Sie wird nicht die besondere Qualität der Koopera-
tion mit Georgien oder Moldau haben, aber Armenien
bleibt ein wichtiger östlicher Partner.

Lassen Sie mich an dieser Stelle noch ein Wort zu
Weißrussland sagen: Dies ist und bleibt das schwierigste
Kapitel im Bereich der Östlichen Partnerschaft. Seit der
erneuten Repression im Zuge der Präsidentschaftswah-
len im Dezember 2010 sind unverändert politische Ge-
fangene in Haft. Bürger, die sich um Pluralität in dieser
Gesellschaft bemühen, wurden hinter Gitter gebracht.
Ich denke unter anderem an Ales Beljazki, den Träger
des Menschenrechtspreises des Europarates. Wir alle
stehen dafür ein, dass diese Menschen wieder frei reden,
handeln und agieren können.


(Beifall im ganzen Hause)


Auch mit Weißrussland wollen wir die Zusammenarbeit
wieder vertiefen, aber das kann nur gelingen, wenn die
politischen Gefangenen freigelassen und rehabilitiert
werden. Es wäre sehr bedeutend, wenn der Gipfel in Vil-
nius hier ein Hoffnungszeichen setzen könnte.

Meine Damen und Herren, dieser Gipfel ist eine
wichtige Bestätigung unseres Angebots der politischen
Anbindung und wirtschaftlichen Integration an die östli-
chen Partner. Mindestens ebenso wichtig ist, dass wir in
der Folge gemeinsam das Potenzial nutzen, das uns diese
Partnerschaft bietet. Wir haben viele Kooperationsfelder
aufgeschlossen, aber wir müssen weiter nachhaltige
Fortschritte erreichen. Der möglichen Unterschrift bzw.
Paraphierung eines Assoziierungs- und Freihandelsab-
kommens müssen konsequente Umsetzungen folgen.
Die Visaaktionspläne zeigen auf, was nötig ist, um lang-
fristig das Ziel der Befreiung von der Visumpflicht zu er-
reichen. Die regionale Kooperation bietet viele Möglich-
keiten, voneinander zu lernen.

Der Gipfel in Vilnius wird ein wichtiger Meilenstein
auf dem Transformationspfad unserer Partner im Osten
sein. Er wird einen Weg in die Zukunft zeigen, aber er
wird auch deutlich machen, welche Arbeit noch vor uns
liegt. Die Schatten des Kalten Krieges sind nach wie vor
existent, und es ist unsere Aufgabe – gerade auch die
Aufgabe Deutschlands –, einen Beitrag dazu zu leisten,
dass der Kalte Krieg für alle vorbei ist, auch für unsere
östlichen Partner.

Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1800200400

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem

Kollegen Dietmar Bartsch für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1800200500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

freue mich, für meine Fraktion auf die Bundeskanzlerin
antworten zu können. Die Reihenfolge der Redner ist
schon so, wie sie bei einer eventuellen Großen Koalition
sein wird. Offensichtlich gehen CDU/CSU und SPD da-
von aus, dass ihre Verhandlungen wie auch der Mitglie-
derentscheid der SPD erfolgreich sein werden, obwohl
man im Moment vom Koalitionsvertrag vor allen Din-
gen viel Nebel kennt. Die Oppositionsführerschaft bringt
für die Fraktion Die Linke eine besondere Verantwor-
tung. Ich kann den Menschen in unserem Land verspre-
chen, dass wir alles daransetzen werden, dieser Verant-
wortung gerecht zu werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Beginnen will ich damit, dass es ein Unding ist, dass
wir heute die erste Sitzung des Bundestages – einmal ab-
gesehen von der Wahl des Präsidiums – seit Juni haben.


(Widerspruch des Abg. Michael GrosseBrömer [CDU/CSU])


Ja, wir hatten eine Bundestagswahl. Ich hoffe, dass das
Gerücht nicht stimmt, dass die Frau Bundeskanzlerin
eine geheime Absprache mit der FDP hat, so lange zu
verhandeln, bis die Legislaturperiode zu Ende ist. Ich
hoffe, dass das wirklich nicht den Tatsachen entspricht.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wäre es mal mit dem Thema?)


Fakt ist: Sie machen mit Ihren Koalitionsverhandlun-
gen das Parlament zur Geisel. Sind das bereits die Vor-
boten der Großen Koalition? Wir erwarten nichts ande-
res als Respekt gegenüber dem Parlament. Nicht die
amtierende Bundesregierung und auch nicht eine Bun-
desregierung in spe, sondern der Deutschen Bundestag
ist der Souverän.


(Beifall bei der LINKEN)


Wie wollen Sie den Menschen, die uns gewählt haben,
erklären, dass Sie uns nicht arbeiten lassen? Dies trifft
im Übrigen auf die Oppositionsabgeordneten wie auch
auf die meisten Regierungsabgeordneten zu. Wir alle
werden hier nicht fürs Rumsitzen bezahlt. Ich sehe nicht,
dass der heutige Sitzungstag dem Anspruch, als Parla-
mentarier aktiv zu werden, gerecht wird.

Es ist gut, vor dem Gipfel über die osteuropäische
Partnerschaft zu sprechen.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ah!)


Es muss jedoch die Frage erlaubt sein, warum wir uns
heute damit beschäftigen, jedoch nicht mit den Themen,
die vielen, vielen Menschen noch viel mehr auf den Nä-
geln brennen, abgesehen von der NSA-Debatte, die ja,
seitdem es das Handy der Bundeskanzlerin betrifft, von
der Regierung nicht mehr totgeschwiegen oder für been-
det erklärt werden kann. Das ist aber bei weitem nicht
das einzige Thema, dem wir uns widmen müssen.

Dringend wäre geboten, die schwache Binnenkon-
junktur in Deutschland zu behandeln, die Gefahr einer
dauerhaften Depression oder Deflation in Europa, die
Enteignung der Kleinsparer durch negative Realzinsen,
die Bankenunion oder – die Bundeskanzlerin hat ein
paar Worte dazu gesagt – das Freihandelsabkommen mit
den USA. Darüber müssen wir wirklich einmal reden,
und zwar auch kontrovers. Das alles sind Themen, die
die Mehrheit der Menschen in Deutschland bewegen.

Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass die Euro-Krise
vorbei ist, wenn sich Irland und Spanien demnächst das
Geld wieder teuer auf dem Finanzmarkt leihen müssen!
Das vermehrt vielleicht sichere Profite für Banken, die
sich das Geld momentan quasi umsonst von der Europäi-
schen Zentralbank leihen können. Aber die Krise macht
doch keine Pause. Sie wird derzeit nur mit billigem Geld
zugeschüttet.

Morgen soll eine neue Kredittranche aus dem soge-
nannten Rettungsschirm an Portugal freigegeben wer-
den. Wollen Sie das den Menschen verschweigen? Wol-
len Sie verhindern, dass Ihre Europapolitik debattiert
wird? Darüber muss geredet werden! Aus diesem Grund
haben wir eine etwas kreative Aufsetzungsarbeit betrie-
ben und einen Entschließungsantrag zur Krisenpolitik
gegenüber Portugal in die heutige Debatte eingebracht,
zu dem ich gleich noch ein paar Worte sagen werde.

Aber nun zur europäischen Partnerschaft


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Na endlich!)


und zum diesbezüglichen Gipfel in Vilnius. Natürlich
begrüßen wir als Linke eine engere Zusammenarbeit


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Mit Russland!)


mit den östlichen Nachbarn der EU. Ja, vielleicht muss
man auch im deutschen Parlament noch einmal deutlich
sagen, dass Europa bis zum Ural geht und dass viele ehe-
malige Sowjetrepubliken und Russland genauso zu Eu-
ropa gehören wie Frankreich, Spanien oder Griechen-
land.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb ist es gut, dass es mehr Handel, mehr Austausch
geben soll, dass diese Beziehungen den Menschen in
ganz Europa zugutekommen sollen.

Ja, Frau Bundeskanzlerin, wir aus den neuen Ländern
haben da eine besondere Verantwortung. Für die neuen
Länder ist das auch eine Chance. Wir wissen, dass viele
traditionelle Verbindungen in diese Länder zusammen-
gebrochen sind. Es gibt sie aber noch. Vor allen Dingen
– das wissen wir beide – gibt es einen Erfahrungsvor-
sprung, insbesondere was Sprachkenntnisse und kultu-
relle Beziehungen betrifft. Entscheidend wird aber sein,
dass bei der osteuropäischen Partnerschaft nicht die
Dinge, die Europa in die Krise gezwungen haben, ganz
oben stehen: wie die Liberalisierung des Kapitalver-





Dr. Dietmar Bartsch


(A) (C)



(D)(B)

kehrs, der Freihandel, die Konkurrenz um Löhne nach
unten oder die Konkurrenz um die schlechtesten Arbeits-
bedingungen. Nein, das wäre der falsche Weg.


(Beifall bei der LINKEN)


Es muss vor allen Dingen um Integration gehen; es
darf nicht nur um knallharte Interessenpolitik und nicht
nur um mehr Export aus der EU in diese Länder gehen.
Ein sehr, sehr wichtiger Punkt wären zum Beispiel er-
leichterte Visabedingungen für die Menschen aus der
Ukraine, aus Belarus, Moldau, Georgien, Armenien und
Aserbaidschan.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn es für Menschen, die zum Beispiel unter
Lukaschenko leiden müssen – Sie haben das geschildert –,
nur ganz schwer möglich ist, ein Visum erteilt zu be-
kommen, dann ist das ein Problem. Wir können durch
mehr Offenheit dabei helfen, dass dort Mauern fallen.
Deswegen ist die Visafrage eine zentrale Frage. Tun Sie
etwas, damit diese Menschen leichter nach Deutschland
kommen können!


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Verbessern Sie die Visabedingungen, Frau Bundeskanz-
lerin! Wenn ich mich recht entsinne, regieren Sie seit
acht Jahren. Jetzt fordern Sie Verbesserungen ein. Das ist
aus meiner Sicht etwas komisch.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber nur aus Ihrer Sicht!)


– Immerhin.

Ein sehr wesentlicher Punkt bei diesem Gipfel ist na-
türlich – Sie haben darauf hingewiesen – das Verhältnis
zu Russland. Es kann nicht das Ziel sein, die osteuropäi-
schen Länder dem Einfluss Russlands zu entziehen und
die traditionsreichen Sonderbeziehungen zu kappen. Ge-
genteiliges muss das Ziel sein, nämlich gleichzeitig die
Beziehungen zu Russland auszubauen und gemeinsam
mit Russland die Beziehungen zu den osteuropäischen
Ländern zu entwickeln. Das sollte einhergehen mit deut-
lichen Positionen, zum Beispiel zum unsäglichen Agie-
ren der Putin-Regierung gegenüber Schwulen und Les-
ben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist doch klar, dass Russland dieses Projekt mit Ar-
gusaugen beobachtet. Es passt zur NATO-Osterweite-
rung. Es ist ein Baustein zur Unterstützung transatlanti-
scher Eliten. Es geht der EU offensichtlich nicht um eine
Partnerschaft auf Augenhöhe. Eine Beitrittsperspektive
steht im Moment überhaupt nicht zur Debatte. Man
möchte die eigenen Regeln durchsetzen, wo es günstig
ist, jedoch keine Einflussnahme der anderen Seite riskie-
ren. Es geht darum, beste Bedingungen fürs Kapital zu
schaffen und die Absatzmärkte für die eigenen Produkte
zu erweitern, gerne auch auf Kosten der Wirtschaft der
Partnerländer. Die vielgepriesene Demokratieförderung
dient der EU als Mittel, ihre neoliberale Hegemonial-
politik in den osteuropäischen Ländern fortzuführen.
Das schulmeisterliche Auftreten der EU gegenüber den
osteuropäischen Partnern würde man sich andersherum
selbstverständlich verbitten. Es geht der EU viel zu we-
nig um Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit oder Demo-
kratie


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das müssen gerade Sie sagen!)


und viel zu viel um Einflussnahme und Machtpolitik.


(Beifall bei der LINKEN)


Das bedeutet dann auch, dass die EU kein Interesse da-
ran hat, etwa soziale oder ökologische Standards auf ho-
hem Niveau festzuschreiben. So wird eine große Chance
verpasst.

Mir scheint, dass die EU auch bei der osteuropäischen
Partnerschaft unverdrossen weiter auf genau die Rezepte
setzt, die uns in die Krise geführt haben: Liberalisierung,
Freihandel, Lohnkonkurrenz. Im Ergebnis sind zahlrei-
che Volkswirtschaften Osteuropas der Deindustrialisie-
rung und spekulativen Kapitalflüssen ausgesetzt.

Eine wahrhaftige Östliche Partnerschaft, die diesen
Namen verdient, muss den osteuropäischen Staaten er-
möglichen, ihre Wirtschaft zu schützen und sie zu entwi-
ckeln, und sollte nicht gegen Russland gerichtet sein.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Nun ein paar Bemerkungen zu unserem Entschlie-
ßungsantrag. Die Euro-Krise ist, wie ich gesagt habe,
nicht verschwunden und erst recht nicht überwunden. In
Kürze soll eine neue Kredittranche für Portugal in Höhe
von 5,6 Milliarden Euro, davon 3,7 Milliarden Euro
durch die EFSF, bewilligt werden. Dafür haften auch die
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland. Un-
ser Steuergeld wird verbrannt, weil Portugal aufgrund
der Schuldenlast und der wachstumsfeindlichen Kür-
zungsdiktate diese Kredite niemals wird bedienen kön-
nen. Das Memorandum of Understanding sieht gar vor,
dass die Unternehmensbesteuerung in Portugal sinken
soll. Das ist doch alles nicht mehr zu fassen! Portugal
wird nicht gerettet, sondern die Banken und Gläubiger
werden freigekauft; Demokratie und Sozialstaat werden
zerstört. Darum geht es in Wahrheit. Seit Beginn der so-
genannten Euro-Rettung stieg die Staatsverschuldung
Portugals auf etwa 128 Prozent des Bruttoinlandspro-
dukts. Das ist das Niveau, das die Staatsverschuldung in
Griechenland bei Ausbruch der Krise hatte. Die Arbeits-
losigkeit ist in Portugal auf über 17 Prozent gestiegen.

Dass die bisherige Europapolitik gescheitert ist, er-
kennt man, wenn man sich einmal anschaut, wie sich die
Arbeitslosenquote in den europäischen Ländern bei jun-
gen Menschen unter 24 Jahren entwickelt hat: Sie liegt
in Portugal bei 42 Prozent, in Griechenland bei erschre-
ckenden 57,3 Prozent, in Spanien bei 56,5 Prozent. Aber
auch in den Ländern, die später dazugekommen sind, ist
die Situation katastrophal: In Bulgarien liegt die Jugend-
arbeitslosigkeit bei 28,3 Prozent, in der Slowakei bei
31,1 Prozent, in Kroatien bei sagenhaften 52,8 Prozent.
Das alles sind Fakten, die in der Politik einen Aufschrei
hervorrufen müssten


(Beifall bei der LINKEN)






Dr. Dietmar Bartsch


(A) (C)



(D)(B)

und zu einem Nachdenken über die bisherige Politik füh-
ren müssten. Vor allem darf das kein Muster für die ost-
europäische Partnerschaft sein, meine Damen und Her-
ren.

Die Linke fordert daher eine andere, eine verantwor-
tungsvolle Europapolitik. Wir beantragen mit unserem
Entschließungsantrag, dass der deutsche Vertreter im Di-
rektorium der EFSF der Bewilligung der Kredite seine
Zustimmung versagt.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen die privaten Gläubiger Portugals durch einen
Schuldenschnitt in die Pflicht nehmen. Die Eigentümer
der Banken, die Inhaber der Bankanleihen sowie die
Einlagen von ausländischen Banken und Geldmarkt-
fonds sind für die Verluste der Banken heranzuziehen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Nur die Einlagen der Kleinsparer und das gewerbliche
Kreditgeschäft müssen abgesichert werden.

Portugal braucht Investitionsprogramme statt Ban-
kenrettungspakete.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Dafür brauchen wir eine EU-weite Vermögensabgabe für
Millionäre. Allein das Vermögen der europäischen Milli-
onäre – 14 Billionen Euro – übertrifft die gesamte
Staatsverschuldung aller 28 EU-Mitgliedstaaten.

Korrigieren Sie diese Europapolitik! Weisen Sie beim
Gipfel in Vilnius darauf hin, dass diese Fehler nicht wie-
derholt werden dürfen, sondern dass es eine Kehrtwende
in der Europapolitik geben muss!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1800200600

Nächster Redner ist der Kollege Gernot Erler für die

SPD-Fraktion.


Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1800200700

Herr Präsident! Mit Ihrer Genehmigung komme ich

gleich auf den Tagesordnungspunkt „Östliche Partner-
schaft“ zu sprechen; ich habe auch vor, dabei zu bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Östliche Part-
nerschaft hat sich aus der EU-Strategie der ENP, der Eu-
ropäischen Nachbarschaftspolitik, heraus entwickelt, die
ihren Beginn 2003 hatte. Damit ordnet sich die ÖP in
eine der wichtigsten EU-Strategien neben der EU-Erwei-
terung ein, nämlich die Schaffung von Regionen koope-
rierender Staaten rund um die Europäische Union mit
dem Ziel, Stabilität in der EU-Nachbarschaft vor allem
durch gutnachbarschaftliche Zusammenarbeit und Ver-
trauensbildung zu erreichen. Zu diesem Programm ge-
hörten und gehören neben der Östlichen Partnerschaft
die Ostseekooperation, der Stabilitätspakt für Südost-
europa, die EMP, der Barcelona-Prozess, die Union für
das Mittelmeer, die Black Sea Synergy und die Zentral-
asienstrategie der EU, zuletzt auch die Donauraumstrate-
gie.

Der Ansatz ist immer derselbe: Die EU prämiert
– auch mit finanzierten Programmen und Projekten – die
grenzüberschreitende Zusammenarbeit und wirbt dabei
auch für europäische Werte und Verhaltensweisen. So
steht das auch in dem Programm der Östlichen Partner-
schaft, die im Mai 2009 auf dem Gipfel in Prag auf den
Weg gebracht wurde.

Hier war sehr deutlich, dass es da ein besonderes Inte-
resse von Polen gab, das auch noch etwas anderes im
Sinn hatte, nämlich möglichst die Ukraine, das Nachbar-
land von Polen, näher an die europäische Integration he-
ranzuführen. Offiziell sollte die Östliche Partnerschaft
aber eben gerade nicht eine Beitrittsperspektive für die
sechs beteiligten Länder schaffen. Das haben Sie, Frau
Bundeskanzlerin, eben auch noch einmal unterstrichen.

Es gibt einen Arbeitsrhythmus der ÖP mit Gipfeln
alle zwei Jahre und jährlichen Außenministertreffen. Es
gab schon zwei Gipfel, und wir stehen jetzt vor dem drit-
ten in Vilnius. Viereinhalb Jahre sind jetzt vergangen.
Deshalb ist es vielleicht sinnvoll, einmal eine kritische
Zwischenbilanz zu ziehen, und das will ich versuchen.

Dabei will ich zunächst die regionalen Konflikte be-
trachten. Es war ein Anspruch der Östlichen Partner-
schaft, diese Konflikte zumindest zu entschärfen. Ich
muss feststellen, dass die Probleme bei den drei soge-
nannten Frozen Conflicts weiter virulent sind: Das gilt
für Nagornij Karabach, wo die beiden Konfliktpartner
Armenien und Aserbaidschan eher auf Aufrüstung set-
zen, als dass es Fortschritte bei dem sogenannten Minsk-
Prozess gegeben hätte. Das gilt leider auch für Ab-
chasien und Südossetien, wo es nach wie vor starre
Fronten zwischen Russland und Georgien gibt; vielleicht
können wir jetzt Hoffnung haben, dass sich durch die
Veränderungen in Georgien im Verhältnis der beiden
Länder etwas ändert. Das gilt auch für den Transnistrien-
Konflikt, in den die Meseberg-Initiative zunächst Bewe-
gung gebracht hat – es hat auch wieder die Fünf-plus-
Zwei-Verhandlungen gegeben –; die meisten Beobachter
sind sich jedoch darin einig, dass das Momentum der
Meseberg-Initiative allmählich ausläuft, aber zumindest
war das ein Teilerfolg.

In der Summe kann man bezogen auf die Konflikte
nicht sagen, dass die regionale Zusammenarbeit beson-
ders gestärkt wurde.

Ganz anders sieht das bei der Heranführung an die
EU aus: Hier setzt Brüssel auf eine Verbindung von As-
soziationsagreements mit Freihandelsabkommen, über
die jahrelang verhandelt wurde, verbunden mit einer ver-
lockenden Zugabe, nämlich der Visaliberalisierung. Herr
Bartsch, das, was Sie hier fordern, gehört also ganz offi-
ziell längst zur EU-Politik vor Ort. Daneben gibt es auch
eine vertiefte Zusammenarbeit der Zivilgesellschaften,
der Civil Societies, der beteiligten Länder. Näheres dazu
wird gleich meine Kollegin Katarina Barley sagen.





Dr. h. c. Gernot Erler


(A) (C)



(D)

Von Anfang an war Belarus wegen der innenpoliti-
schen Situation und auch wegen der Zugehörigkeit zur
Zollunion aus diesen Angeboten ausgenommen. Aser-
baidschan musste als Nicht-WTO-Land zunächst auch in
den Wartestand und bekommt jetzt so etwas wie eine
strategische Modernisierungspartnerschaft. Mit den an-
deren vier Ländern – Ukraine, Moldova, Georgien und
Armenien – wurden erfolgreich entsprechende Assoziie-
rungsabkommen ausgehandelt. Armenien entschied sich
allerdings kürzlich, im Oktober, doch dafür, der Zoll-
union von Putin beizutreten.

Der Höhepunkt des Gipfels sollte die Unterzeichnung
des Abkommens mit der Ukraine sein. Dieser Erfolg
– das wissen wir leider aus den aktuellen Mitteilungen –
ist im Augenblick alles andere als gesichert, weil nicht
klar ist, ob die Werchowna Rada, also das ukrainische
Parlament, in letzter Minute noch über einige wichtige
Gesetze, zum Beispiel ein Gesetz über die Reform des
Wahlrechts und ein Gesetz über die Reform der Staats-
anwaltschaft, sowie eine Lösung für Frau Timoschenko
entscheidet. Es gibt eigentlich nur noch den morgigen
Tag als Chance dafür, und die Außenminister in Brüssel
schauen im Augenblick tatsächlich nach Kiew, ob das
noch gelingt.

Wie konnte die Östliche Partnerschaft in eine solch
kritische Situation geraten, und wie lässt sich erklären,
dass wir hier womöglich vor einem regelrechten Schei-
tern der Ostpolitik der EU stehen, wenn morgen in Kiew
nicht noch ein kleines Wunder passiert?

Bei dieser Frage stößt man sehr schnell auf den Fak-
tor Russland. Viereinhalb Jahre nach dem verheißungs-
vollen Auftakt der Östlichen Partnerschaft muss man
feststellen: Die EU ist nicht müde geworden, zu versi-
chern, dass sich ihre Annäherungspolitik gegenüber den
sechs östlichen Nachbarn nicht gegen die Interessen
Russlands richtet – Frau Bundeskanzlerin, auch Sie ha-
ben das eben noch einmal bestätigt –, aber es ist leider
nicht gelungen, die russische Führung davon zu überzeu-
gen. Diese hat sich in einem Denken in geopolitischen
Einflusskonkurrenzen als Nullsummenspiel verfestigt.
Danach versucht die EU ganz einfach, den russischen
Einfluss in dieser Region zulasten von Russland zurück-
zudrängen.

Der EU ist es auch nicht gelungen, die Russische Fö-
deration von Anfang an in die Aktivitäten der Östlichen
Partnerschaft zum eigenen Nutzen einzubinden. Insofern
steht hier die Zollunion in einer Konkurrenz zu den As-
soziationsabkommen der EU. Vielleicht ist es auch nicht
immer von Anfang an klar geworden, dass es hierbei ei-
nen logischen Unterschied bzw. ein logisches Entweder-
oder gibt: Man kann nicht beiden Organisationen ange-
hören.

Dieser Konflikt wurde durch das verstärkt, was
Wladimir Putin im Wahlkampf mit der sogenannten
Eurasischen Union und dem Plan entwickelt hat, bis
2015 eine erweiterte Zollunion zu schaffen und dafür
weitere Mitglieder zu gewinnen. Das ist zwar vielleicht
jetzt mit Armenien und Kirgistan gelungen, aber es ist
völlig klar: Die Ukraine spielt eine entscheidende Rolle
dabei, ob diese Idee einer Neuorganisation des post-
sowjetischen Raumes gelingen kann oder nicht.

Vor diesem Hintergrund ist zu bedauern, dass sich tat-
sächlich eine Art geopolitisches Ringen zwischen Russ-
land und der EU entwickelt hat. Wir sehen auch mit gro-
ßem Bedauern, in welcher Weise Russland hier Druck
ausübt. Es gibt eine Person namens Gennadij Onischenko,
die es zu einer traurigen Berühmtheit gebracht hat. Das
ist der oberste russische Lebensmittelkontrolleur. Er hat
plötzlich festgestellt, dass es bei ukrainischer Schoko-
lade, bei Wein aus Moldova und bei Milchprodukten aus
Litauen schwerwiegende Probleme gibt, die allerdings
bisher kein anderer Lebensmittelkontrolleur weltweit
festgestellt hat. Natürlich hat das zu Embargosituationen
geführt. Das Signal ist klar: Wer mit der EU kooperiert,
hat Nachteile im Handel mit Russland.

Es gibt auch ein zweites Instrument: den Gaspreis.
Ganz plötzlich hat Armenien, als es sich für die Zoll-
union entschieden hat, eine Reduktion des Gaspreises in
erheblichem Umfang gewährt bekommen. Der stellver-
tretende Ministerpräsident Rogosin hat dem kleinen
Land Moldova, nebenbei bemerkt dem ärmsten Land in
ganz Europa, mit einem kalten Winter gedroht. Dieser
Hebel wird also ebenso eingesetzt wie schließlich auch
der Sicherheitshebel. Armenien hat sich auch deshalb so
entschieden, weil es nicht weiß, wie es anders zu einer
größeren Sicherheit in Bezug auf den Konkurrenten
Aserbaidschan kommen soll. Es gibt auch Angebote für
erhebliche Waffenlieferungen an Kiew von russischer
Seite.

Nach viereinhalb Jahren Östlicher Partnerschaft steht
also die EU leider vor einer ziemlich deprimierenden Al-
ternative: Entweder es gibt einen Rückschlag für die
Ostpolitik der EU, oder es gibt einen Dauerkonflikt zwi-
schen Russland und den Ländern der Östlichen Partner-
schaft, die dann auch zu Konflikten mit der EU werden.

Insofern brauchen wir tatsächlich eine Initiative auch
von Deutschland aus, uns kreativ mit dieser Entwicklung
auseinanderzusetzen. Wir brauchen Ideen, wie wir aus
dieser Konfliktlage herauskommen. Denn die Östliche
Partnerschaft ist wertvoll. Sie muss unterstützt werden,
und sie braucht Unterstützung in dieser schwierigen Si-
tuation.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1800200800

Anton Hofreiter ist der nächste Redner für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bun-
deskanzlerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heu-
tige Debatte zeigt, dass die Europäische Union auch jen-
seits der Euro-Krise vor wichtigen Entscheidungen steht,
die nicht aus dem Blick geraten dürfen. Das Verhältnis
zu unseren Nachbarn im Osten und im Süden ist von

(B)






Dr. Anton Hofreiter


(A) (C)



(D)(B)

zentraler Bedeutung für ein starkes Europa. Hier wird
sich entscheiden, welche Rolle Europa zukünftig auf der
internationalen Bühne spielen wird. Allerdings wird sich
die Rolle Europas auch daran entscheiden, wie wir mit
dem Freihandelsabkommen mit den USA umgehen. Wir
sind der festen Überzeugung, dass wir, solange die be-
stehenden Vorwürfe nicht aufgeklärt sind, die Verhand-
lungen mit den USA aussetzen müssen; denn wir können
schlecht mit jemandem verhandeln, der gleichzeitig un-
sere Position ausspäht. Dann handelt es sich fast um ein
Verhandeln der anderen Seite mit sich selbst. Das macht
keinen Sinn.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Noch eine kleine Anmerkung zur Linken. Herr
Bartsch, Sie haben beklagt, dass das Parlament nicht
häufiger tagt. Heute tagt das Parlament, und wir beraten
über das wichtige Thema Östliche Partnerschaft. Und
was machen Sie? Anstatt über dieses Thema zu spre-
chen, nutzen Sie diese Debatte für Klamauk.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Sie führen Ihre eigene Forderung, eine vernünftige De-
batte im Parlament zu führen, ad absurdum, wenn Sie die
erste Gelegenheit dafür missbrauchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Menschen südlich und östlich von uns setzen
große Hoffnungen in die Europäische Union. Sie sehnen
sich nach einer europäischen Perspektive und wünschen
sich ein entsprechendes Signal von Europa; denn diese
Menschen kennen die großen Vorteile, die Europa bietet.
Aber sie dürfen sie nicht selbst erfahren, zum Beispiel
die Reisefreiheit. Deshalb wünschen sich diese Men-
schen, Teil Europas, Teil der Europäischen Union zu
werden.

Nehmen wir als Beispiel die Visapolitik. Frau Kanzle-
rin, Sie haben angedeutet, dass eine Vereinfachung bei
der Visaerteilung das Leben der Menschen östlich der
EU erleichtern würde. Frau Kanzlerin, dann setzen Sie
sich doch dafür ein! Die Liberalisierung der Visapolitik
ist der Schlüssel für Reformen und gesellschaftlichen
Wandel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das geplante Asso-
ziierungsabkommen mit der Ukraine ist von zentraler
Bedeutung. Wir Europäer dürfen uns gegenüber der
Ukraine nicht verschließen. Wir müssen das Bedürfnis
der Menschen in der Ukraine nach einer Anbindung an
die EU ernst nehmen und signalisieren: Wir wollen eine
Partnerschaft und eine enge Zusammenarbeit, weil sie
im Interesse der Menschen in der Ukraine und der Men-
schen in der EU liegt. Aber Sie, Frau Bundeskanzlerin,
bleiben auf halbem Wege stehen. Natürlich geht es lang-
fristig auch um eine EU-Beitrittsperspektive unserer öst-
lichen Nachbarn.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist richtig, dass die Europäische Union dabei hohe
Ansprüche an den Annäherungsprozess der östlichen
Nachbarn stellt. Die EU beruht auf Demokratie, Rechts-
staatlichkeit und Menschenrechten. Diese Werte sind
nicht verhandelbar. Wer näher an die EU heranrücken
will, muss diese Werte teilen. Darin stimmen wir alle
hier im Hause sicherlich überein.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Herr Janukowitsch ist weit davon entfernt, unseren
Standards zu genügen. Die ukrainische Regierung mauert
nicht nur im Fall Julija Timoschenko. Wichtige Reformen
in den Bereichen des Wahlrechts und des Justizsystems
wurden noch nicht umgesetzt. Janukowitsch muss zeigen,
wofür er steht: für Rechtsstaatlichkeit und damit für eine
Hinwendung nach Europa – das will die Mehrheit der
Ukrainerinnen und Ukrainer – oder für eine reaktionäre
Politik der Unfreiheit, was bedeuten würde, dass er sich
endgültig in die Abhängigkeit von Putin begibt. Frau
Bundeskanzlerin, es reicht nicht, Julija Timoschenko nur
symbolhaft zu erwähnen. Das geht so nicht. Wir sollten
uns alle doch einig sein: Präsident Janukowitsch muss
Julija Timoschenko freilassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Bei bloßen Appellen darf es aber nicht bleiben. Wenn
es in Vilnius zu Unterschriften kommt, ist die Gefahr
groß, dass Putin die östlichen Partner unter Druck setzen
wird. Putin könnte – genauso wie in der Vergangenheit –
den Druck auf die Ukraine erhöhen und mit Handelsbar-
rieren oder ruinösen Gaspreisen versuchen, die Daumen-
schrauben anzuziehen. Wird Deutschland in den kom-
menden Wochen deutliche Worte gegenüber Moskau
finden? Wird Deutschland in einem solchen Fall helfen
und Solidarität zeigen? Das wird dann die Herausforde-
rung sein. Wir hoffen, dass es keinen Rückfall in die
Russlandpolitik der letzten Großen Koalition geben
wird. Wenn Putin der Ukraine den Erdgashahn zudreht,
werden die Menschen nicht mit warmen Worten durch
den Winter kommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde mir die
Einigkeit dieser Debatte auch in einer weiteren Heraus-
forderung der Europapolitik wünschen. Es geht kein Ge-
spenst in Europa um, es ist eine reale Gefahr: Sie heißt
Rechtspopulismus. Wilders, Le Pen und andere wollen
sich in einer unheiligen Allianz gegen die europäischen
Werte der Solidarität und der Freiheit verbünden. Wem
diese Werte wichtig sind, der muss sich gegen diese Ge-
fahr stemmen. Ich finde, das sollten wir alle tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Aber das muss sich dann auch im Handeln widerspie-
geln. Wer den Antieuropäern die Stirn bieten will, der
darf nicht per Protokollerklärung gleichzeitig europäi-
schen Krisenstaaten mit dem Rausschmiss drohen, wie
das die CSU gemacht hat. Kaum feiert die AfD erste Er-
folge, wird die CSU nervös und bringt sich selbst in die
Nähe des Rechtspopulismus.





