Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 16. Sitzung des Deutschen Bundestags.
Vor Eintritt in die Tagesordnung stelle ich zunächst die abwesenden Mitglieder des Hauses fest. Ich bitte die Schriftführerin Frau Albertz, die Namen der beurlaubten Mitglieder des Hauses freundlicherweise zu verlesen.
Beurlaubt sind wegen Krankheit die Abgeordneten Nickl, Gengler, Blachstein, Dirscherl, Loritz, Wallner, Reimann, Müller , Ewers, Nuding, Müller (Oskar), Kuhlemann; aus anderweitigen Gründen die Abgeordneten Dr. Henle, Lenz, Fürst Fugger von Glött, Neuburger, Dr. Oesterle, Ehren, Gockeln, Ritzel, Görlinger, Kalbfell, Bromme, Schoettle, Brandt, Neumann, Dr. Suhr, Freudenberg, Wirths, Dr. Baumgartner, Paul (Hugo), Lübke, Dr. Tillmanns, Wagner, Weiß.
Ich habe weiter folgende Mitteilungen zu machen. Die Beschlüsse Nr. 14 / 1 bis 5 und 15 / 1 bis 5 der 14. und 15. Sitzung des Bundestags liegen wie üblich zur Einsichtnahme auf dem Tisch des Hauses aus.
Auf Grund einer soeben erfolgten Besprechung im Aeltestenrat wird die Tagesordnung wie folgt erweitert:
1.) Mündlicher Bericht des Ausschusses für Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten
als Punkt 6;
2.) Antrag der Fraktion der SPD betreffend Vorfinanzierung der Hausratshilfe ,.
Außerdem liegt ein Antrag der sozialdemokratischen Fraktion folgenden Inhalts vor:
Auf die Tagesordnung der Sitzung des Bundestags am Donnerstag, dem 10. November, ist an die erste Stelle zu setzen:
1.) Erklärung der Bundesregierung über ihre politischen Beschlüsse im Zusammenhang mit der Pariser Konferenz,
2.) Aussprache über diese Regierungserklärung.
Ich darf zunächst den Herrn Bundeskanzler fragen, ob er bereit ist, eine Erklärung in dem eben angedeuteten Sinne abzugeben.
Ich bin nicht in der Lage, eine solche Erklärung heute abzugeben. Ab Montag nächster Woche bin ich aber jederzeit dazu bereit.
Nach der einschlägigen Bestimmung des § 71 Absatz 3 der Geschäftsordnung können Gegenstände, die nicht auf der Tagesordnung stehen, durch Beschluß des Plenums nur dann auf die Tagesordnung gesetzt werden, wenn kein Widerspruch aus dem Hause erfolgt.
— Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Ollenhauer.
Meine Damen und Herren! Ich möchte einiges zur Begründung unseres Antrages bemerken. Sie wissen — —
— Es ist ein geschäftsordnungsmäßiger Antrag, und ich möchte zu diesem geschäftsordnungsmäßigen Antrag sprechen.
Sie wissen, daß in Paris gegenwärtig eine Konferenz der drei Außenminister tagt, die sich mit Deutschlandfragen beschäftigt. In der deutschen und internationalen Presse haben wir in den letzten Tagen Mitteilungen über die Haltung — die angebliche Haltung — der deutschen Bundesregierung gelesen. Bis zur Stunde haben wir keine Erklärung der deutschen Bundesregierung darüber, ob diese Mitteilungen zutreffen, oder welche Schritte die Bundesregierung unternommen hat, um auf der Pariser Konferenz den deutschen Standpunkt zur Geltung zu bringen. Wir sind auf der Pariser Konferenz nicht vertreten. Es ist ohne Zweifel, daß die wichtigsten Lebensfragen des deutschen Volkes in Paris in diesen Tagen verhandelt werden. Wir sind der Auffassung, daß es angesichts der zur Zeit bestehenden völligen Unklarheit über die Haltung der Regierung, angesichts der sich außerordentlich stark widersprechenden Meldungen in der Presse und angesichts der Tatsache, daß der Herr Bundeskanzler und führende Minister seiner Regierung in deutschen und ausländischen Zeitschriften materiell zu der Tagesordnung der Pariser Konferenz in den letzten Tagen Stellung genommen haben, unbedingt erforderlich ist, daß jetzt noch, während dieser Verhandlungen in Paris, dem Hohen Hause die Möglichkeit gegeben wird, den Standpunkt der Bundesregierung kennenzulernen, und gleichzeitig die Möglichkeit gegeben wird, die Auffassung der in diesem Hohen Hause vertretenen Parteien zu den in Paris zur Diskussion stehenden Fragen öffentlich festzustellen.
Wir sind der Meinung, daß eine solche Aussprache eine nationale Notwendigkeit ist,
damit die Außenminister in Paris wissen, in welchem Umfang die deutsche Bundesrepublik, die einzelnen Teile des deutschen Volkes bereit sind, einen Beitrag zu einer ehrlichen Verständigung mit den andern Völkern Europas zu leisten, daß auf der andern Seite aber ebenso klar ist, welche Möglichkeiten und Grenzen wir als deutschen Beitrag für eine solche Verständigung sehen.
Wir glauben, daß unser Antrag vom Hohen Hause deshalb angenommen werden sollte, weil wir davon überzeugt sind, daß die Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung über ihre Auffassung und eine Stellungnahme der Parteien dazu beitragen kann, die in Paris heute stattfindenden Verhandlungen zu einem positiven Erfolg zu führen, einem Erfolg, der sowohl der europäischen Verständigung als auch den Lebensnotwendigkeiten des deutschen Volkes dient.
Meine Damen und Herren, wir sind der Auffassung, daß unser Antrag schon unter diesem Gesichtspunkt von dem Hohen Haus angenommen werden sollte; schließlich aber auch noch unter einem anderen Gesichtspunkt: Wir tragen hier alle in jedem Falle eine große Verantwortung.
Ich möchte darauf aufmerksam machen,— —
Ich bitte den Herrn Abgeordneten Ollenhauer, sich im wesentlichen auf die Begründung seines Geschäftsordnungsantrags zu beschränken.
Herr Präsident, ich habe überhaupt nicht zur Sache gesprochen.
Ich habe nur einen einzigen Satz hinzuzufügen. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, meine Damen und Herren, daß Sie, wenn Sie unsern Antrag ablehnen, auch einen Teil der Verantwortung für die Resultate der Pariser Konferenz übernehmen.
Da es sich um einen Antrag zur Abänderung der Tagesordnung und um einen Antrag zur Geschäftsordnung handelt, erteile ich noch einem weiteren Mitglied des Hauses, Herrn Abgeordneten Dr. von Brentano das Wort.
Meine Damen und Herren! Auf Grund der Geschäftsordnung widerspreche ich für meine Fraktion diesem Antrag. Ich bedaure es, daß er gestellt worden ist, und erkläre: Wir sind uns über die nationale Bedeutung der Tagung, die in Paris im Gange ist, vollkommen im klaren. Wir halten es für unsere nationale Pflicht, hier der deutschen Regierung das Vertrauen entgegenzubringen, daß sie diese Konferenz im Rahmen ihrer Zuständigkeit richtig und vollkommen über die Auffassung des deutschen Volkes unterrichtet hat.
Wir sind der Meinung, daß der Moment nicht gekommen ist, um eine Aussprache im Parlament zu führen, da wir weder die Zielsetzung noch die Ergebnisse dieser Konferenz kennen. Wir schließen uns dem Standpunkt des Bundeskanzlers an, daß eine solche Aussprache in der nächsten Woche stattfinden wird,
und ich glaube, diesen Antrag, den ich hier gestellt habe, auch für eine große Anzahl der anderen in diesem Hohen Hause vertretenen Fraktionen stellen zu können.
Meine Damen und Herren, ich stelle fest: dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion ist widersprochen worden. Damit tritt die Vorschrift des § 71 Absatz 3 der Geschäftsordnung in Kraft. Der beantragte Gegenstand kann also nicht auf die Tagesordnung gesetzt werden.
Ich möchte weiterhin noch eine geschäftliche Mitteilung folgenden Inhalts nachholen. Es ist eine Interpellation des Abgeordneten Euler und seiner Fraktion betreffend den Abschluß der Entnazifizierung verteilt worden. Gemäß der Vorschrift der Geschäftsordnung wird diese Interpellation von mir schriftlich der Bundesregierung zur Stellungnahme mit der Maßgabe zugeleitet werden, daß die mündliche Beantwortung in der nächsten Plenarsitzung erfolgt.
Es sind mir dann soeben von der kommunistischen Fraktion, durch Herrn Abgeordneten Renner, zwei weitere Anträge zur Erweiterung der Tagesordnung überreicht worden, die ich dem Hohen Hause bekanntgeben möchte:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Bundeskanzler wird aufgefordert, dem Bundestag Bericht zu erstatten über den Inhalt des Interviews, das er dem Vertreter Harold Williams der amerikanischen Zeitung „Baltimore Sun" gegeben hat. Im Besonderen wird der Bundeskanzler aufgefordert, sich zu nachstehenden Punkten zu äußern:
Ich glaube, Herr Abgeordneter Renner, ich brauche die Punkte im einzelnen nicht zu verlesen.
1. Stimmt es, daß der Bundeskanzler gesagt hat, die deutsche Zustimmung zu der Aufnahme des Saargebietes in die Beratende Versammlung des Europarates werde erfolgen, sofern die Bundesrepublik Deutschland gleichzeitig aufgenommen wird?
2. Welche neuen Sicherheitsgarantien hat der Bundeskanzler für Frankreich angeboten, sofern die Demontage deutscher Industriebetriebe eingestellt würde?
3. Stimmt es, daß der Bundeskanzler erklärt hat, seine Regierung könne dem französischen Sicherheitsbedürfnis am besten dadurch Rechnung tragen, daß Frankreich bis zu 40 Prozent am deutschen Industriepotential beteiligt wird?
4. Stimmt es, daß der Bundeskanzler erklärt hat, die für diese französischen Investierungen erforderlichen Geldmitteln würden von amerikanischen Finanzkreisen zur Verfügung gestellt?
Da ich immerhin annehmen muß, daß unter Umständen der Bundestag einem solchen Beschluß seine Zustimmung geben könnte, frage ich zunächst den Herrn Bundeskanzler, ob er bereit ist, die Anfrage zu beantworten.
Ich muß bitten, daß mir in Zukunft derartige Anfragen vorher mitgeteilt werden. Es ist absolut unmöglich, daß der Bundesregierung plötzlich irgendwelche Anfragen im Hause selbst übergeben werden.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Renner.
Meine Damen und Herren! Unsere Anfrage nimmt auf Äußerungen Bezug, die der Herr Bundeskanzler dem Vertreter einer amerikanischen Zeitung in Form eines Interviews gegeben hat.
Verzeihung, Herr Abgeordneter, was haben Sie eben gesagt? Ich habe es leider nicht verstanden.
Ich habe gesagt, unsere Anfrage nimmt Bezug auf ein Interview, das der Herr Bundeskanzler einem Vertreter einer amerikanicht Zeitung, und zwar der „Baltimore Sun" gegeben hat. Der Herr Bundeskanzler hat erklärt — —
Ich bemühe mich, dem Herrn Abgeordneten Ruhe zu verschaffen, und bitte ihn, nur zur Geschäftsordnung zu sprechen.
Der Herr Bundeskanzler entzieht sich einer Beantwortung dieser Anfrage mit dem Hinweis darauf, daß ihm diese unsere Anfrage erst heute zugegangen sei.
Ja, vor fünf Minuten ist sie hier überreicht worden.
Nein, sie ist von mir bereits im Ältestenrat in breiter Diskussion besprochen worden. Ich stelle nur fest, daß der Herr Bundeskanzler, nachdem er ein Interview gegeben hat, heute, wenige Tage, nachdem das Interview veröffentlicht ist, einen derart beklagenswerten politischen Gedächtnisschwund hat,
daß er nicht in der Lage ist zu antworten.
Meine Damen und Herren, ich komme nun zu dem Antrag selber. Was ist los? Der Herr Bundeskanzler hat erklärt, daß ihm nicht daran gelegen sei,
heute bereits zu diesem Antrag Stellung zu nehmen. Der Herr Bundeskanzler hat die Antwort darauf verweigert, ob er der Pariser Konferenz
eine offizielle deutsche Stellungnahme seiner Regierung zugeleitet hat. Der Herr Bundeskanzler hat im Interview aber Dinge gesagt, die, wenn sie gesagt worden sind, derartig gegen die Interessen unseres Volkes verstoßen, daß es dringend notwendig ist, daß er sich heute zu diesen Behauptungen hier äußert.
Was ist los? Nach diesem Interview
hat der Herr Bundeskanzler erklärt, daß er dem Verlangen der französischen Regierung nach Sicherheiten dadurch gerecht werden will, daß er 40 Prozent der deutschen Industrie an das französischamerikanische Kapital verschachern will!
Herr Abgeordneter, darf ich Sie einen Moment unterbrechen. Der Herr Abgeordnete Ollenhauer hat sich vorhin auf eine sachliche Begründung seines Geschäftsordnungsantrags beschränkt, ohne im einzelnen auf die Sache einzugehen.
— Lassen Sie mich jetzt bitte ausreden! Sie gehen bereits im einzelnen auf den Inhalt Ihres Antrages ein,
und Sie sprechen dabei Werturteile aus! Ich bitte Sie, sich auf eine allgemeine Begründung zu beschränken. Ich glaube, daß ich diese Gelegenheit schon in ausreichendem Maße gegeben habe. Außerdem mache ich darauf aufmerksam: nach der Geschäftsordnung beträgt die Redezeit für Anträge zur Geschäftsordnung fünf Minuten.
Wenn Sie die Unterbrechungen abziehen, habe ich gerade zwei Minuten gesprochen, noch nicht fünf Minuten.
Der Herr Bundeskanzler hat nach diesem Interview auch zur Frage des Saargebietes Stellung gegenommen und hat gesagt, er sei der Auffassung,
daß das Saargebiet in die Beratende Versammlung des Europarats aufgenommen werden soll unter der Voraussetzung, daß auch die westdeutsche Bundesrepublik aufgenommen wird. Wenn hier der Sprecher der CDU gesagt hat, daß er es für seine nationale Pflicht halte, zu betonen, daß darüber dem deutschen Volk im Augenblick kein Bericht erstattet wird, daß das deutsche Volk keinen Aufschluß erhalten soll über das, was der Kanzler tatsächlich den Außenministern als Zugeständnis angeboten hat, daß kein Bericht erstattet werde über seine angeblichen Äußerungen in dieser Zeitung, dann sagen wir: wir halten es für unsere nationale Pflicht,
dem deutschen Volk eine Gelegenheit zu geben,
seine Auffassung bezüglich der Zugeständnisse hier kennenzulernen.
Herr Abgeordneter, die fünf Minuten sind jetzt um!
Wir sind der Auffassung, und zwar auf Grund unserer Konzeption darüber, was deutsche Belange sind, daß der Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer nicht berechtigt ist, eine Geheimpolitik hinter dem Rücken des deutschen Volkes zu
treiben. Der Herr Bundeskanzler muß sich sagen lassen, daß die Interessen des deutschen Volkes nur durch das deutsche Volk und gegen ihn vertreten werden!
Ich bitte das Hohe Haus, diese Gesichtspunkte zu berücksichtigen und keinen Widerspruch dagen zu erheben, daß diese Anfrage, die wir gestellt haben, hier behandelt wird. Wir haben übrigens — das hat der Herr Präsident in seiner Eile vollkommen vergessen — auch gefragt, wie der Herr Bundeskanzler zu der Erklärung in der Presse betreffend die Ruhrbehörde steht.
Herr Abgeordneter Renner, das gehört nicht mehr zur Sache!
Ich meine seine Erklärung, daß das Ruhrstatut eine Reihe von Vorteilen biete.
Herr Abgeordneter Renner, ich entziehe Ihnen jetzt das Wort! Sie haben nicht nur Ihre fünf Minuten überschritten, sondern Sie haben zu einem weiteren Teil gesprochen. Ich bitte, mir die Geschäftsführung doch nicht zu sehr zu erschweren!
Meine Damen und Herren, der Antrag des Herrn Abgeordneten Renner war ein Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung; er ist im Sinne des § 71 der Geschäftsordnung zu behandeln.
Zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. von Brentano das Wort.
Meine Damen und Herren! Ich bedaure den Mißbrauch der Geschäftsordnung,
der uns veranlassen sollte, die Geschäftsordnung einer Revision zu unterziehen.
Ich erkläre für meine Fraktion, daß wir der Behandlung des Antrags der Kommunistischen Partei widersprechen. Im übrigen erkläre ich, daß wir
Belehrungen seitens der Kommunistischen Partei
über unsere nationalen Verpflichtungen ablehnen!
Meine Damen und Herren! Damit ist nach § 71 Absatz 3 der Antrag der kommunistischen Fraktion, den besagten Antrag auf die Tagesordnung zu setzen, abgelehnt.
Es liegt noch ein weiterer Antrag der Abgeordneten Renner und Genossen vor 'des Inhalts:
Der Bundeskanzler wird aufgefordert, dem Bundestag Bericht zu erstatten über die Absichten der Bundesregierung bezüglich ihres Verhältnisses zur Ruhrbehörde. Insbesondere möge der Bundeskanzler Auskunft geben, ob die Bundesregierung beabsichtigt, ihre künftigen deutschen Vertreter für die Ruhrbehörde
zu ernennen und damit gleichzeitig das Ruhrstatut de jure und de facto anzuerkennen. Auch die Behandlung dieses Antrags würde im Sinne des § 71 der Geschäftsordnung eine Erweiterung der Tagesordnung bedeuten. Wird dagegen aus dem Hause Widerspruch erhoben?
— Es wird Widerspruch erhoben. Ich darf annehmen, daß damit der Antrag als erledigt gilt.
Meine Damen und Herren, damit treten wir in die Tagesordnung ein.
— Zur Geschäftsordnung noch Herr Abgeordneter Euler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, ich spreche zahlreichen Freunden in diesem Hause aus dem Herzen, wenn ich den Herrn Präsidenten bitte, von seinen geschäftsordnungsmäßigen Rechten Gebrauch zu machen.
Der Herr Abgeordnete Renner hat hier eben den Antrag materiell begründet, statt sich auf eine Begründung zur Geschäftsordnung zu beschränken. Der Herr Präsident hätte die Möglichkeit gehabt, ihm sofort das Wort zu entziehen. Ich bitte den Herrn Präsidenten, das in Zukunft auch wirklich zu tun, sobald der Anlaß zutage tritt.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zu Punkt 1 der Tagesordnung.
— Ich weiß, was Sie wollen! Sie wollen doch zu dem sprechen, was ich vorhin bereits bekanntgegeben habe? Das haben Sie mir bereits gesagt.
— Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren! Ich habe bereits bekanntgegeben, daß der mündliche Bericht des Ausschusses für Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten abgesetzt wird, Herr Abgeordneter Dr. Gerstenmaier. Da aber der Ältestenrat einen diesbezüglichen Beschluß gefaßt hat, müßte ein anderer Beschluß des Hauses herbeigeführt werden. Ich bitte, das bis zu dem Punkte zurückzustellen, wenn wir in die Behandlung eintreten.
Meine Damen und Herren, wir kommen damit zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Verkündung von Rechtsverordnungen .
Sie wissen, meine Damen und Herren, daß erste Beratungen eines Gesetzentwurfs nach der Geschäftsordnung abteilungs- und abschnittweise erfolgen können. Da das Gesetz nur sechs Paragraphen hat, darf ich wohl das Einverständnis des Hauses damit annehmen, daß eine Aussprache über das Gesetz im ganzen stattfindet. — Ich höre keinen Widerspruch und stelle das demgemäß fest.
Ich frage zunächst, wer von der Regierung den Gesetzentwurf einbringen will. — Das Wort zur Einbringung der Vorlage hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Meine Damen und Herren! Ich kann die Gemüter mit einer erfreulich trockenen Materie beruhigen: es handelt sich um die Festlegung der Form, in der Rechtsverordnungen verkündet werden sollen. Im Artikel 82 des Grundgesetzes ist festgelegt, daß Gesetze grundsätzlich im Bundesgesetzblatt zu verkünden sind, daß das auch für Rechtsverordnungen gilt, insoweit aber eine Ausnahme im Wege des Gesetzes möglich ist.
Diese Ausnahme soll das Gesetz schaffen. Es schließt sich an das Vorbild der Weimarer Zeit an. Damals war die Möglichkeit gegeben, daß Rechtsverordnungen, soweit sie minderer Bedeutung waren, nicht im Reichsgesetzblatt, sondern im Deutschen Reichsanzeiger veröffentlicht worden sind. An die Stelle des Reichsanzeigers ist der Bundesanzeiger getreten.
In diesem Gesetz soll grundsätzlich festgelegt werden, daß Rechtsverordnungen des Bundes außer im Bundesgesetzblatt auch im Bundesanzeiger verkündet werden können. Außerdem sollen Tarife des Post- und Fernmeldewesens, Gebühren der Post, Telefon-, Telegrafen-, Eisenbahntarife, Schifffahrtstarife, Lagertarife in den besonderen Amtsblättern des Bundesministeriums für Post und Fernmeldewesen und für das Verkehrsgebiet im Amtsblatt für den öffentlichen Verkehr veröffentlicht werden. Es ist vorgesehen, daß an Stelle einer solchen Veröffentlichung von Tarifen, an deren Bekanntgabe kein allgemeines öffentliches Interesse besteht, nur die Verweisung auf die Fundstelle erfolgt. Insoweit unterliegt der Entwurf gewissen Bedenken, und deswegen wird es nicht zweckmäßig sein, meine Damen und Herren, diese Vorlage heute hier im einzelnen zu beraten. Ich halte eine Ausschußberatung für erforderlich. Soweit Tarife auf Grund der hoheitlichen Gewalt des Staates festgelegt werden, wird es sich immer um eine Rechtsverordnung handeln und wird immer die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt oder im Bundesanzeiger notwendig sein. Hier muß die Vorlage verfeinert werden. Das ist im Ausschuß ohne weiteres möglich.
