Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebeKolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.Bevor wir mit unserer Arbeit beginnen, darf ich Siebitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.
Am vergangenen Freitag, dem 23. November 2001, istDr. Gerhard Stoltenberg im Alter von 73 Jahren gestor-ben. Wir wollen eines Politikers gedenken, der über40 Jahre die Politik unseres Landes auf Bundes- undLandesebene maßgeblich mitgestaltete. In seinem langenpolitischen Leben übernahm er Aufgaben in sehr ver-schiedenen Feldern der Politik. Er hat das Ansehen derjungen Bundesrepublik und nachhaltig das des verei-nigten Deutschlands geprägt.Nach dreijähriger Zugehörigkeit zum Schleswig-Hol-steinischen Landtag errang Dr. Stoltenberg 1957 sein ers-tes Bundestagsmandat. 1965 übernahm er als jüngsterBundesminister im Kabinett von Bundeskanzler Erharddas Ressort für Wissenschaft und Forschung, das er auchvon 1966 bis 1969 im Kabinett von BundeskanzlerKiesinger innehatte. Nach seiner mehr als zehnjährigenAmtszeit als Ministerpräsident von Schleswig-Holsteingehörte er bis zum Jahre 1998 wieder dem Bundestag an.Von 1982 bis 1989 war er Finanzminister und von 1989bis 1992 Verteidigungsminister.Er prägte für die Öffentlichkeit das Bild von dem Nord-deutschen, der zurückhaltend, mitunter kühl, aber immerengagiert seine Aufgaben erfüllte. Persönliches Empfin-den, Verletzungen, politische Niederlagen, auch seineschwere Krankheit ordnete er seiner Privatsphäre zu, dieer konsequent von seinem öffentlichen Leben getrennthielt.Wir trauern um einen großen Politiker und sprechenseiner Familie unser tiefes Mitgefühl aus. Wir werden ihnin ehrender Erinnerung behalten.Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von IhrenPlätzen erhoben; ich danke Ihnen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte I a und I b auf:a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Fest-stellung des Bundeshaushaltsplans für das Haus-haltsjahr 2002
– Drucksachen 14/6800, 14/7537 –
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Haushaltsausschusses zuder Unterrichtung durch die BundesregierungFinanzplan des Bundes 2001 bis 2005– Drucksachen 14/6801, 14/7324, 14/7538 –Berichterstattung:Abgeordnete Dietrich AustermannHans Georg WagnerOswald MetzgerJürgen KoppelinDr. Christa LuftWir beginnen mit drei Einzelplänen, zu denen keineAussprache vorgesehen ist.Ich rufe Tagesordnungspunkt I. 1 auf:Einzelplan 01Bundespräsident und Bundespräsidialamt– Drucksachen 14/7301, 14/7321 –Berichterstattung:Abgeordnete Adolf Roth
Ewald SchurerAntje HermenauDr. Werner HoyerDr. Christa LuftWer stimmt für den Einzelplan 01 in der Ausschuss-fassung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – DerEinzelplan 01 ist einstimmig angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt I. 2 auf:Einzelplan 02Deutscher Bundestag– Drucksachen 14/7302, 14/7321 –19917
203. SitzungBerlin, Dienstag, den 27. November 2001Beginn: 11.00 UhrBerichterstattung:Abgeordnete Dr. Rolf NieseJochen BorchertAntje HermenauJürgen KoppelinDr. Barbara HöllWer stimmt für den Einzelplan 02 in der Ausschuss-fassung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Auch dieserEinzelplan ist einstimmig angenommen.Ich rufe nun Tagesordnungspunkt I. 3 auf:Einzelplan 03Bundesrat– Drucksachen 14/7303, 14/7321–Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Rolf NieseAlbrecht FeibelAntje HermenauJürgen KoppelinHeidemarie EhlertWer stimmt für den Einzelplan 03 in der Ausschuss-fassung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Auch dieser Einzelplan ist einstimmig angenommen.Ich rufe sodann die Tagesordnungspunkte I. 4 bis I. 7auf:I. 4 Einzelplan 08Bundesministerium der Finanzen– Drucksachen 14/7308, 14/7321 –Berichterstattung:Abgeordnete Susanne JaffkeManfred HampelHans-Eberhard UrbaniakAntje HermenauOswald MetzgerDr. Günter RexrodtDr. Uwe-Jens RösselDr. Christa LuftI. 5 Einzelplan 32Bundesschuld– Drucksache 14/7319 –Berichterstattung:Abgeordnete Hans Jochen HenkeHans Georg WagnerOswald MetzgerDr. Werner HoyerDr. Uwe-Jens RösselI. 6 Einzelplan 60Allgemeine Finanzverwaltung– Drucksache 14/7320 –Berichterstattung:Abgeordnete Hans Jochen HenkeHans Georg WagnerOswald MetzgerDr. Werner HoyerDr. Uwe-Jens RösselI. 7 Einzelplan 20Bundesrechnungshof– Drucksache 14/7321 –Berichterstattung:Abgeordnete Ewald SchurerJosef HollerithOswald MetzgerDr. Werner HoyerHeidemarie EhlertZu Einzelplan 60 liegen ein Änderungsantrag und einEntschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor.Über den Entschließungsantrag werden wir am kommen-den Freitag abstimmen.Weiterhin liegen drei Änderungsanträge der Fraktionder PDS vor. Über einen dieser Änderungsanträge werdenwir namentlich abstimmen.Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte I. 8 bisI. 10 auf:I. 8 Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Bekämpfung von Steuerverkürzungen bei der
– Drucksachen 14/6883, 4/7085 –
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-ausschusses
– Drucksachen 14/7470, 14/7471 –Berichterstattung:Abgeordnete Lydia WestrichHansgeorg Hauser
Gerhard SchüßlerHeidemarie Ehlert
– Drucksache 14/7536 –Berichterstattung:Abgeordnete Hans Jochen HenkeHans Georg WagnerOswald MetzgerDr. Werner HoyerDr. Uwe-Jens RösselI. 9 Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungBericht der Bundesregierung über die Entwick-lung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuer-vergünstigungen gemäß § 12 des Gesetzes zur För-derung der Stabilität und des Wachstums derWirtschaft vom 8. Juni 1967 für die Jahre1999 bis 2002
– Drucksache 14/6748 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss
FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
Vizepräsidentin Anke Fuchs19918
I. 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Haushaltsausschusses
zu dem Antrag der Abgeordneten DietrichAustermann, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, PaulBreuer, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSUNachtragshaushalt zurKorrektur derEntwick-lung der Bundesfinanzen vorlegen– Drucksachen 14/5449, 14/6339 –Berichterstattung:Abgeordnete Hans Georg WagnerDietrich AustermannOswald MetzgerJürgen KoppelinDr. Uwe-Jens RösselZum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz liegt je einEntschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, derFDP und der PDS vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dieAussprache dreieinhalb Stunden vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demKollegen Dietrich Austermann für die CDU/CSU-Frak-tion.
Frau Präsiden-tin! Meine Damen und Herren! Die Haushaltsberatung inzweiter Lesung – die letzte unter einer rot-grünen Bun-desregierung –
muss zu unserem Bedauern mit folgender Feststellungbeginnen: Deutschland befindet sich in einer Rezes-sion und die ist hausgemacht. Die rot-grüne Bundes-regierung und ihr Finanzminister haben erheblichen An-teil daran.
Wir haben bereits vor einem Jahr auf dunkle Wolkenam Konjunkturhimmel und auf rezessive Tendenzen hin-gewiesen. Unsere frühere Forderung nach einem Nach-tragshaushalt, die wir bereits im März dieses Jahres er-hoben haben, wurde genauso abgetan wie der Hinweisauf sich abzeichnende Löcher in den Haushalten 2001und 2002. Zuerst wurde die Realität geleugnet. Dannwurde von einem bescheidenen Wachstum – immerhin –geredet. Dann wurde daraus eine schwarze Null unddann eine rote Null. Dann wurde von Minuswachstumund Stagnation gesprochen. Schließlich gab man zu,dass man am Rand einer Rezession stehe. All dies wurdein mehreren Etappen im Verlauf der letzten Monate zu-gegeben, und zwar vor dem 11. September. Aufwärts ge-hen aber nur die Arbeitslosenzahlen, die Sozialabgaben,die Schulden, die Zahl der Pleiten, die Energiepreise unddie Steuern. Die rot-grüne Bundesregierung hat bei derWirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Finanzpolitik total ver-sagt.
Das Bemerkenswerte an dieser Aufzählung ist, wieviele Vokabeln es für das wirtschaftliche Versagen vonRot-Grün gibt. Wenn man sich jede dieser Vokabeln ein-zeln auf der Zunge zergehen lässt, dann stellt man fest:Wir befinden uns – das erfüllt uns überhaupt nicht mit Ge-nugtuung – in einer Rezession.Die Haushaltsberatungen haben den wirtschaftlichenNiedergang in letzer Minute nachvollziehen müssen.Kreatives Gegensteuern ist ausgeblieben. Die Bundes-regierung hat die Hände in den Schoß gelegt. Bis dahinwurde die Kenntnisnahme der Realität verweigert. Sie be-finden sich gewissermaßen in einem Spagat zwischenRealitätsverweigerung und Zweckoptimismus. Ich nennedas Finanzautismus.
Meine Damen und Herren, es ist falsch, wenn be-hauptet wird, die Wachstumsschwäche Deutschlands seidurch die Weltwirtschaft, insbesondere die Rezession inAmerika, verursacht worden. So unberechtigt die dreisteAussage des Kanzlerkandidaten Schröder im Mai 1998war: „Dies ist mein Aufschwung“, so zutreffend ist heutedie Feststellung, dass die Rezession 2001/2002 hausge-macht ist und Schröders Abschwung darstellt. „Schröderist der Kanzler des Abschwungs.“
Dies schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ bereits am 7. No-vember dieses Jahres.Der Abschwung wurde im Wesentlichen durch einefalsche, verpennte und rechthaberische Politik dieserBundesregierung verursacht. Die letzten Zahlen bewei-sen, dass die Binnenwirtschaft schwächer als der Exportist. Ohne den Außenbeitrag ginge es der deutschen Wirt-schaft noch schlechter. Das Minus läge nicht bei 0,3 Pro-zent, sondern bei 1,2 Prozent und wäre damit viermalhöher.Der Bundesfinanzminister fordert nun von den Unter-nehmen und Bürgern Vertrauen, Investitionen und Kon-sum. Um seine Nettokreditaufnahme um jeden Preis zuverteidigen, sitzt er bei beschlossenen Investitionen aberlängst im Bremserhäuschen. Ich sage es ganz konkret:Herr Eichel, Sie sind für den Wegfall von 100 000 Ar-beitsplätzen auf dem Bau persönlich verantwortlich. DerBahn-Vorstand hat in einem internen Vermerk festgehal-ten, dass das Bundesfinanzministerium über Monate Ver-einbarungen verschleppt und die vollständige Verplanungder Mittel, die die Bahn einsetzen wollte, verweigert hat.Das Ergebnis: Bei der Deutschen Bahn AG konntenbis Mitte November Bundesmittel in Höhe von 5 Milli-arden DM nicht ausgegeben werden. Beim Straßenbausind es 2,7 Milliarden DM. Im sozialen Wohnungsbausind es 30 Prozent der Bundesmittel, bei Investitionen inGesundheit und Sport 50 Prozent, bei der Landwirtschaftgar 60 Prozent. Das ist eine Statistik Ihres Hauses, diedeutlich macht, dass Sie die Investitionen bewusstzurückhalten und damit die Arbeitslosigkeit steigern, nurum die Nettokreditaufnahme in Grenzen zu halten.
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Das Ganze haben Sie vor einem Jahr als „Zukunftspro-gramm“ gefeiert und sich dafür auf die Schultern ge-klopft.Ich zitiere aus einem Vermerk der Bahn:Alle wesentlichen Finanzierungsvereinbarungenfür das Jahr 2001 waren im Dezember mit demBMVBW einvernehmlich ausgehandelt, aber nochnicht vom Bund unterzeichnet. Die Unterzeichnungdurch den Bund erfolgte teils im Februar, teils später.Dadurch entstandene Verzögerungen erwiesen sichals nicht einholbar. Einzelfinanzierungsvereinbarun-gen wurden teilweise bis Ende April mit der Begrün-dung nicht unterzeichnet, die bereits gezeichnetenVereinbarungen schöpften das Fördervolumen desBundes aus.
– „Einzelfinanzierungsvereinbarungen“ mit der Bahn„wurden teilweise bis Ende April mit der Begründungnicht unterzeichnet, die bereits gezeichnetenVereinbarun-gen schöpften das Fördervolumen des Bundes aus“. Dasheißt,manhat derBahngesagt:Bitte gebt dasGeld, daswirbereitgestellt haben, nicht aus; ihr dürft es gar nicht ausge-ben. Heute aber wirft man der Bahn vor, sie sei mit ihrenInvestitionen nicht schnell genug, daher braucheman auchkeine zusätzlichen Mittel zur Verfügung zu stellen.
Anstatt die Mittel, die die Bahn nicht ausgeben darf, fürden Straßenbau zur Verfügung zu stellen, wie es CDUund CSU wiederholt gefordert haben, sollen sie verfallen.Das ist ökonomisch falsch und schadet dem Wachstum.Außerdem vernichten Sie mit dieser Politik Arbeitsplätze.
Sie versuchen damit, die Neuverschuldung im Plan zuhalten, verschärfen aber die Problematik nach Art. 115 desGrundgesetzes, der den Abstand zwischen Investitionenund Neuverschuldung beschreibt. Schon in diesem Jahr– so behaupten wir – werden Sie Probleme mit dieser Ver-fassungsgrenze haben. Auch reicht die Kreditermäch-tigung im Haushalt ohne Zustimmung des Haushaltsaus-schusses nicht aus.Meine Damen und Herren, zehn Monate vor der nächs-ten Bundestagswahl ist es angemessen, neben der Detail-betrachtung eine Bilanz rot-grüner Haushaltspolitik vor-zunehmen: Das Wachstum ist eingebrochen, der Geldwertdes Euro ist um 25 Prozent gesunken, aus sinkender Ar-beitslosigkeit wurde trotz Aufblähung der Mittel für denzweiten Arbeitsmarkt – lassen Sie sich nichts vormachen:Die Mittel für den zweiten Arbeitsmarkt waren nicht1998, sondern 2001 höher denn je – eine steigende Ar-beitslosigkeit. Die Sozialabgaben klettern, die Zahl derPleiten hat zugenommen, die Energiepreise wurden nachoben „gezwiebelt“, Investitionen wurden gedrosselt, Hil-fen für Mittelstand, neue Länder und Landwirtschaftgekürzt. Die Ausgaben für Forschung und Technologieliegen in der Summe unter denen des Jahres 1998.
Die Rentenerhöhungen liegen unter der Inflationsrate.Wenn der Rentenminister sagt,
im nächsten Jahr gebe es 2 Prozent mehr, und dabei tut,als sei er der Weihnachtsmann und verschenke an dieserStelle etwas, dann beschreibt das eigentlich nur, dass ersich an das Gesetz halten muss, das die Rentenerhöhun-gen des nächsten Jahres an die Nettolohnentwicklung desVorjahres koppelt. Das ist also ebenfalls kein Verdienst.
Die Rentenerhöhungen liegen seit zwei Jahren unterder Inflationsrate. Bei den Krankenkassen muss überBundeszuschüsse geredet werden. Die Steuerquote steigtwie die Ausgaben des Bundes und die Schulden. DieMenschen müssen heute länger im Jahr für den Staat ar-beiten; ihnen verbleibt weniger als 1998. Die Gemeinde-haushalte entwickeln sich katastrophal, was die Investi-tionen noch einmal kräftig dezimiert.Schuld ist eine ignorante Politik, die Arbeitnehmer undBetriebe spüren, die ihnen die Eigenverantwortung nimmtund sie wegen dieser Entwicklung mit Sorge erfüllenmuss. Das Gespenst der Arbeitslosigkeit ist in den letz-ten drei Jahren größer geworden.
Das alles ist unter der Überschrift „Sparpolitik“ vomSPD-Parteitag ein bisschen kritisiert und dann abgenicktworden. Nur der DGB-Vorsitzende sprach von einemSkandal, als er die 4 Millionen Arbeitslosen erwähnte.SPD-Kollege Schreiner sprach vom Ende eines Wahlver-sprechens. Lafontaine – die Älteren werden sich noch anihn erinnern;
das war 1998 der Hintermann auf dem Tandem – sagte vornicht einmal vier Wochen:Unter der SPD geht es Arbeitern und Rentnernschlechter.
– Wo er Recht hat, hat er Recht. Wenn wir das sagten, dannwürde das wohl angezweifelt werden.
Der Bundesfinanzminister ist mit den Vokabeln Kon-solidierung, Generationengerechtigkeit und Nachhaltig-keit angetreten. Die Bundesregierung sagt, sie wolleDeutschland modernisieren und die Lebensgrundlagender jungen Generation bewahren.Herr Finanzminister, auf meine Frage, wie Sie dennKonsolidierung eigentlich messen wollen, haben Sie imAusschuss einen Vergleich zwischen der Summe aus derNeuverschuldung 1998 und den Privatisierungserlösenauf der einen Seite und den entsprechenden Zahlen für
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dieses Jahr auf der anderen Seite gezogen. Ich will dieseBerechnung heute nachvollziehen.In den vier Jahren von 1995 bis 1998 wurde „Tafelsil-ber“, wie Sie das damals nannten, also Bundesvermögen,im Wert von 27,8 Milliarden DM veräußert. Von 1999 bis2002 werden es nach Ihren Plänen 66,6 Milliarden DMsein. Diese Mittel sollen zur Stopfung von Haushalts-löchern dienen. Nimmt man die UMTS-Milliarden hinzu,die Sie ja hinsichtlich der Zinszahlungen entlasten, wer-den es gar 165 Milliarden DM sein. Das sind Privati-sierungserlöse, die Sie brauchen, um Ihren Haushalt aus-zugleichen. Das heißt doch, dass Sie durch diePrivatisierung mit der Brechstange immer mehr Vermö-gen der Bürger für Konsum verfrühstücken. Das ist keineKonsolidierungspolitik.
Sie schwimmen durch gewaltige ererbte Privatisie-rungserlöse im Geld – Sie müssten sich eigentlich jedenTag bei Theo Waigel dafür bedanken, dass er die Privati-sierung möglich gemacht hat –, senken die Neuverschul-dung aber nur minimal ab. Die Gesamtschuldenlast steigt.Ein kümmerliches Ergebnis. „Hans im Glück“ hat auseinem von Theo Waigel ererbten Goldklumpen der Priva-tisierungschancen
einen Haufen Schulden gemacht.
Um die Ausgabenlast und -steigerung zu kaschieren,macht man Ausgaben zu negativen Einnahmen undnimmt im Übrigen bei der KfW, bei der Treuhandanstaltund bei der Post Zuflucht zu Schattenhaushalten und zugewaltigen Zuflussvermerken. Die Mittel für die Finanz-hilfen Ost werden ausgabeseitig ganz aus dem Haushaltherausgenommen und auf der Seite der Steuereinnahmendes Bundes und der Länder abgezogen. Das Ausgabenvo-lumen müsste also um insgesamt 6,6 Milliarden DMhöher sein. Weil Sie das wissen, kündigen Sie bereitsheute ein zweites Sparprogramm an, natürlich für die Zeitnach der Bundestagswahl. Herr Eichel, die Bürger werdendafür sorgen, dass Sie es nicht zu vollziehen brauchen.
Trotz der Wachstumsschwäche wird der Bund imnächsten Jahr nach Ihrer Betrachtung fast 50 Milliar-den DM mehr Steuern einnehmen als 1998. Aber nur einBruchteil dieses Betrages, bestenfalls etwa 10 Milliar-den DM, werden wirklich zur Reduzierung der Nettokre-ditaufnahme verwandt. 41,5 Milliarden DM neue Schul-den sind 2002 erforderlich, um für 48,8 Milliarden DMInvestitionen zu tätigen. Ist das Konsolidierung?Von 1999 bis 2002 tilgen Sie zwar 100 Milliarden DMdurch die UMTS-Erlöse, machen aber gleichzeitig183 Milliarden DM neue Schulden. Ist das Sparpolitik?
Statt die notwendige Reform der Alterssicherung inAngriff zu nehmen, haben Sie über die so genannte Öko-steuer einfach mehr Geld in die Rentenversicherung ge-pumpt und den Bürger dafür bezahlen lassen.Wie Sie mit den Rentnern umgehen, zeigt ein Gesetz-entwurf, den wir heute im Haushaltsausschuss erörterthaben. Der Rechnungshof, vor einer halben Stunde zudiesem Vorgang befragt, hat eher davon abgeraten, die-sem Gesetzentwurf zuzustimmen. Der Gesetzentwurfsoll den Griff des Arbeitsministers in die Rentenkasse er-lauben, um eine Beitragserhöhung um 0,3 Punkte, diesonst fällig wäre, zu vermeiden und den Haushalt zu ent-lasten.Ich darf das einmal vorlesen, weil die Bundestags-drucksache 14/7284 die ganze Situation sowie auch dasVorgehen dieser Bundesregierung und dieses Finanz-ministers beschreibt:Durch ein Absenken der Mindestschwankungsre-serve um 20 vom Hundert einer Monatsausgabe wirdein Anstieg des Beitragssatzes um drei Zehntel Pro-zentpunkte verhindert.Mit anderen Worten: Wenn man nicht in die Schwan-kungsreserve eingriffe, müsste der Rentenbeitrag steigen.Der Bund wird durch diese Maßnahme im Jahr 2002um etwa 0,5 Mrd. Euro beim allgemeinen Bundes-zuschuss sowie von rund 0,2 Mrd. Euro bei denBeiträgen für Kindererziehungszeiten entlastet.Also, um 0,7 Milliarden Euro, 1,4 Milliarden DM, wirdder Bundeshaushalt entlastet, weil der Arbeits- und So-zialminister in die Rentenkasse greift.
Sie schaffen dadurch eine etwas bessere Situation. Ist dasKonsolidierungspolitik? Ist das Sparpolitik? Ist das ver-antwortliche Sozialpolitik? Wir sagen eindeutig: nein.
Wir könnten uns jetzt lange über das Sparpaket unter-halten, das Sie im Jahr 1999 verabschiedet haben und dasim Wesentlichen darin bestand, Lasten auf die Länder,Gemeinden und Sozialversicherungen zu verschieben.Dadurch haben Sie das Maastricht-Problem natürlichnicht gelöst. Wenn Sie die Schulden nicht machen, müs-sen andere Schulden machen und das ändert dann an dergesamtstaatlichen Verschuldung überhaupt nichts. Auchdas ist keine Konsolidierung. Das ist nicht nachhaltig. Dasist allenfalls eine nachhaltige Verschiebung des Reform-drucks.Auch bei dem groß gefeierten Solidarpakt II, der miteiner Tilgungsaussetzung beginnt, haben Sie eine Lasten-verschiebung in die Zukunft, auf die nächste Generation,vorgenommen, was Sie früher selbst kritisiert haben.
Die Post soll in einer Art Panikaktion beschleunigtprivatisiert werden, und zwar zu schlechteren Kursen, alsdem Ausgabewert der Aktien entspricht. Die Einnahmenaus der Privatisierung waren ursprünglich dafür gedacht,die Altersversorgung der ehemaligen Postbediensteten
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abzusichern. Wir müssen davon ausgehen, dass die Mitteldafür in nächster Zeit nicht ausreichen werden. Das heißt,dass Sie auch diese Belastung auf künftige Generationenverschieben.Meine Damen und Herren, der Investitionsanteil desHaushalts sinkt auf ein historisches Tief. Auch das istnicht nachhaltig; denn schnelle Investitionen sind preis-werte Investitionen. Je mehr man das Ganze streckt undschiebt, umso teurer wird es. Auch dies ist also keinenachhaltige Politik.Die Steuerreform muss mit der gleichen Elle gemessenwerden. Die Salamireform hat nicht zu einer signifikan-ten Senkung der Steuerbelastung der normalen Arbeit-nehmer und des Mittelstands geführt. Wenn Sie damitkokettieren, dass Sie das Kindergeld ab 1. Januar er-höhen, dann sage ich: Dieser Entlastung steht aber die Tat-sache gegenüber, dass die Zahl der Kinder in Deutschlandin den letzten Jahren um 300 000 gesunken ist, was Ihnendiese Ausgabe erleichtert. Außerdem reicht das höhereKindergeld nicht aus, um die zusätzlichen Belastungenauszugleichen, die die Familien aus allein vier neuenSteuern, die am 1. Januar in Kraft treten, haben, nämlichdie nächste Stufe der Ökosteuer, Versicherungsteuer, Ta-baksteuer und Bauabzugsteuer, eine Steuer, die bishernoch niemand so richtig in ihrer belastenden Wirkung er-kannt hat.
Auch das ist keine nachhaltige Politik.Die rot-grüne Steuerreform entpuppt sich als weitereVerkomplizierung des Steuerrechts, schamloses Abkas-sieren des Mittelstands und der Leistungsträger der Ge-sellschaft.
Vor der Wahl hat die damalige Opposition angekün-digt, sie würde die Ausgaben für Forschung und Bildungverdoppeln. Sie wurden vorhin unruhig, als ich gesagthabe:
Die Ausgaben für Forschung und Technologie sind imnächsten Jahr real niedriger als vor der Bundestagswahl.Dies kann man anhand konkreter Zahlen ganz eindeutigbelegen.Das Gleiche gilt natürlich auch für das BAföG. Vorkurzem wurde eine große Reform verkündet. Ergebnis ist,dass heute weniger Geld im Haushalt zur Verfügung stehtund im nächsten Jahr noch weniger Geld für BAföGausgegeben wird. Ist das Politik für die Zukunft?Ich habe den Eindruck, dass die Bundesregierung dieÖffentlichkeit im Hinblick auf die Leistungen des Bundesfür die neuen Länder hinters Licht führt. Bis 1998 wurdejedes Jahr in tabellarischen Aufstellungen festgehalten,welche Mittel in die neuen Bundesländer fließen. DerBundesfinanzminister hat dem Kollegen Luther vor kur-zem mitgeteilt, diese Listen würden nicht mehr weiterge-führt. Man fragt sich, warum denn wohl. Wahrscheinlichwäre es zu blamabel, wenn offensichtlich würde, welcheEinschnitte bei der Mittelstandsförderung in den neuenLändern, bei der Forschungsförderung und bei der Ge-meinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Wirtschafts-struktur vorgenommen werden.Der Bundeskanzler hat gesagt, er werde sich „jeder-zeit“ an der Zahl der Arbeitslosen messen lassen. Der alteZirkusgaul hat sich vergaloppiert, als er behauptet hat, dieZahl der Arbeitslosen werde in Richtung 3 Millionen sin-ken. Die Betrachtung der manipulierten Statistik und derdemographischen Entwicklung zeigt, dass auf diesemGebiet das entscheidende Versagen der rot-grünen Bun-desregierung liegt.
Die Arbeitslosigkeit steigt. Senkung der Zahl der Arbeits-losen heißt offensichtlich nur, dass diese Zahl nicht zusehr steigt. Diese Zahl steigt aber; sie liegt alsbald beiüber 4 Millionen. Man fragt so ganz diskret: Was ist ei-gentlich aus der Faulenzerdebatte geworden, die der Bun-deskanzler einmal losgetreten hat?
Der Sachverständigenrat stellt zu Recht fest, dass dieBundesregierung drei der vier Ziele des Stabilitäts- undWachstumsgesetzes verfehlt hat. Statt Wachstum gibt esRezession, statt Vollbeschäftigung mehr Arbeitslose undstatt eines ausgeglichenen Haushalts geht der Marsch indie Verschuldung ungebremst weiter.
Man betrachte die Entwicklung der konkreten, absolutenZahlen.Dieser Haushalt ist auch deshalb nicht geeignet, dieSituation zu verbessern, weil Sie falsche Daten zugrundelegen. Sie gehen für das nächste Jahr immer noch voneinem Wachstum von 1,25 Prozent, von einer Zunahmeder Beschäftigung und von Lohnzuwächsen von 2,75 Pro-zent aus. Diese Rechnung kann nicht aufgehen. Das be-deutet im Ergebnis, dass Sie auch im Jahre 2002 an dieMaastricht-Kriterien gewissermaßen heranschrammenund wahrscheinlich die in Art. 115 des Grundgesetzesfestgelegte Grenze streifen werden. Ich fordere Sie auf,spätestens bei der Vorlage des Jahreswirtschaftsberichtsim Januar nächsten Jahres – es sollte nicht wieder nur eineMärchenstunde werden – die Störung des gesamtwirt-schaftlichen Gleichgewichts zu erklären, damit Sie in derRealität keinen verfassungswidrigen Haushalt abwickelnmüssen.
Wir haben beantragt, die Nettokreditaufnahme weiterzu senken, mit dem Subventionsabbau zu beginnen, dieInvestitionen zu erhöhen
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und den Konsum zu begrenzen. Wir fordern eine Mobili-tätsoffensive,
um über die Infrastruktur die Rahmenbedingungen fürWirtschaft und Arbeitsplätze zu verbessern.
– Herr Schlauch, stimmt es, dass wir im Jahre 1998 einwirtschaftliches Wachstum von mindestens 2,5 Prozenthatten und heute – Sie regieren seit drei Jahren – eine Re-zession haben? Bei allem, was Sie anderen vorwerfen,und angesichts der heute vorgelegten Bilanz müssten Siesich in ein Schneckenhaus verkriechen.
Wir wollen auch eine Durchforstung des zweitenArbeitsmarktes ermöglichen. Wir wollen mehr Geld fürVerteidigung, damit sich die Bundeswehr nicht weiter in-ternational blamiert, Stichwort Großflugzeug. Wir wollen– dies ist kostenlos – die Rücknahme beschäftigungs-feindlicher Regulierungen am Arbeitsmarkt.Die vier Jahre bis zum Jahre 2002 werden nach der Bi-lanz der ersten drei Jahre und nach dem vorgelegten Haus-halt, der wesentliche Daten für das letzte Jahr dieser Le-gislaturperiode setzt, vier verplemperte Jahre für dieWirtschaft in Deutschland, für die Arbeitslosen und fürdie junge Generation sein. Diese Regierung und dieser Fi-nanzminister stehen bereits nach Ablauf von drei Jahrenmit leeren Händen da. Der Haushaltsentwurf 2002 zeigt,dass diese Regierung auch keine Perspektive für dasvierte Jahr – ihr letztes Jahr – hat.
Es ist an der Zeit, sich auf den Wechsel einzustellen. Wirsind dazu bereit.
Für die SPD-Fraktion
erteile ich das Wort dem Kollegen Hans Georg Wagner.
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Herr KollegeAustermann, ich komme gleich auf Deutschland zurück.Sie sprachen von einem Phantomland. Ich muss Fragen:Dort leben Sie wohl, wir nicht.
Denn alle Punkte, die Sie dargestellt haben, sind heute im„Handelsblatt“ nachzulesen. Dort wird berichtet, dassBankökonomen eine Untersuchung eines amerikanischenInstituts über die Wirtschaft in Amerika auf Deutschlandübertragen haben. Ich will Ihnen die Überschrift nichtvorenthalten: „Deutschland steckt nicht in der Rezes-sion“.
Das steht heute Morgen im „Handelsblatt“. Ich unterstelleeinmal: Alles, was Sie gesagt haben, ist falsch und stimmtnicht.
Alles, was Sie gesagt haben, ist an den Haaren herbeige-zogen und entspricht damit nicht der Wirklichkeit.
Wenn Sie die Höhe der Ausgaben für Investitionen be-klagen – zum Teil ja zu Recht –, muss ich Sie fragen, HerrKollege Austermann, ob Sie das wirklich so ernst meinen,wie Sie es hier immer darstellen. Weil Sie ständig aus demHaushaltsausschuss herauslaufen, was ich sehr bedauere,können Sie nicht mitbekommen, dass zum Beispiel imBereich der Bauwirtschaft in all den Jahren kontinuierlichdie vorgesehenen Investitionen zu 99,9 Prozent getätigtworden sind.Unser einziges Sorgenkind ist in der Tat die Bahn. DerKollege Waigel hat damals mit den für die Bahn be-stimmten Mitteln die Pensionskassen aufgefüllt. Daswaren Gelder für Investitionen, die bei der Bahn übrig ge-blieben waren. Damals war Herr Wissmann Verkehrs-minister. Heute versuchen wir, die Mittel dorthin zu len-ken, wo sie hin sollen, um endlich die Schere zwischenInvestitionen in den Straßenbau und in den Schienenbauzu schließen, die Sie geöffnet haben. Wir wollen, dass fürdie Schiene genauso viel investiert wird wie für dieStraße.
Makaber, Herr Kollege Austermann, war Ihre Behaup-tung bezüglich des Griffs in die Rentenkassen. Ich ver-stehe die Welt nicht mehr. 1998 betrug die Schwankungs-reserve für die Rentenkassen bei Ihnen 18Milliarden DM.Die heutige Schwankungsreserve beträgt 27 Milliar-den DM. Jetzt müssen Sie mir mit Ihrer Rechenkunst be-weisen, das sei weniger als 18 Milliaren. Das kann nurHerr Austermann so ausrechnen.
Deshalb habe ich auch gedacht, als der Kollege Steffel inBerlin Sie zum finanzpolitischen Berater gemacht hat:Das werden 5 Prozent weniger für die CDU. – Genausoist es gekommen, Herr Kollege Austermann.
Wenn Sie Forschung und Entwicklung ansprechen undsagen, da sei nicht sehr viel passiert, können Sie nichtrechnen. Ich freue mich, Frau Kollegin Bulmahn, Ihnenfür die Koalition sagen zu dürfen, dass wir über Ihren Er-folg auf der Forschungsministerkonferenz in der vorigenWoche in Edinburgh froh sind. Dort hat Deutschland eine
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Führungsrolle in der Luft- und Raumfahrt übernommen,die die Opposition verspielt hat.
Das soll der friedlichen Nutzung dieser Technik dienenund nicht dem, was Sie immer im Hinterkopf hatten.Zur Haushaltsentwicklung im Jahr 2001: Da habenSie auch wieder Märchen aufgetischt. Übrigens haben Siesich vertan; Sie haben den Nachtragshaushalt schonim Januar gefordert – im März haben wir darüber disku-tiert –, drei Tage nach der Unterschrift des Bundespräsi-denten unter den Haushalt. Das nur der Wahrheit wegen.Wir haben gute Chancen, in diesem Jahr die Defizitli-nie von 43,7Milliarden DM einzuhalten. Die Belastungenauf dem Arbeitsmarkt mit etwa 4,5 Milliarden DM konn-ten weder Sie noch wir, die konnte niemand vorhersagen.Durch den Rückkauf der D-Mark-Münzen, der so ge-nannten Schlafmünzen, sind 2 Milliarden DM Mehrkos-ten entstanden, die im nächsten Jahr – Herr KollegeWaigel, das wissen Sie – durch den Verkauf neuer Euro-münzen wieder zurückkommen. Nicht realisierte Privati-sierungserlöse ergeben 1 Milliarde DM. Das sind 7,5 Mil-liarden DM weniger in diesem Haushaltsvollzug.Als Entlastungen nenne ich: Zinsersparnisse von3 Milliarden, höhere Gewährleistungseinnahmen von2 Milliarden und die Mehreinnahmen bei der Mineralöl-steuer – Sie wissen, die Verrechnung erfolgt jetzt im De-zember, nicht mehr im Januar – von 1,3Milliarden, sodassman etwa auf die gleiche Größe wie die Belastungenkommt. Das heißt, wir haben gute Chancen, den Haushalt2001 ordnungsgemäß abzuschließen, obwohl wir auf-grund der Steuerschätzung Steuermindereinnahmen von3,5 Milliarden DM zu erwarten haben. Aber wir sehen,dass der Haushalt in der Linie läuft, wie er geplant war.Deshalb ist für Panikmache überhaupt kein Grund, HerrKollege Austermann.
Zum Haushalt 2002, meine Damen und Herren: Durchdie Beschlüsse der Koalition ist sichergestellt, dass derKonsolidierungspfad, den wir mit dem Zukunftspro-gramm 2000 betreten haben, nicht verlassen wird. Wirbleiben auf diesem Konsolidierungspfad der deutschenFinanzpolitik, wie schon seit 1999.Trotz der Wachstumsschwäche, die zweifellos vorhan-den ist und die niemand bestreiten kann, bleibt die Netto-kreditaufnahme bei 21,1 Milliarden Euro. Das ist ange-sichts der Rezession in Amerika, der Entwicklung hier inEuropa und der noch größeren Rezession in Japan ein ehr-geiziges Ziel. Genauso halten wir an dem ehrgeizigen Zielfest, im Jahre 2006 zu einem ausgeglichenen Haushalt mitnull Nettokreditaufnahme zu kommen, damit wir endlichmit dem Abbau Ihrer Schulden, der 1,5 Billionen DMAltschulden der CDU/CSU-FDP-Regierung, beginnenkönnen.
Die Neuverschuldung liegt 1,2 Milliarden Euro unterdem Sollansatz des Jahres 2001. Auch das ist eine erfreu-liche Konsolidierungsentwicklung im Bundeshaus-halt 2002.
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rössel?
Ja, bitte. Warum nicht? –
Wenn es Ihnen Spaß macht, können Sie eine Frage stellen.
Lieber Kollege
Wagner, Sie haben gesagt, dass der Konsolidierungskurs
der deutschen Finanzpolitik bekräftigt wird. Stimmt das
auch noch, wenn Sie die Einschätzung des Finanzpla-
nungsrates auf seiner gestrigen Tagung berücksichtigen,
wonach die Schulden der öffentlichen Hand in Deutsch-
land in diesem Jahr bei 88 Milliarden DM liegen werden?
Das ist ein Zuwachs von immerhin 23 Milliarden DM ge-
genüber dem Jahr 2000. Wie vereinbart sich das mit Ihrer
Aussage? Stimmt sie in der Tat für die Gesamtverschul-
dung der öffentlichen Haushalte?
Ich kann nur für denBund reden, nicht für die Länder, die von der PDS mitre-giert werden, oder für Kommunen, die unter ihrerFührung stehen.
Ich stelle nur fest: Für uns ist die Sache auf bestem Wege.Wir brauchen von dem, was ich gesagt habe, nichts zu-rückzunehmen.
Meine Damen und Herren, kommen wir zu den Inves-titionen, die in der Haushaltsberatung zwangsläufig einegroße Rolle spielen müssen. Wir haben mit ZustimmungIhrer Länder – Sie haben das vielleicht verdrängt – das In-vestitionszulagengesetz, das für die neuen Länder gilt,durch die Vereinbarung im Solidarpakt II mit den Regie-rungen der neuen Länder verändert. Mittel in Höhe von6,6 Milliarden werden jetzt auf der Einnahmeseite ver-bucht, tauchen aber wieder als Ausgaben auf. Das ist einkompliziertes Verfahren. Dadurch sinkt aber nicht die In-vestitionssumme, wie Sie, Herr Austermann, hier mitstrahlenden Augen geglaubt haben, verkünden zu müssen.Ganz wichtig ist die Einhaltung von Art. 115 desGrundgesetzes. Wir liegen mit einer Investitionssummevon 25 Milliarden Euro und einer geplanten Nettokredit-aufnahme von 21,1 Milliarden Euro weit diesseits derGrenze, ab der ein Haushalt als nicht mehr verfassungs-gemäß angesehen wird. Wir sind froh, dass die Koalitiones geschafft hat, diesen Haushalt innerhalb der Bestim-mungen des Art. 115 zu halten – im Gegensatz zu Ihnenin den Jahren 1996, 1998 und anderen Jahren.
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Die Anträge der Union, die ich jetzt nicht im Einzelnenvortragen möchte, sehen 36,5 Milliarden DM Mehraus-gaben vor. Wenn man das auf das herunterbricht, was diegesamte Opposition in den Haushaltsberatungen bean-tragt hat, liegt man – das muss man fairerweise sagen –bei etwa 6 Milliarden DM. Wenn die Koalition diese6 Milliarden DM beschlossen hätte, dann läge die Netto-kreditaufnahme weit höher als die Investitionen. Das wäreverfassungswidrig. Wir mussten Ihre Anträge deshalb ausGründen der Verfassung ablehnen. Es wäre Verfassungs-bruch gewesen, wenn wir diese Anträge angenommenhätten. Das kann man mit uns nicht machen.
Frau Merkel hat angekündigt, die Union werde jetztauf dem Felde der Wirtschafts- und Finanzpolitik angrei-fen. Am Sonntag habe ich mir die Ehre gegeben, FrauChristiansen zu sehen.
– Ob das eine Ehre ist, ist die Frage; Herr Merz, da gebeich Ihnen Recht. – Da kam auf die Frage an Frau Merkelund Herrn Stoiber, was sie konkret anders machen wollen,nur Gestotter. Da kam überhaupt nichts.
Die einzige Aussage von Frau Merkel – ich habe das nochin Erinnerung – war: Abbau des Kündigungsschutzes, Än-derung der Lohnfortzahlung und der Mitbestimmung. Siewollen also alle soziale Errungenschaften dieser Koali-tion wieder abschaffen. Wenn das Ihr Konzept ist, sind Sie1998 zu Recht abgewählt worden und haben keineChance, 2002 wieder gewählt zu werden.
Ich stelle ganz einfach vier konkrete Fragen.Erstens. Wie sieht Ihr Konzept zum Abbau Ihrer Schul-den von 1,5 Billionen DM ganz konkret aus?Zweitens. Wie sieht die Gegenfinanzierung Ihrer An-träge aus? Sagen Sie mir einmal, Herr Kollege Rauen– Sie werden ja nach mir reden –, wie die Gegenfinanzie-rung etwa der 36,5 Milliarden DM aussehen soll. Wiesieht das ganz konkret aus? Das können Sie mir sicher sa-gen. Wir können ja darüber reden. Wieso sollte die Koali-tion, wenn es sich um vernünftige Vorschläge der Gegen-finanzierung handelt, dagegen sein? Wir wären dafür,wenn sie seriös sind.
Ich bezweifle, dass Sie das beweisen können.Drittens. Welches konkrete Konzept haben Sie zumAbbau der Arbeitslosigkeit vorgelegt? Sie haben nichtsgesagt – außer dass Sie die Dinge, die wir im sozialen Be-reich gemacht haben, abbauen wollen. Viertens. WelchesKonzept haben Sie ganz konkret zur Steigerung des wirt-schaftlichen Wachstums?
Ihre Antworten sind bisher nichts sagend und auswei-chend gewesen.Herr Kollege Repnik – Sie sind im Moment etwas ab-gelenkt; ich will ausdrücklich auf Sie eingehen –, Sie ha-ben bei der ersten Lesung, als ich sagte, dass wir denRegierungsentwurf kritisch überprüfen würden und Posi-tionen der Fraktionen in dem Haushalt, der Ende Novem-ber im Deutschen Bundestag beschlossen wird, erkennbarwerden müssten, gesagt: Was? Ist der Regierungsentwurfso schlecht, dass Sie ihn nachbessern müssen? – Ich habedamals gesagt, dass es das natürliche Recht des Parla-ments ist, dort, wo es notwendig ist, „Duftnoten“ zu set-zen. Das haben wir gemacht. Das ist guter parlamentari-scher Stil. Wir waren keine Abnicker wie Sie früher,
sondern sind ganz konkret die Positionen durchgegangenund haben sehr viele Forderungen und Anträge durchge-bracht, von denen Sie nur geträumt haben.
Wir haben Umschichtungen und Änderungen beantragtund durchgesetzt. Ich will sie nur stichwortartig nennen,weil die Kolleginnen und Kollegen in den Einzelplan-beratungen in den nächsten Tagen ganz konkret sagen, wowir etwas machen.Zunächst hatten wir zwei Faktoren zu bedenken:Erstens Wachstumsabschwächung: Hier ist es so, dassdie Experten bis zum heutigen Tage jeden Tag etwas an-deres sagen. Die gleichen Experten wechseln ständig ihreMeinung. Experten schwanken von himmelhoch jauch-zend bis zu Tode betrübt.
– Ja, himmelhoch jauchzend waren die Prognosen zu An-fang des Jahres,
zu Tode betrübt sind sie heute. Sie wechseln ihre Progno-sen übrigens schneller als viele andere ihre Hemden.Zweitens die Bekämpfung des internationalen Terro-rismus: Wir haben Mittel in einer Größenordnung von1,72 Milliarden Euro eingestellt, nicht nur für militäri-sche, sondern auch für humanitäre Zwecke. Es ist vielenentgangen, dass wir gleich hohe Summen zur huma-nitären Hilfe zur Verfügung stellen, etwa 80 MillionenEuro als humanitäre Soforthilfe für Afghanistan, wenndort eine Regierung gebildet ist und wir mit humanitärenMaßnahmen eingreifen können.
Ich bin gespannt darauf, wie Sie beim Einzelplan 23 nach-her abstimmen, ob Sie auch gegen diese humanitäre Hilfestimmen werden. Sie fordern sie lautstark, wenn sie dann
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aber konkretisiert wird, sagen Sie Nein dazu. Das ist keineklare Oppositionspolitik.
In Bezug auf Afghanistan müssten wir in die Ge-schichte zurückblicken. Wir müssen jetzt so schnell wiemöglich die deutsche Schule in Kabul wieder einrichten.Das war eine Eliteschule für Afghanen; deutsche Arbeitist dort anerkannt. Also: Einrichtung der deutschen Schulein Kabul so schnell wie möglich aus Geldern, die wir fürhumanitäre Hilfe zur Verfügung gestellt haben.Ein weiterer Punkt ist der Polizeiaufbau. Ihn haben wirvor Jahren bzw. Jahrzehnten schon einmal unterstützt.Auch das hat ein sehr positives Bild auf Deutschland ge-worfen. Das sollten wir wieder machen. Deshalb bin ichfroh, dass konkrete Hilfen im Haushalt 2002 stehen; Siesollten sie nur mittragen, statt sie ständig in der Öffent-lichkeit zu bekämpfen.
In den Entwürfen zum Haushalt 2002 haben wir einwesentlich stärkeres Engagement für zeitgemäße zivileKrisenprävention und beim Aufbau in den Ländern derDritten Welt vorgesehen. Diese Gelder sind notwendigund werden gebraucht. Wenn in der Öffentlichkeit immerwieder erzählt wird, die PDS sei die friedensliebende Par-tei Deutschlands,
dann erinnere ich nur daran, dass seinerzeit Herr Gysi inBelgrad gewesen ist und dort den Schlächter Milosevickontaktiert hat,
Ihre Vorgängerpartei beim Ungarn-Aufstand 1956 nichtgerade die beste Rolle gespielt hat, Ihre Vorgängerinstitu-tion beim Niederschlagen des Prager Frühlings dabei warund 1980 den sowjetischen Einmarsch in Afghanistanausdrücklich begrüßt hat. Tun Sie, die Sie in dieser Nach-folge stehen, doch heute nicht so, als ob Sie an allem un-schuldig gewesen wären. Nicht Sie allein sind die Frie-denspartei, sondern wir sind es, die humanitäre Hilfeeinsetzen und versuchen, über Prävention etwas zu errei-chen, und erst dann zu militärischen Mitteln greifen, wennes unabdingbar ist.
Mit der Steuerreform 2000 wurde die Wirtschaft in2001 um 12Milliarden Euro entlastet. Im Jahre 2002 wer-den es weitere 6 Milliarden Euro sein. Ich halte es wirk-lich für ärgerlich, wenn jeden Tag die Repräsentanten vonGroßunternehmen in der Öffentlichkeit Massenentlas-sungen ankündigen – egal, ob es sich um Siemens mit15 000 Stellen oder um andere handelt: Diese Zahlen kön-nen einem die Tränen in die Augen treiben – und gleich-zeitig weitere Entlastungen für Unternehmen fordern. DieGroßunternehmen sollten endlich einmal ihre Gewinne inihre Betriebe stecken. Der Bundeskanzler hat Recht,wenn er sagt, dass die Unternehmen die guten Leute, diesie morgen brauchen, nicht heute entlassen sollten; dannmüssen sie später nicht wegen des Mangels an Facharbei-tern nach der Politik rufen.
Das ist keine Linie. Aber trotzdem bilden sich die Re-präsentanten von Großunternehmen ein, sie wären, welt-weit gesehen, Spitzenleute. Da ist aber nichts dran, weilsie den Arbeitsplatzabbau für dringend notwendig haltenund jeden Tagen Zigtausende von Arbeitnehmern auf dieStraße setzen. Das ist keine konsequente Wirtschaftspoli-tik und auch keine konsequente Unternehmenspolitik. Esist schlicht und ergreifend unverschämt, so zu handeln.
Sie von der Opposition fordern wie die Unternehmerständig Steuerentlastungen. Frau Merkel hat von einervorgezogenen Steuerreform gesprochen; Herr Stoiber hatdas aber wieder eingesammelt, weil er gemerkt hat, dasses so nicht funktioniert.
In der ersten Stufe der Steuerreform haben wir die priva-ten Haushalte und die Wirtschaft um 45 Milliarden DMentlastet. Da diese Entlastung am Arbeitsmarkt nicht ge-wirkt hat,
muss ich Sie fragen: Was wollen Sie denn mit den 13 Mil-liarden DM Entlastung aufgrund der vorgezogenen Steu-erreform bewegen? Schaffen Sie dadurch einen Arbeits-platz mehr? Das ist doch offenbar nicht der Fall.
– Es war eine Schande, als Sie dort Amtsrichter waren,Herr Merz. Da Sie mich angesprochen haben, muss ich Ih-nen direkt sagen: Es war eine Blamage, als Sie an demkleinen Amtsgericht in Saarbrücken waren. Das ist dochbekannt.
– Als Scharfrichter wäre er wahrscheinlich auch geeignetgewesen.Den Unternehmen muss gesagt werden, dass es für dasAnkündigen von Massenentlassungen keiner besonderenIntelligenz bedarf. Das können Hinz und Kunz tun.Wie geht es dem Mittelstand in dieser Situation? EineStudie der Dresdner Bank und des Wirtschaftsmagazins„Impulse“ über den Mittelstand in Deutschland ist dieseWoche veröffentlicht worden. Die Ergebnisse dieserUntersuchung reflektieren die Situation von 1,1Millionenmittelständischen Unternehmen in Deutschland. Trotz desKonjunktureinbruchs, der auch aufgrund der Ereignisse
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am 11. September eintrat, wollen nur 8 Prozent der klei-nen und mittleren Unternehmen Stellen abbauen.
Bei Ausbildung und Beschäftigung ist der Mittelstand derstabilisierende Faktor des Arbeitsmarktes.
Ohne die mittelständische gewerbliche Wirtschaft würdees am Arbeitsmarkt viel trister aussehen. Ich habe dasHandeln einiger Großunternehmen eben erwähnt. Des-halb hat der Mittelstand unsere besondere Förderung undwird weiterhin, auch im Bundeshaushalt 2002, gefördert.
Im Investitionsbereich hat die Koalition die Mittel fürdas Programm „Soziale Stadt“, die Städtebauförderungsowie den sozialen Wohnungsbau um 220Millionen Euroangehoben. Wir wissen natürlich, dass jede öffentlicheMark im Städtebau – dies gilt vornehmlich für die westli-chen Länder und gilt bei Beibehaltung der Förderung deröstlichen Bundesländer mit 520 Millionen DM oder mit260 Millionen Euro im Jahr – 8 DM an privaten Investi-tionen auslöst. Deshalb ist dies ein wichtiges Programm.Die Koalition hat sich eindeutig dazu bekannt, dieses Pro-gramm arbeitsmarktmäßig einzusetzen. Deshalb gibt esdie Erhöhung um 220 Millionen Euro.
Wir fördern den Stadtumbau Ost, über den zu Rechtviel diskutiert worden ist, mit 1,1Milliarden Euro bis zumJahr 2009. Auch dies ist ein Punkt, bei dem ich erwarte,dass die Opposition zustimmt. Zumindest imHaushaltsausschuss hat sie es nicht getan. Aber sie hat janoch die Chance, im Plenum des Deutschen Bundestagesdiesem Programm zuzustimmen.Der Aufbau Ost bleibt vorrangige Aufgabe. DasNiveau des Vorjahres bei der Gemeinschaftsaufgabe„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ mit751 Millionen Euro bleibt erhalten. Wir haben die Mittelfür den Goldenen Plan um 15Millionen Euro aufgestockt.Für das Netzwerkmanagement innovativer KMUs – dasentsprechende Programm heißt „NeMO“ – stellen wir2,8 Millionen Euro zur Verfügung. Es handelt sich dabeium ein neues Programm, das in den neuen Bundesländernwirklich funktioniert. Weil es so gut funktioniert, werdenwir es weiter fördern, damit es endlich zu positivenAuswirkungen auf den Arbeitsmarkt in den neuen Län-dern kommt.
Es ist dasGebäudesanierungsprogrammzu nennen, dasder Verminderung von CO2-Emissionen dient. Die Mittelfür dieses Programm hat die Koalition für 2004 und 2005auf jeweils 200 Millionen Euro festgesetzt. Das führt proJahr zu einer Sanierung von 200 000 Wohnungen. Das isteine ganze Menge angesichts der Situation vorher.Die ökologische Modernisierung der Volkswirtschaftwird weiter betrieben. Wir haben die Mittel für das Pro-gramm der Markteinführung von erneuerbaren Energienum 100 Millionen Euro auf 200 Millionen Euro angeho-ben. Für die Energieforschung haben wir 20 MillionenEuro zur Verfügung gestellt.Zu den Einzelplänen möchte ich nicht allzu viel sagen,weil das den nächsten Tagen vorbehalten bleibt. Insge-samt ist festzustellen: Wir befinden uns mit diesem Haus-halt auf der richtigen Linie. Die Koalition hat denKonsolidierungskurs, den Hans Eichel eingeschlagen hat,bisher ohne irgendwelche Widersprüche mitgetragen.Auch auf den Parteitagen der SPD und des Bünd-nisses 90/Die Grünen wurde übrigens die Wirtschafts-und Finanzpolitik der Bundesregierung einmütig unter-stützt. Auch das ist ein Punkt, den man ansprechen muss.
Bei Ihnen von der CDU/CSU ist dagegen mittlerweilenicht einmal mehr erkennbar, ob es überhaupt noch einenKandidaten oder ob es bereits einen K.o.-Kandidaten, wasdie Kanzlerkandidatur betrifft, gibt. Die Beantwortungdieser Frage ist für Sie sehr viel wichtiger als diewirtschaftliche Entwicklung. Ich finde, das ist schlecht.Denn es ist Aufgabe der Oppositionspartei, sich für Letz-teres einzusetzen.Im kulturellen Bereich werden wir weiterhin viele– auch neue – Hilfen leisten. Wir werden auf Vorschlagdes Bundeskanzlers eine deutsche Kulturstiftung einrich-ten. Wir haben dazu für die nächsten drei Jahre entspre-chende Mittel in der Größenordnung von 150 MillionenEuro zur Verfügung gestellt.
Der Bundeskanzler wird vor Weihnachten mit den Minis-terpräsidenten darüber sprechen, ob sich die Länder daranbeteiligen. Sie sollten auf jeden Fall dabei sein. Ich hoffe,dass die Länder so einsichtig sind, sich mit der gleichenSumme zu beteiligen, damit das Vorhaben einer deutschenKulturstiftung endlich Wirklichkeit und für die Bevölke-rung sichtbar wird.
Folgendes ist auch zu erwähnen: Wir haben auch an dieHilfsdienste gedacht, zum Beispiel an das TechnischeHilfswerk. Das Technische Hilfswerk ist in Ihrer Regie-rungszeit sträflich vernachlässigt worden.
Der Präsident des Technischen Hilfswerkes und die Vize-präsidentin der Helfervereinigung sitzen hier unter uns.Die können das bestätigen. Die Koalition ist darangegan-gen, gerade diese ehrenamtlichen Helfer, die bei Kata-strophen weltweit eingesetzt werden und die im Sinne derbetroffenen Bevölkerung wirkungsvoll tätig sind, jetztmit Mitteln so auszustatten, dass sie technologisch in der
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Lage sind, einzugreifen und zu helfen – und das aufDauer. Ich halte es für eine tolle Sache, dass sich die Ko-alition zu dieser Entscheidung durchgerungen hat.
Nachher wird Hans Urbaniak eine Rede über den Um-satzsteuerbetrug halten. Über Jahre hinweg ist es ver-schleppt worden, diesen Umsatzsteuerbetrug wirksam zubekämpfen. Die jetzige Koalition beginnt damit. Etwa20 Milliarden DM pro Jahr wurden hier verschleudert.Darum haben Sie sich überhaupt nicht gekümmert, wahr-scheinlich deshalb, weil Ihre Klientel davon betroffen ge-wesen wäre. Wir haben darauf Gott sei Dank keine Rück-sicht zu nehmen und wollen dieses verschleuderte Geldder Allgemeinheit zur Verfügung stellen.
Herr Austermann, Sie haben soeben vom Subven-tionsabbau gesprochen. Das ist gut und schön. Einen ge-regelten Subventionsabbau gibt es im Bundeshaushalt:Die entsprechende Vereinbarung zwischen den Vertreternder deutschen Steinkohle, dem Saarland, Nordrhein-Westfalen und der Bundesregierung hat damals HerrRexrodt – der „Mister Wirtschaft“ der alten Regierung; erwar genauso erfolglos, wie er es wäre, wenn er jetzt aufdiesem Gebiet tätig wäre –
eingeführt. Die jetzige Bundesregierung hält nur das ein,was die alte vereinbart hat, und zwar auf Heller und Pfen-nig, und Sie wollen ständig aus dieser Sache heraus.
– Herr Austermann, Sie rufen gerade „Nein“. Dazu mussich Ihnen sagen: Ihr Parteifreund Müller im Saarland lebtganz gut davon, dass die Bundesregierung bis jetzt auchdie Gelder, die das Saarland für die Finanzierung des Ab-baus der Subventionen hätte zur Verfügung stellen müs-sen, übernommen hat.
Man könnte ja der Meinung sein, solche freiwilligen Leis-tungen des Bundes müssten nicht sein. Wenn Sie dasgerne hätten, dann sagen Sie das und dann machen wir dasauch.
Was den Abbau von Subventionen betrifft, so gibt esviel umfangreichere Bereiche, zum Beispiel den derLandwirtschaft auf der Ebene der Europäischen Union.Wir wissen, dass 80 Prozent der Mittel der EuropäischenUnion in die Landwirtschaft fließen. Das sind hohe Sub-ventionen. Von Ihnen habe ich nie die Forderung gehört,dort Subventionen abzubauen.
– 80 Prozent, Herr Kollege.
– Als Amtsrichter konnten Sie nicht rechnen und heutekönnen Sie es auch nicht.Der nächste Punkt. Dass in der Vergangenheit Subven-tionen im Bereich der Forschung ausschließlich nachBayern und Baden-Württemberg gegangen sind, weiß ich.Das haben wir dahin gehend geändert, dass nun auch an-dere Bundesländer an den Forschungsgeldern, die derBund zur Verfügung stellt, partizipieren.All das sind Dinge, bei denen man miteinander überden Subventionsabbau reden muss. Wenn Sie das nichtwollen, dann nehmen Sie das Wort „Subventionsabbau“am besten gar nicht in den Mund.Ich bin der Meinung, dass dieser Haushalt grundsolideist. Er wird im nächsten Jahr auch so vollzogen.
Wir sind stolz darauf, dass die Ziele, die sich die Koali-tion gesetzt hat, eingehalten worden sind. Wir laden Sieein: Machen Sie mit, damit wir endlich einen vernünfti-gen Haushalt verabschieden können.
Für die FDP-Fraktion
erteile ich Dr. Günter Rexrodt das Wort.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Herr Kollege Wagner, unser Bundes-haushalt enthält ja eine Fülle von Einzelpositionen. Ichmuss zugeben: Es ist Ihnen wahrlich gelungen, einen ganzaußergewöhnlich hohen Prozentsatz der Einzelpositionenanzusprechen. Sie sind ein fleißiger Mann und wenn Siesich Mühe geben, dann laufen Sie richtig auf und könnenganz schnell sprechen. Das verdient Anerkennung, HerrKollege Wagner.
Was keine Anerkennung verdient, ist die Tatsache, dassSie sich nicht mit den Grundlinien der Finanz- und Wirt-schaftspolitik auseinander gesetzt haben. Da kam garnichts, Herr Kollege Wagner.
Das hätte ich in einer haushaltspolitischen Debatte ei-gentlich erwartet.
Wir lesen hier nun den letzten Haushalt dieser Legisla-turperiode, das Hauptbuch der Nation. Rot-Grün hat 1998den Mund sehr voll genommen. Es sollte alles besser wer-den. Schauen wir einmal, was davon in diesem Hauptbuchzu erkennen ist.Da haben wir zunächst das Vorzeigeprojekt von HansEichel, die Rückführung derNettokreditaufnahme und
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die Vision eines ausgeglichenen Haushalts 2006. Die Li-beralen haben im Übrigen den Finanzminister in diesemKurs immer bestärkt. Dieser Kurs ist aus vielen Gründen,auch aus volkswirtschaftlichen Gründen, ohne Alterna-tive. Der Abbau der Nettoneuverschuldung ist notwendigvor dem Hintergrund des enormen Schuldenzuwachses inden 90er-Jahren. Wenn Sie ehrlich wären, würden Sie zu-geben, dass es vor dem Hintergrund der Wiedervereini-gung zu diesem Zuwachs nie eine Alternative gab.Der Finanzminister hat ob dieses Kurses viele Lorbee-ren geerntet. Ihre Politik war ein, wie man heute sagt,Asset rot-grüner Regierungsverantwortung. Heute aller-dings, Herr Eichel, müssen wir uns fragen, ob das nichtVorschusslorbeeren waren.
Ich möchte feststellen – und werde das auch belegen kön-nen –: Das waren nichts als Vorschusslorbeeren.
Ihnen ist es zwar noch einmal gelungen, in IhremHaushalt nominell 21,1 Milliarden Euro Nettoneuver-schuldung und damit 1,2 Milliarden Euro weniger als imVorjahr auszuweisen. Auch in den Folgejahren senken Siedie Zahlen. Aber wer genau hinschaut, sieht, dass dieseZahlen für das Jahr 2002 und die folgenden Jahre in gleichmehrfacher Hinsicht Ausdruck der verschiedensten Re-chentricks sind und dass es eine verdeckte Kreditauf-nahme bei der KfW, einer staatseigenen Bank, gibt, umdiese Zahlen überhaupt ausweisen zu können.Es sind Rechentricks, Herr Eichel, weil Sie 3,3 Milli-arden Euro Finanzhilfen Ost nicht mehr auf der Ausga-benseite, sondern auf der Einnahmenseite als Minderein-nahme ausweisen. Außerdem werden Tilgungsraten beimFonds „Deutsche Einheit“ in Höhe von fast 800 Milli-onen Euro gestreckt. Das ist eine Verschiebung der Lastenauf künftige Generationen.
An dieser Stelle – ich kenne das ja – kommt immer IhrGegenargument, auch die alte Koalition habe so etwas ge-macht.
Damit überzeugen Sie nicht.
Sie haben ja die Sondersituation der Wiedervereinigungnie gewürdigt. Sie waren es, meine Damen und Herren,die eine solche Umkehrung der Buchung immer gegeißeltund gebrandmarkt haben und die versprochen haben, dassmit Ihrer Regierungsübernahme alles besser wird. Nichtsist besser geworden; Sie machen es noch schlimmer, alses damals war.
Herr Eichel, es gibt noch einen Tatbestand, der ein-malig ist: Im Einzelplan 60 werden Rückflüsse von derEuropäischen Union in Höhe von 1,1 Milliarden ausge-wiesen, obwohl diese gar nicht etatisiert werden können.Dass diese Rückflüsse im Haushalt gewissermaßen alsSteuermehreinnahme gebucht werden, das hat es nie ge-geben.
Das ist Ausdruck der Rechentricks, die Sie anwenden, ummit Ihrem Haushalt
zumindest noch die Fiktion der Rückführung der Netto-neuverschuldung entwickeln zu können.
Bezogen auf die Anteilsrechte an Bundesunternehmenist auch Ihre Parklösung bei der KfW über alle Maßenproblematisch. Ich sage nicht, dass das nicht vorher auchschon vorgekommen ist,
aber, Herr Eichel, noch nie ist jemand, der angekündigthatte, alles besser machen zu wollen, in dieser Angele-genheit so dreist wie Sie vorgegangen.
Dies schadet im Übrigen nicht nur der Finanzpolitik vonHerrn Eichel, sondern das wirft auch Fragen hinsichtlichder Rolle der KfW auf. Deren hohe Reputation – geradeim Ausland – sollte nicht leichtfertig aufs Spiel gesetztwerden. Herr Eichel, es muss sicher sein: Die Kredit-anstalt für Wiederaufbau ist keine Kassenkreditstelledes Bundes!
Sie hat außenwirtschaftliche und entwicklungspoliti-sche Aufgaben. Nach innen soll sie meinetwegen auch dasLangfristgeschäft der IKB übernehmen. Das ist okay; denndie Situation war schwierig und es drohte, dass das insAusland verlagert wird. Was aber mit der KfW im Zusam-menhang mit der Deutschen Ausgleichsbank und somitdem Einstieg in die Mittelstandsförderung gemacht wird,ist verkehrt. Das ist eine falsche Politik. Das schadet derKfW und dem deutschen Mittelstand.
Herr Bundesfinanzminister, Sie werden die Nettoneu-verschuldung im Haushalt 2002 vielleicht noch einmalgerade so darstellen können.
Sie werden dies aber nicht wirklich erklären, sondern nurrechnerisch darstellen können. Ihr Haushalt hat keinerleiSpielräume mehr. Es knirscht an allen Ecken und Enden.Das kleinste unerwartete Ereignis würde zu großen Pro-blemen führen. Auch das so sorgsam gepflegte Bild vom
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Sparminister auf Konsolidierungskurs kann in der Öffent-lichkeit nicht mehr aufrechterhalten werden.
Herr Eichel, dies ist nicht das Ergebnis unglücklicherUmstände oder einer schlechten Konjunktur,
sondern das ist Ausdruck der Tatsache, dass die rot-grüneKoalition nicht in der Lage war, die überbordenden kon-sumtiven Ausgaben und somit die Ausgabenseite desHaushaltes in Ordnung zu bringen.
Es ist Ihnen nicht gelungen, Arbeitsmarktförderungenund Sozialhilfe in ein vernünftiges Verhältnis zueinanderzu bringen.
Ihren eigenen Angaben zufolge – das ist ein Beispiel fürdie insgesamt katastrophale Situation – sind mit Ausga-ben in Höhe von jährlich 1,02 Milliarden Euro insgesamt1 000 neue Stellen durch das JUMP-Programm für Ju-gendliche geschaffen und vermittelt worden. Das kannnicht angehen, Herr Eichel.
– Das stimmt ganz genau, lesen Sie das nach.
Im Übrigen habe ich großen Respekt vor den vielenfleißigen und engagierten Mitarbeitern in den Arbeitsäm-tern. Immer weniger Respekt habe ich aber vor der vir-tuosen Fähigkeit der Bundesanstalt für Arbeit, auch dieausgefeiltesten Aktivitäten und Programme noch als ei-nen Erfolg verkaufen zu wollen. Dies ist verfehlt. DieBundesanstalt für Arbeit macht bei dieser Politik einenFehler nach dem anderen.
Es ist höchste Zeit, dass wir die Politik dieser wichtigenAnstalt aus dem Dunstkreis einer moralisch überhöhtenUnfehlbarkeit herausnehmen.
Darüber hinaus ächzt und stöhnt der Bundeshaushaltimmer mehr unter den schier unglaublichen Zahlungen andie Rentenversicherung. Im Jahre 2002 werden es72,2Milliarden Euro sein. Der Anteil dieser Zuschüsse amGesamthaushalt hat sich von 12,6 Prozent im Jahre 1982auf 29,1 Prozent in diesem Jahr erhöht. Im Jahre 2005werden sage und schreibe 31 Prozent der Ausgaben an diegesetzliche Rentenversicherung gehen. Dies wird durcheine permanente Steuererhöhung, durch die so genannteÖkosteuer, gegenfinanziert.Das ist ein Teufelskreis. Die Rentenreform, die so ge-nannte Riester-Reform, stellt einen durchaus positivenVersuch dar, diesem Teufelskreis zu entrinnen. Die Stär-kung der privaten Vorsorge ist ein richtiger Ansatz. Insge-samt aber ist dieser Versuch unzulänglich.
Der Trend zur steuerfinanzierten Rente wird dadurchnicht umgekehrt, er wird allenfalls ein Stück gebremst.Wenn eine Umkehr, weg von dem Trend, den steuerfinan-zierten Anteil der Rente exorbitant zu steigern, im Rah-men einer zweiten Reform, bei der auch die Leistungenauf den Prüfstand gehören, nicht gelingt, dann wird derBundeshaushalt in seiner Struktur noch weiter belastetwerden und dann wird jeglicher Spielraum für eine ge-stalterische Politik im Bereich der Investitionen verlorengehen.
Meine Damen und Herren, ich sage ja gar nicht, dassSie diesen Trend verursacht haben. Er hält schon lange an,ihn gab es bereits zu unserer Zeit. Aber es ist höchste Zeit,dies jetzt umzukehren. Es geht nicht an, dass wir jedesJahr stärker eine steuerfinanzierte Rentenpolitik betrei-ben. Riester-Rente, schön und gut. Aber es muss einezweite Rentenreform her. Ansonsten wird es im Bundes-haushalt an jeglichem Spielraum fehlen.
Die günstige konjunkturelle Entwicklung des Jah-res 2001 hat die strukturellen Probleme überdeckt. DieSteuerquellen sprudelten reichlich. Außerdem flossen demBundeshaushalt Privatisierungserlöse in dreistelliger Mil-liardenhöhe zu – Erlöse aus Reformen, die die rot-grüneKoalition, aber auch die rote und die grüne Partei zum Teilleidenschaftlich bekämpft hatten, auch Sie persönlich,Herr Eichel. Das hat nun sein Ende. Deutschland ist im eu-ropäischen Vergleich Schlusslicht, wenn es um Wirt-schaftswachstum und Beschäftigung geht.Der Herr Bundeskanzler hat uns ja gebeten, ihn imJahre 2001 an der Zahl der Arbeitslosen zu messen.
Wir kommen dieser Bitte wunschgemäß nach.
Das, was er aufzuweisen hat, ist beschämend. Das Ergeb-nis ist niederziehend: Die Haushalts- und Finanzpolitikder Bundesregierung ist sowohl Verursacherin als auchLeidtragende dieser beklagenswerten deutschen Situa-tion. Im Haushalt 2001, im Haushalt des kommenden Jah-res und in den Haushalten der folgenden Jahre werdensich die Entscheidungen widerspiegeln, die diese Misereherbeigeführt haben.Dies liegt zugegebenermaßen nicht nur an innenpoliti-schen Fehlentscheidungen; es waren auch europäischeund weltwirtschaftliche Zusammenhänge ausschlagge-bend. Die schlechte Position Deutschlands im europä-ischen Vergleich hat allerdings ihre wesentliche Ursachedarin, dass von dieser Bundesregierung in weiten Berei-chen eine verfehlte Politik betrieben worden ist. Die Kriseist hausgemacht, das Resultat ist hausgemacht. Deshalb
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Dr. Günter Rexrodt19930
befinden Sie sich in der Misere, die wir heute an den Eck-daten Ihres Haushaltes ablesen können, Herr Eichel.
Dabei hat alles so gut angefangen: Eine Steuerreform,die von uns vielleicht ein Jahr zu spät konzipiert, aber vonHerrn Lafontaine, obwohl es eine gute Reform war, be-wusst zwei Jahre lang verhindert wurde, sollte in- undausländischen Unternehmen Entlastungen bringen. DieseReform ist aber nur halb gelungen, weil sie trotz zweifel-los vorhandener Entlastungen beim Steuersatz zu einerunvertretbaren Ungleichbehandlung des deutschen Mit-telstandes geführt hat. Darüber hinaus wurden Mittel-ständlern und kleinen Leuten durch eine schier unglaubli-che und in geradezu zynischer Weise als Ökosteuer be-zeichneten Aktion die Gelder wieder aus der Tasche ge-zogen, die ihnen in beschränkten Umfang durch die Steu-erreform verblieben waren. Der Hammer aber kommt imnächsten Jahr; dann nämlich werden, um eine nominellgeringere Nettoneuverschuldung ausweisen zu können,die Versicherung- und die Tabaksteuer erhöht. Und diesgeschieht an der Schwelle zu einer Rezession in Deutsch-land und bei einem Kurs in Richtung einer Rekordar-beitslosigkeit.Jede Verbrauchsteuer führt zu Konsumverzicht, zumAusfall privater Nachfrage, eben nicht nur bei Zigarettenund Sachdienstleistungen, sondern zum Ausfall auf derganzen Linie und – das ist eigentlich viel gravierender –zu weiterer Verunsicherung bei Unternehmen und priva-ten Verbrauchern.Herr Eichel, Ihr Haushalt wird auf Knirsch gefahren.Sie haben noch nicht einmal Luft in Höhe von 3 Milliar-den DM zur Finanzierung der notwendigen Antiterror-maßnahmen. Dies hat hausgemachte Gründe. Ursacheist Ihr Unvermögen, Leistungsgesetze kritisch zu über-prüfen.
