Rede von
Dr.
Georg-August
Zinn
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Man kann die Frage ganz leidenschaftslos erörtern. Die Entscheidung, die heute morgen gefällt worden ist, war eine rein geschäftsordnungsmäßige Entscheidung, nämlich die Entscheidung darüber, ob die Tagesordnung erweitert werden sollte. Zur Sache selbst ist keinerlei Beschluß gefaßt worden. Die Frage, die jetzt zu entscheiden ist, hängt einfach davon ab, ob es nach dem Grundgesetz neben der Wahlperiode eine Sitzungsperiode gibt. Die Weimarer Verfassung kannte nach dem Artikel 24 neben der eigentlichen Wahlperiode Sitzungsperioden, die für sich eröffnet und geschlossen werden mußten. Eine derartige Sitzungsperiode kennt das Grundgesetz aus guten Gründen nicht. Die Herren, die Mitglieder des Parlamentarischen Rates waren, werden sich erinnern, daß bet den Erörterungen dieses Artikel 39 die besondere Festlegung von Sitzungsperioden als überholt und überflüssig angesehen wurde und daß man infolgedessen im Grundgesetz nur noch zwischen der Wahlperiode und den einzelnen Sitzungen unterschieden hat, in denen jeweils der Termin der nächsten Sitzung festzulegen war. Normalerweise muß der Bundestag also in jeder Sitzung den Termin seines Zusammentritts für die nächste Sitzung bestimmen. Geschieht dies nicht, hat der Präsident es zu tun. Der Präsident aber ist notfalls an das Initiativrecht einer Minderheit, nämlich eines Drittels des Hauses gebunden, und er ist auch zeitlich gebunden. Wenn also wie hier von einer Minderheit, die mindestens ein Drittel des Hauses darstellt, ein Antrag auf Einberufung einer Sitzung zu einem bestimmten Zeitpunkt gestellt wird, dann muß der Präsident dem stattgeben. Der
Kurzkommentar von Giese, den Sie wahrscheinlich zur Hand haben, verweist bereits in einem Vermerk darauf. Diese Auffassung ist also bereits über den Kreis der Abgeordneten des Parlamentarischen Rats hinaus publik geworden.
Wenn demgegenüber der Herr Präsident auf die Bestimmungen der Geschäftsordnung verweist, die im wesentlichen nur die des alten Reichstags darstellen, so muß ich erwidern, daß immerhin der Geschäftsordnung noch das Grundgesetz vorgeht. Nach meiner persönlichen Auffassung ist also der Herr Bundestagspräsident gezwungen, dem gestellten Antrag, wenn er die notwendige Unterstützung findet, stattzugeben.