Die übrigen Bestimmungen betreffen weniger wesentliche Punkte: die Festlegung, daß alle Rechtsverordnungen, die im Bundesanzeiger oder an anderer Stelle veröffentlicht werden, auf jeden Fall einen nachrichtlichen Hinweis im Bundesgesetzblatt erfahren; fern er Regelungen darüber, wie die bisherigen Bestimmungen, besonders auch die Veröffentlichungs-Bestimmungen nach der Gesetzgebung des Wirtschaftsrates überzuleiten sind.
Meine Bitte an Sie geht dahin, die Einzelberatung heute zu unterlassen und die Vorlage dem Ausschuß zu überweisen. Auch der Bundesrat hat bereits einige Bedenken erhoben, deren Prüfung auf jeden Fall erfolgen muß.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Ausführungen des Herrn Bundesministers der Justiz gehört. Ich eröffne die Aussprache zur ersten Beratung. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist die erste Regierungsvorlage, mit der das Hohe Haus sich zu beschäftigen haben wird. Ich bedaure daher, daß der Herr Bundeskanzler und der größere Teil der Mitglieder der Bundesregierung nicht anwesend sind,
und stelle zunächst nach Artikel 43 des Grundgesetzes den Antrag, den Herrn Bundeskanzler herbeizurufen. '
Das Wort zu diesem Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Ich verstehe den Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt nicht, wenn er eine sachliche Berechtigung haben soll. Die Gesetzesvorlage, die uns vorliegt, ist rein technischer Natur. Es handelt sich lediglich um die Frage, wie Rechtsverordnungen zu publizieren sind. Schon das Interesse des Hauses wird nicht wesentlich sein. Es ist eine Frage, die wirklich nur die kleinen Juristen interessiert.
— Herr Kollege Schmid, auch mein ganzes Interesse ist nicht bei dieser Vorlage. Ich habe andere Sorgen, und, Herr Kollege Dr. Schmid, ich glaube, auch Sie, und vor allem der Herr Bundeskanzler hat noch andere Sorgen.
Ich würde es deshalb für einen Mißbrauch des Rechts des Bundestags halten,
wenn man den Herrn Bundeskanzler zur Beratung dieser Vorlage zitieren wollte.
Herr Abgeordneter Dr. Arndt, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Justizminister hat hier eine sehr eigentümliche Auffassung zum besten gegeben,
die Auffassung, daß das Hohe Haus die erste Regierungsvorlage überhaupt in Abwesenheit des Herrn Bundeskanzlers beraten soll.
Im übrigen irren Sie sich, denn der Herr Bundesminister der Justiz weiß ja gar nicht, was ich sagen werde. Ich werde in sehr vieler Hinsicht die ganze Art dieses Verfahrens, das uns gegenüber hier geübt worden ist, zu beanstanden haben, und das sind absolut politische Fragen,
die gerade auch den Herrn Bundeskanzler angehen.
Um nur ein einziges von dem, was hier auszuführen ist, vorweg zu sagen: Es ist schlechterdings unmöglich, daß die erste Vorlage dem Hohen Hause übersandt wird durch den „Staatssekretär des Innern im Bundeskanzleramt, mit der Wahrnehmung der Geschäfte beauftragt Dr. Wuermeling". Man müßte geradezu der Bundesregierung einen Knigge für den Umgang mit dem Bundestag zur Verfügung stellen.
Sie werden von mir zu hören bekommen, daß diese Vorlage rechtlich gar nicht existiert. Das sind Fragen von außerordentlicher Bedeutung,
zu deren Erörterung wir den verantwortlichen leitenden Beamten auch der Bundesregierung durchaus hier haben wollen.
Aus diesen Gründen rechtfertigt sich mein Antrag wegen der ganzen Art der Einbringung dieser Vorlage. Nach Artikel 76 sind Gesetzesvorlagen „durch die Bundesregierung" einzubringen
und nicht durch einen mit der Wahrnehmung der Geschäfte beauftragten Herrn Dr. Wuermeling, den niemand kennt, falls es nicht der Herr Kollege ist, der hier im Hause sitzt, worüber auch noch einiges zu sagen wäre. Daher ist unser Antrag begründet, daß wir nicht in die Beratung eintreten, ohne daß der Herr Bundeskanzler anwesend ist.
Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Dr. Arndt hat unter Bezugnahme auf Aritkel 43 des Grundgesetzes, dessen erster Absatz lautet:
Der Bundestag und seine Ausschüsse können die Anwesenheit jedes Mitgliedes der Bundesregierung verlangen,
den Antrag gestellt, den Herrn Bundeskanzler herbeizurufen. In der Geschäftsordnung heißt es in § 95:
Jedes Bundestagsmitglied kann die Herbeirufung eines Mitglieds der Bundesregierung beantragen. Der Antrag bedarf der Unterstützung von dreißig anwesenden Mitgliedern.
Diese Frage der Geschäftsordnung muß ich vorweg
entscheiden.
— Ist klar! Dann ist insoweit die Anwendung des § 95 der Geschäftsordnung gerechtfertigt. Es handelt sich also um einen Antrag zur Geschäftsordnung.
Ich erteile das Wort zur Gegenäußerung Herrn Abgeordneten Dr. von Brentano.
Meine Damen und Herren! Man kann vielleicht der Meinung sein, daß die Einbringung nicht so war, wie sie hätte erfolgen können.
— Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten das Instrument der Herbeirufung des Kanzlers für derartige Dinge nicht mißbrauchen.
Diese Frage mag in dem zuständigen Ausschuß mit der Bundesregierung besprochen werden, und ich glaube, bei beiderseitigem gutem Willen bedarf es keines Knigge für die Bundesregierung, sondern nur des Verständnisses für die Schwierigkeiten, die in der Anlaufzeit nun einmal unvermeidlich sind.
Ich bin deswegen der Meinung, daß dieser Antrag auf Herbeirufung des Bundeskanzlers wegen dieser Angelegenheit unbegründet ist, und bitte, ihn abzulehnen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen werden wohl nicht erfolgen. — Ich stelle das fest. Dann stelle ich den Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt, unter Bezugnahme auf Artikel 43 des Grundgesetzes und § 95 der Geschäftsordnung den Herrn Bundeskanzler herbeizurufen, zur Abstimmung. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte die Herren Schriftführer um Auszählung. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich bitte wiederum — —
— Meine Damen und Herren! Wenn es nicht angezweifelt wird, — wir haben hier oben alle drei übereinstimmend die Überzeugung, daß das die Mehrheit ist. Für den Antrag waren 129 Stimmen, wie ich der Ordnung halber feststellen möchte. Danach ist der Antrag mit Mehrheit abgelehnt.
Meine Damen und Herren! Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Vorlage soll, wie ich bereits ausgeführt habe, die erste Regierungsvorlage sein, so daß die Art unserer Lesung von besonderer Bedeutung für die Tradition dieses Hohen Hauses werden wird.
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß die Form, in der uns diese Vorlage zugeleitet worden ist, zumindest befremdet, wenn sie nicht sogar zu Zweifeln Anlaß geben muß, ob es sich überhaupt um eine ordnungsmäßig eingebrachte Vorlage handelt. Nach Artikel 76 Absatz 1 des Grundgesetzes werden Gesetzesvorlagen beim Bundestage „durch die Bundesregierung" eingebracht. Daraus wird man ohne weiteres schließen können, daß Übersendungsschreiben — denn das Grundgesetz spricht von der schriftlichen Einbringung — entweder von dem Herrn Bundeskanzler selbst oder dem Herrn Vizekanzler oder einem andern Mitglied der Bundesregierung unterzeichnet sein müssen. Herr Kollege Dr. von Brentano hat hier soeben gesagt, unter den Übergangsschwierigkeiten hätte es Mühe gemacht, wenn ein solches Schreiben von dem Herrn Kanzler selbst unterzeichnet worden wäre, oder jedenfalls sei das damit zu entschuldigen. Herr von Brentano, ich darf daran erinnern: da der Herr Bundeskanzler nicht zur Hauptstadt kommen wollte, ist die Hauptstadt zu dem Herrn Bundeskanzler gekommen.
Der Herr Bundeskanzler hätte es also außerordentlich leicht gehabt, einen solchen Brief zu unterschreiben. Aber selbst wenn der Herr Bundeskanzler verhindert war, hat man ja eine Bundesregierung mit 14 Mitgliedern geschaffen, für die bei der ersten Sitzung die Regierungsbank gar nicht ausgereicht hat, um alle diese Herren dort zu placieren. Mit solchen Einwendungen soll man hier nicht kommen.
Ich wiederhole noch einmal: der ganze Stil des Parlaments hängt davon ab, ob das Parlament es sich gefallen läßt, Regierungsvorlagen in der Form zu bekommen, daß sie von dem Staatssekretär im Bundeskanzleramt und durch einen mit der Wahrnehmung der Geschäfte beauftragten Herrn eingereicht werden. Wir müssen verlangen, daß solche Vorlagen von einer politisch verantwort-
lichen Persönlichkeit gezeichnet sind, nicht aber von einem Beamten oder Angehörigen der Ministerialbürokratie, er mag in der Hierarchie der Ämter noch so hoch stehen.
Mir ist vorhin aus dem Hause zugerufen worden, der Herr Dr. Wuermeling, der dieses Schreiben unterzeichnet habe, sei gar nicht unbekannt, wodurch sich das zu bestätigen scheint, was mir auch sonst gesagt wurde, der mit der Wahrnehmung der Geschäfte beauftragte Staatssekretär des Innern im Bundeskanzleramt sei identisch mit dem Herrn Kollegen Dr. Wuermeling, dem Mitglied dieses Hohen Hauses.
Wenn das richtig sein sollte, dann bin ich um so mehr erstaunt und befremdet; denn noch gilt das Militärregierungsgesetz Nr. 15, über das man diskutieren mag und hinsichtlich dessen eine Diskussion sicherlich sehr notwendig sein wird, dessen Bestehen aber auch von der Bundesregierung anerkannt worden ist.
Nach diesem Gesetz ist die Tätigkeit als Beamter in der Bundesverwaltung mit der Mitgliedschaft im Bundestage unvereinbar, — ein Grundsatz, der uns gar nicht einmal von den Alliierten oktroyiert worden ist, sondern über den sich jedenfalls die CDU/CSU, die SPD und die FDP im Wirtschaftsrat einig waren.
Wenn also der Staatssekretär, der dieses Schreiben unterzeichnet hat, mit dem Herrn Kollegen Wuermeling identisch sein sollte, so wäre das eine glatte Verletzung des gegenwärtigen Beamtenrechts.
Meine Damen und Herren, einer aus Ihren Reihen hat bei der großen Aussprache über die Regierungserklärung erklärt, wir müßten endlich einmal davon fortkommen, daß man sich in der Bevölkerung über die Gesetze hinwegsetze und daß man daraus — ich weiß den Ausdruck nicht mehr — geradezu eine Art von Sport mache. Meine Damen und Herren, was verlangen Sie denn von dem einfachen Menschen draußen, wenn sich die Bundesregierung bei ihrer ersten Vorlage in einer solchen Form über geltendes Recht hinwegsetzt
und damit den elementarsten Grundsatz, der selbst in einer Demokratie für Anfänger gilt, nämlich den der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, verletzt? Die Verwaltung darf keinen Schritt tun, ohne sich auf dem Boden des Gesetzes zu befinden. Ein solches Schreiben von einer Persönlichkeit unterzeichnen zu lassen, die es nach klaren gesetzlichen Vorschriften nicht unterzeichnen darf, ist ein erstaunlicher Rechtsbruch, den wir uns nicht gefallen lassen sollten.
Es ist aber noch mehr zu der Vorlage zu bemerken. Wir lesen darin: „Der Bundesrat beabsichtigt, das Beratungsergebnis bei der Behandlung des Entwurfs im zuständigen Bundestagsausschuß vorzutragen."
Sie wissen alle, daß nach dem Grundgesetz Vorlagen der Regierung zunächst einmal an den Bundesrat zu gehen haben. Der Bundesrat hat eine Frist von drei Wochen, und innerhalb dieser Frist ist er nach Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes
berechtigt, Stellung zu nehmen. Er ist dazu also nicht verpflichtet. Immerhin wäre es wünschenswert, wenn der Bundesrat von dieser Möglichkeit Gebrauch macht und die Frist wahrt; denn der Sinn dieser Vorschrift ist ja, daß wir in unserer ersten Lesung berücksichtigen, was der Bundesrat empfiehlt, und es mit zum Gegenstand unserer Diskussion machen.
Der ganze Sinn der Vorschrift fällt ins Leere, wenn der Bundesrat diese Frist nicht ausnutzt, sondern hier erklären läßt, er werde seine Stellungnahme im zuständigen Bundestagsausschuß vortragen. Das zwingt uns dazu, über die Ausschüsse einmal etwas ganz Grundsätzliches zu sagen.
Die Ausschüsse des Bundestags mit Ausnahme des in der Verfassung geregelten Untersuchungsausschusses sind nichts als interne Hilfsorgane des Bundestags. Sie haben eine eigene rechtliche Existenz überhaupt nicht, daher auch kein Initiativrecht, und daher genügt auch das, was in den Ausschüssen gesagt wird, insbesondere auch seitens der Bundesregierung erklärt wird, in keiner Weise, um die Diskussion, die stets nur im Plenum des Bundestages stattfinden kann, entbehrlich zu machen. Ich habe bereits bei einer früheren Gelegenheit Veranlassung nehmen müssen, den Herrn Bundesminister der Justiz darauf aufmerksam zu machen, daß es nicht angängig ist, einem Ausschuß eine Regierungsvorlage nachzureichen, und so sollte es auch hier nicht angängig sein, daß der Bundesrat seine Auffassung dem Ausschuß nachreicht. Wenn er sie nicht bis zur ersten Lesung hier erklärt hat, so werden wir sie auch künftig nicht berücksichtigen können, jedenfalls nicht in der Form, daß wir die Ausschüsse an die Stelle des Plenums setzen.
Meine Damen und Herren! Ich erinnere Sie an die Ausführungen, die der sogenannte Staatsrechtler Schmidt-Dorotic gemacht hat, der Theoretiker des Nationalsozialismus, der erklärt hat: Der entartende Parlamentarismus zeichnet sich dadurch aus, daß aus dem eigentlichen Parlament die Diskussion und die Verantwortung auf immer kleinere Ausschüsse verlagert wird, bis man schließlich beim Führer endet.
Wenn Sie diesen schiefen Weg nicht gehen wollen, so werden Sie mir zugeben müssen, daß die erste Lesung einer ersten Regierungsvorlage ein politisch außerordentlich bedeutsames Ereignis ist,
und ich begrüße es, daß der Herr Bundeskanzler jetzt anwesend ist, auch ohne daß Sie ihn herbeigerufen haben. Er ist einsichtiger gewesen als vielleicht mancher hier im Hause.
Es ist mir daran gelegen, dies hier klarzustellen; denn davon, wie wir heute diese erste Lesung behandeln, wird es abhängen, wie es mit allen späteren Lesungen werden wird.
Es ist außerdem gar nicht denkbar, daß „der Bundesrat" seine Auffassung in einem Ausschuß vorträgt. Wenn er das tun wollte, müßte er nämlich in seiner Gesamtheit erscheinen. Ein Bundesratsmitglied ist gar nicht in der Lage, die Auffassung des Bundesrats im Ausschuß vorzutragen.
Aber auch zum sachlichen Inhalt der Vorlage ist einiges zu bemerken. Die Vorlage entspricht zwar einem Vorentwurf der juristischen Kommission der
Ministerpräsidenten; aber es wäre doch wünschenswert gewesen, daß sich die Bundesregierung und insbesondere der Herr Bundesminister der Justiz, da sie diese Vorlage ja nun unter ihrer eigenen Verantwortung machen wollen, hinsichtlich des Prinzipiellen noch einmal mit der Sache befaßt hätten.
Gegen § 1, daß Rechtsverordnungen des Bundes außer im Bundesgesetzblatt auch im Bundesanzeiger verkündet werden können, müssen wir grundsätzliche Bedenken anmelden. Es mag Ausnahmefälle geben, wie sie § 2 aufzählt; aber wann ein solcher Ausnahmefall vorliegt, das zu beurteilen wird niemals in das Ermessen oder gar in die Willkür der Exekutive gestellt werden können. Eine solche Blankoermächtigung, wie sie § 1 enthält, sollten wir hier wie auch künftig in anderen Gesetzen nicht unterschreiben. Wir müssen für die Gesetzgebung in Deutschland vom Grundsatz der Publizität ausgehen, daß alles, was an Rechtsnormen besteht, im Bundesgesetzblatt verkündet ist, es sei denn, es handle sich um einige ganz präzise Ausnahmen wie etwa für Tarife beim Zoll oder bei der Bahn. Mit etwas anderem können wir uns nicht befreunden.
Wegen der Bedeutung einer ersten Lesung sei mir auch noch ein letztes Wort hinsichtlich der Begründung dieser Vorlage erlaubt. Es wäre wünschenswert gewesen, daß sich der Herr Bundesminister der Justiz die Mühe gemacht hätte, dem Hohen Hause mitzuteilen, welchen Inhalt das Gesetz über die Verkündung von Rechtsverordnungen vom 13. Oktober 1923 hat und inwieweit die Vorlage davon abweicht. Das Hohe Haus muß bei einer solchen Vorlage jeweils genau wissen, wie der bisherige Rechtszustand war und in welchen einzelnen Punkten das künftige Recht davon abweichen soll.
Allgemeine Bemerkungen, wie sie hier gemacht sind, genügen nicht. Sie würden die 402 Mitglieder dieses Hohen Hauses, wenn diese verantwortungsvoll arbeiten wollen, dazu zwingen, zur Bibliothek zu gehen und das Reichsgesetzblatt aus dem Jahre 1923 einzusehen.
Diese Arbeit soll dem Parlamentarier abgenommen werden. Es ist deshalb notwendig, daß zu solchen Fragen in der Begründung wesentlich präzisere Angaben gemacht werden, als es hier geschehen ist.
Alles in allem: ich muß mit der bedauernden Bemerkung schließen, daß diese Regierungsvorlage, wenn sie überhaupt eine solche ist, was im Ausschuß noch zu prüfen sein wird, keinen verheißungsvollen Auftakt unserer Arbeit darstellt.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker.
Meine Damen und Herren! Mein Herr Vorredner hat mit den Worten geschlossen, daß diese erste Regierungsvorlage kein verheißungsvoller Auftakt für die Arbeit in diesem Hause sei. Lassen Sie mich daran anknüpfen und sagen, daß die Form und die Art und Weise, in der hier versucht wird, aus Kleinigkeiten Kapital zu schlagen,
kein verheißungsvoller Auftakt für die Arbeit in diesem Hohen Hause ist.
Mein Herr Vorredner hat an die Bestimmung des Grundgesetzes angeknüpft, derzufolge die Vorlagen der Regierung zunächst dem Bundesrat vorgelegt werden müssen, ehe sie dem Bundestag zugeleitet werden. Er hat kritisiert, daß in der Begründung der Vorlage gesagt worden ist, der Bundesrat werde im Ausschuß des Bundestags, in welchem dieses Gesetz im einzelnen behandelt würde, Stellung nehmen und seine Bedenken anmelden. Ich glaube aber: wenn man den Worten nicht Gewalt antut, ist ganz klar zu verstehen, was damit gesagt sein sollte, daß nämlich diejenigen Mitglieder des Bundesrats, die Bedenken zu äußern haben, von ihrem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch machen werden, im Ausschuß des Bundestags zu erscheinen und dort ihre Bedenken zu sagen.
Wozu also tant de bruit pour une omelette?
Es ist weiter gerügt worden, daß Herr Wuermeling die Vorlage unterzeichnet hat. Man hat gesagt, daß diese Amtshandlung im Gegensatz zu dem Militärregierungsgesetz Nr. 15 stehe, wonach die Tätigkeit als Regierungsbeamter unvereinbar sei mit dem Abgeordnetenmandat. Meine Damen und Herren, das mag richtig sein. Wir werden prüfen, ob es stimmt. Wenn es stimmt, muß es natürlich abgestellt werden.
Aber eines darf ich auf jeden Fall sagen. Ich knüpfe hier an Vorgänge in dem Land an, dem mein Herr Vorredner und ich entstammen. In Hessen haben bis zum 31. Oktober dieses Jahres die Herren Minister, die hier Abgeordnete sind, als Minister weiter fungiert.
Sie haben ihr Ministeramt erst am 31. Oktober beendet. Wir haben in Hessen keine Konsequenzen daraus gezogen und keine Schwierigkeiten gemacht, weil wir für die Bedürfnisse und Schwierigkeiten einer Übergangszeit Verständnis haben, und hier ist es das gleiche.
Entschuldigen Sie nun bitte, daß ich jetzt auch etwas zum sachlichen Inhalt der Vorlage sage. Wir teilen die Auffassung des Herrn Kollegen Arndt, daß die Rechtsverordnungen des Bundes im Bundesgesetzblatt verkündet werden müssen. Diesen Grundsatz möchten wir in § 1 fest zum Ausdruck gebracht haben. Es mögen aber Ausnahmen vorkommen, gerade bei Tarifen, wie sie in § 2 aufgeführt sind, dem wir grundsätzlich zustimmen. Bezüglich § 2 Absatz ld wünschen wir im Ausschuß eine Erörterung darüber, welche Verordnungen der Wasserstraßendirektionen im einzelnen in Frage kommen. § 3 wäre entsprechend dem Grundsatz, den wir zu § 1 vertreten, zu ändern.
