Rede von
Bruno
Leddin
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion soll die 'Bundesregierung beauftragt werden, für die Durchführung der Hausrathilfe — nicht „Haushalthilfe", wie es im Antrag steht — dem Hauptamt für Soforthilfe weitere 120 Millionen DM sogleich zur Verfügung zu stellen, damit die vorliegenden Anträge aus dem Kreise der anspruchsberechtigten Vertriebenen und Kriegssachgeschädigten noch vor Weihnachten berücksichtigt werden können. Nach amtlichen Informationen lagen bis zum 30. September dieses Jahres insgesamt zirka 1200 000
Anträge vor. Diese Zahl wird sich im Laufe des Monats Oktober noch erhöht haben.
Geht man davon aus, daß alle diese Anträge genehmigt werden, dann wird bei einem Durchschnittsbetrag von 150 DM im Einzelfall eine Summe von zirka 180 Millionen erforderlich sein. Nach dem Soforthilfegesetz selbst sollten die Länder dem Fonds vorschußweise einen Betrag von 60 Millionen DM zur Verfügung stellen. Ob die Länder diese Verpflichtung erfüllt haben, entzieht sich meiner Kenntnis. Setzt man aber voraus, daß dieser Betrag tatsächlich gezahlt wird, dann bleibt trotzdem für die noch rückliegenden Anträge der von uns geforderte Betrag zu bewilligen übrig. Aber niemand, der die 'Verhältnisse unter den Vertriebenen und Kriegssachgeschädigten kennt, kann glauben, daß mit der Zahl der bis zum 1. Oktober vorliegenden Anträge das Bedürfnis der Anspruchsberechtigten schon erschöpft oder zum größten Teil erledigt sei. Im Gegenteil, aus meiner eigenen amtlichen Kenntnis der Dinge kann ich nur sagen, daß die Soforthilfeämter nach dem Bekanntwerden der auf sie entfallenden Kontingente Zehntausende von Antragstellern schon in den ersten Tagen abgewiesen haben. Wenn man bedenkt, daß auf eine Großstadt von zirka 500 000 Einwohnern, bei der ungefähr 30 000 Vertriebene und Zehntausende von Ausgebombten zu verzeichnen sind, im ganzen Monat nur 350 Anträge genehmigt werden, wenn man weiter bedenkt, daß auf kleine ländliche Gemeinden, in denen zirka 450 antragsberechtigte Familien vorhanden sind, 5 bis 6 Anträge im Monat entfallen, dann werden wir die erschütternde Tatsache feststellen müssen, in welch bescheidenem Maße wir bisher den Notstand dieser Menschen mit einem doch sehr kleinen Betrag zu lindern in der Lage gewesen sind.
Aber diese Hilfe soll ja nicht nur den Hilfsbedürftigen im engeren Sinne gewährt werden, sie soll auch den kleinen Lohn- und Gehaltsempfängern aus dem Kreise der Vertriebenen und Ausgebombten zugute kommen, die alle durch die Auswirkungen der sogenannten sozialen Marktwirtschaft des Herrn Bundeswirtschaftsministers kaum in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, geschweige denn an die Anschaffung von Hausrat und Kleidung zu denken.
Darum wird es sehr notwendig sein, daß der Herr
Minister für Vertriebenenangelegenheiten sich
recht bald ein echtes Bild von dem ganzen Kreis
der Anspruchberechtigten verschafft. Diesen
Wunsch möchte ich um so nachdrücklicher betonen,
weil Sie, Herr Bundesminister, nach einer Presseinformation schon von der bisherigen Zahl der eingereichten Anträge sehr überrascht gewesen sein
sollen. Uns hat diese Entwicklung nicht überrascht.
Im übrigen darf ich zur Erhärtung unseres Antrags darauf hinweisen, daß auch das Hauptamt für Soforthilfe, dessen Präsident der Herr Minister Lukaschek selber war, das gleiche Verlangen an die Bundesregierung gestellt hat. Aber wir sind in Sorge, daß die Erörterungen über dieses Anliegen des Hauptamts für Soforthilfe mit dem Hinweis auf die finanzielle Notlage des Bundes vielleicht versanden könnten. Darum muß der Bundestag im Hinblick auf die zur Verfügung stehende kurze Spanne Zeit und im Hinblick auf die Notlage der Antragsteller heute ohne Ausschußberatung gleich zu einer Entscheidung kommen. Der Bundesregierung stand ein Überbrückungskredit von zirka500 Millionen DM zur Verfügung. Es war unseres Erachtens ihre Pflicht, von diesem Betrag einen entsprechenden Anteil zur Behebung der von ihr selbst anerkannten Notstände zu reservieren. Hat sie über diesen Betrag anders verfügt, dann muß sie wissen, daß wir darüber wachen werden, daß neben anderen wichtigen Staatsaufgaben das berechtigte Anliegen der Vertriebenen und die sozialpolitischen Erfordernisse nach unseren Begriffen in die Prioritätsklasse 1 gehören. Wir sind entschlossen, aus den Erörterungen und Deklamationen, die oft in Anwesenheit hoher und höchster amtlicher und nichtamtlicher Flüchtlingsvertreter auf den großen Flüchtlingskundgebungen stattfanden und bei denen wir uns zurückgehalten haben, endlich zu praktischen Hilfsmaßnahmen zu kommen. Wir bitten Sie daher, unsern Antrag einmütig anzunehmen.