Rede von
Friedrich
Rische
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! In großer Sorge um die Entwicklung der deutschen Wirtschaft hat die KPD-Fraktion den Antrag gestellt, die Regierung möge über die Auswirkungen der Beschlüsse der Pariser OEEC-Konferenz dem Hohen Hause berichten. Es dürfte das Beste sein, wenn ich gleich ohne Umstände in das Problem einsteige, um die Dinge anzusprechen, die uns bewogen haben, die Frage vor dem ganzen deutschen Volke zu stellen.
Die Geschichte des Marshall-Plans hat uns genügend Lehren vermittelt, so daß wir alle Ursache haben, über alle Gefahren, die der deutschen Wirtschaft erneut drohen, ernsthaft in diesem Hause zu sprechen. In der vergangenen Woche wurden der deutschen Öffentlichkeit die neuesten Pläne des Marshall-Plan-Administrators Paul Hoffman bekanntgegeben. Seine Forderungen wurden von den 18 Marshall-Plan-Ländern, darunter auch Westdeutschland, in Paris angenommen. Die Forderung Hoffmans geht auf die Herstellung eines einheitlichen europäischen Marktes hinaus. Bis zum 15. Dezember 1949 müssen gemäß den Pariser Beschlüssen 50 Prozent aller Importe von allen mengenmäßigen Beschränkungen freigestellt werden. Nach dem Bundesanzeiger bedeutet dies für Westdeutschland die Aufhebung der mengenmäßigen Beschränkungen bei insgesamt 1000 Importpositionen, darunter 10 verschiedenen Sorten Stahl und Eisen, ferner bei einer großen Gruppe von Maschinen, darunter Landmaschinen, Lokomotiven, ferner Bleche, Haushaltwaren, optische Geräte usw.
Schon eine kurze Durchsicht dieser Freiliste gibt zu ernsten Bedenken Anlaß. Im Ausschuß für Außenhandelsfragen hat Herr von Maltzan, einer der Berater der deutschen OEEC-Delegation, mit Recht das Pariser Diktat als einen Sprung ins Dunkel bezeichnet, und lassen Sie mich sagen, warum.
Es ist in diesem Hause kein Geheimnis, wohin uns der soeben in Paris begrabene Marshall-Plan gebracht hat. Ich will nicht mit den großen Zahlen der angeblichen Dollarhilfe operieren, die nur im deutschen Volk den Eindruck erwecken sollte, daß der Marshallplan sich als ein Allheilmittel zur Überwindung der Not bewährte. Den deutschen Behörden und auch dem aufmerksamen Beobachter ist indessen längst klar geworden, daß man uns nichts geschenkt hat, daß wir alles auf Heller und Pfennig bereits zurückzahlen mußten und uns außerdem eine unerhörte Schuldenlast von immerhin 10 Milliarden D-Mark aufgebürdet wurde.
Der Plan des ehemaligen USA-Außenministers Marshall hat zwar der deutschen Wirtschaft einiges eingebracht, und darüber möchte ich zu Ihnen ebenfalls sprechen. Sein Plan brachte uns rund 1,35 Millionen Arbeitslose und 2 Millionen Kurzarbeiter. Wir haben immer noch nicht die genauen Zahlen über den Umfang der Kurzarbeit in Deutschland. Vielleicht sollte uns der Herr Arbeitsminister gelegentlich auch einmal über diese Frage ausführlich Auskunft geben. Ferner haben wir einem Import von 2 Milliarden Dollar, und zwar vornehmlich Waren aus den USA, einen Export von rund einer Milliarde Dollar gegenüberstehen. Die Rohstoffeinfuhr beträgt eben wegen der Marshall-Plan-Hilfe nur zwei Drittel des Vorkriegsstandes, obwohl wir nach wie vor Rohstoffe, vor allem Kohlen und Koks als den größten Posten im deutschen Export hinnehmen müssen. Die Stahlerzeugung ist im Zeichen der wachsenden Wirtschaftskrise im Oktober noch einmal um 9 vom Hundert zurückgegangen, und beim Kohlenexport treten ernsthafte Absatzschwierigkeiten auf. Angesichts dieser Lage, die in anderen Ländern Europas ähnlich ist, erscheint es uns berechtigt, von einem Zusammenbruch des Marshall-Plans und vom Beginn einer schweren Krise zu sprechen.