Hinzu kommt, dass nun noch einmal rund 2 Milliar-den Euro notwendig werden, um die Bundesanstalt für Ar-beit so auszugestalten, dass sie in der Lage ist, die sichdurch die zunehmende Arbeitslosigkeit ergebenden Auf-gaben zu erfüllen.Die Privatisierung von Unternehmen ist schwerer ge-worden, die Börsenkurse sind im Keller, also flüchtet manin die Kreditaufnahme bei einer staatseigenen Bank – eineschöne Finanzpolitik, meine Damen und Herren!Auch die Steuern fließen nicht mehr so reichlich. Indiesem Jahr sind es 1,8 Milliarden Euro weniger, als imMai geschätzt worden sind. Dies ist ein desaströses Er-gebnis. Im Jahre 2002 wird es kaum besser werden. Dieswird Ihr Waterloo bei der Bundestagswahl werden.
Glauben Sie bitte nicht, dass Sie eine Bundestagswahlallein mit außenpolitischen Themen gewinnen können! Diejetzt aktuellen Ereignisse werden dann bereits viele Monatezurückliegen. Sie werden vielmehr an Ihrer Finanzpolitik,Ihrer Haushaltspolitik und Ihrer Arbeitsmarktpolitik ge-messen werden. Sie werden an der Situation der Wirtschaftund der Arbeitslosigkeit gemessen werden. Hier haben Sieeine verheerende Bilanz aufzuweisen.
Im Jahr 1998 haben viele Menschen geglaubt, ein poli-tischer Neuanfang werde auch finanzielle Erleichterungenbringen. Sie hatten angekündigt, die Rezepte gegen Ar-beitslosigkeit zu haben. Das Ergebnis ist erkennbar: weni-ger Geld in der Tasche, weit verbreitete Arbeitslosigkeit,sinkende Investitionen, geringe Kaufneigung, Unsicher-heit über die wirtschaftliche Zukunft. Kein Afghanistan-Einsatz – ich sage es noch einmal – kann diese Fakten ausder Welt schaffen.Prinzipielles Übel sind die anteilig immer weiter sin-kenden Investitionsausgaben. Allein in diesem Jahr ha-ben sie ein historisches Tief von 10,1 Prozent am Ge-samthaushalt erreicht. Dieser Anteil der Investitionsaus-gaben ist keine abstrakte Zahl, sondern eine Schicksals-frage für die Bauwirtschaft und die vielen eng damit zu-sammenhängenden Bereiche. Was ein Einbruch bei denöffentlichen Investitionen in der ganzen Bundesrepublikbedeutet, wird für die Menschen immer deutlicher erfahr-bar.Die Bundesrepublik Deutschland bewegt sich kontinu-ierlich auf einen Punkt zu, an dem sie nicht mehr in derLage sein wird, ihre Infrastruktur – im Übrigen auch ihreSicherheitsinfrastruktur – zu finanzieren. Diese Entwick-lung findet seit längerer Zeit statt. Wer offenen Augesdurch unser Land geht, merkt die Mängel bereits. Ermerkt, dass die Mängel in der Infrastruktur größer undgrößer werden, und zwar nicht nur im Osten, wo der Auf-holprozess länger dauert als erwartet, sondern auch imWesten: Reparaturstau bei Autobahnen und Fernstraßen;die Bahn kommt nicht aus den Schlagzeilen; ein großerTeil der Bildungseinrichtungen ist in schlechter Verfas-sung. Ich sage Ihnen: Dies ist nur der Anfang.Wenn es nicht gelingt, den Anteil der Investitionsaus-gaben am Gesamthaushalt zu steigern, wird die Bundes-republik Deutschland – ein so reiches Land – nicht mehrin der Lage sein, die Infrastruktur einschließlich der Bil-dungsinfrastruktur zu finanzieren. An dieser Stelle wäreauch noch viel über die Bundeswehr zu sagen.Der Finanzminister – damit komme ich zum Schluss –hat die glücklichen Jahre der sprudelnden Steuern und derreichlich fließenden Finanzierungserlöse nicht genutzt.Seine Haushaltspolitik bestand aus einem Herumkurierenan den Symptomen, Routinearbeit. Nirgendwo gab es ei-nen wirklichen Eingriff. Nun stehen Sie vor dem Scher-benhaufen Ihrer Politik. Diese wird Ihnen im Jahre 2002entgegenzuhalten sein, Herr Eichel, und zwar nicht nur indiesem Hohen Hause, sondern auch von den Bürgern. Da-bei werden Sie schlecht abschneiden. Das muss Ihnenheute und hier gesagt werden.
Ich erteile dem Kolle-gen Oswald Metzger für das Bündnis 90/Die Grünen dasWort.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
Dr. Günter Rexrodt19931
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! KollegeRexrodt, mir fällt immer wieder auf, dass Sie als Mitgliedder Vorgängerregierung, in der Parlamentsdebatte tradi-tionell vor mir redend, vergessen machen wollen, dass Siein der letzten Legislaturperiode selbst Handelnder waren.Ich nenne als Beispiel die Verkehrsinfrastruktur undfange mit dieser Geschichte an. In der letzten Finanzpla-nung, die Herr Rexrodt als Wirtschaftsminister der altenKoalition im Kabinett Waigel mitgetragen hat, waren fürdie Verkehrsinfrastruktur 2002 19,6 Milliarden Euro vor-gesehen. Wir haben im Haushalt für das nächste Jahr20,8 Milliarden Euro für die Verkehrsinfrastruktur ein-geplant. Selbst in einem Bereich, in dem Sie uns Verfeh-lungen vorhalten, haben wir mit den Zinsersparnissendurch den Verkauf der UMTS-Lizenzen die Infra-strukturmaßnahmen im Bereich von Schiene und Straßegestärkt. Das ist die Wahrheit. Daran kommen Sie nichtvorbei.
Wenn man einen Finanzminister wie Hans Eichel beimThema Solidität der Finanzpolitik erschüttern will, dannmuss man doch, wenn man ehrlich ist, dies anhand desSaldos der Bilanz für die Jahre 1995 bis 1998 – das warenvier Regierungsjahre unter einer schwarz-gelben Koali-tion – im Vergleich zu den Jahren 1999 bis 2002 belegenkönnen. Unter die jeweiligen vier Haushaltspläne zieheich einen Strich und stelle fest: Zwischen 1995 und 1998hat diese Truppe
141,1 Milliarden Euro neue Schulden gemacht. Das ent-sprach einer Erhöhung des Gesamtschuldenstandes desBundes in vier Jahren um 23,4 Prozent.Jetzt kommt der Vergleich mit unserer Regierung. Zwi-schen 1999 und 2002 steigt die Verschuldung um 38 Mil-liarden Euro. Das ist eine Erhöhung von 5,2 Prozent desGesamtschuldenstandes. Selbst wenn ich die UMTS-Er-löse herausrechne, liegt der Anstieg der Neuverschuldungin den vier Jahren unserer Zeit bei 12 Prozent und damitimmer noch erheblich unter Ihrem Anstieg mit 23,4 Pro-zent. Das ist die nackte Wahrheit.
Das kann man dem deutschen Volk jederzeit klar ma-chen. Die Leute wissen, dass ohne Solidität in der Fi-nanzpolitik die dringend nötige Trendwende in unsererGesellschaft, in der wir über viele Jahre hinweg immermehr Geld aus Steuern benötigt haben, um Zinsen für alteSchulden zu bezahlen, nicht möglich ist. Soziale und öko-logische Politik in einem Industrieland wie Deutschlandist ansonsten nicht zu finanzieren. Diesen Trend haben wirgebrochen.Ich will heute nicht zu viele Zahlen nennen, sondernmich mit den Grundlinien beschäftigen. Stichwort Priva-tisierungserlöse: Sowohl Herr Austermann als auch HerrRexrodt haben sich mit diesem Thema beschäftigt. DerKollege Wagner hat in der Tendenz schon deutlich ge-macht, dass wir auch hier besser als Sie sind.
– Nein, auch nominal. Sie haben für den allgemeinenHaushalt in vier Jahren 14,1 Milliarden Euro an Privati-sierungserlösen verwandt. Wir haben mit dem, was wirnächstes Jahr als Brücke brauchen, um die NKA zu hal-ten, 10,9 Milliarden Euro Privatisierungserlöse einge-stellt.Ich darf eine letzte Zahl bringen, um Sie nicht zu er-schlagen. 1998 wies der Haushalt des Bundes – das wardas Haushaltsjahr, das wir zwar buchungstechnisch abge-schlossen haben, das aber noch überwiegend in Ihre Ver-antwortung fiel – ein strukturelles Defizit von 40 Milli-arden Euro auf. 28 Milliarden Euro betrug dieNettokreditaufnahme, 10 Milliarden Euro gab es anPrivatisierungseinnahmen. Hinzu kam eine Tilgungs-streckung beim Fonds „Deutsche Einheit“. So sieht esaus.
– Kollege Kalb, das lasse ich euch nicht durchgehen. DieVergleichszahl des letzten Jahres – strukturelles Defizit,bereinigt um Privatisierungserlöse und Münzeinnahmen –liegt bei 26,6 Milliarden Euro. Genau in dieser Ver-gleichszahl drückt sich der Rückgang des strukturellenDefizits des Bundeshaushalts aus. Das sind fast 30 Milli-arden DM, die wir tatsächlich als Konsolidierungsbeitragerzielt haben. Das ist ein Wort. Anders ist ein Vergleichder beiden Legislaturperioden in Bezug auf die Kredit-aufnahme nicht darstellbar. Daran kommen Sie nicht vor-bei.Wenn Sie dafür einen Kronzeugen wollen, der eher ausIhrem politischen Spektrum kommt, dann sage ich Ihnendazu Folgendes: Heute Morgen um 9.27 Uhr lief alsTickermeldung die Pressemitteilung des Verbandspräsi-denten des Deutschen Industrie- und Handelskammerta-ges, Herrn Braun, über die Agenturen.
Herr Braun hat gesagt, die Tatsache, dass diese Koalitiondie Nettokreditaufnahme im nächsten Jahr nicht erhöht,sei ein gutes Zeichen für die Märkte,
weil es die ernsthafte Absicht dieser Regierung unter-streicht, finanzpolitisch solide zu bleiben. Das ist eineWahrheit, die Sie auch aus dem Gutachten desSachverständigenrats herauslesen können. Wenn Sie vondiesem Gutachten sprechen, dann verweisen Sie immernur darauf, dass dort von einem Wachstum von nur0,7 Prozent ausgegangen wird, während die Regierungein Wachstum in Höhe von 1,25 Prozent unterstellt. Sienehmen aber nicht zur Kenntnis, dass der Sachverständi-genrat einmütig gesagt hat: Die Fortsetzung derKonsolidierungspolitik ist unbedingt richtig und vorgezo-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 200119932
gene Steuersenkungen, die auf Pump finanziert werden,sind abzulehnen.
Genau dies versucht die Koalition umzusetzen.Aus meiner Sicht braucht sich kein Mitglied der Ko-alitionsfraktionen für diese Politik zu schämen, weil mitdieser Politik Grundeinsichten umgesetzt werden, dieviele normale Bürgerinnen und Bürger in unserem Landhaben. Jeder weiß aufgrund seiner privaten Erfahrungen,dass er, wenn er ständig auf Pump lebt, nicht mehr aus derTinte herauskommt, weil er buchstäblich durch die Erb-last, die ihm die Zinsverpflichtungen auferlegen – von Til-gung möchte ich noch nicht einmal reden –, erstickt wird.Damit machen wir auf Bundesebene Schluss. Das ist zu-vörderst eine Frage der Gerechtigkeit. Das ist wichtig,weil ansonsten zum Beispiel für eine Volkspartei wiedie SPD überhaupt nicht darstellbar wäre, dass man dasWort „sparen“ auch als Gerechtigkeit für die kommendeGeneration übersetzen kann. Mit dem jetzigen Konsoli-dierungsprozess hat der Finanzminister dieser Mitte-Links-Koalition etwas geschafft, was konservative Fi-nanzminister in den vorangegangenen Jahrzehnten ganzselten bzw. fast nie erreicht haben.
Zum Thema Steuerpolitik: Sie wissen, welch enormerReformbedarf allein im Bereich der sozialen Siche-rungssysteme besteht. Die alte Koalition hat versucht,das Rentensystem durch das Einführen eines demographi-schen Faktors in die Rentenformel zu reformieren. Siewissen sicherlich noch, welche Debatten das im Wahljahr1998 ausgelöst hat.
– Einen Moment, jetzt kommt der entscheidende Punkt:Wir haben durch Einführung der Riester-Rente eineStrukturreform durchgeführt und haben damit das Ren-tensystem um eine Komponente erweitert, zu der Sie kei-nen Mut hatten,
nämlich den Einstieg in eine kapitalgedeckte Rente. Pri-vate Vorsorge, Eigenverantwortung – das ist ein Grund-prinzip, das gesellschaftspolitisch gesehen die einzigeWegmarke bei der Reform der sozialen Sicherungssys-teme, des Gesundheitswesens und der Arbeitsmärkte dar-stellt.
Machen wir uns nichts vor: Die gesellschaftspolitischeDebatte darüber ist schwer zu führen.
– Herr Kauder, Sie können sich echauffieren, wie Sie wol-len: An den Zahlen kommen auch Sie nicht vorbei.
– Sie von der CDU/CSU haben 16 Jahre regiert; wir erstdrei Jahre. Die FDPhat sogar 29 Jahre mitregiert und blästsich hier auf. Wo sind wir hier denn?
Wir haben vor drei Jahren mit der Auflösung des Re-formstaus in der Finanzpolitik begonnen – ich habe Ihnendas an den entsprechenden Zahlen weiß Gott deutlich ge-macht – und jetzt bei der Rente einen Systemwechsel be-schlossen, und zwar zusammen mit der Volkspartei SPD.Das war eine respektable Leistung der SPD, weil sieschlussendlich ihrer Wählerschaft und den Gewerkschaf-ten klar machen musste, dass beispielsweise der Einstiegin die private Vorsorge, in die Eigenverantwortung, auchbedeutet, dass der Aufbau des Kapitalstocks nicht paritä-tisch finanziert werden kann.
Diese Leistung werden die CDU/CSU und die FDP nichtwegdiskutieren können. Die Leistung der SPD erkenneich als Politiker der Grünen ausdrücklich an. Die Sozial-demokraten mussten eine viel größere Leistung als wir er-bringen. Das ist so. Deshalb muss man keinen Kotau ma-chen.
– Wir zerschlagen nicht die Rentenrücklage.Die Parteien des Regierungsbündnisses – darüber soll-ten Sie sich im Klaren sein – haben letzte Woche auf ihrenjeweiligen Parteitagen auf einem für beide Parteienschwierigen Feld Mehrheiten gefunden.
– Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, wenndie Frage, ob Kriegseinsätze und militärische Gewalt Mit-tel der Politik sein können, selbst bei vielen Ihrer WählerNachdenklichkeit auslöst, dann müssen Sie sich nichtechauffieren, wenn die beiden Regierungsfraktionen ei-nen Beschluss zugunsten militärischer Einsätze fassenund damit ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis stellen.Wir haben es gar nicht nötig, die Außenpolitik sozusagenals Deckmantel zu missbrauchen, um der innenpoliti-schen Debatte aus dem Weg zu gehen. Wir brauchen dieinnenpolitische Debatte nicht zu scheuen. Wir stellen unsin der morgigen Debatte Ihrem angekündigten massivenGeneralangriff in Sachen Wirtschafts-, Finanz- undSteuerpolitik.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
Oswald Metzger19933
Sie werden dann feststellen, dass Sie überhaupt nicht sogut aussehen, wie Sie meinen. Wir stehen nicht an derWand.
Wir können durchaus mit hoch erhobenem Haupt für un-sere Politik werben. Das wird Ihnen in dieser Woche nochklar werden; das können Sie mir glauben.
In einem Mittelteil meiner Rede gehe ich jetzt auf De-tails dieses Haushalts ein. Wir haben beispielsweise dieMittel für die Verkehrsinfrastruktur – ich habe die Zah-len genannt – im Jahr 2001 und für das Jahr 2002 massivaufgestockt. Allerdings hat – warum sollen wir darum he-rumreden? – der Systemwechsel, der dazu geführt hat,dass plötzlich mehr Geld zur Verfügung gestellt wird, alsin der langfristigen Planung vorgesehen war, auch dieVerwaltung des Staates vor Probleme gestellt. Dies giltsowohl für die Straßenbauverwaltung als auch für dieBahn AG. Sie können aber sicher sein, dass die Zusagengelten. Die Koalition geht davon aus, dass im nächstenJahr die Investitionsmittel tatsächlich abfließen werden.
Bereits jetzt sind die Aufträge von der Bahn AG an diemittelständische Bahnindustrie vergeben worden.
Ein Mittelständler, der Aufträge in seinen Büchern stehenhat, entlässt keine Mitarbeiter, sondern stellt sogar welcheein. Daher werden wir die Investitionsquote in der Haus-haltsführung so steuern, dass das, was wir durch einenKraftakt möglich gemacht haben, in unserer Volkswirt-schaft auch ankommt.
– Herr Kauder, Sie werden mich mit Ihren Zwischenrufennicht aus der Ruhe bringen. Im Stuttgarter Landtag magdas bei Ihnen funktioniert haben, aber nicht hier im Bun-desparlament in Berlin.
Im Bereich der Energiepolitik haben wir wichtige Si-gnale gesetzt. Diese Regierung hat nicht nur in techni-scher und atomrechtlicher Hinsicht den Ausstieg aus derAtomkraft geschafft, sondern die Energiewende auchdurch Programme organisiert, die derzeit massiv beschäf-tigungsstabilisierend wirken. Bei der Windenergiebrummt es, bei der Photovoltaik brummt es, bei der Bio-masse brummt es.
Warum brummt es? – Weil diese Koalition Markt-einführungsprogramme wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz beschlossen hat.Diese Initiativen haben gezeigt, wohin es bei der Ener-gieerzeugung in dieser Republik geht.
Allein in den letzten beiden Jahren hat sich die erzeugteKilowattstundenleistung aus regenerativen Energien ge-genüber Ihrer Regierungszeit verdoppelt. Dies kommt vorallem beim Mittelstand an; denn zum Aufbau dezentralerEnergieerzeugungsanlagen braucht man keine riesigenFirmen. Unsere Energiepolitik erreicht die Installateurevon Flensburg bis Bad Schussenried, um hier auch einmalmeinen Heimatort zu nennen.
Lassen Sie mich nun zu den neuen Gewichtungen kom-men, die angesichts des 11. September anstanden. DieserTag wird unvergessen bleiben. Welch nachdrücklicheWirkung er hervorgerufen hat, hat sich vor allem gezeigt,als vor zweieinhalb Wochen ein Flugzeug im New YorkerStadtteil Queens abstürzte. Hier im Reichstag war zuspüren, wie alle Kolleginnen und Kollegen die Luft an-hielten und sich fragten, ob es wieder ein Anschlag waroder nicht.Als Finanzpolitiker sind wir zu dem Schluss gelangt,dass die damit einhergehende Veränderung der Bedürf-nisse der Bevölkerung nach mehr äußerer und innererSicherheit in wirtschaftlich schwierigen Zeiten bei Gottnicht aus dem laufenden Etat finanziert werden kann. Da-her haben wir einen unpopulären Weg der Gegenfinanzie-rung gewählt – das räume ich ohne jede Einschränkungein – und eine Erhöhung der Versicherungsteuer und derTabaksteuer beschlossen.
Damit haben wir aber auch klar gemacht, dass wir dasThema ernst nehmen. Wir werden das nicht mit Kreditenfinanzieren, da die heutige Generation von der zusätzli-chen Sicherheit profitiert, für die wir jetzt Haushaltsmit-tel aufwenden.
Der Bevölkerung lässt sich vermitteln, dass wir im nächs-ten Jahr durch eine begrenzte Steuererhöhung 3 Milliar-den DM bzw. 1,5Milliarden Euro für mehr Sicherheit auf-bringen. Stellen Sie diese kleine Steuererhöhung bitteeinmal in Relation zu der Entlastung in Höhe von 45 Mil-liarden DM im Rahmen der Einkommen- und Unterneh-mensteuerreform des laufenden Jahres. Hier merken Sie,dass wir im Saldo von keinerlei Steuermehrbelastung re-den. Wir haben eine Steuerentlastung herbeigeführt; auchdas gehört zur Wahrheit.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
Oswald Metzger19934
Ich komme zu meinem Schlussteil. Angesichts einesbevorstehenden Wahljahres bin ich für Ehrlichkeit auchhier im Bundestag. Die wirtschaftliche Situation ist in derTat so,
dass wir in Deutschland am Rande einer Rezession vor-beischrammen.
– Das ist so. Seien Sie ehrlich!Andererseits ist die Trendwende innerhalb der US-Wirtschaft bereits absehbar. Die Anleihenmärkte, die im-mer ein guter Indikator der Konjunkturentwicklung sind,drehen seit zweieinhalb Wochen ähnlich wie die Aktien-märkte ins Plus. Am langen Ende steigen die Zinsen be-reits wieder.
Die Zehnjahresanleihe als Benchmark, die Treasury, liegtbereits um acht zehntel Prozentpunkte höher als vor zwei-einhalb oder drei Wochen, als sie sich auf ihrem Tiefst-stand befand.
Das signalisiert einen Turn-around der Ökonomie in derwichtigsten Volkswirtschaft auf diesem Globus. Wenndieser Turn-around kommt, dann kommt er auch in deneuropäischen Volkswirtschaften, darauf kann ich IhnenBrief und Siegel geben. Das könnte erst im zweiten Quar-tal eintreten; es kann, wenn es günstig läuft, aber auch be-reits im ersten Quartal der Fall sein.Angesichts dessen hätten wir als Koalition nun das ma-chen können, was Sie früher unter Theo Waigel in einersolchen Situation gemacht hätten: Wir hätten von demZiel abweichen können, die Nettokreditaufnahme kas-kadenförmig zu reduzieren. Sie wären die Ersten gewe-sen, die kritisiert hätten, wir könnten nicht mit Geld um-gehen, das sei schon immer so gewesen, wir seien ja Roteund Grüne.
Wir haben uns dazu entschlossen, die Nettokreditauf-nahme beizubehalten. Mit einer bescheidenen Privatisie-rungssumme von 2,7 Milliarden Euro verringern wir aberden Druck auf die Nettokreditaufnahme und haben damitdie Chance, den Dammbruch nach dem Motto „Ist der Ruferst ruiniert, gehen wir gleich in die Vollen“ zu verhindern.Wir haben finanzpolitisch Grund, solide zu bleiben. Wennsich die Konjunktur im nächsten Jahr entgegen Ihren Un-kenrufen und auch entgegen unseren Erwartungen schnel-ler zum Positiven wendet als wir jetzt unterstellen, habenwir ferner die Chance, auf die Privatisierungseinnahmenzum Ausgleich des Haushalts zu verzichten und auf denKurs zurückzukehren, den wir 1999 und 2000 hatten, alsPrivatisierungseinnahmen ausschließlich in die Postunter-stützungskasse zur Bezahlung von Beamtenpensionen undBeihilfen oder in die Schuldentilgung flossen. Die Chance,auf diesen Kurs zurückzukehren, haben wir nur, wenn wirdiese Reduzierung der Kreditaufnahme konsequent fort-führen. Das bedeutet Glaubwürdigkeit. Wir wären be-scheuert, jetzt auf Ihre Leimruten hereinzufallen und vordem Wahljahr die Pferde zu wechseln, weil Sie die Erstenwären, die dann semantisch wieder einen Kurswechsel an-mahnten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, Siemüssen in der Finanzpolitik schon andere Kraftakte un-ternehmen, um diese Koalition zu erschüttern, denn indiesem Bereich sind wir außerordentlich konstant, kon-servativ und solide.
Ich möchte auch noch einige Punkte ansprechen, dieeher über den Tellerrand einer Legislaturperiode hinaus-reichen. Politik muss man in Prozessen denken und nichtnur vor dem Hintergrund der tagespolitischen Perspek-tive. Als wir 1998 die Regierungsverantwortung übernah-men, fanden wir vier große Reformarenen vor. Das wareneine unsolide Finanzpolitik, eine nicht ausreichende Ren-tenreform, das Fehlen einer Gesundheitsreform und einerReform des Arbeitsmarktes. Sie haben immer von Refor-men geredet, aber keine gemacht.
Bei Ihnen lag die Zahl der Arbeitslosen schon einmal beifast 5 Millionen. Das dürfen Sie nicht vergessen, auchwenn Sie die Zahl selber nicht in den Mund nehmen.
Auch ich möchte diesen Vergleich hier nicht anstellen,weil das immer ein Spiel mit Einzelschicksalen vielerHunderttausend und Millionen Menschen bedeutet.
Ich meine, in der politischen Argumentation sollte manimmer auch an die Betroffenen denken und sich hier nichtnur gegenseitig Zahlen an die Köpfe werfen.
Wir brauchen in dieser Gesellschaft eine Reform desArbeitsmarktes, die beispielsweise Arbeitslosen- und So-zialhilfe in einem Sicherungssystem zusammenlegt. Paral-lel dazu müssen wir eine Gemeindefinanzreform durch-führen,
damit die Gemeinden nicht das Gefühl haben, sie bekä-men die Arbeitslosenhilfe aus dem Bundeshaushalt vorihre kommunalen Kämmereien geworfen. Dazu brauchen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
Oswald Metzger19935
wir eine größtmögliche Übereinstimmung auch in der po-litischen Arena Deutschlands. Den Bundesrat brauchenwir dazu.
Hand aufs Herz, verdammt – es regt mich immer auf,wenn so geredet wird –: In einem Wahljahr wird eine sol-che Reform doch schon allein deshalb nicht stattfinden,weil die Opposition der Regierung in dieser Zeit keineStrukturreform gönnt.
Das war schon immer so und das wird auch jetzt nicht an-ders sein.
Beim Thema Gesundheit ist es genau das Gleiche. Dasist von der sozialen Befindlichkeit der Bevölkerung hersogar noch das wesentlich schwierigere Thema. Niemanddarf das Gefühl haben, dass er nach einer Strukturreformdann, wenn er krank ist, sozusagen aufgrund seines eige-nen Vermögens darüber entscheiden muss, ob er sich dieOperation leisten kann oder nicht. Diese Angst haben dieLeute im Hinterkopf, wenn in der Gesundheitspolitik vonEigenverantwortung die Rede ist.Trotzdem brauchen wir uns nichts vorzumachen: ImGesundheitsbereich sind Reformen und ist Transparenzauf der Leistungserbringerseite notwendig.
Ich sehe nicht ein – das sage ich Ihnen ganz deutlich –,dass beispielsweise die gesetzlich Versicherten nicht wis-sen, was man für sie abrechnet.
Sie zahlen Beiträge. Sie wissen auf Mark und Pfennig,was sie pro Monat bezahlen.
Ähnlich wie in anderen Bereichen – jeder bekommt Lie-ferscheine und Rechnungen zu sehen, wenn er etwas be-zahlen soll – soll auch für die Ärzteschaft eine solche Ver-pflichtung bestehen.
Es ist mit Sicherheit logisch, dass auch in der Gesund-heitspolitik auf der Versichertenseite über Begriffe wieEigenverantwortung diskutiert werden muss.
Das gehört zur Wahrheit. Wir können es uns nicht leisten,im nächsten Jahr, auch wenn es ein Wahljahr ist, an die-sen Problemen unserer Gesellschaft vorbeizugucken.
Ich bin überzeugt, dass diese Koalition die Kraft undden Mut hat, nicht nur diese Legislaturperiode mit An-stand durchzustehen, sondern auch über das Jahr 2002 hi-naus eine Reformagenda aufzuzeigen. Wir werden bei denWählerinnen und Wählern für solche politischen Kon-zepte werben können, auch im nächsten Jahr. Ich freuemich schon auf den Ideenwettbewerb. Ich freue michschon darauf zu erleben, wie manche von Ihnen unter ver-meintlich populistischer Betrachtungsweise eines Wahl-kampfs plötzlich das Gegenteil von dem behaupten, wasSie, wenn sie in Tutzing oder anderswo nachdenklich re-den, so gern als Reformnotwendigkeit formulieren.
Quintessenz: Dass diese Koalition auch nach vier Jah-ren Regierungszeit als Rückgrat ihrer Finanzpolitik einesolide Haushaltspolitik vorzeigen kann und die Be-währungsprobe dieser soliden Haushaltspolitik auch inwirtschaftspolitisch schwerer See bestehen kann, zeigtder Etat des Jahres 2002. Außerdem haben wir im Bereichder Sozialstaatsreform mit der Rentenreform eine ganzwichtige Entscheidung in dieser Legislaturperiode getrof-fen, die man nicht unterschätzen darf.Deshalb ist es notwendig, uns innerhalb der Koalitionklar zu machen: Die Reformen in dieser Republik gehenweiter. Wir müssen der Bevölkerung vermitteln, dass Re-formpolitik sozusagen auch die richtige Zeit braucht. Manwird in einem Wahljahr – das weiß jeder Kommentator;da brauchen Sie nur die Presse zu lesen – nicht große ge-sellschaftspolitische Reformen machen. Unabhängig da-von wird man die Konzepte diskutieren und damit sozu-sagen auch zur Abstimmung an der Wahlbörse stellen.Diese Wahlbörse im nächsten Jahr brauchen wir als Sozi-aldemokraten und als Grüne, glaube ich, nicht zu scheuen.Wir werden daran arbeiten, dass diese Solidität nach denaußenpolitischen Diskussionen der letzten zweieinhalbMonate auch weiterhin Geschäftsgrundlage unseres Re-gierungshandelns bleibt.Vielen Dank.
Für die PDS-Fraktionerteile ich der Kollegin Dr. Christa Luft das Wort.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
Oswald Metzger19936
Frau Präsidentin! VerehrteKolleginnen und Kollegen! Kollege Metzger, im Volks-mund heißt es schon – das möchte ich nur sagen, weil Sieeben die Reformpolitik so gelobt haben –: Wenn das Wort„Reform“ fällt, dann halt dir die Taschen zu. Das ist das,was bei vielen Menschen inzwischen ankommt.
Angesichts des Streits darüber, ob wir uns „schon“ ineiner Rezession befinden oder „noch nicht“, auch überDefizitquoten usw., frage ich mich, was wohl die Zu-schauer – seien es Arbeitslose oder Jugendliche ohne Aus-bildungsplatz – von dieser Diskussion bisher mitgenom-men haben. Was nützt dieser Streit einem Handwerks-meister, dessen Firma vor der Pleite steht? Was nützt er ei-nem Beschäftigten bei Bombardier in Halle, der kurz vorder Entlassung steht, obwohl dieses Unternehmen üppigeFördergelder erhalten hat, eine Bestandsgarantie bei Ar-beitsplätzen bis zum Jahre 2004 abgegeben hat und diesenStandort dennoch jetzt schließen will. Diejenigen, die unszuschauen, haben große Probleme mit dem, was sich hierbisher vollzogen hat.
„Abbau von Jobs an vielen Stellen“, „Handwerk stürztin den Keller“, „Arbeitslosigkeit in Berlin und Branden-burg deutlich gestiegen“, „Das selbst gemachte Elend“usw. – das sind nur wenige aktuelle Schlagzeilen ausgroßen Tageszeitungen. Die Arbeitsmarktlage ist imletzten Jahr dieser Legislaturperiode, im vierten Jahr vonRot-Grün, eine Katastrophe. Das gilt für die neuen Bun-desländer im Besonderen, zunehmend aber auch für diealten Bundesländer. Vielleicht wäre der Bundeskanzlergar nicht schlecht beraten, wenn er einmal zu den Ergeb-nissen seiner Politik auf diesem Gebiet die Vertrauens-frage stellen würde.
Es zeigt sich abermals, wie inkonsequent und wie we-nig zielführend die Politik von Rot-Grün zur Bekämpfungdes gesellschaftlichen Hauptübels, der Massenarbeitslo-sigkeit, ist. Alle paar Monate wirft man etwas Neues in dieDebatte. Jetzt soll die Schwarzarbeit plötzlich bekämpftwerden. Wir sind nicht dagegen, im Gegenteil. Es ist nurreichlich spät; denn Unternehmen, die sich durch Zahlungvon Dumpinglöhnen eine goldene Nase verdient haben,sind durch die Steuerreform inzwischen zusätzlich entlas-tet worden. Das ist doch widersinnig.
Nun soll mithilfe des Job-Aqtiv-Gesetzes die Leihar-beit erleichtert werden. Umso unverständlicher ist, wes-halb dann nicht endlich energische Maßnahmen ergriffenwerden, um das Überstundenunwesen in diesem Lande zubegrenzen.
Betrachten wir das Für und Wider in der Diskussionum Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. In manchen ost-deutschen Regionen beträgt die Arbeitslosigkeit 30 bis40 Prozent und weit und breit sind keine Unternehmenvorhanden, die Arbeitsuchende in den ersten Arbeits-markt aufnehmen. Eine Diskussion um Streichung oderKürzung dieser Maßnahmen ist vor diesem Hintergrundeinfach absurd. Sollen denn Mobilitätsprämien die ein-zige Antwort sein? Das kann doch wohl nicht sein!
Warum wird nicht ein Teil der Mittel endlich für aktiveArbeitsmarktpolitik, beispielsweise im Pflegebereichoder im Bereich der Jugendarbeit, eingesetzt? In diesenBereichen liegt zuhauf ungetane Arbeit, die wir im Inte-resse des Gemeinwesens angehen sollten. Dies ist bitternötig. Auf diese Weise könnte zusätzliches Steuerauf-kommen generiert werden. Es stellen sich Fragen überFragen.Die Ankündigung, die Zahl der Arbeitslosen auf3,5 Millionen im Jahre 2002 zu reduzieren, ist nicht daseinzige gebrochene Versprechen des Kanzlers. Zu den ge-brochenen Versprechen des Kanzlers gehört auch, dassder Osten in Wahrheit nicht zur Chefsache geworden ist.
Kollege Wagner, für die neuen Bundesländer sind – wir be-grüßen das – in verschiedenen Einzelplänen Aufstockun-gen vorgesehen. Ich möchte hervorheben, dass das auchauf das hartnäckige Engagement meiner Fraktion in denverschiedensten Fachausschüssen und im Haushaltsaus-schuss zurückgeht.
Das betrifft unter anderem auch das von Ihnen ausdrück-lich hervorgehobene Netzwerkmanagement Ost. Sie kön-nen anhand der Eingangsdaten der Anträge nachprüfen,wer die Initiative ergriffen hat und wie lange es gedauerthat, bis die Koalition endlich zu einem Ergebnis kam.Ich will damit zum Ausdruck bringen, dass es nicht inOrdnung ist, wenn in einer solchen Debatte der Eindruckerweckt wird, als ob sich die PDS nur noch mit Bundes-wehreinsätzen außerhalb unserer Grenzen befasst. DieseFrage ist für uns zwar außerordentlich wichtig und wirwerden uns auch weiterhin kritisch damit auseinander set-zen; aber wir haben gerade in den letzten Monaten in derpraktischen politischen Arbeit an vielen Fronten dazu bei-getragen, dass sich etwas zum Wohle des Gemeinwesensbewegt.
Wenn man danach fragt, welchen Beitrag nun derHaushalt 2002 zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeitleisten wird, fällt die Antwort negativ aus. Vom Haushaltgehen sogar negative Wirkungen auf die Beschäftigungs-lage aus, weil die öffentlichen Investitionen sinken. Da-mit werden noch weniger private Investitionen ange-stoßen. Die Investitionsquote in der BundesrepublikDeutschland beträgt inzwischen ganze 1,8 Prozent. Dasist gegenüber einem EU-Durchschnitt von 2,5 Prozentwahrlich kein Ruhmesblatt.Regierungsmitglieder und Koalitionsfraktionen wei-sen nun Forderungen nach konjunkturbelebenden Maß-nahmen zurück. Sie folgen bislang brav dem Kanzler, der
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001 19937
die Politik der ruhigen Hand verordnet hat. Dabei nimmtdie Unruhe in den eigenen Reihen sehr wohl zu, wie manin manchen Talkshows abends inzwischen erkennen kann,und tatsächlich ist Handeln jetzt notwendig. Wer denKonjunkturabschwung zu spät bekämpft, den bestrafenRezession und steigende Arbeitslosigkeit. Das erleben wirgerade in diesen Monaten, in diesen Wochen, in diesenTagen, weil viel zu lange gezögert worden ist.Vom Bund fordern wir eine Stimulierung der öffent-lichen Nachfrage durch eine Investitionsspritze für dieKommunen, die diese für notwendige Infrastrukturmaß-nahmen dringend brauchen,
denn die Kassen der Kommunen sind gerade durch dieSteuerreform von Rot-Grün noch einmal besonders be-troffen. Dort sind riesige Löcher gerissen worden.Wir fordern eine Aufstockung des Stadtumbaupro-gramms Ost und Infrastrukturmaßnahmen in den Grenz-regionen zu den EU-Beitrittsländern. Finanziert werdenkann das durch Vorgriff auf für künftige Jahre vorgese-hene Maßnahmen. Wenn heute ein Vorgriff erfolgt, wirddas in künftigen Jahren zu einer Entlastung führen, aberwir hätten jetzt den Vorteil davon.Nachdem das Hauptziel von Rot-Grün, die Massen-arbeitslosigkeit spürbar abzubauen, verfehlt wird, avan-ciert ein anderes Ziel zum überragenden Gebot derHaushaltspolitik, nämlich der Abbau der jährlichen Neu-verschuldung. Wir haben uns häufig genug dazu platziert.Das ist ohne Frage ein wichtiges gesellschaftlichesThema. Aber obwohl die Eckdaten des Haushalts massivverändert werden, Steuereinnahmen beträchtlich sinkenund die Kosten für die Arbeitslosigkeit beträchtlich stei-gen, bleibt als einziges Eckdatum in diesem Haushalt dievorgesehene Neuverschuldung unverändert.Man könnte sagen, das sei eine Meisterleistung vonRot-Grün, aber dieses Prädikat würde der Vorgang nurverdienen, wenn gesellschaftlich unsinnige Ausgaben ge-strichen oder gekürzt worden wären. Ich nenne als Bei-spiele die öffentliches Geld aufzehrende Gesellschaft fürEntwicklung, Beschaffung und Betrieb der Bundeswehr,deren Geschäftsführerin inzwischen wegen Erfolglosig-keit zurückgetreten ist.
Jetzt wäre die Zeit, die gesamte Gesellschaft in Konkursgehen zu lassen. Ich nenne den Vergütungszuschlag fürdie skandalumwitterte Bundesbaugesellschaft. Ich frage,weshalb man das Missmanagement bei der EXPO in Be-zug auf die Verursacher so folgenlos lassen kann.
Warum wird Steuergeld in dreistelliger Millionenhöheeinfach so herübergereicht? Das gibt es nirgendwo anders,aber hier in diesem Haushalt funktioniert das so.Statt solche Ausgaben zu vermeiden, wird zum zusätz-lichen Verkauf von Bundesvermögen gegriffen. Mit soli-der Haushaltspolitik hat das nichts zu tun, zumal Sie, HerrKollege Metzger, durch das Parken von Bundesanteilenbei der Kreditanstalt für Wiederaufbau auch nur auf Pumpleben. Da ist doch auch noch nichts real veräußert und nie-mand weiß, zu welchen Erlösen das einmal führen wird.Übrigens können die meisten Kommunen ein solchesVorgehen, wie der Bund es sich leistet, nämlich Vermögenveräußern um Haushaltslöcher zu decken, nicht nach-ahmen, weil sie gar kein Vermögen mehr haben. Die Pra-xis auf Bundesebene ist also auch kein Vorbild für das,was Länder und Kommunen machen können.Bei aller Bedeutung, die einer rückläufigen Netto-kreditaufnahme im Interesse künftiger Generationenzukommt, darf sie nicht zum Selbstzweck werden. DerAusverkauf öffentlichen Vermögens zum Stopfen vonHaushaltslöchern ist von der Wirkung auf unsere Kinderund Enkelkinder her nicht anders zu bewerten als auf-gehäufte Schulden.
Beides begrenzt die Einflussmöglichkeiten, die Manövrier-möglichkeiten der öffentlichen Hand im Gemeinwohl-interesse. Wir stellen daher heute den Antrag, auf die überden Haushaltsentwurf hinausgehenden Verkäufe öffent-lichen Vermögens zu verzichten. Herr Austermann, nachIhrer massiven Kritik am Privatisierungskurs der Bundes-regierung könnten Sie, könnte Ihre Fraktion unseremdiesbezüglichen Antrag eigentlich zustimmen.Wer die Neuverschuldung dauerhaft abbauen will,muss zusätzliche Einnahmequellen erschließen. Das He-raussparen aus Defiziten ist keine Erfolg versprechendeStrategie. Als solche zusätzlichen Einnahmequellen kom-men aus unserer Sicht infrage: die energische Bekämp-fung des Umsatzsteuerbetruges, die volle Besteuerungvon Spekulationsgewinnen, die Rücknahme der Steuer-freiheit für Veräußerungsgewinne von Kapitalgesell-schaften und die Einführung eines progressiven Körper-schaftsteuersatzes.Wenn jetzt gerufen wird: „Der PDS fällt nichts ande-res ein als Steuererhöhungen“, dann sage ich: Nein. Wirfordern zum Beispiel schon lange in diesem Hause, fürUnternehmen, die arbeitsintensive Dienstleistungen er-bringen – darunter Reparaturleistungen –, den Mehrwert-steuersatz auf 7 Prozent zu begrenzen. Das würde vielenHandwerksbetrieben das Überleben sichern. Das würdewieder Nachfrage nach Handwerksleistungen schaffen.
Übrigens machen das andere europäische Länder schonerfolgreich.Wir fordern, für Kleinunternehmen mit einem Jahres-umsatz bis zu 1 Million DM die Umsatzsteuerabführungan das Finanzamt erst fällig werden zu lassen, wenn dieRechnung bezahlt, und nicht, wenn sie ausgestellt ist. Daswürde Zigtausenden von ihnen das Überleben sichern undden Beschäftigten den Arbeitsplatz erhalten.Wie aktuell, wie dringlich solche Forderungen sind,lässt sich ermessen, wenn man den diesjährigen Pleiten-rekord in Handwerk und Gewerbe vor Augen hat: allein33 000 Unternehmensinsolvenzen in diesem Jahr.Nein, auf die eigentlichen Probleme in dieser Gesell-schaft reagiert dieser Haushalt leider nicht.
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Dr. Christa Luft19938
Nun erteile ich das
Wort dem Finanzminister, Hans Eichel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Prä-sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Las-sen Sie mich bitte am Beginn kurz sagen, dass ich meinemVorvorvorgänger im Amte, Herrn Kollegen Stoltenberg,der in der vergangenen Woche verstorben ist – ich bin ihmnicht sehr oft begegnet; wenn wir uns politisch begegnetwären, hätten wir uns möglicherweise auch gestritten –,hohen Respekt für sein großes Engagement für eine solideFinanzpolitik in diesem Lande zolle. Das sollten wir,wenn wir ihn gemeinsam zu Grabe tragen, deutlich ma-chen.
Meine Damen und Herren, in der Tat ist es eine wirt-schaftlich schwierige Zeit. In der Tat ist es dieses Jahrganz anders als im vorigen Jahr, als wir den Haushaltsplanfür das Jahr 2001 in diesem Plenum diskutierten undverabschiedeten. Der vorliegende Haushalt ist auf Kantegenäht. Er enthält keine zusätzlichen Reserven. Es machtüberhaupt keinen Sinn, um diesen Sachverhalt auch nureinen Augenblick herumzureden. Ein Finanzminister, derum die Wirklichkeit herumredet, hat schon gegen die Lob-bygruppen, die in diesem Lande vorzugsweise Ausgaben-gruppen sind, verloren. Das gilt auf allen Rängen und übe-rall in diesem Lande.
Es ist natürlich sehr viel schwieriger, in wirtschaftlichschwierigen Zeiten einen Haushaltsplan aufzustellen. Voreinem Jahr waren alle Konjunkturprognosen für diesesJahr oberhalb von 2,8 Prozent.
Unsere eigene Grundlage waren 2 ¾ Prozent, was, wie Siewissen, da wir nicht auf die Dezimalstelle hinter demKomma genau schätzen – diese Scheingenauigkeit machtsowieso keinen Sinn –, zwischen 2,6 und 2,9 Prozent be-deutet hätte. Gekommen ist es, wie Sie wissen, ganz an-ders. Wir müssen in diesem Jahr mit 2 Prozent wenigerWachstum rechnen, als wir vor einem Jahr an dieser Stellegehofft und guten Glaubens in Hinsicht auf alle Pro-gnosen aller Sachverständigen, aller Wirtschaftsinstitute,aller internationaler Finanzinstitutionen angenommen ha-ben. Die Geschichte der Wirtschaftsprognosen ist die Ge-schichte ihrer kompletten Irrtümer.
Sie werden umso genauer, je mehr sie von der Prognoseder Zukunft in die Beschreibung der Vergangenheit über-gehen. So verhält es sich auch in diesem Jahr.Deswegen will ich zuerst einiges bezüglich des Haus-haltsplanes für dieses Jahr festhalten. Herr KollegeAustermann, Sie übertreffen sich immer wieder selbst:
einmal im völligen Überzeichnen noch möglicher Ein-nahmen. Noch im Februar haben Sie mich aufgefordert,ich sollte einen Nachtragshaushalt aufstellen, um nur alldie riesigen Mehreinnahmen, die ich alle versteckt hätte,einzusammeln. Das war im Februar dieses Jahres. Relativkurz danach haben Sie dann einen Turn-around vollzogen,von da an ging es genau umgekehrt, so auch heute wieder.Ich kann Ihnen auch jetzt Entwarnung geben: Ich werdenicht in den Haushaltsausschuss kommen
und eine Ausweitung der Kreditlinie beantragen. Esspricht alles dafür, dass wir relativ nahe – ich bin mitmeiner Formulierung vorsichtig – beim Abschluss desHaushaltes 2001 trotz der Minderung des Wachstums umganze 2 Prozent und der damit verbundenen Steuer-einnahmeausfälle und der höheren Ausgaben am Arbeits-markt an dem sein werden, was wir vor einem Jahr imDeutschen Bundestag beschlossen haben.
Das ist nun nicht allein Verdienst der Bundesregierungund all derer, die sich um einen vernünftigen Vollzugbemühen, sondern wir haben auch ein bisschen Glück ge-habt. Auch das gehört dazu. Es ist beim Haushalt immerso, dass Schwarzmalen alleine, Herr Austermann, obwohlIhnen die Farbe nahe liegen mag, keinen Sinn macht.
Es gibt immer auch positive Entwicklungen, diese wird esauch im nächsten Jahr geben, neben den vielen und größergewordenen Risiken. Es hat überhaupt keinen Zweck, umdiesen Sachverhalt herumzureden. Deswegen wird dasHaushaltsjahr 2001 konsequent im Rahmen des Konsoli-dierungskurses dieser Bundesregierung liegen, wie wirihn im Sommer 1999 mit dem Zukunftsprogramm 2000beschlossen haben.
Übrigens sage ich Ihnen ausdrücklich: Es werden auch dieInvestitionen ganz überwiegend und fast vollständig ab-fließen.Auch das Problem mit der Bahn ist gelöst. Damit wiruns darüber völlig klar sind, halte ich fest: Herr Mehdornhat gegenüber meinem Staatssekretär erklärt, dass alleAufträge für das Jahr 2001 vergeben sind, das heißt, ichspare auch da keine Mittel ein, sondern muss sie vielmehram Ende hinzufügen. Das ist die einzige Konsequenz, dainzwischen auch schon ein Teil der Aufträge für 2002 ver-geben ist. Genau das haben wir gewollt. Somit haben wirnicht auf der Bremse gestanden, vielmehr haben wir in derTat eine trilaterale Vereinbarung mit der Deutschen Bahngeschlossen. Ich kann gut verstehen, dass in meinem Hausgesagt wurde, dass die Mittel erst freigegeben werden,wenn wir uns über alle finanziellen Konditionen einigsind; ich habe aber sofort, als ich das erfahren habe, die-ses Vorgehen gestoppt, nämlich am 2. Februar; am 6. Fe-bruar waren alle Freigabeanträge des Bundesverkehrs-ministeriums, die die Bahn betrafen, von unserer Seiteentsperrt. Es gab also überhaupt keine Probleme.
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So gut ich es verstehen kann, dass man sich wünscht,dass der Finanzminister eine Reservekasse hat, so mussich doch sagen, dass wir das nicht wollen und angesichtsder derzeitigen konjunkturellen Lage die Mittel für Inves-titionen in den Haushalt einstellen, damit sie abfließenund wirksam werden. Ich hoffe, dass das nicht nur dasFinanzministerium macht, sondern alle dies tun.
Nun will ich zunächst über die jetzige Situation reden.Sie haben – Herr Rexrodt hat das gemacht, HerrAustermann nicht, weil er möglicherweise ahnt, waskommt – die Schlusslichtdebatte angefangen, indem siebehaupteten, dass Deutschland beim Wirtschaftswachs-tum in Europa das Schlusslicht sei.
– Passen Sie einmal auf, das ist ganz schwierig. DieseDebatte hätte ich an Ihrer Stelle nicht angefangen.Ich habe mir einmal vom Jahr 1981 bis heute diesenSachverhalt in ein entsprechendes Diagramm eintragenlassen und werde es Ihnen zustellen lassen, damit Sie alledas haben. Grün steht da für Westdeutschland und Ocker-farben steht dann für die Bundesrepublik Deutschlandnach der Wiedervereinigung. Daraus können Sie ganz er-staunliche Sachverhalte ablesen, meine Damen und Her-ren. In den von Ihnen so gerühmten 80er-Jahren – darübergehe ich schnell hinweg – haben Sie 1983 und 1984 ge-rade einmal den siebten Platz von 15 europäischen Län-dern erreicht.
1985 fällt Deutschland auf Platz 13 zurück und pendeltdie restlichen 80er-Jahre auf Platz 12 und Platz 13.
Wir lagen gerade einmal zwei Jahre richtig oben – wäh-rend des Wiedervereinigungsbooms in den Jahren1990/91 lagen wir jeweils auf Platz zwei –, dann ging esauch schon wieder herunter. Im Jahre 1992 gab es einensteilen Abstieg. Im Jahre 1996 haben Sie den letzten Platzin der Europäischen Union erreicht.
Herr Rexrodt, wer war in diesen Jahren Wirtschafts-minister? Wer von Ihren Kollegen war da Wirtschaftsmi-nister?
In dem ganzen Zeitraum, über den ich berichtet habe, wa-ren Mitglieder Ihrer Partei – zwischendurch auch Sie, derMister Wirtschaft – Wirtschaftsminister der Bundesrepu-blikDeutschland.Mankann sichdieNamennicht sogenaumerken, weil dieWirtschaftsminister so oft wechselten.
Kommen wir einmal – das ist hoch spannend – auf dasJahr 1995 zu sprechen. In diesem Jahr befand sich West-deutschland auf dem letzten Platz. Das war eine besondersdramatische Entwicklung. Man kann diese Entwicklungnoch weiter zurückverfolgen: Im Jahre 1993 lagen wir aufdem vorletzten Platz. Mit anderen Worten: Wenn Sie dieSchlusslichtdebatte führen wollen, dann müssen wirzunächst einmal über Ihre Schlusslichter reden. Davongibt es bei Ihnen viel mehr als bei uns.
Wir sind das erste Mal wieder an den Durchschnitt– Sie lagen im Übrigen immer unter dem Durchschnitt derEuropäischen Union – im Jahre 2000 herangekommen. Indiesem Jahr haben wir im Wirtschaftswachstum wiedergleichgezogen mit dem Vereinigten Königreich. Wir la-gen vor Italien und nur knapp hinter Frankreich. UnsereMesslatte müssen die Großen in Europa sein.
Ich komme nun zu einem Problem, das ich nachher beider Beschäftigungsentwicklung ein bisschen aufblätternwerde, nämlich zum Problem Bauwirtschaft. Was steckthinter diesem Tableau? Das ist eine ganz einfache, aberauch höchst dramatische Veranstaltung. Herr Rexrodt, ineinem Punkt stimme ich Ihnen zu, auch wenn Sie immerdas Gegenteil behaupten: Zu den Kosten der Wiederver-einigung und zu den Kosten des Aufbaus Ost – über Ein-zelheiten will ich nicht streiten – bekennen wir uns nach-drücklich. Aber wir bekennen uns nicht zu Ihrer Art derFinanzierung.
– Dazu sage ich Ihnen nachher etwas. – Was hat Sie ge-ritten, einen großen Teil der Finanzierung auf die Sozial-versicherungssysteme abzuwälzen? Daher rührt dochdie Steigerung der Sozialversicherungsbeiträge.
Was hat Sie geritten, in diesem Maße in die Verschuldunghineinzugehen und damit künftige Generationen zu be-lasten?Ja, wir hatten einen anderen Vorschlag; Sie werdensich daran erinnern können. Im Jahre 1989 haben nichtnur die Sozialdemokraten und nicht nur die Gewerk-schaften, sondern auch große Teile der Wirtschaft gesagt:Lasst die letzte Stufe der Einkommensteuerreform – sietrat pünktlich zum Bundestagswahlkampf 1990 inKraft – weg! Wir brauchen dieses Geld – es waren25 Milliarden DM aus der letzten Stufe der stoltenberg-schen Steuerreform –
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Bundesminister Hans Eichel19940
für die Kosten, die jetzt bei der WiedervereinigungDeutschlands entstehen. Unser Vorschlag war: Lasst unsdie Finanzierung solide machen!
Sie können also nicht behaupten, es hätte zu der Zeit keineAlternative zu Ihrem finanzpolitischen Kurs gegeben.Ihre Art der Finanzierung war ein fundamentaler Fehler.
Damit sind wir bei dem Thema, auf welche Weise Sieden Aufbau Ost privat finanziert durchgeführt haben. Daliegt das zentrale Problem hinsichtlich des Wirtschafts-wachstums. Sie haben nämlich mit den Sonderabschrei-bungen für den Aufbau Ost – diese haben übrigens in denJahren 1996/97 zum Verfall der Steuereinnahmen geführt;Sie mussten Ihren Fehler mit großem Erschrecken erken-nen und ihn mit unserer Unterstützung korrigieren –zweierlei bewirkt: erstens einen völlig überzogenen Ka-pazitätsaufbau der Bauwirtschaft und zweitens ein riesi-ges Maß an Fehlallokationen von Kapital, die wir heutedadurch bezahlen, dass wir Wohnraum in den ostdeut-schen Ländern abreißen müssen. Das ist die Situation, fürdie Sie mit Ihrer nicht durchdachten Aufbaupolitik imOsten verantwortlich sind.
Das hätte man, wie Sie wissen, viel klüger machenkönnen. Unser Vorschlag damals hieß nicht – das sage ich,damit auch in diesem Punkt die Alternative klar ist – Son-derabschreibungen. Wir wollten das nicht, weil wir derÜberzeugung waren, dass diese nur die Bezieher großerEinkommen geltend machen konnten, die es im Ostenaber überhaupt nicht gab. Unser Vorschlag hieß vielmehr:Lasst uns das über Zulagen machen! Die hätten nämlichalle unabhängig von ihrem Einkommen in Anspruch neh-men können. Dann wäre der Aufbau Ost ein privates Ver-mögensbildungsprogramm Ost geworden und kein Ver-mögensbildungsprogramm der Besserverdienenden imWesten. Das war unsere Konzeption für den Aufbau Ost.
Was steckt hinter dem Abstieg? Dahinter steckt dasEinstampfen der Überkapazitäten, die Sie geschaffen ha-ben. Das eigentliche Problem ist: Im vergangenen Jahr hatallein die Krise im Baubereich dazu geführt, dass dasWachstum um 0,8 Prozent geringer ausgefallen ist. Ohnediese Krise hätten wir ein Wachstum von 3,8 Prozent undwären damit eindeutig an der Spitze aller großen Länderin der Europäischen Union gelegen. Das ist die Situation,mit der wir es zu tun haben. Ausdrücklich sage ich – imÜbrigen hat das auch der BDI, wie Sie wissen, errechnet –:Für den Osten ist die Lage noch dramatischer. Denn imvorigen Jahr gab es einen Wachstumsverlust von 2 Pro-zent. Statt 1,1 wäre ohne diese Krise ein Wachstum von3,1 Prozent möglich gewesen.
Der BDI hat noch dramatischere Zahlen für dieses Jahr er-rechnet. Die neuesten Statistiken zeigen aber auch, dasswir in diesem Bereich jetzt zur Bodenbildung kommen.Dieser Teil einer verfehlten Art des Aufbaus Ost, wie Sieihn vorgenommen haben, wird demnächst aus unserenKonjunkturdiskussionen verschwinden.
Was haben wir vorgefunden? Im Jahre 1998 einenHaushalt mit einer Verschuldung von 28,8 Milliar-den Euro bzw. 56,4 Milliarden DM.
Dann haben Sie noch Privatisierungserlöse in Höhe von20 Milliarden DM eingesetzt. Das mussten Sie, weil Sieanderenfalls einen verfassungswidrigen Haushalt vorge-legt hätten,
so wie alle Ihre Haushalte seit 1996 verfassungswidrig imVollzug waren.
– Sie brauchen sich gar nicht so aufzuregen. Es wird nochspannend.
Jetzt kommen wir einmal zum Vergleich des Haushalts1998, also des letzten der vorigen Wahlperiode, mit demHaushalt 2002, mit demjenigen, der in dieser Woche zurVerabschiedung ansteht. Zuerst einmal ist festzuhalten:Herr Rexrodt, die Konsolidierung ist entgegen all dem, wasSie behaupten, über die Ausgabenseite bewerkstelligt wor-den. Denn 1998 – das gehörte übrigens zu Ihren Tricks –waren die Postunterstützungskassen – dies nur als Bei-spiel – und eine Reihe anderer Dinge überhaupt nicht Be-standteil des Haushalts.
Das heißt, wir mussten erst einmal alle bestehendenSchattenhaushalte in den Haushalt einordnen.
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Bundesminister Hans Eichel19941
Wenn man das tut, dann sieht die Ausgabensituationfolgendermaßen aus: Sie hatten in 1998 Ausgaben von228,7 Milliarden Euro. Wir haben im Jahre 2002 – dabeirechne ich die Mittel für das Investitionsfördergesetz ein;die Mittel, die durch eine Bilanzverkürzung nicht auf derAusgabenseite angesetzt werden, sondern im Sinne einesEinnahmeverzichts berücksichtigt werden, will ich derFairness halber zu Ihren Gunsten einrechnen,
und zwar anders, als Sie das früher bei den Kindererzie-hungszeiten oder beim Kindergeld getan haben –, berei-nigte Ausgaben – um vergleichen zu können – in Höhevon 219,3Milliarden Euro. Das heißt, wir haben nunmehrim vierten Jahr in Folge geringere Ausgaben, als Sie es imletzten Jahr Ihrer politischen Verantwortung gehabt ha-ben. Wenn das keine Konsolidierung über die Ausgaben-seite ist, was ist dann Konsolidierung über die Ausgaben-seite?
Wenn ich dann die NKA und zusätzlich die Priva-tisierungserlöse in Höhe von 2,75 Milliarden Euro, diewir einstellen, hinzurechne – das hat Herr Metzger zuRecht schon deutlich gemacht –, dann ist ein Konsolidie-rungserfolg von 30 Milliarden DM in diesen vier Jahrenzu verzeichnen. Wenn wir diese Politik nicht eingeleitethätten, dann müssten wir heute erklären, dass wir den Eu-ropäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt brechen, weilwir bereits deutlich über das Kriterium der 3 Prozent Neu-verschuldung, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, lie-gen würden.
Dann hätten Sie den anderen Europäern den EuropäischenStabilitäts- und Wachstumspakt aufgedrückt undDeutschland wäre das erste Land gewesen, das diesenPakt bricht. Können Sie sich eine solche Politik überhauptvorstellen? Sie hätten sie gemacht.
Deswegen ist zunächst einmal festzuhalten: Wir habeneingegriffen und eine Situation geschaffen, mit der wirheute, also auch in schwieriger Zeit, umgehen können.
– Mein Gott, sind Sie unruhig! Es kommt noch mehr!Wir haben doch nicht nur einen Konsolidierungserfolgvon 30 Milliarden DM zu verzeichnen. In diesem Bun-deshaushalt stecken Steuerentlastungen in Höhe von25 Milliarden Euro im Vergleich zum Haushalt 1998, denSie zu verantworten hatten.
Das macht bereits rund 80 Milliarden DM an Umstruktu-rierungen im Haushalt.
Am Ende dieser Wahlperiode – zum Beispiel das ist indiesen 25 Milliarden Euro enthalten – wird eine vierköp-fige Familie 1 920 DM netto mehr Kindergeld haben.
Das ist für eine Verkäuferin das 13. Monatsgehalt. Auchdas ist Teil dieser Bilanz.
Außerdem ist es so, dass der Handwerksmeister undder Einzelhändler am Ende dieser Wahlperiode de factokeine Gewerbesteuer mehr zahlen müssen. 50 Jahre langhat der deutsche Mittelstand das gefordert, von dieserBundesregierung unter Rot-Grün hat er es bekommen. Siehaben das nie geschafft!
In den Steuerentlastungen in diesem Haushalt steckteine Absenkung des Eingangssteuersatzes von 25,9 Pro-zent – das war Ihr Haushalt 1998 – auf 19,9 Prozent. Indiesem Haushalt steckt auch eine Erhöhung des Grund-freibetrages von damals 12 300 DM auf jetzt 14 100 DM.Das alles – das sage ich jetzt an die PDS gewandt, weilsie es angesprochen hat – sind konkrete soziale Maßnah-men zur Verbesserung der Situation der Bezieher kleinerEinkommen und der Familien. Das ist unsere Politik.
In diesem Haushalt stecken auch – anders, als Sie be-haupten – mehr Investitionen als 1998.
Ich rate, dass wir uns im Haushaltsausschuss gelegentlichein bisschen genauer über das Thema Investitionen unter-halten. Denn in diesen Investitionen – Herr Metzger hat esIhnen vorgerechnet – stecken mehr Mittel für denStraßenbau, für den Gleiswegebau, für den Verkehr ins-gesamt. Die wirklichen Investitionen sind höher als vor-her.
Das Investitionsförderungsgesetz haben wir übrigensgestern noch einmal im Finanzplanungsrat beraten. TunSie bitte Ihren eigenen Finanzministern in den ostdeut-schen Ländern nicht Unrecht. Sie wollen, dass alles nachwie vor investiv eingesetzt wird. Sie haben nur eine Bitte:Sie wollen in den ostdeutschen Ländern selber entschei-den können. Deswegen sind wir der Vorstellung gefolgt,
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Bundesminister Hans Eichel19942
die Investitionsfördermittel in Sonder-Bundesergän-zungszuweisungen umzuwandeln, was nichts anderesheißt als eine Stärkung der Entscheidungskompetenz derostdeutschen Länder. Das ist ein kleiner, aber wichtigerSchritt auf dem Weg zu mehr föderaler Aktivität inDeutschland und das finde ich vernünftig. Das sollten Sienicht denunzieren.
In diesem Haushalt steckt eine Erhöhung des For-schungsetats gegenüber dem 98er-Haushalt um 15,5 Pro-zent. Dabei ist das ausgelagerte BAföG gar nicht einge-rechnet, dann sind es sogar 20 Prozent.
Das ist eine zukunftsgerichtete Investition.Es sind auch 2 Milliarden DM für das JUMP-Pro-gramm enthalten. 332 000 Jugendliche, Herr Rexrodt,haben es inzwischen in Anspruch genommen. Wir habenauch erreicht, dass 40 000 zusätzliche Ausbildungsplätzeentstanden sind, was Sie nie erreicht haben. In den letztenbeiden Jahren war das Ausbildungsplatzangebot inDeutschland höher als die Nachfrage. Wir haben die Be-nachteiligung junger Leute abgebaut. Wir haben regionaleProbleme, das stimmt; aber wir haben zum ersten Malwieder einen Ausgleich und in der Bilanz sogar einenÜberschuss geschafft.Darin steckt natürlich auch die Rentenreform. Dazuwill ich Ihnen etwas sagen. Dieses Thema hat auf dem eu-ropäischen Kontinent unter den Großen nur Deutschlandangepackt und bewältigt – Frankreich nicht, Italien nichtund Spanien nicht. Sie werden das alle noch tun müssen.Die bedeutende strukturelle Entscheidung war, dass wirneben die umlagefinanzierte Rente eine zusätzliche, pri-vat finanzierte Vorsorge stellen, die wir übrigens bei denkleineren Einkommen stärker fördern, als es durch denArbeitgeberbeitrag geschehen wäre. Darauf muss ich hin-weisen. Deswegen ist das, was wir an dieser Stelle tun,auch sozial gerechtfertigt.
Herr Rexrodt, Sie beklagen die höheren Bundeszu-schüsse zur Rentenversicherung. Ich komme noch einmaldarauf zurück, dass wir uns dem Problem der alterndenGesellschaft werden stellen müssen.
Auch Sie haben das getan. Deswegen rate ich immer wie-der dazu, dass wir nur über das streiten, was man ange-sichts des Handelns streitig stellen kann. Sie haben dieMehrwertsteuer um 1 Prozent erhöht. Wir haben das un-terstützt, um zu verhindern, dass der Rentenversiche-rungsbeitrag von 20,3 Prozent auf über 21 Prozent steigt.Das haben wir noch vor der Bundestagswahl gemacht; dieErhöhung ist zum 1.April 1998 in Kraft getreten. Der ein-zige Unterschied ist, dass Sie eine allgemeine Verbrauch-steuer und wir eine spezielle Verbrauchsteuer erhoben ha-ben. Darüber können Sie streiten, aber mehr steckt nichtdahinter.Es ist übrigens richtig, an dieser Stelle die Steuerfinan-zierung zu verstärken, weil wir damit zwei Dinge errei-chen: Wir stabilisieren die Rentenversicherung und – dasist die Wahrheit – wir subventionieren die Beiträge, weil– darin sind wir uns einig – zu hohe Lohnnebenkostenfalsch sind.
Wir haben nicht den Fehler gemacht, die Gesund-heitsreform erst am Ende dieser Wahlperiode zu präsen-tieren. Wir haben es am Beginn getan und Sie haben sieseinerzeit im Bundesrat blockiert. Deswegen wird FrauKollegin Schmidt ganz am Anfang der nächsten Wahlpe-riode das Thema wieder ansprechen. Hoffentlich werdenSie – so wie beim vorigen Mal – dann nicht alles gleichwieder blockieren.
Das Antiterrorpaket ist enthalten. Wer allerdings be-hauptet, dass die kleine Erhöhung der Tabak- und der Ver-sicherungsteuer irgendeine konjunkturelle Bedeutunghabe,
der – da kann man sich nur an den Kopf fassen – kann daswohl nicht wirklich ernst gemeint haben.Meine Damen und Herren, damit komme ich zu dementscheidenden Punkt, nämlich der Arbeitslosigkeit.
Zunächst einmal möchte ich festhalten: Am Ende dieserWahlperiode dieses Bundestages sind alle Daten für dieFamilien, die Arbeitnehmer und die Unternehmen
– soweit es den öffentlichen Haushalt betrifft – weitausbesser, als Sie am Ende der letzten Wahlperiode des Bun-destages gewesen sind.
Das heißt, dass wir in einer sehr schwierigen Lage weit-aus bessere Rahmenbedingungen haben. Das ist der Sach-verhalt
Meine Damen und Herren, nun komme ich zur Be-schäftigung: In der Bilanz weisen wir 1,2 Millionen so-zialversicherungspflichtige Beschäftigte mehr auf.
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Bundesminister Hans Eichel19943
Es ist wahr, dass die Entwicklung im Moment zum Still-stand gekommen ist. Noch im dritten Quartal hatten wireinen zusätzlichen Aufbau von 19 000 Stellen. Seit unse-rem Regierungsantritt gibt es – bis jetzt – 1,2 Millionensozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr.
Auch wenn davon ein Teil wieder verloren geht, werdenwir den allergrößten Teil behalten. Im nächsten Septem-ber wird unsere Bilanz ein ganz starkes Plus in derBeschäftigung ausweisen. Dies gilt für den Zeitraum abAnfang der Wahlperiode – bzw. dem Ende Ihrer Regie-rungszeit – bis zu unserer Wahl im September nächstenJahres. Genauso wird es sein.
Dass dabei die Arbeitslosigkeit nicht so zurückgegan-gen ist, wie wir es gerne gewollt hätten, ist gänzlich un-bestreitbar. Der Rekordhalter sind und bleiben aber Sie;denn bei Ihnen gab es im Februar – das ist immer der Mo-nat mit der höchsten Arbeitslosigkeit – 1998 4,83 Milli-onen Arbeitslose. Die Arbeitslosenzahl im Februar nächs-ten Jahres wird mit Gewissheit eine halbe Million unddeutlich mehr darunter liegen.
Auch das ist wahr. Das heißt, dass in Deutschland daserste Mal nach dem Krieg die Sockelarbeitslosigkeit nacheiner wirtschaftlichen Krise deutlich niedriger sein wirdals vorher.
Bis dahin galt das Gesetz, dass man aus jeder Krise mit ei-ner höheren Arbeitslosigkeit herauskommt. Es ist daserste Mal, dass dieses Gesetz nicht mehr gilt. Wir habennicht so viel erreicht, wie wir wollten, aber wir haben einedeutlich bessere Politik betrieben, als Sie sie in Ihren16 Jahren jemals zuwege gebracht haben.
Im Übrigen wissen wir auch alle, woran es liegt.Schauen Sie sich einmal Europa an. Auch diese Datenwerde ich Ihnen gerne zur Verfügung stellen.
– Sie werden sich schon mit Fakten beschäftigen müssen,statt mit Sprüchen, die Sie sich ausgedacht haben und zudenen Ihre Werbeagenturen Ihnen gesagt haben, dass siesehr wirkungsvoll seien. – Faktum ist ein Abbau beimBau. Faktum ist auch, dass es in der DDR eine nichtwettbewerbsfähige Wirtschaft gab; die großen Indus-triebetriebe gingen, nachdem Sie über Nacht dem Wett-bewerb der Weltwirtschaft ausgesetzt wurden, kaputt. Daswerfe ich Ihnen übrigens nicht vor. Das war politisch garnicht zu vermeiden. Die Osterweiterung der EuropäischenUnion werden wir so aber nicht durchführen. Wir werdendie Grenzen erst öffnen, wenn es in Polen und in den an-deren Ländern eine wettbewerbsfähige Wirtschaft gibt.Diesen Anpassungsschock, der in Deutschland unver-meidlich war, wollen wir dort nicht wieder erleben.Ich komme zum öffentlichen Dienst und zu dem, wasim Wesentlichen Folge der alten SED-Herrschaft ist: Esgibt einen völlig überbesetzten öffentlichen Dienst.
Das ist eine der großen Wachstumsbremsen in den ost-deutschen Ländern.
Sie wissen selber: Dort, wo Sie in der Regierung sind oderwo Sie die Regierung mittragen, bauen Sie sie auch ab.
Deswegen sollten Sie die Ehrlichkeit haben, das an dieserStelle auch zu sagen.Wenn ich mir den Wachstumssektor und die Dienstleis-tungen ansehe, dann erkenne ich, dass Deutschland überdem Durchschnitt der Europäischen Union liegt. Der Zu-wachs an Zukunftsarbeitsplätzen ist bei uns weitaus höherals in allen anderen großen Ländern der EuropäischenUnion. Das ist unsere Bilanz.Ich will eines einräumen: Das eignet sich im Momentschwer für Schlagworte. Meine Damen und Herren, es istaber weitaus besser als das, was Sie in Ihrer Zeit zuwegegebracht haben.
Das Jahr 2002, das schwierig wird, wird ein weitaus bes-seres Jahr sein als das Jahr 1998, in dem Sie zu Recht ausder Regierung abgewählt worden sind.
Konsolidierung heißt – das kann man an diesem Haus-halt sehen –, weniger Schulden zu machen. Konsolidie-rung heißt, den Bürgern und den Unternehmen mehr Geldfür Nachfrage und Investitionen in der Tasche zu lassen.Konsolidierung heißt auch, den Haushalt auf die Zukunftauszurichten, statt mit ihm vergangene Schulden zu fi-nanzieren. Das ist es, was wir mit unserer Haushaltspoli-tik geschafft haben.
Dies wirkt natürlich auch konjunkturell. Wir betreibenkeine Konjunkturpolitik – darauf habe ich gerade hinge-wiesen und dies will ich noch einmal deutlich machen –,aber unser Haushalt wirkt zugunsten der Konjunktur.Er beinhaltet zum allerersten Mal einen verlässlichenfinanzpolitischen Kurs, weil per Gesetz Steuersenkun-gen bereits für zwei Wahlperioden verankert sind. Und
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Bundesminister Hans Eichel19944
das ist das Beste, was für die Investitionsbereitschaft vonBürgern und Unternehmen überhaupt gemacht werdenkann; denn sie müssen langfristig wissen, worauf sie sichverlassen können.Eine solide Ausgabenwirtschaft, die alleine die Garan-tie dafür ist, dass nicht wieder richtig in den Steuer-erhöhungstopf gegriffen werden muss, ist die zweiteverlässliche Planke unseres Haushalts.
Die dritte Planke ist die Verbesserung der Ausgabenstruk-tur. Sie haben uns doch die Schulden und die damit ver-bundenen hohen Zinsen hinterlassen. Gleich hinter denAusgaben für die Renten, was Sie, Herr Rexrodt, immerkritisieren, findet sich doch der Block „Zinsen“ mit mehrals 20 Prozent des Haushaltes. Es gibt in Deutschland kei-nen Haushalt, der so überschuldet ist wie der Bundes-haushalt und deswegen so wenig Spielraum für Zukunfts-investitionen lässt. Das ist Ihr Erbe, an dem wir zuknabbern haben und das wir abarbeiten.
