Rede von
Paul
Löbe
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Wir haben im Verlauf der letzten acht Tage manche Änderungen der Geschäftsordnung beschlossen, die schon nach wenigen Tagen ihren zwiespältigen Charakter gezeigt haben. Deshalb ist die Debatte, die wir jetzt führen, von grundsätzlicher Bedeutung. Es ist richtig, daß die Streitfrage dadurch entstehen mußte, daß wir im Augenblick keine Sitzungsperioden des Bundestags mehr haben. Früher hatten wir die Wahlperiode, innerhalb der Wahlperiode die Sitzungsperiode und dann die einzelnen Sitzungen. Dieses Mittelglied der Sitzungsperioden ist weggefallen. Wir haben heute nur noch die einzelne Sitzung und die gesamte Wahlperiode. Darum wird dieser Passus des Grundgesetzes von den Herren Kollegen verschiedenartig ausgelegt. Klar aber ist folgendes. Der Bundestag ist immer die Instanz, die allein festzustellen hat, wann die nächste Sitzung stattfindet. Von dieser allgemeinen Vorschrift werden nun hier zwei Abweichungen aufgezeigt. Der Präsident des Bundestags kann nämlich den Bundestag früher einberufen, als der Beschluß des Bundestags besagt. Er ist zweitens hierzu verpflichtet, wenn ein Drittel des Hauses es verlangt. Ich glaube, die
Nebeneinanderstellung dieser beiden Durchbrechungen des Grundprinzips berechtigt dazu, zu verlangen, daß der Präsident zunächst, wenn es gefordert wird, feststellt, ob ein Drittel des Hauses die Einberufung einer Sitzung zu einem von ihm vorgeschlagenen Zeitpunkt verlangt.
Denn wenn wir zum Beispiel heute mit dem Vorsatz auseinandergehen, in den nächsten 20 oder 10 Tagen keine Sitzung abzuhalten, so hat doch das Drittel jederzeit die Berechtigung, von dem Präsidenten die Einberufung einer Sitzung zu verlangen, wenn das Drittel durch die Unterschrift oder durch die Abstimmung im Hause es kenntlich macht. Damit ist auch — und damit treffen wir wahrscheinlich den Hauptpunkt — keinerlei Übergehen der Beschlußfähigkeit der Mehrheit des Hauses möglich. Denn das einzige, was herbeigeführt wird, ist eine neue Sitzung. Aber die Entscheidung darüber, ob diese Sitzung die Tagesordnung erhält, die die Antragsteller beabsichtigen, und was überhaupt auf die Tagesordnung kommt, liegt immer bei der Mehrheit des Bundestags. Im gegenwärtigen Augenblick würde sich also der Konflikt nur bei Punkt 2 entwickeln. Es würde zwar dem Drittel nachgegeben und gesagt werden: ihr könnt die Sitzung verlangen. Aber was auf die Tagesordnung dieser Sitzung kommt, entscheidet die Mehrheit. Damit kommen beide Teile zu ihrem Recht.