Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler befindet sich, wie Ihnen bekannt ist, in Begleitung mehrerer Kabinettsmitglieder in Moskau. Eine Kabinettssitzung fand deswegen heute nicht statt. Gleichwohl soll die Befragung der Bundesregierung nach einer Vereinbarung im Ältestenrat auch in dieser Sitzungswoche stattfinden.
In Anbetracht dieser besonderen, hoffentlich einmaligen Situation habe ich die Fraktionen gebeten, mir mögliche Themen der Regierungsbefragung zu benennen. Dies ist geschehen; ich habe die Bundesregierung entsprechend informiert. Die Themenvorschläge der Fraktionen sind verteilt worden. Ich hoffe, daß sie Ihnen zugänglich gemacht worden sind.
Ich schlage vor, daß wir unter Berücksichtigung des Stärkeverhältnisses der Fraktionen zunächst das von der Fraktion der CDU/CSU vorgeschlagene Thema, nämlich „Konjunktur im Lichte des Herbstgutachtens der fünf wirtschafts-wissenschaftlichen Forschungsinstitute", behandeln.
Wird dazu das Wort zu einer Erklärung der Regierung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann darf ich fragen, ob zu diesem Thema Fragen gestellt werden. — Dies ist offensichtlich nicht der Fall.
Wir kommen zum ersten von der SPD-Fraktion vorgeschlagenen Thema:
Zeitpunkt und Inhalt der Vorlage einer Verordnung durch die Bundesregierung zur Festlegung des Kohlepfennigs für das Jahr 1989.
Werden dazu Erklärungen abgegeben? — Das ist nicht der Fall.
Dann darf ich die Fragerunde eröffnen. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung .
Herr Präsident, ich würde gern eine Frage an den Bundeswirtschaftsminister stellen. Herr Bangemann, Sie haben in der vergangenen Woche durch Ihren Abteilungsleiter für Energiepolitik Ihre Verhandlungsposition zur Kohleverstromung, mit der Sie in die Koalitionsbesprechung gegangen sind, der Presse vorstellen lassen. Herr Engelmann hat auf die Frage eines Journalisten, was bei diesem Gespräch nun herausgekommen sei, geantwortet, dazu könne er nichts sagen, er sei ja nicht dabei gewesen. Vielleicht können Sie dieses Geheimnis lüften. Wir würden insbesondere gern wissen: Wann werden Sie dem Bundestag eine Verordnung zur Festlegung des Kohlepfennigs für das Jahr 1989 vorlegen, und wie hoch wollen Sie den Kohlepfennig vorschlagen?
Zur Erwiderung hat der Herr Bundeswirtschaftsminister das Wort.
Herr Abgeordneter, wir werden voraussichtlich in der Sitzungswoche vom 28. November bis 2. Dezember 1988 dem Bundestag unseren Vorschlag zuleiten. Da die Gespräche noch andauern, kann ich Ihnen nicht sagen, welchen genauen Inhalt dieser Vorschlag haben wird.
Zu einer weiteren Frage, Herr Abgeordneter Müller .
Herr Präsident, Sie erlauben auch mir, eine Frage an den Herrn Bundeswirtschaftsminister zu stellen. Herr Wirtschaftsminister, wie sind Ihre Vorstellungen hinsichtlich des Umfanges des Mengengerüstes der zu verstromenden Kohle bei den jetzt laufenden Verhandlungen?
Ich habe schon bei dem Bericht über die letztjährige Kohlerunde dem Hohen Hause mitgeteilt, daß es die Absicht der Bundesregierung ist, das Mengengerüst bei der Kohleverstromung zu erhalten. Mit dieser Verhandlungslinie habe ich auch die Gespräche mit den EVU geführt. Als aus dem Kreise der EVU von einigen dieser Unternehmen die Forderung laut wurde, dieses Mengengerüst zur Disposition zu stellen, habe ich die Verhandlungen abgebrochen, weil die Bundesregierung nicht auf der Grundlage verhandelt, daß das Mengengerüst angetastet wird. Diese Linie bestimmt auch unsere Gespräche zur Festlegung des Kohlepfennigs und andere Möglichkeiten, den Verstromungsfonds zu finanzieren.
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6982 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988
Zu einer Frage hat der Abgeordnete Stahl das Wort.
Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie wollen, wenn man es richtig hört, das jetzige Gesetz über den Kohlepfennig nur bis 1990 gelten lassen. Für den deutschen Steinkohlebergbau insgesamt geht es doch darum, langfristige Investitions- und Personalentscheidungen treffen zu können. Wäre es nicht richtiger, statt das Jahr 1991 zu nehmen, gleich die Verhandlungen über die Erhaltung des Jahrhundertvertrags auch nach 1995 aufzunehmen? Wenn ich den Herrn Bundeskanzler richtig verstanden habe, ist er der Meinung, daß dies geschehen sollte.
Nein. Ihre letzte Äußerung trifft so nicht zu. Wir sind uns über die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt diese angesteuerte Finanzierung reichen sollte, noch nicht mit allen Beteiligten einig. Aber es ist richtig, nach meiner Meinung jedenfalls, daß es besser wäre, den Kohlepfennig oder andere Finanzierungsinstrumente nicht nur für ein Jahr festzulegen, was ja bisher die Praxis war, sondern darüber hinaus. Das heißt, ich strebe an, eine Lösung nicht nur für ein Jahr vorzuschlagen. Aber Sie werden verstehen, daß wir nicht schon für die gesamte Restlaufzeit des Jahrhundertvertrages, also bis 1995, eine Lösung vorlegen können. Es wäre auch nicht richtig, jetzt schon über eine Anschlußregelung zu verhandeln, weil wir unmöglich heute sagen können, was 1995 sein wird. Aber nehmen wir mal an, die Lösung reichte bis 1991, dann könnten Sie im Jahre 1991 noch vier Jahre vor Ablauf des Jahrhundertvertrags über eine Anschlußregelung verhandeln, ohne daß das die Investitionsentscheidungen der Unternehmen beeinträchtigen müßte.
Zu einer Frage der Abgeordnete Sperling.
Herr Wirtschaftsminister, wie hoch ist das Haushaltsrisiko, das Sie der Bundesregierung, die Sie verlassen werden, hinterlassen, und auf welchen Betrag müßte der Kohlepfennig steigen, damit das Haushaltsrisiko nicht wächst?
Also, zunächst einmal verlasse ich nicht die Bundesregierung, sondern, wie Sie wissen, ist das politische Leben unterschiedlich und bringt auch Abwechslungen. Es gehört zur Politik der Bundesregierung, die Flexibilität zu fördern. Da sich der Wirtschaftsminister dafür besonders eingesetzt hat, wird er diesem Grundsatz auch Folge leisten.
— Sie sollten langsam mit solchen Unterstellungen aufhören, denn die Gruppe der sozialdemokratischen Abgeordneten in der sozialistischen Fraktion des Europäischen Parlaments hat sich schon mit der Bitte an mich gewandt, ein sozialistisches Mitglied für mein Kabinett zu ernennen, damit sie die wirkungsvolle
Arbeit des Kommissars aus der Nähe verfolgen könne.
Wir haben jetzt 2 Milliarden DM Kredit, und voraussichtlich wird Ende des Jahres der Überhang beim Verstromungsfonds um die 4 Milliarden DM betragen. Übrigens hat der Bundestag — ich nehme an, auch mit Ihrer Stimme — den Kohlepfennig so festgesetzt, wie wir es vorgeschlagen haben. Daraus ist diese Verschuldung entstanden, die, wie Sie wissen, sofort beseitigt werden könnte, auch für die Zukunft, wenn man den Kohlepfennig so festsetzte, wie das die tatsächlichen Erfordernisse verlangen. Da ich noch nicht gehört habe, daß die SPD-Fraktion beantragt hätte, das Mengengerüst zu kürzen — wenn sie das täte, wäre manche Frage besser verständlich —, müßte, wenn man diesen Überhang abbauen und außerdem sicherstellen wollte, daß die Ausgaben jeweils gedeckt wären, der Kohlepfennig auf 11,5 bis 12 % festgesetzt werden. Wenn Sie das beantragen wollten, sähe ich diesem Antrag mit Interesse entgegen.
Zu einer Frage hat der Abgeordnete Schmitz das Wort.
Herr Bundesminister, kann ich davon ausgehen, daß Sie in Ihrer Antwort an meinen Kollegen Müller auch gemeint haben, daß die Ergebnisse der Kohlerunde des letzten Jahres, das heißt die dort vereinbarten Anpassungen der Menge und des Personals durch die weiteren Verhandlungen, die jetzt geführt werden, nicht gefährdet werden dürften?
Das ist meine Absicht.
Zu einer Frage hat der Abgeordnete Becker das Wort.
Herr Minister, treffen Meldungen zu, daß Sie in Zukunft die Unternehmen mit niederflüchtiger Kohle wie Sophia Jakoba und Ibbenbüren ohne jede Unterstützung lassen wollen?
Wir haben eine Reihe von Elementen erörtert. Es geht darum, daß wir, um die Anhebung des Kohlepfennigs auf fast 12 % zu vermeiden, alle Beteiligten zu Opfern veranlassen müssen. Es trifft zu, daß auch über diese Möglichkeit diskutiert wird.
Zu einer weiteren Frage hat das Wort Herr Abgeordneter Gerstein.
Herr Bundeswirtschaftsminister, haben Sie die Absicht, mit den Elektrizitätsversorgungsunternehmen doch noch einmal den Versuch zu machen, Vereinbarungen herbeizuführen, die der Stabilisierung des Ausgleichsfonds dienlich sind? Es ist ja so gewesen, daß die bisherigen Verhandlungen, die kurz vor einem sehr günstigen Abschluß standen, sehr plötzlich — ich möchte beinahe sagen: spektakulär — abgebrochen werden mußten. Ich finde, bei der Kompliziertheit des ganzen Vorgangs — der Sta-
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Gersteinbilisierung des Ausgleichsfonds bei gleichzeitiger Beibehaltung der vereinbarten Absatzmengen zumindest bis 1995 — müßte man doch noch einmal überlegen — das ist meine Frage an die Bundesregierung —, ob man nicht erneut einen Ansatz machen kann, mit allen Betroffenen ein einvernehmliches Ergebnis zu erzielen.
Herr Gerstein, wir waren sehr weit; wir standen praktisch vor einem vernünftigen Kompromiß mit den EVUs. Sie haben recht: In diesem Augenblick haben sich einige wenige unter Anführung eines Elektrizitätsversorgungsunternehmens aus Baden-Württemberg einer solchen einvernehmlichen Lösung entzogen. Ich habe das bedauert. Aber ich habe natürlich keine Möglichkeit, ein solches Unternehmen zu zwingen. Nicht einmal die übrigen Unternehmen hatten die Möglichkeit, auf dieses abweichende Unternehmen einzuwirken, damit es seine Position änderte.
Deswegen werden wir jetzt erst einen Gesamtvorschlag machen, der alle denkbaren Einsparungsmöglichkeiten und Finanzierungsmöglichkeiten außerhalb eines solches Gespräches mit den EVUs beinhalten wird. Aber ich schließe nicht aus, daß ein neues Gespräch möglich ist, wenn wir zunächst diese Grundlage geschaffen haben.
Es liegen noch vier Fragen zu diesem Themenbereich vor. Ich schlage vor, daß wir uns dann dem anderen Themenbereich zuwenden.
Ich darf zunächst dem Kollegen Jens das Wort erteilen.
Herr Minister, sind Sie nicht mit mir der Ansicht, daß es eigentlich unverantwortlich ist, wenn man den Kohleförderländern noch zusätzlich Lasten aufbürdet, wie es geplant ist, obgleich die schon sehr viel für die Sicherung der heimischen Kohle tun, und waren Sie nicht immer mit uns der Ansicht, daß gerade die Sicherung der Energiereserve Kohle eine gesamtstaatliche, eine gesamtwirtschaftliche Aufgabe ist?
Die letztere Ansicht, die Sie in Ihrer Frage ausgedrückt haben, teile ich nach wie vor. Deshalb bemühen wir uns ja um eine gesamtstaatliche Lösung. Nur kann man natürlich nicht übersehen, daß der Kohlepfennig, den wir vermutlich höher vorschlagen müssen, als wir ihn derzeit haben, eine Belastung insbesondere auch für die Nichtkohleländer darstellt. Denn dort wird, wie Sie wissen, auf diese Weise der Strompreis für private oder kommerzielle Verbraucher erhöht. Es spielt eine ganz erhebliche Rolle — das will ich nicht verschweigen; ich möchte damit nicht Öl ins Feuer gießen; aber Sie wissen das auch, Herr Jens — , daß die Aufkündigung des Verbundes Kohle/Kernenergie insbesondere durch die Partei, die Regierungspartei in den Kohleländern ist, zu erheblichen Verstimmungen auf seiten der Länder geführt hat, die den Eindruck haben, über den Kohlepfennig die Lasten mitzutragen, aber andererseits bei ihren Bemühungen, den Strom durch die Nutzung der Kernenergie billiger zu machen, nicht nur nicht unterstützt, sondern von diesen Regierungen sogar angegriffen zu werden.
Zu einer Frage Herr Abgeordneter Lammert.
Herr Minister, uns ist allen bewußt, daß es sich um eine fast unlösbare Aufgabe handelt, jeweils legitime, aber erheblich auseinanderlaufende Interessen, die in diesem Zusammenhang unter einen Hut gebracht werden müssen, tatsächlich auf eine gemeinsame Formel zu bringen.. Sie haben vorhin von dem baden-württembergischen Unternehmen gesprochen, das den hoffnungsvollen Versuch zunichte gemacht hat, einen Konsens bei der Begrenzung der Ausgleichsansprüche der EVUs herbeizuführen. Können Sie bestätigen, daß es außer bei diesem baden-württembergischen Unternehmen auch bei einer Reihe von kommunalen Versorgungsunternehmen an der Bereitschaft gefehlt hat, zu denen beispielsweise die Stadtwerke Wuppertal und die Stadtwerke Hannover gehören, die in den Aufsichtsgremien beide j a nicht von christlich-demokratischen Mehrheiten bestimmt werden? Könnten Sie sich vorstellen, daß bei dem schwierigen Bemühen der Bundesregierung, hier einen Konsens auch mit Bundesländern, sowohl mit Kohleländern wie mit Nichtkohleländern, herbeizuführen, auch die Opposition, die hier heute großes Interesse an diesem Thema vorgetragen hat, durchaus behilflich sein könnte, indem sie auf die von mir gerade genannten Adressen und auch auf die Bundesländer hinwirken würde, ihre eigenen Bemühungen um einen solchen gemeinsamen Konsens auch tatsächlich etwas konkreter und sichtbarer zu dokumentieren?
Das wäre durchaus hilfreich, Herr Lammert. Ich habe auch nur davon gehört, daß der Widerstand bei anderen und auch bei von Ihnen genannten EVUs vorhanden war. Artikuliert wurde er in der letzten Verhandlungsrunde allerdings lediglich von dem bereits genannten und bekannten baden-württembergischen Unternehmen.
Die Situation ist schwierig, das ist richtig. Ob die Antwort auf diese Frage unlösbar ist, möchte ich bezweifeln. Jedenfalls kann die Regierung auch Fragen beantworten, die unlösbar sind.
Zu einer Frage hat der Herr Abgeordnete Stratmann das Wort.
Wenn es richtig ist, Herr Bangemann, daß wir alle langfristig, nicht nur über 1991, sondern auch über 1995 hinaus, Stabilität in die Frage der Kohlesubventionierung bringen müssen: Wie stehen Sie dann zu folgendem Ansatz, den wir in Kürze als Antrag in den Bundestag einbringen werden, einem Ansatz, der übrigens ein Element Ihrer Überlegungen zum Kohlepfennig, nämlich Heizölsteuererhöhung, aufnimmt, aber systematisch ausweitet? Man
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Stratmannüberführt das Instrument des Kohlepfennigs in ein anderes, wirksameres und umfassenderes Instrument, nämlich eine Primärenergieabgabe auf alle fossilen Energieträger. Aus diesem Aufkommen wird u. a. das finanziert, was heute die Funktion des Kohleausgleichsfonds ist. Wie stehen Sie zu den weiter zu erwartenden Vorteilen eines solchen Fossilenergieträger-Ausgleichsfonds, so könnte man ihn fast nennen, nämlich Energieeinsparpotentiale angesichts fallender Erdgas- und Erdölpreise weiter finanziell anzureizen, zweitens umweltpolitische Maßnahmen daraus zu finanzieren und drittens die arbeitsmarktpolitischen und kohlesubventionspolitischen Ziele des Kohlepfennigs zu integrieren?
Herr Stratmann, daß bei den Überlegungen der Bundesregierung, die Steuer auf Mineralöl, besonders auf schweres Heizöl, zu erhöhen, solche umweltpolitischen und auch Einspargesichtspunkte mit eine Rolle spielen, ist richtig. Wir haben allerdings — das ist eine schon lange bekannte Meinung der Regierung — große Zweifel, ob eine generelle Besteuerung der Energieverwendung dazu führen wird, daß wir ein relativ geringes Preisniveau behalten, weil, wie Sie ja wissen, Energie ein wichtiger Rohstoff für die Produktion bei uns ist und weil die Energieverwendung auf Grund der Automatisation und ähnlicher Dinge mehr zunehmen wird. Das heißt, wir können es uns nicht leisten, die Energieverwendung generell zu besteuern.
Im übrigen bemühen wir uns, den Jahrhundertvertrag so, wie er jetzt ist, zu erhalten. Denn die große Gefahr — ich bitte, das bei Ihren Vorschlägen zu berücksichtigen — ist, daß wir, wenn wir vom Jahrhundertvertrag weggehen — der ja auch eine Verpflichtung der EVUs zur Abnahme enthält; das ist ja das Mengengerüst — , zunächst ein Vakuum haben. Ob wir dann wieder eine ähnliche Absicherung der Kohleabnahme bei der Verstromung bekommen können, ist höchst zweifelhaft.
Als letztem erteile ich zu diesem Fragenkomplex dem Kollegen Kohn das Wort.
Herr Präsident, ich muß gestehen, ich bin ein wenig verunsichert über den Verfahrensablauf. Ich hatte die Premiere vor 14 Tagen so verstanden, daß jedem einzelnen Abgeordneten ohne Fraktionsanmeldung die Möglichkeit gegeben ist, Fragen aus den Bereichen, die ihn interessieren, an die Bundesregierung zu richten.
Wenn wir das heutige Verfahren weiter praktizieren, hat der einzelne durch den Zeitablauf keine Chance, andere Politikfelder anzusprechen.
Das ist sicherlich zutreffend. Wir tasten uns bei diesem Versuch voran. Ich will Sie nicht daran hindern, eine Frage zu stellen, nur hatten Sie sich zu diesem Fragenkomplex gemeldet. Wir müssen das ja ein bißchen sammeln und ordnen,
damit nicht wie Kraut und Rüben durcheinandergefragt wird. Aber wenn Sie jetzt eine Frage zu einem anderen Thema haben, dann lasse ich die Frage zu.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Wir haben in den letzten Tagen von Überlegungen aus dem Bundesland Baden-Württemberg gehört, und zwar von seiten des Regierungspräsidenten aus Stuttgart und von der Landesregierung, künftighin ein generelles Fahrverbot an bestimmten Tagen für solche Kraftfahrzeuge vorzusehen, die nicht mit einem geregelten Drei-Wege-Katalysator ausgerüstet sind. Ich möchte von der Bundesregierung gerne wissen, welche Haltung sie zu diesen Vorschlägen aus BadenWürttemberg einnimmt und ob sie diese Dinge auch anderen Bundesländern empfehlen möchte.
Wer von der Bundesregierung kann diese Frage beantworten? — Herr Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Kohn, die Landesregierung Baden-Württembergs prüft diese Frage in rechtlicher Hinsicht. Bei der Bundesregierung ist das gleiche im Gange. Sie können vorab davon ausgehen, daß es erhebliche europarechtliche Bedenken gegen diesen Vorschlag des Regierungspräsidenten gibt.
Ich rufe nun den Fragebereich „Strukturreform des Alterssicherungssystems" auf.
Zu einer Frage gebe ich dem Herrn Abgeordneten Dreßler das Wort.
Der Bundesarbeitsminister hat am 9. Oktober im Deutschlandfunk die zwischen ihm und mir seit vielen Monaten unstrittige Auffassung bekräftigt, daß, falls es zwischen der Koalition und der SPD zur Übereinstimmung in Sachfragen der Rentenreform komme, ein interfraktioneller Gesetzentwurf der beteiligten Bundestagsfraktionen der angemessene parlamentarische Weg sei.
Herr Minister Blüm, wird das Bundeskabinett gleichwohl, wie der Bundeskanzler am 26. September vor dem CDU-Bundesausschuß angekündigt hat, noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf zur Rentenreform beschließen und damit die zwischen uns bestehende Übereinstimmung sprengen?
Zur Beantwortung erteile ich dem Herrn Bundesminister Dr. Blüm das Wort.
Herr Dreßler, ich will ausdrücklich bestätigen, daß auf unserer Seite nicht nur die Bereitschaft, sondern auch der gute Wille zu einem rentenpolitischen Konsens ungeschmälert vorhanden ist. Es entspricht der guten Übung, daß ein solcher Konsens durch gemeinsame Fraktionsinitiativen seinen Ausdruck findet.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988 6985
Bundesminister Dr. BlümSollte der Konsens nicht zustande kommen, dann muß es dennoch zur Reform kommen.Ich bitte Sie, auch zu überlegen, ob nicht trotz Fraktionsinitiative, die diesem Konsens Ausdruck verleiht, parallel ein Regierungsentwurf in die parlamentarischen Beratungen gegeben werden sollte, um die Mitwirkungsmöglichkeiten des Bundesrates nicht zu beschneiden, sondern dem Bundesrat von Beginn des Gesetzgebungsverfahrens an Mitwirkungsrechte zu geben. Das stellt überhaupt nicht in Frage, daß der Konsens seinen Ausdruck durch eine gemeinsame Initiative der am Konsens beteiligten Fraktionen finden sollte, zu der ich mich ausdrücklich bekenne, im Interesse unserer älteren Mitbürger. Ich glaube, das wäre ein wichtiger, vertrauensbildender Beitrag zu unserem Rentensystem.Ich begrüße diese Anstrengung von allen Seiten auch deshalb, weil ich denke, das parlamentarische System lebt von der Auseinandersetzung; dazu gibt es ja auch genügend Gelegenheit. Diese Auseinandersetzung darf uns nicht daran hindern, zur Kooperation fähig zu sein. Ich bestätigte diesen Kooperationswillen ausdrücklich.
Zu einer Frage Herr Abgeordneter Kroll-Schlüter.
— Nein, wir haben vereinbart, daß wir jedem Kollegen zunächst einmal eine Frage zugestehen. Wir können uns vielleicht darüber verständigen, ob wir Zusatzfragen einführen. Ich bitte jetzt aber darum, das Verfahren, das wir festgelegt haben, zu akzeptieren, Herr Kollege Dreßler.
Zu einer Frage hat der Herr Abgeordnete KrollSchlüter das Wort.
Herr Bundesminister Blüm, welche konkreten Schritte hat es denn bis jetzt eigentlich gegeben, in denen die Absicht zur gemeinsamen Initiative deutlich wurde? Welche konkreten Schritte sind von Ihnen bzw. von der Opposition auf Sie hin gemacht worden?
Ich denke, ein Konsens kann nicht beim Nullpunkt beginnen; er muß vorstrukturiert sein. So wie die Entwicklung ist, sehe ich in den einzelnen Positionen der CDU, der CSU, der FDP und der SPD alle Voraussetzungen dafür, daß uns dieser Konsens gelingen kann.
Ich verweise darauf, daß die Koalitionsarbeitsgruppe in einjähriger Arbeit eine weitgehende Übereinstimmung im Hinblick auf diese Reform geschaffen hat, daß der CDU-Bundesausschuß seine Position festgelegt hat und daß die CSU in ihrer Rentenkommission und die FDP in ihrer gestrigen Fraktionssitzung
— wie die CDU — dahin gehend Festlegungen getroffen haben.
