Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 103. Sitzung des Deutschen Bundestags. Ich bitte den Herrn Schriftführer, die Entschuldigungen bekanntzugeben.
Entschuldigt sind die Abgeordneten Freidhof, Wacker, Schuster, Dr. Bucerius, Dr. Suhr, Dr. Dr. Nöll von der Nahmer, Dr. Wellhausen, Freiherr von Aretin.
Weitere amtliche Mitteilungen sind nicht zu machen.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Entschließung zu den Straßburger Empfehlungen .
Ich eröffne die Aussprache über die Anträge. Als erster hat sich Herr Abgeordneter Dr. Pünder zum Wort gemeldet. — Herr Abgeordneter Dr. Pünder, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der dem Hohen Hause vorliegenden Entschließung der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP Nr. 1600 habe ich namens der unterschreibenden Fraktionen folgende Erklärung abzugeben.
Wir haben es lebhaft begrüßt, daß die Beratende Versammlung des Europarats beim Abschluß des ersten Teiles ihrer diesjährigen Verhandlungsperiode den Entschluß gefaßt hat, ihre wichtigsten Entschließungen den nationalen Parlamenten der europäischen Mitgliedsstaaten zur Annahme zu unterbreiten. Auch wir geben uns der Hoffnung
hin, daß auf diesem Wege ein schnellerer Fortgang
der Arbeiten des Europarats gewährleistet wird.
Zu diesen in Drucksache Nr. 1502 enthaltenen wichtigsten Entschließungen der Beratenden Versammlung erscheinen uns längere Ausführungen heute nicht erforderlich. Wie aus dem Ihnen vorliegenden Antrag hervorgeht, begrüßen wir diese Empfehlungen der Beratenden Versammlung des Europarats samt und sonders. Wir würden es ferner begrüßt haben, wenn über diese wichtige Feststellung eine einmütige Auffassung des Hohen Hauses hätte herbeigeführt werden können. Wenn ein Teil des Hohen Hauses sich zu dieser Feststellung nicht hat durchringen können und außerdem eine stufenweise Bewertung der einzelnen Empfehlungen der Beratenden Versammlung für geboten hält, so bedeutet diese Meinungsverschiedenheit in einigen Einzelfragen nach unserer Auffassung keineswegs, daß über die Grundzüge einer klaren und energischen Europapolitik im Hohen Hause und weit darüber hinaus im ganzen deutschen Volk Uneinigkeit bestünde. Daß dem so ist, zeigt ja schon ein Blick in die Drucksache Nr. 1617 der Fraktion der SPD, die soeben verteilt worden ist und die gerade in diesen wichtigsten Punkten europäischer Politik mit den Formulierungen unserer eigenen Entschließung völlig übereinstimmt.
Zu den einzelnen Empfehlungen der Drucksache Nr. 1502 seien in der Reihenfolge ihrer Wiedergabe in dieser Drucksache nur wenige Bemerkungen angefügt.
Unsere allgemeine Billigung der Haltung der Beratenden Versammlung des Europarats bezieht sich auch auf die Empfehlung über die Schaffung einer europäischen Armee. Wir sind aber der Auffassung, daß eine weitere Erörterung dieser Angelegenheit im Bundestag gegenwärtig überflüssig ist. Die unterzeichnenden Fraktionen bitten die Bundesregierung, zur Erhaltung des Friedens diese Empfehlung vom 11. August ihren weiteren Verhandlungen über eine gemeinsame europäische Verteidigungsmacht freier und gleichberechtigter Völker unter gemeinsamer Führung und unter gemeinsamer Kontrolle zugrunde zu legen.
Große Bedeutung messen wir der weiteren Empfehlung vom 28. August dieses Jahres über die allgemeinen politischen Richtlinien des Europarats bei. Wir begrüßen, daß in dieser Empfehlung die Beratende Versammlung erneut ihren Wunsch bekräftigt, mit möglichster Beschleunigung europäische Organe, wenn auch mit vorläufig noch begrenzten Funktionen, so aber doch tatsächlichen Vollmachten, eingesetzt zu sehen, und zwar gerade für die in dieser Entschließung aufgeführten Gebiete der Politik, Wirtschaft, Sozialpolitik, des Rechts und der Kultur. Wenn der Ministerrat in seiner letzten Entschließung in Rom noch eine weitere Prüfung gerade dieser Vorschläge durch besondere Sachverständige für notwendig gehalten hat, so möchten wir doch dringend der Erwartung Ausdruck geben, daß die Arbeiten dieses Sachverständigenausschusses nun auch tatsächlich bis zu dem vom Ministerrat gesetzten Termin des 1. März 1951 zu einem befriedigenden Abschluß kommen. Wir ermuntern die deutschen Delegierten in der Beratenden Versammlung, gerade auf den Fortgang dieser Arbeiten und die Einhaltung dieser Frist ihr besonderes Augenmerk zu richten.
Ein gleiches gilt auch für die Vorschläge über die politische Autorität des Europarats und vor allem für die Änderung der Vorschriften über das Vetorecht in der Satzung des Europarats.
Die unterzeichneten Fraktionen begrüßen auch, daß die Beratende Versammlung am 26. August die Empfehlung über eine Behörde für Kohle und Stahl beschlossen hat. Wir machen uns diese zum SchumanPlan ergangene Empfehlung vollinhaltlich zu eigen und bitten die Bundesregierung, die Verhandlungen über den Schuman-Plan im Sinne dieser Empfehlung zu Ende zu führen. Ebenso findet die Empfehlung vom 25. August über die Schaffung einer europäischen Ordnung sozialer Sicherheit unsere volle Zustimmung.
Wir bringen auch der Empfehlung vom 26. August zur Frage der Vollbeschäftigung volles Verständnis entgegen und stimmen mit der Maßgabe zu, daß die Gewährleistung einer vollen Beschäftigung auf der Grundlage einer stabilen Währung und eines gesunden und freien internationalen Warenaustausches das Ziel der europäischen Politik sein muß.
Unsere volle Zustimmung findet auch der Entwurf der Konvention über den Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten vom 24. August.
— Wir begrüßen es lebhaft, Herr Renner,
lebhaft sogar, daß wenigstens auf diesem ersten bedeutsamen Teilgebiet durch die Unterzeichnung dieser Konvention gelegentlich der letzten Sitzung des Ministerrats in Rom ein erster bedeutsamer Erfolg produktiver Zusammenarbeit zwischen Beratender Versammlung und Ministerrat erzielt werden konnte. Wir bedauern jedoch, wie dies ja auch in der Ihnen vorliegenden Entschließung, Drucksache Nr. 1600, zum Ausdruck kommt, daß der Ministerrat sich diese Vorschläge der Beratenden Versammlung nicht voll zu eigen gemacht, vielmehr noch eine eingehende Überprüfung gerade dieser Vorschläge durch einen Sachverständigenausschuß für geboten erachtet hat. Wir möchten der Erwartung Ausdruck geben, daß durch die Einsetzung dieses neuen Untersuchungsausschusses keine zu große Verzögerung eintritt, und wir ersuchen die Bundesregierung und die deutschen Delegierten zum Europarat, unter allen Umständen darauf hinzuwirken, daß auch das zur Vervollständigung des Abkommens in Aussicht genommene Zusatzprotokoll alsbald unterzeichnet wird.
Schließlich bringen die unterzeichneten Fraktionen ihre Befriedigung darüber zum Ausdruck, daß der Ministerausschuß am 4. dieses Monats in Rom die Empfehlungen der Beratenden Versammlung über die dringende Notwendigkeit der Hilfeleistung für Flüchtlinge angenommen hat. Mit der hierbei vorn Ministerrat angeordneten Erweiterung des Straßburger Generalsekretariats um eine Flüchtlingsabteilung darf es naturgemäß nicht sein Bewenden haben. Vielmehr hoffen wir zuversichtlich, daß entsprechend den Vorschlägen der Beratenden Versammlung im Geist gemeinsamer europäischer Verantwortung beschleunigt ein europäisches Flüchtlingsamt geschaffen wird, und zwar mit ausreichenden Vollmachten.
Auf den äußerlich knappen Schlußsatz der dem Hohen Hause vorgelegten Entschließung legen wir besonderen Wert. Trotz mancher Enttäuschungen und sattsam bekannter Hemmungen möchten wir die deutschen Mitglieder der Beratenden Versammlung des Europarates ermutigen, mit allen
ihnen zu Gebote stehenden Mitteln weiterhin dahin zu wirken, daß in nicht zu ferner Zeit ein vereinigtes Europa freier und gleichberechtigter Völker geschaffen wird. Eine gleiche Haltung erwarten wir zuversichtlich auch von der Bundesregierung.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lütkens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat sich gezwungen gesehen, zu der Frage der Empfehlungen, die die Straßburger Beratende Versammlung allen nationalen Parlamenten übersandt hat, diesem Hohen Hause einen gesonderten Antrag vorzulegen, der die Nr. 1617 trägt.
Die Zahl der Empfehlungen, die mit dem Schreiben des Präsidenten der Beratenden Versammlung in Straßburg hierher übersandt worden sind, beträgt 7. Von diesen 7 Resolutionen haben die deutschen Mitglieder, die aus der sozialdemokratischen Fraktion dieses Hohen Hauses nach Straßburg delegiert worden waren, nur 5 annehmen können. Die zwei anderen, nämlich diejenige, die den SchumanPlan begrüßt, und diejenige, welche sich mit einer europäischen Armee, mit der Einrichtung eines sogenannten europäischen Verteidigungsministeriums unter sogenannter demokratischer Kontrolle beschäftigt, haben meine politischen Freunde in Straßburg nicht annehmen, sie haben sie sich nicht zu eigen machen können. Dies ist letzten Endes der Grund, warum es uns nicht möglich gewesen ist, mit den Fraktionen der Regierungskoalition in dieser Sache zu einem vollen Einverständnis zu kommen.
Meine Damen und Herren, ich möchte zunächst die Gelegenheit benutzen, um gegenüber falschen und unsachlichen Interpretationen, die zu unserer Haltung zu der Straßburger Empfehlung über eine europäische Armee gegeben worden sind, klarzustellen, welchen Standpunkt die deutschen sozialdemokratischen Delegierten in Straßburg eingenommen haben. Wir haben von Anfang an in der Versammlung und in allen Kommissionen, wo immer diese Frage aufgekommen ist, mit Konsequenz den Standpunkt vertreten, daß gemäß dem Art. Id der Satzung des Europarates der Europarat nicht zuständig sei, über Fragen der Verteidigung zu beraten oder zu beschließen.
Aus dieser unserer grundsätzlichen Stellung, die ein deutliches und klares Nein zu jedem Beschluß über eine europäische Armee, der in Straßburg hätte gefaßt werden können, bedeutet hat, haben wir uns in den weiteren materiellen Abstimmungen logisch und konsequent der Stimme enthalten müssen. Im übrigen war es nach unserer Ansicht bei diesen sonderbaren Beratungen in Straßburg so, daß es auch in der Sache nicht vernünftig war, wenn der Europarat oder die Beratende Versammlung in Straßburg, die der Integrierung und dem Aufbau eines einigen Europas zu dienen geschaffen worden sind, gerade militärische Fragen in erster Linie behandeln würde.
Denn Europa muß ein Werk des Friedens und der friedlichen Werte sein, wenn es überhaupt geschaffen werden soll, und keinesfalls kann es als Werk der militärischen Organisation geschaffen werden. Wie es aussehen würde, wenn dieses zukünftige Europa ein Werk der militärischen Organisation wäre, wenn es im Zeichen einer europäischen Armee geschaffen würde, so wie man heute sagt, dann würde es so aussehen, wie es der durchaus uneuropäische Vorschlag des Plevenplans vorsieht.
Wir sozialdemokratischen Mitglieder in der Straßburger Versammlung haben infolgedessen, wie ich schon sagte, in der ersten Abstimmung zur Churchill-Resolution die Zuständigkeit bestritten. Wir haben später — in der Rede meines Freundes Professor Schmid — darauf hingewiesen, daß es unmöglich sei, eine Europa-Armee zu schaffen, bevor es eine echte europäische Regierung, bevor es ein vereinigtes Europa wirklich gebe. So erklärt sich unsere Haltung. Ich bitte Sie, sich für alle Zeiten zu merken, daß unsere Haltung in Straßburg zu dieser Frage die des absoluten Nein war.
Meine Damen und Herren! Man hat nun in Straßburg beschlossen, die Empfehlungen, die als besonders wichtig galten und die uns heute hier beschäftigen, deshalb vor die einzelnen nationalen Parlamente zu bringen, um auf diese Weise einen Versuch zu machen, die Beratende Versammlung des Europarats gegenüber dem Ministerkomitee moralisch, konstitutionell und politisch zu stärken. Mit dieser Tendenz der Stärkung der Beratenden Versammlung stimmen wir Sozialdemokraten überein. Nachdem dieses Hohe Haus einmal beschlossen hat, daß die deutschen Mitglieder in die Straßburger Versammlung entsandt werden und dort mitarbeiten sollten, ist es auch nach unserer Meinung richtig, die Stellung der Beratenden Versammlung im Rahmen des Europarats zu stärken, da jedenfalls von dem Ministerrat des Europarats, der eine reine permanente Außenministerkonferenz ist, in der die nationale Souveränität fest verankert ist, keinerlei Fortschritt auf dem Wege nach einem geeinigten Europa erwartet werden kann.
In diesem Sinne handelt es sich also heute bei unseren Beratungen und unseren eventuellen Beschlüssen darum: Wie können wir einen Beitrag leisten, um die Stellung der Versammlung im Europarat zu stärken? — Mit dem heutigen Beschluß, den wir zu fassen haben, wie mit den entsprechenden Beschlüssen, die andere nationale Parlamente zu fassen haben, können wir zweierlei, wir in diesem Parlament vielleicht sogar nur einerlei zu erreichen hoffen. Wir können erstens durch eine möglichst einstimmige Beschlußfassung in diesem Hohen Hause, die sich auf ein möglichst weites Feld von Übereinstimmung in der Sache erstreckt, die Straßburger Versammlung moralisch durch eine gemeinsame Willenskundgebung stärken. Wir. könnten vielleicht zweitens durch Beschlüsse, die den Straßburger Beschlüssen entsprechen, den Außenministern, die im Ministerkomitee des Europarates sitzen, die Instruktion geben, für die Beschlüsse der Straßburger Versammlung einzutreten, damit sie auch im Ministerkomitee angenommen und so gemeinsames europäisches Recht werden.
Meine Damen und Herren! Die Bundesrepublik ist, wie Sie wissen, nicht im Ministerkomitee des Europarats vertreten. Die Tatsache, daß die Regierung sich jüngst hat verleiten lassen, im Ministerkomitee neben dem Saargebiet als Kiebitz zu sitzen, ändert nichts daran, daß die Bundesregierung dort keine Stimme hat. Dort kommen nur Singvögel zu Gehör.
Da gerade vom Europarat und vom Saargebiet die Rede ist, darf ich wohl der Enttäuschung meiner politischen Freunde darüber Ausdruck geben, daß es die Bundesregierung immer noch
nicht für geboten gehalten hat, im Rahmen des Europarats der vom Führer der Opposition wiederholt gegebenen Anregung zu folgen, die Mitgliedschaft des Saargebietes im Europarat als statutenwidrig anzufechten, weil es sich bei dem Saargebiet in seiner heutigen Gestalt nicht um ein demokratisches Gebilde handelt. Was haben sich eigentlich die Vertreter der Regierung in Rom gedacht, und was haben sich wohl die Herren Außenminister der verschiedenen Länder, 'die in diesem Ministerkomitee vertreten sind, gedacht, als namens der Bevölkerung ,des Saargebietes Herr Gustave Rector, ein französischer Staatsangehöriger, der Chef der politischen Polizei des Saargebietes, die jenes undemokratische Regime hält, ausgerechnet die Konvention zur Wahrung der Menschenrechte unterschrieb!
Die Bundesregierung ist, ,da sie im Ministerkomitee nicht vertreten ist, gar nicht in der Lage, an der 'Gestaltung der Dinge mitzuwirken, die im Ministerrat geschehen. Infolgedessen kommt es für uns heute hier in diesem Hohen Hause im wesentlichen darauf an, wenn wir der Sache der Beratenden Versammlung des Europarates dienen wollen, die möglichst einhellige Auffassung des Bundestages sichtbar zu machen, die dahin geht, die Beratende Versammlung moralisch zu stärken gegenüber dem Ministerkomitee.
Dieser Stärkung soll unser Antrag auf Drucksache Nr. 1617 dienen, den wir Ihnen heute vorlegen. Er umschreibt den Bezirk des weitestmöglichen Übereinkommens unter den deutschen Mitgliedern der Straßburger Versammlung und unter denen dieses Hohen Hauses. Um das zu erreichen, läßt er die beiden Straßburger Empfehlungen, über die damals unter den deutschen Mitgliedern des Europarats keine Übereinstimmung zu erzielen war und über die heute noch viel weniger ein Übereinkommen zu erzielen ist, unerwähnt. Wir haben uns in Straßburg alle verpflichtet, die dortigen Empfehlungen nach bestem Wissen und unter Einschätzung der Sachlage, wie sie ist, in unseren nationalen Parlamenten zur Annahme zu empfehlen. Dies kann uns aber keinesfalls der Verpflichtung entheben, die Haltung hier unter politischen Gesichtspunkten zu bestimmen, wie es am sachgerechtesten, am förderlichsten für die Sache ist, um die es geht. Die Sache, um die es in diesem Augenblick geht, ist nicht die Austragung von Meinungsverschiedenheiten innerpolitischer Art. Es ist die Frage, wie wir hier der Beratenden Versammlung des Europarates in ihren Auseinandersetzungen mit dem Ministerkomitee des Europarates am besten zu Hilfe kommen können.
Meine Damen und Herren! Es ist auch zu bedenken, daß das Ministerkomitee des Europarates vor wenigen Tagen in Rom zu den beiden umstrittenen Empfehlungen, der über die europäische Armee und der über den Schuman-Plan, eine endgültige und wie ich meine in der Sache absolut richtige Entscheidung getroffen hat. Zu der Empfehlung über eine europäische Armee hat der Ministerrat mit Recht festgestellt, daß das gemäß den Statuten des Europarats nicht dessen Angelegenheit sein könne. Diese Entscheidung war von vornherein zu erwarten. Es hat sich gezeigt, daß die Versammlung außerordentlich unweise war, als sie sich unter dem Halali der rotbefrackten Fuchsjäger vor der Versammlung durch die aufgeregten Reden in Panik geratener Politiker in eine Stimmung hat versetzen lassen, die es gar nicht möglich machte, die eingebrachten Resolutionen zur europäischen Armee sachlich und ruhig zu erörtern.
Ich mache Sie darauf aufmerksam, meine Damen und Herren, daß es in Straßburg bei dieser Gelegenheit möglich gewesen ist, eine so ernsthafte Resolution durchzupeitschen, ohne sie überhaupt in einem Ausschuß zur sachlichen Beratung zu bringen.
Nachdem sich im Ministerkomitee nun gezeigt hat, daß es ebenfalls auf dem 'Standpunkt steht, daß der Europarat für diese Verteidigungsfragen nicht zuständig ist, besteht nicht die geringste Aussicht mehr, daß irgendwelche Bestätigungen der Straßburger Beschlüsse in dieser Frage zu einem sachlichen Ergebnis führen könnten. Es ist vielmehr so, daß jedes weitere Bestehen der Beratenden Versammlung in Straßburg auf dieser Empfehlung ,die Beratende Versammlung in den Augen der Öffentlichkeit und vor sich selbst lächerlich machen wird. Aus diesem Grunde, so glaube ich, ist es wirklich angebracht, wenn man der Beratenden Versammlung in Straßburg helfen will, auf dieses Thema nicht mehr zurückzukommen.
Wieder mit Recht hat das Ministerkomitee beschlossen, die Resolution zum Schuman-Plan den sechs Regierungen zuzuweisen, die über diese Frage verhandeln; wieder in Übereinstimmung mit dem, was in der Sache und nach der Zuständigkeit richtig ist. Der Weg des Ministerkomitees ist hinsichtlich der Verfahrensweise auch in dieser Frage richtig. Aber abgesehen davon ist es doch wohl so, daß seit August, als die Debatte in Straßburg über den Schuman-Plan stattgefunden hat, sich der Inhalt des in Vertragsform möglicherweise zustandekommenden Schuman-Plans völlig verschoben hat. Diejenigen, die damals den Plan begrüßten, sollten sich heute doch wohl überlegen, ob sie es noch zu tun vermögen. Denn, meine Damen und Herren, es ist doch wohl so, daß die wesentlichsten ökonomischen Bestandteile des ursprünglichen Vorschlags des Herrn Ministers Schuman vom 9. Mai dieses Jahres nicht in dem Vertragswerk enthalten sein werden. Alles, was auf eine ökonomische Integrierung Europas im echten Sinne Bezug hat, wird in dem Vertragswerk, das der Regierung inzwischen wohl zugegangen ist, nicht enthalten sein. Neben einem schönen und geradezu pompösen Aufbau an politischen Behörden gibt es in diesem Vertragswerk nur noch eine ökonomisch wichtigen Inhalts, und das ist die Behörde zur Investitionskontrolle über die Kohle- und Eisenindustrie Europas.
Der Schuman-Plan, meine Damen und Herren von der CDU, wird sich vor Ihren erstaunten Augen noch als ein Bankert der Europaphilosophie enthüllen, und wenn es erlaubt wäre, in allen Ländern der Vaterschaft nachzugehen, so würde sich als Vater, wie ich fürchte, Mars oeconomicus herausstellen. Dieses Vertragswerk ist als der zweite Ring gedacht, der sich neben die uns unter dem Okkupationsrecht auferlegte Produktionskontrolle und die Produktionsbeschränkungen legen soll, um das Produktionsvolumen unserer Eisen-und Stahlindustrie, auf deren Produktion wir so dringend angewiesen sind, künstlich niedrig zu halten. Diese Umstellung macht es auch verständlich, warum der Pleven-Plan die Unterschrift unter den Schuman-Plan-Vertrag als Voraussetzung für die etwaige Beteiligung deutscher Kontingente
an einer sogenannten europäischen Armee bezeichnet.
Auch aus diesen Gründen, nämlich wegen der völligen Verschiebung, die inzwischen hinsichtlich des sachlichen Inhalts des Kohle- und Eisenvertrages stattgefunden hat, kann ich nicht einsehen, warum es richtig, warum es nötig oder warum es der Entwicklung der Beratenden Versammlung in Straßburg förderlich sein könnte, zu diesem Punkt hier noch einmal Stellung zu nehmen. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ich möchte Ihnen doch auch zu überlegen geben, daß es Ihre Regierung ist, die von Ihnen eingesetzte Regierung, die gerade zu diesem Problemkreis in entscheidenden Verhandlungen oder Vorverhandlungen steht. Es ist doch wirklich nicht üblich, und wir jedenfalls von der Opposition haben nicht den Wunsch, einer Regierung, während so wesentliche Verhandlungen schweben, durch eine Vorentscheidung die Hände zu binden. Wenn wir uns auf diesen Weg einlassen, meine Damen und Herren, den Sie uns in Ihrem Antrag Drucksache Nr. 1600 vorschlagen, wenn wir hier wieder zu Schuman-Plan und Europa-Armee Stellung nehmen — wenn auch nur implizite —, so tun wir ja dasselbe, was wir von der Opposition seit wenigstens einem Jahre der Bundesregierung vorwerfen: Wir machen auch von uns aus eine Vorleistung, ohne vorher gesichert zu sein, daß uns auch eine entsprechende Gegenleistung für diese Vorleistung gegeben wird. Es muß doch endlich einmal mit der Politik der Vorleistungen auf internationalem Feld ein Ende haben.
Den Antrag, den meine Fraktion Ihnen vorgelegt hat, haben Mitglieder aller Fraktionen, die in der Straßburger Beratenden Versammlung gewesen sind, mit meiner Fraktion gemeinsam ausgearbeitet und mit Sorgfalt redigiert. Wenn trotz dieser gemeinsamen erfolgreichen Anstrengungen doch heute hier von einigen Fraktionen ein anderer Antrag vorgelegt wird, so scheint es mir, er könne wohl nicht das Resultat von Erwägungen und Sorgen um Europa, nicht das Resultat von Überlegungen sein, die sachgerecht auf die Förderung des europäischen Gedankens und der Beratenden Versammlung in Straßburg gerichtet sind. Es handelt sich hier vielmehr um einen Antrag, der das Hohe Haus zu einer Stellungnahme auch zu den umkämpften Empfehlungen zwingen will; es handelt sich um einen Antrag, der uns unter das kaudinische Joch Ihrer fraktionellen Politik zwingen will.
Gerade aus dem Geiste eines guten Europäertums heraus können wir diesem Antrag Drucksache Nr. 1600 nicht zustimmen, weil er durch Überlegungen fraktioneller Natur veranlaßt ist. Man will aus rein parteitaktischen Gesichtspunkten ohne Rücksicht auf die Sache hier einen Erfolg in der Abstimmung erzielen. Wir haben es mit einem Verfahren zu tun, das in dem Hohen Hause schon häufiger angewandt worden ist. Man richtet an uns von der sozialdemokratischen Fraktion, wie auch heute wieder, Appelle, in Fragen der außenpolitischen Beziehungen der Bundesrepublik — und dazu gehört ja schließlich auch die Frage des Europarates — gemeinsam mit der Regierung und ihren Parteien vorzugehen. Wenn es dann aber zur Sache kommt, dann wird mit fraktioneller Taktik die ganze Basis einer erarbeiteten gemeinsamen politischen Linie von Ihnen zerstört. Es ist
in diesem Falle genau so, wie wir es in der vorigen Woche in so bedauerlicher Weise hier ex abominarco erlebt haben, als wir mit der Tatsache einer Entschließung des Kabinetts konfrontiert wurden, von der meine Fraktion keine Kenntnis hatte. So erleben wir es im großen und so erleben wir es im kleinen.
Wir sind zu gemeinsamer Politik bereit, wenn eine gemeinsame Linie erarbeitet werden kann. So ist es in Fragen Europas, so ist es in Fragen der allgemeinen internationalen Beziehungen der Bundesrepublik. Aber wir sind nicht bereit zuzulassen, daß der gute Wille, den wir haben mißbraucht wird, und daß hinter einer Fassade zur Schau getragener Gemeinsamkeit parteitaktische Vorteile unserer ziemlich notorischen Gutmütigkeit
abgelistet werden.
Meine Damen und Herren, wir werden also nur für den von uns eingebrachten Antrag Drucksache Nr. 1617 stimmen, einen Antrag, den ich mit größtem Vergnügen mit einer großen Zahl von deutschen Delegierten zur Beratenden Versammlung in Straßburg aus allen Fraktionen abgefaßt habe. Aber, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, ich bitte Sie, sich zu überlegen, ob Sie das Gewicht, das ein Beschluß des Hohen Hauses im Sinne einer Förderung des europäischen Gedankens haben könnte, dadurch schwächen wollen, daß Sie das Hohe Haus bei einer Abstimmung spalten und mit einer geringen Mehrheit von Stimmen einen Antrag gegenüber einem anderen Antrag durchbringen. Ich bitte Sie also, Ihren Antrag zurückzuziehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Euler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Lütkens hat die Ablehnung seiner Fraktion gegenüber dem Antrag Drucksache Nr. 1600 zuerst damit begründet, daß der Europarat für die Frage der Verteidigung überhaupt nicht zuständig sei. Dieses Argument ist formell richtig. Aber es ist um so seltsamer, daß es von der Sozialdemokratie vorgetragen wird, die ihre grundsätzliche Stellungnahme zum Europarat — als es sich darum handelte, ob Deutschland dem Europarat beitreten solle — davon abhängig machte, daß zunächst einmal dem Europarat die Zuständigkeiten gegeben werden, die Voraussetzung für eine materielle Wirksamkeit seien. Damals hat die Sozialdemokratie grundsätzlich geltend gemacht, daß der Europarat in seinen Zuständigkeiten eben allzusehr beschränkt sei.
Nun, meine sehr geehrten Damen und Herren, man kann das Verhalten des Europrates sonderbar finden, aber es ist nicht sonderbar, daß er in jenen Augusttagen in den ersten Wochen des Krieges in Korea, seine Zuständigkeit bewußt überschreitend, das Wort zu den Verteidigungsfragen erhob, wenn man sich vergewissert, unter welchen Umständen der Europarat damals zu diesen Fragen Stellung nahm.
Damals standen alle Völker der freien Welt unter
dem Eindruck des kommunistischen Angriffs in
Korea, jenes von langer Hand vorbereiteten
Gangsterstreichs, der seit jener Zeit die Besorgnisse aller Völker auf das Äußerste erhöht hat,
und unter dem frischen Eindruck dieses Angriffs, der die sowjetische Bedrohung, die über die gesamte Welt verhängt ist, besonders sichtbar machte, war es Ausdruck dessen, was alle europäischen Völker fühlten, als die Churchill-Entschließung vom Europarat angenommen wurde.