Weiterhin legen wir Wert darauf, daß § 6 eine Ergänzung dahin erfährt, daß die etwa bereits im Bundesanzeiger verkündeten Rechtsverordnungen nochmals als solche im Bundesgesetzblatt bekanntgemacht werden und daß der Tag des Inkrafttretens auch im Bundesgesetzblatt bekanntgegeben wird. Endlich wünschen wir noch, daß in einer Beilage des Bundesgesetzblatts und nicht
nur etwa im Bundesanzeiger die Verordnungen der Hohen Kommissare erscheinen; bisher sind sie nur im Bundesanzeiger veröffentlicht worden. Es entspricht den Wünschen derer, die mit den Gesetzen zu tun haben, und der Notwendigkeit, alle Rechtsquellen an einer Stelle vereinigt zu sehen, wenn auch dieser Anregung stattgegeben würde.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz hat das Wort.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Arndt hat einige verfahrensrechtliche Grundsätze, unter denen diese erste Gesetzesvorlage dem Hause zugegangen ist, beanstandet. Ich glaube, daß seine Beanstandungen zu weit gehen. Ich möchte zu zwei Fragen kurz Stellung nehmen, einmal zur Funktion der Staatssekretäre und zweitens zu der Form, wie eine Gesetzesvorlage dem Hohen Hause zugestellt wird. Die Form ist nach den Vorlagen die wir bekommen haben, in jeder Hinsicht rechtlich einwandfrei. Das Zuleiten einer Gesetzesvorlage durch die Bundesregierung an den Bundestag
— und das ist selbstverständlicher staatsrechtlicher Brauch gewesen — kann durch ein Ressort erfolgen, infolgedessen auch durch den Stellvertreter des Ministers; denn das ist das Wesen der Funktion eines Staatssekretärs.
— Dazu darf ich noch ein weiteres sagen. — Insofern ist hier also formal absolut richtig verfahren worden.
Wenn vorhin ferner die Anwesenheit des Herrn Bundeskanzlers in diesem Hohen Hause verlangt worden ist, so glaube ich, daß es nicht zu weit gegriffen ist, wenn auch gewisse Grenzen diesesverfassungsmäßigen Rechtes festgestellt und in der Praxis verwirklicht werden; denn ich bitte es mir nicht zu verübeln: die Art, in der dieses Verlangen gerade in diesem, Augenblick gestellt worden ist, hat auch bei mir ein wenig den Eindruck des Mißbräuchlichen hervorgerufen.
Auch hierfür müßten im Parlamentsbrauch gewisse Grenzen festgesetzt werden. Ich glaube, daß es Aufgabe des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität sein wird, hier eine klare Parlamentspraxis zu entwickeln, die der Arbeit in diesem Hohen Hause dient.
Nun zu der Funktion des Staatssekretärs. Ich glaube, daß rechtspolitisch die Frage, ob der Stellvertreter des Ministers als Beamter genau so betrachtet werden darf und kann, wie das im Gesetz Nr. 15 geregelt ist — dessen Gültigkeit mir zweifelhaft erscheint und dessen gebietsmäßige Gültigkeit dazu auch noch zweifelhaft ist —,
vielleicht anders geregelt werden müßte. In der verwaltungsrechtlichen Tradition unseres Landes gab es die bekannte Sonderstellung der sogenannten politischen Beamten.
Ich glaube also, daß die Kritik des Herrn Abgeordneten Arndt hinsichtlich des Verfahrens, das hier gewählt worden ist, und hinsichtlich der praktischen Wertung der Stellung des Stellvertreters des Ministers, der die Sache vorgelegt hat, auch ein wenig zu weit gegriffen ist und daß diese Frage noch der näheren Prüfung bedürfte, ehe in diesem
Hohen Hause der Eindruck erweckt wird, es sei ein eklatanter Rechtsbruch geschehen,
und das ist doch immerhin eine sehr weitgehende Wertung, Herr Abgeordneter Arndt.
— Herr Abgeordneter Arndt, ich bitte, mir zu erlauben, folgendes zu sagen: Wenn mehrere Juristen sich über ein Problem unterhalten, so werden Sie sicherlich verschiedene Meinungen festzustellen imstande sein, und ich erlaube mir, hier von diesem alten Recht des Juristen Gebrauch zu machen.
Wenn wir die Dinge systematisch betrachten, müßte zwischen dem Amt und der Funktion unterschieden werden. Hier ist eine Lösung gesucht worden, die der Praxis der Dinge und der Tradition unseres Landes entspricht. Ich persönlich halte diese dogmatische, verzeihen Sie, übertriebene Trennung zwischen Exekutive und Legislative, wie sie das Gesetz Nr. 15 bringt, für einen ganz gewaltigen Rückschritt innerhalb der deutschen Rechtsentwicklung.
Denn es ist doch Unsinn, daß bei den höchsten
Funktionen wie der Stellvertretung des Ministers
— wir haben das in Deutschland immer so gehandhabt — eine Trennung vollzogen werden sollte wie etwa bei der richterlichen Tätigkeit. Ich halte es für eine ausgesprochene dogmatische Übertreibung, die der Praxis der Dinge in keiner Weise gerecht wird, an Hand eines Gesetzes, dessen Ursprung für mein Empfinden einigen Bedenken begegnen könnte, der Bundesregierung in formaler Hinsicht Schwierigkeiten zu machen, die weit über die Sache hinausgehen.
Nun der zweite Punkt. Ich glaube, Herr Abgeordneter Arndt, die Diskussion, die in einem Fachausschuß dieses Hauses stattfindet, und die Debatten, die im Plenum stattzufinden haben, zeigen einen sehr wesentlichen Unterschied. Ich halte es für unbedingt notwendig und zweckmäßig, daß der Bundesrat durch einen Vertreter innerhalb der Fachau schösse des Hauses zu Wort kommt. Man kommt im Ausgleich der fachlichen Fragen, die in den Ausschüssen zu regeln sind, wesentlich weiter, wenn gerade auch der Bundesrat in diesen Ausschüssen zu Worte kommt. Ich sehe einen wesentlichen systematischen Unterschied zwischen den Debatten in den Ausschüssen und den Debatten in diesem Hohen Hause. Hier haben die politischen Debatten stattzufinden, während in den Ausschüssen die fachliche Auseinandersetzung dicht an der Sache zu erfolgen hat.
Insofern darf ich die von dem Herrn Abgeordneten Arndt in sehr scharfsinniger Weise vorgetragenen verfahrensrechtlichen Bedenken nach der Ansicht, die in meiner Fraktion herrscht, zurückweisen.
Hinsichtlich der Forderung, möglichst einheitliche Rechtsquellen, das heißt für die Technik des Suchens, zu schaffen, stimmen wir mit den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Dr. Becker durchaus überein. Die Gesetzesvorlage der Regierung trägt aber diesem Bedürfnis der Praxis in jeder Hinsicht Rechnung.
Präsident Dr. Köhler Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmid.
Meine Damen und Herren! Es geht auch bei diesem Fall um mehr als um diesen „Fall".
— Ja, meine Damen und Herren, es geht nämlich auch hier darum, festzustellen, wie dieses Parlament sich einschätzt.
Man kann den Grundsatz vertreten: minima non curat praetor!
Aber, meine Herren von der Regierungspartei, ich habe den Eindruck, daß Sie hier mehr nach dem Satz handeln wollen: consules non curant de minimis!
Und dabei sind die minimi die verehrten Mitglieder dieses Hauses, — falls Sie noch soviel Latein kennen sollten, meine Damen und Herren!
Es wurde hier davon gesprochen, daß man doch nicht aus einer solchen Sache Kapital schlagen sollte. Meine Damen und Herren, wer den Kollegen Arndt kennt, der weiß, daß er nicht zu denen gehört, die nach Winkeladvokaten-Manier aus einem Formfehler, den einer begangen haben mag, Kapital schlagen wollen. Es handelt sich um etwas anderes. Es handelt sich darum, ob man die Tradition dieses Hauses auf den unverbrüchlichen Respekt des Rechts anlegt,
oder ob man sie gründen will auf die Opportunität möglichst bequemer Sachbehandlung.
Man kann sich für das eine entscheiden oder für das andere. Nur muß man sich im Fall der Entscheidung für die Opportunität darüber klar sein, wofür und wogegen man sich entschieden hat!
Es ist auch gar nicht so belanglos, ob man sich auf den Standpunkt stellt, den der Kollege Arndt vertreten hat, oder auf den, den die anderen Herren vertreten haben. Man kann freilich sagen: Es ist ja letzten Endes egal, welcher Name daruntersteht; man weiß schließlich, wer der Herr ist, und aus dem Druckereivermerk ergibt sich, daß die Vorlage aus der Regierungsdruckerei gekommen ist. Aber das Einbringen einer Regierungsvorlage ist nicht nur eine technische Maßnahme, es ist ein politischer Akt, und für diesen Akt muß die Verantwortung übernommen werden. Schon für das Einbringen muß die Verantwortung übernommen werden. Deswegen darf unter einer solchen Vorlage nur der Name eines Mannes stehen, der nach dem Grundgesetz als Verantwortungsträger diesem Haus gegenüber deklariert ist, oder sein amtlicher Stellvertreter, der mit politischer Vollmacht für ihn sprechen kann.
Nun ist diese Vorlage als vom Bundeskanzleramt ausgegangen bezeichnet. Der Herr Staatssekretär des Innern im Bundeskanzleramt ist aber in politicis nicht der Vertreter des Herrn Bundeskanzlers, sondern Herr Minister Blücher ist der Vertreter des Bundeskanzlers in Dingen, in denen politische Verantwortung übernommen werden muß. Wenn also der Herr Bundeskanzler verhindert gewesen sein sollte zu unterzeichnen — und
weiß Gott, es gibt Gründe genug, die ihn legitim daran hindern könnten —, dann hätte sein politischer Stellvertreter hier unterzeichnen müssen, und wenn dieser verhindert gewesen sein sollte, eben der zweite Stellvertreter. Ich nehme an, daß die Geschäftsordnung des Kabinetts einen solchen vorsieht. Jedenfalls sollte sie ihn vorsehen.
So handelt es sich nun wirklich darum: Will dieses Haus einwilligen, daß ihm Vorlagen unterbreitet werden, für die die Verantwortung ein Beamter übernimmt, der gar keine politische Verantwortung übernehmen kann? Oder will das Haus verlangen, daß ein Minister oder gar der Bundeskanzler dies tut, die beide allein berufen sind, Verantwortung zu übernehmen? Darum handelt es sich. Glauben Sie mir, man fängt bei solchen Dingen mit Großzügigkeit an, und eines Tages landet man bei der Liederlichkeit.
Wir sollten deswegen diese Dinge ernst nehmen und nicht immer gleich wittern, daß böse Oppositionelle Kapital daraus schlagen wollen, daß jemand sich in der Dezimalstelle geirrt hat. Darum handelt es sich nicht. Wir sprechen hier in wirklicher Sorge um die Zukunft dieses Hauses.
— Sie scheinen es offensichtlich für eine Unmöglichkeit zu halten, vielleicht aus Selbsteinschätzung,
daß jemand aus Sorge für die res publica sprechen könnte. Auf die Gefahr eines Ordnungsrufs hin möchte ich hier sagen: wir sollten uns schämen, daß ein solcher Verdacht in diesem Hause überhaupt aufkommen kann.
Es ist zum zweiten gar keine Frage, daß die Konstruktion des Amtes des Staatssekretärs, wie die Bundesregierung sie vorgesehen hat, im Staatssekretär keinen politisch verantwortlichen Beamten sieht. Es sollten ja gerade keine parlamentarischen Staatssekretäre eingesetzt werden, sondern vielmehr beamtete Staatssekretäre.
Damit ist eben der Staatssekretär ein Beamter, und damit hat er nach dem heute geltenden Recht in diesem Hause weder Sitz noch Stimme. Mit anderen Worten: wer in diesem Hause sitzt und Stimme beansprucht, kann nicht Staatssekretär sein.
Auch hier sollten wir es mit dem Respekt vor dem geltenden Recht ernst nehmen. Ich habe einen Zwischenruf gehört: Na, dieses Gesetz wird ja bald abgeschafft sein. Mag sein; ich habe nichts dagegen, daß man es durch ein besseres ersetzt. Aber heute gilt dieses Gesetz noch. Herr Dr. von Merkatz, Sie haben mir einmal — ich habe mich darüber gefreut — die Kantsche Rechtsphilosophie gerühmt. Erinnern Sie sich vielleicht an den Satz Kants, daß ein Gesetz, solange es gilt, auszuführen ist, selbst wenn man weiß, daß es eine Stunde später nicht mehr gelten wird? Ich hoffe, daß Sie das Wort Ihres engeren Landsmannes auch dann ehren werden, wenn Sie daran durch jemand erinnert werden, der auf der anderen Seite dieses Hauses sitzt.
Ein drittes betrifft den Bundesrat. Ich will mich nicht in eine Debatte darüber einlassen, wie es mit der vorherigen Befragung des Bundesrats
zu halten ist. Ich halte das für eine recht gute Bestimmung im Grundgesetz. Aber auf eines möchte ich hinweisen: In den Ausschüssen und im Plenum des Bundestags kann nicht der Bundesrat als „Bundesrat" das Wort ergreifen, sondern die Mitglieder des Bundesrats, das heißt die einzelnen Landesregierungen, können hier sprechen. Eine Meinung des Bundesrats als solchen gibt es in diesem Hause nicht zu vertreten. Der Bundesrat ist in diesem Hause kein Verhandlungspartner, sondern es ist so, daß die Mitglieder des Bundesrats hier die Stellungnahme der einzelnen Landesregierungen zur Geltung bringen können. In welchem Maße das Haus davon Kenntnis nimmt, inwieweit es diese Stellungnahme in seine Diskussionen und in seine Meinungsbildung einbezieht, ist eine Sache für sich und wird in jedem einzelnen Fall besonders entschieden werden müssen.
Hüten wir uns davor — und auch das sage ich in ernster Sorge um die Entwicklung der Dinge, die hier vor sich gehen werden —, im Sprachgebrauch leichtfertig zu werden. Denn aus einem leichtfertigen Sprachgebrauch, aus einem Mißbrauch der Sprache entwickelt sich zu oft und zu gern der Mißbrauch der Sache.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Meine Damen und Herren! Durch die Unterzeichnung dieses Übersendungsschreibens an den Präsidenten des Bundestags mit „Dr. Wuermeling" hat die Bundesregierung nicht zum Ausdruck bringen wollen, daß die Übersendung auch durch einen nicht politisch verantwortlichen Mann geschehen könnte.
Wird das Wort weiter gewünscht? — Wir befinden uns in der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Verkündung von Rechtsverordnungen. Ich sehe keine Wortmeldungen. Ich schließe damit die Aussprache der ersten Beratung und darf das Einverständnis des Hauses damit annehmen, daß die Vorlage Drucksache Nr. 151 an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht überwiesen wird.
Damit haben wir den Punkt 1 der Tagesordnung erledigt und kommen zu Punkt 2. Ich darf hier vorweg eine kleine Bemerkung machen. Mir ist durch Zuschriften aus verschiedenen Kreisen mitgeteilt worden, zahlreiche deutsche Mitbürger, die unsere Verhandlungen am Rundfunk verfolgen, könnten, wenn ich nur die Drucksache anführe, nicht erkennen, um was es sich der Sache nach handelt. Ich habe diese Anregung als sehr dankenswert empfunden und werde deshalb jeweils bei der Aufrufung der Drucksachen auch ihre Bezeichnung bekanntgeben. Denn über nichts können wir uns, glaube ich, mehr freuen als über eine solche aktive Teilnahme an unseren Verhandlungen.
Ich rufe also den Punkt 2 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Erstreckung der bei den Annahmestellen Darmstadt und Berlin eingereichten Patent-, Gebrauchsmuster- und Warenzeichenanmeldungen auf die Länder Baden, Rheinland-Pfalz, Württemberg-Hohenzollern und den bayerischen Kreis Lindau .
Welcher der Herren Minister wünscht die Einbringung der Vorlage zu begründen? — Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Entwurf ist der Schlußstein einer Gesetzgebung, die bereits der Wirtschaftsrat vollendet hat. Ich glaube, wir haben Anlaß, dem Wirtschaftsrat für diese nicht einfache Leistung unsere Anerkennung zu sagen. Auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes war nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches ein völliger Rechtsstillstand eingetreten. Es galt neu aufzubauen. Die Hemmungen, die bestanden, liegen auf der Hand. Das geschah zunächst durch ein Gesetz über die Errichtung von Annahmestellen für Patent-, Gebrauchsmuster- und Warenzeichenanmeldungen vom 5. Juli 1948. Diese Gesetzgebung wurde dann fortgesetzt, besonders auch durch ein Gesetz, das den Ausstellungsschutz neu begründete. Dann erfolgte eine umfassende Gesetzgebung in zwei Gesetzen zur Änderung und Überleitung der Vorschriften auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes vom 8. Juli und 2. Juli dieses Jahres. Diese Gesetzgebung ist mit dem 1. Oktober dieses Jahres wirksam geworden, der auf dem Gebiete des gewerblichen Rechtsschutzes ein bedeutsamer Tag war. An diesem Tage hat das deutsche Patentamt, das Bundespatentamt, in München seinen Betrieb aufgenommen. An diesem Tage sind die eben erwähnten Überleitungsgesetze in Kraft getreten, die von erheblicher Bedeutung sind und insbesondere eine wesentliche Vereinfachung des Verfahrens gebracht haben.
Diese letzterwähnten Gesetze sind bereits durch eine Verordnung der Bundesregierung unter Benutzung der Legitimation des Artikels 127 des Grundgesetzes auf Baden, Rheinland-Pfalz, Württemberg-Hohenzollern und den bayerischen Kreis Lindau erstreckt worden. Es hätte die Möglichkeit bestanden, die Wirkung des Annahmegesetzes und des Ausstellungsschutzgesetzes in dieser Form auch auf die genannten Länder auszudehnen. Es bestanden Bedenken deswegen, weil es notwendig ist, die Wirkung der Annahme bei den Annahmestellen Darmstadt und Berlin auf die Zeit bis zum 1. Oktober vorigen Jahres zurückzuerstrecken. Es ging also nicht nur darum, diese Gesetze auf die Länder der französischen Besatzungszone auszudehnen, sondern es ging auch darum, dort den Zeitrang der Anmeldung, die Priorität zu gewähren. Deswegen wird Ihnen die Bitte unterbreitet, zuzustimmen, daß das in der Form des Gesetzes erfolgt, und deshalb wird der Antrag der Bundesregierung an Sie gestellt.
Der Wortlaut ergibt klar das, was gewollt ist: daß die Wirkung der Patent-, Gebrauchsmuster-und Warenzeichenanmeldungen, die bei einer auf Grund des Gesetzes vom 5. Juli 1948 errichteten Annahmestelle eingereicht worden sind, sich auf die genannten Länder und auf den bayerischen Kreis Lindau erstreckt und daß die Anmeldungen den Zeitrang haben, der ihnen im Vereinigten Wirtschaftsgebiet zukommt.
Der § 2 hat im Entwurf den Wortlaut: „Das Gesetz tritt am 1. Oktober 1949 in Kraft." Es wird zweckmäßig sein, diese Stelle so zu fassen, daß dieses Gesetz „mit Wirkung vom 1. Oktober 1949" in Kraft tritt, nachdem der Zeitpunkt in der Vergangenheit liegt.
Ich war an sich versucht, über den Stand des gewerblichen Rechtsschutzes auf dem internationalen Gebiet etwas zu sagen. Vielleicht würde auch die Frage des Sitzes des Bundespatentamts, die manchem Sorge macht, Interesse erwecken. Die vorgeschrittene Zeit hält mich davon ab. Meine Bereitschaft dazu ist aber gegeben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zinn.
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zu diesem Gesetzentwurf nur eine kurze Bemerkung. Auch dieser Gesetzentwurf ist von dem Staatssekretär des Innern der Bundeskanzlei, von dessen Existenz die meisten Mitglieder des Hauses seither keine Kenntnis hatten, eingereicht worden. Er ist nicht einmal im Namen der Bundesregierung oder im Namen des zuständigen Ressortministers, sondern von dem Staatssekretär im eigenen Namen vorgelegt worden. Nach der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers will ich jedoch auf diesen Gesichtspunkt nicht weiter eingehen.
Der materielle Inhalt und das rechtspolitische Ziel dieses Gesetzes sind nicht zu beanstanden. Dagegen haben wir einige Einwendungen hinsichtlich der Gesetzessprache und in gesetzestechnischer Hinsicht, die wir deshalb heute in der Plenarsitzung vorbringen, weil es sich um eine der ersten Gesetzesvorlagen der Bundesregierung handelt und wir der Auffassung sind, daß es nicht Sache des Parlaments sein kann, die Vorlagen der Regierung in gesetzestechnischer Hinsicht zu überprüfen, sondern daß die Vorlagen der Regierung in technischer Hinsicht gewissen Anforderungen zu genügen haben, so daß insoweit kein Anlaß zu einer Nachprüfung durch Ausschüsse des Parlaments besteht.
Dieser Entwurf spricht davon, daß die Wirkung der eingegangenen Patentanmeldungen, die in Darmstadt und Berlin vorgenommen worden sind, sich auf die Länder der französischen Zone usw. erstrecken soll. Die Länder sind für uns ein staatsrechtlicher Begriff. Man sollte deshalb etwas deutlicher davon sprechen, was gemeint ist, daß sich nämlich die Wirkung auf die Gebiete dieser Länder erstrecken soll. Die Fassung des § 1 mag zwar für den Verfasser des Gesetzentwurfs, vielleicht auch für die Patentjuristen verständlich sein. Der Zweck des Gesetzes ist aber für jeden anderen angesichts dieser Fassung keineswegs deutlich zu erkennen. Gemeint ist doch wohl, daß Schutzrechte, die durch Anmeldung bei den Anmeldestellen Darmstadt und Kassel begründet worden sind, die gleiche Priorität in den Ländern der französischen Zone und dem bayerischen Kreis Lindau haben sollen wie in dem seitherigen Vereinigten Wirtschaftsgebiet. Das hätte man in positiv erkennbarer Weise besser zum Ausdruck bringen können. Es würde sich auch empfehlen, nicht mehr von dem Vereinigten Wirtschaftsgebiet zu sprechen, sondern zum Ausdruck zu bringen, daß es der Vergangenheit angehört.