Dr. Anton Hofreiter


(A) (C)



(D)(B)


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)


Der Populismus Seehofer’scher Prägung ist schon in der
Mautdebatte schwer zu ertragen, aber in der Europapoli-
tik ist er schlicht und einfach unverantwortlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Wir erwarten von Ihnen, Frau Kanzlerin, diesem Treiben
endlich ein Ende zu setzen. Das sind Sie Deutschland
und Europa schuldig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir eines aus
unserer gemeinsamen Geschichte wissen, dann ist es
dies: Massenarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit
sind ein Nährboden für Ressentiments und Extremismus.
Wer Europas Zusammenhalt bewahren will, der muss
mehr gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa tun, der
muss den Menschen, gerade den jungen, wieder Zukunft
bieten. Die Krisenpolitik der Bundesregierung hat diese
Zustände auch mit verursacht, nicht weil Sie auf Konso-
lidierung und Reformen gedrängt haben, sondern weil
Sie die andere Seite der Medaille ignoriert haben. Wir
müssen den Ländern in der Krise helfen, zu investieren,
ihnen einen Green New Deal bieten, ihnen neue Perspek-
tiven bieten, auch neue wirtschaftliche Perspektiven – und
das muss jetzt getan werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Stattdessen haben Sie Symbolpolitik gemacht, wie so
oft. Eine Jugendgarantie haben Sie ausgesprochen, aber
dann kam nichts mehr hinterher. Das ist peinlich. Leider
sieht es sehr danach aus, dass sich daran wenig ändert.
Der Zwischenstand Ihrer Koalitionsberatung für die
Große Koalition ist zwar ein schönes Stück – manchmal
auch ein weniger schönes Stück – deutscher Prosa, aber
ehrliche, entschlossene Lösungen für die Massenarbeits-
losigkeit Europas finden sich bisher nicht darin.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Ihre
Wende in der Krisenpolitik beschränkt sich bis jetzt auf
ein paar schöne Überschriften. Das reicht nicht. Ich wün-
sche Ihnen, aber vor allem Europa, dass Sie in den kom-
menden zwei Wochen diese Kraft noch finden.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1800200900

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun der Kollege

Volker Kauder das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1800201000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!

Ja, wir reden heute über die Östliche Partnerschaft. Die
Bundeskanzlerin hat dazu, so wie es auch vorgesehen
und gewünscht ist, dem Deutschen Bundestag vor einem
solchen Gipfel einen Bericht gegeben, damit wir darüber
diskutieren. Natürlich, Herr Kollege Bartsch, kann man
es auch so machen wie Sie und noch einige andere
Punkte mit in die Debatte hineinnehmen. Das will ich
jetzt gar nicht einmal kritisieren.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Aber ich finde schon: Wenn man das macht, sollte
man nicht an mehreren Stellen Falsches sagen. Sonst er-
weckt man den Eindruck, wie Sie es gemacht haben,
dass man nicht auf der Höhe der Zeit ist. Jetzt will ich
Ihnen einmal Folgendes sagen:


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Na los!)


Sie haben gesagt, seit Juli habe es keine Sitzung des
Deutschen Bundestages mehr gegeben. Ich möchte doch
einmal wissen, wo Sie am 2. und 3. September waren.
Da hatten wir nämlich Sitzungen des Deutschen Bundes-
tages.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Waren Sie vielleicht nicht da? Oder haben Sie das nicht
zur Kenntnis genommen? Damals haben wir beispiels-
weise über den Haushalt diskutiert und auch über
Europa.

Dann haben Sie Kroatien angesprochen und gesagt,
dass es in Kroatien eine Jugendarbeitslosigkeit von
52 Prozent gibt. Das stimmt,


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ja!)


aber Sie haben damit den Eindruck erweckt, dass diese
Jugendarbeitslosigkeit entstanden sei, weil Kroatien in
die EU eingetreten ist. Kroatien ist aber gerade einmal
ein paar Monate in der EU. Sie sind mit den 52 Prozent
Jugendarbeitslosigkeit in die EU gekommen, Herr
Bartsch,


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!)


und wollen jetzt eine bessere Situation erreichen. Es ist
nicht so, wie Sie es erzählt haben. Also, in zwei Punkten
liegen Sie völlig daneben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das legt den Verdacht nahe, dass auch Ihre anderen
Punkte nicht stimmen.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Angesichts dessen, dass Sie für die führende Opposi-
tionsfraktion gesprochen haben, müssen Sie schon noch
ein bisschen üben. Das war noch nicht so, wie es norma-
lerweise sein soll.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Ja, völlig
richtig: Man kann jetzt das Thema „Was passiert in
Europa?“ behandeln. Wir haben, wie es vorgesehen ist,
den Deutschen Bundestag über die Situation in Portugal
und über die Auszahlungen, die dort stattfinden, infor-
miert. Die Troika hat, wie es das Gesetz vorsieht, ihren
Bericht vorgelegt. Sie hat empfohlen, die Tranchen aus-





Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)

zubezahlen. Der Deutsche Bundestag kann dazu eine Er-
klärung abgeben. Die Tranchen werden nun ausbezahlt.

Eines, Herr Kollege Bartsch, dürfen Sie nicht ma-
chen: Sie dürfen hier nicht den Eindruck erwecken, dass
die Menschen in den europäischen Ländern, die es
schwer haben, sich nicht so angestrengt hätten, um dort
zu Erfolgen zu kommen. Ich will Ihnen noch etwas sa-
gen: Es zeigt sich doch, dass wir auf einem guten Weg
sind. Ich sage: Glückwunsch nach Irland und nach Spa-
nien dafür, dass sie mit ihren Anstrengungen so weit ge-
kommen sind, dass sie den Rettungsschirm verlassen
können.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie sollten sich nicht hierhinstellen und so tun, als ob da
nichts geschehen sei.

Wenn man sich die Zinsen anschaut, muss man sagen:
Die Situation hat sich auch in den Ländern, die unter
dem Rettungsschirm sind, erheblich verbessert. Der jet-
zige Stand unserer Koalitionsverhandlungen ist so, dass
wir uns einig sind, diesen Weg fortzusetzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden auch über
die Östliche Partnerschaft. Das ist ein Thema, das eine
große Bedeutung hat. Es ist völlig richtig, dass sich
Europa nicht allein darauf konzentriert, neue Staaten
aufzunehmen, sondern dass es auch einen Weg sucht,
mit solchen Nachbarn politisch zu kooperieren, die keine
Perspektive haben, in den nächsten Jahren in die Euro-
päische Union aufgenommen zu werden. Herr Kollege
Erler, ich gebe Ihnen ausdrücklich recht: Ja, es muss nun
ein Weg gefunden werden, diese Partnerschaft so auszu-
gestalten, dass sie in erster Linie nicht unter geopoliti-
schen Gesichtspunkten ausgerichtet wird.

Die Bundeskanzlerin hat deshalb zu Recht gesagt:
Wir müssen im Rahmen der Östlichen Partnerschaft end-
lich Wege finden, die Politik des Kalten Krieges voll-
ständig zu überwinden. Dabei kommt es darauf an, Russ-
land klarzumachen, dass eine vertiefte, eine nähere
Beziehung zu unseren östlichen Partnern nicht gegen
Russland gerichtet ist. Das kann vielleicht dadurch ge-
lingen, dass wir auch klarmachen, dass es auf der Welt
eine ganze Reihe von Herausforderungen und Gefahren
gibt, die auch uns hier in Europa und in Deutschland be-
drohen, und dass es daher notwendig ist, dass Russland
und wir zusammenarbeiten, um an diesen Punkten vo-
ranzukommen; ich nenne als Beispiel nur das Stichwort
„Iran“. Es gibt also Aufgaben, die eine solche Dimen-
sion haben, dass ich finde, es wirkt geradezu politisch
kleinkariert, wenn Russland meint, es sei eine geopoliti-
sche Frage, wie wir in Zukunft unsere Probleme in der
Welt lösen.

Es gibt beispielsweise das Problem des Terrorismus;
dagegen müssen wir miteinander etwas unternehmen. Es
gibt das Problem der Sicherheit der Weltmeere und vie-
les andere. Ich wäre dankbar, Frau Bundeskanzlerin,
wenn es Ihnen in Ihren Gesprächen mit Putin gelingen
könnte, auch einmal darauf hinzuweisen, dass er der
Welt einen Dienst leisten kann, wenn er einmal ein biss-
chen weiter als über unsere Östliche Partnerschaft hi-
nausblickt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich
hat diese Zusammenarbeit, die Östliche Partnerschaft,
eine ganz zentrale Bedeutung. Es ist angesprochen wor-
den, dass es natürlich um wirtschaftliche Fragen geht.
Zur gleichen Zeit hat die Bundeskanzlerin aber auch
darauf hingewiesen, dass es ebenfalls – gerade in der
Diskussion jetzt mit der Ukraine – um Werte geht, um
Menschenrechte, Demokratie, eine unbestechliche Justiz
beispielsweise. Da wird schon etwas deutlich, was wir
gerade in der heutigen Zeit immer wieder formulieren
müssen, damit die Menschen in unserem Land auch
Orientierung haben: Dieses Europa ist nicht nur eine
Veranstaltung von Euro und Cent, liebe Kolleginnen und
Kollegen; dieses Europa ist vor Euro und Cent zunächst
einmal eine Wertegemeinschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das müssen wir auch in der Zusammenarbeit mit an-

deren deutlich machen. Da, finde ich schon, muss klar
sein, dass wir uns bei der Östlichen Partnerschaft nicht
ausschließlich um wirtschaftliche Dinge kümmern soll-
ten, sondern dass wir auch unsere Werte entsprechend
einfordern müssen.

Ich sage – ich weiß, dass es da auch andere Auffas-
sungen gibt; aber in diesem Saal kann man ja auch ein-
mal unterschiedliche Positionen darstellen –: Wir sind
umso glaubwürdiger darin, dass wir eine Wertegemein-
schaft sind, wenn wir diese Werte in Europa auch dann
ernst nehmen, wenn wir wirtschaftliche Interessen haben
und Freihandelsabkommen abschließen, und wenn wir
diese Werte in Verhandlungen mit Ländern einfordern,
die in die Europäische Union kommen wollen.

Das gilt gerade auch in unseren Gesprächen mit der
Türkei. Die Menschenrechte, die Religionsfreiheit etwa,
sind ein Teil unserer Wertegemeinschaft, der umgesetzt
werden muss, bevor wir in Europa ganz zueinander ge-
hören können, meine sehr verehrten Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Da hilft es relativ wenig, zu sagen: Ja, wenn es dann mal
so weit ist, wenn dann alle dabei sind, wird das auch so
kommen. – Wenn man diese Auffassung hat, dann kann
man auch vertreten, dass es vorher geklärt werden muss;
denn wir sehen ja in dem einen oder anderen Fall, wie
schwer wir uns tun, unsere Positionen in Ländern, die
zur EU gekommen sind, durchzusetzen. Deswegen halte
ich es für richtig, notwendig und zentral, Frau Bundes-
kanzlerin, dass Sie nicht nur das Thema der wirtschaftli-
chen Entwicklung, sondern auch diesen Wertetransfer
berücksichtigen.

Dann habe ich noch einen Punkt, den wir uns in die-
sem Parlament immer wieder vor Augen führen müssen:
Sowohl in der Östlichen Partnerschaft als auch in ande-
ren Bereichen haben wir ein Instrument – neben denen,
die die Bundeskanzlerin angesprochen hat –, das wir
nicht zu klein darstellen dürfen, und das ist unser Instru-
ment der Auswärtigen Kulturpolitik. Deswegen rate ich
dringend, dass wir in den Haushaltsberatungen darauf
Wert legen. Nichts ist im Augenblick erfolgreicher als
Deutsch-Sprachkurse, die unter anderem von unseren
Goethe-Instituten in der ganzen Welt angeboten werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)






Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)

Deswegen glaube ich schon, dass das Thema „Kultur,
Werte, Präsenz in einem Land“ von einer zentralen Be-
deutung ist.

Vor diesem Hintergrund wünsche ich Ihren Gesprä-
chen und Verhandlungen viel Erfolg. Wir brauchen Part-
ner in unserer Region, in Europa. Wir brauchen Partner
auch in der Welt. Gerade im Hinblick auf das, was wir
nachher noch diskutieren, kann ich nur sagen: Was da
von Amerika ausgehend passiert ist, ist nicht schön. –
Aber ich muss auch sagen: Die Zusammenarbeit mit
Amerika, die Freundschaft mit Amerika wird zwingend
notwendig sein, gerade wenn wir die Östliche Partner-
schaft weiter ausbauen wollen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1800201100

Das Wort erhält nun der Kollege Michael Roth für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1800201200

Herr Präsident! Auch von mir herzlichen Glück-

wunsch nachträglich zum Geburtstag. – Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Die heutige Debatte gibt uns Gele-
genheit, eines deutlich zu machen: Europa ist mehr als
diese Krise.

Lieber Kollege Toni Hofreiter, ich will all denjenigen
hier in diesem Saal, die den Koalitionsverhandlungen
skeptisch gegenüberstehen, sagen: Eines ist für uns als
Sozialdemokratie zentral: Wir wollen, dass der Kampf
gegen die Massenarbeitslosigkeit junger Menschen in
Europa ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt wird,


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sylvia KottingUhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


dass Europa wieder zu sozialer Stabilität zurückfindet
und dass wir die Spaltung in Europa überwinden. Darum
geht es uns. Sie können sich darauf verlassen: Dafür
kämpfen wir, nicht nur in den nächsten Wochen, sondern
über vier Jahre hinweg!


(Beifall bei der SPD)


Aber es ist auch wichtig, dass wir deutlich machen:
Europa ist eben nicht nur die Krise. Europa ist ein faszi-
nierendes Projekt für Frieden, Freiheit, Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit. Wenn wir manchmal in Zweifel ge-
raten, ist es gut, den Blick nach außen zu richten und zu
sehen, wie neidisch und fasziniert die Menschen außer-
halb der Europäischen Union, gerade in unseren Nach-
bar- und Anrainerstaaten, auf uns blicken und sagen:
Toll! Was denen gelungen ist, das wollen auch wir errei-
chen. Diese Werte wollen auch wir für unsere Bürgerin-
nen und Bürger erstreiten und erkämpfen.

Das sollten wir uns gerade in diesen Wochen und Mo-
naten, in denen wir uns wegen der Krise in Europa
schwertun, immer wieder in Erinnerung rufen; denn
diese Werte sind das eigentliche Fundament Europas. Ich
kann dem Kollegen Kauder nur zustimmen: Es geht
nicht in erster Linie um Euro und um Cent. Es geht um
die Verteidigung von Werten, für die Generationen von
Menschen vieles haben riskieren müssen. Wir haben sie
jetzt. Aber es ist eben auch wichtig, dass wir die Univer-
salität dieser Ideen immer wieder in den Mittelpunkt un-
serer politischen Arbeit rücken.

So wichtig es ist, dass wir uns derzeit mit uns selbst
beschäftigen, um die Probleme innerhalb der Europäi-
schen Union zu lösen, so wichtig ist es auch, unseren
Partnern im Süden, im Osten und im Westen die Hand
zur gemeinsamen Arbeit zu reichen. Da sind die Heraus-
forderungen in Osteuropa sicherlich besonders groß. Da-
für hat jede Bundesregierung unsere volle Unterstützung
verdient.

Dies ist für uns mit einer großen Chance verbunden.
Wir wissen, manches in der Europapolitik stößt bei unse-
ren Bürgerinnen und Bürgern auf große Skepsis. Aber
die Bürgerinnen und Bürger erwarten – das zeigen auch
die jüngsten Umfragen –, dass wir es schaffen, dass
Europa in der Außen- und Sicherheitspolitik mit einer
Stimme zu sprechen vermag. 65 Prozent der Bürgerin-
nen und Bürger erwarten in Europa mehr Zusammen-
arbeit in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, mehr
Zusammenarbeit in der Außen- und Entwicklungspoli-
tik. Das sollte für uns ein Auftrag sein, hier etwas ambi-
tionierter zu arbeiten, als das vielleicht in den vergange-
nen Jahren der Fall war.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Anspruch und Wirklichkeit klaffen hier sehr weit aus-
einander. Ich weiß, in vielen außen- und sicherheitspoli-
tischen Fragen ist es innerhalb der Europäischen Union
sehr schwierig, auf einen gemeinsamen Nenner zu kom-
men. Ich nenne in diesem Zusammenhang den Nahen
Osten, den Mittleren Osten und unser Verhältnis zu Is-
rael. Aber trotz der Schwierigkeiten wäre es wichtig,
wenn es die Europäische Union schaffte, sich auf einige
zentrale außen- und sicherheitspolitische Projekte zu
verständigen, und es uns gelänge, dort endlich einmal
voranzukommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Da sehe ich für uns auch Potenzial im Bereich der Östli-
chen Partnerschaft. Da kann sich etwas bewegen; da
kann sich etwas tun. Dabei geht es nicht alleine um die
Visaerleichterung, die eben zu Recht angesprochen
wurde.

Wir müssen eine weitere Frage klären. In den vergan-
genen Jahrzehnten war der Umgang mit unseren Nach-
barn, die geografisch zu Europa gehören, relativ einfach:
Wir haben, wenn diese Länder einen Antrag auf Mit-
gliedschaft in der Europäischen Union gestellt haben,
das Angebot des Beitritts eröffnet. Hier hat die Bundes-
kanzlerin sicherlich recht: Es geht bei der Östlichen Part-
nerschaft nicht um Beitritte. Es muss uns dennoch gelin-
gen, diesen Staaten ein attraktives Angebot auf
Augenhöhe zu eröffnen, bei dem sie spüren: Sie sind
nicht etwa ein Wurmfortsatz Europas, sondern sie gehö-
ren zu Europa. Wir haben ein Interesse daran, dass diese
Staaten zu der Stabilität, zu der demokratischen Reife
und zu der Form von Rechtsstaatlichkeit kommen, wie





Michael Roth (Heringen)



(C)



(D)(B)

sie in der Europäischen Union, zumindest meistens,
selbstverständlich sind. In dieser Frage müssen wir am-
bitionierter werden.

Gleiches gilt für den Dialog mit einem für uns ganz
besonders wichtigen Partner, nämlich Polen. Diejenigen
von uns, die sich intensiver mit unseren polnischen Part-
nern beschäftigen, wissen, dass der Blick unserer polni-
schen Freunde natürlich auch nach Osten gerichtet ist.
Da wäre es auch in Anbetracht der herausragenden Be-
deutung der Verantwortung Deutschlands zentral, wenn
Deutschland und Polen in der Frage, wie mehr Stabilität
für unsere östlichen Nachbarn erreicht werden kann, vo-
rangingen und gemeinsame Initiativen entwickelten.
Diese Initiativen müssten so attraktiv sein, dass alle an-
deren Mitgliedstaaten in der Europäischen Union bereit
und in der Lage sind, mitzumachen.

Eines hat mich dann doch ein bisschen überrascht,
Herr Kollege Kauder. Sie haben eben etwas angespro-
chen, was für meine Fraktion in den vergangenen Jahren
zentral war: unsere Glaubwürdigkeit im Umgang mit
Rechtsstaatlichkeit und Grundwerten. Wir sind in erster
Linie eine Werteunion. Es ist daher wichtig, wie wir die
Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und der Grundwerte in-
nerhalb der Europäischen Union vertreten.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Er hat aber von Ungarn gesprochen!)


Ich habe allerdings in den vergangenen Jahren nicht
immer den Eindruck gehabt, dass fraktionsübergreifend
gehandelt wurde, wenn die Wahrung der Grundwerte in-
nerhalb der Europäischen Union infrage gestellt wurde.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hier gibt es keine Rabatte; hier darf nichts relativiert
werden. Wir können unsere Werte nur dann glaubhaft
nach außen vertreten, wenn niemand den Anlass hat, da-
ran zu zweifeln, dass wir in unseren eigenen Reihen
ernsthaft und konsequent mit diesen Werten umgehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte ganz bewusst einzelne Länder jetzt gar
nicht erwähnen; denn ich will keine kleinkarierte De-
batte führen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Rumänien!)


– Ja. Rumänien, Ungarn und auch Italien. Ich könnte
eine ganze Reihe anderer Staaten nennen. Der Antisemi-
tismus in Deutschland gehört selbstverständlich auch
dazu.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Bei der Linken!)


Die Grundrechteagentur hat uns allen ins Stammbuch
geschrieben, dass auch wir, wenn es um die Verteidigung
der Freiheitswerte geht, noch etwas lernen können und
dass bei uns nicht alles nur rosarot ist. Da haben Sie
recht, Herr Kauder. Umso wichtiger ist es, dass wir diese
Werte konsequent verteidigen. Das wäre ein gemeinsa-
mes Projekt für diese Legislaturperiode. Ich würde mich
darüber freuen, wenn möglichst viele Fraktionen, viel-
leicht sogar alle, bereit wären, die SPD in diesem enga-
gierten Kampf zu unterstützen.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1800201300

Ich erteile das Wort der Kollegin Marieluise Beck für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Gipfel von Vilnius erinnert uns daran, dass die Vereini-
gung Europas noch lange nicht vollendet ist und dass wir
gerade im Westen immer noch Gefahr laufen, Europa
mit der Europäischen Union gleichzusetzen. Aber Eu-
ropa ist größer. Dieser vielfältige Kontinent ist immer
noch dabei, die Wunden des vergangenen Jahrhunderts
zu schließen. Im kommenden Jahr, im Jahre 2014, wer-
den wir sicherlich noch häufig Gelegenheit haben, über
dieses katastrophale vergangene Jahrhundert zu spre-
chen, in dem Europa für viele Jahre gespalten war.

Wir können diese Spaltung nun überwinden. Aber
viele von uns müssen das ganze geografische Europa
erst wieder kennenlernen. Ich verkneife mir jetzt einen
Kommentar zu der Linken, die, wo wir doch über den
Osten sprechen, einen Antrag zu Portugal einbringt.

23 Jahre nachdem diese Spaltung begonnen hat, sich
aufzulösen, sind Warschau, Prag und Riga wieder be-
kannte Namen. Für Städte wie Baku und Kischinau gilt
das weniger. Aber Europa reicht auch bis dorthin. Des-
wegen, Frau Bundeskanzlerin, widerspreche ich Ihnen
entschieden, wenn Sie sagen, die Östliche Partnerschaft
enthalte keine EU-Beitrittsperspektive.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie nehmen damit die Gründungserklärung der Östlichen
Partnerschaft von 2009 zurück, die diese Frage explizit
offengelassen hat. Auch Sie, Herr Roth, haben eben ge-
sagt, es sei keine Beitrittsperspektive enthalten. Das ist
in der Sache nicht richtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Außerdem möchte ich daran erinnern, dass Art. 49
des EU-Vertrages ganz klar festhält, dass alle europäi-
schen Staaten das Recht haben, einen Antrag auf Auf-
nahme zu stellen, sofern sie dem Wertekanon der EU
entsprechen. Ich meine auch, dass Sie mit dieser Aus-
sage, Frau Bundeskanzlerin, die Instrumente der Östli-
chen Partnerschaft schwach machen – man möchte fast
sagen: noch schwächer, als sie schon sind.

Es kann bei der Östlichen Partnerschaft nicht darum
gehen, die betroffenen Länder zwischen Brüssel und
Moskau zu zerreiben. Mit Blick auf Moskau sage ich:
Alle sechs Länder der Östlichen Partnerschaft sind sou-
verän. Sie haben das Recht, selbst zu entscheiden, wel-
che Verträge sie schließen wollen und welche sie nicht
schließen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


(A)






Marieluise Beck (Bremen)



(A) (C)



(D)(B)

Da verbieten sich massiver Druck, wie ihn Russland der-
zeit ausübt, und eine Erpressung mithilfe von Gaspreisen
und Handelskriegen, um die Länder in einen eurasischen
Block zu zwingen und sie vom Zugang zur EU fernzu-
halten. Das ist inakzeptabel, und das müssen wir sehr
deutlich sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber Nachbarschaft hat auch eine Geschäftsgrund-
lage. Unsere Geschäftsgrundlage heißt: Rechtsstaatlich-
keit, Meinungsfreiheit und Toleranz gegenüber Vielfalt.
Das ist gerade auch bei den Entwicklungen in Russland
sehr wichtig.

Wir haben gelernt, dass demokratische Gesellschaf-
ten, wenn sie Bestand haben sollen – von Ungarn und
Rumänien war eben die Rede –, nicht von oben einge-
führt werden können. Demokratie muss wachsen und
braucht dazu aktive Bürgerinnen und Bürger. Ja, in Bela-
rus herrscht der letzte Diktator Europas. Ich füge hinzu:
In Aserbaidschan sieht es nicht sehr viel besser aus.
Aber die Menschen dort wollen Freiheit. Sie wollen rei-
sen. Deswegen ist die Visumfreiheit eines der wenigen
wirklich wirkungsvollen Instrumente, das wir in der
Hand haben. Wir dürfen dem Präsidenten Lukaschenko
nicht mehr helfen, seine Menschen einzusperren, indem
wir 60 Euro für ein Visum verlangen. 60 Euro sind in ei-
nem Land wie Belarus nämlich sehr viel Geld.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Also muss der erste große wirkungsvolle Schritt sein:
Aufgabe der Zögerlichkeit bei Visumfreiheit. Das gilt
natürlich auch mit Blick auf die Ukraine.

Die EU ist derzeit nicht in bester Verfassung. Das ist
richtig. Aber es ist ein wunderbares Ziel, das ganze Eu-
ropa zu vereinen. Das braucht Geduld, Klugheit und eine
echte Mitgliedsperspektive für alle Länder Europas. Ich
wünsche mir, dass das ganze Haus in der 18. Legislatur-
periode bei dieser Herausforderung zusammenarbeitet.

Schönen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1800201400

Das Wort erhält nun der Kollege Andreas

Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Andreas Schockenhoff (CDU):
Rede ID: ID1800201500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu

Beginn meiner Rede möchte ich Folgendes mitteilen:
Mehrere Vorredner haben darauf hingewiesen, dass die
Europäische Kommission am 24. Oktober die Auszah-
lung der nächsten Kredittranche in Höhe von insgesamt
5,6 Milliarden Euro an Portugal vorgeschlagen hat.
Unsere Parlamentsbeteiligungsrechte geben dem Haus-
haltsausschuss das Recht, dazu eine Stellungnahme ab-
zugeben. Da wir derzeit noch keinen neuen Haushalts-
ausschuss haben, fällt das Recht zur Stellungnahme in
diesem Fall dem Plenum zu. Wir haben uns in der CDU/
CSU-Fraktion eingehend mit dem Umsetzungsbericht
beschäftigt. Aus unserer Sicht spricht nichts gegen die
Auszahlung der nächsten Tranche. Portugal ist insge-
samt auf dem richtigen Weg.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nun zur Östlichen Partnerschaft. Fast ein Vierteljahr-
hundert nach der Überwindung der Teilung gibt es in
Europa noch zwei Regionen, in denen Sicherheit und
Stabilität – und das heißt vor allem Demokratie, Rechts-
staatlichkeit und wirtschaftliche Entwicklung – weiter
gestärkt werden müssen; denn je mehr das gelingt, desto
besser kann sich Europa auf die wachsenden Herausfor-
derungen konzentrieren, die von außerhalb unseres Kon-
tinents kommen. Ich nenne nur die Entwicklungen in
Nordafrika und im Nahen und Mittleren Osten.

Eine dieser Regionen ist der westliche Balkan. Hier
sind wir mit dem Assoziierungs- und Erweiterungspro-
zess auf einem guten Weg. Die andere Region sind die
Länder in unserer östlichen Nachbarschaft. Dort darf es
kein Zwischeneuropa geben. Welche fatalen Folgen die
Entstehung eines Zwischeneuropas hat, wissen wir aus
der Geschichte. Deshalb liegt es im vitalen Interesse der
Europäischen Union, dass diese östlichen Länder eine
klare europäische Orientierung und Verankerung haben
und nicht zwischen ihren großen Nachbarn hin- und her-
gerissen sind.

Das zu erreichen, ist die große strategische Aufgabe
der Östlichen Partnerschaft. Sie muss ein wirksames In-
strument zur Vermeidung eines neuen Zwischeneuropas
und zur Stabilisierung und Stärkung dieser Nachbar-
schaftsländer sein. Angesichts dieses vitalen Interesses
und dieser großen Aufgabe wünsche ich mir für die Zu-
kunft ein stärkeres Engagement und eine bessere Wahr-
nehmung dieser Länder durch die Europäische Union.

Einige dieser Nachbarn haben ein starkes Interesse an
einer möglichst engen Zusammenarbeit mit der EU. An-
dere zeigen zurzeit ein eher geringeres Interesse. Dritte
sind zwischen der EU und Russland hin- und hergeris-
sen. Dennoch ist es richtig, dass die EU allen Ländern
dieser Region auch weiterhin eine möglichst enge Zu-
sammenarbeit anbietet. Assoziierungs-, Freihandels- und
Visaerleichterungsabkommen und eine stärkere Zusam-
menarbeit mit der Zivilgesellschaft sind und bleiben da-
für die besten Instrumente. Aber es ist wichtig, dass die
EU dabei differenzierter vorgeht, nach dem Prinzip:
more for more, less for less.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, beim Gipfel
der Östlichen Partnerschaft Ende des Monats ist – die
Bundeskanzlerin hat es erwähnt – die Unterzeichnung
bzw. Paraphierung einer neuen Generation von Assoziie-
rungsabkommen mit drei Ländern vorgesehen. Diese
sind mit einem sogenannten tiefen und umfassenden
Freihandelsabkommen verbunden. Diese Verträge mar-
kieren nicht nur den Weg hin zu einem neuen Niveau
wirtschaftlicher Zusammenarbeit und einer neuen Öff-
nung auf die europäischen und globalen Märkte. Sie be-
deuten auch die schrittweise Annäherung an europäische
Normen und Werte.





Dr. Andreas Schockenhoff


(A) (C)



(D)(B)

Nicht zuletzt eröffnen diese Abkommen den Ländern
die europäische Perspektive einer Teilhabe am Europäi-
schen Wirtschaftsraum – mit allen Vorteilen, wie die
Schweiz oder Norwegen sie haben. Die Eröffnung dieser
Perspektive ist die Kernbotschaft, die von der Unter-
zeichnung bzw. Paraphierung der Abkommen beim Gip-
fel der Östlichen Partnerschaft ausgeht. Die Menschen in
diesen Ländern verbinden damit große Hoffnungen. Das
muss auch der ukrainische Präsident Janukowitsch be-
denken, wenn er über den Fall von Julija Timoschenko
entscheidet.