Die aus der SPD bekanntgewordenen Vorschläge zeigen auch, daß hinsichtlich der Grundlagen dieser Reform — bei allem Unterschied im Detail — Übereinstimmung besteht. Die Sozialpartner — sowohl Arbeitgeber als auch Gewerkschaften — schließen sich
diesem Konsens an, auch die großen Sozialverbände.
Ich glaube, insofern müssen wir festhalten: Es besteht Übereinstimmung — das halte ich für nicht unwichtig — , daß die Reform im bestehenden System stattfindet, daß Neuordnung des Rentenversicherungssystems nicht Ausstieg aus dem System, sondern Weiterentwicklung bedeutet
— ja — und daß die von mir Genannten in dem Bekenntnis zu einer lohn- und beitragsbezogenen Rente übereinstimmen. Deshalb haben Vorgespräche stattgefunden. Aber die offiziellen Konsensverhandlungen können erst beginnen, wenn die Vorklärungen getroffen sind. Ich denke, es wäre ein wichtiger Beitrag zum Gespräch auch im Detail, wenn ein Referentenentwurf vorläge, der eine Diskussionsgrundlage sein könnte.
Ich wiederhole: In den Grundfragen besteht diese Übereinstimmung. Diese Übereinstimmung muß nun konkretisiert werden.
Ich will die Grundfragen — Herr Abgeordneter, da mir Ihre Frage Gelegenheit dazu gibt — gern noch einmal in Erinnerung rufen.
— Wenn es nicht gewünscht wird. Ich finde, gegenüber der Öffentlichkeit könnte es geradezu beruhigend wirken, diese Grundlagen noch einmal zu formulieren.
Aber dazu besteht Gelegenheit bei einer Regierungserklärung. Sie sollten heute nur die Fragen beantworten.
Gut.
Ich erteile der Frau Abgeordneten Unruh das Wort zu einer Frage.
Herr Minister, Sie wissen, daß ich Ihnen meine Kraft als Volksvertreterin angeboten habe, um Ihnen vielleicht noch etwas klarzumachen. Deshalb frage ich Sie jetzt: Wie kommen Sie dazu, ständig von Alterslohn für Lebensleistung zu reden und all die alten Mitbürgerinnen und Mitbürger außen vor zu lassen, die in ihrem Leben einschließlich ihres Erwerbslebens enorm viel geleistet haben? Ich denke an Männer, die 35 Jahre, 40 Jahre, 50 Jahre lang gearbeitet haben, 60 % von ihnen erreichen noch nicht einmal die Mindestpension der Beamten ohne eigene Einzahlung, die heute bei 1 640 DM liegt. Wie kommen Sie jetzt in der Ableitung der Dinge dazu, eine Mindestrente abzulehnen?
Frau Unruh, ich konnte Sie und Ihre Fraktion in die Voraussetzungen für einen Konsens nicht einschließen, weil Sie von einem anderen System ausgehen. Wer im System bleiben will, kann Ihre Vorschläge nicht aufnehmen. Das gebietet die intellektuelle Redlichkeit. Sie haben einen anderen Ansatz: Sie koppeln vom Lohn- und Leistungsbezug ab, an dem
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Bundesminister Dr. Blümwir ausdrücklich festhalten wollen. Die Rente bleibt in unserem Verständnis Alterslohn für Lebensleistung. Wir haben diesen Leistungsbegriff allerdings bereits erweitert, indem wir Kindererziehungszeiten ins Rentenrecht eingeführt haben. Das ist eine wichtige Leistung, die auch der Erhaltung des Generationenvertrages dient. Auf diesem Wege sollten wir weiterschreiten.
Zu einer Frage hat der Abgeordnete Heyenn das Wort.
Herr Bundesarbeitsminister, Sie sind einer wichtigen Frage ausgewichen. Der Bundeskanzler hat angekündigt, das Kabinett werde bis Ende des Jahres einen Entwurf verabschieden.
Sie wissen genau so gut wie ich, daß, wenn es zu Gemeinsamkeiten kommen soll, die Vorarbeiten dazu bis zum Dezember nicht abgeschlossen werden können. Außern Sie sich bitte dazu, ob es bei der Ankündigung des Bundeskanzlers bleibt oder ob das in die Tat umgesetzt wird. Meinen Sie nicht auch, daß ein Kabinettsbeschluß, der mitten in Verhandlungen hineinkommt, ein äußerst störender Faktor für die Bemühungen um Gemeinsamkeit sein wird?
Sie können ganz sicher sein, Herr Abgeordneter Heyenn: Solange diese Konsensbestrebungen erfolgversprechend sind, wird es keinen Kabinettsbeschluß geben. Ich bekenne mich ausdrücklich dazu, daß die Fraktionen die Vorfahrt haben. Allerdings werden Sie auch verstehen, daß wir Vorsorge treffen müssen. Sollte der Konsensversuch scheitern, muß die Reform dennoch stattfinden.
Zu einer Frage hat Herr Abgeordneter Bohl das Wort.
Ich habe zu einem anderen Komplex eine Frage, und zwar an Frau Staatsministerin Adam-Schwaetzer: Wir müssen feststellen, daß seit einigen Wochen zwei Deutsche, ein Arzt und eine Krankenschwester, in Afghanistan festgehalten werden. Den beiden werden ein angeblich illegaler Grenzübertritt und wohl auch subversive Tätigkeit — was immer das heißen mag — vorgeworfen. Ich möchte fragen: Wie ist dort der aktuelle Sachstand? Gibt es weiterhin einen Kontakt der Botschaft mit den Inhaftierten? Wann ist gegebenenfalls mit einer Freilassung zu rechnen?
Frau Staatsministerin, zur Beantwortung haben Sie das Wort.
Herr Abgeordneter, bedauerlicherweise müssen wir feststellen, daß die beiden deutschen Staatsbürger noch nicht freigelassen worden sind. Aber selbstverständlich werden die Bundesregierung und die Botschaft in Kabul weiterhin alle Anstrengungen unternehmen, damit dies so bald wie möglich geschieht. Es hat gewisse Hinweise darauf gegeben, daß dieser Fall bald gelöst werden könnte.
Bisher haben wir noch keine Vollzugsmeldung; aber wir hoffen, daß es möglich sein wird.
Zu einer Frage hat der Abgeordnete Hoss das Wort.
Meine Frage ist an Herrn Blüm gerichtet und betrifft die Renten. Nun ist durch die bisherigen Antworten einige Verwirrung entstanden, weil Sie eine breite parlamentarische Gesetzesinitiative anstreben, die auch von der SPD getragen wird. Die SPD hat sich bisher dem Gedanken der Grundsicherung und der Grundversorgung genähert und hat sich öffentlich dazu geäußert. Sie haben hier erklärt, daß Sie unbedingt an der Beitrags- und Leistungsbezogenheit festhalten. Wenn wir davon ausgehen, daß heute für Frauen und für Erwerbslose die Erreichung einer Rente nicht möglich ist bzw. allenfalls in der Weise, daß die Höhe der Rente unter dem Sozialhilfeniveau liegt, müssen Sie jetzt erklären, ob es unter der Decke für Sie Hinweise gibt, daß die SPD an dem Prinzip der Grundsicherung, dem sie sich genähert hat, nicht festhält, sondern wie Sie bereit ist, nur von der Basis der Beitrags- und Leistungsbezogenheit auszugehen.
Herr Kollege Hoss, ich eigne mich schlecht als Interpret der sozialdemokratischen Position.
Aber ich hoffe, ich interpretiere sie richtig, daß auch für die Sozialdemokratische Partei wie für die Sozialpartner Reform die Weiterentwicklung unseres Systems bedeutet, und daß es deshalb nicht zum Umstieg auf eine Grundrentenform kommt, sondern daß wir im bestehenden lohnbezogenen System die Weiterentwicklung betreiben. Hier sehe ich Chancen für eine Übereinstimmung mit der Opposition.
Zu einer Frage hat Herr Abgeordneter Gansel das Wort.
Herr Präsident, ich habe im Anschluß an die Frage, die Herr Bohl mir in dem ihm eigenen Harmoniebestreben vorweggenommen hat — ich habe eine ähnliche Frage für die Fragestunde eingereicht — , eine Frage an das Auswärtige Amt, nämlich was, Frau Staatsministerin, die Bundesregierung in den letzten vierzehn Tagen, seitdem sie das letzte Mal hier im Parlament Auskunft gegeben hat, unternommen hat, damit die beiden in Afghanistan festgehaltenen deutschen Staatsbürger freikommen.
Frau Staatsministerin, bitte sehr.
Herr Abgeordneter, ich glaube, daß dies eine Frage ist, die im direkten Kontakt sehr viel besser zu erörtern ist als in einer solchen Fragestunde. Sie können ganz sicher davon ausgehen, daß die Botschaft, die sich von Anfang an sehr nachdrücklich darum bemüht hat, erstens festzustellen, auf welcher Grundlage diese Verhaftung geschehen ist, und zweitens darauf hinzuwirken, daß deutlich wird, daß keine Grundlage für eine solche Verhaftung besteht, diese
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988 6987
Staatsminister Frau Dr. Adam-SchwaetzerBemühungen fortgesetzt hat. Wie Sie wissen, hat es Hinweise gegeben, daß eine Freilassung bevorstehen könnte. Aber bisher haben wir keine Nachricht bekommen, daß dies schon erfolgt sei.
Zu einer letzten Frage erteile ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Mechtersheimer.
Ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß sechs ihrer Mitglieder im Augenblick im Begriff sind, in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau einen Waffenexport nach Jordanien finanziell möglich zu machen, der eindeutig gegen die Gesetzeslage der Bundesrepublik Deutschland verstößt?
Wer wird diese Frage beantworten? — Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bitte sehr.
— Herr Abgeordneter Mechtersheimer, ich höre gerade, daß dazu Dringlichkeitsfragen vorliegen. Dann wäre es nicht zweckmäßig, wenn wir es jetzt behandeln würden. Wir werden das in der anschließenden Fragestunde als Ihre Dringlichkeitsfrage behandeln.
Das ist doch eine Frage an die ganze Bundesregierung. Die Fragen in der Fragestunde beziehen sich auf ein Ressort. In diesem Fall ist die ganze Regierung gefragt.
Ja, aber es wäre nicht klug, wenn wir diese Überschneidung zulassen würden. Sonst würden sich alle, die Fragen in der Fragestunde haben, auch bei der Befragung der Bundesregierung zu Wort melden. Wir sollten das voneinander trennen. Deswegen lasse ich diese Frage jetzt nicht zu.
Meine Damen und Herren, die für die Befragung der Bundesregierung vorgesehene Zeit ist abgelaufen.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksachen 11/3166, 11/3174 —
Meine Damen und Herren, ich rufe als ersten Geschäftsbereich in der Fragestunde den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Hierzu liegen Dringlichkeitsfragen vor. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Voss zur Verfügung.
Ich rufe die Dringlichkeitsfrage 1 des Abgeordneten Dr. Mechtersheimer auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß mit Kreditzusagen durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau der Verkauf von acht Kampfflugzeugen MRCA Tornado an das Königreich Jordanien ermöglicht werden soll?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Danke schön, Herr Präsident. — Herr Kollege Mechtersheimer, die Kreditanstalt für Wiederaufbau hat den Mitgliedern ihres Verwaltungsrates eine Kreditvorlage zur Zustimmung zugeleitet, die die Beteiligung des Instituts an der Finanzierung des deutschen Anteils eines Exportkreditgeschäftes vorsieht. Der Bundessicherheitsrat hat sich mit der Angelegenheit des britischen Exportes befaßt und beschlossen, keine Bedenken zu erheben. Neben der Kreditanstalt für Wiederaufbau wollen sich andere deutsche Kreditinstitute an der Finanzierung beteiligen.
Sie haben eine Zusatzfrage, Herr Dr. Mechtersheimer.
Gibt es eine Entscheidung der Bundesregierung, daß Jordanien nicht mehr zu dem Kreis der Staaten zu rechnen ist, die als Spannungsgebiete gelten?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Eine derartige Entscheidung der Bundesregierung ist mir nicht bekannt. Aber im Zusammenhang mit dem, was hier Gegenstand der Frage ist, Herr Kollege Mechtersheimer, habe ich eben dargelegt, was die Kreditanstalt für Wiederaufbau im Hinblick auf das geplante britische Exportgeschäft zur Beschlußfassung zugeleitet hat.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, bitte schön, Herr Dr. Mechtersheimer.
Hätten Sie Verständnis dafür, daß in der Öffentlichkeit der Eindruck von Gangstermethoden entsteht, weil die Bundesregierung dadurch, daß sie als Träger einer Finanzierungsanstalt eine Zweitfunktion hat, genau das Gegenteil dessen macht, was sie sonst öffentlich erklärt, nämlich Rüstungsexporte zu unterstützen, die nach der deutschen Rechtslage verboten sind?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Dafür habe ich absolut kein Verständnis, Herr Kollege Mechtersheimer. Die Rechtslage ist hier so, daß die Bundesregierung durch ihre Beschlüsse dagegen nicht verstoßen hat.
Zusatzfrage des Abgeordneten Feldmann.
Wird die Bundesregierung im Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau ihren Einfluß dahin gehend geltend machen, daß dieser Kreditantrag abgelehnt wird?Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Im Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau sind sechs Mitglieder der Bundesregierung vertreten. Es wird jedem dieser Mitglieder im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung obliegen, welche Entscheidung es trifft. Insbe-
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6988 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988
Parl. Staatssekretär Dr. Vosssondere sind bei der Entscheidung des einzelnen Mitglieds die Entscheidungen, die der Bundessicherheitsrat getroffen hat, zugrunde zu legen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Voigt.
Im Anschluß an eine Äußerung des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Herrn Galinski, vom heutigen Tag möchte ich die Bundesregierung fragen, ob sie ihre Politik, Deutschland wieder zur größten Waffenschmiede werden zu lassen und dies auch am Experimentierfeld Naher Osten durchzuexerzieren, deshalb bisher vor der Öffentlichkeit geheimgehalten hat, weil der 50. Jahrestag der Reichspogromnacht unmittelbar bevorsteht und diese Exportpolitik als Skandal auch im Verhältnis zu diesem historischen Datum angesehen werden könnte.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich darf hier daran erinnern, daß es sich um ein britisches Exportgeschäft handelt und daß die Bundesregierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten nicht in der Lage ist, ein derartiges Exportgeschäft zu vereiteln und zu verhindern.
Zusatzfrage des Abgeordneten Sellin.
Exportkredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau sind regelmäßig mit Hermes-Bürgschaften verbunden. Auf eine Anfrage der GRÜNEN hat die Bundesregierung geantwortet: „Bei Verbürgung des Exports von Waffen und Rüstungsmaterial wird ein besonders strenger Maßstab angelegt. Lieferungen in Länder außerhalb der NATO werden grundsätzlich nicht verbürgt. "
Wie steht die Bundesregierung zu ihrer Position?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Auch in diesem Fall, Herr Kollege, hat die Bundesregierung eine HermesVerbürgung abgelehnt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, daß entsprechend Art. 26 des Grundgesetzes und entsprechend dem Kriegswaffenkontrollgesetz bzw. dem Außenwirtschaftsgesetz die Bundesregierung Genehmigungen erteilen muß, wenn Teile eines militärischen Kampfflugzeugs aus der Bundesrepublik an einen NATO-Partner geliefert werden sollen, und daß nach den Grundsätzen der Bundesregierung vom 28. April 1982 dann eine Prüfung vorzunehmen ist und Genehmigungen nicht zu erteilen sind, wenn diese Teile von Kriegswaffen über ein NATO-Land in Länder der Dritten Welt — und hier in einen Spannungsbereich — weiterexportiert werden sollen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, ich habe bereits dargelegt, daß sich der Bundessicherheitsrat mit dem britischen Export befaßt hat und daß bei seiner Entscheidung die Grundsätze vom 28. April 1982 für den Waffenexport beachtet worden sind.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, ist denn den Mitgliedern der Bundesregierung, die in dem entscheidenden Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau sitzen, bekannt, daß zwischen Jordanien und dem Staat Israel der Kriegszustand besteht? Sind Sie nicht der Meinung, daß die Lieferung von Kriegswaffen genauso eine Kriegsteilnahme ist wie die Finanzierung der Lieferung von Kriegswaffen an ein kriegführendes Land?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hirsch, bei der exzellenten Informationslage, die ich bei jedem Mitglied der Bundesregierung unterstelle, gehe ich davon aus, daß das, was Inhalt Ihrer ersten Frage ist, bekannt ist. Aber die Schlußfolgerung, die in Ihrer zweiten Frage enthalten ist, vermag ich persönlich und auch im Namen der Bundesregierung nicht zu teilen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Knabe.
Herr Staatssekretär, darf die Öffentlichkeit die Entscheidung dieser Minister für Kredite zum Waffenexport in ein Land, das sich noch im Kriegszustand befindet, so interpretieren, wie es die alten Römer in einem Sprichwort zusammengefaßt haben: Geld stinkt nicht?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie werden in der Lage sein, dem Pressebild zu entnehmen, wie der einzelne dieses Geschäft interpretiert. Aber mit dem römischen Grundsatz „pecunia non olet" sehe ich keinen Zusammenhang.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher.
Wird die Bundesregierung zumindest als ersten Schritt in diesem unwahrscheinlich skandalösen Vorgang dem schriftlichen Abstimmungsverfahren für die Kreditgewährung widersprechen? Dann hätten wir erst einmal Zeitaufschub.Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin HammBrücher, es ist so: Weil dem Besteller ein Rücktrittsrecht eingeräumt worden ist, ist das Umlaufverfahren
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Parl. Staatssekretär Dr. Vossbis zum 8. November dieses Jahres gewählt worden. Das ist ein Vorgang, der nicht unüblich ist.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß in dem aus England zu exportierenden Tornado in der Bundesrepublik gefertigte Teile sind, so daß wir auf dem Umweg der Finanzierung des Kredits auch aus der Bundesrepublik Waffen, Gerät dorthin exportieren und daß nur „furchtbare Juristen" wegen der Finanzierung keine Zusammenhänge sehen können?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen selbst, daß im Rahmen der Zusammenarbeit die Bundesrepublik Deutschland hier natürlich Zulieferer ist. Von daher gesehen erfüllt sie nur ihre Pflicht, wenn sie auch bei einem derartigen, von der britischen Regierung geplanten Exportgeschäft ihren Verpflichtungen nachkommt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, wenn Sie selbst zugeben, daß Jordanien noch Spannungsgebiet ist, sind Sie dann nicht bereit, dieses Thema im Kabinett noch einmal zu diskutieren und den Mitgliedern des Verwaltungsrates möglicherweise eine Weisung zu erteilen, daß sie diesem Kredit nicht zustimmen sollen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe eben bereits gesagt, daß die Mitglieder der Bundesregierung, sechs an der Zahl, die im Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau Sitz und Stimme haben, nach ihrer persönlichen Entscheidung verfahren müssen und daß die bereits getroffene Entscheidung des Bundessicherheitsrates für ihre Entscheidung nicht ohne Bedeutung sein wird, um das einmal vorsichtig auszudrücken.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Ehmke.
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung nicht darüber klar, daß auch nur die Einleitung eines solchen Verfahrens sie bei unseren Freunden in Israel und bei deren Freunden in der Welt einschließlich Amerika dem Vorwurf des Zynismus, ja der moralischen Verkommenheit aussetzen wird?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Ehmke, das ist eine Wertung, die Sie anstellen. Ich habe auch eine Reihe von anderen Stimmen gehört.
Zusatzfrage des Abgeordneten Grünbeck.
Herr Staatssekretär, darf ich annehmen, daß Sie die Satzung und die Geschäftsordnung der Kreditanstalt für Wiederaufbau kennen, und ist das eigentlich in der Satzung, in der Geschäftsordnung der Kreditanstalt abgedeckt, was hier abläuft?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Grünbeck, Sie können davon ausgehen, obwohl ich nicht Mitglied des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau bin, daß ich die Satzung kenne. Ich habe aber den Eindruck, daß das hier in Rede .stehende Geschäft der Satzung der Kreditanstalt für Wiederaufbau nicht zuwiderläuft.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Wieczorek-Zeul.
Ich würde gerne von Ihnen wissen, wie Sie die Tatsache bewerten, daß expressis verbis eine Bomberversion des Tornado statt einer Aufklärerversion nach Jordanien geliefert werden soll und ob Sie nicht mit mir übereinstimmen, daß das, was der Nahe Osten braucht, Frieden ist und nicht deutsche Waffen.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich stimme mit Ihnen überein, Frau Kollegin, daß der Nahe Osten Frieden braucht, uneingeschränkt. Aber das, was hier von der britischen Regierung als Exportgeschäft vorgesehen ist, ist mir in seinen Einzelheiten nicht so bekannt, daß ich Ihre Wertung, es würde sich um eine Bomberversion und nicht um eine Aufklärerversion handeln, an dieser Stelle bestätigen kann.
Zusatzfrage des Abgeordneten Lammert.
Herr Staatssekretär, währen Sie bereit, den Mitgliedern der Bundesregierung, die dem Verwaltungsrat angehören, für deren Urteilsbildung mitzuteilen, daß für das hier in Rede stehende Geschäft im Deutschen Bundestag ganz offensichtlich keine Mehrheit zu erwarten ist?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lammert, ich gehe davon aus, daß die betroffenen Mitglieder der Bundesregierung ohnehin Gelegenheit nehmen werden, das Protokoll dieser Sitzung zur Kenntnis zu nehmen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kleinert .
Herr Staatssekretär, sehen Sie sich vielleicht doch in der Lage, mir bei der Aufklärung jenes Widerspruchs zu helfen, den nach meiner Auffassung jeder normal denkende und normal gebildete Mensch darin erblicken muß, daß Sie auf der einen Seite ausdrücklich bejahen, daß es sich um ein Spannungsgebiet handelt, darüber hinaus darauf verweisen, daß hier die Beschlüsse der Bundesregierung, in denen diese Fälle eindeutig geregelt sind, eingehalten bleiben, und auf der anderen Seite den-
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Kleinert
noch kein Problem darin erblicken, daß eine solche Lieferung durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau aktiv unterstützt werden soll, oder muß ich davon ausgehen, daß den Überlegungen, die Sie hier vortragen, eine andere intellektuelle Logik zugrunde liegt als die Logik, die normalerweise in Anwendung kommt?Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn es sich hier um die intellektuelle Aufklärung eines Problems handelte, sähe ich mich schon in der Lage — sofern Sie in der Lage sind, die logischen Grundsätze zu akzeptieren — , Ihnen weiterzuhelfen. Aber, Herr Kollege, das ist nicht das Problem. Hier wird von zwei gänzlich verschiedenen politischen Standpunkten aus diskutiert.
Von daher sehe ich eine Aufklärung des Widerspruches nicht als möglich an.
Meine Damen und Herren, lassen Sie sich bitte über den Stand der Verhandlungen unterrichten.
Zu dieser ersten Dringlichkeitsfrage haben sich noch zwei weitere Kollegen zu einer Zusatzfrage gemeldet. Ich habe die Absicht, diese beiden Wortmeldungen jetzt noch zu berücksichtigen. Dann gibt es eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung, die ich im Anschluß daran berücksichtigen werde.
Wir haben, wie Sie sehen, zu diesem Thema und zu diesem Geschäftsbereich noch zwei weitere Dringlichkeitsfragen und eine weitere Dringlichkeitsfrage zu einem anderen Geschäftsbereich, die wir nacheinander behandeln werden.
Ich bitte, dieses Verfahren zu akzeptieren.