Gestatten Sie mir schließlich noch einen kurzen Hinweis darauf, daß wir gewisse staatsrechtliche und politische Bedenken haben, wenn in der Begründung auf Seite 3 davon gesprochen wird, daß sich dieses Gesetz nunmehr auf das Bundesgebiet erstrecken soll. Wir halten es für staatsrechtlich und politisch richtiger, wenn man von dem gegenwärtigen Geltungsbereich des Grundgesetzes spricht. Ich freue mich zu hören, daß auch Herr Staatssekretär Strauß diese Auffassung teilt; einem meiner Freunde hat er das jedenfalls inzwischen bestätigt. Der Parlamentarische Rat hat sich die in der deutschen Staatsrechtslehre vorherrschende Auffassung zu eigen gemacht, daß Deutschland durch die Kapitulation vom 8. Mai 1945 nicht untergegangen sei, daß der deutsche Staat als solcher also noch existent sei, die deutsche Staatsangehörigkeit noch bestehe und die deutsche Souveränität noch vorhanden sei, die seither allerdings treuhänderisch von dem Kontrollrat bzw. von den einzelnen Besatzungsmächten, den Militärgouverneuren, ausgeübt worden ist.
Diese Auffassung ist auch im Ausland anerkannt worden. Ich verweise auf ein Urteil des Züricher Obergerichts, ein Urteil eines englischen Gerichts, aber auch auf eine Stellungnahme des Foreign Office. Der Parlamentarische Rat hat diese Auffassung, nicht aufgegeben, sondern sie mit Nachdruck auch gelegentlich der Verhandlungen über das Besatzungsstatut, die seinerzeit mit den Militärgouverneuren unter Führung des jetzigen Herrn Bundeskanzlers in Frankfurt am Main stattgefunden haben, vorgetragen. Man sollte daher vermeiden, von dem Bundesgebiet in dem Sinne zu sprechen, daß darunter das Gebiet der Länder zu verstehen ist, in dem zur Zeit rechtlich das Grundgesetz gilt. Das präsumtive Bundesgebiet braucht und sollte mit dem Geltungsbereich des Grundgesetzes nicht identisch sein; sonst kämen wir zu einer staatsrechtlichen Auffassung, die den Intentionen des Parlamentarischen Rats und den Auffassungen, die damals von allen politischer Gruppen wohl einheitlich vertreten worden sind, widerspricht. Ich hoffe, daß diese immerhin politisch bedenkliche, vielleicht im Augenblick unbedachte Terminologie, die, wenn sie ständig angewandt wird, zu bedenklichen politischen Folgerungen führen kann, bei Begründungen zu Gesetzesvorlagen in Zukunft vermieden wird.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es ist vorgeschlagen, diese Vorlage der Regierung dem Ausschuß für Patentrecht und gewerblichen Rechtsschutz zu überweisen. Ich bitte diejenigen, die diesem Antrag zustimmen, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit. Damit ist die Drucksache Nr. 152 an den Ausschuß für Rechtsschutz überwiesen.
Wir kommen nun zu Punkt 3 der Tagesordnung:
Interfraktioneller Antrag betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse .
Es handelt sich hier um die Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse auf Grund einer Vereinbarung im Ältestenrat. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rademacher.
Meine Damen und Herren! Meine Fraktion wünscht einen Änderungsantrag zur Drucksache Nr. 146 einzubringen. Die Drucksache Nr. 146 besteht aus zwei Teilen. Im ersten
Teil handelt es sich um die Treibstoffversorgung, im zweiten Teil um die Kraftfahrzeugbenutzungsverordnung. Meine Fraktion ist der Auffassung, daß der zweite Teil primär, also federführend in den Ausschuß für Verkehrswesen gehört. Wir haben daher folgenden Abänderungsantrag gestellt:
Ziffer 1 des Antrags wird an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik federführend und den Ausschuß für Verkehrswesen überwiesen.
Ziffer 2 des Antrags wird an den Ausschuß für
Verkehrswesen federführend und den Ausschuß für Wirtschaftspolitik überwiesen.
Ich bitte das Hohe Haus, entsprechend zu beschließen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir stimmen zunächst ab über den eben vorgetragenen Abänderungsantrag, den Antrag Nr. 154 dahingehend zu ändern, als federführend den Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu bezeichnen und Ziffer 2 des Antrags dem Ausschuß für Verkehrswesen und dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu überweisen, wobei bei Ziffer 2 der Ausschuß für Verkehrswesen federführend sein soll. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag zustimmen, das Handzeichen zu geben. — Das ist die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu dem gesamten Antrag Drucksache Nr. 154. Ich bitte diejenigen, die der Überweisung zustimmen, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 4 der Tagesordnung:
Antrag der Abgeordneten Renner und Genossen betreffend Regierungserklärung zur Sitzung des Rates der OEEC in Paris .
Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Rische als Antragsteller.
Meine Damen und Herren! In großer Sorge um die Entwicklung der deutschen Wirtschaft hat die KPD-Fraktion den Antrag gestellt, die Regierung möge über die Auswirkungen der Beschlüsse der Pariser OEEC-Konferenz dem Hohen Hause berichten. Es dürfte das Beste sein, wenn ich gleich ohne Umstände in das Problem einsteige, um die Dinge anzusprechen, die uns bewogen haben, die Frage vor dem ganzen deutschen Volke zu stellen.
Die Geschichte des Marshall-Plans hat uns genügend Lehren vermittelt, so daß wir alle Ursache haben, über alle Gefahren, die der deutschen Wirtschaft erneut drohen, ernsthaft in diesem Hause zu sprechen. In der vergangenen Woche wurden der deutschen Öffentlichkeit die neuesten Pläne des Marshall-Plan-Administrators Paul Hoffman bekanntgegeben. Seine Forderungen wurden von den 18 Marshall-Plan-Ländern, darunter auch Westdeutschland, in Paris angenommen. Die Forderung Hoffmans geht auf die Herstellung eines einheitlichen europäischen Marktes hinaus. Bis zum 15. Dezember 1949 müssen gemäß den Pariser Beschlüssen 50 Prozent aller Importe von allen mengenmäßigen Beschränkungen freigestellt werden. Nach dem Bundesanzeiger bedeutet dies für Westdeutschland die Aufhebung der mengenmäßigen Beschränkungen bei insgesamt 1000 Importpositionen, darunter 10 verschiedenen Sorten Stahl und Eisen, ferner bei einer großen Gruppe von Maschinen, darunter Landmaschinen, Lokomotiven, ferner Bleche, Haushaltwaren, optische Geräte usw.
Schon eine kurze Durchsicht dieser Freiliste gibt zu ernsten Bedenken Anlaß. Im Ausschuß für Außenhandelsfragen hat Herr von Maltzan, einer der Berater der deutschen OEEC-Delegation, mit Recht das Pariser Diktat als einen Sprung ins Dunkel bezeichnet, und lassen Sie mich sagen, warum.
Es ist in diesem Hause kein Geheimnis, wohin uns der soeben in Paris begrabene Marshall-Plan gebracht hat. Ich will nicht mit den großen Zahlen der angeblichen Dollarhilfe operieren, die nur im deutschen Volk den Eindruck erwecken sollte, daß der Marshallplan sich als ein Allheilmittel zur Überwindung der Not bewährte. Den deutschen Behörden und auch dem aufmerksamen Beobachter ist indessen längst klar geworden, daß man uns nichts geschenkt hat, daß wir alles auf Heller und Pfennig bereits zurückzahlen mußten und uns außerdem eine unerhörte Schuldenlast von immerhin 10 Milliarden D-Mark aufgebürdet wurde.
Der Plan des ehemaligen USA-Außenministers Marshall hat zwar der deutschen Wirtschaft einiges eingebracht, und darüber möchte ich zu Ihnen ebenfalls sprechen. Sein Plan brachte uns rund 1,35 Millionen Arbeitslose und 2 Millionen Kurzarbeiter. Wir haben immer noch nicht die genauen Zahlen über den Umfang der Kurzarbeit in Deutschland. Vielleicht sollte uns der Herr Arbeitsminister gelegentlich auch einmal über diese Frage ausführlich Auskunft geben. Ferner haben wir einem Import von 2 Milliarden Dollar, und zwar vornehmlich Waren aus den USA, einen Export von rund einer Milliarde Dollar gegenüberstehen. Die Rohstoffeinfuhr beträgt eben wegen der Marshall-Plan-Hilfe nur zwei Drittel des Vorkriegsstandes, obwohl wir nach wie vor Rohstoffe, vor allem Kohlen und Koks als den größten Posten im deutschen Export hinnehmen müssen. Die Stahlerzeugung ist im Zeichen der wachsenden Wirtschaftskrise im Oktober noch einmal um 9 vom Hundert zurückgegangen, und beim Kohlenexport treten ernsthafte Absatzschwierigkeiten auf. Angesichts dieser Lage, die in anderen Ländern Europas ähnlich ist, erscheint es uns berechtigt, von einem Zusammenbruch des Marshall-Plans und vom Beginn einer schweren Krise zu sprechen.
Berücksichtigt man diese Faktoren, so muß das Pariser Diktat — so muß man es doch wohl der Wahrheit gemäß nennen — sich geradezu verhängnisvoll für die deutsche Wirtschaft auswirken. Ich will auch über diese Dinge ganz offen zu Ihnen sprechen und berufe mich dabei bewußt auf eine Zeitung, die zunächst mit wahrer Begeisterung die Hoffmanschen Erzählungen kommentierte, sich dann aber später einer nüchterneren Berichterstattung befleißigte. Ich spreche vom Düsseldorfer „Industriekurier"; das ist ein Blatt der marshallfreudigen westdeutschen Schwerindustrie. Diese Zeitung schrieb am 3. November folgende Sätze, die geeignet sind, den ganzen Ernst der Lage für Westdeutschland und, so möchte ich hinzufügen, auch für ganz Europa nach der sogenannten Liberalisierung des Handels zu charakterisieren. Es heißt im „Industriekurier":
In der ökonomischen Struktur Westeuropas gibt es Tatsachen, die zwar auch den Amerikanern nicht unbekannt sind, deren Gewicht aber doch wohl nur der richtig einzuschätzen vermag, der die Entwicklung aus eigenem Erleben kennt. Bis zum heutigen
Tage gibt es ja keinen westeuropäischen Wirtschaftsraum, sondern nur einen westdeutschen, einen französischen, einen belgischen, holländischen usw. Alle diese Volkswirtschaften sind unter ganz bestimmten geographischen, politischen und sozialen Bedingungen in Jahrhunderten gewachsen. Die politischen Grenzen haben dabei eine ebenso entscheidende Rolle gespielt wie die Zollgesetze, die Währungen, die Rohstoffversorgung, der Lebensstandard, das Klima, die Verkehrswege, die Küsten, die Gebirgsschranken oder Wasserstraßen. Und nun soll ein wesentlicher Teil dieser Bedingungen binnen kürzester Frist geändert werden; an die Stelle der einzelnen „nationalen" soll eine einheitliche westeuropäische Wirtschaft treten. Die Wirkungen dürften ähnlich sein wie die des veränderten Druckes auf die Lunge eines Tauchers, der aus großer Tiefe an die Wasseroberfläche kommt. Es ist bekannt, daß dieses Auftauchen, wenn es zu plötzlich geschieht, schwere Schädigungen, unter Umständen den Tod zur Folge haben kann.
Jedes einzelne Wort in diesen Zeilen kennzeichnet meiner Meinung nach die schwierige Lage in Westdeutschland und sollte uns ernsthaft zu denken geben. Alle Erwägungen in Westdeutschland über Vor- und Nachteile der Pariser Beschlüsse können nämlich nicht darüber hinwegtäuschen, daß die schwerwiegenden Nachteile die angeblichen Vorteile, die man in einer Ausweitung des Welthandels zu sehen glaubt, bei weitem überwiegen.
Das Entscheidendste ist jedoch, daß die europäischen Staaten im Zuge des Hoffmanschen Diktats auf wesentliche Souveränitätsrechte, und zwar wirtschaftlicher und politischer Natur, verzichten müssen und in letzter Konsequenz ihre Märkte einem USA-Diktat unterstellen.
Was bedeutet dies für Westdeutschland? Für Westdeutschland und für die westdeutsche Industrie bedeutet diese sogenannte Liberalisierung nichts anderes als den Verlust des innerdeutschen Marktes, der jetzt mit ausländischen Waren, und zwar vor allem aus den USA, überschwemmt werden wird.
Die ersten tausend Importpositionen sind bereits von allen mengenmäßigen Beschränkungen befreit, und ich brauche für mein Gewissen wahrhaftig nicht zu fürchten, wenn ich behaupte, daß viele deutsche Industriezweige, besonders in der Fertigwarenherstellung in kürzester Frist auf dem innerdeutschen Markt konkurrenzunfähig sein werden und später gar völlig zusammenbrechen werden. Unter der Herrschaft der Hohen Kommissare, unter den Bedingungen des Ruhrstatuts und der Sicherheitsbehörde hat nämlich die deutsche Wirtschaft keinerlei Möglichkeiten, sich gegen eine derartige Überschwemmung mit ausländischen Waren wirksam zur Wehr zu setzen.
Weitere Schwierigkeiten ergeben sich aus der Spaltung des deutschen Wirtschaftskörpers und durch die brutal durchgeführten Konkurrenzdemontagen. Die innerlich dezimierte Industrie mit ihrer vernachlässigten industriellen Ausrüstung, den JEIA-Beschränkungen, den geheimen und offenen Diskriminierungen kann eine Konkurrenzfähigkeit auch nicht auf Kosten einer weiter verstärkten Ausbeutung des werktätigen Volkes erreichen. Hier möchte ich beinahe ein
Sprichwort umdeuten und sagen: Wer vom Marshall-Plan frißt, stirbt daran!
— Sie lachen darüber, aber das Lachen wird Ihnen wahrscheinlich in den nächsten Monaten vergehen.
Zu den bereits aufgeführten Schwierigkeiten, meine Damen und Herren, kommt als eine weitere Wirkung der sogenannten Liberalisierung — ein wunderbar schönes, aber auch verhängnisvolles und, ach, so trügerisches Wort — eine erneute Belastung des gesamten innerdeutschen Preisgefüges. In den Pariser Beschlüssen wird nämlich eine Ausmerzung unterschiedlicher Preise unter den Teilnehmerstaaten der Pariser Beschlüsse gefordert. Dies hängt zusammen mit einer Kritik, die an der westdeutschen Preispolitik geübt wird, weil Kohle und Stahl in Westdeutschland angeblich billiger sind als in den übrigen westeuropäischen Ländern. Ich denke, wir sind dabei bereits durch einige Äußerungen McCloys über die Preispolitik, die jetzt von Paris aus diktiert wird, gewarnt worden. McCloy hat bereits eine wesentliche Erhöhung des inländischen Kohlenpreises unter gleichzeitiger Senkung des Exportpreises für Kohle angekündigt. McCloy erklärte, Deutschland verkaufe gegegenwärtig seine Kohle an die Verbraucher im Inlande, nämlich an die deutsche Industrie wesentlich billiger als im Auslande; dadurch habe die westdeutsche Stahlindustrie vor den ausländischen Stahlwerken einen bedeutenden Vorsprung.
Wohin die Reise geht, meine Damen und Herren, dürfte doch bei dieser sehr offenen Erklärung des Hochkommissars allzu klar sein: Erhöhung der Rohstoffpreise für die weiterverarbeitende Industrie, um diese noch mehr konkurrenzunfähig zu machen, ferner rigorosere Preisforderungen auch noch im Hinblick auf die übrigen Industriezweige! Durch solche rigorosen Forderungen sind schwerwiegende Folgen für den Lebensstandard der breitesten Massen in Westdeutschland unausbleiblich. Das Preisgefüge wird in Verfolg der Pariser Maßnahmen unausweichlich zusammenbrechen.
Vielleicht wird uns Herr Dr. Schumacher jetzt einmal erklären können, wie er sich angesichts dieser Tatsachen die Aufrechterhaltung des Burgfriedens zwischen den Preisen und den Löhnen in der Praxis vorstellt.
Betriebsstillegungen, Arbeitslosigkeit und Preissteigerungen sind somit der Text zur Musik der Hoffmanschen Erzählungen aus Paris.
Ich habe schon anläßlich meiner Ausführungen zum Ruhrstatut darauf verwiesen, daß es ein alter Plan der Amerikaner ist, über Marshallplan, Ruhrstatut und Sicherheitsbehörde sich ihr europäisches Empire aufzurichten. Die Methoden, die dabei angewandt werden, sind vielgestaltig. Sie reichen vom ökonomischen Druck, ja der Erpressung bis zur ideologischen Verkleidung der Absichten, indem man von Hilfsprogrammen und von der Freiheit des Handels spricht.
Auch hierzu einige grundsätzliche Worte. Die Pariser Beschlüsse sehen die Schaffung eines einheitlichen europäischen Marktes vor. Die Territorien der am Marshallplan teilnehmenden Länder sollen in ein einziges Freihandelsland verwandelt werden. Was wollen die Wallstreet-Leute damit erreichen? — Die Antwort ist einfach: die
krisenerschütterte USA-Wirtschaft braucht Absatzmärkte, die frei sind von Zoll- und Devisenschranken und sonstigen Behinderungen. Mr. Hoffman hat sich dazu bereits in Paris geäußert und davor gewarnt, diesen Plan als romantisch anzusehen, hat empfohlen, ihn vielmehr als eine unabdingbare Forderung zur Rettung des Marshallplanes zu betrachten. Ich würde lieber sagen: Er hat diese Forderung in Form eines Befehls aufgestellt. Im unbeschränkten Freihandel sehen die Wallstreet-Leute heute das einzige Mittel, ihren Warenüberschuß loszuwerden. Allerdings haben sie dazu auch noch andere Mittel. Eins davon war und ist das Rüstungsgeschäft beziehungsweise der Krieg oder die Vorbereitung des Krieges. Aber da kann man bekanntlich nicht mehr so, wie man gern möchte.
Je größer daher die Absatzmärkte für USA-Waren organisiert sind, um so leichter haben es die Herren der Wallstreet, sich die europäische Wirtschaft zu unterwerfen. Gerade auf diese Gefahr möchten wir Kommunisten ganz besonders aufmerksam machen: es geht um die deutsche Wirtschaft, es geht gewiß um das Stückchen Brot, es geht aber auch um die Unabhängigkeit und die Souveränität unseres Volkes!
Ich möchte daher den Herrn Bundeskanzler fragen, welche Bedingungen die Regierung in Paris eingegangen ist, und frage weiter: Warum haben Sie, Herr Bundeskanzler, sich in einer so schwerwiegenden Frage nicht Bedenkzeit in Paris erbeten, wie dies bekanntlich Dänemark und Schweden taten? Sie, Herr Bundeskanzler, hätten die Pflicht gehabt, das Volk bzw. das Parlament über die beabsichtigten Pariser Beschlüsse zu informieren!
Eine der Forderungen von Paris betrifft bekanntlich auch die Subventionierung der Lebensmittel und die Importausgleichskasse. Was gedenken Sie, Herr Bundeskanzler, zu tun,
um die deutsche Landwirtschaft vor dem Ruin zu bewahren? Welche Maßnahmen wollen Sie treffen, um ihren Bestand zu sichern und der westdeutschen Landwirtschaft angesichts der drohenden Konkurrenz der ausländischen Nahrungsgüter den Absatz ihrer Erzeugnisse zu ermöglichen?
Welche Maßnahmen gedenkt die Regierung zu, ergreifen, um die von der „Liberalisierung" betroffenen westdeutschen Wirtschaftszweige vor dem Zusammenbruch zu bewahren?
Welche Maßnahmen sollen ergriffen werden, um ein weiteres Ansteigen der Arbeitslosigkeit zu verhindern, und welche Maßnahmen sind seitens der Bundesregierung vorgesehen, um eine Vollbeschäftigung zu sichern? Es ist sicherlich notwendig, daß auch die Abwehrmaßnahmen gegen die unerträgliche Preissteigerung von der Regierung endlich in aller Öffentlichkeit bekanntgegeben werden.
Schließlich fordere ich die Regierung auf, uns zu erklären, was geschehen wird, um aus den Fesseln des bankrotten Marshallplans herauszukommen. Ich denke, das deutsche Volk hat ein Recht darauf, von der Regierung eine Antwort auf alle diese Fragen zu hören.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir nun noch ein kurzes Wort zu der heute zu Beginn dieser Sitzung geführten Debatte über die zur Zeit in Paris tagende Außenministerkonferenz.
— Und zwar im Zusammenhang mit dem Antrag der KPD, der gegenwärtig von mir begründet wird!
— Ich sehe nämlich einen inneren Zusammenhang — —(Anhaltende Zurufe. — Glocke des
Präsidenten.)
Herr Abgeordneter Rische, gestatten Sie mir bitte, daß ich Sie einen Moment unterbreche! Es war doch im Wirtschaftsrat immer so nett, darum wollen wir es auch hier wieder so nett machen. Sie sprechen zu der Drucksache Nr. 153, die sich der Sache nach auf die Pariser Beratungen, die Beratungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa bezieht. Ich darf Sie bitten, sich danach zu richten.
Meine Damen und Herren! Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß die gegenwärtigen Beratungen in Paris über den Status Westdeutschlands auf das engste mit den Beschlüssen der Pariser OEEC-Konferenz zusammenhängen;
auf das engste, sage ich,
weil man nämlich mit den Beschlüssen, die man jetzt in Paris zu fassen gedenkt, letzten Endes die politische Sanktionierung der wirtschaftlichen Beschlüsse der Pariser OEEC-Konferenz vornehmen will.
— Das sind durchaus nicht zwei ganz verschiedene Dinge, sondern es handelt sich hier um eine logische Einheit. Es geht nämlich darum, der westdeutschen Wirtschaft Fesseln anzulegen, die sie auf unabsehbare Zeit nicht mehr in die Lage versetzen, den westeuropäischen Staaten irgendwie Konkurrenz zu machen, und dazu braucht man noch politische Bedingungen.
Der Herr Bundeskanzler war so unklug, möchte ich sagen, vorher schon im Zusammenhang mit seinem Interview in der amerikanischen Zeitung in aller Form von einigen Maßnahmen der Regierung zu sprechen,
und zwar unter anderem davon, 40 Prozent des deutschen Industriepotentials an die Franzosen zu verschachern bzw. über Frankreich an die Amerikaner, an die amerikanischen Finanzherren.
— Meine Damen und Herren, diese Äußerungen stammen vom Herrn Bundeskanzler. Der Herr Bundeskanzler weigerte sich heute, dem Hohen Hause und damit dem deutschen Volke auf diese Frage eine Antwort zu geben. Ich denke, daß er jetzt noch eine Gelegenheit hat, im Zusammenhang mit den Ergebnissen der Pariser OEECKonferenz auf diese Frage zurückzukommen.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Aussprache zu den Ausführungen des Herrn Antragstellers. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Brentano.