Damals, in dieser Situation, trat etwas hervor, was inzwischen manche wieder vergessen haben, seitdem die akute Gefahr zurückgewichen ist, daß nämlich ein Europa, wie wir es haben wollen, als eine „Organisation der friedlichen Werke" allerdings, wie Herr Kollege Lütkens es bezeichnete, eben leider gar nicht möglich ist, wenn nicht eine starke Abwehr geschaffen ist, die in der Lage ist, diese Organisation zum Zweck der friedlichen Werke gegen Angriffe aus dem Osten zu verteidigen. Dies scheint in Vergessenheit zu geraten, und andere Momente treten wieder in den Vordergrund, wie das häufig in der Politik der Fall ist. Das unmittelbar starke Empfinden einer Lebensnotwendigkeit, das unter dem Eindruck einer aktuellen Gefahr plötzlich durchschlägt, schwächt sich wieder in dem Maße ab, als die Situation eine Abschwächung der Gefahr erkennen läßt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind der Auffassung, daß dieses Hohe Haus dem folgen sollte, was damals die Mitglieder der Regierungsparteien im Europarat zum Ausdruck gebracht haben; sie haben sich damals der ChurchillEmpfehlung für eine europäische Verteidigung und der anderen Empfehlung über die Notwendigkeit des Schuman-Plans angeschlossen, weil damit dem starken deutschen Willen, nicht nur an den Rechten, sondern auch an den Pflichten teilzunehmen und eine europäische Organisation zu schaffen, die beides trägt, Ausdruck gegeben wurde. Wenn wir heute die damalige Stellungnahme der Regierungsparteien in Straßburg zu bekräftigen wünschen, dann geschieht das unter Betonung aller Vorbehalte, die vom deutschen Standpunkt geltend zu machen sind. Wir verweisen mit Nachdruck darauf, daß sowohl die Regierung wie die Regierungsparteien bei der kürzlichen Debatte den Gedanken der deutschen Gleichberechtigung mit großem Nachdruck herausgestellt und unzweideutig ausgesprochen haben, eine deutsche Verpflichtung hinge davon ab, daß die Gleichberechtigung erst in weitgehendem Umfang verwirklicht sein müsse. Wir möchten der Regierung in diesem Zusammenhang zurufen, daß sie diese damals hervorgehobene Notwendigkeit, die deutsche Gleichberechtigung durchzusetzen, nicht leicht nehmen möge. Es handelt sich dabei um eine ernste Angelegenheit, und wir werden, wenn die Frage der deutschen Teilnahme an europäischer Verteidigung demnächst praktisch zu entscheiden ist, unsere Stellungnahme allerdings davon abhängig machen, inwieweit von einer Verwirklichung der deutschen Gleichberechtigung unter den dann gegebenen Umständen gesprochen werden kann.
Nun ist noch ein zweiter Punkt, der demnächst, wenn diese Frage zu entscheiden ist, von uns auf das kritischste geprüft werden wird. Das ist nämlich die Frage, ob die Vorbereitungen für eine gemeinsame europäische Verteidigung unter solchen Umständen erfolgt, daß den gegebenen Vorbelastungen der Bundesrepublik in finanzieller Hinsicht auch in dem erforderlichen Umfange Rechnung getragen wird. Wir haben neulich bei der Debatte über diese Angelegenheit mit aller Entschiedenheit hervorgehoben, daß es sich bei den Schutzmaßnahmen auf deutschem Boden um eine Gesamtaktion der freien Völker handelt, an deren Durchführung alle freien Völker interessiert sind, weil sie auch ihrem Schutzbedürfnis entsprechen. Daraus muß die Konsequenz gezogen werden, daß die finanzielle Sicherstellung dieser Schutzmaßnahmen auf deutschem Boden unter dem anteiligen Einsatz aller erfolgt.
Schließlich ergibt sich eine besonders starke Vorbelastung der Bundesrepublik daraus, daß die Maßnahmen, die die Alliierten im Zuge einer völlig verfehlten Politik auf Grund des Morgenthauplanes in den Jahren 1944/45 mit der Sowjetunion verabredet haben, gerade uns in so außerordentlich starkem Maße mit sozialen Verpflichtungen belastet haben. Die Erfüllung dieser sozialen Verpflichtungen gegenüber 7,5 Millionen Heimatvertriebenen und gegenüber den 1,5 Millionen Ostzonenflüchtlingen, den Opfern der verfehlten Jalta- und Teheranpolitik der Alliierten aus einer Zeit, als sie bemüht waren, ihren guten Freund Churchill zu einem guten Demokraten und Pazifisten anglo-amerikanischer Herkunft zu machen, muß uns heute zu unserer finanziellen Entlastung gutgebracht werden.
Herr Abgeordneter, ich nehme an, daß Sie Herrn Stalin meinen und nicht Herrn Churchill.
Euler . Das ist der Fall.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir weisen darauf hin, daß es sich jetzt um die Annahme einer Empfehlung handelt, bei der zum Ausdruck gebracht wird, daß hinsichtlich der umstrittenen Empfehlung des Europarats in bezug auf die Verteidigungsfrage und in bezug auf den Schumanplan alle Vorbehalte von seiten der Regierungsparteien geltend gemacht werden. Es wird in der entscheidenden Ziffer 1 lediglich gesagt, daß die Empfehlungen wichtige Beiträge zur Verwirklichung einer europäischen Föderation darstellen. Es wird damit noch nichts über die Verwirklichung der in diesen Empfehlungen ausgesprochenen Gedanken gesagt. Weiter wird in dem entscheidenden Satz 2 des Abs. 1 unter Ziffer I hervorgehoben, daß die Bundesregierung nur unter Berücksichtigung der besonderen Lage der Bundesrepublik diese Gedanken fördern und dabei alles tun solle, was in ihrem Vermögen liege, um der besonderen Lage der Bundesrepublik im Rahmen der europäischen Gemeinschaft Geltung zu verschaffen.
Mit diesen sehr stark hervorzuhebenden Vorbehalten, die eine Abschwächung der Empfehlungen bedeuten, hätte auch die Sozialdemokratie einverstanden sein können, wenn es sich bei ihr nicht darum handelte, Außenpolitik lediglich mit Rücksicht auf den innerpolitischen Effekt zu betreiben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reismann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zentrumsfraktion bedauert, daß in dieser so wichtigen, für das deutsche Volk unter
Umständen entscheidenden Frage eine einheitliche Willensbildung dieses Hauses nicht zustande gekommen ist; vor allen Dingen, daß sie nicht einmal versucht worden ist. Denn, wenn man in einer solchen Frage an eine Entscheidung herangeht, wäre doch selbstverständlich eine Übereinstimmung herbeizuführen gewesen.
— Weder an uns noch an die Bayernfraktion ist jemand herangetreten. Ich weiß nicht, wie Sie die Einheit dieses Hauses konstruieren können, indem Sie ganze Fraktionen außer Betracht lassen.
— Ich warte auf einen Zwischenruf des Herrn Abgeordneten Dr. Wuermeling, den ich bei solcher Gelegenheit zu bekommen pflege; aber er hat ihn anscheinend heute vergessen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben gar keine besondere Eile mit dieser Entschließung. Wir haben in diesem Hause überhaupt keine besondere Eile, zu einer Entschließung zu kommen. Wir sind das erste Land, und gerade in Anbetracht dieses Umstandes sollten wir auch die Frage unter uns Deutschen zunächst einmal ausdiskutieren. Es geht nach unserer Ansicht nicht an, daß man zu einem so wichtigen Komplex so im Vorbeigehen Stellung nimmt, ohne beispielsweise die Frage der europäischen Armee und ohne beispielsweise die Frage des Schumanplanes einmal in unserem eigenen Hause auszudiskutieren. Es erscheint nicht angängig, hier eine Blankobilligung für alle die Punkte und für alles das auszusprechen, was da kommen soll, und für alles, was bisher hier im Hause kaum behandelt worden ist. Wir vermissen in der uns bei der Fraktionsgemeinschaft der Regierungsparteien vorgelegten Resolution vor allen Dingen eine klare Forderung, einen klaren Hinweis auf die eine Voraussetzung, die der Gleichberechtigung.
Meine Damen und Herren! Ich bitte, die Gleichberechtigung der Fraktionen auch dadurch zum Ausdruck zu bringen, daß Sie Ihre Aufmerksamkeit dem Redner schenken.
Ich beantrage deswegen im Namen der Zentrumsfraktion die Verweisung der beiden vorliegenden Anträge an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten, damit eine einheitliche Stellungnahme des Hauses herbeigeführt werden kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Seelos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bayernpartei begrüßt grundsätzlich jeden Schritt und jede Empfehlung, die zu einer Integrierung Europas beitragen kann. Wie mein Herr Vorredner möchte auch ich dem Bedauern darüber Ausdruck geben, daß es in dieser entscheidenden Frage zu keiner einheitlichen Beschlußfassung des Bundestages gekommen ist. Wenn ein Beschluß des Bundestages in irgendeiner Angelegenheit erfolgt, befaßt sich üblicherweise zunächst damit der zuständige Ausschuß. Wir haben gestern die groteske Situation erlebt, daß der Auswärtige Ausschuß versammelt war und brav und bieder über eine Stunde lang gewartet hat, während die verschiedenen Herren der Fraktionen interfraktionell diese Dinge besprochen haben. Das ist meiner Ansicht nach eine Methode, die für die Würde des Auswärtigen Ausschusses, der in anderen Ländern in seiner Bedeutung immer so stark hervorgehoben wird, nicht sehr erfreulich ist.
Die Bayernpartei kann zu den vorliegenden Empfehlungen, besonders hinsichtlich der Empfehlung für eine Europaarmee, überhaupt in keiner Form vor einer Beseitigung des Besatzungsstatuts und vor der Anerkennung der Gleichberechtigung der Bundesrepublik Stellung nehmen. Wenn auch der Herr Abgeordnete Euler eben diesen Gedanken unterstrichen hat, und zwar nur in der Form einer Empfehlung an die Regierung, so verhallt das eben, wenn andererseits die FDP in fester Form unterschreibt, daß diese Empfehlung angenommen wird. Darin liegt ein gewisser Widerspruch.
Im übrigen möchte ich mich zu den praktischen Ergebnissen von Straßburg bei dieser Gelegenheit genau so lange äußern, wie sie es wert sind, und hiermit ist meine Rede geschlossen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Frommhold.
Meine Damen und Herren! Vor 102 Jahren
fanden sich in der Frankfurter Paulskirche die Besten unseres Volkes in dem von Idealismus und Tatkraft getragenen Bemühen zusammen, unserem Vaterland ein einheitliches staatspolitisches Gepräge zu geben.
Ihr ernstes politisches Wollen erschöpfte sich jedoch bald in fruchtlosen theoretischen Debatten. In der Paulskirche wurde die einmütige Hoffnung unseres Volkes auf Einigung erstmalig zu Grabe getragen.
In Straßburg konstituierten sich im Jahre 1949 unter der Bezeichnung „Europarat" parlamentarische Vertreter einer Reihe europäischer Länder. Was vor 102 Jahren in Frankfurt für Deutschland angestrebt wurde, sollte in Straßburg auf der europäischen Ebene versucht werden. Das Wort „Europarat", in dem die Deutschen den Beginn der europäischen Solidarität gegenüber den Gefahren des östlichen Kollektivismus erblickten, ließ das schwergeprüfte deutsche Volk in seiner großen Bereitschaft zu einem geeinten Europa aufhorchen. Um so größer war die berechtigte Enttäuschung der Deutschen, als man unser Volk, dessen beste Söhne wie so oft in der Geschichte auch im vergangenen Kriege bis zum letzten Augenblick in der Abwehr des Ostens für Europa ihr Leben ließen, der Teilnahme am Europarat für unwürdig erachtete.
Erst in der zweiten Tagung der Beratenden Versammlung des Europarates im August 1950 wurden die Vertreter Deutschlands in die illustre Straßburger Gesellschaft aufgenommen.
Das uns nunmehr vorliegende Material läßt leider eine gewisse historische Parallele zu den Vorgängen in der Paulskirche erkennen. Die in Straßburg erarbeitete Unzahl von Empfehlungen, Äußerungen, Erwägungen, Bitten usw. zeigt die hoffnungslose theoretische Verstrickung und praktische Bedeutungslosigkeit des dortigen Beginnens und erweckt eine fatale Ähnlichkeit mit der damaligen Frankfurter Atmosphäre. Die Beteiligten von Straßburg werden sich allerdings ehrlicherweise dem Eingeständnis nicht entziehen können, daß der Vorteil größerer geistiger Qualifikation und politischer Reife zweifellos bei ihren Frankfurter Vorgängern zu finden ist.
Meine Damen und Herren! Unsere leider sehr knapp bemessene Redezeit gestattet ,es uns nicht, wie es unser Wunsch gewesen wäre, zu der Vielzahl der Straßburger Empfehlungen Stellung zu nehmen.
Herr Abgeordneter, Sie würden die Aufmerksamkeit des Hauses stärker haben, wenn Sie entsprechend der Geschäftsordnung in freiem Vortrag sprechen würden.
Erlauben Sie daher, daß ich zu dem Punkt Stellung nehme, der uns als der wichtigste für die kommende Straßburger Arbeit erscheint, nämlich zur Frage einer deutschen Beteiligung an einer europäischen Armee. Mit Ausnahme der SPD-Vertreter, die sich in Straßburg der Stimme enthalten haben, haben bekanntlich sämtliche anderen deutschen Delegierten der Resolution Churchill zugestimmt. Wir sind der Meinung, daß die Vertreter der SPD in jedem Falle gut daran täten, sich der Stimme zu enthalten. Denn wir vertreten die Auffassung, daß die Frage der Wiederbewaffnung eine Frage ist, die einzig und allein den deutschen Soldaten betrifft; und wir sind der Meinung, daß eine Partei, die in ihren parteiamtlichen Organen noch im Jahre 1948 den deutschen Soldaten in unerhörter Weise diffamierte, nicht das Recht hat, über die Beteiligung deutscher Soldaten in der Zukunft mitzusprechen.
— Meine Herren, ich könnte Ihnen hier Unterlagen zeigen, die die Richtigkeit meiner Behauptung beweisen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Meine Damen und Herren! Nach den damals bereits reichlich gewährten Interviews des Herrn Bundeskanzlers vor allem an ausländische Pressevertreter kam für uns das zustimmende Ja der Koalitionsdelegierten zur Resolution Churchill nicht mehr überraschend. Die Deutsche Reichspartei hat anläßlich der außenpolitischen Debatte in der vorigen Woche ihre Stellungnahme ganz klar abgegeben.
Wir sehen in der voreiligen Zustimmung der Koalitionsdelegierten in Straßburg die höchst bedenkliche Ausstellung eines Blankoakzeptes, das gegebenenfalls mit deutschem Blute eingelöst werden
müßte. Aus diesem Grunde vertreten wir die Ansicht, daß die Frage einer deutschen Beteiligung in einer europäischen Armee überhaupt nur unter der Voraussetzung diskutabel ist, daß dem deutschen Volke die tatsächliche Garantie einer uneingeschränkten Gleichberechtigung gegeben wird. Wir lehnen es ab, in dem zu errichtenden europäischen Gebäude in die Rolle des Hausdieners gedrängt zu werden.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Jawohl! — Wir sind bereit, als gleichberechtigtes, freies Volk einem geeinten Europa unseren Beitrag zu leisten. Wir wollen nur hoffen, daß sich die deutschen Delegierten im Europarat als ehrliche Makler eines wirklich geeinten Europas zeigen werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Renner.
Meine Damen und Herren! Der überaus dürftige Bericht, den uns heute die Bejaher von Straßburg gegeben haben, und die Enthüllungen, die hier gemacht worden sind, um scheinbare Gegensätze in der Haltung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages in Straßburg zu konstruieren, scheinen uns ein Beweis für die Richtigkeit der Ausführungen zu sein, die wir seinerzeit bei der Entscheidung über die Frage des Beitritts Westdeutschlands zum Europarat über den Sinn dieses Europarates hier gemacht haben. Was wir heute gehört haben, ist für uns ein Beweis dafür, daß Straßburg unfähig ist, ein Instrument zur Koordinierung der Interessen selbständiger Staaten zu sein, daß Straßburg nichts anderes ist als ein Instrument der USA-Monopolkapitalisten, eine von ihnen beherrschte Organisation. Straßburg ist tatsächlich nur ein Instrument mehr zur Realisierung der Kriegsvorbereitungspläne und zur Einbeziehung Westdeutschlands in den Kriegspakt zur Sicherung der Profitinteressen der Monopolherren, in der Hauptsache der Konzerngewaltigen und Kriegstreiber in den USA. Straßburg, das ist die Vertiefung der Spaltung Deutschlands, Straßburg, das ist die Remilitarisierung, und Straßburg, das ist der Krieg. Das ist das Urteil, das ein Mann abgegeben hat, der einmal Mitglied dieses Adenauer-Kabinetts gewesen ist.
Bezeichnend ist auch, daß das einzige halbwegs konkrete Ergebnis der, bisherigen Beratungen, die Empfehlungen zum Schuman-Plan, bekanntlich sogar auf den Widerstand gewisser deutscher kapitalistischer Gruppen gestoßen ist. Ich gucke nach rechts und sehen den Herrn Lehr an.
Diese Gruppe erkennt im Schuman-Plan eine Gefährdung ihrer ureigensten kapitalistischen Interessen.
Der Schuman-Plan ist ein Kriegspakt zur Verstärkung der Kriegsproduktion von Stahl und Kohle und zur einheitlichen Lenkung im Sinne einer Steigerung dieser Produktion und einer besseren Durchführung des Krieges. Nicht der Mi-
nisterrat — das ist bezeichnend — ist die Behörde, die in diesem Schuman-Plan bestimmen soll. Bestimmende Organe sind die Herren von Kohle und Eisen. Sie also entscheiden auch in der Zukunft über das Schicksal der im Bergbau und in der Eisenindustrie beschäftigten deutschen Arbeiter. Der Europarat ist außerstande, die berechtigten Interessen des werktätigen deutschen Volkes sicherzustellen. Diese unsere deutschen Interessen sind nur in der Friedensfront realisierbar, nicht aber im Kriegspakt und im Bündnis mit den monopolkapitalistischen Kriegstreibern. Die nationalen Interessen des deutschen Volkes werden auf einem anderen Wege verteidigt werden müssen. Nicht Straßburg, nicht der Atlantikpakt, nicht die Remilitarisierung, nicht der Krieg, — die Beschlüsse der Prager Außenministerkonferenz
sind der Weg zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, zum Aufbau einer gesunden deutschen Friedenswirtschaft und zur Schaffung von gesunden Lebensverhältnissen für das werktätige deutsche Volk. Es ist bedauerlich, daß das Hohe Haus zu diesen Prager Beschlüssen bisher keine positive Stellung bezogen hat.
Wir sind aber der Auffassung, daß im Interesse Deutschlands endlich ein gesamtdeutsches Gespräch zustandekommen muß. Das Instrument dazu ist der in den Prager Empfehlungen vorgeschlagene gesamtdeutsche Konstituierende Rat unter paritätischer Zusammensetzung,
dessen Aufgabe sein soll, eine provisorische Regierung zu bilden, die dazu berufen ist, an der Ausarbeitung des Friedensvertrages mitzuwirken. Das ist der Weg zur deutschen Einheit.
Diesen Weg hat mit besonderer Klarheit und Eindeutigkeit auf der letzten Tagung der Sozialistischen Einheitspartei auch deren Generalsekretär Walter Ulbricht aufgezeigt. Ich zitiere aus seiner Rede.
Er sagt, — —
— Hören Sie nur ruhig zu!
Darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen! Ich werde von den Abgeordneten, die auf den sogenannten billigen Plätzen hinten sitzen, gebeten, dafür zu sorgen, daß Ruhe herrscht. Das ist ein Appell an die Damen und Herren, die vorn sitzen.
Ulbricht sagt in seiner Rede:
Welcher Deutsche, der die Wiederherstellung der Einheit des deutschen Vaterlandes will, kann gegen einen solchen Vorschlag Einwendungen erheben? In diesem Vorschlag werden keine Vorbedingungen gestellt, keine Personenfragen, keine Fragen über die Gestaltung der künftigen demokratischen Ordnung. Es wird nur die Lebensfrage unseres ganzen Volkes gestellt: die Herstellung der nationalen Einheit. Ungeachtet der politischen Ziele, der Weltanschauung oder sonstiger Auffassungen steht vor jedem Bürger in Deutschland die
Frage, daß zunächst, um den Frieden erhalten zu können, um überhaupt leben zu können, die von den angloamerikanischen Imperialisten dirigierte Spaltung Deutschlands überwunden werden muß.
Ulbricht sagt weiter:
Die SED bringt klar zum Ausdruck, daß sie alle Schritte unterstützen und fördern wird, die der Herbeiführung von Besprechungen zwischen Vertretern Westdeutschlands und Ostdeutschlands dienen. Die demokratischen Vertreter Ostdeutschlands haben auch nicht die Absicht, die Besprechungen an irgendwelche Vorbedingungen zu knüpfen.
Alles Trennende ist zweitrangig,
— sagt Walter Ulbricht —
auf beiden Seiten muß also der Wille zu Kompromissen vorhanden sein. Wir sind nicht der Meinung, daß die innere Ordnung des einigen Deutschlands einfach eine Kopie der Deutschen Demokratischen Rupublik sein wird.
Meine Damen und Herren! Ich frage Sie, die Sie immer wieder von der Notwendigkeit der Herstellung der Einheit Deutschlands sprechen: Rechtfertigt Ihre ständige Ablehnung derartig ernstgemeinter, im Interesse des gesamten deutschen Volkes liegender Vorschläge nicht den Vorwurf, es fehle der Wille zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands,
zur Schaffung eines Friedensvertrages und zum Abzug der Besatzungstruppen? Welcher deutsche Mensch, welcher deutsche Patriot wird sich dem Vorwurf aussetzen wollen, die Spaltung Deutschlands zu verewigen!
Deutschlands nationale Lebensinteressen können nicht sichergestellt werden im Kriegsbündnis mit den amerikanischen und westeuropäischen Konzernherren, die nur in einem Krieg einen Ausweg zur Behebung der Krisenerscheinungen ihrer kapitalistischen Wirtschaft suchen und sehen. Dieser Krieg ist ein Verbrechen an unserem deutschen Volk und an den Völkern der Welt. Er bedeutet die Vernichtung unserer deutschen Heimat und ihrer Menschen. Die nationalen Interessen des gesamten deutschen Volkes können nur sichergestellt werden im Friedensbund mit der Sowjetunion und mit den Volksdemokratien Osteuropas.
Die Völker der Sowjet-Union und der Volksdemokratien wollen den Frieden. Die Regierungen der Sowjet-Union und der Volksdemokratien wollen den Frieden.
Wer dem deutschen Volk etwas anderes erzählt, belügt es bewußt.
Die Regierung der Sowjet-Union kämpft für die Erhaltung des Friedens.
Der Friede nur und die Orientierung Westdeutschlands auf die Kräfte des Friedens sichern die Wiederherstellung der deutschen Einheit.
Sie sichern damit die wahren Interessen des werktätigen Volkes.
Darum Schluß, so sagen wir,
mit der gefährlichen Orientierung auf den amerikanischen Imperialismus und auf den Krieg.
Er endet, wenn er durch die Kriegsverbrecher des Westens einmal ausgelöst wird, nicht mit der Vernichtung der Sowjet-Union. Aber unser deutsches Heimatland wird zur toten Zone gemacht werden; unsere deutschen Frauen und Kinder werden verbluten, unsere deutsche Jugend wird geopfert werden. Das sollen sich alle diejenigen merken, die ihre Zustimmung zur Wiederaufrüstung davon abhängig gemacht haben und machen, daß heute schon auf dem Boden Westdeutschlands so starke Truppenkräfte der Westalliierten aufgestellt werden, daß dieser von ihnen gewollte Krieg unbedingt mit der Niederlage der Sowjet-Union enden müsse. Wir sind dessen gewiß: Die Kräfte des Friedens sind stärker als die Kräfte des Krieges.
Und wir wissen, daß auch in unserem deutschen Volk hier in Westdeutschland die Kräfte des Friedens unaufhaltsam wachsen.
Soll doch Herr Dr. Adenauer — Dr. Amerikadenauer — einmal wagen, das westdeutsche Volk zu fragen,
wie es zu seinen Aufrüstungsplänen und wie es zu dem von ihm propagierten Krieg steht. Er kann es nicht wagen, das Volk zu fragen. Das Volk würde ihn hinwegfegen.
Wir sind stolz darauf, daß in unserem Westdeutschland
der Wille wächst,
für die Sicherung des Friedens zu kämpfen.
Herr Abgeordneter Renner, ich bitte, zum Schluß zu kommen.
Ich bin fertig, wenn Sie die Unterbrechungen abstoppen.
Wir sind gewiß, daß die Kräfte des Friedens auch in Westdeutschland stärker sein werden als die Kräfte der Vernichtung und des Krieges. Wir wissen: Unser Volk wird in diesem Kampfe siegen über die Kräfte, die den Krieg wollen und damit den Niedergang und die Vernichtung unseres Volkes herbeiführen werden. Unser Volk wird siegen über den Krieg!
Wir lehnen den Antrag der Regierungskoalition wie den der SPD ab.
Herr Abgeordneter Gerstenmaier!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war nicht meine Absicht, zu dieser Diskussion zu sprechen. Aber die Worte des Vorredners zwingen mich doch, folgendes zu sagen:
Ich lege Wert darauf festzustellen, daß meine Freunde und ich selber die Politik des Bundeskanzlers in der Sicherheitsfrage verteidigen. Wir sind aber nicht gewillt, uns von irgend jemandem, und wäre es auch Herr Renner, von Moskau her sagen zu lassen, daß irgend jemand von uns den Krieg propagiert.
Herr Präsident, ich halte das nicht nur für eine unzulässige Beleidigung des Bundeskanzlers, sondern der den Bundeskanzler tragenden Mehrheit dieses Hauses.
Ich bitte deshalb um Ihr Eingreifen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich werde mir das Stenogramm vorlegen lassen. Im Lärm des Hauses war die Bemerkung des Herrn Abgeordneten Renner hier nicht eindeutig zu verstehen. Ich werde dann entscheiden.
Wir kommen zur Abstimmung über die vorliegenden Anträge.
Herr Abgeordneter Reismann hat Verweisung dieser Entschließungen an den Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten beantragt.
Ich bitte die Damen und Herren, die für die Verweisung an den Ausschuß sind, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich bitte, die Abstimmung zu wiederholen. Es ist nicht eindeutig zu erkennen, wie die Mehrheitsverhältnisse sind. Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die für die Überweisung an den Ausschuß sind, noch einmal die Hand zu erheben. — Es ist sehr schwer zu entscheiden. Ich muß bitten, über diese Frage durch Hammelsprung zu entscheiden.
Ich bitte die Damen und Herren, die für den Antrag sind, durch die Ja-Tür rechts, die gegen den Antrag sind, durch die Nein-Tür, diejenigen, die sich der Stimme enthalten wollen, durch die Mitteltür zu gehen. Ich bitte, die Vorhalle des Hauses zu räumen, damit die Abstimmung schnell vor sich gehen kann. Ich bitte, den Saal möglichst beschleunigt zu räumen.
Die Abstimmung beginnt.
Meine Damen und Herren, ich bitte, die Abstimmung möglichst zu beschleunigen.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Abstimmung und bitte, die Türen zu schließen. Darf ich die Herren Schriftführer bitten, zur
Abgabe ihrer Stimme nach vorn zu kommen. Die Türen sind wieder zu öffnen.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung über den Antrag des Abgeordneten Reismann auf Verweisung der Drucksachen 1600 und 1617 an den Ausschuß für Besatzungs-
statut und auswärtige Angelegenheit. bekannt. Mit Ja, also dafür haben gestimmt: 147 Abgeordnete, dagegen, mit Nein: 165 Abgeordnete; 5 Enthaltungen. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP — Drucksache Nr. 1600 —, die Ihnen vorliegende Entschließung.
— Ich bitte, vorsorglich noch einmal zu klingeln, damit auch draußen in der Vorhalle jedermann darüber klar ist, daß abgestimmt wird. —
Meine Damen und Herren, ich komme zur Abstimmung. Ich bitte die Damen und Herren, die für die Entschließung Drucksache Nr. 1600 sind, einen Arm zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen bitte! — Das erste ist die Mehrheit; damit ist die Entschließung Drucksache Nr. 1600 angenommen.
Meine Damen und Herren, damit dürfte die Abstimmung über die Drucksache 1617 entfallen.
Meine Damen und Herren, ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Beratung der Interpellation der Abgeordneten Dr. Horlacher und Genossen betreffend Fortführung der Soforthilfeabgabe .
Ich nehme an, daß der Abgeordnete Horlacher die Interpellation begründen wird. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, für die Begründung der Interpellation eine Zeit von 30 Minuten, für die Aussprache eine Zeit von 60 Minuten vorzusehen. — Es wird dem nicht widersprochen; damit ist so beschlossen. Bitte, Herr Abgeordneter, nehmen Sie das Wort.
Dr. Horlacher , Interpellant: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 28. März 1950 habe ich im Deutschen Bundestag zu der Frage der Soforthilfeabgabe insbesondere bei der Landwirtschaft Stellung genommen, und ich hatte damals ausgeführt:
Der Lastenausgleich als solcher ist durch die Gesamtlage bedingt, wie sie entstanden ist. Die Forderung nach einem Lastenausgleich ist auch in unserem Volk verwurzelt. Es ist ja unmöglich, daß derjenige, der von keinerlei Bombenschaden betroffen wurde, dem gar nichts gibt, dem alles ausgebombt wurde, und daß derjenige leer ausgehen soll, der durch die Währungsverhältnisse am schwersten Schaden gelitten hat, oder daß der Ausgewiesene, der das schreckliche Los des Verlustes seiner Heimat ertragen muß, nicht mit einer Hilfe bedacht werden soll. Das sind Gesichtspunkte, die in unserem Volk lebendig sind. Das sind Dinge, die wir gewissermaßen als gegebene Tatsachen hinnehmen müssen.