Lassen Sie mich dazu in aller Klarheit sagen: Wir
wollen, dass die Ukraine enger an die EU angebunden
wird. Wir wünschen uns eine Unterzeichnung des Asso-
ziierungsabkommens beim Gipfel. Aber es liegt allein in
den Händen der Ukraine, die gemeinsam abgesproche-
nen Voraussetzungen dafür zu erfüllen. Das gilt auch mit
Blick auf Frau Timoschenko.

Wir sehen sehr genau, wie Russland versucht, eine
Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der
Ukraine mit allen Mitteln zu verhindern: Neben der alt-
bekannten Energiewaffe werden Handelsembargos,
Boykotts, Importstopps oder gar der totale Zusammen-
bruch der Ukraine angedroht. Diese Versuche Russlands,
nicht nur die Ukraine, sondern auch andere Staaten der
Östlichen Partnerschaft, etwa Moldau, unter Druck zu
setzen, weil sie einen anderen Weg gehen wollen, als
Moskau es will, sind eine gravierende Verletzung der
Prinzipien der OSZE-Charta von Paris. Solche Eingriffe
in die Souveränität einzelner Länder sind völlig inakzep-
tabel. Russland verstößt damit eklatant gegen sein eige-
nes Konzept eines gemeinsamen wirtschaftlichen und
humanitären Raums Europa.

Auch deshalb ist die Zeit für einen weiteren Schlin-
gerkurs vorbei. Kiew muss jetzt eine klare Entscheidung
treffen. Das heißt auch: Ohne eine Ausreise von Frau
Timoschenko für eine medizinische Behandlung im
Ausland kann es keine Unterschrift unter das Assoziie-
rungsabkommen geben.

Mit Blick auf die angedrohten russischen Vergel-
tungsmaßnahmen sage ich aber auch: Die EU wird sich
auf jeden Fall mit dem Partner Ukraine solidarisch zei-
gen. Dafür gibt es bereits die notwendigen Instrumente.
Sie werden umso besser genutzt werden können, je mehr
Kiew die erforderlichen Voraussetzungen dafür schafft.

Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Die Östliche
Partnerschaft ist nicht exklusiv oder konfrontativ, und
sie ist vor allem nicht gegen Russland gerichtet. Es
bleibt den östlichen Partnern unbenommen, gute politi-
sche und wirtschaftliche Beziehungen mit Russland und
mit der Zollunion zu wahren und gleichzeitig mit weite-
ren Partnern Freihandel zu treiben. Von einer Moderni-
sierung und wirtschaftlichen Entwicklung seiner Nach-
barstaaten, die durch diese Assoziierungsabkommen
bewirkt werden können, kann auch Russland profitieren.
Das liegt auch in unserem Interesse.

Präsident Putin hat das Projekt eines gemeinsamen
europäischen Wirtschaftsraumes vorgeschlagen. Sein
neues außenpolitisches Konzept wiederholt die Idee ei-
nes gemeinsamen wirtschaftlichen und humanitären
Raums zwischen Atlantik und Pazifik. Ist die Vision ge-
meinsamer Räume nicht am ehesten über solche Abkom-
men zu erzielen, die der wachsenden Kooperation und
Annäherung dienen?

Das aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist genau
das Gegenteil des alten Nullsummendenkens, welches in
einer vertraglichen Bindung der Staaten der Östlichen
Partnerschaft an die EU einen Machtverlust sieht statt
die Chance, eine gemeinsame neue Ordnung – auch eine
gemeinsame neue Sicherheitsordnung – zu schaffen.
Deshalb müssen wir mit Russland nicht nur über die un-
terschiedlichen Konzepte einer Modernisierungspartner-
schaft reden, sondern auch über den Umgang mit der
Souveränität der Länder in unserer gemeinsamen Nach-
barschaft.

Auf eines möchte ich schon heute hinweisen: Die Un-
terzeichnung und Paraphierung neuer Abkommen in Vil-
nius ist nur ein erster Schritt. Danach stellt die Imple-
mentierung alle Seiten, auch die EU, vor eine vielleicht
noch größere Herausforderung. Es wird ein langer Weg
werden. Umso wichtiger ist es, dass die Implementie-
rung nach dem Gipfel zügig und im Geiste der Partner-
schaft erfolgt und nicht verzögert wird. Eine zügige und
erfolgreiche Umsetzung ist der einzige Weg, um einem
„Zwischeneuropa“ entgegenzuarbeiten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1800201600

Als erstem der neu gewählten Mitglieder im Deut-

schen Bundestag erteile ich jetzt der Kollegin Katarina
Barley das Wort für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Katarina Barley (SPD):
Rede ID: ID1800201700

Herzlichen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Sozialdemokratin
kann man die erste Rede im Deutschen Bundestag, vor
allem, wenn es um Osteuropa geht, wahrscheinlich nicht
halten, ohne auf Willy Brandt Bezug zu nehmen, der
nächsten Monat 100 Jahre alt geworden wäre. Willy
Brandt hat 1971 den Friedensnobelpreis für seine Ost-
und Entspannungspolitik erhalten. „Wandel durch Annä-
herung“ war sein großes Thema, und das bedeutete eine
Verständigung auf gemeinsame Ziele und Werte, auf
Ausgleich und Entspannung, insbesondere mit Ost-
europa.

Übertragen auf die heutige Debatte heißt das: Die Eu-
ropäische Union trägt Verantwortung gegenüber ihren
östlichen Nachbarstaaten und der dort lebenden Bevöl-
kerung. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich den in der
nächsten Woche stattfindenden EU-Gipfel zur Östlichen
Partnerschaft in Vilnius. Das Ziel der Politik der Östli-
chen Partnerschaft ist die Beförderung von Stabilität und
Wohlstand sowie Frieden und Sicherheit in der unmittel-
baren Nachbarschaft. Achtung der Menschenrechte, frei-
heitlich-demokratische Grundordnung, Rechtsstaatlich-
keit und Marktwirtschaft sind die Prinzipien, die es zu
stärken und auszubauen gilt.





Dr. Katarina Barley


(A) (C)



(D)(B)

Die Östliche Partnerschaft zielt auf eine politische
und wirtschaftliche Annäherung der Europäischen
Union an die Ukraine, Georgien, Moldova, Aserbaid-
schan, Armenien und Belarus.

Es gibt keinen Automatismus für einen Beitritt zur
Europäischen Union. Es geht aber auch nicht um die
Wahl zwischen Russland oder der Europäischen Union.
Alle Länder der Östlichen Partnerschaft haben das sou-
veräne Recht, selbstständig zu entscheiden, mit wem sie
Handelsverträge schließen und Teil welchen Wirt-
schaftsraums sie werden wollen.

In der Östlichen Partnerschaft haben wir es mit sehr
verschiedenen Partnern zu tun. Ihr Verständnis von
Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten
ist teilweise sehr problematisch. Das gilt vor allen Din-
gen für Belarus. Durch das harte Vorgehen des Präsiden-
ten Lukaschenko gegen die Opposition nach den letzten
Präsidentschaftswahlen im Jahre 2010 sind die Bezie-
hungen mit der Europäischen Union sehr angespannt.
Auch die im letzten Jahr durchgeführten Parlamentswah-
len waren mit internationalen Standards nicht vereinbar.
Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und
Belarus befinden sich in einer Sackgasse. Die Europäi-
sche Union ist zu einer Politik des kritischen Engage-
ments gegenüber Belarus verpflichtet. Dabei geht es vor
allem um die Unterstützung von Oppositionellen, die
verfolgt werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Hier kann eine Politik der kleinen Schritte oftmals auf
anderer Ebene mehr erreichen, vor allem dann, wenn da-
durch auch kritische Kräfte sowie die Bevölkerung ein-
gebunden werden. Wandel entsteht durch Annäherung
auf breiter Basis. Wirtschaftlicher, politischer, kultureller
und gesellschaftlicher Austausch ist gleichermaßen wich-
tig. Wir müssen Foren schaffen, in denen dieser Aus-
tausch stattfinden kann. Erfolgreiche EU-Programme
müssen dafür bedarfsgerecht auf die Partnerländer aus-
geweitet werden. Hierzu gehören beispielsweise die Un-
terstützung der Zusammenarbeit von Städten und Ge-
meinden, Erleichterungen bei der Visumvergabe – das
haben wir heute schon mehrfach gehört – und die Ver-
besserung der Bildungs- und Forschungsmöglichkeiten
in den Bereichen Hochschulbildung, außerschulische
Bildung und Erwachsenenbildung. Das Haus Europa
bauen die Menschen, die hier leben. Wir müssen Koope-
rationen auf kommunaler Ebene und zwischenmenschli-
che Kontakte fördern. Die Partnerschaften müssen in der
Lebenswirklichkeit spürbar sein.

Ich komme aus einem der schönsten Wahlkreise der
Republik, ganz sicher.


(Zurufe von der SPD: Ja, ja! – Ulrich Kelber [SPD]: Wir auch! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abstimmen!)


– Damit habe ich gerechnet, trotz Welpenschutz.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1800201800

Anträge liegen mir dazu nicht vor. Wir werden da-

rüber jetzt keine Kampfabstimmung durchführen.

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Katarina Barley (SPD):
Rede ID: ID1800201900

Mein Wahlkreis, Trier, weist aber noch eine Beson-

derheit auf: Trier liegt in der Mitte Europas, und man
kann, wenn man es will und es schafft, mit dem Fahrrad
an einem Tag durch vier europäische Länder fahren.


(Beifall des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD])


In Trier kann ich das Miteinander täglich erleben. In
meiner Heimat ist es eine Selbstverständlichkeit, dass
sich Franzosen, Luxemburger, Belgier, Deutsche und
auch Menschen anderer Nationen jeden Tag auf der Ar-
beit, in der Freizeit oder an der Universität begegnen.
Aus diesen Begegnungen erwächst Vertrauen, und aus
Vertrauen erwächst Frieden.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir einen sol-
chen Weg auch mit den östlichen Partnerschaften gehen
könnten. Ende Oktober hat das erste Jugendforum der
Östlichen Partnerschaft stattgefunden. Mehr als 200 Ju-
gendliche aus der Europäischen Union und den sechs
Partnerländern trafen sich in Litauen. Dieses Projekt ist
ein vielversprechender Schritt in die richtige Richtung.
Wir brauchen mehr solcher Projekte.

Im Mittelpunkt der Debatte mit unseren Partnern ste-
hen deshalb drei zentrale Punkte:

Erstens. Die bestehenden Kooperationsformen auf eu-
ropäischer Ebene müssen vertieft werden. Hier bestehen
mit der Europäischen Nachbarschaftspolitik und der
gemeinsamen Parlamentarischen Versammlung EURO-
NEST gute Ansätze. Gerade in den Staaten Osteuropas
ist die Stärkung demokratischer Institutionen ein wichti-
ger Teil des Entwicklungsprozesses.

Zweitens. Die Schaffung von sozialer Stabilität ist die
Grundvoraussetzung für die Schaffung von Frieden und
Wohlstand in der gesamten Region.

Drittens. Die Kooperation im Rahmen der Östlichen
Partnerschaft muss die Zivilgesellschaft und die Bevöl-
kerung mit einbeziehen.

Das alles bedeutet aber auch: Wenn wir unseren östli-
chen Partnerländern Standards vorgeben, verpflichtet
uns das gleichzeitig, unsere eigenen Standards fortwäh-
rend zu überprüfen. Auch die Europäische Union selbst
muss sich stetig weiterentwickeln. Deshalb ist es wich-
tig, dass wir in der EU den nächsten Schritt wagen, den
Schritt zu einem Europa, das die soziale Dimension
gleichberechtigt zur wirtschaftlichen Integration voran-
bringt.


(Beifall bei der SPD)


Dieses soziale Europa, wie wir Sozialdemokraten es
schon lange fordern, ist deshalb das europäische Projekt
der nächsten Jahre.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1800202000

Frau Kollegin Barley, ich gratuliere Ihnen herzlich zu

Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag,


(Beifall)


auch zu dem seltenen Kunststück, beim ersten Mal mit
der knappen Redezeit nicht nur ausgekommen zu sein,
sondern eine virtuelle Reserve angelegt zu haben,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


was ich allen weiteren Rednern als leuchtendes Beispiel
für die Legislaturperiode empfehlen möchte.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Thomas Silberhorn ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1800202100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Frau Bundeskanzlerin hat einen Ausblick auf den nächs-
ten Gipfel in Wilna zur Östlichen Partnerschaft gegeben.
Wir als CSU vertrauen ganz auf ihre große Routine


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ist auch gut so!)


und ihr ebenso großes Geschick, das sie auf vielen Gip-
feln unter Beweis gestellt hat. Sie wird unsere Interessen
dort gut vertreten und den Blick auf die ganze Europäi-
sche Union bewahren.

Meine Damen und Herren, bei der Östlichen Partner-
schaft geht es um eine strategische Ausrichtung der Eu-
ropäischen Union bezüglich folgender Länder im Osten:
Weißrussland, Ukraine, Moldawien, Aserbaidschan, Ar-
menien und Georgien. Wir reden nicht nur über Handels-
erleichterungen, über Visaerleichterungen, sondern wir
müssen insbesondere über die grundsätzliche Richtung
dieser Staaten reden. Wir wollen, dass sie den Weg zu
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit finden. Dafür bieten
wir unsere Unterstützung konkret an.

Diese Länder haben noch einen weiten Weg vor sich.
Deswegen ist es richtig, dass wir diese Östliche Partner-
schaft nicht in Verbindung mit einer Beitrittsperspektive
bringen. Für die Zukunft ist nichts ausgeschlossen, aber
wir sollten uns auch nicht mit zu großen Erwartungen
überfrachten. Vielmehr sollten wir die nächsten gangba-
ren Schritte gehen.

Es gibt Länder, die möglicherweise eine Entwicklung
in die andere Richtung vollziehen wollen, was uns mit
Sorge erfüllen muss. Deswegen müssen wir sehr klar da-
rauf hinwirken, dass Erleichterungen im Handel und bei
Visa klare Voraussetzungen haben. Wir wollen sichtbare
Fortschritte bei der Einhaltung der Menschenrechte, bei
unabhängiger Justiz, bei freier Presse, bei alldem, was
insgesamt den Bewegungsspielraum der Zivilgesell-
schaft angeht. Wir können auf das Ausbleiben von Re-
formen oder sogar auf verschärfte Repressionen nicht
dadurch antworten, dass wir fröhlich Abkommen schlie-
ßen, sondern wir müssen dort, wo es Fortschritte gibt,
positiv reagieren und die Entwicklung unterstützen.
Dort, wo Fortschritte nicht in dem von uns gewünschten
Umfang möglich sind, weil die Bedingungen eben nicht
vorliegen, müssen wir aber immerhin den Gesprächsfa-
den aufrechterhalten und weiter zeigen, dass wir an einer
konstruktiven Zusammenarbeit interessiert sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Euro-
päische Union unterbreitet ganz konkrete Angebote der
Zusammenarbeit. Das steht in einem bemerkenswerten
Kontrast zu der Vorgehensweise Russlands. Dass Russ-
land mehr oder weniger offen versucht, diesen Prozess
zu torpedieren, ist hier schon angesprochen worden. Wir
müssen nicht nur klarmachen, dass wir ein Veto von drit-
ter Seite für den Prozess der Europäischen Union nicht
akzeptieren können, sondern dass Drohgebärden und
Druck auch keine geeigneten Instrumente für Partner-
schaften sind. Russland wird sich die Frage stellen müs-
sen, ob es nicht andere Handlungsmöglichkeiten hat, als
mehr oder weniger stark am Gashahn zu drehen oder Le-
bensmitteleinfuhren zu kontrollieren.

Wir in der Europäischen Union unterbreiten daher ein
Angebot für eine umfassende Partnerschaft auf der Basis
eines solidarischen Miteinanders. Wir sollten Russland
allerdings auch davon überzeugen, dass diese Östliche
Partnerschaft nicht gegen Russland gerichtet ist. Wir
müssen den Gesprächsfaden auch mit Russland aufrecht-
erhalten. Wir müssen uns über die geplanten Projekte
kontinuierlich austauschen und informieren. Ein ge-
meinsamer Wirtschaftsraum, der in der Zukunft entste-
hen könnte, kann durchaus auch Russland offenstehen.
Deswegen sind die Freihandelsabkommen, über die wir
gerade im Rahmen der Östlichen Partnerschaft diskutie-
ren und verhandeln, nicht ausschließend gemeint.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Hinblick
auf die Östliche Partnerschaft will ich darauf hinweisen,
dass auch die Projekte der transeuropäischen Verkehrs-
netze von großer Bedeutung sind. Sie erschließen nicht
nur die Peripherie, sondern sie sollen auch den gesamten
Binnenmarkt in der Europäischen Union stärken. Gerade
mit Blick auf unsere östlichen Nachbarn können die
transeuropäischen Netze die Handelschancen deutlich
verbessern. Deutschland liegt im Zentrum der meisten
dieser geplanten Verkehrswege. Deshalb profitieren wir
als Tor zu Osteuropa in ganz besonderem Maße von die-
sen transeuropäischen Verkehrsnetzen.

Ein zentrales Thema in der Europäischen Union
bleibt freilich weiter die Bekämpfung der Schulden- und
Finanzkrise. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, da-
für zu sorgen, dass alle Länder in der Euro-Zone wettbe-
werbsfähig werden und bleiben. Wir müssen unsere
Wettbewerbsfähigkeit aber auch im globalen Maßstab
definieren. Es hilft uns in der Europäischen Union
nichts, wenn man versucht, die Stärkeren schwächer zu
machen – damit ist niemandem gedient –, sondern wir
müssen gemeinsam als Europäische Union, als Binnen-
markt im globalen Wettbewerb wettbewerbsfähig sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, Haushaltsdisziplin, die da-
mit verbundenen Strukturreformen und die Sanierung
der nationalen Haushalte bleiben Anker unserer Politik.
Es geht dabei auch darum, dass Gerechtigkeit zwischen





Thomas Silberhorn


(A) (C)



(D)(B)

den Generationen geübt wird. Denn gerade dort, wo
durch Schulden die Lasten auf die nächste Generation
übertragen werden, wird der Spielraum für diese nächste
Generation immer kleiner. Deswegen führt kurzfristige
Nachsicht bei Reformanstrengungen nicht zum Ziel. Wir
müssen hier klar Kurs halten.

Dass einige Länder das Schlimmste überstanden ha-
ben und mittlerweile wieder besser dastehen, ist gerade
diesem Beharren auf strikte Haushaltskonsolidierung zu
verdanken. Es sind erhebliche Reformmaßnahmen um-
gesetzt worden; das zeigen die Ergebnisse in Irland und
Portugal. Die Kommission hat die Defizitverfahren für
viele Länder aufgeschoben oder ganz aufgehoben. Irland
wird den Rettungsschirm im Dezember dieses Jahres
nach nur drei Jahren verlassen. Auch Portugal erfüllt
nach den jüngsten Berichten der Kommission in den re-
levanten Bereichen die vereinbarten Auflagen. Deswe-
gen hat der Bundestag allen Grund, nach Unterrichtung
durch den Bundesfinanzminister einen positiven Be-
schluss zur Auszahlung der nächsten Kredittranche mit-
zutragen, der im Direktorium der Europäischen Finanz-
stabilisierungsfazilität für nächsten Dienstag vorgesehen
ist.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1800202200

Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-

gen Liebich?


Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1800202300

Bitte schön.


Stefan Liebich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1800202400

Herr Kollege Silberhorn, Sie nutzen ja, wie auch un-

ser Redner, Dietmar Bartsch, die Gelegenheit, auch über
Portugal zu sprechen; das finde ich sehr gut. Daran
möchte ich anknüpfen und Ihnen eine Frage stellen. Die
CSU hat ja den Vorschlag gemacht, einige Länder soll-
ten die Europäische Union verlassen können. Darüber
gab es, wie den Medien zu entnehmen war, allerlei De-
batten. Vielleicht können Sie, da Sie ja Mitglied der CSU
sind, diese Gelegenheit nutzen, diesen Vorschlag hier im
Parlament ein bisschen zu erläutern.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1800202500

Vielen Dank für diese Zwischenfrage, die mir die Ge-

legenheit gibt, klarzustellen, dass die CSU keineswegs
den Vorschlag unterbreitet hat, dass Länder die Europäi-
sche Union verlassen sollen;


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Können!)


das war nie unser Anliegen. Hinweise darauf findet man
in entsprechenden Urteilen des Bundesverfassungsge-
richts. Das haben wir nie zum Thema gemacht.

Die Frage ist: Wie gehen wir mit einem Land um, das
auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein wird, dem
Wettbewerbsdruck in der Euro-Zone standzuhalten? In
einem solchen Fall muss man Staatsschulden restruktu-
rieren, wie es am Beispiel Griechenlands bereits einmal
vollzogen worden ist. Wir treten dafür ein, für einen sol-
chen Fall Verfahren zu entwickeln, die sicherstellen,
dass man nicht ad hoc entscheiden muss, was zu tun ist.
Denn dann würde man feststellen, dass man, wie im
Falle Griechenlands, gar nicht alle Gläubiger einbinden
kann, sondern darauf angewiesen ist, dass die Gläubiger
eine Vereinbarung treffen; diejenigen, die sie nicht tref-
fen wollen, sind dann nicht mit im Boot.

Vor diesem Hintergrund brauchen wir entsprechende
Verfahren. Dazu gibt es Vorschläge, zum Beispiel einen
Vorschlag des Internationalen Währungsfonds. Wir wol-
len, dass die Euro-Zone für einen solchen Fall im Vor-
feld selbst Regelungen trifft. Wir haben in der Tat erneut
einen Vorschlag markiert, den der CSU-Parteitag im Ok-
tober letzten Jahres einstimmig beschlossen hat.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Genau! So ist es!)


Auch in anderen Parteien gibt es klare Beschlüsse dahin
gehend, dass über das Thema, wie man die Euro-Zone
insgesamt zusammenhalten kann, sehr grundsätzlich
nachgedacht werden muss. Das haben wir getan. Wir
wissen sehr wohl, dass die Bundesregierung zum jetzi-
gen Zeitpunkt nicht der Adressat ist, wenn es darum
geht, diese Debatte zu führen; denn es sind Entscheidun-
gen getroffen worden, deren Umsetzung jetzt ansteht.
Ich will durchaus anerkennen, dass wir am Beispiel Por-
tugal sehen können, dass die vereinbarten Reformmaß-
nahmen greifen. Darauf sollten wir uns konzentrieren.

Wissen Sie, Herr Kollege Liebich, ich gehöre zu de-
nen, die in der letzten Legislaturperiode hin und wieder
differenziert abgestimmt haben. Ich habe dem Hilfspaket
für Portugal zugestimmt, und ich sehe mich durch die
Entwicklung in Portugal bestätigt,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


dass die Ziele bei strikten Auflagen auch erreicht werden
können. Ich habe auch dem Reformpaket für Irland zu-
gestimmt, und ich sehe mich auch da durch die Entwick-
lung bestätigt. Deswegen lege ich weiterhin Wert darauf,
festzustellen, dass wir zwar einerseits bereit sind, solida-
risch zu helfen, aber andererseits auch klare Anforderun-
gen formuliert werden müssen. Das wird auch in Zu-
kunft so bleiben.

Deswegen, meine Damen und Herren, bleibt solide
Haushaltsführung bedeutsam. Auch auf EU-Ebene ha-
ben wir das jetzt in einem großen Schritt verwirklicht:
Im mehrjährigen Finanzrahmen muss erstmals die euro-
päische Ebene selbst Haushaltsdisziplin üben. Wir haben
also einiges erreicht.

Wir wollen auf diesem Weg weitergehen. Wir wollen
keine Haftungsunion, wir wollen Schulden nicht verge-
meinschaften, weder Staatsschulden noch Bankenschul-
den. Mit Rücksicht auf kommende Generationen lehnen
wir eine Vergemeinschaftung von Schulden in Europa
ab. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Haushaltsstabili-
tät und wirtschaftliche Dynamik gehören zusammen.
Schuldentilgung und Wachstum führen gemeinsam zum
Erfolg.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)






Thomas Silberhorn


(A) (C)



(D)(B)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es kommt
immer wieder die Forderung, dass Europa jetzt bürger-
näher und transparenter werden müsse. In dieser Allge-
meinheit kann man das teilen; aber wir müssen auch
konkret überlegen, was wir tun können, um die Bürger
wieder für Europa zu gewinnen. Dafür ist es notwendig,
dass sich die Europäische Union klare Ziele setzt. Dafür
ist es notwendig, dass die Bürger stärker beteiligt
werden. Die Prinzipien der Subsidiarität und der Regiona-
lität sind die Schlüssel dafür. Wir brauchen einen Aus-
gleich zwischen regionalen, nationalen und europäischen
Interessen. Das Prinzip der Subsidiarität ist der Violin-
schlüssel dafür, dass dieser Ausgleich in angemessener
Form gelingen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir brauchen eine starke Europäische Union, wenn es
darum geht, das Gewicht Europas in der Welt zur Gel-
tung zu bringen. Aber wir brauchen eine schlanke Euro-
päische Union, wenn es darum geht, den Alltag von
Bürgern und Betrieben zu regulieren. Durch beides zu-
sammen wird ein Schuh daraus. Themen wie die Ener-
giewende oder die Digitale Agenda müssen wir stärker
europäisch angehen. Es gibt aber auch Kompetenzen, bei
denen wir die Frage stellen müssen, ob diese Kompeten-
zen auf regionaler Ebene nicht besser angesiedelt wären –
wie wir das ganz konkret für die Daseinsvorsorge vor-
schlagen.

Herr Präsident, ich sehe, meine Zeit ist abgelaufen.
Mir wurde gesagt, dass die Kollegen Kauder und
Schockenhoff noch viele Minuten für mich übrig gelas-
sen hätten. Vielleicht lässt sich das klären?


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1800202600

Die sind wahrscheinlich für weitere Debatten vorge-

sehen.


(Heiterkeit)



Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1800202700

Dann will ich damit schließen, dass die Mitarbeit an

der europäischen Integration eine der zentralen Aufga-
ben der neuen Bundesregierung und dieses Bundestages
bleibt. Solange wir uns über den richtigen Kurs für die
europäische Integration heftig streiten können, so lange
machen wir auch deutlich, dass uns die europäische Inte-
gration wichtig ist. Daran will ich gerne mitwirken.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1800202800

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1800202900

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Im Zusammenhang mit den Verhandlungen
über die Östliche Partnerschaft beraten wir über ein
wichtiges Instrument der europäischen Außenpolitik.
Nachdem meine Fraktionskollegen schon ausführlich
dazu Stellung bezogen haben, möchte ich mich in mei-
nen Ausführungen darauf beschränken, drei Länder kon-
kret anzusprechen.

Zunächst möchte ich etwas zu Weißrussland sagen.
Wir haben Weißrussland 2009 die Tür zur Teilnahme an
der Östlichen Partnerschaft offen gehalten, dabei aber
die Erwartung geäußert, dass sich die Lage der Men-
schen in Weißrussland verbessert.

Wie vorhin schon in der Debatte gesagt worden ist:
Lukaschenko ist der letzte Diktator auf dem europäi-
schen Kontinent. Die Situation in diesem Land ist nicht
besser, sondern schlechter geworden. Deshalb möchte
ich auch bei dieser Debatte wie schon oft hier im Deut-
schen Bundestag für meine Fraktion die Gelegenheit
nutzen, das Engagement des Deutschen Bundestages,
aber auch der Regierung für die Opposition in Weißruss-
land hervorzuheben und deutlich zu machen, dass wir
das Vorgehen Lukaschenkos gegen die Zivilgesellschaft
nicht dulden, sondern die Opposition weiter massiv un-
terstützen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Viele Abgeordnete hier haben Patenschaften für poli-
tische Gefangene übernommen. Der junge Mann, für den
ich seit Jahren die Patenschaft übernommen habe, ist
Vorsitzender einer politischen Jugendorganisation. Herr
Dashkevich ist vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen
worden, und nur weil er erneut unter dem Verdacht
stand, politisch aktiv zu sein, ist er wieder in Untersu-
chungshaft gekommen. Vor diesem Hintergrund appel-
liere ich daran, dass Lukaschenko in sich geht und über-
legt, ob das der richtige Weg ist. Ansonsten müssen wir
mit all den uns zur Verfügung stehenden Maßnahmen
darum werben, dass Weißrussland den politischen,
diplomatischen und wirtschaftlichen Druck der westli-
chen Gemeinschaft zu spüren bekommt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Gerade unser Kanzleramtschef Ronald Pofalla setzt sich
dort sehr stark ein. Ich möchte ihm an dieser Stelle dafür
danken; denn Weißrussland steht nicht jeden Tag im Fo-
kus der Debatte.

Auch zur Ukraine haben meine Vorredner schon et-
was gesagt. Bei der Ukraine erwarten wir natürlich mit
Spannung, wie es im Fall Timoschenko weitergeht. Aber
ich möchte das nicht nur an diesem Fall festmachen;
Julija Timoschenko steht ja nur als Pars pro Toto für
große Unregelmäßigkeiten, die es im ukrainischen
Rechts- und Justizwesen gibt.

Es gibt Signale aus der Ukraine, dass das Parlament
uns morgen eventuell eine Lösung präsentieren und am
Donnerstag weiter gehende Schritte, die wir als Prinzi-
pien und Entscheidungsparameter für unseren Findungs-
prozess deutlich gemacht haben, auf den Weg bringen
könnte. Ich formuliere das extra vorsichtig, weil ich mir
nicht sicher bin, inwiefern das, was uns kürzlich und





Philipp Mißfelder


(A) (C)



(D)(B)

auch am heutigen Tag präsentiert worden ist, von Dauer
sein wird. Die Ukraine hat lange genug Zeit gehabt, all
die Kriterien zu erfüllen, die in mühsamen Verhandlun-
gen immer wieder auf die Tagesordnung gebracht wor-
den sind. Deshalb glaube ich nicht, dass die Situation in
der Ukraine durch einen einfachen Parlamentsbeschluss
besser wird, sondern wir müssen erst einmal abwarten,
was in dem Land tatsächlich langfristig passiert.

Aber auch hier sage ich: Die Östliche Partnerschaft ist
nicht nur auf kurzfristige Entwicklungen in den betroffe-
nen Ländern ausgerichtet, sondern sie ist für uns langfris-
tig ein strategisches Instrument, um über den Rahmen
der Europäischen Union hinaus Offenheit gegenüber den
östlichen Partnern zu zeigen. Deshalb ist die Frage der
Partnerschaft, egal wie schwierig die Situation in der
Ukraine auch sein mag, für uns nicht ganz einfach zu be-
antworten; denn wir wollen dieses Land auch nicht auf-
geben. Mit Blick auf den Interessenausgleich, den die
Bundeskanzlerin gegenüber Russland angesprochen hat,
wollen wir gleichzeitig deutlich machen, dass auch die
Europäische Union ein geopolitisches Interesse hat,
wenn es um die früheren Länder der Sowjetunion insge-
samt geht.

Zum Abschluss möchte ich auf ein Land eingehen,
das insbesondere in unserer Fraktion sehr viel Aufmerk-
samkeit genießt, nämlich die Republik Moldau.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich dachte, Aserbaidschan! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/ CSU]: Das auch!)


Die Bundeskanzlerin hat Moldau vor einem Jahr be-
sucht. Wir befinden uns in einer Situation, in der ich da-
rauf hinweisen muss, dass unsere Partner in diesem Land
gerade jetzt unsere Unterstützung brauchen; denn der
ökonomische Druck und der politische Druck innerhalb
des Landes werden immer größer, und der engagierte
Vorwahlkampf, der durch die Kommunisten dort gerade
betrieben wird, setzt der Regierung massiv zu. Deshalb
müssen wir gerade diesem Land die europäische Per-
spektive aufzeigen und dafür sorgen, dass die Regierung
ihrer eigenen Bevölkerung auch Erfolge vorweisen
kann.