Als nächster hat zu einer Zusatzfrage das Wort Herr Dr. de With.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung nicht einsehen, daß es Situationen gibt, in denen sie sich nicht hinter bloß formaljuristischen Positionen verschanzen kann — wenn sie denn richtig sind — , und daß es hier allein auf die moralisch-politische Wertung ankommt und ein Beharren auf juristischen Positionen
Schaden anrichtet, der uns alle angeht und nicht nur die Bundesregierung?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege de With, die Bundesregierung zieht sich hier nicht auf formale Gesichtspunkte und auf Entscheidungen zurück, die einmal aus formalen Gründen, wie Sie unterstellen, gefallen sind. Die Bundesregierung hat sich vielmehr im Bundessicherheitsrat mit der Materie befaßt. Sie ist der Meinung gewesen, daß die geltenden Vorschriften, die hier zu beachten sind, nicht tangiert worden sind.
Eine letzte Zusatzfrage zu dieser ersten Dringlichkeitsfrage, Herr Stahl, bitte schön.
Herr Staatssekretär, nachdem das gesamte Haus — ich nehme an, daß ich auch die Bundesregierung insoweit einbeziehen kann — festgestellt hat, daß zwischen Jordanien und Israel der Kriegszustand herrscht — Herr Hirsch hat das gesagt — , frage ich Sie, ob es gerechtfertigt ist, das Haus in der Art, wie Sie es eben getan haben — auch die Kollegen der Regierungskoalition — , abzukanzeln, und ob es denn nicht angebracht ist, daß das Bundeskabinett den Mitgliedern des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau auf Grund der heutigen Diskussion, die ja wohl noch anhalten wird, und der Fragestellung Weisung erteilt, daß eine derartige Finanzierung nicht zustande kommen darf.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann Ihr Gefühl nicht teilen, daß ich die Fragesteller in irgendeiner Form abgekanzelt hätte. Ich habe mich bemüht, einen Sachverhalt darzulegen, und habe mich des weiteren bemüht, die Meinung der Bundesregierung zu diesem Sachverhalt darzulegen. Daß ich damit nicht auf allgemeine Zustimmung stoße, kann ich mir denken, wenn ich mir das politische Umfeld in der Bundesrepublik Deutschland in der einen und in der anderen Richtung einmal vor Augen halte. Das habe ich vor dieser Fragestunde natürlich auch getan, Herr Kollege.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Dr. Ehmke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da der Herr Staatssekretär ganz offensichtlich nicht in der Lage ist, die politische Dimension dieser Frage zu verstehen, beantrage ich die Herbeirufung des Bundesministers der Finanzen.
Herr Abgeordneter Kleinert, bezieht sich das auf dieselbe Geschäftsordnungsfrage? — Dann haben Sie zunächst das Wort, bevor ich dazu noch etwas sage.
Ich kann es ganz kurz machen: Meine Fraktion unterstützt dies ausdrücklich. Ich denke, daß sich der Bundestag eine solche Art der Behandlung dieses Themas nicht bieten lassen kann. Ich habe es streckenweise als eine schlichte Unverschämtheit empfunden,
wie uns hier auf diese Fragen Auskunft gegeben worden ist.
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Kleinert
Die Regierung hat jetzt dafür zu sorgen, daß hier Abhilfe geschaffen wird. Deswegen sollte Herr Stoltenberg unverzüglich hier erscheinen.
Herr Laufs, kann ich davon ausgehen, daß sich Ihre Wortmeldung zur Geschäftsordnung auf dieselbe Sache bezieht? — Bitte, dann äußern Sie sich jetzt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst feststellen, daß es absolut ungewöhnlich und gegen den parlamentarischen Brauch ist,
in der Fragestunde einen Bundesminister herbeizuzitieren, der sich zuvor entschuldigt hat und der durch seinen Parlamentarischen Staatssekretär vertreten ist.
Herr Stoltenberg hat einen Termin, der es ihm nicht möglich macht, jetzt hierzusein. Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion beantrage ich nach § 45 Abs. 2 der Geschäftsordnung, die Beschlußfähigkeit des Hauses feststellen zu lassen.
Meine Damen und Herren, jetzt gehen wir so vor: Mir liegt ein Brief des Bundesministers der Finanzen vor, von ihm selbst unterschrieben, in dem er sich beim Präsidenten für 13 Uhr entschuldigt, also für die Veranstaltung, die wir vor der Fragestunde hatten. Insofern habe ich die Pflicht, nachzuprüfen, ob diese Entschuldigung auch jetzt noch gilt. Das werde ich jetzt machen.
Die Frage ist, wie wir geschäftsordnungsmäßig weiter verfahren. Wir stehen vor der Notwendigkeit, eine Abstimmung über den gestellten Antrag auf Herbeirufung eines Ministers vorzunehmen. Das ist das normale Verfahren. Bei einer solchen Abstimmung über eine Sache kann festgestellt werden, ob die Beschlußfähigkeit vorhanden ist oder nicht.
Ich werde gerade darauf aufmerksam gemacht, daß es in dem Brief des Bundesfinanzministers mit der Bitte, ihn zu entschuldigen, heißt: ab 13 Uhr von den Sitzungen des Deutschen Bundestages freizustellen. — Ich will das trotzdem feststellen lassen, denn der Anlaß ist, so glaube ich, klar. Ich bitte also darum, daß das in der Zwischenzeit geschieht.
Ich schlage vor, daß wir, bevor wir zu unserer Abstimmung über diese Frage kommen, zunächst einmal feststellen, ob der Minister überhaupt erreichbar ist. Wenn sich herausstellt, daß er nicht erreichbar ist, können wir uns auch die Abstimmung sparen. Ich glaube, das ist das richtige Verfahren.
Im übrigen muß ich hier mitteilen, daß es durchaus schon Fälle gegeben hat, in denen ein Minister in der Fragestunde herbeigerufen worden ist.
Meine Damen und Herren, mein Vorschlag ist, so zu verfahren, daß wir in der Zwischenzeit die Dringliche
Frage aufrufen, die sich an einen anderen Geschäftsbereich wendet,
nämlich an den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zwar behandelt sie dasselbe Thema, aber eben gezielt auf den Verteidigungsminister. Wenn ich in der anderen Sache eine Nachricht habe, werde ich entsprechend fortfahren. Besteht Einverständnis? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch.
Ich bitte Herrn Staatssekretär Voss, im Saal zu bleiben, weil sein Geschäftsbereich noch nicht abgehandelt ist, und bitte Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Würzbach, zur Beantwortung der Dringlichen Frage 4 des Abgeordneten Voigt zur Verfügung zu stehen, die ich hiermit aufrufe:
Wird die Bundesregierung ihr Konsultationsrecht beim geplanten Verkauf von Tornado-Kampfflugzeugen an Jordanien durch die britische Regierung dahin gehend ausüben, daß sie gegen den Waffenexport in den Nahen Osten Stellung nimmt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Herr Kollege Voigt, die Bundesregierung hat nach gründlicher Prüfung des britischen Vorhabens beschlossen, keine Bedenken gegen diese Ausfuhr zu erheben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Voigt.
Nachdem durch diese Außerung klargeworden ist, daß es nicht um das formale Argument des mangelnden Rechts geht — ein Recht, auf das Sie übrigens 1983 selber verzichtet haben, denn bis dahin hatten Sie ja ein Vetorecht gegen einen solchen Export — , möchte ich jetzt fragen, ob Sie, Herr Würzbach, der Meinung sind, daß dieses Vorgehen den verteidigungspolitischen und sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland entspricht, ob also Ihrer Meinung nach Rüstungsexporte nach Jordanien gehen können, und zwar angesichts unserer Geschichte, wenige Tage vor dem Jahrestag der Reichspogromnacht, und wenn dies angesichts des Tatbestandes erörtert werden muß, daß die Sache bisher geheimgehalten worden ist, wodurch sich der Verdacht erhärtet hat, als wolle die Bundesregierung dieses gesamte Geschäft vor den Augen der Öffentlichkeit verbergen, verheimlichen und vertuschen?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Voigt, die Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik und Großbritannien wurde noch zu Zeiten von Bundeskanzler Schmidt in der gleichen Form verhandelt wie seit Anfang der 70er Jahre zwischen Deutschland und Frankreich.
Das ist Ihnen bekannt.
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6992 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988
Parl. Staatssekretär WürzbachDort wurde das Vetorecht durch das Konsultationsverfahren abgelöst.
Wir haben es dann im Mai 1983 unterzeichnet. Dies ist korrekt.
Ich habe von den vorangegangenen Verhandlungen gesprochen.Ich antworte Ihnen, daß wir nach einem gründlichen Abwägungsprozeß aus deutschen Sicherheitsinteressen insgesamt heraus, wobei verschiedene Komponenten einfließen, darauf verzichtet haben, erhebliche Bedenken geltend zu machen. Wenn Sie hier zeitliche Verbindungen zu geschichtlichen Abläufen herstellen, darf ich Sie daran erinnern, daß der Bundessicherheitsrat über diesen Vorgang im Juni dieses Jahres beschlossen hat.
Herr Voigt, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Ich möchte Sie dann fragen, ob Sie auch angesichts des Tatbestandes, daß der Vorsitzende des Zentralrates der Juden, Herr Galinski, aber nicht nur er, sondern auch Vertreter aller Parteien diese Frage jetzt in die Öffentlichkeit gebracht haben und jetzt hier kritisch diskutieren, nicht der Meinung sind, daß Ihre Haltung in bezug auf die sicherheitspolitischen Interessen revisionsbedürftig ist, weil Sie in diesem Zusammenhang sonst in den Geruch kommen, Kriegspartei zu werden, daß man eine solche Entscheidung erst recht nicht im Umlaufverfahren klären kann und daß Sie deshalb die gesamte Entscheidung noch einmal überprüfen und revidieren müßten?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich bin der Meinung, daß der Bundessicherheitsrat — Sie wissen, wie er sich zusammensetzt — im Juni dieses Jahres in gründlicher Beratung all die Dinge, die hätten beraten werden müssen, gründlich geprüft hat und dann nach sorgfältigem Abwägen zu diesem Beschluß gekommen ist, an dem wir festhalten.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Wieczorek-Zeul.
Ich würde gern wissen, ob in die Prüfungen das mit eingeflossen ist, was ich vorhin angesprochen habe, nämlich die Tatsache, daß es sich um eine Bomber-Version handelt, was Sie in Bewertung dieses Tatbestandes daraus schlußfolgern und ob es im Vorfeld den Versuch des Bundesaußenministers gegenüber der englischen Regierung gegeben hat, ein solches Geschäft zu verhindern.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: In die Überlegungen, Frau Kollegin, die zu dem Beschluß geführt haben, sind die Fähigkeiten eines solchen Flugzeuges natürlich mit eingeflossen.
Es handelt sich um acht Flugzeuge, die dorthin exportiert werden. Hier ist die Bundesregierung der Meinung, daß von diesen acht Flugzeugen eine mögliche Gefährdung von Nachbarn auf Grund der bei den Nachbarn vorhandenen militärischen Fähigkeiten nicht ausgeht.
Zusatzfrage des Abgeordneten Feldmann.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie soeben richtig verstanden, daß im Rahmen des Konsultationsverfahrens von der Bundesregierung keine Bedenken geltend gemacht wurden, ist dem so, und sehen Sie, wenn dem so ist, Herr Staatssekretär, darin nicht die Gefahr, daß die Glaubwürdigkeit unserer restriktiven Rüstungsexportpolitik dadurch in Zweifel gezogen wird?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Bedenken unterschiedlicher Art wurden im Bundessicherheitsrat erörtert. Erhebliche Bedenken — das ist der Terminus technicus in der Vereinbarung — ergaben sich nach dieser Diskussion — unter Zurückstellung mancher Bedenken — in der Form nicht, daß Einwendungen in Form der Konsultationsverfahren gegenüber Großbritannien erhoben wurden. Ich sehe hiermit die Glaubwürdigkeit der restriktiven Rüstungsexportpolitik der Bundesrepublik überhaupt nicht gefährdet.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher.
Wenn es nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz verboten ist, Waffen in Spannungsgebiete zu exportieren: Wie kann denn die Bundesregierung, wie kann denn die deutsche Offentlichkeit überhaupt noch erwarten, daß sich Waffenexporteure an diese Bestimmungen halten, wenn die Bundesregierung sie selber nicht einhält?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wir halten alle diese Bestimmungen in der restriktiven Form,
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988 6993
Parl. Staatssekretär Würzbachdie nicht geändert wurde in den Grundlagen, die ja die Vorgänger-Regierung noch erlassen hat, für eingehalten und für gewährleistet.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung einschließlich des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers die Lieferung von teilweise in der Bundesrepublik gefertigten Bombern in ein Land, das mit Israel im Kriegszustand befindlich ist, für richtig?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir halten diese Lieferung eines Partners, mit dem wir gemeinsam mit Italien kooperieren, in der niedrigen Stückzahl, auf die ich hingewiesen habe, zur Herstellung der Luftverteidigungskapazität dieses Landes
trotz einiger Bedenken, die wir haben, nach dem dreimal eben erwähnten Abwägungsprozeß nicht für so, daß wir in Konsultationsverfahren hier eingegriffen hätten.
Meine Damen und Herren, es gibt zwar die Möglichkeit, sich auch über dieses Thema zu erregen,
aber wir müssen beim parlamentarischen Stil bleiben. Herr Kollege, ich hatte eigentlich auch schon vor, das zum Kollegen Stahl vorhin zu sagen. Ich bitte beide, daran zu denken, daß wir beim parlamentarischen Sprachgebrauch bleiben sollten.
Die nächste Zusatzfrage stellt der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, ich möchte mal davon absehen, daß es den Käufer dieser Maschinen sicher interessieren wird, wenn Sie sagen, daß acht Stück dieser Maschinen harmlos sind.
Aber ich möchte den Gedanken von Herrn Feldmann fortführen: Wenn nach dem deutschen Kriegswaffenkontrollgesetz der Export von Kriegswaffen in ein Gebiet, in dem Krieg besteht, verboten ist und wenn die Exportrichtlinien so, wie sie mir bis jetzt bekannt sind, bei Kooperationsverträgen vorsehen, daß wir versuchen, unsere Partner an diese Grundlagen zu binden, dann möchte ich Sie fragen, welche Anstrengungen denn die Bundesregierung unternommen hat, um dieses sich aus dem Gesetz ergebende Ziel zu erfüllen.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich will hier nur nachschieben: Von „harmlos" habe ich nicht gesprochen. Ich habe davon gesprochen — das beantwortet auch Ihre Frage — , daß diese acht zu liefernden Maschinen eine Gefährdung eines Nachbarn auf Grund der bei den Nachbarn vorhandenen und verfügbaren einsatzfähigen militärischen Systeme nicht hergäben. Dies war der Grund, daß wir die nationale souveräne britische Entscheidung, Maschinen zu exportieren, nach Abwägung der möglichen Bedenken so betrachtet haben, daß erhebliche Bedenken dem nicht entgegenstehen.
Nach unserer Geschäftsordnung geht das leider nicht. Wir müssen unsere Regeln einhalten. Viele Kollegen haben sich noch zu Wort gemeldet.
Der Abgeordnete Gansel hat die nächste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welche von Ihnen vorhin zitierten sicherheitspolitischen Gründe der Bundesrepublik sprechen für einen Export von Bomberflugzeugen in den Nahen Osten, und welche verteidigungspolitischen Gründe der Bundesrepublik Deutschland sprechen dafür, ausgerechnet durch die Kreditanstalt für den Wiederaufbau den Export von Bombern zu finanzieren, die in Israel ganze Landstriche in Schutt und Asche legen könnten?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, zu der Finanzierungsfrage habe ich jetzt hier nicht zu antworten; da hat das Parlament ja eine besondere Prozedur gerade eben eingeleitet.
Ich komme auf Dinge zurück, die ich hier schon zwei-, dreimal gesagt zu haben meine. Die Bundesregierung hat auch im Bundessicherheitsrat das eine oder andere Bedenken nicht unerheblicher Art vorgetragen. Beim Gesamtabwägen der Frage, ob wir unter Bezug auf die Vereinbarung mit Großbritannien das Konsultationsverfahren mit dem Ziel, einen solchen Export zu unterbinden, einleiten oder nicht, ist die Bundesregierung zu der Auffassung gekommen, daß dies in der erheblichen Form wegen der möglichen Auswirkungen auf mögliche Nachbarn auf Grund der Steigerung der militärischen Fähigkeiten nicht geschehen solle.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Knabe.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen vielleicht klar, daß mit dem jetzigen Vorgehen der Bundesregierung, mit dem jetzigen Verzicht auf Erhebung erheblicher Bedenken im Rahmen der Konsultationsmöglichkeit ein sehr wirksamer Beitrag zur Abschreckung von Europa geleistet wird, zur Unterstreichung der Tatsache, daß damit bundesdeutsche Gesetze ausgehöhlt werden, daß damit etwa die Beschränkung des Rüstungsexportes in Spannungsge-
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6994 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988
Dr. Knabebiete bzw. in kriegführende Länder einfach gegenstandslos wird?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Der Meinung ist die Bundesregierung nicht, Herr Kollege.
Frau Traupe, die nächste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat sich das Bundeskabinett insgesamt mit der Frage der Lieferung von Tornado-Kampfflugzeugen, nicht: -Abfangjägern, angesichts der Tatsache befaßt, daß sich in diesem Jahr die Reichspogromnacht zum fünfzigsten Male jährt?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, dieses ist auf Grund der Geschäftsordnung Aufgabe des Bundessicherheitsrates, und dieser hat sich damit befaßt.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Schmidt .
Herr Staatssekretär, bis vor ungefähr 15 Minuten hat es sich noch um „Aufklärungsflugzeuge" gehandelt, inzwischen handelt es sich um „Bomber" , und wir sollten davon nicht als Maschinen reden. Dieses nur nebenbei. — Ich habe die Frage, wie man den Tornado-Bomber zur Verteidigung einsetzt.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich finde, dieses Thema ist so ernst, daß wir auch bei dem Ernst bleiben sollten.
Hier vorne hat gar niemand innerhalb von 15 Minuten aus dem einen Typ den anderen gemacht. Dieses Flugzeug heißt „IDS" und ist ein Typ — ich will versuchen, ernsthaft auf Ihre verständliche und begründete Frage zu antworten —, der in der Lage ist, sowohl in der Verteidigung wie in begrenzten Angriffshandlungen eingesetzt zu werden. Dies ist korrekt.
Wenn Sie mir das Beispiel erlauben: Wenn ich ein Messer habe, kann ich mich damit verteidigen wie einen angreifen.
Wenn ich vorhin von Luftverteidigung gesprochen habe, dann gehört für jeden Staat in der Welt zu einer wirklichen Luftverteidigung sowohl die Komponente, sich über dem eigenen Gebiet selbst zu verteidigen,
wie die, zur Glaubwürdigkeit der Verteidigung in einer begrenzten Form bereits zu verhindern, daß andere einen angreifen. Das ist die deutsche Philosophie, nach der wir, unter welcher Verantwortung auch immer, über drei Jahrzehnte unsere Luftwaffe auf gebaut haben, eine Luftwaffe, die den Frieden hier erhält, die den Krieg verhindert.
Dies ist ein Flugzeug, das zur Verbesserung der Luftverteidigung in der angesprochenen Form beitragen kann.
Zusatzfrage des Abgeordneten Sellin.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie so richtig verstanden, daß der Export von acht Tornados nach Jordanien ein Beitrag dazu sein soll, ein Gleichgewicht auf höherem Niveau in dem Spannungsgebiet und Kriegszustandsgebiet zwischen Jordanien und Israel herzustellen? Ist das die Exportphilosophie der Bundesrepublik?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Nein, das ist sie nicht.
Aber die Briten, die dieses Flugzeug dorthin in dieser niedrigen Stückzahl exportieren, erhöhen hiermit Jordaniens Fähigkeit bei der Luftverteidigung und gefährden damit wegen der dort vorhandenen Kapazitäten nicht irgendwelche Nachbarn um Jordanien herum.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß die Aufregung um die Lieferung dieser Tornados in diesem Hause leicht übertrieben ist, weil Waffenlieferungen in den Nahen Osten keineswegs eine neue Erscheinung sind, sondern solche Lieferungen schon in den 60er Jahren stattgefunden haben und zwar mit Zustimmung der Vertreter der SPD und der FDP?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich verstehe, daß angesichts dieser Lieferung im deutschen Parlament, da deutsche Firmen auf Grund der Kooperation mit Großbritannien und Italien daran beteiligt sind, danach und nach möglichen Zusammenhängen und Auswirkungen gefragt wird.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Mechtersheimer.
Herr Staatssekretär, können wir Einverständnis darüber erzielen, daß es sich bei einem Flugzeug, daß Sie korrekt mit „IDS" bezeichnet haben, um ein Interdiction-Strike-Flugzeug handelt, dessen ausschließliche Aufgabe darin besteht, in den gegnerischen Bereich einzudringen und dort Bomben abzuwerfen, und daß die Bezeichnung, die Sie vorhin im Sinne von Luftverteidigung
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988 6995
Dr. Mechtersheimerverwendet haben, allenfalls auf einen Versprecher zurückzuführen sein könnte?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege. Ich bleibe dabei, daß dies zur Stärkung der Luftverteidigung
mit den von Ihnen beschriebenen Fähigkeiten — das ist korrekt —,
zur Erhöhung der Luftverteidigung und damit auch zur Abschreckung von Möglichkeiten, Kriegshandlungen beizutragen in der Lage ist.
Zusatzfrage des Abgeordneten Baum.
Herr Kollege, meinen Sie nicht, nachdem in meiner Fraktion, der FDP-Fraktion, gestern einmütig eine Ablehnung des Waffengeschäfts und der Kreditfinanzierung zum Ausdruck gekommen ist und auch hier das Meinungsbild ziemlich deutlich ist, daß die Bundesregierung erneut ein Konsultationsverfahren betreiben und alles dazu beitragen sollte, daß die Kreditfinanzierung nicht zustande kommt?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie konnten noch nicht im Plenum sein, als wir die Kreditgeschichten abgetrennt haben. Dafür habe ich im Augenblick nicht zu reden.
Zusatzfrage des Abgeordneten de With.
Herr Staatssekretär, wenn denn schon die Bundesregierung meint, daß durch die Lieferung von acht Tornado-Bombern eine Gefährdung des Nachbarn Israel nicht erreicht wird: Wann wird denn eine Gefährdung Israels erreicht, durch welche Anzahl, und glauben Sie nicht, daß das Abheben auf die bloße Stückzahl geradezu eine zynische Begründung ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, dieser Meinung bin ich nicht. In hypothetische Überlegungen, wann wo was einträte, bin ich nicht gewillt mich zu begeben.
Herr Vahlberg, noch dazu? — Bitte schön.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Bundesregierung 1983 auf das Vetorecht bei den Exporten des Gemeinschaftsprojekts Tornado gegenüber der britischen Regierung verzichtet hat?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, richtig ist, daß wir — ich glaube, seit 1971 — einen Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich haben, der dieses Vetorecht nicht vorsieht, und daß die Briten seit langer Zeit, seit Ende der 70er Jahre darauf gedrungen haben, daß zwischen Großbritannien und uns ein ähnlicher, an Frankreichs Vereinbarungen gemessener Vertrag hergestellt wird, daß diese Verhandlungen noch unter dem Kanzler Schmidt eingeleitet wurden, langwierige, komplizierte Verhandlungen, die dann im Mai 1983
in einer Vereinbarung den Niederschlag fanden,.
wonach das Vetorecht
in dieser Form nicht mehr stattfindet, sondern durch das Konsultationsverfahren dann,
wenn erhebliche Bedenken vorliegen, ersetzt wird.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende dieses Geschäftsbereichs, was die Dringlichkeitsfragen betrifft.
Sie haben gemeinsam mit mir festgestellt, daß der Herr Bundesfinanzminister gekommen ist. Ich möchte ihm dafür danken. Er ist trotz der Entschuldigung gekommen und hat also die Bedeutung der Diskussion erkannt.
Ich nehme an, daß er inzwischen von seinen Mitarbeitern unterrichtet ist. Wenn Sie soweit sind, Fragen beantworten zu können, Herr Minister, dann rufe ich die Dringlichkeitsfrage 2 des Abgeordneten Dr. Mechtersheimer auf:
Welche Gründe hindern die Bundesregierung, die in der Presse erwähnten Mitglieder des Kabinetts oder deren nachgeordnete Stellen, Stellung zu Fragen mit solch weitreichender Bedeutung und großem öffentlichen Interesse zu nehmen?
