Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Vorlage soll, wie ich bereits ausgeführt habe, die erste Regierungsvorlage sein, so daß die Art unserer Lesung von besonderer Bedeutung für die Tradition dieses Hohen Hauses werden wird.
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß die Form, in der uns diese Vorlage zugeleitet worden ist, zumindest befremdet, wenn sie nicht sogar zu Zweifeln Anlaß geben muß, ob es sich überhaupt um eine ordnungsmäßig eingebrachte Vorlage handelt. Nach Artikel 76 Absatz 1 des Grundgesetzes werden Gesetzesvorlagen beim Bundestage „durch die Bundesregierung" eingebracht. Daraus wird man ohne weiteres schließen können, daß Übersendungsschreiben — denn das Grundgesetz spricht von der schriftlichen Einbringung — entweder von dem Herrn Bundeskanzler selbst oder dem Herrn Vizekanzler oder einem andern Mitglied der Bundesregierung unterzeichnet sein müssen. Herr Kollege Dr. von Brentano hat hier soeben gesagt, unter den Übergangsschwierigkeiten hätte es Mühe gemacht, wenn ein solches Schreiben von dem Herrn Kanzler selbst unterzeichnet worden wäre, oder jedenfalls sei das damit zu entschuldigen. Herr von Brentano, ich darf daran erinnern: da der Herr Bundeskanzler nicht zur Hauptstadt kommen wollte, ist die Hauptstadt zu dem Herrn Bundeskanzler gekommen.
Der Herr Bundeskanzler hätte es also außerordentlich leicht gehabt, einen solchen Brief zu unterschreiben. Aber selbst wenn der Herr Bundeskanzler verhindert war, hat man ja eine Bundesregierung mit 14 Mitgliedern geschaffen, für die bei der ersten Sitzung die Regierungsbank gar nicht ausgereicht hat, um alle diese Herren dort zu placieren. Mit solchen Einwendungen soll man hier nicht kommen.
Ich wiederhole noch einmal: der ganze Stil des Parlaments hängt davon ab, ob das Parlament es sich gefallen läßt, Regierungsvorlagen in der Form zu bekommen, daß sie von dem Staatssekretär im Bundeskanzleramt und durch einen mit der Wahrnehmung der Geschäfte beauftragten Herrn eingereicht werden. Wir müssen verlangen, daß solche Vorlagen von einer politisch verantwort-
lichen Persönlichkeit gezeichnet sind, nicht aber von einem Beamten oder Angehörigen der Ministerialbürokratie, er mag in der Hierarchie der Ämter noch so hoch stehen.
Mir ist vorhin aus dem Hause zugerufen worden, der Herr Dr. Wuermeling, der dieses Schreiben unterzeichnet habe, sei gar nicht unbekannt, wodurch sich das zu bestätigen scheint, was mir auch sonst gesagt wurde, der mit der Wahrnehmung der Geschäfte beauftragte Staatssekretär des Innern im Bundeskanzleramt sei identisch mit dem Herrn Kollegen Dr. Wuermeling, dem Mitglied dieses Hohen Hauses.
Wenn das richtig sein sollte, dann bin ich um so mehr erstaunt und befremdet; denn noch gilt das Militärregierungsgesetz Nr. 15, über das man diskutieren mag und hinsichtlich dessen eine Diskussion sicherlich sehr notwendig sein wird, dessen Bestehen aber auch von der Bundesregierung anerkannt worden ist.
Nach diesem Gesetz ist die Tätigkeit als Beamter in der Bundesverwaltung mit der Mitgliedschaft im Bundestage unvereinbar, — ein Grundsatz, der uns gar nicht einmal von den Alliierten oktroyiert worden ist, sondern über den sich jedenfalls die CDU/CSU, die SPD und die FDP im Wirtschaftsrat einig waren.
Wenn also der Staatssekretär, der dieses Schreiben unterzeichnet hat, mit dem Herrn Kollegen Wuermeling identisch sein sollte, so wäre das eine glatte Verletzung des gegenwärtigen Beamtenrechts.