Berücksichtigt man diese Faktoren, so muß das Pariser Diktat — so muß man es doch wohl der Wahrheit gemäß nennen — sich geradezu verhängnisvoll für die deutsche Wirtschaft auswirken. Ich will auch über diese Dinge ganz offen zu Ihnen sprechen und berufe mich dabei bewußt auf eine Zeitung, die zunächst mit wahrer Begeisterung die Hoffmanschen Erzählungen kommentierte, sich dann aber später einer nüchterneren Berichterstattung befleißigte. Ich spreche vom Düsseldorfer „Industriekurier"; das ist ein Blatt der marshallfreudigen westdeutschen Schwerindustrie. Diese Zeitung schrieb am 3. November folgende Sätze, die geeignet sind, den ganzen Ernst der Lage für Westdeutschland und, so möchte ich hinzufügen, auch für ganz Europa nach der sogenannten Liberalisierung des Handels zu charakterisieren. Es heißt im „Industriekurier":
In der ökonomischen Struktur Westeuropas gibt es Tatsachen, die zwar auch den Amerikanern nicht unbekannt sind, deren Gewicht aber doch wohl nur der richtig einzuschätzen vermag, der die Entwicklung aus eigenem Erleben kennt. Bis zum heutigen
Tage gibt es ja keinen westeuropäischen Wirtschaftsraum, sondern nur einen westdeutschen, einen französischen, einen belgischen, holländischen usw. Alle diese Volkswirtschaften sind unter ganz bestimmten geographischen, politischen und sozialen Bedingungen in Jahrhunderten gewachsen. Die politischen Grenzen haben dabei eine ebenso entscheidende Rolle gespielt wie die Zollgesetze, die Währungen, die Rohstoffversorgung, der Lebensstandard, das Klima, die Verkehrswege, die Küsten, die Gebirgsschranken oder Wasserstraßen. Und nun soll ein wesentlicher Teil dieser Bedingungen binnen kürzester Frist geändert werden; an die Stelle der einzelnen „nationalen" soll eine einheitliche westeuropäische Wirtschaft treten. Die Wirkungen dürften ähnlich sein wie die des veränderten Druckes auf die Lunge eines Tauchers, der aus großer Tiefe an die Wasseroberfläche kommt. Es ist bekannt, daß dieses Auftauchen, wenn es zu plötzlich geschieht, schwere Schädigungen, unter Umständen den Tod zur Folge haben kann.
Jedes einzelne Wort in diesen Zeilen kennzeichnet meiner Meinung nach die schwierige Lage in Westdeutschland und sollte uns ernsthaft zu denken geben. Alle Erwägungen in Westdeutschland über Vor- und Nachteile der Pariser Beschlüsse können nämlich nicht darüber hinwegtäuschen, daß die schwerwiegenden Nachteile die angeblichen Vorteile, die man in einer Ausweitung des Welthandels zu sehen glaubt, bei weitem überwiegen.
Das Entscheidendste ist jedoch, daß die europäischen Staaten im Zuge des Hoffmanschen Diktats auf wesentliche Souveränitätsrechte, und zwar wirtschaftlicher und politischer Natur, verzichten müssen und in letzter Konsequenz ihre Märkte einem USA-Diktat unterstellen.
Was bedeutet dies für Westdeutschland? Für Westdeutschland und für die westdeutsche Industrie bedeutet diese sogenannte Liberalisierung nichts anderes als den Verlust des innerdeutschen Marktes, der jetzt mit ausländischen Waren, und zwar vor allem aus den USA, überschwemmt werden wird.
Die ersten tausend Importpositionen sind bereits von allen mengenmäßigen Beschränkungen befreit, und ich brauche für mein Gewissen wahrhaftig nicht zu fürchten, wenn ich behaupte, daß viele deutsche Industriezweige, besonders in der Fertigwarenherstellung in kürzester Frist auf dem innerdeutschen Markt konkurrenzunfähig sein werden und später gar völlig zusammenbrechen werden. Unter der Herrschaft der Hohen Kommissare, unter den Bedingungen des Ruhrstatuts und der Sicherheitsbehörde hat nämlich die deutsche Wirtschaft keinerlei Möglichkeiten, sich gegen eine derartige Überschwemmung mit ausländischen Waren wirksam zur Wehr zu setzen.