In diesem Haushalt sind für das Jahr 2002 Steuerent-lastungen von fast 19 Milliarden DM festgeschrieben.Ein Teil wird aus der Steuerreform 2000 kassenwirksam;dies haben wir dieses Jahr eingeleitet und dies wird imnächsten Jahr zu echten Entlastungen führen. Hinzukommt die Erhöhung des Kindergeldes; das sind über5 Milliarden DM. Die AfA-Tabellenwerden sich auswir-ken, ebenso weitere ergriffene Maßnahmen. Es geht ins-gesamt um knapp 19 Milliarden DM bzw. fast 0,5 Prozentdes Bruttoinlandsproduktes und damit um eine Absen-kung der Steuerquote. – Im Übrigen sind die Entlastungenso hoch, wie es die Wirtschaftsforschungsinstitute ihrer-seits gefordert haben, ohne dass sie aber zur Kenntnis ge-nommen haben, dass dies durch diesen Haushalt ge-schieht.Neu ist das Projekt „Stadtumbau Ost“. Dieses Inves-titionsprogramm wird voll durch die Zinsersparnisse, diewir aufgrund der Schuldentilgung durch die Erlöse ausden Versteigerungen der UMTS-Lizenzen erzielt haben,finanziert. Zu nennen ist auch, was wir im Bereich derKfW und durch unsere Ausgabenprogramme machen.Schließlich gehört hinzu – das ist auch Teil unserer Fi-nanzpolitik –, dass der Osten selber mit dem Solidar-pakt II von jetzt an gerechnet für fast 20 Jahre Planungs-sicherheit für die Schließung der Infrastrukturlücke hat.Der Bundesrechnungshof hat kritisiert, dass wir die Be-träge so hoch angesetzt haben und dass wir so langfristigplanen. Diese Kritik des Bundesrechnungshofes halte ichaber für falsch. Es ist doch gerade umgekehrt: Eine lang-fristige Planung schafft Sicherheit. Das ist die einzige Ga-rantie dafür, dass es mit dem Aufbau Ost weitergeht. Dasist ein wesentliches Ergebnis dieser Politik.
Ich nenne auch das Job-Aqtiv-Programm. Ab dem1. Januar wird es eine große Vermittlungsinitiative geben.In den Arbeitsämtern stehen zusätzlich 3 000 Vermittler,also ein Drittel mehr als bisher, zur Verfügung; denn esgibt neben der hohen Arbeitslosigkeit 400 000 freie Stel-len. Wenn die Wirtschaft Recht hat, und auch der KollegeRiester, dann sind es sogar 1,5 Millionen. Diese freienStellen müssen uns aber bekannt sein. Dann können wiralles tun, damit diejenigen, die keine Arbeit haben, dort-hin vermittelt werden. Jedenfalls wird die Arbeitsverwal-tung, die in unserer Verantwortung steht, hier ihr Mög-lichstes tun.Kurzum: Wir legen uns krumm, um alles für den Ab-bau der Arbeitslosigkeit und somit den Anstieg der Be-schäftigung zu tun. Die Weltwirtschaft kann die Wirt-schaft eines einzelnen Landes nicht aushebeln. Das isteine Illusion und die Menschen in diesem Land wissendies. Mit dieser Propaganda werden Sie keinen Erfolghaben.
Im Übrigen: Wir „sparen“ keiner abflauenden Kon-junktur hinterher; das wäre in der Tat ein fundamentalerFehler. Die automatischen Stabilisatoren entfalten ihreWirkung. Dies würde ich aber viel beruhigter sagen, wennwir eine bessere Haushaltssituation hätten. Wir haben sieaber nicht. Hätten Sie 1995/96 mit der Konsolidierungbegonnen, die wir 1999 eingeleitet haben, dann könntenwir diese Situation beruhigter angehen, als das gegenwär-tig der Fall ist. Das ist wohl richtig.
Zu Ihren Vorschlägen muss man nicht mehr viel sa-gen. Es waren die klassischen: Schulden machen. Dies istetwas, was Sie zuverlässig beherrschen. Dies haben Siezuverlässig auch immer wieder in Ihren Programmen ste-hen. Sie haben keine Einsparvorschläge, sondern nur Aus-gabenvorschläge gemacht, sogar noch zusätzliche Sub-ventionen geplant. Denn um was handelt es sich sonst,wenn man bei der Landwirtschaft noch einmal etwasdrauflegt – um einmal ein Beispiel zu nennen –, wennnicht um Subventionen? Das ist übrigens das genaue Ge-genteil dessen, was wir in der WTO und in der Europä-ischen Union tatsächlich machen müssen.Außerdem haben Sie vorgeschlagen, die Steuerreformvorzuziehen. Hier gab es übrigens einen kläglichen Rück-marsch. Frau Merkel ist heute nicht da.
Wenn ich mir das Zehnpunkteprogramm ansehe, stelle ichfest: Angefangen hat es mit dem Vorschlag, alle Stufenvon 2005 auf 2002 vorzuziehen. Dann hat Herr Stoiberdazu gesagt – es war Frau Merkel richtig anzusehen, wiekonsterniert sie war –, dies sei wohl doch nicht zu bezah-len. Man könne dies also nicht machen, sondern allenfallseine Stufe vorziehen. Heute heißt es dazu: „CSU rudertbei Steuerreform zurück!“Gestern fand die Sitzung des Finanzplanungsratesstatt. Von den acht Finanzministern, die Ihrer Partei an-gehören, waren fünf da. Dass Herr Faltlhauser nicht ge-kommen ist, kann ich verstehen. Denn angesichts der Ver-sprechungen von Herrn Stoiber würde er vielleicht im
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Bundesminister Hans Eichel19945
Finanzplanungsrat gefragt, wie das denn in die Planungender öffentliche Haushalte passe. Die meisten anderen wa-ren aber da.Ich sage Ihnen eines: Niemand hat von irgendwelchenSteuersenkungen gesprochen. Sie haben im Gegenteilvielmehr versucht, die Debatte ganz schnell von der Fi-nanzpolitik weg in eine andere Richtung zu lenken. Siehaben auch ausdrücklich gesagt, dass wir den Konsoli-dierungskurs konsequent fortsetzen müssen. Das habenübrigens alle 16 unterschrieben.
Das ist sogar – falls das jemandem entgangen sein sollte –Wochen vorher verabredet und gestern einstimmig so be-schlossen worden. Das waren alle Länderfinanzminister.
Ich frage mich, welche Debatten Sie hier eigentlichführen. Jeder Finanzminister könnte sogar – es traut sichnur keiner, weil er dann seinen Ruf verliert – im Bundes-rat einen Antrag stellen: Ablehnung gesichert. Auf dieFrage, was Ihr Konzept sonst noch zu bieten hat, gibt esnur eine Antwort: Nichts!
Ich sage noch eines – allerdings ist Herr Brüderle heutenicht da –: Auf die Idee, dass die Finanzämter, statt Geldfür unsere gemeinsamen öffentlichen Belange einzutrei-ben, zukünftig Schecks ausstellen sollen,
muss ein liberaler Politiker, der immer sagt, der Staat sollesich raushalten, erst einmal kommen!
Dazu gehört noch die tolle Vorstellung, dass der Bund dieVerluste, die dadurch entstehen, dass die Aktienkurse sin-ken, ausgleichen soll.
Das war schon eine beachtliche Leistung. Ich kann ver-stehen, dass Herr Brüderle heute nicht gekommen ist.
Maastricht-Kriterien:Herr Brüderle war der einzige,der es gewagt hat, zu sagen, diese Kriterien könne manauch verletzen. An dieser Stelle wird es allerdings ernst,denn dies ist etwas, was niemand verantworten kann. Hierbin ich mit dem Kollegen Waigel, der jetzt nicht mehr daist, dies aber deutlich gesagt hat, einverstanden. Denn werdas einmal zulässt – und dann auch noch von der größtenVolkswirtschaft in der Europäischen Union –, der wirdlange rudern müssen, bis unsere gemeinsame Währung anden internationalen Kapitalmärkten wieder Boden unterdie Füße bekommt. Das geht aber nicht. Da hört der Spaßgänzlich auf.
Sie würden sich wundern, wenn Sie einmal über Ihreeigene Europatauglichkeit nachdenken würden. Wo sindSie eigentlich hingekommen, nachdem sich Helmut Kohlmanchmal gewiss etwas zu großzügig mit dem Geld, aberansonsten intensiv um Europa gekümmert hat?
Wo sind Sie eigentlich hingekommen, dass Ihnen dasvollkommen wurscht geworden ist? Angesichts Ihrer Vor-schläge gilt das auch dafür, was aus dem EuropäischenStabilitäts- und Wachstumspakt, was aus der Glaubwür-digkeit der Koordinierung der Wirtschaftspolitiken, wasaus der Glaubwürdigkeit der Koordinierung der Finanz-politiken wird.
Wo sind Sie eigentlich hingekommen, wenn Ihnen dasvöllig gleichgültig ist?
Ich freue mich doch – ich sage das ausdrücklich –, dasseiner in der Wirtschaft die Frage der Solidität richtig hochgehalten hat: Herr Braun. Wir sind nicht immer einerMeinung, aber ich stimme Ihnen zu, wenn Sie sagen – Siehaben das heute noch einmal gesagt –: Ich bin für einenKonsolidierungskurs. Wer A sagt, muss auch B sagen.Dann kann man nicht noch die Steuerreform weiter vor-ziehen. Das eine und das andere passen nicht zusammen.Das gilt auch für manches, was Sie in einer einzigen Redeunterbringen, meine Damen und Herren.Es wird nicht dabei bleiben. Wir werden viel zu tun ha-ben. Wir sind große Schritte mit unseren Strukturrefor-men in der Steuerreform, in der Haushaltskonsolidierung,in der Rentenreform, in der Reform der Pensionen des öf-fentlichen Dienstes gegangen. Hier können Sie noch zu-stimmen, wenn ich das richtig im Kopf habe. Sie ist nochnicht durch den Bundestag gegangen. Ich bin auf Ihr Ver-halten sehr gespannt.Sie werfen uns vor, auf der Ausgabenseite nicht zukonsolidieren. Jedes Mal aber, wenn wir das tun und dafürPrügel in Form von Demonstrationen einstecken, dann
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Bundesminister Hans Eichel19946
stellen Sie sich auf die andere Seite und hetzen gegen uns.Sie sagen, dass wir den Beamten etwas wegnehmen, ob-wohl wir nur das übertragen, was wir in der sozialen Ren-tenversicherung bereits haben. Das ist ein ziemlich schä-biges Spiel und das Ende jeder Glaubwürdigkeit IhrerFinanzpolitik.
Wir werden weiter arbeiten müssen. Das werden wirauch tun, damit hier überhaupt keine Zweifel bestehen:mit der Gesundheitsreform, der Zusammenführung vonArbeitslosen- und Sozialhilfe, die Walter Riester für denAnfang der nächsten Wahlperiode angekündigt hat, derGemeindefinanzreform, die nicht dazu führt, dass derBund mehr Geld gibt,
sondern dazu, dass die Gemeinden stetigere Einnahmenhaben und keine prozyklische Finanzpolitik machen. Da-rauf wird es ankommen. Weiter werden wir offensiv inden europäischen Binnenmarkt – Finanzdienstleistungen,Energiemarkt und andere Bereiche – hineingehen. Glei-ches gilt für die Stärkung des Welthandels durch dieWTO.Auf den Staat alleine kommt es nicht an. Dieser machtunheimlich viel.
Dafür legen wir uns krumm. Aber es sind auch ein paarandere an der Reihe. Bei der Lohnpolitik, die in Deutsch-land bisher sehr vernünftig gelaufen ist, habe ich keinenAnlass, anzunehmen, dass das künftig anders sein wird.Zum anderen sage ich ausdrücklich: Es ist fantasielos, ineiner solchen Situation über einen größeren Stellenabbaunachzudenken, statt zum Beispiel wie VW zu versuchen,durch Einführung anderer Arbeitszeitmodelle keine Leutezu entlassen; denn der nächste Aufschwung kommt in je-dem Falle. Dann wird man froh sein, wenn man verdienteund qualifizierte Leute hat.
Auch die Geldpolitik spielt ihren Part. Sie spielt ihnnur, weil die Fiskalpolitik mit dem Konsolidierungskursglaubwürdig bleibt. Die Europäische Zentralbank hättekeinen Moment daran gedacht, die Zinsen zu senken,wenn sie nicht die Gewissheit hätte, dass wir glaubwürdigauf Konsolidierungskurs bleiben.Es gibt neben allen negativen Signalen, die ich keinenMoment bestreiten will und deren Zahl im Momentgrößer wird, auch positive Signale. Aber es ist auch eineFrage, wie wir uns dazu stellen: Nehmen wir die positivenSignale überhaupt nicht zur Kenntnis oder versuchen wir,sie zu kommunizieren? Wer den Ölpreis von vor einemJahr mit dem von heute vergleicht, der merkt, dass es da-mals zu einem großen Kaufkraftentzug kam und jetzt al-leine der gesunkene Ölpreis zu einem eigenen Konjunk-turprogramm führt.
Wer sich die Preissteigerungsrate und ihren Rückgangansieht, der wird feststellen, dass wir bei den Verbrau-cherpreisen inzwischen bei 1,4 Prozent sind. Das ist dieWirklichkeit. Das heißt, hier kann die Steuerreform ihrenTeil bewirken. Die Kapitalkosten sind niedrig. Bei derEinschätzung der Situation muss man zwar vorsichtigsein, aber die Stimmung auf den Aktienmärkten ist nichtnegativ.Wenn ich mir den Autoabsatz im Oktober ansehe – wirwaren bis zum 11. September beim Autoabsatz auf einemstetigen Erholungskurs –, dann kann ich ein Plus von9,6 Prozent beim Absatz im Oktober im Vergleich zumVorjahresmonat erkennen. Das ist in der Tat ein gewalti-ger Erfolg.Es gibt also auch positive Zeichen. Der Turn-aroundwird kommen. Keiner weiß zwar genau, wann dies seinwird, aber alle rechnen damit, dass das nächste Jahr bes-ser als dieses wird.Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir sind auf ei-nem guten Kurs. Wir sind damit am Ende
dieser Wahlperiode des Deutschen Bundestages in einerweitaus besseren Situation als Sie, als Sie 1998 zu Rechtabgewählt worden sind.
Deswegen stellen wir uns mit großem Vertrauen demWählervotum im September des nächsten Jahres.
Sie werden weitere vier Jahre auf den Oppositionsbänkenzubringen müssen, weil Sie bisher nichts gelernt haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Peter Rauen.
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Herr Finanzminister Eichel, Sie haben übervieles geredet, aber nur sehr wenig über Ihren eigenenHaushalt.
Sie haben zu einem Trick gegriffen: Wenn man selbstnichts mehr zu bieten hat, dann beginnt man, die Vorgän-gerregierung zu beschimpfen und Statistiken aus den80er-Jahren hochzuhalten. Herr Eichel, ich sage Ihnen inaller Klarheit: Sie haben zu Recht Minister Stoltenberggewürdigt. Fakt ist: Er hat die Neuverschuldung von
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Bundesminister Hans Eichel19947
55Milliarden DM, die er 1982 übernommen hat, bis 1989auf 9 Milliarden DM zurückgeführt.
Fakt ist: Minister Stoltenberg hat von 1986 bis 1989 diegrößte Steuerreform – gemessen am Bruttoinlandspro-dukt – durchgeführt, die es in Deutschland je gegeben hat.
Fakt ist, dass unter der Regierung Kohl von 1983 bis 1989in den alten Bundesländern 3 Millionen neue sozialversi-cherungspflichtige Arbeitsverhältnisse entstanden sind.Davon sind Sie weit entfernt.
Sie haben eben beklagt, dass 1994 bis 1996 nicht mitder Konsolidierung begonnen worden sei. Sie wissen ge-nau, dass Finanzminister Waigel in den Jahren von 1995bis 1998 mit Steuerrückgängen von insgesamt 68 Milliar-den DM im Vergleich zu 1994 fertig werden musste. Da-mals wurde über die Ausgaben konsolidiert. Demgegen-über haben Sie von 1998 an in den folgenden vier Jahrenmit einem Steueraufwuchs von insgesamt 97 Milliar-den DM zu rechnen, aufgrund dessen Sie die Chance füreine wirkliche Konsolidierung gehabt hätten, die Sie abernicht ergriffen haben.Ich möchte den Kollegen Metzger – er ist gerade nichthier –, der gesagt hat, dass er für Ehrlichkeit sei, ermah-nen, auch die Wahrheit zu sagen. Er hat hier ausgeführt,dass in den Jahren 1995 bis 1998 für 141 Milliarden Euroneue Schulden gemacht worden seien, während es von1999 bis 2002 nur 38 Milliarden Euro gewesen seien.
Das ist die blanke Unwahrheit. Die Wahrheit ist, dass inden Jahren 1995 bis 1998 für 125 Milliarden Euro neueSchulden gemacht worden sind, während es in dem Zeit-raum von 1999 bis 2002 91 Milliarden Euro sein werden.Wenn Sie beklagen, dass mit der Konsolidierung nichtschon früher begonnen worden ist, dann muss ich Ihnensagen: Sie wissen doch, warum es damals Steuerminder-einnahmen gab. Der Grund dafür waren die Sonderab-schreibungen für die deutsche Einheit; in den neuen Bun-desländern sollte investiert werden. Sie wissen doch, dassdamals viele Finanzämter aufgrund dieser Sonderab-schreibungen mehr Steuern zurücküberwiesen haben, alssie eingenommen hatten. Sie als Finanzminister, geradewenn Sie auf Stoltenberg abheben, sollten dies mit allerKlarheit darstellen und nicht versuchen, einen falschenEindruck zu erwecken.
Herr Eichel, Sie haben das Ziel vorgegeben, die Staats-finanzen zu konsolidieren. Das ehrt Sie. Das hat Ihnen ei-nen guten Ruf eingebracht. Nur, wenn man sich Ihre ei-genen Zahlen anschaut, dann stellt man fest, dass das, wasSie bis jetzt vorzuweisen haben, mehr als dürftig ist.
Sie haben einen Steueraufwuchs von fast 49 Milliar-den DM in vier Jahren zu verzeichnen. Trotzdem verrin-gern Sie die Nettoneuverschuldung nur um lächerliche15,4 Milliarden DM – nicht mehr und nicht weniger. Zah-len lügen nicht. Diese Zahlen stehen in Ihrem Haushalt.Aber viel bedenklicher ist die Tatsache, dass Sie von 1998bis 2002 die Investitionen um 9,5 Milliarden DM kürzen.Wenn ich daran denke, dass Sie auch noch die Zinserträgeaus den UMTS-Erlösen investiv zur Verfügung haben,dann muss ich feststellen: Sie haben lediglich zulasten derSteuerzahler – indem Sie diesen immer mehr Steuern ausder Tasche gezogen haben – und zulasten der Investiti-onen – es wird keine mehr geben – konsolidiert. Damitwird die Zukunft verspielt.
Unter dem Strich bleibt von Ihrer Konsolidierung nichtsmehr übrig. Das ist die nackte Tatsache, die sich aus Ihreneigenen Zahlen in den Bundeshaushalten ergibt.Im europäischen Vergleich hat Deutschland einenbeispiellosen Niedergang im Hinblick auf die wirtschaft-liche Entwicklung erlebt. Drei Jahre Rot-Grün haben inder Tat genügt, Deutschland sozusagen stabil auf den letz-ten Platz in Europa zu führen. Nicht nur bei Wachstumund Beschäftigung sind wir Letzter; auch bei der Neuver-schuldung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, sind wirauf dem letzten Platz angelangt. Ausgerechnet das Mus-terland für Stabilität läuft Gefahr, im nächsten Jahr einwichtiges Kriterium für eine stabile europäische Währungnicht zu erreichen. Wer hätte das vor wenigen Jahren ge-dacht, als Deutschland die Kriterien für eine stabileWährung in Europa durchgesetzt hat?
Herr Eichel, hier nützt kein Schimpfen auf die Vorgän-gerregierungen. Das ist Ihre Finanzpolitik. Hören Sie end-lich auf, die Schuld auf die Vorgängerregierung zu schie-ben! Sie regieren seit drei Jahren; ich berichte über IhreFinanzdaten.
Das Spiegelbild der schlechten Wirtschafts-, Finanz-und Sozialpolitik der Schröder-Regierung ist der Ar-beitsmarkt in Deutschland. Herr Eichel, auf Ihrem Par-teitag haben Sie völlig zu Recht gesagt, der Arbeitsmarktsei die Achillesferse dieser Regierung. Schröder wolltebei seinem Regierungsantritt an seinen Erfolgen in der Ar-beitsmarktpolitik gemessen werden. Angesichts der Tat-sache, dass in den letzten drei Jahren in jedem Jahr215 000 mehr alte Menschen aus dem Erwerbsleben aus-geschieden sind, als junge Menschen hinzukamen, wardas Ziel, die Zahl der Arbeitslosen auf 3,5 Millionen zureduzieren, ohnehin schon mehr als bescheiden. Aberselbst dieses bescheidene Ziel werden Sie im Jahr 2002um 500 000 verfehlen.Vergleicht man die Zahlen von 1998 und 2001 – ichvergleiche keine Birnen mit Äpfeln –, kommt man zu fol-gendem Ergebnis: Wir hatten im Oktober 1998 3 892 000Arbeitslose, im Oktober 2001 3 726 000. Das sind zwar166 000 weniger; wahr ist aber, dass mittlerweile rund
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Peter Rauen19948
190 000 über 58-Jährige in der Statistik nicht mehr mit-gezählt wurden, die 1998 noch mitgezählt worden sind.
: Aha!)
Das heißt, dass die Arbeitslosigkeit zwischen Oktober1998 und Oktober 2001 zugenommen hat.
Schaut man sich die Entwicklung dieses Jahres an, sostellt man fest, dass seit Januar die Zahl der Arbeitslosenvon Monat zu Monat saisonbereinigt anstieg. Seit Augustliegt auch die absolute Zahl der Arbeitslosen höher als imVorjahresmonat, zuletzt im Oktober um 114 000.Herr Eichel, Sie haben eben wieder erzählt, niemandkönne Ihnen die 1,2 Millionen Beschäftigten nehmen. IhrArbeitsminister Riester erzählt denselben Stuss.
Das hat doch nur damit zu tun, dass heute die 630-Mark-Jobs mitgezählt werden, die früher nie mitgezählt wordensind. Das ist das Faktum.
Ich weiß gar nicht, zu welchem Zweck Sie sich in jedemJahr ein Sachverständigengutachten anfertigen lassen,wenn Sie nicht lesen, was darin steht.
Bereits vor über einem Jahr wurde dort festgestellt,dass der Anstieg des Beschäftigungsvolumens inDeutschland zum Stillstand gekommen sei. In dem neuenGutachten – ich hoffe, Sie haben es gelesen – steht, dassdas Arbeitsvolumen um 1 Prozent zurückgegangen ist.Das bedeutet, dass in diesem Jahr in Deutschland600 Millionen Stunden weniger gearbeitet worden sind.Aber nur für die Stunden, die die Menschen arbeiten, wer-den Steuern und Abgaben bezahlt. Hierin liegt der tiefereGrund dafür, dass nicht nur die Steuereinnahmen wegbre-chen, sondern auch die sozialen Sicherungssysteme einEinnahmenproblem haben und deshalb die Beiträge aufbreiter Front erhöht werden müssen.
Es ist schon beschämend, wie stiekum versucht wird– Herr Schröder ist jetzt nicht mehr anwesend –, für diejetzige Misere außenwirtschaftliche Gründe ins Feld zuführen, wobei auch ein bisschen auf den 11. Septemberabgehoben wird.
– Ja, aber bei „Was nun, Herr Schröder?“ hat der Kanzlerganz geschickt versucht, dem breiten Publikum zu sugge-rieren, die Terroranschläge und die wirtschaftliche Situa-tion in Amerika hätten etwas mit der Misere bei uns zutun. Meine Damen und Herren, genau das Gegenteil istder Fall: Der außenwirtschaftliche Einfluss ist nach wievor so groß, dass das Statistische Bundesamt im drittenQuartal 2001 feststellen konnte, der starke Export tragedas Wachstum in Deutschland, während die Wirtschaftohne diesen starken Export insgesamt um 1,2 Prozentzurückgegangen wäre.Diejenigen Firmen, die von der Binnenkonjunktur inDeutschland abhängen und keinen Anteil am Export ha-ben, mussten im dritten Quartal gegenüber dem Ver-gleichszeitraum 2000 einen Rückgang ihres wirtschaft-lichen Ergebnisses um 1,5 Prozent hinnehmen. DieFolgen sind unübersehbar. Wir werden in diesem Jahr mit33 000 Insolvenzen die größte Zahl von Firmenpleitenseit dem Ölpreisschock Anfang der 70er-Jahre zu ver-zeichnen haben. Das ist die Realität.
Es wird nicht deutlich genug gesagt, dass darüber hi-naus noch 8 000 bis 10 000 Betriebe in diesem Jahr stillliquidiert werden,
weil entweder kein Nachfolger vorhanden ist oder weilsich das Geschäft nicht mehr lohnt. Diese Realität ist dasErgebnis Ihrer verfehlten Wirtschaftspolitik.Die Gründe für die desolate Situation in der Wirtschaftund auf dem Arbeitsmarkt liegen nicht außerhalb unsererGrenzen. Sie liegen in der verfehlten Wirtschafts-, Fi-nanz- und Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung –in nichts anderem.
Herr Eichel, die Steuerreform haben Sie in den Sandgesetzt. Ich habe Ihnen hier im Mai 2000 gesagt: Wer eineSteuerreform zugunsten der Kapitalgesellschaften undgegen Mittelstand und Arbeitnehmer in Deutschlandmacht, der wird auf dem Arbeitsmarkt brutal scheitern.Genau dies erleben wir jetzt. Sie haben die Philosophievon Lafontaine übernommen, Unternehmen zu entlasten,nicht aber Unternehmer. Ich sage Ihnen zum wiederholtenMale: Wer Unternehmer nicht entlasten will, der will auchArbeitnehmer nicht entlasten,
denn beide haben den gleichen Einkommensteuertarif.Man muss wirklich die letzte Steuerschätzung zurKenntnis nehmen. Danach bricht die Körperschaftsteuervon 45 Milliarden DM auf 5 Milliarden DM weg, wäh-rend die Lohnsteuer erstaunlicherweise stabil bleibt.
Mir hat der hessische Finanzminister Weimar vor we-nigen Tagen gesagt – Hessen sollte Ihnen ja ein Begriffsein –,
dass in diesem Bundesland im Jahr 2001 die Zunahme beider Lohnsteuer größer ist als die gesamte Einnahme beider Körperschaftsteuer. Das ist die Realität und zeigt imKern, was ich Ihnen mehrfach sagte, Herr Eichel – Siehaben es auch nie widerlegen können –: Ihre größte
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Peter Rauen19949
Steuerreform aller Zeiten ist ein Betrug an der Mathema-tik. Sie haben dem Tarif 2005 Preise von 1999 überge-stülpt. Ein Arbeitnehmer, der von 2001 bis 2005 nur2,5 Prozent Lohnerhöhung bekommen haben wird, wirdim Jahr 2005 trotz dieser Reform prozentual mehr Steu-ern zahlen als im Jahr 2001.
– Nein, Sie haben dem nie widersprechen können. HerrEichel, Adam Riese können Sie nicht überlisten. Das isteinfach zu überprüfen. Deshalb können Sie das nicht wi-derlegen.Das zeigt sich auch bei den jetzt vorliegenden Steuer-schätzungen. Für die Menschen ergibt sich keine Ent-lastung. Herr Eichel, eine Steuerreform, die einerseitsentlastet – das wurde eben schon von den KollegenAustermann und Rexrodt gesagt –,
die andererseits aber so aussieht, dass durch die Ökosteuerden Leuten das Geld sofort wieder aus der Tasche gezo-gen wird,
kann auf dem Arbeitsmarkt keine Wirkung haben. Damitgeht Kaufkraft verloren. Die Menschen können insgesamtnicht mehr Geld ausgeben.
– Wenn Sie mir sagen, ich könne nicht rechnen, dannnehme ich das gar nicht mehr ernst.
Ich habe bei Ihnen so viel Beratungsresistenz erlebt, dassder Versuch zwecklos ist, Ihnen das beizubringen, weilSie es ohnehin nicht einsehen wollen.
Sie versuchen weiterhin permanent, die Menschenüber die wahren Gründe hinwegzutäuschen. Da sagte derUmweltminister vor wenigen Tagen, die Höhe der Sozi-alversicherungsbeiträge habe bei Übernahme der Re-gierung durch Rot-Grün bei 44 Prozent gelegen. Dasstimmt nicht. Wir hatten 1998 Sozialversicherungs-beiträge in Höhe von 41,9 Prozent. Da die Krankenkassendie Beiträge jetzt erhöhen müssen, werden die Sozial-versicherungsbeiträge im Jahr 2002 insgesamt 41,3 Pro-zent betragen.
Das heißt: Es gibt lediglich einen Rückgang um 0,6 Pro-zentpunkte.
– Nein. Den Leuten ist es doch egal, wofür die Abzügesind, ob für die Rentenversicherung, die Krankenver-sicherung, die Pflegeversicherung oder die Arbeitslosen-versicherung.
Ich stelle fest: Sie haben in den letzten fünf Jahren ledig-lich einen Rückgang um 0,6 Prozentpunkte erreicht. EinBeitragsprozentpunkt entspricht 16,9 Milliarden DM.0,6 Prozentpunkte entsprechen 10,14 Milliarden DM. Dasist die Erleichterung; das ist wahr. Aber mit der nächstenStufe der Ökosteuer – Sie lassen die Ökosteuer im Januarwiedersteigen–undeinschließlichMehrwertsteuerwerdenSie den Leuten 35Milliarden DM aus der Tasche ziehen.
Das heißt: Sie ziehen den Leuten 25Milliarden DM Kauf-kraft aus der Tasche. Das ist die Realität.
Und dabei erzählen Sie uns noch permanent das Märchen,Sie hätten die Lohnnebenkosten gesenkt. Das ist ein Witzfür jeden, der das solide betrachtet.
Das Schlimmste ist: Sie könnten so viele Dinge tun, dienichts kosten würden. Aber Ihnen einen Rat zu geben hatja keinen Zweck. Zum Vorziehen der nächsten Stufe derSteuerreform sage ich gleich noch etwas. OECD, Inter-nationaler Währungsfonds, EU raten uns seit Jahren, end-lich einmal unseren Arbeitsmarkt zu deregulieren.
Ich empfehle Ihnen, das Gutachten des Sachverständi-genrates zu lesen. Ich darf zitieren, was in diesem Gut-achten – das ist ein im Auftrag der Regierung erstelltesGutachten – steht:Am schwersten fällt der Bundesregierung das Um-denken und Umsteuern bei der Gestaltung derArbeitsmarktordnung. Sie kann sich offenbar nichtvorstellen, dass man es mit den Regulierungen auchübertreiben kann.So der Sachverständigenrat im November 2001.
Meine Damen und Herren, was haben Sie alles anZementierungen vorgenommen? Ich nenne nur einmal630-DM-Jobs, Scheinselbstständigkeit, Ausweitung desKündigungsschutzes, Einschränkung befristeter Arbeits-verhältnisse, Wiedereinführung der uneingeschränktenLohnfortzahlung, Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit undnicht zuletzt Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes.
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Peter Rauen19950
Das alles sind Regulierungen, die Sie rückgängig machenkönnten, ohne dass es einen Pfennig kosten würde.Herr Eichel, was ich bei Ihnen nie verstanden habe, istIhre rein buchhalterische Sicht der Dinge.
Sie sind ein Mensch, der nicht volkswirtschaftlich denkenkann.
Sie haben uns immer gesagt: Wenn wir die Steuerreformso machen, wie ihr sie wollt, dann können wir sie nicht be-zahlen. – Was erleben wir in diesem Jahr? Plötzlich müs-sen Bund, Länder und Gemeinden aufgrund eines völligwegbrechenden Wirtschaftswachstums 2001 und 2002mit 31 Milliarden DM weniger auskommen, weil schlichtund einfach Ihre miserable Wirtschafts-, Finanz-, Steuer-und Arbeitsmarktpolitik in diese chaotische Situation ge-führt hat.Wie billig wäre es gewesen, vorausschauend die Un-ternehmer und die Arbeitnehmer rechtzeitig zu entlastenund nicht erst im Jahr 2005! Da bekommen sie lediglichdas zurück, was die kalte Progression, das Zusammen-wirken von Inflation und Progression, ihnen vorher weg-genommen hat.Meine Damen und Herren, wir fordern weiterhin, dieSteuerreform vorzuziehen.
Aufgrund des finanzpolitischen Dilemmas, in das Ihre Po-litik uns gebracht hat, haben wir uns entschieden, Ihnenjetzt nur noch vorzuschlagen, die Steuerreform 2003 auf2002 vorzuziehen.
Das Ganze würde 15 Milliarden DM kosten. Davon ent-fielen 5 Milliarden DM auf den Bund.Herr Eichel, ich sage Ihnen: Die Arbeitnehmer habenin den letzten Jahren trotz Steuerreform und trotz mäßigerLohnerhöhung Kaufkraftverluste hinnehmen müssen;höhere Energiekosten haben ihnen die Kaufkraft entzo-gen, die sie gebraucht hätten.
Wenn wir den Tarifpartnern nicht durch eine Steuer-entlastung die Chance geben, im nächsten Jahr zu mode-raten Tarifabschlüssen zu kommen, dann, so fürchte ich,geraten wir in eine Lohn-Preis-Spirale, wie sie schlimmernicht sein könnte und wie wir sie volkswirtschaftlich inkeinster Weise gebrauchen können. Nehmen Sie deshalbdas, was ich sage, ernst!Fürmich ist nicht die Frage entscheidend, obwir uns dieSteuerreform unter fiskalischen Gesichtspunkten leistenkönnen. Fürmich ist die Frage entscheidend, obwir es unsleisten können, sie nicht durchzuführen. Diese Unterlas-sungkönnteeineTarifsituationzurFolgehaben,diesehrne-gative volkswirtschaftlicheAuswirkungenmit sich bringt.
Meine 20-minütige Redezeit ist abgelaufen; ich mussleider zum Ende kommen.
– Ich durfte nicht, wie der Finanzminister, 40 Minutensprechen.Herr Eichel, ich habe den Eindruck, dass Ihre Bera-tungsresistenz unverändert fortbesteht. Daher gibt es ausmeiner Sicht nur ein Konjunkturprogramm: eine neue Re-gierung im September nächsten Jahres.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt dem Kollegen Oswald Metzger
das Wort.
Kollege Rauen, als ich nicht im Saal war, haben Sie mich– das wurde mir zugetragen – der Unehrlichkeit geziehen.Das kann ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen. Deshalbwerde ich gleich diejenige Zahl verifizieren, die ich zuvorals Beweis für die Solidität unserer Regierung im Hin-blick auf die Saldenbilanz – es geht um die vier JahreSchwarz-Gelb von 1995 bis 1998 und um die vier JahreRot-Grün von 1999 bis 2002 – genannt habe.Meine Zahlen stimmen. Sie haben schlicht und ein-fach bestimmte Sondervermögen – beispielsweise Bun-deseisenbahnvermögen, Erblastentilgungsfonds, Fonds„Deutsche Einheit“, Verstromungsfonds – unterschlagen.Ich habe mich auf eine Statistik vom Ende des Jahres 1994bezogen, die unter Theo Waigel erstellt worden ist. Da-mals lag der Schuldenstand des Bundes inklusive Sonder-vermögen bei 744,7 Milliarden Euro. Vier Jahre vorherwaren es 603,6 Milliarden Euro. Das macht summasummarum einen Schuldenzuwachs von 141,1 Milli-arden Euro. Das entspricht 23,4 Prozent. Genau die Zahlhabe ich genannt.Ich nutze die Gelegenheit, die Vergleichszahl zu wie-derholen – dann steht es auch im Protokoll wiederholtrichtig –: Der Zuwachs der Verschuldung lag in unsererRegierungszeit bei 38,6 Milliarden DM. Berücksichtigtman die so genannte UMTS-Tilgung, liegt der Verschul-dungszuwachs bei 5,2 Prozent. Berücksichtigt man die sogenannte UMTS-Tilgung nicht – damit käme man Ihnenentgegen –, dann liegt der Verschuldungszuwachs bei12 Prozent. Nicht mehr und nicht weniger habe ich be-hauptet. Die von mir genannten Zahlen sind reell und be-lastbar.Vielen Dank.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
Peter Rauen19951
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Erwiderung er-
teile ich jetzt das Wort dem Kollegen Peter Rauen.
Herr Metzger, ich habe so
schnell die Zahlen nicht zur Hand. Sie müssen die aufge-
führte Nettoneuverschuldung der Jahre von 1995 bis 1998
solide addieren. Dasselbe müssen Sie mit der aufgeführ-
ten Nettoneuverschuldung der Jahre von 1999 bis 2002
tun. Wenn Sie so vorgehen, dann kommen Sie zu demsel-
ben Ergebnis, das ich hier vorgetragen habe.
Wenn Sie das, was mit „Sondervermögen“ verrechnet
wird, ins Feld führen, dann müssen Sie auch das berück-
sichtigen, was der KollegeAustermann schon heute Mor-
gen gesagt hat: In den Jahren von 1995 bis 1998 lagen die
Privatisierungserlöse bei rund 25,3MilliardenDMunddie
Privatisierungserlöse einschließlich der Einnahmen durch
die Versteigerung der UMTS-Lizenzen in den Jahren von
1999 bis 2002 werden bei 165 Milliarden DM liegen.
Das ist kein Seminar. Hier hören viele Menschen zu,
die all diese Rechnungen nicht kapieren und nur verwirrt
werden. Wenn Sie sagen, die haben so viel Schulden ge-
macht und wir haben so viel weniger Schulden gemacht,
dann ist das einfach unsolide. So darf man einfach nicht
vorgehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir fahren in derregulären Debatte fort. Nächste Rednerin ist die KolleginFranziska Eichstädt-Bohlig für die Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen.
Kollegen! Ich habe fast drei Stunden sehr aufmerksam zu-gehört. Ich bin erst seit einem Dreivierteljahr Mitglied desHaushaltsausschusses. Ich fühle mich da ein Stück weitals Lehrling. Was die Redebeiträge der Opposition an-geht, hat mich die heutige Debatte etwas erschreckt.
Ich habe Schönfärberei in Bezug auf das, was passiertist, als die vorherige Koalition die Regierungsverantwor-tung trug, gehört. Sie haben Schaumschlägerei in Bezugauf das praktiziert, wovon Sie glauben, dass es in Zukunftüberhaupt zu machen sei. Ich habe keinen einzigenkonstruktiven Vorschlag gehört, der machbar ist. In Be-zug auf die Wirtschaftsentwicklung haben Sie Schwarz-malerei betrieben. Wenn man dem Minister nach seinerRede vorwirft, er könne nicht volkswirtschaftlich denken,dann ist das wirklich schon fast wie unangenehmesSchafsgeblöke. Ich glaube wirklich, Sie müssten derErnsthaftigkeit der Debatte ein bisschen gerechter wer-den, als Sie das bisher getan haben.
Wenn ich die Dinge richtig verstanden habe, dann ha-ben wir – das ist das Erste – keine Rezession, sondern eingeringeres Wachstum als vorausberechnet. Wir sindschon an der Schwelle einer Wachstumsschwäche, abernicht in der Rezession. Ich halte es für unverantwortlich,wenn wir Politiker gegenüber den Bürgern durchSchwarzmalerei hier eine Rezession herbeireden. Damittun wir niemandem etwas Gutes und das darf weder dieOpposition noch die Koalitionsseite machen. Ich haltedas für wirklich unverantwortlich.
Das Zweite: Wir haben – das trifft zu – Probleme mitder Arbeitslosigkeit, die deutlich mehr angestiegen ist,als wir alle es gehofft hatten. Aber ich möchte auch hierein Stück Ehrlichkeit haben. Ich sitze hier in vielen De-batten, und obwohl eigentlich klar ist, dass in einer Markt-wirtschaft die Wirtschaft die Arbeitsplätze schafft,
wird jetzt so getan, als wären wir in einer Planwirtschaft,als müsste die Arbeitsplatzfrage von oben qua Dekret ge-klärt werden, als müssten hier die Arbeitsplätze aus demHut gezaubert werden. Ich glaube, damit werden wir die-sem schwierigen Problem auch nicht gerecht. Auch dawerbe ich dafür, dass die Opposition etwas nachdenkli-cher wird, als sie das bis zur Stunde gezeigt hat.
Der dritte Punkt: Ich muss sagen, ich verstehe es im-mer noch nicht. Sie wollen, dass wir durch Vorziehen dernächsten Stufe der Steuerreform die Steuern weiter sen-ken, obwohl niemand weiß, woher das Geld dafür kom-men soll. Gleichzeitig wollen Sie, dass wir die Ausgabenzur Stimulation der Konjunktur steigern, insbesonderedie Investitionsausgaben, obwohl Sie auch nicht sagenkönnen, woher Sie das Geld dazu nehmen wollen. Außer-dem hat Herr Austermann – da musste ich sogar mein Ma-nuskript korrigieren – nicht nur versprochen, er würde dieNettokreditaufnahme noch halten, sondern auch ver-sprochen, er könnte sie senken. Da kann ich nur sagen:Bingo, herzlichen Glückwunsch! Wie Sie diese Quadraturdes Kreises hinkriegen wollen, verstehe ich wirklich beimbesten Willen nicht. Ich erwarte nach wie vor von einerOpposition, dass sie mit Daten und Zahlen und mit unse-rer Haushalts- und Verschuldungslage sehr ernsthaft um-geht und den Bürgern keine falschen populistischen Ver-sprechungen macht, wie Sie das hier jetzt stundenlanggetan haben.
Dann versprechen Sie auch, Sie könnten gleichzeitigdie Ökosteuer nicht nur aussetzen, sondern sie nachMöglichkeit noch rückgängig machen, Sie könnten dieSozialversicherungsbeiträge senken und hätten damit
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alles im Griff. Sie müssen mal langsam das Einmaleinslernen, das unsereins in der Schule gelernt hat.
Herr Austermann hat sich noch so weit verstiegen undgesagt, das, was Rot-Grün mache, sei keine Konsolidie-rungspolitik, sondern er könnte hier eine nachhaltige Fi-nanzpolitik einbringen; er könnte den künftigen Genera-tionen versprechen, dass in Zukunft die Schulden sinken.Ich habe wirklich nicht verstanden, Herr KollegeAustermann,
wie Sie das eigentlich wahr machen wollen. Mir ist nichtklar, was Sie eigentlich vorschlagen. Sie sollten hier nichtnur ständig Kritik üben, sondern auch sagen, was Siewirklich machen wollen. Daraus bin ich nicht schlau ge-worden. Vielleicht schaffen Sie es ja noch einmal, uns daszu erklären. Ich hatte das Gefühl, dass das, was Sie unshier empfehlen wollen, ziemlich kraus und konfus ist.Lassen Sie mich eines noch konkret schildern. Kolle-gin Luft hat gesagt, man solle die Ausgaben der künftigenZeit zur Stärkung der Investitionskraft vorziehen. Dashaben Sie ja auch ständig gefordert. Ich habe mir nocheinmal herausgeholt, was Sie seinerzeit mit den Straßen-bauinvestitionen gemacht haben, die Sie damals durchprivate Vorfinanzierung realisieren wollten, was zulas-ten unserer jetzigen Investitionskraft geht. Ich möchte Ih-nen die Zahlen noch einmal vortragen. Wir haben heuteLasten aus der privaten Vorfinanzierung von Autobahn-bauprojekten und Straßenbauprojekten in Höhe von7,5 Milliarden Euro, und von diesen 7,5 Milliarden sind4,5 Milliarden echte Bauinvestitionen und 3 MilliardenVorfinanzierungskosten, die wir alle mitfinanzieren müs-sen. Da wir von Ihnen einen riesigen Schuldenberg geerbthaben, müssen wir die Schulden jetzt durch neue Kredit-aufnahme abbezahlen. Das heißt, wir zahlen die Finan-zierungskosten zweimal, einmal durch eigene Kreditauf-nahme und einmal durch die Kreditaufnahme derVorfinanzierung.Wenn Sie uns jetzt vorwerfen, wir hätten nicht mehrSpielraum zur Stärkung der Investitionskraft, dann kannich Ihnen anhand dieses Beispiels ganz genau sagen: Pri-vates Vorfinanzieren und Vorziehen von Investitionen, diespäteren Generationen und Haushalten zugute kommensollen, ist eine unsolide Politik. Sie haben die unsolide Po-litik betrieben und werfen uns heute vor, wir hätten nichtmehr Geld für Investitionen. Das müssten Sie sich wirk-lich einmal überlegen. Gucken Sie sich Ihre eigene Haus-haltspolitik von damals an!
Auch Ihre Vorwürfe im Hinblick auf das, was beimBürger im Portemonnaie bleibt, sind falsch. Es ist völligfalsch, immer zu behaupten, die Ökosteuer habe sämtli-che anderen Positionen geschluckt. Das stimmt überhauptnicht. Wir haben Steuern gesenkt. Wir haben das Wohn-geld erhöht. Wir haben das BAföG erhöht. Wir haben dasKindergeld deutlich erhöht. Wir haben eine Reihe vonTransferleistungen stabilisiert und punktuell erhöht. Dakönnen Sie doch nicht sagen, wir hätten nicht die Kauf-kraft der Bürger gesteigert.Wir wollen insbesondere die Kaufkraft der Bürger mitkleinem Portemonnaie steigern und haben dies auch ge-tan. Das ist sehr wichtig. Denn dort kann die Binnen-nachfrage wachsen. Ansonsten müssen wir einfach sehen,dass wir eine Wohlstandsökonomie haben, wo der Bin-nenmarkt in hohem Maße gesättigt und die Nachfragenicht beliebig steigerbar ist. Das Wachstum kann nichteinfach im Innenbereich angekurbelt werden, sondern istüberwiegend auf den Exportbereich angewiesen.Wir haben gerade im parlamentarischen Verfahren dieInvestitionskraft sehr wohl noch einmal ein Stück weit ge-genüber der Regierungsvorlage gesteigert. Beim Markt-einführungsprogramm haben wir noch einmal 100 Milli-onen Euro aufgesattelt. Wir haben die Mittel für dieEnergieforschung gesteigert. Wir haben die Mittelstands-förderung gerade auch für Ostdeutschland gestärkt undstabilisiert. Das gilt auch für die sonstige Forschung inOstdeutschland im Wirtschaftsetat.Wir investieren 20,8 Milliarden in die Verkehrsinfra-struktur. Ich sage Ihnen ganz klar: Wer meint, man könnedurch Verlagerung von Investitionen von der Bahn aufdie Straße die Investitionskraft steigern, unterliegtschlicht einem Irrtum. Wir brauchen die Gelder gerade beider Bahn.
Bei der Bahn werden auch mehr Arbeitsplätze gebunden.Im Straßenbau haben wir ausreichend Gelder. PflasternSie doch nicht ganz Deutschland zu, sondern lassen Sieuns die Gelder dort einsetzen, wo es von der Umweltver-antwortung und vom Klimaschutz her sinnvoll und nötigist und wo unsere Bürger sie auch brauchen, damit dieBahn wieder pünktlich fährt und auch die Fläche ver-nünftig erschließt! Fordern Sie nicht falsche Investitio-nen! Wir wollen die Mittel umweltverträglich und sinn-voll einsetzen und nicht Investitionen um ihrer selbstwillen stärken.
Andere Punkte sind schon genannt worden, gerade derStadtumbau Ost. Es ist, wie Minister Eichel erklärt hat,schon absurd, dass Sie durch eine falsche Stimulation vonWirtschaftsimpulsen und durch Überentwicklung derBauwirtschaft im Osten dazu beigetragen haben, dass wirden Stadtumbau Ost und auch so harte Maßnahmen wieAbrisse wieder fördern und finanzieren müssen. Das istabsurd, und von daher wollen wir auf keinen Fall eineKonjunkturpolitik, die Fehlallokationen mit sich bringt.Vielmehr wollen wir sehr genau darauf schauen, dass dieMaßnahmen, die wir durchführen, sinnvoll, gesellschaft-lich nötig und ökologisch zukunftsfähig sind.
Wir haben den Stadtumbau Ost und die Städtebauför-derung wieder gestärkt. Wir haben die „soziale Stadt“gestärkt. Wir haben wieder den sozialen Wohnungsbaugestärkt, wobei wir – außer in Ballungsräumen wie Mün-chen, Stuttgart, Frankfurt – nicht so sehr an den Neubau
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Franziska Eichstädt-Bohlig19953
denken, sondern an die Aufgabe der Bestandserneuerung,die der soziale Wohnungsbau in einer Reihe von Städtendringend braucht, damit wir keine soziale Schieflage ineinzelnen Stadtquartieren bekommen.Wir haben auch im Bereich Agrarwende ganz deutli-che Zeichen gesetzt. Wir stärken den Verbraucherschutz.Wir haben das Förderprogramm für ökologische Modell-projekte und ein Förderprogramm für den Umbau vonStällen auf artgerechte Tierhaltung auf den Weg gebracht.
Gerade im ländlichen Raum wird also mit unserer Haus-haltskonzeption aktiv investiert. Das wird sowohl derBauwirtschaft als auch der Landwirtschaft gut tun.
Kurzum: Wir haben dem Haushalt einige grüne Im-pulse gegeben. Darauf sind wir sehr stolz. Wir lassen unsaber durch Sie in keiner Weise vom Konsoli-dierungskurs abbringen. Denn er ist die Voraussetzungfür zukunftsfähige Haushaltspolitik. Wir haben noch ei-nen schwierigen Weg vor uns. Er ist durch die Kon-junkturentwicklung durchaus nicht leichter geworden;das behauptet hier niemand. Diesen Konsolidierungskurswerden wir im Interesse der folgenden Generationen fort-führen. Wir machen keine unverantwortliche Haushalts-politik allein mit Blick auf den nächsten Wahltermin, son-dern eine verantwortliche für die Zukunft und für unsereKinder.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort für die FDP-
Fraktion hat jetzt der Kollege Jürgen Koppelin.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Wenn es richtig ist, dass der Bun-deshaushalt das Schicksalsbuch der Nation ist, dann– das wird jedem sofort klar – sieht angesichts des Bundes-haushaltes 2002 das Schicksal der deutschen Nation sehrdüster aus.
Ich habe außerordentlich bedauert – es ist ja mehrfach da-rauf hingewiesen worden, dass es die letzte Haushaltsde-batte der rot-grünen Koalition ist –, dass nicht einmal derBundesfinanzminister, nachdem es schon die Redner derKoalition nicht gemacht haben, eine Bilanz der Haus-haltspolitik der rot-grünen Koalition gezogen hat. Dasser das vermieden hat, kann ich sehr gut verstehen, aberman soll uns dann nicht Vorwürfe machen, wenn wirKritik üben und für den Finanzminister diese Bilanz auf-stellen. Diese Bilanz ist ja ausgesprochen schlecht. Dashaben wir vorhin auch an der Rede des Bundesfinanz-ministers gemerkt. Der Bundesfinanzminister hat sichdoch nur noch auf die Funktion eines Buchhalters der Na-tion zurückgezogen.
Seine Zettelwirtschaft, die er uns hier präsentierte, hat ge-nau gezeigt, dass er Buchhalter der Nation und nicht mehrsein will. Er handelt nicht mehr als Politiker, sondern nurnoch als Buchhalter;
denn – das ist doch ganz klar – von diesem Haushalt ge-hen keine Impulse für die kommende Zeit aus und in ihmwerden keine konjunkturfördernden Maßnahmen ergrif-fen. Von diesem Bundeshaushalt kann man keine Signaleerwarten, die sich positiv auf die Konjunktur auswirken.Herr Bundesfinanzminister, gerade von Ihnen – dasmüssen Sie sich schon vorhalten lassen – erwarten wir po-sitive Signale für die Konjunktur. Sie sind eben nicht nurBuchhalter. Warum – das müssen wir fragen – hat denn1998 Ihr Vorgänger als Bundesfinanzminister, OskarLafontaine, große Bereiche dem Wirtschaftsministeriumweggenommen und dem Finanzministerium zugeschla-gen?
Das hat doch Gründe. Das Wirtschaftsministerium ist to-tal amputiert. Ich mache dem Wirtschaftsminister keinenVorwurf, dass er heute nicht da ist. Er hat nichts mehr zusagen und ist zum „Gruß-August“ dieser Nation degra-diert worden.
Sie aber sind derjenige, der für die Konjunktur zuständigist. An dieser Einsicht mangelt es erheblich. Sie habensich heute nur noch als Buchhalter präsentiert.Mein Kollege Rexrodt hat es vorhin schon gesagt– dass Sie nicht mehr darauf eingegangen sind, kann ichja verstehen –: Der Bundeskanzler hat uns doch aufgefor-dert – nicht von uns ging es aus –, ihn an den Arbeits-losenzahlen zu messen.
Nun tun wir das und Sie sind beleidigt. Das darf dochnicht wahr sein.
Wo, Herr Bundesfinanzminister, befinden sich in IhremHaushalt die positiven Signale für die Konjunktur inDeutschland? Ich sage zwar, dass Sie nur Buchhalter sind,
dennoch verkünden Sie auch hin und wieder etwas ausIhrem Ministerium. Ich will das einmal an einer wörtli-chen Aussage deutlich machen:Das Bundesfinanzministerium räumte ein, dass dieRisiken für die Konjunktur größer geworden seien.
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Franziska Eichstädt-Bohlig19954
Darauf beschränken Sie sich. Aber wo sind denn Ihre Vor-schläge und Ihre Maßnahmen, auf deren Basis Sie uns sa-gen können, dass sich im kommenden Jahr die Konjunk-tur besser entwickeln werde und die Arbeitslosenzahlensinken werden? Hierzu haben Sie keine Vorschläge ge-macht. Sie üben sich zwar in Gesundbeterei, wobei ich Ih-nen das Beten noch nicht einmal zutraue,
aber wirklich heraus kommt nichts. Uns hingegen werfenSie Schwarzmalerei vor. Wir können uns ja noch nichteinmal mit Ihnen messen, weil Sie hier gar keine Vor-schläge machen, Herr Minister Eichel. Da helfen auchIhre Zurufe nichts.Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, auf denmeine Kollegin Vorrednerin, deren Aussagen übrigens de-nen des Bundesfinanzministeriums widersprechen, auf-merksam gemacht hat: Als Gründe für die schwache Kon-junktur nennt der Finanzminister natürlich das Ausland.Das ist jetzt sehr beliebt. Den 11. September hat er zwarheute nicht genannt, aber dieses Datum ist ja in dieser Ko-alition neuerdings sehr beliebt; alles hat irgendwie mitdem 11. September zu tun, so hätte danach die Nachfrageaus dem Ausland nachgelassen. Jetzt kommt das Interes-sante für die Grünen: Der Bundesfinanzminister sagt,Nachwirkungen der Energieverteuerung hätten zu einerdeutlichen Abschwächung der realen Kaufkraft der priva-ten Haushalte geführt und dadurch den privaten Konsumbelastet. Das ist eine Aussage des Bundesfinanzministe-riums. Das haben auch wir immer gesagt, Sie aber kriti-sieren das als Schwarzmalerei. Aus Ihrer Sicht macht erdas ja auch. Insofern bestätigen Sie, Herr Bundesfinanz-minister, das, was wir früher gesagt haben.
Dass Sie dann noch zusätzlich die Steuern anheben– ich nenne Tabak- und Versicherungsteuer –, führtmich allerdings zu einer Feststellung: Dass Sie nicht inder Lage sind, aus diesem Bundeshaushalt 3 MilliardenDM für ein Antiterrorpaket zu erbringen, zeigt doch,dass Sie mit diesem Bundeshaushalt gestalterisch über-haupt nicht wirken. Sie müssen die Steuern erhöhen. IhrProblem ist doch, dass Ihnen nichts anderes eingefallenist.
Das kommt mir so bekannt vor. Das ist wahrscheinlich eineIdee Ihres Staatssekretärs Overhaus gewesen. Das kennenwir aus unserer Koalition; da hatte er ebenfalls nur nochsolche Ideen. Viel ist davon nicht übrig geblieben.Diejenigen aus der Wirtschaft, die darauf gewartet ha-ben, welche Impulse Ihre Rede bringt, sind bitter ent-täuscht worden, Herr Finanzminister.
Da Sie vorhin gesagt haben, der Haushalt wirke auf dieKonjunktur, muss ich einräumen: Das ist im Prinzip rich-tig. Aber Ihr Haushalt wirkt nicht auf die Konjunktur, son-dern er erwürgt sie.
Was haben Sie uns versprochen? – Sie haben uns ver-sprochen, die Lage der Staatsfinanzen zu verbessern. Siehaben uns versprochen, die Arbeitslosenzahl zu senken.Sie haben uns versprochen, eine zukunftsorientierteHaushaltspolitik zu machen, die Prioritäten setzen sollte.Nichts davon ist geschehen. Das ist die Bilanz, die wirheute ziehen müssen. Wir messen Sie an Ihren Verspre-chen. Kommen Sie also nicht damit an, was wir in unse-rer Koalition alles gemacht oder nicht gemacht haben.Ich erkläre in Richtung meiner Kolleginnen und Kol-legen vom Bündnis 90/Die Grünen: Angesichts IhrerBeiträge muss ich sagen, dass Sie doch gar nichts mehr zumelden haben. Sie haben Ihre Duftnoten im Haushaltnicht gesetzt. Das wundert mich übrigens nicht. An dieserStelle werde ich doch noch ein Zitat von GerhardSchröder los. Es stammt aus dem „Stern“ kurz vor derBundestagswahl; vielleicht kennen Sie es. Es gab einStreitgespräch zwischen Schröder und Fischer – die Kol-legin Andrea Fischer hat diese Politik von Schröder imKabinett anschließend selbst erlebt –, in dem Schrödersagte:In einer rot-grünen Konstellation muss klar sein: DerGrößere ist der Koch, der Kleinere ist der Kellner.Dies nicht zu akzeptieren ist eine typische Form grü-ner Überheblichkeit.
So weit Gerhard Schröder. Danach richtet er sich. Des-wegen können Sie überhaupt keine Duftnoten setzen.Dann haben uns der Bundesfinanzminister, aber auchder Bundesverteidigungsminister erzählt, es gebe beimVerteidigungsminister eine Gelddruckmaschine, nämlichdie GEBB. Toll, es wurden uns Einnahmen in Milliar-denhöhe versprochen. Es ist aber nichts geschehen. DieGeschäftsführerin hat trotz des hohen Gehalts inzwischendas Handtuch geworfen.
Da wird man ganz nachdenklich. Ich sage Ihnen, HerrB
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Anscheinend machtdie GEBB noch einen Sinn, nämlich zur Versorgung abge-wählter Bürgermeister beispielsweise aus Hamburg.
Das kann allerdings nicht der Sinn der GEBB sein. Siesollten daher unserem Antrag in dieser Woche zustimmenund die GEBB abschaffen.
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Jürgen Koppelin19955
Dann kommt die alte Mär und die alte Leier sowohlvon den Grünen als auch vom Finanzminister, was sie fürWohltaten verteilt haben. Sie sagen in diesem Zusam-menhang, dass Sie zum Beispiel das Kindergeld erhöhthaben. Das ist zwar wahr. Aber haben Sie einmal mit den-jenigen gesprochen, denen Sie die Freibeträge gestrichenhaben und die jetzt viel weniger in der Tasche haben?Nennen Sie doch mal den Prozentsatz der Kindergeldbe-zieher, denen Sie etwas weggenommen haben! Für fast40 Prozent der Betroffenen haben Sie die Freibeträge sogestrichen, dass sie am Ende weniger haben. Das ist IhreBilanz, und die Menschen wissen das.
Deswegen war ich vorhin nicht traurig, dass Sie Ihre Re-dezeit weit überzogen haben, Herr Bundesfinanzminister.Meinetwegen könnten Sie hier drei Stunden reden. MeinEindruck ist, dass uns das nur Wählerstimmen bringt.
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben viel verspro-chen, aber nichts gehalten. Mein Kollege Rexrodt hat esvorhin schon angedeutet – ich will es noch einmal deut-lich sagen –: Ihre Aufgabe ist es – nicht allein in Deutsch-land; wir sind im vereinten Europa –, innerhalb der Euro-päischen Union mit den anderen zuständigen Ministerndarüber zu sprechen, wie man in Europa gemeinsam einProgramm auflegen kann, damit die Konjunktur angekur-belt wird. Das wäre wichtig für Europa insgesamt. Das istjedenfalls unsere Auffassung.Mein Kollege Rexrodt hat vorhin gesagt, Sie, HerrMinister, hätten viel Vorschusslorbeeren bekommen, alsSie Ihr Amt antraten, und auch in der Zeit darauf.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Apropos Zeit, Herr
Kollege Koppelin: Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme zum Schluss. –
Es ist wahr, dass Sie viel Vorschusslorbeeren bekommen
haben. Nur, Herr Minister, mein Eindruck ist, Sie haben
sich zu lange auf diesen Vorschusslorbeeren ausgeruht.
Wer sich auf Lorbeeren ausruht, der hat diese Lorbeeren
an der falschen Körperstelle.
Vielen Dank für Ihre Geduld.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht die Kol-
legin Heidemarie Ehlert für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Sie hatten eben gerade gehört, dassder Haushalt 2002 Kochrezepte braucht. Wo sind dieseKochrezepte? Ich vermisse Einsparvorschläge und Vor-schläge zu Umverteilungen oder zu Einnahmenerhöhun-gen. Dazu hat die PDS-Fraktion viele Anträge einge-bracht. Sie haben in dieser Woche noch die Chance,diesen Anträgen zuzustimmen.
Nicht zustimmen können wir allerdings dem heute un-terbreiteten Vorschlag, der weitere Steuerausfälle von15 Milliarden DM nach sich ziehen würde. Darunter lei-den die Kommunen.Wir hören schon jetzt, dass viele ei-nen Sparkommissar beantragt haben. Ich denke also, dasswir diesen Vorschlag nicht mittragen können.Aber was wollen wir mit unseren Umverteilungsvor-schlägen erreichen? Wir wollen weder Zinsen zahlennoch die Mittel für den Verteidigungshaushalt aufstocken.Nein, in erster Linie sollen sie für soziale Sicherheit,existenzsichernde Arbeitsplätze und Bildungschancenfür alle sorgen.
Die Steuerreform hat in den vergangenen Jahren wederzu mehr Arbeitsplätzen noch zu mehr Steuern geführt.Selbst dort, wo Steuern gezahlt werden müssten, verzich-tet der Finanzminister großzügig, so wie in dem Fall desbayerischen Rüstungskonzerns Diehl. Die zuständige Be-triebsprüferin wurde von der Oberfinanzdirektion Nürn-berg angewiesen, die Beteiligungen der Diehl-Gesell-schafter als Privatvermögen anzuerkennen. Das kommtdem Verzicht auf 60 Millionen DM Steuern gleich undwird auch noch vom Bundesamt für Finanzen abgesegnet.Das ist ein Skandal!
Wozu brauchen wir dann noch ein Finanzamt oder Steu-ergesetze, wenn der Finanzminister bestimmt, ob Gesetzeanzuwenden sind oder nicht?Bayern hat aber auch gezeigt, dass durch den Einsatzvon mehr Betriebsprüfern auch ein Mehr an Steuerein-nahmen möglich ist. Wir fordern nicht erst seit heute in-tensivere Betriebsprüfungen bei Großunternehmen undBanken sowie eine bessere personelle und technischeAusstattung der Finanzämter, um Einnahmeausfälle inMilliardenhöhe zu verhindern.Wir fordern auch eine konsequente Bekämpfung derUmsatzsteuerhinterziehung. Bereits seit fünf Jahrenmacht der Bundesrechnungshof auf den wachsenden Um-satzsteuerbetrug und auf damit verbundene Steuerausfällein zweistelliger Milliardenhöhe aufmerksam. Auch in derEuropäischen Union wird es zum Volkssport, Umsätze zuverschleiern und Vorsteuern zu erschleichen. Hier mussman schon von organisiertem Verbrechen sprechen. Es isthöchste Zeit, dass dagegen endlich etwas getan wird.
Meine Damen und Herren von der Koalition, als imFrühjahr dieses Jahres der Bericht des Bundesrechnungs-hofes dazu vorlag, wollten wir das noch gemeinsam ange-hen, und zwar mit einem interfraktionellen Antrag. Daswar dann irgendwann leider vergessen.Das alleswäre halbso schlimm, wenn jetzt der Vorschlag der Regierung ziel-genau und ausreichend wäre. Aber leider ist dem nicht so.Eine Reihe von Problemen sind nicht nur aus unsererSicht unzureichend geklärt. Nehmen wir nur einmal denPunkt „Sicherheitsleistung“. Abgesehen davon, dass eswohl fraglich ist, ob ein Existenzgründer eine solche in
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Jürgen Koppelin19956
Form einer Bankbürgschaft vorlegen kann, wird die Fest-legung der Höhe der Sicherheitsleistung dem einzelnenBeamten des Finanzamtes überlassen. Für äußerst proble-matisch halte ich, dass Unternehmen eine Sicherheitsleis-tung für einen gesetzlichen Anspruch, nämlich die Um-satzsteuererstattung, nur deshalb vorweisen müssen, weildie Finanzämter aufgrund der Personalausstattung nichtin der Lage sind, zeitnah zu prüfen.Damit bin ich gleich beim nächsten Punkt: Wir könnenGesetze beschließen, wie wir wollen; aber wir brauchenauch die Menschen dazu, die sie letztendlich umsetzen.Eine Bundessteuerfahndung würde sich rechnen. Ge-rade die dezentrale Verwaltung der Umsatzsteuer verführtzum Betrug. Ob die Haftung für schuldhaft nicht abge-führte Steuern das Problem lösen wird, ist auch noch aus-zudiskutieren. Das Anliegen ist klar: So genannteKarussellgeschäfte sollen verhindert werden, indem einUnternehmer, der Waren erhält und seine Rechnung zahlt,dafür haftet, dass der Verkäufer auch wirklich die Um-satzsteuer zahlt. Bildlich übersetzt bedeutet das: Sie ge-hen auf den Markt, kaufen ein Kilo Äpfel und haften da-mit dafür, dass der Verkäufer auch seine Standgebührengezahlt hat.Hauptproblem ist und bleibt, dass sich weder die Re-gierung noch die Europäische Union so richtig traut, dasÜbel bei der Wurzel zu packen und das geltende Mehr-wertsteuersystem infrage zu stellen. Es gibt eine Viel-zahl von Vorschlägen zur Vereinfachung der Besteuerung.Ich verweise hier nur auf den Vorschlag der Steuerbefrei-ung von Umsätzen zwischen den Unternehmen, den derrheinland-pfälzische Finanzminister gemacht hat. Sie hät-ten natürlich auch die Möglichkeit gehabt, damals unse-rem Antrag zur Bekämpfung der sinkenden Zahlungsmo-ral durch eine Änderung des Umsatzsteuerrechtes oder,einfacher gesagt, zur Erweiterung der Ist-Besteuerung zu-zustimmen. Dann wären wir schon einen Schritt weiter.Umsatzsteuerbetrug kann nur durch eine grundsätzli-che Änderung weitestgehend vermieden werden. Allesandere ist lediglich Schadensbegrenzung. Haushaltskon-solidierung heißt nicht nur sparen oder neue Steuern er-finden, sondern heißt, die Steuern, die gesetzlich gezahltwerden müssen, auch entsprechend einzunehmen. Des-halb bitte ich Sie, unserem Entschließungsantrag zu-zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Hans Urbaniak für die Fraktion der SPD.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Ich will mich kurz befassen mit der Einnahmenseitedes Haushaltes, mit der Verschuldung, die mit immerhin1,5 Billionen DM als Hinterlassenschaft der alten Regie-rung auf uns lastet, mit der Konsolidierung, dem Konso-lidierungsbeitrag insbesondere des Bundesfinanzminis-ters für seinen eigenen Haushalt, mit den Subventionen,die in der Tendenz bis 1998 stark anstiegen und nun er-heblich sinken, und mit den administrativen Maßnahmen,die auf einen modernen Staat, eine schlagkräftige Verwal-tung und die Nutzung der ganzen technischen Neuerun-gen bezogen sind, die insbesondere im Bereich derSteuererfassung eingeführt werden müssen.Es steht hier natürlich die Verkürzung bei der Um-satzsteuer im Vordergrund. Wir haben ein Steuerverkür-zungsbekämpfungsgesetz auf den Weg gebracht, das indieser Woche hier verabschiedet werden wird. Wir wis-sen, dass das Potenzial in seiner Größenordnung nicht be-schrieben werden kann; es sind Schätzungen. Aber demFiskus entgehen über 20 Milliarden DM, 10,2 Mil-liarden Euro. Diese Zahl wurde vom Landesfinanzminis-ter von Baden-Württemberg geschätzt.Das ist eine gewaltige Summe; das wissen Sie. Nunhandelt die Bundesregierung, der Bundesfinanzminister.Wir haben dafür 28 neue Planstellen geschaffen. Es istalso nicht so, wie hier gesagt wurde, dass kein Personaleingestellt würde; das Gegenteil ist richtig.
Durch das Gesetz werden die Betrugsmaßnahmen, diehier alle schon erläutert worden sind, besser erfasst undschärfer bekämpft werden können.Der Bundesrechnungshof – das sage ich an die Oppo-sition auf der rechten Seite gewandt; Sie haben ja damalsregiert – hat Sie 1996 aufgefordert, Maßnahmen gegenden Umsatzsteuerbetrug zu ergreifen, Gesetze zu schaf-fen, Personal einzustellen. Das Ergebnis: Sie haben dieMahnung des Bundesrechnungshofes in den Wind ge-schlagen; Sie haben nichts getan. Erst mit Eichel sindMaßnahmen ergriffen worden. Mit dem neuen Gesetzwird jetzt die Bekämpfung eingeleitet werden.
Ich sage das, weil dies eine Tatsache ist und weil Sie sichdas selber, wie wir im Ruhrgebiet sagen, an die Backe kle-ben müssen, richtig kräftig, damit Sie sich das immermerken.Der nächste Punkt, der im Rahmen unserer Beratungeine Rolle spielt, ist die Strukturentwicklung der Bun-desfinanzverwaltung. Wir wollen zukunftsträchtige,moderne Strukturen schaffen. Haushaltswirtschaftlich ge-sehen wollen wir im Finanzplan für den Zeitraum bis2003 350 Millionen Euro berücksichtigen und im Finanz-plan ab 2004 200 Millionen Euro einsparen.Neben der Strukturentwicklung und der Neuorganisa-tion der Zollverwaltung, von der wir sagen können, dasssie sozial verträglich durchgeführt worden ist, muss mansich auf die Erweiterung der Europäischen Union ein-stellen; denn es ist natürlich davon auszugehen, dass dieöstlichen Länder und Republiken darauf drängen, der Eu-ropäischen Union beizutreten. Darauf muss man die Zoll-organisation ausrichten. Dies ist geschehen. Wenn es soweit ist, müssen vor allen Dingen sehr effektive, mobileGruppen, die in der Lage sind, der Betrugsbekämpfungund den Maßnahmen, die sich als notwendig erweisen,gerecht zu werden, eingesetzt werden. Zu diesem Zweckhaben wir die 37 Hauptzollämter und die Zollämter neuorganisiert. Für mich war wichtig, dass wir das für die
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
Heidemarie Ehlert19957
Menschen, die in diesem Bereich tätig sind, sozial ver-träglich durchsetzen konnten. Unser Vorbild war die Si-tuation im westlichen Bereich der BundesrepublikDeutschland. Dort musste das – beispielsweise zwischenFrankreich und der Bundesrepublik Deutschland – bei derVerschweißung zur Europäischen Union ebenfalls ge-macht werden.Schließlich wird die Allfinanzaufsicht angepackt.Man wird hier noch einen relativ schweren Weg gehenmüssen, weil sich große Institutionen wehren. Wir versu-chen, einen Konsens herbeizuführen. Deshalb haben wirauch die Ausgaben für die Ämter, die jetzt die Aufsichtführen, noch nicht auf Null setzen können. Wir haben denZeitraum verlängert, weil wir davon ausgehen, dass dieAllfinanzaufsicht am 1. April bzw. 1. Mai gegründet wer-den kann. Dafür haben wir die notwendigen Maßnahmengetroffen. Die Kolleginnen und Kollegen konnten sich inEngland, den USA, Japan und Singapur davon überzeu-gen, wie sich dort die Maßnahmen, die sich aus der Allfi-nanz ergeben, entwickeln und wie man dort vorankommt.Es gibt einen Punkt, der mir sehr große Sorgen berei-tet, das ist die Fiscus GmbH, die der Finanzminister insLeben rufen wird. Wir wollen die technischen Möglich-keiten nutzen, um auf der Einnahmenseite die Maßnah-men gerechter, schneller und effektiver zu treffen, sodasswir sehr schnell alles in Ordnung bringen können. Leiderstelle ich fest, dass Bayern am 15. November dagegen warund sich ausgeklinkt hat. Das ist ganz schlecht.Der Subventionsbericht ist überzeugend. Die Anzahlder Subventionen ist in der Tendenz abnehmend. DemKollegen Austermann sage ich:
Im Mai 2001 haben wir über den Nachtragshaushalt de-battiert. Es wurde – unter anderem durch Sie – ein Antrageingereicht. Alle Experten haben gesagt – ich habe siesehr deutlich befragt; Sie können das im Protokoll nach-lesen –: Ein Nachtragshaushalt ist nicht nötig. – So ist esmit Ihren Prognosen: Für die Presse sind sie immerschlagkräftig; für die Finanzwirtschaft taugen Sie aberüberhaupt nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Hans Jochen Henke.
