Protokoll:
11100

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 11

  • date_rangeSitzungsnummer: 100

  • date_rangeDatum: 13. Oktober 1988

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:52 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/100 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 100. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 13. Oktober 1988 Inhalt: Gedenkworte für den verstorbenen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß 6791 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Knabe und Dr. Dollinger . . . . 6792 C Bestimmung der Abg. Frau Matthäus-Maier zum ordentlichen Mitglied im Gemeinsamen Ausschuß und im Vermittlungsausschuß an Stelle des ausgeschiedenen Abg. Dr. Apel 6792 A Wahl der Abg. Höffkes und Bindig als stellvertretende Mitglieder in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates an Stelle der ausgeschiedenen Abg. Lemmrich und Duve 6792 C Erweiterung der Tagesordnung 6792 D Begrüßung des Präsidenten der Nationalversammlung der Französischen Republik und einer Delegation 6793 A Tagesordnungspunkt 3: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Geschäftswertes bei land- oder forstwirtschaftlichen Betriebsübergaben (Drucksache 11/2343) b) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zur Unvereinbarkeit eines Abgeordnetenmandats im Europäischen Parlament mit einem Abgeordnetenmandat in einem nationalen Parlament (Drucksache 11/2735) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Beratung des Antrags der Abgeordneten Wüppesahl, Frau Schmidt-Bott und der Fraktion DIE GRÜNEN Datenverarbeitungspraxis des Bundeskriminalamts hier: Datei über die grenzpolizeiliche Ein- und Ausreisekontrolle (Drucksache 11/1156) 6793 B Tagesordnungspunkt 4: a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Montrealer Protokoll vom 16. September 1987 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen (Drucksachen 11/2676, 11/3093, 11/3094) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hauff, Schäfer (Offenburg), Frau Dr. Hartenstein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Schutz der Ozonschicht durch Verbot des Einsatzes von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (Drucksache 11/678) Schmidbauer CDU/CSU 6794 B Müller (Düsseldorf) SPD 6796 A Baum FDP 6798 A Dr. Knabe GRÜNE 6799 C Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 6801B Dr. Lippold (Offenbach) CDU/CSU . . . 6803 D Frau Ganseforth SPD 6805 D Tagesordnungspunkt 5: a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Ergebnisse der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank in Berlin vom 27. bis 29. September 1988 II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 100. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Oktober 1988 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hauchler, Dr. Mitzscherling, Dr. Wieczorek, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank in Berlin vom 27. bis 29. September 1988 (Drucksache 11/2765) c) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Gemeinsame Jahresversammlung 1988 des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank (Drucksache 11/2988) d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Eid, Volmer und der Fraktion DIE GRÜNEN: Auswirkungen der Anpassungsprogramme von Weltbank und Internationalem Währungsfonds in der Dritten Welt (Drucksache 11/1793) e) Beratung des Antrags des Abgeordneten Volmer und der Fraktion DIE GRÜNEN: Kein zweiter Energiesektorkredit für Brasilien (Drucksache 11/2881) f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hauchler, Bindig, Bernrath, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Zukunftsprogramm Dritte Welt (Drucksachen 11/828, 11/2567) Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . . 6809 C Frau Matthäus-Maier SPD 6813 C Dr. Graf Lambsdorff FDP 6818 A Volmer GRÜNE 6820 D Dr. Grünewald CDU/CSU 6824 B Klein, Bundesminister BMZ 6825 D Dr. Hauchler SPD 6828 A Dr. Pinger CDU/CSU 6830 B Frau Folz-Steinacker FDP 6831 C Feilcke CDU/CSU 6832 C Dr. Gautier SPD 6833 C Kittelmann CDU/CSU 6836 A Frau Matthäus-Maier (Erklärung nach § 30 GO) 6837 A Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde betr. jüngste Einschränkungen der Meinungsfreiheit in Ost-Berlin und der DDR Lintner CDU/CSU 6840 D Büchler (Hof) SPD 6841 C Ronneburger FDP 6842B, 6849 B Frau Hensel GRÜNE 6843A, 6848 D Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMB . . 6844 A Duve SPD 6845 A Lummer CDU/CSU 6845 D Dr. Haack SPD 6846 D Reddemann CDU/CSU 6847 C Böhm (Melsungen) CDU/CSU 6849 D Niggemeier SPD 6850 D Werner (Ulm) CDU/CSU 6851 C Tagesordnungspunkt 6: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahreswirtschaftsbericht 1988 der Bundesregierung (Drucksachen 11/1924, 11/2584) . . . 6852 C Tagesordnungspunkt 7: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahreswirtschaftsbericht 1988 der Bundesregierung (Drucksachen 11/1923, 11/2618) . . . 6852 C Tagesordnungspunkt 8: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 15 02 Tit. 652 11 — Beihilfen an junge Zuwanderer für ihre Schul- und Berufsausbildung (Drucksachen 11/2682, 11/2955) . 6852 C Tagesordnungspunkt 9: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 84 zu Petitionen (Drucksache 11/3006) 6853 A Tagesordnungspunkt 10: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur fünften Änderung der Richtlinie 76/768/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für kosmetische Mittel (Drucksachen 11/2841 Nr. 12, 11/3049) 6853 A Tagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze (Drucksache 11/2421) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Änderung des Parteiengesetzes (Drucksache 11/3097) Spilker CDU/CSU 6853 C Bernrath SPD 6855 D Dr. Hirsch FDP 6857 D Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 100. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Oktober 1988 III Frau Dr. Vollmer GRÜNE 6859 D Gerster (Mainz) CDU/CSU 6862 B Conradi SPD 6864 D Tagesordnungspunkt 12: Beratung des Antrags der Abgeordneten Mischnick, Cronenberg (Arnsberg), Wolfgramm (Göttingen), Beckmann und Genossen: Gestaltung des neuen Plenarsaales hier: Änderung des Beschlusses über die Sitzordnung (Drucksache 11/2537 [neu]) Mischnick FDP 6866D, 6880 A Conradi SPD 6868 D Bohl CDU/CSU 6871 C Häfner GRÜNE 6873 C Echternach, Parl. Staatssekretär BMBau 6875 B Frau Weyel SPD 6877 B Martin, Staatsminister des Landes Rheinland-Pfalz 6878B Dr.-Ing. Kansy CDU/CSU 6879 A Namentliche Abstimmung 6881 A Ergebnis 6883 C Tagesordnungspunkt 13: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 64 zu Petitionen (Drucksache 11/2337) Frau Bulmahn SPD 6881 B Haungs CDU/CSU 6882 B Hoss GRÜNE 6882 D Funke FDP 6884 D Tagesordnungspunkt 14: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 66 zu Petitionen (Drucksache 11/2434) Schäfer, Staatsminister AA 6885 C Peter (Kassel) SPD 6886 A Dr. Göhner CDU/CSU 6887 A Frau Nickels GRÜNE 6887 D Funke FDP 6888 C Tagesordnungspunkt 15: a) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zur Lage der Stahlindustrie (Drucksache 11/1537) b) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Legislative Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission an den Rat für eine Verordnung zur Einführung eines Gemeinschaftsprogramms zugunsten der Umstellung von Eisen- und Stahlrevieren (Programm RESIDER) Legislative Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission an den Rat für einen Beschluß über einen Beitrag an die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl zu Lasten des Gesamthaushaltsplans der Gemeinschaften zur Finanzierung von Sozialmaßnahmen im Rahmen der Umstrukturierung der Eisen- und Stahlindustrie und Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission an den Rat für die von bestimmten Voraussetzungen abhängige Einführung eines neuen Quotensystems für bestimmte Erzeugnisse mit einer Laufzeit von drei Jahren (Drucksache 11/1676) Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär BMWi 6889 C Dr. Jens SPD 6890 D Dr. Lammert CDU/CSU 6892 B Sellin GRÜNE 6893 C Frau Würfel FDP 6894 D Tagesordnungspunkt 16: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Krieger, Frau Rust, Frau Schoppe und der Fraktion DIE GRÜNEN: Gegen die Verschärfung des § 218 StGB (Drucksache 11/2957) Frau Schoppe GRÜNE 6896 A Geis CDU/CSU 6897 A Frau Dr. Götte SPD 6899 D Funke FDP 6901 C Engelhard, Bundesminister BMJ 6903 A Sauter, Staatssekretär des Freistaates Bayern 6904 B Tagesordnungspunkt 17: a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften (Drucksache 11/2212) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung besoldungs- und wehrsoldrechtlicher Vorschriften (Drucksache 11/2383) Heistermann SPD 6907 D Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär BMVg 6909 C Richter FDP 6910 D Frau Schilling GRÜNE 6911D Ganz (St. Wendel) CDU/CSU 6912 C IV Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 100. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Oktober 1988 Tagesordnungspunkt 18: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über ihre Maßnahmen zur Förderung der ostdeutschen Kulturarbeit gemäß § 96 BVFG in den Jahren 1984 und 1985 (Drucksache 11/2572) Spranger, Parl. Staatssekretär BMI . . . . 6914 B Dr. Nöbel SPD 6915 A Dr. Czaja CDU/CSU 6918A Wolfgramm (Göttingen) FDP 6920 B Tagesordnungspunkt 19: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung der Sonderstellung von psychisch Kranken in der Krankenversicherung (Drucksache 11/2594) Egert SPD 6921 B Dr. Becker (Frankfurt) CDU/CSU . . . 6922 D Hoss GRÜNE 6923 D Heinrich FDP 6924 B Höpfinger, Parl. Staatssekretär BMA . . 6924 D Tagesordnungspunkt 2 (Fortsetzung) : Fragestunde — Drucksache 11/3080 vom 7. Oktober 1988 — Anfertigung einer amtlichen deutschen Übersetzung des UN-Seerechtsübereinkommens einschließlich der Schlußakte MdlAnfr 12 07.10.88 Drs 11/3080 Grunenberg SPD Antw StMin Schäfer AA 6837 D ZusFr Grunenberg SPD 6838 A ZusFr Gansel SPD 6838 B Stand der Verhandlungen über den WEU-Beitritt Spaniens und Portugals; Beitritt aller europäischen Mitgliedsländer der Atlantischen Allianz MdlAnfr 13, 14 07.10.88 Drs 11/3080 Antretter SPD Antw StMin Schäfer AA 6838 C ZusFr Dr. Scheer SPD 6838 D ZusFr Gansel SPD 6839 A ZusFr Antretter SPD 6839 B Intervention für die Freilassung der in Afghanistan festgehaltenen Deutschen MdlAnfr 15 07.10.88 Drs 11/3080 Gansel SPD Antw StMin Schäfer AA 6839 D ZusFr Gansel SPD 6840 A ZusFr Duve SPD 6840 C Nächste Sitzung 6926 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 6927* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abg. Schulhoff (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Antrag betr. „Gestaltung des neuen Plenarsaales; hier: Änderung des Beschlusses über die Sitzordnung" 6927* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 100. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Oktober 1988 6791 100. Sitzung Bonn, den 13. Oktober 1988 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 14. 10. Dr. Ahrens 14. 10. Dr. Biedenkopf 13. 10. Brandt 14. 10. Cronenberg (Arnsberg) 14. 10. Frau Dempwolf 14. 10. Frau Garbe 14. 10. Dr. Hauff 14. 10. Hauser (Krefeld) 14. 10. Hedrich 14. 10. Hiller (Lübeck) 14. 10. Frau Karwatzki 13. 10. Frau Kelly 14. 10. Kißlinger 14. 10. Klose 14. 10. Leonhart 14. 10. Lüder 14. 10. Dr. Müller 13. 10. Paintner 14. 10. Poß 14. 10. Reuschenbach 14. 10. Schluckebier 14. 10. Frau Schmidt (Nürnberg) 14. 10. Schröer (Mülheim) 14. 10. Frau Dr. Segall 14. 10. Sielaff 13. 10. Dr. Sperling 14. 10. Stratmann 14. 10. Frau Dr. Süssmuth 13. 10. Tietjen 14. 10. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Vondran 14. 10. Dr. Waigel 14. 10. Dr. Warnke 13. 10. Dr. Zimmermann 14. 10. Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abg. Schulhoff (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Antrag betr. „Gestaltung des neuen Plenarsaales; hier: Änderung des Beschlusses über die Sitzordnung": Ich werde mich an der Abstimmung zum Tagesordnungspunkt 12 nicht beteiligen, da ich kein Vertrauen mehr zu den architektonischen Vorgaben habe, insbesondere was deren Realisationsmöglichkeiten in preislicher und zeitlicher Hinsicht anbetrifft. Der Abriß des alten Plenarsaales wurde damals damit begründet, dies Verfahren sei billiger und ginge auch schneller, eine Sanierung würde teurer und auch länger dauern. Genau das Gegenteil ist jedoch eingetreten: Die Baukosten haben sich bis jetzt schon um 50 % erhöht, und der Fertigstellungstermin hat sich um ein Jahr verzögert. Ich fühle mich zutiefst getäuscht und möchte mich im Hinblick auf möglicherweise noch kommende Weiterungen nicht weiter einbinden lassen. Leider wurde bisher nur etwas realisiert, nämlich der Abriß eines Denkmals, in dem fast 40 Jahre deutsche Nachkriegsgeschichte stattfand.
Gesamtes Protokol
Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110000000
Die Sitzung ist eröffnet.

(Die Abgeordneten erheben sich)

Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundestag trauert um sein langjähriges Mitglied, den bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, der am 3. Oktober 1988 in Regensburg verstorben ist. Mit Franz Josef Strauß ging eine der markantesten Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegsgeschichte von uns. Er, der mit dem Geburtsjahr 1915 der Kriegsgeneration angehörte, war tief von den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges und des Zusammenbruchs geprägt.
Unmittelbar nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft stellte sich Strauß 1945 dem staatlichen Wiederaufbau zur Verfügung und wurde zum stellvertretenden Landrat von Schongau ernannt. Er selbst hat zu dieser Entscheidung gesagt: „Zu drängend waren nach 1945 die Existenzfragen, als daß ich hätte abseits stehen können. "
Die rastlose und vorwärtsdrängende Tatkraft von Franz Josef Strauß führte ihn bald zu größeren Aufgaben. In den Frankfurter Wirtschaftsrat berufen, hat er als jüngster Abgeordneter an der Seite Ludwig Erhards der Sozialen Marktwirtschaft zum Durchbruch verholfen.
Die von ihm mitgegründete Christlich-Soziale Union ist mit dem Namen Franz Josef Strauß untrennbar verbunden. Ihr hat er zuerst von 1948 an als Generalsekretär gedient. 1952 wurde er zum stellvertretenden Vorsitzenden, 1961 zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Seither haben ihn die Delegierten immer wieder eindrucksvoll in diesem Amt bestätigt.
Im Deutschen Bundestag, dem er von der 1. Wahlperiode bis zu seiner Wahl zum bayerischen Ministerpräsidenten im Jahre 1978 ununterbrochen angehörte — in den er aber auch danach immer wieder gewählt wurde —, machten ihn sein eminent politisches Talent, seine außerordentlichen analytischen Fähigkeiten und seine beeindruckende Rednergabe bald zu einem selbstverständlichen Anwärter auf hohe Regierungsämter.
Franz Josef Strauß war sich der Macht des öffentlich gesprochenen Wortes bewußt, und er hat dieses Wort brillant wie nur wenige zu führen gewußt. Seine Debattenbeiträge konnten der vollen Aufmerksamkeit des Hauses, der Medien und darüber hinaus der gesamten Öffentlichkeit stets sicher sein. Franz Josef Strauß hat den Parlamentarismus farbig und interessant gemacht. Er war ein Homo politicus mit politischem Eigensinn im positiven Sinne dieses Wortes, Grundvoraussetzung einer lebendigen Demokratie.
In seinen Reden ließ er erkennen, daß er das politische Geschehen in den großen Strom der Geschichte eingebettet sah. Auf diesem historischen Bewußtsein beruhte sein Glaube an die Richtigkeit auch seines Standpunktes, und aus diesem Bewußtsein gewann er auch die Kraft seiner Argumente.
Franz Josef Strauß wird uns aber nicht nur als glänzender Redner und Parlamentarier, sondern vor allem auch als ein Mann der Tat in Erinnerung bleiben.
Im Jahre 1956 vertraute ihm Konrad Adenauer das schwierige Amt des Bundesverteidigungsministers an, nachdem er seine Fähigkeiten als Bundesminister für besondere Aufgaben und für Atomfragen bereits unter Beweis gestellt hatte. Bis 1962, dem Jahr seines Rücktritts als Verteidigungsminister, hatte er in einer riesigen Aufbauleistung eine Bundeswehr geschaffen, die im Nordatlantischen Bündnis von Anfang an Achtung und Anerkennung fand.
Die Tatkraft dieses herausragenden Politikers bewährte sich erneut im Amt des Bundesfinanzministers während der Großen Koalition. Als einer der führenden Köpfe der Regierung Kiesinger legte er die Grundlagen zu einer soliden Haushalts- und Finanzpolitik. Die 1969 verabschiedete Finanzreform war im wesentlichen sein Werk.
Auch wenn Franz Josef Strauß das Amt des Bundeskanzlers bei den Wahlen im Jahre 1980 versagt blieb, konnte dies seinem Format als Staatsmann nur wenig anhaben. Sein Wort hatte Gewicht, ganz gleich, ob er als Bundesminister, als Oppositionsabgeordneter oder als bayerischer Ministerpräsident sprach.
Franz Josef Strauß war zwar unverwechselbar Bayer, aber zugleich deutscher Patriot und leidenschaftlicher Europäer. Schon in seiner Rede vom 7. Februar 1952 zur europäischen Verteidigungsgemeinschaft sprach er sich für ein in Freiheit und Gleichberechtigung geeintes Europa aus. Immer hat er auch betont, daß der Weg nach Europa nicht zu Lasten der Eigenständigkeit der Mitgliedstaaten ge-



Präsident Dr. Jenninger
hen dürfe. Ihm schwebte ein föderatives Gemeinwesen, ein europäischer Bundesstaat, vor, ein Bundesstaat, der bürgernah bleibt und dem Eigencharakter seiner Regionen Ausdruck läßt.
Als engagierter Anwalt der Einheit Deutschlands hat Franz Josef Strauß darauf bestanden, daß diese Einheit nur in Freiheit vollendet werden kann. Auf seine Initiative hin wurden die im Jahre 1972 geschlossenen Ostverträge vom Bundesverfassungsgericht überprüft. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist zu einer Leitlinie unserer Deutschlandpolitik geworden.
Nach dem Verständnis von Franz Josef Strauß reichte es für Fortschritte in der Deutschlandpolitik aber nicht aus, nur Rechtspositionen zu klären und an unserem Rechtsstandpunkt festzuhalten. In vielen Reden hat er seine Zuhörer gemahnt, das Ziel der Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit im Bewußtsein der Deutschen lebendig zu halten. Deutlich hat er dies auch gegenüber dem DDR-Staatsratsvorsitzenden bei dessen Besuch in München ausgesprochen, indem er sagte:
Wir werden alles, was in unserer Kraft steht, dafür tun, damit das Bewußtsein von der Einheit der deutschen Nation bewahrt wird.
Die von ihm vertretene Politik gegenüber der DDR beruhte auf nüchternem Wirklichkeitssinn und unvoreingenommener Verständigungsbereitschaft. Er selbst hat dies einmal so umrissen:
Das Mögliche tun, das Unmögliche lassen, die Grenze zwischen beidem anerkennen und großzügig auslegen.
Den vielen Menschen, die unter der Not der Teilung unseres Vaterlandes zu leiden hatten, zu helfen war dabei sein Hauptmotiv. Ich selbst konnte in den Jahren 1983 und 1984 in enger Zusammenarbeit mit ihm auf diesem Feld der deutschen Politik erfahren, wie sehr ihn die Einzelschicksale der Menschen bedrückt haben, wie vielen er geholfen hat, die Freiheit zu erlangen, zu ihren Angehörigen zu finden.
In mehr als 40 Jahren verantwortlichen politischen Handelns hat Franz Josef Strauß unser Staatswesen entscheidend mitgestaltet. Wir alle stehen auf dem Fundament, das neben Konrad Adenauer und Ludwig Erhard, neben Theodor Heuss, Kurt Schumacher, Carlo Schmid, Thomas Dehler und Herbert Wehner auch Franz Josef Strauß gelegt hat und das er zu erhalten wußte. Seine Persönlichkeit — dies ist bereits heute erkennbar — hat ihren festen Platz in unserer Geschichte.
Wir verneigen uns in Trauer vor diesem außergewöhnlichen Menschen und Staatsmann. Mit seiner Familie fühlen wir uns in diesen Tagen verbunden.
Der Deutsche Bundestag nimmt Abschied von dem Verstorbenen. Wir werden uns dieses bedeutenden Politikers stets in Dankbarkeit und mit großem Respekt erinnern.
Meine Damen und Herren, Sie haben sich zu Ehren des Toten von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich zunächst einige Bekanntgaben machen.
Am 8. Oktober 1988 hat der Abgeordnete Dr. Knabe seinen 65. Geburtstag

(Beifall)

und am 10. Oktober 1988 der Kollege Dr. Dollinger seinen 70. Geburtstag gefeiert.

(Beifall)

Beiden Kollegen darf ich die besten Wünsche des Hauses übermitteln.
Aus dem Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes ist der Abgeordnete Dr. Apel als ordentliches Mitglied ausgeschieden. Die Fraktion der SPD schlägt als Nachfolgerin die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier vor.
Zweitens. Aus dem Vermittlungsausschuß nach Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes ist der Abgeordnete Dr. Apel als ordentliches Mitglied ebenfalls ausgeschieden. Als Nachfolgerin schlägt die Fraktion der SPD auch hier die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier vor.
Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier als ordentliches Mitglied sowohl im Gemeinsamen Ausschuß wie im Vermittlungsausschuß bestimmt.
Drittens. Als Nachfolger für den ausgeschiedenen Abgeordneten Lemmrich schlägt die Fraktion der CDU/CSU den Abgeordneten Höffkes als Stellvertreter in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vor.
Für den ebenfalls aus der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ausscheidenden Abgeordneten Duve schlägt die Fraktion der SPD den Abgeordneten Bindig als Stellvertreter in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vor.
Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit sind die Abgeordneten Höffkes und Bindig als Stellvertreter in die Parlamentarische Versammlung des Europarates gewählt.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Aktuelle Stunde
Probleme bei der geplanten Außenstelle des Bundesamtes der Finanzen im Zusammenhang mit der kleinen Kapitalertragsteuer (in der 99. Sitzung bereits erledigt)

2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Wüppesahl, Frau Schmidt-Bott und der Fraktion DIE GRÜNEN: Datenverarbeitungspraxis des Bundeskriminalamts hier: Datei über die grenzpolitische Ein- und Ausreisekontrolle — Drucksache 11/1156 —
3. Aktuelle Stunde Jüngste Einschränkungen der Meinungsfreiheit in Ost-Berlin und der DDR
4. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Änderung des Parteiengesetzes — Drucksache 11/3097 —
5. Aktuelle Stunde
Besorgnisse im In- und Ausland über die Wahrung der
Presse- und Demonstrationsfreiheit bei unter Mitwirkung



Präsident Dr. Jenninger
der Bundesregierung durchgeführten Tagungen und Großveranstaltungen in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West)

Darüber hinaus soll von der Frist für den Beginn der Beratung abgesehen werden, soweit es zu einzelnen Punkten der Tagesordnung erforderlich ist. Sind Sie auch damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

(Wüppesahl [fraktionslos]: Nein, ich widerspreche!)

Bevor ich die Tagesordnungspunkte aufrufe, darf ich einen besonderen Ehrengast im Hause begrüßen. Auf der Ehrentribüne hat seine Exzellenz der Präsident der Nationalversammlung der Franzöischen Republik, Herr Laurent Fabius, mit einer parlamentarischen Delegation Platz genommen.

(Beifall)

Herr Präsident Fabius, ich begrüße Sie sehr herzlich im Deutschen Bundestag. Wir freuen uns darüber, daß Sie Ihren ersten Auslandsbesuch als Präsident der Nationalversammlung unserem Land abstatten. Dies unterstreicht in besonderer Weise die ausgezeichneten, freundschaftlichen Beziehungen zwischen der Französischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland. Ihr Besuch dokumentiert von neuem, wie intensiv und erfolgreich der Gedankenaustausch zwischen unseren Ländern und unseren Parlamenten ist. Besonders dankbar sind wir Ihnen dafür, daß Sie auch Berlin in Ihr Reiseprogramm mit einbeziehen. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt und gute und nützliche Gespräche.

(Beifall)

Ich rufe nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung und Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf:
3. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Geschäftswertes bei land- oder forstwirtschaftlichen Betriebsübergaben
— Drucksache 11/2343 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß (federführend)

Finanzausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
b) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zur Unvereinbarkeit eines Abgeordnetenmandats im Europäischen Parlament mit einem Abgeordnetenmandat in einem nationalen Parlament
— Drucksache 11/2735 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß (federführend)

Auswärtiger Ausschuß
Rechtsausschuß
ZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wüppesahl, Frau Schmidt-Bott und der Fraktion DIE GRÜNEN
Datenverarbeitungspraxis des Bundeskriminalamts hier: Datei über die grenzpolizeiliche Ein- und Ausreisekontrolle
— Drucksache 11/1156 —
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß (federführend) Rechtsausschuß
Meine Damen und Herren, es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Dieses im Ältestenrat vereinbarte Verfahren wird heute zum erstenmal praktiziert. Im wesentlichen handelt es sich darum, daß Vorlagen, für die der Ältestenrat das vereinfachte Verfahren vereinbart hat, in einem gemeinsamen Tagesordnungspunkt zusammengefaßt werden. Über die Überweisung dieser Vorlagen wird dann in einer einzigen Abstimmung insgesamt abgestimmt.
Wir kommen also zur Abstimmung. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen zu Tagesordnungspunkt 3 a und b sowie zu Zusatztagesordnungspunkt 2 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge?

(Wüppesahl [fraktionslos]: Ja, Zusatzpunkt 2 hier debattieren zu lassen!)

— Der Abgeordnete Wüppesahl stellt den Antrag, die Vorlage zu Zusatzpunkt 2 — Drucksache 11/1156 — in einer Aussprache zu behandeln. Ich lasse zunächst über diesen Antrag auf Aussprache abstimmen. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Überweisung der Vorlagen. Sind Sie mit der Überweisung in der in der Tagesordnung aufgeführten Weise einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Montrealer Protokoll vom 16. September 1987 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen
— Drucksache 11/2676 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (21. Ausschuß)

— Drucksache 11/3093 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Schmidbauer Frau Dr. Segall
Müller (Düsseldorf)

Dr. Knabe



Präsident Dr. Jenninger
bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 11/3094 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Schmitz (Baesweiler) Dr. Weng (Gerlingen)
Waltemathe
Frau Vennegerts

(Erste Beratung 94. Sitzung)

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hauff, Schäfer (Offenburg), Frau Dr. Hartenstein, Müller (Düsseldorf), Roth, Bachmaier, Frau Blunck, Catenhusen, Duve, Fischer (Hornburg), Grunenberg, Dr. Hauchler, Heistermann, Ibrügger, Jansen, Jaunich, Dr. Jens, Jung (Düsseldorf), Kiehm, Kühbacher, Lambinus, Lennartz, Frau Dr. Martiny, Müller (Schweinfurt), Nagel, Peter (Kassel), Reimann, Reuter, Schanz, Stahl (Kempen), Urbaniak, Vahlberg, Vosen, von der Wiesche, Weisskirchen (Wiesloch), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Schutz der Ozonschicht durch Verbot des Einsatzes von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW)

— Drucksache 11/678 —
Zum Gesetzentwurf liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3096 vor.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte 90 Minuten vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmidbauer.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1110000100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ozonloch, stratosphärischer Ozonabbau und Treibhauseffekt führen uns sehr deutlich vor Augen, daß wir an einem äußerst kritischen Punkt der Belastung unserer Erdatmosphäre angelangt sind. Weit über 20 Millionen Tonnen Fluorkohlenwasserstoffe verrichten ihr zerstörerisches Werk in der Stratosphäre. Dies ist etwa die Menge, die sich gegenwärtig in der Atmosphäre aufhält.
Wissenschaft, Politik und Industrie sind sich in der Beurteilung der Bedrohung einig und haben gemeinsam mit dazu beigetragen, daß zum erstenmal ein internationales Abkommen von großer Tragweite auf den Weg gebracht werden konnte. Dies ist — so meine ich — ein guter Anfang.
Wiener Übereinkommen und Montrealer Protokoll sind die erste weltweite Antwort auf diese Bedrohung. Dies gilt, obwohl gleichzeitig festgestellt werden muß, daß das Montrealer Protokoll bei weitem — bei weitem! — nicht ausreicht, um die eingetretenen Schäden zu reduzieren.

(Zurufe von der SPD)

— Also, Sie immer mit Ihren Zwischenrufen! Sie sind weder bei den Beratungen dabei, noch sind Sie in der Kommission. Aber hier Zwischenrufe machen!

(Zuruf von der SPD: Das ist doch kein Argument!)

Stellen Sie eine Zwischenfrage; ich bin gern bereit, dann zu antworten.

(Jahn [Marburg] [SPD]: Das darf er sogar!)

— Natürlich, das soll er. Dann aber soll er aufstehen, und eine anständige Zwischenfrage vorbringen.
Im Gegenteil, der stratosphärische Chlorgehalt wird zunächst noch weiter anwachsen und unsere lebensnotwendige Ozonschicht zerstören. Verantwortlich sind einerseits die Ausnahmemöglichkeiten, die das Protokoll den Entwicklungsländern als sogenannten Aufholbedarf erlaubt, andererseits die vorgesehenen Regelungsmaßnahmen, die eine Fülle von Ausnahmen auch für Industrieländer zulassen und vor allem nicht streng genug sind.
Dennoch: Das Montrealer Protokoll ist ein wichtiger Grundstein für die weitere vertragliche Entwicklung. Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, seine Bedeutung liegt weniger in der derzeitigen Fassung und Schärfe, sondern eher im instrumentellen Bereich. Das heißt, wir besitzen jetzt zum erstenmal die Möglichkeit, auf der Basis dieser internationalen Vereinbarungen zu einer schnellen Anpassung an neue Erkenntnisse über Ursachen und Wirkungen des Ozonabbaus zu kommen. Eine rasche Umsetzung weiterführender Maßnahmen ist durch die im Vertragstext vorgesehene Verordnungsermächtigung möglich — allerdings muß dies auch von allen Unterzeichnerstaaten so gewollt und unterstützt werden.

(Zuruf von der SPD: Ja!)

Die erste Fortschreibung des Montrealer Protokolls muß — auch hier sind sich alle Fraktionen in der Enquete-Kommission einig — bereits 1990 erfolgen und sollte dem neuesten wissenschaftlichen Sachstand angepaßt werden. Das heißt aus heutiger Sicht:
Erstens. Die Ausnahmetatbestände, die das Protokoll für Industrie- und Entwicklungsländer vorsieht, sind abzuschaffen.
Zweitens. Die Reduktionsquoten sind schärfer zu fassen. Es muß gewährleistet sein, daß Anfang der 90er Jahre 50 % der geregelten Stoffe reduziert sind und im Jahre 2000 Stoffe, die ein hohes ozonschädigendes Potential aufweisen, abgeschafft werden.
Drittens. Andere ozonschädigende Stoffe müssen in das Montreal-Protokoll mit eingebunden werden. Dazu gehören Trichlorethan, Methylchloroform und Tetrachlorkohlenstoff, um nur drei Beispiele zu nennen. Dazu gehört auch, daß wir uns bis dahin sehr genau überlegen, was mit F 22 passiert, daß wir genau definieren, wie hoch das ODP für diesen Stoff ist, ob es ein geeigneter Ersatzstoff ist oder ob es — dies scheint so zu sein — auch mitgeregelt werden muß.
Wir begrüßen ferner die Benennung eines Mitglieds der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" zum Koordinator der deutschen Ozonforschung durch den Bundesforschungsmini-



Schmidbauer
ster. Wir wünschen, daß Professor Zenner eine wirklich gute koordinierende Arbeit leisten kann. Gleiches gilt für den von der Bundesregierung konstituierten wissenschaftlichen Klimabeirat.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir müssen auf diesem Gebiet in der Tat die Forschung insgesamt intensivieren. Dazu gehört u. a. die Einrichtung einer europäischen Forschungsplattform mit Satelliten und die Koordinierung aller nationalen, EG-weiten und internationalen Programme und Projekte; denn nur durch eine enge Zusammenarbeit kann es auf diesem Gebiet zu den notwendigen Fortschritten kommen.
In mehreren EG-Ländern sind inzwischen ernsthafte Bemühungen festzustellen. Dies ist nach meinen Erfahrungen ein erfreulicher Tatbestand. So liest sich die Äußerung des britischen Umweltministers vom 3. Oktober zu dem zweiten Bericht der Stratospheric Ozon Review Group recht positiv. Er sagte: Um das Chlor in der Stratosphäre zu stabilisieren, will der britische Umweltminister die FCKW-Emissionen möglichst schnell um mindestens 85 % reduzieren,

(Baum [FDP]: Na also!)

und zwar sobald sich Ersatzstoffe und alternative Technologien anbieten. Um den Vorgang zu beschleunigen — so führt er weiter aus — , sollte die internationale Gemeinschaft die bereits im Protokoll vorgesehene 20- bis 30prozentige Reduzierung vorziehen. Das heißt, die erste Fortschreibung des Protokolls sollte bereits im Jahre 1989 vorgenommen werden. Lord Caithness führt weiter aus, daß er davon überzeugt sei, daß die britische Industrie die Zeichen der Zeit verstanden habe und bereit sei, schnell auf diese ozonzerstörenden Chemikalien zu verzichten.

(Zuruf von der SPD: Wir hoffen, daß er recht hat!)

Ich denke, daß auch unsere Produzenten diesen Weg gehen können. Leistungsfähigkeit und Flexibilität werden dabei die Maßstäbe sein. Industrieverbände und Verbraucherorganisationen können und müssen hier eine entscheidende Rolle spielen. Wir dürfen nicht abwarten, sondern müssen auf allen Anwendungsgebieten eine effektive, vorzeitige Reduzierung erreichen.
Im Aerosol-Bereich muß ein dynamischer Prozeß weitergehen. Wir haben bereits erste Erfolge erreicht. Es ist uns im wesentlichen auf Grund nationaler Vereinbarungen gelungen, ein Stück voranzukommen. Nach weiteren Möglichkeiten, die Importe FCKW-haltiger Spraydosen zu stoppen, ist zu suchen; denn dies ist durch eine nationale Vereinbarung natürlich nicht abgedeckt. Wir müssen auch dafür sorgen, daß die restlichen 5 000 Tonnen weiter reduziert werden. Das heißt, wir müssen durchsetzen, daß FCKW-haltige Spraydosen nur noch in lebenserhaltenden, lebensrettenden Systemen im medizinischen Bereich benutzt werden.

(Baum [FDP]: Sehr richtig!)

Nicht nur bei den Aerosolen, sondern auch auf den übrigen Gebieten erwarten wir nationale Vereinbarungen, z. B. bei den Kunststoff-Verschäumungen.

(Baum [FDP] : Jawohl!)

Hier gibt es ausreichende Reduktions-, Substitutions-und Recycling-Potentiale. Gleiches gilt — dies ist überfällig — für den Kühl- und Kältemittelbereich.

(Baum [FDP]: Richtig!)

Zwar stehen zur Zeit Ersatzstoffe nur begrenzt zur Verfügung, so daß vorerst nur durch eine Änderung der Technologie und durch entsprechende Recycling-Systeme eine FCKW-Reduktion erreicht werden kann. Herr Minister Töpfer, wir erwarten in diesem Bereich in nächster Zeit eine bereits angekündigte Vereinbarung mit dem zuständigen Industrieverband.
Besonderes Augenmerk verdient der Lösungs- und Reinigungsmittelbereich, der in den vergangenen Jahren beträchtlich zunahm. Neben intensiver Ersatzstofforschung muß im Übergang jede Recycling-Möglichkeit genutzt werden.
Wenn wir all diese Möglichkeiten ausschöpfen, dann ergibt sich ein großes Reduktionspotential, das ausreicht, um im ersten Ansatz die im Jahre 1986 national verbrauchte Menge in Höhe von ca. 90 000 t auf die Hälfte zu reduzieren.
Eine besondere Bedeutung kommt hierbei der Kontrolle zu. Ich wiederhole meine Forderung: Die genauen Produktions- und Verbrauchszahlen müssen offengelegt werden, und zwar national und europaweit. Gleiches gilt für eine europaweite Kennzeichnung. Dadurch entsteht weder eine Wettbewerbsverzerrung noch besteht die Chance, daß Abkommen unterlaufen werden.
Die Bundesregierung bleibt aufgefordert, die Beschlußempfehlung des Deutschen Bundestages vom 22. September 1988 Zug um Zug umzusetzen. Hierbei ist wichtig, daß wir uns mit Nachdruck dafür einsetzen, daß möglichst viele Staaten den Übereinkommen beitreten. Ich darf erwähnen, daß in den letzten Tagen die Sowjetunion, die Schweiz und andere Länder ratifiziert haben; auch dies sind positive Signale.
Erforderlich ist ferner, über die EG-Kommission mit allen Mitgliedstaaten die erforderlichen Verordnungen zur FCKW-Reduktion zu vereinbaren, eine freiwillige Vereinbarung der europäischen Hersteller, auf Neuproduktion oder auf Produktionsausweitung zu verzichten, auf nationaler Ebene, bei der EG und den anderen Vertragsparteien von Wien und Montreal schneller und in einem erheblich größerem Umfang weitergehende Maßnahmen als die in den internationalen Übereinkommen enthaltenen Vorgaben zur Verringerung der Fluorchlorkohlenwasserstoffe zu erreichen.
Der Deutsche Bundestag erwartet bis zum 1. Juni 1989 einen Bericht der Bundesregierung über den Stand der bis dahin weltweit durchgeführten und geplanten Maßnahmen. Der Name Montreal wird von nun an dafür stehen, daß hier unter Vorsorgegesichtspunkten mit der ersten weltweiten Aktion zum Schutz der Erdatmosphäre begonnen wurde. Dies muß fortgesetzt werden und in ein weltweites Abkommen zum Schutz der Erdatmosphäre einmünden, im dem vor allem auch die Problematik der globalen Klimaänderung durch „Treibhausgase" mit gelöst wird.



Schmidbauer
Diese Herausforderung verlangt von uns höchste Anstrengungen auf allen Ebenen, und zwar in wissenschaftlicher, ökonomischer, ökologischer, sozialer und politischer Hinsicht. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir ignorieren die von der Wissenschaft aufgezeichneten zukünftigen Katastrophen und nehmen dann die unabsehbaren Folgen auf uns, oder wir wirken gemeinsam dieser drohenden Entwicklung entgegen. Ich denke, wir brauchen den Schutz der Erdatmosphäre, und wir brauchen hierzu einen Pakt der Vernunft.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110000200
Das Wort hat der Abgeordnete Müller (Düsseldorf).

Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1110000300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist heute das dritte Mal, daß sich der Deutsche Bundestag innerhalb einer kurzen Frist mit dem Thema „Ausdünnung der Ozonschicht" beschäftigt. Wer die Protokolle nachliest, wird feststellen, daß bei diesem Thema über die Fraktionen hinweg große Einigkeit bestand und besteht und daß wir vor allem hinsichtlich der Beschreibung der dramatischen Lage im Bundestag einen breiten Konsens feststellen konnten.
Dies ist auch verständlich. Bei der Schädigung der Ozonschicht wie auch bei der Veränderung des Klimas wird sehr deutlich, wie sich der alltägliche Angriff der Gegenwart auf die Zukunft vollzieht. Nirgendwo sonst manifestiert sich die Entwicklung der Umwelt in einer so ernsten Weise. Man kann die gegenwärtige Entwicklung mit den Worten des Brundtland-Berichts zusammenfassen, wo es heißt: „Die heutigen Entscheidungsträger bestimmen unser aller Zukunft mit ihren heutigen Entscheidungen. Sie werden aber nicht mehr am Leben sein, wenn die vollen Konsequenzen des Handelns bzw. ihres Versagens sichtbar werden. " — Dieser Satz gilt besonders in bezug auf die Klimaproblematik und die Zerstörung der Ozonschicht.
Es gibt einen zweiten Grund, warum sich die Experten und Umweltpolitiker dieses Hauses einig sind: Ein wirksamer Schutz, die wirksame Erhaltung der Ozonbarriere ist ein exemplarischer Fall dafür, ob die Politik zum ökologischen Umbau und zur ökologischen Erneuerung fähig ist. Wenn wir es nicht schaffen, die Ozonvernichtungswelle zu stoppen, dann wird die Glaubwürdigkeit unserer Umweltpolitik ganz nachhaltig in Frage gestellt, denn: In der Zwischenzeit sind die Fakten eindeutig. Die wissenschaftlichen Studien wie auch die Anhörungen der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" haben eindeutig ergeben: Die Ozonverluste am Südpol sind so weit fortgeschritten, daß sie in der Zwischenzeit größer sind als der antarktische Kontinent, und sie sind in zunehmendem Maße in bodennahen Bereichen, auch am Nordpol, festzustellen.
Wir müssen diesen Zusammenbruch eines chemischen Systems ernst nehmen. Das Schadenspotential der aggressiven Chloratome wirkt nämlich zeitversetzt. Die Szenarien für die Auswirkungen stehen
schon heute; sie reichen von Ernteeinbußen über schwerwiegende Krankheiten, beispielsweise Augenschäden, Immunschwächen und Krebs, bis hin zum Absterben der hochempfindlichen Meeresalgen. Ich weise nur darauf hin, daß gerade diese Lebewesen entscheidende Sauerstofflieferanten und zugleich Speicher für Kohlendioxid sind. Wenn die Meeresalgen mit zerstört werden, werden wir weitere Probleme gerade für das Meeresleben bekommen.
Zudem leistet der Ausstoß von Fluorchlorkohlenwasserstoffen, also dem Haupttäter der Ozonvernichtung, einen Beitrag zum Heißlaufen des Klimas, vor allem durch die Ozonanreicherung in der unteren Atmosphäre.
Alle, die sich mit diesem Thema beschäftigen, wissen: Lösungen sind nicht einfach. Es geht nämlich nicht alleine, obwohl dies im Mittelpunkt steht, um Verbote und den Einsatz von Ersatzstoffen. Vielmehr steht die Frage der Ozonzerstörung sozusagen beispielhaft für die Entwicklung unserer Industriegesellschaft. Die Lösung erfordert deshalb auch mehr, soll tatsächliche Umweltvorsorge erreicht werden. Dazu gehören besonders grundlegende Veränderungen in den Produktions- und Verhaltensweisen. Das heißt, sowohl der Staat, die Wirtschaft wie auch jeder einzelne von uns sind gefordert. Wir brauchen eine neue Architektur gesellschaftlicher Entwicklung. Wir müssen von der Logik der schonungslosen Ausbeutung und der ungehemmten Belastung der Natur zu einem neuen Wertesystem kommen und hierfür entsprechende Prioritäten setzen. Professor Graßl hat dies an einer pervers gewordenen Industriekultur aufgezeigt — am Beispiel der Fluorchlorkohlenwasserstoffe. Sie sind nicht lebensnotwendig, aber dafür langlebig und besonders schadensreich.
Ich wiederhole: Die Verhinderung der weiteren Ozonvernichtung ist ein Testfall für die Glaubwürdigkeit der Umweltpolitik. Es gibt mehrere Gründe, warum das so ist. Es gibt ein relativ leicht und einfach zuordenbares Ursachen-Wirkungs-Verhältnis.
Wir wissen, daß die Fluorchlorkohlenwasserstoffe neben anderen chlorierten Chemikalien die Haupttäter sind; Herr Kollege Schmidbauer hat weitere genannt.
Wir wissen drittens: Wenn wir dieses Problem in den nächsten Jahren nicht in den Griff bekommen, dann wird es verhängnisvoll, weil die Zeitverzögerung der Schadensanreicherung zehn bis fünfzehn Jahre beträgt.
Viertens — ein weiterer wichtiger Punkt — : Der Stopp von Fluorchlorkohlenwasserstoffen ist ungleich einfacher durchzusetzen als der Umbau der gesamten Industriestrukturen zur Verhinderung des sogenannten Treibhauseffekts. Wenn wir den Treibhauseffekt, eine noch sehr viel größere Problematik als die Ozonverdünnung, ernst nehmen, dann kann das nur heißen: Wir müssen radikal ein Verbot und die Reduzierung von Fluorchlorkohlenwasserstoffen angehen, sonst ist die Besorgnis über Klimaänderung nicht glaubwürdig, und wir verlieren auch wertvolle Zeit, die wir zum Umbau von Produktions- und Lebensweisen, zum Umbau des Energiesystems, zur Reduzierung der Verkehrsemissionen, zur Neuordnung der



Müller (Düsseldorf)

Landwirtschaftspolitik und zu vielem anderen mehr brauchen.
Wer also den Schutz des Klimas ernst nimmt, der muß die Fluorchlorkohlenwasserstoffe rasch und umfassend reduzieren, denn ihr Anteil an der fatalen Erwärmung der Erde beträgt fast 20 %.
Vor diesem Hintergrund sind wir heute in einer paradoxen Situation. Wir beschließen das Montrealer Protokoll, obwohl wir alle wissen, daß die dortigen Reduzierungsmargen unzureichend sind, und obwohl wir wissen, daß die Fristen der Umsetzung viel zu lang sind. Politik ist jedoch, zumal wenn sie in internationale Zusammenhänge eingeordnet ist und nur so tatsächlich wirksame Lösungen erreichen kann, oft ein widersprüchliches Geschäft.
So verstehen wir eine Zustimmung zum Montrealer Protokoll auch nur als einen Einstieg, nicht mehr, einen Einstieg in weitergehende Maßnahmen und international koordiniertes Handeln. Wir begrüßen sehr, daß USA, Japan und UdSSR ratifiziert haben; dies sind richtige Schritte in die richtige Richtung. Wir wissen aber, was die Wissenschaft verlangt: Kurzfristig muß eine Reduzierung um 90 % bis 95 % erfolgen, sonst ist mit unseren Maßnahmen letztlich nur eine Abbremsung des Zuwachses zu erreichen. Selbst wenn wir um 90 % bis 95 % reduzieren, wird die Schadensentwicklung vorerst weitergehen.
Deshalb heißt die Zustimmung zu Montreal für uns auch eine Aufforderung zu national weitergehenden Maßnahmen, heißt auch die Aufforderung an die Bundesregierung, internationale Initiativen für rasche Anschlußverhandlungen einzuleiten, und heißt auch, daß die Bundesregierung Druck auf andere Partner, insbesondere auf die EG-Partner, ausübt, endlich ihre schüchterne Zurückhaltung aufzugeben.
Wir wollen eine rasche Fortführung von Montreal. Das hat insbesondere drei Aspekte.
Erstens. Wir müssen bei Zusatzprotokollen weitere Substanzen einbeziehen. Die bisher erfaßten FCKW und Halone sind zu wenig.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sehr wahr!)

Zweitens. Wir brauchen sehr viel kürzere Verbotsfristen. Es muß das Ziel der Weltgesellschaft sein, daß im Jahre 2000 weltweit keine FCKW mehr produziert und eingesetzt werden.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und des Abg. Dr. Dregger [CDU/CSU])

Drittens. Wir brauchen klare Regelungen über die Pflicht zur Bekanntgabe von Zahlen über Produktion und Verbrauch.

(Beifall bei der SPD)

Es ist, meine Damen und Herren, auch für den Bundestag eine unmögliche und unwürdige Situation, daß wir im Parlament Reduzierungen beschließen, aber nicht wissen, wie die Summe von 100 % aussieht.

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Dies ist ein Skandal, und es bleibt auch ein Skandal.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb sagen wir: Wir brauchen klare Angaben über die Mengen von Produktion und Verbrauch.
Die SPD hat zum Thema Ozonschicht einen Antrag eingebracht, den wir im Ausschuß weiter behandeln werden. Ich will die wichtigsten Ziele nennen.
Erstens. Wir halten es national für geboten, bis 1995 auf nahezu null bei der Produktion von Fluorchlorkohlenwasserstoffen und anderen ozonschädigenden Chlorsubstanzen zu kommen.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Wir wollen die Produktion von Fluorchlorkohlenwasserstoffen mit einer ökonomischen Abgabe in der Form belegen, daß ihre Produktion teurer wird.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Man muß schlicht und einfach feststellen: Die Produktion von Fluorchlorkohlenwasserstoffen ist für die Industrie eine kostengünstige Sache, weil es sich im Kern um eine billige Verwertung von Chlorüberschüssen handelt.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das ist der Punkt!)

Wer den Umweltschutz ernst nimmt, kann nicht nur Fristen setzen, weil dieser Zeitraum angesichts der günstigen betriebswirtschaftlichen Daten bis zuletzt ausgenutzt wurde. Aber jedes weitere Jahr, in dem FCKW produziert werden, ist eine Schädigung der Umwelt und damit ein Verbrechen, das wir nicht verantworten können.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb fordern wir auch hier wirtschaftliche Maßnahmen zur Verteuerung der Produkte.
Drittens. Wir verlangen klare gesetzliche Regelungen.
Viertens. Wir wollen Hilfen geben, um die Markteinführung von Ersatzstoffen zu erleichtern.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Fehlanzeige bei dieser Regierung!)

Fünftens. Wir brauchen eine Chlorbilanz, um zu wissen, welche Stoffe im Umlauf sind, wo sie eingesetzt werden und welche Wirkungen sie haben.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Das ist dringend nötig!)

Meine Damen und Herren, darüber hinaus tut es der Bundesregierung und der Bundesrepublik sicher gut, wenn sie auch auf internationaler Ebene die Initiativen verstärken. Wir haben mehrfach erklärt — auch da sind sich die Fraktionen ungeachtet der üblichen Streitigkeiten einig — : Wir wollen ein weltweites Klimaschutzabkommen. Wir brauchen es dringend. Die Zusammenarbeit auf internationalen Ebenen darf nicht allein Friedens- und Sicherheitspolitik und Wirtschaftspolitik erfassen. Wir brauchen als drittes Standbein die internationale ökologische Kooperation.

(Beifall bei der SPD)

Dazu regen wir an, daß sich eine Sonderkonferenz der UN mit dieser Problematik beschäftigt.



Müller (Düsseldorf)

Meine Damen und Herren, ich möchte mit einem Zitat des Amerikaners Jesse Jackson schließen. Jesse Jackson hat bei der Nominierung des Kandidaten seiner Partei zur Präsidentschaftswahl folgende Aussage gemacht:
Es muß Schluß damit sein, daß die Reichen ihre Party auf Kosten der Armen feiern.
Ich möchte dieses Zitat ergänzen: Es muß Schluß damit sein, daß die reichen Industrieländer ihre Party auf Kosten der Armen und auf Kosten der Zukunft feiern.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110000400
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1110000500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vieles, was wir hier bezüglich Umweltfragen diskutieren, wird als Katastrophe bezeichnet. Was wir heute diskutieren, ist in der Tat die Gefahr einer Katastrophe. Darüber sind wir uns Gott sei Dank alle einig.
Immer neue Meldungen über die Gefährdung der Ozonschicht und Klimagefahren bestätigen unsere Auffassung, daß das Montrealer Abkommen wirklich nur ein Anfang ist. Es ist lückenhaft, die Ziele sind zu niedrig angesetzt. Auch in anderen Staaten setzt sich immer mehr die Einsicht durch, daß dieses globale Problem eine weit drastischere Gegensteuerung erfordert.
Nach den neuesten Erkenntnissen der US-Umweltschutzbehörde ist die Ozonschicht stärker in Mitleidenschaft gezogen, als bisher angenommen wurde. Die Ozonschicht in der oberen Atmosphäre ist nicht nur über der Antarktis, sondern generell angegriffen. Das bleibt also nicht auf einen ganz bestimmten Teil des Erdballs beschränkt. Das in seinen vollen Ausmaßen immer noch nicht erfaßte Ozonschicht-Problem wird ja erfreulicherweise im Bundestag unter Ihrer Leitung, Herr Schmidbauer, in einer Enquete-Kommission behandelt. Sie haben bereits wichtige Zwischenergebnisse erzielt.

(Vorsitz : Vizepräsident Westphal)

Also, das Abkommen von Montreal reicht bei weitem nicht aus. Schon der Text des Protokolls enthält Unklarheiten. Die Erhöhung der Weltproduktion ist nach wie vor möglich; die Reduktion um 50 % in den Vertragsstaaten ist völlig unzureichend; die Ausnahmeregelung für die Entwicklungsländer ist nicht akzeptabel; ein Drittel der globalen Produktion ist gar nicht erfaßt; wichtige Staaten wie Südkorea, Taiwan und DDR sind bisher nicht Vertragspartner; das Protokoll umfaßt nur eine begrenzte Anzahl der FCKW-Typen.
Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie jetzt in internationalen Verhandlungen auf eine wesentliche Verbesserung des Abkommens drängt und bis Mitte/Ende der 90er Jahre eine Verringerung der Emission um 90 bis 95 % weltweit zu erreichen versucht.
Herr Töpfer, dies ist ja ein Beispiel für internationale Kooperation. Es ist schon angeklungen, wie
wichtig diese internationale Kooperation auf dem Umweltsektor ist. Und es gibt aus den letzten Tagen einige ermutigende Signale: Die sowjetische Regierung hat gestern einen Umweltgipfel, Umweltgespräche auf internationaler Ebene angeregt. Es gibt auf den beiden Kongressen der großen britischen Parteien, der Labour-Partei und der Konservativen Partei, zum ersten Mal Signale in Richtung Umweltpolitik. Eine afrikanische Umweltkonferenz wird vorbereitet. Also, die Zeichen stehen günstiger als vor einigen Jahren. Und es wird ja die schwierige Aufgabe von Ihnen sein, die anderen zu gewinnen, auch die Europäer zu gewinnen. Ich meine, in bezug auf den Binnenmarkt und in Erwartung des Binnenmarkts 1992 ist eine stärkere Umweltinitiative auch der deutschen Regierung in der Gemeinschaft notwendig. FCKW-Reduzierung, Klimagefahren wären doch auch einmal ein Thema für einen europäischen Umweltgipfel.

(Beifall bei der SPD)

Warum soll dort immer nur die Agrarpolitik behandelt werden?
Ich meine, daß hier auch ein Ansatzpunkt für die deutsch-französische Zusammenarbeit liegt. Wir haben hier soeben Herrn Fabius begrüßt. Der französische Koordinator für die deutsch-französische Zusammenarbeit hat einen deutsch-französischen Umweltrat vorgeschlagen. — Gestern hat das Kabinett die Einrichtung eines deutsch-französischen Sicherheitsrats beschlossen. — Warum also greifen wir als Regierung — Sie haben es getan, Herr Töpfer — diesen Vorschlag nicht auf und konstituieren einen deutschfranzösischen Umweltrat, um in einer engeren Kooperation mit den Franzosen dann auch in der EG zu Einigungen zu kommen?
Für völlig unzureichend halten wir es, daß die beiden Hersteller von FCKW in der Bundesrepublik Deutschland ihre Produktionszahlen nicht nennen. Es sind uns die Produktionszahlen von 1986 bekannt. Wir müssen vermuten, daß die Produktion nicht in der wünschenswerten Weise zurückgegangen ist, und deshalb bestehen wir auf dieser Forderung. Sie wird ja nach dem Protokoll eines Tages erfüllt werden. Wenn hier nicht Klarheit geschaffen wird, Herr Kollege Töpfer, müssen wir gesetzliche Maßnahmen ins Auge fassen.
Wir drängen auch auf eine rasche Novellierung des Chemikaliengesetzes, um bessere Instrumente für die FCKW-Reduzierung zu bekommen.
Im einzelnen fordern wir, erstens daß bei Spraydosen in der EG eine ähnliche Reduktion erfolgt, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland geschieht. Wir brauchen also EG-weite Maßnahmen. Wenn dies nicht möglich ist, sollte ein entsprechendes EG-weites Verbot angestrebt werden. Ich möchte auch noch einmal dringend bitten, daß wir das Importproblem lösen. Es gibt keine Regelungen in bezug auf die Importe von Spraydosen in die Bundesrepublik Deutschland. Ihre Einbeziehung sollte energisch versucht werden; sonst hätte ich nicht die geringste Scheu, auch hier einmal einen Alleingang durchzuführen, wie wir das übrigens in der Koalitionsvereinbarung festgelegt haben.

(Beifall bei der FDP)




Baum
Zweitens. Die FDP fordert eine für den Verbraucher deutliche Kennzeichnung. Er muß wissen, was er kauft.
Drittens. Die FDP setzt sich für ein Verbot der FCKW-Verwendung in chemischen Reinigungs- und Textilausrüstungsanlagen ein.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Viertens. Die FDP setzt sich dafür ein, ausschließlich geschlossene Systeme für Oberflächenbehandlungsanlagen zu verwenden.
Fünftens. Die FDP fordert verbindliche Vereinbarungen zwischen den Beteiligten über die Entsorgung von Klima- und Kälteanlagen. Hier gibt es ja einige Angebote, einige Ansätze für solche Vereinbarungen. Die Ankündigung der bundesdeutschen Hersteller von Kühl- und Gefriergeräten, den FCKW-Gehalt in Wärmedämmschäumen um 50 % zu reduzieren, ist ein richtiger Schritt. Ebenso ist die Erklärung des Elektrotechnikerverbandes zu bewerten.

(Bindig [SPD]: Warum schreiben Sie das nicht in ein Gesetz?)

— Ein Gesetz ist eine mühselige, langwierige Angelegenheit.

(Frau Ganseforth [SPD]: Beides, sowohl als auch!)

Die Reduzierung in Spraydosen ist durch eine Vereinbarung herbeigeführt worden, und solange das auf diesem Weg geht, ist das wirkungsvoller. Ich tadele die Regierung nicht, sondern ich begrüße das. Aber die Vereinbarungen kommen nur zustande, wenn auch die Möglichkeit eines Verbotes besteht.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Ganz ernst meinen Sie das Verbot also nicht!)

Unter der Drohung eines Verbotes kommen solche Vereinbarungen zustande, und sie müssen jetzt zustande kommen. Sonst muß der Gesetzgeber eingreifen.
Sechstens. Wir brauchen verbindliche Anforderungen an Konstruktion, Betrieb und Wartung von Anlagen, in denen FCKW als Kältemittel verwendet werden.
Siebtens. Wir brauchen eine Neubewertung der Umweltrelevanz der FCKW im Rahmen der TA Luft.
Achtens. Die Hartschäume, die FCKW enthalten, sind durch umweltverträgliche Ersatzstoffe zu ersetzen. Bei Kunststoffverschäumungen und bei Lösemitteln brauchen wir höhere Reduzierungs- und Ersatzangebote und entsprechende Zielvorgaben.
Schließlich brauchen wir neuntens für Verpakkungsmaterial FCKW überhaupt nicht. Eine Vereinbarung zum Ersatz oder ein Verbot sind notwendig.
Abschließende Bemerkung: Ich teile die Einschätzung der Kollegen, die vor mir gesprochen haben. Das Ozonproblem ist ein Teil des Klimaproblems, das Montrealer Abkommen ist ein erster Schritt.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Nur ein erster Schritt!)

Es ist übrigens zum erstenmal eine weltweite Vereinbarung zur Reduzierung eines Stoffes, was man auch
sehen muß. Dieser Schritt ist unzureichend. Die Ozonproblematik muß also wieder aufgegriffen werden, und sie muß in die Klimaproblematik eingebettet werden. Wir brauchen weltweite Vereinbarungen zur Reduzierung der Belastungen, die Klimaveränderungen herbeiführen.
Wir haben das Problem, wie wir unser Problembewußtsein, das hier überall einheitlich besteht, in die Tat umsetzen. Herr Kollege Müller, ich sehe gewisse Voraussetzungen, daß die Koalition mit Ihnen zu einem gemeinsamen Antrag gelangen könnte. Wir werden uns darum bemühen. Ich bin der Meinung, daß dieser Fall von Ozon- und Klimagefahren ein typisches Beispiel dafür ist, daß die Welt immer noch auf Kosten der künftigen Generationen lebt, und das sollten wir so schnell wie möglich beenden.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Der Satz ist wahr!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110000600
Das Wort hat der Abgeordnete Knabe.

Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1110000700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen, die hier im Hause sind! Alle sprechen vom Ozon, aber nicht alle wissen, was da passiert. Wir haben in Südamerika vor einer Fabrik gestanden, wo das produziert wird, was Ozon zerstört. Es ist ein ganz einfaches chemisches Verfahren: Kalk habe ich auf der einen Seite, Natriumchlorid, also Kochsalz, auf der anderen Seite, und ich kann erreichen, daß aus diesen beiden Grundstoffen ein Kohlenstoffatom entsteht und darum herum vier Chloratome oder zwei Chlor- und zwei Fluoratome hängen. Diese steigen auf. Sobald sie als Gas enstanden sind, steigen sie auf — unaufhaltsam.
Man braucht sie, weil sie mit nichts reagieren, mit nichts. Sie können sie einatmen; Sie können sie trinken; Sie können darin schlafen — natürlich nicht pur; Sie brauchen ein bißchen Sauerstoff — , aber es tut Ihnen nichts. In der oberen Stratosphäre jedoch, da, wo die harte ultraviolette Strahlung ankommt, da zerknacken sie. Dort wird ein Chloratom, ein Radikal, frei, und es zerstört ein Ozonmolekül nach dem anderen; bei jedem Zusammentreffen zerstört es eines. Dann gibt es das eingefangene Sauerstoffatom wieder frei, zerstört das nächste Ozonmolekül und gibt das Bruchstück wieder frei. So geht es weiter. Deshalb müssen wir etwas dagegen tun, daß diese Stoffe weiter aufsteigen können. Die 10 Millionen Tonnen, die Kollege Schmidbauer nannte, sind viel zuviel.

(Schmidbauer [CDU/CSU]: 20!) — Ja, Entschuldigung, 20.

Der Kollege Müller hat auf einen Widerspruch zwischen Montreal, der völlig ungenügenden Fassung, und den Wünschen, die wir haben, hingewiesen. Man kann mit Widersprüchen auf zwei Weisen umgehen. Man kann sagen: „Das paßt uns nicht; wir wollen das besser machen" und trotzdem Ja sagen. Man kann aber auch, wie Dänemark es in den EG-Verhandlungen über die Autoabgase getan hat, sagen: Wir möch-



Dr. Knabe
ten mit unserem Nein hier klar aussagen, daß das absolut nicht genügt.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Jetzt müßte Schmidbauer Beifall geben! Jetzt müßte er klatschen!)

Eine kleine Oppositionspartei kann sich das leisten; sie muß sich das leisten. Sie muß der Regierungskoalition und auch der großen SPD-Fraktion sagen: Das geht so nicht; das reicht nicht aus. Wir wissen, daß das Montrealer Abkommen ratifiziert werden muß. Es ist gut, daß Sie das machen. Aber mit unserem Widerspruch möchten wir einfach ausdrücken, daß das nicht genug ist. Deshalb haben wir hier eine eigene Erklärung vorgelegt.
Ich habe jedoch eine gute Nachricht mitzubringen. Ich komme unmittelbar aus Washington — ich bin nicht ganz ausgeschlafen und vielleicht nicht so munter wie sonst —

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Der Herr Knabe ist dauernd in der Luft!)

von dem Global Greenhouse Network, der ersten Konferenz der Initiativen zum Klimaproblem. Montreal war eine Tagung der Regierungen. Die Bundesregierung gibt zu, daß sie Schwierigkeiten hat, bei anderen Regierungen auf Verständnis zu stoßen.
In Washington war eine Konferenz der Initiativen aus 35 Ländern. Die Entwicklungsländer waren ganz stark vertreten. Die Delegierten aus elf europäischen Ländern haben mich gebeten, auf der Pressekonferenz vorzutragen. Auf die kritische Frage der amerikanischen Journalisten: „Was macht ihr denn? Ihr könnt doch gar nichts erreichen; die Konservativen und die Wirtschaft machen doch nicht mit", habe ich gesagt: „In der Bundesrepublik ist das etwas anders. Die Konservativen nehmen das Problem ernst; auch die SPD nimmt es ernst. Ich glaube, hier kommt etwas in Gang. Aber ohne die Mitarbeit der Initiativen, ohne die Mitarbeit der Verbraucher geht nichts; ohne diese können wir es nicht schaffen."
Also, was können die Verbraucher tun? Sie dürfen, wenn sie in ihren Laden kommen, kein Stück kaufen, an dem FCKW steht. Wenn es noch nicht dransteht, müssen sie den Geschäftsführer fragen: Warum steht das nicht dran? Wenn er sagt, das wisse er nicht, kaufen sie keinen Spray. Es ist nicht mehr zu verantworten, das Zeug weiter zu benutzen.
Was könne sie weiterhin machen? Sie können natürlich ihren Abgeordneten schreiben und sagen: Hier muß mehr passieren; die nationalen Maßnahmen müssen beschleunigt werden. Wir können nicht bei Montreal stehenbleiben. Einige Abgeordnete sagen heute ja. Ob sie auch so abstimmen, wenn die Wirtschaft meckert, das ist die andere Frage.
Wir haben heute ja Gäste von der französischen Nationalversammlung im Hause. Es ist, wenn ich Ihnen das heute übermitteln darf, ein großes Anliegen von vielen Menschen hier in diesem Land und auch von umweltbewußten Franzosen, daß Sie etwas tun, daß Sie etwas dazu beitragen, daß Sie die französische Industrie dazu veranlassen, diese Stoffe nicht mehr herzustellen, genauso wie wir das machen.
In Washington war ganz klar: Jedes Land muß seine Hausaufgaben machen; jedes Land muß bei sich anfangen und kann nicht abwarten, daß die anderen anfangen. Deshalb tun wir das und bitten Sie, sehr verehrter Herr Präsident, das vielleicht auch in Ihrem Land in Gang zu setzen.

(Frau Olms [GRÜNE]: Er ist schon weg!)

— Ja, schade.
Wir haben hier eine Beschlußempfehlung vorgelegt, die vielleicht noch nicht an alle verteilt worden ist. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich für eine Verschärfung der im Montrealer Protokoll festgeschriebenen Ziele der Reduzierung von Fluorchlorkohlenwasserstoff einzusetzen und anzustreben, daß man weltweit eine Reduktion um über 90 To bis 1999 erreicht.

(Bindig [SPD]: Warum denn nicht früher? Sie reden wie ein FDPler! — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Alles so spät!)

— Das glauben Sie doch selber nicht!

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das war aber eine harte Kritik! Das saß!)

— Da hat er nicht richtig zugehört.
Wir fordern, daß möglichst alle Produzentenländer diesem verschärften Protokoll beitreten und daß sie sich bemühen müssen, die Ausnahmebestimmungen wegen grundlegender nationaler Bedürfnisse für die Industrieländer aufzuheben. Bei den Entwicklungsländern bin ich mir da nicht so sicher. Die Entwicklungsländer haben uns in Washington gesagt: „Wir produzieren ganze 5 % dieser Mengen. Ganze 5 %! Ihr müßtet erst einmal anfangen. " Ich glaube, man muß dieses Argument ernst nehmen.
Daß auch andere Stoffe erfaßt werden sollen wie z. B. F 22 oder Trichlorethan und Tetrachlorkohlenstoff, ist hier schon gesagt worden. Hier gibt es Übereinstimmung.
Ferner muß man den Technologietransfer verbessern. Das war ein weiterer Wunsch der Entwicklungsländer. Wir brauchen die besten Methoden, wir brauchen Ersatzstoffe, damit wir nicht auf die veralteten Techniken angewiesen sind, damit wir nicht gezwungen werden, das zu produzieren. Es bestand eine ganz große Sorge bei diesen Ländern, daß jetzt die deutsche Industrie etwas verlagert.
Herr Kollege Schmidbauer!

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110000800
Herr Abgeordneter, gestatten sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidbauer?

Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1110000900
Ja. Von ihm immer. Vizepräsident Westphal: Bitte schön.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1110001000
Herr Kollege Knabe, heißt das, daß Sie dem Montrealer Protokoll heute zustimmen, wenn Sie vorschlagen, daß in dieses Protokoll Verbesserungen aufgenommen werden müssen, die ich ja vorhin in meinen Ausführungen auch erwähnt habe? Heißt das, daß Sie heute zustimmen?




Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1110001100
Wir haben gesagt, daß wir durch unser Nein zu dem jetzigen Stand des Montrealer Protokolls ausdrücken müssen, daß dieses absolut nicht ausreicht. Wir werden jede Verbesserung im nationalen und im internationalen Rahmen unterstützen. Das kann ich Ihnen heute zusagen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110001200
Herr Abgeordneter Schmidbauer möchte noch eine Frage stellen. Sind Sie dazu bereit?

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Noch eine Frage von der FDP!)


Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1110001300
Ja.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1110001400
Herr Kollege, dieses Nein bedeutet doch, daß Sie sich dann bei der Diskussion um die Verbesserung abmelden. Ich wollte Sie fragen, ob Sie persönlich diesem Montrealer Protokoll zustimmen können.

Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1110001500
Nein, man meldet sich nicht ab, wenn man eine Verbesserung erreicht. Wenn das Protokoll ratifiziert ist, ist eine neue Tatsache geschaffen. Dann werden wir jede Verbesserung unterstützen. Das hatte ich ausgedrückt.

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Danke!)

Ich komme zum Schluß. Wir brauchen hier die Zusammenarbeit der Parteien. Jetzt schwatze ich wirklich fast wie die FDP, aber die sagt ja manchmal auch etwas Gutes. Wir brauchen die Zusammenarbeit trotzdem. Aber wir brauchen darüber hinaus

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Mut!)

— Sie, die Sie da oben sitzen, wissen das — Ihre Mitarbeit. Ohne die Mitarbeit der Verbraucher müssen wir scheitern, können wir die Ziele nicht erreichen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) Danke.


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110001600
Das Wort hat Herr Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1110001700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ab 30. September dieses Jahres hat die Bundesrepublik Deutschland die Ratifikationsurkunde für das Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht hinterlegt. Das Übereinkommen wird also noch vor dem 1. Januar 1989 für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft treten. Damit haben wir sichergestellt, daß auch das Montrealer Protokoll für die Bundesrepublik Deutschland zum frühestmöglichen Zeitpunkt, nämlich zum 1. Januar 1989, in Kraft treten kann. Ich habe noch einmal diesem Hohen Hause und dem Bundesrat dafür zu danken, daß dies terminlich so kurzfristig möglich wurde.
Die zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten „Entwurfs eines Gesetzes zu dem Montrealer Protokoll vom 16. September 1987 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen" , betrifft die erste Folgevereinbarung zur Ausfüllung des Wiener Übereinkommens.
Über dieses Montrealer Protokoll ist in diesem Hause und in der breiten Öffentlichkeit immer und immer wieder diskutiert worden. Ich glaube, es gibt eine übereinstimmende Wertung. Diese läßt sich wie folgt zusammenfassen: Erstens. Dieser Schritt war dringlich notwendig. Er ist wichtig. Zweitens. Dieser Schritt ist nicht hinreichend.
Ich glaube, daß es notwendig ist, noch einmal die hohe Bedeutung des Montrealer Protokolls zu unterstreichen. Dieser Schritt hat dazu geführt, daß UNEP zu Recht Anerkennung als Mandatar für diese Verhandlungen weltweit gefunden hat. Das Protokoll hat dazu geführt, daß eine Einbeziehung von Staaten über die ideologischen Grenzen zwischen Ost und West möglich wurde. Es hat dazu geführt, daß wir in der Europäischen Gemeinschaft zu einem gemeinsamen Handeln gekommen sind. All dies sind in Kenntnis der bisherigen geringen Ausprägung internationaler Umweltpolitik wichtige Entwicklungen, die wir nicht vergesen dürfen, wenn wir über Montreal und dieses Abkommen sprechen.
Aber genauso richtig und notwendig ist es, darauf hinzuweisen, daß seit der Verabschiedung dieses Protokolls die Informationen noch besorgniserregender geworden sind, daß sich die Entwicklungen beschleunigt haben, wie im Ozone-Trends-Panel von international renommierten Wissenschaftlern im März dieses Jahres noch einmal deutlich gemacht wurde.
Daraus ergibt sich, daß die Gesamtozonkonzentrationen nicht nur in der südlichen, sondern auch in der nördlichen Hemisphäre bisher stärker abgenommen haben, als die Trendrechnungen das haben erwarten lassen. Das sind alarmierende Zeichen, die einmal mehr die Notwendigkeit unterstreichen, Produktion und Verbrauch von FCKW erheblich stärker zu reduzieren, als es das Montrealer Protokoll vorsieht. Dem ersten wichtigen Schritt Montreal muß also ein zweiter Schritt folgen. Und es ist ganz unstrittig: Dieser zweite Schritt muß seinen Ausgang in den hochindustrialisierten Staaten der nördlichen Hemisphäre finden, und damit auch in der Europäischen Gemeinschaft und damit auch in der Bundesrepublik Deutschland.
Das Ziel dieses zweiten Schrittes muß sein, von diesen Stoffen insgesamt wegzukommen; denn die Diskussion über 80, 85, 90 oder 95 % Reduktion ist immer wieder der Hinweis darauf, daß diese Stoffe eigentlich ganz weg müßten und nur noch dort, wo sie in wirklich lebenserhaltendem Einsatz ist, genutzt werden sollten.
Was tut die Bundesregierung? Wir haben zunächst einmal nachhaltig und, wie ich meine, mit Erfolg daran gearbeitet, daß dieser erste Schritt in Europa und weltweit möglich wurde. Wir haben unter unserer Präsidentschaft sowohl dem Wiener Übereinkommen als auch dem Montrealer Protokoll in der Gemeinschaft zum Durchbruch verholfen. Heute hört sich das wie eine Selbstverständlichkeit an; vor einem halben Jahr war das noch keineswegs so.
Wir haben in unserer Präsidentschaft gleichfalls dazu beigetragen, die Tür zum zweiten Schritt im Montrealer Protokoll aufzumachen, nämlich durch die Verabschiedung der Resolution, die deutlich macht,



Bundesminister Dr. Töpfer
daß mehr getan und erreicht und schneller gehandelt werden muß.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dies ist in der ersten Stufe für uns wichtig gewesen.
Hinsichtlich der zweiten Stufe haben wir bereits beim informellen EG-Umweltministertreffen in Delphi vor 14 Tagen klar gesagt, daß wir diese zweite Stufe brauchen. Ich habe das mit meinem britischen Kollegen erörtert. Ich freue mich darüber, daß er mit seinem Bericht vom 3. Oktober daraus schon sehr konkrete Schlußfolgerungen gezogen hat. Er hat mir mit Datum vom 4. Oktober mitgeteilt, daß er unsere Initiative in der Europäischen Gemeinschaft auf greifen und unterstützen werde.

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Ich habe der Kommission deswegen mitgeteilt, daß wir bereits auf der formellen Ratstagung im November den Antrag stellen werden, zu Verhandlungen der Europäischen Gemeinschaft über eine zweite Stufe zu kommen.
Ich werde noch am Ende dieser Woche, am Sonntag, und am Montag kommender Woche diese Fragen auf der Konferenz ansprechen, die in Den Haag von UNEP durchgeführt wird. Dort werde ich mit Herrn Tolba zusammentreffen, vor allen Dingen auch mit meinem Kollegen aus den Vereinigten Staaten, Lee Thomas, und mit dem niederländischen Kollegen Nijpels, um auf dieser Ebene den Weg zu einer zweiten Stufe von Montreal weiterzugehen.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sie reisen ja fast so viel wie der Herr Knabe!)

Sehen Sie, Herr Abgeordneter Schäfer, es ist ja nicht nur so, daß Reisen bildet; aber es kann nicht jemand hierher kommen und sagen: die Bundesregierung muß international tätig werden, aber wir warten, bis alle zu uns kommen! Wir reisen gerne auch mal dahin, wo wir glauben, daß wir Partner brauchen. Wir brauchen sie etwa mit Lee Thomas in den USA, wir brauchen sie mit dem Kollegen Nijpels in den Niederlanden, und wir brauchen sie — —

(Jahn [Marburg] [SPD]: Zumal ja Reisen auch bildet!)

— Das hatte ich einleitend, Herr Abgeordneter Jahn, bereits gesagt. Ich weiß, auch auf diesem Gebiet kann man sicherlich von der SPD sehr viel lernen.

(Jahn [Marburg] [SPD]: Das ist sehr erfreulich!)

Wie beim Reisen ist es auch bei einem Blick über die Grenzen der einzelnen Fraktionen in diesem Hohen Hause.
Ich darf diesen Punkt zusammenfassen: Wir arbeiten sehr konkret daran, den zweiten Schritt zum Montrealer Protokoll zu ermöglichen. Ich glaube ganz sicher, daß die Entwicklung in Großbritannien dabei ein ganz besonders wichtiger Punkt ist. Das betrifft nicht nur den Brief von Lord Caithness an mich jetzt, sondern auch die Rede, die Frau Thatcher vor der Royal Society gehalten hat, die eine Gesamtentwicklung der Umweltpolitik mitbeinhaltet.
Ich hoffe, daß wir diesen großen und sehr überzeugenden Sätzen auch entsprechende Schubkraft in der Europäischen Gemeinschaft mit verdanken können. Ich glaube, dann sind wir ein gutes Stück vorangekommen.
Meine Damen und Herren, ich sage noch einmal, dies war der zweite Ansatzpunkt unserer Tätigkeit. Ich freue mich natürlich sehr, daß es nicht nur um die USA und die Europäische Gemeinschaft geht, sondern daß ich heute in 14 Tagen auch in der Sowjetunion sein kann, um anläßlich der Unterzeichnung unseres Umweltabkommens mit der Sowjetunion natürlich auch und gerade diesen Punkt zu erörtern.
Herr Abgeordneter Baum, natürlich werden wir diesen Hinweis von sowjetischer Seite aufgreifen, nicht nur auf der Ebene der Umweltminister, sondern um darüber hinaus die Umweltpolitik als einen entscheidenden staatspolitischen Auftrag anzusehen und damit entsprechend voranzukommen. Ich glaube, daß auch hier die Abstimmung mit dem Bundeskanzler die Bedeutung dieses umweltpolitisch wichtigen Themas beweist.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110001800
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Knabe? — Bitte schön, Herr Knabe.

Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1110001900
Darf ich Sie fragen, Herr Minister, ob es Ihnen auch möglich ist, etwas gegen die drohende Verlagerung von Produktionsstätten aus der Bundesrepublik oder aus anderen Industrieländern in die Entwicklungsländer zu tun, da in Washington von den Entwicklungsländern sehr große Besorgnis geäußert wurde, daß man diese Produktion in ihre Räume hineinverlegt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1110002000
Herr Abgeordneter Knabe, diese Gefahr ist sicherlich gegeben, gerade auch unter dem Aspekt, den Sie in Ihrer Rede selbst angesprochen haben, daß die Entwicklungsländer sich eigentlich dadurch etwas schlecht behandelt sehen, daß wir jetzt insgesamt eine Reduktions- und Vermeidungsstrategie fahren, wo sie eigentlich nur mit 5 To an der ganzen Sache beteiligt sind. Hier werden wir aber nicht nur die Entwicklungsländer im Blick haben müssen, sondern vor allen Dingen die neuen Industrieländer

(Baum [FDP]: Südkorea, Taiwan!)

in hohem Maße mit im Blick haben. Wir sind natürlich daran interessiert — das ist von allen Sprechern unterstrichen worden — , so viele Unterzeichner für das Protokoll von Montreal zu bekommen wie nur irgend möglich.

(Zuruf von der SPD: Was ist mit dem Transfer?)

Das ist der entscheidende Punkt. Daß wir darüber hinaus sicherlich auch durch Kennzeichnungspflichten — ich komme darauf zurück — und ähnliches einen indirekten oder vielleicht sogar sehr direkt wirkenden Ansatz bekommen, um diese Verlagerung auch unternehmerisch nicht sinnvoll werden zu lassen, darf ich unterstreichen.



Bundesminister Dr. Töpfer
Was Sie zu dem Beitrag der Verbraucher gesagt haben, ist auch meine Meinung. Ich glaube, vieles ist so schnell in Gang gekommen, weil sich die Verbraucher damit nicht mehr einverstanden erklärt haben.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, obwohl wir heute über das internationale Abkommen von Montreal sprechen, doch wiederholen, was wir bereits am 22. September in diesem Hohen Hause bezüglich der nationalen Maßnahmen gesagt haben.
Ganz kurz zum Spraybereich: Ich darf das aufgreifen, weil ein Zwischenruf vorhin diesen Punkt angesprochen hat, die Verbotsmöglichkeiten im Spraybereich lägen bei uns gegenwärtig im § 17 des Chemikaliengesetzes. Auf der Grundlage dieses Paragraphen haben wir eine Rechtsverordnung zum Verbot von Pentachlorphenol, PCP, gemacht, wo die Möglichkeit eines Verbotes aus unserem Gesichtspunkt eigentlich noch viel näher lag, weil die menschliche Gesundheit zur Debatte steht. Wir haben diese Verordnung in Brüssel notifiziert. Sie ist aber bisher nicht abschließend in Brüssel behandelt worden.
Deswegen war und ist der Weg, den wir gegangen sind, der richtige, daß wir durch die Maßnahmen der Aerosolindustrie erreicht haben, wo 1976 es noch etwas über 50 000 t FCKW in Spraydosen gab, über 1986, wo es noch 26 000 t waren, bis zum Ende dieses Jahres, wo es noch unter 5 000 t sind, einen deutlichen und, wie ich meine, von 1986 bis heute geradezu zügigen Abbau dieser Belastung zu bekommen.
Lassen Sie mich dazu noch etwas sagen, weil danach das letzte Mal, glaube ich, auch vom Abgeordneten Baum gefragt worden ist: Was können wir machen, wenn wir unter 5 000 Tonnen sind? Hier geht es vornehmlich um die medizinischen Sprays. Wir sehen mit großer Zufriedenheit, daß es auch hier mehr und mehr Ersatzstoffe gibt. Ein Thema, das uns gegenwärtig beschäftigt, ist, daß eine neue Medizin, wenn sie in einer anderen Darreichungsform angeboten wird, einer neuen Zulassung bedarf. Das ist ein zeitliches Problem. Hier müssen wir eine Änderung bei der Zulassung haben. Es kann doch nicht sein, daß eine Medizin zugelassen ist, wenn sie in einer Spraydose angeboten wird, aber eine neue Zulassung braucht, wenn sie als Pulver angeboten wird. Dieses Zulassungsverfahren kostet uns zuviel Zeit. Das heißt, wir werden auch bei der erreichten Grenze von unter 5 000 Tonnen nicht aufhören, sondern dort weitermachen.

(Baum [FDP]: Und Importe?)

— Die Importe sind in dem Vertrag drin. Die Importeure sitzen da mit drin. Ich möchte es noch einmal unterstreichen: Es geht auch und gerade um die Importe.
Mit Blick auf die Kürze der Zeit, die wir für dieses wichtige Thema leider nur zur Verfügung haben
— aber wir haben im Ausschuß noch zusätzlich Möglichkeiten, darüber zu sprechen —, lassen Sie mich zum Kälte- und Klimabereich nur sagen: Hier geht es um zwei Fragen; einmal um die Ersatzstoffe. Ich bitte nur herzlich darum: Lassen Sie uns dieses Problem auch international massiv nachfragen. Ist denn wirklich bei allen, die jetzt die 90 T. international mit ankündigen, damit auch gemeint, daß als Ersatz nicht F-22 kommt? Das ist ein Punkt, weswegen wir jetzt
nach Den Haag fahren, um diese Dinge nachhaltig zu ermitteln. Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Sache.
Daß das Entsorgungskonzept steht, daß die kommunalen Spitzenverbände es noch abzusichern haben, darf ich nur in aller Kürze hinzufügen.
Ich glaube, unsere besondere Aufmerksamkeit muß zweitens auf dem Bereich der Lösemittel liegen. Bei der Kunststoffverschäumung sind wir über die TA Luft und durch eine entsprechende Entwicklung einen wesentlichen Schritt vorangekommen. Bei den Lösemitteln ist eins sehr wichtig, Herr Abgeordneter Müller — ich glaube, das sollten wir mit aufgreifen — : Es geht wesentlich darum, daß wir die Chlorbilanz besser in den Griff bekommen.

(Frau Dr. Hartenstein [SPD]: Was tun Sie denn dafür?)