Weitere Schwierigkeiten ergeben sich aus der Spaltung des deutschen Wirtschaftskörpers und durch die brutal durchgeführten Konkurrenzdemontagen. Die innerlich dezimierte Industrie mit ihrer vernachlässigten industriellen Ausrüstung, den JEIA-Beschränkungen, den geheimen und offenen Diskriminierungen kann eine Konkurrenzfähigkeit auch nicht auf Kosten einer weiter verstärkten Ausbeutung des werktätigen Volkes erreichen. Hier möchte ich beinahe ein
Sprichwort umdeuten und sagen: Wer vom Marshall-Plan frißt, stirbt daran!
— Sie lachen darüber, aber das Lachen wird Ihnen wahrscheinlich in den nächsten Monaten vergehen.
Zu den bereits aufgeführten Schwierigkeiten, meine Damen und Herren, kommt als eine weitere Wirkung der sogenannten Liberalisierung — ein wunderbar schönes, aber auch verhängnisvolles und, ach, so trügerisches Wort — eine erneute Belastung des gesamten innerdeutschen Preisgefüges. In den Pariser Beschlüssen wird nämlich eine Ausmerzung unterschiedlicher Preise unter den Teilnehmerstaaten der Pariser Beschlüsse gefordert. Dies hängt zusammen mit einer Kritik, die an der westdeutschen Preispolitik geübt wird, weil Kohle und Stahl in Westdeutschland angeblich billiger sind als in den übrigen westeuropäischen Ländern. Ich denke, wir sind dabei bereits durch einige Äußerungen McCloys über die Preispolitik, die jetzt von Paris aus diktiert wird, gewarnt worden. McCloy hat bereits eine wesentliche Erhöhung des inländischen Kohlenpreises unter gleichzeitiger Senkung des Exportpreises für Kohle angekündigt. McCloy erklärte, Deutschland verkaufe gegegenwärtig seine Kohle an die Verbraucher im Inlande, nämlich an die deutsche Industrie wesentlich billiger als im Auslande; dadurch habe die westdeutsche Stahlindustrie vor den ausländischen Stahlwerken einen bedeutenden Vorsprung.
Wohin die Reise geht, meine Damen und Herren, dürfte doch bei dieser sehr offenen Erklärung des Hochkommissars allzu klar sein: Erhöhung der Rohstoffpreise für die weiterverarbeitende Industrie, um diese noch mehr konkurrenzunfähig zu machen, ferner rigorosere Preisforderungen auch noch im Hinblick auf die übrigen Industriezweige! Durch solche rigorosen Forderungen sind schwerwiegende Folgen für den Lebensstandard der breitesten Massen in Westdeutschland unausbleiblich. Das Preisgefüge wird in Verfolg der Pariser Maßnahmen unausweichlich zusammenbrechen.
Vielleicht wird uns Herr Dr. Schumacher jetzt einmal erklären können, wie er sich angesichts dieser Tatsachen die Aufrechterhaltung des Burgfriedens zwischen den Preisen und den Löhnen in der Praxis vorstellt.
Betriebsstillegungen, Arbeitslosigkeit und Preissteigerungen sind somit der Text zur Musik der Hoffmanschen Erzählungen aus Paris.
Ich habe schon anläßlich meiner Ausführungen zum Ruhrstatut darauf verwiesen, daß es ein alter Plan der Amerikaner ist, über Marshallplan, Ruhrstatut und Sicherheitsbehörde sich ihr europäisches Empire aufzurichten. Die Methoden, die dabei angewandt werden, sind vielgestaltig. Sie reichen vom ökonomischen Druck, ja der Erpressung bis zur ideologischen Verkleidung der Absichten, indem man von Hilfsprogrammen und von der Freiheit des Handels spricht.