Kolleginnen undKollegen! Herr Minister Eichel, Sie haben sich im We-sentlichen an der Rede orientiert, die Sie vor zweieinhalbMonaten, am 11. September, gehalten haben. Auch am11. September war Ihre Rede zum großen Teil rückwärtsgewandt; sie hat sich mit der Vergangenheit beschäftigt.Wir wollen Sie nicht fragen, obwohl wir allen Anlass hät-ten, wie in der Zeit von 1990 bis 1998 die Situation inHessen war.
Ich möchte an dieser Stelle nur darauf hinweisen, dass wirin genau diesem Zeitraum mit dem Institut der Europä-ischen Zentralbank und mit den Maastricht-Kriterien dieentscheidenden Voraussetzungen und Grundlagen füreine zukunftsorientierte, stabile und konsolidierte Ent-wicklung geschaffen haben.Herr Minister Eichel, Sie sind im Grunde ein Mann, derauf seriöse Daten und belastbare Zahlen Wert legt unddiese immer in den Vordergrund stellt. Ich möchte Siegerne fragen: Stimmt es, dass Sie Ende des Jahres 199820 Milliarden DM an Privatisierungserlösen in dasHaushaltsjahr 1999 übernommen haben
und deshalb die Zahlen, die Sie als Bilanz der Politik deralten Bundesregierung sowohl hinsichtlich der Verschul-dung als auch hinsichtlich der Liquidität angeführt haben,eigentlich unseriös sind? Diese Privatisierungserlösespiegeln sich auch in diesem Haushalt wider.
Ich habe Sie bereits im Haushaltsausschuss danach ge-fragt und keine Antwort darauf erhalten. Ich frage Sie des-halb noch einmal, diesmal öffentlich, vor dem Plenumund den Zuhörerinnen und Zuhörern. Ich suche vergeb-lich nach Ihren Steuerentlastungen in der Saldierung. Wofinden sich denn diese 45 Milliarden DM bzw. 25 Milli-arden Euro? Ich finde sie nicht. Wir haben die Antwortaber vorhin vom Kollegen Peter Rauen bekommen: Diegroßen Unternehmen werden bei der Körperschaft-steuer um 40 Milliarden DM entlastet, während die klei-nen bluten; denn die Belastungen durch die Ökosteuerer-höhung und die Verbrauchsteuererhöhungen mitdynamisierter Tendenz trägt letztendlich der kleine Mann.
Alle Erfolgsparameter Ihrer Regierungszeit bzw., umin Fußballtermini zu sprechen, der Spielzeit von Rot-Grünstehen im Wesentlichen fest. Wachstum: Fehlanzeige, Ar-beitsmarktentwicklung: Fehlanzeige, soziale Symme-trie – das habe ich gerade angeführt –: Fehlanzeige. Ein-ziger Erfolgsparameter ist der Hoffnungsträger HansEichel, der Stabilisator und Konsolidierer, obwohl, werterHerr Eichel, die Konsolidierungsziele von Anfang anaußerordentlich zurückhaltend, ja bescheiden ausgelegtwaren, und zwar sowohl für den Arbeitsmarkt als auch fürdie Neuverschuldung. Über eine Legislaturperiode hin-weg die Zahl der Arbeitslosen netto um wenige Hundert-tausend zurückzuführen – über die Situation am Arbeits-markt habe ich schon Ausführungen machen dürfen – istnämlich eigentlich kein Ziel; dies ist weniger, als untergünstigen Rahmenbedingungen möglich sein müsste.Noch schwieriger stellt sich in der Analyse und Be-wertung die Behandlung der Neuverschuldungsthematikdar. Ihre Politik im Rahmen der Neuverschuldung war ei-gentlich durchgängig von dem Vertrauen auf eine Schön-wetterperiode geprägt, einer Periode mit stetem Wachs-tum, mit steigenden Steuereinnahmen und mitrückläufigen Belastungen im Bereich der Rentenversi-
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Hans-Eberhard Urbaniak19958
cherung und der Arbeitsmarktpolitik. Für das, wastatsächlich eingetreten ist, nämlich eine Verschärfung amArbeitsmarkt und ein Nullwachstum – ich lasse einmaldahingestellt, ob es nun eine Phase der Rezession ist odernicht –, haben Sie zu keinem Zeitpunkt in irgendeinerWeise Vorsorge getroffen.Der Kollege Rauen hat zu Recht darauf hingewiesen,dass Sie es waren, der alle Erfolgsparameter, die vorge-geben waren, außer Kraft gesetzt hat, dass Sie es waren,der die wirtschaftspolitische Grundsatzabteilung vomWirtschaftsministerium in das Finanzministerium geholthat, und zwar nur wegen eines einzigen Zwecks: Sie woll-ten sie der Haushalts- und Fiskalpolitik unterordnen unddamit eine eigenständige Wirtschafts- und Strukturpo-litik nicht mehr ermöglichen.
Sie wollten Wachstumsschwäche und Arbeitslosigkeitüberwinden. Das Gegenteil ist passiert. Sie sind in einerAufschwungsphase angetreten und sind jetzt mitten in ei-ner Abschwungsphase. Verantwortlich dafür ist IhreHaushalts- und Finanzpolitik.Statt konsumtive Ausgaben auf den Prüfstand zu stel-len, hat der angeblich um Zukunftschancen bemühteMinister bei den öffentlichen Investitionen, im Bildungs-bereich und bei der Forschungsförderung im Vergleichzur Sozialproduktentwicklung eigentlich nicht zugelegt.Er hat die Ausgaben auch nicht stabilisiert, sonderngekürzt.Ihr einseitiger und ausnahmsloser Erfolgsparameter,Herr Minister Eichel, ist die Rückführung der Neuver-schuldung.Wenn man dieses zentrale Element einer kri-tischen Würdigung unterzieht, fällt auf, dass am Ende die-ser Legislaturperiode nach Ihren eigenen Planungen undRealisierungsschritten für den Zeithorizont von 1998 bis2002 – einschließlich der Ära Lafontaine – die Rück-führung der Nettoneuverschuldung gerade einmal ein Vo-lumen von insgesamt 5 Milliarden Euro haben wird.Insgesamt planen Sie für den Zeithorizont 2003 bis2005 eine jährliche Rückführung der Neuverschuldungum eine Summe, die dem entspricht, was Sie in den Jah-ren 1998 bis 2002 insgesamt geleistet haben. Die Rück-führung um 10 Milliarden DM in der Zeit von 1998 bis2002 ist Ihnen außerordentlich schwer gefallen. Sie errei-chen diese marginale Größe im Jahre 2002 überhaupt nurunter Anwendung von Rechentricks.1998 hatten Sie unglaublich günstige Rahmenbedin-gungen: Wachstum, rückläufige Arbeitslosenzahlen, Ent-lastung bei der Renten- und Arbeitslosenversicherung.Trotzdem haben Sie in der folgenden Zeit zu massivenSteuererhöhungen greifen müssen. Entgegen Ihren eige-nen Ankündigungen und Versprechungen haben Sieaußerdem in großem Umfang Privatisierungserlöse akti-vieren und zum Haushaltsausgleich einsetzen müssen undauch eingesetzt.Sie haben vorhin gesagt, dass Sie sehr zuversichtlichseien, dass Sie den Haushalt 2001 glatt abschließen wür-den. Dies bezweifle ich, weil Sie dabei für dieses wie fürdas nächste Jahr von viel zu günstigen Annahmedaten fürdie Einnahmen- und Ausgabenentwicklung ausgehen.Sollte es Ihnen trotzdem und wider Erwarten gelingen,wird dies nur mit einem zusätzlichen Trick, den imGrunde alle Fachleute, den der Bundesrechnungshof undden Sie eigentlich selbst verteufelt haben, von dem aberSie gar nicht mehr reden, möglich sein: Indem Sie näm-lich Privatisierungserlöse aus dem Treuhandvermögeneinsetzen. 1998 haben Sie ein Treuhandvermögen in Höhevon 20 Milliarden DM übernommen. Ende dieses Jahreshaben Sie nur noch 8 Milliarden DM in dieser Kasse, diegar nicht im Bundeshaushalt, sondern außerhalb des Bun-deshaushalts geführt wird. Sie werden diese Mittel heran-ziehen, um Ihren Haushalt im Ergebnis rechnerisch aus-zugleichen.Dies alles machen Sie, Herr Minister Eichel, obwohlSie besser als jeder andere wissen, in welch schwierige Si-tuation wir mit den Postunterstützungskassen und Pen-sionslasten und -verpflichtungen kommen werden. Siewaren derjenige, der gesagt hat, man dürfe keine Mittelmehr aus diesen Postprivatisierungserlösen zur Haus-haltsdeckung nehmen. Sie haben auch angekündigt, dasses sie ab dem Jahre 2000 nicht mehr geben wird. Es hatsie aber im Jahre 2001 gegeben und es wird sie auch imJahre 2002 und darüber hinaus geben. In diesem Bereichsind ab dem nächsten Jahr nur noch Beträge in zweistelli-ger Milliardenhöhe erforderlich, und zwar über die Ge-samtverpflichtungsdauer mit einem Gesamtvolumen vonmehr als 1 Billion DM. Wenn man in Relation dazu setzt,wohin sich der Wert dieser Postnachfolgeunternehmun-gen auch und gerade im Lichte von UMTS-Versteigerun-gen bewegt hat, zeigt sich die ganze Dramatik und Dyna-mik. Jede weitere Mark, die in Haushaltsdeckungsmittelfließt, Herr Minister Eichel, ist eigentlich unverantwort-lich.Aber es ist noch viel dramatischer. Darin, dass Sie fürden Bereich der Rentenkasse zur Abdeckung der Ausga-ben für den Arbeitsmarkt 200 Milliarden DM oder100 Milliarden Euro eingesetzt haben und dabei sowohlfür das nächste Jahr, erst recht aber mittelfristig von vielzu günstigen Annahmen ausgehen, zeigt sich die Explosi-vität Ihrer Haushaltsrechnungen und Ihrer Haushaltsent-wicklung.100 000 Arbeitslose kosten Sie 1Milliarde DM. Sie ge-hen für das nächste Jahr nach wie vor von viel zu günsti-gen Annahmen aus. Über 2003 und den Rest der mittel-fristigen Finanzplanung, Herr Minister Eichel, habe ich inIhren Ausführungen kein Wort gehört. Die Wähler wollenim Hinblick auf das Wahldatum 22. September 2002 undden Zeitraum darüber hinaus aber wissen, welche Vor-stellungen die Regierung hat.Die Regierung wird dieses Thema zehn Monate langtabuisieren, und zwar aus guten Gründen. Nichts vonihren Annahmen stimmt: Die Nettoneuverschuldung wirdnicht zurückgeführt werden können, die Zinslasten wer-den steigen, die Ausgaben für die Rentenkassen und dieAufwendungen für den Arbeitsmarkt werden dramatischzunehmen.Was allerdings nicht steigen, sondern weiter rückläufigsein wird, sind die Ausgaben in Zukunftsinvestitionen.Deshalb sind die Vorwürfe, die von der veröffentlichtenMeinung kommen, berechtigt; denn wie kein anderer
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Hans Jochen Henke19959
Minister hat Minister Eichel die wesentlichen Aufgabendes Wirtschafts- und Finanzministers in einer Hand zu-sammengeführt. Politik macht er nur nach den Maßstäbenvon haushälterischen und fiskalischen Elementen undKriterien. Das rächt sich jetzt. Der Rechnungshof, derSteuerzahlerbund und viele Gutachter drücken Ihnen dasentsprechend in das Wachs: keine Risikovorsorge.Sie haben vorhin gesagt: Die Summe der Prognosen istdie Summe der Irrtümer. Ich frage Sie: Wenn das so istund Sie entsprechende Erfahrungen gemacht haben, woist dann Ihre Vorsorge für die Zukunft, Herr MinisterEichel?
Ich sehe dafür in Ihrem Haushalt keine Mark. Sie habenWechsel auf die Zukunft gezogen, die nicht einlösbar seinwerden. Kein Haushalt war jemals so angespannt. Zu kei-nem Zeitpunkt war das Einnahmenniveau aufgrund vonSteuern und Abgaben so hoch und die Ausgabenlast soenorm wie heute. 2002 wird sie um 50 Milliarden DMhöher als 1998 liegen. 1998 war sie um 40Milliarden DMniedriger als 1993. Das ist die Realität, Herr MinisterEichel.Die Frage, die man am Schluss stellen müsste, lautet:Was nun, Herr Minister? Ihre Bilanz und nicht die der Op-position steht hier zur Diskussion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort für die SPD-
Fraktion hat die Kollegin Lydia Westrich.
Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Eine ganze Woche lang reden wir überGeld und vor allem über das Geldausgeben. Herr Henkehat dies mit markigen Worten deutlich gemacht. Wir müs-sen ein paar Minuten über das Geldeinnehmen reden. Esgeht um Milliardenbeiträge, die dem Staat jährlich verlo-ren gehen, wenn wir dem nicht endlich einen Riegel vor-schieben.
Wir debattieren hier darüber, wie wir das Geld ehrli-cher Steuerzahler am sinnvollsten ausgeben. Dabei ist dieUmsatzsteuer eine der bedeutendsten Einnahmequellenvon Bund, Ländern und Gemeinden. Sie hat nicht nur we-gen der flauen Wirtschaftskonjunktur gravierende Ein-brüche zu verzeichnen. Umsatzsteuer- und Vorsteuer-betrügereien haben in den letzten Jahren in einem Maßezugenommen, dass wir verpflichtet sind, schnell und kon-sequent zu handeln.Wir alle haben den Wegfall der Binnenmarktgrenzen inder EU begrüßt. Der freie Handel floriert. Wir werden dasweiter unterstützen. Aber seit der Öffnung der innerge-meinschaftlichen Grenzen zum 1. Januar 1993 und demWegfall der Kontrolle der Warenbewegungen sind leiderviele kriminelle Kräfte am Werk. Zunehmend werdenSteuerbetrugsmodelle bekannt, die die Umsatzsteuer inungeahnter Höhe in die Hände organisierter, kriminellerBanden spielen.Die Tätergruppen für den Umsatzsteuerbetrug habenausgefeilte Techniken entwickelt, um die Steuerbefreiungbei innergemeinschaftlichen Lieferungen auszunutzen.Diese Betrugsmethode ist besonders gefährlich, weil voneiner kleinen Tätergruppe innerhalb kurzer Zeit in einemeinzigen Fall ein enormer Steuerschaden in mehreren EU-Staaten angerichtet werden kann.Besonders betrugsanfällig sind kleinvolumige, schnellund einfach zu beförderndeWaren mit hohemWertschöp-fungspotenzial, wie Computerprozessoren, Edelmetalle,Mobiltelefone oder auch Autos und schwedischer Lachs.Da dieseWaren dann billig – ohne denAufschlag durch dieMehrwertsteuer – in denHandel kommen, ist es keinWun-der, dass zum Beispiel die Firma Ericsson MobiltelefoneBrandbriefe an die Steuerfahndung schreibt. Durch dieangesprochenen Machenschaften entgeht nicht nur demStaat eineMengeGeld.Auch steuerehrlicheUnternehmenwerden in ihremWettbewerb empfindlich behindert.
Die Firma Ericsson schreibt, dass sie nicht nur in derWahrnehmung der Interessen ihrer eigenen Firma auf dieBetrügereien aufmerksam mache, sondern auch als„Staatsbürger“, dessen Interesse es sei, Schaden von unsallen abzuwenden. Die Sorge der Firma gilt auch ihrenMitarbeitern, deren Arbeitsplätze durch diese kriminellenMachenschaften in hohem Maße gefährdet sind.Steuergerechtigkeit ist ein hohes Gut. Wir sind es un-seren Bürgerinnen und Bürgern schuldig, dass wir unsereliberalen Steuersysteme nicht durch kriminelle Bandenaushöhlen lassen; denn die Zeche zahlen ansonsten wie-der einmal die Ehrlichen.
Deshalb müssen wir das Kind auch beim Namen nennen:Steuerhinterziehung ist keine Ordnungswidrigkeit. Sieist ein Verbrechen. So wird es auch im Steuerverkür-zungsbekämpfungsgesetz stehen.Viele sehen – das spukt noch immer in den Köpfenherum – den Betrug am Staat als Kavaliersdelikt. Geradein einer freien sozialen Marktwirtschaft darf das nicht ge-duldet werden. Hier geht es um Arbeitsplatzverluste,Wettbewerbsverzerrungen für unsere Unternehmen undAnreize für eine unerschöpfliche kriminelle Energie, diewir, wenn wir nicht handeln, anziehen. Wir brauchen des-halb konsequente Gesetzesvorschriften, die den Betrüge-reien Einhalt gebieten. Das Ziel teilen alle Parteien hier imHaus. Aber, Herr Fromme, es geht nicht nur um die An-wendung und die konsequente Umsetzung von Gesetzes-vorschriften. Vielmehr geht es auch um Gesetzesvor-schriften, die als Instrumente zur Betrugsbekämpfungtatsächlich wirken.Selbst der Finanzminister von Baden-Württembergschreibt: Eine wirksame Bekämpfung des Umsatzsteuer-betrugs kann nur bundesweit erfolgen. Er weist auf seineVorschläge zur Verbesserung der Betrugsbekämpfunghin, wie Erstattung gegen Bankbürgschaft und Nutzungdes Instruments der unangekündigten Nachschau.All diese Vorschläge verwirklichen wir mit dem vorlie-genden Gesetzespaket, das Sie von der CDU/CSU und der
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Hans Jochen Henke19960
FDP wieder einmal ablehnen werden. Aber ich sage Ih-nen: Mit der Ablehnung des vorliegenden Gesetzes stel-len Sie quasi Blankoschecks genau den kriminellen Ele-menten aus, die Sie mit uns zusammen eigentlichbekämpfen wollen.
Wenn die Deutsche Steuer-Gewerkschaft sagt, dass eswesentlich einfacher und mit wesentlich geringerem Ri-siko verbunden sei, sich beim Finanzamt durch Vorsteu-erbetrug Geld zu beschaffen, als eine Bank zu überfallen,und niemand widerspricht, dann ist es höchste Zeit, effek-tive Kontrollbestimmungen durchzusetzen. Sie wissen,worum es geht. Wir werden Vorsteuererstattungen im Ein-vernehmen mit dem Steuerpflichtigen mit Sicherheitsleis-tungen verbinden. Damit verkürzen wir langwierige Prü-fungszeiten für die Unternehmen und erhöhen damit ihreLiquidität.Zu den Haftungstatbeständen: Unternehmer, die sich inKenntnis der kriminellen Machenschaften ihrer Partner inKarussellgeschäfte verwickeln lassen, werden in An-spruch genommen. Wir werden durch die Einführungmonatlicher Umsatzsteuervoranmeldungen dafür sor-gen, dass zeitnahe Informationen der Steuerverwaltungund auch jungen Firmen, für die solche Informationen imHinblick auf ihre Geschäftsentwicklung wichtig sind, zurVerfügung stehen. Dadurch lassen sich auch Scheinfir-men besser erkennen. Aber das genügt noch nicht. Wirwerden deshalb auch das Instrument der unangemeldetenNachschau einführen, damit die Steuerbehörden der kri-minellen Energie mit ihren ausgefeilten Techniken besserentgegentreten können. Erst dadurch wird es möglichwerden, speziell kurzlebige betrügerische Firmen, dienoch nicht auffällig waren, zu identifizieren.Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,sollten unsere Vorhaben – Sie haben es lange verschlampt,entsprechende Maßnahmen auf den Weg zu bringen – un-terstützen, damit wir die Einnahmen des Staates sichernund damit wir das wirtschaftsfreundliche Klima, das wirin der Bundesrepublik geschaffen haben, erhalten können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.
Das Gesetz ist dringend not-
wendig. Es darf nicht länger hinausgezögert werden. Ich
bitte Sie zuzustimmen; denn zu einer soliden Haushalts-
politik gehört es, alle Geldquellen auszuschöpfen und
Schlupflöcher zu stopfen.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht die Kol-
legin Susanne Jaffke für die Fraktion der CDU/CSU.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da es sich bei diesemHaushalt um den letzten Haushalt dieser Legislaturperi-ode handelt, möchte ich besonders auf das Thema neueBundesländer eingehen. Wie hier allgemein bekannt ist,ist der Bundesfinanzminister für alle Bundesbeteiligun-gen zuständig. In dieser Zuständigkeit hat er auch Verant-wortung für die Treuhandanstalt und deren Nachfolge-unternehmen getragen. Im Laufe der Jahre seit 1990 hatdiese Tätigkeit oftmals in öffentlicher Kritik gestanden.Seit 1998 aber wird man das Gefühl nicht los, dass dieBundesregierung diesen Bereich mit Missachtung straft.Daher möchte ich noch einmal darauf verweisen, dassmit den Haushalten 2001 und 2002 die Bundesanstalt fürvereinigungsbedingte Sondervermögen de facto aufgelöstist und die Kontrolle der einmal geschlossenen Verträgeauf die Kreditanstalt für Wiederaufbau übertragen wurde.Diese Aufgaben sind also als erledigt anzusehen.Zu den beim Bundesfinanzminister verbliebenen Un-ternehmen zählen zum Beispiel die EWN, die Energie-werke Nord in Greifswald. Dieses Unternehmen hat sehrerfolgreich technisches Know-how beim Rückbau derKernkraftwerke vom Tschernobyl-Typ in der ehemaligenDDR gesammelt. Wir hoffen, dass dieses technischeKnow-how inZukunft auch international anwendbarwird.Ein zweites Unternehmen, das dem Bundesfinanzmi-nisterium gehört, ist die BVVG, die Bodenverwertungs-und -verwaltungsgesellschaft. Sie ist für die Vermarktungder land- und forstwirtschaftlichen Flächen zuständig, diemit dem Einigungsvertrag dem Staatsvermögen der Bun-desrepublik zugefallen sind. Nach vielerlei juristischenÜberprüfungen hat die BVVG nun damit beginnen kön-nen, die Grundstücke nach dem Entschädigungs- undAusgleichsleistungsgesetz zu vermarkten. Hierbei bleibtzu hoffen, dass der eingeschlagene Weg einer Vermark-tung in wirtschaftliche Strukturen weiterhin beschrittenwerden kann.Dies betone ich deshalb, weil die Bundesregierunghier wohl in einem Konflikt steckt: Auf der einen Seite un-terstützt das Bundesfinanzministerium wirtschaftlicheBetriebsgrößen in den neuen Bundesländern durch Flä-chenverkäufe; auf der anderen Seite möchte die Bundes-agrarministerin bei Betriebsgrößen eher „Kuschel- undStreicheleinheiten“ zur Grundlage ihrer Landwirtschafts-politik machen. Ein solcher Konflikt ist nur schwer auf-zulösen. Aber wir hoffen, dass für die neuen Bundeslän-der wirtschaftliche Strukturen erhalten bleiben.
Ein weiteres dem Bundesfinanzministerium zugeord-netes Treuhandnachfolgeunternehmen ist die LMBV, dieLausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungs-gesellschaft. Sie befasst sich mit der Sanierung der Berg-baualtflächen. Dies geschieht in enger Zusammenarbeitmit den Belegenheitsländern Thüringen, Sachsen, Sach-sen-Anhalt und Brandenburg. Zu diesem Zwecke gibt esso genannte Verwaltungsabkommen, deren zweites imJahre 2002 ausläuft. Im Moment wird über das dritte Ver-waltungsabkommen verhandelt. Ich hoffe, dass die Bun-desländer Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und
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Lydia Westrich19961
Brandenburg ihre zu Recht vorgebrachten Forderungendurchsetzen können, den Bund auch für die nächstenJahre in die Verantwortung zu nehmen. Dabei handelt essich um noch nicht quantifizierbare Risiken, die durch dienun anstehende Anhebung der Grundwasserspiegel in densanierten Gebieten auf uns zukommen. Leider kann mansich aber auch hier des Eindruckes nicht erwehren, dassder Bund nur schwer dazu zu bewegen ist, seinen finanzi-ellen Verpflichtungen nachzukommen.Eines der strukturpolitisch wichtigsten Unternehmenist die TLG, die Treuhand Liegenschaftsgesellschaft. Ihrsind seinerzeit alle nicht betriebsnotwendigen Gewerbe-immobilien und Wohnungen zugeordnet worden. Diesesollen saniert, vermarktet und weiterhin im Bestand ge-halten werden. Auch dieses Unternehmen hat sich mitt-lerweile in den neuen Bundesländern einen guten Ruf er-worben.Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum habe ich ebenall diese Bereich hier noch einmal vorgestellt? – Weil seitvier Jahren etwas Unglaubliches passiert: Während es zuZeiten der CDU/CSU-geführten Bundesregierung mitdem Bundesfinanzminister Dr. Waigel ganz selbstver-ständlich war, dass alle Unternehmen für ihre wirtschaft-lichen Aktivitäten mit genügend Liquidität ausgestattetwaren, zieht diese Bundesregierung seit 1999 die vorhan-dene Liquidität kontinuierlich ab.
Wenn diese Unternehmen ihren gesetzlichen Auftrag, un-ternehmerisch tätig zu sein, erfüllen sollen, müssen sie anden freien Kapitalmarkt gehen und sich über Kredite Li-quidität verschaffen.Der Bundesrechnungshof hat dieses Vorgehen in ei-nem Bericht massiv gerügt. Nun muss die zu Unrechtentzogene Liquidität zurückgeführt werden. Verhandeltwird wohl auch darüber, aber in der Praxis ist leider nichtzu erkennen, dass die Bundesregierung ihrer Verpflich-tung gegenüber diesen Unternehmen nachkommen will.Irgendwie erinnert mich das an das wirtschaftliche Sys-tem, welches in einem Teil der jetzigen BundesrepublikDeutschland bis 1989/90 gang und gäbe war, nämlich inder ehemaligen DDR. Dass diese Strategie so schlei-chend für alle Unternehmen mit Bundesbeteiligung an-gewendet wird, ist bedrückend, aber besonders ärgerlichist es eben im Hinblick auf den damit bewiesenen Aus-stieg aus dem Aufbau Ost.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang vor allemauf die Situation am Wohnungs- und Grundstücks-markt eingehen. Ich halte es für unerträglich, dass im Ka-pitel 0807 – Bundesvermögensverwaltung – die Haus-haltsvermerke bezüglich der verbilligten Abgabe vonLiegenschaften mit sozialer Zweckbindung – wie Kran-kenhäuser, Sozialwohnungen, Obdachlosenheime undStudentenwohnheime – abgeschafft wurden.Ganz besonders bezeichnend finde ich auch, dass ent-sprechend den noch bestehenden Haushaltsvermerkendiejenigen militärischen Liegenschaften, die nach dem14. Juni 2000 aus dem Ressortvermögen des Bundesmi-nisteriums der Verteidigung freigegeben wurden oderwerden, unter keinen Umständen mehr preisverbilligt ab-gegeben werden dürfen. Für die neuen Bundesländer, be-sonders für Mecklenburg-Vorpommern und hier für dieStandorte Eggesin und Basepohl, ist das mehr als eineOhrfeige. Wer glaubt, dass sich die vielen fehlenden Mil-liarden des Bundeshaushaltes in naher Zukunft hier fin-den lassen, der irrt gewaltig.
Weiterhin sehe ich diese Bundesregierung in der Ver-antwortung bezüglich ihres Eigentums an Plattenbau-wohnungen. Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig – jetzt ist sieleider nicht da; sie ist vorhin darauf eingegangen –, in denneuen Bundesländern sind nicht zu viele Wohnungen er-richtet worden. In den neuen Bundesländern sind Woh-nungen saniert worden. Seit 1989 haben sich die Bedin-gungen dafür, dass junge Menschen dort bleiben können,so dramatisch verschlechtert, dass sie alle weggehen unddie Wohnungen leer stehen.
Dabei ist es unverschämt, dass die von diesem umfang-reichen Wohnungsleerstand geplagten kommunalen Woh-nungsgesellschaften nun auch noch vom Bund die Plat-tenbauwohnungen für teures Geld kaufen sollen, um siedann auf eigene Kosten abreißen zu lassen. Ich erwarte,dass der Bund seine Pflichten wahrnimmt und dies mitseiner Finanzkraft selbst erledigt. Meine diesbezüglichenAnfragen im Berichterstattergespräch ergaben aber, dasssich der Bund außerstande sieht, hierfür Verantwortung zuübernehmen.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nur zweiZahlen nennen. Die Ausgaben des Bundeshaushaltes2002 für die Gemeinschaftsaufgabe Ost – ich nenne siejetzt noch einmal in D-Mark, weil viele Menschen nochin dieser Währung denken – sind mit 20,5Milliarden DM,was 10,4 Milliarden Euro entspricht, geringer als die Ein-nahmen aus dem Solizuschlag, die 22,3 Milliarden DMbzw. 11,4 Milliarden Euro betragen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte bewerten Sieselbst diese gelebte Verantwortung für den Aufbau Ost!
Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal auf die Neu-strukturierung der Bundesfinanzverwaltung einge-hen, die der Finanzminister vorgelegt hat.
– Aber ich denke, er wird es von seinen Mitarbeitern, dieja noch im Plenum sitzen, zugetragen bekommen.
Ich formuliere es folgendermaßen: Der beamteteStaatssekretär Dr. Overhaus hat mit brachialer Gewalteine Neustrukturierung der Bundesfinanzverwaltung un-ter Finanzminister Theo Waigel begonnen und sie unter
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Susanne Jaffke19962
Finanzminister Hans Eichel zu Ende geführt. Sie ist mit-nichten an die Erfordernisse der Globalisierung und diemit ihr verbundenen modernen Maßstäbe sowie an dieneuen Herausforderungen seit dem 11. September ange-passt worden.
Wenn man sich mit den Zöllnern über die Praxiserpro-bung der neu eingeführten Systeme, zum Beispiel überATLAS – Automatisiertes Tarifierungs- und Lokales Ab-fertigungssystem – sowie darüber unterhält, wie dieseneuen Systeme, die ja Personal und Kosten einsparen sol-len, in Zukunft funktionieren sollen, dann lachen sie nur.Man hat vergessen, die Scanner anzuschaffen, mit denendie handschriftlich ausgefertigten Zollbegleitformulareeingelesen werden könnten. Jeder Zöllner wird also fürdie Erfassung eines entsprechenden Dokuments 20 Minu-ten länger brauchen. Die Betriebe weigern sich zu Recht,die neue EDV-Erfassung bei sich einzuführen, wenn sienicht vorher durch das Bundesfinanzministerium unter-stützt werden. Viele mittelständische Betriebe sollen ge-zwungen werden, vom Finanzministerium eine Softwarezu kaufen, also dafür Geld auszugeben, um dann für dasFinanzministerium zusätzliche bürokratische Arbeit zuleisten. Das kann es nicht sein!So sieht der gesamte Bundeshaushalt aus: Bürokratieohne Ende, Entlastung keine. Dafür braucht der Finanz-minister jede Menge Geld. Wir haben Alternativvor-schläge gemacht. Diesem Haushalt kann man nichtzustimmen.
Das Wort
hat der Kollege Jörg-Otto Spiller für die Fraktion der
SPD.
Herr Präsident! Meine sehrverehrten Damen und Herren! „Für Stetigkeit – gegen Ak-tionismus“ – unter diese Überschrift hat der Sachverstän-digenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichenEntwicklung sein diesjähriges Gutachten gestellt. Wirfühlen uns durch diesen Appell bestätigt.
Der Sachverständigenrat schreibt:Nach Einschätzung des Sachverständigenrats ist diewahrscheinlichste Entwicklung im Jahre 2002, dasssich die außenwirtschaftliche Lage aufhellt und vor-handene positive binnenwirtschaftliche Rahmenbe-dingungen wieder Wirkung entfalten.Im Weiteren heißt es:In der Finanzpolitik wurde mit der Steuerreform undeiner glaubhaften Haushaltskonsolidierung der rich-tige Weg eingeschlagen. Der Konsolidierungskursmuss fortgesetzt werden, um eine auf Dauer tragbareFinanzlage der öffentlichen Hand zu gewährleisten.Auch die Steuerreform findet in dem Gutachten lo-bende Erwähnung:Die Steuerreform 2000 hat durch die fühlbar gesun-kenen Steuersätze der Einkommensteuer und derKörperschaftsteuer die Leistungsanreize dauerhafterhöht und damit die Voraussetzung für mehr wirt-schaftliche Dynamik gesetzt. Sie hat aber auch dieWirtschaftssubjekte deutlich entlastet und für sichgenommen die konjunkturelle Entwicklung in die-sem Jahr angeregt.
Mehr kann man sich von Gutachtern nicht erhoffen.Von der Union und auch von der FDP ist – eigentlichzur Überraschung derjenigen, die sie kennen – gefordertworden, alle möglichen Konjunkturprogramme aufzu-legen.
In Ihrer Fraktion, Herr Merz, gibt es offenbar eine An-sammlung von Neukeynesianern.
Ob das Sinn macht oder nicht, scheint Sie aber auch nichtsonderlich zu berühren. Der Sachverständigenrat weistjedenfalls völlig zu Recht auf Folgendes hin: Die kon-junkturelle Situation ist dadurch gekennzeichnet – wasselten der Fall ist –, dass in den drei großen Wirtschafts-regionen dieser Welt, in den USA, in Japan und in der Eu-ropäischen Union, gleichzeitig ein Konjunkturabschwungstattgefunden hat. Es ist überhaupt nicht verwunderlich,dass sich das bei einer so stark außenwirtschaftlich ver-flochtenen Volkswirtschaft wie der deutschen in besonde-rer Weise in der konjunkturellen Entwicklung nieder-schlägt. Eine Debatte unter dem Stichwort „Schlusslicht“ist völlig fehl am Platze.
Meine Damen und Herren, es wäre ja schön, wenn wirden Spielraum für eine stärkere Konjunkturbelebungauch durch Instrumente der Finanzpolitik hätten. Da ha-ben Sie nur leider die Hinterlassenschaft der RegierungKohl vergessen. 1998 hat die Kohl-Regierung dem BundSchulden in Höhe von 1,45 Billionen DM hinterlassen.Das waren im Vergleich zum Regierungsantritt vonHelmut Kohl im Jahre 1982 genau 1 100 Milliarden DMzusätzliche Schulden. In Zahlen heißt das: 1982 hattenwir 350 Milliarden DM und 1998 1 450 Milliarden DMSchulden.
Es wird die Legende verbreitet, das sei im Wesentli-chen durch die Wiedervereinigung verursacht worden –Pustekuchen, nichts da! Wenn man die Ära Kohl in zweigleiche Abschnitte aufteilt, dann stellt man fest, dass sich
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
Susanne Jaffke19963
der Schuldenberg von 1982 bis 1990 von 350 auf 700Mil-liarden DM verdoppelt und von 1990 bis 1998 nochmalsverdoppelt hat. Das ist eine Kontinuität des Schuldenma-chens. Sie sollten aufhören, diese unfromme Legende zupropagieren.
Im Übrigen muss eines betont werden: Wenn Bundes-finanzminister Eichel mit Unterstützung der Koalitionnicht diesen strikten Konsolidierungskurs fahren würde,dann wäre die Europäische Zentralbank – da bin ich mirsicher – nicht in der Lage gewesen, eine konsequenteZinssenkungspolitik zu betreiben. Das muss man vor demkonjunkturellen Hintergrund sehen.Eine weitere Hinterlassenschaft von Ihnen war 1998ein verwüstetes Steuerrecht. Das hat uns ebenfalls Kum-mer bereitet und wir haben an der Beseitigung der Schä-den gearbeitet. Sie haben unter Ihrer Herrschaft den gutenalten Grundsatz der Besteuerung, dass starke Schulternmehr als schwache zu tragen haben, in das Gegenteil ver-kehrt; denn Sie haben Deutschland mit einer Vielzahl vonSonderregelungen zu einem Dorado für Abschreibungs-künstler gemacht.
Wir haben auf diesem Gebiet Korrekturen vorgenommen,Schlupflöcher geschlossen und das kaufmännische Rech-nungswesen in Deutschland wiederhergestellt. Wir sindzur marktwirtschaftlichen Ordnung zurückgekehrt, diedazu führt, dass Investitionsentscheidungen nicht an Ver-lustzuschreibungen, sondern an Gewinnerwartungen ori-entiert werden.
Das hat uns den Spielraumgegeben, durchTarifsenkun-gen in der Lohn- und Einkommensteuer es den Leis-tungsträgerinnen und Leistungsträgern in Deutschland– das sind Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmernundnatürlichauchviele tüchtigeHandwerkerundSelbstständige in der ganzen Republik – zu ermöglichen,mehr von ihrer erwirtschafteten Leistung zu behalten.Vergleichen wir beispielsweise die steuerliche Belas-tung einer Familie und das Kindergeld, das sie heute be-zieht, mit der steuerlichen Belastung und dem Kindergeld,das sie 1998 bezogen hat.
– Herr Kollege Koppelin, eine Durchschnittsfamilie– zwei Kinder und 5 000 DM brutto – hat heute 250 DMmehr im Monat als 1998 zur Verfügung.
Das resultiert daraus, dass wir die Steuern gesenkt und dasKindergeld erhöht haben.
Außerdem haben wir eine Unternehmensteuerreformdurchgesetzt, die in Deutschland wieder Dynamik ermög-licht.
Trotz Ihrer ständigen Wiederholungen muss ich es nocheinmal richtig stellen: Es ist der Versuch der Irreführung,immer wieder zu behaupten, dass Mittelständler, dass Per-sonenunternehmen – durch unsere Steuerreform ist genaudas Gegenteil eingetreten – schlechter als Kapitalgesell-schaften behandelt werden.
– Erzählen Sie das ruhig weiter. Ihnen wird dann al-lerdings keiner mehr glauben; denn im Gegensatz zuIhnen können die meisten Mittelständler in Deutschlandrechnen.
Ich gebe dasWort dem Kollegen Hansgeorg Hauser für die Fraktionder CDU/CSU.Hansgeorg Hauser (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kollegin-nen und Kollegen! Nach der gnadenlosen Schörnfär-berrede des Finanzministers, die wir soeben hörenkonnten und die sich nahtlos an die Traumtänzerredeauf dem Parteitag angeschlossen hat, ist es ganz gut,wenn man einmal eine Stimme aus dem Ausland zuWort kommen lässt. Die „Neue Zürcher Zeitung“schreibt am 23. November – das war am vergangenenFreitag – unter der Überschrift „Wachstumsstopp inDeutschland“:Der Bummelzug der deutschen Konjunktur steht seiteinem halben Jahr still. Wenn nicht die Außenwirt-schaft– Herr Spiller, hören Sie gut zu –und in einem weit geringeren Umfang auch derInlandskonsum die rückläufige Investitionsbereit-schaft kompensiert hätten, wäre er sogar zurück ge-rollt. Vor 2002 wird er die Fahrt kaum wieder auf-nehmen.Deutschland ist Schlusslicht in der EU, da helfen auchdie Gesundbetereien des Herrn Finanzministers nichts.Deutschland wird mit der Defizitquote zum Negativbei-spiel. Deutschland fällt als Wachstumsmotor in Europaaus. Das bekommen nicht nur unsere westlichenHandelspartner zu spüren, sondern vor allem auch dieEU-Erweiterungskandidaten. Wir konnten uns in derletzten Woche am Beispiel Ungarn und Slowenien davonüberzeugen, dass die wirtschaftliche Entwicklung indiesen Ländern außerordentlich stark gebremst wird.Das könnte den Erweiterungsfahrplan erheblich in Ge-fahr bringen.
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Jörg-Otto Spiller19964
Meine Damen und Herren, die Hinweise auf Refor-men, die Sie immer wieder bringen, sind vollkommen ab-surd. Weder auf dem Arbeitsmarkt noch im Gesundheits-bereich ist etwas geschehen. Weder die Rentenreformnoch die Steuerreform haben den Namen „Reform“ über-haupt verdient.
Die Steuerreform sollte eine Maßnahme zur Förde-rung von Wachstum und Beschäftigung sein. Sie för-derte aber lediglich die Steuerliteratur, die neue Re-korde erreichte. Die eklatante Benachteiligung derEinzelunternehmen und der Personengesellschaftenist trotz einiger Korrekturen bis heute nicht beseitigt.Dass eine sozialdemokratisch geführte Regierung Milli-ardengeschenke an Konzerne, Banken und Versicherun-gen verteilt und kleine Aktionäre höher besteuert alsbisher, entlarvt das ewige Gefasel von Gerechtigkeitschlagartig.
Die Konstruktion des Halbeinkünfteverfahrens begüns-tigt im Übrigen deutlich die Besteuerung der Erträge ausBeteiligungen im Ausland. Damit werden sicherlich keineArbeitsplätze im Inland geschaffen.Auch der von den rot-grünen Regierungsfraktionen er-hoffte konjunkturelle Stimulierungseffekt dieser Steuer-reform sei bislang wirkungslos verpufft, schreibt die„Neue Zürcher Zeitung“. Ich zitiere:Dies vermag insofern nicht zu erstaunen, als ja dieErhöhung der Energiebesteuerung – die in Deutsch-land fälschlicherweise „Ökosteuer“ genannt wird –und die „stille Steuerprogression“ bei der Einkom-mensteuer einen Gegenpol zur fiskalischen Entlas-tung gebildet haben.Die Steuererhöhungen gehen weiter. Die nächste Stufeist die Erhöhung der Energiebesteuerung, die Anhebungder Versicherungsteuer, die Erhöhung der Tabaksteuer inzwei Stufen in den Jahren 2002 und 2003.
Dazu kommt die unerträgliche Zunahme der bürokrati-schen Belastungen, Bevormundungen und Gängelungender Unternehmen. Das heute zu beschließende so ge-nannte Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz ist eintypisches Beispiel.
Im Erfinden von Namen sind Sie schon immer großar-tig gewesen. Es sind großartige Überschriften, aber derInhalt ist ganz platt.
Wenn es künftig bei einem Unternehmer klingelt,muss es nicht unbedingt der Postmann sein. Es kannauch der freundliche Beamte vom Finanzamt sein, dersich völlig unangemeldet und ohne Prüfungsanordnungeinen Eindruck über die räumlichen Verhältnisse – soheißt es im Gesetz –, das tatsächlich eingesetzte Perso-nal und den üblichen Geschäftsbetrieb verschaffen will.Wenn es sich bei dem Betrieb aber um eine so genannteDrei-Buchstaben-Firma handelt, die internationale Ge-schäfte betreibt, deren Sitz in einem typischen Wohnge-biet liegt, deren Geschäftsführer zufällig schon ziemlichalt ist und deren Steuerberater seine Kanzlei nicht imNahbereich der Firma hat, bleibt die Unternehmungmöglicherweise im Raster der so genannten Arbeitsein-heit Umsatzsteuerprüfung des Bundesamtes für Finan-zen hängen, das verstärkt Sonderprüfungen tätigen willund sich dabei auch des neuen Instruments der Nach-schau bedienen kann.Der Prüfer setzt sich, weil er schon einmal vor Ortist, an den Computer und wirft nach vorheriger Einwei-sung durch den Unternehmer – auch das haben Sie ihmzusätzlich zu den ganzen steuerlichen Aufzeichnungen,die er machen muss, neuerdings zugemutet – einenBlick in die Buchhaltung des Betriebs. Dabei fallen ihmgrößere Aufwendungen beispielsweise für Geschäfts-reisen und Bewirtungen auf. Schon erklärt der Prüferdem verdutzten Unternehmer, dass die getroffenen Fest-stellungen Anlass zu einer Außenprüfung im Sinne des§ 193 der Abgabenordnung gäben. Eine vorherigePrüfungsanordnung ist dazu nicht mehr erforderlich.Ein schriftlicher Hinweis auf den Übergang zur Außen-prüfung ist ausreichend. Die Chance zu einer strafbe-freienden Selbstanzeige, die bei einer Außenprüfungauch noch nach Erhalt der Prüfungsanordnung bis zumErscheinen des Prüfers möglich ist, ist damit nicht mehrgegeben. Sie schränken ganz deutlich die Rechtsfreiheitder Bürger ein.
Ein Verbot der Verwertung getroffener Feststellungenist ausdrücklich ausgeschlossen. Auch das ist eine gravie-rende Neuheit. Das hat nichts mit Umsatzsteuerbetrugs-bekämpfung zu tun. Vielmehr treffen Sie den steuerehr-lichen Unternehmer, der künftig erheblich wenigerRechte hat als bisher.
Ziel des vorliegenden Gesetzes ist die Bekämpfungdes Umsatzsteuerbetrugs, wobei ein besonderes Augen-merk auf Betrügereien bei der Vorsteuererstattungund so genannten Karussellgeschäften gelegt wurde.Der steuerehrliche Unternehmer sollte davon nicht be-troffen werden; das sagen Sie ausdrücklich. Tatsache istaber etwas ganz anderes. Mit den neu geschaffenen In-strumenten der Sicherheitsleistung, der Haftung und derUmsatzsteuernachschau wird gerade der normale Un-ternehmer konfrontiert und in seinen Geschäften behin-dert.Wenn es richtig ist, dass Karussellbetrügereien vor al-lem im europäischen Binnenmarkt stattfinden, dann soll-ten sich die gesetzlichen Maßnahmen auf diese Sachver-halte konzentrieren. 90 Prozent der kleinen und mittlerenBetriebe in Deutschland sind in erster Linie lokal und
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Hansgeorg Hauser
19965
regional tätig. Aber auch sie werden von diesem neuenGesetz betroffen.Geradezu mittelstandsfeindlich ist die neue Regelungüber die Sicherheitsleistung.
Wenn größere Vorsteuererstattungen künftig von einer Si-cherheitsleistung abhängig gemacht werden, dann bringtdies eine Einschränkung des Kreditrahmens und zusätz-liche Kosten mit sich. Es ist bedauerlich, dass dieKoalitionsfraktionen nicht bereit waren, eine Relativie-rung der Sicherheitsleistung durch Einschränkungenzeitlicher Art oder Einführung von Untergrenzen zu ak-zeptieren.Eine außerordentlich gravierende Veränderung kommtdurch die Einführung eines § 370 a der Abgabenordnungin das Steuerstrafrecht. Dieser neue Straftatbestand heißt„gewerbsmäßige oder bandenmäßige Steuerhinterzie-hung“. Durch das vorgesehene Mindeststrafmaß von ei-nem Jahr wird die Tat als Verbrechen eingeordnet, mit derBegründung, dass sie dadurch ohne weiteres in den Vor-tatenkatalog des § 261 des Strafgesetzbuches fällt.
Sowohl der Deutsche Anwaltverein als auch die Bundes-steuerberaterkammer – Herr Meyer, ich möchte Sie bitten,die Bundessteuerberaterkammer noch einmal genau zu in-formieren; Sie haben sie nämlich falsch informiert, dashat man hinterher festgestellt – wenden sich entschiedengegen eine derartige Änderung der bestehenden Rechts-lage, da sie die Rechtsberatung des Steuerbürgers in un-verhältnismäßiger Weise in einer Vielzahl von Besteue-rungs-, Steuerstreit- und auch Steuerstrafverfahrenbeeinträchtigt bzw. unmöglich macht.
Einem Mörder gestehen Sie jederzeit einen Wahlverteidi-ger zu; hier sagen Sie: Der kann sich ja einen Pflichtver-teidiger besorgen. – Sie haben hier ein unglaublichesRechtsverständnis an den Tag gelegt.
Meine Damen und Herren, es ist unbestritten, dass wiretwas gegen Umsatzsteuerbetrügereien tun müssen.
Aber gesetzliche Regelungen nach der Rasenmäherme-thode sind hier absolut unangebracht.
In das Gesetz kommen auch Tatbestände hinein, diemit der Bekämpfung von Betrug bei der Umsatzsteuerüberhaupt nichts zu tun haben, nämlich die Versagung dersteuerlichen Anerkennung der Organschaft von Lebens-und Sachversicherungen. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hat man diese Vorschrift eingefügt. Man will hiervermeiden, dass Lücken, die durch das Halbeinkünfte-verfahren entstanden sind, durch steuerliche Gestaltungs-möglichkeiten bei den Versicherungen entsprechend ge-nutzt werden. Das haben Sie den Versicherungen versagt.Die Versicherungsnehmer werden die Zeche dafür bezah-len müssen.Die Zeitungen schreiben, Minister Eichel würdeschweren Wochen entgegengehen. Tatsache ist, dass ervor den Scherben seiner Politik steht
und dass sich sein Nimbus als Sparkommissar in Luft auf-gelöst hat. Herr Minister, Sie werden einen Abgang wie inHessen machen, aber die Folgen werden wir alle inDeutschland tragen müssen.
Ich schließedie Aussprache.Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst zu Ein-zelplan 08 – Bundesministerium der Finanzen – in derAusschussfassung. Wer stimmt für den Einzelplan 08 inder Ausschussfassung? – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Der Einzelplan 08 ist mit den Stimmenvon SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmender anderen Fraktionen angenommen.Abstimmung über den Einzelplan 32 – Bundesschuld –in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Gegen-probe! – Enthaltungen? – Der Einzelplan 32 ist mit denStimmen der Koalition gegen die Stimmen der anderenFraktionen angenommen.Abstimmung über den Einzelplan 60 – Allgemeine Fi-nanzverwaltung – in der Ausschussfassung. Hierzu liegenÄnderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.Zunächst Abstimmung über den Änderungsantrag derFraktion der CDU/CSU auf der Drucksache 14/7582. Werstimmt dafür? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Än-derungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bünd-nis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen vonCDU/CSU und FDP abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsan-trag der Fraktion der PDS auf der Drucksache 14/7578.Hierzu ist namentliche Abstimmung verlangt.Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, dievorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen be-setzt? – Es tut mir Leid, ich kann die Abstimmung nochnicht eröffnen, weil noch nicht alle Urnen besetzt sind. –Darf ich fragen, ob die Urne rechts von mir mit Schrift-führern besetzt ist? – Das ist der Fall.Ich eröffne die Abstimmung.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ichschließe die Abstimmung.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
Hansgeorg Hauser
19966
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mitder Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der nament-lichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.Wir setzen die Abstimmungen fort. Wir stimmen nun-mehr über den Änderungsantrag der Fraktion der PDS aufDrucksache 14/7575 ab. Wer stimmt dafür? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mitden Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS ab-gelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion derPDS auf Drucksache 14/7579? – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Auch dieser Änderungsantrag ist mit denStimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS ab-gelehnt.Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichenAbstimmung unterbreche ich die Sitzung.
Die unter-brochene Sitzung ist wieder eröffnet.Ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergeb-nis der namentlichen Abstimmung über den Änderungs-antrag der Fraktion der PDS zu Einzelplan 60 auf Druck-sache 14/7578 bekannt: Abgegebene Stimmen 592. MitJa haben gestimmt 27, mit Nein haben gestimmt 565,keine Enthaltungen. Der Änderungsantrag ist somit ab-gelehnt.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters19967
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 592;davonja: 28nein: 564JaPDSMonika BaltDr. Dietmar BartschPetra BlässMaritta BöttcherEva Bulling-SchröterRoland ClausHeidemarie EhlertDr. Heinrich FinkDr. Ruth FuchsWolfgang GehrckeUwe HikschDr. Barbara HöllUlla JelpkeGerhard JüttemannDr. Evelyn KenzlerDr. Heidi Knake-WernerRolf KutzmutzUrsula LötzerDr. Christa LuftHeidemarie LüthPia MaierAngela MarquardtKersten NaumannRosel NeuhäuserDr. Uwe-Jens RösselGustav-Adolf SchurDr. Ilja SeifertDr. Winfried WolfNeinSPDGerd AndresIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHermann BachmaierErnst BahrDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Ingrid Becker-InglauDr. Axel BergHans-Werner BertlFriedhelm Julius BeucherPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigAnni Brandt-ElsweierWilli BraseRainer Brinkmann
Bernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannEdelgard BulmahnUrsula BurchardtDr. Michael BürschHans Martin BuryHans Büttner
Marion Caspers-MerkWolf-Michael CatenhusenDr. Peter DanckertDr. Herta Däubler-GmelinChristel DeichmannKarl DillerPeter DreßenDetlef DzembritzkiDieter DzewasDr. Peter EckardtSebastian EdathyLudwig EichMarga ElserGernot ErlerPetra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Gabriele FograscherNorbert FormanskiRainer FornahlHans ForsterDagmar FreitagLilo Friedrich
Harald FrieseAnke Fuchs
Arne FuhrmannMonika GanseforthKonrad GilgesIris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacGünter Graf
Angelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnKerstin GrieseWolfgang GrotthausHans-Joachim HackerKlaus HagemannManfred HampelAlfred HartenbachAnke HartnagelKlaus HasenfratzHubertus HeilReinhold HemkerFrank HempelRolf HempelmannGustav HerzogMonika HeubaumReinhold Hiller
Stephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid HolzhüterEike HovermannChristel HummeLothar IbrüggerBarbara ImhofGabriele IwersenRenate JägerJann-Peter JanssenIlse JanzDr. Uwe JensVolker Jung
Johannes KahrsUlrich KasparickSabine KaspereitSusanne KastnerUlrich KelberHans-Peter KemperKlaus KirschnerMarianne KlappertSiegrun KlemmerHans-Ulrich KloseWalter KolbowFritz Rudolf KörperKarin KortmannNicolette KresslVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerHorst KubatschkaErnst KüchlerKonrad KunickWerner LabschChristine LambrechtBrigitte LangeChristian Lange
Detlev von LarcherChristine LehderRobert LeidingerDr. Elke LeonhardEckhart LeweringGötz-Peter Lohmann
Gabriele Lösekrug-MöllerErika LotzDr. Christine LucygaDieter Maaß
Winfried ManteDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkUlrike MascherChristoph MatschieHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MehlUlrike MertenAngelika MertensDr. Jürgen Meyer
Ursula MoggChristoph MoosbauerSiegmar MosdorfJutta Müller
Christian Müller
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters19968
Franz MünteferingVolker Neumann
Gerhard Neumann
Dr. Edith NiehuisDr. Rolf NieseDietmar NietanGünter OesinghausEckhard OhlLeyla OnurManfred OpelHolger OrtelAdolf OstertagKurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinJohannes PflugDr. Eckhart PickJoachim PoßKarin Rehbock-ZureichDr. Carola ReimannMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterDr. Edelbert RichterChristel Riemann-HanewinckelReinhold RobbeGudrun RoosRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Birgit Roth
Marlene RupprechtThomas SauerDr. Hansjörg SchäferGudrun Schaich-WalchRudolf ScharpingBernd ScheelenDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyDieter SchlotenHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Dr. Frank Schmidt
Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Carsten SchneiderDr. Emil SchnellWalter SchölerKarsten SchönfeldFritz SchösserOttmar SchreinerGerhard SchröderGisela SchröterDr. Mathias SchubertRichard Schuhmann
Brigitte Schulte
Volkmar Schultz
Ewald SchurerDr. Angelica Schwall-DürenRolf SchwanitzBodo SeidenthalErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWieland SorgeDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltAntje-Marie SteenLudwig StieglerRolf StöckelRita Streb-HesseReinhold Strobl
Dr. Peter StruckJoachim StünkerJoachim TappeJörg TaussJella TeuchnerWolfgang ThierseFranz ThönnesUta Titze-StecherAdelheid TröscherHans-Eberhard UrbaniakRüdiger VeitSimone ViolkaUte Vogt
Hans Georg WagnerHedi WegenerDr. Konstanze WegnerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Matthias WeisheitGunter WeißgerberGert Weisskirchen
Jochen WeltDr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelJürgen Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulDieter WiefelspützHeino Wiese
Brigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenHanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie WrightPeter ZumkleyCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AltmaierDietrich AustermannNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannBrigitte BaumeisterMeinrad BelleDr. Sabine Bergmann-PohlOtto BernhardtHans-Dirk BierlingDr. Joseph-Theodor BlankRenate BlankDr. Heribert BlensPeter BleserDr. Norbert BlümAntje BlumenthalDr. Maria BöhmerSylvia BonitzJochen BorchertWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachDr. Wolfgang BötschKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepePaul BreuerMonika BrudlewskyGeorg BrunnhuberKlaus Bühler
Hartmut Büttner
Dankward BuwittCajus CaesarManfred Carstens
Peter H. Carstensen
Leo DautzenbergWolfgang DehnelHubert DeittertAlbert DeßRenate DiemersThomas DörflingerHansjürgen DossMarie-Luise DöttMaria EichhornRainer EppelmannAnke Eymer
Ilse FalkDr. Hans Georg FaustAlbrecht FeibelUlf FinkIngrid FischbachDirk Fischer
Axel E. Fischer
Klaus FranckeDr. Gerhard Friedrich
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeHans-Joachim FuchtelDr. Jürgen GehbNorbert GeisDr. Heiner GeißlerGeorg GirischMichael GlosDr. Reinhard GöhnerPeter GötzDr. Wolfgang GötzerKurt-Dieter GrillHermann GröheManfred GrundHorst Günther
Carl-Detlev Freiherr vonHammersteinGottfried Haschke
Gerda HasselfeldtNorbert Hauser
Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen HedrichUrsula HeinenManfred HeiseSiegfried HeliasHans Jochen HenkePeter HintzeKlaus HofbauerMartin HohmannKlaus HoletschekJosef HollerithDr. Karl-Heinz HornhuesHubert HüppeSusanne JaffkeGeorg JanovskyDr.-Ing. Rainer JorkDr. Harald KahlBartholomäus KalbDr.-Ing. Dietmar KansyIrmgard KarwatzkiVolker KauderEckart von KlaedenUlrich KlinkertNorbert KönigshofenEva-Maria KorsHartmut KoschykThomas KossendeyDr. Martina KrogmannDr. Hermann KuesWerner KuhnKarl LamersDr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertHelmut LampDr. Paul LaufsVera LengsfeldWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Eduard LintnerDr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred LischewskiWolfgang Lohmann
Julius LouvenDr. Michael LutherErwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterFriedrich MerzHans MichelbachMeinolf MichelsDr. Gerd MüllerBernward Müller
Elmar Müller
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzel-plan 60 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Einzelplan 60 istmit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünengegen die Stimmen der anderen Fraktionen angenommen.Abstimmung über den Einzelplan 20, Bundesrech-nungshof, in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Einzel-plan 20 ist einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt I. 8, Abstimmung über denvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurf einesSteuerverkürzungsbekämpfungsgesetzes, Drucksachen14/6883 und 14/7470. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-setzentwurf in der Ausschussfassung unter der neuen Be-zeichnung „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung vonSteuerverkürzungen bei der Umsatzsteuer und zur Ände-rung anderer Steuergesetze“ zustimmen wollen, um dasHandzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stim-men von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen dieStimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung derFraktion der PDS angenommen.Somit kommen wir zurdritten Beratungund Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu-stimmen möchte, den bitte ich, sich zu erheben. – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist mit der gleichen Stimmenmehrheit wie in der zweitenBeratung angenommen.Abstimmung über die Entschließungsanträge zumSteuerverkürzungsbekämpfungsgesetz. Wer stimmt für
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters19969
Bernd Neumann
Günter NookeFranz ObermeierFriedhelm OstEduard OswaldNorbert Otto
Dr. Peter PaziorekAnton PfeiferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzMarlies PretzlaffDr. Bernd ProtznerThomas RachelHans RaidelDr. Peter RamsauerHelmut RauberPeter RauenChrista Reichard
Erika ReinhardtHans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberFranz RomerHannelore Rönsch
Dr. Klaus RoseDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckAnita SchäferHartmut SchauerteHeinz SchemkenDr. Gerhard ScheuNorbert SchindlerBernd SchmidbauerChristian Schmidt
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt
Michael von SchmudeDr. Andreas SchockenhoffDr. Rupert ScholzReinhard Freiherr vonSchorlemerDr. Erika SchuchardtWolfgang SchulhoffGerhard SchulzDiethard Schütze
Clemens SchwalbeDr. Christian Schwarz-SchillingWilhelm Josef SebastianHorst SeehoferHeinz SeiffertDr. h. c. Rudolf SeitersJohannes SinghammerBärbel SothmannMargarete SpäteCarl-Dieter SprangerWolfgang SteigerAndreas StormDorothea Störr-RitterMax StraubingerMatthäus StreblThomas Strobl
Michael StübgenDr. Rita SüssmuthDr. Susanne TiemannEdeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzAngelika VolquartzAndrea VoßhoffDr. Theodor WaigelPeter Weiß
Gerald Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Klaus-Peter WillschBernd WilzWilly Wimmer
Matthias WissmannWerner WittlichDagmar WöhrlAribert WolfElke WülfingPeter Kurt WürzbachWolfgang ZeitlmannBenno ZiererWolfgang ZöllerBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENVolker Beck
Angelika BeerMatthias BerningerGrietje BettinEkin DeligözDr. Thea DückertFranziska Eichstädt-BohligDr. Uschi EidHans-Josef FellAndrea Fischer
Joseph Fischer
Katrin Göring-EckardtRita GrießhaberGerald HäfnerWinfried HermannAntje HermenauKristin HeyneUlrike HöfkenMichaele HustedtMonika KnocheDr. Angelika Köster-LoßackSteffi LemkeDr. Helmut LippeltDr. Reinhard LoskeOswald MetzgerKerstin Müller
Winfried NachtweiChrista NickelsCem ÖzdemirSimone ProbstChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkRezzo SchlauchAlbert Schmidt
Christian SimmertChristian SterzingHans-Christian StröbeleJürgen TrittinDr. Antje VollmerDr. Ludger VolmerSylvia VoßHelmut Wilhelm
Margareta Wolf
FDPIna AlbowitzHildebrecht Braun
Rainer BrüderleErnst BurgbacherJörg van EssenUlrike FlachPaul K. FriedhoffHorst Friedrich
Rainer FunkeDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannJoachim Günther
Dr. Karlheinz GuttmacherKlaus HauptDr. Helmut HaussmannUlrich HeinrichWalter HircheBirgit HomburgerDr. Werner HoyerUlrich IrmerDr. Klaus KinkelDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppJürgen KoppelinIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerGünther Friedrich NoltingDetlef ParrCornelia PieperDr. Edzard Schmidt-JortzigDr. Irmgard SchwaetzerMarita SehnDr. Hermann Otto SolmsDr. Max StadlerJürgen TürkDr. Guido WesterwelleFraktionsloseAbgeordneteChrista Lörcherden Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU aufder Drucksache 14/7550?
– Man kann alles, Herr Kollege von Larcher, wenn mannur will.
Man kann auch dagegen stimmen. Wer das möchte, denbitte ich jetzt um das Handzeichen. – Enthaltungen? – DerEntschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD undBündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen vonCDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS abgelehnt.Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktionder FDP auf der Drucksache 14/7551. Wer stimmt dafür? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ent-schließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD undBündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen vonCDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS abgelehnt.Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Druck-sache 14/7552. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mitden Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS ab-gelehnt.Tagesordnungspunkt I. 9. Interfraktionell wird Über-weisung der Vorlage auf Drucksache 14/6748 an die in derTagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann istdie Überweisung so beschlossen.Tagesordnungspunkt I. 10, Beschlussempfehlung desHaushaltsausschusses zu dem Antrag der Fraktion derCDU/CSU mit dem Titel „Nachtragshaushalt zur Korrek-tur der Entwicklung der Bundesfinanzen vorlegen“,Drucksache 14/6339. Der Ausschuss empfiehlt, den An-trag auf Drucksache 14/5449 abzulehnen. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen des Hauses gegen die Stimmen der CDU/CSUangenommen.Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkte I. 11 und I. 12auf:I. 11 Einzelplan 07Bundesministerium der Justiz– Drucksachen 14/7307, 14/7321 –Berichterstattung:Abgeordnete Carsten SchneiderAlbrecht FeibelFranziska Eichstädt-BohligDr. Werner HoyerHeidemarie EhlertI. 12 Einzelplan 19Bundesverfassungsgericht– Drucksache 17/7321 –Berichterstattung:Abgeordnete Carsten SchneiderAlbrecht FeibelFranziska Eichstädt-BohligDr. Werner HoyerDr. Christa LuftNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Das Haus ist damiteinverstanden.Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort zunächstdem Kollegen Albrecht Feibel für die Fraktion derCDU/CSU.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Eine bedeutende Schnittstelle zwi-schen Justiz und Wirtschaft ist das deutsche Patent- undMarkenwesen. Funktioniert es, ist es eine wichtige Unter-stützung für die Wirtschaft, für Wachstum, für Neuan-siedlungen, für Arbeitsplätze. Funktioniert das Patent-und Markenwesen nicht oder nicht ausreichend, gibt esStaus und Verzögerungen bei der Erteilung von Patentenund der Eintragung von Marken. Dies wirkt sich negativauf unsere wirtschaftliche Entwicklung aus.Unbestritten gibt es gegenüber unserer letzten Haus-haltsberatung Fortschritte beim Deutschen Patent- undMarkenamt. Dazu zählen die räumliche Verbesserungund die Ausstattung mit moderner IT-Technik. Aber alldas reicht nicht aus. Wenn sich zwei hoch qualifizierteFachkräfte nach wie vor einen Computer teilen müssen,
so ist dies ein untragbarer Zustand. Das größte Problem– trotz einiger Verbesserungen – sind immer noch die un-zureichenden Personalverhältnisse des Deutschen Patent-und Markenamtes. So wurden die Prüferstellen – im Jahre2000 betrugen sie noch 600 – im Jahre 2001, also in die-sem Jahr, um ganze zehn Prüfer auf 610 erhöht. Es fehlenalso weiterhin 50 bis 100 Fachkräfte, um den jeweils amJahresende aufgelaufenen Stau von 120 000 Patentanträ-gen abzubauen und eine zeitnahe Bearbeitung der Anträgesicherzustellen. Das ist ein Zustand, der im Zeitalter im-mer schnellerer Entwicklungen geradezu wie eine ange-zogene Handbremse für den Fortschritt und für neue Er-findungen wirkt.Im Haushaltsplan 2002 hat die Bundesregierung zwareine weitere Personalaufstockung vorgesehen; diese istaber zu gering, wenn man die per Saldo verbleibendenNetto-Personalaufstockungen errechnet. Andererseitssind mehr als 30 Stellen bis 2006 befristet, also mit einemkw-Vermerk versehen. Man muss die Frage stellen: Waskommt, wenn diese Stellen wieder wegfallen? Dabeimuss man auch einrechnen, dass die Ausbildung dieserPrüfer einen bestimmten Zeitraum in Anspruch nimmt. Esbleiben dann vielleicht noch zwei bis drei Jahre, in denendiese Fachkräfte wirklich tätig werden können.Ein weiteres Problem wird sich bezogen auf dieRaumausstattung ergeben. Wenn man zusätzliches Perso-nal einstellt, muss man sicherlich auch für die notwendi-gen Räume sorgen. Dazu habe ich von der Justizministe-rin noch nichts gehört.Bei der Beurteilung der Zustände beim DPMA darfnicht vergessen werden, dass sich das Patent- und Mar-kenamt – einschließlich des Patentgerichts – selbst finan-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters19970
ziert, das heißt, dass die Gebühren ausreichen, um die an-fallenden Sach- und Personalkosten abzudecken. Insofernist das Verhalten der Bundesregierung, dass man nämlichdas Patent- und Markenamt nicht ausreichend mit Perso-nal ausstattet, überhaupt nicht zu verstehen.
Meine Damen und Herren, die derzeitige wirtschaftli-che Entwicklung ist unbefriedigend. Das wirkt sich auchauf die Beschäftigungssituation aus. Das Wirtschafts-wachstum wird in diesem Jahr nur 0,7 Prozent erreichen.Der laufende Haushalt 2001 basiert aber auf einer An-nahme von 2,75 Prozent.
Jeder Prozentpunkt weniger bedeutet rund 10 Milli-arden DM weniger Steuereinnahmen. Für 2002 ist keineBesserung zu erwarten. Die Europäische Union prognos-tiziert weiterhin nur ein Wirtschaftswachstum von0,7 Prozent.
Damit befinden wir uns im europäischen Ranking hinterGriechenland mit 3,5 Prozent, Spanien mit 2 Prozent,Frankreich mit 1,5 Prozent und Italien mit 1,3 Prozent.Trotz dieser Erwartungen hat der Bundesfinanzminister inseinem Haushalt ein Wirtschaftswachstum von 1,25 Pro-zent für das Jahr 2002 angenommen. Das ist realitätsfernund verantwortungslos.
Trotz anders lautender Versprechungen des Kanzlerssteigt die Zahl der Menschen ohne Beschäftigung stetig an.Von einer Reduzierung der Arbeitslosenzahl auf 3,5 Milli-onen kann nicht die Rede sein. Mehr Arbeitslose bedeutenaber auch höhere Ausgaben. Pro 100 000 zusätzliche Ar-beitslose wird der Bundeshaushalt mit 3 Milliarden DMbelastet. Wenn es also zusätzlich 500 000 Arbeitslose gibt,steigen die Ausgaben um 15 Milliarden DM an.Auch das in diesen Tagen bekannt gewordene Schei-tern der GEBB, der Gesellschaft für Entwicklung, Be-schaffung und Betrieb, Ihres untauglichen Versuchs derPrivatisierung von Teilen der Bundeswehr, führt dazu,dass Mittel fehlen. Die 2 Milliarden, die für diesen Be-reich im Haushalt eingerechnet sind, werden sich nichtrealisieren lassen. Die GEBB ist von ihrer Struktur hervöllig falsch angelegt und wird auch mit einer anderenPerson an der Spitze nicht zum Erfolg führen.
Dieses unsägliche Unternehmen wird nur Geld kosten,aber keine Erlöse erzielen, die für die neuen großen Auf-gaben der Bundeswehr so dringend gebraucht werden.
– Es ist mir klar, dass Sie das nicht hören wollen, HerrKollege. Aber das hängt zusammen. Wir reden über denHaushalt und dabei stellen wir fest, dass die Grundlagenicht stimmt. Ihre Annahmen sind unrealistisch; sie sindden neuen Entwicklungen und Erkenntnissen nicht ange-passt worden. Solche Tatsachen darf ein verantwortungs-bewusster Bundesfinanzminister nicht ignorieren. An-sonsten wird er zum haushaltspolitischen Falschmünzer.Die Justizministerin ist gefordert, ihren Beitrag zu ei-ner besseren wirtschaftlichen Entwicklung zu leisten.Darum müssen Sie, Frau Kollegin, den Stau beim DPMAkurzfristig auflösen und dafür Sorge tragen, dass diesesAmt voll funktionsfähig ist. Sie können ruhig applaudie-ren; denn dies ist eine Aufgabe, die wahrgenommen wer-den muss.
Stocken Sie die Zahl der Stellen auf, damit der Stau beimPatentamt aufgelöst wird und die Markenanmeldungennicht ewig auf Bearbeitung warten müssen! Dazu reichendie derzeitigen Ansätze nicht aus. Es darf aber keinesfallsdazu kommen, dass, wie im letzten Jahr, Stellen verspro-chen, aber nicht eingerichtet werden. Das dient weder Ih-rer Glaubwürdigkeit, Frau Justizministerin, noch der Sa-che selbst.
Wir kritisieren einen weiteren Punkt, und zwar die un-gerechte Entschädigung von Opfern extremistischer Ge-walt. Die Regierung scheint auf dem linken Auge blind zusein; denn auch 2002 werden nur Opfer rechtsextremisti-scher Gewalt entschädigt. Das lehnt die CDU/CSU-Frak-tion ab. Wenn Opfer entschädigt werden, dann bitte allegleichermaßen.
Nun hätte ich eigentlich eine Frage an den Herrn Bun-desfinanzminister; er ist aber leider nicht da. Er hat vor-hin in seiner Rede wieder einmal verkündet, wie hoch dieSteuerentlastungen für die Bundesbürger sein werden.In diesem Punkt besteht meines Erachtens Aufklärungs-bedarf. Ich denke aber, dass der Staatssekretär dieses An-liegen weitergeben wird.Der Bundesfinanzminister wird nicht müde, landauf,landab den Bürgern zu erzählen, sie würden immer weni-ger Steuern zahlen. Dies stimmt aber nicht. Ein Blick indie mittelfristige Finanzplanung zeigt, dass die Bundes-bürger von 1998 – das war der letzte Haushalt des Bun-desfinanzministers Waigel – bis 2005 gewaltig mehr anSteuern zahlen müssen. Bis zum Jahr 2005 werden esmehr als 100 Milliarden DM sein, wenn Sie denn – dieseEinschränkung muss ich machen – bis dahin regieren.
Sie versprechen außerdem ab dem Jahr 2005 eine Entlas-tung in Höhe von 60 Milliarden DM. Diese haben Sie bisdahin längst, und zwar noch mit einem gewaltigen Zu-schlag, von den Steuerzahlern kassiert.
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Albrecht Feibel19971
H
Rede von: Unbekanntinfo_outline
1998 betrugen die Steuer-
einnahmen 341,5Milliarden DM. Im Jahr 2005 werden es
nach Ihrer Finanzplanung 445,7 Milliarden DM sein.
Hinzu kommt, dass diese Steuerbelastung natürlich Gift
für die wirtschaftliche Entwicklung ist und dass damit dem
Problem, das wir in diesen Tagen haben – Stichwort: Wirt-
schaftswachstum und sprudelnde Steuerquellen –, nicht
abgeholfen werden kann.
Den Einzelplan 07 lehnen wir aus den genannten Grün-
den, aber auch aus dem Grund der wunderbaren Vermeh-
rung der Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit ab. Diese sind
in zwei Jahren um mehr als 50 Prozent gestiegen.
Das lässt darauf schließen, dass hier Vorsorge für den be-
vorstehenden Wahlkampf getroffen wird. Deshalb werden
wir den Einzelplan 07 ablehnen.
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Carsten Schneider.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Im Übrigen beraten wir heuteden Einzelplan 07 – Justiz.
Wir sprechen aber nicht nur über das Jahr 2002. Ichmöchte vielmehr die Gelegenheit nutzen, ein wenigzurückzublicken und über die vergangene Legislaturperi-ode Bilanz zu ziehen.Die Bilanz dieser Jahre ist ausgezeichnet. Die Ent-wicklung des Justizhaushalts ist dabei geradezu ein Pa-radebeispiel für den Paradigmenwechsel von einer nurverwaltenden hin zu einer aktiven, innovativen, aber auchsozialen Haushaltspolitik.