Daher spreche ich mich nachdrücklich dafür aus, dass
wir dort gerade beim Thema Visaliberalisierung Offen-
heit zeigen; denn ich glaube, gerade die Regierung in
Moldau, in Chisinau, hat zum jetzigen Zeitpunkt unsere
Unterstützung verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1800203000

Eine Zwischenfrage der Kollegin Beck, bitte schön.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Herr Kollege, ich möchte Ihnen gerne noch zwei
Minuten Redezeit verschaffen, weil Sie nichts zu Aser-
baidschan gesagt haben. Über Aserbeidschan zu spre-
chen, halte ich aber auch deswegen für wichtig, weil ge-
rade aus Ihrer Fraktion heraus der Verlauf der Wahlen in
Aserbaidschan als durchaus annehmbar bezeichnet wor-
den ist, die Menschenrechtslage dort katastrophal ist und
wir davon ausgehen müssen, dass es viele politische Ge-
fangene gibt, wobei aus der CDU/CSU-Fraktion immer
wieder eine gewisse Unschärfe kommt, um es vorsichtig
zu formulieren.


Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1800203100

Was Aserbaidschan angeht, glaube ich, dass auch aus

unserer Fraktion Wahlbeobachter vor Ort waren. Ich
müsste mich erst einmal schlaumachen, wer das tatsäch-
lich war. Aber soweit ich weiß, ist der Bericht, der durch
die Delegation der OSZE vorgelegt worden ist, sehr kri-
tisch gewesen. Wir sind natürlich auch jederzeit bereit,
uns damit auseinanderzusetzen.

Ich finde, angesichts der Situation in Armenien, das
sich bewusst für die russisch dominierte Zollunion ent-
schieden hat, und der Tatsache, dass in Baku kaum
Nachdruck an den Tag gelegt wird, damit Aserbaidschan
ein Teil der Östlichen Partnerschaft – außer der wirt-
schaftlichen Seite – werden kann, muss man die Ent-
wicklung der Östlichen Partnerschaft mit großem Inte-
resse betrachten. Wir haben für alle diese Länder die Tür
geöffnet: Aus unterschiedlichen Gründen sind sie entwe-
der bereit, durch diese Tür hindurchzugehen, wie die Re-
publik Moldau, oder eben nicht, wie Armenien und zum
Teil Aserbaidschan. Aus unserer Sicht stellt sich die
Frage, inwieweit es die Länder der Östlichen Partner-
schaft ernst meinen, bei diesem Vehikel mitarbeiten zu
wollen.

Was die Menschenrechtssituation angeht – wir haben
darüber schon oft diskutiert; ich glaube, vor einigen Jah-
ren ist auch eine Resolution des Deutschen Bundestages
zu diesem Thema verfasst worden –, scheint die Situa-
tion etwas besser geworden zu sein, zumindest wenn ich
den Bericht richtig gelesen habe. Ich selber war nicht als
Wahlbeobachter bei der Wahl in Baku. Deswegen kann
ich dazu nichts sagen. Mir ist aber auch keine Äußerung
aus meiner Fraktion dazu bekannt; das muss ich ganz of-
fen sagen.


(Zuruf des Abg. Karl-Georg Wellmann [CDU/ CSU])


– Ja. Für ein Mitglied unserer Fraktion gab es ein Einrei-
severbot.


(Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)


– Man kann doch Nachfragen stellen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1800203200

Nein. Wir sind jetzt langsam am Ende der vereinbar-

ten Gesamtredezeit, Herr Kollege Mißfelder. Das kann
nicht durch bilaterale Vereinbarungen außer Kraft ge-
setzt werden.


Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1800203300

Die Zeit läuft noch. Aber ich komme zum Schluss.





Philipp Mißfelder


(A) (C)



(D)(B)

Wir legen großen Wert darauf, das Instrument der
Östlichen Partnerschaft im Ausgleich mit den Interessen
der Russischen Föderation auszubauen. Aber ich will
auch deutlich machen: Wir sind als CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion massiv daran interessiert, dass die Europäi-
sche Union nicht nur als ökonomischer Raum gesehen
wird, sondern dass die Wertegemeinschaft der Europäi-
schen Union auch tatsächlich deutlich macht, dass dieses
Angebot nicht nur auf Freihandel, Handel und Trans-
portwegen beruht, sondern auch mit Demokratisierung,
Justizwesen und Antikorruption einhergehen muss. Das
sind die Eckpfeiler, die für uns neben den ökonomischen
Aspekten wichtig sind.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1800203400

Ich schließe die Aussprache.

Bevor ich über den Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke auf der Drucksache 18/64 abstimmen lasse,
will ich noch einmal darauf hinweisen, dass aus guten
Gründen in dieser Diskussion außer der Aussprache über
die Regierungserklärung zum EU-Gipfel die Frage der
Auszahlung der EU-Tranche an Portugal eine Rolle ge-
spielt hat. Das ist deswegen von Bedeutung, weil die
nach unseren gesetzlichen Regelungen jederzeit mögli-
che Stellungnahme des Bundestages, wenn sie denn ge-
wünscht wäre, heute hätte erfolgen müssen, weil die da-
für vorgesehenen Fristen heute auslaufen. Dies hat aber
in der Diskussion und offenkundig auch in den Frak-
tionsberatungen eine breite Rolle gespielt. Auch der Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke nimmt darauf
ausdrücklich Bezug.

Ich komme nun zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache
18/64. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist
dieser Entschließungsantrag mit breiter Mehrheit aller
übrigen Fraktionen außer den Antragstellern abgelehnt.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:

Vereinbarte Debatte:
zu den Abhöraktivitäten der NSA und den
Auswirkungen auf Deutschland und die trans-
atlantischen Beziehungen

Hierzu liegen wiederum ein Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke und ein weiterer der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen vor. Auch hier haben die Fraktionen
eine Gesamtdebattenzeit von 94 Minuten vereinbart.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offenkundig der
Fall. Dann ist das so beschlossen.

Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort
zunächst dem Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter
Friedrich.

Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-
nern:

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren Kollegen! Die deutsch-amerikani-
schen Beziehungen sind seit Bestehen der Bundesrepu-
blik eng. Sie sind freundschaftlich und partnerschaftlich.
Wir haben enge wirtschaftliche Beziehungen. Wir ha-
ben, Herr Ströbele, seit vielen Jahrzehnten auch enge au-
ßenpolitische Beziehungen. Wir haben eine Gemein-
same Außen- und Sicherheitspolitik. Es gilt auch die
innere Sicherheit in Deutschland und Europa gemeinsam
zu schützen. Aber über allem steht – ich glaube, das ist
noch sehr viel wichtiger –, dass wir, Deutsche, Europäer
und Amerikaner, eine Wertegemeinschaft bilden. Wir
bekennen uns in dieser Wertegemeinschaft zu Demokra-
tie und Freiheit. Das unterscheidet uns von manch ande-
rer Region in der Welt. Auch das darf man in der Diskus-
sion hin und wieder erwähnen und vielleicht zur
Kenntnis nehmen.

Wahr ist aber auch, dass jedes gute Verhältnis immer
wieder erneuert, erarbeitet und gestärkt werden muss.
Die Veröffentlichungen der angeblichen Dokumente des
US-amerikanischen Staatsbürgers Snowden vom Juni
2013 waren mehr als irritierend. Sie waren beunruhi-
gend. Was aber noch beunruhigender und irritierender
ist, ist, dass seit der ersten Veröffentlichung am 5. Juni
2013 die Informationspolitik unserer amerikanischen
Freunde leider zu wünschen übrig lässt, und das auch
zum Schaden der Vereinigten Staaten selbst. So konnte
beispielsweise – das ist heute schon kurz angeklungen –
im Sommer über Wochen in der europäischen Öffent-
lichkeit behauptet werden, dass Millionen Daten monat-
lich von der NSA in Deutschland erhoben werden. Das
hat natürlich zu großer Aufregung geführt; denn impli-
ziert war der Vorwurf, Millionen Bürger in Deutschland
würden ausgespäht. Dann hat sich im Laufe des Augusts
herausgestellt, dass es sich bei den 500 Millionen Daten-
sätzen pro Monat, die in Rede standen, um Daten han-
delte, die der Bundesnachrichtendienst aufgrund von
Gesetzen, die von diesem Parlament verabschiedet wor-
den waren, erhoben hat, und zwar in Krisengebieten, un-
ter anderem in Afghanistan. Dabei ging es auch darum,
den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten sowie un-
serer Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sicherzu-
stellen. Ich glaube, es ist unsere gemeinsame Aufgabe,
das zu tun; denn wenn wir schon Frauen und Männer in
solche Krisengebiete schicken, um dort Frieden herzu-
stellen und die Interessen Deutschlands, Europas und der
ganzen freien westlichen Welt zu vertreten, dann müssen
wir sie auch entsprechend schützen. Das ist dadurch ge-
schehen, dass der Bundesnachrichtendienst Kommuni-
kationsdaten in diesen Krisengebieten erhoben hat und
gemeinsam mit den amerikanischen Freunden und Part-
nern ausgewertet hat.

Ich sage ausdrücklich: Das alles hat stattgefunden auf
der Grundlage von Gesetzen. Unsere Behörden, sowohl
der Verfassungsschutz als auch der Bundesnachrichten-
dienst, handeln aufgrund gesetzlicher Vorschriften.
Wenn der Bundesdatenschutzbeauftragte heute sagt, es
gebe so etwas wie einen kontrollfreien Raum der Nach-
richtendienste, dann muss ich dem ausdrücklich wider-
sprechen. Der Bundestag hat durch ein sehr enges Ge-
flecht aus Kontrollmöglichkeiten sichergestellt, dass zu
jeder Zeit die Geheimdienste in diesem Land kontrolliert
werden.


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)






Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich


(A) (C)



(D)(B)

– Da können Sie lachen, so viel Sie wollen. – Die Kolle-
gen, die Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgre-
miums sind und sich stundenlang hinter verschlossenen
Türen die Berichte der Präsidenten der Nachrichten-
dienste anhören, haben auf jeden Fall den Respekt dieses
Hauses verdient. Die Kollegen gehen ihrer Aufgabe
nach.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Des Weiteren gibt es die G-10-Kommission, einge-
setzt vom Deutschen Bundestag. Sie befasst sich aus-
führlich und detailliert mit der Fragestellung, wann und
unter welchen Umständen Nachrichtendienste handeln
können. Deswegen irrt der Bundesdatenschutzbeauf-
tragte, wenn er glaubt, dass seine Behörde die Überkon-
trollbehörde sei.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nein, neben dem PKGr und neben der G 10 gibt es auch
den Bundesdatenschutzbeauftragten. Das wollte ich nur
sagen, weil die Kritik heute von den Agenturen verbrei-
tet wurde, die aber meines Erachtens nicht gerechtfertigt
ist.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber nun zum Schweigen unserer amerikanischen
Freunde, das leider dazu führt, dass es allerhand Ver-
schwörungstheorien


(Lachen bei der LINKEN)


und in der Zwischenzeit ein Misstrauen sowohl in der
Wirtschaft als auch in der Politik und in der Bevölkerung
gibt.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!)


Deswegen kann man mit Fug und Recht davon sprechen,
dass das Vertrauen, das notwendig ist, damit Deutsch-
land und Amerika auf guter Basis auch in der Zukunft
weiter zusammenarbeiten, gestört ist und wiederherge-
stellt werden muss. Die Amerikaner müssen aufklären.
Sie dürfen sich nicht in Widersprüche verstricken. Das
gilt im Übrigen auch für die Vorwürfe, die in den Raum
gestellt worden sind und die das angebliche Abhören des
Handys der Frau Bundeskanzlerin angehen.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Angeblich?)


Ich möchte an der Stelle sagen, dass es auch dazu bisher
keine ausreichenden Einlassungen und Informationen
der amerikanischen Partner gibt. Ich kann Ihnen aber
auch sagen, dass sich jeder, der ein Handy oder Kommu-
nikation in Deutschland abhört, egal ob es die Kommu-
nikation von Bürgern oder die Kommunikation von Be-
hörden oder Regierungsmitgliedern ist, strafbar macht.
Wann immer strafbares Handeln im Raum steht bzw. ein
hinreichender Anfangsverdacht besteht, gehen unsere
Ermittlungsbehörden diesen strafbaren Handlungen nach
und nehmen Ermittlungen auf.

Deswegen werden auch in der Frage, ob das Handy
der Bundeskanzlerin abgehört worden ist, die zuständige
Staatsanwaltschaft oder die Generalbundesanwaltschaft
entscheiden, wie zu ermitteln ist. Das ist in einem
Rechtsstaat so vorgesehen. Das macht nicht die Politik,
sondern das machen rechtsstaatliche Stellen – Staatsan-
wälte, Generalstaatsanwälte –, wenn sie einen Verdacht
haben. Sie vernehmen auch Zeugen, wenn von diesen
Zeugen etwas zu erwarten ist.

Die Aufklärungsbemühungen der Bundesregierung
ebenso wie die der Europäischen Union sind umfang-
reich. Wir, sowohl die Justizministerin als auch ich, ha-
ben schriftliche Anfragen gestellt, und zwar schon im
Juni. Es wurde uns bisher nur ein Teil dieser Anfragen
beantwortet. Es wurde eine Vielzahl von Delegationsrei-
sen in die eine wie in die andere Richtung durchgeführt;
hochrangige Gespräche fanden statt. Die amerikanische
Regierung ist hierdurch sehr frühzeitig problembewusst
geworden.


(Lachen bei der LINKEN)


Wenn der amerikanische Außenminister heute eine
Reise nach Europa plant, dann ist das, glaube ich, ein
Zeichen dafür, dass die Gespräche gewirkt haben.

Wir haben eine umfangreiche technische Sonderprü-
fung durch unseren Bundesverfassungsschutz vorneh-
men lassen. Wo immer irgendwelche Vorwürfe im Raum
standen, hat der Verfassungsschutz umgehend Ermittlun-
gen aufgenommen. Wir haben die Provider informiert
und versucht, herauszufinden, ob es an irgendwelchen
Knoten tatsächlich unerlaubte Zugriffe gegeben hat. All
diese Dinge sind erfolgt.

Die Demokratie kennt aber noch weitere Mechanis-
men. Wir sehen das derzeit in den Vereinigten Staaten.
Im amerikanischen Parlament, im amerikanischen Kon-
gress, genauso wie in der Öffentlichkeit gibt es eine
breite Diskussion, und es werden die Fragen gestellt,
was die amerikanischen Geheimdienste dürfen – die-
selbe Frage stellen auch wir im Deutschen Bundestag –,
ob die Verhältnismäßigkeit gegeben ist und wie man mit
Freunden umgeht. Daran können Sie erkennen, dass De-
mokratien verschiedene Wege und Mechanismen haben,
diesen Selbstreinigungsprozess, wo er notwendig ist,
durchzuführen. Dass der amerikanische Präsident
höchstpersönlich einen Bericht über die Spionagetätig-
keit seiner Behörden angeordnet hat und dieser Bericht
am 15. Dezember vorliegen soll, ist, glaube ich, ein
wichtiger Punkt. Auch wir erwarten umfangreiche Infor-
mationen aus diesem Bericht.

Was haben wir veranlasst, und was planen wir, um die
Spionageabwehr zu verstärken? Zum Ersten: Das Bun-
desamt für Verfassungsschutz hat im Rahmen eines Re-
formprozesses, der im Frühjahr angestoßen wurde,
schon im April und Mai angefangen, die Spionageab-
wehr personell, organisatorisch und technologisch zu
verstärken. Wir haben dafür gesorgt, dass in einem en-
gen Dialog mit der Internetwirtschaft, angestoßen durch
die Bundeskanzlerin in einem IT-Gipfelprozess, seit vie-
len Jahren die Fragen der Sicherheit im Internet erörtert
werden und auch auf ihre technologische Machbarkeit
hin überprüft werden.





Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich


(A) (C)



(D)(B)

Wir brauchen mehr und bessere Verschlüsselungen;
das ist ein wichtiger Punkt. Dafür brauchen wir aber
auch vertrauenswürdige Hersteller und Dienstleister.
Das Ganze ist eine zentrale Aufgabe, die wir gemeinsam
angehen müssen. Wir können die digitale Souveränität
Europas nur dann erhalten, wenn es uns gelingt, in der
Zukunft die technologische Souveränität über die Netz-
infrastruktur und die Netztechnik zu erlangen und zu
verstärken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hier liegt im Übrigen eine wichtige Aufgabe für die
Europäische Union. Wenn man nach den großen euro-
päischen Themen und Aufgaben fragt, dann bekommt
man zur Antwort, dass es eine wichtige Aufgabe ist,
auch in der Netzpolitik die technologische Souveränität
Europas herzustellen, um sicherzustellen, dass wir in der
digitalen Welt ebenfalls souverän bleiben. Wir müssen
das Vertrauen der Wirtschaft stärken. Die Allianz für Cy-
ber-Sicherheit hat dafür gesorgt, dass wir mit den mittel-
ständischen und mit den großen Unternehmen pragmati-
sche Lösungen finden können.

Ich habe bereits zu Beginn des Jahres den Entwurf ei-
nes IT-Sicherheitsgesetzes vorgelegt, bei dem es darum
geht, zusammen mit den Betreibern kritischer Infrastruk-
tur jederzeit ein Lagebild über Angriffe auf die Netze
und Sabotage der Netze erstellen zu können. Ich hoffe,
dass wir diesen Entwurf eines Sicherheitsgesetzes
schnell in diesem Hause verabschieden können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir prüfen,
in welchem Maße es möglich und unter Kostengesichts-
punkten sinnvoll ist, dass wir in der Zukunft die Mög-
lichkeit eines europäischen Routings, also des Durchlei-
tens von Daten nur über europäische Netze, anbieten. Ich
glaube, dass das wichtig ist. Ich habe mich in der vergan-
genen Woche mit der EU-Kommissarin Kroes über die
Frage einer europäischen Cloud, also einer sicheren
Cloud für die Aufbewahrung von Daten europäischer
Bürger, unterhalten. Ich meine, dass es eine wichtige
Aufgabe der Europäischen Union in der Zukunft sein
kann, einen Rechtsraum, einen Wirtschaftsraum, einen
Sicherheitsraum zum Schutz der Daten herzustellen.

Wir müssen auf europäischer Ebene die Datenschutz-
Grundverordnung sehr schnell umsetzen. Ein wichtiger
Punkt in dieser Datenschutz-Grundverordnung ist für
uns, dass sichergestellt sein muss, dass, wann immer Da-
ten europäischer Bürger an Behörden ausländischer
Staaten ausgeliefert werden, Transparenz gewährleistet
wird. Jeder Bürger muss das Recht haben, gegen eine
solche Auslieferung vorgehen zu können.

Schließlich ist es wichtig, dass wir auch im Verhältnis
mit unseren amerikanischen Freunden, insbesondere
hinsichtlich unserer Beziehungen in wirtschaftlicher und
sicherheitspolitischer Hinsicht, deutlich machen, dass
wir ein gemeinsames Verständnis von Datenschutz und
Datensicherheit entwickeln müssen.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800203500

Herr Minister, Sie müssen zum Schluss kommen.
Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-
nern:

Ich komme zum Ende. – Deswegen ist es wichtig,
dass wir eine Art digitale Grundrechtscharta auf den
Weg bringen und ein gemeinsames Verständnis entwi-
ckeln.

Aber über allem, meine sehr verehrten Damen und
Herren, steht, dass wir die enge Partnerschaft mit unse-
ren amerikanischen Freunden und Partnern brauchen,
auch um die Sicherheit der Bürger in diesem Land in der
Zukunft gewährleisten zu können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800203600

Der nächste Redner ist Dr. Frank-Walter Steinmeier.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Rede ID: ID1800203700

Frau Präsidentin, vorab wünsche ich Ihnen für Ihre

neue Aufgabe eine glückliche Hand.


(Beifall)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800203800

Vielen Dank.


Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Rede ID: ID1800203900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kaum Vorstellbares ist geschehen. Ich hätte mir jeden-
falls bis vor einigen Wochen nicht vorstellen können,
dass Mobiltelefone deutscher Regierungschefs systema-
tisch und über Jahre hinweg abgehört worden sind, und
zwar von Freunden. Wir müssen inzwischen wohl leider
davon ausgehen, dass vorhandene Hinweise der Wahr-
heit entsprechen. Ich bin nicht bereit, mit allfälligen For-
meln wie „Das machen doch alle“ darüber hinwegzuge-
hen. Ich hoffe, es machen eben nicht alle unserer
Freunde. Ich hoffe vor allem, dass es denjenigen, die
nicht zu unseren Freunden zählen, nicht gelingt. Vor al-
lem gibt es keine Rechtfertigung, die notwendige Auf-
klärung – wir alle sehen das so – in eine ferne Zukunft
zu verschieben. Wir brauchen diese Aufklärung, weil
schlicht und einfach Vertrauen verloren gegangen ist. Ei-
nes kann man mir abnehmen: Ich habe keine Freude an
diesem transatlantischen Streit; ganz im Gegenteil. Aber
ich sage Ihnen auch: Alle Versuche diesseits und jenseits
des Atlantiks, das Geschehene zu banalisieren, zum Ka-
valiersdelikt herunterzuspielen, dürfen wir nicht akzep-
tieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deutschland ist fester Bestandteil des transatlanti-
schen Bündnisses, und das ist nicht nur ein Bündnis, das
auf Dauer angelegt ist, sondern, wie wir alle miteinander
immer wieder sagen – die Frau Bundeskanzlerin hat es
in ihrer Regierungserklärung auch noch einmal gesagt –,
auch ein Bündnis, das sich auf gemeinsame Werte grün-





Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) (C)



(D)(B)

det. Ein solches Bündnis kann nur bestehen, wenn man
die Regeln des Umgangs in einem solchen Bündnis mit-
einander und untereinander tatsächlich beachtet. Eine
dieser Regeln heißt doch wohl, dass Spionage unter
Freunden sich nicht gehört. Sie ist überflüssig, liebe
Freunde, und gehört sich einfach nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Schon deshalb müssen wir auf Aufklärung dringen.
„Wie lange gibt es diese Praxis schon?“, ist die erste
Frage. Wann hat sie begonnen? Was war der Anlass?
Wurden nur Regierungschefs ausgespäht? Oder bezieht
sich das auch auf andere? Wenn ja, wer wurde von der
NSA ins Visier genommen? Wer hat die Daten ausge-
wertet? Wie wurden sie genutzt? War das Weiße Haus
über Ausspähaktionen informiert? Haben sie in der ame-
rikanischen Deutschlandpolitik eine Rolle gespielt? Das
muss man doch wissen, meine Damen und Herren, bevor
man in den Alltag des deutsch-amerikanischen Ge-
schäfts zurückkehrt. Wir müssen wieder Grund unter den
Füßen bekommen, weil wir alle miteinander wissen, aus
der nationalen Politik wie aus der internationalen Politik:
Auf Misstrauen jedenfalls lässt sich keine Zukunft grün-
den. – Das gilt auch hier.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, das, was ich Ihnen vorgetragen habe, ist im
Grunde genommen dramatisch genug. Aber natürlich:
Es geht nicht nur um Politiker und Spionage im politi-
schen Raum; vor allen Dingen geht es um die Fragen,
die mindestens genauso offen sind: In welchem Umfang
ist der Internetverkehr deutscher Bürgerinnen und Bür-
ger überwacht worden, in welchem Umfang wurde mög-
licherweise auch deutschen Unternehmen hinterherspio-
niert?

Wenn große amerikanische Internetunternehmen,
Dienstleister in der Internetbranche, jetzt um ihren guten
Ruf fürchten, dann mag das berechtigt sein. Aber die
entscheidende Frage ist doch: Wie gelingt es uns, in ei-
ner digital vernetzten Welt und angesichts neuer Bedro-
hungen, die es ganz offenbar gibt, Freiheit und Sicher-
heit wieder ins Lot zu bringen? Da ist in den letzten
Jahren doch offenbar ganz vieles aus den Fugen geraten.
Da geht es um mehr als um die Frage, ob Spionage zwi-
schen Freunden erlaubt ist oder nicht; es geht auch um
die Frage: Wie sichern wir im 21. Jahrhundert unter völ-
lig veränderten Kommunikationsbedingungen eigent-
lich den Schutz der Privatsphäre der Bürger als elemen-
tares Grundrecht? Die erste Regel, von der ich sagen
würde, dass sie doch gelten muss, ist: Nicht alles, meine
Damen und Herren, was technisch möglich ist, ist auch
rechtlich erlaubt oder politisch klug.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb darf man sich im weiteren Gefolge der De-
batten und Verhandlungen, die wir jetzt möglicherweise
mit den amerikanischen Freunden führen werden, am
Ende nicht mit unverbindlichen Absprachen zufrieden-
geben. Wir brauchen belastbare, überprüfbare Verein-
barungen, sodass massenhaftes Ausspähen, was es
möglicherweise gegeben hat, und Nachspionieren bei
Wirtschaftsunternehmen in Zukunft ausgeschlossen
sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir brauchen das nicht nur, meine Damen und Her-
ren, sondern – auch das, lieber Herr Friedrich, ist Teil
von Souveränität – wir werden dafür eintreten müssen
und wir werden dafür kämpfen müssen. Vom Himmel
fällt das nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Vom Himmel fällt nur Manna!)


Hier geht es nicht um irgendetwas, sondern es geht
eben um das, was ich am Anfang gesagt habe: Wenn sich
dieses Bündnis auf Werte gründet, dann geht es jetzt in
den nächsten Monaten, vielleicht auch Jahren, um die
Glaubwürdigkeit dieser transatlantischen Wertegemein-
schaft. Gott sei Dank sind wir nicht die Einzigen, die das
so sehen. Wenn ich die Debatte auf der anderen Seite des
Atlantiks richtig beobachte, dann gibt es inzwischen
auch dort viel Unbehagen, viel Empörung über wildge-
wordene Dienste, die niemanden oder möglicherweise
nicht die Richtigen in der Politik über das, was sie tun,
informiert haben. Da wächst Entrüstung, auch in den
Parlamenten in den USA. Auch dort wächst das Be-
wusstsein – davon bin ich fest überzeugt –, dass man
Spionage gegen Freunde nicht schlicht und einfach mit
einem Schulterzucken abtun kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich glaube – das gilt für die Menschen bei uns wie
auch in den USA –, dass die Menschen spüren, dass es
hier nicht um eine einmalige Verfehlung geht oder da-
rum, dass jemand über seine Befugnisse hinausgegangen
ist. Ich glaube, dass die Menschen spüren – darum hat
die Debatte in diesem Jahr eine solche Wucht –, dass da
sehr grundsätzliche Fragen berührt sind, dass es darum
geht, wie wir individuelle Freiheitsrechte und damit
Rechtsstaatlichkeit und Demokratie im digitalen Zeital-
ter gewährleisten können.

Es geht um die Fragen: Welche moralischen, rechtli-
chen und politischen Leitplanken brauchen wir eigent-
lich, um in diesem 21. Jahrhundert mit veränderten
Kommunikationsbedingungen, neuen Risiken und dem
Machthunger, etwa von Diensten, umzugehen? Was ist
die Aufgabe von Politik und dieses Deutschen Bundesta-
ges? Es geht nicht nur darum, über die moralischen Leit-
planken zu reden und zu diskutieren, möglichst auch
streitig, sie am Ende vielleicht zu definieren, sondern es
geht auch darum, dass man aus diesen moralischen Leit-
planken wieder geltendes Recht macht.





Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) (C)



(D)(B)

Ich habe einmal an anderer Stelle gefragt: Was ist ei-
gentlich die große zivilisatorische Leistung des 20. Jahr-
hunderts gewesen? Was ist mit dem Völkerbund, den
Vereinten Nationen und der UNO-Charta? Man hat aus
Machtungleichgewichten Recht gemacht, man hat Un-
gleichgewichte in Recht aufgelöst. Im Grunde genom-
men ist die Aufgabe, die wir jetzt im 21. Jahrhundert vor
uns haben, nicht kleiner. Es geht nicht um Machtun-
gleichgewichte, sondern darum, die Unterschiede bei
den technischen Möglichkeiten, die aber eben nur eini-
gen wenigen auf der Welt zur Verfügung stehen, in Recht
zu übersetzen und Ungleichgewichte durch Recht auszu-
gleichen.

Das wird ohne politische Verhandlungen nicht ge-
schehen können. Ich misstraue ein wenig all den Ankün-
digungen, die ich gelesen habe, man könne diesen Aus-
gleich auf technische Art und Weise herstellen. Ich
misstraue dem, weil ich weiß: Wir leben auf keiner Insel,
sondern das Netz ist worldwide. Ich bin sicher, wir alle
miteinander werden die Zeit nicht zurückstellen können.
Die Lösungen hierfür werden wir nicht aus Lösungen
der Vergangenheit ableiten können. Wenn wir in Zukunft
diese Balance von Sicherheit und Freiheit wiederherstel-
len können, dann werden wir nicht die Übersichtlichkeit
der alten Welt zurückgewinnen, sondern wir werden Re-
geln für diese neue Welt brauchen. Ich glaube, das wird
am Ende nicht durch technische Abschottung geschehen
können.

Ich habe viel dafür übrig, dass sich deutsche und eu-
ropäische Dienstleister stärker präsentieren. Ich habe
nichts dagegen, wenn sie sagen: Deutsche Sicherheits-
standards können sogar ein Wettbewerbsvorteil gegen-
über anderen sein. – Aber ich glaube, helfen wird das
nicht, weil auch deutsche Dienstleister in der Regel in-
ternationale Eigentümer haben, weil auch deutsche Un-
ternehmen international vernetzt sind. Deshalb glaube
ich, dass wir es nur politisch gemeinsam schaffen, dieser
Zügellosigkeit der Datenfischerei wieder Einhalt zu ge-
bieten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir brauchen wirklich so etwas – ich habe das schon an-
gedeutet – wie ein Völkerrecht im Netz. Das müssen wir
hinbekommen. Dafür ist Politik da.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Bevor wir an die Gestaltung der Zukunft gehen, müs-
sen wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen. Die
Aufklärung ist eben noch lange nicht erledigt, wie man-
che das im Sommer gehofft haben. Trotzdem bleibt die
Frage, welches Instrument das richtige ist, um Licht in
diese Affäre, um Licht ins Dunkel zu bringen. Es kann
sein – wie viele sagen –, dass das ein parlamentarischer
Untersuchungsausschuss ist, dass der parlamentarische
Untersuchungsausschuss das schärfste Aufklärungs-
instrument ist. Kann sein! Ich rate uns nur zum gegen-
wärtigen Zeitpunkt, darüber nachzudenken, ob das wirk-
lich auch richtig ist. Mindestens, würde ich sagen,
besteht die Gefahr, dass wir uns in einen Prozess stetiger
parlamentarischer Selbstenttäuschung hineinbringen,
wenn am Anfang einer jeden Sitzung des parlamentari-
schen Untersuchungsausschusses mitgeteilt werden
muss, dass dieser oder jener Zeuge, den wir aus dem
Ausland eingeladen haben, dass dieses oder jenes Doku-
ment, das wir von den Amerikanern eingefordert haben,
nicht gekommen ist. Weil uns das alles fehlt, könnte die
Folge sein, dass wir uns am Ende mehr mit den Opfern
von staatlichen Überwachungsaktivitäten beschäftigen
als mit denjenigen, die dafür verantwortlich sind. Das ist
am Ende auch nicht der Sinn eines parlamentarischen
Untersuchungsausschusses.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800204000

Herr Kollege Steinmeier, auch Sie müssen zum Ende

kommen.


Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Rede ID: ID1800204100

Ich bin fertig. – Wir müssen uns deshalb gar nicht ge-

gen ein solches Instrument entscheiden. Ich schlage vor,
dass wir uns zu Gesprächen zwischen den Fraktionen zu-
sammensetzen und überlegen, was das richtige Instru-
ment ist unter Einbeziehung der Frage, ob ein institutio-
nell aufgerüstetes Parlamentarisches Kontrollgremium
diese Aufgabe nicht auch, vielleicht sogar besser erledi-
gen kann. Ich hoffe, dass es zu solchen Gesprächen zwi-
schen den Fraktionen kommt.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800204200

Der nächste Redner ist Dr. Gregor Gysi.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD])



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1800204300

Frau Präsidentin! Auch von uns alle guten Wünsche

für Sie.

Meine Damen und Herren! Wir haben es mit einem
Skandal zu tun, der in seinem Ausmaß in dieser Art bis-
her noch nicht vorgekommen ist. Er bringt die Bevölke-
rung dazu, sich eine Vielzahl von Fragen zu stellen. Die
erste Pflicht der Regierung wäre gewesen: Aufklärung,
Aufklärung, Aufklärung. Sie haben aber in Wirklichkeit
das Gegenteil betrieben.