Das ist aber nicht nur eine Frage hinsichtlich der FCKW, sondern das ist auch eine Frage etwa gerade hinsichtlich Perchlorethylen. Deswegen ist es eine Sache, an dieser Stelle zu sagen: Wir wollen FCKW für den Einsatz in chemischen Reinigungsanlagen verbieten, egal, auf welcher Rechtsbasis. Nur müssen wir natürlich wissen: Wenn wir FCKW dort verbieten, haben wir dieselbe Situation bei Perchlorethylen. Es gibt kein Lösemittel, das wir in der chemischen Reinigungsanlage ohne Probleme oder mit geringeren Problemen einsetzen können.
Deswegen geht es auch dort darum, etwa über die TA Luft mit geschlossenen Systemen zu arbeiten. Dann haben wir denselben Effekt. Ich glaube, damit haben wir auch einen wesentlichen Beitrag geleistet.
Sie sehen: Bei aller politischen Übereinstimmung über das Ziel, bei aller Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit sollten wir uns auch mehr und mehr klarwerden, daß die nationalen Maßnahmen nun wirklich greifen. Ich gestehe gerne ein, daß dazu, Herr Abgeordneter Knabe, sowohl das Bewußtsein der Öffentlichkeit als auch die qualifizierte Arbeit der Enquete-Kommission, als auch das Mitwirken dieses Hohen Hauses einen guten Beitrag geleistet haben.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110002100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lippold.

Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1110002200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir können festhalten, daß in diesem Hause in den wesentlichen Grundzügen Einigkeit herrscht. Ich darf für die Koalitionsfraktionen sagen, daß wir dieses Problem von Anfang an mit dem ihm gebührenden Ernst wahrgenommen haben. CDU/CSU ebenso wie FDP haben hier frühzeitig Initiativen gestartet. Ich gehe den Weg über die Koalitionsvereinbarung, über den Anstoß, diese Problematik in der Enquete-Kommission zur langfristigen Klimasicherung auf zuarbeiten.
Ich darf aber insbesondere dem Bundesminister für Umwelt danken, der durch eine ganze Reihe von In-



Dr. Lippold (Offenbach)

itiativen auf internationaler Ebene die entscheidenden Anstöße dazu gegeben hat, daß es überhaupt zu diesem ersten Abkommen gekommen ist.
Herr Knabe, wenn man den ersten Schritt nicht tut, kommt man auf dem Weg nicht voran. Deshalb müssen wir bei aller Unzulänglichkeit des Abkommens, worüber wir uns einig sind, diesen ersten Schritt tun. Ohne diesen ersten Schritt gibt es keinen Beginn auch der Lösung des Problems. Wissen Sie, das ist ähnlich, wie andere früher Verlobung definiert haben: sicherstellen, weiter suchen. Das hier ist der Anfang eines langen Weges, den wir zügig gehen müssen, den wir mit großer Entschiedenheit gehen müssen, damit wir zu einer Problemlösung kommen.
Ich darf der Bundesregierung danken, nicht nur Ihnen, Herr Bundesminister. Auch der Bundeskanzler hat sich dieser Problematik angenommen. Er hat damit auch deutlich gemacht, welche Dimension dieses Problem hat und wie wir uns dieser Problematik in Zukunft auf Weltwirtschaftskonferenzen, auf Weltgipfeln annehmen müssen.
Ich darf noch einmal sagen: Das Montrealer Abkommen ist ein erster Schritt. Der Schutz der Ozonschicht, der Schutz von Leben und Gesundheit, der Schutz von Fauna und Flora, das sind die Ziele, die wir damit verbinden. Wir müssen das Abkommen ohne Verzögerung in Kraft treten lassen; die Beteiligung weiterer Staaten muß angestrebt werden. Es ist deutlich geworden, daß wir uns ein Ausweichen nicht erlauben können. Deshalb muß dieses Protokoll umfassend ratifiziert werden.
Wir müssen darauf drängen, daß die Schadstoffreduktion beschleunigt erfolgt, daß der Ausstieg absehbar möglich ist. Wir müssen uns aber auch noch über die Ersatzstoffproblematik unterhalten, weil wir teilweise auch über Ersatzstoffe zumindest im derzeitigen Moment zu einer wesentlichen Reduktion der Emissionen kommen können. Das muß genau geprüft werden.
Die Entwicklung und die schnelle Einführung chlorfreier Ersatzstoffe — ich denke an das FCKW 134 — und FCKW-freier Ersatzprodukte — insbesondere auch die Problematik der Ersatzprodukte, nicht nur der Ersatzstoffe — muß ganz energisch vorangetrieben werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich in Verbindung damit auf das zweite große Problem hinweisen, das wir nicht separat sehen können. Es handelt sich dabei um den Treibhauseffekt, um die Erwärmung der Erdatmosphäre, die letztendlich durch anthropogenes, sprich: durch menschliches Handeln, bedingt ist. Beide Prozesse hängen eng miteinander zusammen. Die FCKW tragen zum Treibhauseffekt bei. Wir müssen natürlich auch sehen, daß wegen der Luftchemie insgesamt die Problematik der Erderwärmung wiederum mit der Problematik der FCKW zusammenhängt.
Wir werden in Zukunft in gleicher Weise, wie wir international die FCKW-Problematik angegangen haben, auch zur Frage des Treibhauseffekts auf dem Wege über internationale Abkommen zu einer Lösung des Problems kommen müssen. Ich sage das ganz deutlich. Es handelt sich hier in erster Linie um
die Frage des Kohlendioxids, das maßgeblich daran beteiligt ist; allein 50 % ist der Anteil des Kohlendioxids an der Problematik des Treibhauseffekts, 20 % der Anteil des Methangases und 20 % der Anteil der FCKW.
Wenn wir hier etwas erreichen wollen, wenn wir zur Lösung des Treibhauseffektes einen Beitrag leisten wollen, müssen wir mit Sicherheit beim dicksten Brokken, sprich: bei der Kohlendioxidproblematik, anfangen und hier ganz deutlich zu einer Reduktion kommen. Das heißt, wir müssen den Prozeß der Verbrennung fossiler Stoffe, der Verbrennung von Kohle, von Öl und von Gas, nicht nur kritisch durchleuchten, sondern wir müssen hier sofort zu Handlungen kommen. Wir müssen sehen, daß wir hier sofort zu einer Reduktion kommen. Wir müssen durch emissionsfreie Energien substituieren. Das können Solarenergien sein, die einen Beitrag leisten können; aber deren Beitrag ist zur Zeit noch beschränkt. Langfristig werden sie sicherlich einen entscheidenden Beitrag leisten können.
Wir können dabei allerdings nicht indirekte Solarenergien einbeziehen, wie das vielfach getan wird; denn dazu werden auch die Verbrennung von Holz, die Verbrennung von Torf und die Verbrennung von Biomasse gezählt. Wir müssen sehen, daß dies keine Lösung sein kann, weil das genauso zur Emission von CO2 führt. Ich glaube, man muß deutlich machen, daß letztendlich auch der Einschlag von Wald zu solarer Energie gezählt werden würde. Das kann ja wohl nicht wahr sein, insbesondere wenn wir an die Problematik des tropischen Regenwaldes denken. Hier muß deutlicher differenziert werden.
Beim Einsatz von Wasserkraft muß man natürlich auch sehen, daß ich sie nicht nur in den Raum stellen kann, sondern daß ich auch für ihre Umsetzung sorgen muß. Dann muß ich sehen, daß ich nicht auf der einen Seite mehr Wasserkraft fordern kann, auf der anderen Seite dann aber, wenn Laufwasserkraftwerke installiert werden, gegen eine solche Installation protestieren, wie es die GRÜNEN, Herr Abgeordneter Knabe, als erste getan haben. Irgendwo beißt sich das. Dann muß ich auch konsequent bleiben und darf nicht den einen das als Gutes anbieten und den anderen das; diese beiden Sachen widersprechen einander.

(Abg. Dr. Knabe [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Ich erlaube keine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Knabe, weil ich ausgesprochen wenig Zeit habe.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Es wird nicht angerechnet!)

Wir müssen, Herr Knabe, gleichzeitig auch CO2-emittierende Prozesse ernergiesparend um jeden Preis realisieren. Wir haben hier in der Bundesrepublik schon Wesentliches geleistet. Ich spreche einmal darauf an, daß wir Vorreiter sind. Bei uns liegt z. B. der Verbrauch in Haushalten wesentlich niedriger als in anderen Ländern vergleichbaren Klimas im OECD-



Dr. Lippold (Offenbach)

Bereich. Wir haben Einstiege gemacht, aber trotzdem sind wir nicht zufrieden.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Ja, man kann wesentlich mehr machen!)

Hier liegt noch ein ganz ungeheures Potential, das bewegt werden muß. Das gleiche gilt für andere Bereiche, in denen wir noch einsparen können, bis hin zum Verkehrsbereich. Hier muß sicherlich zügig weitergearbeitet werden.
Wir müssen aber auch folgendes sehen. Einen Weg, der angedacht wird, nämlich im Bereich des Treibhauseffekts die Substitution des Verbrauchs fossiler Stoffe untereinander, sprich, die Substitution von Kohle durch Gas, müssen wir sehr differenziert betrachten, denn auch Gas trägt zur Kohlendioxidexposition bei. Wenn ich die Kohle gleich 100 setze
— wohlgemerkt, die Steinkohle —, liegt das Gas mit der relativen Schadstoffemission immer noch bei 60. Wenn ich weiter daran denke, daß mit der Gasverbrennung, mit der Gasproduktion, mit der Erzeugung, der Verarbeitung und dem Transport von Gas auch Leckagen von Gas und damit Abgaben an die Umwelt verbunden sind, wobei auch Methangas entweicht
— denn Erdgasverbrennung ist zu 90 To Methanverbrennung — , dann bedeutet schon 1 To Leckage beim Gas, daß ich gegenüber dem Kohlendioxid die 30fache Wirkung habe. Damit liege ich letztendlich beim gleichen Faktor wie beim Verbrauch von Kohle. Wir müssen also in Zukunft entschlossen vorgehen, aber auch mit der nötigen Differenzierung.
Ich sage hier noch einmal das, was ich bereits beim letztenmal gesagt habe: Auch die Substitution durch Kernenergie muß überdacht werden. Kernenergie ist eine in diesem Bereich emissionsfreie Energie.

(Zuruf des Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD])

— Herr Schäfer, denken Sie daran: Auch in Toronto hat man über diese Problematik gesprochen. Man hat sie sehr differenziert behandelt.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Da hat Herr Häfele ja mitgewirkt!)

Wir werden nicht umhin können, vor dem Hintergrund der Größe der Gefahr, die vom Treibhauseffekt ausgeht, in eine Neubewertung einzutreten. Das wird auch einschließen, daß wir nicht bei den traditionellen Reaktorlinien bleiben, sondern die neuen Linien mit ihren neuen Möglichkeiten mit einbeziehen.
Zur Rolle der Bundesrepublik: Ich glaube, daß wir hier wiederum — ähnlich wie bei den FCKW — vorweg Initiativen ergreifen müssen und deutlich machen müssen, daß das, was wir von anderen verlangen, bei uns zuerst erfüllt wird. Ich schließe dabei das ein, was wir im Blick auf Entwicklungsländer und andere Länder sagen. Wir müssen deutlich mehr tun als andere, damit klar wird, daß wir nicht von anderen etwas fordern, was zu leisten wir selbst nicht bereit und in der Lage wären.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Sehr richtig! bei der SPD)

Wir müssen allerdings deutlich machen, daß letztendlich die Problemlösung nur im internationalen Verbund erreicht werden kann. Bei einem Anteil von
ca. 4 To an der Verbrennung fossiler Stoffe, hochgerechnet auf den globalen Bereich, wird deutlich, daß wir nur einen bescheidenen Beitrag leisten können. Unsere Rolle muß darin liegen, diesen Beitrag zu erbringen, unsere Pionierrolle deutlich werden zu lassen und damit weltweit Anstöße zu geben. Das setzt aber voraus, daß wir im CO2-Bereich ähnlich wie im Bereich der FCKW zu einem internationalen Abkommen, zu einer internationalen Konvention kommen. Das Ziel muß sein, daß wir global die Reduktion der Verbrennung fossiler Stoffe vereinbaren. Dieses Ziel kann nicht in gleicher Weise überall realisiert werden. Auch hier werden die Industrieländer mehr tun müssen als die Entwicklungsländer. Da müssen Quoten regionalisiert werden, da muß abgestuftes Handeln vorgesehen werden. Letztendlich kann das nur in Form einer internationalen Konvention gehen, bei der wir alle, die daran beteiligt sind, einbinden.
Daß die Staaten — Entwicklungsländer auf der einen Seite, Industrieländer auf der anderen Seite — unterschiedlich betroffen sind, habe ich deutlich gemacht. Wir werden sicherstellen müssen, daß die Kriterien technisch, wirtschaftlich und finanziell so gewichtet sind, daß wir den Beitrag der Industrieländer entsprechend gestalten und den Entwicklungsländern Brücken bauen. Wir müssen ganz deutlich sehen, daß wir sicher auch finanziell etwas leisten müssen. Ich danke an dieser Stelle noch einmal dem Entwicklungshilfeminister, der mit einem Ansatz klargemacht hat, daß wir den Worten auch Taten folgen lassen und auch finanzielle Mittel bereitstellen.
Es muß aber gesehen werden, daß Mittel nicht nur bereitgestellt werden müssen, sondern ihre Verwendung auch sinnvoll integriert und eingebaut werden muß. Es kann nicht sein, daß wir dies anders als in Form eines partnerschaftlichen Zusammenwirkens täten. Das setzt allerdings voraus, daß auch in den Staaten, mit denen wir zusammenwirken, die Bereitschaft besteht, eigenes Bewußtsein zu ändern, zu neuen Verhaltensweisen zu kommen und bestehende Mechanismen, die eher zu einer Verstärkung des negativen Prozesses beitragen, abzuschaffen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, diese internationale Konvention ist der entscheidende Weg. Wir werden in gleicher Weise wie jetzt beim Montrealer Abkommen die Bundesregierung bitten, entsprechend initiativ zu werden. Ich denke, wir werden nicht umsonst darum bitten, daß die Initiativen entsprechend gestaltet werden.
Ich sage nochmals: Wir werden der Ratifizierung des Abkommens zustimmen. Das ist ein erster Schritt. Das ist ein guter Schritt. Aber wir müssen den Weg beschleunigen, und wir müssen schneller zum Ziel kommen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110002300
Das Wort hat Frau Professor Ganseforth.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1110002400
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Kollege Lippold hat eben sehr moderat die Bitte an die Bundesregierung geäußert, entsprechend dem Montrealer Protokoll initiativ zu wer-



Frau Ganseforth
den für eine internationale Konvention gegen die Klimakatastrophe. Ich kann nur sagen: Das müssen wir verhindern. Eine entsprechende Konvention wäre viel zuwenig, denn das Montrealer Protokoll ist in jeder Hinsicht unzureichend.

(Beifall bei der SPD)

Wir erwarten, daß das, was in bezug auf die Klimakatastrophe an internationaler Konvention angefaßt wird, weit über das hinausgeht und eine völlig andere Qualität hat als das, was wir heute diskutieren.

(Beifall bei der SPD)

Damit das erst einmal klar ist!
Aber nun zurück zur Ozonzerstörung, zu den FCKW, über die wir heute sprechen. Die Ozonschicht schützt unsere Erde vor den harten ultravioletten Strahlen. Die Ozonschicht wird zerstört durch die Aktivitäten des Menschen, nämlich durch die FCKW und die Halone.
Ich möchte auf eine Eigenschaft der FCKW und der Halone hinweisen, die es besonders schwer macht, das Problem in den Griff zu bekommen und die Wirkung abzuschätzen. Das ist die Zeitverzögerung, mit der die Zerstörung der Ozonschicht auftritt.
Die Zeitverzögerung besteht aus drei Stufen.
Erstens. Die FCKW und Halone gelangen nach der Produktion nicht direkt in die Atmosphäre, sondern befinden sich zuerst in Geräten und Bauteilen, die wir benutzen, z. B. in Spraydosen, in Kühlmitteln von Kühlaggregaten, in Feuerlöschgeräten oder in verschäumten Kunststoffen. Wird also heute ein FCKW oder Halon produziert, wird es sich noch jahrelang in diesen Geräten und Bauteilen befinden, und es dauert sehr lange, bis es in die Atmosphäre entweicht. Das ist die erste Stufe der Zeitverzögerung.
Die zweite Stufe ist der Transport der FCKW und Halone von der Emissionsquelle, d. h. vom Entweichen aus den Kühlschränken und ähnlichem, in die Stratosphäre, d. h. in die Höhe von 10 bis 50 km, wo sie die Ozonschicht zerstören. Es kann wieder Jahre dauern, bis sie da hingelangt sind. Man geht für diesen Prozeß von einer Zeitverzögerung von etwa zehn Jahren aus.
Die dritte Stufe, die zur Zeitverzögerung beiträgt, ist die lange Lebensdauer der FCKW und Halone in der Stratosphäre selbst.
Alle diese Effekte führen dazu, daß nur ein sehr geringer Teil der bisher in der Welt hergestellten FCKW-Mengen derzeit seine schädlichen Auswirkungen auf die Ozonschicht entfaltet hat. Also: Was heute produziert wird, wird erst in vielen, vielen Jahren wirksam werden. Es bedarf übrigens dringend weiterer Forschung, um diese Zusammenhänge auch qualitativ zu ermitteln.

(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

Der Verzögerungseffekt führt dazu, daß trotz der im Montrealer Protokoll vorgesehenen schrittweisen Einschränkung des Verbrauchs und der Produktion der FCKW und Halone die Zerstörung der Ozonschicht noch lange fortschreiten wird.
Ich will das an zwei Beispielen deutlich machen. Nimmt man den günstigsten Fall, der heute immer geschildert worden ist, der angestrebt wird, nämlich daß alle Nationen der Erde das Montrealer Protokoll unterschreiben und daß keine Ausnahmeregelungen ausgeschöpft werden, also kein Schlupfloch genutzt wird, weder in den Industrieländern noch in den Entwicklungsländern, dann würde sich zwar die Emissionsrate von FCKW bis zum Jahre 2000 gegenüber dem Jahr 1986 — das ist die Bezugsgröße — etwa halbieren, die Konzentration von FCKW in der Stratosphäre aber würde über Jahrhunderte hinweg zunehmen und der Ozonabbau weitergehen. Modellrechnungen haben ergeben, daß sich die FCKW-Konzentration in diesem günstigsten Fall des Montrealer Protokolls bis zum Jahr 2100 mehr als verdoppelt hat.
Es kann aber auch ungünstiger kommen. Im ungünstigsten Fall, d. h. wenn alle zulässigen Ausnahmebestimmungen ausgeschöpft werden — nach den bisherigen Erfahrungen mit der Industrie, aber auch mit der Politik ist das eine nicht unrealistische Annahme —, steigen die Emissionen von FCKW zunächst an, und zwar gewaltig, sinken dann wieder ab und kommen dann auf dem Wert von 1986 über Jahrzehnte hinweg zum Stillstand.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Für die Konzentration der FCKW in der Stratosphäre bedeutet das eine Zunahme um mehr als den Faktor 4,4. Das steht heute hier zur Abstimmung. Was das für die Ozonschicht bedeutet, ist kaum vorstellbar, weil die Reaktion der Natur nicht linear verläuft. Die Natur reagiert auf Belastungen nicht linear, sondern sie reagiert mit Umkippen. Bei vielen Systemen haben wir das in der Vergangenheit erlebt. Ich nenne als Beispiele nur das Waldsterben oder das Umkippen der Nordsee. Eine zunehmende Belastung führt also nicht zu einem entsprechend zunehmenden Zustand der Störung, sondern es kann zum Umkippen kommen. Beim Ozonabbau ist das bei einem Faktor 4,4 natürlich zu erwarten. Das Entstehen des Ozonlochs in der Antarktis ist ein Umkippprozeß, ein nicht linearer Effekt. Die Wissenschaft hat über Jahre nicht erklären können, was die Ursache dieses Umkippens ist, und sie war auch völlig überrascht von diesem Effekt. Man kann also nicht wissen, welche Auswirkungen das hat, was, wie wir heute schon wissen, kommt. Wir können auch nicht auf die Selbstheilungskräfte der Natur oder darauf hoffen, daß sich ein neues Gleichgewicht einstellt. Solche Überlegungen sind verheerend.
Im Gegenteil, es besteht sogar die Gefahr, daß dann nicht mehr reagiert werden kann, wenn es zum Umkippen kommt, weil wir, wie ich erklärt habe, heute die Ursache legen, die unsere Kinder und Kindeskinder dann über die Zeitverzögerung ausbaden müssen.
Wenn man das alles mit in die Überlegungen einbezieht, kann man eigentlich nur zu dem Ergebnis kommen: Wir müssen sofort die Produktion und den Verbrauch von FCKW stoppen.

(Frau Olms [GRÜNE]: Ja, bravo!)




Frau Ganseforth
Hier bitte ich einmal um Beifall von allen Seiten.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Müller [Düsseldorf] [SPD]: Herr Baum!)

Wenn das nicht international geht, dann sollten wir wenigstens sofort damit anfangen. Immerhin tragen wir, die Bundesrepublik, mit etwa 10 % zur Weltproduktion und mit 25 % zur EG-Produktion bei.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Technisch geht das, denn vor wenigen Jahren und Jahrzehnten sind wir noch völlig ohne diese Stoffe ausgekommen. Ich möchte kurz etwas über die wirtschaftliche Bedeutung zitieren. In der Anhörung der Enquete-Kommission am 2. und 3. Mai hat das Umweltbundesamt ausgeführt: „Wirtschaftlich betrachtet sind FCKW Einsatzstoffe mit erheblichen produktionstechnischen Vorteilen. Gleichwohl sind sie in keiner Weise als Schlüsselprodukte anzusehen."

(Müller [Düsseldorf] [SPD]: Profitabel sind sie!)

„In allen Verwendungsbereichen gibt es mindestens eine von folgenden Minderungsmöglichkeiten: Substitute, rationellere Verwendungsmöglichkeiten, Wiedergewinnungsmöglichkeiten, die eine deutliche Emissionsminderung und damit auch Verbrauchsreduktion eröffnen." Jetzt wird es wichtig: „Bei einem Verbrauchsvolumen 1986 von grob geschätzt 100 000 t dürften Umsätze von etwa 400 Millionen DM erzielt worden sein. Die Produktion von FCKW entfällt in der Bundesrepublik auf zwei Hersteller, in deren Produktionssparte FCKW nicht den Ausschlag geben, so daß Produktionsminderungen bei FCKW wirtschaftlich durchaus verkraftbar sein dürften, zumal sich Märkte für teure Ersatzstoffe öffnen."

(Frau Olms [GRÜNE]: Auch wenn es anders herum wäre!)

Das sind die Fakten; das wissen wir. Wenn man das alles mit in die Überlegungen einbezieht, kann man eigentlich nur zu dem Ergebnis kommen: Das Montreal-Abkommen kann man guten Gewissens nicht unterschreiben. Es ist keineswegs das Instrument, das die notwendige Umkehr zur Verhinderung der Klimakatastrophe einleitet. Ausgehandelt wurde es von Personen, die weitgehend nationale und wirtschaftliche Interessen mit einbrachten. Ich möchte hier den belgischen Klimaforscher Professor Brasseur zitieren, der in den „Greenpeace Nachrichten" über die Verhandlungen zum Montrealer Protokoll ausgeführt hat: „Um die Wahrheit zu sagen, auf den Meetings von Montreal wurde sehr wenig über die wissenschaflichen Hintergründe und Konsequenzen gesprochen. Es ging meistens darum, welches Land Profit macht oder keinen Profit macht."
Auch wenn wir hier alle wieder dazu sagen, es sei nur ein erster Schritt, es müsse verschärft werden, stellt sich die Frage, ob es ein Schritt in die richtige Richtung ist.
Gerade im Hinblick auf die Situation in der Bundesrepublik kommen mir zunehmend Zweifel, ob der Regierungskoalition durch unsere Zustimmung nicht der Rücken freigemacht wird für ihr bekanntes „Weiter so". Was Herr Töpfer hier heute zu den Bemühungen
auf der internationalen Ebene gesagt hat, hat mich darin eigentlich noch bestärkt.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Herr Töpfer hört gar nicht zu!)

Warum stimmen Sie nicht unseren Anträgen zu, die ein Verbot des Einsatzes von FCKW vorsehen?

(Beifall bei der SPD)

Ein entsprechender Antrag findet sich unter Punkt 4 b der heutigen Tagesordnung.
Ich möchte nur einiges von dem zitieren, was ich vorhin gehört habe: Wir müssen durchsetzen, wir hoffen, dies ist überfällig, wir erwarten, es muß angestrebt werden. Das sind nur ein paar Zitate, die ich vorhin mitgeschrieben habe. Von seiten der FDP hieß es: Wenn die Industrie irgend etwas falsch macht — ich weiß jetzt nicht mehr, was sie falsch machen muß — , müssen wir gesetzliche Maßnahmen ins Auge fassen. So ähnlich sind die Formulierungen — die wir von der Regierungskoalition gehört haben und hören —, die die nationale Ebene betreffen. Diese Haltung wird der Schwere des Problems bei weitem nicht gerecht.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich habe im Laufe meiner politischen Arbeit zwei Methoden der politischen Gegnerschaft kennengelernt. Die erste besteht darin, daß die Opposition — damit meine ich uns jetzt — mit mehr oder weniger guten Argumenten niedergestimmt wird, daß ihre Gegenvorstellungen und Gegenanträge abgelehnt werden. Der Opposition und der Bevölkerung wird damit angezeigt, wer die Mehrheit hat. So ist die Demokratie nun einmal. Aber die Bürgerinnen und Bürger sehen die Alternativen und können die Mehrheit bei der nächsten Wahl verändern.

(Zustimmung bei der SPD)

Die zweite Methode — sie wird meiner Meinung nach hier angewendet — ist etwas komplizierter. Ich möchte dazu Herrn Schmidbauer aus der letzten Diskussion über das Montrealer Protokoll zitieren. Sie haben gesagt: Lassen Sie uns wie bisher gemeinsam handeln, schnell handeln, soweit wie möglich vorangehen und weltweit so viele Partner wie möglich suchen, die uns auf unserem Wege begleiten. — Sie haben dazu Beifall von allen Fraktionen bekommen. Gleichzeitig aber lehnen Sie unsere Anträge ab, aber konkret gehandelt wird nicht.

(Baum [FDP]: Das ist doch falsch! Das ist absolut falsch! Haben Sie denn nicht zugehört?)

Herr Lippold hat es heute wiederholt. Sie haben nur von der internationalen Ebene und von freiwilligen Vereinbarungen gesprochen. Herr Töpfer hat vor 14 Tagen gesagt, daß die Produktion für den Spraybereich zurückgegangen ist. Er hat aber nicht gesagt, auf welchen anderen Gebieten sich die Produktion der FCKW wie entwickelt hat.

(Beifall bei der SPD)




Frau Ganseforth
Wir haben den Verdacht, daß es ein Nullsummenspiel geworden ist. Das macht uns Sorge.

(Baum [FDP]: Dazu haben wir doch gesetzgeberische Maßnahmen gefordert!)

Die freiwillige Vereinbarung der Industrie führt im Gegenteil dazu, daß der Eindruck erweckt wird, alles sei in Ordnung. Wir sind nicht mehr bereit, dazu die Hand zu reichen.

(Zustimmung bei der SPD — Zurufe von der FDP)

Ich möchte hier auch noch einmal die Verantwortung der Industrie, gerade die der chemischen Industrie ansprechen. Es gab in der Vergangenheit genug Gründe, die dazu führen müßten, daß sich die chemische Industrie anders verhält, daß sie Vertrauen zurückgewinnt. Aber es geht nicht an, daß sie in der Art, die im Grunde von allen Fraktionen hier im Bundestag kritisiert wird, mauert und angesichts der Probleme, die wir hier schon jetzt haben und die in Zukunft auf uns zukommen, so mit uns, mit zukünftigen Generationen, aber auch mit den Menschen in anderen Ländern umgeht.

(Beckmann [FDP]: Setzen Sie Ihre rote Brille ab!)

— Ich will Ihnen sagen: Ich bin richtig froh, daß die Einigkeit, die bei einem so wichtigen Thema ja immer herrscht, jetzt einmal durchbrochen wird, denn sie entspricht nicht der Realität. Es muß gehandelt werden, und zwar nicht nur auf internationaler Ebene, sondern auch auf nationaler Ebene.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110002500
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Montrealer Protokoll über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. —

(Jahn [Marburg] [SPD]: Jetzt wird schon auf der Regierungsbank abgestimmt! Das ist etwas ganz Neues! — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Was, die Regierung stimmt mit? — Bundesminister Dr. Stoltenberg: Das ist der Respekt vor dem Hohen Hause! — Heiterkeit)

Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist angenommen mit den Stimmen der CDU/CSU, der FDP und der SPD

(Jahn [Marburg] [SPD]: Und der Bundesregierung! — Weitere Zurufe von der SPD — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Herr Schäfer, haben Sie etwas dagegen, daß Herr Kiechle aufgestanden ist?)

und gegen Stimmen aus der Fraktion DIE GRÜNEN bei einigen Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN.
Es ist noch über eine Entschließung abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/3093 unter Ziffer 2 die Annahme der Entschließung. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei den gleichen Stimmverhältnissen ist die Entschließung angenommen.
Wir kommen jetzt zu dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3096. Es ist beantragt worden, diesen Entschließungsantrag zu überweisen. Bevor ich das mache, möchte ich gern darauf hinweisen, daß uns Herr Knabe gesagt hat, es sollten zwei Worte gestrichen werden. Beim dritten Spiegelstrich sollen hinter dem Wort „Industrie-" die Worte „und Entwicklungs" gestrichen werden, so daß es dann „Industrieländer" heißt.

(Frau Olms [GRÜNE]: Wieso überweisen? Wir hatten direkt Abstimmung beantragt!)

— Mir liegt der Vorschlag vor, den Antrag zu überweisen, und dieser Vorschlag geht vor. — Es wird vorgeschlagen, den Antrag zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, den Ausschuß für Forschung und Technologie und den Haushaltsausschuß zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Dann ist diese Überweisung so beschlossen.
Wir stimmen jetzt über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/678 ab; das ist der Tagesordnungspunkt 4 b. Ich will noch darauf hinweisen, daß die Beschlußempfehlung zu dem Antrag der Fraktion der SPD bereits in der 94. Sitzung am 22. September 1988 behandelt und abgelehnt worden ist. Damit steht jetzt noch die Abstimmung über den Antrag aus, und diese nehmen wir vor. Wer stimmt für den Antrag der SPD? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit der Mehrheit der Fraktionen der Koalition abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Ergebnisse der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank in Berlin vom 27. bis 29. September 1988
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hauchler, Dr. Mitzscherling, Dr. Wieczorek, Bindig, Brück, Großmann, Dr. Holtz, Dr. Jens, Luuk, Dr. Niehuis, Dr. Osswald, Schanz, Schluckebier, Toetemeyer, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank in Berlin vom 27. bis 29. September 1988
— Drucksache 11/2765 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß (federführend)

Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Wirtschaft



Vizepräsident Westphal
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß
c) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP
Gemeinsame Jahresversammlung 1988 des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank
— Drucksache 11/2988 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß (federführend)

Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Eid, Volmer und der Fraktion DIE GRÜNEN
Auswirkungen der Anpassungsprogramme von Weltbank und Internationalem Währungsfonds in der Dritten Welt
— Drucksache 11/1793 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit (federführend)

Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
e) Beratung des Antrags des Abgeordneten Volmer und der Fraktion DIE GRÜNEN
Kein zweiter Energiesektorkredit für Brasilien
— Drucksache 11/2881 —
f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit (20. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hauchler, Bindig, Bernrath, Brück, Großmann, Dr. Holtz, Frau Luuk, Frau Dr. Niehuis, Schluckebier, Schanz, Toetemeyer, Frau Matthäus-Maier, Dr. Mitzscherling, Oostergetelo, Dr. Wieczorek, Koschnick, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Zukunftsprogramm Dritte Welt
— Drucksachen 11/828, 11/2567 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Hauchler Dr. Pinger
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieses Tagesordnungspunktes zweieinhalb Stunden vereinbart worden. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen zu einer Regierungserklärung.

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID1110002600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Jahresversammlung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank in Berlin hat die Fortschritte in der internationalen Zusammenarbeit nachhaltig unterstrichen. Sie hat auch die Handlungsfähigkeit der großen internationalen Finanzierungsinstitutionen bestätigt und gestärkt. Wir konnten in den Gesprächen der Finanzminister und Notenbankpräsidenten der großen Industrieländer auf Erfolge bei der Förderung von Wachstum, beim Abbau der weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte verweisen. Wir haben diese Zusammenarbeit im engeren wie im großen Kreis in Berlin bekräftigt und in konkreten Absprachen fortgesetzt.
Die Teilnehmer aus 151 Mitgliedsländern von Währungsfonds und Weltbank waren sich darüber einig, daß auf diesem weltwirtschaftlich gefestigten Fundament allerdings erhebliche weitere, auch gemeinsame Anstrengungen notwendig sind, um die Bedingungen für die Weltwirtschaft weiter zu verbessern und vor allem die Lage der hart bedrängten, hochverschuldeten Entwicklungs- und Schwellenländer zu erleichtern.
Es war rückblickend richtig, Internationalen Währungsfonds und Weltbank und damit einschließlich der privaten Gäste rund 8 000 bis 9 000 Persönlichkeiten aus über 150 Staaten nach Berlin einzuladen. Wir, vor allem die Berliner, haben die Chance genutzt, unseren Gästen aus aller Welt die Aufgeschlossenheit unseres Landes für internationale Fragen und unsere Bereitschaft zur Zusammenarbeit und wirksamen Hilfe zu verdeutlichen.
Zugleich konnte im Blick auf diese Tagung in der Bundesrepublik in einer ganz überwiegend ernsthaften, weitgehend — was sehr verständlich ist — kritischen, aber überwiegend sachlich geführten Diskussion das Verständnis für die Arbeit der Institutionen und deren Beitrag für die Entwicklung der Weltwirtschaft vertieft werden.
Ausschreitungen von kleinen militanten Gruppen, die wir in Berlin erlebt haben, haben das positive Bild der Stadt nicht ernsthaft getrübt. Sie haben die Gastfreundschaft der Berliner, die viele als eindrucksvoll erlebt haben, nicht ernsthaft beeinträchtigen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Olms [GRÜNE]: Wo sind sie denn mit Berlinern zusammengekommen?)

Diejenigen, die mit Primitivformeln auf Verunglimpfung und Gewalt gesetzt haben, haben ihre Ziele letztlich nicht erreicht.

(Kittelmann [CDU/CSU]: So ist es!)

Berlin hat seinen Rang als kulturelle und wirtschaftliche Metropole, als Kongreßstadt von weltweiter Bedeutung eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Olms [GRÜNE]: Als Bunkerstadt!)




Bundesminister Dr. Stoltenberg
Wir haben für die Organisation des Kongresses und die gezeigte Gastfreundschaft vielfach eindrucksvoll Zustimmung und auch Dank erfahren. Berlin und die Bundesrepublik konnten als Gastgeber der Jahresversammlung so neue Freunde in aller Welt gewinnen. Ich möchte dem Senat und den Bürgern der Stadt Berlin auch hier im Namen der Bundesregierung ausdrücklich für ihren hervorragenden Beitrag danken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

In den Beratungen von Berlin sind Interessenunterschiede und Auffassungsunterschiede sichtbar und ausgetragen worden. Letztlich aber bestand Einvernehmen, daß wirtschaftliche Vernunft und soziale Verantwortung kein Widerspruch sind. Wir können anderen nur helfen, wenn wir die Leistungsfähigkeit unserer eigenen Volkswirtschaft sichern. Wir brauchen im internationalen Maßstab geordnete finanzielle und wirtschaftliche Beziehungen, wenn der Welthandel zum Nutzen aller weiter zunehmen soll. Es bedarf des Willens zu wirtschaftlichen Reformen, wenn Wachstum und bessere Lebensbedingungen in den Entwicklungsländern erreicht werden sollen. Der Grundkonsens in diesen Fragen reicht heute schon erheblich über unterschiedliche Interessenlagen und ideologische Positionen hinaus.
Das Wachstum hat sich in diesen Jahren in fast allen Ländern spürbar verbessert. Der Internationale Währungsfonds rechnet mit einem realen Zuwachs von 3,8 % nach 3,2 % im letzten Jahr. Die Bundesrepublik Deutschland wird mit etwa 3,5 % realem Wachstum dazu einen wesentlichen Beitrag leisten.

(Scharrenbroich [CDU/CSU]: Einen wichtigen Beitrag!)

Gleichzeitig expandiert der Welthandel mit einer Rate von rund 7,5 %. Die Tatsachen, daß es trotz verstärkten Wachstums kaum zu inflationären Verspannungen gekommen ist, daß die vorübergehend etwas höheren Zinsen inzwischen wieder zurückgehen, begründen auch für das kommende Jahr günstige Perspektiven. Allerdings gibt es latente Inflationsprobleme in einigen Ländern. Sie erfordern, wie wir diskutiert und gesagt haben, nachhaltige Aufmerksamkeit.
Mit zunehmendem Wachstum in den Industrieländern verbessern sich auch die Exportbedingungen für die Entwicklungsländer. Mit einer Zunahme der realen Inlandsnachfrage von 4,6 % im ersten Halbjahr 1988 hat die Bundesrepublik einen maßgeblichen Anteil an dieser Entwicklung. Unsere Importe aus Entwicklungsländern nahmen in den ersten sechs Monaten um mehr als 5 % und damit sogar überproportional zu.
Vor allem durch die weltweite Belebung bei den Investitionen werden in zunehmendem Umfang bessere Bedingungen und auch neue Arbeitsplätze bereitgestellt. Der Prozeß der strukturellen Anpassung an veränderte weltwirtschaftliche Bedingungen geht so schneller voran. Dabei ist auch klar gesagt worden, daß für die meisten Industrieländer — vor allem Westeuropas — und auch für uns die nach wie vor zu hohe Arbeitslosigkeit eine große Herausforderung bleibt.
Weiterhin bestehen erhebliche Ungleichgewichte im internationalen Güteraustausch. Aber der Prozeß der Anpassung setzt sich auch in diesem Bereich fort. In den Vereinigten Staaten stiegen die realen Exporte mit einem Zuwachs von fast 30 % rund fünfmal so schnell wie die Importe. So verringern sich langsam auch die realen Handelsüberschüsse in Japan und in der Bundesrepublik. Die stärkere Ausrichtung der Wirtschafts- und Finanzpolitik am gemeinsamen Ziel ausgeglichener Handelsbeziehungen, die wir vor knapp zwei Jahren in der sogenannten Louvre-Erklärung der Finanzminister und Notenbankpräsidenten, aber natürlich vor allem auch in den Beratungen der Wirtschafts- und Handelsminister vereinbart haben, hat ihre Wirksamkeit durchaus unter Beweis gestellt.
Angesichts der zunehmenden Globalisierung der Finanzmärkte und der voranschreitenden, von der Bundesregierung nachhaltig geförderten Liberalisierung des internationalen Kapitalverkehrs gibt es zur wirksamen Zusammenarbeit der finanz- und währungspolitischen Institutionen keine ernsthafte Alternative. Erratische, spekulative Wechselkursausschläge können den internationalen Wettbewerb verfälschen — das ist eine Lehre spätestens seit 1982 —, und sie können so zur Ursache gefährlicher Ungleichgewichte werden und das internationale Wachstum gefährden.
Insofern ist es ein Fortschritt, daß wir in den letzten zwei Jahren sowohl eine zu weit gehende Abwertung als auch einen zu starken Wiederanstieg des amerikanischen Dollars verhindern konnten. Daß wir einen Beitrag dazu geleistet haben, dies zu verhindern, ist wohl richtiger und vorsichtiger formuliert. Auf Dauer werden wir stabilere Wechselkurse natürlich nur durch mehr Übereinstimmung in den zugrunde liegenden Politiken, der Wirtschaftspolitik, der Finanzpolitik, der Währungspolitik der Notenbanken, erreichen. Diese pragmatische Zusammenarbeit in der Finanz- und Währungspolitik wollen wir weiter fördern.
Der erwähnte allmähliche Abbau der überhöhten Export- und Importüberschüsse, der allerdings noch in einem frühen Stadium ist, hat dazu beigetragen, Gefahren des Protektionismus zu verringern. Für das Wachstum der Weltwirtschaft wie auch für die Lösung der schwierigen internationalen Schuldenprobleme ist dies von großer Bedeutung. Die Industrieländer müssen ihre Märkte für die Erzeugnisse aus den Entwicklungsländern noch weiter öffnen. Nur so können diese Staaten jene Erträge erwirtschaften, die sie für die Finanzierung ihrer Investitionen und auch für die Beherrschbarkeit ihrer Schuldendienstverpflichtungen brauchen. Die Teilnehmer der Jahrestagung in Berlin waren sich deshalb darin einig, daß die bevorstehende Halbzeitkonferenz der internationalen Handelsverhandlungen im GATT für wirkliche Fortschritte genutzt werden muß.
Wir haben klar gesagt, daß wir mit der Schaffung des Europäischen Binnenmarkts auch die Außengrenzen der Gemeinschaft weiter öffnen wollen. Verstärkter Wettbewerb innerhalb Europas wird darüber hinaus dazu beitragen, strukturelle Wachstumshindernisse abzubauen. Damit kann Europa einen weiter



Bundesminister Dr. Stoltenberg
verstärkten Beitrag zur weltwirtschaftlichen Entwicklung leisten.
In den Vereinigten Staaten erwarten wir — eigentlich alle, Industrie- und Entwicklungsländer — , daß die neue Regierung und der neue Kongreß nach den Wahlen konsequente, weiterreichende Entscheidungen für die Verringerung des Haushaltsdefizits schnell treffen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nur so kann die Gefahr eines Zinsauftriebs vermieden werden, nur so kann der Kurs des Abbaus der Ungleichgewichte in der Handels- und Leistungsbilanz schließlich zum vollen Erfolg führen, nur so sind zusätzliche Mittel für die Finanzierung produktiver Investitionen zu gewinnen.
Auch die nachwachsenden dynamischen Industrieländer in Südostasien müssen durch den Abbau von Handelshemmnissen und eine stärkere Anpassung ihrer Wechselkurse mehr weltwirtschaftliche Verantwortung übernehmen. Sie müssen dazu beitragen, die internationalen Zahlungsbilanzungleichgewichte zu verringern.
Meine Damen und Herren, die Anstrengungen der letzten Jahre — verstärktes Wachstum in den Industrieländern und gestiegene Rohstoffpreise, mti Ausnahme der Sonderbewegung beim Öl — haben die Voraussetzungen für die Bewältigung der schwierigen Verschuldungsprobleme vieler Entwicklungs-
und Schwellenländer insgesamt ein Stück verbessert.
Viele von ihnen konnten bemerkenswerte Exporterfolge erzielen. Das Verhältnis der Außenverschuldung zu den Exporterlösen bei den Entwicklungsländern hat sich nach schlechten Jahren etwas verbessert. Aber die Lage ist in den Gesamtzahlen und in der konkreten Situation vieler einzelner Staaten nach wie vor außerordentlich kritisch. Es geht nicht darum, hier ein geschöntes Bild zu zeichnen. Es sind weiterhin erhebliche Anstrengungen aller Beteiligten notwendig, wenn der Weg der Problemlösung zu konkreteren Ergebnissen führen soll, wenn die Stabilität der internationalen Handels- und Finanzbeziehungen gesichert werden soll.
Im Gegensatz zu manchen schrillen Stimmen in der öffentlichen Diskussion waren sich die Teilnehmer der Tagung in Berlin darüber einig, daß sich das Grundkonzept der Schuldenstrategie der letzten Jahre, vor allem was den Beitrag von Währungsfonds und Weltbank anbetrifft, im Kern bewährt hat. In den neuen Vorstellungen und Forderungen gibt es, wie gesagt, erhebliche Unterschiede. Wir sind auch der Meinung, daß in die bisherigen Lösungsansätze neue Elemente und Möglichkeiten einbezogen werden müssen. Mit der Forderung nach einem golbalen Schuldenerlaß wäre allerdings niemandem geholfen. Es ist von großer Bedeutung, daß in Berlin vor allem auch die Schwellen- und Entwicklungsländer dies zurückgewiesen haben, weil sie wissen, daß es um ihre eigene Kreditfähigkeit und die Möglichkeit geht, ihren Handel zu finanzieren, weil sie wissen, daß es in ihrem Interesse liegt, attraktiv zu sein für den Zufluß von Kapital und auch für einen Beitrag des Auslands
zu ihren Investitionen. Dauerhafte und erfolgversprechende Zusammenarbeit erfordert vielmehr, daß wir den Schuldnerländern helfen, ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten stärker und besser zu entfalten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nur so können dort die Lebensbedingungen für alle Gruppen der Bevölkerung spürbar verbessert werden.
Entsprechend der jeweils sehr unterschiedlichen Lage der einzelnen Länder sollten die Gläubiger die Möglichkeiten einer Anpassung der Schuldendienstverpflichtungen an die wirtschaftliche Situation der einzelnen Länder ernsthaft prüfen. Sie sollten eine Fortsetzung der Finanzierung ertragbringender Investitionen gewährleisten. Zugleich aber müssen die Entwicklungs- und Schwellenländer durch glaubhafte, überzeugende Reformanstrengungen die Grundlagen für wirksame internationale Unterstützung schaffen bzw. dauerhaft sichern. Die Vereinbarung von Anpassungsprogrammen im Zusammenhang mit der Finanzierung durch den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank wird deshalb auch in Zukunft unverzichtbar bleiben. Anpassungsprogramme, die vereinbart werden, sind nicht ein Diktat zum Nachteil der Bevölkerung der betroffenen Länder, sondern eine Voraussetzung dafür, daß durch Zusammenarbeit Fortschritte erzielt werden können. Das ist, wie ich glaube, die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Allerdings muß man bei der Ausgestaltung der Programme — auch das wurde in Berlin deutlich gesagt und diskutiert — neue Akzente setzen, und sicher wird man in einer Reihe von Ländern die Belange der ärmsten Bevölkerungsgruppen noch stärker berücksichtigen müssen. So soll die Weltbank bei der Beratung der Regierungen ihrer Mitgliedsländer künftig darauf hinwirken, daß bei der Durchführung der notwendigen wirtschaftlichen Reformen die ärmsten Bevölkerungsschichten möglichst vor besonderen Härten geschützt bleiben. Die Bekämpfung der Armut bleibt so eine zentrale Aufgabe der Weltbank.
Öffentliche und private Kreditgeber müssen auch in Zukunft ihre gemeinsame Verantwortung tragen. Nach einer Untersuchung der OECD ist der Anteil der öffentlich finanzierten Mittel am gesamten Nettokapitalzufluß in Entwicklungsländer von rund einem Drittel 1980 auf inzwischen über zwei Drittel angestiegen. In der Bundesrepublik haben die öffentlichen Haushalte, insbesondere durch die großzügige Gestaltung der steuerlichen Wertberichtigungsspielräume bei Krediten von Banken an Problemländer und auch durch die ansteigenden hohen Zahlungen in Gewährleistungsfällen, übrigens erhebliche Vorleistungen dafür gebracht, daß auch private Kreditinstitute weiter aktiv an diesem Prozeß mitwirken können, was im Kern unverzichtbar ist. Die Tatsache, daß die internationale Gemeinschaft in letzter Zeit die Hilfe für die Entwicklungsländer auf vielfältige Weise verstärkt hat, wurde in Berlin grundsätzlich von allen anerkannt, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität und zum Teil mit der nachhaltigen Forderung nach neuen weiterreichenden Maßnahmen.