Bitte schön, Herr Minister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zu Ihren geschäftsleitenden Bemerkungen kurz sagen: Ich hatte mich für die Fragestunde entschuldigt, weil ich die Mitglieder des Sachverständigenrates zu einem lang vereinbarten Termin heute im Finanzministerium hatte. Ich habe deshalb nach der anerkannten Praxis Herrn Kollegen Voss gebeten, mich zu vertreten. Da sich die Mitglieder des Sachverständigenrats um 10 nach 2 verabschiedet haben, hatte ich auch keine Schwierigkeiten, jetzt zu der weiteren Frage zu kommen.Zur ersten Dringlichkeitsfrage hat der Kollege Voss Stellung genommen. Die Antwort ist gegeben. Ich glaube, daß sich durch die Stellungnahme von Herrn Voss auch schon ein Teil der Frage erledigt hat. Denn Herr Kollege Voss hat, wie ich eben sehe, mitgeteilt, daß Pressemeldungen stimmen, denen zufolge der
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6996 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988
Bundesminister Dr. StoltenbergBundessicherheitsrat der Bundesregierung die Grundsatzfrage im Juni erörtert und keine Bedenken erhoben hat. Man kann also die Frage, ob sich die Kreditanstalt für Wiederaufbau im Rahmen eines Bankenkonsortiums an der Finanzierung beteiligen kann, nur im Lichte der Grundsatzdebatte im Bundessicherheitsrat bewerten. Infolgedessen halte ich es für vertretbar, daß der Vorstand der Kreditanstalt eine Meinungsbildung zu dieser Frage eingeleitet hat. Aber die Prüfung der Kreditvorlage ist noch nicht abgeschlossen. Insofern kann ich auch keine abschließende Erklärung für die Bundesregierung abgeben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Mechtersheimer.
Heißt das, daß der Bundesregierung bewußt ist, daß diese Angelegenheit von einer solchen politischen Brisanz ist, daß sich Neuüberlegungen hier geradezu aufzwingen?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Ich entnehme einer Agenturmeldung, die ich eben auf der Fahrt hierher gelesen habe, daß der Bundeswirtschaftsminister noch einmal eine neue Erörterung wünscht. Ich bin zu dieser neuen Erörterung bereit.
Zusatzfrage Nummer zwei, Herr Mechtersheimer.
Der Bundesregierung wäre klar, auch Sie, Herr Minister, wären sich darüber im klaren, daß die Realisierung dieses Vorhabens eine deutliche Wende in der bisherigen Praxis von Rüstungsexporten der Bundesrepublik Deutschland bedeuten würde.
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Ich glaube das, Herr Kollege, nicht. Ich sage das jetzt mit Vorbehalt, weil ich durch die Vereinbarung mit Herrn Voss nicht alle Unterlagen so sorgfältig gelesen habe, wie ich es bei der Vorbereitung auf eine parlamentarische Diskussion selbst getan hätte.
Wir haben zwei Sachverhalte. Wir haben aus Gründen, die allen bekannt sind, die Entwicklung moderner Waffensysteme zunehmend in europäischer Gemeinschaftskooperation. Wir haben nun die Situation, daß die beteiligten Staaten die Kriterien von Exportmöglichkeiten unterschiedlich bewerten. Das ist eigentlich der zugrunde liegende Sachverhalt, nicht beschränkt auf dieses eine bedeutsame und jetzt diskutierte Vorhaben. Nun ist die Staatspraxis, wie ich glaube, auch schon zur Zeit früherer Bundesregierungen, so, daß bei Gemeinschaftsproduktionen das federführende Land die Entscheidung nach seiner Rüstungsexportpraxis trifft, die, wie Sie wissen, unter den beteiligten Staaten nicht einheitlich ist, und das mitbeteiligte und insofern auch an Zulieferungen beteiligte Land zu prüfen hat, ob es dagegen Einwendungen erhebt. Das ist geschehen.
Dies ist die entscheidende Frage. Ob dann eine überwiegend im Bundesbesitz befindliche Bank, die ihre Entscheidung natürlich nach eigenen Statuten und nicht auf Grund von Weisungen der Regierung trifft,
nach einer solchen Grundsatzentscheidung in einer reinen Exportfinanzierung mitfinanzieren kann oder nicht, ist die nächste Frage.
Zunächst eine Zusatzfrage des Abgeordneten Feldmann.
Herr Bundesminister, wir haben sicher erfreut zur Kenntnis genommen, daß Sie bereit sind, in dieser Angelegenheit in eine erneute Debatte im Verwaltungsrat einzutreten. Ich darf Sie fragen: Kann man daraus, daß, wie wir vorhin gehört haben, die Hermes-Finanzierung abgelehnt wurde, schließen, daß das Geschäft auch insgesamt als problematisch angesehen wurde?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Ich will zunächst einmal feststellen, daß es im Verwaltungsrat bisher keine Diskussion gegeben hat.
— Ich will es nur klarmachen. — Ich bin auch auf Grund der Nachrichtenlage aber bereit, jetzt diesen Punkt noch einmal mit dem Kollegen Martin Bangemann als dem stellvertretenden Vorsitzenden in der Sache und im Verfahren intensiv vorzubesprechen. Ich kann nach meiner amtlichen Kenntnis und Erinnerung nicht sagen, daß die Nichtgewährung einer Hermes-Bürgschaft bereits ein Maßstab für das Projekt als solches ist. Ich weiß aus Diskussionen vergangener Jahre etwa in Verbindung mit Aufträgen für den Export von Marineschiffen, daß es Fälle gibt, in denen die Bundesregierung dem Export zugestimmt hat, aber keine Hermes-Bürgschaft gewährt hat; das sind zwei verschiedene Verfahren, Herr Kollege Feldmann.
Zusatzfrage des Abgeordneten Sellin.
Herr Stoltenberg, Sie haben gerade plastisch geschildert, daß ein Konsortium aus Großbritannien, Italien und der Bundesrepublik unter der finanziellen Führung Großbritanniens zu dem Ergebnis führt, daß die Kriterien Großbritanniens gelten. Empfinden Sie nicht, daß die Deregulierung, die hier eintritt, dazu führt, daß die deutschen Bestimmungen über dem Verbot des Exports von Waffen in Spannungsgebiete außer Kraft gesetzt werden? Ist es Ihr Begehren, daß diese Deregulierung eintritt?Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Herr Kollege Sellin, ich habe hier gar kein Begehren geäußert. Ich habe an eine Situation erinnert, die alle oder fast alle in diesem Hohen Haus kennen. Wir haben spätestens seit den 70er Jahren die Gemeinschaftsproduktionen im Rahmen der NATO, die aus vielen Gründen sinnvoll sind. Hier gibt es eine Staatspraxis weit vor der Amtszeit der jetzigen Bundesregierung, die ich beschrieben habe. Natürlich muß man im einzelnen sehr sorgfältig abwägen, ob man Bedenken erhebt, und man muß die Frage prüfen, ob das Nichterheben von Bedenken ausschließt, daß öffentlich-rechtliche Banken mit maßgeblicher, aber nicht ausschließlicher Einflußnahme des Bundes sich an einer regulären Exportfinanzierung beteiligen können oder nicht.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988 6997
Bundesminister Dr. StoltenbergIch bin, wie ich Ihnen gesagt habe, bereit, die Frage — nachdem nun auch der Wunsch des Bundeswirtschaftsministers dazu besteht — vor der nächsten Sitzung des Verwaltungsrates mit ihm noch einmal eingehend zu erörtern. Ich habe als Verwaltungsratsmitglied in der Sache übrigens noch nicht votiert.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Bundesfinanzminister, können Sie nicht einen ganz deutlichen Widerspruch darin erkennen und hier bestätigen, daß wir auf der einen Seite in unserem Kriegswaffenexportgesetz die Waffenlieferung in Spannungsgebiete und noch dazu in Regionen, in denen der Kriegszustand herrscht, wie das ja im Nahen Osten der Fall ist, ausdrücklich verbieten und andererseits im Sicherheitsrat keine Einwendungen gegen ein Kooperationsrüstungsgeschäft erhoben werden? Wie sollen wir in der Öffentlichkeit die Moral eines solchen Verfahrens der Umgehung unserer klaren gesetzlichen Bestimmungen eigentlich erklären?
Frau Kollegin, ich glaube nicht, daß die Meinungsbildung im Bundessicherheitsrat, dessen Beratungen ja vertraulich sind, von einem solchen Widerspruch oder von dem Willen gekennzeichnet war, einen Umgehungstatbestand herbeizuführen. Man muß die zugrunde liegende Frage diskutieren: Ist es weiterhin richtig, mit anderen NATO-Staaten, vor allem in Europa, moderne kostspielige Waffensysteme gemeinschaftlich zu entwickeln? Ich sage dazu ja. Die zweite Frage ist dann: Ist es möglich, mit ihnen stärker gemeinsame Grundsätze für die Exportpolitik zu entwikkeln? Ich glaube, Sie werden mir aus Ihrer eigenen politischen Erfahrung zustimmen, daß das eine sehr schwierige Aufgabe ist.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Wieczorek-Zeul.
Ich möchte von Ihnen ganz konkret wissen, ob das, was heute als Wille des Deutschen Bundestages zum Ausdruck gekommen ist, nämlich die Ablehnung dieses Geschäftes, von Ihnen in Ihrer Funktion als Vorsitzender des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau zum Tragen gebracht werden wird.
Frau Kollegin, ich habe ja bereits gesagt, ich bin auf Grund der kritischen Anmerkungen bereit, in der Vorbereitung der Sitzung den Punkt insbesondere mit dem stellvertretenden Vorsitzenden, Herrn Kollegen Bangemann, zu erörtern und neue Gesichtspunkte und kritische Argumente in die Betrachtung einzubeziehen. Ich bin aber nicht der Meinung, daß ich als Vorsitzender des Verwaltungsrates im Rahmen einer Fragestunde Weisungen entgegenzunehmen habe.
— Nein, das wollte ich nur vorsorglich sagen; ich wollte höflich sein.
Zusatzfrage des Abgeordneten Herrn Gansel.
Herr Minister, daran anschließend möchte ich Sie folgendes fragen: Trifft es zu, daß, wie ich einer Veröffentlichung des Bundesfinanzministeriums entnehme, der Gegenstand der Kreditanstalt für Wiederaufbau folgendes ist — ich zitiere —:
Gewährung von Darlehen
— zur Förderung der deutschen Wirtschaft
— im Zusammenhang mit Ausfuhrgeschäften inländischer Unternehmen
— für förderungswürdige Vorhaben im Ausland ,
und wäre die Finanzierung des Exports von Bombenflugzeugen in den Nahen Osten, die Israel zum Teil in Schutt und Asche legen könnten, mit dem Geschäftsgegenstand einer Kreditanstalt für den Wiederaufbau wirklich zu vereinbaren?
Ich will zu der Frage zwei Anmerkungen machen.
Es gibt keinen Grund, weder für die Bundesregierung noch für den Bundestag, zu unterstellen, daß die jordanische Regierung Israel in Schutt und Asche legen will.
Das zweite ist, daß nach meiner Einschätzung
— aber ich bin noch einmal zu einer sorgfältigen fachlichen Nachprüfung bereit — unter dem Vorzeichen „Förderung von Exporten deutscher Unternehmen" die Zweckbestimmung wahrscheinlich als anwendbar angesehen werden kann, wenn wir uns rein auf die formale Seite der Satzung, Herr Kollege Gansel, beschränken und nicht die weitergehenden, auch kritischen Fragestellungen einbeziehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Bundesfinanzminister, halten Sie als Politiker die Lieferung von Bombenflugzeugen, die zum Teil in der Bundesrepublik gefertigt worden sind, in ein mit Israel im Kriegszustand befindliches Land für richtig, und zwar für so richtig, daß keine Bedenken zu erheben sind?Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Die Vorentscheidungen sind im politischen Bereich gefallen. Ich habe sie Ihnen geschildert. Ich gehe davon aus — ich bin davon fest überzeugt —, daß der Bundessicherheitsrat seine Entscheidung sorgfältig erwogen und nach Gesichtspunkten getroffen hat, die absolut vertretbar sind. Das berührt Ihre kritische Fragestellung.Das zweite ist: Meine Damen und Herren, dieses Thema ist nicht neu. Ich erinnere mich jetzt daran, daß vor drei Jahren in der internationalen und der deutschen Presse darüber berichtet wurde, daß das Ver-
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6998 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988
Bundesminister Dr. Stoltenbergeinigte Königreich von dem Gemeinschaftsprojekt Tornado eine große Stückzahl an Saudi-Arabien geliefert hat. Wir hätten das nach unseren Kriterien für den Waffenexport zu jenem Zeitpunkt nicht beschlossen. Aber jeder, der an dieser Frage interessiert ist— das gilt für Abgeordnete aus allen Fraktionen —, weiß doch, daß mit dieser Entscheidung Großbritanniens involviert war, daß deutsche Firmen zuliefern, weil das ein Gemeinschaftsprojekt ist.
— Nein, ich habe das nur zu der Grundsatzfrage gesagt, meine Damen und Herren.
Zusatzfrage des Abgeordneten Voigt .
Herr Minister, nachdem Sie ja durch Ihre eigenen Bemerkungen eigentlich indirekt eingestanden haben, daß das Umlaufverfahren, in dem in der Kreditanstalt für Wiederaufbau entschieden werden sollte, eine große Instinktlosigkeit war, denn sonst würden Sie es ja nicht für erforderlich halten zu sagen, Ihre eigene Entscheidung sei noch offen und Sie wollten noch einmal darüber diskutieren, und nachdem Sie auch gesagt haben, die Vorentscheidung sei im politischen Bereich gefallen, möchte ich Sie fragen, welche politischen Gründe dann für einen solchen Export nach Jordanien sprechen und insonderheit welche finanzpolitischen und wirtschaftspolitischen Gründe dafür sprechen, daß Sie einen solchen Export nicht auf Grund schwerer Bedenken verhindert haben.
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Ich bin nicht in der Lage, Herr Kollege, die konkreten Erwägungs- und Entscheidungsgründe für die Meinungsbildung im Bundessicherheitsrat hier zu nennen. Zum ersten sind die Sitzungen vertraulich, und zum zweiten — das füge ich nur als Fußnote hinzu — habe ich aus anderen dienstlichen Gründen nicht an dieser Sitzung teilgenommen. Aber mein Vertreter hat dieser Entscheidung zugestimmt, und ich billige sie ausdrücklich. Nur, ich kann deswegen auch gar nicht die Gründe nennen. Das ist aber der entscheidende Punkt.
— Ich bin davon überzeugt, daß das nach sorgfältiger und gewissenhafter Prüfung so ist; wobei wir ja nicht diejenigen sind, die einen eigenen Export genehmigt haben, sondern wir standen ausschließlich vor der Frage, ob wir verhindern können und wollen, daß sich unser Partner bei der Entwicklung in eigener Verantwortung zu einer solchen Exportentscheidung bekennt. Das war die konkrete Fragestellung, über die zu entscheiden war.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Schmidt .
Herr Minister, Sie haben vorhin erwähnt, daß es die Möglichkeit gibt, in diesen Kooperationsverträgen Bedenken zu äußern. Wir haben jetzt mehrfach gehört, daß es keine oder
keine erheblichen Bedenken dagegen gibt. Sie haben an der Sitzung nicht teilgenommen. Deshalb ist es keine Verletzung der Vertraulichkeit, wenn Sie meine nun folgende Frage beantworten: Herr Minister, haben Sie Bedenken gegen dieses Geschäft? Wenn ja, welche, und warum sind diese nicht erheblich? Wenn nein, möchte ich gern wissen, ob diese Bedenkenlosigkeit unter Umständen dazu geführt hat, daß unsere Rüstungsexporte im letzten Jahr um 50 % gestiegen sind. Das ist die höchste Steigerungsrate seit Bestehen der Bundesrepublik.
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Ich kann auch nachträglich keine Bedenken gegen die damals wohlerwogene Entscheidung des Bundessicherheitsrates formulieren.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kleinert .
Herr Minister, wie darf ich auf dem Hintergrund Ihrer eben noch einmal wiederholten Auffassung, daß die Entscheidung im politischen Raum gefallen sei und aus Ihrer Sicht sehr wohlerwogen gefallen sei, Ihre Einlassung verstehen, daß Sie selbst in dieser Frage noch nicht endgültig entschieden seien,
und welche neuen Gesichtspunkte könnten auf dem Hintergrund der von Ihnen eben noch einmal bekräftigten Auffassung für Sie womöglich maßgeblich sein, am Ende doch noch dafür einzutreten, dieses Projekt nicht durch einen Kredit zu unterstützen?Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Herr Kollege Kleinert, die hier schon vom Herrn Kollegen Voss auf Grund der Pressemeldungen ausdrücklich bestätigte Beratung im Bundessicherheitsrat ist ein wesentlicher Anhaltspunkt für eine Meinungsbildung bei der Kreditanstalt. Sie bedeutet natürlich keineswegs automatisch, daß ein Kredit der Kreditanstalt gewährt wird oder auch begründet ist. Aber es ist selbstverständlich ein wesentlicher Anhaltspunkt für die Meinungsbildung in der Kreditanstalt.Zur zweiten Frage will ich nur wiederholen: Wenn, wie ich jetzt höre, Kollegen auch innerhalb der Bundesregierung — das wird mir heute erstmals bekannt — Bedenken äußern, will ich mit ihnen über diese Bedenken reden, bevor ich mir abschließend eine Meinung bilde.
— Herr Kleinert, ich habe zur Sache Stellung genommen, dort, wo ich Entscheidungen für wohlerwogen halte und wo ich bereit bin, kritische Fragen noch einmal neu zu diskutieren und zu überprüfen. Mehr kann ich dazu im Augenblick nicht sagen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988 6999
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch.
Herr Minister, kann ich dem Gesamtzusammenhang Ihrer Antworten entnehmen, daß sich Ihrer Meinung nach die Vertreter der öffentlichen Hand im Verwaltungsrat, also die Vertreter des Bundes und der Länder, jedenfalls bewußt sind oder bewußt werden, wie problematisch es wäre, wenn sie sich die privatrechtliche Gestaltung der Sachlage — Kooperationsvertrag und zivilrechtliche Tätigkeit der Kreditanstalt — zunutze machen würden, um sich an einem Geschäft zu beteiligen, das nach deutschem Recht, wenn wir es selber täten, verboten wäre?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Diese Problematik muß im Lichte der kritischen Argumente noch einmal diskutiert werden. Aber ich werde nicht aus dem Handgelenk darauf eine Antwort geben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Minister, ist Ihnen unabhängig von der fiskalischen Problematik bewußt, welche Qualität ein Jagdbomber Tornado hat und mit welcher Qualität Sie jetzt in dieses Krisengebiet eingreifen, und ist Ihnen gleichzeitig bewußt — jetzt frage ich Sie als Mitglied dieser Bundesregierung —, daß Sie, wenn Sie dieses Flugzeug in dieses Gebiet liefern, was Sie vorhin als durchaus abwägenswert erachtet haben, ein Flugzeug liefern, das jegliche Radarmöglichkeit unterfliegen kann, und daß dadurch, wenn man so will, ein Land diesem Tornadoflugzeug mit seinen Systemen schutzlos ausgeliefert ist?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Ich teile nicht Ihre Auffassung, daß wir mit dem Votum des Bundessicherheitsrats und der jetzt anstehenden Abwägung im Hinblick auf die Kreditanstalt in das Krisengebiet eingreifen. Wir liefern auch nicht. Falls geliefert würde, würde natürlich das Vereinigte Königreich mit der Exportgenehmigung die wesentliche Verantwortung übernehmen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Professor Weisskirchen .
Ist, Herr Minister, in diese Überlegungen eigentlich mit einbezogen worden und ist darüber hinaus auch Israel befragt worden, ob der Einsatz eines solchen Flugzeugs nicht ebenfalls Interessen beispielsweise Israels berühren könnte?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Mir ist das nicht bekannt. Sie werden auch verstehen, daß ich dazu aus dem Handgelenk keine Antwort geben kann.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jens.
Herr Minister, sind Sie bereit, nach der Diskussion mit Herrn Bangemann, die Sie angekündigt haben, und nach den Gesprächen mit den anderen Mitgliedern im Verwaltungsrat, aber bevor die Entscheidung im Verwaltungsrat fällt, hier oder im Finanzausschuß noch einmal über Ihre Entscheidung ausführlich zu berichten?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Ich kann Ihnen nicht zusagen, daß ich vor der Debatte im Verwaltungsrat noch einmal berichte. Aber ich bin natürlich bereit — nachdem dies Gegenstand einer Erörterung im Deutschen Bundestag war — , nach den Gesprächen und nach der Sitzung zu berichten.
— Das ist doch nicht anders möglich.
Zusatzfrage des Abgeordneten Bohl.
Herr Minister, ich möchte, da ich nicht weiß, ob solche Kriterien bei der Entscheidung des Sicherheitsrates eine Rolle spielen, fragen, ob es nicht zumindest zu bedenken ist, daß das Königreich Jordanien doch auch eine stabilisierende Rolle im Nahen Osten spielt, und ob die Tatsache, daß der jordanische König und der ägyptische Staatspräsident zusammen mit dem Chef der PLO in den letzten Tagen eine Empfehlung im Hinblick auf die Parlamentswahlen in Israel gegeben haben, ob also solche politischen Erwägungen beim Sicherheitsrat eine Rolle spielen können?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Ich habe bereits als Antwort auf eine der vielen vorhergehenden Fragen empfohlen, daß wir in der Unterstellung von Motiven, also bis hin zur Unterstellung der Absicht eines Angriffs auf andere Staaten, äußerst vorsichtig sein sollten. Hier gibt es nach meiner Überzeugung keinen Grund, im Deutschen Bundestag festzustellen, daß Jordanien diese Beschaffung erwägt, um aktiv militärisch gegen ein Nachbarland vorzugehen.
Meine Damen und Herren, ich rufe die Dringliche Frage 3 der Abgeordneten Frau Wieczorek-Zeul auf:
Wie beurteilen die Vertreter der Bundesregierung im Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau die von der Bank geplante Teilfinanzierung für den Verkauf von TORNADO-Kampfflugzeugen an Jordanien?
Ich gehe eigentlich davon aus, daß diese Frage insgesamt schon mit beantwortet worden ist. Haben Sie noch Zusatzfragen, Frau Abgeordnete? — Dann muß der Herr Minister auf Ihre Fragen noch eine Antwort geben.
Habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie keine politischen Bedenken gegen die Lieferung hatten und daß eine mögliche Veränderung Ihres Verhaltens jetzt nur durch die Nachrichtenlage zustande kommt, die Sie vorhin genannt haben, d. h., weil Sie dabei erwischt worden sind?
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7000 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Frau Kollegin, meine herzliche Bitte ist in diesem fortgeschrittenen Stadium, doch dieselben klaren Begriffe zu verwenden: Es geht nicht um die Lieferung. Die Exportgenehmigung erfolgt — wenn sie erfolgt — durch das Vereinigte Königreich. Es ist mehrfach ausgeführt, daß die Bundesregierung nach Prüfung keine Bedenken dagegen erhoben hat, daß es deutsche Zulieferungen gibt. — Soweit zum Thema Lieferungen.Das zweite ist das Thema der Beteiligung der Kreditanstalt für Wiederaufbau an einem Kredit; da geht es nicht um Lieferungen. Ich habe nur gesagt — ich wiederhole es gerne — : Nachdem der Bundeswirtschaftsminister ausdrücklich — wie ich eben hörte, bevor ich herkam — heute eine neue Erörterung gewünscht hat, stehe ich ihm sofort zu dieser Erörterung zur Verfügung und werde die dabei vorgebrachten Bedenken in die Meinungsbildung einbeziehen.
Liebe Kollegen, ich muß darauf aufmerksam machen, daß wir eine ganze Fragestunde für dieses Thema verwendet haben.