Ich beantrage Verweisung an den Ausschuß für ERP-Fragen.
Sie haben den Antrag des Herrn Abgeodneten Dr. von Brentano auf Verweisung der Drucksache Nr. 153 an den Ausschuß für ERP-Fragen gehört.
Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Das ist zweifellos die Mehrheit. Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist mit Mehrheit angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, kommen wir zum nächsten Punkt der Tagesordnung, Punkt 5:
Antrag der Abgeordneten Dr. Richter, Dr. Leuchtgens, Dr. Miessner, von Thadden, Frommhold und Genossen betreffend Rückgabe der deutschen Archive
Wer von den Antragstellern wünscht das Wort? — Herr Abgeordneter Dr. Richter. Ich möchte nur, ehe ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Richter das Wort erteile, fragen: Sie sind doch damit einverstanden, meine Damen und Herren, daß wir diese Tagesordnung jetzt zu Ende bringen, ohne eine Mittagspause einzulegen?
Wir können nach Lage der Dinge in wenigen Minuten fertig sein.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Richter!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben einen Antrag eingebracht, durch den die Regierung ersucht werden soll, die aus „Sicherheitsgründen" aus Deutschland weggebrachten deutschen Archive wieder nach Deutschland zurückbefördern zu lassen.
Es ist ein Unding, daß die Geschichte des deutschen Volkes der letzten Jahrzehnte praktisch nicht von Deutschen geschrieben werden kann, weil ihnen nicht die Möglichkeit gegeben ist, das Quellenmaterial zu verwenden, das eigentlich die Voraussetzung dafür bildet.
— Absolut nicht, Herr Renner; aber ich glaube, es ist unmöglich, Geschichte zu schreiben auf Grund von irgendwelchen Phantastereien, wie wir sie in den letzten Jahren in deutschen Zeitungen und sonstigen Organen ja zur Genüge erlebt haben,
Veröffentlichungen, meine Herren, die auch bereits von ausländischer Seite sehr, sehr wesentlichen Widerspruch erfahren haben. Ich glaube, es ist dringend notwendig, daß das deutsche Volk seine Geschichte selbst schreibt und daß die deutsche Politik auch die Möglichkeit hat, das Quellenmaterial zu benutzen, das die dafür nötigen Unterlagen bietet, um ihre politischen Ansichten in allerdings deutschem Sinne zu vertreten.
Dabei möchte ich noch darauf hinweisen, daß aus den erwähnten „Sicherheitsgründen" nicht nur Archive nach dem Ausland gebracht worden sind, sondern auch andere Dinge. Ich denke hier an die Gemäldesammlung von Dresden, über die vielleicht Herr Kollege Renner einige Auskünfte geben kann.
Dieses Quellenmaterial muß nicht nur für unsere Geschichtler, sondern auch für die Arbeit der Regierung endlich wieder verfügbar werden. Deshalb bitte ich Sie, unserm Antrag zuzustimmen.
Ich eröffne die Aussprache über die Ausführungen des Antragstellers zu Drucksache Nr. 149. Als erster hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Bergstraeßer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Man kann mit diesem Antrag durchaus einverstanden sein, aber es ist doch einiges zu ihm zu sagen. Erstens einmal wird es sich um Verhandlungen mit den drei Mächten handeln, und es ist eine alte Erfahrungstatsache, daß man bei Verhandlungen am besten fährt, wenn man dem anderen Partner etwas sagt, was auch in seinem eigenen Interesse liegt.
Ich glaube, das Wichtigste, was wir sagen könnten, ist dies, daß wir allerdings eine Notwendigkeit sehen, daß die Geschichte der letzten Zeit, vor allem die des „Tausendjährigen Reiches", von uns Deutschen aufgearbeitet wird. Wenn uns Ausländer und insbesondere die Vertreter der drei den Westen okkupierenden Mächte so oft vorgeworfen haben, daß wir uns mit unserer jüngsten Vergangenheit nicht genügend auseinandersetzten, so sollen sie uns doch die Möglichkeit dazu geben. Sie haben uns diese Möglichkeit ja schon in anderer Beziehung lange Zeit nicht gegeben, indem sie uns, wenigstens in der amerikanischen Zone — von den anderen Zonen weiß ich es nicht genauer —, von der Literatur, die im Ausland erschienen ist, abgeschlossen hatten.
Es wäre noch etwas anderes dazu zu bemerken. Der Herr Vorredner hat auch noch auf andere Dinge und eine andere Macht angespielt. Nun, wir werden da nicht viele Möglichkeiten haben. Ich möchte aber doch einmal wenigstens kennzeichnen, daß es unmögliche Zustände sind, wenn Dinge, die heute noch in deutschem Besitz sind, von Behörden, die sich deutsche Behörden nennen, verschleudert werden,
wie zum Beispiel der Herr — ich weiß nicht, wie er heißt — Präsident der Demokratischen Volksrepublik, Pieck, jetzt Polen Handschriften geschenkt hat,
Handschriften, die aus preußischem Staatsbesitz stammen.
— Bitte, unterbrechen Sie mich nicht; es ist leichter zu reden, wenn man nicht immer unterbrochen wird. — Es sind Handschriften aus der Preußischen Staatsbibliothek, —
— Ja, es waren Handschriften von Chopin, die ehrlich erworben waren.
— Bitte sehr, Dinge, die ehrlich erworben sind, sind deutscher Kulturbesitz,
und wir haben in Berlin eine Autographensammlung gehabt, die gezeigt hat, daß sie der Ausdruck
der weitgespannten deutschen Beziehungen über die
Welt hin gewesen sind. Sie scheinen davon nichts zu wissen!
Etwas anderes, was zu sagen wäre, ist folgendes. Es sind jetzt zum Beispiel. Handschriften von Schopenhauer hier im Westen angeboten worden, von denen man festgestellt hat — solche Sachen sind ja in der wissenschaftlichen Welt bekannt —, daß sie auch aus Staatsbesitz, nämlich aus dem Staatsbesitz von Sachsen stammen.
Sie können also, da sie noch im sächsischen Staatsbesitz waren, nur auf irgendwelchen staatlichen Wegen herübergekommen sein. Auch das mußte gekennzeichnet werden.
Dies alles führt dazu, daß ich die folgende Bemerkung anschließen möchte. Wir haben nach Artikel 74 Ziffer 5 des Grundgesetzes die Möglichkeit, deutsches Kulturgut gegen Abwanderung ins Ausland zu schützen. Ich glaube, es wäre dringend notwendig, daß wir alsbald eine Vorlage der Regierung bekommen, die anordnet, daß ganz allgemein ebenso wie für Kunstgut, also Gemälde und Skulpturen, eine Rolle geschaffen wird, in die wichtiges Archivgut eingetragen wird, damit wir einmal wissen, was das ist, und die Möglichkeit haben, zu verhindern, daß diese Dinge ins Ausland abwandern. Das ist auch deshalb notwendig, weil heute durch Umschichtung der Vermögen alter Besitz ins Fluktuieren kommt und wir dafür sorgen müssen, daß Dinge, die für uns, die für die Geschichte des deutschen Volkes wichtig sind, nicht ins Ausland gehen.
Es wäre noch etwas anderes dazu zu sagen. Wir ) stehen vor der Notwendigkeit, ein Bundesarchiv zu schaffen, und zwar müßte das sehr bald erfolgen. Dieses Archiv müßte — ich möchte mich einmal so ausdrücken — eine Art Fahndungsabteilung bekommen, das heißt eine Abteilung, die systematisch versucht, Akten des Reichsarchivs oder der Reichsbehörden wieder herbeizuschaffen. Ich weiß zuverlässig, daß ein Teil dieser Akten in dem im Auftrage der sowjetischen Militärverwaltung geschaffenen Archiv in Potsdam gesammelt wird, an dessen Spitze der jetzt vielgenannte General Korfes steht, der dem Komitee Freies Deutschland angehört hat. Ein anderer Teil aber fluktuiert. Es ist mir selbst einmal zufällig in Darmstadt von einer Papiermühle ein Band übermittelt worden, der aus dem Hohenzollernschen Hausarchiv stammte; die Leute wußten, daß ich mich dafür interessiere. Das Bundesarchiv müßte solche Sachen aufspüren, und es müßte dabei eine gewisse Möglichkeit haben, auch den Leuten, die eine Entschädigung für die Aufbewahrung fordern, wenigstens diese zu geben, ohne unbedingt die Rechtmäßigkeit des Besitzes in allem zu prüfen; denn sonst kommt es dazu, daß solche Akten verbrannt werden, und es ist ja schon sehr viel Material verlorengegangen. Das Bundesarchiv müßte auch die Akten der Reichsbehörden, soweit sie noch vorhanden sind, die Akten des Wirtschaftsrats, des Zweizonenrats und auch des süddeutschen Länderrates sammeln. Es wäre auch notwendig, daß die Sachen, die aus dem Ausland zurückkommen, selbstverständlich in das Bundesarchiv kämen, ebenso ferner die Akten, die als Generalakten des Nationalsozialismus zu bezeichnen sind.
Soweit ich orientiert bin, will man das Bundesarchiv dem Minister des Innern unterstellen. Es wäre aber wohl zu fragen, ob es nicht richtigerwäre, es dem Herrn Bundeskanzler selbst zu unterstellen. Eines jedoch gehört dazu: es gehört eine wissenschaftlich vorgebildete Leitung dazu, die allerdings — ich will mich einmal so ausdrücken — auch personell die Sicherheit gibt, daß sie dazu hilft, daß wir uns mit der jüngsten Vergangenheit kritisch auseinandersetzen können. Das ist einer der wichtigsten Punkte, der dabei zu beachten wäre.
Aus allen diesen Gründen, meine Damen und Herren, möchte ich beantragen, daß dieser Antrag nicht nur dem Außenpolitischen Ausschuß, sondern auch dem Kulturpolitischen Ausschuß überwiesen wird, und zwar mit der Maßgabe, daß der Kulturpolitische Ausschuß den ganzen Fragenkomplex einmal erörtert und auch mit den zuständigen Regierungsstellen behandelt, wobei zu sagen ist, daß schnell gehandelt werden muß, weil sonst noch mehr kaputtgeht. Bei der Reduzierung unseres Kulturgutes wäre es wichtig, zu erhalten, was ist.
Wird das Wort weiter gewünscht? — Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Beratung über die Drucksache Nr. 149 und darf das Einverständnis des Hauses mit der Erweiterung des Antrags des Herrn Abgeordneten Bergstraeßer dahin feststellen, daß Drucksache Nr. 149 ad 1 dem Ausschuß für Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten, ad 2 dem Kulturpolitischen Ausschuß überwiesen wird. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist demgemäß beschlossen.
Meine Damen und Herren! Wir hatten vorgesehen, daß 'als Punkt 6 der Tagesordnung die Drucksache Nr. 165,
Mündlicher. Bericht des Ausschusses für Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU, Drucksache Nr. 60, betreffend Maßnahmen für Deutsche, die im Ausland zurückgehalten werden,
behandelt wird. Der Ausschuß hat mir inzwischen sagen lassen, er wünsche heute die Absetzung, weil gewisse Materialien für die Erstattung des mündlichen Berichts noch nicht vorliegen. Ich darf daher das Einverständnis des Hauses voraussetzen, daß dieser Punkt von der heutigen Tagesordnung mit der Maßgabe wieder abgesetzt wird, daß er bei der nächsten Sitzung erscheint. —
Meine Damen und Herren! Wir haben ferner vorhin festgestellt, daß die Tagesordnung durch Drucksache Nr. 171 erweitert wird:
Antrag der Fraktion der SPD betreffend Vorfinanzierung der Hausrathilfe.
Wird- dazu das Wort gewünscht? — Bitte, Herr Abgeordneter Leddin!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion soll die 'Bundesregierung beauftragt werden, für die Durchführung der Hausrathilfe — nicht „Haushalthilfe", wie es im Antrag steht — dem Hauptamt für Soforthilfe weitere 120 Millionen DM sogleich zur Verfügung zu stellen, damit die vorliegenden Anträge aus dem Kreise der anspruchsberechtigten Vertriebenen und Kriegssachgeschädigten noch vor Weihnachten berücksichtigt werden können. Nach amtlichen Informationen lagen bis zum 30. September dieses Jahres insgesamt zirka 1200 000
Anträge vor. Diese Zahl wird sich im Laufe des Monats Oktober noch erhöht haben.
Geht man davon aus, daß alle diese Anträge genehmigt werden, dann wird bei einem Durchschnittsbetrag von 150 DM im Einzelfall eine Summe von zirka 180 Millionen erforderlich sein. Nach dem Soforthilfegesetz selbst sollten die Länder dem Fonds vorschußweise einen Betrag von 60 Millionen DM zur Verfügung stellen. Ob die Länder diese Verpflichtung erfüllt haben, entzieht sich meiner Kenntnis. Setzt man aber voraus, daß dieser Betrag tatsächlich gezahlt wird, dann bleibt trotzdem für die noch rückliegenden Anträge der von uns geforderte Betrag zu bewilligen übrig. Aber niemand, der die 'Verhältnisse unter den Vertriebenen und Kriegssachgeschädigten kennt, kann glauben, daß mit der Zahl der bis zum 1. Oktober vorliegenden Anträge das Bedürfnis der Anspruchsberechtigten schon erschöpft oder zum größten Teil erledigt sei. Im Gegenteil, aus meiner eigenen amtlichen Kenntnis der Dinge kann ich nur sagen, daß die Soforthilfeämter nach dem Bekanntwerden der auf sie entfallenden Kontingente Zehntausende von Antragstellern schon in den ersten Tagen abgewiesen haben. Wenn man bedenkt, daß auf eine Großstadt von zirka 500 000 Einwohnern, bei der ungefähr 30 000 Vertriebene und Zehntausende von Ausgebombten zu verzeichnen sind, im ganzen Monat nur 350 Anträge genehmigt werden, wenn man weiter bedenkt, daß auf kleine ländliche Gemeinden, in denen zirka 450 antragsberechtigte Familien vorhanden sind, 5 bis 6 Anträge im Monat entfallen, dann werden wir die erschütternde Tatsache feststellen müssen, in welch bescheidenem Maße wir bisher den Notstand dieser Menschen mit einem doch sehr kleinen Betrag zu lindern in der Lage gewesen sind.
Aber diese Hilfe soll ja nicht nur den Hilfsbedürftigen im engeren Sinne gewährt werden, sie soll auch den kleinen Lohn- und Gehaltsempfängern aus dem Kreise der Vertriebenen und Ausgebombten zugute kommen, die alle durch die Auswirkungen der sogenannten sozialen Marktwirtschaft des Herrn Bundeswirtschaftsministers kaum in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, geschweige denn an die Anschaffung von Hausrat und Kleidung zu denken.
Darum wird es sehr notwendig sein, daß der Herr
Minister für Vertriebenenangelegenheiten sich
recht bald ein echtes Bild von dem ganzen Kreis
der Anspruchberechtigten verschafft. Diesen
Wunsch möchte ich um so nachdrücklicher betonen,
weil Sie, Herr Bundesminister, nach einer Presseinformation schon von der bisherigen Zahl der eingereichten Anträge sehr überrascht gewesen sein
sollen. Uns hat diese Entwicklung nicht überrascht.
Im übrigen darf ich zur Erhärtung unseres Antrags darauf hinweisen, daß auch das Hauptamt für Soforthilfe, dessen Präsident der Herr Minister Lukaschek selber war, das gleiche Verlangen an die Bundesregierung gestellt hat. Aber wir sind in Sorge, daß die Erörterungen über dieses Anliegen des Hauptamts für Soforthilfe mit dem Hinweis auf die finanzielle Notlage des Bundes vielleicht versanden könnten. Darum muß der Bundestag im Hinblick auf die zur Verfügung stehende kurze Spanne Zeit und im Hinblick auf die Notlage der Antragsteller heute ohne Ausschußberatung gleich zu einer Entscheidung kommen. Der Bundesregierung stand ein Überbrückungskredit von zirka500 Millionen DM zur Verfügung. Es war unseres Erachtens ihre Pflicht, von diesem Betrag einen entsprechenden Anteil zur Behebung der von ihr selbst anerkannten Notstände zu reservieren. Hat sie über diesen Betrag anders verfügt, dann muß sie wissen, daß wir darüber wachen werden, daß neben anderen wichtigen Staatsaufgaben das berechtigte Anliegen der Vertriebenen und die sozialpolitischen Erfordernisse nach unseren Begriffen in die Prioritätsklasse 1 gehören. Wir sind entschlossen, aus den Erörterungen und Deklamationen, die oft in Anwesenheit hoher und höchster amtlicher und nichtamtlicher Flüchtlingsvertreter auf den großen Flüchtlingskundgebungen stattfanden und bei denen wir uns zurückgehalten haben, endlich zu praktischen Hilfsmaßnahmen zu kommen. Wir bitten Sie daher, unsern Antrag einmütig anzunehmen.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Aussprache über die Ausführungen des Herrn Antragstellers betreffend Drucksache Nr. 171. Wer wünscht das Wort? — Herr Abgeordneter Dr. Bucerius.
Meine Damen und Herren! Es ist niemand in diesem Hause, der nicht das äußerste Bedürfnis hat und die äußersten Anstrengungen machen wird, die Not der Flüchtlinge und Vertriebenen, der Ausgebombten, der Bombengeschädigten bis zum letzten zu lindern. Es sollte aber zur guten Tradition in diesem Hause werden, daß ein Antrag, der nicht weniger als 120 Millionen DM Ausgaben aus dem Haushalt der Bundesrepublik vorsieht, nicht vorgelegt wird, ohne daß die Antragsteller zugleich aufweisen, woher die nötigen Deckungsmittel kommen.
Ich habe aus den Worten des Antragstellers nichts weiter gehört als ein Bedauern darüber, daß eine in der Vergangenheit offene Kreditermächtigung von 500 Millionen DM nicht für diesen Zweck zum Teil offengehalten worden sei. Auch die Antragsteller werden wissen, daß diese Kreditermächtigung bereits beim ersten Zusammentreten des Bundestags in einer Höhe von 440 Millionen DM ausgenutzt worden ist, so daß also ein namhafter Betrag für diesen Zweck überhaupt nicht mehr zur Verfügung stand.
Meine Damen und Herren, wenn wir die Diskussion über die Frage der Vertriebenen und Ausgebombten in dem Geiste führen wollen, in dem sie allein geführt werden kann, nämlich in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung, dann verlangt das, daß in diesem Hause keine Anträge gestellt werden, die lediglich der Agitation dienen.
Bitte, Herr Abgeordneter, fahren Sie fort!
Mit keinem Gegenstand darf weniger ein solcher Mißbrauch getrieben werden als mit diesem.
Auch wir erwarten, daß die Bundesregierung die äußersten Anstrengungen machen wird, um den Geschädigten — —
Meine Damen und Herren! Ich bitte, den Redner ausreden zu lassen.
— um den Geschädigten wenigstens die bescheidene Hilfe zukommen zu lassen, die ihnen im Wege der Hausrathilfe gewährt werden kann.
Wir werden die Bundesregierung bitten, den Versuch zu unternehmen, die Kreditermächtigung, die bisher auf 500 Millionen DM lautete, um einen entsprechenden Betrag auszuweiten. Es ist aber unmöglich, heute die Bundesregierung mit einem solchen sie bindenden Antrag zu überfallen, da wir keine Ausgabe bewilligen können, bevor nicht die Deckungsmittel im Haushalt vorhanden sind. Deshalb beantragen wir die Überweisung dieses Antrages an den Ausschuß, der sich unverzüglich mit dieser Sache zu befassen haben wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seuffert.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn der Herr Vorredner lediglich hätte darauf hinweisen wollen, daß die Annahme unseres Antrags vielleicht bedeuten müßte, die Kreditermächtigung der Bundesregierung etwas zu erweitern, so hätte es der Ausführungen und des Tones nicht bedurft, den er hier angeschlagen hat.
Ich darf, ohne auf diesen Ton einzugehen, einmal feststellen, worum es sich handelt. Es handelt sich erstens nicht um neue Ausgaben des Haushalts, sondern um Vorschüsse. Wenn wir von Ausgaben des Haushalts reden würden, so würden wir von anderen Größenordnungen zu reden haben. Ich glaube, es ist inzwischen auch zu Ihren Ohren gedrungen, daß wir, vorsichtig gesagt, einen Ausgabenüberschuß, populär gesprochen: ein Defizit von einer halben Milliarde in diesem Rechnungsjahr im Bundeshaushalt zu erwarten haben, von dem wir noch nicht wissen, wie wir es decken werden. Wenn ich vom Standpunkt der Ausgabenrechnung sprechen und in Betracht ziehen würde, welche offenbar sehr erheblichen Vorgriffe auf künftige, noch nicht existente Haushaltsbewilligungen gerade an diesem Ort gemacht worden sind,
so würde das allerdings einen Anlaß geben, um auf
die Frage, was eigentlich wichtiger ist, Hausrathilfe für Flüchtlinge oder sonst etwas, etwas näher
und recht scharf einzugehen. Hier handelt es sich
aber — das möchte ich feststellen — um Vorschüsse
— Sie können es auch Vorfinanzierung heißen, Herr Dr. Seelos — um Vorschüsse auf künftige Einnahmen, die an sich aus der sogenannten Betriebsmittelreserve, das heißt aus der Kreditermächtigung zu decken sind.
Die Kreditermächtigung betrug nach dem letzten Haushaltsplan des Wirtschaftsrats 500 Millionen DM. Sie ist erschöpft, wenigstens bis auf einen Betrag, der zwischen 50 und 100 Millionen liegen dürfte. Aber warum ist sie erschöpft? Ich spreche zunächst nicht davon, daß auf Grund dieser Kreditermächtigung die Vorschüsse der .Länder geleistet worden sind, die sie gesetzlich zum Lastenausgleich aufzubringen verpflichtet waren.