Bundesminister Dr. Stoltenberg
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Erhöhung der Mittel der Weltbank, der Internationalen Entwicklungsorganisation — IDA — und auch der Afrikanischen Entwicklungsbank sowie des Afrikanischen Entwicklungsfonds. Zu nennen sind weiter die Sonderprogramme der Weltbank für hochverschuldete Länder mit niedrigen Einkommen in Afrika, die u. a. Kofinanzierungen von Geberländern mit der Weltbank von gut 6 Milliarden Dollar vorsehen.

(V o r sitz : Vizepräsident Frau Renger)

Auch der Internationale Währungsfonds hat neue Hilfsmöglichkeiten geschaffen. So wird er Strukturreformen vor allem in den ärmsten Ländern Afrikas durch die sogenannte erweiterte Strukturanpassungsfazilität unterstützen. Diese sieht Kredite mit einem nur noch symbolischen Zins und langen Laufzeiten vor.
Darüber hinaus hat der Internationale Währungsfonds im August einen neuen Kreditfonds geschaffen, mit dem er reformwillige Entwicklungsländer unterstützen kann, deren Pläne durch unerwartete Entwicklungen, z. B. einen plötzlichen Einbruch bei den Rohstoffpreisen oder durch plötzlich verteuerte Einfuhren, gefährdet werden. Es gibt in den letzten Jahren solche Beispiele dafür bis hin zu Naturkatastrophen, wenn wir jetzt etwa an die Zuspitzung der Lage in der Karibik, in Jamaika, denken.
In Berlin wurde ferner vereinbart, durch den sogenannten erweiterten Zugang die ausgeweiteten Kreditvergabemöglichkeiten in den nächsten Jahren offenzuhalten.
Breite Unterstützung fand auch die von der Bundesregierung nachhaltig mitgetragene Initiative, die Eigenmittel des Währungsfonds spürbar zu erhöhen. Im Internationalen Währungsfonds soll bis zum Frühjahr 1989 über Umfang und Modalitäten der Mittelerhöhung Einvernehmen erreicht werden. Ich hoffe, daß sich die Vereinigten Staaten von Amerika nach den Wahlen in der Lage sehen, einen entsprechenden Beschluß aktiv mitzufassen.
In der Internationalen Entwicklungsorganisation, die ihre Mittel nahezu zinslos und mit sehr langen Laufzeiten an ärmste Länder vergibt, wurde in Berlin die Verhandlung über eine neue Tranche, eine neue Mittelbereitstellung, in die Wege geleitet. Auch das, meine Damen und Herren, ist ein wichtiger Schritt.
Schließlich haben sich die Gläubigerländer des Pariser Clubs in Berlin auf konkrete Schritte verständigt, um entsprechend den Absprachen vom Wirtschaftsgipfel in Toronto zusätzliche Schuldenerleichterungen für die ärmsten Länder zu verwirklichen, die sich bereit erklärt haben, konkrete Reformprogramme durchzuführen. Entsprechend der jeweiligen Lage sollen diese Erleichterungen in Form von niedrigen Zinsen, längeren Rückzahlungsfristen oder einem teilweisen Schuldenerlaß gewährt werden.
Der Zusammenhang zwischen internationaler Entwicklungshilfe und weltweiten Umweltschutz war in Berlin ein bedeutsames Thema. Dazu hat die Initiative des Bundeskanzlers von Toronto erheblich beigetragen. Vor allem hat die Weltbank den Auftrag erhalten, den Umweltschutz verstärkt in ihre Entwicklungsstrategie einzubeziehen und die Umweltverträglichkeit
zu einer der Voraussetzungen bei der Finanzierung von Projekten und Entwicklungsprogrammen zu machen.
Wir tragen zu den verstärkten Hilfsangeboten an die Länder der Dritten Welt in großem Umfang bei. Damit wird auch das Gewicht der Bundesrepublik Deutschland in der internationalen finanziellen und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit verstärkt. Wir sind einer der größten Kapitalgeber von Währungsfonds und Weltbank. Bei der Refinanzierung ihrer Anleihen bedient sich die Weltbank des deutschen Kapitalmarktes zu rund 15 %.
In Berlin haben wir darüber hinaus bekräftigt, daß wir zur erweiterten Strukturanpassungsfazilität, die ich eben erwähnt habe, in zweifacher Weise beitragen: durch einen bundesverbürgten Kredit der Kreditanstalt für Wiederaufbau wie auch durch Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt für die Reduzierung der Zinsbelastungen.
Wir haben auch im Vergleich zu anderen Ländern in den letzten Jahren durch Schuldenerlaß für die ärmsten Länder überdurchschnittlich zur Verbesserung der Bedingungen in den von Not und Armut bedrohten Regionen beigetragen. Sie wissen, daß wir im Juni beschlossen haben, den Schuldenerlaß auf rund 8 Milliarden DM zu erweitern. Wir werden uns an den jetzt vereinbarten weiteren Schuldenerleichterungen des Pariser Clubs für die besonders armen und anpassungsbereiten Länder durch Maßnahmen zur Reduzierung ihrer Zinslast auch aus den verbürgten Handelskrediten beteiligen.
Im Bereich der Schwellenländer haben sich die in einigen Fällen gestörten Beziehungen zwischen den Regierungen verschuldeter Staaten und den internationalen Finanzierungsinstituten zuletzt wieder verbessert. Es ist sehr wichtig, daß mehrere Länder, die auf Distanz gegangen sind, wieder kooperieren. Das gilt, wie Sie wissen, für Brasilien, um ein sehr bedeutendes Land zu nennen. Das gilt aber etwa auch für Peru. Peru ist ein Beispiel dafür, daß die Politik einer neuen Regierung und eines neuen Präsidenten, die zunächst einmal die Zusammenarbeit ablehnte, und zwar unter gewaltigem Beifall sogenannter progessiver Kräfte aus Europa, die ich hier nicht näher definieren will, das Land in eine ganz schwere Krise geführt hat.

(Dr. Penner [SPD]: Aber doch nicht deswegen!)

Unter dem Vorzeichen dieser schweren Krise — —

(Dr. Vogel [SPD]: Haben Sie schon einmal etwas von dem Leuchtenden Pfad gehört? Die waren doch schon in der Krise, Herr Kollege Stoltenberg!)

— Herr Kollege Vogel, es ist nicht zu bestreiten, daß dieses Land durch die Verweigerung der Zusammenarbeit eine dramatische Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Lage erfahren hat. Der Präsident hat eine neue Administration, eine neue Regierung berufen, die jetzt leider gezwungen ist, ohne Vereinbarung mit



Bundesminister Dr. Stoltenberg
Weltbank und Währungsfonds der Bevölkerung schwerste Lasten aufzuerlegen.

(Dr. Vogel [SPD]: Schieben Sie das nicht auf den Präsidenten!)

Das Positive daran ist, daß diese Administration sich jetzt wieder um Zusammenarbeit mit den Institutionen bemüht,

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

und wir wünschen ihr Erfolg dabei im Interesse ihres Landes und ihrer Bürger.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das Schwergewicht der Verschuldung der lateinamerikanischen Staaten liegt, wie Sie wissen, im kommerziellen Bereich. Ein Land wie Indien, die größte Demokratie des Erdballs, hat seine Finanzierung in den vergangenen Jahrzehnten ganz überwiegend auf öffentliche Mittel konzentriert und war in der privaten Verschuldung sehr vorsichtig. Die großen Länder Lateinamerikas haben sich fast nur privat verschuldet. Das Beispiel Indiens zeigt wohl, daß das auch keine Zwangsläufigkeit war. Sowohl Schuldnerländer als auch private Kreditgeber sollten hier ihr Verhalten verstärkt an längerfristigen Strategien orientieren. Wer als Kreditgeber in früheren Jahren Entwicklungschancen überschätzte, sollte jetzt das ingesamt gute wirtschaftliche Potential in den meisten dieser Staaten nicht unterschätzen. Aber auch die Schuldnerländer müssen durch nachhaltige Reformanstrengungen, durch verbesserte wirtschaftliche Rahmenbedingungen, vor allem auch durch vertrauensbildende Politik und verstärkte Anreize für die Rückkehr des gewaltigen Fluchtkapitals, das ihre eigenen Bürger ins Ausland gebracht haben, die Voraussetzung dafür schaffen, daß die Bedingungen verbessert werden.
Wir haben in Berlin die verschiedenen Ansätze für neue Regelungen im Verhältnis der privaten Gläubiger zu den Schuldnern diskutiert, auch mit Vertretern der Banken. Hier sind in letzter Zeit erfolgversprechende Instrumente entwickelt worden, um die bestehende Schuldenlast zu verringern und neues Investitionskapital zu mobilisieren. Entscheidend ist, daß in der Zusammenarbeit zwischen privaten Gläubigern und Schuldnern das Prinzip der Freiwilligkeit gewahrt bleibt. Darüber hinaus wären Vorschläge nicht akzeptabel, die direkt oder indirekt die Verlagerung der privaten Risiken des Kreditgewerbes auf die öffentlichen Hände propagieren.
Meine Damen und Herren, Zusammenarbeit schließt nicht aus — ich habe es bereits gesagt —, daß unterschiedliche Auffassungen und Interessen offen ausgetragen werden. Vor allem die Entwicklungsländer haben in Berlin ihre Sorgen eindeutig zum Ausdruck gebracht und eine umfangreiche Liste neuer Wünsche vorgetragen. Aber entscheidend ist, daß die Arbeit in den gemeinsamen Institutionen im Geist der Partnerschaft fortgesetzt und ausgebaut wird. Das ist in Berlin sichtbar geworden. An dem Willen hierzu gab es auf der Jahrestagung von Währungsfonds und Weltbank keinen Zweifel. Ich bin sicher, daß diese Botschaft von Berlin ihre bleibenden und positiven Wirkungen haben wird. Wir wollen weiter daran
mitarbeiten, daß sie auch zu konkreten Erfolgen führt, zu konkreten Fortschritten, vor allem im Blick auf jene Länder, die heute noch so hart bedrängt sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110002700
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.

Ingrid Matthäus-Maier (SPD):
Rede ID: ID1110002800
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Berliner Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank stand ganz im Zeichen der Schuldenkrise der Dritten Welt. Wer von dieser Jahrestagung einen Durchbruch bei der Lösung der Schuldenkrise erhofft hatte, ein Signal, der ist nach Abschluß der Tagung enttäuscht.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Nur Sie! — Feilcke [CDU/CSU]: Wer hat das denn erwartet?)

Tatsache ist: Die Berliner Tagung hat keine greifbaren politischen Fortschritte gebracht. Herr Bundesfinanzminister, auch heute morgen habe ich ein besonderes Engagement in Ihrer Rede für dieses brennende Problem, das zu lösen ist, weiß Gott nicht feststellen können.

(Beifall bei der SPD)

Für die Selbstzufriedenheit und Selbstgerechtigkeit dieser Bundesregierung gibt es wahrlich keinen Anlaß. Politische Impulse zur Überwindung der Schuldenkrise sind in Berlin von dieser Bundesregierung nicht ausgegangen. Schlimmer noch: Mir scheint, es fehlt der politische Wille, zu einer politischen Lösung über Technik hinaus zu gelangen. Sicherlich ist die Bundesregierung nicht der Hauptbremser in dieser Frage, als den sie manche Kritiker darstellen wollen.

(Feilcke [CDU/CSU]: Immerhin!)

Wer die Haltung der Bundesregierung etwa mit der der Amerikaner vergleicht, die sich noch nicht einmal zu einem Ja zu einer Kapitalerhöhung durchringen konnten, wird dies bestätigen. Wir müssen aber mit Bedauern feststellen: Die Bundesregierung ist in Berlin ihrer besonderen Verantwortung nicht gerecht geworden.

(Beifall bei der SPD)

Für diese besondere Verantwortung gibt es mindestens vier Gründe.
Grund Nr. 1: Die Tagung fand in Berlin statt. Da hätten wir zu Recht erwarten können, daß die deutsche Bundesregierung besondere Anstrengungen unternimmt, zu einer politischen Lösung der Schuldenkrise zu kommen.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Hat sie auch!)

Grund Nr. 2: Als größte Exportnation der Welt und führende Wirtschaftskraft Europas hat die Bundesrepublik eine besondere Mitverantwortung für die Weltwirtschaft und damit auch für die Lösung der Schuldenkrise.

(Dr. Vogel [SPD]: Sehr wahr!)




Frau Matthäus-Maier
Die besondere Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland ergibt sich drittens aus unserer geschichtlichen Erfahrung, meine Damen und Herren. Die aus dem Versailler Vertrag resultierende Schuldenlast des Deutschen Reiches nach dem Ersten Weltkrieg war eine der Ursachen dafür, daß die Weimarer Republik nie die Stabilität erlangte, die für das Überleben dieser jungen Demokratie so wichtig gewesen wäre. „Ein Werk ohne Edelmut, ohne Moral und ohne Verstand", so hat John Maynard Keynes, der große britische Ökonom, den Versailler Vertrag genannt. Als sich die Gläubigerländer der Weimarer Republik endlich 1932 in der Konferenz von Lausanne für eine erhebliche Reduzierung der deutschen Reparationsschulden entschieden, war Deutschland bereits auf dem Weg in die Nazidiktatur. Bei diesem historischen Vergleich darf man nicht vergessen, daß die Reparationsschuldendienstleistungen der Weimarer Republik niemals mehr als 10 bis 15 % des gesamten Exporterlöses ausmachten. Wir reden heute bei der Dritten Welt von Zahlen über 25, 30, 40, 50 %. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, durch das Londoner Schuldenabkommen von 1953, wurde durch Schuldenerlaß, Zinserleichterungen und durch Streckung von Tilgungszahlungen die Schuldenlast der Deutschen nachhaltig verringert.

(Dr. Vogel [SPD]: Darf man nicht vergessen!)

Die Gegner eines gezielten Schuldenerlasses für einzelne Länder der Dritten Welt behaupten immer wieder, Schuldenerlaß mache diese Länder kreditunwürdig. Auch Sie haben es heute morgen noch einmal gesagt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist auch so!)

Niemand kann aber bezweifeln, daß es 1953 genau umgekehrt war: Erst das großzügige Schuldenabkommen gab uns die Möglichkeit, wirtschaftlich und politisch wieder auf die Beine zu kommen und überhaupt erst einmal kreditwürdig zu werden.

(Beifall bei der SPD — Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Dieser geschichtliche Vergleich ist nur bedingt zulässig!)

— Geschichtliche Vergleiche sind immer nur bedingt zulässig, Sie haben völlig recht. Aber wir meinen, mit dieser geschichtlichen Erfahrung, die noch gar nicht lange her ist, hätte diese Bundesregierung in Berlin wuchern und eine politische Lösung des Problems in Angriff nehmen müssen.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: So wie Herr Herrhausen! — Feilcke [CDU/ CSU]: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich!)

Vierter Grund: Die vielfältigen Aktivitäten, Konferenzen, Reden und Protestveranstaltungen parallel zu der Konferenz, begonnen von der Sozialistischen Internationale bis zu zahlreichen kirchlichen und alternativen Gruppen, haben das Bewußtsein für die oft katastrophale Lage der Menschen in den Entwicklungsländern gestärkt und eine breite öffentliche Anteilnahme für ihre Not, die schlimmen Folgen der Schuldenkrise und auch die vielen negativen Folgen der Auflagen des IWF ausgelöst.
Diese vielfältigen, begrüßenswerten Aktivitäten sollten nicht aus den Schlagzeilen verdrängt werden durch gewalttätige Ereignisse, die in Berlin ebenfalls stattgefunden haben.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Und zu verurteilen sind!)

Hierzu stelle ich fest: Wir verurteilen — Herr Kittelmann, nicht so eilig — entschieden die Anwendung von Gewalt, auf welcher Seite und von wem auch immer in Berlin.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Wir verurteilen den Anschlag auf Staatssekretär Tietmeyer und die Angriffe auf unseren Kollegen Ingomar Hauchler.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Wir verurteilen aber ebenso die Einschränkung des Rechts auf freie Berichterstattung durch überzogene Polizeiaktionen.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Die erst noch nachgewiesen werden müssen!)

Daß sich nach einer Konferenz in Berlin der US-Kongreß mit der Behinderung von amerikanischen Journalisten durch Berliner Polizisten beschäftigt, ist beschämend und setzt unser freiheitliches System Verdächtigungen aus, die bei besonnener Polizeiführung nicht hätten entstehen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Die zuvor erwähnten Aktivitäten aber, die dieses breite Bewußtsein erzeugt haben, Herr Stoltenberg, gaben Ihnen die Chance, auf diesem breiten Bewußtsein aufzubauen. Ich war bei vielen IWF-Tagungen dabei, da wurde dies nur in Fachzirkeln diskutiert. Hier hätte man die breite Anteilnahme, die durch diese Aktivitäten erzeugt worden ist, nutzen können für ein besonderes Signal aus Berlin. Dieses Signal ist leider unterblieben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist falsch!)

Der nüchterne Befund ist: Auch nach Berlin ist ein Abbau der gigantischen Verschuldung der Dritten Welt nicht in Sicht. Die von dieser Verschuldung ausgehende unerträgliche Belastung für die Entwicklung vieler Länder des Südens nimmt nicht ab; die Gefahren für die Stabilität des internationalen Finanzsystems und der Weltwirtschaft bestehen leider unvermindert fort.
Die gesamte Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer stieg im vergangenen Jahr auf 1 200 Milliarden Dollar. Das ist eine 1 200 mit neun Nullen dran, in DM ungefähr zwei Billionen, und entspricht 39 % des gesamten Bruttosozialproduktes der Entwicklungsländer. Auch in diesem Jahr geht diese Verschuldung nicht zurück, sie steigt vielmehr noch weiter an.
Die Lage der Länder des Südens ist weiterhin bedrückend. 700 bis 800 Millionen Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze. Meine Damen und Herren, wenn wir von solchen globalen Zahlen sprechen, dann bitte ich, doch nicht zu vergessen, daß hinter



Frau Matthäus-Maier
diesen Millionen immer jeweils ein Kind steht, das verhungert, und eine Mutter, die keine Milch für ihre Kinder hat, oder ein Vater, der arbeitslos ist. Ich glaube, heute morgen fehlt mir ein bißchen die Anteilnahme und das Gefühl dafür, was sich an Not in der Dritten Welt wirklich abspielt.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

In dieser dramatischen Situation sind die Finanzbeziehungen zwischen Nord und Süd insgesamt zu einer Bremse geworden. Mittlerweile verwenden die Entwicklungsländer im Durchschnitt 25 To ihrer Exporterlöse für den Schuldendienst, einige Länder über 50 %. Der Kapitalstrom hat sich umgedreht.
Die Philosophie ist doch, daß Kapital vom Norden in den Süden fließen soll, um dort Entwicklungschancen zu geben. Tatsächlich ist es so: In den Jahren 1983 bis 1987 gab es insgesamt einen Nettokapitaltransfer. Meine Damen und Herren, das ist ein vornehmes Wort. Das heißt auf deutsch, es fließt seit Jahren immer mehr Geld von dem armen Süden in den reichen Norden, das ist wie bei einer Bluttransfusion vom Kranken zum Gesunden. Der Fluß sollte doch aber gerade vom Gesunden zum Kranken sein. Das lehnen wir ab.

(Beifall bei der SPD)

Auch die Bundesregierung ist an dieser unerträglichen Entwicklung mitbeteiligt. Inzwischen zahlen 19 Staaten der Dritten Welt mehr Zinsen und Tilgung aus Entwicklungshilfekrediten an den Bundeshaushalt zurück, als sie von uns Entwicklungshilfe erhalten. Dazu gehören auch so arme Länder wie Äthiopien und Afghanistan. Angesichts dieses Nettokapitalexports von Süd nach Nord ist der von der Bundesregierung ausgesprochene Forderungsverzicht für die ärmsten Länder, den wir ausdrücklich begrüßen, nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Wir Sozialdemokraten halten diese Situation für unerträglich. Für uns ist die internationale Schuldenkrise eine der größten ökonomischen, sozialen und moralischen Herausforderungen unserer Zeit.

(Beifall bei der SPD)

Sie ist ein Schlag gegen die Menschlichkeit. Sie verletzt unser Gefühl für Gerechtigkeit, sie gefährdet die politische Stabilität in diesen Regionen. Keiner weiß, wann in Ländern wie Brasilien oder Argentinien wieder Militärdiktaturen die Herrschaft übernehmen, wenn es dort nicht zu ökonomischer und politischer Stabilität kommt. Nicht zuletzt gefährdet die Schuldenkrise auch den Frieden in der ganzen Welt.
Sechs Jahre nach dem offenen Ausbruch der Schuldenkrise, damals in Toronto im Falle Mexiko, das vor dem Konkurs stand, ist offensichtlich, daß die bisherigen Lösungsversuche untauglich waren. Das Krisenmanagement der letzten Jahre war nur ein Spiel auf Zeit. Zwar wurde dadurch der Zusammenbruch des internationalen Finanzsystems verhindert — ich bitte, das nicht zu gering zu achten — , aber es ist nicht verhindert worden, daß der Schuldenberg immer weiter anwächst, von Minute zu Minute. — Zu Recht sprach der mexikanische Finanzminister in Berlin von einer verlorenen Dekade für die Dritte Welt.
Wir Sozialdemokraten haben zur Berliner Jahresversammlung den heute zur Debatte stehenden Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht. Wir wissen, daß eine Jahresversammlung von IWF und Weltbank nur begrenzt handlungsfähig ist, wenn die USA der größte Kapitalgeber, unmittelbar vor Präsidentschaftswahlen stehen und bis heute nicht bereit sind, ihr großes Doppeldefizit abzubauen, womit leider auf der ganzen Welt Kapital angesaugt wird, Kapital, das wir in der Dritten Welt dringend zur Bekämpfung der Not und auch bei uns zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit brauchten.

(Beifall bei der SPD)

Die Kernelemente unseres Konzeptes aber, die auch in Berlin hätten aufgegriffen werden können, sind erstens Verringerung der Schuldenlast — eine echte Verringerung; nicht immer hinten dranhängen, so daß der Berg steigt — , zweitens Einleitung und Förderung eines sich selbst tragenden Entwicklungsprozesses in den Schuldnerländern und drittens Öffnung der Märkte der Gläubigerländer für Exporte aus den Entwicklungsländern und Stabilisierung der weltwirtschaftlichen Entwicklung.
Zum ersten Punkt stelle ich fest: Ohne eine nachhaltige Verringerung der Schuldenlast der Dritten Welt ist eine durchgreifende Lösung der Schuldenkrise nicht denkbar. Dabei ist uns klar, daß es generelle und undifferenzierte Lösungen wie einen globalen Schuldenerlaß nicht geben kann. Weil ich weiß, daß viele junge Leute und gerade auch idealistisch gesinnte junge Leute meinen, daß wir mit einem globalen Schuldenerlaß die Probleme lösen könnten, möchte ich das an zwei Beispielen aufzeigen.
Es gibt Schuldnerländer, die ökonomisch stark genug wären — Brasilien ist nur ein Beispiel von mehreren — , ihre Probleme aus eigener Kraft zu lösen. Die Schwierigkeiten resultieren aber daraus, daß es steinreiche Oberschichten gibt, die dem Wirtschaftskreislauf in diesen Ländern in gigantischem Maße Kapital entziehen. Solange diese Länder nicht durch innere Reformen die Voraussetzungen dafür schaffen, daß das Kapital im Lande bleibt und dort produktiv eingesetzt wird, solange es dort nicht zum Aufbau einer funktionierenden Landwirtschaft kommt — und das bedeutet: dringend eine Landreform — , so lange würden allgemeine Schuldenstreichungen und erneute Zuführung von Geld nur zu neuer Kapitalflucht führen, aber nicht die Probleme lösen.

(Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Solange die die Marktwirtschaft nicht einführen!)

— Nein. Sie sprechen hier allgemein, undifferenziert von Marktwirtschaft. Es kann gerade nicht sein, daß wir versuchen, das, was bei uns funktioniert, dem Rest der Welt mit ganz anderen Lebensbedingungen und ganz anderen Problemen aufzuoktroyieren.

(Beifall bei der SPD)

Ein anderes Beispiel: Argentinien global die Schulden zu erlassen, in denen etwa 5 Milliarden DM für die Kosten des Falklandkrieges stecken, kann ich dem deutschen Steuerzahler nicht erklären, auch wenn ich natürlich weiß, daß nicht die gegenwärtige Regie-



Frau Matthäus-Maier
rung, sondern die Militärdiktatur aus der Zeit davor dafür verantwortlich ist.

(Volmer [GRÜNE]: Und das Volk soll heute für die Militärs von gestern zahlen!)

— Nein. Das heißt aber, daß globale, undifferenzierte Schuldenstreichungen — weg mit einem Strich — die Lösung in der Tat nicht bringen.

(Volmer [GRÜNE]: Das behaupten wir auch gar nicht!)

Ich habe ausdrücklich von Teilschuldenerlaß gesprochen. Sie wissen ganz genau, daß das immer wieder gefordert wird; vielleicht nicht von Ihnen.

(Volmer [GRÜNE]: Doch, wir fordern es, aber nicht so!)

— Dann regen Sie sich doch nicht auf, wenn ich gerade mit Ihnen darüber diskutiere.
Um allgemeine Grundsätze für alle Beteiligten verbindlich festzumachen und zu vereinbaren, fordern wir die Einberufung einer internationalen Schuldenkonferenz — nicht, damit dort von Fall zu Fall entschieden wird, wem was gestrichen wird.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Das wird doch eine Schauveranstaltung, keine Hilfe! — Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Nichts als Aktionismus!)

Wir wollen, daß auf dieser Schuldenkonferenz, an der alle zu beteiligen sind, Schuldnerländer, Gläubigerländer, Banken, IWF und Weltbank, allgemein verbindliche Regelungen — jetzt hören Sie gut zu! — für ein internationales Vergleichsverfahren entwickelt werden.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Wenn es denn so sein sollte — wie der Herr Bundesfinanzminister immer wieder behauptet — , daß Schuldenerlaß grundsätzlich zu Kreditunwürdigkeit führt, dann frage ich mich, Herr Stoltenberg,

(Dr. Vogel [SPD]: Warum die AEG so kreditwürdig ist!)

warum es im deutschen Recht das sogenannte Vergleichsverfahren zur Abwendung des Konkurses gibt.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Wie das Beispiel AEG eindrucksvoll belegt, Herr Vogel, hat erst der Vergleich mit all seinen Folgen
— z. B. auch dem Forderungsverzicht der Gläubiger — der AEG die Chance eröffnet, wieder auf die Beine zu kommen und erfolgreich zu bestehen, während die Firma ohne einen solchen Vergleich, d. h. ohne Forderungsverzichte, mit Sicherheit in den Konkurs hineingeschlittert wäre. Ich frage: Warum soll international eine Art Vergleichsverfahren für ganze Länder des Teufels sein, wenn es national im Unternehmensbereich funktioniert?

(Beifall bei der SPD)

Staatliche Forderungsverzichte reichen aber nicht aus. Wir müssen auch von den privaten Banken sprechen. Der Bundeskanzler hat in Berlin vor den Delegierten zur Schuldenkrise wörtlich erklärt:
Da es hier zuallererst um die Zusammenarbeit zwischen den Banken und den betroffenen Ländern geht, kann es nicht meine Aufgabe sein, konkrete Empfehlungen hierzu zu geben.
— So der Bundeskanzler. — Der Bundeskanzler irrt: Das Steuerrecht läßt großzügige Wertberichtigungen und Abschreibungen für notleidende Kredite zu. Das ist gut so. Es hat den deutschen Kreditinstituten im Unterschied zu den amerikanischen die Chance gegeben, Wertberichtigungen vorzunehmen. Aber vergessen wir doch nicht: Der Deutsche Steuerzahler zahlt bei jeder Wertberichtigung 56 % mit. In Milliardenhöhe haben wir mitbezahlt. Dann hat der Bundeskanzler nicht so zu tun, als sei das nicht auch das Bier dieses Staates.

(Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ CSU]: Das erste war richtig, das zweite war falsch!)

Wir erwarten von der Kreditwirtschaft, daß auch die Entwicklungsländer aus der Tatsache einen Nutzen ziehen, daß die Banken Wertberichtigungen auf Kredite an die Dritte Welt zu Lasten der öffentlichen Haushalte vorgenommen haben.
Deshalb begrüße ich es sehr, daß sich der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, in Berlin für Schuldenerleichterungen auch durch die privaten Banken eingesetzt hat, auch für partielle Schuldenerlasse.

(Beifall bei der SPD)

Es ist schon ein seltsamer Verzicht auf politisches Gestalten, daß nicht von der deutschen Bundesregierung, sondern von dem Chef der größten deutschen Bank das entscheidende politische Signal in Berlin ausgesendet wurde.

(Beifall bei der SPD)

Wir hoffen, daß sich die Kollegen von Herrn Herrhausen dieser Erkenntnis nicht länger verschließen.
Um die Schuldenkrise der Dritten Welt zu überwinden, ist eine große und großzügige internationale Kraftanstrengung erforderlich. Wenn Helmut Schmidt in der „Zeit" von einem „Marshallplan" der Industriestaaten schreibt, so hat er dafür die treffende Bezeichnung gewählt und die Folgerungen im Detail beschrieben. Wir unterstützen ausdrücklich die Forderung des Altbundeskanzlers nach einem solchen Marshallplan für die Dritte Welt.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme zum zweiten Kernelement unserer Forderungen, nämlich zum Beitrag der Entwicklungsländer. Entscheidend ist, daß es dort zu einem sich selbst tragenden Entwicklungsprozeß kommt. Dazu müssen auch die Entwicklungsländer selber Anpassungsprozesse leisten. Notwendig sind grundlegende wirtschaftliche, soziale und politische Reformen, die Stärkung der Kaufkraft der breiten Massen, die Beendigung von Vetternwirtschaft, Korruption und verschwenderischem Luxus verantwortungsloser Führungsschichten, die Vermeidung unproduktiver Prestigeobjekte und die Eindämmung der Kapitalflucht. Politische und ökonomische Stabilität in den Entwicklungsländern sind die entscheidende Voraussetzung für die Vermeidung von Kapitalflucht und für die



Frau Matthäus-Maier
Rückkehr des Fluchtkapitals. Dazu kann auch eine Amnestie für Kapitalflüchtige gehören.
Übrigens auch die Begrenzung des Bevölkerungszuwachses muß in die notwendige Gesamtstrategie der Entwicklungsländer einbezogen werden. Ich weiß, wir diskutieren das streitig auch unter uns selber. Denn es ist natürlich richtig: Wenn die Reformen da sind und wenn die soziale Stabilität da ist, werden die Menschen automatisch weniger Kinder bekommen, weil sie wissen, sie bekommen eine Alterssicherung. Umgekehrt steht aber auch fest: Solange der Zuwachs der Bevölkerung von Jahr zu Jahr größer ist als der Zuwachs des Bruttosozialproduktes, als der Zuwachs des Einkommens, werden wir die Probleme nicht in den Griff bekommen.

(Beifall bei der SPD)

Notwendig ist schließlich eine militärische Abrüstung. An der Aufrüstung in der Dritten Welt sind die reichen Länder nicht unschuldig.

(Dr. Vogel [SPD]: Als Exporteure!) — Als Exporteure.

Herr Stoltenberg, ich war etwas enttäuscht über das, was Sie zu Peru gesagt haben. Wenn ich berücksichtige, daß Peru eines der wenigen Länder ist, das als erste Tat durch den neuen Präsidenten Garcia die Streichung der Bestellung von 21 Mirage-Düsenjägern beschlossen hat mit all den Folgen, dann finde ich, hätte man so etwas honorieren müssen und nicht boykottieren dürfen.

(Beifall bei der SPD)

In diesen Zusammenhang gehört unser Programm mit dem Namen „Zukunftsprogramm für die Dritte Welt". Weltweit wird ungefähr eine Billion Dollar für die Rüstung ausgegeben, also fast soviel, wie die ganze Verschuldung der Dritten Welt beträgt. Man stelle sich vor: Ein Jahr lang keine Rüstung, und wir hätten die gesamte Verschuldung abgebaut. Natürlich geht das technisch so nicht; ich sage das, um nur einmal die Größenordnungen klarzumachen.
Wir fordern, daß die Industrieländer auf einen Teil ihrer Rüstung verzichten und die Mittel in diesen internationalen Fonds einbringen.

(Beifall bei der SPD)

Für die Bundesrepublik heißt das konkret: Erstens. In unserem Verteidigungshaushalt muß 1 Milliarde für das Zukunftsprogramm Dritte Welt freigemacht werden. Zweitens. CDU/CSU und FDP sollten schnellstmöglich den SPD-Antrag zur Begrenzung der Rüstungsexporte annehmen. Es ist nämlich scheinheilig, die Rüstungsimporte der Dritten Welt zu kritisieren, wenn wir selber mit die Hauptexporteure sind.

(Beifall bei der SPD)

Drittens müssen auch die Rüstungsausgaben in die Konditionalität des IWF einbezogen werden.

(Beifall bei der SPD)

Es kann nicht sein, daß der IWF vorschreibt: Subventionen für Nahrungsmittel weg, Subventionen für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse herunter, den öffentlichen Dienst zurückführen, Senkung der
Löhne, daß man aber zu feige ist, sich an die Aufrüstung in diesen Ländern heranzumachen.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme zu dem dritten Kernelement, zu dem notwendigen Anpassungsprozeß, den wir in den Industrieländern leisten müssen. IWF und Weltbank müssen in der Zukunft die Industrieländer — lassen Sie es mich so salopp sagen — mehr an die Kandare nehmen. Es kann nicht sein, daß wir weiter unsere Grenzen schließen. Und der Protektionismus nimmt zu!

(Zustimmung bei der SPD und der CDU/ CSU)

Es kann nicht sein, daß wir in der Europäischen Gemeinschaft jährlich mit 16 Milliarden DM Exportsubventionen die Weltmärkte mit der Überschußproduktion der europäischen Agrarindustrie überschwemmen und daß der IWF dagegen nichts ausrichten kann. Es kann nicht sein, daß die Auflagen immer nur an die Schuldnerländer gehen. Es wird diese Auflagen — in welcher Form auch immer; das wird nicht in der bisher bekannten Form der Auflagen geschehen — auch gegenüber den Industrieländern geben müssen.
Insbesondere der Wahnsinn der EG-Agrarexportsubventionen, der uns ja übrigens Geld — z. B. für die Bekämpfung der Umweltnot und der Arbeitslosigkeit — entzieht, muß beendet werden. Herr Stoltenberg, auf dieser Berliner Tagung hätte die Europäische Gemeinschaft einen konkreten Vorschlag zum Abbau dieses Wahnsinns machen müssen.

(Beifall bei der SPD — Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Was sie zum Milchmarkt gemacht hat, und zwar sehr konkret!)

Wie stets in den vergangenen Jahren ist die Bundesregierung jetzt auch in Berlin in der gemeinsamen Erklärung der sieben großen westlichen Industrieländer aufgefordert worden, die Binnennachfrage zu stärken. Wir müssen das tun, wenn wir gleichzeitig von den USA erwarten, daß sie ihre Defizite herunterfahren, und wenn wir von Japan die Öffnung der Märkte verlangen. Leider scheint mir Ihre bisherige Politik, auch die beim neuen Bundeshaushalt, in die falsche Richtung zu gehen. Wenn Sie bei der sogenannten großen Steuerreform jemandem mit 350 000 DM Jahresgehalt 17 000 DM Steuersenkung geben, den kleinen Leuten aber nur wenige hundert Mark, trägt das sicher nicht zur Stärkung der Binnennachfrage bei. Es hätte genau umgekehrt sein müssen!

(Beifall bei der SPD)

Ich fasse zusammen: Berlin hat keine durchgreifenden Fortschritte bei der Überwindung der Schuldenkrise der Dritten Welt gebracht. Die historische Chance, daß der Welt von deutschem Boden aus ein Entwarnungssignal gegeben wird, wurde nicht genutzt. Die Zeitbombe der internationalen Schuldenkrise tickt weiter, und die Bundesregierung ist daran nicht unschuldig. Sie hat sich in Berlin ihrer Mitverantwortung für die Weltwirtschaft entzogen. Wir fordern die Bundesregierung auf: Geben Sie endlich Ihre Verweigerungshaltung auf, unternehmen Sie wirk-



Frau Matthäus-Maier
same Schritte zur Überwindung der Schuldenkrise! Unser Antrag weist dafür einen Weg.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110002900
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID1110003000
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Beifall der SPD-Fraktion für eine Nicht-Quoten-Frau war bemerkenswert und eindrucksvoll.

(Zustimmung bei der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Sie Quotenmensch, Sie! — Weiterer Zuruf von der SPD: Peinlich!)

— Verehrter Herr Vogel — —

(Dr. Vogel [SPD]: Haben Sie einen Quotenfimmel?)

— Nein, den haben Sie, wir nicht!

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben 33 1/3 % Frauen im FDP-Präsidium ohne Quoten. Stellen Sie sich das einmal vor. Das hätten Sie machen sollen und nicht diesen Weg gehen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn der Vergleich nicht so uncharmant wäre, würde ich sagen: Neue Besen kehren gut.