— Okay, ich habe alles zugelassen; denn die Wichtigkeit ist jedem deutlich geworden. Trotzdem bitte ich herzlich darum, nicht Fragen noch einmal zu stellen, die schon gestellt worden sind. Ich wäre dankbar, wenn die sich noch meldenden Kollegen das beachten würden.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.
Sie haben vorhin als ein besonderes Problem die internationale Kooperation in diesem Rüstungsbereich genannt und haben gesagt, deshalb sei es sehr schwer, dies von unserer Seite aus zu kontrollieren. Ich wollte nachfragen, ob es von seiten der Bundesregierung in den letzten Wochen, Monaten oder auch Jahren Versuche gegeben hat, im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit eine einheitliche restriktive Regelung bei diesen Fragen zu bewirken. Denn das wäre die einzige Form, die glaubwürdig macht, daß hier keine Umgehungsgeschäfte bewußt organisiert werden.
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie diese Frage einmal mit den in erster Linie zuständigen Kollegen, dem Bundesaußenminister und dem Bundeswirtschaftsminister, im zuständigen Ausschuß oder hier erörterten. Ich könnte Ihnen ohne Rücksprache mit diesen Ministern
— das werden Sie auch verstehen — diese Frage nicht sicher beantworten.
Zusatzfrage des Abgeordneten Voigt.
Herr Bundesfinanzminister, nachdem Sie bedauerlicherweise eben keine Zusage geben wollten, daß Sie vor einer Entscheidung des Verwaltungsrates den Bundestag und seine Ausschüsse noch einmal konsultieren, möchte ich Sie fragen, ob Sie diese Entscheidung nicht noch einmal überdenken, nachdem Sie nach der heutigen Diskussion hier, sofort einen Termin für Herrn Bangemann
gefunden haben und ob nicht Terminplanungen für den Verwaltungsrat und andere Terminplanungen wesentlich weniger wichtig sind, als es das Ziel sein sollte, in dieser Frage einen politischen Konsens mit dem Bundestag zu finden?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Herr Kollege Voigt, bei vollem Respekt vor dem Informationswunsch des Hohen Hauses
— auch vor dem Diskussionswunsch — muß ich einfach darauf hinweisen, daß nach meiner Erinnerung
— ich kann mich um einen Tag irren — der Verwaltungsrat Anfang der nächsten Sitzungswoche tagt. Aus Gründen, die auch in einer Reihe anderer wichtiger Verpflichtungen des Verwaltungsrats liegen — es gibt auch noch andere Themen als dieses — , können wir die Sitzung nicht verschieben.
Ich bin der Meinung, daß im Lichte der geführten Gespräche und auch unter ernster Prüfung der kritischen Argumente die Frage geklärt werden muß; denn nach meiner Erinnerung ist es so, daß — auch durch die vorgegebenen Fristen — die Frage, ob sich die KfW beteiligt oder nicht, keinen weiteren Aufschub duldet.
Das ist der Grund, nicht ein mangelnder Respekt vor dem Hohen Hause.
Eine Frage des Abgeordneten Kleinert .
Herr Bundesfinanzminister, sehen Sie nicht die Notwendigkeit, daß angesichts der offenkundigen Sachlage, wie sie sich jetzt abzeichnet, dem Plenum des Bundestags doch zumindest noch Gelegenheit gegeben werden müßte, gegebenenfalls auch hier in einer Plenarsitzung zu einer Meinungsbildung in dieser Frage zu kommen? Sehen Sie auf dem Hintergrund dieser Überlegung keine Veranlassung, die Terminlage, die Sie eben dargelegt haben, noch einmal umzustellen?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Herr Kollege Kleinert, ich habe die Gründe für die Terminplanung genannt. Ich bin — ohne alle Unterlagen noch einmal nachgelesen zu haben — der festen Überzeugung, daß bis zum 11. die Entscheidung getroffen sein muß, ob sich die KfW beteiligt oder nicht. Wir werden für unser Votum dem Deutschen Bundestag selbstverständlich die Gründe nennen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Bundesminister, Sie haben vorhin selbst das Saudi-Arabien-Geschäft eingeführt. Nach meinem Wissen hat die Bundesregierung damals auf ihr Einspruchsrecht verzichtet. Meine Frage lautet: Hat sie auch bei dem anstehenden Projekt geprüft, ob sie Einspruch erheben sollte?
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988 7001
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Wenn ich das richtig verstehe, haben wir schon mehrfach erklärt, daß sich der Bundessicherheitsrat damit befaßt hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, daß er keinen Widerspruch erhebt.
— Es ist seit Jahrzehnten Staatspraxis, daß die Bundesregierung in einem solchen Fall die Verantwortung an den Bundessicherheitsrat delegiert. Das ist seit 1982 gar nicht neu.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Bundesfinanzminister können Sie mir erklären, nachdem Ihnen Herr Gansel die Satzungsbestimmung der Kreditanstalt vorgelesen hat, wie dieser Satzungszweck das vorgesehene Kreditgeschäft decken könnte? Sind Sie gegebenenfalls bereit, eine juristische Überprüfung anstellen zu lassen und uns das Ergebnis dieser Überprüfung zugänglich zu machen?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Ich glaube auf den ersten Blick — diesen Vorbehalt habe ich gemacht —, daß unter dem Thema „Förderung des Exports deutscher Unternehmen" prinzipiell, von der Satzung her
— jetzt beziehe ich mich nur auf die Satzung und nicht auf andere Erwägungen — , Exporte der deutschen Luftfahrtindustrie förderungsfähig sein sollten.
Aber wenn es da Zweifel gibt, können wir das noch einmal unter rechtlichen Gesichtspunkten vertiefen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Sellin.
Herr Stoltenberg, aus der Presse geht hervor, daß den größten Batzen der Finanzierung mit 370 Millionen DM ein Bankenkonsortium unter Führung der Deutschen Bank trägt. Ist den politischen Bedenken aus Ihrer Sicht Genüge getan, wenn sich die Kreditanstalt für Wiederaufbau nicht beteiligt, dafür aber die Deutsche Bank alles finanziert?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Ich weiß nicht genau, wie die Verteilung im übrigen vorgesehen ist. Deswegen will ich dazu nicht bestätigend Stellung nehmen.
Ich will grundsätzlich folgendes sagen. Wenn die Bundesregierung nach sorgfältiger Prüfung im Rahmen des Bundessicherheitsrats entscheidet, gegen eine von einem befreundeten Land zu verantwortende Exportentscheidung, was den deutschen Lieferanteil betrifft, keine Bedenken zu erheben, ist es ja wohl sehr schwer, deutschen Privatbanken zu sagen, daß Bedenken bestehen, wenn sie sich an der Finanzierung des deutschen Lieferanteils beteiligen.
Das wäre meine spontane Reaktion. Deshalb habe ich mehrfach gesagt: Die erste Meinungsbildung im Bundessicherheitsrat im Juni hat nicht automatische Konsequenzen hinsichtlich der Frage, ob sich die KfW beteiligt oder nicht. Aber sie ist natürlich ein nicht unwichtiger Maßstab für eine mögliche Meinungsbildung. Man kann das nicht beim ersten Meinungsbildungsprozeß übersehen oder auch für richtig halten und die Kritik nur auf die zweite Entscheidung konzentrieren.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Minister, bedeutet die von Ihnen dargestellte Terminabfolge, daß die Opposition im Deutschen Bundestag schon jetzt eine Debatte für den 9. oder 10. November beantragen muß, um auf Ihre Entscheidung Einfluß zu nehmen, oder können Sie uns heute verbindlich mitteilen, daß Sie keine Entscheidung für die Finanzierung des Waffengeschäfts treffen werden, ohne die zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages konsultiert zu haben?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Herr Kollege Gansel, ich muß alles, was über das von mir Mitgeteilte hinausgeht, die Verfahrensabläufe, wirklich noch einmal mit den beteiligten Kollegen besprechen, das ist doch selbstverständlich, in erster Linie mit dem Bundeswirtschaftsminister.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Schmidt .
Herr Minister, ich möchte noch einmal auf die Satzungsfrage zurückkommen. Könnte es möglich sein, daß hier nicht nur die Satzung der Kreditanstalt für Wiederaufbau geprüft werden muß, sondern daß das auch im Zusammenhang mit dem Außenwirtschaftsgesetz gesehen werden muß? Könnte es möglich sein, daß sich diese Satzung bei Erzeugnissen der deutschen Luftfahrtindustrie ganz exzeptionell nicht auf Kriegsgeräte ausdehnen kann?Ich würde Sie bitten, dieses noch einmal zu prüfen.Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Frau Kollegin, ohne daß ich das im Vorfeld der Fragestunde sorgfältig prüfen konnte, habe ich den Eindruck gewonnen, daß nach dem Außenwirtschaftsgesetz keine Bedenken bestehen, schon deshalb, weil — wie ich hier erinnert habe — vor drei Jahren im gleichen Verfahren ein Export nach Saudi-Arabien unter Zulieferung der deutschen Unternehmen erfolgt ist.
— Aber die Bestimmungen des Außenwirtschaftsgesetzes müssen doch analog gelten.
— Ich habe das mit aller Vorsicht als Analogie herangezogen.Aber unabhängig von Saudi-Arabien, meine Damen und Herren, kann doch nicht bestritten werden
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7002 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988
Bundesminister Dr. Stoltenberg— ich rufe es noch einmal in Ihr Gedächtnis — , hat es seit den 70er Jahren eine große Zahl von Beispielen gegeben, wo bei Gemeinschaftsprojekten des Atlantischen Bündnisses in Forschung, Entwicklung und Produktion von modernen Waffensystemen, an denen deutsche Firmen mit Zustimmung der Bundesregierung beteiligt waren, andere Länder Exportgenehmigungen gegeben und die deutschen Firmen zugeliefert haben. Daraus kommt die Vermutung, daß das Außenwirtschaftsgesetz diesem Verfahren nicht entgegensteht.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben eben noch einmal im Zusammenhang mit dem Entscheidungsprozeß Daten und Termine genannt, die nicht nur bei mir persönlich, sondern auch gestern in unserer Fraktion, abgesehen von grundsätzlichen Bedenken, ein großes Erschrecken ausgelöst haben, und ich möchte Sie jetzt gerne fragen, ob es richtig ist, wenn ich davon ausgehe, daß sich auch für die Bundesregierung der Zusammenfall des Entscheidungsdatums mit einem schrecklichen anderen deutschen Datum nicht von der Hand weisen läßt und daß auf ein solches Datum politisch mit besonderer Rücksicht zu reagieren ist.
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Frau Kollegin Hamm-Brücher, die kritische Debatte und der Wunsch des Bundeswirtschaftsministers, den ich soeben vernommen habe, über diese Frage intensiv mit mir zu reden, führt dazu, daß ich bereit bin, alle kritischen Argumente noch einmal in meine eigene abschließende Meinungsbildung hineinzunehmen. Daß wir in dieser Frage letzten Endes dem Konsens der Vertreter der Bundesregierung auch in einem solchen Gremium eine sehr große Bedeutung beimessen, ist doch vollkommen klar.
Zusatzfrage des Abgeordneten Baum.
Herr Bundesfinanzminister, wenn es also so ist, wie Sie jetzt noch einmal klargestellt haben — die Entscheidung des Sicherheitsrates habe zur Folge, daß andere deutsche Banken dann bedenkenlos finanzieren könnten — , meinen Sie nicht, daß diese Entscheidung noch einmal überprüft werden sollte? Für mich wäre das ganz unerträglich im Lichte dessen, was heute auch Herr Galinski geäußert hat.
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Ich kann Ihnen das jetzt nicht in Aussicht stellen, Herr Kollege Baum. Ich gehe davon aus, daß diese Meinungsbildung im Sicherheitsrat wohl erwogen war, daß sie gut begründet ist. Mir sind bis heute keine Argumente bekannt, daß sie jetzt geändert werden sollte.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jens.
Herr Minister, wir haben demnächst in diesem Hause den ERP-Wirtschaftsplan zu behandeln. Dieser Wirtschaftsplan ist eine wesentliche finanzielle Grundlage für die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Können Sie sich vorstellen, daß das Hohe Haus nach dieser einvernehmlichen Diskussion möglicherweise Änderungen in diesem Haushalt beschließen wird, falls der Verwaltungsrat der KfW zu einem Votum kommt, das diese Lieferung von Tornados zuläßt?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Das kann ich mir deshalb nicht vorstellen, Herr Kollege Jens, weil erstens die anstehende Entscheidung der KfW ja keinerlei Bezug zum ERP-Wirtschaftsplan hat und zweitens das Hohe Haus, wie ich fest überzeugt bin, seine Etatberatungen alleine nach sachgerechten Gesichtspunkten führen wird.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Bohl.
Herr Minister, liegt die Zuständigkeit für eine solche Entscheidung nach den gesetzlichen Bestimmungen im Bereich der Bundesregierung oder im Bereich des Parlaments?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Sie meinen im Hinblick auf die Frage, ob sich die KfW beteiligt?
Ich glaube, daß die Mitglieder des Verwaltungsrats in dieser Funktion eine eigenständige Verantwortung haben. Es ist ganz selbstverständlich — übrigens auch bei anderen Vorgängen — , daß sich die Mitglieder der Bundesregierung bei wichtigen und möglicherweise kontroversen Fragen vor einer Entscheidung im Verwaltungsrat miteinander besprechen. Das ist eine Entscheidung, die den Mitgliedern der Bundesregierung als Mitglied des Verwaltungsrats obliegt.
Herr Präsident, meine Frage richtete sich nicht nach dem finanziellen Bereich, sondern danach, ob die politische Vorentscheidung im Bundessicherheitsrat eine Entscheidung ist, die in der Zuständigkeit der Bundesregierung liegt.
Herr Kollege Bohl, Sie kennen unsere Regeln. Aber wenn der Minister noch etwas hinzufügen will.
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Ich sage: Ja.
Als nächster hat Herr Feldmann das Wort.
Herr Minister, sehen Sie, daß sich die Zweifel an der Glaubwürdigkeit unserer restriktiven Rüstungsexportpolitik verstärken, falls der unwahrscheinliche Fall eintritt, daß Sie diesen Kredit-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988 7003
Dr. Feldmannantrag doch noch im Verwaltungsrat genehmigen sollten?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Ich glaube, daß die Maßstäbe für unsere Rüstungsexportpolitik durch das gesetzt werden, was der Sicherheitsrat im Einzelfall beschließt. Ich kann nicht ganz die Gewichtung teilen — die hier sichtbar wurde — , daß die Frage einer Beteiligung oder Nichtbeteiligung der KfW der entscheidende Maßstab ist. Der entscheidende Maßstab wird wirklich von der Bundesregierung im Sicherheitsrat gesetzt.
Herr Lüder, die letzte Zusatzfrage.
Herr Minister, im Nachgang zur Frage von Frau Kollegin Hamm-Brücher und Ihrer Antwort, daß die Bundesregierung nach sachgerechten Kriterien entscheidet: Sind nach Ihrer Meinung die Auswirkungen des 9. November 1938 auch bei einer sachgerechten Entscheidung zu berücksichtigen?
Dr. Stoltenberg, Bundesminister: Herr Kollege Lüder, ich glaube, ich kann für die Bundesregierung sagen — auch ohne den Außenminister vorher zu fragen — , daß bei allen Entscheidungen die geschichtliche Erinnerung an die besonders schreckliche Zeit für das jüdische Volk und die Verantwortung für Israel eine wesentliche Rolle spielen. Nur erinnere ich einmal daran, daß es in einer früheren — sozialdemokratisch geführten — Bundesregierung dennoch Erwägungen gegeben hat, an arabische Nachbarländer Israels mit gewissen Einschränkungen und Sicherstellungen in einem begrenzten Umfang Rüstungsexport zu ermöglichen.
— Ja. — Diese Debatten sind nicht neu.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende dieser Fragen. Ich danke dem Minister für die Beantwortung.
Sie sehen, daß der Zeitablauf es uns nicht mehr erlaubt, andere Geschäftsbereiche und andere Fragen aufzurufen. Die werden morgen an die Reihe kommen.
Ich habe noch zwei Schlußbemerkungen zu machen. Die erste: Das Protokoll weist aus, daß der Kollege Stahl einen Zwischenruf gemacht hat, der einen Ordnungsruf verdient. Ein anwesendes Mitglied des Hauses als Flegel zu bezeichnen ist nicht hinnehmbar und muß eine Ordnungsmaßnahme nach sich ziehen.
Die zweite Bemerkung: Ich bin aufgefordert worden, den Zwischenruf „Waffenhändler" als einen beleidigenden Vorwurf einzuordnen.
Es spricht manches dafür, dies zu tun, aber ich muß das erst einer Prüfung unterziehen.
Meine Damen und Herren, wir beenden damit die Fragestunde.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde
Jüngste öffentliche Äußerung über die deutschen Aussiedler
Die Fraktion der CDU/CSU hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerster .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man kann der „Saarbrücker Zeitung" vom gestrigen Tage nur zustimmen, wenn sie schreibt — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren — :Saar-Ministerpräsident und SPD-Vize Lafontaine, der sich als Politiker mit Blick auf bevorstehende Wahlen ständig auf der Suche nach Wählern und Mehrheiten befindet, hat messerscharf herausgefunden, daß das Thema Aussiedler derzeit ein Reizthema in der Bundesrepublik ist, ein Thema, bei dem Emotionen einen hohen Stellenwert haben. Und: die Stimmung ist gegen die Aussiedler gerichtet. Lafontaine marschiert mit seiner Einstellung zu den Aussiedlern an der Spitze jener, die aus der Geschichte nichts gelernt haben und denen eigener Wohlstand sowie eigene Bequemlichkeit über alles gehen.
Das, was der populäre Lafontaine von sich gegeben hat, ist vor allem deshalb unverantwortlich, weil es öffentlich fortwirkt. Lafontaine schürt jene Stimmung, die leicht in Haß gegen Aussiedler umkippen kann.Herr Ministerpräsident, die „Saarbrücker Zeitung" hat Ihre Rolle in dieser Diskussion zutreffend beschrieben. Falsch sind Ihre Prämissen, falsch sind die Schlußfolgerungen, falsch sind die Behauptungen, falsch sind die Rechtsbelehrungen.Erstens. Die Bundesregierung wie auch die Koalitionsfraktionen werben keine Aussiedler ab und auch keine Aussiedler an. Herr Ministerpräsident, Sie sollten diese Falschaussagen sein lassen, Sie sollten derartige Unwahrheiten künftig nicht verbreiten.
Zweitens — und das ist ein großer Unterschied — : Die Entscheidung eines Deutschen, für sich und seine Familie die Aussiedlung in die Bundesrepublik Deutschland anzustreben, ist eine höchst persönliche und existentielle Entscheidung. Eine solche Entscheidung, die sich auf die Menschenrechte gründet, wird von uns ohne Einschränkung respektiert und akzeptiert. Und ich frage Sie, Herr Ministerpräsident, ob Sie diese Entscheidung von Deutschen, die oft jahrzehntelang nicht ihre Sprache reden konnten, nicht ihre Kultur, nicht ihre kirchlichen Traditionen leben konnten, in Freiheit und Demokratie in Deutschland leben zu wollen, ebenfalls akzeptieren oder nicht. Diese Frage sollten Sie heute hier beantworten.
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7004 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988
Gerster
Drittens. Die Bundesregierung hat sich im Wohnungsbau für Aussiedler zurückgemeldet,
worauf sich die frühere SPD-Bundesregierung 1980 abgemeldet hatte. Die Eingliederung der deutschen Aussiedler ist aber keine einseitige Sache, sondern gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern, Gemeinden, Kirchen, Verbänden und einzelnen Bürgern. Ihre Regierung, Herr Ministerpräsident, hat bisher mehr durch Worte als durch Taten geglänzt, und jetzt lenken Sie davon ab. Ich frage Sie, ob Ihre Regierung bereit ist — wie die Bundesregierung, die die Mittel von 1987 bis 1989 vervierfacht hat —,
Gleiches zu tun, ja oder nein. Auch das sollten Sie hier deutlich machen und der Öffentlichkeit sagen.Viertens. Deutsche Aussiedler sind Deutsche im Sinne von Art. 116 des Grundgesetzes und damit deutsche Bürger ohne Wenn und Aber.
Sie haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten wie alle übrigen deutschen Bürger. Der Vorschlag von Ihnen nach dem Motto „Hahn zu! " widerspricht Art. 116 des Grundgesetzes sowie dem Grundrecht der Freizügigkeit für alle Deutschen in Art. 11 des Grundgesetzes.
Ich frage Sie, Herr Ministerpräsident: Wollen Sie allen Ernstes Deutschen, die an der Grenze zur Bundesrepublik Deutschland stehen und einreisen wollen, diese Einreise verweigern, ja oder nein? Sie sollten auch das heute hier erklären.
Wer damit anfängt, Deutsche — gleich, woher sie stammen — auszugliedern und auszugrenzen, verläßt den Boden der Verfassung und das Fundament des Rechtsstaates.
Es darf keine Deutschen erster und zweiter Klasse geben. Und es darf keinen Ministerpräsidenten geben, der Deutsche in solche, die hier leben dürfen, und solche, die draußen bleiben müssen, einteilt.Herr Lafontaine
sollte deshalb seine Entgleisungen deutlich, klar, unzweideutig zurücknehmen, und die Sozialdemokraten sollten sich von derartigen Rückfällen in Vorzeiten des Grundgesetzes distanzieren. Denn Herr Lafontaine ist ja nicht der einzige. Der SPD-Oberbürgermeister von Hannover verlangt eine Kontingentierung, der SPD-Oberbürgermeister von Mainz eine Begrenzung der Freizügigkeit; die Reihe der Stimmen könnte man hier noch verlängern.Ich möchte hier deutlich und klar herausstellen: Die Rechte für Deutsche waren seit Beginn der Bundesrepublik Deutschland unteilbar. Sie sind unteilbar, und sie müssen unteilbar bleiben. Wir werben niemanden ab. Aber jeder Deutsche hat das Recht, in der Bundesrepublik Deutschland zu siedeln, hier aufgenommen, fair integriert und so behandelt zu werden wie die Deutschen, die hier von Geburt an leben.
Das Wort hat der Ministerpräsident des Saarlandes.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In seiner Regierungserklärung vom 18. März 1987 sagte Bundeskanzler Kohl:Unsere Bemühungen um ungehinderte Ausreise und Hilfe für die Landsleute, die zu uns in die Bundesrepublik kommen wollen und können, wollen wir fortsetzen.
1987 wurde mit rund 105 000 Menschen der höchste Stand des Zuzuges von Aussiedlern seit Jahrzehnten erreicht.
Diese Rekordzahl wird sich 1988 noch einmal verdoppeln: In diesem Jahr werden fast 200 000 Menschen aus Ost- und Südosteuropa in die Bundesrepublik aussiedeln und hier eine Existenz aufbauen wollen. Dieser Zustrom von Menschen, die häufig Jahre und Jahrzehnte auf ihre Ausreise gewartet haben und mit großen Hoffnungen jetzt in die Bundesrepublik kommen, wird anhalten; er wird vielleicht noch größer.Obwohl diese Entwicklung seit längerer Zeit absehbar war, ist die Bundesrepublik auf die Aufnahme und Integration der Aussiedler nur unzureichend vorbereitet.
Dies ist vor allem ein Versäumnis der Bundesregierung,
die Länder und Gemeinden bei der Bewältigung dieser nationalen Kraftanstrengung bislang alleingelassen hat.Seit dem Haushaltsjahr 1985 hat der Bund die Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus eingestellt;
die Förderung wird nur noch von den Bundesländern durchgeführt. Dies ist der Hauptgrund für den akuten Mangel an preiswertem Wohnraum für Aussiedler.
Trotz Ausschöpfung aller Reserven durch Länder und Gemeinden sind Aufnahmelager und Übergangswohnheime mittlerweile hoffnungslos überfüllt; Provisorien wie Wohncontainer und Turnhallen drohen
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988 7005
Ministerpräsident Lafontaine
zum Dauerzustand zu werden. Schon heute steht fest, daß die heute und in Zukunft zu uns kommenden Aussiedler sehr lange in Notunterkünften werden leben müssen. Das verbreitet Hoffnungslosigkeit, trägt aber auch zu Ghettoisierung und zur Verstärkung bereits vorhandener Vorurteile und Ablehnungen in der Bevölkerung bei.