Der Justizhaushalt hat einerseits seinen Beitrag zur Kon-solidierung der Staatsfinanzen geleistet, wie er anderer-seits wirtschafts- und gesellschaftspolitische Akzente ge-setzt hat. Damit ist der Justizhaushalt exemplarisch für diePolitik der Bundesregierung in den letzten guten Jahren.
Dank der harten Hand unseres Finanzministers und derKoalitionsfraktionen ist es gelungen, die rasant steigendeStaatsverschuldung zu drosseln und Vernunft walten zulassen.
Vernünftige Politik heißt erstens, die Bürgerinnen undBürger von Steuern und Abgaben zu entlasten,
zweitens, die Staatsausgaben sukzessive zurückzuführenund den Freiraum der Bürger zu erhöhen, und drittens,Kernaufgaben durch den Staat zu erfüllen und dort, woes möglich und sinnvoll ist, privater Initiative Platz zugeben.
Unsere Haushaltspolitik ist vernünftig, weil wir einegerechte, eine generationengerechte Politik betreiben.
Unsere Politik ist vernünftig, weil soziale GerechtigkeitMaßstab unseres Handelns ist. Ob BAföG-Reform, Kin-dergeld oder Steuerreform – wir sind die einzige Partei,die einen Ausgleich zwischen wirtschaftlicher Effizienzund sozialer Gerechtigkeit schafft.
Diese Leitlinien sind sowohl am Gesamthaushalt alsauch am Justizhaushalt erkennbar. Die Ausgaben des Jus-tizhaushaltes für 2002 sinken gegenüber dem Ansatz für2001 um 2 Millionen Euro auf 346 Millionen Euro. Siesind damit um 8 Millionen Euro niedriger als 1998. Auchhieran, am Justizhaushalt, sehen Sie, dass wir die Ausga-benseite konsolidiert haben.Auch beim Personal hat der Justizhaushalt seinenKonsolidierungsanteil geleistet. Der Personalbestandsank seit 1998 um 1,5 Prozent. Gleichzeitig – das ver-deutlicht unsere Politik – stieg der Personalbestad beimebenso viel beschworenen Deutschen Patent- und Mar-kenamt um knapp 5 Prozent. Allein die Zahl der Patent-prüfer steigt bis zum Jahre 2002 um gut ein Fünftel. Jah-relang ist das Patent- und Markenamt durch Ihre Partei,Kollege Feibel – ich nehme Sie aus, Sie waren damalsnicht im Parlament –, vernachlässigt worden, ist die Wirt-schaft letztendlich mit Füßen getreten worden.
Wir haben diesen Trend umgekehrt und das ist gut so.
Auch die IT-Ausgaben des DPMA haben sich seit1998 verdoppelt. Nächstes Jahr werden hierfür 22 Milli-onen Euro eingestellt.
– Wenn er es nachlesen kann, schon. – Obwohl wir hierviel unternommen haben und die Erledigungszahlen der
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Albrecht Feibel19972
einzelnen Prüfer stark gestiegen sind, wofür ich mich beiden Prüfern besonders bedanken möchte, verzeichnen wirimmer noch ein Anwachsen des Bestandes. Das zeigtexemplarisch, dass die Folgen der jahrelangen Vernach-lässigung eben nicht über Nacht behoben werden können.Patentprüfer fallen nicht vom Himmel, sondern müssenausgebildet werden. Der Markt für diese ist sehr eng. DerSchaden Ihres Handelns bzw. Ihrer Untätigkeit wird da-durch umso gravierender.
Lassen Sie mich noch ein Wort zum Standort Jena desDPMA sagen. Wir werden nächstes Jahr in der Marken-abteilung des DPMA 30 neue Stellen, davon 20 Marken-prüfer, besetzen. Die Stärkung des Standorts Jena liegt mirsehr am Herzen. Ich freue mich, dass wir innerhalb desParlaments zusammen mit der Regierung zu der Lösunggekommen sind, dass alle neuen Stellen zukünftig inebendieser Stadt angesiedelt werden, die somit eine Stär-kung erfährt.
Ich möchte noch auf einen weiteren Bereich des Jus-tizhaushaltes eingehen, der mir sehr am Herzen liegt. Dasist der Kampf gegen Rechtsextremismus. Auch wennglücklicherweise bei dem Brandanschlag auf einAsylbewerberheim in der vergangenen Woche im KreisAugsburg kein Mensch zu Schaden kam, so zeigt diesdoch, dass die rechtsextreme Gefahr nach wie vor vor-handen ist. Es ist sogar zu befürchten, dass bei einerunreflektierten Beurteilung der Ereignisse vom 11. Sep-tember Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus zu-nehmen.Wir hatten daher für 2001 beim Generalbundesanwalteinen Hilfsfonds für Opfer rechtsextremistischer Über-griffe von 5 Millionen Euro veranschlagt.
Es gab damals heftigen Streit darüber – Herr KollegeFeibel, Sie haben das eben noch einmal ausgeführt –, obman diesen Fonds auf Opfer rechtsextremistischer Gewalteinschränken sollte. Meiner Meinung nach ist es beson-ders wichtig und auch herauszustreichen, dass wir diesebesondere Art von Gewalt, die derzeit existent ist – Siekönnen im Bericht nachlesen, dass es zurzeit keine Gefahrvon Linksextremisten, sondern von Rechtsextremistengibt –, ächten, bekämpfen und den Opfern unsere Solida-rität deutlich machen. Unsere Politik macht damit klar:Wir geben Ausländerfeindlichkeit, Rechtsextremismusund Antisemitismus keine Chance.Die bisherige Bilanz der sozialdemokratischen Finanz-und Haushaltspolitik ist gut, weil sie verlässlich, voraus-schauend und ehrlich ist. Der Haushalt für das Wahljahrsteigt wie geplant um 1,6 Prozent. 1998, im letzten JahrIhrer Regierung, hatte er einen Anstieg von 3,4 Prozent.Sie haben damals den untauglichen Versuch unternom-men, mit AB-Maßnahmen im Osten die Wahl für sich zugewinnen. Das hat Ihnen nichts genützt.
Wir machen solche unredlichen Dinge nicht. Wir habendas nicht nötig, weil sie falsch sind, weil wir den Wähle-rinnen und Wählern nichts vorgaukeln wollen und weilwir eine Finanz- und Haushaltspolitik betreiben, die ver-lässlich und ökonomisch sinnvoll ist.
Deshalb halte ich nichts von Strohfeuerprogrammen,die immer wieder von der Opposition gefordert werden.Sie kosten einmal eben 40 Milliarden DM bzw. 20 Milli-arden Euro. Woher dieses Geld kommen soll, ist nichtklar. Solche Politik ist unseriös. Überdies schadet sie derinneren Einheit Deutschlands.
Dadurch entsteht der Eindruck, der Osten sei ein Fassohne Boden. Das ist er aber nicht.Richtig und für die neuen Länder nützlich ist dagegendas Verhandlungsergebnis zum Solidarpakt II. Ich glaube,dass wir die Bedeutung dieses Abschlusses vor der Som-merpause erst in einigen Jahren abschätzen können. Ichbin froh, dass wir dieses wichtige Thema vor der Som-merpause vom Eis haben und damit den neuen Länderneine langfristige Planungssicherheit über 20 Jahre geben.Ich möchte dabei ganz besonders dem Bundeskanzlerdanken.Lassen Sie mich zum Abschluss einen Blick in dienächste Legislaturperiode werfen. Der Finanzminister hatden Pfad klar abgesteckt. Für das Jahr 2006 wird HansEichel einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Wir alsParlament werden ihn beschließen. Die Festlegung aufdiesen Zeitplan ist eine finanzpolitische Meisterleistung,die Herr Waigel nie ins Kalkül fasste, geschweige denndurchsetzen konnte.
Wir werden daher auch in der kommenden Wahlperiodediesen Zeitplan beibehalten. Gleiches gilt für den Stufen-plan der Steuerreform.Da die Finanzpolitiker der Union immer das Vorziehender nächsten Stufe unserer Steuerreform fordern, erklärenSie mir doch bitte einmal: Wieso wollen Sie diese Steu-erreform vorziehen, gegen die Sie gestimmt haben undgegen die Sie immerzu wettern? So schlecht kann sie dochnicht sein, wenn Sie sie sogar noch früher als vorgesehenhaben wollen.
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Carsten Schneider19973
Außerdem sind es doch Ihre Länderfinanzminister, dieimmer wieder auf die Bremse treten, wenn es um höhereEntlastungen durch die Steuerreform geht. Diese wissengenau, wie es um die Länderhaushalte bestellt ist. Sie sindnicht in der Lage, in ihren Haushalten eine Ausgabenkon-solidierung durchzuführen und Strukturreformen anzu-gehen.
Ich rate den Finanz- und Haushaltspolitikern derOpposition, lieber ihren Steuerfachleuten in den Ländernund Kommunen zuzuhören. Die Stadtkämmerin von Er-furt liegt mir schon jetzt wegen ausbleibender Steuerein-nahmen in den Ohren. Wie wollen Sie denen dann nochhöhere Steuerausfälle plausibel machen? Wer soll die Ze-che bezahlen, wenn nicht wieder die zukünftige Genera-tion? Eine solche Politik ist mit uns nicht zu machen.
So sehr ich die Entscheidung zum Länderfinanzaus-gleich und zum Solidarpakt II auch begrüße, so sehrmöchte ich davor warnen, das Ergebnis als das Nonplus-ultra des bundesdeutschen Föderalismus zu sehen. Ichsehe das Ergebnis quasi als finanzpolitisches Fundamenteiner föderalistischen Renaissance. Der europäische Inte-grations- und Vertiefungsprozess darf uns die Augen vorden eigenen hausgemachten föderalen Problemen nichtverschließen. Wir sollten daher die kommende Wahlperi-ode zur Periode der Reform des Föderalismus machen.Föderalismus heißt dezentrale, durchschaubare Ver-antwortung und flexible Entscheidungsfähigkeit. Es gehtnicht nur um die Aufteilung von Geld, sondern auch umeine klar abgrenzbare Aufteilung der Aufgaben. Das, waswir in den nächsten vier Jahren schaffen müssten, ist eineklare Zuordnung der Verantwortung und eine durchge-hende Anwendung des Subsidiaritätsprinzips. Wir müss-ten außerdem mehr Mut für einen dennoch solidarischenWettbewerb aufbringen.
Der Föderalismus muss seine beiden Grundfunktionenwieder erfüllen: Er soll klare Verantwortung nah an dieBürgerinnen und Bürger bringen und er muss unter-schiedliche politische Lösungsentwürfe ermöglichen.
Zum Schluss meiner Rede möchte ich den Kollegin-nen und Kollegen Berichterstattern herzlich für diekonstruktive Zusammenarbeit danken, ebenso der Minis-terin, dem Staatssekretär sowie den Beamten des Haus-haltsreferats.Im Haushaltsausschuss gilt vor allem, bei Entschei-dungen in die Zukunft zu blicken und dabei realistisch zusein. Wenn ich realistisch in die Zukunft blicke, dannstelle ich fest, dass wir weitere vier Jahre mit der jetzigenMinisterin vor uns haben.
Für die
FDP-Fraktion spricht der Kollege Rainer Funke.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Ein funktionierendes Justizwesen ist für un-sere Gesellschaftsordnung, für das Vertrauen der Bevöl-kerung in unseren Rechtsstaat und damit für unsereDemokratie unerlässlich. Insoweit begrüßt die FDP, dassbei den Haushaltskürzungen im Justizbereich des Bundesund auch zunehmend in dem der Länder die Rasen-mähermethode nicht mehr angewandt wird.
Zwar ist der Justizpersonalhaushalt des Bundes ver-gleichsweise gering. Die oberen Bundesgerichte sind je-doch für die Einheitlichkeit unserer Rechtsprechung unddamit für den Bestand unserer Rechtsordnung von he-rausragender Bedeutung. Ich kann daher die Bundesjus-tizministerin nur darin unterstützen, sich gegen unspezifi-zierte Haushaltskürzungen in diesem Bereich zu wehren.Wir würden die Justizministerin auch darin unterstüt-zen, wenn sie sich dagegen wehren würde, dass Geset-zesmaterien, die ursprünglich in ihrem Hause ressortiertwaren, von anderen Häusern in Anspruch genommenwerden.
Ich will als konkretes Beispiel das Übernahmegesetz er-wähnen, bei dessen Beratung das Bundesfinanzministe-rium die Federführung beansprucht hat, obwohl wesentli-che Fragen des Aktienrechts betroffen sind. Mit großemErfolg hat das Bundesjustizministerium an der Corporate-Governance-Arbeitsgruppe unter Professor Baums teilge-nommen und gute Vorschläge entwickelt, die hoffentlichbald Gesetz werden können. Das Übernahmegesetz kon-terkariert dagegen diese erfolgreichen Beratungen undführt dazu, dass Aktionäre durch Vorstand und Aufsichts-rat und auch durch entsprechende Vorratsbeschlüsse derHauptversammlung quasi enteignet werden. Dies führtzur Schwächung des deutschen Kapitalmarkts,
während die Corporate-Governance-Arbeitsgruppe unterProfessor Baums zur Kapitalmarktöffnung beitragen will.Hier weiß offensichtlich die eine Hand nicht, was die an-dere tut. Ich bin sicher, dass die Bundesjustizministerin,hätte sie denn aufgepasst, dies nicht gebilligt hätte. Aberso ist es in der Tat an der Justizministerin vorbeigelaufen.Das Bundesjustizministerium war unter allen Bundes-justizministern und Bundesjustizministerinnen ein Hortunserer Rechtsordnung. Dabei wurde auch darauf geach-
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Carsten Schneider19974
tet, dass eine ordnungsgemäße parlamentarische Bera-tung der Gesetzesvorlagen sichergestellt wurde.
Leider müssen wir uns zum wiederholten Male, Frau Mi-nisterin, darüber beklagen, dass aufgrund des von Ihnengesetzten Zeitdrucks sinnvolle Beratungen erschwertwerden, um es einmal hanseatisch und zurückhaltend aus-zudrücken.Ich erwähne nur zwei Beispiele aus dieser Woche; an-dere Beispiele sind leider Legion und von uns mehrfachvorgetragen worden. In dieser Woche sollte eine Nachfol-geregelung zu § 12 des Fernmeldeanlagengesetzes, alsodie Telefonüberwachung, beschlossen werden.
Seit Jahren, Herr Kollege, wird hierüber diskutiert.
Die Geltung des § 12 ist mehrfach verlängert worden.Jetzt, wenige Tage vor Ablauf der Frist am 31. Dezemberdieses Jahres, sollte heute in einer Sondersitzung desRechtsausschusses hierüber beraten werden.
Auf Druck der Grünen ist die Beratung wieder abgesetztworden.
Dies führt dazu, dass wir auch in der letzten Sitzung die-ses Jahres dieses Gesetz nicht mehr ordnungsgemäß bera-ten können. Insbesondere können wir auch keine An-hörung durchführen, falls wir eine solche für richtighielten.
– Das glauben Sie.
Sie wollen hier doch die Leute nur unter Druck setzen. Sokann man mit dem Parlament nicht umgehen.
Es geht darum, dass die Kolleginnen und Kollegen imRechtsausschuss und natürlich auch das Plenum ord-nungsgemäß beraten können. Das stellen Sie leider nichtmehr sicher.Dies geht sogar noch weiter: Der junge KollegeSchneider hat eben gerade den Föderalismus gepriesen.Ich preise ihn auch. Aber was Sie mit dem Bundesrat ma-chen, ist ganz schlimm. Der Bundesrat hat keine Mög-lichkeit mehr, das Gesetz rechtzeitig zu beraten. Er soll esnoch in der letzten Sitzungswoche dieses Jahres be-schließen, kann vorher aber nicht einmal ernsthaft denVermittlungsausschuss anrufen. So gehen Sie mit demBundesrat um!
– Nein, was in den Beratungen zwischen Ihnen und denGrünen herauskommen wird, weiß der Bundesrat bisheute nicht. Das wissen auch wir nicht. Auch Ihnen ist be-kannt, dass hier eine Hängepartie gegeben ist, die dazuführt, dass wir nicht mehr ordnungsgemäß beraten kön-nen.
Ähnlich verhält es sich leider auch beim Urheberver-tragsrecht, das jetzt in zügigster Weise durchgepeitschtwerden soll.
– Lieber Herr Kollege Hartenbach, der ursprüngliche Ent-wurf der Bundesregierung geriet kräftig in die Kritik,woraufhin der Gesetzentwurf in der letzten Woche in14 Punkten geändert wurde.Wir haben im Berichterstattergespräch erörtert, dassdieser Gesetzentwurf grundlegend geändert wird. Einegründliche Beratung dieser Änderungen mit den betroffe-nen Organisationen und Verbänden der Urheber und Ver-werter ist aber durch den Zeitdruck, unter den sich dieBundesjustizministerin ohne Not selbst gesetzt hat, nichtmehr gewährleistet. Ich appelliere daher an die Ministe-rin, auch dem Parlament genügend Zeit für die Beratun-gen zu geben.
Andere Gesetze werden unnötig lange nicht angegan-gen. Ich nenne nur das materielle Stiftungsrecht und dieNovellierung der Juristenausbildung.
Hier sollte die Justizministerin, die nun einmal über § 5des Deutschen Richtergesetzes eine ausreichende Geset-zesgrundlage dazu hat, initiativ werden, damit unserejungen Juristen eine noch bessere Ausbildung erfahrenkönnen.Lassen Sie mich abschließend versichern, dass sich dieFDP als Rechtsstaatspartei der Fortentwicklung unsererRechtsordnung immer engagiert annehmen wird. Bei ent-sprechenden Vorhaben werden wir das Ministerium kon-struktiv begleiten. Den Mitarbeitern des Bundesjustizmi-nisteriums sage ich für ihre engagierte und sachkundigeZuarbeit im Namen meiner Fraktion aufrichtig Dank.
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Rainer Funke19975
Ich erteile
dem Kollegen Volker Beck das Wort. Er spricht für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der rechts-politische Reformmotor ist in diesem Jahr so richtig aufTouren gekommen. Man hört es von Herrn Funke: DieOpposition schwitzt, weil sie den Reformeifer von Rot-Grün nicht mehr richtig bewältigen kann.
Sehr geschätzter Kollege, beim Urhebervertragsrechtkönnen Sie sich wirklich nicht über mangelnde Beratun-gen im Ausschuss beklagen. Wir hatten eine Anhörung,wir hatten Berichterstattergespräche. Wir werden dieseintensive Beratung mit einer Berichterstatteranhörungfortsetzen.Auch hinsichtlich der Nachfolgeregelung zum § 12 desFernmeldeanlagengesetzes werden Ihre Träume wahrwerden. Wir werden diese Regelung noch in diesem Jahrverabschieden und rechtzeitig im Gesetzblatt veröffent-lichen. Bei den notwendigen Eingriffen in die Grund-rechte schaffen wir es, diese immer zielgenauer und ver-hältnismäßiger zu gestalten. Das ist etwas, was Ihnen alsehemaliger Bürgerrechtspartei eigentlich gefallen müsste.Das sollte eher auf Ihren Beifall denn auf Ihre Kritikstoßen.
Schon jetzt lässt sich sagen: Das Jahr 2001 wird als dasJahr der spektakulären rechtspolitischen Reformen in dieGeschichte eingehen. Wir haben die notwendigen Moder-nisierungen – Justizreform, Schuldrechtsmodernisierung,Mietrechtsreform, die Regelung zur eingetragenen Part-nerschaft, das Gewaltschutzgesetz – nicht nur angekün-digt, sondern wir haben sie auch durchgesetzt. Wir habenin drei Jahren in der Rechtspolitik mehr zustande gebrachtals Schwarz-Gelb in den gesamten 16 Jahren seiner Re-gierungsverantwortung.
Lassen Sie mich zu Beginn auf eine Gesetzgebung ein-gehen, die uns alle beschäftigt, den Konsequenzen derschrecklichen Anschläge vom 11. September geschuldetist und die innere Sicherheit in diesem Land betrifft. Mitden Gesetzen der Sicherheitspakete I und II stellt dieKoalition eindrucksvoll unter Beweis, dass sie bei derTerrorismusbekämpfung die richtige Balance gefundenhat.
Das Gesetz ist ein austariertes, verhältnismäßiges Maß-nahmenpaket. Es gewährleistet den Bürgern optimaleSicherheit, ohne dabei Bürgerrechte und Datenschutz ab-zubauen. Es beweist auch, dass man Sicherheitserforder-nisse und die Wahrung von Freiheit und Rechtsstaatlich-keit durchaus vereinbaren kann, wenn man sich anstrengt.
Ich warne davor, das grundsätzlich gelungene Bündel vonMaßnahmen jetzt mit Verschärfungen an der einen oderanderen Stelle wieder aus der Balance zu bringen.
Wer das will, wie wohl einige Ausschüsse des Bundesra-tes angekündigt haben, der gefährdet eine zügige Verab-schiedung dieses Gesetzes im Deutschen Bundestag. Da-rüber muss man sich im Klaren sein. Wir brauchen imKampf gegen die Strukturen des internationalen Terroris-mus keine langen Verzögerungen, keine wochen- und mo-natelangen Beratungen zwischen den parlamentarischenGremien von Bundestag und Bundesrat. Das wäre in derTat verantwortungslos. Wir müssen diesbezüglich zügigund entschlossen handeln.
Meine Damen und Herren, in dieser Haushaltsdebattegeht es auch um die Kosten von Rechtsstaat und Jus-tiz. Beinahe ein Standardsatz in den haushaltspolitischenReden zum Justizhaushalt lautet: Der Rechtsstaat ist eineerstaunlich preisgünstige Veranstaltung. Die Anteile derJustizhaushalte bei Bund und Ländern, gemessen amGesamthaushalt, sind immer sehr gering. Trotzdem ga-rantieren sie die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürgervor staatlicher Willkür, vor nicht zielgerichteter Repres-sion. Deshalb muss uns der Rechtsstaat auch etwas Wertsein.Wir brauchen einen umfassenden Sicherheitsbegriff,der auch die Sicherheit vor ungerechtfertigten Eingriffenin die Grundrechte einbezieht und die rechtsstaatlichenGrundwerte hochhält: die Trennung von Polizei und Ge-heimdiensten, das auch für den Beschuldigten faire Ver-fahren, den Grundsatz, Eingriffe in die Rechte von Perso-nen nur vorzunehmen, wenn sie verhältnismäßig sind,und das Prinzip, den Datenschutz als Bürgerrecht undGrundrecht und nicht als Täterschutz zu begreifen.Es ist gut, dass diese Koalition diese Orientierung inder Rechtspolitik und in der Sicherheitspolitik gleicher-maßen wahrt.Meine Damen und Herren, auf nahezu allen Gebietender Justizpolitik kann diese Koalition auf eine eindrucks-volle Erfolgsbilanz verweisen. Unsere Reformpolitikzielt auf die Modernisierung der Justiz, auf die Stärkungder Stellung von Rechtsuchenden und Verbrauchern, aufden Schutz der Schwachen durch Recht und auf Maßnah-men gegen die Diskriminierung von benachteiligtenGruppen in unserer Gesellschaft.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 200119976
Mit der Schuldrechtsreform haben wir unser Bürger-liches Gesetzbuch endlich für das 21. Jahrhundert fit ge-macht.
Damit werden wir auf dem internationalen Parkett bei denVerhandlungen für ein europäisches Zivilgesetzbuch wie-der ernst genommen. Es war richtig und gut, dass wir unsim Verfahren gegen die Verschleppungsabsichten derOpposition gestellt haben.
So präsentieren wir den Bürgerinnen und Bürgern unserkomplettes BGB ab 2002 in einem neuen und modernenGewand. Profitieren werden davon vor allem die Ver-braucherinnen und Verbraucher. Sie werden bis in daskleinste Alltagsgeschäft hinein ihre verbesserte Rechts-position zu spüren bekommen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposi-tion, wäre es nach Ihnen gegangen, müssten wir unserenBürgern jetzt jedes Jahr ein neues BGB zumuten. Gut,dass uns diese Ergänzungslieferungen erspart bleiben!
Ab 2002 verbessert sich auch mit der eigentlichen Jus-tizreform, der Modernisierung des Zivilprozesses, dieRechtsposition der Rechtsuchenden in unserem Land.
Sie werden künftig zügiger und besser zu ihrem Rechtkommen. Ich bin sicher: Die Stärkung der Eingangsin-stanz wird für die Justiz einen Akzeptanzschub zur Folgehaben. Ich bin auch davon überzeugt: Die Maßnahmenwerden sich in der Praxis bewähren, sodass sich hoffent-lich bald alle Länder auch zu einer einheitlichen Beru-fungsinstanz beim OLG durchringen werden.Auch im Verwaltungsprozess haben wir den Rechts-schutz der Bürgerinnen und Bürger wieder verbessert. DieVorgängerregierung hatte mit ihrer 6. VwGO-Novelle denRechtsschutz der Bürger weit zurückgefahren. Wir habendas rückgängig gemacht und die Rechtsmittel sowie ihreZulassungsvoraussetzungen ausgeweitet. Das war bitternotwendig; denn gerade da, wo es um das Verhältnis zwi-schen Bürgern und Staat geht, müssen wir umfassendenRechtsschutz gewährleisten.
Die rot-grüne Koalition stärkt auch auf dem Gebiet derRechtspolitik die Stellung der Schwachen in dieserGesellschaft. Das ist die soziale Dimension der Rechts-politik.
In wenigen Tagen, am 1. Dezember, wird sich für die vie-len Überschuldeten in diesem Land die Situation deutlichverbessern. Wir haben die Insolvenzordnung so verän-dert, dass sie überschuldeten Verbrauchern endlich einereale Chance auf ein schuldenfreies Leben eröffnet. Mitder Abkürzung der so genannten Wohlverhaltensperiodeauf sechs Jahre und mit der Stundung der Prozesskostenerleichtern wir den Menschen den Weg aus der Schul-denfalle und zurück in die Gesellschaft, zurück in dasWirtschaftsleben. Erst jetzt lässt sich die Reform derInsolvenzordnung von 1999 mit Fug und Recht alsechte Reform bezeichnen. Die Arbeitsgemeinschaft derSchuldnerberatungsverbände ist uns für diese überfälligeReparatur zu Recht sehr dankbar.Auch die Anhebung der Pfändungsfreigrenzen istpraktischer Schutz der Schwachen durch Recht. Wir stel-len sicher, dass ein erwerbstätiger Schuldner trotz Pfän-dung künftig mehr im Geldbeutel behält, als wenn er dieArbeit aufgibt und nur Sozialhilfe bezieht. Das ist ja wohleine sinnvolle sozialpolitische Maßnahme.
Mit der Reform des Schadensersatzrechtswerden wirden Menschen helfen, ihre Schadensersatzansprüchedurchzusetzen. Hier besteht besonders im Bereich desArzneimittelschadensrechts erheblicher Reformbedarf.Der Skandal um Lipobay oder der HIV-Blutskandal in den80er-Jahren haben gezeigt, dass es für die Betroffenen, dienachweislich geschädigt sind, oft sehr schwer ist, ihre An-sprüche auch tatsächlich durchzusetzen. Wir ergreifen dienotwendigen Maßnahmen.Mit dem Gewaltschutzgesetz ist uns ein weiterer Mei-lenstein gelungen. Wir haben die rechtliche Stellung vonFrauen und Kindern als den typischen Opfern von häusli-cher Gewalt erheblich gestärkt. Wir ermöglichen den Ge-schlagenen, in ihrer Wohnung zu bleiben und dort vorweiteren Übergriffen des Partners geschützt zu sein. Nichtder Geschlagene muss gehen, sondern der Schläger. Auchdas ist Schutz der Schwachen durch Recht.Unsere Koalition hat im Prostitutionsgesetz dafür ge-sorgt, dass sich diese Gesellschaft von der Doppelmoral,wie sie auf dem Rücken der Prostituierten ausgetragenwird, verabschiedet.
Die Frauen und Männer, die in diesem Bereich arbeiten,haben – unabhängig davon, wie das der Einzelne mora-lisch bewertet – einen Rechtsanspruch auf ihren Lohn fürihre Tätigkeit und ein Recht auf soziale Sicherung imRahmen unserer Sozialversicherungssysteme erhalten.
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Volker Beck
19977
Wir werden nach dem Barrierefreiheitsgesetz für Be-hinderte und dem Lebenspartnerschaftsgesetz für Homo-sexuelle auch mit einem zivilrechtlichen Antidiskriminie-rungsgesetz den Menschen, die in unserer Gesellschaftimmer noch diskriminiert werden, rechtliche Instrumen-tarien an die Hand geben, um sich gegen Diskriminierungwirkungsvoll zu wehren. Ich bin sicher: Nach dem ein-drucksvollen Reformprogramm der letzten drei Jahrewird es uns ein Leichtes sein, die Wählerinnen undWähler im nächsten Jahr zu überzeugen, dass die gute Ar-beit unbedingt von dieser Koalition fortgesetzt werdenmuss.
Die Kolle-
gin Dr. Evelyn Kenzler spricht für die Fraktion der PDS.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Zum Bundesverfassungsge-richt möchte ich aufgrund der sehr kurzen Zeit nur so vielsagen: Auch wenn mich das Urteil aus Karlsruhe zu unse-rem Organstreitverfahren „Neue NATO-Strategie“ in derletzten Woche nicht überzeugt hat und das Gericht nichtim Zweifel für das Parlament entschieden hat, machtmeine Fraktion ihr Abstimmungsverhalten natürlich nichtdavon abhängig, sondern stimmt dem Einzelplan Bundes-verfassungsgericht zu. Trotz einiger Einwände stimmenwir auch dem Einzelplan BMJ zu.
Die Legislaturperiode neigt sich dem Ende zu. DerBundeshaushalt 2002 ist insofern für den Endspurt derBundesregierung und der rot-grünen Koalition bei ihremgroßen Vorhaben, den Reformstau in der Rechtspolitikaufzulösen, besonders wichtig. Bis zu den Ereignissen des11. September war ich der Meinung, dass die Regierungihrem Ziel „mehr Rechtsstaatlichkeit und mehr sozial-staatliche Demokratie in der Rechtspolitik“ – ich betone:in der Rechtspolitik – ein Stück näher gekommen ist.Heute sehe ich jedoch insbesondere in der Terrorismus-gesetzgebung einen herben Rückschlag.Frau Ministerin, Sie sind in der Rechtspolitik in der Tatvorangekommen. Ich konnte einiges unterstützen. MeineFraktion und ich haben uns in einer Reihe von Vorhaben,wie bei der Änderung der Insolvenzordnung, der Anhe-bung der Pfändungsfreigrenzen oder der Mietrechtsre-form, aktiv eingebracht. Dass wir oftmals entschiedenereReformfortschritte vorgeschlagen haben, ist dokumen-tiert. Manche Vorschläge von uns habe ich auch in IhrenGesetzentwürfen wiedergefunden. Andere Vorhaben, wiedie ZPO-Reform, konnten wir aufgrund der unterschied-lichen konzeptionellen Ansätze nicht mittragen. Die Um-setzung in der Rechtspraxis wird schon in Kürze der ent-scheidende Gradmesser sein und entsprechende Defiziteaufzeigen.Da mehrere tief greifende Reformen zeitgleich in Krafttreten, sollte gerade im nächsten Jahr mehr Geld für dieÖffentlichkeitsarbeit ausgegeben werden. An dieser Stellestehen wir in einem Widerspruch zur CDU. Die Bürge-rinnen und Bürger müssten jetzt jedoch verstärkt über die-jenigen Rechtsänderungen informiert werden, die sieganz unmittelbar betreffen.
Ich habe auch mehr Mittel für Forschungen und Untersu-chungen erwartet; denn eine gute Rechtspolitik kommtohne fundierte Rechtstatsachenforschung und ohne Wirk-samkeitsanalyse natürlich nicht aus.Sehr geehrte Frau Ministerin, ich stehe ganz an IhrerSeite, wenn Sie versichern, es müsse endlich deutlichwerden, dass unser Recht auf der Seite der Schwächerensteht.
Bei jeder Anstrengung in dieser Richtung werden wir Sieunterstützen. Doch allmählich wird der Blick der Regie-rung schwächer, wenn es um die Schwachen geht. Ich er-innere nur an die leidige Schuldrechtsanpassung. Ein ge-rechter Interessenausgleich zwischen Eigentümern aufder einen und Nutzern auf der anderen Seite ist für michnoch nicht erkennbar.
Seit der Vorlage des Eckpunktepapiers der SPD vomMärz dieses Jahres habe ich auch nichts Offizielles mehrzur angekündigten Volksgesetzgebung gehört. Ich fragedeshalb: Kommt sie noch oder kommt sie nicht mehr indieser Wahlperiode?
Nicht nur höchst bedauerlich, sondern geradezu pein-lich ist die längst überfällige Aufhebung der nationalsozi-alistischen Unrechtsurteile gegen Deserteure per Gesetz.
Ich erspare mir hier jedes weitere Wort und hoffe mitden Betroffenen, dass möglichst schnell noch etwas pas-siert.Zurück zum Haushaltsplan. Es freut mich, dass auf un-seren Wunsch hin der Posten „Härteleistungen für Op-fer rechtsextremistischer Übergriffe“ beim General-bundesanwalt nun doch erhalten geblieben ist, wenn auchgekürzt. Das ist ein wichtiges politisches Signal, sowohlnach innen als auch nach außen.
Zum Schluss noch ein paar Bemerkungen zu den so ge-nannten Sicherheitspaketen. Hier haben das BMJ undder Rechtsausschuss eine besondere Verantwortung, dennes geht um die Frage der Verfassungsgemäßheit. Frau Mi-nisterin, Sie haben hier zu Recht die sorgfältige juristischePrüfung jedes einzelnen Vorschlags angemahnt. Ist er ge-eignet, erforderlich und verhältnismäßig, um Terrorismustatsächlich zu bekämpfen? Sie haben nicht zuletzt mitIhrem Brief an Ihren Kollegen Innenminister Schily dieschlimmsten Giftzähne ziehen können, wie mein Kollege
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
Volker Beck
19978
Herr Funke gelegentlich zu sagen pflegt. Dennoch seheich und sieht meine Fraktion mit großer Sorge, dass wirauf einen Weg schwerwiegender Grundrechtseinschnittegeraten sind, der uns, von wenigen Ausnahmen abgese-hen, nicht wirksam vor terroristischen Anschlägen schüt-zen wird.
Vielmehr werden wir Scheinsicherheit mit einem erheb-lichen Verlust an Freiheit bezahlen. Kein Geringerer alsder Bundestagsvizepräsident a. D. Burkhard Hirsch hatvor kurzem sogar die Frage gestellt, ob wir ein demokra-tischer Rechtsstaat bleiben. Wir sollten nicht nur, wenn esum die Vernichtung von Akten im Bundeskanzleramtgeht, auf seine Sachkenntnis Wert legen, sondern auch indiesem wesentlich wichtigeren Punkt; denn hier wird einehöchst problematische Zäsur zum bisherigen Verfas-sungsverständnis eingeleitet.
Ich erteile
das Wort der Bundesjustizministerin, Frau Kollegin
Dr. Herta Däubler-Gmelin.
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte bei dieser zweiten und dritten Lesung des
Bundesjustizhaushalts mit einem Dank beginnen, und
zwar mit einem Dank an alle, die bei seinem Zustande-
kommen geholfen haben. Es ist ein gelungener Haushalt,
der den sparsamen Umgang mit den Steuergeldern
ebenso einschließt wie die Förderung der innovativen
Rechtspolitik, zu der wir uns verpflichtet haben. Gleich-
zeitig wird er den Anforderungen gerecht, die die Ereig-
nisse des 11. September und danach uns aufgezwungen
haben.
Dieser Dank – lassen Sie mich das sagen – bezieht sich
natürlich zunächst auf die Kolleginnen und Kollegen des
Rechtsausschusses, soweit sie mitgeholfen haben – das
sind insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der Ko-
alition –, dann aber auch auf unsere Kolleginnen und Kol-
legen im Haushaltsausschuss. Aber ich schließe natürlich
auch – lassen Sie mich das an vorderer Stelle sagen – die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesministe-
riums der Justiz ein, die hervorragende Arbeit geleistet ha-
ben. Ich darf den Dank auch erstrecken auf die Kollegin-
nen und Kollegen aus dem Bundesministerium der Finan-
zen, die dabei geholfen haben.
Dies ist ein gelungener Haushalt. Sparsamkeit auf der
einen Seite und Förderung der Innovation, für die wir an-
getreten sind, auf der anderen Seite – diese Balance ist ge-
nau erreicht worden. Wir haben in der Tat – das ist ja auch
aus den Beiträgen der Redner der unterschiedlichen Op-
positionsfraktionen durchaus deutlich geworden – eine
ganze Menge erreicht.
Lassen Sie mich die fünf Schwerpunkte, um die es
uns ging und um die es uns geht, einfach noch einmal in
Erinnerung rufen. Da ist einmal die Bekämpfung der Ge-
walt und die Hilfe des Rechts und unserer staatlichen In-
stitutionen für Schwächere. Das ist ein ganz wichtiger
Punkt, an dem wir auch festhalten. Erziehung ja, Gewalt
nein. An diesem Punkt konnten Sie leider nicht mit-
machen.
– Das ist ja bei der Opposition immer so. Die hat immer
Recht, Herr Geis.
Aber Sie müssen dann in Gottes Namen halt auch mit-
stimmen;
dann könnte ich auch Sie hier ausdrücklich loben. Ich
würde es gerade bei der Gewaltbekämpfung ja furchtbar
gerne tun.
Ich nenne weiter Täter-Opfer-Ausgleich, Insolvenz-
rechtsreform, notwendige Korrekturen bei den Pfän-
dungsfreigrenzen,
Lebenspartnerschaften, Hilfe bei rechtsextremer Gewalt.
Übrigens – lassen Sie mich das noch einmal ganz kon-
kret sagen, lieber Kollege Feibel –: Ich finde, Sie sollten
Ihre politische Aussage hier nochmals überdenken.
Es geht einfach nicht an, dass man hier sagt: Wenn Hilfe
für Opfer, dann für alle. Drehen Sie es doch auf jeden Fall
bitte um: Auf jeden Fall bitte Hilfe für die Opfer rechts-
extremer Straftaten. Und dann helfen Sie uns auch noch
bei der Reform des Sanktionensystems, mit dem wir allen
Opfern von Kriminalität endlich das zukommen las-
sen wollen, worauf sie Anspruch haben. Das wäre genau
richtig.
Die Frau
Ministerin gestattet eine Zwischenfrage. Herr Kollege
Feibel, bitte schön.
Frau Minister, warumsind Sie eigentlich dagegen, dass alle Opfer jeglicherGewalt – rechtsextremistischer, linksextremistischer, re-ligiös motivierter, krimineller Gewalt – in gleicher Weiseentschädigt und damit gleich behandelt werden? Was istder Grund, dass Sie nur die Opfer der rechtsextremis-tischen Gewalt entschädigen?
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Dr. Evelyn Kenzler19979
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin derJustiz: Lieber Herr Feibel, Sie wissen ganz genau, dassdas gar nicht zutrifft. Ich sage es Ihnen aber gerne nocheinmal und danke Ihnen ganz herzlich, dass Sie die Fragenochmals in den Raum gestellt haben. Selbstverständlichgehört es in den ersten Schwerpunkt dieser rot-grünenBundesregierung und der Koalition, die sie trägt, dassman insbesondere den Opfern von Straftatenmehr Hilfezukommen lässt.
Deshalb lade ich Sie ganz herzlich ein, bei der Reform desSanktionensystemes mitzumachen. Bisher habe ich dasnoch nicht gehört.
Ich habe nur kritisiert, dass Sie gegen die Sofortentschä-digung der Opfer der besonders scheußlichen, politischfür unser Land und für die Menschen schädlichen rechts-extremistischen Gewalt sind.
Lassen Sie mich fortfahren. Unser zweiter Schwer-punkt war und ist die Förderung der Menschenrechte.Auch bei diesem Punkt haben wir immer gehört, Sie seiendafür. Ich finde es sehr gut, dass wir es geschafft haben,dass das Institut für Menschenrechte jetzt wirklich anfan-gen kann zu arbeiten. Ich finde es gut, dass wir bei derFörderung des Internationalen Strafgerichtshofs so weitgekommen sind, dass bald die notwendige Anzahl vonRatifikationsurkunden hinterlegt sein wird, sodass wirauch hier auf internationaler Ebene zusammenarbeitenkönnen werden.Ich denke, dass die internationale Rechtszusammen-arbeit – sei es durch die Stiftung, die wir auf wirklich si-chere Füße gestellt haben, sei es die Zusammenarbeit mitder Türkei, sei es der Rechtsstaatsdialog mit China – ge-nau in diese Richtung weist. Auch das wird durch diesenBundeshaushalt möglich. Das ist gut.Dritter Schwerpunkt ist die europäische Zusammen-arbeit, die wir mit der Grundrechte-Charta begonnenhaben. Das war eine Sache des gesamten Hauses. Aberich darf Sie daran erinnern: 1998, als wir die Regierungübernommen haben – zwei Monate später haben wirdie europäische Präsidentschaft angetreten –, warnichts vorbereitet. Wir hatten hervorragende Vorarbei-ten aus der SPD-Fraktion, aus der Grünen-Fraktion,aus der CDU/ CSU-Fraktion, aber es war nichts vorbe-reitet. Wir haben das auf den Weg gebracht. Ich freuemich darüber. Es ist ein Beitrag der rot-grünen Rechts-politik im europäischen Bereich, dass wir jetzt dienächsten Schritte gehen können, um die wichtige euro-päische Grundrechte-Charta rechtsverbindlich in dieVerträge zu übernehmen und damit, wie der Bundes-kanzler zusammen mit dem französischen Präsidentengesagt hat, die Verfassungsdiskussion für Europa,die wir ja alle wollen, wieder einen Schritt weiter zutreiben.
Vierter Schwerpunkt: die Modernisierung des Rech-tes.Auch da haben wir eine Menge erreicht, von der Ein-führung der obligatorischen Schlichtung in § 15 a des Ein-führungsgesetzes zur ZPO bis hin zur Modernisierungvon ZPO, Schuldrecht und Mietrecht. Bei allen diesenDingen hätten wir es natürlich gerne gehabt – lassen Siemich das noch einmal ausdrücklich sagen –, dass Sie nacheiner inhaltlichen Diskussion, in die die Opposition ent-sprechend ihrer Rolle ihre Fragen eingebracht hätte, zu-gestimmt hätten. Unter der Hand weiß man doch, dassauch Sie der Meinung sind: Jawohl, das war überfälligund es ist gut, dass das gemacht wird.
Meine Damen und Herren, verehrter, lieber HerrFeibel, die Modernisierung des Patentwesens ist einesmeiner Lieblingsthemen. Wenn man sich anschaut, wieSie das Deutsche Patent- und Markenamt 1998 übergebenhaben, kommen nicht nur mir die Tränen. Sie haben ver-gessen, zu erwähnen, dass wir seit 1993 einen Anstieg derPatentanmeldungen und der Markenanmeldungen hatten.
– Aber natürlich: 50 Prozent im Patentbereich, etwa78 Prozent im Markenbereich.
In derselben Zeit sind die Personalstellen in diesem Be-reich um 16 Prozent zurückgefahren worden. Das werfeich nicht Ihnen persönlich vor, weil Sie damals noch nichtim Parlament waren. Wenn Sie erwähnen, dass es bishernoch nicht gelungen ist, für jeden einzelnen Patentprüfereine DEPATIS-Station einzurichten – übrigens wird derZugang jedem Patentprüfer möglich sein; das wissen aberauch Sie –, dann darf ich Sie noch einmal an die Tatsacheerinnern, dass es 1998 noch nicht eine einzige DEPATIS-Arbeitsstation gab und wir die Trendumkehr mithilfe derMitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Deutschen Patent-und Markenamtes und der Kolleginnen und Kollegen vonRot-Grün im IT-Bereich, bei der Organisation und natür-lich auch bei den Personalstellen vollzogen haben. Dasmöchte ich hier deutlich betonen.
Diese Leistung hätten Sie gerne während Ihrer Regie-rungszeit vollbracht, das will ich gar nicht ausschließen.
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Sie haben es aber nicht geschafft. Ich darf nur noch ein-mal daran erinnern, dass das Deutsche Patent- und Mar-kenamt 106 zusätzliche Stellen bekommt.
Meine Bitte an das ganze Haus ist es, diese Umorganisa-tion, diese Modernisierungspolitik sowie die Förderungder Informationstechnologie in diesem Bereich tatsäch-lich mit zu unterstützen.
Ich darf noch einmal daran erinnern, dass nicht Sie,sondern wir es waren, die zur Förderung des Erfindergeis-tes eine ganz wichtige Ressource, nämlich den Internet-zugang zum Deutschen Patent- und Markenamt, erschlos-sen haben. Das war viel Arbeit, nicht nur von mir. Beiallen, die dabei mitgeholfen haben, bedanke ich michganz herzlich.
Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, der mirganz wichtig ist. Ich habe die Innovationsseite diesesHaushaltes betont. Wir haben noch eine Menge vor. Auchdabei kann ich auf das zurückgreifen, was hier schon ge-sagt wurde. Lassen Sie mich Ihnen, Herr Feibel, noch ein-mal zu zwei Dingen, die Sie erwähnt haben, etwas sagen:Ich habe schon gemerkt, dass es keine richtige Kritik war,die Sie vorgebracht haben, sondern Sie jetzt etwas in denRaum stellen mussten.
– Ja, natürlich.
Sie haben zum einen gesagt, dass ein Arbeitnehmerheute weniger Geld zur Verfügung habe und mehr Steu-ern zahlen müsse. Wenn Sie sich die Tabellen anschauenwürden – ich habe sie mir gerade noch einmal besorgt –,dann würden Sie Folgendes feststellen: 1998 – ganz un-streitig das letzte Jahr, in dem Sie die Bundesregierungstellten –
lag das Durchschnittseinkommen – wir nehmen wie üb-lich den allein verdienenden Arbeitnehmer mit zwei Kin-dern, Steuerklasse III/II – bei 48 300 DM. Damals hat er– wenn Sie zuhören würden, brauchte ich es nicht zwei-mal zu sagen – 3 140 DM Steuern gezahlt. Im Jahre 2001liegt der Durchschnittsverdienst für genau die gleicheGruppe bei 50 500DM, das heißt bei 2 200DM mehr, aberer zahlt erheblich weniger Steuern, nämlich 2 302 DM.
Dieses jetzt einfach einmal zu den Zahlen.Ihr zweiter Punkt betraf die Ausgaben für Öffentlich-keitsarbeit, die Sie immer wieder kürzen wollen.
Dieses Argument hat vor zwei Jahren jedoch schon IhrKollege und Vorgänger Henke gebracht, der genausosympathisch wie Sie ist. Dem habe ich damals gesagt,dass er seinen Ansatz für die Öffentlichkeitsarbeit desVerkehrsministeriums 1998 zehnmal so hoch angesetzthatte wie wir. Dieses, lieber Herr Feibel, sollten Sie sichnoch einmal anschauen. Unser Haushalt ist ein vonSparsamkeit geprägter Haushalt, wir gehen gut mit unse-ren Ressourcen um.
Selbstverständlich – das machen wir schon seit einigenJahren – bringen wir das unter die Leute, was wir an Ver-änderungen vorgesehen haben. Sie wären übrigens derErste, der uns ermahnen würde, mittels Öffentlichkeits-arbeit diese Veränderungen auch darzustellen.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sieausdrücklich einladen, bei den Vorhaben, die jetzt nochanstehen, wirklich mitzumachen. Sie, lieber Herr Funke,wissen, dass ich Ihre Ratschläge, wenn Sie konstruktivund ernst gemeint sind, immer besonders gern berück-sichtige. Dies trifft zum Beispiel auf das allgemeine Anti-diskriminierungsgesetz, das Urhebervertragsrecht, dieHilfe für die Opfer im Rahmen des Sanktionensystems,das Schadensersatzänderungsgesetz, das Stiftungspri-vatrecht und – merken Sie auf – auch auf die Juristenaus-bildung zu. Auch da haben wir längst die Initiative ergrif-fen, aber das wissen ja auch Sie. Nicht so gut ist aber, dassdann, wenn wir etwas tun, die einen kommen und sagen,es geschehe viel zu schnell. Wenn wir sagen: „Wir müs-sen erst noch die Bund-Länder-Absprache wie zum Bei-spiel beim Schadensersatzrechtsänderungsgesetz, beimStiftungsprivatrecht oder bei der Juristenausbildung ab-warten“, dann sagen Sie, wir seien zu zögerlich. Ich weißaber, dass man es einer Opposition nicht immer recht ma-chen kann; ich versuche es trotzdem.
– Ihre Meinung, lieber Herr Geis, finde ich immer beson-ders wichtig. Aber das wissen Sie aufgrund unserer ge-genseitigen Sympathie schon längst.Ich lade Sie ausdrücklich dazu ein, mit uns weiter zudiskutieren. Wir werden unsere Vorhaben zügig und be-sonnen weiter verfolgen. Sie werden weiterhin entschlos-sen Opposition machen. Diese Aufteilung ist gut; sie ge-fällt mir. So wollen wir es die nächsten fünf Jahre halten.
Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt ansprechen.Seit den schrecklichen Suizid-Terroranschlägen vom11. September gibt es neue Entwicklungen, die große He-rausforderungen an die Justiz mit sich bringen. Auch demträgt dieser Haushalt Rechnung. Die neuen Herausfor-derungen berücksichtigen wir dadurch, dass wir neue
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Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin19981
Stellen für den Generalbundesanwalt, für den Bundes-gerichtshof und
– natürlich auch dafür – für das Bundesministerium derJustiz schaffen. Herr Feibel, ich habe diese Tatsache er-wähnt, weil ich mich dafür auch bei Ihnen bedankenwollte.
Ich finde das völlig angemessen. Lassen Sie es uns abernicht übertreiben!Wir werden unsere innovative Rechtspolitik weiterfortführen. Sie ist in unserem Haushaltsplan angelegt. Dasist eine solide und gelungene Grundlage für die Reform-politik, für die wir angetreten sind. Ich bedanke mich beiallen, die dabei mit geholfen haben. Ich bedanke mich imÜbrigen auch bei der Opposition, soweit sie sich fair ver-hält.Herzlichen Dank.
Zum Ab-
schluss dieser Debatte spricht nun der Kollege Nobert
Geis für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Ein Wort noch zu denEntschädigungen. Es ist schon so, dass nur für die Opferrechtsextremistischer Gewalttaten Entschädigungen ge-zahlt werden. Es ist völlig unverständlich, weshalb nichtauch für alle anderen Opfer, die ebenso durch Gewalt ge-schädigt worden sind, Entschädigungen vorgesehen sind.Das ist und bleibt unverständlich. Darauf haben Sie, FrauMinisterin, keine vernünftige Antwort gegeben; denn da-rauf kann man keine vernünftige Antwort geben.
Hinzu kommt, lieber Herr Schneider, dass die links-extremistisch motivierte Gewalt und Kriminalität zahlen-mäßig viel größer sind als die rechtsextremistisch moti-vierte Gewalt und Kriminalität.
– Um das zu erkennen, brauchen Sie nur in die Statistik zuschauen.
– Sie brauchen nur in die entsprechende Statistik überStraftaten zu schauen. Darin können Sie diese Tatsachebestätigt finden.
Noch eine weitere Vorbemerkung. Frau Ministerin, an-gesichts der geforderten Sparsamkeit muss man sagen:Eine Erhöhung des Etats für Öffentlichkeitsarbeit von2000 bis heute um 50 Prozent ist gewaltig. An dieser Tat-sache kommen Sie nicht vorbei. Diese Erhöhung dientdoch nur dazu, Ihre manchmal sehr verunglückte Rechts-politik in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Dasscheint auch notwendig zu sein.
Es geht heute nicht darum, dass wir unseren Blick weitin die Zukunft richten; denn was die nächste Legislatur-periode angeht, werden wir ein Wort mitzureden haben.
Es geht vielmehr um eine Bestandsaufnahme und um ei-nen Rückblick. Bei der Bestandsaufnahme, sehr verehrteFrau Ministerin, geht es vor allem um die Frage – das er-wartet die Bevölkerung von uns –, welchen Anteil die Jus-tiz im Kampf gegen Kriminalität, gegen Terrorismus undgegen Gewalt leistet. Da ist bei Ihnen aber Sendepause; dakommt überhaupt nichts.
Die erste Geige hinsichtlich all dieser Fragen spieltdoch der Herr Innenminister, der gerade den Saal verlas-sen hat. Man muss feststellen, dass Sie etwas blass dane-ben stehen. Von Ihnen und von Ihrem Justizministeriumkommt kein vernünftiger Vorschlag hinsichtlich desKampfes gegen die internationale und organisierte Krimi-nalität und vor allen Dingen hinsichtlich des Kampfes ge-gen den Terrorismus für mehr innere Sicherheit. Dakommt nichts von Ihnen. Entsprechende Maßnahmen er-wartet aber die Bevölkerung von uns.
Das ist – und war es schon immer – ein wichtiger Auf-trag an die Rechtspolitik. Die Rechtspolitik hat gerade indiesen Fragen in der Vergangenheit immer einen ganz ent-scheidenden Beitrag geleistet. Sie, verehrte Frau Ministe-rin, leisten in dieser so wichtigen Frage, die die Bevölke-rung von früh morgens bis spät abends beschäftigt, IhrenBeitrag nicht. Das muss hier festgehalten werden.
– Lieber Herr Hartenbach, das Justizministerium scheintdoch eine Unterabteilung des Innenministeriums und keineigenständiges Ministerium zu sein. Wenn es anders wäre,dann würden hier Vorschläge auf dem Tisch liegen.
Nun möchte ich dazu beitragen, dass Sie sich etwas be-ruhigen.
Ich komme zu einem Thema, für das der Bund keine un-mittelbare Zuständigkeit hat, das aber von entscheidenderBedeutung ist und an dem natürlich auch dem Bund ge-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin19982
legen sein muss: Es geht um die Modernisierung derJustiz,
und zwar insbesondere um die Modernisierung in all denAmtsstuben der Justiz in den Ländern, die von SPD-Jus-tizministern regiert werden. Da ist nämlich viel zu tun.Die Amtsstuben sind manchmal so ausgestattet, als seiendie Einrichtungen auf dem Flohmarkt gekauft worden.
Moderne Kommunikationsmittel finden Sie dort nicht.Darauf sollten Sie, Frau Ministerin, im Interesse der Ein-heitlichkeit der Justiz im ganzen Land Ihr Augenmerklenken.
Sie haben ein wichtiges Thema angesprochen: die obli-gatorische Streitschlichtung. Sie wissen ganz genau,dass dieses Thema insbesondere von uns aufgegriffenworden ist. Es war in unserem Entwurf eines Gesetzes zurZPO-Reform enthalten. Wir haben die obligatorischeStreitschlichtung vorgezogen und haben zugestimmt. Dasmüssen Sie doch wissen. Mit Ihnen bin ich der Auffassung:Das ist ein wichtiges Instrument. Aber als Bundesjustiz-ministerin sollten Sie darauf achten, dass es in den Ländernauch umgesetzt wird. Daran mangelt es ausgerechnet wie-der in den Ländern, die von SPD-Justizministerinnen undSPD-Justizminister regiert werden.
Bayern hat dieses Schlichtungsgesetz längst umgesetzt.Ich meine, dass dies ein wirklich interessantes Instrumentist. Denn dadurch könnten die Amtsgerichte erheblichentlastet werden. Wir können dadurch einen Schritt zu ei-ner neuen Rechtskultur vielleicht insofern machen, als diein unteren Streitwertschichten streitenden Parteien dieSchlichtung in die Hand nehmen und versuchen, ihrenStreit selbst zu Ende zu bringen. Deswegen bitte ichdarum, dass die Umsetzung der obligatorischen Streit-schlichtung von Ihnen mit Aufmerksamkeit beobachtetwird.Sie haben Recht: Sie haben versucht, die ZPO zu re-formieren. Das war ein Schlag ins Wasser. Es ist nichtsübrig geblieben. Mit vereintem Widerstand des Richter-bundes, des Anwaltvereines und der Opposition – das seiin aller Bescheidenheit hinzugefügt – haben wir estatsächlich geschafft, das Schlimmste zu verhindern.Die Experimentierklausel, mit der Sie die Möglich-keit eröffnet haben, dass in einzelnen Ländern versuchtwird, die Rechtsmittelmöglichkeit bei den Oberlandes-gerichten anzusiedeln, ist ein Flop.
Kein Land, nicht einmal die von Ihnen regierten Bundes-länder bzw. die von Ihnen gestellten Justizministerinnenund Justizminister, sind bereit, diese Experimentier-klausel umzusetzen. Bislang hat noch kein einziges Landtrotz finanzieller Versprechungen – auch das sei hier ein-mal gesagt – das, was Sie vorgeschlagen haben, umge-setzt. Das beweist, dass diese Experimentierklausel – daswar ein Grund, weshalb wir am Ende nicht zugestimmthaben –
ein Flop gewesen ist und überflüssig war.Das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, das einesder wichtigsten Gesetzgebungsvorhaben dieser Legis-laturperiode – Frau Ministerin, ich kann ruhig ein wenigwarten, bis Sie Ihre Unterhaltung beendet haben, dannwerde ich fortfahren; ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit –
im Bereich der Justiz gewesen ist – das ist ohne Zweifelrichtig –, haben Sie in einem Galopp durch das Parlamentgetrieben, sodass dies nur noch mit einer Missachtung desParlaments gleichgesetzt werden kann.
Sie wollen offenbar ohne das Parlament regieren. DasParlament ist für Sie ein notwendiges Übel. Am liebstenhandeln Sie ohne Parlament. Welches Demokratie-verständnis ist das aber? Sie sind weit entfernt von einervernünftigen Zusammenarbeit zwischen Parlament undIhrem Ministerium.Das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz ist in diesenTagen verkündet worden. Die Zeit zwischen Verkündungund In-Kraft-Treten am 1. Januar 2002 ist zu kurz. Dierechtsberatenden Berufe können sich kaum auf diesesGesetz einstellen.
Wir haben davor gewarnt. Warum haben Sie dieses wich-tige Gesetz so spät in Angriff genommen? Warum habenSie es so spät vorgelegt? Vor ungefähr einem Jahr habenSie den Referentenentwurf verschickt.
– Den Referentenentwurf! Dieser Referentenentwurf istauf große Kritik gestoßen. Dann haben Sie den Gesetzent-wurf vorgelegt, der ebenfalls auf große Kritik gestoßen ist.
Die Zeit war zu kurz. Das Parlament braucht für ein sowichtiges Gesetz einen längeren Zeitraum. Das haben Siemissachtet. Das können wir Ihnen nicht als Verdienst an-rechnen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
Norbert Geis19983
Im Urhebervertragsrecht machen Sie unter Umständendas Gleiche.Mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz
haben Sie versucht, ein Stück Rechtsordnung in unse-rem Land von Grund auf umzuwälzen. Wir werden unsmit diesem Gesetz niemals abfinden, Herr Beck; wirwerden es, sobald wir die Möglichkeit haben, wiederändern.
Ein Wort zur strafrechtlichen Seite des Unterneh-mens. Ich habe schon eingangs gesagt: Die Justiz hatbislang keinen vernünftigen Beitrag zum Kampf gegenden Terrorismus geleistet. Das hat Folgen, auch für dasso genannte Sicherheitspaket. Es fehlt uns noch heuteein entscheidender Vorschlag zur Kronzeugenrege-lung.
Seit zwei Jahren sagt man uns: Die Kronzeugenregelungkommt. Ich weiß gar nicht, wovor Sie Angst haben. VorHerrn Beck brauchen Sie keine Angst zu haben; seitRostock macht er alles mit, Hauptsache, die Macht bleibterhalten.
Deswegen bitte ich Sie: Lassen Sie diesen Koalitionspart-ner und legen Sie uns endlich eine vernünftige Kronzeu-genregelung vor. Darum bitten wir. Wir haben eine vor-gelegt, die Sie nicht akzeptieren wollen; aber es istwichtig, dass überhaupt eine vorgelegt wird.Sie haben in Ihrem Sicherheitspaket auch keine Rege-lung zum verdeckten Ermittler. Sagen Sie nicht, der ver-deckte Ermittler hätte bei diesem Geflecht der Terroristenin Deutschland keine Chance. Wir haben 32 000 islamis-tische Extremisten mit verschiedenen Gruppierungen imLand, die untereinander Verbindung haben. Das ist dasklassische Betätigungsfeld des verdeckten Ermittlers.Hier liegt kein Vorschlag von Ihnen vor.Es fehlt auch ein vernünftiger Vorschlag zu § 12 desFAG-Nachfolgegesetzes. Dazu hat Herr Funke schonAusführungen gemacht. Außerdem fehlt – das will ichzum Schluss sagen – noch immer ein vernünftiger Vor-schlag zur Gewinnabschöpfung. Die Gewinnabschöp-fung spielt gerade beim Terrorismus eine entscheidendeRolle,
weil wir dadurch die Bewegungsfreiheit der Terroristeneinschränken können. Wir haben Vorschläge gemacht, Siehaben sie abgelehnt; aber das ist Ihre Masche.Danke schön.
Zu einer
Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Carsten
Schneider das Wort.
Herr Kollege Geis, Sie
haben in Ihrer Rede den Eindruck erweckt oder zumindest
die Aussage getroffen, dass es in Deutschland mehr links-
extremistische als rechtsextremistische Straftaten gebe.
Ich möchte hier für die Öffentlichkeit Folgendes klarstel-
len: Nach dem Bundesverfassungsschutzbericht 2000 gab
es 15 951 rechtsextremistisch motivierte Straftaten und
3 173 linksextremistisch motivierte Straftaten. Ich sage
nicht, dass 3 173 wenig ist, aber ich möchte Sie bitten, das
zur Kenntnis zu nehmen und aufgrund dessen unsere For-
derung zu verstehen, dass wir die rechtsextremistische
Gewalt, die eine besondere Gefährdung unserer öffent-
lichen Sicherheit darstellt, ächten, dass wir mit den Op-
fern besonders solidarisch sind und deswegen diesen
Fonds eingerichtet haben.
Ich schließedie Aussprache.Wir kommen zu den Abstimmungen. Einzelplan 07– Bundesministerium der Justiz – in der Ausschussfas-sung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Ent-haltungen? – Der Einzelplan 07 ist mit den Stimmen vonSPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stim-men von CDU/CSU und FDP angenommen.Einzelplan 19 – Bundesverfassungsgericht – in derAusschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da-gegen? – Enthaltungen? – Der Einzelplan 19 ist einstim-mig angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte I. 13 und I. 14 auf:I. 13 Einzelplan 06Bundesministerium des Innern– Drucksachen 14/7306, 14/7321 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Werner HoyerGunter WeißgerberLothar MarkCarl-Detlev Freiherr von HammersteinOswald MetzgerDr. Christa LuftI. 14 Einzelplan 33Versorgung– Drucksachen 14/6800, 14/7537 –
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
Norbert Geis19984
Berichterstattung:Abgeordnete Ewald SchurerJosef HollerithOswald MetzgerDr. Günter RexrodtHeidemarie EhlertZu Einzelplan 06 liegen ein Änderungsantragder Fraktion der FDP und drei Änderungsanträge sowieein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS vor.Über den Entschließungsantrag werden wir am Freitagabstimmen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Das Haus istdamit einverstanden. Es ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst demKollegen Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein für dieCDU/CSU-Fraktion das Wort.
Es ist nicht leicht, im Schatten der Ereignisse von NewYork und Washington das Thema innere Sicherheit anzu-sprechen. – Der Herr Minister hat im Augenblick Pro-bleme; vielleicht hört er zwischendurch einmal zu, weil esihn auch persönlich betrifft. – Die Attentate haben unsereWelt verändert und die Opfer sowie alle Amerikaner ha-ben unsere ungeteilte Solidarität und unser Mitgefühl.Die wichtigste Aufgabe des Innenministers ist es, dieSicherheit in unserem Land zu gewährleisten. Angesichtsder neuen Herausforderungen ist es nicht so einfach,den Gesetzentwurf der Bundesregierung für den Haus-halt 2002 pünktlich und akkurat einzureichen. HerrMinister, ich komme nachher auch noch zu dem, wasmich ein wenig verärgert.
Der Bundeshaushalt 2002 zeigt, dass die Bundesregie-rung jetzt von der Realität eingeholt wird und dass der Be-reich der inneren Sicherheit sträflich vernachlässigtwurde.
Sie können sich sicherlich daran erinnern – auch meineniedersächsischen Freunde wissen es –, dass ich im Haus-haltsausschuss schon sehr frühzeitig Vorschläge – samtDeckung – zum Einzelplan 06 eingebracht habe, die vonder Koalition leider nicht akzeptiert wurden. Stattdessenwurde ein Antiterrorpaket vorgelegt. Dies stellt einenschwachen Versuch der Bundesregierung dar, die not-wendigen Maßnahmen zu ergreifen. Lieber Herr Minister,leider wurde von Ihnen statt der versprochenen Kraft-brühe eine Wassersuppe geliefert.
Ich muss Innenminister Schily aber zumindest zuge-stehen, dass er, bis er seinem Kanzler und den Grünenhörig wurde, manchmal den Eindruck vermittelte – zu-mindest in den Medien konnte man das verfolgen –, als ober Herrn Minister Beckstein noch rechts überholen wollte.
Was versprochen wurde, gilt aber nicht mehr. Ich gehe da-von aus, dass die Innenpolitiker nachher auf die ThemenRegelanfrage beim Verfassungsschutz, größere Befugnisfür Geheimdienste, Sammellager für ausreisepflichtigeAusländer, deren Ausweisung vollzogen werden kannusw. eingehen werden.In Anbetracht der neuen Lage fordere ich die Vorlageeines neuen Entwurfs des Einzelplans 06. Der jetzige Ent-wurf muss überarbeitet werden und für die Prävention undAbwehr von Terrorakten muss unser Land mehr Ressour-cen bereitstellen. Wir müssen handeln und alles tun, umeine mögliche Gefahr abzuwehren. Das Antiterrorpaketalleine wird nicht reichen. Sie und die gesamte Bundesre-gierung können davon ausgehen, dass Sie die Unterstüt-zung der CDU/CSU bei dieser Arbeit erhalten.
Sie müssen aber auch bereit sein, Forderungen, die dieCDU/CSU erhebt, mit einzuarbeiten.Ich mache jetzt einige aktuelle Bemerkungen zum Ein-zelplan 06. Herr Minister, ich habe vorhin schon an-gekündigt, dass es mich etwas verärgert hat, dass die letz-ten Unterlagen für den Einzelplan 06 24 Stunden vor derBereinigungssitzung dem Haushaltsausschuss zugeleitetworden sind. Es ging um das Antiterrorpaket, um die Mit-tel, die Ihnen zusätzlich zur Verfügung stehen. Man hättedann allerdings der Bevölkerung in Deutschland auch sa-gen müssen, dass die 3 Milliarden DM für das Antiterror-paket sicherlich aus dem Haushalt von 480 Milliar-den DM – jeder kann es sich ausrechnen; das sind nochnicht einmal 1 Prozent – hätten erwirtschaftet werdenkönnen. Das wird leider nicht gemacht.
– Herr Staatssekretär Diller, es ist heute Morgen zu dieserThematik schon von jemandem aus Ihren Reihen gesagtworden, dass 80 Prozent des Geldes in der EU für dieAgrarpolitik ausgegeben würden. Sie sollten sich da alsoetwas sorgfältiger informieren; dann werden Sie sicher-lich zu anderen Zahlen kommen.Herr Geis hat gerade die Öffentlichkeitsarbeit ange-sprochen. Im Innenministerium ist es noch dramatischer.Da wird der Haushalt für die Öffentlichkeitsarbeit – lie-ber Herr Schily, vielleicht äußern Sie sich nachher einmaldazu – von rund 450 000 Euro auf 890 000 Euro fastverdoppelt. Man muss das mit der Summe vergleichen,die diese Regierung für die Integration der Ausländerausgibt. Wissen Sie, wie viel dafür ausgegeben wird? Essind 1,5 Millionen Euro. Ich bitte Sie, lieber Herr Minis-ter, nachher darauf einzugehen, wie man mit 1,5 Mil-lionen Euro eine Integration der Ausländer vornehmensoll. – Sie können ruhig den Kopf schütteln, Herr Schily.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters19985
Im Bereich des BGS unterstützt die CDU/CSU dieStellenhebungsprogramme.
Ich gehe davon aus, dass die FDP das sicherlich auch tunwird, Herr Hoyer. Wichtig sind allerdings weiterhin dieAusbildungsowiedieBeschaffungvonmodernenGeräten.
Ich habe mir einmal die Mühe gemacht und war 24 Stun-den lang beim BGS in Frankfurt an der Oder. Gerade dort,lieber Herr Minister, ist es sehr wichtig, dass die Wünscheder Beamten des BGS in Teilbereichen etwas mehrberücksichtigt werden, etwa bei der Unterbringung; denngerade in dem Bereich kann man einiges lernen. Wer ein-mal in Frankfurt an der Oder gewesen ist und sich die Pro-blematik vor Ort angeschaut hat, der weiß, wovon ichrede.
Beispielsweise wurden in der Nacht, als ich da war, in denZügen, die aus Moskau und Warschau ankamen, 2 Millio-nen Zigaretten gefunden. Hier ist also eine weitere Bes-serstellung unserer Beamten notwendig.Ich habe einen Wunsch, Herr Innenminister: dass dieLuftsicherheitskontrollen nicht nur durch private, sondernverstärkt auch durch BGS-Beamte durchgeführt werden,da ich der Auffassung bin, dass die BGS-Beamten dafürgut ausgebildet sind. Hinzu kommt auch noch die hun-dertprozentige Gepäckkontrolle auf Flughäfen. Ich bitteSie, dabei darauf zu achten, dass bis zum Ende des Jah-res 2002 die Metropole Frankfurt am Main – dort ist un-ser größter Flughafen – berücksichtigt wird.Etwas, was kein Mensch in der Bundesrepublik ver-steht, ist die Neueinführung von INPOL(neu) im Bereichdes Bundeskriminalamtes. Wir als Haushälter haben mitdem Innenminister und der Staatssekretärin viele Malezusammen gesessen. Ich nenne hier bewußt keine Firmen,die von Ihnen beauftragt wurden, das INPOL zukonstruieren. Ich muss aber schon sagen, dass es beein-druckend ist, dass man der deutschen Firmen 6 000 SeitenPapier zur Verfügung stellt, um diese neue Aktion startenzu können. Dies ist nicht Aufgabe unserer deutschen Un-ternehmen. Ich hoffe, dass wir uns sehr kurzfristig zu-sammensetzen und dass wir innerhalb der Bundesrepu-blik ein INPOL bekommen, das dazu beitragenwird, eine leistungsfähige Datenbank für das BKAund fürviele andere Bereiche – Sie vertreten in dieser Sache jaauch die anderen Ministerien – bereitzustellen.
Bei der Bereitschaftspolizei hat der Innenminister dankdes Terrorpakets 28 Millionen DM zugelegt.
– Ja, da kann man klatschen. Aber wenn Sie mit den Be-troffenen in den Ländern sprechen – ich habe mit einigengesprochen –,
dann werden Sie erfahren, dass deren Forderung ein biss-chen höher gewesen ist.
Deshalb bitten wir um eine Nachbesserung in diesem Be-reich um 40 Millionen und um 25 Millionen für das Tech-nische Hilfswerk.Man muss sagen, dass diese Terroraktionen leider auchetwas Vorteilhaftes haben, nämlich dass der Etat des In-nenministeriums in vielen Bereichen finanziell aufge-stockt worden ist.Ich habe noch eine Frage an den Innenminister. Im Be-reich des Zivilschutzes stehen weitere 25 Millionen zurVerfügung. Bin ich richtig informiert – zumindest habeich es in den Zeitungen lesen können –, dass der Bunkerbei Bonn wieder aktiviert werden soll? Ist das so? Viel-leicht können Sie sich dazu äußern und der Öffentlichkeitmitteilen, dass dies nicht der Fall ist.Lassen Sie mich noch etwas zur Sportförderung sa-gen. Sie sind wie ich auch ein begeisterter Sportler. Es istder Wunsch der CDU/CSU-Fraktion, diesen Haushaltmöglichst nicht schrumpfen zu lassen. Meine Behauptungist, dass unsere Sportler nicht nur eine Vorbildfunktion ha-ben, sondern dass sie auch Diplomaten der Bundesrepu-blik Deutschland im Ausland sind. Das betrifft nicht nurden Hochleistungssport, sondern genauso den Behinder-tensport sowie die Jugend und die Heranwachsenden. Ichbin der Auffassung, dass bei Jugendlichen, die Sport trei-ben, Gewalt und Kriminalität keine Rolle spielen.
Ich hoffe, dass Sie im Bereich der Sportförderung – zumBeispiel in einem Nachtragshaushalt oder wo auch immer –ein wenig nachhelfen. Ich denke hier insbesondere an dieKollegen aus Ostdeutschland im Zusammenhang mit demGoldenen Plan.
– Herr Berichterstatter, nach vielen Gesprächen ist derEtat ein wenig aufgestockt worden. Aber auch der Westenerwartet etwas.Ich hoffe, dass nicht das Gleiche wie beim Steuerpaketpassiert, dass zum Beispiel Leipzig und Berlin Gelder fürdie Olympiastadien bekommen. Vielmehr sollten jetztGelder in den Ministerien zur Verfügung gestellt werden,bevor man irgendwelche Bundesländer auffordert, etwasanderes zu tun, als sie derzeit planen. Ich gehe davon aus,dass im Bereich der Sportförderung in Zukunft etwas Po-sitives passiert.Ansonsten muss ich klar und deutlich sagen: Da wirgroße Änderungswünsche haben und diese abgelehntworden sind, lehnen wir den Haushalt so, wie er zurzeitist, Herr Minister Schily, ab.Ich danke für die Aufmerksamkeit und schließe.