Nun muß ich aber folgendes beklagen. Unser Volk zeigt draußen in Versammlungen wieder einen Aufmarsch, der nichts mit gesunder Demokratie zu tun hat. Mir ist in Bayern jetzt wiederholt berichtet worden, daß eine ganze Reihe von Rednern, besonders der kleinen Gruppen, sich draußen so unterhalten, daß sie in Flüchtlingsversammlungen das Gegenteil von dem sagen, was sie in Bauernversammlungen reden.
Das ist eine Angelegenheit, die nicht zu den Schönheiten des parlamentarischen Lebens gehört; denn eine Partei, die etwas auf sich hält, müßte die gleichen Reden halten, gleichgültig, welches Publikum vorhanden ist.
Es handelt sich bei der Frage des Lastenausgleichs, die ich heute hier behandle, soweit es die Interpellation betrifft, nicht darum, den Lastenausgleich etwa zu verneinen, sondern es handelt sich darum, sobald wie möglich eine gerechte Lösung des Problems des endgültigen Lastenausgleichs mit herbeiführen zu helfen. Und es handelt sich darum, daß die inneren Verhältnisse so geordnet werden, daß sie für die Wirtschaft tragbar sind.
Ich möchte jetzt hier noch einmal aus der Landwirtschaft ein Beispiel dafür bringen, wie das bei einzelnen Fällen in Wirklichkeit aussieht. Da habe ich ein Schreiben von einem Herrn S. K. aus Heigenkam, Post Otterfing, das ist südlich von München:
In meiner mißlichen Lage erlaube ich mir, Ihren Beistand in nachfolgender Angelegenheit zu erbitten:
Der Herr Präsident wird gestatten, daß ich das verlese.
Ja, bitte sehr. — Ich bitte um Aufmerksamkeit für den Herrn Abgeordneten.
Ich hatte an das Finanzamt Wolfratshausen ein Stundungsgesuch hinsichtlich der Soforthilfeabgabe gerichtet und dieses Gesuch bei einer persönlichen Vorladung erneuert. Der zuständige Herr Regierungsrat vom Finanzamt Wolfratshausen fand volles Verständnis für mein Vorbringen, bemerkte aber, ich müßte trotzdem bis zum 30. 3. 1950 200 DM von meiner Gesamtschuld in Höhe von 864 DM aufbringen und einzahlen. Da es mir aber unmöglich ist, diesen Betrag aufzubringen, erlaube ich mir, Sie zu bitten, höheren Ortes vorstellig zu werden und mir die Soforthilfe für ein Jahr aus folgenden Gründen zu erlassen:
Und jetzt sehen Sie, wie es in dem landwirtschaftlichen Betrieb innerlich wirklich aussieht.
Ich habe das elterliche Anwesen erst am 12. 4. 1949 übernommen mit einer Hypothekenschuld der Bayerischen Landeswirtschaftsbank, München, in Höhe von 13 000 DM, außerdem mit der Verpflichtung, an meine beiden Schwestern vom Elterngut den Betrag von 2400 DM und an meine Mutter 600 DM auszuzahlen, die ich laut Übergabevertrag im Jahre 1950 aufzubringen verpflichtet bin. Zudem stehen den Genannten 13 Tagwerk schlagbares Holz zu. Der übrige Wald ist zum Teil abgeholzt. Das weiter Übrige besteht aus jungem Baumbestand. Das Forstamt forderte bereits zur Anpflanzung auf, wofür ich mindestens 300 DM benötige. Außerdem ist bezüglich der Hofübergabe noch eine Schenkungssteuer in Höhe von 348 DM zu entrichten. Nun brauche ich aber noch 1500 DM für den notwendigsten Kunstdünger, Saatkartoffeln, Saatgetreide usw. Aus beiliegendem tierärztlichen Zeugnis geht weiterhin eindeutig hervor, in welcher Weise der Bazillus „Bang" in meinem Stall wütete, so daß ein Viertel meines Viehbestandes zu Verlust ge-
Bangen ist. Das Anwesen wurde am 12. Juli 1944 von einem Fliegerangriff getroffen, so daß noch ein ganz erheblicher Schaden am Gebäude sowie an Feld und Wald zu beheben ist. Von unseren sechs Kindern im Alter von 31/2 bis zu 19 Jahren ist unglücklicherweise ein Bub im Alter von 10 Jahren seit über 8 Jahren krank, wofür ich an Arzt- und Heilkosten jährlich einen Betrag von 300 bis 400 Mark aufbringen muß. Und schließlich haben unsere Kinder doch auch wirklich einmal ein Anrecht auf ein angemessenes Elterngut, wenn diese schon bis zu ihrer Verheiratung oder Selbständigmachung im elterlichen Betrieb schwere Arbeit leisten müssen.
Hier haben Sie einmal ein praktisches Beispiel, wie es bei einem übergebenen Bauernhof aussieht und welche Lasten auf einem solchen Bauernhof ruhen; und hier haben Sie ein Beispiel dafür, wie notwendig es ist, daß dieses rohe Gesetz der Soforthilfeabgabe, wie es Herr Bundesfinanzminister Schäffer selber bezeichnet hat, so bald wie möglich einem endgültigen gerechten Lastenausgleich Platz macht. Herr Bundesfinanzminister Schäffer hat am 28. März dazu auch ausgeführt:
Ich habe es nie vermieden, in der Öffentlichkeit meine Überzeugung dahin auszusprechen, daß die Soforthilfeabgabe in der Form, wie sie heute erhoben wird, auf die Dauer nicht möglich ist und daß es unsere Aufgabe sein muß, diese Soforthilfeabgabe sobald wie menschenmöglich durch ein Gesetz zu ergänzen, das einen Dauerzustand und eine wirkliche Klärung der Verhältnisse der deutschen Volkswirtschaft und in dem Verhältnis von Abgabepflichtigen zu Empfangsberechtigten schafft, um nicht nur ein gefährliches Auseinandergleiten der Stimmung im deutschen Volk zu vermeiden, sondern insbesondere auch unserer Volkswirtschaft in einer Zeit, da sie mit letzter Kraft gegen Arbeitslosigkeit und derartige Erscheinungen kämpfen muß, die notwendige Klarheit darüber zu geben: Welches Vermögen ist überhaupt für mich, welches Vermögen für den Betrieb, welches Vermögen ist für das Wirtschaftsleben verfügbar?
Es wäre zu wünschen gewesen, daß dieser endgültige Lastenausgleich jetzt vor der nächstfälligen Soforthilfabgaberate am 20. November zustande gekommen wäre. Das ist leider nicht der Fall. Es handelt sich also um eine gerechte Regelung des Lastenausgleichs unter Berücksichtigung der kleingewerblichen und landwirtschaftlichen Verhältnisse. Ich habe das Beispiel gebracht: wenn ich einem Blut spende, dann bin ich bereit, das zu tun, wenn meine gesundheitlichen Verhältnisse das zulassen. Aber ich bin nicht bereit, die Blutspende soweit vornehmen zu lassen, daß ich selber dabei zugrunde gehe. Deshalb müssen hier die entsprechenden Grenzen gefunden werden. Landwirtschaftliches Vermögen ist etwas anderes als übriges Vermögen. Landwirtschaftliches Vermögen ist höchstens etwa mit dem Hausbesitz in Vergleich zu setzen. Die Tragfähigkeit der Landwirtschaft ist durch besondere Verhältnisse bestimmt; und ich würde empfehlen, daß auch von seiten der Fraktionen Rücksicht auf die Empfehlungen genommen wird, die der Arbeitsstab des Agrarausschusses des Bundesrats zum Lastenausgleich ausgearbeitet hat. Hier sind die besonderen Momente genau hervorgehoben, die bei der Landwirtschaft zu berücksichtigen sind:
Betriebsgröße und Struktur der Landwirtschaft lassen eine allgemeine Realabgabe der Landwirtschaft nicht zu. Eine Aufbringung der Lastenausgleichsleistungen ist daher der Landwirtschaft im wesentlichen nur aus dem Ertrag möglich. Die Ertragsfähigkeit der Landwirtschaft wird durch folgende Momente beeintrachtigt: Ungünstiges Verhältnis von investiertem Kapital zum Umsatz, geringe Umlaufgeschwindigkeit des investierten Kapitals, Preisbindungen mit Rücksicht auf den sozialen Charakter der Agrarkreise, Abhängigkeit von nicht zu beeinflussenden Naturfaktoren; Investitionen stehen unter dem Gesetz vom abnehmenden Ertragszuwachs. Die Soforthilfeabgabe hat die Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft überschritten.
Wenn unser Volk draußen sehen würde, wie das Parlament hier eine wichtige Frage des Bauerntums durch dieses Verhalten behandelt, dann würde manches draußen auch noch anders beurteilt werden.
— Herr Kollege Kunze, das ist eine allgemeine Eigenschaft, daß die Aufmerksamkeit des Hauses, wenn landwirtschaftliche Probleme erörtert werden, wesentlich nachläßt.
Insbesondere ist es wichtig, daß bei der Frage der Behandlung der Belastung der Landwirtschaft die Frage des Verhältnisses zwischen Kapital, Umsatz und dem zu belastenden Vermögen eine Berücksichtigung erfährt.
Hier liegen ja Berechnungen vor, daß beispielsweise bei einem Einheitspreisgeschäft der Einheitswert jährlich 15mal umgesetzt wird, bei einem Warenhaus jährlich 12mal, beim Gewerbe jährlich durchschnittlich 6,5mal, in der Landwirtschaft durchschnittlich jährlich 0,75mal, in der Forstwirtschaft alle 8 Jahre einmal. Diese Betrachtung ergibt, daß ein Umsatz von 100 000 DM einem Einheitswert von 6666 DM beim Einheitspreisgeschäft entspricht, 8333 DM beim Warenhaus, 15 384 DM beim Gewerbe, 133 333 DM in der Landwirtschaft usw. Daraus ersehen Sie, daß das Verhältnis zwischen Sachvermögen und Umsatz im landwirtschaftlichen Betrieb derart ist, daß das Sachvermögen im Verhältnis zum Umsatz in der Landwirtschaft viel stärker ins Gewicht fällt, als es in den meisten übrigen Wirtschaftszweigen der Fall ist.
Ich habe hier noch andere Berechnungen von der sogenannten Opposition zu dem Bauernverband, von der Opposition des Herrn von Rohr, der ähnliche Berechnungen aufgestellt hat. Ich selbst habe Berechnungen machen lassen. Daraus ergibt sich, daß der Umsatz in Prozent des Rohvermögens beträgt beim Handwerk: Metzger 152 bis 204%, Bäcker 120 bis 127%, Schreiner 57 bis 86%, Schmied 88 bis 37 %, Maler 108 his 122 %, Friseur 93 bis 69 %; beim Einzelhandel: Kolonialwaren 116 bis 183 %, Butter, Eier, Käse 197 %, Milch 224 %. Beim Großhandel lauten die Prozentzahlen 288, 289, 142, 256, bei der Landwirtschaft 31, 26, bei verschiedenen Betrieben 23, 28, 53 und 30. Sie sehen daraus, wie notwendig es ist, auf die dadurch bedingten unterschiedlichen Verhältnisse Rücksicht zu nehmen.
Solange ich dazu berufen bin, die Interessen unseres Bauerntums mit zu vertreten, werde ich mir
erlauben, meinen eben geschilderten Standpunkt zu all diesen Fragen trotz aller Schwierigkeiten durchzusetzen zu versuchen. Denn was gerecht ist, ist gerecht, und die Gerechtigkeit muß allmählich zum Siege geführt werden.
Man kann hier nicht aus Schönheitsgründen, aus Rücksicht auf die ästhetische Gestaltung des Lastenausgleichs, aus Rücksicht darauf, daß alles gleichmäßig aussieht, eine Regelung treffen, sondern die Regelung muß den wirtschaftlichen Bedürfnissen entsprechen. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. Ich wünsche auch, daß ich hier die Unterstützung der SPD bekomme. Denn sie hat in manchen Fragen des Bauerntums hier auch ein Ohr, und dieses geneigte Ohr möchte ich gern herüberneigen.
— Gut, um so besser. Dann kann man in das eine Ohr hineinsprechen und weiß, es geht nicht aus dem anderen hinaus, es bleibt drin.
Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß der Erlaß vom 2. Dezember betreffend Stundung der Soforthilfeabgabe wieder Anwendung finden und daß der Erlaß vom 13. Februar 1950 für die Landwirtschaft ebenfalls wieder in Kraft treten soll. Bei den Maßnahmen, die hier zu treffen sind, habe ich nun die Bitte an den Herrn Bundesfinanzminister, diese Erlasse auf die neuen Verhältnisse umarbeiten zu lassen. Denn der Erlaß des Bundesfinanzministers vom 2. Dezember bedarf angesichts der veränderten Lebensverhältnisse — die Kosten für die Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts sind gestiegen — einer Umarbeitung, es bedarf einer Erhöhung der Sätze, damit Ungerechtigkeiten beseitigt werden. Außerdem hat ja der Bundestag dankenswerterweise auf Grund meines Antrags seinerzeit beschlossen:
Die Bundesregierung wird ersucht, die Finanzämter anzuweisen, bei Anwendung des Stundungserlasses für die Landwirtschaft vom 13. Februar 1950 nach dem Soforthilfegesetz der Beseitigung auftretender Härtefälle besondere Aufmerksamkeit zu schenken und von der Heranziehung von Sachverständigen bei der Bearbeitung von Stundungsanträgen aus der Landwirtschaft in weitem Umfange Gebrauch zu machen.
Ich hoffe, daß diesem Ersuchen vom Herrn Bundesfinanzminister angesichts der jetzt entstandenen Schwierigkeiten Rechnung getragen wird. Die Schwierigkeiten waren schon bei der Februar- und Mai-Rate der Soforthilfeabgabe außerordentlich groß, besonders beim Kleingewerbe und bei der Landwirtschaft; sie sind jetzt noch erhöht — besonders bei der Landwirtschaft —, weil jetzt der halbe Jahresbetrag fällig wird, und zwar nach den rohen Sätzen, wie sie die Soforthilfeabgabe kennt. Hier muß meines Erachtens eine Überleitung geschaffen werden. Deswegen wird in der Interpellation gefragt, ob der Herr Finanzminister bereit ist, sich dafür einzusetzen, daß Stundungen über ein Viertel dieses Jahresbetrages hinaus gewährt werden, daß hier gewissermaßen am 20. November 1950 ein Viertel der Jahresleistung bei der Erhebung der Soforthilfeabgabe zugrunde gelegt und das übrige gestundet wird, bis der endgültige Lastenausgleich zustande gekommen ist. Denn das halte ich auch für gerecht. Alle unsere bisherigen Beratungen haben mindestens zu dem Ergebnis geführt, daß eine Entlastung der Landwirtschaft aus den Gründen, die ich angegeben habe, unbedingt eintreten muß, eine Entlastung im Verhältnis zu anderen Berufszweigen. Das kann meines Erachtens nur dadurch geschehen, daß hier eine solche Stundung Platz greift.
Zum Schluß, meine sehr verehrten Damen und Herren, habe ich die Bitte, daß wir in der Frage des endgültigen Lastenausgleichs den wesentlichen Gesichtspunkten, nach denen hier eine Erleichterung geschaffen werden kann, zum Durchbruch verhelfen.
Ich darf noch auf eines hinweisen. Ich habe da so das Wort von der Naturalabgabe der Landwirtschaft gehört. Dies ist ein ganz gefährliches Wort und kann die Stimmung zwischen der einheimischen Bauernbevölkerung und den Ausgewiesenen, mit denen wir gut zusammenarbeiten wollen, unter gewissen Verhältnissen bedeutend verschärfen. Man soll hier den Arbeitsfrieden auf dem Lande unter allen Umständen erhalten. Glauben Sie mir, unsere Bauern sind sehr empfindlich, weil sie trotz aller Bemühungen heute nicht einmal die nötigen Arbeitskräfte für ihren eigenen Betrieb bekommen. Deswegen ist es notwendig, dafür zu sorgen, daß dieser Friede nicht gestört wird.
Dann soll man auch nicht so daherreden, als wenn wir hier recht viel Land zu verteilen hätten. Die Frage der Landabgabe ist eine Frage der Bodenreformgesetze. Die Frage des Lastenausgleichs ist eine davon zu unterscheidende. Beim Lastenausgleich muß darauf Rücksicht genommen werden, daß unser Bauerntum erhalten. werden kann, damit es lebensfähig bleibt. Es handelt sich hier vielfach um kleinbäuerliche und mittelbäuerliche Betriebe; Klein- und Kleinstbetriebe bis zu 2 Hektar haben wir in der Westzone 33 %, kleinbäuerliche Betriebe von 2 bis 5 Hektar 28 %, mittelbäuerliche Betriebe 33 %, großbäuerliche Betriebe 6,3 % und Großbetriebe — das sind Betriebe mit 100 Hektar und mehr — 0,1 %.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die europäische Agrarkonferenz hat sich mit Vertretern aller Staaten auf den Standpunkt gestellt, daß es ein dringendes Erfordernis ist, ein selbständiges, freies Bauerntum nicht bloß bei uns, sondern in ganz Europa zu erhalten. Das zu fördern und das zu pflegen, ist eine wichtige kulturelle, staatspolitische und wirtschaftliche Aufgabe. Wir haben bei der Koreakrise gesehen, wohin wir kommen, wenn wir selber nicht über genügend innere Reserven verfügen. Die Stärkung des Bauerntums ist eine unserer Hauptaufgaben, denen wir uns zuzuwenden haben. Deswegen darf die Förderung der landwirtschaftlichen Erzeugung keine Unterbrechung erfahren. Man darf deshalb der Landwirtschaft nicht übermäßige Belastungen zumuten, sondern muß dafür sorgen, daß dem Landwirt auch noch das nötige Betriebskapital verbleibt, damit er seinen Betrieb fortschrittlich und rationell zugunsten des gesamten Volkes und der Ernährung auch unserer Bevölkerung betreiben kann.
Meine Damen und Herren! Ich unterbreche einen Augenblick.
Ich bitte, zunächst darauf hinweisen zu dürfen, daß die Mitglieder des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen gebeten werden, sich zu einer kurzen Sitzung um 11 Uhr in Zimmer 12, Südflügel, einzufinden.
Weiterhin, meine Damen und Herren, ist mir in-
zwischen das Stenogramm über die vorhin beanstandete Äußerung des Abgeordneten Renner vorgelegt worden. Es heißt nach dem Stenogramm an der beanstandeten Stelle folgendermaßen:
Soll doch Herr Dr. Adenauer — Dr. Amerikadenauer — einmal wagen, das westdeutsche Volk zu fragen, wie es zu seinen Aufrüstungsplänen und wie es zu dem von ihm propagierten Krieg steht. Er kann es nicht wagen, das Volk zu fragen, das Volk würde ihn hinwegfegen.
Meine Damen und Herren, ich stehe auf dem Standpunkt, daß die Formulierung „wie es zu dem von ihm propagierten Krieg steht" über die in diesem Hause selbstverständliche Möglichkeit einer sachlichen Kritik hinausgeht. Ich rufe Herrn Abgeordneten Renner zu der Ordnung, die in diesem Hause selbstverständlich sein sollte.
Zur Beantwortung der Interpellation hat das Wort der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Interpellation betrifft die Soforthilfeabgabe. Ich benütze die Gelegenheit, um über die Entwicklung des Aufkommens dieser Abgabe einige Bemerkungen vorauszuschicken. Das Aufkommen an allgemeiner Soforthilfeabgabe im Bundesgebiet betrug bis zum 31. März 1950 1040 Millionen DM, in der Zeit vom 1. April bis 30. September 1950 688 Millionen DM, im Oktober 1950 60 Millionen DM. Das bisherige Gesamtaufkommen im Bundesgebiet betrug also 1788 Millionen DM.
Das Aufkommen im ersten Halbjahr des Rechnungsjahres 1950/51 hat hiernach 66,2 % des Aufkommens im ganzen Rechnungsjahr 1949/50 betragen. Wenn das Aufkommen im zweiten Halbjahr des laufenden Rechnungsjahres ebensoviel betragen sollte wie das Aufkommen in seiner ersten Hälfte, würden wir somit zu einem Gesamtaufkommen in diesem Rechnungsjahr von 1377 Millionen DM gelangen, d. h. zu einem um 32 % größeren Aufkommen als im vorangegangenen Rechnungsjahr. Ich freue mich, von dieser günstigen Entwicklung des Aufkommens berichten zu können. Das Aufkommen kommt allein dem durch das Soforthilfegesetz betreuten Kreis von Kriegsgeschädigten aller Art zugute.
Die Gründe für die Verbesserung des Aufkommens liegen zum Teil darin, daß die Nachprüfungen der Finanzämter inzwischen weiter fortgeschritten sind; die Nachprüfungen werden demnächst abgeschlossen sein. Im übrigen ist die Steigerung des Aufkommens zweifellos auch darauf zurückzuführen, daß im laufenden Rechnungsjahr ein großer Teil der Rückstände des vorigen Jahres entrichtet worden ist. Die Rückstände betrugen am 31. März 1950 420 Millionen DM. Zu einer Abtragung der Rückstände haben sicherlich die inzwischen vollzogene Senkung der Einkommensteuer, ferner das Weiterauseinanderziehen der Zahlungstermine, die im ersten Rechnungsjahre auf sechs Monate zusammengedrängt waren, sowie der Fortfall der Soforthilfesonderabgabe beigetragen.
Nun zur Interpellation selbst. Sie zerfällt in zwei Teile. Die Frage, ob der Bundesregierung bekannt ist, daß die Fortführung der Soforthilfeabgabe in vielen Teilen der Wirtschaft, der kleinen gewerblichen Wirtschaft und insbesondere der Landwirtschaft, zu ganz besonderen Härten führt, muß ich mit einem eindeutigen „Ja" beantworten.
Wir sehen diese Erfahrungen bestätigt aus einer Fülle täglich bei uns eingehender Eingaben aus diesen Kreisen. Sie lassen die schwere Notlage, zu der das gegenwärtige Maß der gesamten Vermögensbesteuerung neben den anderen Steuern hier führt, deutlich erkennen, oft in einer erschütternden Weise.
Die Soforthilfeabgabe beträgt grundsätzlich 3% des Vermögenswerts. Bei Vermögen bis zu 8000 DM wird ein Freibetrag von 3000 DM abgezogen. Der Freibetrag ermäßigt sich bei je 1000 DM Mehrvermögen um 1000 DM, so daß bei Vermögen über 10 000 DM kein Freibetrag mehr besteht. Für Wohngrundstücke, die zum Grundvermögen natürlicher Personen gehören, ist der Abgabesatz auf 2 °/o ermäßigt. Der Satz von 2 % gilt auch für das land- und forstwirtschaftliche Vermögen, wenn das ganze abgabepflichtige Vermögen den Betrag von 15 000 DM nicht übersteigt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Besteuerung bei der Soforthilfeabgabe das Rohvermögen zugrunde gelegt wird. Schulden werden also nicht abgezogen. Zu dieser Belastung durch die Soforthilfeabgabe tritt die durch die Ländervermögensteuer verursachte Belastung in Höhe von 0,75 %. Es ist meine aufrichtige Überzeugung, daß eine derartige Gesamtbelastung des Vermögens, zumal bei kleineren Vermögen, auf die Dauer untragbar ist. Ihre Aufrechterhaltung würde zu den schwersten wirtschaftlichen und politischen Erschütterungen führen. Ganz besonders gilt das für die kleine Landwirtschaft.
Wir haben aus dieser Erkenntnis bei der Aufstellung des Entwurfs eines Lastenausgleichsgesetzes die notwendigen Folgerungen gezogen. Die gesamte jährliche Vermögensbelastung, die durch dieses Gesetz den Steuerpflichtigen auf einen längeren Zeitraum auferlegt wird, muß nach unserer Ansicht niedriger sein als die gegenwärtige. Wir sind mit der Erkenntnis, daß die allgemeine jährliche Vermögensbelastung auf die Dauer zur Vermeidung schwerster Nachteile für die Wirtschaft und die Geschädigten selbst gesenkt werden muß, und der weiteren Erkenntnis, daß die jährliche Vermögensbelastung nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit der verschiedenen Vermögensarten abgestuft werden muß, wie ich zu meiner Befriedigung feststellen kann, allseitig auf Verständnis gestoßen. Ich kann hier sogar vielleicht von einem Einverständnis sprechen, wieviele Meinungsverschiedenheiten auch im übrigen hinsichtlich der Gestaltung des Gesetzentwurfs über den endgültigen Lastenausgleich noch bestehen mögen.
Der Notlage, die vielfach durch die Regelung des Soforthilfegesetzes eingetreten ist, habe ich bereits im Rahmen der mir gegebenen Möglichkeiten Rechnung getragen. Das ist geschehen durch den Erlaß vom 2. Dezember 1949 betreffend Ermessensstundungen aus wirtschaftlichen Gründen sowie durch die drei Sondererlasse, die für die drei in Betracht kommenden Berufsgruppen — Gewerbe, Hausbesitz und Landwirtschaft — ergangen sind. Über beide Maßnahmen ist im Lastenausgleichsausschuß des Bundestages wiederholt eingehend beraten worden. Sie sind von allen Seiten gebilligt worden.
Der Erlaß vom 2. Dezember 1949 betreffs Ermessensstundungen aus Billigkeitsgründen regelt eine bis dahin offen gebliebene, aber immer dringender gewordene Frage: Wo liegt die untere Grenze der
Zumutbarkeit für die Entrichtung der Soforthilfeabgabe? Bei welchem Einkommen — nicht nach steuerrechtlichen, sondern nach wirtschaftlichen Begriffen — sollen die Finanzämter eine Stundung der Soforthilfeabgabe aus wirtschaftlichen Gründen bewilligen? Wir haben diese Einkommensgrenze auf 150 DM monatlich mit Zuschlägen von 30 DM für die Ehefrau und 25 DM für jeden vom Abgabepflichtigen unterhaltenen Angehörigen bemessen. Dabei konnten wir naturgemäß nur die Berufsgruppen berücksichtigen, bei denen die Einkünfte nach allgemeingültigen Gesichtspunkten feststellbar sind und in ihrer Höhe einigermaßen feststehen. Auf Gewerbetreibende und Landwirte ist die im Erlaß getroffene Regelung nicht ohne weiteres zahlenmäßig anwendbar. Man denke z. B. bei den Gewerbetreibenden, deren Gewinn- und Verlustrechnung mit einem Verlust abschließt, an die häufigen Fälle, in denen der Abgabepflichtige erhebliche Entnahmen zur Lebensführung gemacht hat. Man muß auch bei der Land- und Forstwirtschaft gerechterweise berücksichtigen, daß ihr Einkommen in den weitaus meisten hier in Betracht kommenden Fällen nach Pauschsätzen ermittelt wird und sie einen großen Teil ihres Lebensbedarfs aus der eigenen Erzeugung deckt.
Die besonderen Verhältnisse der Gewerbetreibenden wie die der Landwirtschaft werden durch die vorhin erwähnten Sondererlasse berücksichtigt. Durch Fragebogen, die die Gesuchsteller auszufüllen haben, werden sie veranlaßt ihre derzeitige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dem Finanzamt klarzulegen. Das Finanzamt erhält damit alle Unterlagen, die es für die Entscheidung über Stundungsgesuche benötigt. Rückfragen werden dadurch im beiderseitigen Interesse vermieden. Es ist damit erreicht worden, daß denen eine Stundung zugute kommt, die sie benötigen, und sie denen versagt bleibt, von denen die Abgabe den Vorschriften des Gesetzes entsprechend gefordert werden muß.
Das sind die Möglichkeiten, die dem Bundesfinanzminister, der an das Gesetz gebunden ist, zur Berücksichtigung von Härten bei der Vollziehung des Gesetzes zur Verfügung stehen. Sie gelten selbstverständlich auch für die am 20. November von der Landwirtschaft zu entrichtende Rate, die deswegen in Höhe von 1/2 festgesetzt ist, weil die an sich am 20. August fällige Rate für die Landwirtschaft bekanntlich entfallen ist.
Damit habe ich zugleich die Frage beantwortet, die im zweiten Teil der Interpellation an die Bundesregierung gerichtet worden ist. Ich habe bestätigt, daß die Notlage der Landwirtschaft der Bundesregierung bekannt ist und von ihr voll gewürdigt wird und daß nach Auffassung der Bundesregierung die Belastung der Landwirtschaft mit der Soforthilfeabgabe auf die Dauer gesehen untragbar ist. Ich habe dabei hinzugefügt, welche Konsequenzen die Bundesregierung für die Gestaltung der endgültigen Regelung, d. h. des Entwurfs eines Lastenausgleichsgesetzes, aus dieser Erkenntnis gezogen hat. Wir haben den Bundestagsbeschluß vom 23. Juni 1950, durch den die Bundesregierung ersucht wird, die Finanzämter anzuweisen, bei Anwendung des Stundungserlasses für die Landwirtschaft vom 13. Februar 1950 der Beseitigung auftretender Härtefälle bei der Soforthilfeabgabe besondere Aufmerksamkeit zu schenken und von der Heranziehung von Sachverständigen bei der Bearbeitung von Stundungsanträgen aus der Landwirtschaft in weitgehendem Umfang Gebrauch zu machen, den Finanzministern der Länder und den Oberfinanzdirektionen selbstverständlich zur Beachtung mitgeteilt. Ich habe die Finanzminister der Länder und Oberfinanzdirektionen im Hinblick auf die hohe Belastung, die den Landwirten durch die Entrichtung einer Halbjahrsrate am 20. November bevorsteht, noch einmal an diesen Bundestagsbeschluß erinnert.