Man hat diese Vorschüsse nicht in den Länderhaushalten vorgesehen, sondern man hat sie auf den Bundeshaushalt genommen. Wenn es, wie ich weiß, tatsächlich einigen Ländern außerordentlich schwer gefallen sein dürfte, diese Vorschüsse aufzubringen — wir wissen genau, welches die sogenannten notleidenden Länder waren und sind —, so wäre allerdings doch die Frage aufzuwerfen, ob andere Länder, denen es offensichtlich viel besser geht, nicht gut daran getan hätten, hier einzuspringen, statt ihre flüssigen Mittel für andere Aufgaben zu verwenden.
Ich spreche jetzt auch nur andeutungsweise von der Tatsache, daß diese Kreditmittelermächtigung mit einem Betrage, der an die 200 Millionen DM geht, dafür aufgewandt werden mußte, die Fehlbeträge in der laufenden Rechnung auszugleichen, die dadurch entstanden sind, daß die Bundesbahn weder ihre Leistungen an die Bundeskasse noch ihre Verpflichtungen für die Zinsen der Ausgleichsforderungen erfüllt hat.
— Sie sagen, sie kann es nicht. Ich stelle hier fest, daß wir seit zwei Jahren, seitdem wir in Frankfurt diesen Plan verlangen, keinen Betriebsplan, keinen Voranschlag der Reichsbahn, jetzt Bundesbahn, erhalten haben. Wir müssen auf die Frage, ob sie es kann oder nicht, absolut mit Nichtwissen antworten; denn es sind uns trotz klarer gesetzlicher Bestimmungen keine Unterlagen gegeben worden.
Die Verwaltung hat es nicht fertiggebracht, in zwei Jahren die Deutsche Bundesbahn dazu zwingen, das zu tun, wozu sie gesetzlich verpflichtet ist, nämlich ihre Voranschläge dem Parlament vorzulegen.
— Der Ausschuß hat es nicht.
— Herr Kollege, Sie waren nicht in den Ausschüssen , in Frankfurt, die diese Pläne hätten erhalten sollen.
— Offenbar meinen Sie einen anderen Ausschuß. Aber ich denke, daß diese Frage auch den Haushaltsausschuß und den Finanzausschuß angeht.
Ich spreche, wie gesagt, nur am Rande davon. Ich möchte aber denn doch darauf hinweisen, daß ein weiterer Betrag von 50 Millionen und noch ein Betrag von 10 Millionen aus der sogenannten Betriebsmittelreserve aufgewendet worden sind, um Barvorschüsse an die Industriekreditbank und an die Zentralgenossenschaftskasse zu geben,
Vorschüsse, von denen in keinem Haushaltsplan
jemals überhaupt die Rede war und deren Gewäh-
rung nach meiner Überzeugung klar den haushaltsrechtlichen Vorschriften widerspricht.
Unter Bruch des Haushaltsrechts hat man aus einer Betriebsmittelreserve Vorschüsse an private Unternehmungen gegeben, und jetzt sagt man: Wir haben kein Geld mehr, um die notwendigsten Vorschüsse an den Lastenausgleich, an die Flüchtlinge zu geben. So ist die Situation, und das wollte ich, Herr Kollege Bucerius, auf Ihre Ausführungen geantwortet haben.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Meine Damen und Herren! Ich habe um das Wort gebeten, um eine Behauptung des Herrn Vorredners nicht unwidersprochen in das Land gehen zu lassen. Der Herr Vorredner hat die Behauptung aufgestellt, daß im neuen Bundeshaushalt ein Haushaltsdefizit oder ein Ausgabenüberschuß von 500 Millionen D-Mark, einer halben Milliarde D-Mark, bestehe. Ich muß feststellen, daß diese Ziffer den Tatsachen nicht entspricht.
Ich muß auf die Sachlage hinweisen. Die Sachlage ist die, daß wir in einem Übergangshaushaltsjahr leben, daß der Bund die ihm zustehenden Steuern und Einnahmequellen noch nicht übernommen, sondern sie den Ländern überlassen hat und daß damit vom ersten Tage dieser Regelung an ganz klar und allen Beteiligten bewußt gewesen ist, daß es selbstverständlich notwendig sein wird, diejenigen, die heute noch die Steuern des Bundes beziehen, mit einem Teilbetrag aus diesen Steuern zur Deckung der Lasten heranzuziehen. Das ist also kein außergewöhnlicher, unerwarteter Zustand, sondern ein wirtschaftlich vorausgesehener und an sich normaler Zustand. Der Ausgabenüberschuß — ich betone es noch einmal —, den Sie ersehen werden, wenn Ihnen der Resthaushaltsplan vorgelegt wird, wird bedeutend geringer sein als die Summe, die der Herr Vorredner genannt hat.
Zu der Sache selber möchte ich folgendes bemerken. Wenn es gelingen würde, Mittel dadurch beizubringen, daß ich sage, sie sind „im Wege der Vorfinanzierung" zu schaffen, und wenn sie dann da sein würden, dann wäre es sehr leicht, eine Finanzverwaltung zu führen. So leicht sind die Dinge nicht. Ich nehme an, daß es allen hier im Hause mit dieser Frage sehr ernst ist und daß sie diese Frage ernst behandelt wissen wollen. Die Arbeit beginnt dann, wenn wir uns darüber unterhalten, welche Möglichkeiten bestehen, um im Wege der Vorfinanzierung wirklich Mittel zu beschaffen. Das kann in einem Ausschuß geschehen.
Ich begrüße daher den Antrag, die Sache in den Ausschuß zu verweisen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kather.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der heute von der sozialdemokratischen Fraktion vorgelegte Antrag bringt für denjenigen, der sich in den letzten Wochen mit diesem Problem beschäftigt hat, nichts Neues. Es war der Herr Bundesminister für die Angelegenheiten der Heimatvertriebenen, der uns im Ausschuß für Heimatvertriebene diesen seinen Plan entwickelt hat,
120 Millionen D-Mark von der Bundesregierung zu erbitten,
um all die vorliegenden Anträge auf Hausratshilfe befriedigen zu können.
Aber zwischen dem Beschluß von Frankfurt und dem heute von uns verlangten Beschluß besteht ein großer Unterschied. Dort handelt es sich um eine Empfehlung, um eine Bitte, die wir der Bundesregierung übermittelt haben,
während es sich hier um eine ganz andere Maßnahme handelt. Man mag diesen Dingen noch so positiv gegenüberstehen — das wird man mir ja wohl auch einräumen: ich werde mich sehr nachdrücklich dafür einsetzen, daß diese Bewilligung erfolgt —,
ob man es aber verantworten kann, daß ein Antrag, der noch nicht einmal auf der gedruckten Tagesordnung steht, sondern der uns heute erst vorgelegt worden ist und der immerhin eine Ausgabe von 120 Millionen D-Mark mit sich bringt — wobei es völlig gleichgültig ist, ob es sich um einen Vorschuß, eine Vorfinanzierung oder sonst etwas handelt —, heute einfach so über die Bühne geht, darüber kann man anderer Meinung sein, auch wenn einem die Angelegenheiten der Heimatvertriebenen noch so sehr am Herzen liegen.
Wenn hier über manche Ausführungen Beschwerde geführt worden ist, die mein Kollege Dr. Bucerius gemacht hat, so war es vielleicht auch nicht ganz angebracht, bei der Begründung dieses Antrags darauf hinzuweisen, daß das Elend der Betroffenen auf die soziale Marktwirtschaft zurückzuführen ist. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück! Wir wollen diese Dinge doch unter den Tisch fallen lassen.
Ich bin daher auch dafür, daß der Antrag dem Ausschuß überwiesen wird. Ich werde mich dafür einsetzen, daß er so schnell wie möglich dort wieder herauskommt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Leibbrand.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Ich fürchte, die Flüchtlinge und die Bombengeschädigten werden der jetzigen Diskussion in diesem Hohen Hause mit sehr wenig Verständnis gegenüberstehen.
— Sie hätten mit Ihren Zwischenrufen mindestens so lange warten können, bis Sie hören, was ich sage. Oder sind Sie so ahnungsvoll, was da kommen wird? — Es handelt sich doch ganz einfach um die Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen, die das frühere Vereinigte Wirtschaftsgebiet und als sein Rechtsnachfolger jetzt der Bund vor Millionen von Menschen übernommen haben.
Das war vor den Wahlen; das Soforthilfegesetz ist noch vor den Wahlen erschienen, es hat im Wahlkampf keine geringe Rolle gespielt. Viele, viele Menschen, Hunderttausende und Millionen haben auf die Versprechungen dieses Gesetzes Hoffnungen gesetzt. Jetzt, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, liegt es an Ihnen, diese von Ihnen gemachten gesetzlichen Versprechungen wahrzumachen und zu verwirklichen.
Jetzt, da es darauf ankommt zu zahlen; wollen Sie weiter beraten, die Sache verschleppen und verschieben. Es kommt doch ein ganz eigenartiger Kontrast in der Stellungnahme von zwei Bundesministern zum Ausdruck. Der eine erhebt die Forderung und sagt, man braucht das Geld, und der andere, der Herr Finanzminister, steht jetzt hier und hat sich offenbar noch keine Gedanken darüber gemacht, woher das Geld kommen soll, das sein Regierungskollege versprochen hat. Sonst müßte er doch in der Lage sein, uns heute, da wir nun einmal zu dem Antrag sprechen, mindestens irgendwelche Andeutungen zu machen, wie er es sich als Finanzminister eigentlich vorstellt, daß die notwendige Summe aufgebracht wird. Das wäre er dem Hohen Hause doch zum allermindesten schuldig gewesen. Statt dessen hat er uns
) darüber gar nichts gesagt. Auch er ist dafür, daß die Sache in einen Ausschuß gebracht wird. Dann dürfte aber der andere Bundesminister, nämlich derjenige, der das Ressort der Flüchtlinge hat, nicht solche Forderungen erheben und wiederum Hoffnungen erwecken.
Es handelt sich doch darum, daß jetzt endlich etwas geschieht. Die Soforthilfe hat bis jetzt praktisch bloß die Auswirkung gehabt, daß sie sehr, sehr vielen kleinen Leuten Zahlungen und Belastungen gebracht hat, daß Leute mit einem kleinen Vermögen von ein paar tausend Mark jetzt zahlen müssen, während man auf der anderen Seite hört, daß von seiten der Großindustrie durchweg Stundungsanträge gestellt worden sind. Wir wären sehr dankbar dafür, wenn wir auch vom Finanzminister einmal hören würden, wie es damit eigentlich steht, was bis jetzt an Zahlungen. eingegangen ist und wie es um diese vielen Stundungsanträge der Großindustrie bestellt ist, wie sich ferner die Finanzverwaltung zu diesen Anträgen stellt. Vielleicht kämen wir dann auf diesem Gebiet auch etwas weiter. Jetzt ist es endlich Zeit, daß man nicht mehr bloß Versprechungen macht, sondern daß man darangeht, das, was gesetzlich festgelegt worden ist, Verpflichtungen, die man eingegangen ist, wirklich sofort zu erfüllen und nicht weiter zu verhandeln.
Deshalb wird die kommunistische Fraktion dem Antrag der SPD zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Goetzendorff.
Meine Damen und Herren! Ich kann der Ansicht meines Herrn Vorredners nicht beipflichten, wenn er meint, der Herr Bundesminister der Finanzen habe sich über dieses Thema keine Gedanken gemacht. Ich glaube, er hat sich sehr wohl Gedanken darüber gemacht. Er ist einmal ein Optimist und ein andermal ein Pessimist, ganz wie er es braucht. Er ist in der Frage Bonn — Frankfurt und in der Frage der Aufwertung der Altsparerbeträge, seinem Steckenpferd, durchaus ein Optimist gewesen. Wenn es sich aber darum handelt, einen Betrag von 120 Millionen D-Mark für die Flüchtlinge aufzubringen, lernen wir Herrn Minister Schäffer als Pessimisten kennen. Wir haben in diesem Hause immer wieder das Flüchtlingsproblem aufgerollt, und die Zeitungen haben berichtet, wie aufgeschlossen wir gegenüber diesen Fragen sind. Heute aber, da wir auf Grund des SPD-Antrages den ersten Anlaß haben, einmal zu entscheiden und konkret zu den Dingen Stellung zu nehmen, erleben wir, daß alles wieder auf das bekannte parlamentarische Gleis abgeschoben werden soll, wie es die Rechte vorschlägt. Wir haben in diesem Hause einen Antrag angenommen, der die Empfehlung beinhaltet, die Heimatvertriebenen bevorzugt zu behandeln. Ich glaube, derartige Empfehlungen sind benützte Ausweichmöglichkeiten. Herr Minister Dr. Lukaschek hat erklärt, daß diese Summen notwendig seien, um den Vertriebenen draußen noch vor dem Weihnachtsfest die Möglichkeit zu geben, sich Anschaffungen zu machen. Jetzt hat Herr Dr. Kather von der CDU erklärt, man möge die Sache in einen Ausschuß überweisen. Dort wird dieser Antrag dann nach allen Regeln der Kunst geprüft und auf die lange Bank geschoben. Heute sollen wir den Flüchtlingen im Lande gegenüber erklären, daß wir einen solchen Betrag von 120 Millionen D-Mark ad hoc nicht bewilligen können. Meine Damen und Herren, wir haben schon über größere Beträge entschieden, wenn auch nicht gerade in der Frage Bonn oder Frankfurt. Für die Flüchtlinge würde der Betrag von 120 Millionen D-Mark viel Segen stiften. Wir müßten uns schämen, wenn es uns nicht möglich sein sollte, diese Mittel in Höhe von 120 Millionen D-Mark zu beschaffen. Meine Herren von der Rechten, die Flüchtlinge wollen nicht nur Empfehlungen hören. Sie wollen endlich auch einmal feststellen, daß wir für sie etwas tun.
Ich stehe daher auf dem Standpunkt, daß dem Antrag der SPD-Fraktion stattgegeben werden sollte und daß das Hohe Haus heute darüber beschließen sollte, damit diese Mittel endlich bereitstehen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Nöll von der Nahmer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Für. meine Freunde und insbesondere für mich ist es ganz selbstverständlich, daß wir die Unglücklichsten der Unglücklichen auf keinen Fall im Stiche lassen dürfen. Es geht auf keinen Fall an, daß diese Menschen jetzt erneut vor Weihnachten Enttäuschungen erleben und daß nicht einmal die dringendsten Anträge auf Hausratshilfe erledigt werden können.
Gerade heute morgen habe ich mit sehr großer Bewegung und mit Schmerz die wenig günstige Lage gehört, die bei dem Soforthilfegesetz eingetreten ist, weil die Eingänge durchaus nicht so sind, wie man das eigentlich erwarten sollte und müßte.
Für uns ist es also ganz selbstverständlich, daß hier eingegriffen werden muß. Aber
— meine Damen und Herren, jetzt kommt das „Aber" — es ist heute morgen durchaus mit Recht verlangt worden, daß die parlamentarische Arbeit gestützt wird, daß die Rechte des Parlaments gewahrt werden. Meine Damen und Herren, ich bin ganz überrascht gewesen, als ich heute morgen in den Plenarsaal kam und diesen Antrag vorfand.
Ich habe dagegen grundsätzliche Bedenken, gerade weil ich auch Mitglied des Haushaltsausschusses und nicht nur Mitglied des Lastenausgleichsausschusses bin. Ich habe grundsätzliche Bedenken
dagegen, daß das Hohe Haus vor die Entscheidung
solch weitgehender finanzieller Anträge gestellt
wird, ohne daß für die Regierung vorher die
Möglichkeit gegeben ist, im einzelnen dazu Stellung zu nehmen, und ohne daß man sich auch in
den Fraktionen darüber Gedanken machen kann,
wie nun diese Summen am besten aufgebracht werden.
Daß geholfen werden muß, ist meinen Freunden absolut klar.
Darüber ist gar keine Diskussion möglich.
Ich freue mich — und ich glaube, daß das generell vom ganzen Hause gilt — und hoffe auch, daß die Herren Minister tun werden, was getan werden kann.
Darüber sind wir uns alle 'einig, und darüber müssen wir uns alle einig sein. Aber
— aber, meine Damen und Herren — um das „Aber" kommt man nicht herum —, wir müssen verlangen, daß solche weitgehenden Anträge zunächst wenigstens in den beiden zuständigen Ausschüssen ordnungsmäßig behandelt werden.
— Das kann rasch gehen. Nein, das wird nicht bis Weihnachten dauern. Dafür bürgt uns die Regierung, dafür bürgt uns ein Mann wie Minister Lukaschek, dem man ja nicht vorwerfen kann, daß ihm das nötige Herz und die notwendige Entschlossenheit fehlen, um uns zu helfen.
Meine Damen und Herren, wir beantragen, daß sich der Haushaltsausschuß und der Lastenausgleichsausschuß zunächst — und zwar mit größter Beschleunigung — mit diesen Anträgen beschäftigen. Das kann in wenigen Tagen geschehen. Dadurch tritt keine unzulässige Verzögerung ein, zumal die Regierung schließlich Zeit haben muß, den Ausschüssen entsprechende Dekkungsmaßnahmen und eine entsprechende Dekkungsvorlage vorzuschlagen. In diesem Sinne werden wir uns für den Antrag einsetzen.
Wird das Wort weiter gewünscht? — Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Reismann.
Meine Damen und Herren! Der Herr Vorredner hat soeben gesagt, die Regierung bürge dafür, daß die Sache nicht auf den Nimmerleinstag verschoben werde. Es würde doch für das Haus interessant sein, die Gedanken der Regierung zu diesem Antrag einmal zu hören,
insbesondere die Gedanken des Herrn Ministers für die Angelegenheiten der Heimatvertriebenen und auch die Gedanken des Herrn Finanzministers darüber, wie er sich denn die Erledigung dieser Zahlungen vorstellt. Man kann nicht umhin, nachdem die Soforthilfe lange im Laufen war und noch nichts gezahlt ist -- und die Leute müssen endlich zu etwas kommen —, zu vermuten, daß, wenn nächstens im dritten Jahr zu Weihnachten die Sache noch nicht so weit ist, sich auch dann wieder ein Grund findet, sie an den Ausschuß zu verweisen. Daher bitte ich zunächst einmal die Regierung um Stellungnahme hierzu.
Wird das Wort weiter gewünscht?
— Wird das Wort weiter gewünscht? Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß auf meine Frage — —
— Wir wollen doch ein bißchen in Ruhe verhandeln. Ich habe mehrmals gefragt, ob das Wort weiter gewünscht wird. — Weitere Wortmeldungen sind nicht erfolgt.
Ich schließe demnach die Aussprache zu dem Antrag Drucksache Nr. 171. Der Antrag liegt Ihnen vor. Es ist beantragt, ihn an den Lastenausgleichsausschuß und an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Nach der hier geltenden Usance ist der Antrag auf Überweisung an einen Ausschuß der weitergehende. Ich lasse demnach über den Antrag auf Überweisung des Antrages Drucksache Nr. 171 an den Haushaltsausschuß und an den Lastenausgleichsausschuß abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben.
Ich lasse der Ordnung halber auszählen. —
— Meine Damen und Herren, ich bitte doch, Platz zu nehmen. Es ist nicht üblich, daß man bei der Abstimmung aufsteht.
— „Was dem einen recht ist, ist dem andern billig!"
Ich bitte, den Schriftführern die Auszählung nicht zu erschweren. — Ich bitte um die Gegenprobe und bitte die Schriftführer, auszählen zu wollen. —
Meine Damen und Herren! Für den Antrag auf Überweisung der Drucksache Nr. 171 an den Ausschuß sind 128 Stimmen abgegeben, gegen die-
sen Antrag 142. Demnach ist der Antrag auf Überweisung abgelehnt.
— Meine Damen und Herren, die beiden Schriftführer, Frau Abgeordnete Albertz und der Abgeordnete Pannenbecker, haben genau abgezählt und sind zu dem Ergebnis gekommen, das ich Ihnen vorgetragen habe. Wenn nachträglich, nach der vollendeten Auszählung, noch Mitglieder des Hauses hereingekommen sind, so können sie natürlich nicht mitgerechnet werden.
— Gestatten Sie, ich stelle fest, daß in der letzten Viertelstunde mindestens vier-, fünfmal geklingelt worden ist.
Meine Damen und Herren, es wünscht niemand das Wort zur Geschäftsordnung. Dann sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung.
— Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Horlacher!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst ist über den Antrag abgestimmt worden, die Sache dem Ausschuß zu überweisen. Damit ist aber die Abstimmung über den Antrag nicht erledigt, sondern es muß jetzt über den Antrag abgestimmt werden, ob er angenommen oder abgelehnt wird.
Herr Abgeordneter Hilbert zur Geschäftsordnung.
Ich glaube, die Abstimmung von vorhin mit Recht anzweifeln zu müssen. Das Ergebnis ist unmöglich!
— Es sind bereits sofort nach der Abstimmung
Zwischenrufe aus der Mitte des Hauses gekommen.
Herr Abgeordneter Hilbert, der Herr Abgeordnete Dr. Horlacher hat den Antrag gestellt, daß nunmehr in aller Form über den Antrag Drucksache Nr. 171 abgestimmt wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich brauche doch gar keinen Antrag zu stellen! Das ist doch ganz selbstverständlich: wenn der Antrag auf Überweisung an den Ausschuß abgelehnt ist — das ist eine geschäftsordnungsmäßige Behandlung —, dann ist damit zum Ausdruck gebracht, daß über den Antrag als solchen abgestimmt wird. Dazu brauche ich keinen Antrag, sondern das ist eine ganz selbstverständliche Konsequenz.
Meine Damen und Herren! Dann kommen wir zur Abstimmung über den Antrag.
— Herr Abgeordneter Renner, ich habe schon einen Antrag zur Geschäftsordnung. Das Wort zur Geschäftsordunng zu erteilen, liegt im Ermessen des Präsidenten.
— Meine Damen und Herren! Ich kann doch, jetzt das Wort lediglich zur Abstimmung erteilen; aber weiter nichts! Also zunächst Abgeordneter Renner, dann Abgeordneter Ollenhauer.
Bitte, Herr Abgeordneter Renner!
Meine Damen und Herren! Ich beantrage namentliche Abstimmung über diesen Antrag.
Das Wort zur Abstimmung hat der Herr Abgeordnete Ollenhauer. Bitte!
Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion unterstützt den Antrag des Abgeordneten Renner auf namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, dann haben wir zunächst über den geschäftsordnungsmäßigen Antrag dahingehend abzustimmen, ob über die Drucksache Nr. 171 namentlich abgestimmt werden soll. Ich mache dabei darauf aufmerksam, daß bei namentlicher Abstimmung mindestens 50 anwesende Mitglieder diesen Antrag unterstützen müssen.
— Diese 50 anwesenden Mitglieder sind vorhanden. Wer also dafür ist, daß über die Drucksache Nr. 171 namentlich abgestimmt wird, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Jetzt bitte ich auszuzählen, — nein, es ist zweifellos die Mehrheit; es bedarf keiner Auszählung. Damit ist der Antrag auf namentliche Abstimmung angenommen.
Jetzt mache ich auf folgendes aufmerksam. Wir haben neulich eine Änderung der Geschäftsordnung, wenn ich nicht irre, dahingehend beschlossen, daß die namentliche Abstimmung nicht im Sinne des § 105 der jetzt gültigen Geschäftsordnung vorgenommen wird, das heißt durch Abgabe der verschiedenfarbigen Karten, sondern daß die namentliche Abstimmung durch Namensaufruf und Abstimmung mit „Ja" oder „Nein" erfolgt. Da wir diesen Antrag damals angenommen haben, haben wir also das Verfahren der Abstimmung danach durchzuführen.
Ich bitte, dabei folgendes zu beachten, damit keine Mißverständnisse eintreten. Wer beim Aufruf für die Drucksache Nr. 171 ist, den bitte ich, „Ja" zu rufen; wer dagegen ist, den bitte ich, „Nein" zu rufen; und wer sich enthält, ruft „Enthält".
Wir kommen nunmehr zum Namensaufruf. — Die Abstimmung beginnt. Ich darf Sie bitten, dabei absolute Ruhe zu bewahren, damit die Schriftführer in der Lage sind, mit ihren Stimmen durchzudringen.
Meine Damen und Herren! Der Aufruf nach der Liste ist beendet.
— Ich komme schon dazu! Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die sich im Saale befanden und nicht aufgerufen worden sind, sich zu melden. — Also zunächst Herr Abgeordneter Rüdiger. Wie stimmen Sie?
— Einen Augenblick, es geht der Reihe nach! Wer ist weiter nicht aufgerufen worden?
— Sie hatten wir vorhin aufgerufen.
Ich frage noch einmal ausdrücklich: Ist noch ein Abgeordneter im Saale, der nicht aufgerufen worden ist? — Es meldet sich niemand mehr. Damit stelle ich in aller Form die Beendigung des Aufrufs und der Abstimmung fest. Ich bitte die Herren Schriftführer, das. Ergebnis der Abstimmung festzustellen.
Meine Damen und Herren! Ich habe Ihnen das Ergebnis *) der namentlichen Abstimmung zu verkünden: Für den Antrag Drucksache Nr. 171 haben 321 Mitglieder des Hauses gestimmt. 4 Mitglieder haben sich der Stimme enthalten. Damit ist der Antrag Drucksache Nr. 171 angenommen.
Meine Damen und Herren! Damit ist die Tagesordnung erschöpft. Ich habe aber noch eine Reihe von Mitteilungen zu machen, um deren Weitergabe ich gebeten worden bin.
— Einen Moment, ich möchte erst die Mitteilungen machen!
Etwa eine halbe Stunde nach Schluß des Plenums soll der Ausschuß für Berlin zusammentreten zur Erledigung gewisser technischer Vorfragen, die für die bekannte Reise in der nächsten Woche notwendig ist. Es wird gebeten, sich im Zimmer 12 im Südflügel einzufinden.
Dann habe ich bekanntzugeben, daß die FDP-Fraktion um 16 Uhr Fraktionssitzung hat.
Der Ausschuß für innergebietliche Neuordnung wird im Anschluß an die Plenarsitzung oder nach Schluß der Vormittagssitzung zu einer kurzen Sitzung im Zimmer 10 im Südflügel zusammentreten.
Ferner habe ich das Einverständnis des Hauses dafür zu erbitten, daß der Antrag Drucksache Nr. 127 betreffend Grundstücksverkehr außer an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik auch dem Ausschuß für Bau- und Bodenrecht überwiesen wird, entsprechend einem Wunsche der SPD-Fraktion. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist demgemäß beschlossen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hatte Herr Abgeordneter Ollenhauer erbeten.
Meine Damen und Herren! Ich ,möchte zur Frage des Termins der nächsten Sitzung des Bundestags sprechen. Die sozialdemokratische Fraktion ist der Auffassung, daß die Gründe, die wir heute morgen für eine Änderung der Tagesordnung hier vorgetragen haben, nach wie vor bestehen. Es erscheint uns notwendig, daß der Bundestag die von uns gewünschte Erklärung der Regierung möglichst bald entgegennehmen kann und daß sich an diese Erklärung eine Aussprache schließt.
Um dieser Vorstellung gerecht zu werden, beantragt die sozialdemokratische Fraktion des Bundestags:
Der Präsident des Bundestags wird ersucht, den Bundestag gemäß Artikel 39 Absatz 3 Satz 2 und 3 des Grundgesetzes auf Donnerstag, den 10. November 1949, um 18 Uhr einzuberufen mit folgender Tagesordnung:
1. Antrag der sozialdemokratischen Fraktion auf Abgabe einer Regierungserklärung aus Anlaß der Pariser Konferenz;
*) Vgl. das endgültige Ergebnis S. 395.
2. Erklärung der Bundesregierung über ihre politischen Schritte im Zusammenhang mit der Pariser Konferenz;
3. Aussprache über diese Regierungserklärung.
Wir bitten das Hohe Haus, im Sinne dieses Antrags zu verfahren. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß nach den Bestimmungen des Grundgesetzes eine solche Sitzung einberufen werden muß, wenn ein Drittel des Hauses es verlangt.
Meine Damen und Herren! Der Termin der nächsten Plenarsitzung wird bekanntlich meistenteils, wie es § 69 der Geschäftsordnung auch vorschreibt, am Schluß der Sitzung vom Präsidenten verkündet. Im allgemeinen wird dieser Termin im Einverständnis mit dem Ältestenrat festgesetzt. Es ist vorgesehen, daß der Altestenrat jeden Freitag — das ist ein Beschluß aus der letzten Sitzung — zusammentritt, um den Termin der nächsten Vollversammlung festzulegen. Im § 69 der Geschäftsordnung heißt es weiter, daß, wenn ein Mitglied der Feststellung des Präsidenten über den Termin der nächsten Sitzung widerspricht — ich betone ausdrücklich, daß dieser Termin durch den Ältestenrat festgesetzt wird —, dann der Bundestag, also das Plenum zu entscheiden hat. Wenn der Herr Abgeordnete Ollenhauer sich auf Artikel 39 Absatz 3 Satz 2 und 3 des Grundgesetzes bezieht, so ist es vielleicht zweckmäßig, wenn ich das Haus auf den Wortlaut dieses Teils des Artikels 39 noch einmal hinweise, damit die Damen und Herren sich ein klares Bild machen können.
Artikel 39 Absatz 2 lautet:
Der Bundestag tritt spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl, jedoch nicht vor dem Ende der Wahlperiode des letzten Bundestages zusammen.
Ich glaube, diese Bestimmung kommt nicht in Betracht.
Absatz 3 lautet:
Der Bundestag bestimmt den Schluß und den Wiederbeginn seiner Sitzungen. Der Präsident des Bundestages kann ihn früher einberufen. Er ist hierzu verpflichtet, wenn ein Drittel der Mitglieder, der Bundespräsident oder der Bundeskanzler es verlangen.
Meine Damen und Herren! Sie haben den Antrag der Fraktion der SPD gehört. Ich frage den Herrn Antragsteller, Herrn Abgeordneten Ollenhauer, ob er insoweit meiner Feststellung widerspricht, daß ich bzw. der Ältestenrat wie üblich den Sitzungstermin festsetzen. Wenn das der Fall ist, muß das Plenum darüber entscheiden.
Herr Abgeordneter Dr. Schmid zur Geschäftsordnung!
Meine Damen und Herren! Über die Art, wie zu verfahren ist, geben uns das Grundgesetz und die Geschäftsordnung Auskunft. Das Grundgesetz besagt in dem zitierten Artikel 39 Absatz 3, daß, wenn ein Drittel der Mitglieder es verlangt, der Bundestag durch den Präsidenten früher als vorgesehen einberufen werden muß. Der Herr Präsident hätte also erst festzustellen, ob ein Drittel dieses Hauses die Einberufung verlangt.
— Ja, meine Herren, wie wollen Sie denn sonst
verfahren? Wenn feststeht, daß dieses Drittel der
Mitglieder des Haus ..s die frühere Einberufung
verlangt, dann hat der Herr Präsident entweder selbst oder nach Beratung mit dem Ältestenrat festzusetzen, für welchen Tag und welche Stunde er einberufen will; natürlich hat er das unverzüglich zu tun. Warum „natürlich"? Gestatten Sie mir eine kurze Belehrung.
In Rechtsdingen hat man ohne schuldhaftes Zögern zu handeln — das ist es, was man „unverzüglich" heißt. Und nun, meine Damen und Herren, können Sie sich ja auf den Standpunkt stellen: der Herr Präsident des Bundestags kann das machen, wie er will. Es würde mich nach einigen Dingen, die hier vorgefallen sind, nicht wundern, wenn Sie das täten. Er kann es aber in der Tat nicht tun, und ich habe einen zu starken Glauben an das Pflichtgefühl des Herrn Bundestagspräsidenten,
als daß ich annehmen könnte, er wäre mit Ihnen in dieser Sache einer Meinung.
Herr Abgeordneter Dr. Schmid, darf ich Sie unterbrechen! Ich glaube, es ist doch nicht ganz zweckmäßig, hier gewissermaßen durch einen Appell an mein Pflichtgefühl eine Art Präjudiz zu schaffen.
Sie machen es mir dadurch nicht leichter. Darf ich Ihnen das sagen.
Ich habe nicht versucht, durch einen Appell an das Pflichtgefühl des Herrn Präsidenten dessen Entscheidung zu präjudizieren, sondern ich wollte nur zum Ausdruck bringen, daß ich der Meinung bin, daß der Herr Präsident aus seinem Pflichtgefühl heraus nicht der Auffassung sein wird, er könne diesen Termin ansetzen, wann es ihm beliebt. Vergessen Sie nicht: es handelt sich hier um eine politische Entscheidung und nicht etwa darum, ob der Termin etwa aus Gründen des Fahrplans heute oder morgen angesetzt werden soll.
— Schön, Sie können das ja tun; aber eine Entscheidung, die auf Ihre Verantwortung gehen wird, werden Sie so oder so treffen müssen.
Ich stelle jetzt den Antrag der Fraktion der SPD zur Geschäftsordnungsdebatte: anders ist es ja gar nicht zu machen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Euler.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Artikel 39 Absatz 3 des Grundgesetzes gibt dem Präsidenten das Recht, den Bundestag früher einzuberufen. Das setzt also voraus, daß der Bundestag auseinandergegangen ist und es sich darum handelt, daß durch die Einberufung eine neue Sitzungsperiode eingeleitet werden soll.
Es heißt: „Der Präsident des Bundestages kann ihn
früher einberufen", und er kann hierzu durch entsprechende Votierung von einem Drittel der Abgeordneten nur dann verpflichtet werden, wenn es
sich darum handelt, den Bundestag, wenn er nicht
tagt, einzuberufen. Im Augenblick tagen wir aber,
und es handelt sich nicht darum, den Beginn einer
neuen Sitzungsperiode, sondern den . Schluß einer noch anhaltenden Sitzungsperiode festzulegen. Was diesen Schluß der Sitzungsperiode anlangt, so kann ich dem Hause nur empfehlen, bei seiner Entscheidung von heute morgen zu bleiben, da dieselben Gründe, die es heute morgen unzweckmäßig erscheinen ließen, dem Antrag der SPD stattzugeben, auch hinsichtlich einer für heute abend anzuberaumenden Sitzung noch fortbestehen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Dr. Laforet.
Meine Damen und Herren! Es liegt hier eine Verwechslung von Wahlperiode und Sitzung vor. Herr Abgeordneter Euler hat bereits darauf hingewiesen, daß wir in eine Wahlperiode eingetreten sind, und Artikel 39 betrifft nur den Fall, eine neue zusammenhängende Periode von Sitzungen beginnen zu lassen.
— Das wurde als so selbstverständlich betrachtet,
daß ich mich nicht erinnern kann, daß da ein Zweifel geäußert worden ist. Niemand hat daran gedacht, daß hier etwa in einer einzelnen Sitzung ein solcher Antrag gestellt wird.
— Nein!
Meine Damen und Herren, lassen Sie doch die Juristen sich erst einmal untereinander aussprechen!
Sie haben auch in der Geschäftsordnung die ganz richtige Grundlinie:
Der Präsident eröffnet, leitet und schließt die Sitzungen einer zusammenhängenden Periode. Vor Schluß jeder Sitzung dieser Periode verkündet er Zeit und Tagesordnung der nächsten Sitzung. Widerspricht ein Mitglied, so entscheidet der Bundestag.
— Es heißt „Sitzungen", und die Sitzungen sind zu einer Wahlperiode zusammengefaßt. (Widerspruch bei der SPD und Zuruf: Was heißt
hier Wahlperiode?)
— Es ist eine Unklarheit geblieben,
aber es ist gar kein Zweifel, daß sich dieser Artikel 39 nicht auf die einzelne Sitzung bezieht, wenn die Sitzungen aufeinanderfolgen, sondern daß er sich auf den Fall bezieht, daß der Bundestag noch nicht zu einer neuen Tagung zusammengetreten ist.
Ich möchte zunächst folgendes klären: Die Debatte geht jetzt naturgemäß etwas durcheinander. Auf der einen Seite ist es Geschäftsordnungsdebatte, und auf der andern Seite ist es Sachaussprache. Ich glaube, wir einigen uns im Interesse eines reibungslosen Ablaufs darauf, daß es eine Aussprache ist.
— Das ist eine Frage für sich. Ich kann Ihnen
allerdings folgendes nicht verhehlen. Ich bin ja nicht im Parlamentarischen Rat gewesen. Ich habe jetzt den Artikel 39 gelesen, und dieser beginnt:
Der Bundestag wird auf vier Jahre gewählt.
Seine Wahlperiode . . .
Ich möchte damit — das sage ich ganz offen — nur einen gewissen Hinweis auf die Auffassung geben, die ich mir bei der zu treffenden Entscheidung voraussichtlich aneignen werde.
Das Wort hat jetzt der Herr Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von den beiden Herren Vorrednern geäußerten Ansicht darf ich mich anschließen. Ich halte es nicht für zulässig, daß in diesem Zeitpunkt, während einer noch andauernden Sitzung, ein solcher Antrag gestellt wird. Aber auch noch aus einem zweiten Grunde habe ich größte verfassungsrechtliche und geschäftsordnungsmäßige Bedenken gegen den von der sozialdemokratischen Fraktion vorgebrachten Antrag. Heute morgen ist der Sache nach über den Inhalt dieses Antrages in dieser Sitzung bereits entschieden worden.
— Der Materie nach! Dieser Antrag, der jetzt von Ihnen in einer anderen Form wiederholt worden ist, ist bereits entschieden worden. Ich halte es für unzulässig, in dieser Sitzung eine Umgehung der heute morgen getroffenen Entscheidung durch eine andere Form des Antrags vorzunehmen.
Herr Abgeordneter Zinn, bitte!
Meine Damen und Herren! Man kann die Frage ganz leidenschaftslos erörtern. Die Entscheidung, die heute morgen gefällt worden ist, war eine rein geschäftsordnungsmäßige Entscheidung, nämlich die Entscheidung darüber, ob die Tagesordnung erweitert werden sollte. Zur Sache selbst ist keinerlei Beschluß gefaßt worden. Die Frage, die jetzt zu entscheiden ist, hängt einfach davon ab, ob es nach dem Grundgesetz neben der Wahlperiode eine Sitzungsperiode gibt. Die Weimarer Verfassung kannte nach dem Artikel 24 neben der eigentlichen Wahlperiode Sitzungsperioden, die für sich eröffnet und geschlossen werden mußten. Eine derartige Sitzungsperiode kennt das Grundgesetz aus guten Gründen nicht. Die Herren, die Mitglieder des Parlamentarischen Rates waren, werden sich erinnern, daß bet den Erörterungen dieses Artikel 39 die besondere Festlegung von Sitzungsperioden als überholt und überflüssig angesehen wurde und daß man infolgedessen im Grundgesetz nur noch zwischen der Wahlperiode und den einzelnen Sitzungen unterschieden hat, in denen jeweils der Termin der nächsten Sitzung festzulegen war. Normalerweise muß der Bundestag also in jeder Sitzung den Termin seines Zusammentritts für die nächste Sitzung bestimmen. Geschieht dies nicht, hat der Präsident es zu tun. Der Präsident aber ist notfalls an das Initiativrecht einer Minderheit, nämlich eines Drittels des Hauses gebunden, und er ist auch zeitlich gebunden. Wenn also wie hier von einer Minderheit, die mindestens ein Drittel des Hauses darstellt, ein Antrag auf Einberufung einer Sitzung zu einem bestimmten Zeitpunkt gestellt wird, dann muß der Präsident dem stattgeben. Der
Kurzkommentar von Giese, den Sie wahrscheinlich zur Hand haben, verweist bereits in einem Vermerk darauf. Diese Auffassung ist also bereits über den Kreis der Abgeordneten des Parlamentarischen Rats hinaus publik geworden.
Wenn demgegenüber der Herr Präsident auf die Bestimmungen der Geschäftsordnung verweist, die im wesentlichen nur die des alten Reichstags darstellen, so muß ich erwidern, daß immerhin der Geschäftsordnung noch das Grundgesetz vorgeht. Nach meiner persönlichen Auffassung ist also der Herr Bundestagspräsident gezwungen, dem gestellten Antrag, wenn er die notwendige Unterstützung findet, stattzugeben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Renner.
Meine Damen und Herren! Selbst vom Herrn Bundestagspräsidenten wird nicht bestritten, daß er laut Geschäftsordnung verpflichtet ist, heute bei Schluß dieser Sitzung den nächsten Sitzungstermin bekanntzugeben. Er hat selber in Ergänzung dieses seines Standpunktes gesagt, daß, falls dann Widerspruch erfolgt, abgestimmt werden muß, daß also dann der Bundestag den Termin für seine nächste Sitzung festlegt. Der kleine technische Fehler, den die gemacht haben, die die Sitzung heute nachmittag fordern, besteht darin, daß wir ein bißchen zu früh vorgeprescht sind.
Hätten wir die Diskussion in dem Augenblick ausgelöst, wo der Herr Präsident pflichtgemäß den nächsten Sitzungstermin bekanntgegeben hätte, wäre alles in schönster Ordnung gewesen. Dann hätte jeder, der mit diesem von ihm festgelegten nächsten Sitzungstermin nicht einverstanden ist, Protest einlegen können. Dann mußte abgestimmt werden.
Aber hier steht noch etwas anderes zur Diskussion. Als der Artikel 39 im Parlamentarischen Rat beschlossen wurde, wollte man einer Minderheit die Möglichkeit geben, eine Sitzung des Plenums herbeizuführen gegen den Willen des Präsidiums und gegen den Willen der Mehrheit des Bundestags. Das war die vorherrschende Meinung. Damals war man so demokratisch und so tolerant, anzuerkennen, daß der Minderheit eine derartige Möglichkeit eingeräumt werden müsse, wobei man dafür ein hohes Verhältnis von Stimmen eingesetzt hat. Wenn man heute den Artikel 39 so auslegen will, daß wir eine in sich geschlossene Wahlperiode haben — so muß man ihn ja wohl auslegen —, dann erinnere ich daran, daß wir im Ältestenrat auch bereits die Frage von Sitzungsperioden und fortlaufenden Sitzungen diskutiert haben. Da war es der Herr Präsident, der den Standpunkt vertreten hat: wir haben keine Sitzungsperioden, sondern fortlaufende Sitzungen.
Wenn man den Absatz 2 liest, wird wohl eindeutig klar, warum der Absatz 3 so gefaßt worden ist. In Absatz 2 heißt es: Der Bundestag tritt spätestens am 30. .Tag nach der Wahl zusammen. Dann beginnt die Wahlperiode, und wenn innerhalb dieser geschlossenen Wahlperiode gegen den Willen des Präsidenten und der Mehrheit des Bundestags vorfristig Sitzungen stattfinden sollen, dann genügt dazu, daß ein Drittel der Mitglieder das verlangt, und dieses Verlangen kann auch nicht dadurch revidiert werden, daß die Mehrheit nachher durch Abstimmung diesen Antrag zunichte macht. Es genügt, daß ein Drittel der Mitglie-
der des Bundestags diese vorbefristeten Sitzungen
verlangt. Dann muß dem stattgegeben werden.
Von diesem Recht hat die SPD Gebrauch gemacht.
— Nein, sie hat sogar einen Termin angegeben. Sie haben anscheinend den Antrag nicht richtig verstanden. Heute abend um 18 Uhr soll es weitergehen. Sie können sich noch so drehen und winden: wenn Sie die Verfassung nicht brechen wollen, müssen Sie dem Antrag stattgeben. Ich weiß, daß Ihnen die Verfassung nicht viel Sorge macht, sie ist für Sie gelegentlich ein Fetzen Papier.
Sie haben sie in den wenigen Monaten ihres Bestehens schon gewandelt. Ich sage nur ein Wort: geheime Abstimmung!
— Ich habe namentliche Abstimmung beantragt!
— Sie befinden sich in einem Irrtum. Aber Sie irren sich bekanntlich nur dann, wenn das Ihnen in Ihren politischen Kram paßt.
— In diesem Fall irren Sie sich absolut; denn wir haben für namentliche Abstimmung gestimmt.
— Wir haben gegen geheime Abstimmung gestimmt.
— Was meinen Sie? „Im Mai?" Was soll da gewesen sein?
— Bei welcher Gelegenheit? Das ist einfach nicht wahr, was Sie hier erzählen. Sie machen dumme Witze, nehmen Sie es mir nicht übel.
