Meine Damen und Herren! Es geht auch bei diesem Fall um mehr als um diesen „Fall".
— Ja, meine Damen und Herren, es geht nämlich auch hier darum, festzustellen, wie dieses Parlament sich einschätzt.
Man kann den Grundsatz vertreten: minima non curat praetor!
Aber, meine Herren von der Regierungspartei, ich habe den Eindruck, daß Sie hier mehr nach dem Satz handeln wollen: consules non curant de minimis!
Und dabei sind die minimi die verehrten Mitglieder dieses Hauses, — falls Sie noch soviel Latein kennen sollten, meine Damen und Herren!
Es wurde hier davon gesprochen, daß man doch nicht aus einer solchen Sache Kapital schlagen sollte. Meine Damen und Herren, wer den Kollegen Arndt kennt, der weiß, daß er nicht zu denen gehört, die nach Winkeladvokaten-Manier aus einem Formfehler, den einer begangen haben mag, Kapital schlagen wollen. Es handelt sich um etwas anderes. Es handelt sich darum, ob man die Tradition dieses Hauses auf den unverbrüchlichen Respekt des Rechts anlegt,
oder ob man sie gründen will auf die Opportunität möglichst bequemer Sachbehandlung.
Man kann sich für das eine entscheiden oder für das andere. Nur muß man sich im Fall der Entscheidung für die Opportunität darüber klar sein, wofür und wogegen man sich entschieden hat!
Es ist auch gar nicht so belanglos, ob man sich auf den Standpunkt stellt, den der Kollege Arndt vertreten hat, oder auf den, den die anderen Herren vertreten haben. Man kann freilich sagen: Es ist ja letzten Endes egal, welcher Name daruntersteht; man weiß schließlich, wer der Herr ist, und aus dem Druckereivermerk ergibt sich, daß die Vorlage aus der Regierungsdruckerei gekommen ist. Aber das Einbringen einer Regierungsvorlage ist nicht nur eine technische Maßnahme, es ist ein politischer Akt, und für diesen Akt muß die Verantwortung übernommen werden. Schon für das Einbringen muß die Verantwortung übernommen werden. Deswegen darf unter einer solchen Vorlage nur der Name eines Mannes stehen, der nach dem Grundgesetz als Verantwortungsträger diesem Haus gegenüber deklariert ist, oder sein amtlicher Stellvertreter, der mit politischer Vollmacht für ihn sprechen kann.
Nun ist diese Vorlage als vom Bundeskanzleramt ausgegangen bezeichnet. Der Herr Staatssekretär des Innern im Bundeskanzleramt ist aber in politicis nicht der Vertreter des Herrn Bundeskanzlers, sondern Herr Minister Blücher ist der Vertreter des Bundeskanzlers in Dingen, in denen politische Verantwortung übernommen werden muß. Wenn also der Herr Bundeskanzler verhindert gewesen sein sollte zu unterzeichnen — und
weiß Gott, es gibt Gründe genug, die ihn legitim daran hindern könnten —, dann hätte sein politischer Stellvertreter hier unterzeichnen müssen, und wenn dieser verhindert gewesen sein sollte, eben der zweite Stellvertreter. Ich nehme an, daß die Geschäftsordnung des Kabinetts einen solchen vorsieht. Jedenfalls sollte sie ihn vorsehen.
So handelt es sich nun wirklich darum: Will dieses Haus einwilligen, daß ihm Vorlagen unterbreitet werden, für die die Verantwortung ein Beamter übernimmt, der gar keine politische Verantwortung übernehmen kann? Oder will das Haus verlangen, daß ein Minister oder gar der Bundeskanzler dies tut, die beide allein berufen sind, Verantwortung zu übernehmen? Darum handelt es sich. Glauben Sie mir, man fängt bei solchen Dingen mit Großzügigkeit an, und eines Tages landet man bei der Liederlichkeit.
Wir sollten deswegen diese Dinge ernst nehmen und nicht immer gleich wittern, daß böse Oppositionelle Kapital daraus schlagen wollen, daß jemand sich in der Dezimalstelle geirrt hat. Darum handelt es sich nicht. Wir sprechen hier in wirklicher Sorge um die Zukunft dieses Hauses.
— Sie scheinen es offensichtlich für eine Unmöglichkeit zu halten, vielleicht aus Selbsteinschätzung,
daß jemand aus Sorge für die res publica sprechen könnte. Auf die Gefahr eines Ordnungsrufs hin möchte ich hier sagen: wir sollten uns schämen, daß ein solcher Verdacht in diesem Hause überhaupt aufkommen kann.
Es ist zum zweiten gar keine Frage, daß die Konstruktion des Amtes des Staatssekretärs, wie die Bundesregierung sie vorgesehen hat, im Staatssekretär keinen politisch verantwortlichen Beamten sieht. Es sollten ja gerade keine parlamentarischen Staatssekretäre eingesetzt werden, sondern vielmehr beamtete Staatssekretäre.
Damit ist eben der Staatssekretär ein Beamter, und damit hat er nach dem heute geltenden Recht in diesem Hause weder Sitz noch Stimme. Mit anderen Worten: wer in diesem Hause sitzt und Stimme beansprucht, kann nicht Staatssekretär sein.
Auch hier sollten wir es mit dem Respekt vor dem geltenden Recht ernst nehmen. Ich habe einen Zwischenruf gehört: Na, dieses Gesetz wird ja bald abgeschafft sein. Mag sein; ich habe nichts dagegen, daß man es durch ein besseres ersetzt. Aber heute gilt dieses Gesetz noch. Herr Dr. von Merkatz, Sie haben mir einmal — ich habe mich darüber gefreut — die Kantsche Rechtsphilosophie gerühmt. Erinnern Sie sich vielleicht an den Satz Kants, daß ein Gesetz, solange es gilt, auszuführen ist, selbst wenn man weiß, daß es eine Stunde später nicht mehr gelten wird? Ich hoffe, daß Sie das Wort Ihres engeren Landsmannes auch dann ehren werden, wenn Sie daran durch jemand erinnert werden, der auf der anderen Seite dieses Hauses sitzt.
Ein drittes betrifft den Bundesrat. Ich will mich nicht in eine Debatte darüber einlassen, wie es mit der vorherigen Befragung des Bundesrats
zu halten ist. Ich halte das für eine recht gute Bestimmung im Grundgesetz. Aber auf eines möchte ich hinweisen: In den Ausschüssen und im Plenum des Bundestags kann nicht der Bundesrat als „Bundesrat" das Wort ergreifen, sondern die Mitglieder des Bundesrats, das heißt die einzelnen Landesregierungen, können hier sprechen. Eine Meinung des Bundesrats als solchen gibt es in diesem Hause nicht zu vertreten. Der Bundesrat ist in diesem Hause kein Verhandlungspartner, sondern es ist so, daß die Mitglieder des Bundesrats hier die Stellungnahme der einzelnen Landesregierungen zur Geltung bringen können. In welchem Maße das Haus davon Kenntnis nimmt, inwieweit es diese Stellungnahme in seine Diskussionen und in seine Meinungsbildung einbezieht, ist eine Sache für sich und wird in jedem einzelnen Fall besonders entschieden werden müssen.
Hüten wir uns davor — und auch das sage ich in ernster Sorge um die Entwicklung der Dinge, die hier vor sich gehen werden —, im Sprachgebrauch leichtfertig zu werden. Denn aus einem leichtfertigen Sprachgebrauch, aus einem Mißbrauch der Sprache entwickelt sich zu oft und zu gern der Mißbrauch der Sache.