Mehr zu tun, steht, wie erwähnt, nicht in meiner Macht. Ich bin als Bundesfinanzminister an die bestehenden Gesetze gebunden. Ich kann nur mein Bestreben darauf richten, trotz der Schwierigkeiten der Sache und der Möglichkeiten, die sie für Meinungsverschiedenheiten bietet, so schnell wie möglich das endgültige Lastenausgleichsgesetz zu fördern, da ich von ihm einen billigen Ausgleich zwischen den Interessen der Geschädigten und der belasteten Wirtschaft und eine gerechte Verteilung der Lasten innerhalb der Wirtschaft erwarte.
Meine Damen und Herren, die Beantwortung der Interpellation ist erfolgt. Ich darf annehmen, daß eine sofortige Besprechung gewünscht wird. Ich darf mich vergewissern, ob das 50 Abgeordnete wünschen. Ich bitte Sie, mir ein Handzeichen zu geben. — Wünschen 50 Abgeordnete die sofortige Besprechung dieser Interpellation? Ich bitte um ein Handzeichen, wer dafür ist. — Bis jetzt vermag ich beim besten Willen keine 50 Stimmen festzustellen.
— Ja, meine Damen und Herren, ich bin zu meinem Bedauern an die Geschäftsordnung gebunden. Ich möchte auch den Damen und Herren, die die Fragestellung vielleicht noch nicht verstanden haben, Gelegenheit geben, mich zu verstehen. Ich wiederhole die Frage: Wünschen 50 Abgeordnete dieses Hauses die sofortige Besprechung der Interpellation? Die Damen und Herren, die das wünschen, bitte ich, die Hand zu erheben. — Es sind keine 50 Abgeordnete. Damit wird eine Besprechung nicht gewünscht. Dann ist der Punkt 2 der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf die Punkte 3 a und 3 b der Tagesordnung:
3 a) Beratung der Interpellation der Fraktionen der BP, des Zentrums und der WAV betreffend die neuen Jagdverordnungen des US-Hochkommissars ,
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ott und Genossen betreffend Jagd- und Fischereiordnung für Besatzungsangehörige .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen für die Einbringung der Interpellation zu Punkt 3 a) 15 Minuten, für die Begründung des Antrages unter Punkt 3 b) 10 Minuten und für die gemeinsame Aussprache 60 Minuten vor. — Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist.
Zur Begründung der Interpellation erteile ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Etzel. 15 Minuten!
Dr. Etzel (BP), Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vergangenen fünf Jahre waren für jedes redliche deutsche Jägerherz eine Periode grimmigen Leides, für das Wild, das Haar- und Feder-, das Nieder- und Hochwild eine Epoche rücksichtsloser Ausrottung, für den deutschen Haushalt eine Zeit des schmerzlichen Verzichts auf Wildbret, für die Gläubigen des Prin-
zips der Unverbrüchlichkeit des Rechts der permanente Anlaß tiefster Enttäuschung. Besonders kraß lagen die Verhältnisse in der US-Zone. Jeder Amerikaner konnte und kann in den Jagdrevieren der Zone jagen, wann und wo er will. Auf dem Gebiete der Jagd gab und gibt es für ihn weder Eigentum noch Pacht, weder Recht noch Rücksicht. Wenn Deutsche jagen wollten, mußten sie von Amerikanern eingeladen sein.
Es war die hohe Zeit der Wilddiebe, die mit Schlingen und Fallen arbeiteten, aber auch mit Gewehren jagten, die sie versteckt hielten, oder mit Waffen, die aus der russischen Zone, aus Belgien und Frankreich eingeschmuggelt wurden, und es war in jeglicher Hinsicht eine Zeit der Hausse für die Wildschweine. Die waidgerechte Ausübung der Jagd hörte ebenso auf, wie die waidgerechte Hege verfiel. Der Wildbestand ist in einer in der geschichtlichen Zeit der Deutschen nie erhörten Weise dezimiert worden. In vielen Revieren sind ganze Kategorien von Wild überhaupt ausgerottet worden. Sogar die Hasen fehlen, nur die Hasenfüße sind uns geblieben. Was heute an Wildbret auf den Markt kommt, stammt in der Hauptsache aus Jugoslawien, Ungarn, Dänemark und Holland.
Durch die am 26. August dieses Jahres verkündeten amerikanischen Jagdverordnungen vom 11. August, nämlich die Nr. 5, die Jagd- und Fischereiordnung für Besatzungsangehörige, und die Nr. 6, die Jagd- und Fischereiordnung für Personen, die nicht Besatzungsangehörige sind, denen eine ähnliche Regelung in der britischen Zone bereits ein Jahr früher vorausgegangen war, ist endlich auch den deutschen Jägern ,der US-Zone die seit langem in Aussicht gestellte Jagdausübung wieder gestattet worden.
Nach der Verordnung Nr. 5 ist aber den amerikanischen Jägern die Jagdausübung in der gesamten US-Zone ohne Rücksicht auf Eigentum, Pacht und sonstige Rechte an Grund und Boden erlaubt. Sie gibt den Besatzungsangehörigen in den Staatsjagden 80 %, in den Privatrevieren 40 % des Gesamtabschusses frei. Sie räumt ihnen das Recht ein, 50 % des in den Privatjagden erlegten Wildes und das gesamte in den Staatsjagden erlegte Wild ohne Entschädigung mitzunehmen. Sie erlaubt ihnen die Jagd auf Niederwild ohne jede Rücksicht auf das deutsche Reviersystem.
Die Verordnung Nr. 6 mutet den deutschen Jägern für den Abschuß von Schalenwild, d. h. von Reh-, Rot-, Gems- und Schwarzwild zu, jedesmal eine Genehmigung der amerikanischen Jagdbehörde des Resident Officer einzuholen, die noch dazu nur fünf Tage gilt. Dieser jeweils kurzfristigen Lizenz bedarf er auch, wenn er im eigenen Revier die Plage der Wildsäue bekämpfen will. Die Verordnungen sind eine bedauerliche Äußerung des leider immer noch waltenden Geistes der Politik von Casablanca und Ottawa.
Unverbesserliche Optimisten glauben, sich auf Artikel 43 der Haager Landkriegsordnung von 1907, auf die von der Besatzungsmacht genehmigten deutschen Länderverfassungen und auf sonstige deutsche Rechtsvorschriften berufen zu können. Auch einige Interpellanten zählen zu ihnen. Mit welchen Hoffnungen haben sie im vorigen Jahr die Ankündigungen des US-Hochkommissars McCloy vom 9. Juli über seine Deutschland-Politik begrüßt! Sie glaubten, von a nach o, von McClay zu McCloy, vom Anfang zum Ende des Besatzungsregimes zu gelangen. Wie aber sieht die Wirklichkeit aus? Im Angesicht der Freiheitsstatue im Hafen von NewYork haben drei Außenminister gezögert, uns auch nur eine halbe Freiheit zu gewähren. Es wird immer noch demontiert, entflochten und ausgeliefert. Soeben wird mitgeteilt, daß in absehbarer Zeit ein revidiertes Besatzungsstatut durch die Hohen Kommissare erlassen und verkündet werden wird, wenn auf deutscher Seite gewisse Bedingungen und Voraussetzungen erfüllt seien. Und man vergißt nicht anzudeuten, daß es sich nicht um eine Art Petersbergabkommen, sondern offenbar wiederum um ein einseitiges Dekret handeln wird. Die bisherigen Erfahrungen verbieten uns, optimistische Hoffnungen zu hegen und die Hüte in die Luft zu werfen, bevor Kirchweih ist.
Man will unseren Beitrag zur Verteidigung Rumpfeuropas, man wünscht uns als Mitstreiter in dem Bemühen um die Bewahrung des sogenannten abendländischen Ideengutes. Andererseits möchte man uns immer noch in einem politischen Status festhalten, den bitter zu kennzeichnen ich unterlasse, um dem Herrn Präsidenten keine Ungelegenheiten zu bereiten. Ich kann aber nicht darauf verzichten zu bemerken, daß ich eine solche politischpsychologische Grobmechanik nicht mehr begreife, daß ich sie für einen Anachronismus halte, daß es eher möglich ist, mit geometrischen Mitteln einen Kreis in ein Quadrat zu verwandeln und daß eher ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als daß eine solche Politik den erhofften Erfolg und die erwartete Wirkung haben könnte.
Immerhin soll in der vorliegenden Frage — und was ich ausgeführt habe, gilt für die Verordnungen, soweit sie sich auf die Fischerei beziehen, entsprechend — ein Versuch zur Güte gemacht und die rasche und gründliche Revision des geltenden Besatzungsjagdrechts erwirkt werden. Das ist die Absicht unserer Interpellation und der darin gestellten Fragen.
In diesem Zusammenhang darf ich die Bitte aussprechen, es möge die Bundesregierung bei der Alliierten Hochkommission nachdrücklichst dafür eintreten, daß die Genehmigung der Sportwaffenanordnung alsbald erfolgt, damit der deutsche Jäger nicht auf die für ihn schmähliche Verwendung von Frettchen und Fallgruben beschränkt bleibt, sondern wirklich waidgerecht jagen kann. Möge es der Bundesregierung in ihren Verhandlungen mit der Alliierten Hochkommission gelingen, dem deutschen Jäger, der deutschen Jagd und dem deutschen Wild eine wirkliche Habeas-Corpus-Akte zu erwirken!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ott.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bei der Remilitarisierungsdebatte hörte ich den schönen Satz: „Wenn ein Volk Opfer für Freiheit und Recht bringen soll, muß es zunächst einmal die Freiheit und das Recht besitzen." Dieser Feststellung kann wohl jeder Mensch seine Zustimmung geben. Wer sich daher noch ein Gefühl für Recht und Gerechtigkeit bewahrt hat, der ist entsetzt über die Jagd- und Fischereiordnung für Besatzungsangehörige des Hohen Kommissars der USA, die nach Art. 1 den Besatzungsangehörigen „nach Maßgabe der Bestimmungen dieser Verordnung und der zu ihr erlassenen Durchführungsverordnung" gestattet, auf allen Grund und Boden und in sämtlichen Gewässern der amerikanischen Besatzungszone ohne Rücksicht auf Eigentum, Pacht oder sonstiges Recht an Grund
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und Boden und Gewässern Wild zu jagen und zu fischen. Es heißt dann weiter:
Sofern nicht nachstehend ausdrücklich etwas anderes vorgeschrieben ist, sind die Vorschriften des deutschen Jagd- und Fischereirechtes nicht auf Besatzungsangehörige anzuwenden.
Alles das muß jeder rechtlich denkende Mensch ablehnen.
Diese Jagdverordnungen Nr. 5 und 6 bringen zwar den deutschen Jägern der US-Zone die schon längst in Aussicht gestellte Jagdausübung, aber leider mit dem bitteren rechtswidrigen Beigeschmack, daß den Besatzungsangehörigen in der gesamten US-Zone ohne Rücksicht auf Eigentum, Pacht- oder sonstige Rechte an Grund und Boden gestattet wird, bei Staatsjagden 80 %, bei Privatjagden 40 % vom Gesamtabschuß abzuschießen, wobei sie 50 % des in den Privatjagden und sämtliches in den Staatsjagden erlegte Wild ohne jede Entschädigung sich aneignen können.
Den deutschen Jägern dagegen wird nach der Verordnung Nr. 6 zugemutet, fur den Abschuß von Schalenwild, Reh-, Rot-, Gams- und Schwarzwild jedesmal eine Genehmigung des amerikanischen Hochkommissars einzuholen, die noch dazu nur 5 Tage gilt. Daß die deutschen Jäger noch dazu unter amerikanische Gerichtsbarkeit gestellt werden sollen, ist ein Hohn im wahrsten Sinne des Wortes.
Es sei vor diesem Hohen Hause und vor aller Welt festgestellt, daß erstens diese Verordnungen gegen internationales und deutsches Recht verstoßen. Die Haager Landkriegsordnung vom 18. 10. 1907, die auch von den USA unterzeichnet wurde, besagt in den Artikeln 43, 46 und 51, daß das Privateigentum, die Ehre, die Rechte der Familie, das Leben der Bürger usw. nicht angetastet und nicht verletzt werden dürfen. Zweitens verstoßen diese Verordnungen gegen das von der US-Hochkommission genehmigte Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, und zwar gegen Art. 14. Drittens verstoßen diese Verordnungen gegen die Landesgesetze, die ebenfalls von den Besatzungsmächten gebilligt wurden. Viertens verstoßen sie gegen alle Grundsätze der Demokratie, in der gleiches Recht für alle gilt. Schließlich verstoßen sie gegen jede waidmännische Gepflogenheit und gegen jedes waidmännische Gefühl.
Kann ein Amerikaner in einen Bauernhof gehen und dort ein Schwein oder eine Kuh oder sonst irgendein Tier totschießen? Wäre das nicht Raub im wahrsten Sinne des Wortes? Genau das gleiche gilt für das Jagd- und Fischereiwesen, gleichgültig, ob es sich um Eigentum oder Pacht handelt. Kann man also dem deutschen Jäger zumuten, daß er Steuern und Pachtgelder unter diesen rechtswidrigen Umständen zahlen soll?
Solche Verordnungen tragen niemals zur Verständigung der Nationen bei; denn hier wird das Recht als solches verletzt. Ich darf deshalb das Hohe Haus bitten, meinem Antrag zuzustimmen, der wie folgt lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, den Hohen Kommissar der Vereinigten Staaten für Deutschland zu veranlassen, die Verordnung Nr. 5 vom 11. August 1950 betreffend Jagd- und Fischereiordnung für Besatzungsangehörige — insbesondere Art. 1 — einer Revision zum Schutze des Eigentumsbegriffs zu unterziehen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Niklas.
Dr. Niklas, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Interpellation Dr. Etzel und Genossen und zum Antrag Dr. Ott und Genossen darf ich im Namen der Bundesregierung folgendes bemerken. Auf dem Gebiete des Jagdwesens ist im amerikanischen Besatzungsgebiet durch die Verordnung Nr. 5 nebst Durchführungsverordnungen Nrn. 1, 2 und 3 sowie durch die Verordnung Nr. 6 im britischen Besatzungsgebiet und durch die Verordnung Nr. 210 nebst Durchführungsverordnungen 1, 2 und 3 vor kurzem eine Neuregelung erfolgt, durch welche die in der Interpellation erwähnte Verordnung Nr. 190 nebst Durchführungsverordnung Nr. 1 ersetzt wurde.
Die neuen Bestimmungen greifen in die privatrechtlichen Rechtsverhältnisse des Grundeigentümers und Jagdberechtigten weitgehend ein. Sie finden nach Auffassung der Bundesregierung weder in den Bestimmungen des Besatzungsstatutes noch in den allgemein anerkannten internationalen rechtlichen Bestimmungen eine hinreichende Grundlage. Sie sind auch nicht vereinbar mit dem Grundgesetz, den Länderverfassungen und den im amerikanischen Besatzungsgebiet erlassenen Landesjagdgesetzen. Da die Jagdausübung im amerikanischen Besatzungsgebiet den deutschen Jägern praktisch ganz untersagt war, haben diese mit besonderer Hoffnung auf den Erlaß der neuen amerikanischen Jagdanordnungen gewartet. Die sehr langwierigen Verhandlungen, in denen deutsche Stellen und auch mein Ministerium immer wieder versucht haben, durch zweckentsprechende Vorschläge eine allgemein befriedigende Regelung zu erreichen, haben leider nicht zu diesem Ergebnis geführt. Die Anordnungen Nr. 5 und 6 des Amerikanischen Hohen Kommissars haben in der deutschen Öffentlichkeit und insbesondere bei den deutschen Jägern einen Widerhall gefunden, der deutlich die große Enttäuschung über diese unerwartet ungünstige Regelung zeigt. Der Deutsche Jagdschutzverband, die Schutzgemeinschaft Deutsches Wild, zahlreiche örtliche Jagdverbände und die deutsche Jagdpresse haben scharfe Proteste erhoben. Sie sind meines Erachtens zum großen Teil berechtigt, weil durch die Anordnungen die nach deutschem Recht bestehenden Eigentumsrechte verletzt werden und eine erhebliche Gefährdung der frei lebenden Tierwelt erfolgt. Es ist auch unmöglich, in der übervölkerten kleinen Bundesrepublik Westdeutschland das gleiche jagdliche Lizenzsystem durchzuführen, wie es in den einen Kontinent darstellenden Vereinigten Staaten von Amerika berechtigt sein mag. Eine alsbaldige Abänderung der Anordnungen in einer sowohl für amerikanische wie deutsche Jäger tragbaren Lösung halte ich daher für notwendig.
Die zuständien Stellen der Bundesregierung führen dieserhalb bereits Besprechungen mit Vertretern der US High Commission, um eine Änderung der amerikanischen Verordnungen herbeizuführen. Sie haben bisher das Ergebnis gehabt, daß dem Amerikanischen Hohen Kommissar bestimmte Vorschläge für eine Änderung gemacht werden sollen, die gegebenenfalls zwischen deutschen und amerikanischen Sachverständigen erörtert werden könnten.
Zu den einzelnen Punkten der Interpellation bemerke ich folgendes.
Zu Ziffer 1. Es ist beabsichtigt, baldmöglichst die Frage der deutschen Eigentums- und Pachtrechte endgültig zu klären.
Zu Ziffer 2. Die Frage der entschädigungslosen Entnahme von Wildbret zu Lasten der Jagdberechtigten ist zur Zeit bereits Gegenstand von Besprechungen innerhalb der US High Commission.
Zu Ziffer 3. Die Zahl der alliierten Jäger im US- Besatzungsgebiet wird baldmöglichst von der US High Commission festgestellt werden. Je nach der Anzahl der alliierten bzw. der deutschen Jäger soll die Abschußquote der Besatzungsangehörigen geregelt werden.
Zu Ziffer 4. Die US High Commission ist bereit, die Frage der Ausübung der Jagd auf Niederwild durch Besatzungsangehörige mit den in Frage kommenden deutschen Stellen zu beraten und eine Änderung vorzunehmen, wenn deutscherseits entsprechende, ihr annehmbar erscheinende Vorschläge gemacht werden. Solche Vorschläge sind in Zusammenarbeit mit den Landesregierungen in Vorbereitung.
Zu Ziffer 5. Die Aufsicht der Jagdbehörden der Besatzungsmächte über die deutschen Jäger wird von der Bundesregierung für unnötig gehalten, da der Abschuß durch die deutschen Jäger von den deutschen Jagdbehörden überwacht wird. Die US High Commission ist bereit, über deutsche Vorschläge zu verhandeln. Solche Vorschläge sind ebenfalls in Gemeinsamkeit mit den Ländern in Vorbereitung.
Zu Ziffer 6. Die deutschen Jäger unterliegen den Vorschriften des deutschen Rechts und der deutschen Gerichtsbarkeit, soweit in der Verordnung Nr. 6 für sie nicht besondere Pflichten begründet worden sind.
Der Herr Abgeordnete Dr. Etzel hat im Anschluß an die Begründung seiner Interpellation noch den Wunsch geäußert, daß möglichst bald der Gebrauch von Sportwaffen genehmigt werden möge. Das ist in der Zwischenzeit geschehen.
Meine Damen und Herren! Interpellation und Antrag sollen gemeinsam besprochen werden. Wird eine Besprechung der Interpellation gewünscht? Sind 50 anwesende Mitglieder bereit, einen solchen Antrag zu unterstützen? — Das ist der Fall. Dann erteile ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Funk.
— Ich habe 52 gezählt ...
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist Ihnen allen bekannt, daß in einzelnen Ländern bereits Jagdgesetze geschaffen worden sind. Am 11. August dieses Jahres hat die US-Hochkommission die Jagdverordnungen Nr. 5 und Nr. 6 erlassen. In Art. 1 der Jagdverordnung Nr. 5, die für amerikanische Besatzungsangehörige gilt, ist zu lesen, daß Besatzungsangehörige auf allem Grund und Boden ohne Rücksicht auf Eigentums-, Pacht- oder sonstige Rechte jagen dürfen Wie ist die Prozedur dabei? Der betreffende amerikanische Besatzungsangehörige wendet sich an den hierfür zuständigen Offizier und sucht um eine Jagderlaubnis nach. Diese wird ihm in der Regel erteilt. Daß der Besatzungsangehörige kein Interesse daran hat, eine Jagd zu hegen und zu pflegen, ist für uns verständlich. In der Praxis kann festgestellt werden, daß da, wo amerikanische Besatzungsangehörige öfter auf einer Jagd erscheinen, in verhältnismäßig kurzer Zeit nur noch sehr wenig Wild da ist. Das Wild nimmt ab. Hasen und Rehe nehmen ab. Eine Wildart nimmt aber nicht ab; das sind die Wildschweine, weil sie besonders schwer zu schießen sind.
Die Abschußquoten für Besatzungsangehörige sind wesentlich höher als die der einheimischen Jäger. Wenn man sich noch überlegt, daß der Besitzer oder Pächter einer deutschen Jagd Pachtgeld zahlen muß, daß er in der Regel kein Gewehr hat und das Wild von den Besatzungstruppen abgeschossen wird, die das Fleisch gewissermaßen als Jagdbeute mitnehmen, dann kann man verstehen, welch tiefe Erbitterung diese Verordnung bei der deutschen Jägerschaft ausgelöst hat.
Die Verordnung Nr. 6 regelt die Jagdausübung für Zivilisten. Besitzer oder Pächter einer deutschen Jagd müssen, falls sie nicht vor ein amerikanisches Militärgericht kommen wollen, bei dem zuständigen amerikanischen Offizier melden, daß sie in einer gewissen Frist - in der Regel sind es fünf Tage - schießen wollen. Hat der deutsche Jäger in dieser Frist das angegebene Wild nicht geschossen, dann verfällt die Schießerlaubnis. Das Bedauerliche dabei ist, daß zu einem sehr hohen Prozentsatz die deutschen Jäger auch dazu nicht in der Lage sind, weil sie keine Gewehre haben. Seit einem Jahr wartet die deutsche Jägerschaft darauf, mit 250 000 Gewehren ausgerüstet zu werden. Sie wartet heute noch umsonst. Ich habe vorhin erst von einem Mitglied dieses Hauses erfahren, daß es seit einem Jahr mit Waffenbezugsschein ausgerüstet ist, daß es ihm aber nicht möglich war, ein Gewehr zu erhalten.
Meine Damen und Herren! Wenn ich hier darüber Klage führe, daß soviel geschossen wird, muß ich doch bei der Wahrheit bleiben. Ich muß auch zugestehen, daß es Jagden gibt, in denen über derartige Zustände nicht geklagt wird, die Jagden nämlich, die man mit dem Jeep nicht erreichen kann, bei denen es notwendig ist, sich vorher einige Stunden lang bergsteigerisch zu betätigen.
Seit fünf Jahren warten die Land- und Forstwirtschaft, die Gemeinden und die Jägerschaft darauf, endlich zu ihrem guten Recht zu kommen. In meiner engeren Heimat in Bayern beträgt der Jagdzinsausfall jährlich 5 Millionen DM. Man schätzt den Schaden, der durch das mitgenommene Fleisch entsteht, vorsichtig auf 2 Millionen DM.
Nach Erlaß dieser beiden Verordnungen aber kann man nichts anderes sagen, als daß sie ein Diktat bedeuten. Diese beiden Verordnungen verstoßen, wie schon erwähnt, nicht nur gegen das Bonner Grundgesetz, gegen die Verfassungen der einzelnen Länder und gegen die von den Amerikanern bereits anerkannten deutschen Jagdgesetze. Sie verstoßen ebenso gegen die Haager Landkriegsordnung vom 18. Oktober 1907, die schließlich von den Vereinigten Staaten auch unterschrieben worden ist. Es ist kein vernünftiger Grund dafür ersichtlich, den Deutschen weiterhin die Jagdhoheit vorzuenthalten. Das ist aber weiterhin der Fall, wenn nicht deutsche Gesetze und Behörden, sondern amerikanische Verordnungen dem deutschen Jäger vorschreiben, ob, wann und wie er seine Jagd ausüben darf.
Meine Damen und Herren! Wir befinden uns zur Zeit in der Entwicklung auf ein gemeinsames
Europa hin. Wir wissen, daß wir, um zu diesem Ziel zu kommen, manches Zugeständnis werden machen müssen. Dieses Ziel kann aber nur dann erreicht werden, wenn man uns Gleichberechtigung gewährt. Was man den' Deutschen auf diesem Gebiete und mit diesen Verordnungen gebracht hat, kann jedoch als nichts anderes bezeichnet werden als eine ungeheuerliche Zumutung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Faßbender.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Kapitel Jagd und die damit zusammenhängenden Fragen gehören wohl zu dem Trübsten der Zeit seit 1945. Im Jahre 1945 wurde es dem deutschen Jäger unmöglich gemacht, weiterhin seiner Pflicht gegenüber dem Landvolk hegend und mit der Büchse schützend nachzukommen. Wie ist denn die Entwicklung seit jenen Tagen gelaufen? An die Stelle der deutschen Jagdberechtigten traten die Vertreter der Besatzungsbehörden. Es war leicht, Rehwild und anderes sogar vom Anfänger zu erlegendes Wild in größerem Maße abzuschießen. Wir haben erlebt, daß die Rehwildbestände in ganz kurzer Zeit dezimiert waren. Ja, es hat eine Zeit gegeben, in der es tatsächlich ein Kunststück war, draußen im Wald noch ein Stück Rehwild zu sehen, und zwar in Revieren, die einstmals stark mit diesem Wild besetzt waren, was für die Landwirtschaft kaum schädigende Wirkung hatte.
Auf der anderen Seite haben sich dadurch, daß der deutsche Jäger nicht mehr in der Lage war zu jagen, die Wildarten entwickelt, die wir kurzweg als Schadwild bezeichnen müssen. Denken wir zurück: wir sind drei Phasen durchlaufen. In der ersten Phase war das Recht, überhaupt Waffen zu tragen und Wild zu jagen, in der amerikanischen Zone einzig und allein der Besatzungsmacht vorbehalten. Die Wildschweine, jenes Wild, das sich zur Qual weiter bergbäuerlicher Dörfer entwickelt hat, nahmen in einem Maße zu, wie wir es bis dahin in Deutschland überhaupt nie gekannt hatten. Wir haben erlebt, daß in diesen Bergdörfern Wildschäden von 50 und 60 % vorhanden waren. Wir haben erlebt, daß die bäuerliche Bevölkerung in jenen Wildschadengebieten nicht mehr bereit war, überhaupt noch Herbstbestellungen, besonders nach Kartoffeln, durchzuführen.
Außerdem hat sich ein anderer Wildbestand entwickelt, der, wenn er zu Felde zieht, der bäuerlichen Produktion auch sehr starken Abbruch tut, der des Rotwildes.
Meine Damen und Herren! Wir haben sowohl in den Landtagen wie im Wirtschaftsrat immer wieder auf die volkswirtschaftlichen Schäden hingewiesen, die dadurch verursacht werden, daß diesem Schadwild nicht zu Leibe gerückt werden konnte. Leider Gottes jahrelang ohne Erfolg. Millionenbeträge deutscher Agrarerzeugnisse sind in einer Zeit vernichtet worden, als man Bahnfahrten unternehmen mußte, um einige Kartoffeln oder ein Stück Brot zu bekommen.
- Auch ich habe das erlebt, verehrter Herr Kollege, davon dürfen Sie überzeugt sein; denn ich bin nicht berufsausübender Landwirt, sondern Verbraucher wie Sie.
Hinzu kommen die Schäden, die den Gemeinden dadurch entstanden sind, daß keine Jagdpachten mehr gezahlt wurden. Vergessen wir doch nicht, in einer Reihe gerade der ärmsten Gemeinden haben die Beträge, die durch Jagdpacht hereingekommen sind, ich möchte sagen, den Hauptbestandteil des Gemeindeetats dargestellt.
Dann kam die erste Verordnung, die es wenigstens einem Teil der deutschen Berufsjäger ermöglichte, dem Wild zu Leibe zu rücken, nämlich dem Schwarzwild, das hauptsächlich sich in den deutschen Fluren schädigend betätigte. Ich möchte an dieser Stelle nicht versäumen, den beamteten Grünröcken den Dank des Landvolkes dafür auszusprechen, daß sie in Tag- und Nachtschicht — wenn ich einmal so sagen darf — ihre Pflicht getan haben, um wenigstens die Schäden, die diese Wildart verursacht hat, auf ein Maß herabzudrücken, das nicht erträglich, aber doch erträglicher ist, als es vorher war.
Meine Damen und Herren! Nach langer Zeit kam dann am 11. August jene amerikanische Jagdverordnung heraus, die im größten Teil der deutschen Jägerschaft Empörung und Erbitterung auslöste, je nach Temperament. Was sagt denn diese Jagdverordnung? Klipp und klar, nüchtern und eindeutig, daß das Vorrecht der amerikanischen Besatzungsbehörde in aller Form aufrechterhalten wird! In dieser Besatzungsanordnung heißt es, daß der amerikanische Besatzungsangehörige in Deutschland ohne Rücksicht auf Eigentumsverhältnisse jagen darf. Der deutsche Jäger zahlt die Pacht, der amerikanische Jäger schießt das Wild und darf nach dieser Besatzungsanordnung auch aus den privaten Revieren 50 % des Wildbrets ohne Zahlung mitnehmen. Das ist etwas, was unter zivilisierten Völkern eigentlich unmöglich sein sollte. Daß der eine nur zahlt, der andere aber einen Teil oder alles nimmt, ist leider Gottes ein Zustand, den man vielleicht in den Gebieten als zu Hause betrachten kann, die ostwärts von uns liegen.