— Herr Adenauer, wir kennen uns.
Sie werden mir recht geben, wenn ich unterstelle, daß diese Verfassung für Sie gelegentlich das ist, was ein Fetzen Papier ist.
— Doch, ich kenne Sie!
Herr Abgeordneter von Brentano!
Meine Damen und Herren! Ich bin erstaunt, daß über den Artikel 39 eine so lange Debatte geführt wird. Herr Kollege Zinn hat vollkommen recht: wir kennen im Grundgesetz keine Sitzungsperioden, wir kennen nur einzelne Sitzungen. Aber Artikel 39, den ich mitzulesen bitte, sagt: Der Bundestag bestimmt den Schluß und den Wiederbeginn seiner Sitzungen. Das heißt also: wir haben zunächst im Plenum den Schluß und den Wiederbeginn der Sitzungen zu beschließen. Wenn wir das beschlossen haben, steht dem
Präsidenten nach Satz 2 das Recht zu, den Bundestag auch früher einzuberufen, und er ist dazu verpflichtet, wenn ein Drittel der Mitglieder es will. Wenn wir also jetzt beschließen: Der Bundestag tritt am Donnerstag, dem 17. November 1949, zusammen, dann hat damit diese Sitzung ihr Ende gefunden, und dann kann — nicht hier im Plenum, denn hier hat die Majorität entschieden — außerhalb des Plenums ein Drittel von dem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch machen und beim Bundestagspräsidenten den Antrag auf frühere Einberufung des Plenums stellen. Dann ist es dem pflichtgemäßen Ermessen des Bundestagspräsidenten überlassen, diesem Antrag stattzugeben. Wenn Sie die Sache sine ira et studio betrachten, werden Sie mir wohl zugeben, daß es nicht so gemeint sein kann, daß jeweils ein Drittel sagen kann: wir wollen heute abend eine neue Sitzung abhalten. Dann könnte man nämlich die ganze Arbeit des Parlaments lahmlegen.
— Sie müssen auch eine Auslegung anhören können, die Ihnen unsympathisch ist, sogar wenn sie richtig ist.
Ich stelle ausdrücklich fest: das Plenum hat hier den Schluß dieser Sitzung und den Wiederbeginn seiner nächsten Sitzung zu beschließen. Dann ist diese Sitzung abgeschlossen. Darauf können Sie von Ihrem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch machen und mit einem Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl eine Vorverlegung dieser Sitzung beantragen. Darüber mag der Präsident entscheiden.
Ich stelle hiermit den Antrag, die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf Donnerstag, den 17. November 1949, vormittags 10 Uhr, einzuberufen.
Der Reihe nach kommen jetzt zu Wort: Herr Abgeordneter Dr. Horlacher, Herr Abgeordneter Löbe und Herr Abgeordneter Dr. Schmid.
— Herr Abgeordneter Horlacher verzichtet. — Herr Abgeordneter Löbe!
Meine Damen und Herren! Wir haben im Verlauf der letzten acht Tage manche Änderungen der Geschäftsordnung beschlossen, die schon nach wenigen Tagen ihren zwiespältigen Charakter gezeigt haben. Deshalb ist die Debatte, die wir jetzt führen, von grundsätzlicher Bedeutung. Es ist richtig, daß die Streitfrage dadurch entstehen mußte, daß wir im Augenblick keine Sitzungsperioden des Bundestags mehr haben. Früher hatten wir die Wahlperiode, innerhalb der Wahlperiode die Sitzungsperiode und dann die einzelnen Sitzungen. Dieses Mittelglied der Sitzungsperioden ist weggefallen. Wir haben heute nur noch die einzelne Sitzung und die gesamte Wahlperiode. Darum wird dieser Passus des Grundgesetzes von den Herren Kollegen verschiedenartig ausgelegt. Klar aber ist folgendes. Der Bundestag ist immer die Instanz, die allein festzustellen hat, wann die nächste Sitzung stattfindet. Von dieser allgemeinen Vorschrift werden nun hier zwei Abweichungen aufgezeigt. Der Präsident des Bundestags kann nämlich den Bundestag früher einberufen, als der Beschluß des Bundestags besagt. Er ist zweitens hierzu verpflichtet, wenn ein Drittel des Hauses es verlangt. Ich glaube, die
Nebeneinanderstellung dieser beiden Durchbrechungen des Grundprinzips berechtigt dazu, zu verlangen, daß der Präsident zunächst, wenn es gefordert wird, feststellt, ob ein Drittel des Hauses die Einberufung einer Sitzung zu einem von ihm vorgeschlagenen Zeitpunkt verlangt.
Denn wenn wir zum Beispiel heute mit dem Vorsatz auseinandergehen, in den nächsten 20 oder 10 Tagen keine Sitzung abzuhalten, so hat doch das Drittel jederzeit die Berechtigung, von dem Präsidenten die Einberufung einer Sitzung zu verlangen, wenn das Drittel durch die Unterschrift oder durch die Abstimmung im Hause es kenntlich macht. Damit ist auch — und damit treffen wir wahrscheinlich den Hauptpunkt — keinerlei Übergehen der Beschlußfähigkeit der Mehrheit des Hauses möglich. Denn das einzige, was herbeigeführt wird, ist eine neue Sitzung. Aber die Entscheidung darüber, ob diese Sitzung die Tagesordnung erhält, die die Antragsteller beabsichtigen, und was überhaupt auf die Tagesordnung kommt, liegt immer bei der Mehrheit des Bundestags. Im gegenwärtigen Augenblick würde sich also der Konflikt nur bei Punkt 2 entwickeln. Es würde zwar dem Drittel nachgegeben und gesagt werden: ihr könnt die Sitzung verlangen. Aber was auf die Tagesordnung dieser Sitzung kommt, entscheidet die Mehrheit. Damit kommen beide Teile zu ihrem Recht.
Herr Abgeordneter Löbe, gestatten Sie mir bitte eine Bemerkung. Sie haben von den Abweichungen vom Grundgesetz, von der Geschäftsordnung usw. gesprochen. Lassen Sie mich bitte noch eine dritte Abweichung von einem bisher ungeschriebenen Gesetz — wenn ich es einmal so nennen darf — zur völligen Aufklärung des Tatbestandes anführen. Das ist nämlich der am vorigen Freitag im Altestenrat einstimmig gefaßte Beschluß: An jedem Freitag tritt der Altestenrat zusammen, um Termin und Tagesordnung festzusetzen. Auch darauf möchte ich als Material für die Debatte noch ausdrücklich hingewiesen haben.
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Schmid.
Meine Damen und Herren! Ich will nur ganz kurz zu der Prozedur sprechen, die der Herr Kollege von Brentano vorgeschlagen hat. Ich kann mich hinter fast alles stellen, was er ausgeführt hat. Nur in einem bin ich anderer Meinung: Die Sitzung ist erst geschlossen, wenn der Herr Präsident erklärt hat: „Die Sitzung ist geschlossen". Sie ist nicht schon „geschlossen", nachdem die Abstimmung über den Termin vollzogen worden ist, an dem das Haus sich neu versammeln soll. Nach dieser Abstimmung kann sich also noch jemand zum Wort melden, und den Antrag stellen, den wir gestellt haben.
— Aber natürlich! Solange die Sitzung nicht geschlossen ist, können Anträge zur Geschäftsordnung gestellt werden. Dann kann der Herr Präsident meinetwegen — ich fingiere etwas — erklären: Ich habe festgestellt, daß der Antrag genügend unterstützt ist; damit ist es meine Pflicht, den Bundestag früher einzuberufen. Ich setze, den Termin auf den nächsten Montag oder den nächsten Dienstag an. So könnte er verfahren. Wird Widerspruch erhoben, so muß nach der Bestimmung der Geschäftsordnung eine Debatte stattfinden, und das Haus muß entscheiden, wann zusammenberufen werden soll. Die Reihenfolge, die ich hier angegeben habe — Sie werden mir das zugeben, wenn Sie die Bestimmungen prüfen —, ist die richtige.
Herr Abgeordneter Dr. Schmid, ich darf an Ihre Ausführungen eine Bemerkung knüpfen. Wir waren am vorigen Freitag in der Sitzung des Ältestenrats einmütig darüber klar, daß die folgende Woche sitzungsfrei sein und die übernächste Woche für Sitzungen benutzt werden sollte. Wenn ich diesen Tatbestand als einen Beschluß des Ältestenrats, der vom Plenum immer als gültig anerkannt worden ist, mit Artikel 39 Absatz 3 in Verbindung bringe, so bin ich, wenn ein Drittel der Mitglieder des Bundestags, der Bundespräsident oder der Bundeskanzler es verlangt, verpflichtet, die Sitzung früher einzuberufen, das heißt auf die folgende Woche.
Ich darf dazu folgendes sagen. Wenn ich mich nicht täusche, ist im Ältestenrat nicht beschlossen worden, eine Sitzung an einem bestimmten Tag abzuhalten, sondern es ist nur beschlossen worden, in der nächsten Woche keine Sitzung abzuhalten. Bisher ist also eine Sitzung weder durch Beschluß des Ältestenrats, noch durch Beschluß des Plenums, noch durch Verfügung des Herrn Präsidenten anberaumt worden. Das stelle ich fest.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Höpker-Aschoff.
Meine Damen und Herren! Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Artikel 39 Absatz 3 des Grundgesetzes vielleicht bei den Gesetzgebern unbewußte Reminiszenzen an frühere Sitzungsperioden enthält, obwohl die Verfassung im übrigen die Sitzungsperiode nicht mehr kennt. Aber, meine Damen und Herren, es gilt ja im allgemeinen eine Auslegungsregel, die von Juristen selber anerkannt wird, daß nämlich die Gesetze mit Vernunft auszulegen seien.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß das Haus selber darüber zu beschließen hat, wann es seine Sitzungen schließt und neue Sitzungen anberaumen will. Wenn die Deduktion der Herren von der Sozialdemokratischen Partei richtig wäre, so würde dieses Recht des Bundestags, über den Schluß der Sitzung und Anberaumung der nächsten Sitzung zu beschließen, immer durch eine Mehrheit von einem Drittel vereitelt werden können, indem dies eine Drittel behaupten würde: Nein, wir sind nicht einverstanden; wir verlangen, daß die Sitzung, nicht wie die Mehrheit will, am Dienstag oder die übernächste Sitzung am Mittwoch stattfindet, sondern wir verlangen, daß die nächste Sitzung am morgigen Tage abgehalten wird. Das kann nicht richtig sein, weil es dem Recht des Bundestags widersprechen würde, über den Schluß der Sitzung und die Anberaumung der nächsten Sitzung zu beschließen.
Artikel 39 muß also etwas anderes im Sinn haben, und bei vernünftiger Auslegung hat er den Sinn, daß der Bundestag eine gewisse Zeitspanne in seinen Sitzungen einlegt. Der Bundestag hat also
das Recht, zu beschließen, daß die nächste Sitzung in 14 Tagen oder 3 Wochen stattfinden soll. Wenn dann innerhalb dieses Zeitraums ein unerwartetes Ereignis eintritt, das in der Sitzung selber nicht bekannt war, und mit Rücksicht auf dieses Ereignis entweder der Herr Präsident aus eigener Machtvollkommenheit oder auf Veranlassung eines Drittels die Sitzung vorverlegt und nicht zu dem Tag anberaumt, den die Bundestagssitzung beschlossen hatte, so muß die Bestimmung mit Sinn und Verstand ausgelegt werden.
Wenn die Herren Sozialdemokraten recht hätten, würden wir Katz und Maus spielen. Wenn wir jetzt über die nächste Sitzung beschließen würden, dann käme ein Drittel und würde verlangen, daß heute abend um 18 Uhr die Sitzung stattfinden soll. Heute abend um 18 Uhr würde mit Mehrheit beschlossen werden: Nein, wir machen Schluß und beraumen die Sitzung auf Donnerstag in acht Tagen an. Und dann käme morgen wieder die Minderheit von einem Drittel und würde sagen: Wir wollen die Sitzung schon am nächsten Montag anberaunt haben. Daß das nicht richtig sein kann, muß doch jeder einsehen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Brentano.
Meine Damen und Herren! Ich wollte zu dem, was Herr Kollege Höpker-Aschoff gesagt hat, weiteres hinzufügen. Wenn die Auslegung, die Sie, Herr Kollege Schmid und Herr Kollege Zinn, dem Artikel 39 des Grundgesetzes gegeben haben, richtig wäre, dann wäre folgender modus procedendi jederzeit möglich. Das Haus beschließt: Wir vertagen uns auf den 17. November. Der Präsident sagt: Ich berufe den Bundestag auf morgen ein. — Glauben Sie, daß das richtig ist?
— Erlauben Sie, er könnte sogar, wenn er Ihrer Auffassung folgen wollte, sagen: Wir brauchen nicht abzustimmen.
— Ich glaube, daß Sie, wenn Sie logisch denken, sich dieser Auslegung nicht verschließen können. Es ist so, daß wir den Wiederbeginn zunächst festsetzen müssen und daß dann das Recht der Minderheit, ihn früher zu verlangen, in Kraft tritt. Sonst drehen Sie die Verhältnisse um und machen selbst ein Drittel Minderheit, wie Herr Kollege Höpker-Aschoff gesagt hat, zu einer Mehrheit im Parlament. Daß das nicht Ihre Absicht sein kann, möchte ich unterstellen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmid.
Meine Damen und Herren! Wenn man die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Höpker-Aschoff zu Ende denkt, dann hat er von den Befugnissen einer Mehrheit in einem Parlament eine Auffassung, die es dieser Mehrheit erlauben könnte — ich unterstelle Ihnen keinen bösen Willen —, Beschlüsse zu fassen, die den Rhythmus der Sitzungen dieses Parlaments bis auf die Größenordnung Null reduzieren könnten. Denn er hat den Standpunkt vertreten: Dieses Haus kann mit Mehrheit beschließen, was es will. Es kann mit Mehrheit beschließen, wann
es tagen will. Gerade um das zu verhindern, haben wir im Parlamentarischen Rat die Bestimmung eingefügt, über die wir diskutieren!
Herr Kollege von Brentano, Sie erinnern sich — ich hoffe, daß Sie sich erinnern werden —, daß wir über diesen Fall ausgiebig diskutiert haben.
Es ist dort in vollkommener Klarheit gesagt worden, daß man das bisher geltende Recht der Weimarer Verfassung abändern wollte, daß man einen neuen Rechtszustand schaffen wollte — jawohl! —, daß man einer Minderheit von einem Drittel die Möglichkeit geben wollte zu erzwingen, daß eine Sitzung vom Präsidenten einberufen werden muß.
— Halten Sie doch die Leute hier nicht für so albern!
— Herr Kollege Strauss, ich habe Sie immer für viel gescheiter gehalten! —
Das kann nicht bestritten werden, Herr Kollege von Brentano. Sonst hätte die Bestimmung ja keinen Sinn. Wenn Herr Kollege Höpker-Aschoff sagt, die Bestimmungen müßten mit Vernunft ausgelegt werden, so ist das vollkommen richtig. Man sollte aber die Vernunft nicht so strapazieren,
daß man sie so dehnt, daß aus der Interpretation einer unklaren Stelle eine Abänderung des Inhalts der Verfassung wird.
— Wenn ich das versuchen wollte, Herr Kollege — dessen Name ich leider nicht kenne —, dann hätte ich mich mehr angestrengt.
Meine Damen und Herren, die Sache ist so: Sie können bestimmen: die nächste Sitzung wird dann und dann sein — ja, das können Sie —, und solange der Herr Präsident nicht erklärt hat: „Die Sitzung ist geschlossen", können Anträge zur Geschäftsordnung gestellt werden.
Darunter kann auch ein Antrag sein, wegen Eintritts einer neuen Situation auf einen früheren Termin einzuberufen. Sie können dann einen Beschluß fassen, aber erst nachdem der Herr Präsident den Termin bestimmt hat.
— Möglich! — Das ist der Weg, der hier beschritten werden muß. Einen anderen können Sie nicht beschreiten. Wenn Sie es tun sollten, meine Damen und Herren, treten Sie aus dem Umkreis heraus, den Grundgesetz und Geschäftsordnung in Ihre Ermessensfreiheit stellen.
Das Wort hat der Herr Abgeordneter Dr. Horlacher!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß Ihnen offen erklären: recht angenehm parlamentarisch ist es einem bei diesen Erörterungen nicht.
Ich stehe nämlich auf dem Standpunkt, daß wir der Demokratie einen sehr schlechten Dienst erweisen, wenn wir die Geschäftsordnungsbestimmungen nach einem bestimmten einzelnen Fall
korrigieren oder umbiegen wollen. Das ist meine Meinung. Denn objektiv ausgelegt ist es gleichgültig, ob die Streitfrage des Tagungsabschnitts oder der Einzelsitzungen zugrunde läge. Ich muß doch zu einem bestimmten Sinn des Artikel 39 Absatz 3 kommen, und der bestimmte Sinn ist der — ich will das an einem praktischen Beispiel erläutern —: Der Bundestag beschließt, seine Sitzungen beispielsweise am 10. November zu beenden und den Wiederbeginn seiner Sitzungen auf den 10. Januar festzulegen. Das ist zweifellos mit dieser Bestimmung gemeint, daß der Bundestag seine Arbeit nach bestimmten Abschnitten disponiert, ohne daß hier Sitzungsperioden zugrunde gelegt werden. Aber auch weiter: unabhängig von der Festsetzung des Sitzungsbeginns — das hat der Herr Kollege Löbe aus seiner reichen Erfahrung heraus ganz richtig betont — ist die Festsetzung der Tagesordnung. Wenn es, sagen wir einmal, darauf ankäme, die nächste Sitzung für Montag oder sonstwie oder morgen anzuberaumen, so ist damit noch lange nicht über die Frage der Tagesordnung entschieden. Dann ist auch noch nicht darüber entschieden, ob das Parlament dem Ruf der Minderheit Folge leistet, zu einer Sitzung zu kommen. Ich bitte, hier keine Komplizierung der Verhältnisse eintreten zu lassen. Zweifellos hat der Gesetzgeber gemeint, daß es sich hier um zusammenhängende Sitzungen handelt und nicht um die Disponierung von Einzelsitzungen, Herr Professor Carlo Schmid.
Ich setze noch eins hinzu. Wenn Sie alle Verfassungen der vergangenen 30 Jahre durchsehen, dann finden Sie in den Verfassungen immer so ähnliche Bestimmungen, wonach eine Minderheit das Recht hat, den Wiederzusammentritt eines Parlaments herbeizuführen, aber erst nachdem eine gewisse Unterbrechung der Sitzungen eingetreten war.
Jetzt geht es noch weiter: der Begriff des Schlusses und des Wiederbeginns der Sitzungen ist ein zusammenhängender Begriff und kann nicht auseinandergerissen werden. Sie müssen in der gleichen Sitzung über Schluß und Wiederbeginn der . Sitzung beschließen. Das muß also gleichermaßen hier geschehen. Und da entscheiden dann nach meiner Überzeugung die Mehrheitsverhältnisse, denn eine andere Entscheidung hätte gar keinen Sinn. Und nun kommt hinzu: selbst wenn die Entscheidung mit dem Drittel hier maßgeblich zugrunde gelegt würde — was ich aber bezweifle —, dann kommt es erst einmal darauf an, ob die Mehrheit der Aufsetzung eines bestimmten Punktes auf die Tagesordnung zustimmt, und aus der übrigen Debatte von heute vormittag geht hervor, daß wahrscheinlich diese Mehrheitsverhältnisse für einen bestimmten Tagesordnungspunkt bei den nächsten Sitzungen nicht vorhanden sind.
Ich wäre dafür, daß das Haus über den Antrag des Kollegen Dr. von Brentano abstimmt, einen bestimmten Beginn für die nächste Sitzung anzusetzen.
Meine Damen und Herren! Das Wort wird offenbar nicht weiter gewünscht. Es liegen zwei Anträge vor: zunächst ein Antrag der SPD-Fraktion auf heute abend 18 Uhr unter Berufung auf Artikel 39 Absatz 3 Satz 3 des Grundgesetzes. Ich habe vorhin bereits in aller Offenheit hier zum Ausdruck gebracht, daß ich persönlich nicht der Meinung bin, daß diese Bestimmung zur Anwendung gelangen muß. Ich sage das ganz offen. Auf der anderen Seite liegt ein Antrag des Abgeordneten Dr. von Brentano vor, die nächste Sitzung des Bundestags am Donnerstag, dem 17. November, vormittags 10 Uhr stattfinden zu lassen. Nicht wahr, das haben Sie beantragt? — Ich bin persönlich der Auffassung und entscheide danach, daß dieser Antrag der Sache und Zeit nach der weitergehende ist, was sich aus der gesamten Situation ergibt, und bitte deshalb diejenigen Damen und Herren, die für diesen Antrag sind, daß die nächste Plenarsitzung am Donnerstag, dem 17. November, vormittags 10 Uhr stattfindet, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit. Dann ist danach beschlossen.
Meine Damen und Herren, danach habe ich keine weiteren Mitteilungen zu machen außer derjenigen, daß eine Fraktionssitzung der CDU um 18.30 Uhr stattfindet. Ich schließe — —
— Ich habe eben erklärt: ich schließe die Sitzung.
— Ich habe ganz korrekt gesagt: die Sitzung ist geschlossen.
Ich stelle mich jeder Auseinandersetzung. Mehr kann ich aber nicht sagen als: Ich schließe die Sitzung.
Ich bin aber loyal genug, wenn Sie noch einmal das Wort zur Geschäftsordnung ergreifen wollen, es Ihnen zu geben.
Der Abgeordnete Dr. Schmid hat das Wort zur Geschäftsordnung.
Ich beantrage, daß festgestellt wird, ob der Antrag der SPD die Unterstützung eines Drittels der Mitglieder dieses Hauses hat.
Verzeihung, ich hatte vorhin erklärt: die Sitzung ist geschlossen.
Ich habe Sie vorhin sogar im Gespräch darauf aufmerksam gemacht: Wenn ich die Sitzung geschlossen habe, ist sie der Sache nach in allen Fällen geschlossen.
Ich schließe die Sitzung.