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Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein19986
Als
nächster Redner hat der Kollege Gunter Weißgerber von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! VerehrteKolleginnen und Kollegen! Lieber „Charly“ vonHammerstein, du möchtest den Einzelplan 06 noch ein-mal erstellen. Er gefällt dir überhaupt nicht. Ich denke, duhast den letzten Einzelplan von Minister Kanther vor Au-gen gehabt, als du festgestellt hast, dass dieser noch ein-mal neu gemacht werden muss; denn dieser ist schwer inOrdnung.Die 3 Milliarden DM für das Antiterrorpaket willst duaus dem Gesamthaushalt einsparen. Auch darüber stauneich. Alle Anträge, die von deiner Partei im Haushaltsaus-schuss gestellt worden sind, beinhalten Erhöhungen ummehrere Millionen DM, ohne dass ihr gesagt hättet, wo sieherkommen sollen. Hier wolltet ihr auch nicht aus demGesamthaushalt einsparen. Das Rezept funktioniert nicht.Der BMI-Haushalt 2002 stellt ein weiteres Mal diehohe Wertschätzung gegenüber dem sensiblen Sicher-heitsbereich durch die rot-grüne Bundesregierung unterBeweis. Innenminister Schily stehen im nächsten Jahr fürsein Haus rund 3,7 Milliarden Euro – mit den Mitteln ausdem Antiterrorpaket sind es sogar rund 3,9 MilliardenEuro – zur Verfügung.Die Verbesserung der inneren Sicherheit und Haus-haltskonsolidierung sind nur scheinbar ein Widerspruch.Bei Minister Schily funktioniert das, was bei Kanthernicht funktioniert hat: Seit der Regierungsübernahme er-fuhren die Sicherheitsbereiche im Einzelplan 06 eine Aus-gabensteigerung um 11 Prozent gegenüber Kanthers Si-cherheitsplanung. Ich meine, dies ist ein eindrucksvollerNachweis dafür, wem die innere Sicherheit mehr am Her-zen liegt. Der damaligen Koalition jedenfalls nicht.Rund 60 Prozent der Einzelplanausgaben entfallen aufden Sicherheitsbereich: Verfassungsschutz, BKA, Bun-desamt für Sicherheit in der Informationstechnik, Bun-desgrenzschutz, Beschaffungen für die Bereitschaftspoli-zeien der Länder. Davon entfallen 67 Prozent allein aufPersonalausgaben. Im Gesamteinzelplan liegt der Perso-nalkostenanteil dagegen bei rund 56 Prozent.Dabei ist es dem Innenminister bereits gelungen, imgesamten Geschäftsbereich seit 1998 den Personalbe-stand um insgesamt 14,6 Prozent zu reduzieren, und zwarbei stetiger Verbesserung der Leistungen für die innere Si-cherheit. Dies verdient Anerkennung.
Auch im Haushalt 2002 wird das Hebungsprogrammfür den Bundesgrenzschutz fortgesetzt.
Weitere 1 208 Planstellen werden angehoben, was rund3 200 Beförderungen bedeutet. Seit 1998 wurden durchdie neue Bundesregierung fast 11 900 Bundesgrenzbe-amte befördert, also rund 30 Prozent des gesamten BGS-Personals. Auch das verdient Würdigung. Natürlich weißich, dass es wesentlich mehr Ansprüche gibt, aber ihreUmsetzung kann nur schrittweise erfolgen. Was Kantheran Defiziten hinterlassen hat, können wir nicht in wenigenJahren aufarbeiten.
Wir werden die kantherschen Defizite konsequent ab-bauen.Im BKA bereitet INPOL , die Fortentwicklungdes seit 1970 praktizierten INPOL-aktuell, Sorgen. Diesist jedoch nicht erst seit 1998 der Fall, Kollege vonHammerstein. Der gesamte Prozess läuft seit 1992. Wirmüssen die kantherschen Weichenstellungen rückgängigmachen. Das KPMG-Gutachten, welches der Innenminis-ter in Auftrag gab, hebt unter anderem auf die Vertragsge-staltung ab, die die Wirtschaftlichkeitsinteressen des Bun-des wenig berücksichtigt. Auch wird durch KPMG der imAugust 1998 beschlossene technische Entwicklungsan-satz von INPOL infrage gestellt. Das ist alles vor derRegierungsübernahme von Rot-Grün an Weichenstellun-gen geschehen.Bundesminister Schily und seine Mannschaft werdenINPOL auf das richtige Gleis setzen. Der Haus-haltsausschuss unterstützt dieses Vorhaben. Die hierzu be-schlossene Sperre in Höhe von 1Million Euro sichert demAusschuss die nötige Mitwirkung. Wir benötigen geradein der jetzigen, von Terrorismus geprägten SituationINPOL dringend.
Die Leistungen des THW sind im Bundestag und inder Öffentlichkeit unbestritten. Ob im Ausland oder in-nerhalb der Bundesrepublik: Auf das THW, seine Mitar-beiter und Mitstreiter ist immer Verlass.
Genauso kann sich das THW auf die Koalitionshaushälterverlassen. Runde 25 Millionen Euro erhält das THW in2002 zusätzlich. Wir haben einen ordentlichen Zuwachsversprochen und mit dieser 25-prozentigen Steigerungerkennbar unser Wort gehalten.
Nach der Regierungsübernahme 1998 gab der Haus-haltsausschuss das Signal zur Evaluierung der Bundes-zentrale für politische Bildung. Das Ergebnis kann sichsehen lassen. Die Mühe hat sich gelohnt. Präsident Krügerund seine Mannschaft haben einen hocheffizienten undbeweglichen Apparat entwickelt, der modernen An-sprüchen an die politische Bildung gerecht wird und ak-tuelle Entwicklungen zügig aufnimmt.
Haushaltspolitiker sind qua Amt eigentlich keine Bil-dungspolitiker. Dennoch musste der Ausschuss im Haus-haltsverfahren quasi Bildungspolitik betreiben. Die
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Ostsee-Akademie Travemünde, deren Träger die Pom-mersche Landsmannschaft ist, sorgte in den letzten Jahrenfür erhebliche Unruhe – Unruhe der politisch unangeneh-men Art. Still und heimlich, manchmal auch laut undunverschämt wurde an einem Richtungswechsel vom bis-herigen Kurs der Aussöhnung mit Osteuropa hin zur Auf-erstehung alter Geister gewerkelt. Konsensgesprächezwischen der Landsmannschaft, der Regierung Schles-wig-Holsteins und dem BMI verliefen aufgrund der star-ren Haltung der Landsmannschaft im Sande. Selbst Haus-haltssperren führten nicht zum Nachdenken.Die Haushälter mussten handeln und der Entwicklungeinen Riegel vorschieben. Steuergelder werden jedenfallsfür unselige Entwicklungen nicht bereitgestellt.
Im Haushalt 2002 wird deshalb die Ostsee-Akademie ab-gewickelt und stattdessen die neugegründete AcademiaBaltica, welche sich der Fortsetzung der ursprünglich po-sitiven Arbeit der Ostsee-Akademie verschrieben hat,gefördert.Bei dieser Gelegenheit noch eine Anmerkung. Wirführen seit Jahren die institutionelle Förderung von Zu-wendungsempfängern zugunsten der Projektförderungprinzipiell zurück. Das ist sachlich richtig. Schwierigwird die Sache jedoch an dem Punkt, an dem nur nochProjektförderung möglich ist. Perspektivische Lebenspla-nung der Beschäftigten ist dann nicht mehr möglich. Auchwird es schwerer werden, gute Leute für solch unsichereJobs zu bekommen. Wir sollten im gesamten Haus inten-siv darüber nachdenken.
Im Einzelplan 06 ressortiert die Unabhängige Kom-mission zur Überprüfung des Parteivermögens derDDR. Die PDS würde diesen Restposten gerne weg-haben. Wir nicht.
– Die Unabhängige Kommission Parteivermögen.Ich zitiere aus der Stellungnahme der UnabhängigenKommission vom 25. Oktober dieses Jahres:Solange eine durch Hinweise erhärtete Wahrschein-lichkeit besteht, dass es noch unentdecktes Partei-vermögen gibt, müssen die Ermittlungen fortgesetztwerden, um zu verhindern, dass die Inhaber diesesVermögens – in der Regel Treuhänder der SED – esüber Spenden an die PDS – vergleichbar der Geld-wäsche – zurückfließen lassen. Diese Notwendigkeitwird nicht dadurch gemindert, dass die PDS auf ihrAltvermögen verzichtet und versichert hat, vollstän-dig Auskunft über ihr Vermögen gegeben zu haben,denn den SED-Treuhändern stehen ausreichendWege zur Verfügung, ihrer Parteiloyalität zu ge-nügen, ohne die Partei zu Pflichtverstößen zuveranlassen.Dazu erübrigt sich jeder Kommentar. Denke ich aber andie vielen Flugzeuge, die Transparente hinter sich herzie-hen und damit ab und zu über das Land und die Städtefliegen, dann wundere ich mich schon, woher die Truppe,die PDS, eigentlich die Knete dafür hat.
– Als es letztens in Leipzig eine große Demonstration ge-gen Nazis gab – das war völlig richtig –, gab es auch einFlugzeug, das ein großes Transparent hinter sich herzog.Das passiert immer wieder. Solche Aktionen kosten vielGeld. Daher stellt man sich schon die Frage – das ist dochganz natürlich –: Woher kommt das Geld?Insgesamt bringt die Arbeit der Unabhängigen Kom-mission jährlich mehr Geld ein, als sie kostet. Das alleinrechtfertigt deren Fortbestand.
Als Leipziger bin ich froh, dass der Bundesinnenminis-ter die Zusammenführung aller Stellen des Bundesamtesfür Kartografie und Geodäsie in Frankfurt am Main einerneuerlichen Bewertung unterziehen ließ. Von dieser Stelleaus wünsche ich ihm eine glückliche Hand bei seiner end-gültigen Entscheidung.
Im Bundestag und in der Öffentlichkeit wird über diederzeitige Ressortierung der Mittel des Antiterrorpaketsim Einzelplan 60 verständlicherweise kontrovers disku-tiert. Wir halten dennoch für 2002 an dieser Entscheidungfest. Die Mittel sollen nicht der Erfüllung alter Ressort-wünsche dienen, sondern allein den jetzt notwendigenAntiterroraktivitäten zugute kommen. Als Innenhaushäl-ter gehe ich selbstverständlich davon aus, dass die Mittelim nächsten Haushalt im Einzelplan 06 plafondiert wer-den.Die Beratungen verliefen wie immer sachlich und ingroßer Kollegialität. Dafür bedanke ich mich bei meinenBerichterstatterkollegen und den jeweiligen Vertreternder Bundesregierung, selbstverständlich auch beimBundesinnenminister.Die Innenpolitik ist bei Rot-Grün in guten Händen. Siewird es dort auch über 2002 hinaus bleiben.Vielen Dank.
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Werner
Hoyer von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Nie waren Innen- und Außen-politik so eng miteinander verwoben wie gegenwärtig.
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GunterWeißgerber19988
Das gilt selbst für eine solch epochale Situation wie dieam 9. November 1989 nicht. Auch damals befanden wiruns mitten in den Haushaltsberatungen. Aber wir hattennoch nicht einmal eine grobe Vorstellung davon, was das,was sich damals anbahnte, eines Tages in Haushalts-größen bedeuten könnte.
Deswegen ist beim Haushalt 2002 alles anders im Ver-gleich zu den Haushalten der vergangenen Jahre.Als die Bundesregierung ihren Haushaltsentwurf be-schloss, glaubte sie noch, die Bereiche der inneren und deräußeren Sicherheit quasi zu Sparkassen des Bundeshaus-halts machen zu können. Es ist schon erstaunlich, wer al-les seit dem denkwürdigen 11. September sein Herz fürdie Bundeswehr, die NATO, aber auch für die Polizei unddie Sicherheitsdienste entdeckt hat.
Spät, aber immerhin! Aber glaubwürdig wird das Ganzeerst dann, wenn es sich im konkreten Handeln nieder-schlägt, das heißt auch bei den Haushaltsentscheidungen.Übrigens gilt das besonders krass für die Nachrich-tendienste. Lassen Sie mich dazu eine Anmerkung ma-chen. Bis vor kurzem hörte man im Zusammenhang mitBND, Verfassungsschutz und MAD nur solche Ausdrückewie „Schlapphut“, „Abbau“, „weitgehend überflüssig“und Ähnliches.
Nebenbei bemerkt: Welche Häme gab es erst, wenn es umden Zivilschutz ging?Der Bundestag kontrolliert die Nachrichtendiensteüber das Parlamentarische Kontrollgremium und das Gre-mium nach § 10 der Bundeshaushaltsordnung, das Ver-trauensgremium. Diese Kontrolle ist gerade für uns Libe-rale von essenzieller Bedeutung.
Geheimdienste dürfen sich niemals verselbstständigen.Die Gefahr ist immanent, und zwar völlig unabhängig vonirgendeinem Vorwurf gegen einzelne Personen. Deswe-gen ist es wichtig, festzustellen – ich glaube, dass ich dasin Übereinstimmung mit meinen Kolleginnen und Kolle-gen aus dem Gremium tun kann –: Erstens. Bei allen Ver-säumnissen, die sich nach meiner Auffassung wohl alleGeheimdienste dieser Welt anrechnen lassen müssen, istes wichtig zu wissen, dass der BND auch im Vergleich zuanderen Diensten in der aktuellen Situation durchauskeine schlechte Figur gemacht hat. Diejenigen von uns,die einem der beiden Gremien angehören und daher logi-scherweise nicht über das sprechen dürfen, was sie dorterfahren, sollten dies festhalten; denn wir tragen hier einegroße Verantwortung für Rechtsstaatlichkeit auf der einenSeite und für viel Steuerzahlergeld auf der anderen Seite.Eine zweite Bemerkung ist für mich als Liberalenebenso wichtig: Die parlamentarische Kontrolle funktio-niert. Nach allem, was an nach meiner Auffassung leicht-fertiger Rhetorik in den letzten Jahren zu diesem Themagesagt worden ist, ist es wichtig, auch das festzuhalten.Die FDP tritt für eine wirksame und entschlosseneBekämpfung des nationalen wie des internationalen Ter-rorismus ein. Deshalb haben wir auch den meisten Maß-nahmen zugestimmt, die die Bundesregierung bereitsvorgelegt hat. Ich nenne die Abschaffung des Religions-privilegs im Vereinsrecht und den neuen Straftatbestandder Mitwirkung in einer ausländischen terroristischenVereinigung.Zurückhaltender sind wir bei manchem, was sich imEntwurf des Terrorismusbekämpfungsgesetzes findet. Erenthält neben Maßnahmen, die unbestreitbar notwendigsind, eine Reihe von Punkten, die noch einer sehr sorg-fältigen Prüfung bedürfen. Als Beispiel nenne ich die Aus-kunftsbefugnisse der Dienste gegenüber Banken, Post-dienstleistern, Telekommunikationsunternehmen undFluggesellschaften.
Dasselbe gilt für die Frage der Referenzdatei bei der Auf-nahme von biometrischen Daten in Pässen und Personal-ausweisen. Darüber wird ebenso wie über den ausländer-rechtlichen Teil des Gesetzentwurfs – ich denke hierinsbesondere an die gravierende Einschränkung desRechtsschutzes bei staatlichen Ausweisungsmaßnahmen –noch zu reden sein.
Wir wollen uns dem nicht versperren, aber wir wollendarüber sauber diskutieren. Bei diesen Themen ist ein er-heblicher Beratungsbedarf vorhanden. Deshalb hat sich dieFDP immer für eine umfangreiche Anhörung zu diesemzweiten Sicherheitspaket ausgesprochen, die Ende dieserWoche auch stattfinden wird. So weit, so gut. Skandalös istdagegen, dass sich die Regierungsfraktionen bei der weite-ren parlamentarischen Beratung des Gesetzentwurfsdem Diktat der Innenminister der Länder und des Bun-desinnenministers gebeugt haben. Am 12. Dezember sollder Innenausschuss in einer einzigen Sitzung abschließendüber das Vorhaben beraten. Zwei Tage später soll bereits diezweite und dritte Lesung im Plenum stattfinden. Am20. Dezember soll der Bundesrat sein abschließendes Vo-tum abgeben. Wahrscheinlich wird bei der Beratung des In-nenausschusses nicht einmal das Protokoll der Anhörungvorliegen. Das nenne ich keine sorgfältige parlamentari-sche Beratung, sondern einen beispiellosen Parforceritt, derbei einem derart bedeutsamen Gesetzgebungsvorhaben al-les andere als angemessen ist.
Ein ähnlich unverantwortliches Vorgehen haben dieKolleginnen und Kollegen im Innenausschuss heute beimThema Beamtenversorgung erlebt.
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Dr. Werner Hoyer19989
– Nein, ich war nicht dabei. Ich arbeite in vielen Aus-schüssen mit und kann nicht auch noch Mitglied desInnenausschusses sein.
Aber hier reden wir über Innenpolitik. Ich diskutiere nichtüber dieses Thema im Stil der Erbsenzählerei, der unsHaushältern immer gern vorgeworfen wird, sondern ichdiskutiere es politisch.Beim Beamtenversorgungsänderungsgesetz handelt essich nach unserer Auffassung um einen Text, der nicht nurfalsch, sondern auch überflüssig ist. Darüber hinaus – dashat heute der Rechtsausschuss festgestellt, dem ich auchnicht angehöre; gleichwohl weiß ich, was dort gelaufenist – halten wir den Gesetzentwurf auch für verfassungs-rechtlich hochbedenklich.Meine Damen und Herren, zum einen haben die Ko-alitionsfraktionen der letzten Legislaturperiode durch dasDienstrechtsreformgesetz 1997 und das Versorgungs-rechtsreformgesetz 1998 die Beamtenversorgung überdas Jahr 2020 hinaus gesichert. Viel ärgerlicher noch istfür mich aber die Unredlichkeit der Argumentation, wiewir sie heute Morgen auch wieder vom Finanzministerhören konnten. Angeblich soll mit dem Gesetz sozialeSymmetrie erzielt werden. Aber die Absenkung des Ren-tenniveaus im Rahmen der Rentenreform 2000 betrifft nurdie Grundversorgung, die hier anstehende Neufassunghingegen die Vollversorgung. Eine erheblich geringereAbsenkung der Beamtenversorgung hätte also ausge-reicht, um das vorgegebene Ziel zu erreichen.
Diese Form einer Mogelpackung, diese Verletzung desVertrauensschutzes derer, die nach einem langen Arbeits-leben für diesen Dienstherren jetzt nicht mehr ausweichenkönnen, haben bei vielen Betroffenen Frust und Zorn her-vorgerufen und gestern so viele Polizisten und Soldatenauf dem Gendarmenmarkt zusammengeführt. Ich meldeim Übrigen auch verfassungsrechtliche Bedenken zum ei-nen wegen des Vertrauensschutzes und zum anderen we-gen der das Alimentationsprinzip verletzenden Auswir-kungen vor allem bei der Witwenversorgung an.Zurück zum Etat 2002: Diesmal ist wirklich alles an-ders, denn natürlich wurde der Regierungsentwurf durchdas Antiterrorpaket noch entscheidend verändert, ohnedass sich das im Einzelplan von Herrn Schily nieder-schlagen würde. Das schmerzt viele Betroffene in denverschiedenen Ressorts und in den Fachausschüssen. Ichhalte es trotzdem für richtig und vertretbar, denn manmuss als Haushälter bei diesen Dingen einfach miss-trauisch sein. Was da so alles unter der Überschrift „Anti-terrorpaket“ verkauft wird, geht teilweise wirklich nichtmehr auf die berühmte Kuhhaut.
Vieles ist durchsetzbar und möglich geworden, was oh-nehin erforderlich gewesen wäre und jetzt endlich durch-gesetzt werden kann, was aber mit Terrorbekämpfung nunwirklich nichts zu tun hat.
Oder will jemand behaupten, wie es so manche „Kriegs-gewinnler“ hier tun, dass die zusätzlichen Laptops bei derZollverwaltung nicht auch sonst erforderlich gewesenwären? Oder will jemand sagen, dass die Verbesserungder Situation an den Grenzübergängen zu Polen nichtauch sonst notwendig gewesen wäre? Meine Damen undHerren, diese Aufzählung könnte man verlängern. Hiersollte der Haushälter vorsichtig sein. Es sollte genau ge-prüft werden, welche dieser Maßnahmen – –
– Sie haben nichts mit dem Zoll zu tun, aber diese Kritikgilt für das gesamte Antiterrorpaket. Ich kann aus IhremBereich genauso viel aus der Ausstattung des Bundes-grenzschutzes nennen. Das wäre überhaupt kein Problem,Herr Schily.
– Geben Sie mir 20 Minuten mehr. Dann könnte ich Ihnendas ganz genau auflisten. Sie wissen doch ganz genau,dass ich es Ihnen im Ausschuss aufgelistet habe.Meine Damen und Herren, folgende Feststellung istwichtig: Wir haben in diesen Fragen ein erheblichesHandlungs- und Vollzugsdefizit. Es ist viel größer als dasDefizit hinsichtlich der Gesetzgebung. Es kann durch dasAntiterrorpaket ein klein wenig gemildert werden, was imnormalen Haushaltsverfahren nicht möglich gewesenwäre und bezüglich dessen Sie sich innerhalb der Haus-haltsberatungen der Bundesregierung auch nicht durchge-setzt hatten.Man muss genau überprüfen, was dauerhaft erforder-lich ist – dies wird man im nächsten Jahr endgültig in denEinzelplan 06 einstellen müssen –, was vorübergehend er-forderlich war und jetzt abgearbeitet ist und was auch ausGründen, die nicht mit der Terrorismusbekämpfung zutun haben, erforderlich ist und eingesetzt werden sollteund – schließlich – was sich erledigt hat. Diese Differen-zierung war so kurzfristig nicht zu leisten. Deswegen habeich auch für die Etatisierung im Einzelplan 60 plädiert.Einer der größten Schwachpunkte in Ihrem Etat sindseit Jahren die Stellenkürzungen nach dem Rasenmäher-prinzip im Verwaltungsbereich der Sicherheitsorgane,insbesondere bei BGS und BKA. Das hat katastrophaleAuswirkungen. Nach wie vor ist in Deutschland insge-samt eine fünfstellige Anzahl von Polizeivollzugsbeam-ten – der Bund ist zu 20 Prozent daran beteiligt – mit Ver-waltungstätigkeiten belastet. Das führt mittlerweile zuganz erheblichen Defiziten im Vollzugsbereich. Wir ver-suchen seit nunmehr vier Jahren, dies abzubauen. Ichhabe es viermal vorgetragen; ich hole mir jetzt ein weite-res Mal eine blutige Nase, obwohl mir alle Kolleginnenund Kollegen in den Fachdebatten immer bestätigen, ichhätte Recht. Das merken die Betroffenen mittlerweileauch. Sie haben in diesem Punkt ein riesiges Glaubwür-digkeitsproblem, Herr Minister.Das vielleicht größte Haushaltsrisiko – Kollege vonHammerstein hat es angesprochen – Ihres Etats liegt inzwei ebenso gigantischen wie dringlichen Projekten imKommunikationsbereich, nämlich INPOl und digi-taler Funk. Das bestehende INPOL-neu-System ist einVierteljahrhundert alt, die Software ist veraltet, die Ver-
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Dr. Werner Hoyer19990
träge laufen aus, das Nachfolgesystem ist mehr als drin-gend erforderlich. In den letzten Wochen ist klar gewor-den, dass das Projekt möglicherweise kurz vor dem Schei-tern steht, weil es aufgrund völlig überzogenerAnforderungen der Bedarfsträger aus 16 Landespolizeienund der Nutzer aus dem Bereich des Bundes so nicht rea-lisierbar ist.
– Ich streite mich überhaupt nicht über die Frage derSchuld. Ich stelle die Fragen nach dem Projektmanage-ment zu diesem Projekt,
und zwar nicht nur, verehrte Frau Kollegin, im Bereichder Polizeivollzugsbehörden. Ich halte es für unfair, aus-schließlich eine Polizeibehörde des Bundes im Regen ste-hen zu lassen. Hier haben offensichtlich nicht nur das Pro-jektmanagement und das Finanzcontrolling im BKAgefehlt, sondern auch die Fachaufsicht im Bundesminis-terium des Innern. Das muss sich der Bundesministerschon anrechnen lassen.
– Von mir aus bei Kanther, aber jetzt reden wir seit überdrei Jahren von Minister Schily.Es steht fest, dass wir das System brauchen, wie auchKollege Weißgerber zu Recht sagte, wahrscheinlich in ab-gespeckter Form. Es steht ebenso fest, dass der Bun-desinnenminister bis Ostern wissen muss, was er will.Vermutlich ist bereits ein dreistelliger Millionenbetrag inden Sand gesetzt worden.Ich spreche das Thema digitaler Funk hier nur an, da-mit nicht in Vergessenheit gerät, dass hier das nächsteFiasko ähnlicher Dimension droht. Auch dieses System istdringend erforderlich. Hierbei kommen zum Bund-Län-der-Problem Schwierigkeiten bei der europäischen Zu-sammenarbeit hinzu, auf die frühzeitig aufmerksam ge-macht werden soll.Ich habe nicht mehr die Zeit, ausführlich auf das Zu-wanderungsgesetz einzugehen. Ich begrüße es, dass sichdie Bundesregierung und die Koalition bewegen. Daskönnte uns auch aus der unseligen Situation befreien, eineGreencard-Regelung nach der anderen zu bekommen.Wir sind bereit, daran konstruktiv mitzuwirken.
Entscheidende Kriterien sind: Aufnahmefähigkeit, Inte-gration und, nebenbei bemerkt, eine möglichst unbüro-kratische Regelung bei der Arbeitsmarktzuwanderung.
Ich hoffe, dass die Union ihre internen Qualen baldüberwinden und an diesem Gesetzgebungswerk auchkonstruktiv mitarbeiten wird.
Ich habe das Gefühl, dass zwischen Totalablehnung undBekenntnis zur Zusammenarbeit noch Raum für einenFunken Hoffnung bleibt, obwohl die Drohung mit einerBürgerbefragung zu diesem Thema einen nicht geradehoffnungsvoll stimmen kann. Ich hoffe, dass Sie das nocheinmal sehr sorgfältig überdenken.
– Lieber Kollege, ich habe nichts gegen mehr Bürgerbe-teiligung. Ich habe aber etwas dagegen, wenn das ThemaBürgerbeteiligung immer nur dann mobilisiert wird, wennes einem gerade in den Kram passt, aber dann abgelehntwird, wenn es möglicherweise Ergebnisse zeitigenkönnte, die einem nicht passen.
Meine Damen und Herren, Sie werden verstehen, dassich mich zunächst auf Bemerkungen als FDP-Berichter-statter beschränkt habe. Als Hauptberichterstatter möchteich aber auch nicht versäumen, mich bei den Kolleginnenund Kollegen herzlich für die sehr gute Zusammenarbeitzu bedanken. Im Haushaltsausschuss ist ja das Ange-nehme, dass man als Opposition hin und wieder – für denInnenbereich gilt das allemal – das Erfolgserlebnis hat,dass Anregungen nicht von vornherein abgebügelt wer-den und dass man gemeinsam zu Entscheidungen kommt,so in der uns allen nicht leicht gefallenen Sperre beiINPOL , in der Frage der Einrichtung eines Fondsfür die Unterstützung von DDR-Dopingopfern oder inähnlichen Fragen. Da bin ich für die Zusammenarbeit aus-gesprochen dankbar. Ich schließe in diesen Dank dieHaushaltsabteilung und das ganze Haus ein. Sie haben unsbei unserer Arbeit gut unterstützt.
Als
nächster Redner hat der Kollege Cem Özdemir vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
HerrPräsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Hoyer
– ich korrigiere: Dr. Hoyer – hat bereits darauf hingewie-sen, dass nach dem 11. September die innere und dieäußere Sicherheit kaum noch voneinander getrennt wer-den können. Wir alle haben nach dem 11. September zurKenntnis nehmen müssen, dass wir von international or-ganisierten nicht staatlichen Organisationen bedroht sind.Ein neue Form der Konfrontation und Bedrohung mit mo-dernster Technik kommt auf unsere Gesellschaften zu.Die alten Konfrontationen, wie wir sie kennen, die Kriegezwischen Staaten, werden hoffentlich der Vergangenheitangehören; nichtsdestotrotz sind wir von dieser neuen Ge-fahr bedroht und das macht auch vor der Innenpolitik derBundesrepublik Deutschland keinen Halt. Wir haben es inder Vergangenheit hier schon mehrfach diskutiert.
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Dr. Werner Hoyer19991
Allerdings hat die Debatte um die innere Sicherheitund um die Sicherheitspakete gezeigt, wie wichtig es ist,dass wir in diesen Tagen eine Bundesregierung haben, diein der Frage der Sicherheitspolitik und der Sicherheitspa-kete eine klare bürgerrechtliche Handschrift hat.
Alle Eingriffe in Freiheitsrechte müssen mit dem Si-cherheitsgewinn, der dadurch entsteht, abgewogen wer-den. Ich glaube, dass uns die Balance gegenwärtig gut ge-lungen ist. Wir müssen darauf achten, dass sie uns auch inZukunft so gut gelingt.
Die Notwendigkeit der Wachsamkeit zeigt sich, wennman sich in diesen Tagen die Stellungnahme des Bun-desrates zum Sicherheitspaket einmal genau durchliest.Es ist eine sehr bemerkenswerte Allianz zwischen Ham-burg und Bayern entstanden. Das scheint die neue Connec-tion im Bundesrat zu sein. Ich finde es ganz bemerkens-wert, dass Herr Schill die CSU ganz offensichtlich sognadenlos kopieren möchte, dass das eine Art Nordallianzder CSU in Hamburg wird.
– Genau.Wenn man sich die Maßnahmen einmal im Einzelnenanschaut, dann stellt man fest, dass da vom Grundkonsensdes Grundgesetzes nicht mehr sehr viel übrig bleibt. EinAusländer soll künftig bereits bei Verdacht, Terrorist zusein, ausgewiesen werden können. Wenn man den Plänenaus Hamburg und aus Bayern folgt, wird die Unschulds-vermutung quasi abgeschafft. Aber auch das, was Sie denSicherheitsdiensten an weiteren Befugnissen geben wol-len – über das hinaus, was wir bereits im Sicherheitspaketvorhaben –, verbunden mit einer weiteren Einschränkungder Kontrollbefugnisse, geht weit über das hinaus, wasnotwendig und mit unserer Grundordnung verträglich ist.Damit, meine Kolleginnen und Kollegen von der Union,geben Sie gerade das auf, was Sie, wie wir alle, doch ver-teidigen wollen, nämlich die offene Gesellschaft. Frei-heitsrechte der Bürgerinnen und Bürger müssen gerade inder offenen Gesellschaft besonders stark sein.Ich finde es ferner sehr bemerkenswert, dass die Unionin Hamburg gemeinsam mit ihrem neuen Freund, HerrnSchill, einen sehr wesentlichen Beitrag zur inneren Si-cherheit darin sieht, dass sie für 8 Millionen DM – ichwiederhole: für 8 Millionen DM – neue Uniformen ganzin Blau einführt.
Wenn das Ihr Beitrag zur inneren Sicherheit ist, dann kannman die Union auch auf diesem Gebiet nicht mehr ernstnehmen.
Ein Blick über die Grenzen der BundesrepublikDeutschland hinaus lohnt sich. Auch dort ist nicht allesGold, was glänzt. Ich denke beispielsweise an die Maß-nahmen – darüber konnten wir in diesen Tagen lesen –, dieGroßbritannien beabsichtigt, nämlich Verdächtige ohnegerichtliche Überprüfung auf unbestimmte Zeit gefangenzu halten. Damit kündigt Großbritannien die Habeas-Cor-pus-Akte auf. Man muss sich das einmal vorstellen: DasLand der Magna Charta verabschiedet sich von justiziel-len Rechten. Ich kann das nicht verstehen. Ich hoffe, dasssich in Großbritannien diejenigen Kräfte durchsetzenwerden, die dieses Vorgehen ebenfalls nicht für richtig er-achten.
Auch ein Blick in die USA – einer unserer wichtigstenBündnispartner – ruft bei uns aufgrund der Maßnahmen,die dort getroffen werden, Besorgnis hervor. Ich denkebeispielsweise an die jüngste Ankündigung, dass geheimeMilitärgerichte Personen sollen verurteilen dürfen, diewegen Terrorismus angeklagt sind. Das ist meines Erach-tens in höchstem Maße bedenklich. Auch ein Mensch, derschlimmste Verbrechen begangen hat – ich hoffe, dass wiruns in diesem Punkt einig sind –, hat das Recht auf einenfairen Prozess. Er muss vor Gericht gestellt und bestraftwerden. Das steht außer Frage. Dennoch hat er das Rechtauf einen fairen Prozess in Ländern wie den unseren, diewir angetreten sind, die Demokratie zu verteidigen. Dabeigeht es auch um die demokratischen Rechte derer, dieunsere Demokratie infrage stellen.
In den USAdürfen Ausländer, die des Terrorismus ver-dächtigt werden, ebenfalls ohne richterliche Überprüfunggefangen gehalten werden. Auch dadurch ist die offeneGesellschaft in Gefahr.
Ich erinnere an die ersten Debatten, die wir geführt ha-ben, nachdem Bin Laden diesen schrecklichen, feigen An-griff auf die USA verübt hat. Wir, die Mitglieder allerFraktionen, haben hier gesagt, dass Bin Laden nicht sieg-reich sein darf. Wir haben festgestellt, dass wir nicht mitdafür sorgen dürfen, dass Bin Laden sein Ziel, nämlichunsere offenen Gesellschaften zu verändern, erreicht, in-dem wir selbst die offene Gesellschaft erschüttern. DieseGesellschaften sind stark und stabil. Sie haben sich inJahrzehnten bewährt. Darum werden wir diesen Verbre-chern den Gefallen nicht tun, dass wir unsere Freiheits-rechte aufgeben. Wir werden diese Rechte vielmehr gegenGefahren von innen wie von außen verteidigen.
Aus Bayern hören wir von Herrn Stoiber die Ankündi-gung, möglicherweise Unterschriften gegen das neue Zu-wanderungsgesetz, das die Bundesregierung auf denWeg bringen möchte, zu sammeln. Ich möchte mich zuder Debatte, zu der sich bereits der Innenminister und an-dere geäußert haben, ob die Union das „hohe C“ zu Rechtoder zu Unrecht trägt, nicht äußern. Ich glaube, dass mir
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Cem Özdemir19992
als gebürtigem Muslim ein Urteil dazu nicht zusteht. Dassage ich mit allem Respekt.
Ich möchte jedoch folgende Frage stellen: Was, bitteschön, ist falsch daran, wenn die Bundesregierung, unter-stützt von vielen aus der Union, beispielsweise von FrauSüssmuth, künftig dafür sorgen möchte, dass alle, die zuuns ins Land kommen, einen verbindlichen Sprach- undOrientierungskurs absolvieren? Was ist daran falsch?Über fehlende Sprach- und Orientierungskenntnisse be-klagen sich doch Lehrer, Eltern und viele Bürgerinnenund Bürger.
Wir müssen dagegen vorgehen, dass die Sprachkenntnisseabnehmen. Unterstützen Sie uns doch dabei, dass wir al-len, die zu uns ins Land kommen, einen Sprachkurs an-bieten.
Unterstützen Sie uns aber auch dabei – auch hier kann ichSie nicht verstehen –, die Bedürfnisse unserer Wirtschaftauf diesem Gebiet – in eingeschränkter Form – zu berück-sichtigen, wenn wir Hochqualifizierten den Zuzug in dieBundesrepublik Deutschland ermöglichen.
Ich erinnere Sie in diesem Zusammenhang an die Debatteüber die Einführung der Greencard. Es waren auch andereStimmen aus Ihren Reihen zu hören. Auch in diesemPunkt kann ich Ihre Politik nicht verstehen. Genauso we-nig kann ich verstehen, dass Sie dagegen opponieren, dassFrauen aus Ländern, in denen sie grausam unterdrücktwerden – wir kämpfen gemeinsam gegenAfghanistan, einLand, in dem die Frauenrechte bis vor kurzem grausamunterdrückt worden sind –, bei uns einen sicheren Auf-enthaltstitel erhalten. Was daran falsch sein soll, habe ichnicht verstanden. Ich bin mir sicher, die Frauen in IhrerFraktion verstehen es auch nicht. Ich bitte Sie, auch aufdiesem Gebiet Ihre Bedenken zurückzustellen und uns zuhelfen, dass das für unser Land Notwendige gemachtwird. Stellen Sie bitte in dieser Frage Ihre Parteiinteres-sen nicht vor die Interessen der Bundesrepublik Deutsch-land.
Herr Kollege Marschewski hat sich ja nun schon aufGroßbritannien als Vorbild berufen, auf Großbritannien,das den Notstand ausgerufen hat und die EuropäischeMenschenrechtskonvention in einzelnen Punkten aus-setzen bzw. davon abweichen möchte. Ich halte die Euro-päische Menschenrechtskonvention für eine Errungen-schaft Europas. Gerade in schweren Zeiten müssen dieMenschenrechte bestätigt und verteidigt werden.Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie michneben dem Bereich der Terrorismusbekämpfung, derzweifelsohne wichtig ist und auch einen wichtigen Stel-lenwert in der Innenpolitik einnimmt, die anderen Feldernicht vergessen. Ich bin froh, dass einige Kollegen vorherschon darauf eingegangen sind, dass die Innenpolitik auchaus anderen Feldern besteht.Ich möchte die Gelegenheit nutzen, weil ja morgen derzehnte Jahrestag der Birthler-Behörde, wie wir sie heutenennen, begangen wird, daran zu erinnern, dass das Stasi-Unterlagen-Gesetz uns wieder eingeholt hat. Wir habenuns jüngst hier damit beschäftigt und werden uns auch inZukunft damit beschäftigen. Der Innenausschuss wirdeine Anhörung dazu machen, es gab verschiedene Treffen,auch die Berichterstatter beschäftigen sich mit diesemThema seit einiger Zeit. Ich glaube, dass wir alle gemein-sam – hier sitzen ja noch einige Kollegen, die vor zehnJahren bei der Beschlussfassung über dieses Gesetz dabeiwaren –, aufgefordert sind, eine ausgewogene neue Rege-lung auf den Weg zu bringen, die genau definiert, wer Be-troffener nach dem Gesetz ist. Dabei muss eines klar sein:Täter dürfen nicht geschützt werden. Das Gesetz mussund wird auch in Zukunft ein Ärgernis bleiben für diefalschen Propheten des Schlussstrichs, die meinen, dasszehn Jahre nach Einführung dieses Gesetzes der Bedarfnicht mehr besteht und wir diese Akten schließen können.Wir werden diese Akten nicht schließen.
Das sind wir all denen schuldig, die die friedliche Revo-lution in den neuen Ländern möglich gemacht
und sich dafür eingesetzt haben, dass wir heute in einemParlament sitzen,
in dem Kolleginnen und Kollegen aus allen Teilen derBundesrepublik Deutschland sich gemeinsam Abgeord-nete des Deutschen Bundestages nennen dürfen. Das giltallerdings auch für Personen der Zeitgeschichte. DerenAkten müssen unter Auslassung alles Privaten für For-schung und Publizistik nutzbar bleiben. Auch hier sindwir uns einig. Das hat nichts zu tun mit Untersuchungs-ausschüssen und anderen Dingen. Ich glaube, wenn mandas klarstellt, kann auch in dem aktuellen Fall, der disku-tiert wird, eine Lösung gefunden werden, die mehrheits-fähig ist.
Lassen Sie mich bei der Gelegenheit – ich finde, esgehört einfach zu einer solchen Debatte über Stasi-Unter-lagen – auch noch ein Wort zu Herrn Walter Kaczmarczykaus der PDS sagen, der in diesen Tagen eine gewisseBerühmtheit erlangt hat. Die PDS, die sich in diesen Ta-gen ja nun als moderne Friedenspartei geriert und übri-gens mit der größten Offiziersdichte in ihren Reihen ar-beitet, hat als Mitglied einen Walter Kaczmarczyk, derDoppelverdiener ist und der als Grenzoffizier der DDRwegen Beihilfe bestraft wurde. Ich glaube, das drückt sehrviel aus. Ich würde die PDS-Kolleginnen und -Kollegen
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auffordern – Sie haben ja nachher die Gelegenheit –, sichauch zu diesem Bereich zu äußern.
Ich finde, das gehört zu dieser Debatte dazu.
– Sie haben ja die Gelegenheit, Frau Kollegin, nachherin der Debatte darauf einzugehen und dieses richtig zustellen.Ein besonderes Anliegen der Innenpolitik sind die pri-vaten Sicherheitsdienste. In diesem Punkt haben wir In-nenpolitiker in der Debatte manchmal andere Ansichtenals unsere Wirtschaftspolitiker. Ich möchte die Gelegen-heit nutzen, zumindest im Namen der Mehrheit des Hau-ses, vielleicht sogar im Namen der Innenpolitiker des ge-samten Hauses, noch einmal darauf hinzuweisen, dass dieNeuregelung für die privaten Sicherheitsdienste so vorge-nommen werden muss, dass wir zu einem Mehr an Si-cherheit kommen. Wir wollen nicht die Situation haben,dass wir die Bewacher quasi noch fürchten müssen. Vo-raussetzung dafür ist, dass die Bewacher angemessen undangemessen lange ausgebildet werden.
Wir wollen keine bewaffneten Rambos auf der Straße,sondern die Beschäftigten der Sicherheitsdienste müssenihre Rechte kennen und dürfen ihre Pflichten dabei nichtvergessen.Zum Schluss noch ein Punkt, den wir schon mehrfachgenannt haben, der aber leider von der Agenda nochnicht abgearbeitet wurde, übrigens auch nicht von derAgenda der Koalitionsvereinbarung. Ich rede von der di-rekten Demokratie. Wir haben das Thema in unter-schiedlichen Konstellationen mehrfach besprochen. Ichglaube, dass der Zeitpunkt gekommen ist, dass auch die-ses Haus sich mit einem Gesetzesvorhaben der direktenDemokratie beschäftigt. Die Koalition hat sich hier weit-gehend verständigt. Ich appelliere von diesem Pult ausaber noch einmal an die Kolleginnen und Kollegen vonder Union, sich nicht länger der direkten Demokratie zuverschließen. Nur Mut! Es lohnt sich, die Bevölkerungzu fragen. Es gibt keine Veranlassung, das Volk zu fürch-ten. Es gibt viele in Ihren Reihen, die Ideen haben, wasman alles der Bevölkerung zur Abstimmung vorlegenkönnte.Ich kann nur den Appell an Sie richten: Wenn Sietatsächlich der Meinung sind, dass das Volk gefragt wer-den sollte, dann ermöglichen Sie uns die gesetzlichenGrundlagen dafür! Lassen Sie uns ein sauberes, fairesdreistufiges Verfahren der direkten Demokratie einführen.Dann können Ihre Punkte, unsere Punkte und anderePunkte dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden. Ichglaube, dass das Parlament und die Demokratie insgesamtgewinnen würden, wenn wir neben der Möglichkeit, allevier Jahre ein Kreuz zu machen, zusätzlich direktdemo-kratische Elemente einführten. In Bayern haben Sie damitüber die Fraktionsgrenzen hinweg gute Erfahrungen ge-macht. Ich kann nicht verstehen, dass das, was in Bayerngut ist, im Bund schlecht sein soll.Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch der Sportgehört zur Innenpolitik. Diese Regierung hat klar ge-macht, wie wichtig ihr der Sport ist. Weil meine Redezeitgleich um ist, will ich nur zwei Punkte nennen.Wir haben 2 Millionen Euro für die Opfer des DDR-Dopings zur Verfügung gestellt. Ich glaube, angesichtsder schrecklichen Nachrichten von Menschen, die einzum Teil wirklich schlimmes Schicksal hinter sich haben,ist das sehr gut angelegtes Geld.Ein Punkt, der meiner Fraktion sehr wichtig ist: DerSportetat wurde nicht gekürzt. Auch der „Goldene PlanOst“ für Sportstätten wird fortgesetzt. Als Grüner freueich mich ganz besonders darüber, dass dabei eine grüneHandschrift erkennbar ist, nämlich bei den ökologischenSportstätten.
– Es gibt nicht nur mehr Rasen, Herr Kollege Koschyk.Die Sportstätten werden von dieser Regierung künftigökologisch ausgebaut.
Umweltverträgliche Baustoffe werden eingesetzt. Ener-gie wird bei Sportstätten künftig stärker geschont. Sie se-hen: Sport und Umweltschutz müssen kein Widerspruchsein.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ulla Jelpke von der
PDS-Fraktion das Wort.
Es ist erlaubt. – Herr Präsident!Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! KollegeÖzdemir, ich habe den Eindruck,
dass Sie als frustrierter Politiker, der sich gerade zu einerKriegspartei bekennen muss,
hier jetzt versuchen, die PDS als moderne Antikriegspar-tei zu bezeichnen. Ich würde Ihnen vorschlagen: Strei-chen Sie das „moderne“! Gucken Sie sich die Entwick-
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lung der PDS an! Dann wissen Sie, dass diese Partei schonlange Antikriegspolitik macht.
Sie haben hier versucht, den Haushalt schönzureden.Wenn Sie davon sprechen, dass dieser Haushalt die Ba-lance von Freiheit und Sicherheit wahre, dann wissen Sieganz genau, genauso gut wie ich, dass das überhaupt nichtder Fall ist.Ich möchte einfach nur darauf aufmerksam machen,dass wenige Tage, bevor dieser Haushalt hier zur Diskus-sion stand, die Regierungsparteien dafür gesorgt haben,dass noch weniger für BAföG ausgegeben wird und dassfür Ausbildungsplätze, für Jugendliche und für Rentnerebenfalls weniger Gelder zur Verfügung stehen. Es istheute schon klar, dass sowohl die Kosten des Krieges alsauch die Kosten des Kampfes gegen den Terrorismusvon den sozial Schwachen in diesem Land getragen wer-den sollen.Meine Damen und Herren, die Debatte, die wir darüberim Innenausschuss gehabt haben, hat gezeigt, dass völligkritiklos Mehrausgaben von rund 500 Millionen DM ver-anschlagt werden. Dieses Geld hat der Innenminister zu-sätzlich zur Verfügung. Wir haben nicht eine einzigeGefahrenanalyse vorgelegt bekommen. Erst recht wurdenicht – was viele Politiker und Politikerinnen in diesemLand gefordert haben – jede Ausgabe sehr genau hinter-fragt, vor allem im Hinblick auf ihre Effektivität, wie manes gerade in einer Zeit der wirtschaftlichen Krise tun muss.Diese Debatte zu führen war im Innenausschuss überhauptnicht möglich. Wer weiß, wie unvollständige Anträge undMaterialien erst unmittelbar zu den Beratungen vorgele-gen haben, weiß, wie schwer es war, über diese Effekti-vitätsfragen tatsächlich zu diskutieren.Es liegen Anträge vor, 100Millionen DM mehr für denZivil- und Katastrophenschutz, für die Förderung des in-terreligiösen Dialogs und der politischen Bildung undAufklärung auszugeben. Diese Anträge halten wir für ver-nünftig, wenn auch nicht für ausreichend. Die PDS hat zudiesen Punkten eigene Anträge vorgelegt.Genauso selbstverständlich sollte es eigentlich sein,dass der Bund die Mittel für die Hauptstadtsicherung– auch dazu haben wir einen Antrag vorgelegt – aus sei-nem eigenen Etat zahlt und nicht das Land Berlin damitbelastet.Meine Damen und Herren, es hätte viele Möglichkei-ten gegeben, im Innenhaushalt Umschichtungen vorzu-nehmen. Ich möchte daran erinnern – entsprechende An-träge haben wir ebenfalls vorgelegt –, dass Einsparungenbei den Vertriebenenverbänden, bei den immensen Kos-ten der Abschiebung von Flüchtlingen und nicht zuletztauch bei den Etats für die Geheimdienste möglich gewe-sen wären. Gerade in der jetzigen wirtschaftlichen Situa-tion müssen sehr genau die Dinge hinterfragt werden, diezum Kampf gegen den Terrorismus beschlossen werden.Der Bundesgrenzschutz – das ist mein nächsterSchwerpunkt – wird in diesem Jahr gigantisch aufgerüs-tet: 38 000 Planstellen gibt es bereits, 2 000 neue sollenjetzt hinzukommen. Das bedeutet einen Etat von 340Mil-lionen DM. Das sind mehr als 10 Prozent Steigerung ge-genüber dem letzten Jahr. Noch vor einigen Monaten ha-ben die Beschäftigten des Bundesgrenzschutzes zu Rechtüber ihre Aufgabenstellung diskutiert und ihre Zukunfthinterfragt. Wir alle wissen: Die Osterweiterung kommtund die Kontrollaufgaben an den Ostgrenzen werdenkünftig wegfallen. Von daher ist diese Erhöhung über-haupt nicht nachvollziehbar.Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass bei denKontrollen des Bundesgrenzschutzes in Zügen und Bahn-höfen, die sich vor allen Dingen gegen Flüchtlinge rich-ten, immer wieder Übergriffe gegen Flüchtlinge statt-gefunden haben; gerade Flüchtlings- und Menschen-rechtsorganisationen kritisieren, dass es hier zu rassisti-schen Übergriffen kommt und der Bundesgrenzschutzseine Trefferquote vor allen Dingen dadurch erzielt, dasser Flüchtlinge, die die Residenzpflicht verletzt haben,ausfindig macht bzw. sie entsprechend verfolgt.Unglaubwürdig für uns ist auch die Politik, die Innen-minister Schily im Bereich der Flugsicherheit zur De-batte stellt. Auf der einen Seite werden weiterhin Bundes-grenzschutzbeamte von der Flughafensicherung abge-zogen. Auf der anderen Seite werden die Ausgaben fürprivate Sicherheitsfirmen aufgestockt, die übrigens häu-fig mit befristeten Arbeitsverträgen arbeiten und für Bil-liglohnjobs bekannt sind. Eine solche Sicherung des Luft-verkehrs führt unserer Meinung nach zu Lohndrückereiund Sozialabbau im Flughafenbereich. Das machen wirnicht mit.
Für das Bundeskriminalamt wollen Sie 160 Milli-onen DM mehr ausgeben; das entspricht einer 30-pro-zentigen Erhöhung des Etats. 244 Planstellen sollenzusätzlich geschaffen werden. Hier ist schon dasINPOL-neu-System angesprochen worden. Dieses Da-tenfahndungssystem hat den Steuerzahler in der Tat schonüber 100 Millionen DM gekostet. Jetzt ist es, wie hierschon gesagt wurde, veraltet und wird aller Wahrschein-lichkeit nach gar nicht weiter ausgebaut, sondern es wirdwahrscheinlich ein neues System angeschafft, das eben-falls wieder sehr viel Geld kostet. An dieser Stelle möchteich hinzufügen, dass das Bundesinnenministerium bisheute die Misswirtschaft im BKA nicht aufgeklärt hat.Hier muss endlich Klartext geredet werden, wieso so vieleMillionen bisher in der Institution BKAverplempert wor-den sind.Im Haushalt lese ich auch, dass das BKA zukünftigzehn Panzer für 2,7 Millionen Euro erhalten soll. Ich wie-derhole: Es steht dort „Panzer“, nicht „gepanzerte Fahr-zeuge“, wie manche Vertreter des Innenministeriums derPresse weismachen wollten. Ich frage Sie jedenfalls hier– Herr Schily kann mir darauf vielleicht eine Antwort ge-ben –: Wozu braucht das BKA Panzer?Ein weiterer wichtiger Bereich ist das Bundesamtfür Verfassungsschutz. Es soll im nächsten Jahr269 Millionen DM bekommen, also 30 Millionen DMmehr als im vergangenen Jahr. Ich möchte hier in allerKlarheit sagen, dass es gerade die Geheimdienste am
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allerwenigsten verdient hätten, für ihre Tätigkeiten be-lohnt zu werden; denn im Zusammenhang mit der Ter-rorismusaufklärung muss man feststellen, dass es in derVergangenheit weder von deutschen noch von amerika-nischen Geheimdiensten Hinweise auf die Anschlägegegeben hat. Das Gegenteil ist der Fall: Die Geheim-dienste haben sehr dazu beigetragen, dass die Talibanund Bin Laden zu dem geworden sind, was sie heutesind. Es kann einfach nicht sein, dass Geheimdienste fürTätigkeiten belohnt werden, die sie keineswegs effektivausgeführt haben.Insgesamt ist zu bemerken: Der größte Teil der Mehr-ausgaben für den Bundesgrenzschutz, für das BKA undfür den Verfassungsschutz wird von der Regierung damitbegründet, dass sich diese Ausgaben aus dem neuen Anti-terrorpaket ergeben. Ich frage den Innenminister: Wie istes eigentlich möglich, im Haushalt Ausgaben für Maß-nahmen einzustellen und haushaltstechnisch zu verarbei-ten – konkret das Antiterrorpaket –, die vom Parlamentüberhaupt noch nicht verabschiedet wurden? Das zeigt,dass sich der Innenminister nicht gerade durch eine sehrseriöse Haushaltsführung auszeichnet.Zum Stichwort Rechtsextremismus. Ich muss fest-stellen, dass die Zahl der Straftaten in diesem Bereich kei-neswegs zurückgegangen ist. Trotzdem wird auch hierweiterhin bagatellisiert und verharmlost. Ich möchte indiesem Zusammenhang an den Antrag erinnern, der vonder SPD, den Grünen, der FDP und der PDS verabschie-det worden ist. Davon ist aber bis jetzt nicht ein einzigerPunkt in der Praxis umgesetzt worden. Die PDS hat hierzuHaushaltsanträge gestellt, zum Beispiel zur unabhängigenBeobachtungsstelle für den Kampf gegen den Rechtsex-tremismus und zu einer umfassenden Studie über denRechtsextremismus in der Bevölkerung. Wir sind derMeinung, dass daraus entsprechende Maßnahmen resul-tieren könnten, damit Straftaten und Gewalt endlich einEnde haben.Nichts von alledem ist beschlossen worden. Die SPDund die Grünen wissen ganz genau, dass es vor allem derInnenminister selbst ist, der die Umsetzung dieser An-träge verhindert. Es wurde allenfalls ein kleines Bonbonfür die Fraktion der Grünen und der SPD ausgeteilt, in-dem man das Civitas-Programm aufgestockt hat. Das istzwar zweifellos ein wichtiger Erfolg. Aber das reicht beiweitem nicht aus.
Frau Kol-
legin Jelpke, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja. – Zum Schluss möchte ich auf
die Integrationspolitik zu sprechen kommen. Es ist wirk-
lich eine Farce: 1,5 Millionen DM sollen für die Integra-
tion von Ausländern, aber 30Millionen DM sollen für Ab-
schiebung der Flüchtlinge, Ausreisezentren und ähnliche
repressive Maßnahmen zur Abstimmung gestellt und aus-
gegeben werden. Integration kann man nicht nur fordern,
sondern man muss sie auch praktisch umsetzen. Dazu
gehört die Bereitstellung entsprechender Mittel, die eine
Integrationspolitik ermöglichen.
Danke.
Das Worthat jetzt der Bundesinnenminister Otto Schily.
Herren Kollegen! Die Markenzeichen der Bundesregie-rung sind die folgenden: die Stärkung der inneren Sicher-heit und damit der Freiheit der Bürgerinnen und Bürger,die Stärkung des Rechtsstaates und die Stärkung des Zu-sammenhalts in der Gesellschaft. Das findet sich auch inden Haushaltszahlen wieder.Ich möchte es in der gleichen Weise wie meine FrauKollegin Däubler-Gmelin handhaben und mich zunächsterst einmal bei den Haushältern bedanken, die in wirklichsehr konstruktiven Beratungen dazu beigetragen haben,dass das Bundesministerium des Innern und die ihm zu-geordneten Sicherheitsinstitutionen mit den notwendigenSach- und Personalmitteln ausgestattet werden.
Der Dank richtet sich selbstverständlich auch an die Mit-glieder des Innenausschusses und an das Bundesfinanz-ministerium, das in diesen Fragen sehr konstruktiv mituns zusammengearbeitet hat.Auch das will ich in gleicher Weise wie meine Kolle-gin handhaben: Ein besonderer Dank geht an die Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter meines Hauses, die auchdafür gesorgt haben, dass dieser Haushalt beizeiten zu-stande kommen konnte.
Meine Damen und Herren, wir könnten heute einigeBeratungen vorwegnehmen, die uns erwarten, zum Bei-spiel die Beratung über die Antiterrorgesetzgebung. ImPlenum haben wir schon darüber gesprochen. Wir befin-den uns jetzt in Gesprächen mit den Länderinnenminis-tern und den Vertretern im Bundesrat. Ich glaube, es istheute nicht der Tag, darauf einzugehen.Ich will Ihnen aber nicht vorenthalten, dass wir mit denLandesregierungen selbstverständlich auch über kon-struktive Anregungen, die aus diesem Kreise hier kom-men, sprechen. Da spielt für mich die politische Farbenicht die entscheidende Rolle. Entscheidend ist vielmehr,ob es sich um sachlich gebotene und sachlich begründbareAnregungen handelt. Wir werden sie danach prüfen undgegebenenfalls verwerfen. Das ist doch ein ganz vernünf-tiger und richtiger Maßstab.Ich will heute auch nicht die Gelegenheit wahrnehmen,über ein anderes Projekt, über das Zuwanderungsrecht,das aktuell zur Diskussion steht, zu sprechen. Wir sind derMeinung, dass diejenigen, die ihr Mandat verantwortlich
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Ulla Jelpke19996
handhaben – damit meine ich sowohl die Abgeordnetendes Bundestages als auch die Vertreter des Bundesrates –,die Beschäftigung mit dieser Frage nicht als parteitakti-sches Manöver verstehen sollten. Sie sollten vielmehr an-hand sachlicher Fragen den vorliegenden Gesetzentwurfprüfen.
Hier ist ja an dem Haushaltstitel, der für die Öffent-lichkeitsarbeit vorgesehen ist, Kritik geübt worden. Soviele Mittel für Öffentlichkeitsarbeit, die ich bräuchte, umden Unsinn, den Sie über den Inhalt des Zuwanderungs-gesetzes verbreiten, in der Öffentlichkeit zu widerlegen,könnte ich Ihnen gar nicht abverlangen.
Das Zuwanderungsgesetz dient der Begrenzung undSteuerung der Zuwanderung. Ich habe noch die Worte vonFrau Merkel im Ohr, die den einen oder anderen Sachver-halt tadelte. Nur, all das, was sie beklagt, geschieht auf derGrundlage des geltenden Rechtes. Deshalb besteht Verän-derungsbedarf. Sie sollten sich wieder der Beschäftigungmit den Sachfragen zuwenden. Ich bin sehr optimistisch.Denn Sie haben auch in Ihren Reihen vernünftigePersönlichkeiten – das ist gut und schön –, mit denen mansprechen kann. Deshalb wird es uns gelingen, zu einerguten Entscheidung zu kommen.Was die humanitären Fragen angeht, sollten wir nichtmit irgendwelchen Schablonen arbeiten. Ein Beispielmöchte ich herausgreifen: die geschlechtsspezifischeVerfolgung. Es muss möglich sein, ein 15-jähriges pakis-tanisches Mädchen, das zu uns gekommen ist und das,wenn wir es in sein Heimatland zurückschicken würden,dort gesteinigt würde, weil es sich wie in Deutschland üb-lich verhalten hat, was den dortigen Vorstellungen, wieman sich als junges Mädchen verhalten sollte, nicht ent-spricht, hier zu behalten. Niemand kann verantworten,dass ein solches junges Mädchen in sein Heimatland zu-rückgeschickt wird.
Herr Bun-
desminister, erlauben Sie – –
Bitte schön,
Herr Marschewski.
Das Wort
erteilt der Präsident, Herr Bundesminister.
Sie haben
doch gerade gefragt.
Ich frage
Sie, ob Sie dies zulassen. Wenn Sie dies zulassen, dann
gebe ich Herrn Marschewski das Wort.
Herr Präsi-
dent, ich habe Ihre Frage geahnt und sage jetzt: Gerne
nehme ich eine Frage des Kollegen Marschewski ent-
gegen.
Herr
Marschewski, bitte schön.
Herr Bundesinnenminister, sind Sie mit mir der Meinung,
dass dieser von Ihnen geschilderte traurige Fall auch nach
derzeit bestehendem deutschen Recht so geregelt würde,
dass dieses Mädchen natürlich nicht in ihre Heimat
zurückmüsste?
Herr
Marschewski, da haben Sie insofern Recht,
als nach dem heute geltenden § 53 Abs. 6 des Ausländer-
gesetzes in der Tat nicht abgeschoben würde. Aber dieses
Mädchen hätte nur einen Duldungs- und keinen verlässli-
chen Rechtsstatus. Die Drohung der eventuellen Rück-
kehr würde bestehen bleiben. Sie hätte dadurch einen
enormen psychischen Druck auszuhalten. Das müssen wir
beseitigen.
Herr Marschewski – wenn ich das noch sagen darf –,
gerade die Schicksale der auf dem Balkan Traumatisier-
ten, die nach schrecklichsten Erfahrungen zu uns gekom-
men sind, die mehrfach Vergewaltigungen und Folter er-
litten und sich in Folterlagern befunden haben, habe ich
vor Augen. Es ist uns gelungen – dafür bedanke ich mich
bei den Länderinnenministern –, diesen Menschen durch
eine „Vereinbarung“ – ich habe mich dafür sehr lange ein-
setzen müssen – einen verlässlichen Aufenthaltsstatus in
Form einer Aufenthaltsbefugnis zu geben. Warum wollen
Sie das nicht in Zukunft generell regeln, damit wir nicht
lange verhandeln und die Menschen nicht über Jahre ei-
ner solchen Bedrohung, die übrigens auch die Heilung
von traumatischen Erfahrungen erschwert, aussetzen
müssen? Warum sollen wir das nicht in Zukunft verläss-
lich regeln? Das entspräche dem humanitären und mora-
lischen Niveau dieser Gesellschaft.
Herr Bun-desminister, erlauben Sie zwei weitere Zwischenfragen,
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Bundesminister Otto Schily19997
einmal von Herrn Marschewski und einmal vom KollegenWiefelspütz?
Bitte schön.
Ich würde
aber bitten, dann keine Zwischenfragen mehr zu stellen.
Herr Bundesinnenminister, sind Sie mit mir der Auffas-
sung, dass Ihre Darstellung dem deutschen Volk gegen-
über zunächst den Eindruck erweckte, dass dieses
Mädchen nach Hause zurückmuss,
und sind Sie weiterhin mit mir der Auffassung, dass eine
Duldung erteilt wird, aus der auf Dauer eine be-
standskräftige Aufenthaltsgenehmigung entstehen kann,
wenn wir das rechtlich wollen und wenn die Ausländer-
behörden das wollen, und dass dieses Mädchen nicht der
Gefahr unterliegt, dauernd in Angst zu leben und in ihr
Heimatland zurückgehen zu müssen?
Herr Kollege
Marschewski, zunächst einmal muss ich Sie darauf hin-
weisen – Sie sind ja ein Kollege mit langjähriger Erfah-
rung und guten Kenntnissen im Ausländerrecht –,
dass die Duldung kein Aufenthaltstitel ist, sondern nur
eine, wenn Sie so wollen, Aussetzung des Vollzuges der
Ausweisungsentscheidung. Insofern liegen Sie in Ihrer
Beurteilung falsch. Ich glaube, dass wir, wenn wir es ge-
nau durchdenken, auf dem richtigen Wege sind.
Übrigens ist das keine Asylentscheidung.
Es wird nur ein verlässlicher Rechtsstatus hergestellt. –
Vielen Dank für Ihre Fragen, Herr Marschewski.
Kollege
Wiefelspütz, bitte schön.
Herr Bundesinnenminis-
ter, können Sie uns vor dem Hintergrund des bedauerns-
werten Falls der jungen Frau, den Sie angesprochen ha-
ben, vielleicht sagen, ob mein Eindruck richtig ist, dass
der saarländische Ministerpräsident Peter Müller, CDU,
in dieser Frage zu denselben Ergebnissen und zu demsel-
ben Vorschlag kommt wie der Bundesinnenminister, oder
gibt es da Unterschiede?
Mir ist be-
richtet worden – ich kann das nur so darstellen –, dass
Herr Ministerpräsident Müller, der ja als Vorsitzender
einer Zuwanderungskommission der CDU dafür verant-
wortlich ist, in der CDU ein sehr gutes Papier zustande
gebracht zu haben – das muss ich immer wieder hervor-
heben –, in einer öffentlichen Versammlung gesagt hat,
man müsse dem Rat der Kirchen folgen, auch bei der
Frage der nicht staatlichen Verfolgung und der ge-
schlechtsspezifischen Verfolgung zu neuen, verlässlichen
Regelungen zu kommen. Dem haben wir entsprochen.
Deswegen sollte bei der Frage eines Kompromisses in Be-
zug auf die Zuwanderung nicht eine solche Hürde aufge-
baut werden.
Im Übrigen – wenn ich das, Herr Kollege Wiefelspütz,
noch zu Ihrer Frage sagen darf – ist es ja so: Herr Minis-
terpräsident Müller gehört der CDU an, die durch ihre Na-
menswahl sehr deutlich zum Ausdruck bringt – bleiben
Sie ruhig stehen, Herr Kollege Wiefelspütz; das ist noch
immer die Antwort auf Ihre Frage und so ist doch der par-
lamentarische Brauch –,
dass sie sich zugute hält – Herr Özdemir hat ja gesagt, das
sei nicht seine Zuständigkeit, aber die CDU legt großen
Wert darauf –, in sehr intensiver Beziehung zu den beiden
großen christlichen Kirchen zu stehen. Auch ich als Kir-
chenminister lege großen Wert auf den Rat der Kirchen.
Ich war ja gerade im Petersdom in Rom bei einer Heilig-
sprechung, nicht bei meiner eigenen, aber der der Seligen
Crescentia. Deshalb empfehle ich Ihnen doch, den Rat der
Kirchen bei diesen Fragen stärker zu beachten.
Herr Bun-
desminister, Fragen sollen kurz beantwortet werden. Ich
bitte darum.
Ich bedankemich.Ich will mich heute zu den gesetzgeberischen Maß-nahmen nicht so stark auslassen. Dazu besteht bei ande-ren Plenardebatten Gelegenheit. Aber ich finde, dass derKollege Stadler bei früherer Gelegenheit zu Recht daraufhingewiesen hat, dass man nicht nur an gesetzgeberischeMaßnahmen, sondern auch an den Gesetzesvollzug den-ken muss. Ich gebe Ihnen vollkommen Recht: Wenn derGesetzesvollzug richtig stattfinden soll, muss man dafürsorgen, dass die entsprechenden Institutionen ausreichendmit Personal und Sachmitteln ausgestattet werden.Bezogen auf die gesetzgeberischen Maßnahmen willich ganz generell sagen, dass wir auf Bedachtsamkeit undSorgfalt durchaus Wert legen sollten; denn die Rechtsnor-men – das ist, wie ich glaube, ein ganz wichtiger Hin-weis – müssen auch dem Rechtsgefühl der Menschen ent-
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms19998
sprechen. Das heißt, dass die Akzeptanz der Rechtsnor-men von großem Wert ist. Wenn sie das nicht sind und wireine Rechtsnorm beschließen – wir sind Mitglieder derGesetzgebungskörperschaft –, die die Menschen nicht ak-zeptieren, dann funktioniert sie auch nicht. Deshalb ist dasso wichtig.Herr Hoyer, ich war etwas erstaunt über Ihre Aus-führungen bezüglich der Haushaltsmittel. Sie haben be-hauptet, dass wir uns bei den Mitteln für die innere Si-cherheit sozusagen als „Sparkassen“ bedient hätten. Dasist schlichtweg falsch. Sie sind mir doch als jemand be-kannt, der die Haushaltszahlen sehr genau liest.
Deshalb bitte ich Sie, noch einmal nachzulesen. Dann er-kennen Sie – das kann Ihnen ja nicht verborgen gebliebensein –, dass wir in den Jahren, in denen wir regieren, dieMittel für die innere Sicherheit kontinuierlich erhöhthaben. Die Anhebung beträgt über 11 Prozent. Das ist, ge-rade unter den Bedingungen der Haushaltskonsolidie-rung, die wir bewerkstelligen müssen
und an der sich auch der Innenminister solidarisch betei-ligen muss, ein gutes Ergebnis. Sie sind auch nicht ganzunschuldig daran, dass wir das machen müssen.
Wir haben einen überschuldeten Haushalt übernommen.Wegen der Überschuldung hätten wir die Erbschaft ei-gentlich ablehnen müssen. Das ging nun leider nicht.
Jetzt wird der Haushalt konsolidiert und wir müssen unsdaran beteiligen.
Trotzdem haben wir die Mittel um 11 Prozent angehoben.Sie haben den Zivilschutz erwähnt. Ich denke, Sie soll-ten nicht übersehen, dass Sie die Aufwendungen für denZivilschutz in den zurückliegenden Jahren um 200 Milli-onen DM gesenkt haben.
Herr Hoyer, wir sollten fair miteinander umgehen: Ichglaube, dass wir uns alle dabei geirrt haben. Bei diesemThema fand ich Herrn Stoiber ehrlicher. Ich habe es nochim Ohr. Es war zwar nur im stillen Kämmerlein, aber imKreise der Ministerpräsidenten und gegenüber dem Bun-deskanzler war er wenigstens ehrlich. Er hat gesagt, dasssich dabei alle geirrt haben, dass alle dachten, die Kon-frontation sei zu Ende und deshalb die Mittel abgebautworden sind. Ich bin genauso ehrlich und sage, dass wirdas erst einmal eine Weile fortgesetzt haben. Wir solltenuns gegenseitig nichts vormachen.
Ich nehme allerdings für uns in Anspruch, dass wir die-sen Fehler nicht erst am 11. September erkannt haben,sondern schon zu einem früheren Zeitpunkt.
Wir haben gesagt, dass wir das Steuer an der Stelle he-rumreißen müssen. Wir haben das getan. Sonst hätten wirden Ländern die 650 Fahrzeuge für den Zivilschutz jetztnicht zur Verfügung stellen können; darunter befindensich 340 ABC-Erkundungsfahrzeuge und eine ganzeReihe von Dekontaminierungs- und Sanitätsfahrzeugen.Sonst wäre es uns nicht gelungen, in diesen Tagen ein sa-tellitengestütztes Warnsystem operabel werden zu lassenund das deutsche Notfallinformationssystem zu etablie-ren. Das alles ist schon geschehen.
Ich sage nicht, dass deshalb die Aufgaben schon erfülltsind. Das sagt niemand. Wir waren aber nicht untätig.Jetzt stocken wir die Mittel weiter auf.
Ich lasse nicht durchgehen, dass die Länder immer da-nach fragen, was denn der Bund mache. Ich bin – zusam-men mit einigen Innenministern der Länder – der Mei-nung, dass die scharfe Abgrenzung zwischenKatastrophen- und Zivilschutz nicht mehr aktuell ist. Dasbedeutet aber nicht, dass sich die Länder aus der Verant-wortung verabschieden können. Der Katastrophen-schutz liegt schwerpunktmäßig in ihrer Verantwortung.Sie müssen das ihre dazu beitragen. Lassen Sie uns danicht schwarzer Peter spielen, sondern gemeinsam nachLösungen suchen. Ich finde es durchaus positiv, dass dasim Kreise der Innenminister auch geschieht.Es ist hier schon mehrfach angesprochen worden – des-halb brauche ich darauf nicht viele Wort zu verwenden –,dass wir beim Bundesgrenzschutz ganz erhebliche Perso-nalveränderungen mit Stellenhebungen und Beförderun-gen vorgenommen haben. Wenn Sie die Gesamtzahl vonfast 16 000 Beförderungen in der Zeit von 1999 bis Ende2002 vor Augen haben, dann müssen Sie anerkennen, dassdas eine wirklich großartige Leistung ist. Bei den Stellen-hebungen kommen wir auf eine Verdopplung imJahre 1999 und eine Verdreifachung im Jahre 2000. Wirsetzen dieses Programm jetzt fort, sodass wir die Struk-turverbesserungen beim Bundesgrenzschutz, die die alteRegierung erst für 2010 vorgesehen hat, bereits imJahr 2003 bzw. 2004 erreicht haben werden. Ich glaube,daran kann man erkennen, in welcher Weise wir uns fürdie innere Sicherheit engagieren.
Herr Hoyer, Sie haben die Frage der Ausstattung zumBeispiel des Bundeskriminalamtes mit Verwaltungsper-sonal angesprochen, die uns allen geläufig ist. Das ist si-cherlich nicht erfreulich; das will auch niemand leugnen.Aber mit den linearen Stellenkürzungen um 1,5 Prozent
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Bundesminister Otto Schily19999
haben Sie in Ihrer Regierungszeit angefangen. Leiderwird das noch immer fortgesetzt. Gleichwohl haben wirjetzt im Rahmen des Antiterrorpaketes im Bereich desBundeskriminalamtes für eine bessere Ausstattung mitVerwaltungspersonal gesorgt. Es werden 470 Planstellenim Verwaltungsbereich geschaffen. Das steht in einem ge-wissen Widerspruch zu den linearen Stellenkürzungen um1,5 Prozent. Das muss in der Zukunft bereinigt werden;das ist uns diesmal nicht gelungen. Ich wäre dankbar,wenn wir beim nächsten Mal noch einmal darüber bera-ten würden; der Kollege Weißgerber hat sich freundli-cherweise dafür eingesetzt.