Bis heute ist die Bundesregierung dem Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz von 1985 nicht nachgekommen, die Dauer der Sprachförderung von zehn auf zwölf Monate anzuheben. Dabei ist die Beherrschung der deutschen Sprache eine unabdingbare Voraussetzung für jede erfolgreiche Integration.Von der Kürzung der arbeitsmarktpolitischen Förderung im Rahmen der Bundesanstalt für Arbeit sind gerade — auch wenn Sie das nicht gerne hören, meine Damen und Herren — die Aussiedler besonders betroffen,
weil sie erst durch entsprechende Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen auf unserem Arbeitsmarkt konkurrenzfähig werden. Allerdings reicht die Zahl der von der Arbeitsverwaltung speziell für die Aussiedler konzipierten Sonderkurse schon heute nicht mehr aus.
Ihre Erhöhung scheitert an der ungenügenden Finanzausstattung der Bundesanstalt für Arbeit. Auch die Benachteiligung der Aussiedler bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes, die bereits 1984 von der Arbeits- und Sozialministerkonferenz beanstandet wurde, ist bis heute nicht abgeschafft.Diese wenigen Beispiele, die sich beliebig ergänzen ließen, belegen, daß es verantwortlungslos ist, wenn prominente Vertreter der Bundesregierung — an der Spitze der Bundeskanzler — seit Jahren unablässig für Ausreiseerleichterungen eintreten und nunmehr diesen Menschen hier in der Bundesrepublik nicht in ausreichender Form helfen und Hilfestellung anbieten.
Im Beschluß der Bundesregierung vom 31. August 1988 heißt es:Da die Aussiedler ohne eigenes Verschulden vielfach die deutsche Sprache nicht mehr beherrschen, fällt es der einheimischen Bevölkerung zuweilen schwer, sie als Deutsche zu akzeptieren. Vielfach werden sie Ausländern gleichgestellt
und auf dem Arbeitsmarkt als lästige Konkurrenten angesehen. Daß ihnen die Eingliederung durch staatliche Hilfen erleichtert werden soll, stößt vielfach auf Unverständnis.So die Bundesregierung.
Die im Beschluß der Bundesregierung festgestellten Zusammenhänge zwischen der Bewältigung des Aussiedlerproblems und der Asylantenfrage ist richtig. Der baden-württembergische Regierungschef Lothar Späth hat die Sorge, daß die Kombination von Aussiedler, und Asylantenströmen rechtsradikale Kräfte in der Bundesrepublik stärke. Recht hat er. Nur ist die Frage, welche Konsequenzen man zieht.Auf jeden Fall gilt: Wer Ausländerfeindlichkeit in der Bundesrepublik schürt, verstärkt auch die Vorbehalte gegen die Aussiedler, die die deutsche Sprache nicht beherrschen. Dies ist das Dilemma, in dem sich diejenigen befinden, die auf der einen Seite glauben, auf der Welle der Ausländerfeindlichkeit reiten zu können, und auf der anderen Seite wiederum verstärkt für den Zuzug deutscher Aussiedler in die Bundesrepublik werben.
Vor diesen Dilemma stehen Sie.Ein Ausweg aus diesem Dilemma ergibt sich nur, wenn man das Solidaritätsgebot oder die Verpflichtung zur Nächstenliebe oder das Erbe der Aufklärung ohne unzulässige Einschränkungen gelten läßt. Die Verpflichtung zur Menschlichkeit steht am Anfang. Sie ist unteilbar und ebensowenig wie das Gebot der Nächstenliebe den Grenzen früherer Staatsgebilde unterworfen. Darauf habe ich mehrfach in den letzten Tagen aufmerksam gemacht und vor überzogener Deutschtümelei — nach dem Duden: „aufdringliche Betonung des Deutschtums" — gewarnt.Ich hatte dafür plädiert, unsere Hilfestellung für unsere Mitmenschen in erster Linie davon abhängig zu machen, in welchem Ausmaß unsere Mitmenschen unserer Hilfe bedürfen.
Wohl wissend, an welche Vorurteile ich rühren würde, habe ich das Schicksal eines Farbigen aus Afrika erwähnt, der von dem Verlust seines Lebens bedroht ist, und sein Schicksal mit dem eines Aussiedlers verglichen, der in früherer Generation deutsprechende Vorfahren hatte und nun bei uns um Aufnahme sucht, ohne daß sein Leben bedroht ist.
Der Vergleich ist deshalb zulässig, weil wir bei jeder Hilfeleistung gehalten sind, Prioritäten zu setzen und unsere Prioritäten zu begründen.
Diese Fragestellung nach der persönlichen Hilfsbedürftigkeit stieß auf Reaktionen, gegenüber denen die Vorhaltung übertriebener Deutschtümelei nicht mehr angemessen, da zu harmlos ist.
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7006 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988
Ministerpräsident Lafontaine
Wenn der Bundesinnenminister, wie seiner Presseerklärung vom 24. Oktober 1988 zu entnehmen ist, diese Fragestellung nach der Mitmenschlichkeit ummünzt in die Aussage: „Mit seiner neuen Parole, Farbige ja, Deutsche nein', hat Lafontaine auch die Unterstützung der SPD für die Aufnahme der Aussiedler desavouiert", dann hat der Bundesinnenminister mit dieser skandalösen Bemerkung unter Beweis gestellt,
daß es nicht nur um überzogene Deutschtümelei geht, sondern um das Schüren von rassistischen Vorurteilen und Ausländerfeindlichkeit.
Genau hier, meine Damen und Herren, sind die Sozialdemokraten und alle diejenigen gefordert,
die mit ihnen für Humanismus, für das Erbe der Aufklärung und für das christliche Gebot der Nächstenliebe eintreten, wenn es um die Frage geht: Wer ist unser Nächster?
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wenn es noch eines einzigen Beweises bedurft hätte, was Sie hier losgetreten haben, Herr Ministerpräsident, dann war es diese Haltet-den-Dieb-Rede, für die Sie besser in Saarbrücken geblieben wären und mit der Sie uns besser verschont hätten.
Bis zum Wochenende, meine Damen und Herren, hatte ich geglaubt, es gäbe zumindest eine prinzipielle Einigkeit in der Frage, wie wir die Aussiedler begrüßen und aufnehmen sollten.
Ich hatte gedacht, wir alle stimmten darin überein, daß sie uns von Herzen willkommen seien. Offensichtlich haben wir uns getäuscht. Anderen ist es ebenso ergangen.Die unglaublichen Äußerungen des saarländischen Ministerpräsidenten — und heute sind sie wiederholt worden — haben uns eines Schlechteren belehrt. Ich stehe nicht an, zu sagen, Herr Ministerpräsident: Wenn es einen Politiker gibt, der unser aller Bemühen um Humanität und Hilfsbereitschaft, um mehr materielle Mittel und praktizierten Gemeinsinn auf eine total schiefe Ebene geschoben hat, dann sind Sie es.
Die angebliche Alternative zwischen Asylanten und Aussiedlern, die hier noch einmal dargestellt worden ist, haben Sie erfunden, die existiert in Wahrheit nicht.
Sie ist demagogisch. Sie ist geeignet, Ressentiments gegen Aussiedler und Asylbewerber zu stärken.
Glücklicherweise hat das wenigstens Herr Vogel begriffen. Daß Sie es nicht verstehen, Herr Ehmke, ist überhaupt kein Wunder.Wer solches sagt, der muß selber noch mal einen Sprachkurs zur Beherrschung der deutschen Sprache auf sich nehmen, Herr Ministerpräsident.
Von „Deutschtümelei" zu reden, wenn wir Deutsche bei uns aufnehmen wollen, das allerdings ist eine Verdrehung oder Nichtbeherrschung der deutschen Sprache, die ihresgleichen sucht.
Uns bleibt nichts anderes übrig, als jetzt den Schaden zu begrenzen.Für die FDP und für die Mitglieder meiner Fraktion sage ich: Wir lehnen es ein für allemal ab, Gegensätze zwischen Aussiedlern und Asylanten zu konstruieren, die es in Wahrheit nicht gibt.
Mit der FDP wird es im übrigen weder eine Verfassungsänderung zum Asylrecht geben noch werden wir eine Gruppe der anderen vorziehen.
Wir werden das Grundrecht auf Asyl ebenso bewahren wie den unveräußerlichen Anspruch von Deutschen, in ihre Heimat zurückzukehren.
Wir stimmen, meine Damen und Herren, mit dem Bundeskanzler überein: Das darf nicht und wird nicht an Geld scheitern. Es wäre ein menschliches Armutszeugnis sondergleichen, wenn die reiche Bundesrepublik Deutschland nicht in der Lage wäre, Menschen zu helfen, die einen Anspruch auf unsere Hilfe haben. Wir unterstützen deshalb die Programme, die den Aussiedlern eine möglichst rasche Eingliederung erleichtern sollen. Wir sagen ja zu Ausbildung, zu Sprachkursen,
zu Wohnungsbauprogrammen. Die Wohnungen müssen dort entstehen, wo Arbeitsplätze sind. Wir treten für unbürokratische Hilfen ein.Daran muß sich übrigens auch die Bundesanstalt für Arbeit halten. Es ist nicht zu verantworten, daß es die Nürnberger Anstalt den Firmen verbietet, sich unmittelbar und direkt um arbeitswillige Aussiedler zu bemühen, denen diese Firmen nicht nur einen Arbeitsplatz, sondern auch Wohnungen besorgen könn-
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Dr. Graf Lambsdorfften. Monopolansprüche sind das letzte, was wir bei der Eingliederung dieser Menschen gebrauchen können.Deshalb spricht sich die FDP noch einmal für die Prüfung der Frage aus, ob über steuerliche Vergünstigungen für Bauherren die Aussiedlerwohnungen nicht schneller als mit anderen Mitteln bereitgestellt werden können.
Entscheidend aber, meine Damen und Herren, kommt es auf die Hilfsbereitschaft aller Bürger in der Bundesrepublik an. Vor 40 Jahren kamen über 12 Millionen Flüchtlinge in ein zerstörtes Land. Vielleicht wissen einige von Ihnen das nicht mehr. Nach ein paar Jahren gehörten sie alle zu uns, zu diesem Land. Heute sind die Probleme im Vergleich dazu geradezu lächerlich gering.
Und wir können sie lösen, wenn jeder einzelne nur ein wenig mithilft.Sie, Herr Ministerpräsident, irren. Niemand will Solidarität auf eine nationale Kategorie einengen, niemand von uns. Auf diese Idee sind Sie auch erst gekommen, nachdem Sie gemerkt haben, was Sie zuvor bei der SPD-Niederrhein angerichtet hatten. Warum übrigens Herr Biedenkopf dieser Tagung mit zu überregionaler Bedeutung verholfen hat, müßten Sie von der CDU vielleicht mal überlegen.Den Aussiedlern und den Asylbewerbern haben Sie, Herr Lafontaine, jedenfalls nur geschadet — und dem Solidaritätsgedanken, von dem Sozialdemokraten ja so gerne reden, erst recht. Jetzt muß sich dieses Haus gemeinsam darum bemühen, die Scherben zu kitten, die Sie verursacht haben, Herr Ministerpräsident.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Olms.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Thema der heutigen Aktuellen Stunde sind die Äußerungen des saarländischen Ministerpräsidenten. Die CDU-Fraktion möchte dies zum Anlaß nehmen, wieder einmal ihr Süppchen zu kochen und sich als Vertreterin der Aussiedler aufzuspielen.Nicht Thema — aber das wäre eigentlich notwendig — sind die jüngsten Äußerungen des baden-württembergischen Ministerpräsidenten, der zum wiederholten Male die Beseitigung des Grundgesetzartikels über das Asylrecht forderte.Wer wie Lafontaine in sehr vorsichtigen Andeutungen die rassistisch begründete Bevorzugung von Aussiedlern gegenüber Flüchtlingen aus der sogenannten Dritten Welt kritisiert,
wer zu Recht die übertriebene Deutschtümelei der Konservativen geißelt,
der verstößt gegen die Verfassung und gegen das sogenannte nationale Empfinden, wie uns Herr Seiters weismachen zu müssen glaubte. Keine Aufregung dagegen, wenn es Lothar Späth als anständig und human bezeichnet, Asylsuchende bereits an der Grenze dieses Landes abzublocken. Wenn uns die zu erwartenden 200 000 Aussiedler aus Osteuropa willkommen sind, so meint Lothar Späth, daß 90 % aller Asylbewerber keine Chance hätten, Asyl zu erhalten.
Warum denn eigentlich? Weil die zuständigen Stellen in den letzten Jahren immer weiter die Anerkennungsquote zügig heruntergefahren haben, und das aus politischen Gründen. Das wissen Sie so gut wie ich.
Während der Bundestagsabgeordnete Heinrich Lummer jeden Aussiedler als Deutschen in Frage stellt, wenn er nicht im Besitz eines deutschen Schäferhundes ist, sorgen auf der anderen Seite strenge Visabestimmungen dafür, daß viele von Not und Verfolgung, Krieg und Bürgerkrieg betroffene Menschen überhaupt keine Chance haben, diesen unseren Boden zu betreten.Es ist absurd und grotesk zugleich: Nicht das deutschnationale Getöse, nicht Lothar Späth und andere aus der Union stehen hier zur Debatte, sondern ein Sozialdemokrat, der vor dem nationalistischen Übereifer warnt. Doch wer, wie ich das hier tue, die Deutschtümelei angreift, verstößt gleichfalls gegen das Grundgesetz.
Das nehme ich in diesem speziellen Fall bewußt in Kauf. Denn das Grundgesetz liegt an diesem Punkt meiner Meinung nach daneben, daneben deswegen, weil künstlich zwischen deutscher Staatsangehörigkeit und deutscher Volkszugehörigkeit unterschieden wird. Vom Geist des Kalten Krieges geprägt, wurden im Bundesvertriebenengesetz auch diejenigen zu Deutschen definiert, die „in den zur Zeit unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten" leben. Grotesk ist das deswegen, weil die sogenannten deutschen Volkszugehörigen in Danzig, Estland, Lettland, Litauen, in der Sowjetunion, in Polen, in der Tschechoslowakei, in Ungarn, Rumänien, Bulgarien oder Jugoslawien und selbst noch in China zusammen definiert werden. Wer ist deutscher Volkszugehöriger? Laut Vertriebenengesetz sind das die Menschen, die sich zum deutschen Volkstum bekennen und deutsche Merkmale wie Sprache, Abstammung, Erziehung und Kultur aufweisen. Selbst die mir nicht sonderlich nahestehende „Frankfurter Allgemeine" stellt dazu treffend fest, daß keines dieser angeblichen Merkmale hinreichend ist, um jemanden als Deut-
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Frau Olmsschen auszuweisen. Da sich nach rund vierzig Jahren und mehrfachem Generationswechsel die deutschen Merkmale wie Sprache, Kultur und Erziehung mehr und mehr verflüchtigt haben,
bleibt ihnen nur noch die Abstammung. Reicht auch das nicht, ist man großzügig. Die „Frankfurter Allgemeine" ganz lax und liberal:In der Regel wird es so sein, daß die Tatsache eines Ausreiseantrags ... als hinreichender Grund angesehen wird, die deutsche Volkszugehörigkeit anzunehmen.
Das ist alles, was von Ihrer Deutschtümelei übriggeblieben ist.Meine Damen und Herren, im Rahmen einer Politik der offenen Grenzen sind uns nicht nur die Aussiedler, sondern alle Menschen herzlich willkommen, ganz gleich, welcher Staats- und Volkszugehörigkeit oder Hautfarbe sie sind und aus welchen Gründen auch immer sie in die Bundesrepublik kommen oder kommen müssen.
Uns ist ein 24jähriger Pole, der aus Not und politischer Verfolgung bei uns Zuflucht sucht, genauso willkommen wie ein tamilischer Mensch, kurdischer Mensch oder Eritreer, der vor Krieg oder Bürgerkrieg zur Flucht gezwungen ist.
Sosehr ich Oskar Lafontaine vor Angriffen aus den Reihen der CDU und CSU in Schutz nehme, so geht es dem stellvertretenden SPD-Vorsitzenden keineswegs um eine Politik der offenen Grenzen. Wer seine Äußerung genau gelesen hat, weiß, daß sich Lafontaine nur gegen die deutschtümelnd begründete Vorrangigkeit von Aussiedlern gegenüber Flüchtlingen gewehrt hat. Ich kann ihm auch keinen „Oscar" dafür verleihen, wenn er behauptet, nicht alle, die vom Tode bedroht seien, könnten mit einer Aufnahme in der Bundesrepublik rechnen. Das stellt die Verhältnisse auf den Kopf, solange nicht einmal die fünfzehn vom Tode bedrohten Chilenen bei uns eine Zuflucht finden können.
Falsche Fronten baut Lafontaine auch auf, wenn er eine Bevorzugung der Aussiedler gegenüber anderen Flüchtlingen beklagt. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Nicht die Bevorzugung der Aussiedler gegenüber Flüchtlingen ist zu beklagen, sondern die Benachteiligung der Flüchtlinge gegenüber den Aussiedlern.
Das Wort hat der Abgeordnete Schreiber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, ich bin in der richtigen Aktuellen Stunde, denn ich habe sowohl bei meiner Vorrednerin als auch bei den Ausführungen des Ministerpräsidenten Lafontaine manchmal den Eindruck gehabt, daß um den Kern der Frage, über die wir am heutigen Nachmittag diskutieren, nämlich eine unglaubliche Aussage, herumgegangen wird.
Ich habe den Eindruck, Herr Ministerpräsident, als hätten Sie auch heute wieder den allerdings verkehrten Versuch gemacht, die von Ihnen angefangene Diskussion in eine andere Richtung abzulenken. Ich möchte eines auch an die Adresse der SPD hinzufügen. Herr Kollege Ehmke, vielleicht stünden wir heute gar nicht da, wenn die Thesen von Herrn Lafontaine in der SPD jetzt schon mehrheitsfähig wären, denn wir kennen ja das Strickmuster: Sagt die SPD hü, sagt Herr Lafontaine hott. Ich glaube, wenn wir heute vor der Situation stünden, daß die SPD hier einig wäre, dann wäre Herr Lafontaine wahrscheinlich anderer Meinung. Ich nenne das eine Hü-hott-Politik, sagst du hü, sage ich hott. Ich glaube, die Themen, die wir am heutigen Nachmittag diskutieren, sind so wichtig und so sensibel, daß man sie nicht mit einem kessen Spruch abtun darf.Ich möchte eines sagen. Sicher, jeder Vergleich hinkt, aber ich stelle mir als Saarländer einmal die Frage, wie denn die Menschen an der Saar empfunden hätten, wäre in der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit der Abstimmung von 1955 und der anschließenden Rückkehr des Saargebiets in den deutschen Staatenverbund vor Deutschtümelei gewarnt worden. Ich frage mich, was dann die Saarländer in der damaligen Abstimmung gesagt hätten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich war in dieser Frage wie viele — das attestiere ich — auch aus den anderen Parteien, auch aus der SPD, betroffen, in welcher Art und Weise über die Eingliederung von Deutschen aus den Ostblockstaaten diskutiert wurde. In dem sogenannten „Wortgefecht" des Saarländischen Rundfunks hörte ich u. a.: Die sollen bleiben, wo sie sind; die haben sich doch an die Zustände schon gewöhnt. Warum sollen wir die zu uns herüber lassen? — Ich meine, wir müssen — das folgt doch daraus — als Demokraten die Politik der Eingliederung von Deutschen offensiv angehen. Dabei will ich gar nicht juristisch argumentieren, sondern politisch und vor allen Dingen auch menschlich. Ich meine, in einer Situation in der wir um Verständnis in der Breite der Bevölkerung ringen, paßt eine Bemerkung à la Lafontaine wie eine Faust auf das Auge.
Die Deutschen jenseits der Demarkationslinie, sowohl die in der DDR wie auch die, die seit Generationen in den Ländern des heutigen Ostblocks leben, haben — auch das sage ich — nicht nur juristisch, sondern auch moralisch den Anspruch, bei uns mit offenen Armen empfangen zu werden.
Sie haben unter den Folgen des Krieges ganz sicher viel mehr gelitten als wir, die wir nach dem Zweiten Weltkrieg die Chance hatten, uns in Freiheit zu entwickeln, und zwar so zu entwickeln, daß wir eben heute zu den reichsten Staaten der Erde gehören. Ich
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Schreiberfrage mich, wie es bei diesen Menschen ankommt, die hierher kommen, die voll Hoffnung zu uns kommen, wenn hier eine Diskussion unter dem Oberbegriff „Deutschtümelei" begonnen wird.Ich möchte hinzufügen: Das Saarland sollte und muß, Herr Ministerpräsident, seine Hausaufgaben machen.
Ich habe überhaupt nichts dagegen, daß in diesem Zusammenhang die Frage gestellt wird: Wie können Bund, Länder und Gemeinden zusammen eine Strategie entwickeln, die die Eingliederung, die Integration dieser Menschen erleichtert? Ich habe nichts dagegen, wenn der Ministerpräsident des Saarlandes auch in diesem Zusammenhang kritische Bemerkungen macht; das gehört in einer Demokratie dazu. Aber ich habe etwas dagegen, wenn von Deutschtümelei gesprochen wird, wenn der Eindruck entsteht, als würden wir hier in der Bundesrepublik Deutschland diese Menschen nicht mit offenen Armen empfangen.Ich habe auch überhaupt kein Verständnis dafür, wenn daraus abgeleitet wird, daß es hier einen Gegensatz gäbe zwischen Asylsuchenden auf der einen Seite und Aussiedlern aus den Gebieten jenseits der Demarkationslinie andererseits. Wer mich kennt, kennt meine Meinung zu den Menschenrechten in aller Welt.Ich meine, wir Demokraten sind gut beraten, wenn wir den Versuch machen, hier zu einer einheitlichen Linie zu kommen. Deshalb würde ich den Ministerpräsidenten gern auffordern, seine umstrittenen Außerungen zurückzunehmen, sich wieder in den Kreis derjenigen zu begeben, die nach außen offensiv und ohne Wenn und ohne Aber vertreten: Diese Menschen sind uns willkommen, diese Menschen bekommen unsere Hilfe von Bund, Ländern und Gemeinden.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hämmerle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hat heute im Bundestag einen Antrag eingebracht — Sie werden noch Gelegenheit haben, darüber zu diskutieren — , der sich mit der Eingliederung der Aussiedler und Aussiedlerinnen aus den Staaten Ost- und Südosteuropas
und der Übersiedler und Übersiedlerinnen aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland beschäftigt. Insofern trifft es sich gut, daß diese Aktuelle Stunde heute stattfindet. Ich gehe davon aus, daß unser Antrag zur Versachlichung der Diskussion beiträgt.
Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Situation der hier angesprochenen Menschen immer größere Probleme aufwirft, hat die SPD-Fraktion einen umfassenden Maßnahmenkatalog beschlossen, durch dessen Verwirklichung sowohl die persönliche Lebenssituation der Betroffenen als auch die außerordentlich schwierige Lage der Kommunen und der Länder verbessert werden soll. Es kann nicht länger hingenommen werden, daß die Bundesregierung einerseits von den weit geöffneten Armen bei der Aufnahme redet, andererseits aber nur mit Notmaßnahmen operiert, die in keiner Weise ausreichend sind.
Würde sie ihren rechtlichen und moralischen Verpflichtungen in vollem Umfange nachkommen, dann hätten die kritischen Äußerungen über die mangelnde Infrastruktur sowohl von Oskar Lafontaine
als auch von Spitzenvertretern der kommunalen Verbände, wie den Oberbürgermeistern Schmalstieg und Rommel, überhaupt nicht gemacht werden müssen.