(Dr. Vogel [SPD]: Was sind Sie für ein Besen? — Weitere Zurufe)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110003100
Die Zeit ist heute sehr knapp. Könnten Sie fortfahren?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID1110003200
In Teilbereichen, Frau Matthäus-Maier, sind wir mit Ihnen durchaus einer Meinung. Das wissen Sie. Aber es ist auch sehr eindeutig und aus Ihrer Rede klar geworden, daß mit gutem Willen allein praktische Antworten, die zur Lösung dieses Problems beitragen, nur sehr schwer gefunden werden können. Natürlich hat sich das auch in Berlin gezeigt.
Berlin — das war wohl das Urteil der Teilnehmer — war diese Reise wert. Berlin hat die Chance, die diese Tagung bot, zu seinem eigenen Vorteil genutzt. Jedenfalls alle meine Gesprächspartner haben die großartige Organisationsleistung des Berliner Senats bestätigt. Die Krawalle auf der Straße haben das Gesicht dieser Tagung nicht geprägt. Die Art und Weise, in der die Stadt mit den Problemen fertiggeworden ist, verdient in unseren Augen Anerkennung mit einer einzigen Ausnahme: der Behandlung der Journalisten. Ich finde den Hinweis im amerikanischen Kongreß auch nicht angenehm. Die Art und Weise zeigt, daß Berlin auf dem Weg zur Normalität ein gutes Stück vorangekommen ist.

(Lachen der Abg. Frau Olms [GRÜNE])

Wir meinen im übrigen, meine Damen und Herren, daß die reibungslose Zusammenarbeit mit der DDR hervorgehoben werden sollte. Der Grenzverkehr zwischen West und Ost und die Hotelunterbringung in
beiden Teilen der Stadt hat wie selbstverständlich funktioniert.

(Dr. Vogel [SPD]: Die Behandlung der Presse auch!)

— Darüber habe ich gerade gesprochen; nur haben Sie nicht zugehört, sondern gerade gelesen, Herr Vogel.

(Dr. Vogel [SPD]: Arrogantes Gefasel!)

— Dann lassen Sie doch die Zwischenrufe, wenn Sie nur partiell zuhören!

(Dr. Vogel [SPD]: Kommen Sie doch zur Sache!)

Erst durch internationale Kongresse wie diese Jahrestagung wird allerdings auch deutlich, was Berlin unwiederbringlich verloren hat. Die Stadt ist nicht mehr das politische Zentrum Deutschlands. Die Entscheidungen fallen in Bonn, sie fallen nicht in Berlin. Aber Berlin ist keine Stadt mehr wie jede andere. Seine geopolitische Lage hat jahrzehntelang die wirtschaftliche Entwicklung behindert. Allerdings nicht erst durch Gorbatschow, sondern bereits Ostpolitik und Entspannung haben den Druck, der in Zeiten des Kalten Krieges auf der Stadt lag, gemildert. Die Stadt
— ich bin in ihr aufgewachsen und bin ihr immer noch verbunden — hat es schwerer gehabt als jede andere im westlichen Teil Deutschlands. In einem entspannten weltpolitischen Klima hat Berlin vielleicht die Chance, zu einem neuen, einzigartigen Mittelpunkt im Ost-West-Spannungsverhältnis zu werden. Auch wenn man vor übertriebenen Erwartungen warnen soll: Perestroika bietet erstmals die wirkliche Aussicht, daß Berlin die Nachteile seiner spezifischen geographischen Situation überwinden und vielleicht sogar in Vorteile umwandeln kann.

(Zuruf von der SPD: Tagesordnung!)

— Das gehört alles dazu; das will ich Ihnen gleich sagen.
Alle osteuropäischen Wirtschaften leiden unter einem verheerenden Mangel an Know-how, moderner Technologie und industriellem Management. Kaum eine andere westliche Stadt hat im Bereich der wissenschaftlichen Forschung, der technologischen Entwicklung und Zusammenarbeit soviel vorzuweisen wie Berlin.

(Frau Olms [GRÜNE]: Ja, so viele Arbeitslose!)

— Nicht nur die Probleme im Verhältnis zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern, sondern auch die Ungleichgewichte im Ost-West-Handel und die Ost-West-Kreditbeziehungen waren ein Thema, das die Jahrestagung von IWF und Weltbank beschäftigt hat. Ohne eine engere wirtschaftliche Kooperation wird im übrigen auch der Osthandel, wie in den letzten Jahren, weiter an Bedeutung verlieren.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Berlin, meine Damen und Herren, ist die Stadt, in der die Deutsche Stiftung für Entwicklungshilfe, der Deutsche Entwicklungsdienst und andere Institutionen der Entwicklungshilfe ihren Sitz haben.



Dr. Graf Lambsdorff
Auch deshalb war es eine gute Entscheidung, die gemeinsame Jahrestagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds in Berlin durchzuführen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich stimme im Gegensatz zu dem, was Frau Matthäus-Maier gesagt hat, mit der Bundesregierung darin überein, daß diese Tagung ein Erfolg war. Sie hat dem weltweiten Dialog neue Impulse verliehen.

(Frau Olms [GRÜNE]: Wo denn?)

Noch nie war die grundsätzliche Übereinstimmung von Entwicklungs- und Industrieländern — auch wenn Sie, die berufsmäßigen Kritiker dieser Veranstaltung, das nicht gern hören — in den Fragen der Zusammenarbeit so groß wie in Berlin.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Maximalpositionen wie z. B. ein vollständiger Schuldenerlaß für alle Staaten der Dritten Welt stellen keinen Ausweg dar. Da sind wir einig. Ich verkenne nicht, daß solche Forderungen von einem hohen moralischen Anspruch getragen sein können. Aber es geht nicht nur darum, den Entwicklungsländern heute zu helfen. Viel wichtiger ist, ihnen auch für die Zukunft die Chance zur gleichberechtigten Teilnahme am internationalen Wirtschafts- und Finanzverkehr einzuräumen. Die Entwicklungsländer selbst sehen dies genauso — ganz im Gegensatz zu vielen von denen, die sich unberufen zum Anwalt der Dritten Welt erklärt haben.
Frau Matthäus-Maier, Ihr Hinweis auf das Londoner Schuldenabkommen hinkt, mit Verlaub gesagt, auf beiden Beinen. Die deutsche Delegation auf der Londoner Schuldenkonferenz ist seinerzeit bekanntlich von Herrn Abs geleitet worden. Damals ist nicht ein Schuldenerlaß, sondern eine Schuldenregelung erreicht worden. Herr Abs ist heute derjenigen, der laut und deutlich verkündet: Schuldenerlaß für die Entwicklungsländer ruiniert ihre Kreditwürdigkeit.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Aber Herr Herrhausen!)

— Auf Herrn Herrhausen komme ich gleich zu sprechen. Das steht auch in meinem Manuskript; keine Sorge! — Meine Damen und Herren, die Londoner Schuldenkonferenz ist kein Vorbild für das, was hier vor sich geht. Derjenige, der sie seinerzeit für uns erreicht hat, hat sich gegen den Schuldenerlaß ausgesprochen. Die Lösung heißt: nur von Fall zu Fall, abgestellt auf Umstände und Möglichkeiten jedes einzelnen Entwicklungslandes. Das ist und bleibt weiterhin der einzige erfolgversprechende Ansatz.
Die internationale Diskussion ist jetzt endlich von der falschen Frage weggekommen, wann und wie die Entwicklungsländer ihre Schulden zurückzahlen werden. Diese Frage war immer falsch. Sie muß lauten: Wie können die Entwicklungsländer ihre Wirtschaft so in Ordnung bringen, daß die Gläubiger wieder das Gefühl haben, daß ihr Geld dort gut angelegt ist? Dann stellt sich die Frage einer Rückführung der Kredite nicht mehr. Ein guter Schuldner, der pünktlich Zinsen zahlt, wird auch neues Kapital zur Verfügung gestellt erhalten, und das ist wichtig in diesen Ländern.
Viele Entwicklungsländer sehen heute sehr wohl, daß nur eine Öffnung hin zu mehr wettbewerblichen Ansätzen und eine stärkere marktwirtschaftliche Ausrichtung ihrer Wirtschaftsstrukturen auf Dauer Erfolg versprechen. Niemand wird von den Entwicklungsländern eine lupenreine Marktwirtschaft verlangen. Was wir selbst nicht zuwege bringen, wird man auch nicht von anderen erwarten können, denen es wirtschaftlich weit schlechter geht.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Solange aber in den Entwicklungsländern staatlicher Dirigismus immer neue Investitionshemmnisse errichtet, solange die Voraussetzungen, die zu Kapitalflucht führen, nicht grundlegend beseitigt sind, solange ausländische Investoren kein Vertrauen in die Wirtschafts- und Finanzpolitik des Landes gewinnen, so lange wird der Teufelskreis von Armut und wirtschaftlicher Abhängigkeit nicht aufzubrechen sein.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn Sie vom Nettokapitalexport von Süd nach Nord sprechen — Ihr Hinweis auf die amerikanischen Doppeldefizite ist in dem Zusammenhang richtig —, muß hier auch das Wort „Kapitalflucht" genannt werden; denn das trägt zu diesen Kapitalexporten erheblich bei.
Meine Damen und Herren, es gibt Beispiele für erfolgreiche Entwicklungsländer, die ihre Wirtschaft in Ordnung gebracht und ihre Verschuldenssituation gebessert haben. Sie waren erfolgreich, gerade weil sie ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Freiheit und dezentralen Entscheidungsstrukturen verwirklicht haben.
In Berlin stand übrigens erstmals auch der Umweltschutz im Mittelpunkt der Diskussion zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern. Die natürlichen Lebensgrundlagen können nur noch im Rahmen weltweiter Zusammenarbeit aller Länder gesichert werden. Aber auch hier zeigt sich doch das Dilemma: Die wirtschaftliche Krisensituation in den Entwicklungsländern verhindert durchgreifende Verbesserungen bei umweltpolitischen Zielsetzungen. Jedes Land wird zunächst die Überwindung des Hungers und dann erst den Schutz der Umwelt als das dringlichste Problem betrachten. Solange der Raubbau an der Natur eine Voraussetzung ist, die den Menschen ihre bloße Existenz sichern hilft, hat der Umweltschutz keine Chance. Nirgendwo wird der Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Fortschritt und Umweltschutz so deutlich wie gerade in den Entwicklungsländern.
Meine Damen und Herren, wirtschaftliche Fortschritte in den Entwicklungsländern sind das gemeinsame Ziel von Weltbank und Währungsfonds. Beide haben aber unterschiedliche Aufgaben. Zusammenarbeit in Währungsfragen und Entwicklungshilfe sollten nicht miteinander vermengt werden. Die Ausgestaltung der Strukturanpassungshilfe des Fonds ist in dieser Hinsicht in meinen Augen nicht unbedenklich. Am Grundsatz der Konditionalität aller Währungskredite darf nicht gerüttelt werden. Wir wissen heute aber auch, daß dabei auf die Empfindlichkeiten der Empfängerländer und auf ihre sozialen und wirtschaftlichen Probleme gezielter und sensibler Rück-



Dr. Graf Lambsdorff
Sicht genommen werden muß, als das in der Vergangenheit geschehen ist.
Aber ich sage auch eines, Frau Matthäus: So wünschenswert es wäre, daß die unsinnigen Rüstungskäufe in diesen Ländern aufhören, so gefährlich wäre es für die Industrieländer in den Augen der Entwicklungsländer, einen Lieferboykott einzuführen und Lieferungsverweigerung vorzunehmen. Das würde als neue Form von Kolonialismus und Imperialismus angesehen.
Beide Institutionen, Weltbank und Währungsfonds, können ihre Aufgaben nur dann erfüllen, wenn ihnen die nötigen Mittel zur Verfügung stehen. Vor allem die Vereinigten Staaten müssen mehr und rascher ihre Zahlungsverpflichtungen erfüllen; Herr Stoltenberg hat das mit Recht erwähnt. Nicht nur die Entwicklungsländer, auch wir Europäer werden den neuen amerikanischen Präsidenten sehr eindringlich auf diese Verantwortung hinweisen; noch mehr allerdings den Kongreß, denn der Präsident sagt meistens zu, aber im Kongreß bekommt er das Geld nicht.
Nicht weniger, meine Damen und Herren, sind die privaten Banken in der Pflicht. Auch sie müssen sich mehr und vor allem mit mehr Phantasie in den Entwicklungsländern engagieren. Ich stimme in dieser Hinsicht Herrn Herrhausen ausdrücklich zu, nur, Frau Matthäus-Maier, wenn Sie einen Gegensatz zwischen Herrn Herrhausen und dem Bundeskanzler herstellen, dann liegt das neben der Sache. Herr Herrhausen hat ja nur die privaten Gläubiger angesprochen; nur sie kann er ansprechen. Der Bundeskanzler hingegen ist für die öffentlichen Gläubiger zuständig.

(Dr. Hauchler [SPD]: Politik hat der Wirtschaft Rahmenbedingungen zu setzen!)

Sie haben mit vollem Recht gesagt, daß die Bundesregierung hier eine Menge getan hat.
Die Erfahrungen mit der Umschuldung Mexikos waren nicht gerade ermutigend, meine Damen und Herren. Ich halte das — das ist eine kritische Bemerkung an die privaten Banken — für keine gute Entwicklung. Denn der Morgan-Guarantee-Plan enthielt — trotz aller Probleme im einzelnen — einen marktmäßigen Lösungsansatz für die Verschuldungsproblematik, der die Solidarität der Gläubiger nicht in Frage stellte. Wenn die Forderungen an die Entwicklungsländer mit hohen Abschlägen auf den internationalen Geldmärkten gehandelt werden, ist das Geld ohnehin schon weg. Dann braucht man sich darüber nicht mehr groß den Kopf zu zerbrechen, so betrüblich das für den einzelnen sein mag.
Vor allem aber — das ist angesprochen worden — die gravierenden steuerlichen Unterschiede bei der Bewertung von Entwicklungsrisiken stehen einem stärkeren Engagement der privaten Banken im Wege. Aus ihnen resultieren erhebliche Wettb ewerbsverzerrungen, die in weltweit verflochtenen internationalen Finanzmärkten auf Dauer so nicht bleiben können. Amerikanische und erst recht japanische Banken sind bei Wertberichtigungen für Entwicklungskredite gegenüber deutschen und anderen Instituten steuerlich benachteiligt. Natürlich ist es richtig, wenn Sie sagen, die Wertberichtigungen deutscher Institute würden gut zur Hälfte vom Steuerzahler mitfinanziert. Nur,
wenn die Wertberichtigungen wieder aufgelöst werden, weil das Geld später doch noch kommt, zahlen sie auch wieder Steuern.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Natürlich! Ich habe es nicht kritisiert!)

Japanische Banken sind — z. B. im Gegensatz zu deutschen Banken — heute gezwungen, auf Tochtergesellschaften auf den Cayman Islands auszuweichen, was eine ziemlich verrückte Lösung ist.
Der Wettbewerb der Steuersysteme macht eine Angleichung der Belastungsunterschiede zwingend erforderlich. Nationale Alleingänge können das Problem nicht mehr lösen.
Meine Damen und Herren, die Industrieländer haben in Berlin erneut — darüber sind wir uns sicher einig; ich hoffe, alle hier im Hause — eine Öffnung ihrer Märkte und den freien Zugang der Entwicklungsländer zum Welthandel versprochen. Das dürfen nicht nur schöne Worte bleiben, sondern dem müssen auch Taten folgen.
Vor allem im Agrarbereich gibt es eine Vielzahl fast unüberwindbarer protektionistischer Hürden. Aber ohne Exporterlöse ist kein Entwicklungsland in der Lage, sein Problem zu lösen. Wer einmal sieht, eine wie große Rolle Exporterlöse bei der Finanzierung der wirtschaftlichen Situation des Entwicklungslandes im Vergleich zu öffentlicher Entwicklungshilfe spielen, der muß zugeben, daß das Stichwort „Better trade than aid" richtig ist. Handel und nicht die öffentliche Entwicklungshilfe hilft, wobei es selbstverständlich Länder in der Welt gibt, die überhaupt nicht ohne öffentliche Entwicklungshilfe oder einen Schuldenerlaß auskommen können. Was wollen Sie denn z. B. im Tschad machen, um nur ein Land zu nennen? Das wissen wir alle.
Verhandlungen über die Erneuerung des LoméAbkommens in Luxemburg, die in diesen Tagen begonnen haben, und die neue GATT-Runde in Montreal im Dezember sind erste Bewährungsproben für den Geist der internationalen Zusammenarbeit, der in Berlin beschworen worden ist. Hier muß nun wirklich etwas geschehen; hier müssen wirklich Taten folgen.
Aber insgesamt gesehen — ich wiederhole es noch einmal — sagt die Freie Demokratische Partei, sagt die FDP-Bundestagsfraktion: Dies war eine erfolgreiche Konferenz — für Berlin, für die Bundesrepublik, aber auch für die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Entwicklungsländern.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110003300
Das Wort hat Herr Abgeordneter Volmer.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1110003400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
„Der IWF ist ein Instrument, aber dieser instrumentelle Charakter, der Dienst an einem übergeordneten System führt nicht zur Unschuld. Die Technokratie pflegt auf das Privileg der Verantwortungslosigkeit zu pochen. Dennoch, obwohl



Volmer
in den Programmaussagen weder die Anhäufung der Reichtümer noch die Vermehrung der Armut noch die Aufgabe der nationalen Souveränität explizit vorkommen, ist dies alles dort implizit enthalten. Und obwohl in Wirklichkeit die Verschleppten und die Gefolterten in den Anpassungsprogrammen nicht erwähnt werden, so ist es nicht minder wahr, daß sie ihre natürliche Folge sind. Die, die Pläne zur Aufopferung der Löhne entwerfen, sind nicht unschuldig an der darauf folgenden Repression gegen die Arbeiterbewegung. Das Rezept des IWF erheischt ein Opfer aus Blut und Feuer, und die Technokraten sind in diesem Sinne Teil des Teams der Folterer, Henker und Inquisiteure.

(Beifall bei den GRÜNEN — Widerspruch bei der CDU/CSU)

Die großen Denker der Welt, Eroberer unserer Zeit, die mit dem Jet und nicht mit der Karavelle reisen, vermögen mehr als die Könige und Marschälle, ja mehr als der Papst in Rom.

(Zuruf von der FDP: Womit reisen denn Sie?)

Ehrenhafte Menschenfreunde, die die monetaristische Religion praktizieren, die auf dem höchsten Altar den Konsum anbeten. Sie machen sich die Hände nicht schmutzig, niemals töten sie: sie beschränken sich darauf, Beifall zu klatschen. Ihre Bedingungen heißen Empfehlungen; den Dienst des Stricks für den Hals nennen sie Kooperation. "

(Kittelmann [CDU/CSU]: Wer immer diesen Blödsinn gesagt haben mag! — Feilcke [CDU/CSU]: Sie sollten sich einmal selbst eine Rede ausdenken, Herr Volmer!)

Mit diesen eindrucksvollen Worten benannte der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano präzise die Thematik, die in den Tagen von Berlin verhandelt wurde.

(Feilcke [CDU/CSU]: Nicht jeder, der schreibt, weiß es!)

Das internationale Finanzkapital — selten trat es personell so geballt auf wie Ende September in WestBerlin, nie zuvor sah es sich mit einer so breit angelegten, differenziert argumentierenden und gut organisierten öffentlichen Opposition konfrontiert. Die von über 150 grünen, alternativen, traditionell sozialistischen, feministischen, ökologischen, entwicklungspolitischen

(Feilcke [CDU/CSU]: Kommunistisch nicht vergessen!)

kirchlichen und sonstigen oppositionellen Gruppen organisierte Gegenöffentlichkeit demonstrierte zum erstenmal, daß große Teile der Bevölkerung in der Bundesrepublik und in anderen westlichen Staaten mit der Ausbeutungspolitik ihrer Regierung gegenüber den Ländern der Dritten Welt absolut nicht mehr einverstanden sind.

(Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Da war die staatserhaltende Elite zusammen!)

Während die distinguierten Akteure der Ausbeutung über bargeldlosen Zahlungsverkehr das Berliner ICC zum Walhalla ihrer Weltdurchdringungsstrategien machten, wurden ihre Methoden und Ziele anderenorts analytisch seziert, schockierend realistisch beschrieben, zum Gegenstand von Empörung und Anklage, zum Ansatzpunkt unbedingten Veränderungswillens: fast 4 000 Menschen auf dem Gegenkongreß der IWF/Weltbank-Kampagne, 1 000 auf dem Umweltkongreß, 80 000 auf der Demonstration, Tausende als Teilnehmer/innen dezentraler Aktionen überall in Berlin, Hunderte als Zuhörer des ständigen Tribunals der Völker der Lelio-Basso-Stiftung, auf der Galeano die eingangs zitierte Rede hielt, alles unter starker Beteiligung von Betroffenen und kritischen Fachleuten aus den Dritte-Welt-Ländern. Berlin wurde zum Kristallisationspunkt all derer, die aus humanistischen, sozialistischen, christlichen Motiven ein allgemeines Interesse an Vernunft gegen das Interesse der Banken an Profit einklagten.

(Feilcke [CDU/CSU]: Panikorchester der Muppets Show!)

Dies geschah in Berlin, nicht nur in Berlin-West. Denn so wie die Spitzen der beiden deutschen Staaten kooperierten, um der internationalen Hochfinanz die Wege zu ebnen, so kooperierten auch die Oppositionsbewegungen. Die Kritik an der kapitalistischen Weltwirtschaft, die treibende Rolle der BRD-Führung und das Handaufhalten der DDR-Spitze wurden zum Ausgangspunkt eines intensiven deutsch-deutschen Dialogs von unten.
Weder die Diffamierungskampagne von Bundesminister Klein

(Feilcke [CDU/CSU]: Herr Klein, was höre ich denn da?)

noch der Versuch der staatlichen Organe, uns eine Gewaltdebatte aufzuzwingen, um von unserer Kritik der Weltwirtschaft abzulenken, weder kleinliche Veranstaltungsverbote noch die Bespitzelung unserer Freundinnen und Freunde in Ost-Berlin durch den Stasi konnten uns davon abhalten, all das in Berlin umzusetzen, was wir angekündigt hatten.

(Abg. Dr. Lammert [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110003500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Volmer?

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1110003600
Heute nicht, Frau Präsidentin.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Vor Monaten hatten wir angekündigt, das NordSüd-Problem gleichgewichtig neben die Ost-WestThematik zu setzen. Wir haben diese Ankündigung eingehalten. Es war diese Gegenöffentlichkeit, die den Berliner Tagen ihren Stempel aufdrückte, die gegenüber der ICC-Versammlung den Ton angab. Streichung der Altschulden, neues Geld im Rahmen einer neuen Weltwirtschaftsordnung, eine ökologische Umstrukturierung der Weltwirtschaftspolitik, die Einhaltung der Menschenrechte — was zu diesen Themen auf den Gegenveranstaltungen erarbeitet wurde,



Volmer
wurde zur Leitthese, an der auch die ICC-Versammlung nicht vorbeikam.

(Feilcke [CDU/CSU]: Leid mit „d" !)

„Schuldenerlaß ist kein Tabuthema mehr", schreibt das „Handelsblatt" heute. Wir erinnern uns noch zu gut daran, wie wir GRÜNEN im Bundestag verhöhnt und verspottet wurden, als wir Anfang 1984 mit unseren drei Großen Anfragen das Thema Schuldenkrise politisch auf die Tagesordnung setzten und die ersten Forderungen in dieser Richtung formulierten.

(Bindig [SPD]: Ihr wart doch gar nicht die ersten! Tut doch nicht so! Es ist doch lange hier diskutiert worden!)

Heute beeilt sich jeder Minister, den Begriff der Schuldenstreichung in den Mund zu nehmen. Was an praktischen Konsequenzen herauskommt, ist allerdings mickrig. Mehr noch, der gering ausfallende Schuldenerlaß, den die Bundesregierung gegenüber den ärmsten Ländern für öffentliche Kredite ausspricht, ist an den Zwang für diese Länder gebunden, ihre Volkswirtschaften vollständig in den Weltmarkt einverleiben zu lassen, damit die Arbeitskraft ihrer Menschen und ihre natürlichen Ressourcen in die Kassen der transnationalen Konzerne fließen können.

(Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Du liebe Zeit!)

Wer heute noch lediglich Teilschuldenerlasse unter bestimmten Bedingungen fordert, muß sich — auch wenn er sich selber fortschrittlich wähnt — sagen lassen, daß er weit hinter dem erreichten Konsens der kritischen Öffentlichkeit zurückgefallen ist.
Nicht nur der internationale Gegenkongreß fordert in seiner „West-Berliner Erklärung" — ich zitiere —:
Wir unterstützen nachdrücklich die Forderung nach umfassender und sofortiger Schuldenstreichung, wie sie von den durch die Krise am meisten Betroffenen erhoben wird.
Auch das Basso-Tribunal argumentierte in diese Richtung:
Die Verweigerung der Schuldenzahlung ist gerechtfertigt durch den Begriff der „Abwendung von Not", der von internationalen Gerichten als gültiges Motiv anerkannt wird, dann, wenn die Zahlung finanzieller Verpflichtungen den Lebensstandard eines Volkes gravierend beeinträchtigen würde.
Es rechnet vor, daß eine 20%ige Kürzung der Rüstungsausgaben im Jahr genutzt werden könnte, um die gesamte Auslandsschuld in fünf bis sechs Jahren auszuwischen.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Das habe ich vorgerechnet!)

Die Forderung nach umfassender Schuldenstreichung für die Dritte Welt als Voraussetzung zur Überwindung ihrer Entwicklungskrise wird auch in Zukunft der Maßstab sein, an dem die Politik dieser Bundesregierung zu messen ist.
Auch über neues Geld, über „fresh money", wurde in Berlin debattiert. Auf der offiziellen Tagung wurde es den Drittweltländern als Zuckerbrot angeboten,
wenn sie auch bereit seien, die Peitsche der Weltmarktintegration in Empfang zu nehmen. Es zeigt sich, daß die Frage von neuen Geldzuweisungen nicht diskutiert werden kann unabhängig vom Problem der einzuschlagenden Entwicklungswege. Hier setzen Bundesregierung, IWF und Weltbank immer noch und verstärkt auf die kapitalistische Durchdringung aller heute noch nicht kapitalistischen Sektoren der Volkswirtschaften sämtlicher Länder. Die Ursache allen Übels wird zur Lösung erklärt, das Gift zur Medizin. Galeano drückt das so aus:
Wer den Kranken produziert, verkauft die Medizin. Es ist dies eine zweifelhafte Medizin, dieser Aderlaß, der die Blutarmut zu heilen vorgibt. Das Heilmittel ist ein anderer Name für die Krankheit: Neue Kredite zur Bezahlung alter Kredite, und die Schulden vermehren sich auf wundersame Weise.
Auch die Gegenkongresse forderten mehr Geld für die Drittweltländer. Die „Berliner Erklärung" verlangt, daß Reparations- und Entschädigungszahlungen an die Dritte Welt geleistet werden müßten, um die koloniale und neokoloniale Ausbeutung zu kompensieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auch das Basso-Tribunal regt an, daß die Zahlung von Reparationen erwogen werden sollte. Wir GRÜNEN nehmen diese Forderung gerne auf.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Was nicht allzuviel hilft!)

Alle Fachleute, die auf den Gegenveranstaltungen zu Wort kamen, betonten aber ausdrücklich, daß die notwendige Vergabe neuen Geldes unbedingt mit der Einleitung neuer Entwicklungswege in Süd und Nord verknüpft werden müsse: für eine Volkswirtschaft, die sich prioritär der Ernährungssicherung und der Befriedigung der anderen Grundbedürfnisse widmet, die eine Diversifizierung der Wirtschaft betreibt, weg von der monostrukturellen Ausrichtung auf den Export, die Rücksicht auf die natürliche Umwelt und die sozialen Ansprüche aller am Produktionsprozeß Beteiligten nimmt.
Niemand soll sich blenden lassen, wenn heute konservative Politiker den Begriff der Schuldenstreichung für sich reklamieren und damit prahlen, daß sie bereit seien, den Drittweltländern neues Geld zur Verfügung zu stellen. Was mit der einen Hand gegeben wird, wird mit der anderen x-fach genommen.
Dem Vernehmen nach plant Finanzminister Stoltenberg einen neuen Coup. Die Zahlungsverpflichtungen der Bundesregierung aus Exportbürgschaften für riskante Geschäfte der deutschen Exportkonzerne mit Drittweltländern sind wegen der Zahlungsunfähigkeit der Entwicklungsländer sprunghaft gestiegen. Das Finanzministerium will die nun fälligen Zahlungen des Bundes für den Bundeshaushalt neutral halten. Deshalb will es diese Leistungen einfach auf den Entwicklungshaushalt anrechnen. Im Klartext: Die Verluste deutscher Konzerne werden über Zahlungen aus dem Bundeshaushalt sozialisiert, und gleichzeitig werden die Beträge von der Entwicklungshilfe abgezogen. Bundesdeutsche Entwick-



Volmer
lungshilfe als Kompensation für Profitausfall an die deutsche Wirtschaft!

(Feilcke [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)

Die Ähnlichkeit auf der Formelebene verschleiert also nur den substantiellen Unterschied, den es zwischen der konservativen Perspektive für die Entwicklung der Welt und den Alternativvorstellungen gibt, die von einem immer größer werdenden Teil der Weltbevölkerung vertreten werden.
Die Diskussion über die Entwicklungswege wird in den nächsten Jahren die entscheidende Fragestellung werden. Nicht mehr Weltmarktintegration, sondern stärkerer Binnenbezug mit maximaler Eigenversorgung, nicht mehr Wachstumswahn, sondern Rücksicht auf die natürlichen Grenzen der Erde, nicht mehr Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, sondern kooperative Wirtschaftsstrukturen auf nationaler und verbindliche Rahmenabkommen auf internationaler Ebene, nicht mehr Ausbeutung des Südens durch den Norden, sondern eine Verbesserung der Austauschbedingungen für die Entwicklungsländer, nicht mehr ungebremste Expansion des Kapitals, sondern Entmachtung der Banken und Multis — dies sind die Antithesen, in denen sich die entwicklungspolitische und weltwirtschaftliche Diskussion in den nächsten Jahren entwickeln wird.
Die Position der GRÜNEN ist dabei eindeutig: Wir verstehen uns als Partner und Sprachrohr all derer, die eine grundlegende Umkehr der Entwicklungsrichtung weltweit fordern.
Die SPD stellt in der heutigen Debatte ihr sogenanntes Zukunftsprogramm Dritte Welt zur Abstimmung.

(Dr. Hauchler [SPD]: Nein! — Feilcke [CDU/ CSU]: Dann seid ihr falsch informiert!)

In seiner Gesamtkomposition verfehlt es den Anspruch, zukunftweisend zu sein, deutlich.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Sie als Zukunft zu bezeichnen, ist Vergangenhet, Herr Kollege!)

Die Analyse bleibt überall oberflächlich, weil sie sich nicht recht traut, die weltmarktorientierte Profitwirtschaft in ihrer Verantwortung für Armut und Kriege deutlich herauszustellen.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Reine Phraseologie ist das!)

So wimmelt der Antrag von Leerformeln und ist als entwicklungspolitisches Grundsatzpapier für uns unakzeptabel.
Ein weiteres Kernthema in Berlin war die Ökologie. Auch der Druck der internationalen Umweltbewegung ist mittlerweile so stark geworden, daß Bundesregierung und Weltbank an ihren Forderungen nicht mehr vorbeikönnen. Flugs versuchen sie, sich als die Leitfiguren ökologischer Politik darzustellen. Es hagelte im ICC Bekenntnisse zum Schutz des Regenwaldes.
Der alternative internationale Umweltkongreß sah diese Äußerungen allerdings mit Skepsis. Bis in die konservativeren Kreise der Umweltverbände hinein
hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß sich eine weltmarktorientierte Profitwirtschaft und effektiver Umweltschutz ausschließen. Deshalb wollen sie wie auch wir die Bundesregierung an ihren Taten messen.
Zur Zeit gibt es einen verläßlichen Maßstab zur Bestimmung ökologischen Bewußtseins, nämlich die Haltung zum zweiten Energiesektorkredit der Weltbank für Brasilien. Ich habe die verheerenden Folgen dieses Kredits für das Amazonas-Gebiet, für die Lebensräume der dort beheimateten Ureinwohner, für die Artenvielfalt, für das gesamte Biotop des Amazonas-Beckens, für die weltweite Klimaentwicklung bereits an dieser Stelle dargestellt. Von diesem skandalösen Kredit, der in der Weltbank in unmittelbarer Zukunft verabschiedet werden soll, haben internationale Umweltfachleute in Berlin ein realistisches Horrorgemälde gezeichnet. Wer diesem Kredit zustimmt, stimmt der wohl endgültigen Zerstörung Amazoniens zu und wird nie mehr das Recht haben, Umweltschutz für sich zu reklamieren; denn es gibt keine umweltgerechte Zerstörung der Erde.
Wir GRÜNEN haben für diese Debatte den Antrag vorgelegt, diesem Horror-Kredit die Zustimmung zu verweigern. Zahlreiche Gruppen und Verbände unterstützen diese Forderung. Die BUND-Jugend und die evangelische Akademikerschaft hat in Schreiben an jeden einzelnen Abgeordneten gefordert, daß Sie alle, meine Damen und Herren, unserem Antrag zustimmen. Fordern Sie die Bundesregierung mit uns auf, die Zustimmung zu diesem Kredit zu verweigern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir wollen aber den Brasilianern nicht Geld vorenthalten. Sinnvoll wäre, ihnen eine Studie zu finanzieren,

(Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Damit wollt ihr wieder eure grünen Professoren beschäftigen!)

die unter Einbeziehung der Bevölkerung untersucht, wie Energie eingespart, vorhandenes Energieaufkommen besser genutzt und umweltverträgliche Alternativenergie entwickelt werden kann.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat trotz größter Anstrengungen nicht verhindern können, daß Berlin zum Ausgangspunkt einer neuen internationalistischen Oppositionsbewegung wurde.

(Feilcke [CDU/CSU]: Au! — Kittelmann [CDU/CSU]: Mensch, Sie haben Probleme, Herr Volmer! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Deshalb schaltete sie auf eine Dialogstrategie um. Nun, wir begrüßen es immer, wenn ernsthafte Gesprächsbereitschaft vorhanden ist, doch wir zweifeln an der Ernsthaftigkeit. Ein Grund ist etwa die scheinbar verständnisvolle Äußerung von Finanzminister Stoltenberg. Er tat der internationalen Presse kund, er verstünde ja den Protest, auch er wäre froh, wenn der Prozeß zu beschleunigen wäre. Herr Minister, wir wollen gar nicht, daß Sie den Prozeß beschleunigen, wir sind froh über jede Panne und Verzögerung, die Ihnen unterlaufen. Ihr Prozeß drängt die Dritte Welt in



Volmer
eine Sackgasse, aus der es kein Entrinnen gibt, kein Entrinnen vor dem endgültigen „Ausgesuckelt"-Werden durch das multinationale Kapital. In dieser Sackgasse wollen wir die Dritte Welt nicht schneller und auch nicht langsamer sehen, wir wollen eine andere Entwicklungsrichtung.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Sie wollen das Chaos!)

Wir wollen nicht, daß Sie Ihre Politik beschleunigen, wir wollen sie stoppen.
Deshalb möchte ich zum Abschluß eine Erwartung Galeanos zitieren, die wir teilen.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Sie brauchen immer die Worte anderer, um sich verständlich zu machen!)

Galeano hofft:
..., daß die Stimmen der Armen der Welt, die es satt haben, ihre eigene Demütigung mitzufinanzieren, und die nach Berlin gekommen sind, um die Allmächtigen anzuklagen, nicht ohne Echo bleiben werden. Ein starkes Echo verdient dieses Berliner Plädoyer. Es ist gegen die Straflosigkeit des schrecklichsten und heuchlerischsten Terrorismus gehalten worden: gegen den Terrorismus des Geldes.

(Beifall bei den GRÜNEN — Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist eine Unverschämtheit, und das wissen Sie auch! — Feilcke [CDU/ CSU]: Er muß selbst grinsen! Was hier möglich ist, ist unglaublich!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110003700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Grünewald.

Dr. Joachim Grünewald (CDU):
Rede ID: ID1110003800
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Matthäus-Maier, da war so vieles an Gemeinsamkeit in der Analyse und auch in der vorgeschlagenen Therapie, auch in Ihrem Antrag. Um so mehr wundert einen dann Ihre Schlußfolgerung. Ich darf Ihnen sagen, wir halten es mit Graf Lambsdorff: Diese Tagung in Berlin war für die Bundesrepublik, auf deren Boden sie erstmalig stattfand, war für die Stadt Berlin, und zwar diesseits wie jenseits der Mauer, ein großer Erfolg, und sie war auch ein großer Erfolg für die 151 Mitgliedstaaten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Tagung hat nämlich Hoffnungen in alle Welt ausgestrahlt und auch zukunftssichernde Perspektiven besonders für die ärmsten und hochverschuldeten Entwicklungsländer eröffnet. Sie war — das soll auch einmal anerkannt werden — ein persönlicher Erfolg des Bundeskanzlers, dessen Initiativen zur Entlastung gerade der ärmsten Länder auf dem Weltwirtschaftsgipfel von Toronto bestätigt wurden. Und es war ein Erfolg der Bundesminister Gerhard Stoltenberg und Hans Klein, die die Berliner Tagung souverän gesteuert und begleitet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein Erfolg, für den wir auch einmal danken und zu dem wir gratulieren sollten.
Bei so viel Licht können und dürfen wir allerdings auch die Schatten nicht verschweigen, die bedrohlich und zum völligen Unverständnis unserer Gäste aus aller Welt über dieser Weltkonferenz lagen. Ich erinnere an das Attentat auf Staatssekretär Tietmeyer und an die Prügelei, lieber Herr Kollege Hauchler, der Sie schon im Vorfeld ausgesetzt waren und — das darf ich ganz aufrichtig hinzufügen — , die uns alle mitgetroffen hat.
Ich denke aber auch an die vielen kleinen und großen Zwischenfälle, die wir während der Tagung in Berlin beschämt miterleben mußten. Nicht nur wir in der Delegation von Bundestag und Bundesrat, der sich übrigens, Herr Volmer, die entsandten Vertreter der GRÜNEN so gut wie nicht angeschlossen hatten — deswegen haben Sie hier eben auch von einer ganz anderen Tagung berichtet —, also wir anderen, die wir in Berlin unsere Pflicht getan haben, haben ein großes Einvernehmen zwischen den Tagungsteilnehmern der armen und der reichen Länder festgestellt und uns sehr erstaunt gefragt, gegen wen und gegen was diese sinnlosen Aktionen gerichtet waren.
Um so befriedigter können wir heute feststellen, daß die Polizei bei der Weltbanktagung hervorragende Arbeit geleistet hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Als langjähriger Polizeibehördenleiter weiß ich sehr wohl die ganz besonderen Schwierigkeiten eines solchen polizeilichen Einsatzes einzuschätzen, auch mit Sicht auf die Presse. Das von Schlägern und Sympathisanten seit Monaten vorbereitete Chaos konnte verhindert werden; die Polizei war jederzeit Herr der Situation, und das verdient auch unsere Anerkennung und unseren Dank hier in diesem Hause.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, ein gerecht wertender Rückblick auf die 80er Jahre offenbart, daß sich die Weltwirtschaft als anpassungsfähiger, leistungsfähiger und auch als kompromißfähiger erwiesen hat, als wir es alle am Anfang dieses Jahrzehnts noch für möglich gehalten hätten. Zweifellos sind in diesen Jahren gewaltige Probleme aufgebrochen, aber die internationale Staatengemeinschaft hat sie zwar noch nicht bewältigt, aber zumindest doch beherrschbar gemacht. Weltbank und Währungsfonds haben an dieser im Trend positiven Entwicklung ihren verdienstvollen Anteil. Diese beiden multinationalen Organisationen, die 151 Länder, unabhängig von ihrer politischen und ökonomischen Grundvorstellung, als prinzipiell gleichwertig Berechtigte zusammenführen, sind für die endgültige Bewältigung der Schuldenkrise ganz einfach unverzichtbar.
Nur sie verfügen über die notwendige Kompetenz und die spezielle Länderkenntnis, um die sehr unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse richtig einzuschätzen. Nur sie können im fairen Miteinander das Bewußtsein aller dafür schärfen, daß sich ohne ein stabiles Wachstum der Weltwirtschaft die internationalen Verschuldensprobleme nicht Ibsen lassen und daß ohne ein Mindestmaß an Währungsstabilität Konjunktur und Wachstum ganz zwangsläufig aus dem Ruder laufen müssen.