Daß es aber der Vertreterin einer demokratischen
Macht vorbehalten geblieben ist, die Eigentumsrechte derartig mit Füßen zu treten, macht uns
mehr als erstaunen. Wir müssen bei dieser Gelegenheit die Bundesregierung allen Ernstes
ersuchen, bei dem amerikanischen Hohen Kommissar darauf hinzuwirken, daß diese für die
deutsche Jägerschaft diskriminierenden Bestimmungen aufhören und daß das Jagdrecht wieder,
wie es in Deutschland immer war, integrierender
Bestandteil des Eigentumsrechts schlechthin wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Volkholz.
Meine Damen und Herren! Mit einem Idealismus ohnegleichen zahlten und zahlen zur Zeit noch alle deutschen Jäger ihre Jagdpachtschillinge und Jagdpachten. Sie haben auch in diesem Jahr die Jagdscheingebühren bezahlt in der Hoffnung, in diesem Jahr endlich Jagdwaffen zu bekommen. Wir glauben überhaupt, daß mit der Jagdwaffenverteilung alle Klagen gegenüber der alliierten Jagdausübung erledigt werden könnten. Statt aber Jagdwaffen zu bekommen, erhielten wir deutschen Jäger die neue Jagdverordnung der Amerikaner. Wir möchten deshalb die Bundesregierung bitten, mehr Interesse für die deutschen Jäger zu
zeigen, die einen großen Teil der westdeutschen Bevölkerung darstellen. Es geht nicht an, daß im Ernährungsministerium sich praktisch überhaupt kein Mensch darum kümmrt, daß die Bewaffnung der Jägerschaft endlich vorgenommen wird.
In den meisten Reden wird die ganze Schuld auf den Amerikaner und auf die Alliierten abgeschoben. Ich möchte deshalb auf einen kleinen Artikel hinweisen, der im „Deutschen Jäger" widerspruchslos veröffentlicht wurde, und bitte um die Genehmigung des Hohen Hauses, ihn verlesen zu dürfen. Es ist ein Brief des US-Resident-Officer in Heilbronn. Er wurde vor ungefähr 14 Tagen veröffentlicht. In diesem Brief heißt es folgenaermaßen:
Um auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben und Ihnen die Gelegenheit zu geben, den wahren Sachverhalt bezüglich Jagdwaffen für deutsche Jäger zu veroffentlichen, haben wir uns erlaubt, auf die nachfolgenden genauen Angaben hinzuweisen, welche vom militärischen Sicherheitsamt unmittelbar bestätigt worden sind.
Am 30. August 1950 erhielt das Sicherheitsamt von der Bundesregierung den ersten Gesetzesentwurf hinsichtlich des Gebrauches von Jagdwaffen. Mit Ausnahme zweier geringer Beanstandungen wurde der Entwurf genehmigt. Diese Beanstandungen wurden dem verantwortlichen Beamten im Bundesernährungsministerium sofort telefonisch mitgeteilt.
Am 13. September 1950 erhielt das Sicherheitsamt ein vom 6. September 1950 datiertes Schreiben der deutschen Regierung, in welchem diese ihre Ansichten bezüglich der vorgeschlagenen Abänderung formulierte.
Noch am gleichen Tage informierte das Sicherheitsamt die deutsche Regierung dahingehend, daß es die Ansichten der deutschen Regierung nicht teilen könne, fügte jedoch hinzu, daß, sofern die deutsche Regierung jenen Punkt des Gesetzentwurfes, welcher nebenbei bemerkt die Kontrolle des Exports von in Deutschland hergestellten Jagdwaffen behandelte, abändern würde, das Sicherheitsamt keine weiteren Einsprüche gegen den Entwurf zu erheben gedenke und ihn genehmigen würde, falls er mit der entsprechenden Abänderung nochmals zur Vorlage käme.
Zwischen dem 13. September und 9. Oktober 1950 führte ein Beauftragter des Sicherheitsamtes mindestens fünf Telefongespräche mit dem Ernährungsministerium, um zu erfahren, welche Schritte die deutsche Regierung hinsichtlich der strittigen Angelegenheit unternommen habe. Dem Beauftragten wurde schließlich die Auskunft zuteil, daß der für den Gesetzesentwurf zuständige Beamte im Ministerium auf Urlaub weile und daß bis zu seiner Rückkehr nichts getan werden könne.
Am 13. Oktober 1950 erhielt das Sicherheitsamt endlich ein Schreiben des Ernährungsministeriums, datiert vom 9. Oktober 1950, in welchem das Ministerium die Debatte über die Frage des Exports von in Deutschland hergestellten Jagdwaffen fortsetzte.
Als Ergebnis dessen befindet sich dieser Gesetzesentwurf noch in den Händen des Ernährungsministeriums und wird weder vom militärischen Sicherheitsamt noch von irgendeiner
anderen alliierten Dienststelle zurückgehalten oder hinausgezögert.
Es folgt die Unterschrift des amerikanischen Offiziers.
Sie sehen daraus, daß praktisch die Bundesregierung schuld daran war, daß bis heute die deutschen Jäger noch keine Jagdwaffen erhalten konnten. Es ist bekannt, daß bereits seit zehn Tagen die Genehmigung dieses Gesetzentwurfs bei der Bundesregierung vorliegt, aber noch keinerlei Bestimmungen ergangen sind, nach denen die Bewaffnung endlich durchgeführt werden könnte. Die deutsche Jägerschaft bemerkt deshalb mit Entrüstung, daß hier irgend etwas nicht stimmt, und wir ersuchen die Bundesregierung, die verantwortlichen Beamten im Ernährungsministerium und in allen Ministerien sofort zu entlassen, wenn sie eine derartige Interesselosigkeit an der Bewaffnung der deutschen Jäger zeigen.
Das Wort hat Abgeordneter Dr. Glasmeyer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rechtsverhältnisse der deutschen Jagd, also des Jägers und der Jagdverpächter, sind nach Ansicht der Jagdverbände nach folgenden Grundsätzen zu regeln:
Punkt 1. Grundlage. Jagdrecht ist an Grund und Boden gebunden und privates Eigentum des Grundeigentümers. Der Wildbestand ist unter Berücksichtigung der Belange der Ernährungs-, Land-und Forstwirtschaft zu erhalten.
Punkt 2. Die Reviere dürfen nicht zu klein sein, Eigenjagden mindestens 75 ha, gemeinschaftliche Reviere mindestens 250 ha, da andernfalls das Wild zu stark gestört und in seinem Bestand gefälirdet wird.
Es ist mir bekannt, meine Damen und Herren, daß gerade gegen diesen letzten Punkt sehr viel Sturm gelaufen wird. Ich möchte aber doch zu bedenken geben, daß es viel wichtiger ist, das Wild zu hegen und zu pflegen, als es nur abzuschießen und dann für unsere Nachfolger, also für unsere Kinder und Kindeskinder, überhaupt nichts übrig zu lassen.
Punkt 3. Nur Jäger mit Prüfung und Erfahrung dürfen Reviere haben, daher mindestens drei Jahresjagdscheine. Auch hiergegen wird Sturm gelaufen. Aber, meine Damen und Herren, bedenken Sie folgendes: Was hat es schließlich für einen Sinn, wenn irgendein Sonntagsjäger, statt Böcke und Rehe abzuschießen, Ochsen und Kühe schießt.
Wer als alter Jäger heute noch eine Jagd hat, hat diese drei Jahresjagdscheine ohne weiteres. Wer aber als neuer Jäger anfangen will, muß auch die entsprechende Prüfung ablegen.
Punkt 4. Schadwildbekämpfung durch Besatzung ist unzulänglich. Hege und Pflege des Wildes und Waldes kann nur mit den deutschen Jägern durchgeführt werden. Bekämpfung des Wilderertums ist nur möglich, wenn deutsche Jäger Jagdwaffen haben und im Revier Einfluß erhalten.
Punkt 5. Der Jagdschutz im Hauptberuf darf nur von geprüften Berufsjägern und Forstbeamten ausgeübt werden, da diese gleichzeitig Gehilfen des Staatsanwalts im Falle von Vergehen oder Verbrechen sind.
Meine Damen und Herren! Ich sehe, meine Redezeit ist abgelaufen. Ich möchte Sie aber bitten, dem
Jagdberuf Ihre Aufmerksamkeit zu widmen, damit endlich des Jägers Wunsch in Erfüllung gehen kann:
Ein gutes Revier, einen braven Hund,
Verläßliche Waffen in ernster Stund',
Ein eigenes Häuschen am Waldesrand
Mit blühenden Bäumen auf eigenem Land, Mein Schatzerl dazu am eigenen Herd — Hat sonst was auf Erden wohl größeren Wert?
Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir ziemlich zu Beginn der Arbeit dieses Hauses in einem Unterausschuß des Ernährungsausschusses über die Grundzüge zu einem neuen deutschen Jagdgesetz berieten, glaubte die Bundesregierung, uns für die nächste Zukunft eine wesentliche Revision der bis dahin bekannten amerikanischen und britischen Standpunkte in den Fragen des Jagdrechts in Aussicht stellen zu können. Mit diesen Erwartungen sind die Beratungen am deutschen Jagdgesetz fortgeführt worden.
Gegenüber diesen Erwartungen ist die amerikanische Anordnung, die hier im wesentlichen zur Debatte steht, selbstverständlich eine schwere Enttäuschung. Ich glaube nicht, daß es irgend jemanden gibt, der für diese Haltung Verständnis oder eine Erklärung haben wird, und es scheint mir demgegenüber eigentlich geradezu überflüssig, nun auch noch vom sozialdemokratischen Standpunkt aus zu betonen, daß auch wir für diese Haltung kein Verständnis haben, daß wir sie aufs schärfste mißbilligen und meinen, daß die Zeiten vorbei sind, in denen man glaubte, so. verfahren zu sollen.
Wir haben vom Herrn Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gehört, daß die Regierung weiter bemüht ist, hier zu einer erträglichen Lösung und zur Anerkennung der Rechtsstandpunkte zu kommen. Wir begrüßen das. Wahrscheinlich ist es sehr wesentlich für die Anstrengungen der Regierung, wenn es im Bundestag zu einer einheitlichen Unterstützung des Regierungsstandpunktes den Besatzungsmächten gegenüber kommt, und wir möchten daran gern mitwirken.
Ich glaube aber, meine Damen und Herren, daß gerade angesichts der Selbstverständlichkeit die Wirkung höchstens beeinträchtigt wird, wenn man die Gründe zu weit herholt, wenn man zu große Worte verwendet. Das Jagdrecht ist ja nur ein Teil des Eigentums, zwar einer, der mit außerordentlich viel Gefühlen und sehr respektablen Gefühlen behaftet ist, aber nur einer, und eine allzu dramatische oder eine allzu lyrische Untermalung dieses Rechtsanspruchs scheint mir eher abträglich als wirkungsvoll zu sein. Deswegen möchte ich mich auf diese Ausführungen beschränken.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
— Herr Bundesminister!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Volkholz hat meinem Ministerium vorgeworfen, daß wir in der Frage der Wiederbeschaffung der Jagdwaffen
geschlafen hätten. Dem Resident Officer von Heilbronn, dessen Brief er expressis verbis zitierte, ist
ein kleiner Irrtum im Adressaten unterlaufen. Er
spricht andauernd vom Ernährungsministerium. In
Wirklichkeit ist nicht mein Ressort, sondern das
Wirtschaftsministerium für diese Frage zuständig.
Wir haben von Anfang an mit dem Wirtschaftsministerium die Vereinbarung getroffen, daß es
als zuständiges Ressort die Verhandlungen führt.
Nun darf ich aber zur Rechtfertigung des Wirtschaftsministeriums doch das eine sagen: Nachträglich sieht die Sache viel einfacher aus, als es ursprünglich war, und das Wirtschaftsministerium hatte in den Vorbesprechungen mit den alliierten Behörden erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden. Daß dadurch manches verzögernde Moment eingetreten ist, soll nicht geleugnet werden. Ich muß mich aber mit Entschiedenheit dagegen wenden, daß das die Schuld der deutschen Behörden ist.
Keine weiteren Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir stimmen ab über den Antrag Drucksache Nr. 1414. Ein Antrag auf Überweisung an einen Ausschuß ist nicht gestellt. Wer für die Annahme des Antrages auf Drucksache Nr. 1414 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Einstimmig angenommen. Dieser Punkt der Tagesordnung ist erledigt.
Dann rufe ich auf Punkt 4 der Tagesordnung. Gemäß den Empfehlungen des Ältestenrates habe ich Ihnen vorzuschlagen, daß 4 a) bis i) zusammen begründet und behandelt werden:
a) Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Winterbeihilfe ;
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Degener, Pelster und Genossen betreffend Steuerfreiheit für Weihnachtsgratifikationen ;
c) Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend Freigrenze für Weihnachtsgratifikationen ;
d) Erste Beratung des von der Fraktion des Zentrums eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes ;
e) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Einmalige Weihnachtsbeihilfen ;
f) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Änderung der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung ;
g) Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend Erhöhung der Fürsorgesätze ;
h) Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend Winterbeihilfe für Hauptunterstützungsempfänger ;
i) Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend Verbilligung von Strom und Gas für Hauptunterstützungsempfänger .
Für die Begründung der Interpellation und der Anträge schlägt der Ältestenrat 15 Minuten vor, für die Aussprache 60 Minuten. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wer begründet die Interpellation und die Anträge? — Zur Begründung hat das Wort Frau Abgeordnete Korspeter.
Frau Korspeter , Interpellantin: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Landesbezirksvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes von Niedersachsen hatte den Niedersächsischen Landtag aufgefordert, rechtzeitig ein Gesetz über eine Winterbeihilfe zur Beschaffung von Winterfeuerung und Einkellerungskartoffeln für alle Erwerbslosen vorzulegen. Dieser Antrag wurde vom Landtag gebilligt und, da die Kompetenzen für die Bereitstellung von solchen Mitteln beim Bund liegen, dem Bundesrat als Gesetzentwurf zur Beschlußfassung zugeleitet. Ziel dieses Gesetzentwurfs sollte es sein, die Beschaffung von Winterfeuerung und -kartoffeln, die aus der laufenden Unterstützung nicht bezahlt werden können, für diesen Personenkreis sicherzustellen. Inzwischen hatten auch andere Länder, angeregt durch die Landesbezirksvorstände des Deutschen Gewerkschaftsbundes, darüber Beschlüsse herbeigeführt, so daß die ursprünglich niedersächsische Angelegenheit eine Sache des Bundes wurde.
Die zuständigen Fachausschüsse des Bundesrates hatten sich positiv zu dem niedersächsischen Gesetzentwurf eingestellt, und es wurde eigentlich von den Antragstellern erwartet, daß auch das Plenum des Bundesrates sich positiv zu diesem Gesetzentwurf entscheiden würde und ihn dringlich an die Bundesregierung weiterleiten würde. Bedauerlicherweise konnte sich der Bundesrat dazu nicht entschließen. Es wurde wohl von allen Seiten anerkannt, daß die Gewährung einer einheitlichen Winterbeihilfe im Bundesgebiet eine vordringliche Sache sei; es wurde auch der dringliche Wunsch geäußert, daß diese Beihilfe möglichst schnell ausgezahlt werden sollte. Trotzdem aber wollte sich der Bundesrat wegen der finanzpolitischen Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern nicht durch eigene Anträge in eine taktisch schwierige Situation bringen, und deshalb wurde vom Bundesrat in seiner Mehrheit beschlossen, diesen Antrag nicht als Gesetz, sondern nur als Anregung an die Bundesregierung weiterzuleiten.
Weiterhin wurde auch auf Veranlassung von Niedersachsen die Bundesregierung durch den Bundesrat aufgefordert, für alle Fürsorgeempfänger, die ihre Unterstützung als Kriegsfolgehilfeempfänger erhalten, Mittel für eine Winterbeihilfe bereitzustellen, da der Bund nach einem gemeinsamen Erlaß des Bundesinnenministers und des Bundesfinanzministers vom 17. März 1950 75 % der Kosten unter der Voraussetzung übernimmt, daß die beiden Bundesminister vorher zugestimmt haben.
Die Sitzung des Bundesrates fand am 22. September 1950 statt. Aber ich gehe sicher nicht fehl, wenn ich annehme, daß es der Bundesregierung bekannt war, daß sich der Bundesrat und seine Ausschüsse bereits längere Zeit vorher mit der Notwendigkeit der Zahlung einer Winterbeihilfe beschäftigt hatten, und sie hätte eigentlich reichlich Zeit gehabt, sich mit diesem Problem zu beschäftigen, um wegen der Wichtigkeit und Dringlichkeit der Aufgabe möglichst schnell für eine positive Regelung zu sorgen. Angesichts der großen Not dieses Personenkreises, der auf eine Winterhilfe angewiesen ist, und auch angesichts der fortgeschrittenen Jahreszeit bedauern wir es sehr, daß sich der Bundesrat nicht entschließen konnte, die Gesetzesvorlage als seinen eigenen Initiativantrag an die Bundesregierung weiterzuleiten, und daß er sich nur mit einer Anregung begnügte.
Noch mehr, meine Herren und Damen, bedauern wir aber, daß sich das Kabinett so lange Zeit gelassen hat, bis es zu einem Entschluß kam, und zwar zu dem Erlaß vom 3. November 1950. Die Beratungen in den Ministerien scheinen in einem Schneckentempo vorangegangen zu sein, so daß wirklich in dem Kreis der davon Betroffenen, die auf einen Entscheid warteten, starke Beunruhigung hervorgerufen und in ihnen das Gefühl ausgelöst wurde, sich zu den Vergessenen der Bundesregierung zählen zu müssen, für deren Belange man keine Zeit hat. Eigentlich ist es ja auch unverständlich, daß die Regierung nicht von sich aus, und zwar früh genug, dafür gesorgt hat, daß eine Winterhilfe beschlossen wurde. Sehen Sie, meine Herren und Damen, nun haben wir die Verknappung der Hausbrandversorgung, und diese Menschen sind jetzt ganz besonders geschädigt, weil sie kein Geld hatten, auch nur ein Minimum an Vorsorge zu treffen, weil sie auf ihre Winterbeihilfe gewartet haben und nicht, wie der Herr Bundeswirtschaftsminister gestern gesagt hat, keine Kohlen gekauft haben, weil sie kaufunlustig gewesen sind.
Ich glaube, in diesem Personenkreis wird die gestrige Äußerung des Herrn Bundeswirtschaftsministers geradezu als eine Verhöhnung seiner Situation empfunden.
Nun liegt der Erlaß vor, mit dem die Regierung die Winterbeihilfe regeln will. Ich muß Ihnen im Auftrage meiner Fraktion sagen, daß wir mit dieser Regelung nicht einverstanden sind. Hiernach sollen alle Fürsorgeempfänger, die ihre Unterstützung als Kriegsfolgenhilfeempfänger beziehen, und alle Empfänger von Arbeitslosenfürsorgeunterstützung eine Winterbeihilfe bis zu 15 Mark für den Hauptunterstützungsempfänger und fünf Mark für jeden Familienunterstützten erhalten, 'die vom Bund verrechnet werden. Als selbstverständliche Voraussetzung für die Berechnung gilt, daß die Bezirksfürsorgeverbände diese außerordentliche Beihilfe auch allen übrigen Hilfsbedürftigen, die nicht aus dem Kreise der Kriegsfolgenhilfeempfänger kommen, gewähren. Für die Empfänger von Arbeitslosenfürsorgeunterstützung soll die obige Regelung auch dann gelten, wenn sie nicht zum Kreis der Kriegsfolgenhilfeempfänger gehören. Wir nehmen an, daß die gleiche Regelung
auch für Empfänger von Arbeitslosenunterstützung gelten soll, sofern sie im Einkommen den AlfuEmpfängern gleichgestellt sind. Das begrüßen wir, weil diese Winterbeihilfe zu den gesetzlichen Maßnahmen tritt, die der besonderen Winternot steuern sollen, aber bei den besonderen Verhältnissen dieses Jahres nicht ausreichen.
Meine Herren und Damen, wir sind der Ansicht, daß die von der Bundesregierung erlassene Regelung von 15 und 5 Mark nicht genügt. Dazu ist das Mißverhältnis zwischen den niedrigen Unterstützungssätzen und den erhöhten Preisen viel zu groß.
Dieser Beschluß wird den Erfordernissen in keiner Weise gerecht.
Danach müßten die von diesem Erlaß Betroffenen entweder zwischen einer kalten Stube und Kartoffeln oder einem warmen Ofen und einem leeren Teller wählen. Eine andere Wahl bliebe ihnen nicht. All die Millionen Unterstützungsempfänger und Rentner werden mit ihren niedrigen Unterstützungssätzen am härtesten durch die Teuerung betroffen. Denken Sie daran, daß 70 % aller Selbstmorde aus sozialer Not geschehen. Das ist für uns alle eine große Verantwortung. Und denken Sie daran, meine Herren und Damen, daß wir bald Weihnachten feiern und daß in jeder Familie der Versuch gemacht wird, von dieser Winterbeihilfe, die in erster Linie zur Sicherung des Hausbrandes und der Kartoffeln verwandt werden soll, etwas abzusparen, um die Weihnachtstage etwas festlich zu gestalten.
Um es diesem Personenkreis der Allerärmsten zu ermöglichen, über die Advents- und Weihnachtsfeiertage nicht hungern und frieren zu müssen, fordern wir in unserem Antrag, der Ihnen in der Drucksache Nr. 1586 vorliegt, daß nicht 15 und 5 Mark, sondern 25 und 10 Mark gezahlt werden.
Sie haben vor einigen Wochen unserem Antrag auf Erhöhung der Renten- und Unterstützungssätze nicht zugestimmt. Sie haben es noch nicht einmal für nötig gefunden, diesen Antrag in den zuständigen Ausschuß zu überweisen,
eine Maßnahme, die von keinem der Betroffenen verstanden wurde und die in ihnen das bittere Gefühl ausgelöst hat, daß für sie kein Geld vorhanden ist. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch einmal sagen, wie sehr wir die damalige Behandlung unseres Antrags bedauern. Wir meinen, daß wir dadurch doppelt verpflichtet wären, für eine einigermaßen erträgliche Regelung in der Winterbeihilfe zu sorgen. Allerdings möchte ich in diesem Zusammenhang betonen, daß eine Winterbeihilfe den Anspruch auf eine laufende Erhöhung der Renten- und Fürsorgesätze keineswegs und unter gar keinen Umständen ersetzt.
Wir sind auch der Ansicht, daß wir hinsichtlich der Gewährung und Verrechnung der' Winterbeihilfe dieselbe Regelung für Berlin in Anwendung bringen sollen, so wie es unser Antrag fordert. Wir haben politisch und menschlich alle Ursache, Berlin und den Berlinern immer wieder, wie es bereits im Kriegsopferversorgungsgesetz geschehen ist, unsere Solidarität zu beweisen.
Ich bin davon überzeugt, meine Herren und Damen, daß insbesondere der Herr Finanzminister mit dem Gegenargument kommen wird, daß für die von uns vorgeschlagene Regelung kein Geld vorhanden sei. Ich glaube, dazu wäre sehr viel zu sagen. Dagegen wäre vor allen Dingen aber einzuwenden, daß bei dem Luxuskonsum eines gewissen Kreises unserer Bevölkerung und bei dem Luxusaufwand, der sich trotz seiner Gespenstigkeit in den Straßen und Stätten der Unterhaltung und des Vergnügens breit macht, die Betroffenen von der Richtigkeit einer solchen Begründung nicht zu überzeugen sind,
dies um so weniger, wenn diese Menschen, denen Kohlen und Kartoffeln fehlen, davon hören, daß nach einer Berechnung des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften und auch nach amtlichen Angaben 4 1/2 bis 5 Milliarden an hinterzogenen Steuern in Selbstfinanzierung der Wirtschaft zugeflossen sind.
Wer das als verantwortlicher Politiker sieht und nicht an die äußerste Grenze der möglichen Belastung geht, um der Massennot in unserem Volke zu begegnen, der setzt sich in Widerspruch zu der wichtigsten staatsmännischen Aufgabe, nämlich Obacht zu geben, daß der Staat und die Demokratie keinen irreparablen Schaden nehmen. Die Regierung ist offenbar bereit, mit Soldaten die Bundesrepublik zu schützen. Denken Sie daran, meine Herren und Damen, daß in unserer Lage ein gesundes soziales Fundament unserer Bundesrepublik für die deutsche Sicherheit mehr wert ist als viele Divisionen!
Da die Auszahlung der Winterbeihilfe nicht noch weiter verzögert werden kann — sie ist durch die langsame Behandlung in der Bundesregierung schon viel zu sehr verzögert worden —, beantragen wir, daß über unseren Antrag heute abgestimmt wird. Wir wünschen es nicht, daß dieser Antrag noch erst wieder dem zuständigen Ausschuß überwiesen wird, weil wir der Ansicht sind, daß dann die Auszahlung der Winterbeihilfe noch weiter verzögert wird. Wir bitten, diesem unserm Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Wer begründet den Antrag Drucksache Nr. 1525? — Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Degener.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Frage der Steuerfreiheit für Weihnachtsgratifikationen liegen dem Hohen Hause zur heutigen Behandlung nicht weniger als vier Anträge vor. Ich darf also voraussetzen, daß eine Mehrheit des Hohen Hauses grundsätzlich der Erhöhung dieser Steuerfreiheitsgrenze zustimmt. Drei der vorliegenden Anträge sind nun Ersuchensanträge — der Antrag Drucksache Nr. 1525, der Antrag der SPD und der Antrag der KPD —; der vierte Antrag jedoch ist ein Gesetzesänderungsantrag von der Zentrumsfraktion, der drei Lesungen erfordern würde und bei dessen Behandlung mit der 21tägigen Behandlungsfrist des Bundesrats zu rechnen wäre.
Nun ist durch die Presse die Nachricht gegangen, das Bundesfinanzministerium habe den Bundesrat ersucht, einer Erhöhung des Freibetrags auf 200 DM zuzustimmen. Ich darf daran erinnern, daß das Hohe Haus im vergangenen Jahr einem Antrag auf Erhöhung der Freigrenze — wenn ich mich recht erinnere, fast einstimmig — zugestimmt hatte, daß aber dieser Beschluß wegen Verfahrenseinwendun-
gen, aber auch wegen Widerstands gegen die Höhe der Freigrenze, niemals rechtswirksam wurde. Nach mir jetzt gewordenen Informationen wird mit Widerstand im Bundesrate gegen die Erhöhung einer Freigrenze auf 200 DM nicht zu rechnen sein. Weil das so ist und weil wir bei der Behandlung eines Gesetzesänderungsantrags in Zeitnot kommen würden, wäre ich dankbar, wenn die übrigen Antragsteller sich bereit finden würden, der Freigrenze von 200 DM zuzustimmen. Es kann dann damit gerechnet werden, daß die Sache noch rechtzeitig rechtswirksam zustande kommt. Ich darf der Hoffnung Ausdruck geben, daß das Bundesfinanzministerium — das ja im Augenblick noch vertreten ist —,
nachdem die Meldung durch die Presse gegangen ist, daß der Bundesrat zur Zustimmung zu einer Erhöhung der Freigrenze von 200 DM aufgefordert ist, heute vor dem Hause eine Stellungnahme abgibt. Ich bitte aber auf alle Fälle noch einmal, daß die übrigen Antragsteller sich auf die Erhöhung der Freigrenze auf 200 DM einigen möchten, damit dem Antrag Nr. 1525 möglichst einstimmig zugestimmt werden kann.
Ich rufe nunmehr auf die Anträge der kommunistischen Fraktion. Zur Begründung hat das Wort der Abgeordnete Renner.
Meine Damen! Meine Herren! Angesichts der von niemand zu bestreitenden ungeheuren Notlage in den Kreisen der Wohlfahrtsunterstützungsempfänger, der Bezieher von Leistungen aus der Sozialversicherung, der Unfallversicherungsgesetzgebung, der Kriegsopferversorgung und der Bezieher von Arbeitslosenunterstützung, angesichts der Tatsache, daß die Bundesregierung — gedeckt durch die Koalitionsparteien — bisher auf dem Gebiet vollkommen versagt hat, angesichts der Tatsache, daß sich die Länder und die Kommunen ebenfalls außerstande erklären, etwas Durchgreifendes zu tun, angesichts auch der unverkennbaren Erhöhung der gesamten Lebenshaltungskosten und der noch ständig steigenden Preise haben wir es für notwendig erachtet, einige Anträge einzubringen, die geeignet sind, diese Not zwar nicht zu beseitigen, aber wenigstens in etwa zu lindern.
Unsere Anträge gehen im einzelnen darauf hinaus: Wir erachten eine Erhöhung der kommunalen Fürsorgesätze, der Wohlfahrtsrichtsätze um 30 vom Hundert, die Gewährung einer einmaligen Winterbeihilfe in Höhe von 75 DM aus Bundesmitteln für die Bezieher von Renten aus der Invaliden- und Angestelltenversicherung, der Unfallversicherungsgesetzgebung und für die Empfänger von kommunalen Wohlfahrtsunterstützungen für absolut notwendig, soweit die Bezüge des genannten Personenkreises den Betrag von 100 DM im Monat nicht übersteigen. Wir halten darüber hinaus die Gewährung einer einmaligen Winterbeihilfe in Höhe von 200 DM zur Beschaffung von Hausbrand, von Winterkartoffeln und zur Ergänzung der Winterbekleidung für alle Hauptunterstützungsempfänger aus der Arbeitslosenversicherung für dringend notwendig.
Wir fordern darüber hinaus eine Senkung der Preise für Strom und Gas, also der Tarife, die in den Gemeinden auf Veranlassung des Herrn Erhard, als er noch im Wirtschaftsrat die entscheidende Persönlichkeit war, erhöht worden sind.