(Beifall bei der LINKEN)


Was haben eigentlich die amerikanischen und briti-
schen Geheimdienste gemacht? Sie nutzen die Internet-
technologien, um jedes Land in der Welt auszuspähen,
egal ob Freunde oder Feinde. Das spielt für sie gar keine
Rolle. Es sind fünf Länder, die das machen, die berühm-
ten „Five Eyes“, die fünf Augen: die USA, Großbritan-





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

nien, Australien, Kanada und Neuseeland. Nur unter-
einander spionieren sie nicht; aber den ganzen Rest der
Welt spionieren sie aus. „Untereinander“ stimmt aller-
dings auch nicht ganz – ich werde Ihnen von einem
Trick berichten –: Der NSA ist es nämlich verboten, in
bestimmten Fällen US-Bürgerinnen und US-Bürger ab-
zuhören. Das macht dann für sie der britische Dienst und
schickt ihr die Daten. So wird da getrickst. Das ist die
Realität, um die es geht.

Das Ganze steht unter dem Stichwort Bekämpfung
von Terrorismus, von Drogenkriminalität. Eine flächen-
deckende, umfassende Überwachung der Bevölkerungen
fast aller Staaten hat etwas mit der Bekämpfung von Ter-
rorismus und Drogenkriminalität zu tun? In welchem
Verdacht steht eigentlich unsere Kanzlerin, wenn auch
deren Handy abgehört wird? Ich glaube, bei dieser Be-
gründung wird es doch grotesk.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich muss ganz klar sagen: Von der Existenz und dem
Umfang dieses Überwachungssystems wissen wir nur
durch Edward Snowden. Es ist sein großes Verdienst. Er
ist kein Krimineller, sondern er will die Weltbevölke-
rung vor Kriminalität schützen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der LINKEN: Bravo!)


Was hat er schon erreicht? Er hat eine andere Sensibilität
erreicht. Ich hoffe, dass sich vieles ändern wird. Des-
halb schulden wir Edward Snowden Dank. Es gibt ei-
nen sehr schönen Satz von Christa Wolf in ihrem Roman
Kassandra. Dort heißt es:

Das alte Lied: … Und dass wir lieber den bestrafen,
der die Tat benennt, als den, der sie begeht:

Genau das muss sich ändern.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aufgrund der Veränderungen, die wir erlebt haben,
schlage ich vor, Edward Snowden den Friedensnobel-
preis zu verleihen. Er hat ihn verdient.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von der LINKEN: Bravo!)


Ja, er hat ihn verdient.


(Zuruf von der CDU/CSU)


– Ob sie sich nach meinem Vorschlag richten, ist eine
andere Frage. Aber vorschlagen darf ich es doch noch.
Oder darf ich das auch nicht mehr?

Was wissen wir? Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
US- und der britischen Botschaft haben direkt hier im
Regierungsviertel abgehört. Warum haben Sie – die
Bundesregierung, der Außenminister – nicht den Mut,
jede einzelne dieser Personen zur Persona non grata zu
erklären? Das sieht das Völkerrecht in einem solchen
Falle vor. Dann müssten sie innerhalb einer bestimmten
Frist Deutschland verlassen, und die US-Regierung und
die britische Regierung wüssten: Wir dulden eine solche
Vorgehensweise nicht. Das wäre doch wohl das Min-
deste.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben es also mit einem massenhaften Abhören
der Bürgerinnen und Bürger – bis zum Handy der Kanz-
lerin –, aber auch der Unternehmen zu tun. Wir wissen,
dass die britischen und amerikanischen Militärstütz-
punkte als Horchposten genutzt werden. Und wir wissen,
dass es Industrie- und Wirtschaftsspionage mit Milliar-
denschäden für Unternehmen in unserem Land gibt.
Nicht mal da werden Sie wach; nicht mal da unterneh-
men Sie wirklich etwas, um dies auszuschließen.

Die Briten und Amerikaner zapfen Internetkabel an
Knotenpunkten an zum millionenfachen Absaugen von
Daten. Es ist schon gesagt worden: Google, Amazon,
Facebook, Twitter und Microsoft geben auf Anfrage
Daten an die Geheimdienste weiter. Und nun haben
wir gehört, dass auch noch die Server dieser Kommuni-
kationskonzerne angezapft worden seien, ohne dass die
Konzerne es wussten. Es wird immer abstruser. Ich sage
noch einmal: All diese Informationen verdanken wir
Herrn Snowden. Er hat noch nie gelogen. Was er gesagt
hat, hat sich immer als wahr herausgestellt.


(Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Sagt das Washington, oder was?)


Es gab immer eine Zusammenarbeit des BND mit bri-
tischen und amerikanischen Diensten. Der Datenaus-
tausch war immer recht einseitig: Es ging mehr aus
Deutschland dorthin als umgekehrt. Das war vor den
Terroranschlägen vom 11. September so und danach
auch. Das hat sich im Kern gar nicht geändert. Der BND
hat den britischen Geheimdienst mit modernster Spiona-
getechnologie beliefert.

Es gab schon einmal einen Fall von Wirtschaftsspio-
nage: das Programm Echelon. Da gab es einen Untersu-
chungsausschuss der Europäischen Union. Er hat dann
festgestellt, dass es keine Zweifel mehr an der Existenz
eines globalen Kommunikationsabhörsystems geben
kann, das von den USA, Großbritannien, Australien,
Neuseeland und Kanada betrieben wird, also wiederum
von den „Five Eyes“; das hat der Untersuchungsaus-
schuss 2001 festgestellt. Jetzt haben wir 2013, und es ist
nichts geschehen.

Herr Bundesminister Friedrich, Sie waren ja in den
USA. Dann kamen Sie wieder und sagten, Sie sind jetzt
vollständig aufgeklärt; es ist alles in Ordnung. Ich muss
Ihnen sagen: Sie haben sich einlullen lassen.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Oder haben die Ihnen erzählt, dass sie gerade noch dabei
sind, die Kanzlerin abzuhören? Und dann stellt sich der
Kanzleramtschef Pofalla hin und sagt: Das Thema ist er-
ledigt; es ist alles erledigt. – Wann haben Sie sich denn
jetzt mal bei der Bevölkerung entschuldigt und gesagt:





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

„Wir sind getäuscht worden, wir haben uns geirrt“? Ich
meine, Sie müssten sich doch wenigstens mal dafür ent-
schuldigen.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will auch noch etwas anderes sagen, das mir wich-
tig ist: Ich verstehe, dass die USA, Großbritannien und
Frankreich 1949 und danach Deutschland ausspioniert
haben. Es gab ein tiefes Misstrauen gegenüber unserem
Land. Aber wir haben nicht mehr 1949, wir haben 2013.
Inzwischen führen Sie – wenn auch gegen unseren Wil-
len – gemeinsam Kriege wie in Afghanistan. Dann der-
artig ausspioniert zu werden, ist unverschämt und nicht
hinnehmbar. Dagegen muss man etwas tun, dagegen
muss man sich wehren.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich habe schon gesagt: Jetzt geht es um Aufklärung.
Dazu brauchen wir Edward Snowden. Eine Befragung in
Russland – ich bitte Sie! – ist doch indiskutabel. Stellen
Sie sich mal vor: Ein Staatsanwalt oder Mitglieder des
Untersuchungsausschusses befragen Snowden in Russ-
land.


(Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Sie kennen die Lage da, ne?)


Dann macht er sich strafbar, indem er antwortet. Und
dann sagen wir zu Putin: Kümmere dich um seine Si-
cherheit! – Na, sagen Sie mal, das ist doch wohl grotesk.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich weiß gar nicht, seit wann Ihr Sicherheitsverhältnis zu
Putin so eng ist.

Die Bevölkerung hat einen Anspruch auf Aufklärung.
Und Sie haben recht, Herr Bundesminister. Sie sagen:
Wenn Bürgerinnen und Bürger und die Kanzlerin abge-
hört wurden, dann sind das Straftaten, dann muss ermit-
telt werden. – Aber wie wollen Sie das ohne Snowden
ermitteln? Das geht ja überhaupt nur, wenn Sie den Zeu-
gen Snowden hören. Deshalb müssen wir ihm die Si-
cherheit gewähren.

Ich sage es ganz klar: Deutschland ist erst dann sou-
verän, wenn es Herrn Snowden anhört, ihn schützt, ihm
Asyl gewährt und seinen sicheren Aufenthalt organisiert –
dann ist Deutschland souverän, vorher nicht.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der LINKEN: Bravo! – Zuruf von der SPD: Wie?)


Wenn Sie „Wie?“ rufen, dann sage ich Ihnen: Wenn un-
sere Dienste nicht einmal das können, dann sollen sie
dichtmachen. Das ist ja wohl das Mindeste, was wir ge-
währleisten können müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Jetzt komme ich zu der Frage – sie ist auch interessant –,
wie das alles überhaupt rechtlich läuft. Ich habe mich ein
bisschen damit beschäftigt. Es gab die Pariser Verträge,
die 1955 in Kraft getreten sind. Das hat Adenauer ge-
macht, um der Bevölkerung sagen zu können: Das Be-
satzungsstatut ist aufgehoben worden. – Das Problem
war bloß, dass die Amis sagten, sie würden gerne ihre al-
ten Rechte behalten. Deshalb sind Geheimverträge abge-
schlossen worden. Ich hatte naiverweise erwartet, dass
diese Verträge im Zuge der Zwei-plus-Vier-Gespräche
aufgehoben wurden. Sie wurden aber nicht aufgehoben,
weil nämlich nur Abkommen mit allen vier Mächten
aufgehoben wurden, nicht aber Abkommen mit drei
Mächten, mit zwei Mächten oder mit einer Macht.

Da war zwar alles, was mit den Russen und den ande-
ren drei Mächten gemeinsam vereinbart war, heraus,
aber der Rest blieb; und das geht nicht. Jetzt haben Sie
erklärt: Im Sommer sind diese Verträge für unwirksam
erklärt worden. – Wie eigentlich? Ich würde gerne ein-
mal die Noten sehen. Was stand da eigentlich drin? Es
gab auch neue Verwaltungsvereinbarungen. Sie sehen:
Das ist alles ein Wirrwarr, der nicht mehr zu erklären ist.
Vergessen Sie auch nicht das Aufenthaltsabkommen und
das NATO-Truppenstatut. Auch hier haben sie Rechte,
die fast an die Besatzungszeit erinnern. Ich kann nur sa-
gen: Auch hier muss sich einiges ändern.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte jetzt wissen: Welche Verträge sind nun auf-
gehoben, welche gelten noch, und was steht da drin? Ich
finde, die Bürgerinnen und Bürger haben einen An-
spruch darauf, das zu erfahren.

Ich möchte, dass eine weitere Frage beantwortet wird.
In Wiesbaden wird gerade ein gigantisches Geheim-
dienstzentrum der NSA aufgebaut. Wer hat das eigent-
lich erlaubt? Von wem geht das aus? Was sollen die da
betreiben? Auch hier hat die Bevölkerung doch einen
Anspruch auf Informationen. Möglicherweise muss man
den USA diesen Bau eben versagen.


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt noch etwas, was mich interessiert. Herr Bun-
desinnenminister, ich nenne Ihnen vier Varianten – advo-
katisch –, wenn es um die Frage geht: Was haben eigent-
lich unsere Dienste in Bezug auf die Rechtsverletzungen
durch britische und amerikanische Dienste getrieben?

Die erste Möglichkeit ist: Sie haben sie dabei unter-
stützt. Dann haben sie gegen das Grundgesetz verstoßen,
sich an Straftaten beteiligt, und das müsste sehr ernst-
hafte Konsequenzen nach sich ziehen.

Die zweite Möglichkeit ist: Sie haben es nur gewusst,
aber nicht unterstützt. Dann müssen sie aber die Bundes-
regierung informiert haben. Wenn die Bundesregierung
informiert war, aber nichts erklärt hat, dann haben Sie
das Grundgesetz verletzt, dann haben Sie Ihren Amtseid
verletzt, und dann haben Sie großen Schaden angerich-
tet.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Abstrus!)


Wenn die Dienste es gewusst haben und die Bundes-
regierung nicht informiert haben – dritte Variante –,
dann haben sie wiederum so eine schwere Pflichtverlet-
zung begangen, dass wir schon wieder über ihre Zukunft
diskutieren müssen.





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

Dann gibt es noch eine vierte Möglichkeit: Sie haben
es gar nicht gewusst. Aber dann sind sie so was von un-
fähig, dass man sie auflösen kann. Darauf darf ich doch
hinweisen!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe folgende Frage: Gibt es denn Spionageab-
wehr nur gegen den Osten, nicht gegen den Westen?
Dürfen wir Milliardenschäden, zum Beispiel in der Wirt-
schaft, zulassen, bloß weil wir uns nicht trauen, gegen-
über den USA eine Spionageabwehr zu organisieren?
Auch das geht nicht.

Es gibt immer zwei Einwände, die auch Sie benutzt
haben: Der eine Einwand betrifft die Wertegemeinschaft
und der andere die Freundschaft mit den USA. Es gibt
gemeinsame Werte zwischen den USA und Deutschland,
aber es gibt auch Kriege wie in Vietnam, in Afghanistan
oder im Irak. Es gab den Militärputsch in Chile mit der
Ermordung von Allende. Es gibt das Gefangenenlager
Guantánamo, wo täglich Menschenrechte verletzt wer-
den. Es gibt den Krieg mit Drohnen. – Eine Wertege-
meinschaft nutzt nichts, wenn man bei der Verletzung
von Werten nicht deutliche Kritik übt, und genau das
machen Sie nicht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin kein Antiamerikanist, überhaupt nicht. Ich bin
gerne in den USA und spreche gerne dort mit den Men-
schen. Aber eines sage ich Ihnen: Freundschaft, wie Sie
sie sich vorstellen, gibt es nicht. Mit Duckmäusertum
und Hasenfüßigkeit


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Oje, oje!)


erreicht man keine Freundschaft, sondern das Gegenteil.


(Beifall bei der LINKEN)


Nur dann, wenn wir gegenseitige Achtung und gegensei-
tigen Respekt herstellen, kann es eine wirkliche Freund-
schaft geben.

Dazu brauchen Sie als Bundesregierung Mumm. Sie
müssen der US-Regierung sagen: Schluss, aus; wir hö-
ren Snowden und schützen ihn. – Dann erst sind wir
wirklich souverän. Sie müssen fordern: Verhandelt mit
uns auf Augenhöhe! – Dann kriegen wir auch eine
Freundschaft mit den USA hin. Was Sie machen, ist
Duckmäusertum. Das kenne ich seit Jahrzehnten, und
ich bin es so was von leid.


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


– Ja, haben Sie endlich mal den Mumm! Genau so sind
Sie hier auch. Ist doch nicht zu fassen!


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist nicht gut für Ihr Herz und den Blutdruck!)


Zum Schluss sage ich Ihnen: Wenn Sie nichts machen
– Herr Friedrich, Sie haben gesagt, Sie verhandeln mit
denen –, wissen Sie, was Sie diesen fünf Ländern damit
eigentlich sagen? Sie sagen ihnen damit: Macht ruhig
weiter so, von uns habt ihr nicht den geringsten Nachteil
zu erwarten! – Ich wiederhole: Das verletzt schwer den
Eid, den Sie geleistet haben, nämlich Schaden von unse-
rer Bevölkerung abzuwenden.

Ich möchte, dass Sie jetzt den Mumm haben, die Be-
ziehung auf eine andere Grundlage zu stellen, auf die
Grundlage der Gleichberechtigung. Das ist nicht zu viel
und das ist nicht zu wenig verlangt. Die Weltmacht mit
ihren Weltmachtallüren muss endlich begreifen, dass wir
ein gleichberechtigter Partner sind und nicht jemand, mit
dem man machen kann, was man will. Dazu brauchen
Sie eine grundsätzlich andere Haltung, Frau Bundes-
kanzlerin und Herr Friedrich.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800204400

Als nächster Redner hat der Kollege Christian

Ströbele das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Danke, Frau Präsidentin. – Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Ich habe eine Frage, Frau Bundeskanzlerin:


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sie sollen hier reden, keine Fragen stellen!)


Haben Sie mal darüber nachgedacht, sich bei Edward
Snowden zu bedanken? Immerhin haben Sie es ihm und
seinen mutigen Enthüllungen zu verdanken, dass Ihr
Handy derzeit wahrscheinlich nicht abgehört wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Immerhin haben Sie es ihm zu verdanken, dass Sie mit
dem US-Präsidenten telefonieren durften, konnten,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ha, ha, ha!)


dass Sie Anlass hatten, ihm zu erklären, dass das gar
nicht geht, und dass Sie vom Präsidenten die Zusiche-
rung bekommen haben: Jetzt und in Zukunft hören wir
Sie nicht ab. – Sind Sie überhaupt nicht dankbar? Wäre
es nicht eine menschliche Geste, Herrn Snowden zu sa-
gen: „Danke schön“?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Frau Bundeskanzlerin, warum reden Sie heute hier nicht,
wo es doch um Ihr Handy geht, um Ihre Aufgabe, die
deutsche Bevölkerung vor millionenfachem Abhören
und Abfangen der Telekommunikationsverbindungen zu
schützen? Warum ducken Sie sich weg? Sie haben in Ih-
rer Rede zum ersten Tagesordnungspunkt nur eine kleine
Andeutung gemacht und sitzen jetzt hier und hören sich
das an. Das ist nicht mutig. Ich hatte etwas anderes von
Ihnen erwartet.





Hans-Christian Ströbele


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Nun komme ich zu Herrn Friedrich. Ich habe ihn im
PKGr erlebt und seine Äußerungen in der Presse gele-
sen. Herr Friedrich, Sie hätten sich hier einmal hinstellen
und sagen können: Ich habe mich geirrt im August.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Sie sind aus den USA zurückgekommen und haben ge-
sagt – soll ich es Ihnen vorlesen? –: Alle Vorwürfe haben
sich „in Luft aufgelöst“. – Ich habe immer geguckt, weil
das schon damals nicht richtig war.


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)


Falsch war auch, was Herr Pofalla erklärt hat: Die Vor-
würfe sind „vom Tisch“. – Falsch war auch, was Ihnen
und Ihren Präsidenten die NSA und deren General er-
klärt haben, nämlich dass sie in Deutschland Gesetz und
Recht einhalten. Das war falsch. Das war die Unwahr-
heit. Mich interessiert: Was haben Ihre Emissäre, die Sie
dort hingeschickt haben, die Präsidenten der Geheim-
dienste, ihren Kollegen eigentlich dazu gesagt, dass sie
so reingelegt worden sind, dass sie nämlich nach ihrer
Rückkehr nach Deutschland gesagt haben: „Es ist über-
haupt nichts gewesen; die halten sich selbstverständlich
an Gesetz und Recht“?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Und dann hören sie, dass die Kanzlerin abgehört worden
ist. In welchem deutschen Gesetz, in welchem deutschen
Recht steht, dass man die Bundeskanzlerin abhören
darf?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Frechheit!)


Jetzt komme ich auf Ihre Rede von heute zu sprechen,
Herr Friedrich: Sie betonen immer, in Deutschland sind
Millionen Deutsche nicht abgehört worden. Herr
Friedrich, Sie wissen, dass ich Ihnen immer wieder die
Frage stelle: Können Sie sagen, wie viele Millionen
Deutsche über ihre Telekommunikationsverbindungen,
über das Internet, über die Server in den USA, über die
Glasfaserknotenpunkte in Südengland abgehört wurden?
Von wie vielen Millionen Deutschen wurden die Tele-
kommunikationsverbindungen gespeichert und ausge-
wertet? Sagen Sie einmal etwas dazu! Waren es 1 Mil-
lion, waren es 20 Millionen, waren es 50 Millionen,
waren es 80 Millionen? Und: Was ist dran an dem Vor-
wurf – dazu haben Sie sich geäußert, aber das war das
falsche Beispiel –, dass in einem Monat über 400 Millio-
nen Telekommunikationsverbindungen von Deutschen
abgehört worden sind?


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das hat er Ihnen doch beim PKGr beantwortet!)


Erklären Sie das doch mal! Beantworten Sie die Frage!
Sie gehen nämlich in die USA und stellen dort nicht ein-
mal konkrete Fragen. Sie haben einen Fragenkatalog
hingeschickt. Die Fragen, die Sie im Juni verschickt ha-
ben, sind bis heute nicht beantwortet worden. Eine ein-
zige Frage, nämlich die, was man sich unter Prism vor-
zustellen hat, ist beantwortet worden, sonst nichts. Was
machen Sie denn da? Sagen Sie Ihren Kollegen: „Das
nehme ich nicht länger hin! So könnt ihr mit mir nicht
umgehen! So geht man mit Freunden nicht um!“? Nein,
Sie machen überhaupt nichts. Sie sind in einem Maße
devot, wie es eines deutschen Bundesinnenministers
nicht würdig ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Wir haben aufzuklären, nicht nur im Interesse der
Kanzlerin, nicht nur im Interesse der deutschen Wirt-
schaft, sondern vor allem im Interesse der 80 Millionen
Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande. Es geht um
deren Grundrecht. Es geht um deren Freiheit der Kom-
munikation über Handy, über E-Mail, über Telefon. Da-
rum geht es. Um das aufzuklären, brauchen wir eine par-
lamentarische Instanz; denn Sie, die Bundesregierung,
haben in diesem Bereich völlig versagt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Der Kollege Grosse-Brömer wird wahrscheinlich gleich
etwas dazu sagen.

Wir brauchen mindestens ein besser ausgerüstetes
PKGr, eher ein noch wirksameres parlamentarisches
Kontrollorgan. Da gibt es in einigen Punkten auch Einig-
keit.


(Beifall des Abg. Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD])


Wir brauchen einen parlamentarischen Untersuchungs-
ausschuss, der die Rechte hat, Zeugen zu befragen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das, was Herr Steinmeier sagt, stimmt. Ich kann mir
nicht vorstellen, dass General Alexander nach Deutsch-
land kommt und aussagt. Ich kann mir nicht vorstellen,
dass andere NSA-Leute nach Deutschland kommen und
aussagen. Wir haben das in anderen Untersuchungsaus-
schüssen probiert, und die haben nicht einmal geantwor-
tet. Deshalb brauchen wir Edward Snowden, um hier in
Deutschland aufklären zu können. In Deutschland vor
einem deutschen Untersuchungsausschuss muss er diese
Möglichkeit haben.

Herr Kollege Uhl, Sie haben ja immer wieder betont:
Was kann der uns denn schon sagen? Seine Dokumente
sind doch unterwegs. – Herr Snowden hat diese Doku-
mente ja nicht ohne Grund ausgewählt. Er kann uns sa-
gen, in welchem Zusammenhang sie stehen. Er kann uns
erklären, was sie bedeuten. Er kann uns die Interpreta-
tion geben. Wenn das kein klassischer Kronzeuge ist,
dann kenne ich keine Kronzeugen. Er muss nach
Deutschland kommen können und hier vor der Justiz,





Hans-Christian Ströbele


(A) (C)



(D)(B)

also beim Generalbundesanwalt, aber auch vor einem
parlamentarischen Untersuchungsausschuss aussagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es wird ja immer wieder gefragt: Woher wissen wir
denn, dass der die Wahrheit sagt? Darauf haben Sie ja
zutreffend hingewiesen, Herr Kollege Steinmeier. Ich
habe das genau verfolgt. Ich habe mir das noch einmal
angesehen. Es sind verschiedene Dokumente, die er üb-
rigens nicht aus Moskau schickt, sondern die er schon in
Hongkong an Journalisten weitergegeben hat; diese ver-
öffentlichen die jetzt. Alle Dokumente, die er weiterge-
geben hat, sind bestätigt. Bei nicht einem einzigen
Dokument davon bestreitet die NSA, dass es echt ist.
Deshalb ist das ein Zeuge, den wir hier brauchen.

Ich sage Ihnen noch etwas zu diesem No-Spy-Ab-
kommen, das Sie vorbereiten. Es kann doch nicht nur da-
rum gehen, dass die Kanzlerin und die deutsche Indus-
trie nicht abgehört werden. Es geht um die 80 Millionen
Deutschen, die nicht abgehört werden dürfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das heißt, ein No-Spy-Abkommen, das nur Sie schützt,
nur die deutsche Industrie schützt, ist ja ganz schön. Das
sind wichtige Punkte. Auch ich will nicht, dass die
Kanzlerin von der NSA abgehört wird. Aber es geht
letztlich um die ganze deutsche Bevölkerung.

Lassen Sie mich abschließend noch sagen – so lange
habe ich hier noch nie reden dürfen; ich hätte sogar noch
viel mehr zu sagen –:


(Heiterkeit)


Wir, die diese Sitzung beantragt haben, die gesagt haben,
dass das ganze Problem in das Plenum des Deutschen
Bundestages muss, wir, die jetzt Forderungen gestellt
und in unserem Antrag auch aufgelistet haben, vertreten
hier 60 Prozent der deutschen Bevölkerung. Deshalb ist
es notwendig und richtig, dass Sie unseren Verlangen
nachkommen. Wir wollen unsere Aufgabe ernst nehmen.
Wenn wir es nicht in der Regierung können, dann ma-
chen wir es in der Opposition hier im Bundestag. Es geht
um unsere Aufgabe, die Telekommunikationsbeziehun-
gen der deutschen Bevölkerung wieder sicher zu ma-
chen, es zumindest zu versuchen. Darum geht es uns.
Deshalb hatten wir die heutige Sitzung beantragt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800204500

Der nächste Redner ist Michael Grosse-Brömer.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Grosse-Brömer (CDU):
Rede ID: ID1800204600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Was mich bei der Debatte immer gestört hat, ist, dass sie
in erster Linie durch Empörung und Aufgeregtheit ge-
prägt wird.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Glauben Sie, dass irgendjemand in diesem Haus es gut
findet, dass deutsche Staatsangehörige widerrechtlich
abgehört werden?


(Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Glauben Sie, dass irgendjemand gut findet, dass die
Kanzlerin oder sonstige Regierungsmitglieder abgehört
werden?


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zu der Debatte gehört nicht nur Aufgeregtheit. Zu der
Debatte gehören auch Aufklärung, notwendige Forde-
rungen, gemeinsames Handeln und im Übrigen Vor-
schläge, wie alles besser werden kann.

Es ist zu wenig, nur zu fragen: Was sollen denn die in-
ternationalen Abkommen? Wenn Ihnen internationale Ab-
kommen von Anfang an als unwirksam erscheinen, dann
können Sie internationale Politik gleich sein lassen.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch gar keiner behauptet!)


Die Debatte um die NSA muss geprägt sein von Lö-
sungsvorschlägen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Da, muss ich sagen, waren Sie, von Herrn Steinmeier ab-
gesehen, relativ blank, insbesondere Sie, Herr Gysi.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Ihr Innenminister?)


Wir und mit uns die Bundesregierung haben uns ins-
besondere im Rahmen des Parlamentarischen Kontroll-
gremiums in den letzten Wochen und Monaten intensiv
mit diesem Thema beschäftigt. Wir haben klare Maßnah-
men ergriffen. Es ist deklassifiziert worden; es gab einen
Deklassifizierungsprozess; Herr Ströbele, Sie wissen das
ja alles, weil Sie dabei waren. Wenn Sie sich hierhinstel-
len und sagen: „Es ist nichts passiert“, so ist das definitiv
falsch. Das ist eine falsche Behauptung.

Zur notwendigen Aufregung, zur notwendigen Sorge
über möglicherweise ungerechtfertigte Abhörmaßnah-
men gehört auch der Hinweis, dass es uns im Rahmen
der Aufklärung gelungen ist, darauf hinzuweisen, dass
die zwischenzeitlich behauptete massenhafte Ausspä-
hung deutscher Staatsangehöriger – das wurde ganz kon-
kret behauptet – so, wie behauptet, nie stattgefunden hat.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach ja?)


Wenn Sie ehrlich sind, sagen Sie, dass Sie wissen, dass
wir das anhand einer Codierung konkret überprüft und
festgestellt haben: Die Zusammenarbeit, die zwischen
dem BND und der NSA in diesem Fall angeblich stattge-
funden hat, war ein Teil der Auslandsaufklärung und hat





Michael Grosse-Brömer


(A) (C)



(D)(B)

nichtdeutsche Staatsangehörige betroffen. Auch so etwas
muss man bei der nüchternen Analyse und Bewertung
des Sachverhaltes sagen können und darf sich nicht nur
aufregen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will darauf hinweisen, dass wir gar nicht weit
voneinander entfernt sind. Wir haben doch gesagt: Wir
können Herrn Snowden informatorisch befragen. – Das
Parlamentarische Kontrollgremium hat sogar überein-
stimmend darauf hingewiesen, dass es eine Prüfung ge-
ben muss, ob und was Herr Snowden noch zur Aufklä-
rung beitragen kann, und das, obwohl er auch nach Ihrer
Auffassung ja gar keine Dokumente mehr hat. Man muss
ganz klar sagen: Wenn es um den Zeugen Snowden geht,
ist der Generalbundesanwalt gefragt. Wird er ein Ermitt-
lungsverfahren einleiten, dann brauchen wir auch Zeu-
gen. Wenn wir kein Ermittlungsverfahren haben, werden
wir auch keine Zeugen haben. Auch das muss ich Ihnen
nicht erklären.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was macht die Bundesregierung? – Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Wir haben den übereinstimmenden Willen und den
übereinstimmenden Wunsch, aufzuklären und für die
Zukunft Lösungen anzubieten. Zur Ehrlichkeit gehört
dann aber, auch zu sagen: Die Abschöpfung von Daten
im Ausland durch fremde Dienste werden weder das
Parlamentarische Kontrollgremium noch welche Bun-
desregierung auch immer verhindern können. Ich weiß
nicht, wie Sie glauben, russischen, chinesischen oder
womöglich amerikanischen Geheimdiensten vorschrei-
ben zu können, was sie zu tun haben.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800204700

Herr Kollege Grosse-Brömer, Herr Ströbele möchte

gerne eine Zwischenfrage stellen.


Michael Grosse-Brömer (CDU):
Rede ID: ID1800204800

Nein. Herr Ströbele hat nach eigenem Bekunden so

lange geredet wie seit langem nicht mehr. Ich möchte
jetzt fortfahren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Das ist aber schade!)


– Ich habe im PKGr zu diesem Thema sehr viele Debat-
ten mit Herrn Ströbele geführt, und wir haben sehr viele
Fragen erörtert; das müssen wir jetzt nicht alles öffent-
lich wiederholen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ich würde es gerne hören!)


Wir haben festzustellen – das ist das Ergebnis nüch-
terner Analyse –: Die Verhältnismäßigkeit beim Einsatz
nachrichtendienstlicher Mittel ist, jedenfalls im Zusam-
menhang mit der NSA, ein Stück weit verloren gegan-
gen. Das mag an 9/11 liegen, das mag an einer Traumati-
sierung liegen; welches die Gründe sind, können wir nur
vermuten. Aber wir müssen darüber nachdenken, wie
wir zumindest für Deutschland eine Verbesserung her-
beiführen können. Da, glaube ich, müssen wir ganz klar
feststellen: Der Einsatz von Diensten zum Schutz vor
terroristischen Anschlägen und zur Verhinderung
schwerwiegender Kriminalität ist sinnvoll und erforder-
lich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Jeder von uns weiß, dass wir auch durch Hinweise der
amerikanischen Geheimdienste Anschläge in Deutsch-
land verhindern konnten; das gehört als Teil der Wahr-
heit zu dieser Debatte. Aber wir müssen auch darüber
nachdenken, wie wir ein Abhören künftig verhindern
können. Denn – auch daran besteht kein Zweifel – das
Abhören der Kanzlerin, das Abhören von Ministern, das
Abhören von Bürgerinnen und Bürgern ohne konkreten
Tatverdacht gehört sich nicht, durch gar keinen Dienst
und erst recht nicht durch den amerikanischen Geheim-
dienst in Deutschland.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube, dass man klar darauf hinarbeiten muss,
Vertrauen zurückzugewinnen. Ich teile die Auffassung
der Bundesregierung, dass wir auch zukünftig in vielfäl-
tiger Weise auf die Zusammenarbeit mit den Amerika-
nern angewiesen sein werden. Dass das transatlantische
Bündnis eine gewisse Bedeutung hat, bestreitet selbst
Herr Gysi nicht.