Dr. Grünewald
Für die CDU/CSU-Fraktion begrüße ich es deshalb sehr nachdrücklich, daß die von der Bundesrepublik mitinitiierte und überproportional mitgetragene Kapitalerhöhung der Weltbank im April dieses Jahres vollzogen werden konnte. Durch diese richtige Maßnahme konnte der Ausleihspielraum der Bank ganz erheblich ausgeweitet werden.
Auch die neunte IDA-Auffüllung, also die bevorstehende neuerliche Kapitalzuweisung an die Internationale Entwicklungsagentur der Weltbank, wird von uns ausdrücklich unterstützt. Die beiden deutschen Exekutivdirektoren von IWF und Weltbank, die Herren Dr. Grosche und Dr. Böhmer, die — so darf am Rande auch einmal angemerkt werden — uns in Berlin ob ihrer fachlichen Kompetenz und ihres Engagements sehr imponiert haben, haben uns bestätigt, welche Bedeutung allein diese beiden Maßnahmen für den Abbau der Verschuldung haben.
Wir haben in Berlin aber auch die Richtigkeit unserer immer schon vertretenen Ansicht bestätigt gefunden, daß große Lösungen, wie etwa der von Dritten und auch eben wieder geforderte globale Schuldenerlaß, die Probleme der hochverschuldeten Entwicklungs- und Schwellenländer nicht zu lösen vermögen. Es wird weiterhin darum gehen müssen, für den jeweiligen Einzelfall sinnvolle und maßgeschneiderte Vereinbarungen zu treffen. Eine solche pragmatische Strategie gegen die Schuldenkrise hat auf der Jahresversammlung eine breite Zustimmung, übrigens einen ganz erstaunlichen Konsens, gefunden.
Für den gewünschten Erfolg dieser an den besonderen Bedingungen des jeweiligen Einzelfalles orientierten Strategie reichen natürlich die bessere Finanzausstattung von IWF und Weltbank allein nicht aus. Inzwischen haben die Auslandsschulden der Dritten Welt seit Ausbruch der Schuldenkrise vor sechs Jahren — die Zahl wurde ja schon genannt — 1 217 Milliarden, eine kaum noch vorstellbare, unglaubliche Höhe, erreicht.
Zu dieser Explosion der Schulden haben neben den Restrukturierungsmaßnahmen insbesondere auch, wie es die „Wirtschaftswoche" in der jüngsten Ausgabe so trefflich formuliert, die ganz „simple Finanzarithmetik des Zinseszinses" beigetragen. An diesem Schuldenberg sind aber die 40 ärmsten Länder der Welt nur mit 4 % beteiligt, während die 23 sogenannten Schwellenländer, zu denen so wachstumsdynamische Länder wie Korea und Brasilien zählen, fast drei Viertel dieser Schulden auf sich vereinigen. Solch gravierende Unterschiede im Volumen und in der Qualität der Schulden verlangen schon aus diesem Grunde nach einer sehr differenzierten Behandlung.
Die Bundesrepublik hat dem Rechnung getragen und hat den ärmsten Ländern die Schulden erlassen. Auf nahezu 8 Milliarden DM beläuft sich inzwischen allein der deutsche Schuldenerlaß. Zudem werden diese Länder zukünftig nur noch verlorene Zuschüsse erhalten. Für alle anderen Entwicklungsländer mit Ausnahme der Schwellenländer wird die Bundesrepublik Kredite nur noch zu äußerst weichen Bedingungen geben, nämlich mit 0,75 % Zinsen bei 40 Jahren Laufzeit und zehn Freijahren. Es ist zu hoffen und zu erwarten, daß sich die anderen Industrienationen
und auch und insbesondere die Amerikaner diesem unserem Beispiel anschließen werden.
Völlig zu Recht überschreibt deshalb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" am 30. September ihren Bericht aus Berlin: „Die ärmsten Entwicklungsländer können zufrieden heimkehren." Ich füge hinzu: Sie werden Deutschland und Berlin in guter Erinnerung behalten.
„Armut ist Gift für die Umwelt" , rief Weltbankpräsident Barber Conable den Delegierten zu und fand sehr breiten Zuspruch, wie zuvor übrigens auch schon Bundeskanzler Kohl mit der Forderung, der Umweltschutz müsse ganz generell zu einem Schwerpunkt der Entwicklungspolitik gemacht werden. Diese Einsichten waren in Berlin — ich betone: in Berlin — Allgemeingut. In den Diskussionsrunden am Rande dieser Tagung war auch bei den Entwicklungsländern ein geläutertes Umweltbewußtsein sehr wohl spürbar.
Aber gerade auf diesem Gebiet wird weitere internationale Zusammenarbeit unverzichtbar sein und verdichtet werden müssen, denn von den fast 800 Millionen Menschen, die leider in Afrika, Asien oder Lateinamerika noch immer unter der Armutsgrenze leben, wird man angesichts der blanken Not ohne Aufklärung und ohne zusätzliche Hilfen eine dauerhafte Einsicht für die Belange der Umwelt einfach nicht erwarten können.
Auch andere Aspekte der Jahrestagung müssen beachtet und fortentwickelt werden. Ich kann sie nur noch stichwortartig erwähnen. Protektionismus und Subventionen — da stimmen wir überein — sind Erzfeinde der Entwicklungsländer. Die Handelsschranken müssen deshalb weltweit weiter abgebaut werden. Von den privaten Banken müssen wieder verstärkt Kredite für Investitionen in den verschuldeten Ländern bereitgestellt werden, und diese neuen Finanzinstrumente, die Schulden in Beteiligungen umwandeln, müssen weiter ausgebaut werden. Auf der anderen Seite müssen sich die Schuldenländer privaten Investitionen mehr öffnen und der Kapitalflucht wirksamer begegnen.
Beide Seiten müssen also aktiv mitwirken, um die noch in weiter Ferne liegenden Lösungen der internationalen Verschuldungsprobleme endgültig zu erwirken. Denn — ich zitiere noch einmal Mister Conable — : „Auf dieser Welt steht es nur Gott und den Engeln zu, Zuschauer zu sein."

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110003900
Das Wort hat Herr Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Herr Klein.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1110004000
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Es war wohltuend, Herr Kollege Grünewald, daß Sie wieder eine dem Thema angemessene Tonlage in diese Debatte gebracht haben. Ich bedanke mich auch ausdrücklich dafür, daß Sie die führenden deutschen Mitarbeiter bei Bank und Fonds, und auch, daß Sie die Leistungen der Organisatoren und der Polizei in Berlin gewürdigt haben.



Bundesminister Klein
Frau Kollegin Matthäus-Maier, vielem von dem, was Sie gesagt haben, kann ich reinen Herzens und aus voller Überzeugung zustimmen. In dem Teil, der — ich darf das einmal unterstellen — mehr in Richtung „Vorwärts" gesprochen war, gab es ein paar zu billige populistische Passagen und ein paar mangelnde Präzisionsstücke. Ich nenne Ihnen zwei Beispiele.
Sie haben Äthiopien angeführt als Beispiel für Länder, die mehr an uns zahlen als wir an sie. Das stimmt nicht. Äthiopien hat eine Schuldendienstleistung von 6,5 oder 7 Millionen DM, und es gehen aus der Bundesrepublik Deutschland trotz nicht bestehender staatlicher Entwicklungszusammenarbeit zwischen 60 und 100 Millionen DM jährlich noch Äthiopien, im wesentlichen auf dem Wege der Nahrungsmittelhilfe, aber auch für eine ganze Reihe von Projekten, die von staatlich gestützten Nichtregierungsorganisationen dort ausgeführt werden.
Frau Kollegin, ich erwähne noch einen anderen Punkt, der mir ganz wichtig erscheint und der auch ein bißchen im Zusammenhang mit des Grafen Lambsdorff Zitat „Trade is better than aid" steht. Sie haben an ein paar Stellen die Amerikaner arg gegeißelt.

(Frau Mattäus-Maier [SPD]: Das war aber doch freundlich!)

Jetzt lassen Sie mich Ihnen einmal folgendes sagen: Die Amerikaner haben 1987 für 50 Milliarden US-Dollar mehr aus der Dritten Welt importiert, als sie in die Dritte Welt exportiert haben. Das ist natürlich ein ungeheurer Entwicklungsbeitrag, den sie geleistet haben und mit dem wir Europäer nicht konkurrieren können.
Meine Damen und Herren, die Jahresversammlung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds in Berlin (West) war außergewöhnlich erfolgreich — so das übereinstimmende Urteil von Teilnehmern aus Industrie- und Entwicklungsländern. Die Führungsrolle der beiden multinationalen Finanzierungsinstitute bei der Hilfe für die verschuldeten Entwicklungsländer hat sich erneut als unbestritten erwiesen, genau wie es die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP in ihrem ausgewogenen und kenntnisreichen Antrag vom 27. September 1988 formuliert hatten. In der Tat gab es vor allem in den Krisenjahren, als der zweite Ölpreisschub und die weltweite Rezession den Kapitalfluß in absurder Weise von Süd nach Nord umlenkten, keine andere staatliche oder private Einrichtung, die den Entwicklungsländern auch nur annähernd soviel neue Finanzmittel zuführte wie Weltbank und Internationaler Währungsfonds. Daß sie dies mit der Bedingung knüpften, das Geld sinnvoll einzusetzen, staatliche Reglementierungen abzubauen, Gesetzmäßigkeiten des Marktes zu beachten und private Initiative zu wecken, war nur logisch. Es trug vielfach bereits entscheidend dazu bei, daß jene tieferen Ursachen der Krise beseitigt wurden, die von den Entwicklungsländern selbst zu verantworten sind.
In manchen Fällen wurden diese Bedingungen indes zu rigide gefaßt und die Anpassungsfristen zu kurz bemessen, so daß die für den wirtschaftlichen Gesundungsprozeß notwendige politische Stabilität
durch bedrohliche soziale Verwerfungen in Gefahr geriet. In anderen Fällen erklärten anpassungsunwillige Regierungen schlicht und einfach die beiden multinationalen Finanzierungsinstitute zu Schuldigen für jahrzehntelanges eigenes Fehlverhalten.
Bei der diesjährigen gemeinsamen Jahresversammlung wurde unübersehbar deutlich, daß beide Seiten aus der gegenseitigen Kritik der vorausgegangenen Tagungen gelernt und zielführende Schlußfolgerungen gezogen haben. Diese bemerkenswerte Aufeinanderzubewegung — also seitens Bank und Fonds soziale Sensibilität und annehmbare Zeitrahmen bei den Anpassungsbedingungen, seitens der Entwicklungsländer uneingeschränkte Bejahung der Anpassungsnotwendigkeit — kennzeichneten Sprecher aus Nord und Süd als Geist von Berlin und als Signal von Berlin.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Eben kein Signal!)

In den großen Plenarveranstaltungen, in den Gouverneursräten, im IWF-Interimskomitee und im Weltbank-Entwicklungskomitee, in den inoffiziellen Gruppentagungen von Industrieländern und Entwicklungsländern, aber selbst in den kulturellen und gesellschaftlichen Rahmenveranstaltungen, fand jener intensive Gedanken- und Erfahrungsaustausch statt, aus dem Richtlinien für die künftige Arbeit der beiden Institutionen entwickelt wurden. Das Berliner Ambiente und die trotz aller, insbesondere gegenüber den Gästen aus der Dritten Welt peinlichen Sicherheitsgefährdungen reibungslose Organisationen ermöglichten nicht nur Diskussionen zwischen den Delegationen aus den 151 Mitgliedsländern von Bank und Fonds, auch die Sondergäste und Beobachter aus dem internationalen Bank- und Finanzbereich wurden angeregt, ihre Beiträge zur Bewältigung der Schuldenkrise einzubringen.
Die Tagungsteilnehmer waren beeindruckt von der Sachkunde und dem Einfühlungsvermögen, welche die Begrüßungsansprache des Bundespräsidenten kennzeichneten. Sie verzeichneten mit Genugtuung die Darstellung der Beweggründe und die jüngsten Anstrengungen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, die der Bundeskanzler in seiner Eröffnungsrede gab.
Aus annähernd 30 offiziellen bilateralen Verhandlungen und ungezählten Gesprächen, die ich am Rande der Tagung geführt habe, kann ich berichten, daß die in den letzten Monaten gefaßten Beschlüsse der Bundesregierung zugunsten der Dritten Welt allenthalben als besonders konkret und besonders beispielhaft, also als starker politischer Impuls, Frau Kollegin Matthäus-Maier, aufgenommen wurden. Ich nenne hier den Erlaß von weiteren 3,3 Milliarden DM staatlichen Schulden für besonders arme, hauptsächlich afrikanische Länder, womit sich die Gesamtsumme unserer Schuldenstreichungen seit 1978 — da war von Ihnen noch keine Rede, Herr Volmer — auf annähernd 8 Milliarden DM erhöht hat.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Echter, Frau Kollegin, kann eine Verringerung der Schuldenlast nicht sein.



Bundesminister Klein
Übrigens: Auch Fidel Castro, das bekannte Beispiel für liberale und humanitäre Haltung, ist von den Veranstaltern des Gegenkongresses eingeladen worden, eine Grußbotschaft zu senden. Aber er hat darin nicht für eine globale Schuldenstreichung plädiert. Ich vermute, daß ihm sein Gläubiger das nicht gestatten würde.

(Frau Traupe [SPD]: So ist es!)

Ein weiterer Punkt: die entscheidende Verbesserung der Konditionen für deutsche Entwicklungskredite, derzufolge es künftig Darlehen zu 4,5 % Zinsen überhaupt nicht mehr, zu 2 %, bei zehn Freijahren, 30 Jahren Laufzeit nur noch für eine kleinere Zahl von Entwicklungsländern, für die überwiegende Mehrheit jedoch Mittel im Rahmen der deutschen finanziellen Zusammenarbeit zu sogenannten IDA-Konditionen also 0,75 % Zinsen, zehn Freijahre, 40 Jahre Laufzeit, und für die ärmsten Länder wie bisher Zuschüsse geben wird.
Weiter nenne ich die Gewährung von Zinszuschüssen für eine Reihe besonders armer afrikanischer Länder bei Umschuldungen von staatsverbürgten Handelskrediten im Rahmen des Pariser Clubs.
Schließlich sollen mit der durch entsprechende Umschichtung ermöglichten Erhöhung des deutschen Beitrages zu umweltpolitischen Maßnahmen in der Dritten Welt von bisher 108 Millionen DM auf eine Viertelmilliarde DM laufende Umweltmaßnahmen verstärkt und der Tropenwald-Aktionsplan der FAO unterstützt werden.
Sie werden verstehen, meine Damen und Herren, daß es angesichts dieser Tatsachen keinen Sinn macht, sich mit den umweltpolitisch verbrämten vulgärmarxistischen Umsturz- und Verarmungsrezepten in den Anträgen der GRÜNEN auseinanderzusetzen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Und hätte ich darüber Zweifel gehabt, das verquaste Hetzvokabular des GRÜNEN-Sprechers in der freilich arg unglaubwürdigen Pose des Proletariervertreters hätten sie mir genommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Proletarier verstehen nicht so viele Fremdworte!)

Es steht außer Frage, daß in den 30 Jahren, seit die Industrieländer mit den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas Entwicklungszusammenarbeit betreiben, zahlreiche, auch gravierende Fehler von allen Seiten gemacht wurden, von den Industrieländern, von den multinationalen Finanzierungsinstituten, von den UN-Organisationen, von den Entwicklungsländern selbst. In diesen 30 Jahren hat sich aber auch ein Lernprozeß vollzogen. Vor allem ist in diesen 30 Jahren die Entwicklung der Dritten Welt absolut und global ein gigantisches Stück vorangekommen. Das geht aber — und dies sollte uns bei Würdigung und Kritik zu etwas bescheidenerer Selbsteinschätzung veranlassen — in allererster Linie auf die Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer zurück. Wir können helfen, Hilfe zur Selbsthilfe leisten und unseren Beitrag dafür erbringen, daß das Weltwirtschaftssystem entwicklungsfördernd und nicht entwicklungshemmend funktioniert; wir können nicht die Entwicklung unserer Partnerländer an ihrer statt vollziehen.
Da aber noch immer über 700 Millionen Menschen in der Dritten Welt unterhalb der Armutsgrenze leben, das Bevölkerungswachstum vielfach die Entwicklungsbemühungen zu überholen droht, die Umwelt infolgedessen einer irreversibel zu werden drohenden Zerstörung ausgesetzt ist, müssen wir unsere Anstrengungen entscheidend verstärken.
Vor diesem Hintergrund wiederhole ich mein aufrichtig gemeintes Angebot, auch an die Opposition, vor allem die SPD-Opposition, zur Zusammenarbeit im Interesse derer, denen wir gemeinsam helfen wollen. Sie wissen, daß ich dieses Angebot nicht aus mangelnder Streitkraft mache. Aber wo über Ziele und Wege weitgehend Einigkeit herrscht, ist mit falschen Unterstellungen oder unrealistischen Forderungen kein parteipolitisches Profil aufzubessern.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Im Gegenteil! Stellen wir uns dieser großen menschlichen, wirtschaftlichen und politischen Verantwortung gemeinsam, dann werden auch die Bürger der wohlhabenden Bundesrepublik Deutschland ermutigt, ihren Beitrag zu leisten. Es geht doch nicht nur um Banken und Konzerne; das sind Namen, die in Wahrheit für hunderttausende von Anteilseignern und Millionen von Arbeitnehmern stehen. Es geht auch nicht um den Staat als anonyme Finanzquelle. Er verwaltet lediglich die Steuermittel der Bürger. Es geht um die unauflösliche gegenseitige Abhängigkeit aller Völker dieser Erde. Unser Wachstum und unsere Währungsstabilität befördern das Wachstum in der Dritten Welt. Unsere Schutzmaßnahmen für gefährdete Wirtschaftszweige und unsere Subventionspolitik hemmen den Fortschritt in den Entwicklungsländern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dies waren Fragen, über die in Berlin diskutiert wurde. Niemand hat den groben intellektuellen Unfug aufgegriffen, daß der Norden den Süden in Abhängigkeit zu halten und auszubeuten trachte. Die Verantwortlichen in den Entwicklungsländern wissen längst, daß ihr Interesse am wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt genau dem Interesse der Industrieländer entspricht.

(Volmer [GRÜNE]: Ihr Interesse!)

Unser, der Bundesrepublik Deutschland, Außenhandel mit 3,8 Milliarden Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika beträgt doch bislang nur wenig mehr als 10 % unseres gesamten Außenhandelsvolumens. Uns liegt an der Entwicklung dieser Partner genau wie ihnen selbst.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Deshalb erlauben Sie mir, zu dem SPD-Antrag vom 9. August 1988 zur Berliner Jahrestagung zu erklären, daß ich in weiten Bereichen Übereinstimmung mit der Politik der Bundesregierung feststelle. Aber durch Verweis auf das „Zukunftsprogramm Dritte Welt" mit der darin geforderten Milliarde aus dem Verteidigungshaushalt verliert er — bei aller Einsicht in die Notwendigkeit, die Rüstungsausgaben in Ost und



Bundesminister Klein
West, in Nord und Süd zu vermindern — seine Ernsthaftigkeit.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Warum?)

Lassen Sie uns lieber, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, verantwortungsbewußt und sachgerecht darüber diskutieren, wie wir die Aufschwungskräfte des europäischen Binnenmarktes auch für die Dritte Welt nutzen, wie wir das Instrumentarium unserer Entwicklungszusammenarbeit verbessern, wie wir unsere Anstrengungen in den einzelnen Entwicklungsländern konzentrieren und wie wir mithin den Beitrag der Bundesrepublik Deutschland für Gerechtigkeit und Frieden in der ganzen Welt verstärken können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110004100
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hauchler.

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (SPD):
Rede ID: ID1110004200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie man die Ergebnisse der Jahrestagung von IWF und Weltbank in Berlin bewertet, hängt davon ab, welche Meßlatten man anlegt. Ich will in der Kürze der Zeit, die mir zur Verfügung steht, fragen: Was bedeutet Berlin für die Bildung des öffentlichen Bewußtseins über weltwirtschaftliche Probleme und das Nord-Süd-Verhältnis? Hat die Jahrestagung einen wirklichen Durchbruch in der Schuldenkrise gebracht? Wurde im Kern die bis jetzt verfolgte Politik der Auflagen von IWF und Weltbank, also die Politik der Industrieländer gegenüber den Entwicklungsländern, korrigiert?
Zum ersten: Ich meine, noch nie hat eine Jahrestagung von IWF und Weltbank wie die in Berlin die Öffentlichkeit für weltwirtschaftliche und Nord-SüdFragen sensibilisiert. Das ist positiv zu bewerten. Noch nie haben diese Fragen einen so breiten Raum in den Medien gefunden. Nicht nur deshalb, weil die Tagung von IWF und Weltbank dort stattgefunden hat, sondern auch deshalb, weil eine kritische Öffentlichkeit in Berlin diese Tagung begleitet hat.
Ich verweise darauf, daß es für die Sensibilisierung der Öffentlichkeit, für ein verstärktes, vertieftes Bewußtsein der Probleme positiv war, daß ein Gegenkongreß stattgefunden hat, daß sich dort Umweltverbände engagiert haben, daß das Basso-Tribunal in Berlin tagte.

(Zuruf von der CDU/CSU: Keine Probleme!)

Das war außerordentlich positiv, weil es darum geht, nicht nur in getrennten Lagern zu diskutieren — das gilt auch für Sie, Herr Volmer — , sondern auch Brükken zu schlagen zwischen den verschiedenen Positionen, um zu vernünftigen Lösungen zu kommen.

(Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ CSU]: Er will keine Brücken, er will Radikalität!)

Damit bin ich bei Herrn Volmer. Herr Volmer, mit Ihrem populistischen Illusionismus und Extremismus schrecken Sie die Bevölkerung ab und verschütten Bewußtsein, statt aufzuklären. Sie sitzen mit den Konservativen in einem Boot, indem Sie Patentrezepte verkünden und so einer undifferenzierten Strategie
das Wort reden, die überhaupt nicht durchgesetzt werden kann. Ich denke, es hilft nicht weiter, wenn Sie so weitermachen.
Richtig aber ist: Man muß IWF und Weltbank kritisch begleiten. Dazu gehören auch Demonstrationen. Sie haben eine wichtige Funktion, um das Bewußtsein der Öffentlichkeit für diese Probleme zu stärken. Wir leben nun einmal in einem freien Staat. Und dazu gehören auch Demonstrationen. Das gilt natürlich auch im Zusammenhang mit diesem Thema. Aber es hat keinen Sinn, Rundumschläge zu machen und einen grünen Paternalismus an die Stelle eines konservativen Paternalismus zu setzen.
Berlin hat uns weitergebracht, soweit es darum ging, ein breiteres und tieferes Bewußtsein dafür zu schaffen, daß Weltwirtschaft, Weltfinanzen und Nord-Süd-Fragen keine Randfragen der Politik mehr sind, sondern zentrale Zukunftsprobleme, bei denen sich ökonomische, soziale und ökologische Fragen verschränken.
Zweiter Gesichtspunkt, den ich ansprechen wollte: Berlin hat keinen Durchbruch zur strukturellen Lösung der Schuldenkrise gebracht. Frau Matthäus-Maier hat dies erklärt und hat Punkte aufgeführt. Ich möchte dazu noch folgendes ergänzen:
In Berlin sind einige Tabus hinsichtlich Schuldenerlaß und Forderungsverzicht durchlöchert worden. Gott sei Dank, kann man sagen. Camdessus und andere im internationalen Finanzbereich, besonders Herr Herrhausen, haben dazu beigetragen, einige starre Fronten aufzulockern, Luft in die Denkgebäude hineinzublasen. Dies war positiv.
Positiv ist auch zu bewerten, daß die Bundesregierung mit dem öffentlichen Schuldenerlaß tatsächlich einen Schritt in die richtige Richtung gemacht hat. Herr Minister Klein, das begrüßen wir. Wir begrüßen es auch, wenn die Konditionen gegenüber den ärmsten Entwicklungsländern verbessert worden sind. Aber bei diesen Maßnahmen handelt es sich um viel Propaganda und wenig Substanz. Das wissen Sie selbst.
Wenn man das Volumen dieser Maßnahmen im Vergleich zur Größe des Problems betrachtet, sieht man, daß es sich dabei wirklich, ich möchte einmal sagen: um Peanuts handelt, die den Entwicklungsländern angeboten wurden.
Warum? 3,3 Milliarden DM an Schuldensenkung im öffentlichen Sektor bedeutet, daß nur weniger als 10 % der Gesamtschulden der Entwicklungsländer gegenüber der Bundesregierung erlassen worden sind — unter 10 % ! Das ist ungenügend auch deshalb, weil natürlich nicht die öffentlichen Schulden das Hauptproblem in der Schuldenkrise sind, sondern die privaten Kredite. Denn hier geht es um kurzfristiges Geld, hier geht es um teures Geld, hier geht es um Geld, welches zurückzuholen von Privatbanken praktisch mit Zwang versucht wird. Dieses Problem ist auch in Berlin nicht angegangen worden. Es gab hier kaum Bewegung.

(Abg. Klein [München] [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Sie möchten eine Frage stellen, Herr Minister.




Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110004300
Herr Abgeordneter, Sie haben eine Zwischenfrage, bitte schön.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1110004400
Herr Kollege Hauchler, ich will nicht auf die 3,3 Milliarden „Peanuts" eingehen, nur stellt sich mir die Frage: Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß die besonders armen Länder, denen wir die Schulden gestrichen haben, genau diejenigen sind, die weniger Schulden bei privaten Geschäftsbanken als vielmehr bei Staaten haben, daß wir also dort wirksame Hilfe geleistet haben?

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (SPD):
Rede ID: ID1110004500
Herr Minister, ich habe bestätigt, daß dies ein Schritt in die richtige Richtung ist. Wenn öffentliche Schulden gegenüber ärmsten Ländern, die vor allem im öffentlichen Sektor verschuldet sind, erlassen werden, ist das eine richtige Maßnahme. Die Sozialdemokraten haben 1978 damit begonnen. Wir werden also nicht sagen, daß dies nicht positiv ist. Nur, ich sage: Das ist auf diesem Sektor quantitativ zuwenig, und das Hauptproblem, nämlich die privaten Kredite, wurde nicht angegangen.
Dies möchte ich kurz erläutern: Was hier im Bereich der privaten Kredite versucht wurde, nämlich die Umwandlung in langfristige verbriefte Forderungen, ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber dies hilft eher dem Finanzsystem und den Banken als den Entwicklungsländern. Durch solche Umwandlungen werden kleinere Banken, die in Not gekommen wären, durch Verkäufe von Forderungen auf dem Sekundärmarkt entlastet. Dies hat aber so lange keine positive Wirkung für die Entwicklungsländer, als daraus kein Forderungsverzicht wird. Auf diesem Gebiet bewegt sich bis jetzt nichts, wenn man einmal von der Initiative von Herrn Herrhausen absieht. Die Bundesregierung wäre wirklich gut beraten, wenn sie seine Vorschläge und Gedanken aufgreift und versucht, daraus einen politischen Rahmen zu gestalten, um den Banken Teilforderungsverzichte zu erleichtern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will nur an einem Punkt erläutern, daß sich Herr Herrhausen im Grunde auf Positionen zubewegt hat, die wir schon seit Jahren vertreten haben, und zwar die Frage der Kreditwürdigkeit: Herr Herrhausen beweist eine neue Sicht der Dinge damit, daß er die Kreditwürdigkeit der Entwicklungsländer neu interpretiert. Kreditwürdigkeit darf nicht dadurch weiter simuliert werden, Herr Finanzminister, daß immer neue Kredite für immer höhere, nicht zahlbare Zinsen gegeben werden. In den letzten Jahren wurde tatsächlich, indem man nicht gezahlte Zinsen mit „fresh money" abdeckte, eine Kreditwürdigkeit hoch verschuldeter Länder nur simuliert. Tatsächlich kommt es bei der Kreditwürdigkeit aber nicht darauf an, daß irgendwie gezahlt wird, sondern darauf, woraus und wofür gezahlt wird. Das ist entscheidend: Wenn man Zinsen mit geborgtem Geld zahlt, sinkt die Kreditwürdigkeit, statt daß sie steigt. Deshalb kann die Kreditwürdigkeit der Entwicklungsländer nur wiederhergestellt werden, wenn es zu Teilforderungsverzichten kommt, wenn der Schuldenstand entsprechend der langfristigen Leistungsfähigkeit dieser Länder nach unten angepaßt wird. Das wissen Sie auch; handeln Sie entsprechend!
Ein dritter Punkt ist die Frage, ob tatsächlich in Berlin ein Durchbruch erreicht worden ist, um die Politik der Auflagen, wie sie in den letzten Jahren verfolgt wurde, zu korrigieren. Auch hier hat sich etwas bewegt. Ich stelle fest, daß in der Finanzwelt die Einsicht gewachsen ist, daß eine Anpassung gegen die Armen in der Welt und gegen die Umwelt auf die Dauer nicht durchzuhalten ist. Man hat also in Berlin tatsächlich die Umweltverträglichkeit und Sozialverträglichkeit stärker betont. Das ist der richtige Weg. Wir haben dies immer gefordert. Wir warten nun aber darauf, ob die Bundesregierung wirklich den Beweis dafür antritt, daß sie es ernst damit meint. Der Beweis würde dann angetreten, wenn die Bundesregierung in der Weltbank gegen den Energiesektorkredit an Brasilien stimmt. Wenn sie das nicht tut, muß man sich wirklich fragen, ob das, was auf dem Umwelt- und dem Sozialsektor in Berlin an Signalen ausgesendet wurde, wirklich echte Signale sind oder praktisch nur der Versuch war, die wahren Absichten zu verschleiern. Also: Stimmen Sie als Bundesregierung gegen diesen Sektoranpassungskredit der Weltbank für Brasilien!
Hinweisen will ich noch darauf, daß diese Einsicht im sozialen und ökologischen Bereich das Eingeständnis ist, daß die bisherige Politik falsch war.

(Beifall bei der SPD — Klein [München] [CDU/CSU]: Das war die eure!)

Wir freuen uns darüber, daß Sie das eingestehen, denn sonst würden Sie heute ja den bisherigen Kurs — zumindest verbal — nicht in diese Richtung korrigieren.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Die kommen immer mit fünf Jahren Verspätung! — Klein [München] [CDU/CSU]: Bis vor fünf Jahren wart ihr dran! — Frau Matthäus-Maier [SPD]: Leider nicht mehr!)

Herr Minister, Sie sagen: Strukturanpassungen müssen sein. Sie betonen weiter, die Entwicklungsländer hätten Ihnen gesagt, sie seien auch für Strukturanpassungen. Natürlich sind auch wir für Strukturanpassungen. Die Frage ist nur, von wem, in welcher Weise und wohin. Und da sind wir natürlich nicht einer Meinung. Wir sagen: Strukturanpassungen müssen in Zukunft symmetrisch erfolgen. Es geht nicht an, die Entwicklungsländer immer mehr in den Export hineinzutreiben, und wir schotten gleichzeitig die Märkte ab. Für unsere Partei bedeutet das: keine weitere Exportoffensive in Entwicklungsländern fördern, wenn nicht von den Industrieländern Vorleistungen erbracht werden. Es muß eine automatische Koppelung geben; das eine geht nicht ohne das andere.
Neben der Symmetrie gibt es einen zweiten Punkt: Die Anpassungsprogramme müssen wesentlich stärker differenziert werden, und zwar nach den kulturellen und historischen Ausgangspositionen, nach den wirtschaftlichen und politisch-administrativen Voraussetzungen der Länder. Ein Land, das nach dem Kolonialismus erst 25 Jahre hinter sich hat, das administrativ-politisch völlig neue Strukturen aufbauen muß, kann natürlich nicht das nachvollziehen, was die



Dr. Hauchler
Europäer in ein paar hundert Jahren ihrer Geschichte erreicht haben.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie also davon ab — Graf Lambsdorff ist nicht mehr da, sonst hätte ich ihm das gesagt —, immer zu sagen: Hier muß zuerst dereguliert werden, hier müssen tausend Voraussetzungen geschaffen werden — wofür wir Hunderte von Jahren gebraucht haben — , und dann erst kommen wir mit unseren Leistungen über. Das ist doch unglaubwürdig!

(Beifall bei der SPD)

Notwendig ist es also, zu differenzieren und auch sofort Maßnahmen zu ergreifen, um die Probleme zu lösen. Die Probleme sind zu drängend und zu groß, als daß wir darauf lange warten könnten.
Ich denke also, der Kurs muß wirklich in der Substanz korrigiert werden. Der Kurs von Anpassungsprogrammen bei uns, aber auch in den Entwicklungsländern muß differenziert werden, und ich denke auch, daß das Ganze schneller gehen muß. Wir haben nicht mehr soviel Zeit, wie Sie auf der Regierungsbank und Sie, die Koalitionsfraktionen, sich lassen wollen. Die Probleme sind so dringend und sie werden so scharfe Rückwirkungen auf die Industrieländer haben, daß sofort und entschiedener gehandelt werden muß. Ich hoffe, daß wir in diesem Sinn Problemlösungen weiterentwickeln, und bitte darum, daß die Anträge in den Ausschüssen in diesem Sinne behandelt werden.
Ich möchte noch etwas zum Antrag der GRÜNEN im Hinblick auf den Energiesektorkredit sagen. Auch dieser Antrag sollte in die Ausschüsse verwiesen werden, sollte dort beraten werden. Sie haben unsere Forderung dazu heute gehört. Sie stimmt inhaltlich mit dem, was Sie sagen, überein. Ihr Antrag ist aber wieder einmal zu pauschal, zu kurz, es ist zuwenig Substanz darin. Wir sollten ihn in den Ausschüssen diskutieren und dann noch einmal im Plenum behandeln.
Vielen Dank.

(Zurufe von der CDU/CSU: Richtig! Fast nur Übereinstimmung! — Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110004600
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Pinger.

(Volmer [GRÜNE]: Jetzt redet der Mittelstand!)


Dr. Winfried Pinger (CDU):
Rede ID: ID1110004700
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat auf der Jahrestagung ihre aktive und führende Rolle bei der Bewältigung der Schuldenkrise bestätigt. Sie konnte dies glaubwürdig tun wegen der vorangegangenen Kabinettsbeschlüsse, erstens der erneute Schuldenerlaß für die ärmsten Länder und zweitens die Verbesserung der Konditionen für neue Kredite im Hinblick auf alle anderen Entwicklungsländer.
Der Bundeskanzler hat mit seinem persönlichen Einsatz für die Umwelt auf der Tagung große Beachtung gefunden. Zukunftweisend ist seine Verknüpfung des Schuldenproblems mit der Umwelterhaltung, insbesondere mit dem Schutz der tropischen Regenwälder. Jetzt, meine Damen und Herren, nach
der Tagung, muß die Diskussion weitergehen, und sie muß auch konkreter werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

Sie muß sich sehr viel intensiver mit der schwierigen Problematik der Schuldenkrise der hochverschuldeten Länder mit mittlerem Einkommen befassen. Das sind vor allem die lateinamerikanischen Länder, deren Schulden zu ca. 80 % gegenüber den privaten Banken bestehen.
Da hilft es nach unserer Auffassung überhaupt nicht weiter, wenn nun erneut von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, eine internationale Konferenz gefordert wird. Eine solche internationale Konferenz würde kaum zu Ergebnissen führen können. Sie würde eine jahrelange Diskussion über neue Institutionen herbeiführen, und sie würde nicht zu einem konkreten Handeln führen können. Was wir brauchen, ist ein solches gemeinsames Handeln. Wie schwer dies ist, zeigt sich an der Tatsache, daß sich die deutschen Banken schwertun, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Leider!)

Was die Regierungen der Industrieländer angeht, so muß ich sagen, sie sind alle zusammen — das betrifft auch die deutsche Bundesregierung — in der Schwierigkeit, daß die amerikanische Administration zur Zeit nur beschränkt handlungsfähig ist.
Meine Damen und Herren, notwendig ist die Einsicht, daß es sich in wichtigen Schuldnerländern nicht um eine Liquiditätskrise, sondern um eine Solvenzkrise handelt. Insofern stimmen wir überein.

(Volmer [GRÜNE]: Mehr noch: Entwicklungskrise!)

Deshalb kann die bisherige Strategie gegenüber diesen Ländern nicht gelingen. Notwendig ist die Einsicht, daß insolventen Ländern nicht dadurch geholfen wird, daß man ihre Schuldenlast durch Umschuldungen immer weiter erhöht.

(Beifall des Abg. Volmer [GRÜNE])

Eine neue Strategie zur Bewältigung der Schuldenkrise muß daher von der Erkenntnis ausgehen Nicht Schuldenvermehrung, sondern nur Schuldenminderung durch Teilschuldenerlaß, natürlich von Fall zu Fall, kann aus der Krise heraus führen.
Wichtigste Orientierung für die Höhe einer Vergleichsregelung durch einen Teilschuldenerlaß muß der Sekundärmarkt sein, auf dem die privaten Banken die Forderungen selbst handeln. Hier spiegelt sich die Leistungsfähigkeit der Entwicklungsländer wider, auf die es letztlich allein ankommt. Eine Schuldenbereinigung durch Vergleich muß organisiert werden. Sie kann kurzfristig nur durch eine vorhandene internationale Institution organisiert werden; ich denke an den IWF.
Ich schlage vor, so vorzugehen: Erstens. Das Schuldnerland verpflichtet sich zu einer durchgreifenden und nachhaltigen Wirtschafts- und Finanzreform. Zweitens. Die Privatbanken bieten einen Teilschuldenerlaß auf der Basis des Sekundärmarktpreises an. Drittens. Für ihre Restforderungen erhalten die Banken für Amortisation und Zinsen eine Garantie, die



Dr. Pinger
vom IWF auf Grund einer Ermächtigung und einer Rückbürgschaft der wichtigsten Industrieländer ausgesprochen wird.
Meine Damen und Herren, das ist ein Diskussionsvorschlag, der natürlich weiter erörtert werden muß.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110004800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?

Dr. Winfried Pinger (CDU):
Rede ID: ID1110004900
Wenn es nicht angerechnet wird, gern.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110005000
Nein, auf gar keinen Fall. — Bitte, Frau Kollegin!

Ingrid Matthäus-Maier (SPD):
Rede ID: ID1110005100
Herr Pinger, ich habe folgende Frage: Ist Ihnen klar, daß das, was Sie jetzt hier vorschlagen, was ich als ersten Schritt außerordentlich begrüße, und zum Teil auch das, was Herr Klein hier gesagt hat, vor etwa fünf Jahren von Ihnen noch vehement kritisiert — —

(Feilcke [CDU/CSU]: Vor fünf Jahren waren Sie noch in der FDP!)

— Das weiß ich besser; das sind sechs Jahre.

(Feilcke [CDU/CSU]: So ändert man sich!)

Das war nämlich der Tag, an dem Sie Helmut Schmidt gestürzt haben, mein Lieber. Aber jetzt frage ich den Herrn Pinger. Herr Pinger, ist Ihnen klar, daß Ihre Fraktion das vor fünf Jahren vehement abgelehnt und als Klassenkampf in die Ecke gelegt hat?

(Kittelmann [CDU/CSU]: Vor fünf Jahren war das noch falsch!)

Kann es nicht sein, daß Sie uns auch bei unserer Bitte folgen, daß es schneller geht als fünf Jahre?

Dr. Winfried Pinger (CDU):
Rede ID: ID1110005200
Erstens ist ein allgemeiner Schuldenerlaß heute so verfehlt wie damals.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Den fordern wir nicht!)

Zweitens war es notwendig, zunächst einmal die internationale Kapitalmarktsituation zu stabilisieren und — darauf kommt es mir an — den einzelnen Banken die Möglichkeiten zur Wertberichtigung zu geben. Sonst hätten wir einen Zusammenbruch der privaten Banken bekommen, insbesondere in den USA, was natürlich das Banken- und Währungssystem gefährdet und den Entwicklungsländern nicht geholfen hätte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, nicht die Schuld für die Verschuldung, sondern allein die künftige Leistungsfähigkeit darf der Maßstab für die Bewältigung der Schuldenkrise sein. Wir Deutschen haben allen Anlaß, an vorderster Stelle für eine solche Lösung einzutreten. Wir kennen die katastrophale Lage, in die das Deutsche Reich auf Grund des Versailler Vertrages durch eine übermäßige Schuldenlast geraten ist; Frau Matthäus-Maier hat darauf zu Recht hingewiesen. Wir wissen aber auch, daß uns das Londoner Schuldenabkommen von 1953 mit einem fast 50prozentigen
Schuldenerlaß erst die Möglichkeit für das deutsche Wirtschaftswunder eröffnet hat,

(Beifall bei der SPD)

allerdings nach einer Währungsreform und nach einer grundlegenden Wirtschaftsreform im Sinne der sozialen Marktwirtschaft.
Ich komme zum Schluß und stelle fest:

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Herr Lambsdorff hat gerade das Gegenteil gesagt!)

Die Chance und die Großzügigkeit, die uns, den Deutschen, nach dem Zweiten Weltkrieg gewährt worden sind, müssen wir nun auch denjenigen zukommen lassen, deren Lage zur Zeit fast aussichtslos erscheint und die mit unserer Hilfe — dazu gehört auch der Abbau des Protektionismus — wieder zu leistungsfähigen Partnern von morgen werden können.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110005300
Das Wort hat Frau Abgeordnete Folz-Steinacker.

Sigrid Folz-Steinacker (FDP):
Rede ID: ID1110005400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Umweltzerstörung und Verschuldung, Bevölkerungswachstum und Massenarmut in den Entwicklungsländern gehören zu den großen, zu den ganz großen Herausforderungen unserer Zeit. Wir stehen vor der gewaltigen Aufgabe, die natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren und die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der Dritten Welt zu beschleunigen. Es ist unbestreitbar: Langfristige Entwicklung setzt ein Mindestmaß an eigendynamischer Wirtschaftsentwicklung voraus und muß eine konsequente Beachtung ökologischer Gesichtspunkte einbeziehen. Industrie- und Entwicklungsländer müssen dafür sorgen, daß Ökonomie und Ökologie in Einklang gebracht werden. Umwelterhaltung und Umweltverträglichkeit müssen fester Bestandteil von Entwicklungsprogrammen sein. Nur durch gemeinsames Handeln von Nord und Süd kann die Zukunft der Menschheit gesichert werden.
Der Verlauf und die Ergebnisse der Jahresversammlung 1988 von IWF und Weltbank in Berlin haben gezeigt, daß es zwischen den Vertretern der Entwicklungsländer und der Industrieländer in entscheidenden Fragen eine ganz große Übereinstimmung gibt. Von beiden Seiten wurde nicht nur die Notwendigkeit einer verstärkten Zusammenarbeit deutlich gemacht, sondern auch die zentrale Rolle von IWF und Weltbank bei der Überwindung der weltweiten Verschuldungsprobleme unterstrichen. Wir sind uns bewußt, daß die Bekämpfung der Massenarmut in den Ländern der Dritten Welt eine vordringliche Aufgabe bleibt.
Auf den Zusammenhang zwischen Bevölkerungswachstum und Umweltzerstörung wurde auf der Jahresversammlung nachdrücklich hingewiesen. Eine der entscheidenden Forderungen bleibt jedoch die Schaffung eines offenen Welthandelssystems, das als wesentliche Voraussetzung für Wachstum und Entwicklung in den Ländern der Dritten Welt gesehen wird. Hier sind vor allem die Industrieländer gefor-



Frau Folz-Steinacker
dert, durch den Abbau von Subventionen und Protektionismus für offene Märkte zu sorgen.
Meine Damen und Herren, es ist ganz deutlich geworden, daß es keine Alternative zu der bisher verfolgten einzelfallbezogenen Schuldenstrategie gibt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ernsthafte Anpassungsmaßnahmen der verschuldeten Entwicklungsländer bleiben weiterhin unerläßlich für ihre wirtschaftliche Gesundung. Hierbei darf jedoch nicht übersehen werden, daß bei Anpassungsprogrammen die Auswirkungen auf die ärmsten Bevölkerungsschichten besonders beachtet werden müssen. Gleichzeitig ist es erforderlich, den verschuldeten Entwicklungsländern durch weitere Schuldenerleichterungen entgegenzukommen. Ich sage ausdrücklich: Erleichterungen.
Zur Unterstützung der Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer bedarf es vor allem eines verstärkten Kapitalzuflusses. Dies erfordert auch ein größeres finanzielles Entgegenkommen der Geschäftsbanken. Es ist erfreulich, daß sich bei den Entwicklungsländern die Erkenntnis zur Durchführung eigener Umweltschutzmaßnahmen immer mehr durchsetzt. Aus den negativen Erfahrungen der Vergangenheit müssen Lehren gezogen werden; das wissen wir alle.
Bei der Planung von Staudammvorhaben und sonstigen Förderungsprogrammen im Energiesektor muß künftig den projektspezifischen und großräumigen Umweltschutzerfordernissen im Interesse der Natur und der ansässigen Bevölkerungsgruppen hinreichend Bedeutung beigemessen werden. Meine Damen und Herren, es darf kein neues Balbina geben.
Den von der Bundesregierung vor kurzem gefaßte Beschluß zu einem weiteren Schuldenerlaß und zur Verbesserung der Kreditbedingungen im Rahmen der finanziellen Zusammenarbeit darf ich an dieser Stelle ganz ausdrücklich begrüßen. Die Verbesserung der Kreditbedingungen schafft nicht nur eine Erleichterung für die betroffenen Entwicklungsländer, sondern sie schafft ihnen auch weiteren Spielraum für die notwendige Strukturreform.
Meine Damen und Herren, es genügt nicht, mit großem Engagement auf die Probleme in der Dritten Welt hinzuweisen. Erforderlich ist die Beseitigung der Ursachen von Armut und Unterentwicklung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Trotz ihrer großen Anstrengungen bei der Armutsbekämpfung müssen sich die Kirchen fragen lassen, welchen Beitrag sie für eine durchgreifende Politik zur Verringerung des Bevölkerungswachstums in der Dritten Welt geleistet haben. Welche Position nehmen die Gewerkschaften ein, wenn es darum geht, dem Protektionismus Einhalt zu gebieten, und wenn es um den Abbau von Handelsschranken und den damit verbundenen Strukturanpassungsprozeß geht? Meine Damen und Herren, wie steht es mit den Lippenbekenntnissen der SPD zur Notwendigkeit einer marktorientierten Wirtschaftspolitik? Wer Strukturanpassung, Deregulierung und Entstaatlichung ablehnt,
kann die Probleme einer modernen Industriegesellschaft nicht lösen.