Die Erhöhung der kommunalen Fürsorgerichtsätze für die rund 2,5 Millionen Hauptunterstützungsempfänger und Unterhaltshilfeempfänger, also für die Familienvorstände, für einen Gesamtpersonenkreis von schätzungsweise insgesamt 7. Millionen Menschen im Bundesgebiet, wurde noch kürzlich von den Wohlfahrtsspitzenverbänden, vom Deutschen Gewerkschaftsbund, vom Hauptamt für Soforthilfe, vom Sozialpolitischen Ausschuß des Deutschen Städtetages als nicht länger aufschiebbar bezeichnet.
Wir haben darüber hinaus den Antrag gestellt, daß die Steuerfreigrenze für Weihnachtsgratifikationen auf 300 DM heraufgesetzt werden soll. Wir sind der Auffassung, daß die Hungerlöhne und Hungergehälter, über deren erbärmlichen Stand ja noch in der vorigen Woche bei der Beratung des Etats hier sehr klare Worte gesprochen worden sind, ohne daß das zu Beschlüssen geführt hätte, daß also diese elenden Bezüge es rechtfertigen, die Erhöhung der Freigrenze für die Weihnachtsgratifikationen in dem von uns geforderten Maße zu verlangen. Wir möchten bei dieser Gelegenheit nicht versäumen, darauf hinzuweisen, daß wir nicht wieder das Theater erleben möchten, das im vorigen Jahre von der Regierung gespielt wurde, als hier die Erhöhung der Freigrenze für Weihnachtsgratifikationen auf 300 DM einstimmig beschlossen worden war.
Bedauerlicherweise wurden die von der kommunistischen Fraktion des Bundestages im Sommer dieses Jahres geforderten Verbesserungen der Leistungen der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung, der Arbeitslosenfürsorge und der Unterhaltshilfe aus der Soforthilfe abgelehnt. Wir glauben, daß die Regierung verpflichtet ist, diese unsere Forderungen zu realisieren, die zudem den Forderungen des DGB entsprechen, wie er sie im Sommer dieses Jahres bekanntgegeben hat.
Wir sind auch nicht gewillt, die Replik der Regierung hinzunehmen, die ja unbedingt kommen wird, daß sie aus finanziellen Gründen, mangels Einnahmen, außerstande sei, diese durch unsere Anträge entstehenden Ausgaben zu finanzieren. Wir haben einen Deckungsvorschlag gemacht. Wir haben der Regierung vorgeschlagen: Wegsteuerung überhöhter Gewinne der Großindustrie und die Verwendung dieser Mittel für soziale Leistungen. Wir haben dabei aus der Bilanz der Firma Opel ein Beispiel aufgeführt. In dieser Bilanz wird ein absoluter Gewinn von 60 Millionen DM nachgewiesen, der sich folgendermaßen verteilt: Ausgewiesener Gewinn 30 Millionen DM; Gewinn, der als stille Reserve in erhöhte Abschreibungen geflossen ist, 20 Millionen DM und Rückstellung gelenkter Gewinne 10 Millionen DM. Das ist nur ein Beispiel, welche Folgen die von dieser Regierung und der hinter ihr stehenden Koalition betriebene soziale Marktwirtschaft für das Unternehmertum gezeitigt hat. Wir sind der Meinung, daß es höchste Zeit ist, das Unternehmertum von diesen Übergewinnen zu befreien und diese Gewinne dazu zu benutzen, die große Notlage unseres Volkes in etwa zu lindern. Wir sind auch der Auffassung, daß Regierungsmänner und Parteiführer, die nach einer Verstärkung der Besatzungstruppen geradezu schreien, die dann logischerweise auch gewillt sein müssen, die erhöhten Besatzungskosten zu bezahlen, die gewillt sind, der Forderung der Amerikaner stattzugeben, die uns gesagt haben, daß ein Zehntel des westdeutschen Sozialprodukts etwa der Betrag sei, den wir wohl — zur Sicherung ihrer amerikanischen Profitinteressen — aufbringen
könnten, daß diese Kräfte also einmal überlegen sollten, ob es nicht im Sinne ihrer „christlichen" Politik und im Sinne der Aufrechterhaltung ihrer eigenen Herrschaft richtiger ist, soziale Leistungen zu gewähren. Mit Kanonen macht man das Volk zwar auch still, aber man beseitigt nicht seinen Hunger.
— Ich habe schon klügere Zurufe von Ihnen gehört! — Ich bin der Auffassung, daß dem Volk klar werden muß, daß diese Regierungskoalition und diese Regierung, die zur Abwehr einer angeblichen Bedrohung, die gar nicht existiert, neue Milliarden herzugeben bereit ist, abzutreten hat.
— Ja, Korea hat stattgefunden! Die amerikanischen Gangster haben Korea verschuldet
— ein Vertreter Ihrer Fraktion hat ja heute früh von den Gangstern gesprochen —, die amerikanischen Gangster tragen die Schuld am Korea-Krieg.
Wir sind also der Auffassung, daß in Westdeutschland eine soziale Politik gemacht werden sollte. Dabei fällt mir — um das zum Schluß zu erwähnen — der lapidare Satz in der Regierungserklärung unseres Herrn Bundeskanzlers Dr. Adenauer ein: „so sozial wie irgend möglich."
Realisieren Sie das Wort: „so sozial wie irgend möglich", und ersparen Sie dem deutschen Volke das Verbrechen einer Wiederaufrüstung, die in einem Krieg enden muß und wird!
Das Wort zur Begründung des Initiativantrages der Fraktion des Zentrums, Drucksache Nr. 1541, hat der Herr Abgeordnete Dr. Bertram.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will Ihre Aufmerksamkeit nicht lange in Anspruch nehmen. Die Abänderungen von Steuergesetzen sind Dinge, die am besten im Finanzausschuß im einzelnen besprochen werden. Wenn wir uns entschlossen haben, einen Abänderungsantrag zum Einkommensteuergesetz vorzulegen, so wird man natürlich fragen, wieso wir dazu in einem Zeitpunkt kommen, in dem die allgemeine Finanzsituation des Bundes so schlecht ist, daß bereits verschiedene neue Steuern ausgeschrieben werden mußten und daß noch weitere Steuererhöhungen bereits angekündigt worden sind. Wir sagen: Gerade in einem solchen Zeitpunkt, in dem die Steuerschraube angezogen wird oder angezogen werden soll, ist es notwendig, Ungerechtigkeiten, die sich in dem bisherigen Steuersystem befunden haben, zu beseitigen und durch die Beseitigung dieser Ungerechtigkeiten zu beweisen, daß es uns nicht nur um fiskalische Maßnahmen geht, sondern daß auch in dem gesamten Steuersystem eine gewisse Gerechtigkeit herbeigeführt werden soll. Das ist der Sinn unserer Vorschläge.
Wenn wir zunächst den Antrag gestellt haben, die Weihnachtsgratifikation bis zu einem Betrage von 300 DM steuerfrei zu lassen, so schließen wir uns damit einem fast einstimmig gefaßten Beschluß des Bundestages vom vorigen Jahre an, bringen aber diesen Antrag in Form eines Gesetzentwurfes, weil sich herausgestellt hat, daß bloße Beschlüsse des Bundestages von der Bundesregierung nicht durchgeführt worden sind. Die Einwendungen des Herrn Kollegen Degener, daß dadurch eine Verzögerung herbeigeführt werden könnte, glaube ich, sind nicht stichhaltig; im Gegenteil, wenn wir einen solchen Gesetzesantrag annehmen, so besteht ohne weiteres die Möglichkeit, dieses Gesetz noch bis Weihnachten zur Durchführung zu bringen und vor allem - und das ist ja das wesentliche — dann auch den entsprechenden Nachdruck dahinterzusetzen; denn ein Gesetz muß von der Regierung befolgt werden, während eine Entschließung nach der hier herrschenden Praxis von der Regierung nur befolgt werden k a n n. Wenn wir den Antrag Degener annehmen, so würde das nur eine Wiederholung des vorjährigen Verfahrens bedeuten, ohne daß wir effektiv einen Schritt weitergekommen wären.
Die Bestimmungen in Art. II unseres Entwurfs haben ihren Hauptgrund darin, daß vor allem bei den kleinen landwirtschaftlichen Betrieben eine ungerechte Überbesteuerung darin zu erblicken ist, daß die Freibeträge und die Abzugsfähigkeit für Sonderausgaben und Werbungskosten, wie sie bei selbständigen Familienmitgliedern in der gewerblichen Wirtschaft möglich sind, bei den mithelfenden Familienmitgliedern in der Landwirtschaft weitgehend nicht zugestanden werden. Die Freibeträge, die einem Sohn, der auswärts arbeitet, zugute kommen, werden in der Landwirtschaft nicht zur Auswirkung kommen, wenn nur ein Freibetrag von 1000 DM für den gesamten Betrieb, in dem möglicherweise drei oder vier Familienmitglieder tätig sind, zugebilligt wird. Wir haben jetzt die merkwürdige Erscheinung, daß der Bauer A. seinen Sohn deshalb beim Bauern B. und der Bauer B. seinen Sohn beim Bauern A. beschäftigt, um auf diese Art und Weise einen entsprechenden Freibetrag zu erhalten. Daß derartige Zustände ungesund, aber auch ungerecht sind gegenüber den Bestimmungen über die Lohnsteuerpflichtigen, liegt auf der Hand.
Mit Art. III unseres Entwurfs wollen wir erreichen, daß endlich mit der Forderung auf Gleichberechtigung der Geschlechter ernst gemacht wird. Bisher ist es so, daß nach § 26 des Einkommensteuergesetzes das Einkommen aus nicht selbständiger Arbeit einer Ehefrau bei der Zusammenveranlagung mit dem Ehemann, der einen selbständigen Betrieb hat, ausschaltet, nicht dagegen im umgekehrten Falle, daß die Ehefrau einen Gewerbebetrieb hat und der Mann irgendwo Angestellter ist. In diesem Falle wird, obwohl er doch vollkommen gleich wie der erste Fall liegt, trotzdem die Zusammenveranlagung durchgeführt. Ich glaube, hier liegt ein ganz eklatanter Verstoß gegen das Grundgesetz vor, so daß diese Bestimmung schleunigst beseitigt werden sollte. Das ist der Grund, warum wir unseren Antrag unter Art. III gestellt haben.
Ich bitte Sie, diese Anträge möglichst umgehend dem Finanzausschuß zu überweisen. Wir werden dann in der Lage sein, sie noch rechtzeitig vor Weihnachten durchzuberaten und hier im Plenum zur Annahme zu bringen.
Das Wort zur Beantwortung der Interpellation und zu den Anträgen hat der Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr niedersächsische Ministerpräsident hatte im Bundesrat zwei Anträge zur Frage der Winterbeihilfe eingebracht. Der erste enthielt den Entwurf eines Schreibens des Präsidenten des Bundesrats an den Bundesinnenminister mit dem Vorschlag, daß sich der Bund an den Weihnachtsbeihilfen, die im wesentlichen auf die Hilfsbedürftigkeit abgestellt wären, im Rahmen der Kriegsfolgenhilfe, also bei Heimatvertriebenen, Evakuierten, Kriegsbeschädigten und anderen, bis zu Sätzen von 15 DM für den Einzelstehenden bzw. den Haushaltungsvorstand und 5 DM für jedes hilfsbedürftige Familienmitglied beteiligen solle.
Das war der erste Vorschlag. In diesem Vorschlag wird davon ausgegangen, daß neben dieser Weihnachtsbeihilfe in allen Bedarfsfällen auch noch eine Beihilfe zur Beschaffung von Winterfeuerung gewährt wird und daß diese Regelung hinsichtlich der Empfänger von Arbeitslosenunterstützung auf gesetzlichem Wege eine Ergänzung dadurch finden sollte, daß den Angehörigen dieses Personenkreises unter bestimmten Voraussetzungen ein Drittes, nämlich eine Wirtschaftsbeihilfe von 25 DM für den Hauptunterstützungsempfänger und 10 DM für jeden Angehörigen gegeben werden sollte.
Nachdem der Ausschuß des Bundesrates für Arbeit und Sozialpolitik sich mit dieser Angelegenheit befaßt hatte und den Erlaß eines Gesetzes entsprechend dem Initiativantrag Niedersachsens mit der Modifizierung empfohlen hatte, daß die Empfänger von Arbeitslosenunterstützung denen von Arbeitslosenfürsorgeunterstützung gleichgestellt werden sollten, hat der Bundesrat beschlossen, die Bundesregierung zu bitten, einen Gesetzentwurf über eine Wirtschaftsbeihilfe vorzulegen. Darauf haben Verhandlungen zwischen dem Herrn Bundesminister der Finanzen, dem Herrn Bundesminister für Arbeit und dem Bundesinnenministerium stattgefunden, in deren Verlauf man sich verständigt hat, und zwar dahin, daß die Angelegenheit — da es sich ja um Fragen handelt, bei welchen Beihilfen und bis zu welcher Höhe der Bund seinen Anteil in Aussicht stellen würde — im Wege eines Rundschreibens an die Länder geregelt werden könnte und geregelt werden solle.
Dann ist am 3. November 1950 ein solches Rundschreiben im Einvernehmen zwischen Bundesfinanzminister und Bundesinnenminister ergangen. Dazu ist zweierlei zu sagen. Erstens: Dieser gemeinsame Erlaß will zunächst sicherstellen, daß alle Hilfsbedürftigen die Sonderbeihilfen erhalten, auf die sie im Rahmen der Pflichtleistungen der öffentlichen Fürsorge, d. h. tatsächlich bis zur vollen Deckung der Bedürfnisse im fürsorgerechtlichen Sinne Anspruch haben. Dabei ist in dem Erlaß betont worden, daß solche Sonderleistungen nicht auf diejenigen Personen zu beschränken sind, die laufend Fürsorgeunterstützung erhalten, sondern daß die Beihilfen gegenüber dem Bund auch als verrechnungsfähig anerkannt werden, wenn sie gewährt werden, weil bei den Empfängern trotz eigener Einnahmen hinsichtlich des Bedarfs, für den die Beihilfe bestimmt ist, Hilfsbedürftigkeit im fürsorgerechtlichen Sinne vorliegt. Solche eigenen Einnahmen sind zum Beispiel auch die Arbeitslosenunterstützung, die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung, die Sozialrente und dergleichen. Diese Einnahmen sollen bei Erwägung der Hilfsbedürftigkeit nicht berücksichtigt werden. Dasselbe kann hinsichtlich der Winterfeuerung oder der Winterkleidung gelten. Auch Empfänger von Arbeitslosen- und Arbeitslosenfürsorgeunterstützung können also diese im Rahmen der Hilfsbedürftigkeit liegende Beihilfe erhalten. Weiterhin wird in dem Rundschreiben betont, daß solche Beihilfen an Hilfsbedürftige nicht nur zur Abdeckung eines ganz konkreten Bedürfnisses - Feuerung, Winterkleidung und ähnliches —, sondern auch allgemein zur Abgeltung der im Winter teureren Lebenshaltung gewährt werden können. Das war der erste große Abschnitt des gemeinsamen Erlasses des Bundesfinanz- und des Bundesinnenministeriums.
Ich komme zu dem zweiten Punkt: über diese Sonderbeihilfe hinaus noch eine außerordentliche Sonderbeihilfe zu gewähren, die zur Behebung der Hilfsbedürftigkeit im fürsorgerechtlichen Sinn dienen soll. So sichert das Rundschreiben an die Länder zusätzlich die Verrechnungsfähigkeit von außerordentlichen Sonderbeihilfen. Das sind Beihilfen, die nicht der Deckung des notwendigen Lebensbedarfs im fürsorgerechtlichen Sinne dienen, sondern die eine Aufstockung darüber hinaus darstellen, und zwar bis zur Höhe von 15 DM für den Alleinstehenden bzw. den Haushaltsvorstand und 5 DM für jedes weitere hilfsbedürftige Familienmitglied. Voraussetzung ist auch hier die Hilfsbedürftigkeit, wie ich sie vorhin beim ersten Punkt umrissen habe. Bei Vorliegen einer solchen Hilfsbedürftigkeit wird vom Bund die Verrechnung dieser außerordentlichen Beihilfen selbstverständlich auch bei Empfängern von Arbeitslosen- und Arbeitslosenfürsorgeunterstützung anerkannt. Hinsichtlich der Empfänger von Arbeitslosenfürsorgeunterstützung ist, um Schwierigkeiten bei der Behandlung in Einzelfällen auszugleichen und möglichst vorweg zu beheben, in dem Erlaß noch besonders gesagt, daß die Prüfung der Hilfsbedürftigkeit nicht immer nach den üblichen Maßstäben durchgeführt zu werden braucht. Selbstverständlich kann der Bund seinen Anteil an den Sonderbeihilfen grundsätzlich nur bei dem Personenkreis übernehmen, bei dem eine Kostenbeteiligung nach den geltenden Bestimmungen in Betracht kommt, d. h. dem Kreis der Kriegsfolgenhilfeempfänger.
Eine Ausnahme ist im Erlaß hinsichtlich der Empfänger von Arbeitslosenfürsorgeunterstützung vorgesehen. Hier erklärt sich der Bund zur anteilmäßigen Verrechnung bereit, auch wenn der Empfänger nicht Kriegsfolgenhilfeempfänger ist. Im übrigen soll sichergestellt 'werden — und damit umreiße ich noch einmal den bedachten Personenkreis —, daß alle Hilfsbedürftigen, Kriegsfolgenhilfeempfänger und Nicht-Kriegsfolgenhilfeempfänger, die Beihilfe erhalten. Das wollen wir dadurch erzielen — ein anderer Weg erschien zunächst nicht gangbar —, daß, wie es in unserem Rundschreiben vom 3. November 1950 heißt, die Verrechnungsfähigkeit des Bundesanteils an der außerordentlichen Beihilfe davon abhängig gemacht wird, daß diese außerordentliche Beihilfe auch allen übrigen Hilfsbedürftigen im Sinne der Fürsorgepflichtverordnung nach den gleichen Grundsätzen gewährt wird. Wegen der sonstigen Sonderbeihilfen braucht in dieser Hinsicht nichts gesagt zu werden, weil es sich bei ihnen ja um eine Pflichtleistung der öffentlichen Fürsorge handelt.
Ich darf abschließend zusammenfassend sagen, daß die Bundesregierung im Rahmen des Möglichen in dieser Angelegenheit das Ihre getan hat.
Nun sind in den letzten Tagen noch neue Anträge gekommen. Nach einer Rücksprache, die ich
— Das ist nicht meine Methode, sondern es ist einfach die Feststellung einer Tatsache.
— Ich betrachte ihn nicht als einen ernsthaften Deckungsvorschlag.
Wenn Sie die Ausgabe bewilligen wollen, wird sich die Notwendigkeit ergeben, die Frage noch einmal in dem zuständigen Haushaltsausschuß zu erörtern und dort die Deckungsvorschläge zu erwägen.
Das Wort hat Herr Staatssekretär Hartmann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zu der Frage der Weihnachtszuwendungen, und zwar zunächst zur Rechtslage, folgende Ausführungen machen. Durch' die Verordnung zur Änderung der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung vom 7. Juni 1950 ist eine neue Vorschrift eingefügt worden, nach der Weihnachtszuwendungen oder Neujahrszuwendungen, soweit sie im Einzelfall insgesamt 100 Mark nicht übersteigen, steuerfrei sind. Nach dem zur Zeit geltenden Recht wird also von der Weihnachtszuwendung ein Betrag bis zu 100 DM lohnsteuerlich nicht erfaßt. Eine Änderung dieser Vorschrift — das hat Herr Abgeordneter Degener schon ausgeführt — ist durch eine Verordnung der Bundesregierung möglich, die der Zustimmung des Bundesrats bedarf.
Die Bundesregierung hat sich in der letzten Kabinettssitzung mit der steuerlichen Behandlung der Weihnachtszulagen befaßt. Auf Anregung des Herrn Bundesarbeitsministers hat die Bundesregierung den Bundesfinanzminister ersucht, im Bundesrat vorstellig zu werden, damit die Lohnsteuer-Freigrenze für Weihnachtsgratifikationen von 100 DM auf 200 DM für dieses Jahr heraufgesetzt werden kann. Dieser Weg erscheint angezeigt, weil die Erhöhung des Freibetrages zu einer Beeinträchtigung des Lohnsteueraufkommens führt, das den Ländern zusteht, und weil der Finanzausschuß des Bundesrats in einer Sitzung vom 2. November dieses Jahres unter Hinweis auf die Regelung in der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung den Standpunkt vertreten hatte, daß damals kein Anlaß vorgelegen habe, zu den Erhöhungsanträgen Stellung zu nehmen.
Ich wiederhole also nochmals: Das Bundeskabinett setzt sich dafür ein, daß die Grenze für die steuerfreien Weihnachtszuwendungen auf 200 DM erhöht wird. Wir werden dieserhalb an den Bundesrat herantreten. Durch diesen Beschluß der Bundesregierung ist dem Antrag Drucksache Nr. 1525 entsprochen worden. Eine weitere Erhöhung des steuerfreien Betrages über 200 DM hinaus erscheint unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht vertretbar. Die Finanzminister der Länder haben sich unter dem Zwang der jetzigen Situation ihrer Länder mehrfach gegen jede Ausweitung steuerlicher Vergünstigungen ausgesprochen. Wegen der Haushaltslage der Länder ist die Bundesregierung nicht in der Lage, dem Bundesrat eine Erhöhung des steuerfreien Betrages über 200 DM hinaus in Vorschlag zu bringen. Die Bundesregierung hat sich bei ihrem Beschluß unter Zurückstellung erheblicher haushaltsmäßiger Bedenken — sie hat ja auch die Pflicht, an die Haushaltslage der Länder zu denken — ausschließlich von sozialen Erwägungen leiten lassen. Es ist aber kaum anzunehmen, daß für einen größeren Teil der Arbeitnehmer Weihnachtszuwendungen über 200 DM hinaus gezahlt werden. Der Vollständigkeit halber möchte ich aber hinzufügen, daß, wenn die Verordnung zustandekommt, auch bei Weihnachtszuwendungen, die über 200 DM hinausgehen, 200 DM in jedem Fall steuerfrei bleiben und nur ein überschießender Betrag der Lohnsteuer unterliegen würde. Die Bundesregierung bittet daher, den Anträgen, die über 200 DM hinausgehen, die Zustimmung nicht zu geben.
Nun liegt ferner ein Gesetzentwurf der Zentrumsfraktion vor, der das Einkommensteuergesetz in drei Punkten geändert wissen will. Der erste Punkt betrifft ebenfalls die Weihnachtsgratifikationen. Bei der Länge der Zeit, die ein Gesetzentwurf, auch ein Initiativgesetzentwurf, braucht, ist es, glaube ich, der schnellere und zuverlässigere Weg, die Erhöhung der jetzigen Grenze von 100 DM durchzuführen; es ist der Weg, der im Antrag Drucksache Nr. 1525 gewiesen ist, nämlich der einer Änderung der Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats. Übrigens würde, da es sich um Steuern der Länder handelt, auch ein Initiativgesetz der Zustimmung des Bundesrats bedürfen.
Was nun die beiden anderen Punkte betrifft, so sind das Einzelfragen aus der Einkommensteuer. Es erhebt sich doch wohl die Frage, ob es im Moment zweckmäßig ist, im Wege eines Sondergesetzes derartige Spezialfragen zu behandeln. Sie haben gehört, daß Herr Minister Schäffer in seiner Haushaltsrede in der letzten Woche angedeutet hat, daß unter Umständen gewisse Änderungen des gegenwärtigen Einkommensteuerrechts in Erwägung gezogen werden müßten und daß die Richtung etwaiger Änderungen allerdings wohl nicht eine Erweiterung bestehender Vergünstigungen, sondern die Einengung gewisser Vergünstigungen sein wird. Das wäre also nicht die Tendenz, die der Antrag des Zentrums hat. Ich glaube aber, man kann diese Frage gar nicht isoliert lösen, sondern muß sie im Zusammenhang der Betrachtung der Haushalte des Bundes und der Länder, also im Gesamtzusammenhang sehen und beraten. Ich würde mir daher die Anregung erlauben, diesen Initiativantrag der Zentrumsfraktion zunächst an den Finanzausschuß zu überweisen.
Meine Damen und Herren! Damit ist die Aussprache eröffnet. Ich nehme an, daß auch zu dieser Interpellation eine Aussprache gewünscht wird und daß dieser Wunsch
von mindestens 50 Mitgliedern des Hauses unterstützt wird.
Gleichzeitig treten wir in die erste Beratung des Initiativgesetzantrages der Zentrumsfraktion ein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Frage der Winterbeihilfe möchte ich doch darauf hinweisen, daß wir uns bei der Beratung darüber im klaren sein müssen, daß wir es hier mit verschiedenen Zuständigkeiten zu tun haben, daß nicht in allen Fällen die Zuständigkeit des Bundes gegeben ist. Sie ist praktisch gegeben für die Kriegsfolgenhilfeempfänger. Sie ist weiterhin gegeben für die Empfänger von Arbeitslosenfürsorgeunterstützung. Darüber hinaus ist es doch so, daß für die Arbeitslosenunterstützungsempfänger die Arbeitsverwaltung zuständig ist und für die sonstigen Bedürftigen eben die Fürsorgeämter, die Bezirksfürsorgestellen.
Nun zu dem Erlaß des Herrn Innenministers, der die Frage der Sonderzuweisung an die Kriegsfolgenhilfeempfänger und an die Arbeitslosenfürsorgeempfänger betrifft. Hier müssen wir darauf hinweisen, daß es sich bei den genannten Sätzen — 15 und 5 DM — nicht um die einzige Hilfe handelt. Denn es besteht darüber hinaus schon die Verpflichtung, für diesen Personenkreis Mittel für die bestimmten Zwecke zur Verfügung zu stellen. Das ist ja auch eben von dem Herrn Innenminister dargelegt worden.
— Das ist aber von Frau Korspeter nicht zum Ausdruck gebracht worden.
— Nein, ich habe es nicht überhört, Herr Kollege Richter, es ist nicht zum Ausdruck gebracht! —Deswegen ist es notwendig, darauf hinzuweisen, daß es hier um die zusätzliche Hilfe ohne Bedürftigkeitsprüfung geht. Das will ja der Antrag der SPD.
— Für die beiden Gruppen, die ich genannt habe. — Auch ich würde es begrüßen, wenn man diesem Antrag stattgeben könnte. Allerdings bin ich der Meinung, daß wir dann auch die Frage der Finanzierung prüfen sollten. Ich bin mir nicht darüber im klaren, ob wir nun heute endgültig Beschluß fassen können, ohne zugleich die Voraussetzung für die Finanzierung klarzulegen. Vielleicht ist es richtiger, der Bundesregierung diesen Antrag als Material zuzuweisen mit der ernstlichen Bitte, zu überprüfen, ob nicht dem Antrag entsprochen werden kann. Ich bin auch nicht der Meinung—und darin stimme ich Frau Korspeter wieder zu —, daß eine Ausschußüberweisung zweckmäßig erscheint. Die Zeit ist zu knapp, und wir haben die Besorgnis, daß nicht das erreicht wird, was schließlich alle zu erreichen hoffen.
Was den Antrag der KPD in bezug auf einmalige Leistungen an die Arbeitslosenunterstützungsempfänger angeht, so möchte ich etwas dazu sagen, obwohl ich nicht den Eindruck habe, daß dieser Antrag von den Antragstellern ernst gemeint war. Herr Kollege Renner, ich muß Ihnen schon sagen: wenn man einen Antrag auf eine Pauschalhilfe von rund 200 DM stellt, ohne dabei eine Unterscheidung zu machen, ob es sich um einen Ledigen oder einen Familienvater mit 5 Kindern handelt, so erweckt ein solcher Antrag nicht den Eindruck der Ernsthaftigkeit.
Die Verwirklichung des Antrags würde praktisch einen Betrag von 80 Millionen erfordern. Wir können im Augenblick immerhin mit 400 000 Hauptunterstützungsempfängern in der Arbeitslosenunterstützung rechnen. Ich darf Ihnen versichern, die Arbeitsverwaltungen der Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen, aber auch anderer Länder wären gar nicht in der Lage, diese Beträge aufzubringen, weil sie effektiv nicht da sind. Und das sollten Sie wissen.
Ich bin auch nicht dafür, daß dieser Antrag dem Ausschuß überwiesen wird, sondern möchte empfehlen, ihn abzulehnen, weil er eben undurchführbar ist und weil er der Ernsthaftigkeit ermangelt.
Was den besonderen Deckungsvorschlag angeht, Herr Kollege Renner, so hat den, glaube ich, niemand ernst genommen. Denn er wird nun schon allzu häufig hier vorgelegt. Ich würde empfehlen, sich diesen Deckungsvorschlag doch patentieren zu lassen, damit nicht noch andere auf die Idee kommen, ihn in Anspruch zu nehmen. Er würde sonst zu stark verschlissen.
Nun zur Frage der Hilfe an den übrigen Personenkreis. Bei der Behandlung dieser Frage müssen wir dafür Sorge tragen, daß nicht andere Leistungsverpflichtete glauben, sie seien hier einer Sorge enthoben. Es ist mir bekannt, daß doch eine ganze Anzahl von Gemeinden rechtzeitig für den gesamten Personenkreis der Hilfsbedürftigen Vorsorge getroffen haben. Ich weiß, daß Gemeinden da sind, die leistungschwach sind. Aber bei gutem Willen läßt sich hier manches tun.