— Darum geht es.Es ist für die SPD-Fraktion eine verbindliche Tatsache, daß wir durch das Grundgesetz in Art. 116 Abs. 1 und durch das daraus resultierende Bundesvertriebenengesetz zur Aufnahme und Hilfeleistung verpflichtet sind.
An diese Verpflichtungen werden wir uns auch halten.
Ich mache hier für die SPD-Fraktion aber ganz deutlich, daß Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes, in welchem das Recht auf Asyl geregelt ist, für uns ebenso verbindlich ist.
Wir werden es nicht zulassen, daß Aussiedler, Asylbewerb er und Ausländer gegeneinander ausgespielt werden.
Es wird von uns nicht hingenommen werden, daß durch die Sorge für die einen die Rechte der anderen ausgehöhlt werden sollen.
Ich zitiere die entsprechende Aussage unseres Antrags:
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Frau HämmerleDie Integration der Aussiedler und Übersiedler stellt die Bundesrepublik Deutschland vor zahlreiche soziale, wirtschaftliche und auch kulturelle Probleme,
doch kann kein Zweifel daran bestehen, daß eine moderne und leistungsfähige Gesellschaft wie die unsrige diese Aufgabe bewältigen kann.
Darf ich um ein bißchen Ruhe für die Rednerin bitten, nach allen Seiten hin, auch Herrn Stark. Frau Kollegin, fahren Sie fort.
Ich danke Ihnen.
Dies ist möglich, ohne daß wir unsere moralischen und verfassungsrechtlichen Pflichten gegenüber anderen politisch verfolgten Ausländerinnen und Ausländern verletzen. Deshalb ist es unbegründet und unangemessen, Aussiedler und Aussiedlerinnen gegen Asylsuchende und umgekehrt auszuspielen.
— Danke, Sie können gleich auch für Oskar Lafontaine klatschen; denn dies deckt sich hundertprozentig mit dem, was er gesagt hat.
Man kann allerdings nicht leugnen, daß das generelle Problem der Fremdenfeindlichkeit in der Öffentlichkeit eine große Rolle spielt. Die Äußerungen, die aus den Reihen der CDU/CSU kommen,
sind auch nicht besonders hilfreich, etwa wenn der Kollege Lummer davon redet, daß bei vielen dieser Menschen die einzige Verbindung zur deutschen Volkszugehörigkeit der Deutsche Schäferhund sei.
Zu den Äußerungen von Oskar Lafontaine hat HansJochen Vogel deutlich Stellung genommen. Ich brauche dies hier an dieser Stelle nicht zu tun.
Herr Präsident, ich sehe das rote Licht. Ich werde meine Rede deshalb abkürzen. Schuld sind natürlich die Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, die mich immer unterbrochen haben.
Wir haben, wie gesagt, einen Antrag vorgelegt. Graf Lambsdorff, Sie werden die Gelegenheit haben,
diesem Antrag zuzustimmen, die anderen Kolleginnen und Kollegen von der Koalition ebenfalls.
Sie werden die Gelegenheit haben, zuzustimmen, damit wir diese Problematik gemeinsam zu einem befriedigenden Ergebnis hin lösen können.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Herr Spranger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Wer als Deutscher die wohlüberlegte individuelle Entscheidung trifft, in die Bundesrepublik Deutschland überzusiedeln, oder als deutscher Volkszugehöriger aus seiner jetzigen Heimat in einem Staat Ost- oder Südosteuropas aussiedeln will, nimmt nicht nur ein geschütztes Recht unseres Grundgesetzes in Anspruch, sondern kann auch mit unserer Starthilfe für eine neue Existenz und unserer Solidarität rechnen."
Das ist das Wort des SPD-Vorsitzenden Dr. Vogel im Zusammenhang mit seinem Besuch in Friedland im Juli dieses Jahres.
Dem ist an sich nichts hinzuzufügen.
Das war die Position aller Bundesregierungen seit 1949, und das waren auch nach den Bekundungen und Diskussionen die Positionen aller Fraktionen hier im Hause. Um so schlimmer ist, daß Herr Lafontaine mit seinen Parolen diese Gemeinsamkeit verlassen hat und auch die hier zugesagte Unterstützung der SPD gegenüber den Aussiedlern desavouiert hat.
Herr Lafontaine, statt hier unqualifizierte Angriffe gegen die Bundesregierung und ihr Programm vorzunehmen, wäre es besser gewesen, wenn Sie Ihre unerträglichen Parolen heute zurückgenommen hätten.
Frau Kollegin Hämmerle, Sie kritisieren Probleme bei der Umsetzung. Das Programm der Bundesregierung steht. Es ist mit allen Ländern abgestimmt. Es ist eine Frage der Umsetzung, und das ist das Problem. Ich werde gerade auf die Situation im Saarland noch kurz eingehen.
Ich darf für die Bundesregierung heute feststellen: Die Deutschen in den Aussiedlungsgebieten gehören zur Schicksalsgemeinschaft unseres Volkes. Sie haben auch heute keine oder nur unvollkommene Möglichkeiten, ihre Kultur, ihre kirchlichen Traditionen, ihre Sprache zu bewahren. Die Politik der Bundesregierung bleibt darauf gerichtet, die Lage der Deutschen in den Aussiedlungsgebieten zu erleichtern. Die Bundesregierung respektiert die individuelle und
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Parl. Staatssekretär Spranger
ja auch existentielle Entscheidung jedes Deutschen, der aus den Aussiedlungsgebieten in die Bundesrepublik Deutschland übersiedelt, um hier wieder frei als Deutscher unter Deutschen leben zu können. Das hat mit Deutschtümelei überhaupt nichts zu tun; das ist eine unerträgliche Diffamierung.
Die zu uns kommenden Aussiedler sind gleichberechtigte Staatsbürger. Sie genießen wie wir den Schutz des Grundgesetzes. Es ist für uns alle eine nationale und auch moralische Pflicht, den Aussiedlern nach besten K. cften dabei zu helfen, hier schnell eine neue Heimat zu finden. Bund, Länder und Gemeinden haben schließlich jeweils in ihrem Verantwortungsbereich alle Anstrengungen zu unternehmen, die bestmöglichen Voraussetzungen für die Eingliederung der Aussiedler zu schaffen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hält es für beschämend, daß Ministerpräsident Lafontaine diese Basis der Gemeinsamkeit verläßt und in arroganter wie in kaltherziger Weise den Aussiedlern die Freiheit und das Recht beschneiden will, welche ihnen das Grundgesetz einräumt.
Er kränkt mit seinen Äußerungen nicht nur die Aussiedler, die jetzt zu uns kommen, sondern er kränkt auch die Hunderttausende, ja Millionen von Landsleuten, die das Glück hatten, schon früher als Aussiedler zu uns kommen zu können. Diese Menschen können nicht verstehen, warum ihre Leidensgenossen und Schicksalsgefährten jetzt auf einmal nur „Deutschstämmige" sein sollen, bei denen man sich noch überlegen müsse, ob überhaupt und wann sie bei uns einreisen können.
Absurd ist auch sein Versuch, die Abneigung gegenüber Aussiedlern mit seiner Soge um das Asylrecht für politisch Verfolgte zu bemänteln. Ich erkläre hier mit Nachdruck: Es gibt kein Abwägen zwischen dem Recht eines deutschen Aussiedlers und dem Recht eines politisch Verfolgten. Es bleibt eine nationale Aufgabe, die deutschen Aussiedler bereitwillig aufzunehmen. Völlig unabhängig davon gilt das Asylrecht für die wirklich politisch Verfolgten.
Gerade der Saarländer Lafontaine sollte dies trotz seines relativ jungen Alters verstehen.
Es mag sein — aber nichts wird dadurch besser —, daß Lafontaine mit seinen empörenden Äußerungen versuchen möchte, sich aus seiner Verantwortung für die Aussiedler in seinem Land zu stehlen und sie auf den Bund abzuwälzen.
Ähnliches hat man ja in der letzten Woche auch von Oberbürgermeister Schmalstieg gehört.
Jedermann im Bundestag weiß, daß der Bund mit seinem Sonderprogramm zur Eingliederung der Aussiedler Mittel in Milliardenhöhe zur Verfügung stellt. Es ist ja hier auch weitgehend einvernehmlich
verabschiedet worden. Es geht jetzt darum, dieses Programm zugunsten der Aussiedler mit vereinten Kräften umzusetzen. Ich meine, daß hier auch die Phantasie, der Einfallsreichtum und die große Flexibilität des Ministerpräsidenten des Saarlandes gefragt sind,
der noch am 18. Oktober in einer Presseerklärung sein Unvermögen eingestanden hat, vorläufige Unterkünfte für die Aussiedler zu schaffen. Hier einige Zahlen: Das Saarland hat nach der Statistik des Vorjahres von den gut 80 000 Aussiedlern noch nicht einmal 400 aufgenommen.
In den ersten neun Monaten dieses Jahres waren es 705. Statt der im Bundesratsschlüssel vorgesehenen 2,5 % hat das Saarland 1987 und 1988 jeweils nur 0,5 % der Aussiedler aufgenommen.
Auf die Bevölkerung des Saarlandes gerechnet sind dies 0,4 bzw. 0,2 Promille.
Herr Lafontaine schämt sich noch nicht einmal, das auch öffentlich darzulegen und bekanntzumachen.
Ich kann nur sagen: Kommen Sie endlich Ihren politischen und menschlichen Verantwortung und Pflichten nach, statt solche unerträglichen Parolen zu verbreiten!
Meine Damen und Herren, die Aussiedler und ihre Kinder wollen endlich inmitten unseres Volkes und ihres Vaterlandes ihr Leben frei gestalten. Wir sollten sie nicht zu Bürgern minderen Rechts stempeln, sondern sie offen als gleichberechtigte Bürger auf- und annehmen. Bewahren wir die Gemeinsamkeit der Politik, die in dieser Haltung zum Ausdruck kommt!
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Oesterle-Schwerin.
Kolleginnen und Kollegen! Das Aussiedler- und Aussiedlerinnenproblem ist zum größten Teil ein wohnungspolitisches Problem. Grünes Anliegen ist es, daß die verschiedenen Gruppen der Wohnungssuchenden, die in der Bundesrepublik immer stärker um Wohnungen konkurrieren müssen, nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Politik, die die Bundesregierung in diesem Zusammenhang betreibt, führt aber nicht nur dazu, daß Aussiedler und Aussiedlerinnen gegenüber allen anderen Menschen privilegiert werden, sondern sie spaltet die Gruppe der Aussiedlerinnen und Aussiedler untereinander; sie schafft Privilegierte und
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7012 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988
Frau Oesterle-Schwerinweniger Privilegierte unter der Gruppe der Aussiedler und Aussiedlerinnen selbst.Es werden viel zu spät zu wenig Wohnungen gebaut, die nur einer ganz kurzen Sozialbindung unterliegen. In Baden-Württemberg steht jetzt schon fest, daß diese Wohnungen nach sieben Jahren an ihre Bewohner verkauft werden sollen. Das bedeutet natürlich, daß bei der Vergabe dieser Wohnungen diejenigen bevorzugt werden, von denen angenommen wird, daß sie nach sieben Jahren auch in der Lage dazu sein werden, diese Wohnungen zu kaufen.Es ist doch klar: Im Konkurrenzkampf um die viel zu geringe Anzahl von Wohnungen werden die jungen, die gesunden, die gut ausgebildeten und die verheirateten Aussiedler bevorzugt. Alle anderen werden auf der Strecke bleiben und werden das Riesenlager derjenigen vergrößern, die schon jetzt nur miserable oder gar keine Wohnungen haben.Die Bundesregierung macht in Wirklichkeit überhaupt keine Politik für Aussiedlerinnen und Aussiedler. 200 000 Menschen hierherzuholen, ohne Wohnungen in ausreichender Zahl für sie bereitzustellen, das bedeutet, antikommunistische Propaganda auf dem Rücken von Aussiedlern und Aussiedlerinnen zu machen.
Das Wort hat der Abgeordnete Lüder.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Hämmerle, wir werden sicherlich noch einmal Gelegenheit haben, uns sachlich und intensiver mit dem Thema Aussiedler zu beschäftigen. Es würde uns allen aber leichter fallen, wenn Sie Ihre Redezeit um zehn Sekunden überzogen hätten und dabei gesagt hätten: Deswegen bedauern wir das, was der Ministerpräsident des Saarlandes gesagt hat.
Herr Ministerpräsident, ich bedaure, daß Sie nicht die Kraft und Stärke gezeigt haben, hier die Souveränität an den Tag zu legen, klarzustellen und zu bedauern, was Sie losgetreten haben.
Aussiedler, Asylanten und Ausländer in einen Topf zu schmeißen oder in einen Vergleich zu bringen ist für alle so schädlich, daß wir alle das nur mit Nachdruck und Entschiedenheit zurückweisen können. Es ist falsch und es ist unzutreffend; es ist verleumderisch zu Lasten der Ausländer; es ist beleidigend für diejenigen, die berechtigten Anspruch auf Asyl haben; es ist belastend für die Aussiedler und beschämend für den, der diesen Vergleich gebraucht, wo auch immer er steht.
Aussiedlerpolitik kann man wirklich nur machen, wenn man sich mit den Menschen, um die es geht, einmal befaßt hat.
Wer je mit Aussiedlern gesprochen hat, kann den Begriff „Deutschtümelei" nicht mehr in den Mund nehmen.
Wer weiß, was es bedeutet, die kulturelle, sprachliche und traditionelle Identität 40 Jahre lang nicht ausüben oder nicht uneingeschränkt ausüben zu können, der weiß auch, was es bedeutet, wenn diese Leute zu uns kommen wollen. Und wenn sie kommen wollen, dann haben sie einen Anspruch darauf.
Wir werden uns mit dem, was Frau Olms gesagt hat, noch einmal beschäftigen müssen. Sie hat hier als Abgeordnete gesagt, daß sie das Grundgesetz an dieser Stelle in Frage stellt. Das ist eine Grundsatzfrage; sie geht über die Thematik, die wir hier angesprochen haben, hinaus, wie vieles, was zu dieser Diskussion gesagt worden ist — vom Oberbürgermeister Schmalstieg bis zum Oberbürgermeister Rommel —, von dem weggeht, was sachlich vertretbar und politisch geboten ist.
Meine Damen und Herren, es kommt darauf an, klarzustellen, daß Aussiedlerpolitik gleichberechtigt zwei Zielen dienen muß: Einerseits muß sie den deutschen Mitbürgern, die ihr bisheriges Heimatland verlassen und die die Bundesrepublik Deutschland als Heimat wählen, einen Anspruch zu gewähren, und dieser Anspruch muß sich auch real erfüllen lassen, damit ihre Entscheidung respektiert wird. Dazu müssen wir sie wirklich schnell und umfassend in unsere Gesellschaft integrieren. Da sind Kommunen gleichermaßen wie Bund und Land gefordert mitzuwirken.
Andererseits: Wir müssen auch die Politik der Bundesregierung unterstützen, in den Aussiedlerländern den Minderheitenschutz für nationale Minderheiten zu verstärken, um so den deutschen Bürgern, die in ihrer angestammten Heimat bleiben wollen, die Möglichkeit zum Bleiben zu geben und um keinen Druck auf Aussiedlung entstehen zu lassen. Wir werben keinen Aussiedler in die Bundesrepublik, aber wir respektieren und akzeptieren die Entscheidung jedes einzelnen Menschen, hierherzukommen, wenn er meint, hier bei uns leben zu wollen.
Lassen Sie mich noch eins für diejenigen sagen, die meinen, Asyl und Aussiedler in einen Topf oder in einen Vergleich bringen zu können: Die Bundesrepublik Deutschland hat in 20 Monaten mehr Aussiedler als in 40 Jahren Asylbewerber aufgenommen. Mit beidem müssen wir fertig werden. Das humanitäre Recht auf Asyl steht jedem Bürger zu, aber das Recht, zu uns zu kommen, steht jedem Deutschen zu, ob er in Aussiedlergebieten gelebt hat oder bei uns. Die Freizügigkeit und das Grundgesetz lassen wir nicht antasten. Wir wollen es bewahren und stärken.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Terborg.
Herr Präsident! Ich finde, meine verehrten Damen und Herren Abgeordnete, wir haben uns nun genügend aufgeregt über Reizworte und darüber, was sie zu bedeuten haben. Es
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988 7013
Frau Terborgwird Zeit, daß wir uns den menschlichen Seiten des Problems zuwenden;
schließlich stehen wir alle gemeinsam vor einer Herausforderung an unsere Fähigkeit zur Solidarität.Die Nachfahren derer, die vor vielen, vielen Jahrzehnten kulturelle und sprachliche Siedlungsgemeinschaften — ob in der heutigen Sowjetunion, ob in Rumänien oder sonstwo —, gebildet und unterhalten haben, waren immer und immer wieder die ersten, die Spannungen, Krisen und Kriege mit auszubaden hatten, und im Grunde genommen die letzten, die zur Normalität zurückfinden konnten. Hunderttausende hatten diese Chance nie. So etwas gräbt sich ein. Über Nacht zerbrach die Geborgenheit in der neuen Heimat, und für viele, allzu viele, ist sie nie wieder zurückgekehrt.Es gab handfeste Gründe dafür. Und die Verursacher sind nun einmal, ob es uns paßt oder nicht, auf unserem Boden zu finden, den sie einst verlassen hatten, um eine neue Zukunft zu suchen. Generationen später haben wir bzw. unsere Väter und Großväter diese Zukunft zerstört, und aus dem friedlichen Miteinander sind Haß und später schleichendes Mißtrauen geworden.
Eine Generation, vielleicht zwei Generationen mögen Menschen das aushalten; irgendwann können sie nicht mehr — und das ist eine der vielen europäischen Tragödien.Ich weiß nicht, ob überhaupt noch die Chance vorhanden ist, diese Menschen durch Zugeständnisse an ihre sprachliche, kulturelle Eigenart zum Verbleiben in der neuen, fremd gewordenen Heimat zu veranlassen. Wenn sie jetzt kommen — wer könnte ihnen die Tür weisen?Und doch, so fürchte ich, warten neue Enttäuschungen auf sie: Plötzlich sind sie Konkurrenten bei uns im Wettlauf um den freien Arbeitsplatz, um die erschwingliche Wohnung, um Sozialleistungen und ein bißchen privates Glück. Sie hatten denen von uns vertraut, die ihnen immer wieder eine Zukunft versprachen. Nun stehen wir im Wort. Wir haben das einzulösen. Als eines der reichsten Länder der Erde können wir das auch schaffen;
nicht aber so, indem wir auf neue Verdrängungsprozesse in unserer Gesellschaft bauen,
etwa indem der Aussiedler den Arbeitsplatz bekommt, auf den mitunter schon seit Jahren ein einheimischer Arbeitsloser gewartet hat, oder indem die Sozialwohnung eben nicht mehr dem seit Jahren auf der Warteliste Vorgemerkten zugewiesen wird, sondern dem neu Ankommenden, oder indem schon der notwendige Sprachkursus nicht etwa aus der Staatskasse bezahlt, sondern durch Leistungskürzung bei dem Erwerbslosen finanziert wird.
Soll ich weiter aufzählen? Sie alle kennen die Problematik zu genau. Sie wissen sehr wohl, daß der Bund nur allzu leichten Herzens eine ihm auferlegte Pflicht an die Kommunen und an die Schwächsten in unserem sozialen Sicherungssystem weitergereicht hat.
Im Wort steht die Bundesrepublik Deutschland. Sie hat jetzt die Heimat zu schaffen, die zum zweitenmal verlorenging. Sie hat für Ihr Versprechen, diese Heimat zu sein, einzustehen, und zwar in vollem Umfang und nicht durch Weiterreichen der Folgelasten.
Meine Damen und Herren, es kommen Menschen zu uns; nennen Sie sie Aussiedler, nennen Sie sie Deutschstämmige, nennen Sie sie Landsleute. Das ist nicht das Problem. Sie sind Menschen. Wir haben Pflichten, gesetzliche Pflichten, Pflichten, die aus der Verfassung und unserem selbstformulierten Auftrag erwachsen.Die haben wir einzulösen ohne Wenn und Aber und nicht zu Lasten derer, denen gegenüber wir auch Pflichten haben.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Lintner.
Der Hinweis kam von der falschen Seite.Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Terborg, ich bedaure, daß Sie genau das fortgesetzt haben, was wir während der ganzen Debatte beklagen, nämlich den Eiertanz der SPD an den Inhalten der Lafontaineschen Äußerungen vorbei. Sie wollen ablenken von dem grundsätzlichen Gehalt dieser Äußerung auf weitgehend unstreitige Integrationserfordernisse. Wir müssen wieder zu dem zurückkommen, was Ihr Herr Ministerpräsident betrieben hat, nämlich billigen Populismus ohne Rücksicht auf die Wehrlosigkeit und die Hilfsbedürftigkeit der davon betroffenen Aussiedler.
Das ist genau das, was wir hier als geradezu verantwortungslos charakterisieren müssen, weil Sie damit zusätzlich Schwierigkeiten für eine Personengruppe schaffen, die mit der Eingliederung in unser System ohnehin ihre Schwierigkeiten hat. Sie belasten sie noch zusätzlich mit einer negativen öffentlichen Meinung.
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7014 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988
LintnerDabei mißachtet Herr Lafontaine auch noch zentrale Verfassungsbestimmungen, meine Damen und Herren, denn unser Grundgesetz sagt klipp und klar, daß es sich bei den Aussiedlern um Deutsche und nicht um ausländische Asylbewerber handelt. Er hat sich um die Beantwortung dieser Kernfrage für uns auch heute wieder herumgedrückt, indem er auf Integrationserfordernisse ausgewichen ist.
Wenn man aber beides zusammenpackt — und das wollen wir Ihnen doch nur deutlich machen — , dann heißt das in der Realität, die Aussiedler nicht als Deutsche, sondern als Ausländer einzustufen. Mit seinem Negativbegriff „Deutschtümelei" diskreditiert und beschimpft er zudem noch alle Einheimischen, die sich der Aussiedler und ihrer Schicksale annehmen und ihnen bei der Integration nachbarschaftlich helfen wollen.Lafontaine weiß das natürlich alles, meine Damen und Herren, und um so unverantwortlicher ist sein Tun. Es ist eigentlich keine Kunst, Vorbehalte öffentlich anzustacheln. Wichtig wäre es gewesen, wenn wir gemeinsam der einheimischen Bevölkerung Verständnis für die Aussiedler anempfohlen hätten, wenn wir für ihre Probleme und für Nachbarschaftshilfe bei ihrer Integration geworben hätten.Es gibt ja eine ganze Reihe von positiven Aspekten, die nur viel zu wenig bekannt sind. Die Aussiedler sind z. B. zu 90 % unter 60 Jahre alt, d. h. sie sind zum überwiegenden Teil sehr wohl in der Lage, hier für ihr Auskommen selbst zu sorgen und noch zusätzlich einen wichtigen Beitrag zu unserem Wohlstand und zur Finanzierung unseres Sozialsystems zu leisten. Es kommt hinzu, daß es sich im Schnitt um sehr kinderreiche Familien handelt. Sie sind in der Regel, was die Arbeitsbereitschaft angeht, hochmotiviert und deshalb von den Arbeitgebern geradezu gesucht, weil trotz unserer hohen Arbeitslosenzahl verfügbare Arbeitskräfte bei uns an allen Ecken und Enden fehlen.Die Integration muß daher, meine Damen und Herren, entgegen mancher bedauernswerten Meinung bei unserer Bevölkerung keine unüberwindlichen Probleme bereiten. Voraussetzung dafür ist aber, daß nicht Politiker wie Lafontaine diese Probleme wider besseres Wissen herbeireden, die SPD hätte gut daran getan, sich von derartigen Methoden und Inhalten klar und deutlich zu distanzieren. Diese Chance hat sie ungenutzt verstreichen lassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wartenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ja das gute Recht der CDU, zu welchem Thema auch immer, eine Aktuelle Stunde zu beantragen. Wenn es um dieses Thema geht, über das geredet wird, dann sollte sich die CDU auch darüber Gedanken machen, wen sie hier eigentlich reden läßt.