(Zustimmung bei der FDP)

Es genügt eben nicht, Zukunftsprogramme zu entwerfen, wenn Sie die Aufgaben der Gegenwart noch nicht bewältigt haben.
Meine Damen und Herren, wir dürfen die von Not und Armut betroffenen Entwicklungsländer nicht sich selbst überlassen. Unsere Bemühungen dürfen sich nicht darauf beschränken, eine Lösung der Probleme der Dritten Welt nur durch die Bereitstellung von immer mehr Finanzierungsmitteln zu suchen. Im Mittelpunkt unserer Bemühungen muß vielmehr eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für eine langfristig angelegte Entwicklung der Länder der Dritten Welt stehen. Die anstehenden Probleme können nur durch gemeinsame Anstrengungen und im partnerschaftlichen Dialog zwischen Nord und Süd gelöst werden. Die Jahresversammlung von IWF und Weltbank in Berlin hat hierzu einen ganz wertvollen Beitrag geleistet.
Danke.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110005500
Das Wort hat der Abgeordnete Feilcke.

Jochen Feilcke (CDU):
Rede ID: ID1110005600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich muß einmal sehen, daß die Uhr hier nicht falsch eingestellt ist; es rast ja jetzt hier alles so weg.
Die Herbsttagungen waren in Berlin, und sie waren ein sehr großer Erfolg, aus vielerlei Gründen, auch — ich will es noch einmal ausdrücklich betonen — für Berlin als Versammlungsort.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Das stimmt!)

Ich meine auch, daß es eine sehr gute Sache war, daß sich Berlin als internationale Kongreßstadt von der besten Seite zeigen konnte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte deshalb ausdrücklich den beiden Institutionen dafür danken, daß sie diesen Ort gewählt haben. Ich möchte auch dem Finanzminister, der die Federführung bei der Organisation hatte, und der deutschen Vorbereitungsgruppe danken,

(Beifall bei der SPD)

die immerhin zwei Jahre dafür gearbeitet, aber am Ende ein gutes Ergebnis gebracht hat.
Wer von den Ergebnissen dieser Tagung enttäuscht ist, ist ganz offensichtlich von falschen Erwartungen ausgegangen. Ich meine, daß die Vorfeldveranstaltungen, die Veranstaltungen im vorpolitischen Raum, die Veranstaltungen innerhalb und außerhalb der politischen Gruppierungen, die friedlichen Demonstrationen während der Tagungen, die fruchtbaren Diskussionen während der Tagungen und insbesondere auch die Ergebnisse dazu beigetragen haben und hoffentlich auch weiterhin dazu beitragen werden, daß sich eine größere Zahl von Menschen als bisher mit den Problemen der Dritten Welt befaßt und auseinandersetzt und nach Lösungsmöglichkeiten für die drän-



Feilcke
genden Probleme sucht. Die Ergebnisse sind vielfach genannt worden. Ich meine, es kann jetzt damit zusammengefaßt werden: Die drängenden Themen Armutsbekämpfung, Verschuldungsproblematik, Offenheit der Märkte und Umweltschutzmaßnahmen sind heute stärker im Bewußtsein von uns allen. Das ist eines der positiven Ergebnisse, auf die wir sicherlich noch oft zurückkommen werden.
Meine Damen und Herren, es gibt natürlich Kritiker, die die dringend notwendigen Lösungen der drängenden Probleme der Dritten Welt erwartet haben. Sie vergessen, meine ich, daß eine derartige Tagung damit völlig überfordert wäre. Wenn 151 Mitglieder zu ihrer Hauptversammlung zusammenkommen, dann gibt es Diskussionen, dann gibt es Erfahrungsaustausch, dann gibt es Tendenzmeldungen, und dann gibt es vor allen Dingen auch Abstimmungsgespräche über das weitere Vorgehen. Globale Lösungen können und konnten nicht gefunden werden. Sie werden übrigens von den Vertretern der Entwicklungsländer auch nicht gefordert, sondern sie sind ausdrücklich abgelehnt worden.
Wir brauchen — damit möchte ich noch zu einem konkreten Vorschlag kommen, den ich bei anderer Gelegenheit schon eingebracht habe, den ich aber noch etwas ausführen möchte, wenn die Zeit mir das erlaubt — Lösungen, die es den Schuldnerländern ermöglichen, die Last ihrer Kapitalrückzahlung zu erleichtern. Insofern brauchen wir politische Lösungen, die es ermöglichen, Konzessionen bei der Zinslast und den Zinszahlungsmodalitäten zu schaffen. Es gibt eine entsprechende Empfehlung im Interim Committee des IMF. Da gibt es eine Compensatory Contingency Financing Facility (CCFF), bei der rückläufige Exporterlöse oder -volumina sowie Naturkatastrophen und außerordentliche Zinsbewegungen berücksichtigt werden sollen. In denselben Zusammenhang ist der Vorschlag zu stellen, der von Alfred Herrhausen, der hier heute schon oft zitiert worden ist, auch heute noch unterstützt wird, einen Zinsausgleichsfonds zu schaffen. Dieser Zinsausgleichsfonds, den ich jetzt nur in aller Kürze noch einmal nennen darf, würde Vorteile bringen, die insbesondere die unkalkulierbaren Zinsentwicklungen auffangen könnten. In einer Phase niedriger Zinsen könnten Höchstzinsen unter Konditionen — Herr Bundesfinanzminister, ich weiß, daß Sie mit diesem Vorschlag nicht so ganz einverstanden sind — vereinbart werden. Damit würden eine Budgetplanung ermöglicht und Marktkräfte nicht außer Kraft gesetzt. Orientierungsgröße für die Beiträge der Banken könnten hierbei die bereits vorgenommenen Wertberichtigungen sein.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Zum ersten käme es in der Verschuldungsdiskussion zu wirklicher materieller Hilfe. Zweitens. Die demokratischen Strukturen vieler Länder befinden sich in einem sehr labilen Zustand. Hier könnte stabilisierend gewirkt werden. Drittens. Sicherheit der Budgetplanung. Viertens. Es könnten die üblichen Konditionen eingeführt werden. Sie wären allerdings zumutbarer als bisher, da materielle Hilfen kommen. Fünftens. Die Geberländer werden zwangsläufig ermuntert, eine Geldpolitik niedriger Zinsen zu betreiben, damit der Fonds nicht in Anspruch genommen werden muß. Sechstens. Das
Geld, das die Gläubiger hier einschießen, würde an sie selbst zurückfließen. Schließlich siebentens. Der Fonds könnte zeitlich begrenzt werden; es könnte eine Unterscheidung nach Alt- und Neuschulden vorgenommen werden.
Meine Damen und Herren, die Zeit ist leider abgelaufen. Ich glaube, daß am Ende dieser Diskussion folgendes gesagt werden kann: Es hat viele Anstöße gegeben. Ich hoffe, daß das öffentliche Bewußtsein im Nachgang zu dieser Tagung so lebhaft erhalten bleibt und so konstruktiv bleibt wie im Vorfeld der Tagung.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110005700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Gautier.

Dr. Fritz Gautier (SPD):
Rede ID: ID1110005800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich hatte das Vergnügen, mit der Delegation des Bundestages in Berlin dabeizusein. Ich weiß nicht, ob es immer ein Vergnügen war.
Nachdem von Rednern der Koalition die Rede von Herrn Kanzler Kohl so gelobt worden ist, möchte ich zu Beginn doch etwas Wasser in den Wein hineingießen. Sicher gab es auch einige gute Aspekte, aber wie schreibt die offizielle Zeitung des IWF, die in Berlin verteilt worden ist? Ich zitiere:
Chancellor Helmut Kohl made the usual appeal to hold constructive discussions despite divergent points of view.
Das ist die Äußerung, die dort über Kohls Rede gemacht worden ist. Auch ich hatte den Eindruck, daß der Kanzler in seiner Rede an einigen zentralen Fragen, die am Rande der Konferenz eine große Rolle gespielt haben, vorbeigegangen ist.

(Beifall bei der SPD)

Ich will hier einmal aus seiner Rede zitieren, die er dort gehalten hat, über die Frage der Rolle der Banken. Ich zitiere aus der Rede über die Frage der Verschuldung:
Da es hier zuallererst um die Zusammenarbeit zwischen den Banken und den betroffenen Ländern geht, kann es nicht meine Aufgabe sein, konkrete Empfehlungen hierzu zu geben.
Das ist allerdings das Ende der Politik, was der Kanzler dort gemacht hat.

(Feilcke [CDU/CSU]: Na, ja!)

Denn gerade bei den privaten Krediten — darauf will ich kommen — brauchen wir auch politische Maßnahmen, um dort zu einem koordinierten Vorgehen zu kommen.
Wie sehen die Zahlen aus? Meine Kollegin Ingrid Matthäus-Maier hat sie schon angedeutet. Wir haben 1,2 Billionen Verschuldung insgesamt, sprich: eine Zinslast von ungefähr 100 Milliarden Dollar jährlich. Ein Großteil davon sind private Kredite.
Staatssekretär Tietmeyer hat gestern im Wirtschaftsausschuß sehr deutlich gesagt, daß — dem



Dr. Gautier
stimme ich übrigens zu — man diese Probleme nicht global, sondern nur länderweise unter dem so schönen Begriff „menue approach" lösen kann.

(Beifall bei der SPD)

Dem würde ich zustimmen. Nur, er hat gesagt: Ziel dieser Sache muß natürlich sein, zu einer Schuldensenkung zu kommen. Die Äußerung, zu einer Schuldensenkung zu kommen, kann ich unterschreiben. Es stellt sich nun für uns die Frage: Welche Instrumente haben wir dort, wenn die privaten Banken es vielleicht nicht freiwillig machen? Denn das Dilemma bei der Diskussion ist doch, daß er zwar im Prinzip Recht hat, daß wir aber wohl nicht erwarten können, daß weltweit alle Banken dabei freiwillig mitmachen — entsprechend dem bemerkenswerten Vorschlag von Herrn Herrhausen. Deswegen bedarf es einer Führung der Politik und auch entsprechender Rechtsvorschriften.

(Beifall bei der SPD)

Was würde denn tatsächlich passieren, wenn z. B. in einem Bankenkonsortium, sagen wir einmal, die Hälfte der Banken die Schulden erlassen würde? Das würde praktisch bedeuten, daß sich die Bonität der restlichen Kredite verbessern würde. Das heißt, ein Erlaß, sagen wir einmal: nur der Deutschen Bank, würde dazu führen, daß wir indirekt den amerikanischen Banken helfen. Dies kann nicht Sinn der Übung sein. Da sie das nicht freiwillig machen, müssen wir dafür sorgen, daß durch entsprechend koordinierte internationale Rechtsvorschriften Maßnahmen ergriffen werden.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU — Abg. Dr. Pinger [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Nur einen Satz noch. — Nein, es gibt Möglichkeiten, die man anstreben kann, z. B. beim System der Wertberichtigung, das in den USA im Augenblick ja völlig anders läuft, daß man nämlich nur eine Wertberichtigung nach den Steuern machen kann, Modelle international abzusprechen, daß nämlich Wertberichtigungen erzwungen werden müssen, wenn sich bestimmte Privatbanken nicht an einem solchen „menue approach" beteiligen, und zwar ausstehende Kredite dann unmittelbar berichtigen müssen. Sie glauben gar nicht, wie schnell die Banken dabei sind, wenn die Alternative eine längerfristige Abschreibungsmöglichkeit ist.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110005900
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Pinger?

Dr. Fritz Gautier (SPD):
Rede ID: ID1110006000
Ja.

Dr. Winfried Pinger (CDU):
Rede ID: ID1110006100
Herr Kollege, ich würde Sie gerne fragen, ob Sie wirklich konkret weiterführende Vorschläge haben, wie das in den nächsten, sagen wir, zwei Jahren umgesetzt werden kann?

Dr. Fritz Gautier (SPD):
Rede ID: ID1110006200
Ich glaube, daß ich versucht habe, exakt dieses in den einzelnen Punkten mit anzusprechen, weil nämlich ein Großteil der Schulden bei privaten Banken vorhanden ist, daß wir die Banken über eine internationale Absprache, z. B. im Bereich des Bankenrechts, nötigen müssen, an einem
solchen koordinierten Vorgehen mitzumachen. Es nützt herzlich wenig, wenn es die Deutsche Bank alleine macht.

(Dr. Pinger [CDU/CSU]: Wer will das denn machen?)

Damit können wir anfangen. Ich verweise übrigens auch auf die Rede, die Frau Matthäus-Maier dort gehalten hat. Wir halten eine internationale Konferenz zur Bewältigung dieser Probleme und zur Erarbeitung politischer Leitlinien für sinnvoll.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt ja auch noch eine ganze Reihe von anderen Instrumentarien, die wir ja auch nicht alle völlig verdammen können, z. B. die berühmten debt-equityswaps. Bloß, was mich daran stört, ist, daß sich Spekulanten daran im Augenblick eine goldene Nase verdienen. Man hat dies ja in der „Wirtschaftswoche" von dieser Woche, aber auch in anderen Zeitungen, sehr schön nachlesen können. Wenn man so etwas überhaupt anstrebt, dann sollte dies, glaube ich, anders organisiert werden, nämlich so, daß debt-equityswaps auch von den internationalen Organisationen und nicht nur von privaten Spekulanten organisiert werden.
Die Schlußfolgerung, die ich daraus ziehe, ist, daß ich persönlich auch den länderweisen Ansatz und den menue approach für richtig halte. Aber es mangelt an koordinierten Initiativen, insbesondere auch gegenüber den privaten Schulden.
Lassen Sie mich nun noch einmal ein paar Ausführungen zur Frage der Handelspolitik machen. Wenn wir uns die Gesamtschuldensituation und die daraus folgende Zinslast ansehen, dann stellen wir fest, daß das, global gesehen, bedeutet, daß die Entwicklungsländer einen Handelsbilanzüberschuß in einer riesigen Größenordnung haben müßten. Wie sind die tatsächlichen Zahlen? Die tatsächlichen Zahlen — ich zitiere aus dem Bericht des Bundeswirtschaftsministeriums — sehen wie folgt aus: Außenwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland nach Ländergruppen: Einfuhr aus Entwicklungsländern: 50,177 Milliarden DM, Ausfuhr in Entwicklungsländer: 52,094 Milliarden DM. Das heißt: Die Bundesrepublik Deutschland hat selber noch einen Handelsüberschuß gegenüber den Entwicklungsländern. Die eigentlichen Ziele, die wir erstreben, nämlich daß die Handelspolitik zum Teil mit dazu beitragen kann, die Schuldenlast zu senken bzw. die Zinsen zu bezahlen, werden also nicht erreicht. Und wenn wir uns global ansehen, daß auch die USA hier noch einen erheblichen Umbau ihrer eigenen Wirtschaft vornehmen müssen, dann stellen wir fest, daß hier ein riesiger Handlungsbedarf ist.
Weltbankpräsident Conable hat dies in seinem Bericht ja auch sehr deutlich ausgedrückt. Er sagt, es gebe Schätzungen, wonach Handelsliberalisierung eine Bruttosozialprodukterhöhung für die Entwicklungsländer von 3 % und für die Industrieländer von 0,6 % bringen könne. Nach diesen Schätzungen kostet der Protektionismus der Industrieländer erheblich mehr als der jährliche offizielle Entwicklungs-



Dr. Gautier
transfer von etwa 0,35 % des Bruttosozialprodukts der Industrieländer.

(Dr. Grünewald [CDU/CSU]: Leider ist das so!)

Dies ist meines Erachtens eine richtige Aussage. Wir brauchen also handelspolitische Fortschritte auch für die Entwicklungsländer. Und da setzen wir sicher auch darauf, daß auf dem GATT-midterm-review in Montreal Erfolge erzielt werden. Aber werden denn Erfolge erzielt, und was macht in diesem Bereich die Bundesregierung? Ich möchte hier aus einer Mitteilung des Ministeriums über die Fortschritte bei den GATT-Verhandlungen zitieren, um an nur einem Beispiel darzustellen, was die Entwicklungsländer angeht. Ich zitiere:
Besonders geringe Fortschritte machte die Verhandlungsgruppe Textil und Bekleidung. Die Entwicklungsländer fordern die strikte Konzentration der Arbeit der Verhandlungsgruppe auf das Auslaufen des Welttextilabkommens und die Ausarbeitung von Modalitäten zu einer Rückführung dieses Sektors unter die Allgemeinen GATT-Regeln. Die Industrieländer legten nicht nur keine eigenen Verhandlungsvorschläge vor, sondern kommentierten häufig nicht einmal die Vorschläge der Entwicklungsländer.
Das ist die Realität, mit der wir uns auseinanderzusetzen haben. Da ist die Bundesregierung doch einmal gefragt, welche eigenen Initiativen sie denn in diesem Bereich ergreift. Denn die Bundesrepublik ist doch GATT-Mitgliedstaat, GATT-Signatarstaat und kann sich dort nicht auf irgendwelche anderen internationalen Organisationen zurückziehen.

(Dr. Grünewald [CDU/CSU]: Tut sie auch nicht!)

Also, die Bundesregierung ist gefragt, welche Maßnahmen sie ergreift.
Zweites Beispiel in dem Bereich: Bundeskanzler Kohl war jetzt auf Weltreise und war auch in Canberra. In der Tagesschau habe ich dann gesehen, daß er dort angekündigt hat, daß die Europäische Gemeinschaft oder die Bundesrepublik für den Abbau von Agrarsubventionen ist.
Wie sieht denn da die Wirklichkeit aus? Beispiel Argentinien: Argentinien hatte vor 10, 12 Jahren noch ungefähr 9 % seiner gesamten Exporterlöse aus dem Rindfleisch; das ist auf 2 % runtergegangen. Natürlich gibt's auch interne Handelsverschiebungen, aber was ist zur gleichen Zeit parallel passiert? Die Europäische Gemeinschaft ist vom Nettoimporteur zum größten Nettoexporteur der Welt geworden, mit mehr als 500 000 Tonnen, die subventioniert auf den Weltmarkt „gedumpt" werden. Das schadet natürlich auch Ländern, die daraus ansonsten Exporterlöse dringend erzielen müssen.
Dies kann so nicht weitergehen. Und da frage ich auch die Bundesregierung: Was sagt sie denn z. B. zu den Initiativen der Argentinier, der Australier und auch der Amerikaner, daß zumindest im Bereich der Exportsubvention unbedingt schnelle Fortschritte gemacht werden, um diesen Unsinn der Exportsubvention von Agrarprodukten dort zu beenden?

(Beifall bei der SPD)

Es laufen im Augenblick die Verhandlungen über die Neufassung des Lomé-Abkommens, sprich Lomé IV. Das Lomé-Abkommen mit den AKP-Staaten ist insgesamt eigentlich ein positiver Ansatz, aber es gibt auch eine ganze Reihe von Schwachstellen. Auch hier habe ich Aussagen der Bundesregierung vermißt, wie Sie z. B. das System der allgemeinen Zollpräferenz dort weiter entwickeln wollen, denn es nützt doch herzlich wenig, wenn wir vielleicht zollfreie Importe aus Entwicklungsländern, insbesondere aus den AKP-Staaten, zulassen, die für unveredelte Produkte gelten, und auf der anderen Seite sagen, sie sollen selber stärker in die Wertschöpfung hineingehen, was wir dann mit höheren Zöllen belegen. Wir bestrafen sie also im Prinzip für etwas, wozu wir sie vorher aufgefordert haben. Auch hier erwarten wir von der Bundesregierung, daß hier materielle Verbesserungen im Bereich des allgemeinen Zollpräferenzschemas zur Geltung kommen.
Im Bereich der Handelspolitik gehört natürlich auch etwas mit dazu, was man in irgendeiner Form faire Welthandelsbedingungen nennen kann. Vorhin wurde — von Bundesminister Klein oder von Finanzminister Stoltenberg, glaube ich — die Verbesserung der weltweiten Rohstoffpreise angesprochen. Ich weiß nicht, welche Statistiken Sie benutzen, Herr Stoltenberg, aber ich habe hier offizielle Statistiken über reale Rohstoffpreise von 33 Rohstoffen, die nicht Erdöl sind. Danach haben sich von 1970 bis 1987 — ich nehme die Basis 1970 mit 100 an — die realen Preise auf 60 % verschlechtert. Das ist die Situation. Wir müssen in irgendeiner Form versuchen, dagegen anzugehen. Hier muß man gegebenenfalls Rohstoffmärkte mit organisieren, wie es z. B. im internationalen Kaffeeabkommen oder auch im internationalen Zuckerabkommen ist, wo die Europäische Gemeinschaft immer noch nicht Mitglied ist, oder wie bei anderen bestimmten Rohstoffabkommen, wo man entweder Ausgleichssysteme findet, wie Stabex und Sysmin im EG-Bereich, oder wo man Märkte organisiert.
Lassen Sie mich zum Abschluß — ich sehe, es ist die letzte Minute — noch etwas sagen, was mir beim Studieren der Dokumente für die IWF-Tagung aufgefallen ist. Es heißt so häufig: Die Weltbank vergibt Kredite, und es wäre wünschenswert, wenn von den Krediten so viel Geld wie möglich von den Ländern zum Aufbau der eigenen Industrie, Landwirtschaft und wie auch immer benutzt wird. Nun schreibt hier die Bundesregierung selber — das ist interessant — : „Deutsche Lieferung im Rahmen von Weltbankprojekten". Ich zitiere:
Die deutsche Industrie hält trotz zunehmender Konkurrenz einen ansehnlichen Anteil an Exportaufträgen für Waren und Dienstleistungen, die im Rahmen von weltbankfinanzierten Projekten vergeben wurden. Zum 30. 6. 1988 waren kumulativ Zahlungen in Höhe von 7,6 Milliarden US-Dollar an die deutsche Industrie geflossen. Damit war die Bundesrepublik mit bisher rund 12 % an Lieferaufträgen von außerhalb beteiligt.



Dr. Gautier
Ich glaube, es kann nicht Sinn der Übung sein, daß wir auf der einen Seite versuchen, Weltbankkredite für Projektfinanzierung in Entwicklungsländern zu geben, was aber indirekt als eine Unterstützung der Exporte für die deutsche Industrie angesehen wird. Ich habe nichts gegen Exporte der deutsche Industrie, nur sollten Entwicklungsprojekte wirklich dazu dienen, daß auch in den Entwicklungsländern so viel Wertschöpfung wie möglich erfolgt.
Meine Damen und Herren, meine Zeit ist zu Ende. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110006300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kittelmann.

Peter Kittelmann (CDU):
Rede ID: ID1110006400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nicht nur die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft, auch die Bürger verspüren immer mehr, daß das Verhältnis zwischen den Ländern der Dritten Welt und den Industrieländern positiver gestaltet werden muß. Wir können uns nicht weiterhin den Reichtum leisten, auf wenige Völker verteilt, und die Armut in der Dritten Welt konzentrieren. Dringende Appelle auch der Kirchen — wie am vergangenen Wochenende durch den Papst in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats — bringen uns unter einen Erfolgsdruck des Handelns, der gerade auch bei der Tagung der Weltbank in Berlin gezeigt hat, daß konstruktive Gedanken, begleitet von einer Öffentlichkeit, die dies verfolgt, immer stärker ins Bewußtsein der Öffentlichkeit dringen, so daß dieses Thema Konjunktur hat und die Bundesregierung, der wir herzlichen Dank sagen, ermutigt wird, auch für unkomplizierte und neue Wege immer wieder die Bereitschaft erkennen zu geben, im internationalen Konzert mit allen gemeinsam zu agieren.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Konkret heißt das: Wir müssen außenwirtschaftlich — das ist die beste Hilfe, meine Damen und Herren — unsere Märkte öffnen. Wir müssen die internationale Kooperation und die internationale Koordination vorantreiben. Trotz vieler verbaler Bekundungen auf internationalen Konferenzen wissen wir, daß es immer wieder neue grundsätzliche Tendenzen gibt, die dagegen sind. Ich darf nur das neue Handelsgesetz in den USA oder aber das US-Textilabkommen erwähnen. Dies alles ist ein Schlag ins Gesicht der Dritten Welt und auch unserer Bemühungen, hier etwas weiter voranzukommen.

(Feilcke [CDU/CSU]: Leider ja!)

Ich danke der Bundesregierung ausdrücklich. Im Gegensatz, Herr Gautier, zu dem, was Sie gesagt haben, sind wir bei der internationalen GATT-Konferenz die Fordernden, die Protektionismus und Exportsubventionen ablehnen und alles tun, um zu verhindern, daß die Dritte Welt dort, wo sie überhaupt in der Lage ist — ich denke als ein Beispiel etwa an Argentinien und seine Fleischproduktion — , etwas Positives zu tun, auf Drittmärkten z. B. französischem Fleisch begegnet, das subventioniert wird. Das müssen wir an
den Pranger stellen, und dem müssen wir mit erfolgreichen Konzepten begegnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Matthäus-Maier [SPD]: Was tun Sie dagegen?)

Meine Damen und Herren, wir sprechen ja hier auch über die Zukunft. Wir haben die große Idee des Binnenmarktes vor uns. Diese Idee des Binnenmarktes, der ab 1. Januar 1993 in Kraft treten soll, darf nicht zur Abschottung unserer Märkte führen. Der Binnenmarkt muß ein Beweis für die Handlungsfähigkeit Europas sein, sich gegenüber der Dritten Welt zu öffnen und nicht abzuschließen. Dies wird für die nächsten Jahre unser Diskussionsthema sein; denn Sie werden erleben, daß überall Gedanken auftauchen, diesen Binnenmarkt wiederum im Dreieck USA—Japan—Europa zu benutzen, um sich nicht zu öffnen, sondern abzuschotten. Der Angst, die heute teilweise aus den Ländern der Dritten Welt hochkommt, müssen wir jetzt durch positives Handeln begegnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

So müssen auch die Idee und die Bereitschaft der Dritten Welt, mehr Marktwirtschaft zu praktizieren, jetzt umgesetzt werden. Wir wollen nicht die ideologischen Kämpfe aus der Seerechtskonferenz, aus UNCTAD und vielem anderem mehr zurückhaben.
Übrigens haben die Rohstoffonds, die man eingeführt hat, unter dem Strich fast alle versagt. Sie sind leider keine Lösung für die Rohstoffproblematik.
Dieses alles — ich kann jetzt hier nur noch einen Schlußsatz dazu sagen — muß mit dazu führen — meine Damen und Herren, die CDU/CSU bekennt sich dazu — , daß das Gift der Verziehung zur Dritten Welt Protektionismus ist, daß das Gift darin besteht, daß wir die Dritte Welt auf der einen Seite zwar ermutigen, sich selbst zu helfen, daß sie aber auf der anderen Seite dann, wenn sie etwas produzieren, was hier abgesetzt werden kann, durch Subvention oder aber durch Herunterschrauben ganz bestimmter Quoten nicht die Möglichkeit haben, sich zu zeigen.
Ich freue mich, daß wir heute Gelegenheit hatten, in vielen Fragen auch gemeinschaftliche Gedanken zu äußern. Wir nehmen ausdrücklich die Gedanken, die die Sozialdemokraten hier vorgetragen haben und bei denen wir mit ihnen übereinstimmen, auf, um gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir hier nicht miteinander Gegensätze aufbauen, sondern wo wir Gemeinsamkeiten miteinander umsetzen können.
Ich möchte die Bundesregierung ausdrücklich ermutigen, in den internationalen Gremien durch positive und konstruktive Ideen der Dritten Welt zu zeigen,

(Volmer [GRÜNE]: Wo soll sie die denn hernehmen?)

daß die Bundesrepublik Deutschland nicht nur verbal, sondern in der tatsächlichen Umsetzung ein Freund der Dritten Welt ist. — Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110006500
Meine Damen und Herren, nach § 30 der Geschäftsordnung hat Frau Abge-



Vizepräsident Frau Renger
ordnete Matthäus-Maier das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Ingrid Matthäus-Maier (SPD):
Rede ID: ID1110006600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich muß nur eine Korrektur vornehmen. In meiner Rede hatte ich folgendes gesagt:
Inzwischen zahlen 19 Staaten der Dritten Welt mehr Zinsen und Tilgungen aus Entwicklungshilfekrediten an den Bundeshaushalt zurück, als sie von uns an neuer Entwicklungshilfe erhalten. Dazu gehören auch so arme Länder wie Äthiopien und Afghanistan.
Bundesminister Klein hat in seiner Rede gesagt, in bezug auf Äthiopien sei meine Aussage falsch. Ich habe mittlerweile die Drucksache 11/2626, die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der GRÜNEN mit der Überschrift „Rückflüsse aus den bundesdeutschen Entwicklungshilfe-Krediten" , vorliegen. Dort ist auf Seite 4 ausdrücklich ausgeführt, daß die Länder Äthiopien und Afghanistan zu den Ländern mit sogenanntem negativen Nettotransfer gehören. Vielleicht sollte Herr Minister Klein einmal seine eigene Antwort lesen.
Zweitens. Otto Graf Lambsdorff hat gesagt, das Londoner Schuldenabkommen habe nicht zum Schuldenerlaß geführt. Tatsache ist, daß nach dem Londoner Schuldenabkommen die Schulden um etwa 50 durch Neubewertung reduziert worden sind, wie Herr Pinger dankenswerterweise schon dargelegt hat.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110006700
Ich schließe die Aussprache.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist vereinbart worden, die Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 5 b und 5 c an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. — Kein Widerspruch; so beschlossen.
Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 5 d. Interfraktionell ist vereinbart worden, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1793 zu überweisen: zur federführenden Beratung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und zur Mitberatung an den Finanzausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft und den Haushaltsausschuß. Ist das Haus einverstanden? — Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Jetzt kommen wir zu Tagesordnungspunkt 5 e. Die Fraktion DIE GRÜNEN wünscht, daß über ihren Antrag Drucksache 11/2881 namentlich abgestimmt werden soll. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP sowie der SPD beantragen hingegen nach dem Gebrauch des Hauses Überweisung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN zur federführenden Beratung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß, den Finanzausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft und den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Die Abstimmung über die Überweisung geht der namentlichen Abstimmung vor. Meine Damen und Herren, wer stimmt für die Überweisung des Antrags? — Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der GRÜNEN ist der Antrag an die genannten Ausschüsse überwiesen.
Jetzt kommen wir zu Tagesordnungspunkt 5 f. Wir stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf Drucksache 11/2567 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der SPD auf Drucksache 11/828 abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der SPD mit den Stimmen der CDU/CSU und FDP und der GRÜNEN angenommen.
Meine Damen und Herren, die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt. Da die Fragestunde bereits vorzeitig gegen 14.20 Uhr beendet sein wird, schließt sich daran sofort die Aktuelle Stunde an.
Ich danke Ihnen. Ich unterbreche die Sitzung. (Unterbrechung von 13.28 bis 14.00 Uhr)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110006800
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Punkt 2 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 11/3080 —
Wir haben nur noch einen Geschäftsbereich zu behandeln, den des Bundesministers des Auswärtigen. Herr Staatsminister Schäfer steht zur Beantwortung der Fragen zu unserer Verfügung.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Dr. Scheer auf. — Er ist nicht da. Dann werden die Frage 10 und die ebenfalls von ihm eingebrachte Frage 11 entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.
Ich rufe Frage 12 des Abgeordneten Grunenberg auf
Hat die Bundesregierung mittlerweile eine amtliche deutsche Übersetzung des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen einschließlich der Schlußakte von 1982 erstellt, wie im Antrag der Fraktion der SPD vom 27. Februar 1985 (Drucksache 10/2931) gefordert wurde?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, eine amtliche deutsche Übersetzung des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982 für die Bundesrepublik Deutschland liegt seit August 1988 vor. Für die Schlußakte der Dritten Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen ist eine amtliche deutsche Übersetzung nicht angefertigt worden. Der Fertigstellung der Übersetzung des Seerechtsübereinkommens gingen mehrjährige, insgesamt erfolgreiche Bemühungen um eine weitgehende Angleichung der deutschen Sprachfassung der Bundesrepublik Deutschland, der DDR, Österreichs und der Schweiz voraus.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110006900
Zusatzfrage, Herr Grunenberg.




Horst Grunenberg (SPD):
Rede ID: ID1110007000
Herr Staatsminister, wo und wann wird die deutsche Fassung des Seerechtsübereinkommens veröffentlicht werden? Ich stelle diese Frage hier noch einmal, da sich einige Interessenten erkundigt haben und weil es in einigen Punkten abweichende Interpretationen der DDR geben soll.
Schäfer, Staatsminister: Soweit mir bekannt ist, wird das Übereinkommen in seiner jetzt fertiggestellten Übersetzung von der Bundesregierung veröffentlicht werden. Ich kann Ihnen aber nicht genau sagen, wann und wo. Aber es wird möglichst bald geschehen. Die Übersetzung ist abgeschlossen. Es ist ein sehr umfängliches Werk.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110007100
Weitere Zusatzfrage, Herr Grunenberg.

Horst Grunenberg (SPD):
Rede ID: ID1110007200
Herr Staatsminister, in Anbetracht dessen, daß die 39 Seiten umfassende Schlußakte der Dritten UN-Seerechtskonferenz die Geschichte der Konferenz, insbesondere aber die wichtigen Resolutionen über das Mandat der Vorbereitungskommission für die Internationale Meeresbodenbehörde und den Internationalen Seegerichtshof sowie über die interimistische Tiefseebergbauregelung der Pionierinvestoren beinhaltet, frage ich Sie, Herr Staatsminister, ob eine deutsche Übersetzung der Schlußakte zum Gebrauch in der Bundesrepublik deshalb noch nicht angefertigt wurde, weil die Bundesregierung befürchtet, daß durch einen deutschen Text einem breiteren Publikum in der Bundesrepublik offensichtlich werden könnte, daß die Nichtunterzeichnung des Seerechtsübereinkommens eine groteske außenpolitische Fehlentscheidung war?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich glaube, da geht Ihre Interpretation entschieden zu weit. Ich bin nicht davon überzeugt, daß ein breiteres deutsches Publikum Interesse hat, umfängliche Werke über sehr komplizierte Inhalte eines Seerechtsübereinkommens als Lektüre zu genießen.
Ich glaube, daß für die Nichtübersetzung der Schlußakte die Schwierigkeiten, die es schon bei der Übersetzung des Übereinkommens gegeben hat, entscheidend sind. Ich habe darauf hingewiesen, daß wir uns mit drei deutschsprachigen Ländern über Jahre hinaus verständigen mußten, bis ein gemeinsamer deutscher Text vorlag. Man hat angesichts des — auch finanziell — erheblichen Aufwands für die Herstellung einer amtlichen Übersetzung der Schlußakte auf eine Übersetzung verzichtet, weil es sich hier tatsächlich um technische Inhalte handelt.
Zusammenfassend darf ich sagen: Es ist ja bekannt, daß wir bislang nicht gezeichnet haben. Das hat in vielen politischen Diskussionen hier festgestanden und wurde auch in der Presse veröffentlicht.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110007300
Herr Gansel, Sie haben dazu eine Zusatzfrage, bitte schön.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1110007400
Herr Staatsminister, können Sie etwa durch Hochheben eines Armes oder durch Auseinanderbreiten Ihrer Arme anzeigen, wie umfangreich das Seerechtsübereinkommen mit der Schlußakte von 1982 ist, damit wir nachempfinden können, daß dieses Abkommen so umfangreich ist, daß es die Bundesregierung mit ihrem großen Stab und auch mit der Möglichkeit, Aufträge an die private Wirtschaft weitergeben zu können, nicht geschafft hat, innerhalb der vergangenen sechs Jahre dieses Abkommen denen zugänglich zu machen, die nur der deutschen Sprache mächtig sind?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen, welche Schwierigkeiten es gibt, diese Übersetzung mit drei deutschsprachigen Ländern zu fertigen. Es hat Jahre gedauert,

(Gansel [SPD]: So lange oder so?)

— ja, ja, aber es hat so lange gedauert, bis die DDR mit bestimmten Texten einverstanden war; Österreich und die Schweiz mußten zustimmen. Wenn Sie eine Armbewegung sehen wollen, dann darf ich Ihnen bei 320 Artikeln andeuten, etwa so (macht eine Armbewegung); es ist also ein dickleibiges Werk.

(Gansel [SPD]: Dickleibig würde ich nicht sagen, Herr Minister!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110007500
Man könnte ja die Beine zu Hilfe nehmen, aber das war nicht nötig.
Jetzt kommen wir zur Frage 13 des Abgeordneten Antretter.
Wie ist der aktuelle Stand der Verhandlungen über den Beitritt Portugals und Spaniens zur WEU?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, auf Grund eines Beschlusses des Ministerrats der WEU vom 18. April 1988 werden seit dem 26. Mai 1988 Gespräche mit Spanien und Portugal über ihren Beitritt geführt. Bisher fanden drei Gesprächsrunden statt, auf denen gute Fortschritte erzielt wurden.
Es ist damit zu rechnen, daß auf der Ministerratstagung der WEU am 14. November der Beschluß gefaßt werden kann, nunmehr die erforderlichen völkerrechtlichen Dokumente zu redigieren. Die Bundesregierung hofft, daß die Unterzeichnung eines entsprechenden Protokolls im Verlauf des ersten Quartals 1989, möglicherweise aber auch schon früher erfolgen kann.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110007600
Herr Antretter, wünschen Sie eine Zusatzfrage?

Robert Antretter (SPD):
Rede ID: ID1110007700
Ich habe keine Zusatzfrage zu diesem Punkt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110007800
Herr Dr. Scheer zu einer Zusatzfrage.

Dr. Hermann Scheer (SPD):
Rede ID: ID1110007900
Herr Staatsminister, würde sich die Bundesregierung dafür einsetzen wollen, daß die Erfahrungen der WEU-Rüstungskontrollagentur bei der Entwicklung eines Verifikationsverfahrens genutzt wird, damit Westeuropa einen konkreten Beitrag zu den kommenden Rüstungskontrollverhandlungen leisten kann?
Schäfer, Staatsminister: Die Bundesregierung mißt der Verifikation künftiger Abkommen zur konventionellen Rüstungskontrolle in Europa hohe Bedeutung bei. Das zentrale Problem der militärischen Sicherheit



Staatsminister Schäfer
in Europa, nämlich die Herstellung konventioneller Stabilität durch Rüstungskontrollvereinbarungen kann nur gelöst werden, wenn diese Vereinbarungen verläßlich verifizierbar sind.
Bei den Lösungen dieser Aufgabe werden selbstverständlich die Erfahrungen sowie der Sachverstand auch des Rüstungskontrollamts der WEU und ihrer Agenturen genutzt.

(Dr. Scheer [SPD]: Danke!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110008000
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1110008100
Herr Staatsminister, ist die Bunderegierung bereit eine Dokumentation über die Tätigkeit der WEU seit 1984 herauszugeben? Sie braucht ja nicht gerade dickleibig zu sein; aber möglichst in der deutschen Amtssprache, so wie sie zum Beispiel seit Jahren durch das Auswärtige Amt in der Reihe „Berichte und Dokumentationen" die Öffentlichkeit über die Europäische politische Zusammenarbeit informiert.
Schäfer, Staatsminister: Die Antwort, Herr Kollege, lautet ja. Eine solche Broschüre ist zur Zeit schon in Vorbereitung. Sie wird in absehbarer Zeit erscheinen.
Die Broschüre wird u. a. grundlegende Texte aus der Wiederbelebungsphase der WEU sowie Auszüge aus Reden enthalten, in denen die Bunderegierung zur Reaktivierung der WEU Stellung genommen hat.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110008200
Jetzt rufe ich die Frage 14 des Abgeordneten Antretter auf:
Hält die Bundesregierung einen WEU-Beitritt aller europäischen Mitgliedsländer der Atlantischen Allianz, die dies wünschen und bereit sind, die im Fall Portugal und Spanien festgesetzten Bedingungen zu übernehmen, für möglich und wünschenswert?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Schäfer, Staatsminister: Die Möglichkeiten, Herr Kollege, eines Beitritts zur WEU sind in Art. XI des WEU-Vertrages festgelegt. Danach können die Mitgliedstaaten jeden anderen Staat einladen, dem Vertrag unter zwischen ihnen und dem eingeladenen Staat vereinbarten Bedingungen beizutreten.
Die Bunderegierung betrachtet die Zusammenarbeit in der WEU als Teil des Weges zur Europäischen Union. Sofern sich weitere europäische Partner ernsthaft für einen Beitritt zur WEU interessieren, wird die Bunderegierung dies, zusammen mit den anderen Mitgliedstaaten, mit der gebotenen Ernsthaftigkeit prüfen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110008300
Zu einer Zusatzfrage Herr Antretter.