Ich bekomme in diesen Tagen viele Zuschriften von
Bürgern. Manche fordern – ein bisschen mit der
Gysi’schen Argumentation von vorhin –, dass wir uns
von den Amerikanern rigoros abnabeln. Andere fordern,
dass wir den Amerikanern eine Lektion erteilen, indem
wir das Freihandelsabkommen auf keinen Fall abschlie-
ßen. Wieder andere fordern – wie Herr Gysi –, dass wir
auf jeden Fall Herrn Snowden Asyl gewähren, um ein-
mal zu verdeutlichen, wie unabhängig wir sind.

Ich sage Ihnen: Wenn Sie juristisch argumentieren,
dann seien Sie auch konsequent! Im Grundgesetz stehen
die Vorschriften zum Asylrecht. Auf dieser Grundlage
finden Sie keinen Grund dafür, Herrn Snowden Asyl zu
gewähren.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Whistleblower!)


Jetzt kann man darüber nachdenken, ob es andere Mög-
lichkeiten gibt, etwa nach dem Aufenthaltsgesetz.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja!)


Darüber kann man nachdenken. Man kommt aber nicht
daran vorbei, abzuwägen: Ist es zum Schaden oder zum
Nutzen Deutschlands, Herrn Snowden aufzunehmen?


(Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Nein, ich bringe das jetzt eben zu Ende. – Sie werden
jetzt argumentieren: Ja, das ist genau richtig für
Deutschland; denn dadurch emanzipieren wir uns von
den Vereinigten Staaten von Amerika.





Michael Grosse-Brömer


(A) (C)



(D)(B)

Ich habe eine andere Auffassung; ich halte keinen die-
ser Wege für richtig. Ich glaube, Verärgerung und Wut
sind verständlich, aber sie sind keine guten Ratgeber.
Lösungen finden wir nur zusammen mit den Vereinigten
Staaten von Amerika.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist jedenfalls unser Ansatz. Um Missstände zu behe-
ben, reicht es nicht, die anderen zu beschimpfen, son-
dern man muss gemeinsam Lösungen suchen.

Ich finde es gut, dass sich Außenminister Kerry ent-
schieden hat, eine Versöhnungsreise anzutreten. Er wird
ausreichend Zeit haben, sich in Deutschland aufhalten.
Ich glaube, das ist das richtige Signal in dieser Debatte.

Ich will zum Abschluss sagen: Ich glaube, dass die in-
tensiven Bemühungen der Bundesregierung, Daten-
schutz und Datensicherheit auf europäischer und interna-
tionaler Ebene zu stärken, richtig sind. Dafür muss man
sich weiter einsetzen, und dieser Einsatz lohnt sich. Aber
auch wir Parlamentarier sollten uns an dem Versuch be-
teiligen, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewin-
nen. Deswegen hat die Union im Parlamentarischen
Kontrollgremium vorgeschlagen – ich glaube, das findet
sogar die Zustimmung Herrn Ströbeles –, dass wir uns
mit den amerikanischen Kolleginnen und Kollegen im
Senat, im Repräsentantenhaus zusammensetzen, insbe-
sondere mit denen, die den amerikanischen Geheim-
dienst kontrollieren. Dann kommen wir ein bisschen
runter, dann empören wir uns nicht nur, dann sind wir
nicht nur aufgeregt, sondern dann arbeiten wir konkret
an einer Lösung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube, es ist der wesentlich sinnvollere Weg, daran
zu arbeiten, dass wir besser werden, dass wir Skandale
vermeiden und gemeinsam wieder gut zusammenarbei-
ten. Das ist der Punkt.

Was die konkrete Umsetzung betrifft, haben mein
Kollege Dr. Krings und mein Kollege Michael
Kretschmer klare Vorgaben erarbeitet, wie IT-Sicherheit,
wie Datensicherheit gewährleistet werden kann und wie
Sicherheitsforschung, wie Aufklärung, Transparenz
stattfinden kann. Der Kollege Dr. Krings wird dazu
nachher noch etwas sagen.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800204900

Herr Kollege Grosse-Brömer, gestatten Sie jetzt noch

eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?


Michael Grosse-Brömer (CDU):
Rede ID: ID1800205000

Ja, bitte – aber nur, weil meine Redezeit gerade zu

Ende ist.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1800205100

Ich wollte Ihnen die Möglichkeit verschaffen, noch

etwas ausführlicher zu werden.

Herr Grosse-Brömer, Sie haben gerade die Forderung
nach Aufnahme von Herrn Snowden mit dem Hinweis
auf das Asylrecht abgebügelt, allerdings eingeräumt, es
gebe natürlich eine andere Möglichkeit nach dem Auf-
enthaltsgesetz. Nach § 22 Aufenthaltsgesetz gibt es die
Möglichkeit, Einzelpersonen aufzunehmen, und zwar
aus zwei Gründen: entweder wenn es den politischen In-
teressen der Bundesrepublik Deutschland entspricht oder
wenn es aus humanitären Gründen geboten ist.

Würden Sie nicht sagen, dass es den politischen Inte-
ressen Deutschlands entsprach, dass wir von Herrn
Snowden Informationen über die Abhörpraxis der NSA
gegen Staatsbürger und selbst die Regierungschefin der
Bundesrepublik Deutschland bekommen haben? Meinen
Sie nicht auch, dass es ein humanitäres Gebot ist – weil
Russland Herrn Snowden nur für begrenzte Zeit Aufent-
halt gewährt und Russland eine Diktatur ist –, dass wir
als Land der Freiheit und Partner der Vereinigten Staaten
sagen: „In einem solchen Fall nehmen wir den auf“?

Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass man für
diese Aufnahme sein kann und trotzdem als Transatlanti-
ker sagen kann: „Uns verbindet gerade mit den Vereinig-
ten Staaten eine Wertegemeinschaft für Rechtsstaatlich-
keit und Menschenrechte. Wir haben an diesem Punkt
einen fachlichen Dissens, aber keinen Dissens der
Grundwerte, und diese Grundwerte gebieten gerade eine
Aufnahmeentscheidung der Bundesrepublik“?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800205200

Herr Grosse-Brömer.


Michael Grosse-Brömer (CDU):
Rede ID: ID1800205300

Herr Kollege Beck, ich habe vorhin schon versucht,

das ein Stück weit deutlich zu machen, aber Sie haben
mir vielleicht nicht zugehört. Ich will das gerne wieder-
holen.

Ich finde, es muss die Abwägung geben, von der Sie
gesprochen haben: die Abwägung der Interessen von
Herrn Snowden mit den Interessen Deutschlands an der
Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung des transat-
lantischen Bündnisses. Das ist vielleicht keine einfache
Entscheidung. Ich gebe Ihnen in einem recht: Ich glaube,
dass Herr Snowden eine wichtige Debatte angestoßen
hat, die Debatte um die künftige Sicherheit. Man kann
das auch mit den Worten des amerikanischen Präsiden-
ten sagen: Nicht alles, was technisch möglich ist, ist
künftig auch technisch umzusetzen. Hier müssen wir uns
stärker einmischen, zumindest in Bezug auf Deutsch-
land; denn darüber hinaus sind wir ja nicht zuständig.

Ich komme bei dieser Abwägung zu einem anderen
Ergebnis als Sie; das will ich Ihnen klar sagen. Mir ist
nämlich noch nicht klar, in welcher Form Herr Snowden
noch weiter gehende Zeugenaussagen machen kann, und
ich glaube, dass die Fortentwicklung des transatlanti-
schen Bündnisses für die Bundesrepublik Deutschland
und deren Interessen wichtig ist.

Jenseits der Tatsache, dass Herr Snowden eine wich-
tige Debatte angestoßen hat, hat Herr Snowden auch
massiv gegen strafrechtliche Vorschriften in seinem
Land verstoßen.





Michael Grosse-Brömer


(A) (C)



(D)(B)


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat Rechtswidriges öffentlich gemacht!)


Das gehört ebenfalls zur Gesamtbewertung. Lassen Sie
es mich deshalb so sagen: Das ist vielleicht keine einfa-
che Entscheidung; man kann sie sicherlich erst nach län-
gerem Nachdenken treffen, und es werden vielleicht
auch unterschiedliche Interessen vorangestellt. Ich
glaube aber, dass eine Abwägung dazu führt, dass wir
Herrn Snowden aus übergeordneten Interessen nicht in
Deutschland aufnehmen sollten.

Ich will zum Abschluss sagen: Wir haben in puncto
Datensicherheit und Schutz der Privatsphäre der Bürge-
rinnen und Bürger in Deutschland eine gemeinsame
politische Herausforderung. Deswegen glaube ich, dass
Herr Steinmeier mit dem „Völkerrecht im Netz“ Richti-
ges gesagt hat. Das sind neue Herausforderungen, um
die wir uns kümmern müssen, aber eben nur national.
Wir sollten nicht so tun, als könnten wir den agierenden
Geheimdiensten weltweit vorschreiben, wie sie sich ver-
halten. Man kann das bedauern, aber es ist so. Wir haben
insgesamt dafür zu sorgen, dass die richtige Balance
zwischen Sicherheit und Freiheit bei den Geheimdiens-
ten, beim Abhören gewährleistet wird. Wir sollten unse-
ren Beitrag dazu vorrangig im Parlamentarischen Kon-
trollgremium leisten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800205400

Das Wort hat der Kollege Oppermann.


(Beifall bei der SPD)



Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1800205500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit den

ersten Enthüllungen und Berichten über Dokumente von
Edward Snowden im Juni hören wir jetzt fast im Wo-
chenrhythmus von neuen Enthüllungen. Zuletzt war es
ein Bericht der Süddeutschen Zeitung, in dem beschrie-
ben wurde, wie unsere Sicherheitsbehörden mit dem
deutschen Tochterunternehmen der Computer Sciences
Corporation zusammenarbeiten. Ich finde, dieser Bericht
offenbart ein grundlegendes Problem; denn wenn es zu-
treffen sollte, dass die CSC Teil jenes nachrichtendienst-
lich-industriellen Komplexes ist, also jenes Geflechtes
von Geheimdiensten und Technologieunternehmen in
den USA mit mehreren Zehntausend Beschäftigten,
dann müssen wir uns heute fragen, ob wir etwas falsch
machen, wenn wir solche Unternehmen daran beteiligen,
Staatstrojaner zu testen oder die verschlüsselte Kommu-
nikation in Regierungsnetzen zu entwickeln.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Solange wir kein rechtlich verbindliches Abkommen
über den Schutz vor Spionage haben, gehören solche
Aufträge auf den Prüfstand.
Unser Land hat in einem gemeinsamen Kraftakt von
Wirtschaft, Bund und Ländern das Lissabon-Ziel, nach
dem 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung
und Entwicklung ausgegeben werden sollen, erreicht.
Wir geben in jedem Jahr 75 Milliarden Euro für For-
schung und Entwicklung aus. Das ist die wichtigste
Voraussetzung dafür, dass wir auf vielen Teilmärkten die
Technologieführerschaft haben. Das ist die wichtigste
Voraussetzung für unsere Exporterfolge. Aber was nützt
das alles, wenn hart erarbeitete Wissens- oder Technolo-
gievorsprünge für die Wettbewerber und die Konkurren-
ten mehr oder weniger offen einsehbar sind oder leicht
ausgekundschaftet werden können?


(Zuruf von der SPD: Wohl wahr!)


Unsere Unternehmen erleiden Milliardenverluste durch
Industriespionage. Wir können sie nicht effektiv genug
davor schützen. Deshalb müssen wir auch über die
Rückgewinnung oder zumindest über die partielle Wie-
derherstellung technologischer Souveränität nachden-
ken. Das bedeutet sichere Netze, sichere Kommunika-
tion, Verschlüsselung und weitere Vorsorge. Das
bedeutet vor allen Dingen mehr Forschung und Entwick-
lung in diesem Bereich. Damit können wir nur die Kern-
bereiche unserer Unternehmen schützen – Frank-Walter
Steinmeier hat zu Recht darauf hingewiesen, dass sie
alle international verzweigt und verflochten sind –, aber
das müssen wir tun. Insofern sollte die NSA-Affäre ein
absoluter Weckruf für alle sein. Wir müssen ja nicht
dümmer sein, als die Polizei erlaubt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde es richtig, dass die Bundesregierung jetzt ein
Anti-Spionage-Abkommen mit den USA verhandelt. Ein
solches Abkommen darf sich aber nicht auf den Schutz
von Regierungen und Unternehmen beschränken, son-
dern muss auch der Überwachung der privaten Kommu-
nikation der Bürgerinnen und Bürger klare Schranken
setzen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir wissen bis heute nicht – auch wenn das zwischen-
zeitlich anders gesehen wurde –, in welchem Umfang
die NSA durch Programme wie Prism die private Kom-
munikation deutscher Staatsbürger überwacht. Im
Sommer hatte die NSA gegenüber der Bundesregierung
versichert, es gebe keine massenhafte Ausspähung deut-
scher Bürger. Aber die NSA hat auch versichert, sie halte
sich in Deutschland an deutsches Recht. Spätestens seit
dem Lauschangriff auf die Bundeskanzlerin wissen wir,
dass das nicht stimmt. Warum sollten die Vertreter der
NSA der deutschen Regierung die Wahrheit sagen, wenn
sie zugleich den eigenen Kongressabgeordneten über das
Ausmaß der Überwachung nach dem Patriot Act in den
USA mehrfach die Unwahrheit gesagt haben?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde, es war grenzenlos naiv, das alles zu glauben.





Thomas Oppermann


(A) (C)



(D)(B)

Das Vertrauen ist in der Tat tief gestört. Es kann nur
durch Aufklärung und Vereinbarung klarer, verbindli-
cher Regeln wiederhergestellt werden. Die Aufklärung
müssen, finde ich, zuerst unsere amerikanischen Partner
leisten; denn wir können doch nicht allein auf die Doku-
mente von Edward Snowden verwiesen werden. Das
wäre doch etwas seltsam.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800205600

Kollege Oppermann, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Liebich?


Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1800205700

Ja, bitte.


Stefan Liebich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1800205800

Herr Kollege Oppermann, Sie haben eben gesagt,

dass Sie die Verhandlungen über ein No-Spy-Abkom-
men im Grundsatz gut finden. Ich habe den Medien ent-
nommen, dass diejenigen, die darüber verhandeln, die
Chefs der Geheimdienste sind. Finden Sie es nicht ein
bisschen absurd, dass die Chefs von NSA und BND mit-
einander darüber verhandeln, wie künftig nicht mehr be-
spitzelt werden soll?


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1800205900

Ich nenne das geplante Abkommen lieber Anti-Spio-

nage-Abkommen, weil ich dann weiß, was damit ge-
meint ist. Das wird zurzeit zwischen der Bundesregie-
rung und dem Weißen Haus verhandelt. Wenn es am
Ende nur ein Stillhalteabkommen zwischen zwei Ge-
heimdiensten wäre, wäre mir das entschieden zu wenig.
Ich finde, es muss ein Regierungsabkommen werden. Es
muss rechtsverbindlich sein, und die Menschen in die-
sem Lande müssen, wenn neues Vertrauen entstehen
soll, sich auf so etwas auch verlassen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sollten die Aufklärung trotz allem nicht allein den
Regierungen überlassen, sondern auch auf die Zusam-
menarbeit der Parlamente setzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich finde es ausgesprochen ermutigend, dass viele Kon-
gressabgeordnete die Kritik an der ausgeuferten NSA-
Überwachung teilen. Dianne Feinstein, die Vorsitzende
des Geheimdienstausschusses im Senat, lehnt die Abhör-
maßnahmen gegen Politiker von US-Verbündeten kate-
gorisch ab und fordert die vollständige Unterrichtung der
Mitglieder des Geheimdienstausschusses im Senat. Viele
Abgeordnete beider Fraktionen und in beiden Häusern
zweifeln daran, dass der NSA-Komplex noch politisch
steuerbar oder demokratisch kontrollierbar ist. Ich finde,
dass der Bundestag und der US-Kongress in dieser Frage
einen intensiven Austausch betreiben sollten; denn wir
dürfen nicht zulassen, dass die ausgeuferte Überwa-
chungspraxis der NSA Deutschland und Amerika spal-
tet.


(Beifall bei der SPD)


Die USA sind unser wichtigster Bündnispartner, nicht
nur, aber besonders wenn es um den Schutz unserer
Soldaten in Afghanistan oder um den Schutz vor Terror-
anschlägen in Deutschland geht. Wir sind auf eine ver-
trauensvolle Zusammenarbeit angewiesen. Mit vertrau-
ensvoller Zusammenarbeit ist aber nicht vereinbar, wenn
wir von unseren engsten Verbündeten ausspioniert wer-
den. Ich finde, das ist auch eine Frage des wechselseiti-
gen Respekts souveräner Partner, die zwischen Freund
und Feind, zwischen Recht und Unrecht unterscheiden
können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Herr Gysi, ich habe mich gefragt, welches Verständ-
nis von Souveränität Sie haben, als Sie sagten: Deutsch-
land ist erst dann souverän, wenn wir Edward Snowden
hierher holen und als Zeugen befragen. – Der Souveräni-
tätsbegriff, von dem Sie ausgehen, erinnert mich mehr
an Carl Schmitt: Souverän ist, wer Mutproben gewinnt.
„Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entschei-
det.“ Das ist nicht der Souveränitätsbegriff unseres de-
mokratischen Staates.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Souverän ist nach unserem demokratischen Verständnis,
wer aufgrund des Rechts Gesetze geben oder aufheben
kann. Souverän ist ein demokratischer Staat, wenn er
verantwortlich und klug handelt, wenn er die verschiede-
nen Interessen abwägt. Nicht souverän ist ein Staat, der
einseitige Entscheidungen trifft. Das ist Unilateralismus,
Herr Gysi. Das kommt Ihnen vielleicht aus früheren Zei-
ten bekannt vor, hat aber mit der Debatte, die wir heute
führen, gar nichts zu tun.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben drei Ziele gleichzeitig zu verfolgen, Herr
Gysi. Erstens geht es darum, dass wir die Ausspähungen
aufklären und die schrankenlose Überwachung durch
US-Geheimdienste beenden. Zweitens geht es darum,
dass wir die Partnerschaft mit den USA intakt halten.
Wir dürfen sie nicht preisgeben. Wir müssen sie wieder
auf jene Wertebasis zurückführen, auf der sie gegründet
wurde, nämlich auf Demokratie, Freiheit und Herrschaft
des Rechts. Diese Werte sind mit schrankenloser Über-
wachung der Privatsphäre unvereinbar. Drittens geht es
um eine humanitäre Lösung für Edward Snowden, nicht
um eine einseitig entschiedene Lösung. Herr Gysi, wir
haben auch mit dem Vertreter Ihrer Partei im Parlamen-
tarischen Kontrollgremium eine sehr nachdenkliche Dis-
kussion geführt, nachdem uns Herr Ströbele über das
Gespräch mit Herrn Snowden in Moskau informiert
hatte. Wir waren uns am Ende darüber einig, dass dies
nicht im Zuge einer Mutprobe entschieden werden kann,
weil damit insbesondere Edward Snowden gar nicht ge-
dient wäre. Ihm ist wahrscheinlich nur mit einer verhan-
delten Lösung gedient.





Thomas Oppermann


(A) (C)



(D)(B)

Ein demokratischer Staat, der in Partnerschaft mit an-
deren lebt, entscheidet nicht einseitig über bestimmte
Fragen, sondern sucht nach Verhandlungslösungen, und
zwar im Rahmen des Rechts. Es geht darum, diesen
Konflikt politisch und rechtlich und nicht durch einsei-
tige Entscheidungen zu bewältigen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800206000

Der nächste Redner ist Dr. Konstantin von Notz.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn man Sie hier so reden hört, Herr Grosse-
Brömer und Herr Friedrich, zu Ihren Aufklärungsbemü-
hungen bezüglich dieses größten Datenschutz- und Ge-
heimdienstskandals aller Zeiten, dann hat man den Ein-
druck: Sie können nicht vernebeln, dass Sie nach einem
halben Jahr nichts vorzuweisen haben. Sie stehen hier
mit völlig leeren Händen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben mehrere Reisen in die USA unternommen
bzw. unternehmen lassen, Herr Friedrich. Herausgekom-
men ist gar nichts. Zuletzt haben Sie den Bock zum
Gärtner gemacht und Geheimdienstler mit Geheim-
dienstlern Geheimes geheim besprechen lassen. Aber
auch diese sind ohne Ergebnisse zurückgekommen. Sie
verstehen offensichtlich nicht, was nach diesem Skandal
am wichtigsten ist, nämlich Transparenz, um das verlo-
ren gegangene Vertrauen in die wichtigste Kommunika-
tionsstruktur unserer Zeit zurückzugewinnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Wer diese bisherigen Bemühungen, Herr Friedrich,
als Erfolg feiert, der dokumentiert seinen Unwillen und
seine Unfähigkeit, überhaupt Konsequenzen aus diesem
Skandal zu ziehen. Der Bundesbeauftragte für den Da-
tenschutz, Peter Schaar, wohnt übrigens dieser Debatte
bei. Er mahnt in seiner Stellungnahme, die auch Grund-
lage unserer heutigen Debatte ist, an, wie notwendig an-
gesichts der fundamentalen Grundrechtsbedrohung die
Aufklärung ist. Von Ihnen kommt nichts dazu, Herr
Friedrich,


(Zurufe von der CDU/CSU: Doch!)


nach all den Monaten nichts, nur eine schwurbelige
Rede.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen einmal, welche Fragen sich stellen:
Welche Rolle spielen deutsche Geheimdienste im inter-
nationalen Datenaustauschring? Sie selbst haben erzählt,
dass wir selber Millionen von Daten weitergeben. Das
ist ein zusammenhängendes System. Das ist für jeden
normal denkenden Menschen offensichtlich. Sie klären
nichts auf. Sie fixieren die Diskussion auf die NSA und
die USA. Das sage ich zum Vorwurf des Antiamerika-
nismus. Wer redet denn von einer digitalen Besatzungs-
macht? Das ist doch Ihr Kollege von der Union, Herr
Uhl. Wie antiamerikanisch soll es denn noch werden?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was ist denn mit den anderen Geheimdiensten, zum Bei-
spiel mit dem britischen Geheimdienst? Deren Aktivitä-
ten sind keinen Deut unproblematischer.

Warum, Frau Bundeskanzlerin, hat die Spionageab-
wehr bei Ihrem Handy so massiv versagt? Man kann sich
hier im Raum einmal locker die Frage stellen, wessen
Telefon – das betrifft auch die Regierungsbank – eigent-
lich noch abgehört wird.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ihres!)


Dazu haben wir nichts von Ihnen gehört. Was tun Sie
aktiv, um die Grundrechte der Menschen in diesem Land
– auch das ist nicht ganz unwesentlich – und die Integri-
tät der Daten von Wirtschaftsunternehmen zu schützen?

All das sind gravierende Fragen. Bei denen sind Sie
völlig blank. Das merkt man auch in dieser Debatte
heute nur allzu deutlich. Das ist nach den sechs Monaten
ein Skandal. Deswegen brauchen wir den Untersu-
chungsausschuss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eines ist doch auch völlig klar: Die parlamentarische
Kontrolle hat versagt. Wir brauchen eine Reform von
G 10 bis PKGr. Herr Bundesinnenminister, Sie haben
eben versucht, dies mit der Anerkennung der Arbeit der
Kolleginnen und Kollegen zu verschwurbeln. Das hilft
doch niemandem. Das ist ein strukturelles Problem. Das
sagt übrigens auch der Bundesdatenschutzbeauftragte in
seinem Bericht.

Wir als Abgeordnete müssen uns – das wurde hier
schon gesagt, und das ist ein ganz wichtiger Punkt – mit
den Parlamentariern in den USA, die eine schärfere
Kontrolle wollen, zusammensetzen, und wir müssen als
Parlament, als Abgeordnete die Kontrolle der Geheim-
dienste wieder auf die Füße stellen. Wir sind diejenigen,
die kontrollieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800206100

Herr Kollege von Notz, Sie müssen zum Schluss

kommen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Dass das
Problem heute so aufschlägt, ist auch eine Konsequenz
der Versäumnisse Ihrer Politik in den letzten Jahren.
Man kann geradezu von einer Sabotage der Frage spre-
chen, was wir für besseren Datenschutz tun können. Wer
hat denn die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung unmöglich
gemacht? Das waren Sie in der letzten Bundestagssit-
zung der vergangenen Wahlperiode. Jetzt stehen Sie bla-
miert da. Die ganzen IT-Großprojekte der letzten Jahre





Dr. Konstantin von Notz


(A) (C)



(D)(B)

wie N-Perso, De-Mail und Gesundheitskarte sind diskre-
ditiert.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und die Redezeit ist zu Ende!)


Ihre Antwort, Herr Friedrich, ist ein Zentrum für Cy-
berabwehr, und dem gesellen Sie jetzt noch ein Zentrum
für Cybersicherheit hinzu.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Schluss jetzt!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800206200

Herr Kollege von Notz, kommen Sie bitte zum

Schluss.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich gratuliere. Wenn das alles ist, was Sie die nächs-
ten vier Jahre liefern wollen, dann kann einem nur angst
und bange um die Grundrechte in diesem Land werden.

Ganz herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800206300

Der nächste Redner ist Dr. Günter Krings.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1800206400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir haben zumindest bei der letzten Rede einen
bemerkenswerten Vorgang erlebt. Man kann auch Oppo-
sitionsreflexe entwickeln, bevor überhaupt die Regie-
rung gebildet ist. Das haben Sie jedenfalls gezeigt.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich weiß nicht, ob wir mit der Aneinanderreihung von
Vorwürfen und teilweise unhaltbaren Behauptungen der
Ernsthaftigkeit und der Bedeutung der Debatte gerecht
werden.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Krings, da ist doch die Regierung!)


Datensicherheit ist unbestritten eines der Kernele-
mente moderner Sicherheitspolitik jedes souveränen
Staates. Die Gewährleistung von Sicherheit insgesamt
ist natürlich das wichtigste Fundament des Staates. In-
vestitionen in Sicherheit und damit auch Investitionen in
Datensicherheit mögen auch in den kommenden Bun-
deshaushalten manchmal weniger populär sein als Inves-
titionen etwa in Bildung oder Soziales, aber sie sind
sicherlich nicht weniger wichtig. Weil die Sicherheit un-
serer Daten untrennbarer Bestandteil der Staatsaufgabe
Sicherheit ist, sind wir der Überzeugung, dass ameri-
kanische Nachrichtendienste hier über jedes verant-
wortbare Maß hinaus tätig geworden sind. Die Verant-
wortlichen der NSA haben mit einem gigantischen
Datenstaubsauger schlichtweg unentschuldbare Fehler
gemacht.

Aber, meine Damen und Herren, zur Ehrlichkeit ge-
hört auch: Den Gefahren des Terrorismus können wir im
21. Jahrhundert nicht mit massiver physischer Polizei-
präsenz allein entgegenwirken. Wir können auf Terror-
strukturen, auf bestimmte Formen der organisierten
Schwerstkriminalität nur dann effektiv reagieren, wenn
wir über solche Netzwerke Informationen erlangen und
Anschläge verhindern und diese Netzwerke zerschlagen.
Das Problem ist daher nicht, dass überhaupt Daten zur
Terror- und Kriminalitätsbekämpfung erhoben werden.
Die Frage ist vielmehr, in welchem Umfang, mit wel-
chen Methoden und auf welcher rechtsstaatlichen
Grundlage das geschieht. Die Grenzen der Verhältnismä-
ßigkeit sind selbst im Kampf gegen den Terror einzuhal-
ten.

Die deutsche und europäische Antwort muss sein, die
richtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu
finden. Es dürfte nämlich auch die Amerikaner wenig
beeindrucken, wenn wir sie wegen der NSA-Affäre voll-
kommen berechtigt kritisieren, aber zugleich in Deutsch-
land, in Europa unsere eigenen Abwehrmöglichkeiten so
verkümmern lassen, dass wir immer dann, wenn es ernst
wird, um Daten und Erkenntnisse aus den US-Program-
men bitten müssen. Die Angewiesenheit auf US-Ge-
heimdiensterkenntnisse ist schon in der Vergangenheit
sehr real gewesen. Ich nenne als Beispiel nur die Sauer-
land-Gruppe, die monströse Anschlagspläne verfolgt
hat, was ohne US-Hilfe nicht hätte aufgedeckt werden
können. Deutschland, ja die ganze Europäische Union
muss jetzt beweisen, dass sich beides miteinander ver-
binden lässt: ein tauglicher Radarschirm gegenüber dem
internationalen Terrorismus und ein datenschutzrechtlich
hohes Niveau.

Das heißt zum Beispiel, dass das sogenannte SWIFT-
Abkommen mit den USA zur Ermittlung von Bankdaten
auf den Prüfstand gehört. Aber auf Grundlage dieses Ab-
kommens haben die US-Behörden in den letzten Jahren
sage und schreibe 1 700 Gefährdungsberichte mit wert-
vollen, unverzichtbaren Erkenntnissen zur Terrorabwehr
allein an die Staaten der Europäischen Union gesandt.
Wir können deshalb auch ein solches Abkommen erst
neu verhandeln, nachdem wir in der Europäischen Union
ein eigenes, dann natürlich datenschutzfreundliches eu-
ropäisches System zur Analyse von Finanztransaktionen
eingeführt haben. Dazu fehlt uns bislang aber leider der
Mut. Wir können nicht beides tun: die amerikanische
Hilfe ausschlagen und zugleich nicht in der Lage sein,
eigene Instrumente auf höherem Niveau einzuführen.
Wenn wir bestimmte amerikanische Radarschirme zur
Terrorismusbekämpfung nicht mehr uneingeschränkt
nutzen wollen, dann darf die Alternative eben nicht ein
sicherheitspolitischer Blindflug sein.

Unsere Aufgabe in Deutschland und Europa ist die
Rückgewinnung der digitalen Souveränität im Umgang
mit unseren Daten. Dazu müssen wir nicht nur rechtli-
che, sondern auch technische Vorkehrungen und Strate-
gien entwickeln.





Dr. Günter Krings


(A) (C)



(D)(B)

Ein paar Stichworte zum Bereich der Technik. Eine
bessere IT-Sicherheit führt auch zu mehr Datensicher-
heit. Es gibt technische Lösungen, die den Datenverkehr
zwar nicht vollkommen schützen, aber eben weniger an-
fällig für das Ausspähen machen. Dazu gehört ganz
praktisch, Möglichkeiten zu schaffen, dass zum Beispiel
eine E-Mail, die von Köln nach Düsseldorf gesendet
wird, nicht länger zwingend über andere Länder oder
Kontinente geleitet wird. Es geht ja nicht darum, ein ab-
geschirmtes nationales oder europäisches Netz aufzu-
bauen. Sinnvoll erscheint es aber, zunächst in Europa ei-
nen Verbund von Ländern zu bilden, die sich auf ein
ähnlich hohes Niveau der Datensicherheit einigen. In ei-
nem solchen Schengen-Raum im Netz würden wir dann
einen gemeinsamen Sicherheitsstandard nach innen und
die gemeinsame Gefahrenabwehr nach außen organisie-
ren.

Zum technischen Bereich gehört auch die schleu-
nigste Verabschiedung eines IT-Sicherheitsgesetzes. Es
gibt bisher eine hohe Dunkelziffer von nicht gemeldeten
Hacker-Angriffen; der überwiegende Teil wird von der
Industrie nicht gemeldet. Man hat offenbar Angst vor
schlechter Publicity. Aber damit fördert man weitere An-
griffe. Man verhindert auch, dass sich Behörden und Un-
ternehmen vor künftigen Angriffen schützen. Dem müs-
sen wir ein Ende machen. Wir brauchen deshalb unter
anderem eine Meldepflicht bei solchen Angriffen.

Das Gleiche gilt für einen höheren Mindeststandard
bei wichtigen Infrastrukturen, etwa der Energie- und
Wasserversorgung. Auch hier müssen und können wir
mehr tun.