Meine Damen und Herren, einer aus Ihren Reihen hat bei der großen Aussprache über die Regierungserklärung erklärt, wir müßten endlich einmal davon fortkommen, daß man sich in der Bevölkerung über die Gesetze hinwegsetze und daß man daraus — ich weiß den Ausdruck nicht mehr — geradezu eine Art von Sport mache. Meine Damen und Herren, was verlangen Sie denn von dem einfachen Menschen draußen, wenn sich die Bundesregierung bei ihrer ersten Vorlage in einer solchen Form über geltendes Recht hinwegsetzt
und damit den elementarsten Grundsatz, der selbst in einer Demokratie für Anfänger gilt, nämlich den der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, verletzt? Die Verwaltung darf keinen Schritt tun, ohne sich auf dem Boden des Gesetzes zu befinden. Ein solches Schreiben von einer Persönlichkeit unterzeichnen zu lassen, die es nach klaren gesetzlichen Vorschriften nicht unterzeichnen darf, ist ein erstaunlicher Rechtsbruch, den wir uns nicht gefallen lassen sollten.
Es ist aber noch mehr zu der Vorlage zu bemerken. Wir lesen darin: „Der Bundesrat beabsichtigt, das Beratungsergebnis bei der Behandlung des Entwurfs im zuständigen Bundestagsausschuß vorzutragen."
Sie wissen alle, daß nach dem Grundgesetz Vorlagen der Regierung zunächst einmal an den Bundesrat zu gehen haben. Der Bundesrat hat eine Frist von drei Wochen, und innerhalb dieser Frist ist er nach Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes
berechtigt, Stellung zu nehmen. Er ist dazu also nicht verpflichtet. Immerhin wäre es wünschenswert, wenn der Bundesrat von dieser Möglichkeit Gebrauch macht und die Frist wahrt; denn der Sinn dieser Vorschrift ist ja, daß wir in unserer ersten Lesung berücksichtigen, was der Bundesrat empfiehlt, und es mit zum Gegenstand unserer Diskussion machen.
Der ganze Sinn der Vorschrift fällt ins Leere, wenn der Bundesrat diese Frist nicht ausnutzt, sondern hier erklären läßt, er werde seine Stellungnahme im zuständigen Bundestagsausschuß vortragen. Das zwingt uns dazu, über die Ausschüsse einmal etwas ganz Grundsätzliches zu sagen.
Die Ausschüsse des Bundestags mit Ausnahme des in der Verfassung geregelten Untersuchungsausschusses sind nichts als interne Hilfsorgane des Bundestags. Sie haben eine eigene rechtliche Existenz überhaupt nicht, daher auch kein Initiativrecht, und daher genügt auch das, was in den Ausschüssen gesagt wird, insbesondere auch seitens der Bundesregierung erklärt wird, in keiner Weise, um die Diskussion, die stets nur im Plenum des Bundestages stattfinden kann, entbehrlich zu machen. Ich habe bereits bei einer früheren Gelegenheit Veranlassung nehmen müssen, den Herrn Bundesminister der Justiz darauf aufmerksam zu machen, daß es nicht angängig ist, einem Ausschuß eine Regierungsvorlage nachzureichen, und so sollte es auch hier nicht angängig sein, daß der Bundesrat seine Auffassung dem Ausschuß nachreicht. Wenn er sie nicht bis zur ersten Lesung hier erklärt hat, so werden wir sie auch künftig nicht berücksichtigen können, jedenfalls nicht in der Form, daß wir die Ausschüsse an die Stelle des Plenums setzen.
Meine Damen und Herren! Ich erinnere Sie an die Ausführungen, die der sogenannte Staatsrechtler Schmidt-Dorotic gemacht hat, der Theoretiker des Nationalsozialismus, der erklärt hat: Der entartende Parlamentarismus zeichnet sich dadurch aus, daß aus dem eigentlichen Parlament die Diskussion und die Verantwortung auf immer kleinere Ausschüsse verlagert wird, bis man schließlich beim Führer endet.