Wenn sich Herr Spranger mit Tremolo in der Stimme Sorgen um die Menschheit macht und vor Rührung feuchte Füße bekommt, wenn er die Herzenskälte des Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine beklagt, dann ist die Ekelgrenze erreicht.
Wissen Sie, dieser Mann hat noch vor 14 Tagen der Bevölkerung suggeriert, daß Ausländer überwiegend kriminell sind. Lesen Sie doch nur die Presseberichterstattung, die dieser Mann pausenlos in der Öffentlichkeit auslöst.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es gibt eine Möglichkeit, auch sachlich über dieses Thema zu reden, aber suchen Sie sich dann andere Redner aus.
Meine Damen und Herren, im Art. 116 des Grundgesetzes ist festgelegt, daß Menschen mit deutscher Kultur- und Volkszugehörigkeit, die im Ostblock leben, auch einen Anspruch auf deutsche Staatsbürgerschaft und damit auch Anspruch auf ein Leben in der Bundesrepublik Deutschland haben. Ebenso haben die Gründungsväter der Bundesrepublik in Art. 16 festgelegt, daß derjenige, der politisch verfolgt ist, Recht auf Schutz vor Verfolgung in der Bundesrepublik Deutschland haben wird. In beiden Fällen haben unsere Verfassungsväter Menschen nicht ausgegrenzt, sondern positiv beschrieben.
Ich glaube, die Debatte sollte einmal stärker um das gehen, was das Wunderbare an unserer Verfassung ist: daß hier positiv über Menschengruppen gesprochen wird. Man sollte die Ausgrenzungsdiskussion — von wem auch immer geführt — verdammt noch einmal endlich vermeiden.Ich sage das auch deswegen, weil jeder weiß, daß bei beiden Verfassungsnormen eine Mehrheit für eine Änderung überhaupt nicht vorhanden sein wird. Warum reden Politiker — Herr Späth jetzt wieder — pausenlos über eine Verfassungsänderung von Art. 16 des Grundgesetzes?
Insofern sollte in der Bundesrepublik endlich Konsens darüber bestehen, das, was in der Verfassung festgelegt worden ist — unsere Verfassungsväter haben das ja aus einem guten Grund festgelegt — , zu akzeptieren.
Ich meine, daß unsere Verfassungsväter das in der Verfassung auch deswegen festgelegt haben — und
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988 7015
Wartenberg
nicht nur unverbindlich in der Landschaft haben stehen lassen —,
weil sie uns vor uns selbst schützen wollten; denn nichts ist für eine Gesellschaft problematischer, als aus tagespolitischem Opportunismus heraus zu versuchen, restriktiv zu werden, etwa wenn einmal mehr Asylsuchende oder mehr Aussiedler kommen, als man gerade erwartet hat. Diese Grundsätze in der Verfassung sind eine Bremse, die uns selbst gesetzt worden ist. Dazu sollten wir uns bekennen.Nun bekennen sich hier alle zu der positiven Aufnahme, die Asylbewerber und auch die Aussiedler bei uns haben sollten.
Nun gehen Sie einmal auf den Frankfurter Flughafen. Da stehen keine Blumenmädchen, übrigens für beide Gruppen nicht. Gucken Sie sich einmal an, wie das abläuft, wenn dort die Aussiedler und Asylbewerber — in großen Mengen teilweise — ankommen. Das ist nicht das freundliche Bild der Bundesrepublik. Da ist jeder sich selbst überlassen, und weitestgehend ist es der Bundesgrenzschutz, der sie in Empfang nimmt, sich allerdings nicht immer in adäquater Weise um diese Gruppen kümmert. Das ist sehr häufig das Bild, das die Menschen haben, wenn sie zu uns kommen. Darüber muß man vielleicht auch einmal nachdenken.Man muß auch einmal darüber nachdenken — das ist vielleicht der positive Aspekt unserer Auseinandersetzung in der Bundesrepublik — , daß trotz dieser merkwürdigen politischen Diskussion und trotz der Belastungen gerade die Kommunalpolitiker in den letzten Jahren ungeheuer flexibel und ungeheuer engagiert Integrationsprogramme bewältigt haben; übrigens für alle Gruppen, ob es Asylbewerber oder Aussiedler sind.
Ich finde, das gibt uns auch ein bißchen Stolz. Vielleicht könnte der Stolz auf diese Leistung, die in der westlichen Welt fast einmalig ist — 300 000 Menschen in einem Jahr hat nicht einmal das Einwanderungsland Kanada zu integrieren — , etwas mehr das Klima unsere Diskussion bestimmen.
Aber dieser Stolz kann nur dann weiterbestehen, wenn auch die Bundesregierung bereit ist, den Kommunen die Mittel zur Verfügung zu stellen, die erforderlich sind, um die Leistungen zu erbringen, die erwartet werden.
Eine der Leistungen ist die, daß Wohnungen geschaffen werden; denn derjenige, der wohnungsversorgt ist, tritt nicht mehr als Konkurrent auf, und damit ist ein Vorurteil weniger vorhanden. Derjenige, der einen Arbeitsplatz hat, tritt nicht mehr als Konkurrent auf dem Arbeitsmarkt auf. Es ist ein Vorurteil wenigerda. Und der, der die Sprache beherrscht, tritt nicht mehr als Fremder auf.
Der wird in der Bundesrepublik Deutschland auch besser zu integrieren sein.Wenn wir diese beiden Verfassungsverpflichtungen ernst nehmen, Asylbewerber und Aussiedler nicht gegeneinander ausspielen,
können wir, glaube ich, mit den Erfahrungen, mit dem Stolz, den wir auf Grund der bisherigen Bewältigung dieser Probleme eigentlich besitzen sollten, in den nächsten Monaten und Jahren die Schwierigkeiten meistern, vorausgesetzt, die Bundesregierung ergreift die richtigen Maßnahmen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Czaja.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht nur eine Reihe von Fragen zum Gesamtkomplex stellen, sondern insbesondere nach den Ausführungen von Frau Hämmerle herauszufinden versuchen, wieweit ein positiver Mindestkonsens mit der SPD in diesen Dingen erzielt werden kann. Deshalb einige Fragen.
Sollten wir einerseits nicht gemeinsam den — für manche allerdings unangenehmen — Leistungswillen vieler Aussiedler als Hilfs- und Facharbeiter — beim Handwerk sehr wohl registriert — gegen bequem gewordene Wohlstandsbürger verteidigen, andererseits Aussiedlern aus Verwaltungsberufen verstärkt durch Umschulungs- und Sofortmaßnahmen helfen, damit sie die Schwierigkeiten bei der Erstaufnahme einer Arbeit überwinden? Sollten wir uns selbst und die Bevölkerung nicht mehr darüber informieren, wie schwer daheim der Alltag dieser Aussiedler war — zusätzlich zu den allgemeinen Menschenrechtsverletzungen und der Not — die Diskriminierung als Deutsche, die Entnationalisierung, unterschiedlich in der Lage in Kasachstan, in Siebenbürgen, im Banat, in Oberschlesien? Hätten vielleicht nicht erst seit einem Jahr, sondern seit zehn Jahren viele Politiker darauf drängen müssen: keine neuen wirtschaftlichen Vorteile, solange die nationalen Verfolgungen nicht eingeschränkt werden?
Hätte nicht die angeblich neue Ostpolitik schon seit 1970 nicht nur eine — bald gestoppte, bald beschleunigte — erkaufte Ausreise, sondern entschieden auch unabdingbare kulturelle, muttersprachliche Rechte in der Heimat fordern sollen, damit die Leute nicht herkommen müssen?
7016 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988
Dr. Czaja
Haben unsere zahlreichen in den Ostblock reisenden Politiker so wie der Staatssekretär Spranger die Deutschen in der Heimat besucht und sie dort in ihrem Selbstbewußtsein gestärkt?
Wir sind hier aber auch in der Debatte sehr ernst auch nach unserem Verhältnis gegenüber unserem Volk gefragt. Dazu stand doch auch Kurt Schumacher, und niemand, meine Damen und Herren, hat ihn der Deutschtümelei beschuldigt, auch nicht den Kardinal Höffner, als er beim Neujahrsempfang 1985 sagte, daß wir die sittliche und die religiöse Pflicht der — so wörtlich — Liebe zu Volk und Vaterland beachten müssen.
Gibt es nicht bei vielen Politikern Nachholbedarf im Bekenntnis zu den geschichtlich und natürlich gewachsenen engeren menschlichen Gemeinsamkeiten, also auch zu Volk und Staat, ohne daß das Menschsein preisgegeben wird?
Haben Sie, Herr Ministerpräsident Lafontaine, Ziffer 41 des immerhin noch nicht ganz begrabenen Godesberger Programms ganz vergessen, oder kennen Sie diese Ziffer nicht? Dürfen Sie als Verfassungsorgan — ich betone: Verfassungsorgan — das Staatsangehörigkeitsrecht — 65 % der Aussiedler haben ja die Heimat als deutsche Staatsangehörige und deren Abkömmlinge verlassen —, dürfen Sie das Bundesvertriebenengesetz, dürfen Sie die Art. 11 und 116 des Grundgesetzes zur Seite schieben? Wissen Sie, daß es den Begriff „deutschstämmig" zwar im Dritten Reich gab, aber in keinem unserer Gesetze gibt?
Bekennt man sich ebenso klar wie beim Datenschutz zur Verfassung und zu ihrer verbindlichen Auslegung in Karlsruhe, wenn es um die Pflichten für Deutschland und die Deutschen, also um die Präambel, die Art. 23, 146, 11, 116 und 16 des Grundgesetzes und die Entscheidung von Karlsruhe vom 7. Juli 1975 geht?
Besteht nicht angesichts des besonders mutigen Ringens von Kohl in Moskau um Menschenrechte vor unserer Tür, um die Zukunft unseres Volkes und Deutschlands ein für viele Aussiedler unverständlicher Nachholbedarf vieler deutscher Politiker? Wären wir in einem sachlichen Mindestkonsens in der Vertretung gesamtdeutscher Anliegen, in der Treue zu Deutschland nicht weiter, als wir heute sind? Sagen uns nicht viele Aussieder mit Recht, daß man auch auf ein zehnfaches Njet ungebeugt seine Forderungen in den Kernfragen erheben muß, um später einen Durchbruch zu erreichen? Kann und darf sich das Engagement der Opposition — nehmen Sie es mir nicht übel, daß ich diese Frage stelle, und beantworten Sie sie nicht zu rasch — in dieser doch brennend werdenden gesamtdeutschen Aktualität abhängen lassen? Ich möchte das nicht.
Letzte Frage: Sollten wir die Aussiedler nicht penetrant nach ihren freundschaftlich-menschlichen Erfahrungen mit den Angehörigen der Nachbarvölker ebenso fragen wie nach dem geringen Maß der
Perestroika im Alltag, nach Täuschungen und Enttäuschungen?
Meine Damen und Herren, Fehlleistungen in den Aussagen über Aussiedler und das zeitgleiche Ringen in Moskau sollten wohl Anlaß zur aktuellen Neubesinnung im Gesamtkomplex Volk, Staat und Mindestkonsens über Deutschland und die Deutschen sein.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Däubler-Gmelin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über Glaubwürdigkeit redet der eine oder andere von uns immer wieder; auch heute ist das Wort gefallen. Ich habe den Eindruck, daß wir bei der Frage, wie wir die Menschen eingliedern, die als Aussiedler und Umsiedler zu uns kommen, und wie wir mit den politischen Flüchtlingen umgehen, leicht beweisen können, daß wir es damit ernst meinen.
Und, meine Damen und Herren, auch heute ist genau das die Frage: Wie gehen wir mit diesen Menschen um?Lieber Herr Gerster, ich verstehe ja schon, daß Sie das parteitaktische Interesse haben, Herrn Lafontaine was ans Hemd zu kleben.
Aber glauben Sie mir: Das ist in bezug auf das Problem, über das wir heute reden, abwegig und verächtlich; Sie können ganz sicher sein, daß jeder von uns das Grundgesetz kennt. Sie wissen auch ganz genau, daß Ihr ständiger Versuch, einen Keil zwischen Herrn Lafontaine und die Sozialdemokraten zu treiben, einfach lächerlich ist.
Vor allen Dingen aber, Herr Gerster: Glauben Sie doch bitte nicht, daß die Menschen, die dieser Debatte heute zuhören, nicht genau merken, worum es Ihnen geht. Sie sehen auch ganz genau, worum es uns geht. Was Frau Hämmerle und Frau Terborg gesagt haben, ist der eigentliche Anlaß unserer Debatte.
Schauen Sie, die Tatsachen, um die es uns gemeinsam gehen müßte, sind doch alle ganz klar:
Wir wissen, daß in diesem Jahr 200 000 Aussiedler und Umsiedler zu uns kommen; im nächsten Jahr werden es wahrscheinlich ebenso viele sein. Wir wissen auch ganz genau, daß sie alle Wohnungen und Arbeitsplätze brauchen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988 7017
Frau Dr. Däubler-GmelinDie dritte Tatsache, die wir alle genau kennen, ist, daß die Schlangen vor den Wohnungsämtern, vor den Sozialämtern, wo es Berechtigungsscheine für bezahlbare Wohnungen gibt, doch nicht nur in Hannover oder Mainz oder Stuttgart, sondern mittlerweile auch in den kleineren und den Mittelstädten immer länger werden.Und jetzt frage ich Sie — denn mit der Massenarbeitslosigkeit ist es doch genau das gleiche — : Was glauben Sie wohl, was eine Familie aus Rumänien oder aus der Sowjetunion, die jahrelang darum gekämpft hat, hier herkommen zu dürfen — und Entschuldigung: wir alle haben ihnen doch dabei geholfen, wenn wir das konnten; ich jedenfalls hatte in meiner Sprechstunde immer wieder Verwandte solcher Familien, die mich gebeten haben, zu helfen; und ich habe das natürlich getan — , hier in der Bundesrepublik empfindet, wenn sie auf eine zunehmend feindselige Stimmung stößt?
Und warum stößt sie darauf? Weil sie ganz genau weiß, daß nicht nur sie auf Wohnungen, die bezahlt werden können, und auf einen Arbeitsplatz wartet.
Und die Verknappung der Arbeitsplätze und der Wohnungen gehört — jetzt kann ich Ihnen einen Vorwurf nicht ersparen — wegen Ihrer bewußten und gewollten Politik seit Jahren zu den größten Übeln dieses Landes.
Meine Damen und Herren, wer diese Stimmung nicht will — und wir im Bundestag können sie gemeinsam nicht wollen —,
der muß an die Ursachen ran.Da beginnt — Graf Lambsdorff, lassen Sie mich das sagen — schlicht und einfach die Kunst des Rechnens. Wir wissen ganz genau, daß jetzt in jedem Jahr zusätzlich mindestens 30 000 bis 50 000 Wohnungen zur Verfügung gestellt werden müssen, die man bezahlen kann. Sie wissen ganz genau, daß auch ein Sonderprogramm das nicht schafft. Wir wissen ganz genau, daß heute bereits mehr als 2 Millionen Arbeitslose Arbeitsplätze suchen und daß jährlich etwa 100 000 Um- und Aussiedler zusätzlich danach fragen werden. Das heißt: Dies hat das Programm der Bundesregierung allein nicht berücksichtigt.Meine Damen und Herren, die Eingliederung und die Unterbringung dieser Menschen — ohne daß die Konkurrenz mit denen, die hier schon lange auf Wohnungen und Arbeitsplätze warten, zunimmt — sind in der Tat eine nationale Aufgabe. Die kann man nicht durch Appelle lösen — obwohl Kirchen und Verbände hier sehr hilfreich sind — , die kann man auch nicht dadurch lösen, daß man — wie Herr Spranger und dasInnenministerium — den Schwarzen Peter ständig an Länder oder an Gemeinden weitergibt; denn die können hier nicht helfen, meine Damen und Herren.
Diese Aufgabe können wir nur dadurch lösen, daß wir sie hier im Bundestag selber in die Hand nehmen und dieser Regierung, die Sie, liebe Kollegen von CDU/ CSU und FDP mehrheitsmäßig tragen, sagen: Es muß ein größeres, ein realistisches Programm her — nicht nur für Aussiedler, sondern auch für die, die bei uns schon lange auf Wohnungen und auf Arbeitsplätze warten — , und diese Entscheidungen müssen bald her.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eines festhalten. Es gibt auch eine Äußerung, die mir heute neben vielem, was mir nicht gefallen hat, z. B. die polemischen Äußerungen von Herrn Gerster über Verfassungswidrigkeiten, sehr gut gefallen hat. Das war Ihre Aussage, Graf Lambsdorff, daß es ein Ausspielen von Ausländern, Flüchtlingen, Aussiedlern und Umsiedlern mit der FDP nicht geben werde. Ich sage Ihnen: Auch mit den Sozialdemokraten gibt es das nicht.
Daß heute Kollegen von CDU und CSU gesagt haben, daran sei auch bei ihnen nicht gedacht, habe ich ebenfalls mit großer Freude gehört. Nur, meine Herren, darf ich Sie daran erinnern, daß Herr Späth gerade jetzt seine Forderung nach einer Grundgesetzänderung, nach der des Art. 16, mit Zustimmung von Herrn Stoiber in die Diskussion gebracht hat. Ich glaube, Sie sollten ihm Ihre Auffassung mitteilen, damit das zurückgezogen wird.
Gerlinde Hämmerle hat hier sehr deutlich gemacht, was wir für wichtig halten. Das werden wir weiter diskutieren und einfordern. Lieber Herr Gerster, Ihre Bemerkungen in bezug auf das, was Sie Herrn Lafontaine gern unterschieben wollen, beunruhigen mich außerordentlich wenig.
Es geht um die Menschen und nicht um CDU-Taktik.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Ministerpräsident des Saarlandes.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe der Debatte aufmerksam zugehört. Ich wurde
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7018 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1988
Ministerpräsident Lafontaine
des öfteren aufgefordert, unglaubliche Äußerungen zurückzunehmen. Ich habe jetzt eine Stunde gewartet, von Ihnen zu erfahren, welche Äußerungen ich eigentlich zurücknehmen soll.
Die Tatsache, daß Sie nicht in der Lage waren zu zitieren, zeigt, daß Sie nicht in der Lage sind, Ihre Vorwürfe zu konkretisieren. Soweit Sie sie konkretisiert haben, meine Damen und Herren, will ich gern darauf eingehen.Sie, Herr Czaja, haben in einer Veröffentlichung Ihrer Fraktion gesagt, die Bezeichnung „Deutschstämmige", die ich auch verwandt habe, kenne unsere Rechtsordnung nicht, sie gehöre zum Vokabular des Nationalsozialismus.
Im „Deutschen Ostdienst", wo die Nöte der Ausländer geschildert werden, ist Bundeskanzler Kohl zitiert, der sagt: „Es kommen Leute zu uns, Deutschstämmige, aus ganz fernen Provinzen der Sowjetunion" . Ich würde es für gut halten, wenn Sie solche Kriterien, wenn Sie sie hier schon verwenden, überall und auch gegen den eigenen Bundeskanzler anwenden.
Sie können gegen die übertriebene Betonung des Deutschtums Einwendungen haben. Ich empfehle Ihnen, einmal nachzulesen, was in den „Kulturellen Arbeitsheften" der Vertriebenenverbände über die Grenzen von 1937 gesagt wird,
was über die geschichtliche Entstehung von Verbrechen etwa in der Tschechoslowakei gesagt wird und was über tausende von Quadratkilometern besten Landes gesagt wird, die wir noch nicht hergeben können und auf diese Weise das eigene Deutsche Reich ohne Not verkleinern können. Wir sind gehalten, solche Auswüchse auch im Zusammenhang mit dieser Debatte zu bekämpfen, wenn sie einfach registriert werden können.Ich will Ihnen sagen, worum das Ganze geht.
Das ist der politische Stellenwert dieser Debatte: Sie fühlen sich an einer Stelle ertappt und erwischt. In dem Bemühen, auf der rechten Seite zu integrieren, haben Sie es jahrelang zugelassen, daß unterschwellig Ausländerfeindlichkeit und Vorbehalte gegen Ausländer geschürt wurden. Diese emotionalen Stimmungen kehren sich jetzt auf dem Gebiet der Ausländerpolitik gegen Sie selbst.
Das trifft Sie, aber Sie können davon ausgehen: Aus dieser Ecke werden wir Sie nicht herauslassen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seiters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der SPD-Partei- und -Fraktionsvorsitzende Vogel hat laut Presseberichten erklärt, die Außerungen Lafontaines von übertriebener Deutschtümelei gehörten in seinem eigenen Wortschatz in die hinterste Vorratskammer. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dreßler konstatiert einen Widerspruch zum Grundgesetz, und der stellvertretende SPD-Landesvorsitzende von Nordrhein-Westfalen, Christoph Zöpel, sagt, der Vorschlag gehöre nicht zu den klugen Gedanken Lafontaines, die gesamte Diskussion sei ein Armutszeugnis für eine reiche Gesellschaft.Von daher bedaure ich den Eiertanz, den die SPD-Abgeordneten in diesem Hause heute vorgeführt haben, und ich bedaure noch mehr, daß der Kollege Lafontaine nicht ein einziges Wort des Bedauerns und der Differenzierung hier vorgetragen hat.
Ich will nur noch einmal in aller Ruhe sagen, weil wir den Blick auch über diese Äußerungen hinaus nach vorne richten müssen: Ich halte es für einen bedenklichen Vorgang, wie leichtfertig der Ministerpräsident eines Bundeslandes mit der verfassungsrechtlichen Situation der Bundesrepublik Deutschland umgeht.
Zweitens. Ich halte auch die flapsige Art und Weise, in der sich der saarländische Ministerpräsident geäußert hat, für nicht akzeptabel,
weil sie unsensibel ist, ohne jegliches Fingerspitzengefühl und ohne Gefühl, wenn ich das Wort „gefühllos" schon nicht verwenden sollte.
Ich bleibe dabei, daß die Äußerungen Lafontaines gegen Buchstaben und Geist der Verfassung verstoßen, gegen nationales Empfinden und gegen die notwendige Solidarität gegenüber Deutschen, die ein besonders schweres Schicksal hinter sich haben.
Ich stelle noch einmal klar, auch mit Blick auf die Diskussionen, die wir in Berlin gehabt haben: Kein Deutscher in den Gebieten östlich von Oder und Neiße und in den Staaten Ost- und Südosteuropas wird aufgefordert, in die Bundesrepublik zu kommen.
Es ist und bleibt persönliche Grundsatzentscheidung jedes Deutschen, über den Wohnsitz für sich und seine Familie zu befinden
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Seitersund dann, wenn er es dort nicht mehr aushalten kann, die Aussiedlung in die Bundesrepublik Deutschland anzustreben.Wir werden jedenfalls alles in unserer Macht Stehende tun, einerseits für die Deutschen in der Heimat ein menschenwürdiges Leben durch Verhandlungen durchzusetzen, andererseits denen, die es nicht aushalten können, bei der Verwirklichung ihrer Ausreisewünsche beizustehen und ihnen nach der Aussiedlung eine schnelle Eingliederung in unsere Gesellschaft zu ermöglichen.Meine Damen und Herren, ich möchte mit allem Nachdruck feststellen: Wir sind der Auffassung, daß die Aufnahme und Eingliederung der Aussiedler Gelegenheit gibt, die Gemeinsamkeit und Solidarität der Deutschen zu beweisen.
Wir appellieren an alle Bürger und gesellschaftlichen Gruppen in unserem Lande,
insbesondere an die Kirchen, die Gewerkschaften undVertriebenenverbände, den zu uns kommenden Aussiedlern nach besten Kräften durch Verständnis undmitmenschliche Hilfe das Gefühl zu geben, daß wir zu ihnen stehen und sie herzlich in unserer Mitte willkommen heißen.
Ich wiederhole: Verständnis und mitmenschliche Hilfe gegenüber Deutschen, die ein schweres persönliches Schicksal hinter sich haben, erwarten wir auch und gerade von den Ministerpräsidenten der Bundesländer.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 27. Oktober 1988, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.