Meine Damen und Herren, flankiert werden muss die
technische Ertüchtigung aber auch mit rechtlichen Maß-
nahmen. Eine Maßnahme wurde eben genannt: die EU-
Datenschutz-Grundverordnung. Die brauchen wir als
Datenschutzgrundgesetz Europas. Was nutzt es einem
Bundesbürger, wenn wir zwar in Deutschland ein hohes
Datenschutzniveau haben, aber dieser Datenschutz nicht
mehr greift, wenn wir auch nur eine innereuropäische
Grenze überschreiten oder wenn auch nur unsere Daten
eine innereuropäische Grenze überschreiten? Europa hat
mit 500 Millionen Bürgern die Marktmacht, auch glo-
bale Standards zu setzen, und die Möglichkeit, Daten-
sicherheit zum Exportschlager zu machen.

Es ist richtig: Die Arbeit der NSA hat transatlanti-
sches Vertrauen beschädigt. Zwischen modernen Staaten
ist das probate Mittel zur Wiederherstellung von Ver-
trauen insbesondere das Völkerrecht. Es ist deshalb rich-
tig, dass derzeit ein Anti-Spionage-Abkommen mit den
USA verhandelt wird und hoffentlich auch bald zum Ab-
schluss gebracht werden kann. Zwischen zwei souverä-
nen Staaten gibt es auf diesem Feld eigentlich nur zwei
Möglichkeiten: Entweder man spioniert sich gegenseitig
aus, oder man verzichtet wechselseitig auf Spionage. Die
zweite Variante ist mir deutlich lieber, meine Damen und
Herren.

Ich will zum Schluss noch deutlich machen, dass wir
im Umgang mit dieser Geschichte insgesamt, bei allem
Ärger, nicht den Boden des Rechts verlassen dürfen. Un-
sere Antwort auf die Ausspähung deutscher Daten sollte
auf dem Boden unserer nationalen und der internationa-
len Rechtsordnung stehen. Anhand dieses ganz einfa-
chen Maßstabs lassen sich ganz kurz und klar auch die
Ideen beantworten, Edward Snowden etwa Asyl in
Deutschland zu geben.

Das Asylgrundrecht, meine Damen und Herren, ist
kein fürstliches Privileg, das die Bundesregierung oder
der Bundestag nach Gutdünken erteilen darf. Das Asyl-
grundrecht ist ein Recht mit einem klaren Tatbestand.
Edward Snowden – bei allem Mut, den man ihm zuspre-
chen muss – ist nicht politisch verfolgt, sondern er wird
juristisch belangt; das ist ein Unterschied. Strafrechtli-
che Ermittlungen eines Rechtsstaats sind ganz offen-
sichtlich nicht geeignet, eine politische Verfolgung zu
begründen. Übrigens würde auch unsere Strafjustiz in ei-
nem vergleichbaren Fall wegen Hoch-, Landes- oder
Geheimnisverrats ermitteln müssen. Es ist schwer einzu-
sehen, warum wir bei Tausenden von Flüchtlingen na-
türlich sehr genau prüfen, ob Asylgründe vorliegen, den
Fall Snowden aber ungeprüft durchwinken sollten, nur
weil er inzwischen eine Medienberühmtheit geworden
ist.

Meine Damen und Herren, natürlich verdanken wir
Edward Snowden interessante Hinweise auf die Spiona-
getätigkeit der NSA. Aber Kennzeichen eines Rechts-
staats ist, dass der gute Zweck eben nicht jedes Mittel
heiligt. Unser Auslieferungsabkommen mit den USA
gilt. Es gilt auch im Fall Snowden. Es ist eine große Er-
rungenschaft der modernen internationalen Rechtsord-
nung, dass die Rechts- und Strafverfolgung immer weni-
ger an nationalen Grenzen haltmachen muss. Es wäre
unseres Rechtsstaats unwürdig, würden wir im Stil von
Winkeladvokaten in diesem Auslieferungsabkommen ir-
gendwelche Schlupflöcher suchen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800206500

Kollege Krings, lassen Sie eine Zwischenfrage vom

Kollegen Ströbele zu?


Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1800206600

Da ich keine Redezeit mehr habe, ist das eine will-

kommene Verlängerung. – Bitte schön.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege, danke, dass ich fragen darf. Darüber
freue ich mich immer.

Ist Ihnen bekannt, dass man sowohl in Deutschland
als auch in den USA selbst bei Begehung schwerer Straf-
taten die Möglichkeit hat – ich möchte nicht sagen, dass
das tägliche Rechtspraxis ist; es ist, sagen wir einmal,
monatliche Rechtspraxis –, von der Bestrafung ganz ab-
zusehen oder die Strafe ganz wesentlich zu vermindern,
wenn die Person, der man Straftaten vorwirft, sich bei
der Aufklärung, insbesondere bei der Aufklärung ande-
rer Straftaten, bei der Aufklärung von in hohem öffentli-
chen Interesse liegenden Sachverhalten, verdient ge-
macht hat?





Hans-Christian Ströbele


(A) (C)



(D)(B)

Nehmen wir einmal die bei der Union etwas umstrit-
tene Praxis, Leute, die aus der Schweiz Steuerdaten von
deutschen Steuerflüchtlingen liefern, nicht nur keiner
Bestrafung zuzuführen, sondern ihnen auch noch 1 Mil-
lion Euro zu geben und ihnen durch eine neue Identität
Schutz zu gewähren. Ich kenne auch einen Fall, in dem
einer Person ein Bauernhof übereignet worden ist, damit
sie eine Existenzgrundlage hat.

Ist Ihnen das bekannt? Meinen Sie nicht, dass sich
Herr Snowden hier weltweit Verdienste erworben hat?
Es geht ja nicht nur um Deutschland und nicht nur um
die Kanzlerin. Es geht um Frankreich. Es geht um Ita-
lien. Es geht um den Papst. Es geht um Brasilien. Es geht
um Mexiko. Überall tritt dieses Problem mit der Ausspä-
hung auf. Die Präsidentin Brasiliens hat einen Besuch in
den USA abgesagt, weil auch sie und ihre Regierung
ausspioniert worden sind. Auch das hat Edward
Snowden berichtet.

Meinen Sie nicht, dass eine Güterabwägung, wie sie
bei der Justiz und beim Staat immer üblich ist, auch bei
Snowden durchgeführt werden müsste und er deshalb als
Zeuge hierhergeholt werden könnte, ohne bestraft zu
werden?


Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1800206700

Lieber Kollege Ströbele, dass einem Whistleblower

einmal ein Bauernhof geschenkt worden ist, das war mir
bisher in der Tat nicht bekannt. – Von mir aus können
Sie sich gerne hinsetzen, aber üblich ist es, sich die Ant-
wort im Stehen anzuhören; das ist also schon in Ord-
nung. – Das ist eine neue Information für mich und eine
ganz nette Arabeske.

Die Möglichkeiten der Strafprozessordnung sind mir
sehr wohl bekannt. Es geht aber hier nicht um den Straf-
anspruch des deutschen Staates, auch nicht um Steuer-
straftaten; darüber können wir lange sprechen. Wir als
Union hatten ganz andere und rechtsstaatskonformere
Dinge vorgeschlagen. Hier geht es um den Strafanspruch
der Vereinigten Staaten von Amerika.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)


Ich habe es eben verglichen: Man könnte sich auch den
Fall vorstellen, dass es um den Strafanspruch unseres
Landes gegenüber einem Spion oder vielleicht einem
Mitarbeiter geht, der in ein anderes Land gegangen ist.

Übrigens hat dieser Edward Snowden nicht nur inte-
ressante Schriftstücke zur Ausspähung mitgenommen,
sondern er hat, wie man ebenfalls hört, auch Listen mit
Namen von Geheimagenten mit ihren Klarnamen mitge-
nommen. Ob das alles so wenig sicherheitsrelevant ist,
das möchte ich wirklich sehr bezweifeln. Also, die Figur
Edward Snowden ist wahrscheinlich etwas vielschichti-
ger, bei allem respektablen Mut, den man ihm zuspre-
chen kann.

Hier gilt der Strafanspruch der Vereinigten Staaten.
Es gilt das Auslieferungsabkommen, das wir geschlos-
sen haben und das wir umgekehrt übrigens auch ange-
wandt sehen wollten. Man mag an irgendeiner Stelle ein
Schlupfloch für diesen Fall finden. Aber ich finde, das
kann nicht der Stil sein, in dem Rechtsstaaten miteinan-
der umgehen sollten. Wenn das andere Staaten so ma-
chen, hindert das uns nicht daran, rechtsstaatlich mit gu-
tem Beispiel voranzugehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Zukunft – lassen Sie mich diesen einen Satz noch
sagen und damit zum Ende kommen – des deutsch-ame-
rikanischen Verhältnisses darf nicht im wechselseitigen
Rechtsbruch liegen, sondern sie liegt in der wechselseiti-
gen Vertrags- und Rechtstreue.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800206800

Als nächste Rednerin spricht Dr. Eva Högl.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1800206900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Seit die ersten Informationen über die massenhafte
verdachtsunabhängige Überwachung des Telekommuni-
kationsverkehrs durch ausländische Dienste in Deutsch-
land bekannt wurden, fühle ich mich sehr an die Zeit vor
fast zwei Jahren erinnert, Ende 2011, als die Naziterror-
zelle NSU aufflog.

Auch damals drängte sich jeder und jedem von uns
eine Vielzahl von Fragen auf, Fragen, die sich alle Bür-
gerinnen und Bürger in Deutschland gleichermaßen
stellten, Fragen, die uns an der Arbeitsfähigkeit und der
Effektivität unserer Sicherheitsbehörden zweifeln ließen,
und Fragen, die einer umfassenden und transparenten
Aufklärung zugeführt werden mussten.

Wir haben damals hier im Deutschen Bundestag ge-
meinsam über alle Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg
einen vorbildlichen Weg eingeschlagen, die Aufklärung
dieser Fragen kooperativ, sachorientiert und transparent
zu ermöglichen. Die Art und Weise, wie wir dies beim
Fall NSU gemacht haben, wurde von vielen als Stern-
stunde des Parlamentarismus bezeichnet. Auch wenn
Sternstunden sich dadurch auszeichnen, dass sie etwas
Außergewöhnliches sind, können sie sich ja trotzdem
wiederholen. Deswegen plädiere ich dafür, dass wir uns
an diesen Geist unseres damaligen Vorgehens erinnern
und bei dieser Debatte an diese Einigkeit anknüpfen.


(Beifall bei der SPD)


Die Fragen, mit denen wir es zu tun haben, und die
Fragen, die wir uns alle stellen, eignen sich nicht für den
üblichen parteipolitischen Streit. Wir alle wollen doch
wissen: Seit wann, durch wen, in welchem Ausmaß er-
folgt die massenhafte verdachtsunabhängige Überwa-
chung der Kommunikationsbeziehungen von Bürgerin-
nen und Bürgern in Deutschland? Wo werden welche
Daten technisch gewonnen? Auf deutschem Hoheitsge-
biet oder nur auf Kommunikationswegen im Ausland?
Inwieweit werden die Auslandsvertretungen hier in Ber-
lin dazu genutzt, Kommunikationsbeziehungen auf deut-





Dr. Eva Högl


(A) (C)



(D)(B)

schem Boden auszuspähen, und das nicht nur in Bezug
auf die Bundeskanzlerin, sondern in Bezug auf alle Bür-
gerinnen und Bürger dieses Landes?Welche rechtlichen
Regelungen gelten eigentlich für die Tätigkeit ausländi-
scher Nachrichtendienste in Deutschland? Was und seit
wann wussten deutsche Stellen über die massenhafte
verdachtsunabhängige Überwachung? Waren sie even-
tuell sogar daran beteiligt? Und, liebe Kolleginnen und
Kollegen: Konnten unsere Dienste wirklich ernsthaft da-
von ausgehen, dass Regierungsmitglieder nicht über-
wacht werden?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle diese Fragen,
die ich eben aufgezählt habe, wollte oder konnte die
Bundesregierung bisher nicht beantworten. Jedenfalls
sind sie bisher komplett unbeantwortet. Wir haben also
viele Fragen, und wir haben viele Fragen, die sich in ers-
ter Linie an ausländische Dienste richten und die mit un-
seren parlamentarischen Mitteln nur schwer aufzuklären
und zu beantworten sind. Wir haben aber auch viele Fra-
gen, die in Richtung unserer Nachrichtendienste gehen,
die ihr Wissen, ihre Arbeitsweise und ihre mögliche Be-
teiligung betreffen. Dafür ist zunächst einmal das Parla-
mentarische Kontrollgremium zuständig, das ganz offen-
kundig – das merken wir jetzt – in seiner jetzigen
Verfassung und bei seiner jetzigen Arbeitsweise an seine
Grenzen stößt. Deswegen begrüße ich ganz ausdrücklich
die Vorschläge zur Verbesserung der Arbeitsfähigkeit
des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Es sollte
transparenter tagen, teilweise öffentlich tagen, vielleicht
sogar Fernsehübertragungen ermöglichen. Wir haben an
einem Beispiel in England gesehen, wie dies machbar
ist. Ich denke, dass nicht alles, was Nachrichtendienste
machen oder wissen, geheimhaltungsbedürftig ist, son-
dern auch in der Öffentlichkeit debattiert werden muss.

Wir sollten uns für eine Verbesserung der Struktur
und Ausstattung des Kontrollgremiums engagieren. Un-
sere Vorschläge dazu haben wir dem Deutschen Bundes-
tag vorgelegt. Sie finden sich im NSU-Abschlussbericht.
Ich denke, dies ist ein guter Fall, sie umzusetzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen keine
Zeit mehr verlieren, sondern wir müssen tatsächlich
ganz engagiert, und zwar gemeinsam, aufklären. Das
kann ein Kontrollgremium sein, das können Sachver-
ständige sein, die wir einsetzen. Das kann eine Verbesse-
rung der Transparenz des Verfahrens sein. Der Innenaus-
schuss kann seine Aufgabe wahrnehmen. Wir können
eine Enquete-Kommission oder auch einen parlamentari-
schen Untersuchungsausschuss einrichten. Ich sage es hier
ganz deutlich: Die Organisationsform, in der wir als Parla-
ment aufklären, ist zweitrangig. Entscheidend kommt es
auf die Inhalte und den Aufklärungswillen an.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deswegen appelliere ich an alle, auch an die, die jetzt
nicht applaudieren,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Immer langsam!)

dass wir sehr offen Gespräche darüber beginnen, wie wir
gemeinsam über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg
aufklären können, wie wir gemeinsam all die Fragen be-
antworten können, die hier gestellt wurden. Ich verspre-
che mir davon, dass wir etwas von dem, was ich vorhin
als Sternstunde bezeichnet habe, dem Geist des NSU-
Ausschusses, auf dieses schwerwiegende Thema NSA
übertragen können.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Volker Kauder [CDU/ CSU])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800207000

Als nächster Redner hat Herr Dr. Uhl das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Der Antiamerikaner Uhl!)



Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1800207100

Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Her-

ren! Als im Sommer, im Juni, die Snowden-Enthüllun-
gen ihren Anfang nahmen, war die Empörung groß und
die Meldungen nicht immer richtig. Ich habe noch ein-
mal das Titelbild des Spiegels im Juli herausgesucht.
Dort hieß es:

Der Pakt
Außer Kontrolle: Die geheime Zusammenarbeit
von NSA, BND und Verfassungsschutz

Das war die Titelgeschichte des Spiegels, „Der Pakt“.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wann war das?)


Da hieß es, Hunderte Millionen Daten von Deutschen
werden monatlich durch kollusives Zusammenwirken
zwischen NSA einerseits und den deutschen Diensten
andererseits nach Amerika geliefert. Das war der Vor-
wurf.

Diesen Dingen sind wir nachgegangen und mussten
wir nachgehen. Wir konnten dies glücklicherweise Punkt
für Punkt widerlegen. Insofern ist es unsere Aufgabe,
den Bundesinnenminister in Schutz zu nehmen. Auch
den Kanzleramtsminister Pofalla müssen wir in Schutz
nehmen, als er sagte, dass die Affäre insoweit aufgeklärt
und beendet sei. Dieses kollusive Zusammenwirken hat
es nicht gegeben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das sind wir als Parlamentarier unseren Beamten auch
schuldig. Man kann nicht zulassen, dass die Medien den
Beamten unwidersprochen millionenfachen Rechtsbruch
unterstellen und dann sagen: Aha, so sind die anschei-
nend; sie leisten einen Eid auf die Einhaltung der Ge-
setze, und dann begehen sie monatlich millionenfach
Rechtsbruch. Das kann so nicht stehen bleiben.






(A) (C)



(D)(B)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800207200

Herr Kollege Uhl, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen von Notz?


Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1800207300

Nein. Diese Dinge sind für mich ausdiskutiert und be-

endet.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen will ich auch keine Zwischenfrage dazu ha-
ben.

Meine Damen und Herren, aber was danach kam, hat
uns in der Tat die Augen geöffnet, weil wir von amerika-
nischer Seite eben nicht mit der Wahrheit bedient wor-
den sind.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hört! Hört!)


Insofern haben Sie recht, Herr Steinmeier, wenn Sie sa-
gen, dass wir die Dinge nicht bagatellisieren sollen. Aber
wir sollten jetzt auch keinen Überbietungswettbewerb
veranstalten: Wer von uns allen ist über diese Vorgänge
am empörtesten? Wir sollten uns vielmehr gemeinsam
Gedanken machen: Was sind taugliche Instrumente zur
Aufklärung dieses Sachverhaltes?

In die Empörung des Sommers mischte sich der Vor-
schlag, einen parlamentarischen Untersuchungsaus-
schuss einzurichten, meine Damen und Herren. Nun hat
es der Wähler so gewollt, dass die Minderheitsfraktionen
zusammen nur rund 20 Prozent der Sitze innehaben.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, es gibt noch gar keine Minderheit!)


Dennoch wollten wir die Ausübung des wichtigsten
Minderheitenrechts der Opposition, einen parlamentari-
schen Untersuchungsausschuss einzurichten, nicht be-
hindern. Aber ist es wirklich ein taugliches Instrument
– da bedanke ich mich bei Ihnen, Herr Steinmeier; Ihre
Nachdenklichkeit, von der wir heute hier gehört ha-
ben, ist wichtig –, einen parlamentarischen Untersu-
chungsausschuss des Deutschen Bundestages zur Auf-
klärung amerikanischen Regierungshandelns einsetzen?
Ist es ein kluges, ein richtiges, ein weiterführendes In-
strument? Natürlich nicht. Deswegen sollten wir darüber
noch einmal nachdenken.

Ich meine, wir sind an einem ganz schwierigen Punkt
angelangt. Es ist bekannt, dass Deutschland mit seinen
Datenschutzbestimmungen weltweit führend ist; der
deutsche Datenschutz ist sprichwörtlich führend. Das hat
zur Folge, dass der deutsche Staat den Bürgern – allen
Bürgern, nicht nur der Kanzlerin – das Recht auf infor-
mationelle Selbstbestimmung zusichert. Und jetzt die
Frage:


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer war’s?)


Kann der Staat seinen Bürgern in Zeiten der weltweiten
Kommunikation, in denen Milliarden Daten über Glasfa-
serkabel um den Erdball gejagt, Milliarden von Daten ir-
gendwo auf der Welt in Clouds gespeichert werden, noch
ein solches Recht auf informationelle Selbstbestimmung
zusichern? Wenn wir jetzt festgestellt haben, dass er es
nicht konnte, stellt sich die Frage: Wie kann er es denn in
Zukunft? Damit sind wir an dem Punkt angelangt, den
wir in Ruhe diskutieren sollten.

Variante eins der Lösung: völkerrechtliche Abkom-
men, No-Spy-Abkommen und was es alles für Verträge
geben kann. Es wird wohl wichtig sein, dass wir auf die-
sem Weg mit den Amerikanern weiterkommen.

Variante zwei sind technische Lösungen. Da teile ich
nicht Ihre Auffassung, Herr Steinmeier, wenn Sie das so
abtun. Ich glaube schon, dass die Rückgewinnung von
nationaler Souveränität ein Stück weit auch über techni-
sche Antworten gelingen kann. Ich sage: auch über tech-
nische Antworten. Ob es das geplante IT-Sicherheitsge-
setz ist, ob es die De-Mail ist, ob es ein Routen innerhalb
des Landes ist, wenn eine Nachricht das Land nicht
zwingend verlassen muss und damit unseren Daten-
schutzbestimmungen unterworfen bleibt, ob es die Ver-
schlüsselung von sensibler Regierungskommunikation
ist – hier haben wir hervorragende deutsche Kryptofir-
men, die wir zum Einsatz bringen können –: Es gibt eine
Menge von Maßnahmen – technische Antworten –, die
neben den völkerrechtlichen Verträgen sicherlich auch
ein guter Teil der Lösung sind.

Lassen Sie mich ein Wort zu den Anträgen der Grü-
nen und vor allem der Linken sagen. Herr Gysi, Ihre
Ausführungen zur Souveränität Deutschlands und zur
Rückgewinnung derselben werden durch einen Antrags-
katalog mit 16 Maßnahmen, 16 Aktionen ergänzt, die
weitgehend schon von Antiamerikanismus geprägt sind,
obwohl Sie das abgestritten haben.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ein Quatsch!)


Wenn man das, was Sie alles vorschlagen, der Reihe
nach durchgeht, dann merkt man: Es riecht sehr nach
Rache. Das ist nicht die Lösung. Sie meinen wohl: Wenn
uns die Amerikaner so gedemütigt haben, dann muss
man sich rächen können. Daraus leiten Sie ab: Souverä-
nität haben wir erst dann wieder gewonnen, wenn das
große Amerika auf Ihrer Augenhöhe, Herr Gysi, mit uns
redet. –


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Herr Gysi ist da zu klein!)


Das ist, glaube ich, nicht die Antwort auf das Problem.

Nein, wir sollten mit den Amerikanern sehr konse-
quent reden. Vieles ist angedeutet worden; das will ich
jetzt nicht wiederholen. Wir werden nach Amerika fah-
ren. Die Mitglieder der amerikanischen parlamentari-
schen Kontrollorgane werden zu uns kommen. Wir wer-
den auch regierungsseitig miteinander verhandeln und
Abkommen schließen.

Ein Wort noch zu Snowden, dann komme ich zum
Ende, Frau Präsidentin. Erstens. Es ist sicher richtig,
dass Herr Snowden nach den geltenden Bestimmungen
kein Asyl bekommen kann; denn er ist ja gar nicht im





Dr. Hans-Peter Uhl


(A) (C)



(D)(B)

Lande. Asyl gewähren kann man nur dem, der im Lande
ist.

Zweitens. Die Möglichkeit, nach § 22 des Aufent-
haltsgesetzes vorzugehen, wurde erwähnt. Meine Damen
und Herren, natürlich liegt es im Interesse Snowdens,
hierherzukommen. Er will sich vor amerikanischer Straf-
verfolgung schützen, indem er zu uns kommt. Aber liegt
es im deutschen Interesse, Herrn Snowden diesen Gefal-
len zu tun? Es tut mir für Sie und Ihren Mandanten, Herr
Ströbele, leid, aber ich glaube, bei der Abwägung deut-
scher Interessen und Snowdens Interessen muss man
schon sehr genau darüber nachdenken, ob es klug ist, aus
Gründen der Staatsräson zu sagen:


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Man muss die Motive jetzt nicht kleinreden!)


Herr Snowden soll zu uns kommen, weil wir den Streit
mit den Amerikanern zwecks Rückgewinnung der Sou-
veränität auf die Spitze treiben wollen. Das ist nicht der
Weg, der uns weiterführt.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800207400

Das Wort hat Lars Klingbeil.


(Beifall bei der SPD)



Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1800207500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es ist gut, dass sich der Deutsche Bundestag
mit dem Thema NSA beschäftigt. Wir werden in dieser
Legislaturperiode noch sehr oft mit dem Abhörskandal
und den Überwachungsmechanismen zu tun haben. Wir
haben eine lange Strecke vor uns, wenn es darum geht,
aufzuklären. Ich will auch anmerken, dass wir als Parla-
ment gut beraten sind, wenn wir das an vielen Stellen ge-
meinsam mit dem amerikanischen Kongress tun und uns
dort nicht allein auf die Regierung verlassen.

Der Bundestag hat Aufklärungsarbeit zu leisten. Das
erwarten die Menschen von uns. Wir müssen daran ar-
beiten, Vertrauen in die Grundrechte wiederherzustellen.
Wir müssen dafür sorgen, dass das Vertrauen in sichere
Kommunikation wieder wächst. Wir müssen die Privat-
sphäre zurückerobern. Wir müssen aber auch daran ar-
beiten, das transatlantische Verhältnis wieder ins Lot zu
bringen, aus dem es in den letzten Wochen geraten ist.
Ich sage Ihnen auch, liebe Kolleginnen und Kollegen:
Wir müssen dafür sorgen, dass Geheimdienste, die aus
dem Ruder gelaufen sind, endlich wieder dem Primat der
Politik untergeordnet werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Minister Friedrich, ich muss schon sagen: Ich
hätte mir in Ihrer Rede ein bisschen mehr Demut erwar-
tet;


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

denn in den letzten Monaten ist doch einiges schiefge-
gangen, als es darum ging, dass die jetzt geschäftsfüh-
rende Bundesregierung die Aufgaben, die sie wahrzu-
nehmen hat, wahrnimmt, wenn es um Schutz geht, wenn
es um Vertrauen geht. Ich sage auch: Es ist völlig be-
rechtigt, dass wir hier in Deutschland Empörung erleben,
wenn wir mitbekommen, dass das Handy der Bundes-
kanzlerin abgehört wurde. Das dürfen wir uns nicht ge-
fallen lassen. Aber auch in den Monaten vorher gab es
genügend Anlass, empört zu sein, genügend Anlass, ak-
tiv zu werden: als es Hinweise darauf gab, dass die
Grundrechte der deutschen Bürgerinnen und Bürger ge-
fährdet sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das alles wurde heruntergespielt.

Da ich nicht nur nach vorne schauen will, sondern
auch die Ereignisse der letzten Monate ansprechen will,
sage ich deutlich: Es hilft der Aufklärung nicht, wenn
wir über den Begriff des „Supergrundrechts“ verschie-
dene Grundrechte in Deutschland gegeneinander aus-
spielen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es hilft auch nicht – leider hat auch der von mir ge-
schätzte Kollege Uhl das gerade getan –, wenn wir eine
noch nicht einmal begonnene Aufklärung einfach für be-
endet erklären.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat ja schon Herr Pofalla gemacht!)


Das stärkt doch nicht das Vertrauen der Bürgerinnen und
Bürger. Wenn dann auf einmal Vorschläge auftauchen,
etwa zur Internetknotenüberwachung oder zur Verwen-
dung von Mautdaten, dann frage ich mich: Was haben
wir in den letzten Monaten aus der Diskussion über den
Umgang mit den Daten eigentlich gelernt?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es muss Schluss
sein mit dem Schlingerkurs der letzten Monate. Wir als
Parlament und auch die künftige Bundesregierung haben
eine Aufgabe wahrzunehmen, wenn es darum geht, aktiv
zu werden, wenn es darum geht, aufzuklären, und wenn
es darum geht, die richtigen Konsequenzen aus dem
Skandal rund um die NSA – ich will anmerken, dass
noch andere Geheimdienste damit zu tun haben – zu zie-
hen.

Lassen Sie mich kurz fünf Punkte nennen. Erstens.
Unseren amerikanischen Freunden muss in aller Deut-
lichkeit gesagt werden, dass die bisherige Praxis sofort
gestoppt werden muss.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)






Lars Klingbeil


(A) (C)



(D)(B)

Der zweite Punkt ist – das haben uns gerade die Ver-
öffentlichungen in den letzten Tagen gezeigt –: Wir müs-
sen souveräner werden. Dabei geht es nicht – auch das
will ich deutlich sagen – um einen IT-Nationalismus. Es
geht nicht darum, dass wir das Internet renationalisieren
wollen. Aber wir sehen doch selbst, dass wir in Deutsch-
land besser werden müssen, wenn es darum geht, in For-
schung und Entwicklung zu investieren, wenn es darum
geht, die Rahmenbedingungen für Hardware- und Soft-
warelösungen in Deutschland zu verbessern, wenn es da-
rum geht, Sicherheitsstandards zu definieren. Auch das
sind Aufgaben für die nächsten vier Jahre. Es geht auch
darum, dass Deutschland die Kontrolle hat und das
Know-how besitzt, damit der Staat verantwortungsvoll
handeln kann.

Dritter Punkt. Es geht um internationale Abkommen
wie SWIFT und Safe Harbor, die ausgesetzt und überar-
beitet werden müssen. Das Europäische Parlament for-
dert dies bereits. Ich rate uns als Parlament, dass wir uns
diesen Forderungen anschließen. Wir brauchen Gewiss-
heit, was mit den Daten passiert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einfach dem Grünen-Antrag zustimmen!)


Vierter Punkt: völkerrechtliche Absicherung. Auch
dieses Thema ist schon angesprochen worden. Ein No-
Spy-Abkommen darf nicht ausschließlich zwischen Ge-
heimdiensten verhandelt werden. Das muss politisch
verhandelt werden, und es muss nachher völkerrechtlich
abgesichert werden.

Der fünfte Punkt, den ich ansprechen will, ist die
Frage nach Edward Snowden. Ich will es hier ganz klar
sagen: Wir als deutsches Parlament, als deutsche Öffent-
lichkeit haben Edward Snowden viel zu verdanken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Da ist ein mutiger junger Mann, der Informationen ge-
sammelt und diese veröffentlicht hat, um die Sicherheit
zu stärken. Ich warne davor, jetzt in kurzfristige Lösun-
gen und Antworten zu verfallen. Wir müssen jetzt eine
Antwort finden, die sich an zwei Parametern misst. Ein
Parameter ist: Zur Aufklärung brauchen wir Informatio-
nen. Der zweite Parameter ist: Wir müssen den bestmög-
lichen Schutz für Edward Snowden garantieren und si-
cherstellen. Deswegen ist es richtig, dass es jetzt den
Auftrag gibt, hierfür Lösungen zu finden.

Wenn wir diese fünf Punkte erfüllen, dann kommen
wir in dieser Legislaturperiode auf dem Weg, verloren
gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen, ein gutes
Stück voran.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800207600

Als nächster Redner hat Peter Beyer das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Beyer (CDU):
Rede ID: ID1800207700

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie
mich vorab meine Freude zum Ausdruck bringen, dass
auch ich als Außenpolitiker in dieser sehr innenpolitisch
ausgerichteten Debatte zu Wort kommen darf.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: So sind wir! – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Das ist unglaublich!)


– Das ist ja auch eine gute Sache.

Es ist gut, dass die Abhöraktivitäten der National Se-
curity Agency ans Licht gekommen sind. Das ist vor al-
lem deshalb gut, weil wir dadurch gezwungen werden,
gründlich über das transatlantische Verhältnis nachzu-
denken, etwas, was in den letzten Jahren häufig zu kurz
gekommen ist. Der Abhörskandal zwingt uns gewisser-
maßen dazu, uns bewusst zu machen, was die transatlan-
tische Partnerschaft sowohl für uns Europäer als auch für
die Amerikaner bedeutet. Das transatlantische Verhältnis
wurde lange Zeit von vielen gewissermaßen als Selbst-
läufer betrachtet, als eine gute Sache, um die man sich
im Grunde genommen nicht weiter zu kümmern braucht.
Durch die aktuelle Debatte denken wir wieder über die
transatlantischen Gemeinsamkeiten und über die Unter-
schiede, über unsere Abhängigkeiten und die Natur un-
serer Zusammenarbeit nach.

Die Vereinigten Staaten waren schon immer einer der
wichtigsten Partner der Bundesrepublik. Sie haben mit-
geholfen, Deutschland zu dem zu machen, was es heute
ist. Uns verbinden nicht nur die gemeinsamen histori-
schen Erfahrungen, sondern auch gemeinsame Werte,
die auf den Prinzipien von Demokratie, Rechtsstaatlich-
keit, Freiheit des Individuums und Marktwirtschaft
gründen. Deutschland und Europa sind mit keiner ande-
ren Region der Welt so eng verbunden wie mit Amerika.