Ich komme beispielsweise aus einer Stadt, die immerhin die größte Zahl der Flüchtlinge unter den hessischen Städten hat. Im Bezirk sind es etwa 20%. Es ist eine Stadt, die 12 % Arbeitslose hat; sie liegt also auch hier weit über dem Durchschnitt. Die Stadt ist außerdem nicht sehr steuerstark. In dieser Stadt — es ist die Stadt Fulda — hat man immerhin schon durch rechtzeitige Vorkehrungen im Haushaltsplan Beträge zur Verfügung gestellt zur Versorgung dieser Personenkreise mit den für den Winter notwendigen Dingen, die zwischen 25 und 60 DM liegen. Ich will damit beweisen, daß es möglich ist, auch im Rahmen der Gemeinde- und Bezirksfürsorgeverbände zu helfen.
Nun, Herr Kollege Renner, damit Sie nicht versucht sind, zu glauben, daß die Kommunisten dabei mitgewirkt hätten, sage ich Ihnen: Kommunisten kennen wir bei uns nicht, Kommunisten haben wir nicht.
Wir haben es hier mit einem Stadtverordnetenkollegium zu tun, das sich aus einer Mehrheit der CDU zusammensetzt.
— Nein, das ist unser Glück.
— Diese Mehrheit der CDU und die anderen Fraktionen der SPD und der FDP haben rechtzeitig einstimmig diese Regelung beschlossen.
Also ich möchte damit nur sagen: das ist möglich, und wir sollten diese Hilfe aus den Gemeinden heraus nicht unterminieren.
Meine Damen und Herren! Es scheint mir aber auch notwendig zu sein, bei dieser Gelegenheit zum Ausdruck zu bringen, daß wir uns mehr auf die Privatinitiative besinnen sollten, wenn es darum geht, Notstände zu beheben. Wir wissen um den Wert der öffentlichen Hilfe, aber wir wissen auch, daß die öffentliche Hilfe nicht allein ausreichend sein kann, daß sie nicht alle Fälle treffen kann. Wir sollten gerade diese Gelegenheit benützen, einen Appell an alle diejenigen zu richten, die in der Lage sind, zu helfen, einen Appell nach der Richtung hin, daß sie sich mehr und mehr auf die Notwendigkeit besinnen sollten, dem Nachbarn, der in Not ist, zu helfen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pohle.
Meine Damen und Herren! Der sozialdemokratische Antrag stellt wirklich ein Maximum an Bescheidenheit dar, und ich bedaure, daß darüber überhaupt eine Debatte stattfindet. Das Hohe Haus, von dem ich überzeugt bin, daß die einzelnen Mitglieder draußen praktisch doch jeden Tag eine Begegnung mit der Not haben, müßte heute in dieser Stunde einstimmig den Beschluß fassen, diese geringfügige Erhöhung der Winterbeihilfe vorzunehmen. Wir haben doch oben auf der Tribüne unsere öffentlichen Wächter. Politiker und Journalisten haben eines gemeinsam, nämlich sie beide besitzen nie Geld, auch wenn sie noch so viel verdienen. Beide haben aber auch das gemeinsam, daß sie wissen, wie es draußen im Volk aussieht und welche Empfindungen ein negativer Beschluß des Hohen Hauses in diesem Augenblick draußen im Volke auslösen würde.
Man kann sich nicht einfach auf die Formel zurückziehen, daß die Gemeinden, die Länder usw. ja auch etwas zu tun hätten. Ich frage Herrn Senator Ewers von der Deutschen Partei: wenn wir unsere Verhältnisse in Schleswig-Holstein betrachten, ist es nicht so, daß wir einfach nicht können? Wenn wir auch nur versuchen würden, das zu machen, wären wir betrügerische Bankrotteure. Wir brauchen also die Hilfsstellung des Bundes. Auch woanders sieht es so aus, wo von Bundesseite aus eingegriffen werden muß.
Meine Damen und Herren! Es geht, wie der Herr Vertreter des Finanzministers und auch Herr Innenminister Dr. Lehr gesagt haben, um ganze 12 Millionen. Für diese 12 Millionen Mehrausgabe gibt es einen Deckungsvorschlag, und ich glaube, daß wir diesen Deckungsvorschlag annehmen können. Es hat einem Ausschuß in seiner Weisheit gefallen, an die Regierung die Aufforderung zu richten, die Sektsteuer zu ermäßigen. Diese Ermäßigung würde im Jahr einen Steuerausfall von schätzungsweise 12 Millionen ausmachen, so daß also die Mehrausgabe von 12 Millionen gedeckt werden könnte, wenn die Ermäßigung der Sektsteuer unterbliebe. Meine Damen und Herren, stellen Sie sich vor: wir lehnen heute diese Mehrbelastung von 12 Millionen ab, und in einigen Wochen wird dieses Hohe Haus mit einer Vorlage auf Ermäßigung der Sektsteuer beglückt und stimmt dieser Ermäßigung zu! Wenn wir einer solchen Ermäßigung nicht zustimmen, dann, Herr Staatssekretär, haben wir die erforderlichen 12 Millionen zur Verfügung. Wir könnten also mit diesen 12 Millionen die richtige Gleichgewichtslage wieder herstellen.
Meine Damen und Herren! Wenn wir des Ansehen dieses Hohen Hauses in breitesten Kreisen der Öffentlichkeit nicht schädigen wollen, dann bleibt meines Erachtens nur eines übrig, nämlich für den sozialdemokratischen Antrag zu stimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Renner.
Meine Damen und Herren! Aus dem Munde des Herrn Innenministers Dr. Lehr haben wir gehört, daß die Bundesregierung ganze 12 Millionen bzw. mit der zweiten Hilfe insgesamt 32 Millionen DM zur Verfügung zu stellen gedenkt. Der Herr Innenminister hat unseren Deckungsvorschlag als einen „demagogischen" Vorschlag bezeichnet.
Der Herr Vizepräsident, der doch sonst so feinfühlige Herr Vizepräsident, —
Danke schön!
— ich meine es ernst, Herr Präsident! — hat ihn dafür nicht einmal gerügt.
Herr Abgeordneter Renner, ich habe auch angenommen, daß Sie es ernst meinen, sonst hätte ich mich nicht bedankt, sondern Ihnen einen Ordnungsruf erteilt.
Ich schließe daraus. daß Sie der Auffassung sind, daß ich mich durch diese Charakterisierung unseres Antrages durch Herrn Dr. Lehr nicht getroffen fühle.
Ich glaube wirklich, daß gerade Sie nicht so empfindlich sein dürften, sich wegen dieser Qualifizierung beleidigt zu fühlen.
Nein, ich denke gar nicht daran. Nur bitte ich, wenn uns einmal in der Hitze des Gefechts das Wort „Demagogie" über die Lippen geht, auch so zartfühlig zu sein und uns nicht mit einem Ordnungsruf zu belegen.
Nun, der Herr Minister hat uns gesagt, die Zuwendungen, von denen er sprach, würden beim Vorliegen der Bedürftigkeit im Sinne des Begriffs Bedürftigkeit der Fürsorgepflichtverordnung gegeben. Was heißt das? Es heißt, daß z. B. in Hessen, wo der Fürsorgerichtsatz für ein Ehepaar im Stadtkreis 75 DM pro Monat, im Landkreis 65 DM beträgt, ein Ehepaar, dessen Gesamteinkommen aus irgendeiner Rentenquelle diesen Betrag erreicht, keinen Anspruch mehr auf diese zusätzliche Unterstützung hat. In Bayern sind die Fürsorgerichtsätze noch niedriger. Dort betragen sie durchschnittlich 55 DM und im Höchstfalle 60 DM für ein Ehepaar. Wenn man also diese Zuwendungen davon abhängig macht, daß Bedürftigkeit im Sinne der Fürsorgepflichtverordnung vorliegt, dann soll man sich darüber klar sein, daß in einem hessi-
schen Stadtkreis ein Ehepaar, das über 75 DM im Monat verfügt, schon keinen Anspruch mehr auf diese Zuwendung des Bundes hat.
— „So sozial wie möglich", ganz richtig! —
Der erste Sprecher der CDU hat geglaubt auf die Frage der Zuständigkeit hinweisen zu sollen. Sicherlich ist der Bund nicht ohne weiteres als zuständig für die Unterstützung des gesamten Personenkreises anzusprechen, für den wir Anträge gestellt haben. Aber wie ist es denn? Wenn wir in den Gemeinden Anträge stellen, dann sagt uns dort die Mehrheit der CDU: Die Stadt hat kein Geld. Stellen wir derartige Anträge in den Ländern, dann sagt man uns: Ihr müßt in Bonn für eine Erhöhung des Finanzausgleichs kämpfen; wir möchten gern, aber wir können nicht. Das sagen dieselben CDU-Herren, die hier dominieren.
Ich komme zur Arbeitslosenwinterbeihilfe. Der zweite Herr Sprecher der CDU hat geglaubt feststellen zu müssen, daß wir da keine Differenzierung vornehmen. Hätte er unseren Antrag gelesen, dann hätte er aus unserem Antrag gemerkt, daß wir diese Winterbeihilfe für Hauptunterstützungsempfänger beantragt haben. Was ein Hauptunterstützungsempfänger ist, dürfte sogar ein Herr aus der CDU langsam wissen.
Ich komme zu seinen generellen Behauptungen, daß die Arbeitsämter, also der Arbeitsstock, außerstande seien, die Zuwendungen zu decken, die wir gefordert haben. Ich darf darauf hinweisen, daß man in einigen Ländern das Vermögen des Arbeitsstocks für vollkommen versicherungsfremde Zwekke aufgebraucht hat. Ich darf darauf hinweisen, daß man z. B. in der französischen Zone aus dem Arbeitsstock Besatzungskosten abgedeckt hat. So liegen die Dinge.
Der Herr Sprecher der CDU aus Fulda hat sich der Tatsache gerühmt, daß bei ihm in der Stadtverordnetenversammlung keine Kommunisten sitzen. Aber der Vorschlag, die Millionenarmee der im Reiche Adenauers, unter der Sonne der sozialen Marktwirtschaft hungernden deutschen Menschen auf private Wohlfahrtspflege und -tätigkeit abzustellen, kann tatsächlich nur von einem Politiker der CDU aus Fulda kommen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Die Abstimmung ist einigermaßen kompliziert. Ich habe versucht, die Anträge so sachgemäß wie möglich zu ordnen. Ich schlage Ihnen vor, daß wir zunächst über die Anträge abstimmen, die sich mit der Freigrenze der Weihnachtsgratifikation befassen. Hier geht, wenn ich mich nicht irre, der Antrag auf Drucksache Nr. 1534 zusammen mit dem Antrag auf Drucksache Nr. 1587 am weitesten. In diesen beiden Anträgen wird mit verschiedener Formulierung verlangt, die Freigrenze auf 300 DM festzusetzen.
—Es wird namentliche Abstimmung beantragt. Dazu braucht Herr Renner die Unterstützung von 50 Mitgliedern dieses Hauses. Wird dieser Antrag unterstützt?
- Das sind ohne Frage 50 Mitglieder des Hauses.
Wir sind nunmehr wieder in der wenig erfreulichen Situation, daß wir eine Praxis der Anwendung des diesbezüglichen Paragraphen der Geschäftsordnung haben, die vielleicht nicht ganz im Sinne des Paragraphen selber ist. Ich habe bisher immer nach der bisherigen Übung des Hauses verfahren und erst über den Antrag selbst abstimmen lassen, obwohl ich für meine Person dieses Verfahren nicht für richtig halte. Ich weiß nicht, ob die im Altestenrat von allen Vertretern sämtlicher Fraktionen geäußerte Auffassung, daß diese Praxis mit der Geschäftsordnung nicht in Übereinstimmung stehe, die Meinung des ganzen Hauses ist.
— Alle Vertreter sämtlicher Fraktionen haben sich vor drei oder vier Wochen im Ältestenrat dahin ausgesprochen.
— Herr Kollege Kunze, auch Sie.
— Nein, Sie haben sich dafür ausgesprochen, daß man in der neuen Geschäftsordnung die Sache textlich völlig zweifelsfrei stellen soll.
— Nein, man wollte nicht ein neues Recht einführen, sondern man wollte lediglich eine Formulierung des jetzigen Rechts wählen, die die Sache zweifelsfrei stellt.
Ich richte die Frage wieder an das Haus.
— Kann sich nicht je ein Sprecher der großen Fraktionen dazu äußern?
— Man kann nicht gut über eine Auslegung der Geschäftsordnung abstimmen lassen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. Schäfer.
Meine Damen und Herren! Der Wortlaut der Geschäftsordnung sieht zweifellos vor, daß auf Antrag von mindestens 50 Mitgliedern des Hauses .ein Antrag über namentliche Abstimmung zur Beschlußfassung vorgelegt werden muß. Es steht aber nicht drin, daß auf den Antrag von 50 Antragstellern hin schon abgestimmt wird.
— Bitte, es mag Ihnen nicht passen; aber sehen Sie sich den Wortlaut der Geschäftsordnung an! Die Frage in der ganzen Angelegenheit ist, ob wir uns, wie wir es bisher getan haben, an den strengen Wortlaut der Geschäftsordnung halten wollen oder nicht.
- Das ist die Frage: Der Wortlaut der Geschäftsordnung sieht das Verfahren ausdrücklich so vor, daß auf Antrag von 50 Mitgliedern des Hauses darüber abgestimmt werden muß, ob namentliche Abstimmung erfolgen soll oder nicht. An dieser Tatsache kommen wir nicht vorbei.
Das Wort hat der Abgeordnete Gengler.
Namens der Fraktion der CDU schließe ich mich den Ausführungen meines Vorredners an. Ich darf bemerken, daß über die Frage einer . Änderung dieser Bestimmung der Geschäftsordnung, die angeregt worden ist, noch keinerlei Beschluß vorliegt. Darum muß nach der bisherigen Handhabung entsprechend dem Wortlaut der Geschäftsordnung verfahren werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.
Meine Damen und Herren! Ich bedauere außerordentlich, daß wir diese Frage, wie es im Ältestenrat verabredet war, nicht schon dort ohne einen aktuellen Zusammenhang geklärt haben. Ich möchte unterstreichen, was der Herr Präsident gesagt hat. Als wir kürzlich im Altestenrat eine Aussprache über diese Frage hatten, bestand bei allen Fraktionsvertretern Übereinstimmung darüber, daß die bis jetzt geübte Praxis nicht zweckmäßig und nicht im Sinne der Geschäftsordnung ist, und zwar deshalb, weil wir festgesestellt haben, daß diese Bestimmung der Geschäftsordnung wörtlich aus der Geschäftsordnung des alten Reichstags übernommen worden ist. Unser Alterspräsident, der Herr Abgeordnete Löbe, hat in einer Sitzung des Ältestenrates mitgeteilt, daß während all der Jahre des Deutschen Reichstags diese Bestimmung so angewandt worden ist, daß eine namentliche Abstimmung erfolgte, wenn der Antrag auf namentliche Abstimmung von mindedestens 50 Abgeordneten unterstützt wurde.
Meine Damen und Herren, ich bedaure, daß wir hier eine Kontroverse haben über eine Angelegenheit, die in der Sache völlig klar ist. Wenn nämlich diese Bestimmung der Geschäftsordnung überhaupt einen Sinn haben soll, dann kann es doch nur der sein, daß man einer Minderheit des Hauses die Möglichkeit
geben will, in einer Frage, die sie für wichtig hält, eine namentliche Abstimmung durchzuführen. Ich möchte dringend darum bitten, daß die Mehrheit des Hauses, nachdem wir heute eine Aussprache hier im Plenum haben, sich dafür entscheidet, daß wir in dieser Frage in Zukunft genau so verfahren, wie es im alten Reichstag der Fall gewesen ist.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich bin nicht der Meinung, daß wie die Frage der Interpretation der Geschäftsordnung durch eine Abstimmung erledigen können.
Dafür gibt es den § 119 — wenn ich mich nicht täusche —, der hierfür ein besonderes Verfahren vorsieht. Ich glaube, loyal zu handeln, wenn ich nach der bisherigen Praxis verfahre.
Ich lasse daher abstimmen, ob namentliche Abstimmung stattfinden soll oder nicht. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. —
Gegenprobe! —
Darf ich um eine Wiederholung der Abstimmung bitten. Es ist sehr schwer, eine sichere
Feststellung zu treffen. Wer für die namentliche Abstimmung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! Es läßt sich immer noch nicht mit Sicherheit sagen. Es ist die alte Geschichte von der dichteren Besiedlung der kleineren Fläche.
Wir müssen im Hammelsprung entscheiden. Wer dafür ist, den bitte ich, durch die Ja-Tür, wer dagegen ist, durch die Nein-Tür, wer sich der Stimme enthält, durch die Mitteltür einzutreten.
Mein Damen und Herren! Ich bitte, den Saal zu räumen.
— Ich bitte, die Abstimmung zu beschleunigen. — Ich werde in einer Minute die Türen schließen lassen.
Ich bitte, die Türen zu schließen. - Die Abstimmung beginnt. Ich bitte, die Türen zu öffnen.
Meine Damen und Herren! Ich bitte, die Abstimmung zu beschleunigen. Ich lasse in einer Minute die Türen schließen. — Ich lasse in zehn Sekunden die Türen schließen.
Ich bitte, die Türen zu schließen. Die Abstimmung ist geschlossen.
Die Türen sind wieder zu öffnen.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis der Abstimmung ist: Nein 137 Stimmen, Ja 118 Stimmen, Enthaltungen 0. Damit ist der Antrag auf namentliche Abstimmung abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr ab, zunächst über die Anträge Drucksachen Nr. 1587 und 1534, die sachlich identisch sind. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Letzteres war die Mehrheit.
Nunmehr über den Antrag Drucksache Nr. 1525, der die Freigrenze auf 200 DM festgesetzt wissen will. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben: — Gegenprobe! — Einstimmig angenommen!
Nunmehr der nächste Komplex der Anträge, Antrag Drucksache Nr. 1586.
Das Wort zur Abstimmung hat der Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner Freunde erkläre ich, daß wir dem Antrag Drucksache Nr. 1586 zustimmen.
Wir stellen aber den Antrag, die Regierung zu beauftragen, dem Haushaltsausschuß unverzüglich eine Deckungsvorlage zu unterbreiten.
Ich lasse abstimmen. Wer für die Annahme des Antrags Drucksache Nr. 1586 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. —Gegenprobe! — Einstimmig angenommen.
Nunmehr der Antrag Drucksache 1473. Es handelt sich hier um die Gewährung einer einmaligen Winterbeihilfe von 200 DM zur Beschaffung von Hausbrand und Winterkartoffeln und zur Ergänzung der Winterkleidung. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Nun der Antrag 1545. Es ist der Antrag, nach dem die Bundesregierung ersucht werden soll, den Gemeinden und Städten zu empfehlen, die Liefe-
rung von Strom und Gas für Hauptunterstützungsempfänger aus der Arbeitslosenversicherung um die Hälfte zu verbilligen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Nunmehr der Antrag Drucksache 1471. Es ist der Antrag, wonach die Bundesregierung beauftragt werden soll, den Fürsorgeverbänden eine sofortige Erhöhung der Fürsorgesätze als Ausgleich für die erhöhten Lebenshaltungskosten um 30 vom Hundert zu empfehlen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Letzteres war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Nunmehr der Initiativantrag der Zentrumsfraktion auf Drucksache 1541, der in erster Lesung verabschiedet wird. Hier ist Überweisung an den Haushaltsausschuß — —
Wer für die Überweisung dieses Antrags an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! — Die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Allgemeine Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich über die Soziale Sicherheit nebst vier Zusatzvereinbarungen und drei Protokollen .
Zur Begründung hat das Wort der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Zeit vom 8. bis 20. Mai und vom 4. bis 10. Juli haben in Paris auf Einladung der französischen Regierung Verhandlungen über den Abschluß eines deutsch-französischen Abkommens über die soziale Sicherheit stattgefunden. Die Verhandlungen haben am 10. Juni 1950 zur Unterzeichnung eines Allgemeinen Abkommens geführt, und darüber hinaus sind für die verschiedenen Versicherungsträger besondere Regelungen getroffen.
Das Allgemeine Abkommen befaßt sich mit allen Zweigen der Sozialversicherung sowie mit dem französischen System der Familienhilfe. Die Arbeitslosenversicherung ist in dieses Abkommen nicht eingeschlossen. Das Allgemeine Abkommen stellt die beiderseitigen Staatsangehörigen in ihren Rechten und Pflichten auf dem Gebiete der sozialen Sicherheit einander gleich. Es legt fest, daß grundsätzlich der Beschäftigungsort für die Zuständigkeit der beiderseitigen Versicherungen maßgebend ist. Es schließt für die beiderseitigen Staatsangehörigen alle innerstaatlichen Vorschriften aus, die die Gewährung von Leistungen in das Ausland beschränken oder die Rentenzahlung von der Staatszugehörigkeit abhängig machen.
In der Krankenversicherung ist generell festgelegt, daß der jeweilige Versicherungsträger an dem Ort, wo die Erkrankung eintritt, für die Leistungen zu haften hat. In die Leistungen eingeschlossen sind die Familienangehörigen, die mit dem Versicherten in Familiengemeinschaft leben. Wenn die Angehörigen des Versicherten außerhalb des Staates wohnen, in dem der Betreffende beschäftigt ist, muß der heimatliche Versicherungsträger die Leistungen übernehmen. Gegenseitige Finanzausgleiche finden dafür nicht statt.
In der Invalidenversicherung ist die Sache so geregelt, daß die Leistungen an den vorzeitig invalide gewordenen Menschen von dem Versicherungsträger getragen werden müssen, bei dem der Versicherte zuletzt ein volles Jahr versichert gewesen ist. Auch hier werden irgendwelche Zahlungsausgleiche nicht vorgenommen. Wenn der Versicherte 60 Jahre alt ist und er bekommt eine Altersrente, dann allerdings tritt der Zustand ein, daß die Versicherungsträger der beiden Länder nach der Dauer der Versicherungszeit in den Ländern gemeinschaftlich die Gelder aufbringen müssen.
Die deutschen Arbeitnehmer in Frankreich werden in die Familienhilfeeinrichtungen des französischen Staates eingegliedert und bekommen die gleichen Leistungen wie der französische Staatsangehörige auch.
In der Unfallversicherung werden ebenfalls alle Einschränkungen aufgehoben, und der Gastarbeiter wird dem Einheimischen gleichgestellt.
In den Zusatzvereinbarungen zu dem Allgemeinen Abkommen sind vor allem die Regelungen für die Bergleute und für die Grenzgänger berücksichtigt, und darüber hinaus ist festgelegt, daß auch die Flüchtlinge und verdrängten Personen die gleichen Leistungen und Rechtsansprüche haben wie die Angehörigen der beiden vertragschließenden Länder.
Wichtig in diesem Abkommen ist, daß eine grundsätzliche Verständigung über die Leistungen erzielt werden konnte, die sich für die französischen Arbeiter in der Kriegszeit ergeben haben. Hier ist vorgesehen, daß für fünf Jahre, und zwar vom Jahre 1940 bis zum Jahre 1945, Frankreich alle Leistungen übernimmt, die sich aus der Beitragszahlung der französischen Arbeiter in Deutschland ergeben. Als Äquivalent dafür übernimmt Deutschland alle Leistungen, die sich aus der Beitragszahlung deutscher Arbeiter in Frankreich in der Zeit von 1945-1950 ergeben.
Gerade auf diesem Gebiet standen wir in den letzten Jahren vor scheinbar unüberwindlichen Schwierigkeiten. Sie sind überwunden worden, und ich glaube, daß diese Vereinbarungen einen wesentlichen Schritt zu einer endgültigen Versöhnung zwischen den beiden Ländern Deutschland und Frankreich darstellen.
Der Gesetzentwurf ist damit eingebracht. Der Ältestenrat hat vorgesehen, die erste Beratung ohne Debatte vorzunehmen. Da kein Widerspruch erfolgt, lasse ich über den Antrag auf Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache Nr. 1480 an den Ausschuß für Sozialpolitik abstimmen. Ich bitte diejenigen, die mit der Überweisung einverstanden sind, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich über die Anwerbung von deutschen Arbeitskräften für Frankreich vom 10. Juli 1950 .
Das Wort zur Einbringung hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ihnen hier vorliegende Vereinbarung tritt an die
Stelle der im Jahre 1947 zwischen den Militärregierungen und Frankreich abgeschlossenen Abkommen über die Anwerbung von deutschen Arbeitskräften für Frankreich. Von deutscher Seite besteht ein Interesse daran, daß die Anwerbung nicht mehr auf der Grundlage der zwischen Frankreich und den Militärregierungen abgeschlossenen Abkommen fortgesetzt wird. Der französischen Anwerbekommission waren für die Werbung bisher allzu geringe Bindungen auferlegt.
Die vorliegende Vereinbarung bezweckt, den internationalen Arbeitskräfteaustausch zu fördern, indem ein zeitweiliger Überschuß von deutschen Arbeitskräften und ein zeitweiliger mit französischen Arbeitskräften nicht zu deckender Arbeitskräftebedarf französischer Betriebe durch Anwerbung deutscher Arbeitskräfte ausgeglichen wird.
Eine bestimmte Zahl anzuwerbender Arbeitskräfte ist im Gegensatz zu dem bisherigen Abkommen in diesen Vereinbarungen nicht festgelegt. Der Bedarf Frankreichs an deutschen Arbeitskräften wird den Bundesbehörden vierteljährlich gemeldet und im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten auf dem deutschen Arbeitsmarkt gedeckt.
Als Bewerber kommen 18- bis 40jährige Arbeitskräfte in Frage. Die Anwerbung findet über die deutschen Arbeitsämter statt. Die deutschen Arbeitskräfte werden in Frankreich hinsichtlich der Arbeitsbedingungen sowie des Krankheits- und Unfallschutzes den französischen Arbeitskräften gleichgestellt. Besondere Erleichterungen sind für den Fall vorgesehen, daß der deutsche Arbeitnehmer seine Familie nach Frankreich nachholen kann.
Der Gesetzentwurf ist damit eingebracht. Der Ältestenrat schlägt auch zu diesem Punkt vor, unter Verzicht auf eine Aussprache in der ersten Beratung die Überweisung an den Ausschuß für Arbeit zu beschließen. Ich bitte diejenigen, die diesem Vorschlag zustimmen, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich über Gastarbeitnehmer vom 10. Juli 1950 .
Das Wort hat zur Einbringung der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Beschäftigung von Ausländern ist in jedem Staat genehmigungspflichtig. Die einzelnen Staaten erteilen im allgemeinen nur für solche Arbeitsplätze die Genehmigung, die nicht mit einheimischen Arbeitskräften besetzt werden können. Um die berufliche und sprachliche Fortbildung junger Arbeitnehmer durch eine Auslandstätigkeit zu fördern, sind bereits vor dem zweiten Weltkrieg zwischen Deutschland einerseits und Frankreich, Großbritannien, Italien, Belgien und den Niederlanden andererseits Gastarbeitnehmervereinbarungen abgeschlossen worden.
Auf Gastarbeitnehmer, d. h. Arbeitnehmer, die zur Vervollkommnung ihrer Berufs- und Sprachkenntnisse ein Beschäftigungsverhältnis im Ausland eingehen, werden die allgemeinen Zulassungsvorschriften für ausländische Arbeitnehmer in den vertragschließenden Staaten nicht angewandt. Sie werden ohne Rücksicht auf die allgemeine Beschäftigungslage und die besondere Beschäftigungslage der einzelnen Berufe zugelassen.
Die vorliegende Vereinbarung erneuert und erweitert das im Jahre 1928 zwischen Deutschland und Frankreich geschlossene Gastarbeitnehmerabkommen. Entsprechend dem Fortbildungswert sollen Gastarbeitnehmer das Alter von 30 Jahren nicht überschritten haben. Die Zahl der jährlichen Zulassungen ist auf 1000 beschränkt. Nach dem Abkommen von 1928 betrug sie nur 500. In erster Linie haben deutsche Arbeitskräfte den Wunsch, zur beruflichen Fortbildung nach Frankreich zu gehen. Wenn von französischer Seite das Kontingent nicht voll ausgeschöpft wird, kann es von deutscher Seite trotzdem voll in Anspruch genommen werden. Die Dauer des Arbeitsvertrages ist auf ein Jahr begrenzt und kann in Ausnahmefällen um sechs Monate verlängert werden. Die Behörden der beiden Staaten werden Arbeitskräfte, die nicht in der Lage sind. selbst einen Arbeitgeber zu finden. der sie als Gastarbeitnehmer anstellen will, bei der Stellensuche auf jede Weise unterstützen.
Meine Damen und Herren! Auch für diesen Punkt hat der Ältestenrat vorgesehen, daß nach Einbringung durch die Bundesregierung die erste Beratung, mit der Überweisung an den Ausschuß für Arbeit abgeschlossen wird. Ich bitte diejenigen, die der Überweisung zustimmen, die Hand zu erheben.—Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich über Grenzgänger vom 10. Juli 1950 .
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Grenzgängerverkehr an der deutsch-französischen Grenze ist vor dem 2. Weltkrieg zuletzt in dem deutsch-französischen Grenzverkehrsvertrag vom 12. Dezember 1937 geregelt worden. Nach 1945 ist das Bedürfnis aufgetreten, für den Grenzverkehr der Arbeitnehmer ein besonderes Grenzgängerabkommen zu schaffen.