Wenn Sie diesen schiefen Weg nicht gehen wollen, so werden Sie mir zugeben müssen, daß die erste Lesung einer ersten Regierungsvorlage ein politisch außerordentlich bedeutsames Ereignis ist,
und ich begrüße es, daß der Herr Bundeskanzler jetzt anwesend ist, auch ohne daß Sie ihn herbeigerufen haben. Er ist einsichtiger gewesen als vielleicht mancher hier im Hause.
Es ist mir daran gelegen, dies hier klarzustellen; denn davon, wie wir heute diese erste Lesung behandeln, wird es abhängen, wie es mit allen späteren Lesungen werden wird.
Es ist außerdem gar nicht denkbar, daß „der Bundesrat" seine Auffassung in einem Ausschuß vorträgt. Wenn er das tun wollte, müßte er nämlich in seiner Gesamtheit erscheinen. Ein Bundesratsmitglied ist gar nicht in der Lage, die Auffassung des Bundesrats im Ausschuß vorzutragen.
Aber auch zum sachlichen Inhalt der Vorlage ist einiges zu bemerken. Die Vorlage entspricht zwar einem Vorentwurf der juristischen Kommission der
Ministerpräsidenten; aber es wäre doch wünschenswert gewesen, daß sich die Bundesregierung und insbesondere der Herr Bundesminister der Justiz, da sie diese Vorlage ja nun unter ihrer eigenen Verantwortung machen wollen, hinsichtlich des Prinzipiellen noch einmal mit der Sache befaßt hätten.
Gegen § 1, daß Rechtsverordnungen des Bundes außer im Bundesgesetzblatt auch im Bundesanzeiger verkündet werden können, müssen wir grundsätzliche Bedenken anmelden. Es mag Ausnahmefälle geben, wie sie § 2 aufzählt; aber wann ein solcher Ausnahmefall vorliegt, das zu beurteilen wird niemals in das Ermessen oder gar in die Willkür der Exekutive gestellt werden können. Eine solche Blankoermächtigung, wie sie § 1 enthält, sollten wir hier wie auch künftig in anderen Gesetzen nicht unterschreiben. Wir müssen für die Gesetzgebung in Deutschland vom Grundsatz der Publizität ausgehen, daß alles, was an Rechtsnormen besteht, im Bundesgesetzblatt verkündet ist, es sei denn, es handle sich um einige ganz präzise Ausnahmen wie etwa für Tarife beim Zoll oder bei der Bahn. Mit etwas anderem können wir uns nicht befreunden.
Wegen der Bedeutung einer ersten Lesung sei mir auch noch ein letztes Wort hinsichtlich der Begründung dieser Vorlage erlaubt. Es wäre wünschenswert gewesen, daß sich der Herr Bundesminister der Justiz die Mühe gemacht hätte, dem Hohen Hause mitzuteilen, welchen Inhalt das Gesetz über die Verkündung von Rechtsverordnungen vom 13. Oktober 1923 hat und inwieweit die Vorlage davon abweicht. Das Hohe Haus muß bei einer solchen Vorlage jeweils genau wissen, wie der bisherige Rechtszustand war und in welchen einzelnen Punkten das künftige Recht davon abweichen soll.
Allgemeine Bemerkungen, wie sie hier gemacht sind, genügen nicht. Sie würden die 402 Mitglieder dieses Hohen Hauses, wenn diese verantwortungsvoll arbeiten wollen, dazu zwingen, zur Bibliothek zu gehen und das Reichsgesetzblatt aus dem Jahre 1923 einzusehen.
Diese Arbeit soll dem Parlamentarier abgenommen werden. Es ist deshalb notwendig, daß zu solchen Fragen in der Begründung wesentlich präzisere Angaben gemacht werden, als es hier geschehen ist.
Alles in allem: ich muß mit der bedauernden Bemerkung schließen, daß diese Regierungsvorlage, wenn sie überhaupt eine solche ist, was im Ausschuß noch zu prüfen sein wird, keinen verheißungsvollen Auftakt unserer Arbeit darstellt.