Aber immerhin: Unter dem Strich haben wir eine bessereAusstattung mit Verwaltungspersonal, als es bisher derFall war.Von mehreren Seiten sind die Integrationsmaßnah-men angesprochen worden. Darüber werden wir bei an-derer Gelegenheit, im Rahmen des Zuwanderungsgeset-zes, noch zu sprechen haben. Sie erwecken aber natürlicheinen völlig falschen Eindruck – ich glaube, es war Herrvon Hammerstein –, wenn Sie auf die 1,5 Millionen ver-weisen.
– Ja, das steht in meinem Haushalt, Herr vonHammerstein. Sie wissen aber, dass für die Integration imRahmen der Bundesregierung mehrere Ressorts zuständigsind. Sie erwecken hier einen völlig falschen Eindruck.
Ich hätte die 400 Millionen ja gerne komplett in meinemHaushalt; es ist aber nun einmal so, dass hier mehrereRessorts die Verantwortung tragen. Wenn Sie die entspre-chenden Haushaltstitel beim Ministerium für Familie, Se-nioren, Frauen und Jugend sowie beim Ministerium fürArbeit und Soziales mit berücksichtigen, dann kommenSie auf eine runde Summe von 400 Millionen, die wir fürIntegration einsetzen.Was die Spezialaufgabe der Integration von Aussied-lern angeht – das sage ich zu Herrn Koschyk –, so habenwir die Integrationsmaßnahmen hier ganz erheblich ver-stärkt. Wir haben allerdings auch einige Investitionen – ir-gendwo in der Ferne – gekürzt. Sie können die Investiti-onsruinen gerne besichtigen. Da haben wir demschlechten Geld nicht noch gutes Geld hinterher gewor-fen. Das ist auch richtig.
Ich freue mich sehr über die freundlichen Worte an dieAdresse der Bundeszentrale für politische Bildung. Ichglaube, dass gerade diese Bundeszentrale hervorragendeArbeit leistet. Bei der Gelegenheit gratuliere ich auchihrem Präsidenten, Thomas Krüger, zur Verleihung desBundesverdienstkreuzes. Er hat es verdient.
Ich will noch zwei Bemerkungen zu INPOL
machen. Herrn Marschewski und anderen, die sich dazuvielleicht noch äußern werden oder sich dazu schongeäußert haben, möchte ich sagen: Das ist ein sehrschwieriges Gemeinschaftsprojekt von Bund und Län-dern, gar keine Frage. Die positiven Auskünfte, die unsalle zunächst einmal beflügelt haben, haben sich zum Teilals nicht tragfähig erwiesen. Daraus mache ich gar kei-nen Hehl. Den Zug auf die Schiene gesetzt haben aller-dings andere. Darüber will ich jetzt den Mantel derBarmherzigkeit breiten, weil ich nichts davon halte, hierirgendjemandem die Schuld oder die Verantwortungdafür zuzuschieben. Wir müssen dieses Problem lösen.Das ist ein außerordentlich ehrgeiziges Projekt mit einerhöchst modernen Technik.Vielleicht haben sich einige mit den Anforderungen andas, was dieses System leisten soll, etwas übernommen.Das kann sein. Darüber müssen wir reden. Hier stehen ei-nige in der Verantwortung. Wir müssen das Problem aberzukunftsorientiert lösen. Wir sind dabei und ich bin zu-versichtlich, dass wir dies in Zusammenarbeit zwischenLändern und Bund schaffen. Darüber, ob alle für die Lei-tung dieses Projekts gewählten Konstruktionen ideal wa-ren, will ich hier nicht diskutieren. Dazu haben wir bei an-derer Gelegenheit die Möglichkeit.Eines will ich hier aber sehr deutlich zum Ausdruckbringen: Die Behauptungen, die zum Teil im Umlauf sind,weil nämlich dieses System jetzt in Schwierigkeitenstecke, gebe es ein Defizit bei der inneren Sicherheit, sindschlicht falsch.
Abgesehen davon, dass dieses System auch nach der Pla-nung heute überhaupt noch nicht operabel sein sollte, son-dern dies erst für einen späteren Zeitpunkt vorgesehenwar, arbeitet das System INPOL-aktuell absolut einwand-frei. Insofern gibt es dort keine Einbußen.Weiterhin ist das Projekt zur Einführung eines digita-len Funknetzes angesprochen worden. Auch dies ist einschwieriges Unterfangen. Wir werden uns darum sehr in-tensiv zu kümmern haben. Es ist eine Investition, die indie Milliarden geht. Daher ist an dieser Stelle besondereSorgfalt geboten.Wir werden in dieser Woche auch noch Gelegenheithaben, zu der Reform der Beamtenversorgung Stellungzu nehmen. Deshalb will ich darauf nicht im Detail ein-gehen. Ich warne aber davor, dieses Thema polemischauszubeuten. Dass mich hier ein Vorwurf trifft, ist nichtsehr gerecht, denn das Problem liegt in erster Linie beiden Ländern. Der Bund könnte sich, wenn er sich verant-wortungslos verhalten wollte, zurücklehnen und sagen:Ich lasse alles laufen. Wir würden dabei sogar Profit fürden Bundeshaushalt machen. Aber die Länder kämen ingewaltige Schwierigkeiten. Deshalb empfehle ich Ihnenallen die Lektüre des Versorgungsberichts. Darüber müs-sen wir noch einmal gründlich reden. Wenn Sie diesensorgfältig lesen, werden Sie sehen, in welche Schwierig-keiten die Länder ohne den Bund kämen. Deshalb solltean der Stelle Polemik schweigen.
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Bundesminister Otto Schily20000
Im Übrigen möchte ich es als großen Erfolg feiern,dass wir bei der Zusatzversorgung zu einem sehr guten,vernünftigen und tragfähigen Ergebnis gekommen sind.
Ich möchte es an dieser Stelle nicht versäumen, meinerStaatssekretärin Zypries ein besonderes Lob für ihre Ar-beit auszusprechen.
Meine Damen und Herren, ich will am Schluss etwaszu einem Themenbereich sagen, der für uns sehr wichtigist. Das ist neben dem entschlossenen Einsatz von repres-siven Maßnahmen die Prävention. Dies gilt übrigens füralle Bereiche, auch für den Terrorismus. Alles das, waswir jetzt machen – auch in dem Gesetzespaket –, dient derVorbeugung terroristischer Aktivitäten. Ich bin mir übri-gens auch mit meinem Kollegen John Ashcroft einig, dassSchwerpunkt unserer Bemühungen sein muss, solcheschrecklichen Verbrechen, wie sie in New York und Wa-shington stattgefunden haben, in Zukunft zu verhindern.Deswegen ist alles richtig, was wir dafür einsetzen.
Das gilt aber auch für die allgemeine Kriminalität. Ichbin dem Bundespräsidenten sehr dankbar, dass er vor we-nigen Tagen die Sitzung des Kuratoriums und des Vor-standes des Deutschen Forums für Kriminalpräventioneröffnet hat. Diese haben ein sehr ehrgeiziges Programmfür Kriminalprävention in Spezialbereichen und auch inallgemeinen Bereichen vorgelegt. Daran können wir se-hen, welche Ergebnisse an der Stelle möglich sind. Diesgilt auch für die Gewaltkriminalität von Jugendlichen.Dort gibt es zum Teil positive Entwicklungen, die man ineinem größeren Zusammenhang sehen muss, so zum Bei-spiel, wenn Gewalt in der Erziehung zurückgedrängtwird. Hier sollten wir sehr genau hinschauen. Dann habenwir auch positive Ergebnisse zu erwarten.Ich bin am Ende meiner Redezeit angelangt. Deshalbwill ich mit einem Wort Senecas schließen:Am sicher Gegründeten und Unüberwindlichen übtder Angreifer seine Kraft nur zum eigenen Schaden.Dies ist ein Ratschlag an die nachfolgenden Redner derOpposition.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Wolfgang Bosbach von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schily, das, wasSie gerade gemacht haben, ist nicht in Ordnung. Sie ha-ben die Geschichte von dem 15-jährigen Mädchen, demin Pakistan die Steinigung droht, nur erzählt, um die Öf-fentlichkeit glauben zu machen, das geltende Recht würdekeine Schutzmöglichkeiten bieten.
– Lieber Günter, du hast jetzt Pause.Genau Sie waren es, der bis vor wenigen Tagen gesagthat, dass das deutsche Recht keine Schutzlücken kenne.
Wenn der Kollege Marschewski nicht die Frage ge-stellt hätte, ob die Rechtslage nicht falsch wiedergegebenwürde, dann hätten Sie dies nicht zugegeben. Sie habengesagt, dieses Mädchen würde immer mit der Drohung le-ben, dass sie zurückgeschickt werden könnte. Dann habenSie den Satz abgebrochen und eine völlig andere Ge-schichte erzählt. Der Satz hätte, richtig fortgeführt, endenmüssen: wenn die Gefahr für Leib und Leben nicht mehrbesteht. Genau das sieht das geltende Asylrecht vor. Siewollen doch einführen, dass kontinuierlich nach drei Jah-ren überprüft wird, ob eine Gefahr für Leib und Lebennoch besteht oder nicht. Das, was Sie erzählt haben, istgrober Unfug.
Wenn Sie ein solch schwaches Argument brauchen, umIhre Zuwanderungspolitik in der Öffentlichkeit zu ver-kaufen, dann ist die Politik, die dahinter steht, mit Sicher-heit noch schwächer. Es gibt eine unübersehbare Diskre-panz zwischen dem, was Sie sagen, und dem, was Sie tun,zwischen den vollmundigen Ankündigungen einerseitsund den dürftigen Ergebnissen andererseits. Dazu kommtdie mangelnde Bereitschaft oder Fähigkeit, die Entschei-dungen zu treffen, die dringend notwendig sind, um dieSicherheit unseres Landes dauerhaft zu stärken. Entschei-dend sind nicht Ihre starken Worte, sondern entscheidendsind Ihre schwachen Taten.Während die Bundesjustizministerin in der DisziplinZurückrudern geradezu beeindruckende Fähigkeiten zeigt– wäre Zurückrudern eine olympische Disziplin, bräuchteIhre Kollegin keine Gegner zu fürchten –, wechseln SieIhre Meinungen so schnell, dass man Mühe hat, festzu-stellen, welche Meinung Sie gerade in diesem Augenblickvertreten. Das ist ein Beweis dafür, dass es an überzeu-genden Konzepten und auch an einem klaren Kurs fehlt.November 1998 Originalton Otto Schily:Die Grenzen der Belastbarkeit durch Zuwanderungsind überschritten. Auch ein Zuwanderungsgesetzkann daran nichts ändern, denn die darin festzule-gende Zuwanderungsquote müsste auf null gesetztwerden.Im Klartext: Sie hatten damals die Auffassung, dassDeutschland durch den nach wie vor anhaltenden Zuwan-derungsdruck eine Last trägt, die das Land auf Dauer nichttragen kann. Das ist richtig. Deswegen ist es unbegreiflichund unverantwortlich, dass Sie jetzt einen Gesetzentwurf
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vorlegen, der nicht zu einer Reduzierung der Zuwande-rung, sondern zu deren Ausweitung führen wird.Zwar trägt das Werk die Überschrift „Steuerung undBegrenzung der Zuwanderung“. Der Inhalt besagt aberetwas ganz anderes.
Der Gesetzentwurf enthält im Hinblick auf Zuwande-rungsmöglichkeiten gegenüber dem geltenden Rechtkeine einzige Einschränkung. Er sieht aber erweiterteBleiberechte aus humanitären Gründen und neue Zuwan-derungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten für ausländi-sche Arbeitnehmer vor. Dies geschieht vor dem Hinter-grund von schon jetzt 4 Millionen registriertenArbeitslosen. Mit verdeckter Arbeitslosigkeit sind es weitüber 5,5 Millionen, Tendenz steigend. Dabei ist der Anteilder ausländischen Arbeitslosen doppelt so hoch wie ihrAnteil an der Bevölkerung.Warum sagen Sie den Bürgern nicht die Wahrheit?Warum sagen Sie nicht klipp und klar, dass Sie keine Re-duzierung, sondern eine Ausweitung der Zuwanderungwollen und dass dies auch in Ihrem Gesetzentwurf steht?Es steht zwar nicht obendrauf, aber mittendrin. Dort heißtes ausdrücklich, dass eine Begrenzung der Zuwanderungnicht länger im öffentlichen Interesse unseres Landes lie-gen soll.
Nicht nur der Gesetzentwurf ist nicht akzeptabel. Nichtakzeptabel ist auch, dass die Bundesregierung der Bevöl-kerung beim Thema Zuwanderung nicht sagen will, wo-hin die Reise geht. Zunächst geben Sie den Forderungender Grünen nach erweiterten Bleiberechten nach, obwohlSie bis vor kurzem immer noch richtigerweise gesagt ha-ben, dass das deutsche Recht keine Schutzlücken kennt.Dann haben Sie den Repräsentanten der Wirtschaft zuge-sagt, deren Wunsch nach verstärkter Zuwanderung aus-ländischer Arbeitnehmer auf den deutschen Arbeitsmarktzu erfüllen. Und dann erklären Sie der erstaunten Bevöl-kerung, dass beides zusammen im Ergebnis zu wenigerZuwanderung nach Deutschland führen wird. Das glaubtIhnen kein Mensch. Wir glauben es Ihnen erst recht nicht.
Dieser Regierung geht es um die Ausweitung der oh-nehin schon großen Zuwanderung nach Deutschland. Ge-nau das ist die Politik, die CDU und CSU nicht wollen,und mit uns auch nicht die breite Mehrheit der Bevölke-rung. Sie können zwar diese Politik mit Ihrer Mehrheit imDeutschen Bundestag durchsetzen. Aber wer in denebenso wichtigen wie sensiblen Bereichen Ausländer-politik, Asylrecht und Integration falsche Entscheidungentrifft und Politik gegen die Bevölkerung macht, der scha-det den Interessen des Landes und der wird scheitern.Auch in puncto innere Sicherheit geschieht nicht das,was eigentlich geschehen müsste. Hier bleiben Ihre Tatennicht nur weit hinter Ihren Ankündigungen, sondern auchhinter dem zurück, was für eine wirksame Bekämpfungdes Terrorismus unabdingbar notwendig ist. Durch denneuen § 129 b StGB wird nunmehr auch mit Strafe be-droht, wer Auslandsterrorismus unterstützt. Aber wennder Verfassungsschutz solche Terroristen abhören will,dann ist das nur erlaubt, wenn jemand eine Katalogstraftatnach dem G-10-Gesetz plant, begeht oder begangen hat.In diesem Katalog fehlt ausgerechnet der neue § 129 b desStrafgesetzbuchs.
Das ist entweder Absicht oder ein Versehen. Das soll abernicht geändert werden, Herr Ströbele. Das sieht der neueGesetzentwurf nicht vor.
– Eben weil es Quatsch ist – da haben Sie Recht –, geißelnwir das von dieser Stelle aus.Warum sollen die neuen Befugnisse für den Verfas-sungsschutz und den Militärischen Abschirmdienst nurbei sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichenTätigkeiten gelten, nicht jedoch, wenn „nur“ die freiheit-lich-demokratische Grundordnung der BundesrepublikDeutschland gefährdet ist? Das ergibt doch keinen Sinn.Nach Ihrem Gesetzentwurf müssten wir Ausländer selbstdann einreisen lassen, wenn vieles darauf hindeutet, dasssie sich extremistisch oder sogar terroristisch betätigenwollen.
Der Verdacht reicht nach dem, was Sie vorschlagen, nichtaus, solchen Ausländern die Einreise zu verweigern.
Bereits das Vorliegen hinreichend konkreter Verdachts-momente für die Gefährlichkeit muss doch genügen, umeinem Ausländer die Einreise in das Bundesgebiet zuverweigern.
Unter Sicherheitsgesichtspunkten muss man den Interes-sen Deutschlands und der hier lebenden Bevölkerung im-mer Vorrang vor den Interessen des verdächtigen Auslän-ders einräumen.
Herr Schily, gelegentlich muss man in einer KoalitionKompromisse schließen. Das mussten auch wir früher.Für uns ist und bleibt es jedoch unerträglich, dass Sie beider notwendigen Bekämpfung des internationalen Terro-rismus Kompromisse mit den Grünen zulasten der Si-cherheit unseres Landes und der Bürger geschlossen ha-ben.
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Unerträglich ist auch Ihr Umgang mit den Angehörigendes öffentlichen Dienstes, insbesondere mit den Soldaten,den Polizisten und allen anderen Beamten, die gestern inBerlin gegen Ihre unsozialen und ungerechten Pläne zurNeuregelung derAltersversorgung – genauer gesagt: zuderen Reduzierung – demonstriert haben. Auch die An-gehörigen des öffentlichen Dienstes, deren Organisati-onen und auch wir wissen, dass alle Alterssicherungssys-teme auf den Prüfstand gestellt werden müssen, auch dieder Beamten. Aber dabei muss es gerecht und sozialver-träglich zugehen. Genau das ist nicht der Fall.
Die Rentenreform wurde gerade nicht, wie von Ihnen ver-sprochen, wirkungsgleich und systemkonform übertra-gen. Vielmehr werden den Beamten, den Soldaten undden Richtern Sonderlasten auferlegt, ohne dass derenVorleistungen – ich nenne nur die Stichwörter „Versor-gungsabschlag“ und „Versorgungsrücklage“ – angemes-sen berücksichtigt worden sind.Noch vor wenigen Tagen haben dies neun von zehnSachverständigen bei der Anhörung des Innenausschussesbestätigt. Neun von zehn! Soweit erinnerlich, waren Sie,Herr Minister, nicht dabei. Dann lassen Sie sich bitte vondieser Anhörung berichten. Auch die von Rot-Grün gela-denen Experten haben nichts anderes gesagt. Der zehntemeinte allerdings, die Regierung solle wenigstens ihreBegründung ändern und zugeben, dass es nicht um eineReform der Alterssicherungssysteme, sondern um dasKassemachen gehe. Der zehnte war also ehrlich. Dannseien auch Sie es: Wechseln Sie wenigstens Ihre Be-gründung aus und geben Sie zu, dass Sie Kasse machenwollen!Um nur kein einziges Argument der Sachverständigenberücksichtigen zu müssen und um jede weitere öffentli-che Debatte zu verhindern, soll der Gesetzentwurf mitatemberaubender Geschwindigkeit noch in dieser Wochedurch das Parlament gebracht werden.
Diese harte und völlig kompromisslose Haltung hättenwir uns von Ihnen beim Kampf gegen die Kriminalitätund den Terrorismus gewünscht. Hier ist sie völlig fehl amPlatze.
Als
Helmut Wilhelm (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! In meinen Ausführungen beschränke ich mich aufden Einzelplan 33, Versorgung. In ihm sind die Ausgabenfür die Versorgung der Beamten und Richter des Bundes,der Soldaten der Bundeswehr und ihrer Hinterbliebenensowie einer Reihe anderer konkretgesetzlich normierterPersonen veranschlagt. Die im Einzelplan 33 ausgebrach-ten Ausgaben beruhen auf Rechtspflichten.Die Beamtenversorgung steht aber vor den gleichenProblemen wie andere Alterssicherungssysteme. Die all-gemeine demographische Entwicklung in Deutschlandführt zu einem raschen Anstieg der Ausgaben für die Be-amtenversorgung. Das hängt zum einen bekanntlich mitder stetig wachsenden Lebenserwartung zusammen. Fürdie nächsten 30 Jahre wird mit einer weiteren Steigerungvon zwei Lebensjahren gerechnet, was ja durchaus er-freulich ist.Zum anderen bewegt sich das durchschnittliche Ruhe-eintrittsalter in den letzten Jahren konstant auf niedrigemNiveau. Auch aufgrund der hohen Zahl der Frühpensio-nierungen liegt es zurzeit bei circa 59 Jahren. Diese bei-den Faktoren zusammen führen zu erheblichen Steigerun-gen der Versorgungsleistungen; das ist auch bekannt.Eine gewisse Brisanz bekommt die Frage der Versor-gung, wenn man sich die Tatsache vor Augen hält, dassdie durchschnittliche Pensionslaufzeit derzeit bei rund20 Jahren liegt. Sie ist gegenüber früherer Zeit also er-freulicherweise ebenfalls erheblich angewachsen. Hinzukommt der so genannte „Versorgungsberg“ als Folge derAusweitung des öffentlichen Dienstes in den 60er- und70er-Jahren. Die Pensionsaufwendungen von Bund, Län-dern und Gemeinden werden deshalb von heute bis zumJahr 2030 auf das Dreieinhalbfache ansteigen, nämlichvon rund 43 Milliarden DM auf dann rund 150 Milliar-den DM bzw. 75 Milliarden Euro. Aus alledem ergibt sichein erhebliches Finanzproblem.Den Regierungsfraktionen ist daran gelegen, die Be-amtenversorgung ebenso wie die Rentenversicherungzukunftsfähig zu erhalten. Danach soll die bereits be-schlossene Rentenreform durch das Versorgungs-änderungsgesetz 2001 wirkungsgleich auf die Beamten-versorgung übertragen werden. Details hierzu kann ichmir an dieser Stelle ersparen; dies wird Gegenstand derPlenardebatte sein, die wohl am Freitag stattfindenwird.An dieser Stelle aber bleibt anzumerken, dass sich be-reits durch die Einführung der Versorgungsrücklage ab1999 allein im Bundeshaushalt bis 2002 Einsparungen inHöhe von 261Millionen DM ergeben werden. In den Fol-gejahren bis 2010 ergibt die Abflachung des Versor-gungsniveaus aufgrund des Versorgungsänderungsgeset-zes 2001 voraussichtlich Einsparungen von insgesamt12 Milliarden DM bei Bund, Ländern und Gemeinden.Aufseiten des Bundes stehen dann 2,112 Milliarden DMzu Buche, bei den Ländern 8,691 Milliarden DM. DieNutznießer der Reform sind also in erster Linie die Län-der. Dies sollte dort auch Beachtung finden.
Die Hälfte der Einsparungen durch die Versorgungsni-veauabflachung wird der Versorgungsrücklage zugeführt.Sie verbleibt zugunsten der Versorgungssicherheit der Be-amten quasi „im Topf“, wird also dem System der Beam-tenversorgung nicht entzogen und dient dessen zukunfts-fähiger Absicherung.
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Dem werden aber kostensteigernde Maßnahmen durchdie steuerliche Förderung der privaten Altersvorsorge vonaktiven Beamten, Richtern und Soldaten gegenüberste-hen. Hieraus ergeben sich durch Steuermindereinnahmenim gleichen Zeitraum Belastungen von insgesamt über9,3 Milliarden DM, allein beim Bund von 4,203 Milliar-den DM. Er trägt in der Gesamtbetrachtung hier dieHauptlast.Es zeigt sich, dass die Bundesregierung ziel- und zu-kunftsorientiert das System der Beamtenversorgungdurch maßvolle Modifizierungen sichert und darüber hi-naus noch äußerst verantwortungsbewusst und länder-freundlich agiert.
Als
nächster Redner hat der Kollege Lothar Mark von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kollegin-nen! Liebe Kollegen! Ich werde über den Sport sprechen.
– Danke.Wir haben dem Sport wieder die Funktion zugewiesen,die ihm in unserer Gesellschaft zusteht, nämlich eineQuerschnittsfunktion. Gesundheitspolitik, Sozialpolitikund Integrationspolitik spielen hierbei zusammen. Geradefür die Integrationspolitik hat der Sport in der heutigenZeit eine besondere Bedeutung; denn im Sport lernt manFairness, toleranten Umgang und gewaltfreies Kräfte-messen. Dies ist notwendig, um fremdenfeindlichen Ten-denzen entgegenzutreten.Wir haben die Mittel für den Sport gegenüber dem Re-gierungsentwurf geringfügig erhöht, um diesen Zielenbesser zu entsprechen.
Wir fordern aber auch die Bundesländer auf, mehr für denSport zu tun, insbesondere für den Schulsport. Ich denkehierbei an die dritte Sportstunde.
Wir haben die Mittel für einige Bereiche erhöht. Unteranderem ist der Goldene Plan Ost wiederum mit 29 Mil-lionen DM ausgestattet. Zusätzlich sind Verpflichtungser-mächtigungen vorhanden, sodass die Sportstätten imOsten weiter auf Vordermann gebracht werden können. Esist zum großen Teil in Vergessenheit geraten, dass wir fürdas Olympiastadion in Berlin und für das Zentralstadionin Leipzig im Haushalt immerhin noch 76 Millionen Euroausweisen und damit dazu beitragen, dass die Fußball-weltmeisterschaft auch in Ostdeutschland stattfindenkann.
Den Ansatz für den Sportstättenbau für den Hochleis-tungssport haben wir um immerhin 0,7 Millionen Euroauf 18,8 Millionen Euro erhöht, weil bekannt ist, dassauch in Westdeutschland verstärkt Defizite im Sportstät-tenbau vorhanden sind.Ferner weise ich darauf hin, dass bei den zentralenMaßnahmen ebenfalls eine maßvolle Erhöhung um2,3 Millionen Euro erfolgt ist, weil wir erkannt haben,dass es in den letzten Jahren eine Erhöhung der Zahl derolympischen Disziplinen gegeben hat und wir bei derNachwuchsförderung, beim Leistungssport und beimleistungsbezogenen Behindertensport einiges zulegenmüssen.
Die nationale Dopingagentur wurde bereits erwähnt.Hierfür sind im Haushalt 10 Millionen etatisiert.
Wir hoffen, dass hierfür zusätzliche Gelder aus der Wirt-schaft eingeworben werden können.Ähnliches muss man hinsichtlich der Errichtung desFonds zur Entschädigung der DDR-Dopingopfer sagen,die Herr Dr. Hoyer erwähnte. Wir mussten diese Mittel al-lerdings sperren, weil noch viele Fragen zu klären sind,aber wir wollten ein deutliches Zeichen setzen. Hierzumüssen klare Kriterien erarbeitet und die rechtlicheGrundlage erst noch geschaffen werden. Es ist aber auchanzumerken, dass diese Entscheidung eigentlich überfäl-lig war,
denn von der Wiedervereinigung bis 1998 ist in dieserRichtung überhaupt nichts passiert.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die jüngsteAnhörung im Sportausschuss zum Thema „Bessere Rah-menbedingungen für Sportvereine“ ergab, dass die Anhe-bung der Übungsleiterpauschale von 2 400 DM auf3 600 DM ein richtiger Schritt war.
Der Personenkreis der davon Betroffenen sollte erweitertwerden. Die neue Regelung der Sozialversicherungsträ-ger zur Selbstständigkeit von Übungsleitern wurdeebenso als richtig eingestuft wie die Regelung der 630-Mark-Jobs, allerdings mit der Einschränkung – das sageich fairerweise dazu –, dass mann im Sport die Auffassungvertritt, dass nach wie vor zu viel Bürokratie dabei ist.
Schließlich wurde begrüßt, dass die Möglichkeit ge-schaffen wurde, bei Sportvereinen und Sportverbändenpräventive Gesundheitsmaßnahmen durchzuführen, weil
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dies die Krankenkassen in Zukunft entlasten wird und so-mit volkswirtschaftlich vertretbar ist.
Ich möchte auch noch darauf hinweisen, dass in denKommunen einiges in ihrer Einstellung zum Sport geän-dert werden muss. Wir hier können natürlich keine Vor-schriften machen, aber Anregungen geben. Wir befindenuns im Sport insgesamt in einer Umbauphase. Individua-lisierung und Kommerzialisierung nehmen genauso zuwie die gewerblichen Sportangebote. Trotzdem ist festzu-halten, dass sich das ehrenamtliche Engagement wederquantitativ noch qualitativ in einer Krise befindet; es gehtum die mangelnde Wertschätzung der Betroffenen. Mitden Erhöhungen entsprechend unserer Initiative tragenwir zu einer Aufwertung bei.
Ich möchte ferner darauf hinweisen, dass wir glückli-cherweise die Veränderung bei den Olympiastützpunk-ten zurücknehmen konnten, weil es neue Überlegungengibt. Es bleibt aber trotz alledem festzuhalten, dass derSpitzensport weiterhin effizienter gestaltet werden mussund dass auch über das eine oder andere Konzept neunachgedacht werden muss. Wir sind zu dieser Diskussionbereit.Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegen-den Sportetat machen wir deutlich: Sportpolitik ist für unsGesellschaftspolitik – in unseren Tagen wichtiger denn je.Der Sport ist bei Bundesinnenminister Otto Schily und beider Regierungskoalition in besten Händen.
Als
nächster Redner hat der Kollege Erwin Marschewski von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Die Feststellung, dass der terroristische Anschlag auf dieUSAdie Welt verändert hat, trifft die Wahrheit nicht voll-ständig. Im Etat des Bundesinnenministers jedenfalls hatsich gegenüber dem Regierungsentwurf vom Sommer zuwenig verändert. Inhaltlich und haushaltstechnisch – HerrSchily, lassen Sie mich dies so drastisch sagen – ist derEinzelplan noch von der Leichtigkeit des Sommers, nichtaber von der notwendigen Ernsthaftigkeit des Septembergeprägt.
1,5 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen sollten fürmehr Sicherheit sorgen, aber nur ein Sechstel davon stehtfür die innere Sicherheit bereit, leider nicht zur direktenVerfügung des Bundesinnenministers. Ich befürchte, dassdie Bekämpfung des Terrors, einem Strohfeuer gleich,bald wieder anderen Schwerpunkten weichen wird.Herr Minister, Ihr Haushaltsgerüst war schon im Som-mer nicht tragfähig. Sie haben eben nicht unsere Politikder Effizienzsteigerung fortgesetzt, sondern sind einenanderen Weg gegangen.Ich gebe Ihnen ein Beispiel, Herr Schily. Für die Be-reitschaftspolizei in den Ländern wollten Sie mittelfristigüberhaupt keine Mittel mehr zur Verfügung stellen. Auchwenn Sie jetzt die Kürzungen rückgängig machen, sobleibt doch festzuhalten: Es waren Kürzungen von 60 Pro-zent geplant, Herr Bundesinnenminister. Das ist nicht gutso, meine Damen und Herren!
Ein nächstes Beispiel. Beim Bundesgrenzschutz solltesogar die Zahl der Polizeivollzugsbeamten sinken – ge-ring nur, aber immerhin – und die Auswirkungen sinddramatisch. Zum Beispiel schlägt die Gewerkschaft derPolizei in meiner Heimatstadt Recklinghausen Alarm. Siespricht dort vom Ausverkauf der inneren Sicherheit.
Dort reicht das Personal der BGS-Bahnpolizeiwache fürden Schutz der Bevölkerung tatsächlich nicht mehr. ImBundesbahngrenzschutzbezirk Essen sind 60 Prozent derWachen bereits komplett geschlossen worden. Herr Bun-desinnenminister, das ist nicht in Ordnung.
In der „Welt“ steht, sie hätten – die dort genannte Zahlwird wohl stimmen; andernfalls wird sich der Ministergleich zu Wort melden – die Leitungsebene spürbar auf-gebläht. Die „Welt“ zählte am 19. November 47 Stellengegenüber 31 Stellen im Jahr 1998. Herr Bundesinnenmi-nister, innere Sicherheit verlangt mehr als bloße Worte.Sie müssen die an Sie gerichteten Forderungen erfüllen.
Die tatsächliche Gesetzesausführung – darauf hat meinKollege Max Stadler immer wieder hingewiesen – wirdbehindert und erschwert. Ich habe mehrfach die Forde-rung vorgetragen, endlich die strategische Fernmelde-kontrolle bedarfsgerecht zu verbessern. Wir hätten dieChance, Terroristen, die über Lichtwellenleiter Gesprächeführen, abzuhören. Wann wird dies endlich getan? Warumhaben Sie bei der Einführung des polizeilichen Fahn-dungscomputersystems INPOL versagt? MeineKollegin Bonitz und ich glauben, dass die 17 Millionen– ich weiß gar nicht, ob der Staatssekretär D-Mark oderEuro meint – nicht ausreichen werden, Herr Schily.
In aller Ruhe möchte ich auf ein weiteres Beispiel hin-weisen. Was ist mit der Einführung des Fingerabdruck-systems Eurodac, das zum Zwecke der Kontrolle vonAsylbewerbern geschaffen wurde? Seine Einführungwurde zwar beschlossen, aber nicht vollzogen.
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Herr Bundesinnenminister, Sie wissen ganz genau,dass Atta und der aus Tschechien ausgewiesene Geheim-dienstchef Iraks Al-Ani die Einschleusung von Terroris-ten als Asylbewerber geplant und durchgeführt haben. Ichsage Ihnen: Wäre Eurodac in Betrieb, wäre zumindesteine Aufdeckung dieses Gesetzesverstoßes möglich ge-wesen. Wann wird Eurodac eingeführt, Herr Bundesin-nenminister?
– Herr Ströbele, Sie als Garant der inneren Sicherheit, dasist wirklich ein Fest für mich. Das muss ich heute sagen.
Herr Bundesinnenminister, so werden Sie die innereSicherheit in unserem Lande nicht gewährleisten.
Kollegen der SPD, warum waren Sie im Ausschuss da-gegen, den Personalbestand im Polizeivollzugsdienst desBundes bedarfsgerecht auszubauen? Warum waren Sie,Günter Graf, dagegen, die Ausstattung der Polizeibeamtenmit Unterziehschutzwesten – es geht um die Fürsorge-pflicht gegenüber den Beamten – zu verbessern? Warumhaben Sie abgelehnt, die Zivilverteidigungsplanung be-darfsgerecht zu verbessern, was nötig wäre, meine Damenund Herren der SPD?
Herr Kol-
lege Marschewski, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Otto Schily?
Gern, natürlich.
Herr
Schily, bitte schön.
Herr Kollege Marschewski, Sie
haben Eurodac angesprochen. Ist Ihnen bekannt, dass das
Eurodac-Verfahren bereits während der deutschen Präsi-
dentschaft abgeschlossen wurde? Sie wissen, dass diese
Präsidentschaft in die erste Hälfte des Jahres 1999 fiel.
Die alte Bundesregierung hat nichts dergleichen zustande
gebracht. Wissen Sie, dass der Grund für die fehlende
Operabilität dieses Systems ein Streit ist, den nicht
Deutschland, sondern Frankreich zu vertreten hat? Frank-
reich vertritt die Auffassung, es dürfe nur ein Fingerab-
druck genommen und kein Abrollverfahren durchgeführt
werden. Ist Ihnen dieser Sachverhalt bekannt? Halten Sie
es für richtig, der Bundesregierung die Verantwortung
dafür zuzuschieben?
Herr Bundesinnenminister, dieser Sachverhalt ist mir
natürlich bekannt. Das wissen Sie.
Sie wissen auch, dass Eurodac noch nicht eingeführt wor-
den ist. Sie haben mir im Innenausschuss gesagt, das gehe
wirklich nicht. Eurodac muss eingeführt werden. Da sind
wir einer Meinung. Wer anders als Sie – die Opposition
etwa, der Bosbach oder der Marschewski? – muss Druck
machen? Sie sitzen am Hebel und müssen Druck machen,
damit dieses System wirklich greift und wir an die Terro-
risten herankommen, Herr Schily. Das ist das Problem.
Herr Kol-
lege Marschewski, erlauben Sie eine zweite Zwi-
schenfrage?
Bitte schön, ja.
Bitte
schön, Herr Schily.
Herr Kollege Marschewski, ist Ih-
nen bekannt – Sie haben den Namen Atta in dem Zusam-
menhang erwähnt –, dass sich das Eurodac-Verfahren auf
Asylbewerber und auf illegal sich in Deutschland oder in
anderen Ländern aufhaltende Personen bezieht
und mit dem Fall Atta insofern nichts zu tun hat? Ist Ihnen
das bekannt?
Ich habe bisher geglaubt, der Bundesinnenminister höreimmer zu. Das hat er bisher immer getan. Ich habe gesagt,Herr Schily, dass Herr Atta und Iraks GeheimdienstchefAl-Ani die Einschleusung von Terroristen als Asylbewer-ber geplant und durchgeführt haben. Es ist eine Sauerei,dass wir nichts dagegen machen.
Meine Damen und Herren, warum haben Sie es im In-nenausschuss abgelehnt, die Zivilverteidigungsplanungbedarfsgerecht zu verbessern? Ich sage Ihnen: Die Zivil-und Katastrophenschutzplanung muss ein Schwerpunktunserer Innenpolitik werden. Gerade in dem Bereich gibt
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
Erwin Marschewski
20006
es eine ganze Menge Fragen. Da wären Sie wieder an derReihe, Herr Bundesinnenminister.Frage eins: Was wollen Sie tun gegen die Freisetzungvon Chemikalien, von Krankheitserregern, von biologi-schen oder gar atomaren Kampfmitteln?Frage zwei: Sind wir gerüstet gegen die Wirkung star-ker elektromagnetischer Felder oder gegen das Ausschal-ten unserer Kommunikationsstränge?Frage drei: Sie haben durch die Presse publizieren las-sen, dass eine Warnlücke geschlossen worden sei. Wanntreffen Sie endlich die technischen Voraussetzungen, da-mit sich zum Beispiel Radio- und Fernsehgeräte automa-tisch einschalten, um die Menschen vor Ort zu informie-ren, nicht nur die Rundfunk- und Fernsehanstalten? Wanngeschieht das?
– Ja, Sie hatten über eineinhalb Jahre einen Versuch lau-fen, der nun beendet ist. Das ist doch das Problem: SolcheDinge müssen verbreitet werden, damit die Leute wirklichgewarnt werden.Die Schutzkommission beim Innenministerium – dasist doch Ihre Kommission, Herr Schily, nicht meine! – hatwörtlich gesagt, in den Kernbereichen des Zivilschutzesseien nach wie vor erhebliche Gefahrenpotenziale. Daswar Ihre Kommission; ich habe nur die Informationen.Ich glaube nicht, Herr Schily, dass durch die Auflösungdes Bundesamtes für Zivilschutz und durch die generellstiefmütterliche Behandlung des Kastastrophenschutzesin unserem Land in der Vergangenheit die richtigen Sig-nale gesetzt worden sind. Nehmen Sie die Warnung undMahnung Ihrer Kommission ernst und schaffen Sie einetragfähige Neuregelung der Maßnahmen des Zivil- undKatastrophenschutzes. Sie müssen die freiwilligen Helfermotivieren, statt sie, wie es derzeit geschieht, zu entmuti-gen.
Dasselbe gilt für den öffentlichen Dienst. Sie habengesagt, wir sollten die Geschehnisse nicht ausnutzen. Wirsind in unserer Fraktion – Wolfgang Bosbach hat es vor-hin gesagt – für eine Gleichbehandlung von Pensionenund Renten. Es darf aber keine Sonderopfer der Beamtengeben, Herr Minister.
– Die gibt es sehr wohl. Sie planen mit Ihrer Gesetz-gebung Sonderopfer.Ich wiederhole noch einmal das, was WolfgangBosbach gesagt hat, weil es eindringlich werden muss. Inder Anhörung haben nahezu alle Sachverständigen ge-sagt, das Vorhaben sei ungerecht, das sei mit heißer Nadelgestrickt. Es wird durch den Ausschuss durchgepaukt.Heute hat der Innenausschuss beraten und nicht einmaldas Votum des Rechtsausschusses abwarten können. DieVorsitzende hat abstimmen lassen, obwohl sie wusste,dass der Rechtsausschuss einstimmig, mit den Stimmenaller Fraktionen, gesagt hat: Es ist ausreichend Zeit. Wirmüssen warten. Wir müssen darüber beraten. – Trotzdemwurde dort ein entsprechender Beschluss gefasst.
Jetzt höre ich, morgen gebe es wieder eine Sondersitzungvon Innenausschuss und Rechtsausschuss. Das alles istmit heißer Nadel gestrickt, Herr Minister.Der gestrige 25 000-fache Protest von Polizisten undSoldaten sollte Ihnen nun wirklich zu denken geben. DieÄ
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Er hat gesagt, die Be-amten müssten „endlich die eigene Käseglocke verlas-sen“. Das sagen Sie einmal den Polizeibeamten, das sagenSie angesichts der jetzigen Situation in unserem Land ein-mal den Soldaten, Herr Bundesinnenminister.
Die Polizeibeamten sind auf der gestrigen Demonstra-tion dafür eingetreten, Sie sollten – Zitat – „die innere undäußere Sicherheit nicht kaputt sparen“. Sie wissen dochauch: Alle Maßnahmen laufen ins Leere, wenn diejeni-gen, die letzten Endes den Kopf dafür hinhalten müssen,durch Kürzungsmaßnahmen immer stärker betroffensind. Herr Bundesinnenminister, Sie sind kein Fördererund kein Verteidiger des öffentlichen Dienstes. Das aberwäre gerade jetzt nötig, insbesondere in Bezug auf die Be-amten im einfachen und im mittleren Dienst.Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, das wir im Innen-ausschuss vor ein paar Tagen diskutiert haben. Es geht umdie so genannten Justizwachtmeister. Diese Leute müssenihre „Kundschaft“, das heißt Gangster, in den Gerichts-saal und wieder in die Zelle zurückbringen, auch thailän-dische Kickboxer. Sie bekommen 2 800 DM brutto.
Unsere Fraktion hat beantragt, den Leuten 70 DM im Mo-nat mehr zu geben. Sie haben dies abgelehnt. Das ist un-akzeptabel. Das ist auch unsozial, meine Damen und Her-ren von der SPD.
Herr Minister, Sie sind kein Förderer und kein Verteidigerdes öffentlichen Dienstes.Sie sind auch keiner, der Zuwanderung nach Deutsch-land begrenzt. Ihr Zuwanderungsgesetz wird die Zu-wanderung ungesteuert, zigtausendfach ermöglichen. Eskommen nicht diejenigen, die die Wirtschaft braucht. Ichweiß aus Gesprächen vor Ort, was auch Sozialdemokratensagen, wenn sie über dieses Gesetz informiert werden – bei4 Millionen Arbeitslosen. Aber Koalitionstreue ist Ihnenwohl wichtiger als alles andere.Herr Minister, die Zuwanderung wird noch größer,wenn das Asylrecht europäisch verändert und damit aufden Kopf gestellt werden sollte. Ihr Zuwanderungsgesetzist wirklich ein Zuwanderungsgesetz und kein Gesetz der
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Erwin Marschewski
20007
Zuwanderungsbegrenzung. Deswegen können wir es zu-mindest zum jetzigen Zeitpunkt nicht mittragen.Was den Kampf gegen Kriminalität und was „law andorder“ anbetrifft, die Sie, Herr Minister, in Blair-Begeis-terung auf Ihrem Nürnberger Parteitag zur neusozialde-mokratischen Tugend erklärt haben, gebe ich Ihnen einenRatschlag: Realisieren Sie alles, was Sie ankündigen!Dann haben Sie das erste Schrittchen, aber wirklich nurdas, in Richtung „law and order“ getan. Wenn Sie das ge-tan haben, dann – davon bin ich überzeugt – ist Ihnen derstürmische Beifall der Grünen und der Linken in IhrerPartei sicher.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat jetzt der
Kollege Dieter Wiefelspütz für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die von der Koalition verant-wortete Innenpolitik ist in allen wesentlichen Bereichenlängst zu einem Qualitätsmerkmal sozialdemokratischerund grüner Politik im Deutschen Bundestag geworden.
Nach vielen Jahren des Stillstandes, verursacht durch einefrühere Bundesregierung, gibt es seit drei Jahren eine In-nenpolitik, die von Entschlossenheit, von Verantwortungund von Reformpolitik mit Augenmaß geprägt ist,
aber auch von Kontinuität, wo es angebracht ist.Diese Innenpolitik hat auch ein Gesicht, ein Profil undeinen Namen. Die Rede ist vom Innenminister, OttoSchily,
nicht immer ganz pflegeleicht, zum Glück auch nochnicht in irgendeinen Gnadenstand der katholischen Kircheerhoben,
aber überzeugend und leistungsstark. Das macht Ihnengerade Probleme. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dasmüssen Sie zugeben, wenn Sie ehrlich sind.
Wir haben Ihnen das letzte Kompetenzfeld, das Sie ge-glaubt hatten gepachtet zu haben, das Kompetenzfeldder inneren Sicherheit, weggenommen. Deswegen sindSie so nervös.
Deswegen gibt es solche Diskussionsbeiträge wie vondem Kollegen Bosbach. – Wo ist er denn eigentlich? Werhier redet, sollte bitte schön bis zum Ende der Debatte da-bei sein.
Deswegen gibt es solche Debattenbeiträge wie den vondem Kollegen Marschewski, die bestenfalls haarscharfneben der Sache sind,
statt in den Wettbewerb um die besseren Lösungen im Be-reich der Innenpolitik einzutreten.Die aufgeregte Reaktion aus den Staatskanzleien inHessen und Bayern hat dieselbe Begründung. Man hatSorge, dass nun auch die Innenpolitik ein Glanzpunkt so-zialdemokratischer und grüner Politik ist. Das war viel-leicht nicht immer so. Aber seit einiger Zeit kommt dasimmer besser rüber.
– Herr Hohmann, auch in Fulda begreift man das lang-sam. – Man wird nervös und hektisch und fängt an, dasParlament und die Öffentlichkeit ganz grob und fehlerhaftzu informieren, billige Polemik zu üben und – das sage ichnoch einmal – bestenfalls an der Sache vorbeizureden,statt hier um bessere Lösungen in wichtigen Fragen, dieuns alle berühren, zu ringen.
Ich sage noch einmal, liebe Kolleginnen und Kollegen:Die innere Sicherheit ist längst zu einem Gütesiegel rot-grüner Regierungspolitik geworden. Deswegen sind Sieja so nervös. Wir haben in kürzester Zeit umfassende Si-cherheitspakete geschnürt und Gesetze auf den Weg ge-bracht. Nie zuvor ist es gelungen, in kürzester Zeit über500Millionen DM im Bereich der inneren Sicherheit sau-ber finanziert lockerzumachen.
– Ja, natürlich! Alles, was wir hier an Geld ausgeben,muss doch finanziert sein. Wollen Sie Schulden machen?
Bei allem Respekt für diese Maßnahmen bin ich dafür,dass sie sauber finanziert werden. Wir haben auch interndarüber diskutiert, wie man das macht. Wollen Sie das aufPump machen? Wollen Sie da mogeln?
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Erwin Marschewski
20008
Da muss man dann in der Tat vor die Öffentlichkeit tretenund sagen: Jawohl, innere Sicherheit kostet auch Geld.Deshalb müssen die Summen, die hierfür aufgebrachtwerden müssen, sauber finanziert werden – nicht durchLuftnummern, Luftbuchungen oder zusätzliche Schulden.Wo ist denn da die Alternative?
Sie haben auch bei diesen Haushaltsberatungen – dasgilt nicht nur für die Union, sondern auch für andere Op-positionsparteien – erneut die unseriöse Politik betrieben,kostenträchtige Anträge zu stellen, ohne einenFinanzierungsvorschlag zu machen. Das ist, Frau Bonitz,nicht seriös.
Erklären Sie uns einmal, wie Sie es rechtfertigen, kosten-trächtige Änderungsanträge zum Haushalt zu stellen,ohne auch nur einen Halbsatz oder ein Komma darauf zuverwenden, wo das Geld für die Finanzierung solcherÄnderungsanträge herkommen soll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Wiefelspütz, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kolle-
gin Bonitz?
Bitte schön, aber stellen
Sie sich darauf ein, dass ich sehr lange antworten werde,
Frau Bonitz.
– Vom Bundesinnenminister lernen heißt siegen lernen.
Also, Frau Bonitz, Sie haben das Wort.
Ich bleibe immerhin ste-
hen, Herr Kollege. – Herr Wiefelspütz, darf ich daraus,
dass Sie hier von sauberer Finanzierung sprechen,
schließen, dass die zusätzlichen Gelder, die aufgrund der
Steuererhöhungen in zukünftigen Haushaltsjahren verein-
nahmt werden, generell auch für mehr Sicherheit ausge-
geben werden?
Ja, aber selbstverständ-lich. Wir werden das gemeinsam, Frau Bonitz, nachprü-fen. Das ist nämlich unsere Pflicht als Parlamentarier. Wirhaben das Haushaltsrecht und werden uns sehr intensivdarum kümmern. Ich habe ein gewisses Verständnis dafür,dass in der Eile nicht das erreicht worden ist, was der Bun-desinnenminister, sein Staatssekretär, Sie und die SPD-Bundestagsfraktion wollen. Wir hätten das nämlich ei-gentlich am liebsten schon jetzt im Einzelplan 06verankert.
Das war so rasch nicht möglich, auch deswegen nicht,weil Ihre Leute im Haushaltsausschuss das nicht anderswollten.
Wir werden das aber Schritt für Schritt in den Bereichdes Haushalts des Innenministeriums überführen, weil esselbstverständlich gute Gründe dafür gibt, zum Beispielim Hinblick auf Personal. Wer heute einen jungenBundesgrenzschützer einstellt, Frau Philipp, muss dafürSorge tragen, dass auch in 10 oder 15 Jahren das Geld fürseine Bezahlung da ist. Dieses können Sie nicht über denEinzelplan 60 sicherstellen und daher muss das im Ein-zelplan 06 etatisiert werden. Als diejenigen, die für innereSicherheit Verantwortung tragen, werden wir das gemein-sam mit dem Teil der Bundesregierung, der für innere Si-cherheit zuständig ist, durchsetzen.
Schon im nächsten Haushalt werden Sie die entspre-chenden Auswirkungen feststellen. Ich bitte sehr darum,dass wir das in dem Stil wie kürzlich im Innenausschussumsetzen. Oder wollen Sie aus diesem Bündnis der Ver-nunft in Bezug auf die Etatisierung von Ausgaben für dieinnere Sicherheit ausbrechen? Ich denke, wir sind da aufeinem sehr vernünftigen Weg. Der Bundesinnenministerhat jedenfalls unsere Unterstützung, wenn er sich darumbemüht, dass dieses Geld nicht nur dieses eine Mal, son-dern auch in künftigen Jahren ausgegeben werden kann,und zwar in der Verantwortung des Bundesinnen-ministeriums; also für innenpolitische Aufgaben, HerrDiller, zur Verfügung steht. Das ist geordnete Haushalts-führung. Dass es nach dem 11. September kaum anders zubewerkstelligen war, als es jetzt geschehen ist, dafür habeich durchaus großes Verständnis.
– Lieber Herr Marschewski, das hätten Sie nicht andersgemacht. Allerdings muss man sagen: Sie haben es nieverstanden, innerhalb kürzester Zeit 500 Millionen DMfür die innere Sicherheit bereitzustellen. Das ist eine Leis-tung dieser Bundesregierung.
Es tut mir Leid, Ihnen vorhalten zu müssen, dass Sie dazunicht in der Lage waren. Auch jeder Fachmann räumt ein,dass die Koalition von CDU/CSU und FDP noch nichteinmal ansatzweise das zustande gebracht hat, was wir imRahmen des Terrorismusbekämpfungsgesetzes zustandegebracht haben, und zwar mit Ströbele!
– Auf den Kollegen Ströbele lasse ich nichts kommen.Auch ihm ist das Thema der inneren Sicherheit wichtig.
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DieterWiefelspütz20009
Ehre, wem Ehre gebührt: Mit dem KollegenMarschewski habe ich eine sehr weit reichende G-10-No-velle vereinbart, der Sie zugestimmt haben, HerrMarschewski, weil es eine gute Sache war. An dieserStelle war der Kollege Ströbele ein sehr hilfreicher, sach-verständiger und hartnäckiger Verhandlungspartner.
Die Verhandlungen haben zu vernünftigen Ergebnissengeführt.Es tut mir Leid, sagen zu müssen, dass Sie so etwas niezustande gebracht haben. Sie haben nur ein Gesetz auf denWeg gebracht, das vom Bundesverfassungsgericht kas-siert worden ist. Wir haben es reparieren müssen und esbei dieser Gelegenheit verbessert. In diesem Zusammen-hang hat sich der Herr Kollege Ströbele sehr wohl Ver-dienste um die Rechtsgeschichte erworben. Das mussdoch einmal erwähnt werden.
Wir haben festzustellen: Die Bürgerinnen und Bürgermüssen sich nicht für ihren Anspruch auf innere Sicher-heit entschuldigen. Es ist ein legitimer Anspruch der Bür-ger an den Staat. Dafür ist der Staat da. Wofür sonst soller da sein? Innere Sicherheit gehört zu seiner Kernkom-petenz. Es ist gut, dass wir alle das inzwischen begriffenhaben. Entsprechende Maßnahmen müssen deshalb her-unterbuchstabiert werden.Allerdings darf es in diesem Zusammenhang keine Ge-spensterdebatten geben. Wir brauchen die innere Sicher-heit nicht neu zu erfinden. Herr Uhl, auch in Bayern er-findet man das Rad nicht neu. Wir brauchen keineMilitarisierung der Innenpolitik.
Wir brauchen keine Militarisierung der inneren Sicherheitund keine neuen Behörden. – Herr Koschyk, warum sindSie so müde?
Warum gähnen Sie bei einer solch interessanten Debatte?Es ist eine Zumutung, Ihnen zuzuschauen.
Gehen Sie rechtzeitig ins Bett! – Wir wollen auch nichtneue Behörden erfinden und ein neues Bundessicherheits-amt aufbauen, sondern bestehende Strukturen stärken.Herr Koschyk, warum machen Sie solche Vorschläge? Esgeht doch darum, bewährte Strukturen zu stärken. Aber esgeht nicht darum, Scheindebatten zu führen.Deswegen stocken wir bei der Personal- und Sachaus-stattung von allen relevanten Sicherheitsbehörden auf:beim Bundesamt für Verfassungsschutz, beim Bundes-nachrichtendienst und beim Bundeskriminalamt, dessenZentralstellenkompetenz gestärkt werden soll. Wir stär-ken diese Behörden in ihrer Kompetenz, indem wir diePersonal- und auch die Sachausstattung verbessern. Dasbringt eine Sicherheitsdividende für uns alle. Wir solltendeswegen gemeinsam handeln. Gegen solch einen ver-nünftigen Kurs kann doch kein vernünftiger Mensch et-was einzuwenden haben.
Nur weil die Maßnahme von Rot-Grün vorgeschlagenwird, muss sie doch nicht automatisch schlecht sein. Ichbitte Sie also sehr, sachlich zu bleiben.Deutschland ist ein sehr freies, sehr sicheres undweltoffenes Land. Daran soll sich auch in Zukunft nichtsändern. Wir haben alle begriffen, dass Sicherheit und Frei-heit ebenso wenig Gegensätze sind wie effektive Verbre-chensbekämpfung und Rechtsstaatlichkeit. Nach unserenGrundsätzen gehören Verbrechensbekämpfung, Terroris-musbekämpfung und Rechtsstaatlichkeit definitiv immerzusammen.
Ich sage auch sehr freimütig: Innere Sicherheit ist keinMonopol des Bundes. Dieser Meinung ist auch der Bun-desinnenminister. Innere Sicherheit schaffen wir, Bund undLänder, gemeinsam. Dafür haben wir eine außerordentlichfähige Innenministerkonferenz, die segensreich arbeitet.Ich will aber sehr deutlich sagen: Wir prüfen gerne,welche Vorschläge jetzt zu dem Entwurf eines Terroris-musbekämpfungsgesetzes aus dem Bereich der Länderkommen. Es wird fair geprüft. Ich bitte aber sehr um Ver-ständnis: Das, was wir für rechtsstaatliche Errungen-schaften halten, das werden wir nicht zur Disposition stel-len; das sage ich für die SPD-Bundestagsfraktion.
Die Befristung von Gesetzen ist nicht nur im Bereichvon Terrorismusbekämpfung wichtig. Dieses Instrumentsollten wir auch in anderen Bereichen viel häufiger nutzen.
Nach ein paar Jahren sollten wir schauen, ob es sachlichrichtig war, ein Gesetz beschlossen zu haben. Dann kannman die Gültigkeit eines Gesetzes verlängern.
Wenn wir die Veranlassung sehen, zusätzliche Befug-nisse und Kompetenzen für Nachrichtendienste zu schaf-fen – lieber Herr Ströbele, Nachrichtendienste sind not-wendig; das sollten Sie sich merken –,
dann müssen wir zusätzliche parlamentarische Kontrollenbei den Gremien einbauen, die dafür zuständig sind. Das
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gebietet das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit; anderes istfür uns nicht verhandlungsfähig.
Wenn man für Nachrichtendienste ist – sie werden in derWelt, so wie sie ist, auch in Zukunft notwendig sein –,dann brauchen wir eine umfassende parlamentarischeKontrolle. Das scheint mir unstreitig zu sein. Darüber sindwir nicht bereit zu diskutieren. Das ist für uns essenzielleRechtsstaatlichkeit.
Darüber hinaus gibt es beispielsweise den Vorschlag,die Landesverfassungsschutzämter genauso zu stellen wiedas Bundesamt für Verfassungsschutz. Darüber mussnach meiner Auffassung gesprochen werden können. Dakann es keine Schieflage geben. Aber dann muss auch da-rüber gesprochen werden, Herr Uhl, dass in Bayern bzw.in München die gleichen Mechanismen für die Kontrollevon Diensten gelten, wie das hier in Berlin der Fall ist.
Also bleiben Sie da bitte auf dem gleichen Niveau, wasdie rechtsstaatlichen Sicherungen angeht!
Lassen Sie mich noch kurz etwas – selbst 14 MinutenRedezeit gehen fürchterlich schnell vorbei –
zu dem Bereich der Zuwanderung sagen: Ich bin von derRede des Kollegen Bosbach sehr enttäuscht. Man könnteauch sagen: verärgert; aber das will ich nicht sein.
Denn zum wiederholten Male – man redet sich den Mundfusselig – wird die Öffentlichkeit falsch informiert.
Ich will es noch einmal versuchen: Dieses Land brauchtein Zuwanderungsgesetz. Dieses Land braucht ein Ge-setz, um die Zuwanderung im Interesse dieses Landes zusteuern und um in den kommenden Jahren die Zuwande-rung auch zu reduzieren. Wir brauchen ein Gesetz, um indiesem Land mehr Integration zu schaffen.
Das ist doch Konsens. Sie haben immer bezweifelt, dassRot-Grün sich einigen wird. Wir haben Ihnen immer ge-sagt: Warten Sie es ab! – Wir haben uns geeinigt. Das istin einer Koalition nicht immer ganz einfach.
Jetzt beginnt der parlamentarische Prozess. Reden Sie mituns! Aber sprechen Sie nicht mit falscher Zunge, sondernim Interesse dieses Landes – und bitte sachgerecht!
Ich finde es unverschämt, was zum Teil abläuft. Mankönnte Ihnen das CSU-Programm in Sachen Zuwande-rung vorlegen, Herr Uhl, und Sie würden dem nicht zu-stimmen.
In der Staatskanzlei in München ist ein klares Nein ge-sprochen worden, weil man sich das Pulver trocken hal-ten will. Ich finde es schändlich, dass Sie in einer Sachevon nationalem Interesse nicht zum Gespräch bereit sind.
Zum Glück gibt es ja den einen oder anderen im Be-reich der Union, der das vielleicht anders sehen könnte,
wie beispielsweise Herrn Müller, den ich persönlich sehrschätze, vielleicht auch Herrn Schönbohm. Warum sollteHerr Schönbohm nicht belegen wollen, dass ich mich hin-sichtlich seiner Haltung immer geirrt habe? Also, bitteschön: Er wird die Gelegenheit zu einer sachlichen De-batte haben.Ich sage Ihnen sehr deutlich: Ein Gesetz wird nur dannzustande kommen, wenn sich auch legitime Interessen derUnion und der FDP wiederfinden. Das finde ich im Übri-gen sehr gut; denn es ist ein Gesetz für ganz Deutschlandund muss für die Zukunft passend sein.
– Was haben Sie denn gegen die Grünen? Sie sind eine Re-gierungspartei. – Der Gesetzentwurf von Otto Schily, derim Kabinett verabschiedet worden ist, ist kein rein rot-grüner Gesetzentwurf. Das muss doch einmal so gesagtwerden! In diesem Gesetzentwurf sind auch zahlreichePositionen der FDP und der Union wiederzufinden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Wiefelspütz, ich muss Sie leider an die Zeit erinnern.
Ich komme sofort zumSchluss. – Reden Sie mit uns darüber. Die heutige Debatteund Ihre Debattenbeiträge machen sehr deutlich, dass eszu dieser rot-grünen Innenpolitik zum Glück keine Alter-native gibt.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
DieterWiefelspütz20011
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Hartmut Koschyk für die
Fraktion der CDU/CSU.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber HerrWiefelspütz, Ihre Rede hatte für mich zwei Elemente:zum einen Heldenverehrungsepos für den Bundesinnen-minister und zum anderen Ihre Zuwendung zu HerrnStröbele – Erfahrungen einer rot-grünen Selbsterfah-rungsgruppe, die versucht, ein Stück gewonnene Gemein-samkeit um des Machterhalts willen mit Zähnen undKlauen zu verteidigen.Ich möchte zwei, drei Punkte ansprechen, die Sie in Ih-rer Rede genannt haben, lieber Herr Wiefelspütz. Die Prä-sidentin des Bundesrechnungshofs hat bei der Vorstellungihres Jahresprüfberichts für das Jahr 2000 zu Recht ge-sagt, dass es ein Armutszeugnis sei, wenn eine Regierungwegen 3 Milliarden DM für ein Antiterrorpaket Steuernerhöhen müsse. Das seien 0,6 Prozent des Haushalts undes sei ein Armutszeugnis, wenn man dieses Geld nicht imHaushalt selber erwirtschafte.
Recht hat die Präsidentin des Bundesrechnungshofs!
Lieber Herr Wiefelspütz, Sie brauchen nicht zu versu-chen, Herrn Müller hier für sich zu vereinnahmen. Die In-nenpolitiker unserer Fraktion haben nach derVorlage IhresPaketes, Herr Minister Schily, eine sehr umfassende Aus-sprache mit Herrn Ministerpräsident Müller gehabt. HerrMüller hat dort gesagt, was er auch öffentlich gesagt hat,nämlich dass das, was Sie, Herr Minister Schily, vorgelegthaben, für ihn in keiner Weise zustimmungsfähig sei,
weil es zu mehr und nicht zu weniger Zuwanderungnach Deutschland führe.
Ich finde Ihre Aussage ein Stück unredlich. Ich glaubenicht, Herr Minister Schily, dass Sie wirklich Partner-schaft wollen und wirklich um die Zustimmung von HerrnMinisterpräsident Müller und der Union werben, wennSie denjenigen, um dessen Zustimmung Sie werben,falsch zitieren und unter Vorspiegelung falscher Tatsa-chen zu vereinnahmen versuchen. Das ist unfair und des-halb hat es keinen Sinn, darauf zu hoffen, dass wir Ihnenhier auf den Leim gehen.
Wenn Sie sich nicht bewegen und Ihr unzureichendes An-gebot, das tatsächlich zu mehr und nicht zu weniger Zu-wanderung nach Deutschland führt, nicht verändern, wirdes überhaupt keine Möglichkeit für eine Zustimmung derUnion geben.Ich merke bei dieser Debatte auch, dass viele neue undrichtige Akzente, die Sie, auch im Haushalt 2002, in derinneren Sicherheit setzen, letztendlich in vielen Bereichennicht voll durchdacht sind. Ich will das nur am Beispielder Stellenmehrungen für den Bundesgrenzschutz deut-lich machen.Sie führen jetzt in erheblicher Zahl Neueinstellungendurch. Aber jeder Fachmann sagt Ihnen wie auch uns, obim Hauptpersonalrat oder bei den Gewerkschaften, dassdie Kapazitäten der Fort- und Ausbildung beimBundesgrenzschutz, deren Ausbau seit 1998 nur stockendund sehr schleppend vorangekommen ist, für die neueLage nicht ausreichen. Wir haben diese neue Aus- undFortbildungsstruktur geschaffen und Sie haben seit 1998nichts getan, um sie weiter fortzuentwickeln.
Das werden Sie jetzt spüren, weil die Ausbildungskapa-zitäten nicht ausreichen.
Man müsste jetzt auch darüber nachdenken, HerrMinister Schily, wie man schnell wirkende Personal-maßnahmen entfaltet; denn die Neueinstellungen, dieSie nun vornehmen, werden erst in vier bis fünf Jahrenwirken. Denken Sie doch bitte einmal darüber nach, denso genannten grenzpolizeilichen Unterstützungskräften
das Angebot zu machen, in den mittleren Polizeivollzugs-dienst zu gehen.
Machen Sie endlich ernst mit der Entlastung der Polizei-vollzugsbeamten von polizeifremden Aufgaben und set-zen Sie das Programm zur Umwandlung dieser Stellen inVerwaltungsstellen um! Wir begrüßen, dass im Haushaltdoch das eine oder andere geschehen ist.Herr Minister, Sie sollten nicht immer nur mit Zah-len prahlen, sondern auch einmal hören, was Ihnenvom Hauptpersonalrat und von den Gewerkschaftengesagt wird. Die vorgenommenen Stellenanhebungenreichen nicht aus, um ein weiteres Ausbluten durch dieGefahr, dass die Mitarbeiter zu den Länderpolizeiengehen, weil die Tätigkeit und die Besoldung im BGSnicht mehr als attraktiv genug empfunden werden, zuverhindern. Das alles sind Dinge, die Sie sich vorhal-ten lassen müssen. Man sollte sich auch nicht so selbst-gerecht vor das Parlament stellen und sagen, dass das,was gemacht wurde, das Nonplusultra sei und es nichtsBesseres gebe.Herr Wiefelspütz, ich habe es bedauert, dass Sie sichmit keinem unserer Anträge – es handelte sich um sehrsubstanzielle Anträge zum Thema BGS –
im Innenausschuss auch nur ein wenig – ich will es so sa-gen – ernsthaft auseinander gesetzt haben.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 200120012
Man muss auch einmal sagen, dass das ganze Haus-haltsberatungsverfahren im Innenausschuss ein Skandalwar.
Es hat sehr lange gedauert, bis wir beratungsfähige Vor-lagen erhalten haben, sodass sich die Kolleginnen undKollegen im Innenausschuss vor allem auch mit den Maß-nahmen im Antiterrorpaket sachgerecht auseinander-setzen konnten. Das war ein Skandal. Ich glaube, dassman den notwendigen überparteilichen Konsens bei derinneren Sicherheit nicht erreichen kann, wenn man sie alsgeheime Kommandosache betreibt und Angst davor hat,dass sich die Union zeitgerecht und substanziell mit IhrenVorschläge auseinandersetzt.Ich will auch noch etwas zum Thema INPOL(neu) sa-gen. Ich glaube, dass hier das Bild falsch ist, andere hättendas auf den Zug gesetzt. Vor einem Jahr habe ich– auch aufgrund von Hinweisen von Fachleuten; auch ausden Ländern – in der Haushaltsdebatte auf die Problemebei INPOL hingewiesen. Lesen Sie einmal nach,was Sie dazu gesagt haben! Sie haben es bagatellisiert.Am 4.April dieses Jahres haben wir im Innenausschussdarüber gesprochen. Sie haben auch dort so getan, als seialles in bester Ordnung. Wenn Sie schon bei dem Bildbleiben wollen, dass andere dies auf den Zug gesetzt ha-ben, dann muss ich sagen, dass Sie den Zug in den letztenzwei Jahren schön weiter gewinkt und auf das falscheGleis haben fahren lassen. Sie haben die Notbremse nichtrechtzeitig gezogen.
Sie müssen sich vorwerfen lassen, dass Sie vor einem JahrWarnungen hier im Parlament während der Haushalts-debatte überhaupt nicht beachtet haben.Insgesamt gesehen wollen wir nicht verkennen, dasseiniges zur Stärkung der inneren Sicherheit auf den Weggebracht worden ist. Das Bild, das unser Kollege„Charly“ von Hammerstein am Anfang gebraucht hat,dass wir eine kräftige Brühe erwartet und nur eine Was-sersuppe vorgesetzt bekommen haben, ist aber richtig.Deshalb werden wir dem Haushalt nicht zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen.
Zunächst kommen wir zum Einzelplan 06, Bundes-
ministerium des Innern, in der Ausschussfassung. Hierzu
liegen vier Änderungsanträge vor, über die wir zuerst ab-
stimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 14/7577? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist gegen die Stim-
men der FDP-Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion und der
PDS-Fraktion abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/7580? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/7583. Wer stimmt dafür? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Auch dieser Ände-
rungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion ab-
gelehnt.
Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/7593. Wer stimmt dafür? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungs-
antrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion abge-
lehnt.
Schließlich und endlich kommen wir zur Abstimmung
über den Einzelplanung 06 in der Ausschussfassung. Wer
stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Einzelplan 06 ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-
Fraktion, der FDP-Fraktion und der PDS-Fraktion ange-
nommen.
Wir kommen jetzt noch zur Abstimmung über den Ein-
zelplan 33, Versorgung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Einzelplan 33 ist gegen
die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I. 15 auf:
I. 15 Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
– Drucksachen 14/7316, 14/7321 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Antje-Marie Steen
Dr. Michael Luther
Antje Hermenau
Jürgen Koppelin
Heidemarie Ehlert
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die
CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Dr. Michael Luther. –
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die uns jetzt lei-
der verlassen müssen, dies relativ schnell zu tun, und die-
jenigen, die der Debatte weiter folgen, jetzt Platz zu neh-
men, damit Kollege Luther mit der entsprechenden
Aufmerksamkeit rechnen kann. Danke.
Herr Dr. Luther, bitte.
Sehr geehrte FrauPräsidentin! Meine Damen und Herren! Der Haushalt derBundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju-gend ist bekanntermaßen ein Haushalt mit einem kleinenVolumen. Trotzdem glaube ich, dass dieses Bundesmi-nisterium eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabehat. Es ist sozusagen das Gewissen für die Familien, die
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
Hartmut Koschyk20013
Senioren, die Frauen und die Jugend. Deshalb muss manfragen: Mit welchen Impulsen, mit welchen Initiativenwird die Bundesministerin dieser Aufgabe gerecht? Fragtman die Menschen im Land, dann wird man nicht viel er-fahren.
Ich möchte wetten, viele Menschen im Land wissen nochnicht einmal, wie die Ministerin heißt.Lassen Sie mich auf einige wenige Schwerpunkte ein-gehen, die man im Haushalt trotzdem zu setzen versuchthat. Als erstes komme ich zu dem Punkt, der mich beson-ders bewegt – ich habe das auch in den Haushaltsberatun-gen deutlich gemacht –: Das ist der Wunsch, insbesondereden Rechtsradikalismus in den neuen Bundesländernzu bekämpfen. Dieser Titel unterstellt, dass es Rechtsra-dikalismus nur in den neuen Bundesländern gäbe. Das istschlecht für die neuen Bundesländer und zudem falsch.Noch viel schlimmer ist, wie die Bundesministerin, wiedas Haus diesen Haushaltstitel im Deutschen Bundestagbegründet hat. Ich will das zitieren. Ich habe das schon inHaushaltsausschuss gesagt.
Das macht aber das Denken der Ministerin deutlich. Eswird vom Fehlen jeglicher demokratischer Traditionenauf dem Gebiet der neuen „Länder“ gesprochen – hierdenke ich an die Herbstrevolution und an die neue Volks-kammer, die dann gewählt worden ist – oder von der„vollkommen unbearbeiteten Geschichte des nationalso-zialistischen Genozids an den Juden“. Im Geschichtsun-terricht der DDR wurde sicherlich vieles unterlassen undvieles falsch gesagt; man kann aber nicht behaupten, dassüber den Nationalsozialismus nicht geredet worden sei.Noch viel schlimmer ist eine andere Unterstellung. Indem Papier des Ministeriums wird behauptet, dass es„strukturell äußerst fremdenfeindliche Verhältnisse in derDDR“ und damit in der Fortsetzung dieses Gedankensjetzt in den neuen Bundesländern gäbe. Man stelle sichdas einmal vor und lasse sich das auf der Zunge zergehen!Wenn in der Öffentlichkeit von „strukturell äußerst frem-denfeindlichen Verhältnissen“ geredet wird und wenn ichdort das zu erwarten habe, was die Bundesministerindenkt, welche Investoren will ich dann noch in die neuenBundesländer bewegen?Sie haben dieses Papier in den Haushaltsberatungen,Gott sei Dank, zurückgezogen. Eigentlich hätten Sie aberanders reagieren müssen. Sie hätten nicht nur das Papierzurückziehen müssen, Sie hätten auch diesen Haushalts-titel zurückziehen müssen.
Ich empfehle Ihnen, einmal eine Analyse über diesesThema zu lesen. In der Beilage zur Wochenzeitung „DasParlament“ vom 9. November 2001 – wenn Sie das nichthaben sollten, kann ich es Ihnen gerne geben – ist ein Bei-trag vonWalter Friedrich zu lesen. Er hat sehr deutlich ana-lysiert, dass es eben nicht an der DDR lag, dass wir heutestrukturelle Probleme auf diesem Gebiet haben, sonderndass es am Strukturwandlungsprozess liegt, der nach demZusammenbruch der DDR, nach der friedlichen Herbstre-volution, unvermeidlich war. Das bedeutet, dass man mitanderenMaßnahmen reagierenmuss, wennman demPhä-nomen etwas entgegensetzen will. Die logische Schluss-folgerung einer solchen Analyse wäre nämlich, dass manviel mehr tun müsste, um denAufbau Ost voranzubringenund die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Sie als Bundesregierung unternehmen etwas gegen Ju-gendarbeitslosigkeit. Sie zahlen nämlich eine Abwande-rungsprämie für junge Menschen, die dann Arbeit in denalten Bundesländern finden sollen, und verstärken gleich-zeitig – aber das haben Sie vielleicht noch gar nicht ge-merkt – die strukturellen Probleme, die Sie selber bekla-gen. Sie machen genau das Falsche. Zum Schlussbezeichnen Sie noch mit Ihrer Aussage, dass Sie denRechtsradikalismus in den neuen Bundesländern bekämp-fen wollen, die neuen Bundesländer generell als rechts-radikal.