Man muss aber auch einen realistischen Blick auf das
transatlantische Verhältnis werfen. Amerika und Europa
haben sich vor einigen Jahren ein Stück weit entfremdet.
Die Gründe dafür sind vielfältig: die Differenzen über
den Irakkrieg, ein stärkerer strategischer Fokus Wa-
shingtons in Richtung Pazifik oder Deutschlands sicher-
heitspolitische Zurückhaltung bei internationalen Kon-
flikten in der jüngeren Zeit. Den Anstrengungen von
Bundeskanzlerin Angela Merkel haben wir es zu verdan-
ken, dass wir zu einem vertrauensvollen Umgang zu-
rückgefunden haben.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Oh Gott!)


Durch den Abhörskandal hat das transatlantische
Bündnis nun eine ernsthafte Belastung erfahren. Die
Empörung, die auf beiden Seiten herrscht, zeigt, dass
Grenzen überschritten worden sind. Um es klar zu sagen:
Das Abhören unserer Kanzlerin und von Regierungsmit-
gliedern ist nicht akzeptabel. Auch Industriespionage ist
nicht hinnehmbar.





Peter Beyer


(C)



(D)(B)

Ferner ist zu fragen, ob die mutmaßliche flächende-
ckende Aufzeichnung von Telefonaten, E-Mails und
Internetverbindungen in Europa in dem Maße notwendig
ist, wie sie offenbar betrieben worden ist. Das Gebot der
Stunde heißt jedoch, die Aufregung auf ein nüchternes
Maß zurückzufahren. Eine weitere Skandalisierung hilft
da nicht weiter. Auch eine Trotzreaktion und eine Ver-
weigerungspolitik wären sicherlich der falsche Weg.
Eine starke Partnerschaft hält es aus, dass man unange-
nehme Dinge anspricht. Jetzt ist umso mehr eine leben-
dige Kommunikation gefragt. Wir müssen Probleme an-
sprechen und unsere Erwartungen an die US-Regierung
klar formulieren.

Was passiert ist, können wir nicht rückgängig ma-
chen. Aber es liegt in unserem Interesse, dass das Ver-
trauen auf beiden Seiten des Atlantiks wiederhergestellt
wird, und zwar rasch. Dazu bedarf es einer besonnenen
Aufklärung und Aufarbeitung des Sachverhalts, was
nicht auf Kosten der transatlantischen Beziehungen er-
folgen darf. Daher bin ich dagegen, Edward Snowden in
Deutschland zu befragen oder ihm hier bei uns Asyl zu
gewähren. Neben den bereits angesprochenen rechtli-
chen Bedenken würde das den Konflikt mit Washington
unweigerlich und unnötig verschärfen.


(Zuruf des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der Besuch des Kollegen Ströbele in Moskau – er mel-
det sich gerade lautstark zu Wort – war da möglicher-
weise sogar kontraproduktiv


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!)


und stellt eine zusätzliche Belastung des transatlanti-
schen Verhältnisses dar.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Christian Belastung?)


Eine gute Partnerschaft mit den USA liegt in unserem
ureigenen Interesse. Daher steht eine Antwort auf die
Frage, ob Snowden in Deutschland aussagen sollte, im-
mer unter dem Vorbehalt, ob das langfristig auch deut-
schen Interessen dient.

Wir fordern darüber hinaus eine Aufarbeitung von
US-amerikanischer Seite aus. In Ansätzen wird in den
USA bereits eine Diskussion über das Spannungsfeld
zwischen Freiheit einerseits und Sicherheit andererseits
geführt. Es wäre gut, wenn eine breite gesellschaftliche
Debatte stattfinden würde, an deren Ende eine Balance
zwischen Sicherheit und individuellen Freiheitsrechten
steht.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Grundrechte!)


Wir müssen jetzt unsere gute Position nutzen und die
Verhandlungen zur Transatlantischen Handels- und In-
vestitionspartnerschaft, kurz TTIP, weiter vorantreiben.
Diese jetzt auf Eis zu legen, wie dies leider einige for-
dern, wäre die falsche Reaktion, ein Reflex, der gegen
unsere eigenen Interessen gerichtet wäre. Denn insbe-
sondere von einem verbesserten Marktzugang im Zuge
eines erfolgreich verhandelten Abkommens profitiert
vor allem die Exportnation Deutschland mit ihrem star-
ken Mittelstand. Das Potenzial einer transatlantischen
Freihandelszone, in der Handel und Investitionen unbe-
lastet von tarifären und nichttarifären Hemmnissen statt-
finden können, ist enorm. Allein in Deutschland können
wir mit circa 160 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen rech-
nen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das transat-
lantische Freihandelsabkommen ist das Projekt der trans-
atlantischen Zukunft. Das Abkommen wird die Zusam-
menarbeit mit den USA auf Jahrzehnte hinaus prägen.
Was die NATO im 20. Jahrhundert im Sicherheitsbereich
gewesen ist, wird die TTIP für das 21. Jahrhundert im
ökonomischen Bereich und noch weit darüber hinaus
sein. Die TTIP wird gleich einer vertraglichen Klammer
wirken, die dem deutschen Mittelstand zugutekommen
und unseren Wohlstand sichern helfen wird. Daher kann
sie nicht zur Disposition stehen.

In die Zukunft gerichtet haben Europa und die Verei-
nigten Staaten noch viel miteinander vor. Globalen
Herausforderungen können wir nur in enger Zusammen-
arbeit und Abstimmung begegnen. Internationaler Terro-
rismus, die steigende Zahl asymmetrischer Konflikte,
die Verbreitung von biologischen, chemischen und ato-
maren Vernichtungswaffen, Klimawandel, Unterent-
wicklung und Armut – machen wir uns nichts vor, ohne
die USA wird eine Lösung der Probleme nicht möglich
sein.

In vielen Bereichen gibt es noch Möglichkeiten und
die Notwendigkeit zum weiteren Ausbau der transatlan-
tischen Zusammenarbeit. Da wären zum Beispiel Fragen
der Energieversorgung, Chancen neuer Technologien
und Innovationen, der Zugang zu Rohstoffen und eine
gemeinsam abgestimmte Afrikapolitik, um nur einige
wenige zu nennen. Auch in den USA hat es einen Wan-
del im Energiesektor gegeben. Mit Interesse schauen die
Amerikaner vor allem nach Deutschland, um zu erfah-
ren, wie wir die Energiewende gestalten. Hier können sie
durchaus von uns in Deutschland noch einiges lernen,
insbesondere was die Fragen von Nachhaltigkeit und er-
neuerbaren Energien anbelangt.

Es gilt also, den Blick nach vorne zu richten und die
Krise als Chance zu begreifen, als Chance, das transat-
lantische Bündnis für die Zukunft auf ein solides Funda-
ment zu stellen. Genau deshalb hat der NSA-Skandal
auch etwas Gutes. Denn er gibt uns die Chance, das Ver-
hältnis zu den USA im positiven Sinne zu überdenken,
uns für die Zukunft breit aufzustellen und unsere Part-
nerschaft zu festigen. Wir sind füreinander beste Partner.
Wer damit zündelt, handelt fehlerhaft und gefährdet sta-
bile politische und ökonomische Systeme.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn gezündelt?)


„Miteinander reden, nicht raufen“ heißt die Devise.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)


(A)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800207800

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die

Aussprache.

Wir kommen jetzt zu dem Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/56 sowie zu dem
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 18/65.

Die Fraktion Die Linke sowie die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen wünschen jeweils Abstimmung in der Sa-
che. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wün-
schen jeweils Überweisung an den geplanten Hauptaus-
schuss.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den es noch gar nicht gibt! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welcher Ausschuss?)


Wir haben uns im Bundestag schon häufiger mit einer
vergleichbaren Fragestellung beschäftigt. Nach einer
vom Plenum bestätigten Auslegung der Geschäftsord-
nung kann die antragstellende Fraktion der Überweisung
eines Entschließungsantrages bei vereinbarten Debatten
nicht gemäß § 88 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung wi-
dersprechen. Daher stimmen wir nach ständiger Übung
über Anträge auf Ausschussüberweisung zuerst ab.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt doch überhaupt keinen Ausschuss! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In welche Ausschüsse denn?)


Dazu hat die Kollegin Haßelmann das Wort zur Ge-
schäftsordnung erbeten. – Frau Kollegin Haßelmann.


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1800207900

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Wir möchten uns in

der Tat gemäß § 29 der Geschäftsordnung gegen das
vorgeschlagene Verfahren aussprechen. Zu Recht kam ja
aus meiner Fraktion gerade schon der Zwischenruf: „In
welche Ausschüsse denn?“


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, es ist völlig klar: Der Bun-
destag hat sich bis zum heutigen Tag keinen Ausschuss
gegeben. Bis kurz vor der Sitzung waren CDU/CSU und
SPD ja noch nicht einmal einig, an welchen Ausschuss
– in Klammern: den es gar nicht gibt – das Ganze über-
wiesen werden soll.


(Günter Krings [CDU/CSU]: Ja, eben! Das ist doch konsequent!)


Auf der einen Seite war auf der Arbeitsebene zu hö-
ren: an den Innenausschuss. Auch der, meine Damen
und Herren, ist noch nicht eingerichtet. Auf der anderen
Seite war zu hören: an den Hauptausschuss. Auch den
gibt es noch nicht.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt überhaupt noch keinen!)


Von daher widersprechen wir an dieser Stelle ganz deut-
lich Ihrer Initiative; denn sie ist durchsichtig.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Wer den Reden hier heute nur einigermaßen gefolgt
ist, hat deutlich gemerkt, dass Union und SPD unter-
schiedliche Auffassungen haben, was die Bewertung des
NSA-Skandals und seiner Dimension für Deutschland
angeht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Was? Wie kommen Sie denn darauf?)


Das soll jetzt natürlich verkleistert werden, und zwar da-
durch, dass man die beiden Entschließungsanträge von
Grünen und Linken heute in einen Ausschuss versenkt,
den es noch gar nicht gibt.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir überweisen, wir versenken nicht, Frau Kollegin!)


Meine Damen und Herren, das muss einmal offen ange-
sprochen werden.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Richtig!)


Ich hoffe, dass Sie sehr viele Leute dazu verdammt noch
mal zur Rede stellen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, ja!)


Kommen Sie mir gleich bitte nicht mit dem Hinweis
auf die geltende Praxis. Ich habe schon gemerkt, dass
man einen Ansatzpunkt gefunden hat. In der 13. Legisla-
turperiode, am 10. November 1994, hat das Plenum, das
Parlament insgesamt, einmal Einvernehmen darüber her-
gestellt, dass Anträge überwiesen werden und nicht so-
fort über sie abgestimmt wird, obwohl zwei Fraktionen
– eine war meine Fraktion – eine Sofortabstimmung ge-
wünscht hatten. Darüber ist aber im Gegensatz zu heute
vor der Sitzung Einvernehmen hergestellt worden. Bis-
her ist es gängige Praxis im Parlament, dass, wenn eine
Fraktion zu einer Regierungserklärung oder einer verein-
barten Debatte einen Entschließungsantrag einbringt und
diesen zur sofortigen Abstimmung stellt, über diesen
dann auch sofort abgestimmt wird. Darauf beziehen wir
uns heute, und das erwarten wir.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Tatsache ist, dass Ihnen dieser Antrag unbequem ist.
Wir haben heute nämlich nicht, Herr Grosse-Brömer,
einfach nur gebrüllt, wie Sie es gerne sagen. Ich finde,
Herr Ströbele hat ganz ruhig und gelassen geredet. Er hat
nämlich viel zu sagen; schließlich hat er das Ganze mit
seinem Besuch bei Herrn Snowden ins Rollen gebracht.

Der Kollege Notz hat Ihnen dargelegt, was wir in un-
serem Entschließungsantrag verlangen. Es geht um zehn





Britta Haßelmann


(A) (C)



(D)(B)

Punkte, die sind schnell gelesen. Zu diesen Punkten ha-
ben Sie alle sich heute in Ihren Reden verhalten. Jetzt
wollen Sie sich wegducken, einen Konflikt, den es bei
Ihnen offensichtlich gibt, hier im Parlament nicht austra-
gen und diesen Antrag in Ausschüsse versenken, die es
nicht gibt. Ich finde, das ist ein skandalöses Verfahren.
Das können wir an dieser Stelle so nicht akzeptieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Beim nächsten Tagesordnungspunkt – ich will die
Gelegenheit kurz nutzen, dazu etwas zu sagen – wird es
gleich noch einmal um das Verfahren zur Einsetzung der
Ausschüsse gehen. Es besteht in der Tat Klärungsbedarf
bezüglich der Frage: Richtet man jetzt verfassungsmä-
ßige Ausschüsse ein, und zwar bevor sie koalitionsver-
handelt sind, oder was richtet man jetzt ein?

Beim Antrag der Linken, um den es gleich geht,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie kann jetzt nicht zu Anträgen reden, die andere stellen!)


werden wir uns allerdings enthalten. Die Linke schlägt
nämlich willkürlich vor, einfach neun Ausschüsse einzu-
richten


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die sind doch alle nicht einig in der Hinsicht!)


– neun Ausschüsse –, aber nicht nur die in der Verfas-
sung vorgesehenen, sondern darüber hinaus noch den Fi-
nanzausschuss, den Innenausschuss und den Rechtsaus-
schuss. Genauso gut könnte man fragen: Warum nicht
auch den Ausschuss für Arbeit und Soziales?


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Gute Idee! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! Oder den Sportausschuss! – Dr. Günter Krings [CDU/ CSU]: Oder den Kulturausschuss!)


Dieser Ausschuss könnte sich dann nämlich mit dem
Thema Rentenbeitrag befassen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das werden wir gleich noch diskutieren. Jetzt geht es
uns erst einmal darum, darauf zu bestehen, dass, wie es
hier gängige Praxis ist, über Entschließungsanträge so-
fort abgestimmt wird. Verhalten Sie sich doch einfach zu
den zehn Vorschlägen zum Umgang mit der NSA-Af-
färe!

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800208000

Jetzt hat der Kollege Korte das Wort, danach der Kol-

lege Oppermann.


(Beifall bei der LINKEN)


Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1800208100

Liebe Kollegin Haßelmann, die Linke wäre bereit,

alle Ausschüsse einzusetzen; denn wir sind seit dem
23. September abends arbeitsfähig. Wir sind bereit, zu
arbeiten; das wird aber hier insgesamt verhindert.


(Beifall bei der LINKEN)


Weil das so ist, will ich hier begründen, warum wir
der Auffassung sind, dass wir über die vorliegenden An-
träge zu einem Themenfeld, das ja nun sehr viele Men-
schen in diesem Lande bewegt – und das nicht erst seit
das Handy der Kanzlerin abgehört wurde,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Weil dem Gregor seins abgehört wird!)


sondern bereits seit dem Sommer –, heute abstimmen
sollten und Sie Farbe bekennen müssen:

Erstens. Wir müssen heute darüber abstimmen, weil
wir gar nicht wissen, wann wir das nächste Mal hier zu-
sammenkommen oder ob wir überhaupt hier zusammen-
kommen; denn das verschiebt sich ja Woche um Woche.
Deswegen sollten wir zumindest in diesem Punkt heute
einmal klare Kante zeigen und darüber abstimmen. Das
ist doch wohl das Mindeste!


(Beifall bei der LINKEN)


Sie von Union und SPD führen Koalitionsverhand-
lungen und nehmen damit den ganzen Bundestag in Gei-
selhaft; er darf nicht arbeiten.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: So ein Quatsch! Unsinn!)


Wir tun das trotzdem; aber wir wollen auch hier arbeiten.
Nur weil Ihre Koalitionsverhandlungen mittlerweile et-
was obskure Züge annehmen,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das nehmen Sie jetzt aber zurück! – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD], an den Abg. Volker Kauder [CDU/CSU] gewandt: Woher weiß er das? Wer hat das verraten?)


blockieren Sie, dass die Ausschüsse des Bundestages
ihre Arbeit aufnehmen können. Das geht nicht!


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Zweitens. Es ist nun mehrfach – insbesondere von
Rednerinnen und Rednern der zukünftigen Großen Ko-
alition – hier angemahnt worden, dass wir mit unseren
Kolleginnen und Kollegen in den Vereinigten Staaten,
mit den Parlamentariern im Kongress, zusammenarbei-
ten sollten, um die Aufklärung voranzubringen. Das ist
eine gute Idee, der sich meine Fraktion vollumfänglich
anschließt. Es gibt nur ein organisatorisches Problem,
liebe Kolleginnen und Kollegen: Der Kongress arbeitet,
er hat Ausschüsse und kommt regelmäßig zusammen;
wir aber nicht. Sollen von uns über 600 Leute nach
Washington fliegen, oder wie stellen Sie sich das vor?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Super!)






Jan Korte


(A) (C)



(D)(B)

Ein absurder Vorschlag! – Die arbeiten, und Sie blockie-
ren hier, dass gearbeitet werden kann.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Einen dritten Punkt möchte ich noch ansprechen, aus
dem hervorgeht, warum wir heute sofortige Abstim-
mung beantragt haben. Insbesondere vonseiten der
Union ist hier ununterbrochen darauf hingewiesen wor-
den, wie wichtig das transatlantische Verhältnis sei.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist Petra Sitte? Warum darf Frau Sitte nicht reden?)


Dieses Verhältnis ist wichtig; das stimmt. Genauso wich-
tig ist für uns als Linke aber – auch das gehört zum
transatlantischen Verhältnis – die Arbeit von Bürger-
rechtsorganisationen, von kritischen Künstlern, von kri-
tischen Rockmusikern und von den Kollegen im Kon-
gress. Sie haben ein Recht darauf, zu erfahren, was der
Bundestag von diesen ganzen Vorgängen hält. Deswegen
müssen wir als Bundestag heute eine Position finden,
liebe Kolleginnen und Kollegen. Das sollte nicht so
schwer sein.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Am besten fand ich den Vorschlag, die Vorlage an den
sogenannten Hauptausschuss zu überweisen. Das kenne
ich noch aus meiner Zeit in der Kommunalpolitik. Im
Stadtparlament gibt es einen Haupt- bzw. Verwaltungs-
ausschuss. Das kann doch nicht allen Ernstes hier die
Position sein! Dass die SPD das mitträgt, Herr
Oppermann, die hier in Bezug auf die Aufklärung und
die Transparenz bei dieser ganzen NSA-Affäre eben
noch in die Tasten gehauen hat, kann ich nun wirklich
nicht verstehen. Sie haben den Koalitionsvertrag doch
noch gar nicht unterschrieben, und Ihre Mitglieder haben
dem noch gar nicht zugestimmt. Deshalb könnten Sie
hier doch zumindest bis dahin ordentliche parlamenta-
rische Arbeit machen und nicht schon jetzt die große
Blockade durchführen. Es ist doch absurd, als SPD das
mitzutragen, obwohl es die Große Koalition noch gar
nicht gibt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lange Rede, kurzer Sinn: In dem Entschließungsan-
trag von uns Linken, der übrigens, Kollege Uhl, nicht
antiamerikanisch, sondern verantwortlich ist, betrachten
wir die Abkommen, die es gibt. Ein Beispiel ist das Ab-
kommen zum Fluggastdatenaustausch mit den Vereinig-
ten Staaten. Auf unsere Frage, was mit den europäischen
Fluggastdaten, die in den USA gesammelt werden, ei-
gentlich geschieht, kann man doch angesichts der gan-
zen Affären, die jeden Tag neu aufs Tapet kommen,
nicht einfach sagen: Wir stimmen das hier nicht ab, das
interessiert uns nicht, das ist antiamerikanisch. – Die
richtige Antwort wäre, diese ganzen Abkommen auszu-
setzen und neu zu verhandeln. Das ist doch das Min-
deste, was die Menschen erwarten können.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Man könnte hier noch viele Punkte aufzählen. Ich
finde, das ist überhaupt kein gutes Omen für die nächs-
ten vier Jahre. Erstens haben Sie, wie wir eben gesehen
haben, viel zu viel Redezeit,


(Beifall bei der LINKEN)


und zweitens ist das, was Sie sagen, wirklich unerträg-
lich.

Sie können ruhig die Große Koalition bilden – das ist
Ihr gutes Recht –, aber bei so einem Vorgang, der so
viele Menschen umtreibt – die Leute sind verängstigt,
weil sie nicht wissen, was von ihnen gespeichert wird –,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Deswegen haben wir auch debattiert!)


ist es das Mindeste, dass der Bundestag – seit September
diskutieren wir diese Affäre – zumindest einmal Farbe
bekennt und Sie alle sagen, was Sie zu diesen Vorgängen
meinen und ob Sie bereit sind, die notwendigen Schluss-
folgerungen daraus zu ziehen. Sie verweigern sich dem,
und das kritisieren wir aufs Allerschärfste.

Schönen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800208200

Jetzt hat Herr Kollege Oppermann das Wort.


Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1800208300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich ver-

stehe die Aufregung der Kollegen Korte und Haßelmann
überhaupt nicht:


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich nicht! – Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist das Problem!)


Seit Tagen hören wir, dass der Bundestag endlich mit
Ausschussberatungen beginnen soll.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welcher Ausschuss? Ihr seid ja nicht einmal in der Lage, einen Ausschuss zu bilden!)


Wo wir Ihnen heute die Möglichkeit geben, diese An-
träge in einem noch zu bestimmenden Ausschuss zu be-
raten, sind Sie aber auch dagegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Das gibt es doch gar nicht! – Katrin GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welcher Ausschuss? Da müssen wir ja total lachen!)


– Natürlich, aber den wird es ja geben.





Thomas Oppermann


(A) (C)



(D)(B)


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jeder blamiert sich, so gut er kann!)


In der nächsten Sitzung des Bundestages werden wir ei-
nen Ausschuss einsetzen, und dann wird dieser Antrag
dort beraten.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann ist denn die nächste Sitzung? Wer hat denn die Sitzung beantragt? – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So sieht der Minderheitenschutz aus!)


Das ist ja durchaus auch die Chance für Sie, dass aus
den Anträgen noch etwas wird.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Minderheitenschutz!)


Ich finde in den Anträgen berechtigte Punkte, denen ich
zustimmen könnte, ich finde dort Diskussionswürdiges,
aber ich finde dort auch falsche Punkte.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Ihre Attitüde ist jetzt schon super!)


Die Ausschussberatung ist doch die Chance, dass wir die
Spreu vom Weizen trennen,


(Lachen der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


dass Sie Ihre Argumente noch einmal nachschärfen und
dass wir am Ende möglicherweise sogar zu einem ge-
meinsamen Ergebnis kommen.


(Zurufe von der LINKEN – Katrin GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welcher Ausschuss?)


Ich will bei dieser Gelegenheit auch sagen, dass ich
noch in dieser Woche zusammen mit dem Kollegen
Grosse-Brömer und den Vertretern der Grünen und der
Linken ins Gespräch darüber kommen will, wie wir das
Parlamentarische Kontrollgremium aufstellen, welchen
Zuschnitt es haben soll und welche Instrumente ihm zur
Verfügung stehen sollen.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Oppermann, das ist peinlich, so peinlich! Wann ist die Sitzung, Herr Oppermann? Wann ist denn die nächste Sitzung?)


Das kann relativ schnell geschehen, und dann können
wir das alles auf den Weg bringen.

Es wird also in der nächsten Sitzung


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wir beantragt haben, Herr Oppermann! Oder?)


der Vorschlag von der Union und von der SPD kommen,
einen Hauptausschuss einzurichten.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann könnt ihr auch überweisen, wenn es einen gibt!)

Dieser Hauptausschuss kann Beratungen und Anhörun-
gen durchführen und parlamentarisch sachgerecht arbei-
ten. Das ist natürlich viel mehr wert als Sofortentschei-
dungen ohne die handwerkliche Arbeit im Ausschuss;
diese sollte man nicht geringschätzen.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Ausschuss gibt es doch gar nicht! Wo ist denn der Ausschuss?)


Deshalb möchte ich Sie jetzt bei Ihrem eigenen Wort
nehmen. Eine Ausschussberatung ist bei diesen Anträ-
gen in der Sache genau angemessen.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800208400

Gibt es weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der

Fall.

Dann kommen wir jetzt zu den Abstimmungen. Wer
stimmt für die beantragten Überweisungen? –


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht gar nicht! Man kann nicht für etwas stimmen, was es nicht gibt! – Zuruf von der LINKEN: Wohin denn überweisen?)


Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit sind die
Überweisungen beschlossen


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wohin denn?)


mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. In
der Sache stimmen wir damit heute nicht ab.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Zusatz-
punkt 1 auf:

Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE

Einsetzung von Ausschüssen

– Drucksache 18/54 –

Eine Aussprache ist dazu nicht vorgesehen.

Daher kommen wir gleich zur Abstimmung über den
Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/54.
Wer stimmt für diesen Antrag? – Das ist die Linke. Wer
stimmt dagegen? – Die SPD-Fraktion und die CDU/
CSU-Fraktion. Wer enthält sich? – Das ist die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist der Antrag mit den
Stimmen der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion abge-
lehnt.

Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:

Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE

Bestimmung des Verfahrens für die Berech-
nung der Stellenanteile der Fraktionen

– Drucksache 18/53 –

Aufgrund der soeben erfolgten Ablehnung des An-
trags auf Einsetzung von Ausschüssen hat die Fraktion





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Die Linke als Antragsteller erklärt, ihren Antrag zur Be-
stimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stel-
lenanteile der Fraktionen zurückzuziehen.


(Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE] meldet sich zu Wort)


Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Der Termin
für die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages wird
Ihnen – –


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein, nein, nein!)


– Frau Sitte.


Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1800208500

Frau Präsidentin, ich hatte bereits zu Beginn der Sit-

zung angekündigt, dass ich gerne eine Erklärung zum
Abstimmungsverhalten abgeben möchte.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Zu welchem Abstimmungsverhalten?)


Diese Gelegenheit möchte ich jetzt gemäß § 31 unserer
Geschäftsordnung wahrnehmen.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800208600

Das ist selbstverständlich Ihr Recht.


Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1800208700

Danke. – Ich möchte gerne etwas zu den Abstimmun-

gen sagen, die eben im Bundestag durchgeführt wurden.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das geht doch gar nicht!)


Sie wissen so gut wie ich, dass in den letzten Tagen zahl-
reiche Forderungen erhoben wurden, die insbesondere
auch in den Medien reflektiert worden sind, dass der
Bundestag endlich liefern muss. Er tut das nämlich zur-
zeit nicht. Wir haben es gerade erlebt. Niemand Geringe-
rer als der Bundestagspräsident selbst hat es in seiner
Antrittsrede klargestellt – ich zitiere –:

Und selbstverständlich bedarf eine geschäftsfüh-
rend amtierende Bundesregierung nicht weniger
parlamentarischer Kontrolle als eine neu gewählte.


(Beifall bei der LINKEN)


Und weiter in seiner Rede:

Niemand wird deshalb ernsthaft erwarten dürfen,
dass der Bundestag seine Arbeit erst nach Ab-
schluss der Koalitionsverhandlungen aufnehmen
wird.

Die Linke sieht das genauso. Deshalb haben wir den An-
trag gestellt, und deshalb ist uns Ihr Verhalten völlig un-
verständlich.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Übrigen: Wer kritisiert, welche Anträge wir ge-
stellt haben, dem sage ich: Das Grundgesetz steht sicher-
lich nicht im Verdacht, willkürlich zu sein. Wir haben
uns nämlich in unseren Anträgen im Wesentlichen am
Grundgesetz orientiert.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir fordern die Einsetzung des Petitionsausschusses,
weil es derzeit ungefähr 1 000 Petitionen gibt, die im
Bundestag nicht bearbeitet werden.

Wir fordern die Einsetzung des Innenausschusses und
des Auswärtigen Ausschusses, weil eben, wie gerade
deutlich geworden ist, die NSA-Affäre dort nicht beraten
werden kann.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir haben doch gerade die Aussprache nicht zugelassen! Das ist unmöglich!)


Der US-Kongress tagt dazu permanent. Das Europapar-
lament hat bereits zehn Anhörungen zu dieser Problema-
tik durchgeführt.

Wir beantragen weiterhin die Einsetzung des Verteidi-
gungsausschusses, weil Auslandseinsätze einer Parla-
mentsarmee eben auch einer parlamentarischen Beglei-
tung bedürfen. Zudem steht die Verlängerung von
Auslandseinsätzen an. Sie haben das selbst konstatiert.
Natürlich braucht man zeitnahe Informationen über den
Verlauf und über Probleme von Auslandseinsätzen.

Schließlich haben wir die Einsetzung des Haushalts-
ausschusses, des Finanzausschusses und des Rechtsaus-
schusses beantragt. Das sind übrigens alles Ausschüsse,
die es etwa seit der dritten Wahlperiode in völlig unver-
änderter Form und in diesem Zuschnitt gibt. Es sind
doch Gesetzentwürfe aus dem Bundesrat zu behandeln,
beispielsweise zur Kita, beispielsweise zur Schließung
von Steuerschlupflöchern.

Natürlich bringen auch wir Linke parlamentarische
Initiativen ein, zu denen sich der Bundestag verhalten
muss. Das betrifft die Gesetzentwürfe zur Stabilisierung
des Rentenbeitrags, die zu erwarten sind. Es geht aber
auch um die Frage des Mindestlohns oder die Verbesse-
rung von Erwerbsminderungsrenten. Zu klären sind auch
die Fragen der Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Le-
benspartnerschaften, der Abschaffung des Betreuungs-
geldes oder auch der Abschaffung sachgrundloser Be-
fristungen von Arbeitsverträgen.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Zu was reden Sie jetzt eigentlich? Was ist das für eine Erklärung?)


Das alles sind brennende Themen. Meine Fraktion und
ich haben überhaupt keine Lust, auf Ihre Diätkost aus
der Koalitionsvereinbarung einer Großen Koalition zu
warten.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Auf Ihre Lust kommt es nicht an!)


Wir wollen auch an dieser Stelle unsere Forderungen in
den Bundestag einbringen und seriös behandelt wissen.


(Beifall bei der LINKEN)


Nun zu Ihrem tollen Hauptausschuss. Wissen Sie ei-
gentlich, was dieser Hauptausschuss ist? Es ist ein





Dr. Petra Sitte


(A) (C)



(B)

Hauptausschuss nach dem Prinzip „Hauptsache weg“.
Darauf kommen Sie doch nie wieder zurück; das ist doch
völlig klar.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt ist mal gut! Sie können nach § 31 vor der Abstimmung reden, aber nicht hinterher!)


– Ich hätte sehr gerne vor der Abstimmung geredet, Herr
Kauder. Aber das wollte Ihre Fraktion nicht. Das ist übri-
gens auch ein Beispiel dafür, warum Minderheitenrechte
in diesem Hause anders geregelt werden müssen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist Quatsch! Sie können nicht einen Antrag nach § 31 stellen! Der ist rechtswidrig!)


Sie können uns doch als so pfundige Fraktion, die Sie
sind, nicht ernsthaft erklären, dass Sie nicht in der Lage
sind, diese Ausschüsse einzusetzen und Abgeordnete zu
mobilisieren, die in diesen Ausschüssen arbeiten.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt ist mal gut! Sie reden länger als bei einer normalen Rede!)


Sie wollen in Zukunft regieren. Dann werden Sie wohl
die Besetzung der Ausschüsse hinbekommen. Mithin
verhandeln wohl nicht alle Ihre Abgeordneten in den
Koalitionsgruppen.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das müssen Sie schon uns überlassen!)


So weit von meiner Seite zu diesen Fragen.

Ich will es noch einmal deutlich machen: Die letzte
Fraktion, die hier in diesem Haus nicht geliefert hat,
wurde durch Wahlentscheidungen ausgesteuert. Die Ab-
geordneten dieser Fraktion haben ihre Plätze hier verlo-
ren. Ich finde, das sollte diesem Haus eine ernste War-
nung sein.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Ein eindeutiger Missbrauch!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1800208800

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind jetzt am

Schluss der Debatte.

Der Termin für die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages wird Ihnen rechtzeitig bekannt gegeben.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend oder eine
gute Rückfahrt in Ihren Wahlkreis.

Die Sitzung ist geschlossen.