Auch hierzu einige grundsätzliche Worte. Die Pariser Beschlüsse sehen die Schaffung eines einheitlichen europäischen Marktes vor. Die Territorien der am Marshallplan teilnehmenden Länder sollen in ein einziges Freihandelsland verwandelt werden. Was wollen die Wallstreet-Leute damit erreichen? — Die Antwort ist einfach: die
krisenerschütterte USA-Wirtschaft braucht Absatzmärkte, die frei sind von Zoll- und Devisenschranken und sonstigen Behinderungen. Mr. Hoffman hat sich dazu bereits in Paris geäußert und davor gewarnt, diesen Plan als romantisch anzusehen, hat empfohlen, ihn vielmehr als eine unabdingbare Forderung zur Rettung des Marshallplanes zu betrachten. Ich würde lieber sagen: Er hat diese Forderung in Form eines Befehls aufgestellt. Im unbeschränkten Freihandel sehen die Wallstreet-Leute heute das einzige Mittel, ihren Warenüberschuß loszuwerden. Allerdings haben sie dazu auch noch andere Mittel. Eins davon war und ist das Rüstungsgeschäft beziehungsweise der Krieg oder die Vorbereitung des Krieges. Aber da kann man bekanntlich nicht mehr so, wie man gern möchte.
Je größer daher die Absatzmärkte für USA-Waren organisiert sind, um so leichter haben es die Herren der Wallstreet, sich die europäische Wirtschaft zu unterwerfen. Gerade auf diese Gefahr möchten wir Kommunisten ganz besonders aufmerksam machen: es geht um die deutsche Wirtschaft, es geht gewiß um das Stückchen Brot, es geht aber auch um die Unabhängigkeit und die Souveränität unseres Volkes!
Ich möchte daher den Herrn Bundeskanzler fragen, welche Bedingungen die Regierung in Paris eingegangen ist, und frage weiter: Warum haben Sie, Herr Bundeskanzler, sich in einer so schwerwiegenden Frage nicht Bedenkzeit in Paris erbeten, wie dies bekanntlich Dänemark und Schweden taten? Sie, Herr Bundeskanzler, hätten die Pflicht gehabt, das Volk bzw. das Parlament über die beabsichtigten Pariser Beschlüsse zu informieren!
Eine der Forderungen von Paris betrifft bekanntlich auch die Subventionierung der Lebensmittel und die Importausgleichskasse. Was gedenken Sie, Herr Bundeskanzler, zu tun,
um die deutsche Landwirtschaft vor dem Ruin zu bewahren? Welche Maßnahmen wollen Sie treffen, um ihren Bestand zu sichern und der westdeutschen Landwirtschaft angesichts der drohenden Konkurrenz der ausländischen Nahrungsgüter den Absatz ihrer Erzeugnisse zu ermöglichen?
Welche Maßnahmen gedenkt die Regierung zu, ergreifen, um die von der „Liberalisierung" betroffenen westdeutschen Wirtschaftszweige vor dem Zusammenbruch zu bewahren?
Welche Maßnahmen sollen ergriffen werden, um ein weiteres Ansteigen der Arbeitslosigkeit zu verhindern, und welche Maßnahmen sind seitens der Bundesregierung vorgesehen, um eine Vollbeschäftigung zu sichern? Es ist sicherlich notwendig, daß auch die Abwehrmaßnahmen gegen die unerträgliche Preissteigerung von der Regierung endlich in aller Öffentlichkeit bekanntgegeben werden.
Schließlich fordere ich die Regierung auf, uns zu erklären, was geschehen wird, um aus den Fesseln des bankrotten Marshallplans herauszukommen. Ich denke, das deutsche Volk hat ein Recht darauf, von der Regierung eine Antwort auf alle diese Fragen zu hören.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir nun noch ein kurzes Wort zu der heute zu Beginn dieser Sitzung geführten Debatte über die zur Zeit in Paris tagende Außenministerkonferenz.
— Und zwar im Zusammenhang mit dem Antrag der KPD, der gegenwärtig von mir begründet wird!
— Ich sehe nämlich einen inneren Zusammenhang — —(Anhaltende Zurufe. — Glocke des
Präsidenten.)