Damit hat die Ministerin ihren Beitrag geleistet, umvon einem Aufschwung Ost zu einem Abschwung Ost zukommen. Zumindest das ist dieser Bundesregierung ge-lungen. Als Lobbyist für die Jugend in den neuen Bun-desländern haben Sie demzufolge völlig versagt.Zweites Thema: Deutsch-Polnisches Jugendwerk.Auch dies liegt mir besonders am Herzen.
Die Aussöhnung von Deutschen und Polen ist ein Thema,das 40 Jahre lang nicht behandelt worden ist. Diese istjetzt auf den Weg gebracht worden. Das Deutsch-Franzö-sische Jugendwerk hat hier Vorbildliches geleistet, dientals Vorbild und sollte auf das Deutsch-Polnische Jugend-werk übertragen werden.Aber: Der Bundeskanzler hat am 18. Juni dieses Jahreszugesagt, dass die Bundesregierung 1 Million DM mehrfür das Deutsch-Polnische Jugendwerk ausgeben will.
Im Haushaltsentwurf war diese Million nicht zu finden.
Dann hat uns der polnische Botschafter, Dr. Kranz, in ei-nem Brandbrief seine Sorge darüber zum Ausdruck ge-bracht, ob man sich an diese Zusage nicht erinnert, undmitgeteilt, die Polen hätten ihre Hausaufgaben gemachtund 6,3 Millionen DM bereitgestellt.
Erst in der Haushaltsberatung ist die Zusage erfüllt wor-den. Gleichzeitig aber haben Sie den Haushaltstitel quali-fiziert gesperrt.
Da frage ich mich, was das soll.
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Dr. Michael Luther20014
Wenn Sie gerade in dieser Frage Vertrauen fördernwollen, dürfen Sie nicht hingehen, die Zusage, die derBundeskanzler – wahrscheinlich ohne Rücksprache mitden Haushältern – in Polen gemacht hat, erfüllen undgleichzeitig den Titel sperren. Wie soll da eine ernsthafteArbeit des Deutsch-Polnischen Jugendwerks stattfinden?Ich meine, dass die Bundesministerin auch hier ihre Auf-gabe nicht ordnungsgemäß erfüllt hat.
Es gibt noch mehr Dinge, die ich als Haushälter an-sprechen kann, so das Sprachkonzept für Zuwanderer.Das für dieses Jahr zugesagte Sprachkonzept kommt die-ses Jahr nicht zustande. Das ist wieder eine verpassteChance.Ein weiteres Thema ist, dass der Zuschuss für die Be-treuung von Spätaussiedlern, organisiert über Wohlfahrts-verbände, Vertriebenenverbände usw., zurückgeht. Diessind wichtige Punkte, die notwendig sind, um die Inte-gration – ein wichtiges Ziel in unserem Land – zu verbes-sern. An diesen Punkten setzen Sie programmatisch keineSchwerpunkte.Das letzte Thema, das ich aus meiner Sicht ansprechenmöchte, ist das Erziehungsgeld. Ich möchte Ihnen sagen,was der Reihe nach passiert ist: Der Haushaltsansatz be-lief sich auf 3,52 Milliarden Euro. In der Einzelplanbera-tung wurden 62Millionen Euro weniger eingestellt. Danngab es noch eine Bereinigungsvorlage, mit der nochmals3,7 Millionen Euro weniger eingestellt wurden. Wasschließe ich daraus?
– Innerhalb von wenigen Wochen kommen Sie zu diesenErkenntnissen? Denn dies ist alles in wenigen Wochenpassiert.In den Haushaltsberatungen frage ich: Haben Sie über-haupt einmal Ihr Haushaltsreferat gefragt, ob es überhauptin der Lage ist, einen vernünftigen Haushalt aufzustellen.Schließlich wollten Sie es zweimal ändern. Auf der ande-ren Seite sind dadurch 62 Millionen Euro frei geworden.Sie müssen ja auch die Programme, so zum Beispiel zurBekämpfung des Rechtsradikalismus, finanzieren. DiesesGeld ist dann dort eingestellt worden. Ist es etwa als eineFinanzierungsreserve begriffen worden, um letztendlichIhre Spielwiesen an Programmen finanzieren zu helfen,
um Ihre Klientel, die Sie im Wahljahr 2002 beruhigenwollen, entsprechend beruhigen zu können? Das ist dieFrage, die ich an dieser Stelle in den Raum stellen möchte.Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Bundesminis-terium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sollte fürdiese Gruppen eintreten, sollte Initiativen ergreifen, umletztendlich das gesellschaftspolitische Gewissen dar-zustellen. Der Haushalt 2002 tut dies nicht. Wir könnendem Haushalt nicht zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Antje-Marie Steen.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Luther, in gewohntergemeinsamer Arbeit, die wir geleistet haben, werde ichIhnen zu Ihren einzelnen Fragen, die Sie gestellt haben,im Laufe meiner Rede Antwort geben.Mit dem Entwurf des Einzelplans 17 für das Haus-haltsjahr 2002 setzen wir auch im dritten Jahr unserer Re-gierungsverantwortung den Haushaltskonsolidierungs-kurs, aber auch den Abbau des Reformstaus fort, den wirbei der Regierungsübernahme vorgefunden haben.
Besonders der Bereich der Familien-, Frauen- und Ju-gendpolitik war durch Stillstand und Mittelkürzung ge-prägt. Wir messen der Familienpolitik einen zentralenStellenwert in der Gesellschaft bei.
und wir handeln danach. So sehen wir im Jahr 2002 imRahmen der Familienförderung eine Steuersenkung von2,5 Milliarden Euro vor, die Familien mit Kindern weiterentlasten wird.
Die familienpolitischen Leistungen finden nicht nurim Einzelplan 17 Ausdruck, sondern – daran möchte ichSie erinnern – haben zusätzlich durch das Familienleis-tungsgesetz, die Neufassung der Elternzeit, die deutlicheErhöhung des Kindergeldes, die bessere Berücksichti-gung von Erziehungszeiten bei der Rente, die BAföG-Aufstockung
und die Wohngeldregelung einen wesentlichen Sprungnach vorn gemacht. Allein die steuerlichen Auswirkungenfamilienpolitischer Maßnahmen werden in 2002 insge-samt 52,3 Milliarden Euro für die Familienförderung aus-machen.
Zur Erinnerung: 1997 waren es gerade einmal 39 Mil-liarden Euro.
Seit ihrem Antritt im Jahre 1998 wird die rot-grüne Bun-desregierung die familienpolitischen Leistungen undSteuerleichterungen bis zum Jahr 2002 somit um rund12,3 Milliarden Euro erhöht haben. Wir verbessernRahmenbedingungen, anstatt den Deckmantel eines, wieSie es gerne wollen, CDU-Familiengeldes auszubreiten.Damit machen Sie es sich wirklich zu einfach, liebe Kol-leginnen und Kollegen der CDU. Uns fehlen Ihre
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Dr. Michael Luther20015
Deckungsvorschläge, wie die Ausgaben in Höhe von circa30,7 Milliarden Euro finanziert werden sollen. Oder wol-len Sie weiter das von Ihnen praktizierte Verfahren derNeuverschuldung ausweiten?
Wir als Koalition bleiben besser bei unserer Familienför-derung, die bereits heute für die Familien wirksam wird.
Für uns ist eine Politik der sozialen Ausgewogenheitwichtig. Diese spiegelt sich besonders in Kap. 1702, alsoden Allgemeinen Bewilligungen, wider. Umso erfreuli-cher ist es, dass hier keine Einschnitte erfolgten und dasses insgesamt sogar zu einer wesentlichen Schwerpunkt-setzung durch Umschichtungen in Höhe von 35 Milli-onen Euro kam. Hinter diesem Titel stehen die Politikbe-reiche, die man zu Recht als ein rot-grünes Herzstückbezeichnen kann: eine zukunftsorientierte Politik für dieJugendlichen, eine Politik zur Entlastung der Familien,eine moderne Gleichstellungspolitik
und eine Politik, die die Zivilgesellschaft stärkt.Der ursprüngliche Ansatz für das Erziehungsgeld in2002 – Herr Dr. Luther hat das eben schon gesagt – wirdtrotz verbesserter Voraussetzungen, die wir bereits imletzten Jahr geschaffen haben, für den Bezug von Erzie-hungsgeld nicht voll ausgeschöpft werden, weil unter an-derem die Geburtenrate weiter rückläufig ist.
– Ich will es Ihnen gerne erklären.
Das verdeutlicht, dass nicht nur finanzielle Anreize für dieLebensplanung junger Familien vorrangig sind, sonderninsgesamt soziale und gesellschaftliche Verbesserungenerforderlich werden, um ihnen die Entscheidung für Kin-der zu erleichtern.
Benachteiligt sind Familien in der Vereinbarkeit vonBeruf undKindererziehungnachwie vor durch dengroßenFehlbedarf an ganztätigen Betreuungsangeboten wie Kin-dergärten, Horten, Krippen oder Ganztagsschulen.
Es bleibt aber im Verantwortungsbereich der Länder, füreine bessere Infrastruktur bei den Betreuungsangebotenzu sorgen.
Die Bundesregierung nimmt Jugendliche als Partnerernst. Das verdeutlicht sie mit dem Regierungsprogramm„Chancen im Wandel“ und der „Bundesinitiative Beteili-gungsbewegung“. Mit dem ressortübergreifenden Zehn-punkteprogramm verpflichtet sich die Bundesregierungzu einer aktiveren Jugendpolitik. Das hätte ich mir in denvergangenen Jahren von Ihnen gewünscht.
Zu Recht kann man sagen, dass dieser Haushaltsentwurfim Zeichen der Jugend steht. So erfährt gerade die Titel-gruppe im Bereich der Jugendpolitik für 2002 eine deut-liche Erhöhung von 56,5Millionen Euro gegenüber 2001.Das sind für das ganze Kapitel insgesamt 23,7 Prozentmehr. Ich denke, das ist eine Leistung, die sich sehen las-sen kann. Wir haben auch die entsprechende Motivation,diese Leistung deutlich zu machen.Bereits für 2001 haben wir angesichts des er-schreckend anwachsenden Potenzials gewaltbereiter undfremdenfeindlich gesinnter Jugendlicher ein Sonder-programm gegen Gewalt und Rechtsextremismus ausSondermitteln aufgelegt. Der vorliegende Entwurf enthältjetzt einen eigenen Titel in Höhe von 10 Millionen Euro,um das ursprünglich nur einjährig ausgelegte Programm„Jugend für Demokratie und Toleranz“ zu verstetigen.
Außerdem können in Zukunft aus diesem Titel auch klei-nere lokale Netzwerke gefördert werden.Ähnlich erfolgreich erwiesen sich die Modellprojekte„Civitas-Initiativen gegen Rechtsextremismus und für dieBeratung von Opfern rechtsextremer Gewalttaten in denneuen Bundesländern“. Herr Kollege Luther, entgegen Ih-rer Kritik, ein Programm extra nur für die neuen Bundes-länder würde eine Negativwirkung auslösen und dieneuen Länder stigmatisieren, sind die Mittel aus diesenProgrammen sehr schnell abgeflossen und umgesetztworden. Civitas hat sich besonders auf die Stärkung derzivilgesellschaftlichen Strukturen im Gemeinwesen kon-zentriert. Das können wir alle doch nur begrüßen. Um dergroßen Nachfrage Rechnung zu tragen und die Fortset-zung der Maßnahmen zu sichern, wird der Ansatz fürdiese beiden Programme um jeweils 2,5 Millionen Euroerhöht, damit also verdoppelt.
Unberührt kann uns nicht lassen, dass noch immer einestarke Abwanderung von Jugendlichen aus den neuenBundesländern stattfindet. Diese Entwicklung stellt vieleRegionen in Ostdeutschland vor große Probleme. Wirmöchten mit dem Wettbewerb „Jugend bleibt!“ zu einerIdeenbörse anregen, wie größere Chancen für die Jugend-lichen vor Ort hinsichtlich der Verbesserung der Attrak-tivität ihrer Region entwickelt werden können. Wirversprechen Jugendlichen zwar keine blühenden Land-schaften. Aber wir wollen sie ermuntern, zusammen mitWirtschaft und Politik vor Ort neue Perspektiven zuentwickeln.Nicht nur neue Modelle und Projekte stehen auf unse-rer Agenda, sondern auch die Verstetigung und Eva-luierung erfolgreicher Maßnahmen. Zu diesen gehört das
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Programm „Entwicklung und Chancen junger Menschenin sozialen Brennpunkten in Städten und ländlichen Räu-men“, dessen Ansatz von 1,5Millionen Euro auf 11,5Mil-lionen Euro erhöht wird. Es werden also 10 MillionenEuro draufgelegt.
Es lohnt sich, die Bilanz der bisherigen Maßnahmen, dieaus diesem Programm finanziert werden, anzusehen. Unsist es als Koalition allerdings wichtig, dass zu den bereitsbestehenden Maßnahmen neue und zusätzliche Angebotegemacht werden können, die bisher nicht im Maßnah-menkatalog waren.Außerordentlich erfreulich ist, denke ich, das großeEngagement junger Menschen im Rahmen der Freiwilli-gendienste. Mit der angestrebten Novellierung der ge-setzlichen Bestimmungen für die Freiwilligendienste sol-len die Einsatzfelder für das freiwillige soziale Jahr unddas freiwillige ökologische Jahr neu geregelt und um zu-sätzliche Bereiche wie zum Beispiel Kultur, Sport undDenkmalpflege erweitert werden. Zusätzlich spielen dieFlexibilisierung der Dauer des Dienstes, die Ausweitungauch auf das außereuropäische Ausland und die Änderungdes Mindestalters sowie die Ausstellung eines Zeugnissesmit Aufnahme berufsqualifizierender Elemente einegroße Rolle. Im Haushalt 2002 sind die Haushaltsmittelvon 11,1Millionen Euro um 5Millionen Euro aufgestocktworden, damit auch auf die zu erwartende erhöhte Nach-frage reagiert werden kann.Nachdem wir bereits in den Vorjahren im Zivildiensteine Verkürzung der Dienstzeit auf zehn Monate und eineAngleichung des Soldes für die Zivildienstleistenden vor-genommen haben, scheint mir die Öffnung bzw. diemögliche Verzahnung der Zivildienstableistung bei Frei-willigendiensten interessant und auch ein Angebot an die-jenigen zu sein, die Zivildienst leisten wollen. Anstelledes Zivildienstes können also anerkannte Kriegsdienst-verweigerer auch ein freiwilliges soziales oder ein ökolo-gisches Jahr neuerer Prägung ableisten.
Ich begrüße das sehr, da sich damit das Aufgabenspek-trum für jüngere engagierte Menschen deutlich erweitert.Nur wer die Sprache beherrscht, kann als Aussiedler,Ausländer, Flüchtling oder Asylsuchender in der Gesell-schaft Fuß fassen. Ich freue mich, dass die Diskussionüber das Sprachkonzept abgeschlossen ist und es sichauf dem Wege der Umsetzung befindet. Mit der Neu-strukturierung der Sprachförderung, die den individuellenBedarf in den Mittelpunkt stellt, werden wir ab 2003 ei-ner größeren Nachfrage nach dem Erwerb der deutschenSprache nachkommen können. Wir gehen davon aus, dassbis zu diesem Zeitpunkt auch das neue Zuwanderungsge-setz greifen wird, sodass das reformierte Sprachkonzeptein wichtiger Baustein in einem umfassenden Integrati-onskonzept sein kann.
Um besondere Elemente aus diesem Gesamtkonzeptschon im Jahre 2002 modellhaft erproben zu können, stel-len wir für dieses Haushaltsjahr zusätzlich 5 Millio-nen Euro zu den bisherigen Haushaltsmitteln von141,6 Millionen Euro ein.Neben dem Spracherwerb sollen aber auch sozial-pädagogische Begleitung und Hilfestellung angebotenwerden, um den Erfolg des Integrationsprozesses zu er-höhen. Selbstverständlich gehört für uns auch eineKinder-betreuung während der Teilnahme an Sprachkursen dazu.Im Interesse eines zusammenwachsenden Europassind der Austausch und das gegenseitige Kennenlernender Kinder und Jugendlichen über die Grenzen hinweg einunschätzbarer Faktor.
Die Arbeit zum Beispiel der Jugendwerke mit Frank-reich und Polen, aber auch andere Formen multinationa-ler Begegnung sind unverzichtbare Elemente auf demWeg zur Völkerverständigung.
Exemplarisch verbinden wir mit dem Haushalt 2002 die-sen europäischen Gedanken ganz nachdrücklich durcheine Verstärkung der Mittel für das Deutsch-Polnische Ju-gendwerk um insgesamt 500 000 Euro im Vergleich zu2001. Ich hoffe, dass der Kollege Dr. Luther nun beruhigtist, dass wir hier keine Kürzung vornehmen. Zu den Haus-haltsvermerken möchte ich mich nicht äußern. Sie kennenden Grund dafür genau. Das hat nichts damit zu tun, dassdie Arbeit des Deutsch-Polnischen Jugendwerkes einge-schränkt oder in ihrem Wert gemindert werden soll.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden nicht nurüber Gleichstellung und Chancengleichheit von Män-nern und Frauen, sondern wir haben mit dem Gleich-stellungsdurchsetzungsgesetz im öffentlichen Dienst unddem Betriebsverfassungsgesetz wesentliche Maßnahmenin der Frauen- und Familienpolitik in Angriff genommen.
Mit der Vereinbarung über Chancengleichheit, die dieBundesregierung am 2. Juli mit den Spitzenverbänden derdeutschen Wirtschaft getroffen hat, haben wir eine guteArbeitsgrundlage, um bessere gleichstellungspolitische,aber auch familienfreundliche Rahmenbedingungen inder Privatwirtschaft zu schaffen. Sie sieht die Formulie-rung verbindlicher und überprüfbarer Zielsetzungen zurVereinbarkeit von Familie und Beruf vor. Die SPD-Frak-tion und sicherlich auch die Fraktion der Grünen wird sehrgenau prüfen, ob die Eigeninitiative der Privatwirtschaftausreicht. Anderenfalls behalten wir uns vor, eine gesetz-liche Regelung vorzulegen.
LiebeKolleginnen undKollegen, dies ist der letzte Ent-wurf des Einzelplans 17, den ich Ihnen als Hauptbericht-erstatterin heute vorlege und zur Beschlussfassung emp-
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Antje-Marie Steen20017
fehle. Ich werde dem nächsten Bundestag nicht mehr an-gehören. Deshalb möchte ich die Gelegenheit zu einemDank nutzen. Zunächst danke ich meinen Kolleginnenund Kollegen Mitberichterstattern für die gute und kon-struktive Zusammenarbeit. In diesen Dank schließe ichdie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriumsein, besonders aber „mein“ Haushaltsressort unter der be-währten Leitung von Herrn Nücken. Sie alle haben mirmeine Aufgabe erleichtert – eine Aufgabe, in deren Mit-telpunkt die Familie als Kern desGemeinwesens steht unddie für meine politische Arbeit immer ganz wichtig war.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir hoffen aber alle,
dass dies noch nicht Ihre letze Rede war, sondern dass wir
Sie hier noch einige Male hören können.
Jetzt spricht die Kollegin Ina Lenke für die FDP-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Meine Damenund Herren! Wir beraten, wie Frau Steen gesagt hat, zumletzten Mal von dieser Regierung den Einzelplan 17 desFamilien- und Frauenministeriums.
Gemessen an den großartigen Ankündigungen von 1998,als Frau Steen den ersten Haushalt eingebracht hatte, ha-ben Sie drei Jahre lang kleine Brötchen gebacken. Wieschön Sie das Gleichstellungsgesetz für die Wirtschaftverpackt haben, zeigt, dass Sie aus der Mücke einen Ele-fanten gemacht und dasDefizit zumErfolg hochgelobt ha-ben. Wer sich da auskennt, weiß, dass das ganz anders ist.
Meine Damen und Herren, in der Frauenpolitik habenSie Gesetze produziert, besonders neue Schutzgesetze fürFrauen. Ich sage Ihnen: Das sind Bumerang-Gesetze,
die den Frauen mehr Schaden als Nutzen bringen werden:Das Gesetz zum Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit wirdzur Folge haben, dass bei der Einstellung künftig Männerbevorzugt werden, da sie in geringerem Maße als jungeFrauen nach einem halben Jahr Anstellung Teilzeit in An-spruch nehmen. Der heutige Kommentar in der „Frank-furter Allgemeinen Zeitung“ zeigt die Richtung auf undbelegt, dass dieses Gesetz wie ein Bumerang wirken wird.Auch die Senkung des Schwellenwertes beim Kündi-gungsschutz ist ein Einstellungshindernis besonders inkleinen Betrieben.
Wer mehr als fünf Mitarbeiter einstellt, muss sich beiKündigungen vom Staat hineinreden lassen.
– Natürlich, das ist eine frauen- und familienpolitischeDebatte. Genau um die Vereinbarkeit von Familie und Be-ruf geht es.
Ich sage Ihnen: Junge, qualifizierte Frauen wollenkeine Schutzzäune, die sie letztlich davon ausgrenzen,dass sich der Unternehmer dafür entscheidet, sie einzu-stellen.
Erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik für Frauen zielt aufeinen deregulierten Arbeitsmarkt und eine liberale Mittel-standspolitik, die Lust auf Personaleinstellungen macht.Rot-Grün hat uns in Europa hinsichtlich des Wirt-schaftswachstums auf einen der letzten Plätze verwiesen.
Die Arbeitslosenrate steigt. Auch Sie sagen doch, dass dieLeidtragenden höherer Arbeitslosigkeit die Frauen sind.Hier liegen die großen Versäumnisse der rot-grünen Re-gierung.
Sie verkünden einen neuen Aufbruch in der Frauenpolitik.Durch diese Bumeranggesetze haben Sie meines Erach-tens eine Bauchlandung geschafft.
Besonders schön hat der Bundeskanzler die Wichtig-keit Ihres Ressorts in dieser Koalitionsregierung auf denPunkt gebracht.
– Ach so, Sie wollen nicht hören, was der Bundeskanzlerauf dem Parteitag gesagt hat? Ich kann es Ihnen gern vor-tragen.Während Sie, Frau Bergmann, Gender Mainstrea-ming zum Durchbruch verhelfen wollen, erklärt Ihr Bun-deskanzler mal so nebenher, wie es geht. In aller Ruheführt er auf Ihrem Parteitag aus, dass er GenderMainstreaming als Begriff doch etwas sperrig finde. Da-mit erteilt er Ihren politischen Vorstellungen meines Er-achtens eine Generalabsage. Das macht er im frauenpoli-tischen Bereich besonders gern. Hat er nicht einmal von„Familienpolitik und sonstigem Gedöns“ gesprochen? In-sofern haben Sie bei Ihrem Kanzler noch Nachholbedarf.Meine Damen und Herren, wegen des Bundesverfas-sungsgerichtsurteils von 1998 mussten Sie nachlegen.
Sie haben das nicht freiwillig gemacht. Sie blieben aberfür Familien an der unteren Grenze. Es kam noch besser.
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Antje-Marie Steen20018
Das zweite Familienfördergesetz, von dem Sie so lobendgesprochen haben, hat eine Kindergelderhöhung von30 DM gebracht, die die Familien auch noch selbst finan-zieren mussten, denn es hat Umschichtungen von Familiezu Familie je nach deren Struktur gegeben.
Den Familien wurde der Haushaltsfreibetrag für Allein-erziehende gestrichen. Ebenso wurden ordentliche sozial-versicherungspflichtige Arbeitsplätze im Haushalt durchdie Streichung des ach so beschimpfenswerten Dienst-mädchenprivilegs gestrichen. Ebenso haben Sie den Aus-bildungsfreibetrag für Kinder, die auswärts studieren, zu-sammengestrichen.Ihre Familienpolitik, wie sie sich in diesem und in an-deren Gesetzen niederschlägt, ist nur ein Verschiebebahn-hof. Wenn Sie sich den Leitantrag der SPD zu ihrem Par-teitag richtig durchlesen, dann erkennen Sie, dass Siezum Bereich der Kinderbetreuung keine Aussage getrof-fen haben. Hier höre ich von Frau Steen, dass Sie das al-les auf die Kommunen und auf die Länder abschieben.
– Sicher sind Sie dafür zuständig. Aber Frau Bergmannhat zu Beginn der Legislaturperiode versprochen, dass sieauf diesem Gebiet etwas tun wird. Diese Zusage hat sienicht eingehalten.
Ich will noch einmal kurz auf die Grünen eingehen. Ichmuss ihnen ein Lob zollen. Auf dem Parteitag der SPD istdie Familienpolitik ein bisschen nach hinten gerücktworden.
Im krassen Gegensatz dazu steht der Koalitionspartner.Die Grünen hatten auch gerade einen Parteitag. Sie hattenmehr mit dem Umfallen zu tun, als dass sie etwas für dieFamilienpolitik tun konnten.
Das war kein Thema auf deren Parteitag.Meine Damen und Herren, ich will noch etwas zu un-seren Vorstellungen von Vereinbarkeit von Familie undBeruf sagen.
Wir sehen diese als zentrales Ziel liberaler Frauen- undFamilienpolitik an. Das allerwichtigste sind Angebote anflexibleren staatlichen und privaten Kinderbetreu-ungsmöglichkeiten.
In dieser Hinsicht haben Sie in dieser Legislaturperiodenichts unternommen. Wir haben unsere Forderungen inden von uns in dieser Zeit eingebrachten Anträgen deut-lich gemacht.Ich komme nun zum Thema Zivildienst, der mir im-mer ein Anliegen war. Sie schrecken auch beim Zivil-dienst vor sozialen Ungerechtigkeiten nicht zurück. DieAnsprüche der Zivildienstleistenden in der Rentenversi-cherung haben Sie gekürzt. Sie haben auch das Weih-nachtsgeld für die Zivildienstleistenden, die ja länger die-nen – das wissen Sie ganz genau –, gekürzt.
Sie haben es versäumt, die Öffentlichkeit darauf auf-merksam zu machen, dass es beim Zivildienst eine Ableis-tung in Teilen gibt, nämlich sieben plus drei Monate. Da-von habe ich von dieser Regierung und auch von denRegierungsfraktionen nichts gehört.Eine Ihrer schwerwiegendsten Fehlleistungen dieserLegislaturperiode ist für mich, dass ein Gesamtkonzeptfür die Freiwilligendienste – ich meine nicht die abge-speckte Version, die Sie in der nächsten oder übernächstenWoche vorlegen werden – fehlt.Es ist schon ein Hammer – das ist das Zweite –, eineGreencard für Pflegekräfte einzuführen, statt ein nach-haltiges Zukunftskonzept in diesem Bereich zu ent-wickeln.
Das ist eine blamable Antwort auf das Erfordernis vonKonzepten, die wir in einer alternden Gesellschaft von ei-ner Bundesregierung erwarten.Ich hätte gern noch etwas zu der Integration auslän-discher Jugendlicher gesagt. Ich hätte gern noch etwaszum deutsch-russischen Jugendwerk gesagt. Für all dassetzt sich mein Kollege Haupt ein.
Aber eines will ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kolle-gen, noch sagen: Wir wollen uns für Frauen- und Famili-enpolitik in der Bundesrepublik einsetzen – aber mit libe-ralen Konzepten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Christian Simmert für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liberale Konzepte zur Förderung von Frauenauf dem Arbeitsmarkt lassen sich weder durch das Lust-prinzip, wie Sie das gerade genannt haben, noch durch ei-nen deregulierten Arbeitsmarkt realisieren.
Realisieren lassen sie sich so, wie die Bundesregierung estut, nämlich durch eine kluge und sehr gut überlegteSteuerung, wie das zum Beispiel im Bereich der Teilzeit-arbeit oder auch in anderen Bereichen geschieht. – Dasnur zu dem Punkt von Ihnen, Frau Lenke.
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Ina Lenke20019
Was die Erhöhung des Kindergeldes angeht – 80 DMin dieser Legislaturperiode –, so sind die Leistungen derBundesregierung erheblich. Das sollten auch Sie von derFDP zur Kenntnis nehmen.
Wir haben im Bereich der Jugend- und Familienpolitiküber die Erhöhung einiger Ansätze klare Akzente gesetzt.Ziel dieser Politik ist aus grüner Sicht eine eindeutigeStärkung der Zivilgesellschaft.Die „Berliner Zeitung“ hat im Juli dieses Jahres von186 rassistischen Vorfällen und Übergriffen an Branden-burger Schulen berichtet. Das ist alarmierend. Hier zeigtsich, dass Rechtsextremismus und Rassismus nichtdurchgängig die konsequente Ablehnung erfahren, dienotwendig wäre. Wir müssen erkennen, dass es nicht aus-reicht, die bessere Argumentation zu haben. Einfache Lö-sungen oder Patentrezepte gegen diese gefährliche gesell-schaftliche Entwicklung gibt es nicht. Hier sind vielmehrkontinuierliches Engagement der Gesellschaft und aucheine Fortsetzung der Anstrengungen gefragt, die die Bun-desregierung im letzten Sommer begonnen hat. Es sindgerade die kleinen Initiativen und Projekte vor Ort, diekonkrete erfolgreiche Arbeit gegen Rechtsextremismusleisten. Sie werden durch das Programm „Civitas“zukünftig mit 2,5 Millionen Euro mehr gefördert. Ich binfroh darüber, dass die Bundesregierung hier einen klarenWeg gefunden hat.
Dass die Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttatenbesondere Hilfe benötigen, versteht sich von selbst. Des-halb wird der Etat für die Beratung und Betreuung dieserMenschen auch um 2,5 Millionen Euro erhöht.Die rot-grüne Bundesregierung sieht sich darüber hi-naus in der Pflicht, weitere Maßnahmen gegen Gewaltund Rechtsextremismus zu finanzieren. Dafür stehen10 Millionen Euro zur Verfügung.Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser konkrete Ein-satz der Bundesregierung zeigt, dass wir für die demokra-tischen Grundlagen unserer Gesellschaft einstehen. Esgehört zu den Aufgaben der Politik, Minderheiten zuschützen und den gleichberechtigten, respektvollen Um-gang mit allen Menschen zu sichern.
Hierzu gehört für Bündnis 90/Die Grünen auch dieFörderung der Integration junger Zuwanderinnen undZuwanderer. Nachdem in dieser Legislaturperiode nunendlich – hoffentlich – klargestellt wird, dass Deutschlandein Einwanderungsland ist, muss aus unserer Sicht auchder Bereich der Integration verstärkt Berücksichtigungfinden. Dem kommt die Bundesregierung nach. Wir stel-len für jugendliche Migrantinnen und Migranten 5Millio-nen Euro zusätzlich zur Verfügung. Damit hier keineMissverständnisse aufkommen: Die Maßnahmen zurSprachförderung werden vom Bundesministerium für Ar-beit und Soziales mit circa 44 Millionen Euro zusätzlichfinanziert.
Stärkung der Zivilgesellschaft bedeutet aus grünerSicht aber auch Stärkung des freiwilligen Engagements,gerade von jungen Menschen. Engagement in der Gesell-schaft ist der soziale Kick der Demokratie. Mir ist es be-sonders wichtig, dass wir noch in dieser Legislaturperiodeeinen wichtigen Schritt hin zur Stärkung dieses Bereichestun. Mit der Novelle des Gesetzes zur Förderung einesfreiwilligen sozialen Jahres und der Novelle des Gesetzeszur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres ent-wickeln wir die klaren gesetzlichen Grundlagen weiter,die es Jugendlichen ermöglichen, sich ein Jahr lang im In-und Ausland in sozialen, ökologischen, kulturellen, sport-lichen und denkmalpflegerischen Bereichen zu engagie-ren. Frau Lenke, ich empfehle Ihnen, den Gesetzentwurfund dessen Novellierung zu lesen. Dann können wir unsüber die Konzepte unterhalten.
Reden Sie in diesem Punkt nicht so viel ins Blaue hinein!Gerade der Ausbau der Freiwilligendienste bedeutetaus grüner Sicht für Jugendliche verstärkt die Möglich-keit, ihre soziale und interkulturelle Kompetenz zu stei-gern. Mit einem Zeugnis im Anschluss an diesen Lern-dienst wird diese wichtige Erfahrung in der Biografie derEinzelnen belegbar und nachvollziehbar.An dieser Stelle möchte ich besonders darauf hinwei-sen, dass Jugendliche im Freiwilligendienst endlich kin-dergeldberechtigt sind. Diese Verbesserung allein genügtjedoch nicht; deshalb stellen wir zur Finanzierung derKosten für pädagogische Begleitung zusätzlich 5 Millio-nen Euro bereit.Die meisten Jugendlichen zeigen große Neugier aufEuropa. Ein wichtiges Instrument zur Förderung der in-terkulturellen Kompetenz und zum Abbau von Vorurtei-len ist ohne Zweifel der Jugendaustausch. Gerade imHinblick auf vorhandene Ängste vor der EU-Osterweite-rung wird der Aufenthalt von Jugendlichen in den osteu-ropäischen Nachbarländern der Bundesrepublik beson-ders wichtig. Konkrete Erfahrungen sind immer mehrwert als alle Erklärungen; deshalb wird im kommendenJahr der Betrag zum Deutsch-Polnischen Jugendwerk um500000 Euro aufgestockt. Wie Sie sehen, fördern wirkonkrete Ansätze der Zivilgesellschaft, um sie zu stärken.Lassen Sie mich zum Schluss noch kurz auf einen Be-reich eingehen, der mir persönlich und aus eigener Erfah-rung sehr am Herzen liegt: der Zivildienst.
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Christian Simmert20020
– Frau Lenke, auch das werden Sie noch ertragen müssen.Meine Redezeit ist aber gleich um. –Mit der weiteren Ver-kürzung der Dienstzeit von 13 auf elf Monate nehmen dieZivildienstleistenden eine Soldminderung in Kauf. Umdie Ungleichbehandlung gegenüber Wehrpflichtigennicht zu vergrößern, ist es uns jedoch wenigstens gelun-gen, die Mobilitätspauschale anzugleichen. Mir persön-lich reicht das nicht aus. Ich hätte gerne den einen oder an-deren Verteidigungspolitiker vom Gegenteil überzeugt.Aber Sie wissen ja, wie beratungsresistent der eine oderandere Verteidigungspolitiker sein kann.
Insgesamt jedoch bildet der Einzelplan 17 eine solideGrundlage für die Arbeit der rot-grünen Bundesregierungim nächsten Jahr. Wir werden dem Haushalt daher zu-stimmen.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Kol-
legin Monika Balt für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damenund Herren! Dieser Haushalt hat wirklich riesige Defizite.Lassen Sie mich zuerst auf die Situation von Familien mitbehinderten Kindern zu sprechen kommen. In ihrem„Berliner Memorandum“ verwiesen auch die vier großenFachverbände, die die Hilfen für Menschen mit geistigerBehinderung bereitstellen, erst kürzlich auf die enormenBelastungen, die auf Familien mit behinderten Ange-hörigen zukommen.Die PDS unterstützt mit allem Nachdruck die Forde-rung dieser Fachverbände nach entbürokratisierten Bera-tungsangeboten, nach familienunterstützenden Diensten,nach integrativen Angeboten in Kindertagesstätten, Schu-len, Bildungseinrichtungen und Vereinen.
Wir wissen, dass bei Wahlangeboten, die ein möglichstselbstbestimmtes Leben garantieren können, ein großerBedarf besteht.An dieser Stelle stoßen wir auf die Realität des Bun-deshaushalts: Die kommunalen Haushalte werden vomBund immer stärker belastet. Aber gerade die sozialenDienste, die vor Ort erbracht werden müssen, müssenüberwiegend von den Kommunen bezahlt werden.
Während der Bedarf steigt, werden die Mittel eher weni-ger. Wir fordern vom Bund ein finanziertes Leistungsge-setz für Menschen mit Behinderungen.Wir fordern, dass Nachteilsausgleiche aus der Einbindungin die Sozialhilfe herausgelöst werden müssen. Damitwürde das Armutsrisiko für Familien mit behinderten An-gehörigen entscheidend reduziert werden.
Zum Bundeserziehungsgeldgesetz: Es sollte dasKern- und das Glanzstück rot-grüner Familienpolitik wer-den. Die zaghaften Änderungen haben aber die materielleSituation von Familien mit Kleinkindern kaum verbes-sert. Wir fordern die Bundesregierung auf: Wenn schondadurch eingespart wird, dass die Kinderzahl immer wei-ter sinkt, dann lassen Sie die eingesparten Beträge we-nigstens nicht einfach im Haushalt verschwinden.
Verteilen Sie sie auf die Familien mit Kleinkindern undverteilen Sie sie auf die Kommunen.Ein nächster Punkt: Häusliche Alten- und Kranken-pflege ist nach wie vor Frauensache. Das hat zur Folge,dass Frauen nicht nur aufgrund von Kindererziehungs-zeiten, sondern auch aufgrund ihrer Pflegeleistungen er-hebliche berufliche Nachteile haben, vor allem wenn sienach pflegebedingten Unterbrechungen wieder in den Be-ruf zurück wollen. Es ist ein Skandal, dass zum Beispieldas neue Job-Aqtiv-Gesetz ausgerechnet Frauen, die ihreAngehörigen pflegen, von der Beitragspflicht zur Ar-beitslosenversicherung ausnimmt. Pflegezeiten müssen indie Versicherungspflicht mit einbezogen werden.
Ein anderer Punkt: Die Koalition hat den Frauen 1998ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft ver-sprochen. Nun gibt es kein Gesetz, noch nicht einmal eineSelbstverpflichtung der Wirtschaft,
sondern eine Vereinbarung der Wirtschaftsverbände. DieVerbände haben klargestellt, dass sie sich durch diese Ver-einbarung zu nichts verpflichtet fühlen. Die PDS bleibtdabei: Wir wollen ein verbindliches Gesetz mit klarenRegelungen;
denn nur dadurch wird sich bei der Gleichstellung etwasbewegen.
Ein Wort zur Kinder- und Jugendarbeit: Die Arbeitder freien Träger der Jugendhilfe ist besonders in denneuen Bundesländern bisher ausschließlich durch Förder-maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit über ABM mög-lich. Mit dem Auslaufen dieser Maßnahmen wird konti-nuierliche Kinder- und Jugendarbeit gefährdet. DieKommunen sollen die Lasten tragen, aber die haben keinGeld. Die Annahme unseres Antrages, einen Bundesfondszur Finanzierung kontinuierlicher und langfristiger Arbeitim Kinder- und Jugendbereich einzurichten, der 15 Milli-onen Euro umfassen sollte, würde einen Anschluss an dieRegelfinanzierung gewähren.
Mir als Vorsitzender des Brandenburger Arbeitslosen-verbandes liegen Vereine und Verbände natürlich beson-ders am Herzen. Nach Auskunft des Ministeriums gibt es
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Christian Simmert20021
seit 1990 keine neuen Aufnahmen in die institutionelleFörderung des Bundes. Dadurch erhält nicht ein einzigerostdeutscher Verein eine institutionelle Förderung. DurchProjekt- und Modellförderung ist aber keine pluralistischeVereinsstruktur aufzubauen. Genau die ist für die sozialeund kulturelle Infrastruktur im Osten nötig.
Selbst unser Versuch, eine gezielte Projektförderungder Volkssolidarität in den Haushalt 2002 aufzunehmen,scheiterte mit der Begründung, dass das nicht landesweitwirke.
Diese hervorragende Arbeit für Zehntausende Seniorenwird einfach ignoriert. Mit diesem Haushalt beweisen Sieerneut, wie weit Sie von der Realität entfernt sind.Lassen Sie mich abschließend noch etwas sagen. HeuteNacht verstarb die ehemalige Brandenburger Sozialminis-terin Regine Hildebrandt. Ihr Tod hat mich tief getroffen.Ich habe mich seit elf Jahren gemeinsam mit RegineHildebrandt für die Situation der Erwerbslosen, insbeson-dere der erwerbslosen Frauen, und der sozial Benach-teiligten in Brandenburg eingesetzt. Ihr soziales Engage-ment sollte für uns alle Verpflichtung sein.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht die Kol-
legin Maria Eichhorn für die Fraktion der CDU/CSU.
Frau Präsidentin!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die rot-grüneRegierungskoalition hatte in ihrer Koalitionsverein-barung für den Politikbereich Familie, Senioren, Frauenund Jugend versprochen – jetzt zitiere ich sie –:Wir sorgen dafür, dass sich die wirtschaftliche undsoziale Lage der Familien spürbar verbessert.
Der tatsächliche Stellenwert der Familienpolitik fürden Bundeskanzler offenbarte sich aber bereits mit der Ti-tulierung des zuständigen Ministeriums als „Ministeriumfür sonstiges Gedöns“. So sieht auch Ihre Bilanz aus,meine Damen und Herren.
Bei dem so genannten Zweiten Gesetz zur Familien-förderung handelt es sich lediglich um eine Mindestum-setzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.Die Erhöhung des Kindergeldes um 30 DM für das ersteund zweite Kind ist völlig unzureichend.
Dritte und weitere Kinder gibt es in Ihrer Politik nicht.Eine erhebliche Verschlechterung ergibt sich für Al-leinerziehende.
– Ja, Sie werden unruhig, wenn man Ihnen die Wahrheitsagt. –
Der Haushaltsfreibetrag wird ab 2002 gekürzt und imJahre 2005 ganz entfallen. Die Bundesregierung hat keineAuffangmöglichkeiten für den finanziellen Verlust ge-schaffen. So sagte der Verband allein erziehender Mütterund Väter bereits im Juni dieses Jahres, dass Alleinerzie-hende bis zum Jahre 2005 ihre eigene Kindergeld-erhöhung mit 1,8 Milliarden DM finanzieren. So ist dieWahrheit.
Dazu kommen die Ökosteuer und die Erhöhung der So-zialabgaben, sodass vom Kindergeld überhaupt nichtsmehr übrig bleibt.
– Das wollen Sie natürlich nicht hören. Das ist ganz klar.
Aber lassen Sie es sich dann von der „Süddeutschen Zei-tung“ sagen, die am 27. Juni dieses Jahres geschriebenhat: „Kinderarmut hat unter Rot-Grün zugenommen“.
Mit dem Konzept der Familienoffensive derCDU/CSU-Fraktion dagegen wollen wir die Kinder ausder Sozialhilfe holen und einen gerechteren Ausgleichzwischen Familien und Kinderlosen erreichen.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-tion, ich frage Sie: Wo bleiben denn Ihre konkreten Aus-sagen? Frau Lenke hat es schon gesagt: Vom SPD-Partei-tag hat man kaum etwas gehört, vom Grünen-Parteitagganz zu schweigen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ihre so ge-nannte Rentenreform weist erhebliche Mängel auf. Siebelastet überproportional die junge Generation, begüns-tigt die Entstehung von Altersarmut und benachteiligt dieRentnerinnen und Rentner durch Kürzungen aufgrund
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Monika Balt20022
willkürlicher Rechengrößen. Frauen sind die Verliererin-nen der Reform.
Denn sie trifft die Niveauabsenkung doppelt: einmal inder eigenen Rente und zum anderen durch die Kürzungder Witwenrente.Die Familien mit Kindern und die Geringverdienerwerden in der privaten Altersvorsorge völlig benachtei-ligt. Sie werden doch nicht glauben, dass man mit7,50 DM pro Kind und Monat eine wirkliche zusätzlicheAlterssicherung aufbauen kann.
Den Satz „Jedes Kind ist gleich viel wert“ haben Sie beidieser Rentenreform außer Kraft gesetzt.
Meine Damen und Herren, Ihre Frauenpolitik istgleich null. Sie haben im Aktionsprogramm „Frau undBeruf“ versprochen:Wir werden verbindliche Regelungen zur Frauenför-derung einführen, die auch in der PrivatwirtschaftAnwendung finden müssen.Dies haben, Frau Bergmann, Ihre Kabinettskollegen ver-hindert.
Sie haben keine Maßnahmen entwickelt, die zu einer ef-fektiven Gleichstellung führen. Der „Spiegel“ sagt zuRecht: „Die SPD hat die Frauenbewegung für tot erklärt.“Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
Auch in der Jugendpolitik haben Sie viel versprochen,zum Beispiel den Abbau der Jugendarbeitslosigkeit. Wiesieht die Bilanz aus? Im Juli 2000 waren 18 817 Jugend-liche unter 25 Jahren länger als ein Jahr arbeitslos. Über2 000 waren sogar länger als zwei Jahre arbeitslos. Dasheißt also, Ihr Jugendsofortprogramm JUMP, das Sie im-mer groß feiern, war ein völliger Flop.
Jugendpolitik findet nicht statt. Die drängenden Pro-bleme des Jugendschutzes und des Jugendmedien-schutzes wurden von Ihnen in eine Bund-Länder-Arbeits-gruppe wegdelegiert. Aber es ist doch unbestritten, dassein verstärkter Jugendmedienschutz dringend notwendigwäre, um Kinder und Heranwachsende vor dem Konsumgefährdender Medieninhalte zu bewahren.Die lang angekündigte Reform des freiwilligen ökolo-gischen und sozialen Jahres wird erst jetzt verwirklicht,und das – Frau Lenke sagte es schon – nur in Ansätzen.Der Zivildienst wurde gekürzt.
Über 160 Millionen DM wurden eingespart. Das heißt,die Betreuung von kranken, alten und schwerbehindertenMenschen wird immer schwieriger.
Meine Damen und Herren, die Zahl der älteren Men-schen steigt. Sie hatten versprochen, dass Sie die Chancender älteren Generation vermehren werden und die Chan-cen, die sich aus dem längeren Leben der Bevölkerung er-geben, nutzen wollen. Aber Ihre einzigen Leistungen imSeniorenbereich sind das Heimgesetz und das Altenpfle-gegesetz.
Ihr Altenpflegegesetz führt nicht zu einer besseren Aus-bildung, sondern zu einer schlechteren. So gewinnen Sie,meine Damen und Herren, nicht die zusätzlichen Pflege-kräfte, die wir dringend brauchen würden.
Ich zitiere Frau Dr. Hoppe, die ja Fachfrau auf diesem Ge-biet ist. Sie hat gesagt: Das Altenpflegegesetz ist in seinerZielrichtung gescheitert.Seniorenpolitik kann sich nicht in Heimaufsicht undAltenpflege erschöpfen. Wir müssen gerade jungen AltenChancen geben; diese benötigen dafür eine ausreichendesoziale Absicherung, die Sie aber durch Ihre Renten-reform verhindert haben.Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hatte an-gekündigt, nicht alles anders, aber vieles besser zu ma-chen. Ihre Bilanz in der Familien-, Senioren-, Frauen- undJugendpolitik ist kläglich. Wie in vielen anderenPolitikbereichen gilt hier genauso: viel versprochen,kaum etwas gehalten.
Deswegen werden wir diesen Haushalt ablehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Bun-desministerin Christine Bergmann.Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-milie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Präsidentin!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Eichhornund Herr Luther, so viel bewusste Fehlinformationen,
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Maria Eichhorn20023
wie Sie hier geliefert haben, habe ich lange nicht mehrgehört. Ich werde im Einzelnen noch darauf zu sprechenkommen.
In einer Sache haben Sie, Frau Eichhorn, natürlichRecht: Wir haben gesagt, wir wollen die wirtschaftlicheund soziale Lage der Familien spürbar verbessern. Genaudas haben wir getan. Wir haben es nicht nur für die Fami-lien, sondern auch für die Jugendlichen getan.
– Hören Sie doch einmal zu. Das hören Sie nicht gerne,aber so ist es.Ich möchte auf die Grundsätze der Haushaltspolitik zusprechen kommen, weil in der Haushaltspolitik nämlichdeutlich wird, wie man mit den Zukunftschancen von Fa-milien und den Jugendlichen umgeht.
Konsolidierung bedeutet eben nicht, auf Kosten dernächsten Generation zu leben. Das wäre keine gute Fami-lien- und Jugendpolitik.
Trotz der konsequenten Haushaltskonsolidierung habenwir natürlich im Haushalt 2002 deutliche Akzente gesetzt.
Ich komme jetzt auf den Bereich der Jugendpolitik zusprechen. Es ist schon gesagt worden, dass wir für diesenBereich mehr Geld vorsehen. Sie können ja vielleichtnoch rechnen. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir vorkurzem das erste Mal ein ressortübergreifendes Regie-rungsprogramm für die Jugendpolitik mit dem Titel„Chancen im Wandel“ auf den Tisch gelegt haben.
Damit schaffen wir verlässliche Rahmenbedingungen fürdie Zukunft, es geht dabei um Chancen auf Arbeit und Bil-dung. Wir fördern gezielt die Erziehung zu Demokratie.Ich komme jetzt auch gleich zu dem Punkt Jugend-arbeitslosigkeit, den Sie, Herr Luther, natürlich auchFrau Eichhorn und andere angesprochen haben. Natür-lich haben wir die Jugendarbeitslosigkeit kräftig zurück-geführt. Schauen Sie sich doch einmal die Zahlen von1998 an.
Natürlich führen wir das JUMP-Programm, für das wir2 Milliarden DM zur Verfügung stellen, weiter fort. Wirsind damit noch nicht zufrieden und wissen, in welchenRegionen es noch hapert. Aber das erste Mal haben alleJugendlichen ein Ausbildungsangebot bekommen.
– Was regen Sie sich denn so auf? Hören Sie es sich docheinmal an! – Wir haben in diesem Jahr eine positive Bi-lanz.
Wir wissen, dass wir damit vor allen Dingen im Ostennoch Probleme haben,
deswegen brauchen wir noch die Sonderprogramme.Aber das haben wir geschafft. Es ist klar, dass wir damitnoch nicht zufrieden sind und noch mehr erreichen wol-len. Aber das müssen Sie doch wenigstens einmal zurKenntnis nehmen, wenn Sie einigermaßen fair und sach-lich an das Ganze herangehen.Wir haben in dieses Programm, wie Sie wissen, die Er-fahrungen, die wir mit der Ausweitung des Programms„Entwicklung und Chancen für junge Menschen“ auf so-ziale Brennpunkte gemacht haben, einfließen lassen, weilwir wissen, dass es für manche Jugendliche nicht reicht,wenn sie eine Chance bekommen. Sie brauchen auch einezweite, wenn es bei der ersten nicht geklappt hat. Wir wol-len alle Jugendlichen mit auf den Weg nehmen. Deshalbhaben wir hier auch noch einmal Geld für diejenigen be-reitgestellt, die neben dem Ausbildungsplatz oder derQualifizierung noch eine sozialpädagogische Betreuungvor Ort brauchen. Ich bin froh, dass wir das gemachthaben.
Wir sind uns alle darüber im Klaren, dass wir geradenach dem 11. September den interkulturellen Dialogverstärkt fördern müssen. Damit komme ich zu dem Be-reich des internationalen Jugendaustausches. Es gibt350 000 junge Menschen, die Jahr für Jahr an diesem Ju-gendaustausch teilnehmen.Herr Luther, wir haben im Bereich des Deutsch-Polni-schen Jugendwerkes aufgestockt. Nun wollen wir unsdoch nicht dümmer machen, als wir sind. Auch Sie wol-len das nicht, Herr Luther.
Sie wissen sehr genau, dass um 1Million DM aufgestocktwurde. Ich rechne es Ihnen einmal ganz langsam vor, da-mit Sie mitkommen: Eine Erhöhung um 500 000 DM warim Haushalt schon vorgesehen. Dann gab es den Wunschnach einer weiteren Aufstockung. Wir sind immer dafür,wenn es möglich ist. Diese Aufstockung war natürlich nurim Rahmen des Haushaltsverfahrens möglich, weil derHaushalt schon vorlag. Somit ergibt sich eine Steigerungum insgesamt 1 Million DM. Ich halte es für sehr wichtig,dass wir das geschafft haben.
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Bundesministerin Dr. Christine Bergmann20024
Wir wissen, wie sehr sich Jugendliche in unterschied-lichen Bereichen engagieren. Wir machen dieses Geredevon den Jugendlichen, die auf nichts Bock haben, nichtmit, weil wir wissen, wie groß ihr Engagement ist. Es istschon angesprochen worden, dass wir die Mittel für dasfreiwillige soziale und das freiwillige ökologische Jahrerhöhen, weil die Nachfrage größer ist als die Zahl derPlätze. Wir werden das entsprechende Angebot erweitern.Ich muss dazu noch eine Bemerkung machen. FrauEichhorn, Projekte im Bereich der Kultur und des Sportslaufen schon. Wir kommen jetzt mit dem Gesetz nach. Da-bei wird es darum gehen – Herr Holetschek, ich glaube,Sie haben es angesprochen –, dafür zu sorgen, dass dieaußereuropäischen Freiwilligen nicht schlechter gestelltwerden. Hinzu kommen noch einige andere Verbesserun-gen. Das sind doch wichtige Punkte.Weil wir wollen, dass wir Politik nicht nur für, sondernauch mit Jugendlichen machen, haben wir die Beteili-gungsbewegung initiiert. Ich finde, es läuft prima. Es istaber auch klar: Wenn man mit Jugendlichen arbeitet, gibtes auch den einen oder anderen Punkt, der zu Kritik An-lass gibt. Es ist aber eine ganz wichtige Sache, dass sichJugendliche und Kinder angesprochen fühlen. Ich kannSie nur ermuntern, sich um die entsprechenden Projektezu kümmern.Ganz besonders freue ich mich darüber – dafür möchteich allen Abgeordneten danken –, dass es gelungen ist, daserfolgreiche Aktionsprogramm „Jugend für Toleranz undDemokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeind-lichkeit und Antisemitismus“ im gleichen Umfang wiebisher weiterzuführen.
Dieses Programm brauchen wir. Wir machen damit deut-lich, dass wir nicht nur reagieren, wenn Rechtsextremis-mus und Ausländerfeindlichkeit in den Schlagzeilen sind.Wir wissen nämlich, dass wir einen langen Atem brau-chen.Nun noch einmal zu Ihnen, Herr Luther. Man mussganz klar sagen, dass das, was Sie versucht haben, schä-big war.
Sie haben versucht, mir Äußerungen zu unterstellen, diein einem Vermerk meines Hauses enthalten waren.
Sie haben versucht, darzustellen, dass es sich um meineMeinung handele, obwohl ich das im Haushaltsausschussund im Haus selber klargestellt habe. So sollten wir nichtmiteinander umgehen.
Aber anscheinend ist Herrn Luther jedes Mittel recht.
Ein Punkt ist auch klar: Natürlich sind Rechtsextre-mismus und Ausländerfeindlichkeit nicht nur einThema in den neuen Bundesländern. Ich denke, darübersind wir uns alle einig. Trotzdem gibt es in den neuenBundesländern besondere Probleme. Wir sollten deshalbnicht so tun, als ob dies nicht so sei. Es hilft nämlich nicht,den Kopf in den Sand zu stecken. Ich weiß ja, dass Sie ge-gen das Civitas-Programm sind. Ich bin aber froh, dasswir für dieses Programm mehr Geld zur Verfügung stel-len. Herr Luther, sächsische Projekte werden in gleicherWeise unterstützt. Auch in Sachsen gibt es sehr gute Pro-jekte.Wir können über die Ursachen des Rechtsextremismusan einer anderen Stelle streiten. Ich habe mich aber ge-wundert, dass Sie fast so tun, als ob die DDR eine Hoch-burg der Demokratie gewesen sei. Ich habe es ein biss-chen anders erlebt. Aber die Erfahrungen sind individuellverschieden.Noch ein weiterer Punkt aus dem Jugendbereich. FrauEichhorn, Sie sprechen dieses Thema immer an. Sie wis-sen, dass Medienschutz und Jugendschutz Themensind, die nicht nur von der Bundesebene allein ausgeführtwerden können. Wir haben in diesem Bereich die Zu-ständigkeit der Länder. Deshalb ist es ein mühsamer Pro-zess. Im Dezember gibt es noch Beratungen. Wir hoffen,dass wir entsprechende Maßnahmen noch auf den Wegbringen können. Dafür sind alle Vorarbeiten geleistetworden.Wenn wir über die Familienpolitik reden, dann müssenwir natürlich auch feststellen, dass wir die Familien ent-lastet haben. Ihnen stehen im nächsten Jahr über 20 Mil-liarden DM mehr zur Verfügung. Wenn das nicht eineMenge Geld ist, dann weiß ich es nicht. Die Familien wis-sen, dass sie sich auf uns verlassen können.
Die Familienkompetenz wird uns zugeschrieben, was Sieso sehr ärgert.
Die Menschen wissen ja, dass ihnen faule Versprechun-gen in einer Größenordnung, die nicht zu finanzieren ist,gar nicht helfen. Vielmehr brauchen sie ernsthafte Ver-besserungen im finanziellen Bereich, aber auch bei denRahmenbedingungen.Frau Lenke, wir haben uns nicht nur um die finanzielleBesserstellung gekümmert, sondern auch um bessereRahmenbedingungen. Da sind natürlich das Elternzeitge-setz und das Teilzeitgesetz ganz wichtig. Ich teile IhreMeinung in diesem Zusammenhang nicht. Ich war in denletzten Monaten viel unterwegs – das habe ich hier schonein paar Mal erzählt – und habe das Teilzeitgesetz überallmit angesprochen, auch in kleinen und größeren Betrie-ben. Das ruiniert die Betriebe nicht.
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Bundesministerin Dr. Christine Bergmann20025
Denn die wenigsten arbeiten in Teilzeit. Im Moment wirdja darüber debattiert, dass es dadurch keine Einstellungenvon Frauen mehr gibt.Wir sollten uns gemeinsam darum kümmern, dass sichin diesem Teilzeitbereich mehr Männer tummeln und dasses die Möglichkeit der Teilzeitarbeit in Führungspositio-nen gibt, damit das Negativimage der reduzierten Ar-beitszeit beseitigt wird. Das hilft uns dann insgesamt.
Wir haben etwas weiteres Wichtiges getan: Wir küm-mern uns darum, Eltern in ihrer Erziehungskompetenz zuunterstützen. Das ist sehr wichtig. Ich spreche hier dasRecht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung an. Wir ha-ben viele Vor-Ort-Aktionen gemacht. Sie wollten das al-les nicht. Sie waren gegen dieses Gesetz und hielten dasalles für nicht legitim. Aber ich sage Ihnen hier mit allemErnst: Wir haben die ersten Ergebnisse der Begleitunter-suchungen auf dem Tisch. Diese sind – das freut mich be-sonders – sehr positiv. Das heißt, das Gesetz ist bekannt,und zwar nicht nur bei den Multiplikatorinnen und Multi-plikatoren, sondern auch bei den Eltern. Es wird von denEltern akzeptiert.Nicht alle Einstellungen haben sich gleich geändert;das wissen auch wir. Aber wenn wir diesen Weg weiterverfolgen, dann wird sich zeigen, dass man mit diesemGesetz, mit entsprechenden Kampagnen und mit viel Un-terstützung ein anderes Erziehungsverhalten und andereLeitbilder in der Gesellschaft installieren kann. Das istdoch ein Erfolg! Wenn es uns gelingt, Gewalt in der Fa-milie zu reduzieren, dann haben wir alle unseren Job gutgemacht.
Natürlich geht es hier auch um den Ausbau vonBetreuungseinrichtungen. Ich kann Ihnen, Frau Lenke,nur sagen – darüber haben wir hier schon diskutiert –:2 Milliarden DM sind den Ländern im Rahmen des Zwei-ten Familienfördergesetzes mit dem Hinweis erlassenworden, dieses Geld für die Kinderbetreuung vorzusehen.
Aber dann müssen sie es natürlich auch tun.
Ich möchte noch ein paar Sätze zum Bereich derGleichstellung sagen. Wir haben natürlich in der Gleich-stellungspolitik eine Menge erreicht. Durch das Gleich-stellungsdurchsetzungsgesetz gibt es einen Einstel-lungswandel. Gender Mainstreaming kennt auch derBundeskanzler,
Sie alle von der Opposition vielleicht noch nicht. Es wirdin allen Bundesressorts umgesetzt.
Natürlich wirkt die Vereinbarung im Bereich der Privat-wirtschaft. Die Umsetzung werden wir hart kontrollieren.
Sehr viele hier erklären immer, es zu bedauern, dass eskein entsprechendes Gesetz gibt. Wenn Sie von vornhe-rein mitgekämpft hätten, dann hätten wir sogar eines. FrauLenke, Frau Eichhorn, offensichtlich wollten Sie ja so et-was.
Was haben wir alles im Antigewaltbereich – da bin ichwieder bei einem ganz ernsten Thema – zur Bekämpfungvon häuslicher Gewalt getan! Ich nenne jetzt nur das Ge-waltschutzgesetz. Das ist ganz wichtig. Die Verabschie-dung dieses Gesetztes war nur mit dieser Regierung mög-lich.
Ich sage Ihnen eines: Ich hätte eigentlich erwartet, dassauch Sie von der Opposition im Zusammenhang mit demZuwanderungsgesetz solidarisch mit den Frauen sind undsagen: Das Thema geschlechtsspezifische Verfolgung istein gemeinsames Frauenthema.
Ich habe von Ihnen nichts gehört. Man kann nicht am Ge-waltschutztag eine Erklärung dahin gehend abgeben, wietoll man das alles gestalten möchte, und dann in diesemBereich nichts tun.
An all diejenigen, die, wenn es um die Rente geht, nochNachhilfe brauchen, sage ich: Ich habe gerade gestern mitmeinem Kollegen, dem Arbeitsminister, einen Rentenrat-geber für Frauen herausgegeben. Der ist wunderbar.
In dem kann man sich wunderbar informieren – FrauEichhorn, nehmen Sie diesen einmal zur Hand und lesenSie ihn durch; die Einzelheiten können wir jetzt hier nichtalle herunterbeten –, was alles in dieser Rentenreform fürFrauen verbessert worden ist.Ein allerletzter Punkt – denn das hat mich nun wirklichgeärgert, Frau Eichhorn, was Sie hier abgeliefert haben –:Sie wissen genau, dass wir im Bereich der Seniorenpoli-tik viel auf den Weg gebracht haben: auf der einen Seitefür aktive Senioren, und zwar bis hin zum europäischenVolontariat. Auf der anderen Seite im Rahmen einer bun-deseinheitlichen Altenpflegeausbildung natürlich auchdort, wo Hilfe notwendig ist. Wenn Sie sich jetzt hier hin-stellen und bedauern, dass dieses Pflegegesetz das nichtleistet, muss ich sagen: Wenn wir es nur hätten!
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Bundesministerin Dr. Christine Bergmann20026
Wir haben ein gutes Gesetz beschlossen, das uns aus derPflegemisere heraushelfen würde, das den Beruf aufwer-ten, attraktiver machen würde, uns eine ordentliche Aus-bildung verschaffen würde. Aber Bayern hat dafürgesorgt, dass das Gesetz jetzt beim Bundesverfassungs-gericht liegt.
Deshalb ist das, was Sie hier sagen, wirklich ein ganz star-kes Stück.Dass wir, diese Regierung, es im Internationalen Jahrder Freiwilligen endlich geschafft haben, dass Freiwilli-genarbeit anerkannt wird, dass endlich einmal danke ge-sagt wird für das, was viele Freiwillige tun – auch ichspreche hier meinen Dank aus –, das ist doch etwas, waswir uns als Leistung anrechnen können.Ich habe ein gutes Gewissen angesichts dessen, waswir geleistet haben. Wir werden das auch weiterhin tun.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Dr. Maria Böhmer für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau MinisterinBergmann, Sie haben gesagt, Familien in Deutschlandgehe es besser. Da muss ich Ihnen sagen: Das ist dergrößte Bluff aller Zeiten.
Ich will es Ihnen einmal anhand dessen, was Ihr Fi-nanzminister heute erklärt hat, vorrechnen. Er hat erklärt,dass sich die Kindergelderhöhung durch die rot-grüneBundesregierung für eine Familie mit zwei Kindern imJahr auf einen Betrag von 1 920 DM summiere und dassdies dem 13. Monatsgehalt einer Verkäuferin entspreche.So weit, so gut; das stimmt. Aber er hat dann vergessen,die Gegenrechnung aufzumachen.
Die Gegenrechnung heißt, dass Familien von Ihnen imGegenzug kräftig zur Kasse gebeten werden.
Ihnen liegen ja besonders die Alleinerziehenden amHerzen. Auch wir haben ein deutliches Auge auf die Al-leinerziehenden;
denn sie stehen in der allergrößten Gefahr, unter die Ar-mutsschwelle zu rutschen. Deshalb muss man besondersdarauf achten, wie sich Ihre Beschlüsse bei den Alleiner-ziehenden auswirken.Für die Alleinerziehenden ist die Kindergelderhöhungeine Nullnummer und unter dem Strich legen sie sogarnoch drauf; denn Sie haben den Haushaltsfreibetrag inHöhe von 5 616 DM ersatzlos gestrichen.
Diese Streichung entspricht einem Verlust von 2 000 DMim Jahr und das ist das 13. Gehalt der Verkäuferin.
Das betrifft nicht nur die einzelne Verkäuferin, das be-trifft 18 Millionen Alleinerziehende in diesem Land.18 Millionen Alleinerziehende haben Sie mit diesen Be-schlüssen schlechter gestellt.
Die „taz“, deren Linie ja wahrlich nicht unsere ist, son-dern eher Ihre, hat am 2. November getitelt: „Arme zah-len mehr“. Das stimmt; das ist ein Skandal erster Klasse.
Aber Sie greifen nicht nur den Alleinerziehenden, Siegreifen allen Familien ins Portemonnaie. Ich greife auf,was die Kollegin Eichhorn gesagt hat: Es sind die Öko-steuer und der Anstieg der Krankenkassenbeiträge, die dieKindergelderhöhung voll auffressen.
Aber nicht genug mit diesen Einschnitten. Sie habenauch noch den Sonderausgabenabzug für die Haushalts-kräfte im Privathaushalt gestrichen, 18 000 DM. Das istnur eine Neidaktion, die Sie hier durchgeführt haben.
Was bedeutet das für die Familien? Ich will es Ihnen ein-mal deutlich zeigen: Eichel drängt die Mütter an den Herdzurück – so ist es nachzulesen. Das ist das Ergebnis IhrerPolitik.
Sollen Frauen und auch Männer, sollen die Familiennoch immerunterderDoppelbelastungvonBerufs-undFa-milientätigkeit leiden? Sollen die Frauen, die im Haushaltarbeiten, denn noch immer in der Schwarzarbeit bleiben?
Sind Sie denn nicht in der Lage, endlich einmal ein Kon-zept vorzulegen, durch das wirklich sozialversicherungs-pflichtige Arbeitsplätze im Privathaushalt geschaffenwerden?
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
Bundesministerin Dr. Christine Bergmann20027
Ihre Politik geht in der Tat an der Wirklichkeit vonFrauen und Familien vorbei, und das in eklatanter Art undWeise. Sie sollten sich ein Beispiel an dem rheinland-pfäl-zischen Sozialminister Gerster nehmen. Er hat gemerkt,dass die Weichen falsch gestellt worden sind, und er istbemüht, für den Arbeitsplatz Privathaushalt neue Rege-lungen zu schaffen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn dasbei Ihnen auf fruchtbaren Boden fallen würde; denn dannwürden die Familien im Land nicht mehr alleine dastehen.Ich kann nur an Sie appellieren: Folgen Sie dem Beispieldieses SPD-Sozialministers und tun Sie etwas für die Ar-beitskräfte im Privathaushalt.
Sie haben an der Stelle, an der es darum geht, Familienzu helfen, versagt. Vor allen Dingen haben Sie aber bei derAlterssicherung von Frauen in unserem Land versagt.
Als Sie gestern den Rentenratgeber für Frauen vorgestellthaben, hieß es, dass das, was es an Möglichkeiten gibt– Sie haben eben davon gesprochen –, wunderbar ist. IhrKollege Riester hat gesagt, dass das System der Begünsti-gungen konkurrenzlos gut ist. Ich kann nur sagen: Das,was hier geschieht, ist konkurrenzlos peinlich.
Frau Ministerin Bergmann, Sie haben sich bei der Aus-einandersetzung um die Frage, wie Frauen bei der Rentegeholfen werden kann, nicht mit unterstützenden Worten– geschweige denn mit Taten – gemeldet. Jetzt, da dasKind in den Brunnen gefallen ist, stellen Sie einen Ren-tenratgeber für Frauen vor. Das klingt in den Ohren derFrauen wie Hohn.
Sie haben – das ist belegbar – für das Aus der Wit-wenrente gestimmt. Im Januar ist die Witwenrente perGesetz zum Auslaufmodell deklariert worden. Wir habenes Ihnen in den Verhandlungen im Vermittlungsausschussimmer wieder vorgehalten.
In allerletzter Minute haben Sie dann auf Drängen derUnion, der Familien- und der Frauenverbände beigedreht.Nur deshalb wird es auch in Zukunft in diesem Land eineWitwenrente für Frauen, die sich der Aufgaben in der Fa-milie gewidmet haben, geben.
Schauen wir uns jetzt doch noch einmal einen Punktan, der Ihnen so sehr am Herzen liegt. Ich höre die ganzeZeit, dass man mehr für die Kinderbetreuung und insbe-sondere für die Ganztagsbetreuung tun müsse. Ich kannnur sagen: Richtig so!
Da muss mehr getan werden. Dies muss aber in der rich-tigen Form geschehen und nicht dadurch, dass von einerFamilie zur anderen umgeschichtet wird.Auf dem SPD-Bundesparteitag – ich habe es mir ange-hört und vor allem auch durchgelesen – wurde angekün-digt, dass Sie eine Umwandlung des Ehegattensplittingsplanen.
Diese Umwandlung des Ehegattensplittings würde – wennsie tatsächlich so käme – bedeuten, dass 2 Millionen Steu-erpflichtige in Deutschland jährlich 1 500 DM wenigerbekämen.
Das ist Fakt. Es trifft vor allen Dingen nicht nur die kin-derlosen Ehepaare, auf die Sie ja letztendlich zielen.Überwiegend trifft es die Familien,
in denen sich ein Elternteil – sei es die Mutter oder der Va-ter – in erster Linie der Kindererziehung widmet und des-halb auf die Erwerbstätigkeit verzichtet hat. Das istschlichtweg nicht hinnehmbar.
Wenn das alles dazu dienen soll, die Ganztagsschulenund die Ganztagsbetreuung in Deutschland auszubauen,dann muss ich sagen, dass bei der SPD hier wieder das alteSystem der Umverteilung stattfindet.
Das ist in keinster Weise gerecht gegenüber den Familien.
Vor einiger Zeit – es war am 7. November – habe ichgelesen, dass Renate Schmidt, die in der SPD jetzt offen-sichtlich für die Familienpolitik zuständig ist, mit Blickauf den Handlungsbedarf bei der Kinderbetreuung gesagthat, dass der Süden das Schlusslicht in ganz Deutschlandist.
Es lohnt sich, wieder einmal einen Blick auf die Landkartezu werfen und sich die Statistik anzuschauen. Ich kann nursagen: Da täuscht sich Frau Schmidt und sie täuscht dieBürgerinnen und Bürger.
Ich betrachte jetzt einmal ganz bewusst den Bereichder Ganztagsschulen. In Baden-Württemberg – das liegtbekanntermaßen im Süden – gibt es einen Anteil an Ganz-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 27. November 2001
Dr. Maria Böhmer20028
tagsschulen – er ist nicht überwältigend hoch – von6,8 Prozent. Wenn ich jetzt in den SPD-regierten Nordenschaue, dann sehe ich: In Bremen beträgt der Anteil0,7 Prozent, in Schleswig-Holstein 1,3 Prozent und inNiedersachsen 3 Prozent. Wer war denn in Niedersachsenlange Ministerpräsident? Es ist doch der Name Schröder,der sich mit diesem Misserfolg verbindet.
Da zeigt sich doch die Wahrheit. Es gibt eben einen Un-terschied zwischen Reden und Handeln. Jetzt wundert esmich auch nicht mehr, wenn Frau Simonis als Minister-präsidentin in Schleswig-Holstein fordert, man müsseauf Kindergelderhöhungen verzichten und dieses Geldin die Kinderbetreuung stecken. Die SPD hat es bitternötig.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem Gleichstel-lungsgesetz für die Wirtschaft sagen. Die SPD-Frauensind mit diesem Vorhaben kläglich gescheitert. KarinJunker war so ehrlich, auf dem Bundesparteitag der SPDzu sagen, dass Schröder dieses Wahlversprechen nichtumgesetzt hat. Recht hat sie, kann ich da nur sagen. DerDGB, der an dieser Stelle die ganze Zeit an der Seite derSPD stand, hat jetzt Druck gemacht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Böhmer, jetzt müssen Sie aber wirklich zum Schluss
kommen.
Ich danke Ihnen für
den Hinweis. – Ursula Engelen-Kefer hat gesagt, für spä-
testens 2003 fordere sie ein Gleichstellungsgesetz für die
Privatwirtschaft. Sie hat außerdem gesagt: „Nach 2003
haben wir dann hoffentlich eine Bundesregierung, die be-
reit ist, das umzusetzen“. Recht hat sie. Schluss mit Rot-
Grün, kann ich da nur sagen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 17
– Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend – in der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Ände-
rungsantrag der Fraktion der PDS vor, über den wir zuerst
abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf
Drucksache 14/7581? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen
der PDS-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-
plan 17 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzel-
plan 17 ist gegen die Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU, FDP und PDS angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Mittwoch, den 28. November 2001,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.