Im Teil C 1 des Zusatzprotokolls zum Zahlungsabkommen zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik vom 10. Februar 1950 wurde vereinbart, daß zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik so bald wie möglich ein Abkommen über den Arbeitseinsatz von Grenzgängern abgeschlossen werden soll. Frankreich hat mit Luxemburg und Belgien neuerdings ähnliche Abkommen abgeschlossen. Zur Zeit sind an der deutsch-französischen Grenze rund 800 deutsche und etwa 20 französische Grenzgänger vorhanden. Da in der deutschen Grenzzone die Arbeitsmöglichkeiten zum Teil sehr schlecht sind, ist es besonders erwünscht, deutschen Arbeitskräften durch einen erleichterten Grenzübertritt und durch Gleichstellung mit den französischen Arbeitskräften Arbeitsmöglichkeiten in der französischen Grenzzone zu erschließen. Den in dem Grenzgebiet des einen Landes wohnenden und im Grenzgebiet des andern Landes beschäftigten Arbeitnehmern wird durch Ausstellung von Grenzgängerkarten ein erleichterter Grenzübertritt gewährt. Als Grenzgebiet gilt
eine Zone auf beiden Seiten der Grenze von grundsätzlich 10 Kilometern Tiefe. Die Ausstellung und Erneuerung der Grenzgängerkarten erfolgt im gegenseitigen Einvernehmen der zuständigen Behörden der beiden Staaten. Die Geltungsdauer der Grenzgängerkarten beträgt ein Jahr. Die Grenzgänger werden in bezug auf die Arbeitsbedingungen sowie den Unfall- und Krankheitsschutz den Staatsangehörigen des Landes, in dem sie ihren Arbeitsort finden, gleichgestellt.
Meine Damen und Herren! Der Ältestenrat hat für diesen Gegenstand vorgeschlagen, von einer Aussprache zur ersten Beratung abzusehen. Ich schlage Ihnen daher vor, den vorliegenden Gesetzentwurf federführend dem Ausschuß für Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten und gleichzeitig dem Ausschuß für Arbeit zu überweisen. Ich bitte diejenigen, die mit diesem Vorschlag einverstanden sind, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr auf Punkt 9 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Neuordnung der Beziehungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in den Betrieben (Nr. 1546 der Drucksachen).
Auch für diesen Gegenstand hat der Ältestenrat vorgesehen, mit Rücksicht auf die zum gleichen Stoffgebiet hier bereits vorgenommene ausführliche Aussprache von einer Aussprache in der ersten Beratung abzusehen und Ihnen die Überweisung an den Ausschuß für Arbeit vorzuschlagen. Ich bitte diejenigen, die mit diesem Vorschlag einverstanden sind, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich finde hier einen Vermerk, daß Punkt 10 der Tagesordnung nach interfraktioneller Vereinbarung für heute zurückgestellt werden soll. - Es wird nicht widersprochen; das Haus ist damit einverstanden.
Ich rufe damit Punkt 11 der Tagesordnung auf:
zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Schifferdienstbücher ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Verkehrswesen (Nr.1558 der Drucksachen).
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Sander.
— Der Herr Berichterstatter ist nicht anwesend. Unter diesen Umständen empfehle ich, diesen Punkt von der Tagesordnung abzusetzen. - Herr Abgeordneter Cramer, bitte!
Ich schlage Vertagung vor; der Berichterstatter ist im Hause, nur nicht hier.
Gut, ich bin damit einverstanden, daß der Punkt zunächst zurückgestellt und unter Umständen später beraten wird.
Ich rufe dann Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Personenstandsgesetzes ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung .
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Etzenbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die uns vorliegenden Drucksachen Nr. 1371 und Nr. 1559 beziehen sich auf den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Personenstandsgesetzes vom 3. November 1937.
Nach diesem Gesetz werden Geburt und Tod eines Menschen bei dem Standesamt beurkundet, in dessen Bezirk Geburt oder Tod eingetreten sind. Eheschließungen werden von dem Standesamt beurkundet, vor dem die Ehe geschlossen wurde. Eine Ausnahme von diesen Vorschriften macht der § 41 Abs. 1 des Personenstandsgesetzes; er bestimmt, daß Personenstandsfälle, die sich im Ausland ereignet haben, in besonderen Fällen auf Anordnung des Reichsministers des Innern oder der von ihm bestimmten Stelle bei dem Standesamt I in Berlin oder einem anderen von dem Innenminister hierfür bestimmten Standesamt beurkundet werden.
Während des Krieges und in der ersten Nachkriegszeit ergab sich die Notwendigkeit, diese Grundsätze zu lockern. In den letzten Kriegsmonaten und in der ersten Zeit nach Beendigung der Kampfhandlungen sind die Anzeigen von Geburts- und Sterbefällen vielfach unterblieben. Es trifft das insbesondere zu bei Geburten und Sterbefällen unter den Flüchtlingen aus dem Osten, die auf der Flucht eingetreten waren. In der britischen Zone ist für solche Fälle durch eine Verordnung des Präsidenten des Zentraljustizamtes eine Regelung — eine sogenannte Notbeurkundung — getroffen worden. Die gleiche Regelung haben die Länder der amerikanischen Zone eingeführt. In der französischen Zone sind bisher entsprechende Vorschriften nicht erlassen worden.
Es hat sich nun, und zwar in der letzten Zeit immer mehr, das Bedürfnis bemerkbar gemacht, eine Abweichung von dem Territorialprinzip des Personenstandsgesetzes zuzulassen. Todesfälle in einem Konzentrationslager der Ostzone, deren Beurkung dort meist nicht zu erreichen ist, an deren Beurkundung die Angehörigen häufig aber ein berechtigtes Interesse haben, können bei der jetzigen Rechtslage im Bundesgebiet nicht vorgenommen werden. Den auf Grund einer hessischen Verordnung erfolgenden Beurkundungen von Sterbefällen in den ehemaligen deutschen Konzentrationslagern fehlt, soweit die in Frage kommenden KZ's außerhalb des Landes Hessen gelegen waren, eine ausreichende Rechtsgrundlage.
Durch den uns vorliegenden Gesetzentwurf soll diesen Wünschen und Notwendigkeiten Rechnung getragen werden. Der Ausschuß für innere Verwaltung hat sich in eingehender Beratung mit dem Entwurf befaßt, er hat einige Änderungen vorgenommen, die ich kurz erläutern möchte.
Art. 1 Ziffer 1 sieht eine Änderung des § 41 Abs. 1 des Personenstandsgesetzes vor. Hier hat sich der Ausschuß für die Fassung der Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zu dem Vorschlag des Bundesrats entschieden, mit der Maßgabe, daß alle in Frage kommenden Standesfälle ausschließlich beim Standesamt I in Berlin zu beurkunden sind. Die in der Regierungsvorlage vorgesehene Ermächtigung der Obersten Landesbe-
hörde, für die Beurkundung auch ein anderes Standesamt zu bestimmen, wurde durch einstimmigen Ausschußbeschluß beseitigt. Bestimmend hierfür war einmal die Zweckmäßigkeit der Beurkundung aller derartiger Standesfälle bei einem Standesamt, zum anderen der Umstand, daß die Anordnung der Obersten Landesbehörde nach diesem Paragraphen nicht bereits die Eintragungsanordnung enthält, sondern nur festlegt, daß ein „besonderer Fall" im Sinne des Gesetzes vorliegt und daher eine Beurkundung des Standesfalles zu erfolgen hat. Hieran ist das Standesamt gebunden. Aber der Inhalt der Eintragung in seinen Einzelheiten ist damit noch nicht festgelegt. Beispielsweise kann der Zeitpunkt des Versterbens in dem Konzentrationslager noch der Klärung bedürfen, bevor die Beurkundung des Standesfalles erfolgt. Nicht nur die Mitwirkung der Aufsichtsbehörde, sondern auch die Anrufung des Amtsgerichts, Landgerichts und Oberlandesgerichts wird also vielfach praktisch werden. Werden Standesämter in verschiedenen Oberlandesgerichtsbezirken durch die Obersten Landesbehörden eingeschaltet, so wird eine Vielzahl von Gerichten und anderen Dienststellen mit solchen Dingen befaßt, wobei Verschiedenheiten der Handhabung nicht ausbleiben werden, die gerade auf diesem Gebiete besonders unerwünscht sind. Wird dagegen nur dem einen Standesamte in Berlin die Bearbeitung dieser Fälle übertragen, so hat sich nur dessen Aufsichtsbehörde, ferner nur ein Amtsgericht, ein Landgericht und das Kammergericht mit solchen Fällen zu befassen, wobei eine feste Praxis sich rasch bilden wird.
Ein Antrag des Vertreters der Stadt Berlin, dem Standesamt I die Bezeichnung „Sonderstandesamt" zu geben, weil auch Ost-Berlin ein Standesamt I eingerichtet habe, wurde zurückgezogen, nachdem darauf hingewiesen worden war, daß Ost-Berlin ebenso in der Lage sei, sein Standesamt I in „Sonderstandesamt" umzubenennen.
Ein Sammelbuch der Todeserklärungen soll nur noch beim Standesamt I Berlin-West geführt werden. Die neue Fassung bestimmt, daß die dem früheren Reichsminister des Innern zustehenden Befugnisse auf die zuständigen Obersten Landesbehörden übergegangen sind.
Ziffer 2 des Art. 1 regelt das Verfahren bei Zweifeln über die örtliche Zuständigkeit mehrerer Standesbeamten. Auch hier ist der Ausschuß dem Vorschlag des abgeänderten Regierungs-Entwurfs gefolgt.
Die Ziffer 3 des Art. 1 behandelt die Beurkundung der Sterbefälle von Häftlingen der ehemaligen deutschen Konzentrationsläger. Die vorgeschlagenen §§ 43 a bis 43 f enthalten die erforderlichen Vorschriften. Sie sehen vor, daß für alle Sterbefälle von ehemaligen KZ-Häftlingen das Sonderstandesamt in Arolsen ausschließlich zuständig ist und regeln das Verfahren, in dem auch zur besseren Übersicht die Führung einer Kartei vorgesehen ist. Der Ausschuß war einstimmig der Auffassung, daß die Einrichtung einer zentralen Stelle für die Beurkundung der KZ-Sterbefälle als durchaus zweckmäßig anzusehen sei. Nach § 43 f Abs. 1 sind die Amtshandlungen des Sonderstandesamtes Arolsen gebührenfrei.
In Art 2 des Gesetzentwurfs werden verschiedene Vorschriften der ersten Verordnung zur Ausführung des Personenstandsgesetzes vom 19. Mai 1938 an die Vorschriften des Art. 1 des vorliegenden Gesetzentwurfes angepaßt.
In § 73 der Ausführungsverordnung von 1938, die die Beurkundung von Standesfällen von deutschen Staatsangehörigen im Ausland, auf der See, in der Luft und der Soldaten behandelt, sollen die Worte „von deutschen Staatsangehörigen im Ausland" ersetzt werden durch die Worte: „von Deutschen im Sinne des Art. 116 des Grundgesetzes, die sich außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes ereignet haben".
Diese Formulierung hat auch an anderen Stellen des Gesetzentwurfes Anwendung gefunden, so in Art. 1 Ziff. 1, 2 und 3 und in Art. 2, Ziffer 1 und 3. Auf die weiteren Einzelbestimmungen formaler Art einzugehen, dürfte sich erübrigen.
Art. 3 der Vorlage schließlich setzt die hessische Verordnung zur Durchführung des Personenstandsgesetzes vom 1. 9. 1949 außer Kraft. Sie ist durch Art. 1, Ziffer 3, § 43 a und folgende dieses Gesetzentwurfes ersetzt. Den auf Grund der hessischen Verordnung erfolgten Beurkundungen von außerhalb des Landes Hessen gestorbenen KZ-Insassen beim Sonderstandesamt Arolsen wird durch Abs. 2 die gleiche Rechtswirkung beigelegt, wie wenn sie auf Grund des vorliegenden Gesetzentwurfs beurkundet worden wären.
Gemäß dem einstimmigen Beschluß des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung habe ich das Hohe Haus zu bitten, den Gesetzentwurf in der vorliegenden Ausschußfassung annehmen zu wollen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort zur Beratung wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe auf auf Grund der Drucksache Nr. 1559 in Verbindung mit der Berichtigung Umdruck Nr. 26 zu Drucksache Nr. 1559: Art. 1 Ziffer 1, 2, 3; Art. 2 Ziffer 1, 2, 3; Art. 3; Einleitung und Überschrift. Ich bitte diejenigen, die diesen Artikeln zustimmen, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr auf zur
dritten Beratung.
— Das Wort wird nicht gewünscht. Die Beratung ist geschlossen. Ich bitte diejenigen, die dem in zweiter Beratung angenommenen Gesetzentwurf im ganzen zustimmen, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit. Es ist demgemäß beschlossen und das Gesetz angenommen.
Ich rufe auf Punkt 13 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag der Abgeordneten Dr. Richter (Niedersachsen) und Genossen betreffend Notstandsgebiet Wilhelmshaven (Nrn. 1523, 584 der Drucksachen).
Im Namen des Herrn Berichterstatters ist mir der Wunsch vorgelegt worden, diesen Punkt wegen Verhinderung des Herrn Berichterstatters von der Tagesordnung abzusetzen. — Es wird nicht widersprochen; das Haus ist also damit einverstanden.
Ich rufe auf Punkt 14 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Fragen des Gesundheitswesens über den Antrag der Abgeordneten Dr. Jaeger, Strauß und Genossen betreffend Trinkwasser (Nrn. 1488, 942 der Drucksachen).
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Dr. Bärsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, dem Hause die Empfehlung des Ausschusses für Gesundheitswesen zu dem Antrag Drucksache Nr. 942 vorzutragen, wonach der Bundestag beschließen möge, die Bundesregierung zu ersuchen, bei der Alliierten Hohen Kommission vorstellig zu werden, daß die Entscheidung, inwieweit Trinkwasser zu chloren ist, deutschen Behörden überlassen wird.
Im Zuge der Besetzung hat sich ergeben, daß die amerikanischen Militärbehörden mit der bislang in Deutschland geübten Praxis der Desinfektion des Wassers mit Chlor nicht einverstanden sind, und zwar liegen die Unterschiede im wesentlichen darin, daß die amerikanischen Besatzungsbehörden eine wesentlich stärkere Chlorierung des Trinkwassers fordern, als das bislang in Deutschland geübt worden ist. Die Amerikaner mögen dabei in ihrer Auffassung sehr entscheidend von der Tatsache bestimmt werden, daß in den USA völlig andere Verhältnisse und Voraussetzungen auf diesem Gebiet herrschen als bei uns in Deutschland. In den USA wird das Trinkwasser zum allergrößten Teil aus Oberflächenwasser, aus Talsperren und Flüssen gewonnen und ist infolgedessen in viel stärkerem Ausmaße verunreinigt als bei uns in Deutschland, wo in der Mehrzahl der Fälle sauberes Grundwasser zur Verfügung steht. Grundwasser ist im allgemeinen nicht chloriert worden, sondern chloriert worden ist in Deutschland und in den übrigen Ländern in der Regel nur Oberflächenwasser, das wesentlich stärkere Keimzahlen aufweist.
Die deutsche Wissenschaft ist der Meinung, daß ein freier Chlorgehalt von 0,15 bis 0,2 mg pro Liter nach einer 30minütigen Chlor-Einwirkung ausreichend ist, um eine Gewähr für die Genießbarkeit und Sauberkeit des Wassers zu bieten. Die Amerikaner fordern hingegen einen Mindestgehalt von 0,4 mg pro Liter.
Die Chlorierung des Wassers hat insofern nicht unwesentliche Nachteile, als darunter die geschmacklichen Qualitäten des Trinkwassers erheblich leiden. Das kommt in den Eingaben, die in dieser Frage immer wieder gemacht werden, sehr eindeutig zum Ausdruck. Die Chlorierung hat weiterhin den Nachteil, daß bei allzu starkem Chlorzusatz die Rohrleitungen, die entsprechenden Maschinen usw. Korrosionserscheinungen zeigen.
Bislang haben die Dinge völlig in der Kompetenz der Besatzungsmächte gelegen. Wir glauben aber, daß in Anbetracht der immerhin seit Kriegsende schon verstrichenen 5 Jahre und angesichts der Tatsache, daß auf diesem Gebiet die wissenschaftlichen Meinungen zwar auseinandergehen, wir in Deutschland aber mit unserer bisherigen Methode keinerlei ungünstige Erfahrungen gemacht haben, die Zeit gekommen ist, um hier eine Revision vorzunehmen und von der Alliierten Hohen Kommission zu erwirken, daß die Entscheidung über die Chlorierung des Trinkwassers wieder in deutsche Hände zurückgegeben wird.
Ich bitte Sie, in diesem Sinne dem Antrag des Gesundheitsausschusses stattgeben zu wollen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wortmeldungen sind nicht eingegangen. Ich schließe die Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung.
— Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Ende des Krieges war der zwangsweise Chlorzusatz zum Trinkwasser in allen Fällen eine dringende Notwendigkeit. Er hat bestimmt wesentlich dazu beigetragen, daß wir trotz der Zerstörung unserer Städte und der unter den Trümmern liegenden Toten von Seuchen verschont worden sind. Nun ist die Frage der Chlorierung inzwischen wiederholt überprüft worden, und wir haben noch in der allerletzten Zeit innerhalb des Bundeswirtschaftsministeriums mit den zuständigen technischen Dienststellen der Landesregierungen eine. Besprechung gehabt. Der zuständige bayerische Beamte hat damals berichtet, daß in Auswirkung des bekannten Alt-Öttinger Prozesses die Wasserwerkbetriebe in steigendem Maße die zuständigen örtlichen Gesundheitsbehörden um Überprüfung und verantwortliche Begutachtung der Trinkwasseranlagen veranlaßt haben. Das Ergebnis aller Untersuchungen ist gewesen, daß von den Gesundheitsämtern fast ausnahmslos eine mehr oder minder weitgehende Chlorierung verlangt worden ist. Die Wasserwerke sind diesen Auflagen auch nachgekommen, wobei für eine Verbesserung und gleichzeitige Verbilligung der Apparaturen gearbeitet worden ist.
Zu dem Antrage selbst möchte ich ausführen, daß die Stellungnahme und der Antrag des Ausschusses für Gesundheitswesen in gewisser Hinsicht überholt sind, da der amerikanische Hohe Kommissar auf ein Schreiben des. Bundesfinanzministers vom 2. Juli dieses Jahres, im Interesse der Kostenersparnis die Chlorierung aufzuheben, bereits unter dem 1. September dieses Jahres eingehend und ablehnend geantwortet hat. Die Antwort, die eine Milderung der Kriegsvorschriften und ein örtliches individuelles Vorgehen in Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden vorsieht, bedeutet ein gewisses Entgegenkommen. Darüber hinaus nochmals vorstellig zu werden, um mehr zu erreichen, bietet zur Zeit keine Aussicht. Ich möchte deshalb vorschlagen, daß wir es bei dem bisherigen Zustand bewenden lassen.
Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache Nr. 1488 zustimmen, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe nun auf Punkt 15 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Arbeit über den Antrag der Fraktion der DP betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs gegen die Schwarzarbeit (Nrn. 1522, 1230 der Drucksachen).
Das Wort hat Herr Abgeordneter Becker .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Arbeit hat sich auftragsgemäß mit dem Antrag auf Drucksache Nr. 1230 beschäftigt. Die Antragsteller streben mit ihrem Antrag gesetzliche Maßnahmen gegen die Schwarzarbeit an. Es besteht kein Zweifel darüber, daß der deutschen Wirtschaft durch die überhandnehmende Schwarzarbeit großer Schaden entsteht
und Bund, Staat und Gemeinden durch die Schwarzarbeit große Steuerausfälle haben. Besonders das Handwerk hat in vielen seiner Berufe sehr unter der Schwarzarbeit zu leiden; aber auch das übrige Gewerbe und die Industrie haben große Nachteile. Im Ausschuß für Arbeit kamen jedoch Zweifel auf, ob ein neues Gesetz allein hier Abhilfe schaffen kann; bestehen doch seit langem Gesetze und Verordnungen, die, wenn sie richtig angewandt werden, wohl die Schwarzarbeit unterbinden oder doch wenigstens stark beschränken können. Wir haben die Gewerbeordnung, die ein Einschreiten der Gewerbepolizei und anderer Polizei- und Gendarmeriekräfte im Übertretungsfalle vorsieht. Finanz- und Steuerbehörden haben die Möglichkeit und die Pflicht, hier einzugreifen, schon wegen der mit der Schwarzarbeit verbundenen Steuerhinterziehung. Die Arbeitsbehörden haben die Möglichkeit, sowohl diejenigen, die Schwarzarbeit leisten, als auch diejenigen, die Schwarzarbeit vergeben, zu belangen.
Es wäre notwendig, daß die zuständigen Aufsichtsbehörden dem Problem Schwarzarbeit mehr Aufmerksamkeit schenken. Im allgemeinen kann bis heute festgestellt werden, daß bei allen Anzeigen wegen Schwarzarbeit Gerichte und Behörden sehr zart verfahren.
Der Ausschuß für Arbeit hat beschlossen, den in der Drucksache Nr. 1522 vorliegenden Antrag dem Hohen Hause zu unterbreiten. Der Antrag lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, Maßnahmen zu erwägen, die geeignet sind, der überhandnehmenden Schwarzarbeit wirksam zu begegnen. Die Bundesregierung möge überprüfen, ob die derzeitigen gesetzlichen Bestimmungen für eine wirksame Bekämpfung der Schwarzarbeit ausreichen.
Namens des Ausschusses empfehle ich Ihnen die Annahme dieses Antrages.
Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Mir liegt ein Zusatzantrag der Fraktion der Deutschen Partei zum Antrag des Ausschusses vor, dem Antrag hinzuzufügen:
Die Bundesregierung wird gebeten, innerhalb eines Vierteljahres dem Bundestag über
die ergriffenen Maßnahmen zu berichten. Ich stelle diesen Antrag zunächst zur Abstimmung, möchte nur auf einen terminologischen Gesichtspunkt aufmerksam machen. Im allgemeinen entspricht es nicht dem Sprachgebrauch, der zwischen Parlament und Regierung bei der Beschlußfassung. angewandt wird, daß wir die Regierung „bitten". Ich würde also empfehlen, das Wort „gebeten" in das übliche Wort „ersucht" umzuwandeln.
— Ich stelle das Einverständnis des Antragstellers damit fest.
Ich lasse zunächst über den Ergänzungsantrag abstimmen und bitte diejenigen, die dafür sind, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Nunmehr bitte ich diejenigen, die dem Antrag des Ausschusses mit der soeben beschlossenen Ergänzung zustimmen, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 11 der Tagesordnung, den wir eben zurückgestellt hatten:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Schifferdienstbücher ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Verkehrswesen (Nr. 1558 der Drucksachen).
und bitte den Berichterstatter, Abgeordneten Sander, um seinen Bericht.
Meine Damen und Herren! Die Drucksache Nr. 1311 über den Entwurf eines Gesetzes über Schifferdienstbücher sowie der Mündliche Bericht des Ausschusses für Verkehrswesen in der Fassung der Drucksache Nr. 1558 liegt Ihnen vor. In der 86. Plenarsitzung wurde das Gesetz über Schifferdienstbücher am 15. September 1950 an den Ausschuß für Verkehrswesen überwiesen. Der Ausschuß hat sich in der 27. Sitzung am 4. Oktober mit dem Gesetzentwurf eingehend beschäftigt und schlägt Ihnen die aus dem schriftlichen Bericht ersichtlichen, fettgedruckten Änderungen vor.
Zum Gesetz selbst möchte ich folgendermaßen Stellung nehmen. Ebenso wie der Führer eines Kraftwagens einen Führerschein braucht, muß derjenige, der ein Binnenschiff führen will, einen Schiffsführerschein, auch Schifferpatent genannt, besitzen. Um das Patent erwerben zu können, sind von dem Bewerber verschiedene Voraussetzungen zu erfüllen, zu denen u. a. der Nachweis gehört, daß er bestimmte Stromstrecken befahren und bestimmte Fahrzeiten zurückgelegt hat. Dieser Nachweis wurde früher, d. h. vor Einführung der ehemaligen Arbeitsbücher, durch besondere Urkunden geführt, auf dem Rhein durch Schifferdienstbücher, die auf der Mannheimer Akte von 1868 beruhten, auf der Elbe durch Fahrtenbücher, die auf Grund der Internationalen Elbschiffahrtsakte ausgestellt wurden. Mit Einführung der Arbeitsbücher fielen diese Urkunden weg. Nach Wegfall der Arbeitsbücher besteht heute der unerfreuliche Zustand, daß die Nachweise von dem Schiffer durch einfache Bescheinigungen der Schiffsführer erbracht werden, deren Echtheit oft in Zweifel gezogen werden muß und die ebenso häufig verlorengehen.
Die Schiffahrt hat daher den dringenden Wunsch geäußert, einheitliche Schifferdienstbücher einzuführen, was durch das vorliegende Gesetz geschehen soll. Das Gesetz hat insofern eine längere Geschichte, als es bereits beim früheren Wirtschaftsrat eingebracht war, von diesem jedoch auf die Liste der dem Bundestag vorzubehaltenden Gesetze gesetzt worden war.
Der Ausschuß für Verkehrswesen hat sich, wie bereits gesagt wurde, mit dem Gesetzentwurf eingehend befaßt, ihn gebilligt und schlägt folgende geringfügige Änderungen vor.
In § 1 Abs. 1 Buchst. a) ist hinter den Worten „in ein festes Dienstverhältnis tritt" folgender Zusatz einzufügen: „oder Dienst tut". Es sollen damit auch die Fälle erfaßt werden, in denen der Eigentümer eines Binnenschiffs, der noch kein Schifferpatent besitzt, auf seinem eigenen Schiff zur Bemannung gehört und Dienst tut.
In § 6 erhält Abs. 1 folgenden zweiten Satz: „Weitere Eintragungen sind nicht zulässig."
Damit wird einer Anregung des Bundesrats entsprochen. Der Inhaber des Schifferdienstbuches soll vor Eintragungen geschützt werden, die seine Person irgendwie nachteilig kennzeichnen.
Zu § 6 Abs. 4: 13m klar herauszustellen, daß der Schiffsführer die Nachtragungen nur hinsichtlich der Reisen seiner Mannschaft vorzunehmen hat, die diese auf seinem Schiff zurückgelegt hat, schlägt der Ausschuß folgende Fassung vor:
Für die bei Inkrafttreten des Gesetzes im Dienst befindliche Mannschaft eines Binnenschiffs hat der Schiffsführer die Angaben über den Dienstantrit auf dem von ihm geführten Schiff und, soweit Nachweise hierüber vorhanden sind, die seitdem auf diesem Schiff zurückgelegten Fahrten und die befahrenen Stromstrecken nachzutragen.
Zu § 8: Damit auch die fahrlässige Begehung von Verstößen gegen die dem Schiffsführer, den Schiffs- und Hilfsleuten nach dem Gesetz obliegenden Pflichten bestraft werden kann, schlägt der Ausschuß entsprechend einer Anregung des Bundesrats folgende Fassung des § 8 vor:
Soweit nicht in anderen Vorschriften eine schwerere Strafe angedroht ist, wird mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Deutschen Mark bestraft
1. ein Schiffsführer, der vorsätzlich oder fahrlässig
a) entgegen § 4 einen Schiffs- oder Hilfsmann beschäftigt, ohne daß dieser ihm zuvor sein Schifferdienstbuch ausgehändigt hat,
b) das Schifferdienstbuch nicht oder unrichtig führt,
c) gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 unzulässige Eintragungen vornimmt,
d) es unterläßt, das in seinem Besitz befindliche Schifferdienstbuch gemäß § 7 vorzuzeigen oder vorzulegen;
2. ein Schiffs- oder Hilfsmann, der eigenmächtig in seinem Schifferdienstbuch Eintragungen vornimmt oder der es vorsätzlich oder fahrlässig unterläßt, das in seinem Besitz befindliche Schifferdienstbuch gemäß § 7 vorzuzeigen oder vorzulegen.
Bei dieser Fassung ist in Ziffer 1 Buchstabe c) eine neue Strafbestimmung aufgenommen worden, die sich aus dem Zusatz zu § 6 Abs. 1 ergibt.
Im Auftrage des Ausschusses für Verkehrswesen bitte ich das Hohe Haus, sich dem Antrag des Ausschusses anzuschließen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Vorlage des Ausschusses für Verkehrswesen auf Drucksache Nr. 1558.
Da Abänderungsanträge nicht vorliegen, rufe ich auf §§ 1,-2,-3,-4,-5,-6,-7,-8,-
9, —10, — Einleitung und Überschrift. -
Ich bitte diejenigen Damen und Herren, die den aufgerufenen Paragraphen zustimmen wollen, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen. Damit ist die zweite Lesung beendet.
Wir kommen zur
dritten Lesung.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz in der in zweiter Lesung beschlossenen Fassung zustimmen wollen, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit. Damit ist der Gesetzentwurf auch in dritter Beratung angenommen.
Ich rufe nunmehr auf Punkt 16 der Tagesordnung:
Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die
Ausschüsse .
Ich mache darauf aufmerksam, daß der Antrag Nr. 1587 betreffend Änderung der LohnsteuerDurchführungsverordnung herausgenommen werden muß, weil er inzwischen heute bereits beraten und abgelehnt worden ist.
Ich bitte die Damen und Herren, die mit dieser Änderung dem Antrag auf Drucksache Nr. 1574 zustimmen wollen, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Schluß der Tagesordnung angelangt. Einen neuen Sitzungstermin kann ich noch nicht angeben, weil darüber noch nicht endgültig Beschluß gefaßt ist.
Ich darf die Mitglieder des Ältestenrates darauf aufmerksam machen, daß 10 Minuten nach Schluß dieser Sitzung der Ältestenrat in seinem Sitzungszimmer zusammentritt.
Ich schließe die Sitzung.