Robert Antretter (SPD):
Rede ID: ID1110008400
Könnten Sie sich vorstellen, Herr Staatsminister, daß die Bundesregierung angesichts von Presseverlautbarungen in nordamerikanischen Medien konkrete Maßnahmen — und gegebenenfalls welche — in der WEU vorschlagen wird, damit der Rat die nordamerikanischen Medien und die Öffentlichkeit dort regelmäßig und ausreichend über den Charakter, die Tragweite und Ziele der WEU-Reaktivierung informieren kann?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, die Frage entfernt sich etwas von der vorangegangenen. Aber ich bemühe mich trotzdem zu antworten; denn Sie werfen eine neue Problematik auf.
Sicher ist es notwendig, daß die WEU und die in der WEU zusammengeschlossenen Regierungen und Parlamente bemüht sind, den nordamerikanischen Medien und natürlich auch unseren amerikanischen Verbündeten fortlaufend Möglichkeiten zu geben, sich über das zu informieren, was die WEU eigentlich tut, welche Absichten sie hat und in welchem Zusammenhang ihr Wirken, z. B. mit der NATO, zu sehen ist.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110008500
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Antretter.

Robert Antretter (SPD):
Rede ID: ID1110008600
Herr Staatsminister, davon ausgehend, Ihre Antwort als politische Auskunft im Sinne meiner Intention werten zu dürfen, möchte ich Sie fragen, ob die Bunderegierung bereit ist, den in der jüngsten Sitzung der WEU-Versammlung eingebrachten Vorschlag zu unterstützen, der vorsieht, ein WEU-Informationsbüro in den Vereinigten Staaten einzurichten.
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, da das, was Sie jetzt fragen, aus Ihren eingereichten Fragen nicht hervorgehen konnte, kann ich Ihnen dazu noch keine abschließende Antwort geben. Sicher werden wir bereit sein, alle Möglichkeiten zu prüfen. Da Sie wissen, daß das auch immer mit einer gewissen Summe Geldes verbunden ist, kann ich für die Bunderegierung noch nicht abschließend sagen, ob wir in der Lage sein werden, ein solches Vorhaben zu unterstützen. Ich gehe davon aus, daß es von dem ideellen Wert her sicher sehr zu unterstützen ist.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110008700
Ich rufe Frage 15 des Abgeordneten Gansel auf:
Was hat die Bundesregierung seit dem 29. September 1988 getan, um die Freilassung der in Afghanistan von der afghanischen Regierung festgehaltenen deutschen Staatsbürger, der Krankenschwester Lea Hackstedt und des Arztes Benno Splieth, zu erreichen?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, der Bundesminister des Auswärtigen hat am Rande der 43. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York den sowjetischen Außenminister Schewardnadse gebeten, sich bei der afghanischen Regierung für die baldige Freilassung der deutschen Mitarbeiter des Komitees Cap Anamur einzusetzen. Diese Bitte hat die Bundesregierung gegenüber dem Geschäftsträger der sowjetischen Botschaft in Bonn am 30. September 1988 wiederholt.
Unsere Botschaft in Kabul hat in den vergangenen Tagen erneut mehrfach im afghanischen Außenministerium demarchiert — zuletzt am 8. Oktober 1988 beim stellvertretenden Außenminister Lakanwal — und um die umgehende Freilassung Frau Hackstedts und Herrn Dr. Splieths ersucht. Gleichzeitig bat sie um die Möglichkeit, wöchentlich beide zu besuchen,



Staatsminister Schäfer
und forderte die Stellung eines afghanischen Anwalts sowie eine gerichtliche Haftprüfung.
Auf Bitten der Bundesregierung hat sich ein hoher Mitarbeiter des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Herr Benon Sevan, der seit dem 9. Oktober 1988 in Kabul weilt, bereit erklärt, sich gegenüber der afghanischen Seite für die beiden deutschen Mitarbeiter des Komitees Cap Anamur einzusetzen.
Die Bundesregierung wird alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Freilassung von Frau Hackstedt und Herrn Dr. Splieth so schnell wie möglich zu erreichen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110008800
Eine Zusatzfrage, Herr Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1110008900
Herr Staatsminister, ich danke Ihnen für diese Auskunft. Ich habe aber noch ein paar Zusatzfragen.
Ist es möglich gewesen, daß unser Geschäftsträger in Kabul die beiden gefangenen Deutschen sprechen konnte, ohne daß das afghanische Bewachungspersonal anwesend war? Konnte also ein Gespräch unter vier oder sechs Augen stattfinden?
Schäfer, Staatsminister: Soweit ich weiß, durfte das Gespräch nicht allein geführt werden. Das ist mir im Augenblick aber nicht bekannt; das ergibt sich aus Ihrer Frage nicht. Soviel ich weiß: nicht ohne Aufsicht.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110009000
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1110009100
Ist die Bundesregierung bereit, den afghanischen Stellen unter Berücksichtigung dessen, daß alle milderen Mittel ausgeschöpft werden müssen, bevor zu härteren gegriffen wird, doch in Aussicht zu stellen, daß es ihnen schwer werden wird, auch mit Unterstützung des Deutschen Bundestages den gegebenen Versprechungen nach Abschluß des Genfer Abkommens vom 14. April 1988 über die Wiederansiedlung und Versorgung afghanischer Flüchtlinge und den späteren Wiederaufbau Afghanistans in Zusammenarbeit mit den afghanischen Behörden nachzukommen, wenn diese weiterhin zwei deutsche Staatsbürger gefangenhalten, die zu keinem anderen Zweck in das Land gekommen sind, als Kranken und Verwundeten humanitäre Hilfe zu leisten?
Schäfer, Staatsminister: Sie wissen, Herr Kollege — das hatte ich bereits in der letzten Fragestunde am 29. September auf Ihre frühere Frage geantwortet —, daß der Vorwurf, der seitens der afghanischen Regierung gegen die beiden erhoben wird, illegaler Grenzübertritt und Spionageverdacht ist. Wir haben uns dagegen verwahrt.
Ich darf aber, da Sie in Ihrer Frage solche Mittel vorschlagen, die eine gewisse Drohung beinhalten, darauf hinweisen, daß wir im Augenblick wirklich in einem ganz engen Kontakt mit der afghanischen Regierung sind, daß der Bundeskanzler in Moskau bei seiner Reise dieses Thema ebenfalls aufgreifen wird und daß der Herr Bundespräsident in einem Schreiben vom 6. Oktober an den Präsidenten der Republik
Afghanistan appelliert hat, Frau Hackstedt und Herrn Dr. Splieth unverzüglich ihre Freiheit wiederzugeben. Dies ist auch afghanischen Persönlichkeiten gesagt worden, die in New York Kontakt mit uns hatten. Es besteht die Aussicht, daß eine hohe afghanische Persönlichkeit in Kürze in Bonn seine Botschaft besuchen wird, so daß wir alle es dort erneut tun sollten. Es besteht begründete Hoffnung, daß wir uns in unseren Bemühungen durchsetzen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110009200
Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1110009300
Herr Staatsminister, sind uns, der Bundesrepublik Deutschland, inzwischen Zusicherungen gemacht worden, daß ein regelmäßiger Kontakt durch die deutsche Botschaft mit den beiden Häftlingen erfolgen kann, und weiß die deutsche Botschaft inzwischen, in welchem Teil dieser riesigen Gefängnisanlage sich unsere beiden deutschen Staatsbürger befinden?
Schäfer, Staatsminister: Feste Zusagen über einen von uns beantragten wöchentlichen Besuch sind noch nicht gemacht worden; er ist beantragt. Die Botschaft weiß, wo die Betreffenden untergebracht sind. Ich darf übrigens darauf hinweisen, daß sich die beiden in Einzelhaft befinden. Nach allen Auskünften, die uns über bestimmte Quellen vorliegen, ist die Behandlung der beiden besser als die Behandlung anderer Gefangener in dem gleichen Gefängnis. Ich beziehe mich hier auf bestimmte Quellen, über die ich nicht im einzelnen sprechen kann.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110009400
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Ich danke dem Staatsminister für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen nun zum Zusatztagesordnungspunkt 3:
Aktuelle Stunde
Jüngste Einschränkungen der Meinungsfreiheit in Ost-Berlin und der DDR
Die Fraktion der CDU/CSU hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem obengenannten Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Lintner.

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1110009500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich mein Bedauern darüber ausdrücken, daß diese Aktuelle Stunde notwendig geworden ist. Aber leider haben wir lernen müssen: Zurückhaltung gegenüber kritikwürdigen Vorgängen in der DDR wird von der dortigen Regierung nicht honoriert.
Wir müssen feststellen: Die Liste kleinlicher Zensureingriffe in die Kirchenpresse wird täglich länger, die Zahl brutaler Unterdrückungsmaßnahmen gegenüber öffentlichen Meinungsäußerungen von Bürgern in der DDR nimmt zu, und auch die Fälle vereinbarungswidriger Behinderung der Arbeit akkreditierter Journalisten sind so häufig geworden, daß man darüber nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann.



Lintner
Allein in diesem Jahr mußten wir schon zehn gravierende Maßnahmen zur Einschränkung der Freiheit der Berichterstattung unserer Journalisten registrieren. Zusätzlich ist leider zu beklagen, daß es bei solchen Maßnahmen zunehmend zu brutalen Übergriffen durch Polizei und Staatsicherheitsdienst kommt.
Die DDR-Führung selbst hat also eine Situation heraufbeschworen, die unseren lauten und öffentlichen Protest notwendig macht, hier vor dem Deutschen Bundestag, aber natürlich auch durch die Bundesregierung auf allen international dazu geeigneten Foren wie etwa auf der KSZE-Folgekonferenz in Wien.
Das Verhalten der SED-Führung gibt auch deshalb Anlaß zur Sorge, weil es mit Logik nicht mehr erklärt werden kann. Denn auch in den Gedankengängen eines totalitären Regimes kann ein solches Vorgehen ja nur dann Sinn haben, wenn damit als Ergebnis weniger Protest erreicht wird. Ergebnis dieses Verhaltens der Staatsorgane in der DDR ist aber zusätzlicher Protest, neue Opposition im eigenen Lande. Die Menschen in der DDR lassen sich heute diese menschenverachtende Art des Umgangs der staatlichen Obrigkeit mit den Bürgern nicht mehr widerspruchslos gefallen. Nur haben die Hardliner in der SED-Führung das noch nicht zur Kenntnis genommen.

(Kittelmann [CDU/CSU]: So ist es!)

Zur Empörung über die Unterdrückung banalster Informationen, z. B. über die allgegenwärtigen Käuferschlangen vor den Geschäften — was nun wirklich keine Geheimsache ist — , kommt dann die Empörung anderer wegen des überharten Vorgehens der Staatsorgane gegen die eigene Bevölkerung. Meine Damen und Herren, dabei können sich die Protestierenden ja sogar auf die Verfassung der DDR berufen.

(Zustimmung des Abg. Kittelmann [CDU/ CSU])

Soviel Heuchelei und Ignoranz, wie sie hier auf seiten des Staates zutage tritt, muß die Bevölkerung ja geradezu zwangsläufig gegen die SED aufbringen.

(Beifall des Abg. Kittelmann [CDU/CSU])

Das Ergebnis des Verhaltens der SED ist also nicht — wie sie offenbar erstrebt — mehr Ruhe, sondern immer mehr Protest.
Die SED muß einfach zur Kenntnis nehmen, daß die von ihr als Untertanen behandelten Deutschen mittlerweile selbstbewußter und damit auch selbstsicherer und mutiger geworden sind. Sie haben heute mehr Stehvermögen gegenüber den staatlichen Organen. Das ist ein an sich erfreuliches Ergebnis. Es ist ein Ergebnis nicht nur der Politik der Bundesregierung, einer Politik des intensiveren Miteinanders der Deutschen hüben und drüben; es ist natürlich zugleich die Konsequenz aus der Reformbereitschaft bei der östlichen Führungsmacht und das Echo darauf.
Wenn aber mit den hier anzuprangernden Methoden gar keine Beruhigung der Lage erreicht werden kann, dann hat es doch auch für eine Diktatur keinen Sinn, solche Methoden weiterhin anzuordnen. Sinnlosigkeiten aber geben Rätsel auf. Das schafft Unsicherheit, und die kann wiederum den Beziehungen zwischen uns und der DDR nicht förderlich sein.
Meine Damen und Herren, ich hoffe sehr, daß wenigstens Erich Honecker noch in der Lage ist, die Sicherheitsorgane in der DDR wieder zur Vernunft zu bringen. Deshalb appellieren wir heute speziell an ihn, die Übergriffe und die restriktiven Maßnahmen abzustellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD — Böhm [Melsungen] [CDU/ CSU]: Hoffentlich will er das!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110009600
Das Wort hat der Abgeordnete Büchler.

Hans Büchler (SPD):
Rede ID: ID1110009700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD hat es heute leichter und einfacher. Sie, Herr Lintner, mußten nachholen, was Ihre Parteivorsitzenden oder werdenden Parteivorsitzenden gegenüber der DDR zum Ausdruck zu bringen versäumt haben. Wir können uns auf unseren Parteivorsitzenden beziehen. Hans-Jochen Vogel hat vorgestern für die Sozialdemokraten in unmißverständlicher Weise zu den schlimmen Ereignissen in der DDR Stellung genommen. Wörtlich sagte Hans-Jochen Vogel:
Diese Ereignisse sind nicht nur zu bedauern und zu kritisieren, sondern man muß sie eindeutig verurteilen.
Er wies auf das selbstverständliche Bürgerrecht der freien Meinungsäußerung hin und brachte die Hoffnung zum Ausdruck, daß man in der DDR in Zukunft mit größerer Gelassenheit auf Meinungsäußerungen der Bürger reagiert. Schließlich sagte er:
Wir erwarten, daß Journalisten aus der Bundesrepublik Deutschland nicht noch einmal in der Art und Weise behindert werden, wie das in jüngster Zeit geschehen ist.
Damit ist eigentlich alles gesagt, was wir dazu zu sagen haben. Dennoch wollen wir die heutige Aktuelle Stunde dazu nutzen, etwas breiter zu diskutieren. Verweisen müssen wir in diesem Zusammenhang auf das Dialogpapier von SPD und SED, mit dem das Vorgehen der DDR-Behörden eben nicht in Einklang zu bringen ist. Dort heißt es:
Der umfassenden Informiertheit der Bürger in Ost und West kommt im Prozeß der Friedenssicherung und des Systemwettstreits eine wachsende Bedeutung zu.
Dieses Dokument ist meiner Meinung nach das wichtigste deutsch-deutsche Papier seit dem Grundlagenvertrag.

(Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Das ist wahr! — Lummer [CDU/CSU]: Oho!)

Es hat sicher eine andere Qualität — es ist kein Abkommen zwischen Staaten — , aber es stößt Tore zu mehr Diskussionen auf und ist ein wichtiges Papier im friedlichen Wettstreit der Systeme um die richtigen Wege. Es stellt Forderungen auf, und zwar — gar keine Frage — an beide Seiten. Sie können sich darauf verlassen, daß das, was die SED unterschrieben hat, von uns auch eingeklagt wird. Dasselbe gilt natürlich auch für die Verpflichtung im Rahmen der KSZE und das gleiche für die Menschenrechtsakte der Vereinten Nationen.



Büchler (Hof)

Das SPD-Präsidium hat im übrigen schon im März dieses Jahres nach den damaligen Vorfällen an die DDR appelliert, in der Auseinandersetzung mit abweichenden Meinungen auf das Mittel staatliche Repressionen zu verzichten. Eines ist bei uns klar: Die Linie der SPD ist auch bei Menschenrechtsfragen eindeutig, und das weltweit.
Unabhängig von der tagespolitischen Aktualität muß man auch die Frage nach den Ursachen des Geschehens stellen. Die Staats- und Parteiführung der DDR verweigert sich leider noch weitgehendst dem Dialog mit kritischen Bürgern. Das wissen wir. Auf die Dauer kann eine entwickelte Gesellschaft nicht ohne Meinungsstreit und -vielfalt auskommen und existieren. Die SED sollte bedenken: Wer innovative Kräfte lahmlegt, legt auch die Entwicklung eines Staates im gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Bereich lahm.
Viele DDR-Bürger beklagen die mangelnde Rechtssicherheit im Verhältnis zwischen Staat und Bürger. So gibt es zwar auch in der DDR-Verfassung — Herr Lintner, Sie haben es erwähnt — Garantien für die Meinungsfreiheit, aber keine praktische Berufungsgrundlage. Es fehlt an verbindlichen Interpretationen der DDR-Verfassung. Kein Verfassungskommentar gibt den Bürgern Hinweise auf Art und Umfang ihrer Rechte.
Ähnliches gilt natürlich auch für die Besuchsreisen und Übersiedlung. Auch dort fehlt Rechtsklarheit. Deswegen kommt es auch immer wieder zu Demonstrationen. Solange die DDR ihren Bürgern nicht das natürliche Recht gibt, ihren Wohnsitz zu wählen, müßte sie diese Ablehnungen begründen und müßte Widerspruchsmöglichkeiten zulassen. Das muß man in diesem Zusammenhang sagen.
Es paßt auch nicht in die Landschaft, wenn, wie gestern geschehen, Menschen verurteilt werden, nur weil sie ihren Wohnsitz von dem einen Land in das andere verlegen wollten.
Die deutsch-deutschen Beziehungen insgesamt haben eine positive Richtung. Die internationalen Rahmenbedingungen passen auch dazu. Aber es muß klar sein: Die Entspannungspolitik muß für die Menschen in beiden deutschen Staaten nachvollziehbar sein. Dazu gehört eben, daß Bürgerrechte in der DDR nicht kriminalisiert werden. Die DDR braucht eine politische, kulturelle und wirtschaftliche Öffnung nach innen und außen. Das haben — ich glaube, da sind wir einer Meinung — die letzten Ereignisse, über die wir heute sprechen, erwiesen.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110009800
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1110009900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich eine Vorbemerkung mache, die auch auf das Bezug nimmt, was wir morgen in einer Aktuellen Stunde hören werden. Ich sage dazu in aller Offenheit: Unsere eigene Argumentation auf westlicher Seite wäre leichter und überzeugender,

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

wenn es für die Hinweise auf West-Berlin keine Begründung gäbe.

(Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Lassen Sie mich aber genauso deutlich und ohne jeden Vorbehalt sagen: In West-Berlin ging es um die Abwehr angekündigter und ausgeübter Gewalt. In Ost-Berlin ging es um ein Vorgehen gegenüber einer ohne jeden Zweifel gewaltfreien Demonstration einer Gruppe von etwa 200 Menschen.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Zuruf von den GRÜNEN: Es ging jedesmal um die Pressefreiheit!)

Das Umfeld und die psychologische Situation für die beteiligten Polizeibeamten in beiden Teilen der Stadt ist also nach meiner Überzeugung nicht vergleichbar.
Zu dem Gesamtzusammenhang mache ich drei Bemerkungen.
Erstens. Die Behinderung journalistischer Arbeit in der DDR verstößt gegen die Schlußakte von Helsinki. Ich zitiere hieraus nur einen einzigen Absatz:
Die Teilnehmerstaaten setzten sich zum Ziel, die freiere und umfassendere Verbreitung von Informationen aller Art zu erleichtern, die Zusammenarbeit im Bereich der Informationen und den Informationsaustausch mit anderen Ländern zu fördern sowie
— so wörtlich —
die Bedingungen zu verbessern, unter denen Journalisten aus einem Teilnehmerstaat ihren Beruf in einem anderen Teilnehmerstaat ausüben, und drücken ihre Absicht aus insbesondere zu einer Verbesserung der Verbreitung und des Zugangs und des Austausches von Informationen.
Das, was dort in der DDR geschieht, verstößt eindeutig dagegen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1110010000
Die Deutsche Demokratische Republik gewährt im Rahmen ihrer geltenden Rechtsordnung Journalisten aus der Bundesrepublik und deren Hilfspersonen das Recht zur Ausübung der beruflichen Tätigkeit und der freien Information und Berichterstattung. Ich kann hier nur auf das verweisen, was nach diesem Brief von 1972 in einem Fall journalistischer Behinderung, nämlich der Ausweisung des „Spiegel"-Korrespondenten Mettke aus der DDR, der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt gesagt hat: Die Bundesregierung hat andere Vorstellungen von der Freiheit und Freizügigkeit journalistischer Arbeit als die Regierung der DDR. Das gilt uneingeschränkt genauso auch heute noch, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)




Ronneburger
Lassen Sie mich zusätzlich eine dritte Bemerkung machen: Die Zensur der kirchlichen Presse in der DDR richtet sich gegen eine Kirche, die sich nach eigener Aussage als christliche Kirche in einem Staat sozialistischer Gesellschaftsordnung versteht, eine Kirche, deren Handeln und Reden diesem Selbstverständnis gerecht wird. Aussagen z. B. der evangelischen Kirche zu dem Dissens zwischen Ausreiseanträgen und dem Verbleiben in der DDR unterstreichen diese Haltung. Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum dieser Staat ausgerechnet einer solchen Kirche, die sich nicht als innere Opposition versteht, sondern die zur Mitarbeit bereit ist, in dieser Weise begegnet.
Ich sage deswegen zum Schluß mit aller Deutlichkeit, meine Damen und Herren: Unsere Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der DDR ist begründet in der Absicht, die Situation der Menschen im geteilten Land zu verbessern. Aber jeder muß wissen, daß der ständigen Verwirklichung dieser Absicht auch in der Zukunft dort Grenzen gesetzt sind oder werden, wo die angestrebten Erfolge und Fortschritte im humanitären Bereich ausbleiben oder in Frage gestellt werden. Dies muß man auch auf der anderen Seite der Grenze mit aller Deutlichkeit erkennen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110010100
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hensel.

Karitas Dagmar Hensel (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1110010200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist tatsächlich ein bedrückendes Bild: Journalisten, eingekeilt von zivilen und uniformierten Polizisten, werden von diesen Vertretern der Staatsmacht verprügelt und mehr oder weniger schlimm verletzt. Gerät die Pressefreiheit unter den Polizeiknüppel, weil sie in ihrer Berichterstattung nicht schweigen darf, aber auch nicht schweigen kann über das oft rüde und brutale Vorgehen der Polizei, wenn unzufriedene und kritische Menschen demonstrieren wollen?
Die Bilder von unter Polizeigewalt leidenden Journalisten erreichten uns im Abstand von wenigen Tagen aus Chile, aus West-Berlin und jetzt wieder aus der DDR. An sich sollte man meinen, ein bei seiner Berufsausübung verletzter und blutig geschlagener Journalist ist ein eindeutiger Fall von Menschenrechtsverletzungen,

(Beifall der Abg. Frau Unruh [GRÜNE] — Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist doch nicht vergleichbar!)

egal ob der Vorfall in einer parlamentarischen Demokratie, in einem militärdiktatorischen Folterstaat oder aber im preußischen Sozialismus geschieht. Aber es ist kein Zufall, daß das SED-Organ „Neues Deutschland" ausführlich über das brutale Vorgehen der Polizei gegen die Pressevertreter in West-Berlin und in Chile berichtete

(Kittelmann [CDU/CSU]: Frau Kollegin, wo sind Sie geboren?)

— wir unterhalten uns darüber später —, jedoch die
Brutalität der eigenen Polizisten und Stasi-Leute gegenüber bundesdeutschen Berichterstattern am letzten Montag mit keiner Zeile erwähnte. Es ist aber auch kein Zufall, daß die CDU/CSU-Fraktion eine Aktuelle Stunde zur Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit in der DDR beantragt hat, gleichzeitig aber die Amtsführung des Berliner Innensenators Kewenig verteidigt, der für die Verletzung der Presse-und Meinungsfreiheit in West-Berlin verantwortlich ist. Wer war es, der in einer öffentlichen Stellungnahme diese Verletzung von Menschenrechten sogar als notwendig erachtet hat? Wie in der DDR wird auch hier die Umkehr der Sachlage — staatlicher Gewalteinsatz — legitimiert. Innensenator Kewenig bezichtigte die Presse kurzerhand der Mittäterschaft an Gewalttätigkeiten

(Hört! Hört! bei den GRÜNEN)

und befürwortete damit polizeistaatliche Maßnahmen und daß die — ich zitiere — „Pressefreiheit am Tatort auch mal zurückstehen muß".
In diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache zu sehen, daß das ZDF unter Leitung seines Intendanten Stolte, der auch Mitglied des CDU-Medienrates ist, zwar — völlig zu Recht — beim DDR-Außenministerium gegen die brutalen körperlichen Angriffe auf seinen Korrespondenten protestierte, als dieser am Montag über die Ost-Berliner Demonstration gegen die Zensur der Kirchenpresse berichtete, daß die Übergriffe der West-Berliner Polizei auf die ZDF-Kameraleute, als diese Aufnahmen von Protestaktionen gegen die Jahrestagung von IWF und Weltbank machen wollten, jedoch ohne Reaktion seitens des ZDF blieben.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, das Muster scheint bei SED und CDU/CSU ziemlich ähnlich zu sein:

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Menschenrechte werden zur Machtabsicherung instrumentalisiert. Man muß sich jedoch überlegen, ob eine derartige Frontstaatmentalität nicht jeglichem Menschenrechtsengagement schadet, ob sie insbesondere nicht auch den mutigen und engagierten Menschen in der DDR schadet, die für eine Demokratisierung und für die Gültigkeit der Menschenrechte in ihrem Staat kämpfen. Glauben Sie wirklich, Sie würden die Menschen in der DDR in ihren Auseinandersetzungen mit der SED und in ihrem Bemühen um Reformen stärken, wenn Sie den Maßstab der Menschenrechte an die SED-Herrschaft anlegen, aber diesen Maßstab für Ihre eigene Praxis nicht gelten lassen?

(Frau Unruh [GRÜNE]: Sehr gut!)

Sie bringen das Menschenrechtsengagement in der DDR in Verruf, weil Sie es der SED damit leichtmachen, Menschenrechtspolitik als Destabilisierungsinstrument zu denunzieren.
Die Bundestagsfraktion und die Partei der GRÜNEN insgesamt haben sich immer für die Unteilbarkeit der Menschenrechte eingesetzt.

(Reddemann [CDU/CSU]: Wer will denn das glauben?)




Frau Hensel
Deshalb gilt unsere Solidarität allen Menschen in der DDR, die sich für demokratische und ökologische Reformen in der DDR einsetzen.
Der zweite Teil meiner Rede folgt in wenigen Minuten.
Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110010300
Das Wort hat die Bundesministerin für innerdeutsche Beziehungen, Frau Dr. Wilms.

Dr. Dorothee Wilms (CDU):
Rede ID: ID1110010400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es bedauerlich, daß wir uns schon zum zweitenmal in diesem Jahr mit den schwerwiegenden und beunruhigenden Vorgängen in der DDR zu befassen haben. Jeder Vorwurf, dies sei eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates, ist abwegig und geht an den Gegebenheiten vorbei.

(Beifall des Abg. Jäger [CDU/CSU])

Denn in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR leben die Angehörigen eines geteilten Volkes. Es sind die Menschen in beiden Staaten, die aufeinander schauen und die Anteil am Schicksal der getrennt lebenden Landsleute nehmen.

(Jäger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Niemanden von uns kann es unberührt lassen, was in der DDR geschieht, am allerwenigsten uns Politiker. Insoweit hängen auch die Qualität der innerdeutschen Beziehungen und die jeweilige Situation in der DDR miteinander zusammen. Es wäre unrealistisch zu meinen, man könne dies sozusagen entkoppeln.
Die Mißachtung von Menschenrechten in der DDR wirkt sich daher ganz unmittelbar belastend auf die Gesamtbeziehungen der beiden Staaten in Deutschland aus. Beispiele dafür bieten der Umgang der DDR-Regierung mit den dialogsuchenden kritischen Bürgern und die Behandlung unserer in der DDR arbeitenden Journalisten.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Ja, das sagen Sie Innenminister Zimmermann auch mal!)

Die Bundesregierung kritisiert, daß Journalisten in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit in der DDR behindert, ja in letzter Zeit eingeengt und sogar körperlich bedrängt werden. Diese Praktiken verstoßen gegen den Briefwechsel vom 8. November 1972 über die Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten. Sie verstoßen gegen die Verpflichtungen auch der DDR aus der KSZE-Schlußakte, und sie stehen in einem krassen Widerspruch zu Buchstaben und Geist des gemeinsamen Kommuniqués über den Besuch von Generalsekretär Honecker in der Bundesrepublik Deutschland vom vergangenen Jahr.
Was nun das Vorgehen der DDR-Staatsorgane gegen Bürger und insbesondere auch gegen Christen, die sich für Dialog und verantwortungsbewußte Mitgestaltung engagieren, und die Zensur von Kirchenzeitungen betrifft, so verfolgen wir all dies mit Betroffenheit und wachsender Besorgnis. Die Menschen in der DDR, die öffentlich für ihr Recht auf Meinungsäußerung eintreten, fordern ganz selbstverständliche Menschenrechte ein. Sie wollen weder Randale noch Krawalle.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Verweigerung des öffentlichen Dialogs über Probleme der DDR-Gesellschaft und über die Sorgen und Zukunftsperspektiven der Menschen durch die DDR-Führung muß zunehmend zu Konflikten führen, die allerdings mit Zwangsmaßnahmen eben nicht zu lösen sind.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Wie bei uns!)

Denn diese Verweigerungshaltung der Staatsmacht löst ja nicht die Probleme und Sorgen, sondern staut im Gegenteil unter den Menschen Verbitterung, Hoffnungslosigkeit und Resignation auf.
Diese Frage steht heute für die DDR wie für alle sogenannten realsozialistischen Staaten Europas unübersehbar auf der Tagesordnung. So äußerte sich Generalsekretär Honecker in einem Interview gegenüber belgischen Journalisten, nachzulesen im „Neuen Deutschland" vom 13. Oktober 1987 — ich erlaube mir zu zitieren — :
Freiheit der Meinungsäußerung und der Presse sind verfassungsmäßig garantiert und als elementare Menschenrechte anerkannt. Wir erachten die Mannigfaltigkeit der Meinungen und Ideen, eine rege geistige Kommunikation sowohl in unseren eigenen Reihen als auch mit Andersdenkenden als lebensnotwendig, weil nur so alle Potenzen unseres Volkes freigesetzt und erschlossen werden können.
So weit das Zitat von Generalsekretär Honecker.

(Jäger [CDU/CSU]: Das ist der reinste Hohn! — Frau Unruh [GRÜNE]: Teilweise wie bei uns!)

Meine Damen und Herren, diesen Worten, denen wir ja nur zustimmen können, müssen nun auch Taten folgen. Wer den Dialog nach innen verweigert, kann ihn nach außen nicht glaubwürdig führen. Der Prozeß der Vertrauensbildung in Europa bedarf darum anderer Zeichen, als wir sie in den letzten Wochen gesehen haben.
Für die Bundesregierung stehen die Menschen im geteilten Deutschland im Vordergrund. Deshalb tritt sie dafür ein, daß innerdeutsche Verhältnis konstruktiv und zum gegenseitigen Nutzen weiterzuentwikkeln. Sie hat ihren guten Willen dazu bis in die letzte Zeit hinein auch praktisch unter Beweis gestellt. Notwendig ist allerdings, daß die Voraussetzungen für die von uns gewollte positive Entwicklung gegeben sind.
Lassen Sie mich ganz persönlich abschließend noch einmal zum Ausdruck bringen, daß nicht Häme und Besserwisserei unsere Gefühle bestimmen, sondern Betroffenheit und Mitgefühl mit unseren Landsleuten in der DDR.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN)





Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110010500
Das Wort hat der Abgeordnete Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1110010600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es war richtig von der Bundesregierung, hier eine so abgewogene Stellungnahme abzugeben. Die Opposition ist in dieser Situation in der gleichen Stimmungslage.
Ich will kurz auf den Beitrag der Kollegin von den GRÜNEN eingehen. Ich denke, man kann nicht ganz umhin, sozusagen die beiden Berliner Ereignisse zu sehen. Günter Gaus hat im vergangenen Jahr bei einer anderen Demonstrationsabfolge in West-Berlin und in der DDR einen Essay geschrieben — „Deutschland im Juni" — , und er hat am Schluß dieses Buches hoffnungsvoll geschildert, wie der Generalsuperintendent zum Abschluß des Kirchentages am 28. Juni vorigen Jahres sinngemäß sagte: Wenn wir im Gespräch bleiben, auch mit der DDR-Regierung, dann kann es vorankommen. — Das war ein hoffnungsvoller Ausblick. Diese Hoffnung ist, wie wir jetzt empfinden müssen, zerschlagen. Es ist eine sehr ernste Lage eingetreten. Wir müssen aufpassen, daß unsere Meßlatte, über die ja hier gesprochen wurde und die wir an uns selbst und auch drüben anlegen, nicht in einigen Fällen zum Balken im eigenen Auge wird. Ich sage das in aller Zurückhaltung.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es gibt Meßlatten, nämlich die freiheitliche Verfassung und die friedliche Absicht von Demonstranten, und das muß so bleiben. Wenn darüber hinausgegangen wird, dann muß man auch sagen: Ein Journalist darf in keiner bundesdeutschen Stadt verprügelt werden — nirgends.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die Geduld der Kirchen ist zu Ende. Wir haben seit heute einen neuen Zensurfall: Heute morgen ist die Zeitschrift „Die Kirche" erschienen. Sie ist verzögert erschienen — sie sollte am 9. erscheinen — , weil der Abdruck eines Stückes aus dem Papier von der ökumenischen Versammlung der christlichen Kirchen in Magdeburg zum Thema Umwelt verboten worden war. Hier müssen wir — ich will das jetzt auch einmal als Kultursprecher der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zum Ausdruck bringen — der DDR ganz deutlich sagen: Nun ist Schluß.
Es ist heute morgen in einem Gespräch eines hohen Kirchenvertreters mit der Regierung im Zusammenhang mit der Linzenzvergabe an die Kirchenzeitung eine Warnung ausgesprochen worden. Dies ist eine deutliche Drohung. Die Geduld der Kirchen ist zu Ende. Früher hat man immer gesagt, die Geduld der DDR-Führung sei zu Ende. Jetzt muß man aber auch einmal sagen: Die Geduld der Kirchen mit solchen Drohungen ist zu Ende. Ich halte es für bedenkenswert, daß Superintendent Ziemer dieser Tage von einem Sakrileg gesprochen hat und daß er in dieser Formulierung gegen die DDR-Regierung von den katholischen Monsignores unterstützt worden ist. Sie haben die gleiche Formulierung übernommen.
Es ist eine ganz ernste Situation eingetreten. Für unseren kulturellen Dialog, für unseren Dialog auf vielen Feldern mit der DDR, müssen wir dies jetzt eindeutig feststellen. Das müssen wir berücksichtigen, wenn wir mit den Gesprächspartnern reden. Es ist unmöglich, daß die Lizenzfrage durch den bevormundenden Staat gestellt wird. Glaube läßt sich nicht lizenzieren und nicht zensieren, und auch Freiheit läßt sich nicht lizensieren und nicht zensieren. Darum geht es.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Wir erwarten von der DDR, daß sie mit diesem vormundschaftlichen Gehabe — im Guten wie im Bösen — , mit diesem gnädigen: „Wenn ihr lieb seit, dann dürft ihr" , aufhört. Wir können sonst nicht den guten und richtigen Weg zwischen den beiden Staaten, den wir brauchen, weitergehen.
Wir wollen uns hier nicht auf Gorbatschow berufen, sondern auf unsere eigenen Maßstäbe. Wir wollen uns auf die Maßstäbe berufen, die wir in Gesetzen und in Verfassungstexten der DDR selber finden.
Wir sagen ganz deutlich — ich kann das jedenfalls aus der Lage der Kulturpolitik nach einer intensiven Diskussion auch mit dem Kultusministerium in der DDR über Ausformung, Ausführung und Durchführung des Kulturabkommens sagen — : Die Lizenzfrage wird nicht gestellt. Wenn sie gestellt wird, dann werden auch Fragen wie diese gestellt: Wie sieht es mit dem Kunsthandel aus? Wie sieht es mit vielen anderen Dingen aus?
Die Kirche muß wissen, daß wir hinter ihr stehen, und die Kirche muß bald ein Signal bekommen, auch von der SED, von denen, die weitergehen wollen, daß ihre Zeitungen nicht berührt sind und ihre Zeitungen nicht bedroht werden. Endlich muß die Zensur aufhören. Der vormundschaftliche Staat hat in der Welt des 20. und 21. Jahrhunderts keine Chance.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110010700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lummer.

Heinrich Lummer (CDU):
Rede ID: ID1110010800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! So wie Sie, Herr Kollege Duve, der Ministerin bescheinigt haben, daß sie den richtigen Ton gefunden habe, will ich Ihnen bescheinigen, daß Sie das gleiche getan haben. Ich meine, es ist wohltuend, wenn wir an diesem Punkte nicht parteipolitische Gegensätze suchen, sondern das gemeinsame Interesse, unser gemeinsames Interesse, aber auch das der Menschen in der DDR.
Der Journalismus ist die Kunst, die Leser mit dem, was sie wirklich angeht, vertraut zu machen.
So heißt es im Handbuch des Journalismus in der DDR. In einem Gebet aus Magdeburg war von einem solch wirklichen Interesse der Menschen die Rede. Es hieß dort:
Hilf, daß durch die Beratungen der Prozeß der Umkehr und Erneuerung in unserem Land gefördert wird. Dies soll im Namen des Journalismus unterdrückt werden.
Ein Stück Realität im Gegensatz zu den Worten, die wir gehört haben.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Wie bei uns!)




Lummer
Ich meine in der Tat, das Thema dieser Stunde hat eine fatale Aktualität. Wir neigen ja oft dazu, die Verletzung der Menschenrechte in der Ferne zu suchen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Richtig!)

Aber das wirklich Schlimme geschieht gelegentlich ganz in der Nähe,

(Frau Unruh [GRÜNE]: Genau!)

beim Nächsten, dem zu helfen wir besonders verpflichtet sind.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren, es gibt wohl keinen Zweifel: Die Verletzung der Menschenrechte in der DDR, gerade gegenwärtig, ist gravierend. Auch der ehrliche Wunsch nach Entspannung darf keinen Schleier über diese Dinge legen.
Die Wahrheit ist doch offenbar dieses: Die DDR ist den Pakten für Menschen- und Bürgerrechte beigetreten, aber sie macht denen den Prozeß, die unter Berufung darauf ausreisen wollen. Man hat die Todesstrafe abgeschafft, aber man vollzieht sie gegen diejenigen ohne Prozeß, die von Deutschland nach Deutschland gehen wollen. Man gibt papierne Garantien für die Ausübung der Religionsfreiheit, aber man will das gemeinsame Gebet für eine Verbesserung der Zustände unterdrücken. Man vereinbart, daß Chronisten ihren Beruf ausüben dürfen, aber sie werden brutal daran gehindert, ihren Pflichten nachzukommen.
Was ist das für ein Staat? fragt man sich. Mit dem jedenfalls, was er in der letzten Zeit gezeigt hat, kann er wahrlich keinen Staat machen. Und wenn dies das vielbeschworene menschliche Antlitz des Sozialismus sein soll, dann hat dieser Sozialismus vom Menschen verdammt wenig Ahnung.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Das stimmt!)

Natürlich fragt man sich: Warum tun die das? Denn jedermann spürt ja wohl, daß sie nicht nur den Menschen dort weh tun, sondern daß sie ihren eigenen Interessen zuwiderhandeln.

(Zuruf von den GRÜNEN: Aus Angst!)

Den inneren Frieden, den sie erreichen wollen, erreichen sie auf diese Weise nicht; sie produzieren mehr Unruhe. Ich denke schon, daß die SED offenbar in eine Sackgasse geraten ist. Offenbar ist das System in einer Krise. Diese Krise führt zu Verwirrung und Unsicherheit in der Führung. Die Rechte weiß offenbar manchmal nicht, was die Linke tut.

(Reddemann [CDU/CSU]: Und die Halblinke nicht, was die ganz Linke tut!)

Aber ich denke: Die DDR-Führung wird begreifen müssen, daß sie Ausreisewillige nicht einfach abbügeln kann. Sie kann als Antwort auf den Ausreisewunsch nicht berufliche Schikanen verfügen. Sicher ist es großartig — so gestern —, zu hören: In der DDR ist die dreimillionste Wohnung gebaut worden. Aber was nützt das, wenn die Menschen die DDR nicht bewohnbar und wohnlich genug finden, viele also weglaufen wollen? Herr Fischer hat gestern vor den Vereinten Nationen gesagt: Das größte und bedeutendste Menschenrecht ist das Recht auf Frieden. Ja,
aber was nützt das, wenn die Menschen wiederum im eigenen Staate nicht in Frieden leben können?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Da ist ein Stück Adresse der Politik, die sie begreifen müssen. Die DDR, finde ich, muß ein bißchen mehr Großzügigkeit des wirklich Souveränen bekommen. Und das heißt natürlich: Sie muß ihr Verhalten und sie muß die Verhältnisse in ihrem Bereich ändern.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Das wäre aber schön!)

Das ist keine Frage der inneren Angelegenheit. Wenn es um solche Dinge wie die Verletzung der Menschenrechte geht, dann haben wir alle unsere Stimme zu erheben. So wie die DDR anklagt, wenn in Chile oder in Südafrika etwas passiert, so müssen wir die DDR anklagen, wenn dort Menschenrechtsverletzungen vorhanden sind. Ich denke, da, wo Menschenrechte verletzt werden, ist Anklage unsere Pflicht; darauf dürfen wir nicht verzichten.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von den GRÜNEN)

Man kann dies auch nicht damit abtun, etwa zu sagen: Der Klügere gibt immer nach. Wenn der Klügere immer nachgibt, so sagt Marie von EbnerEschenbach, würde das nur die Herrschaft der Dummheit

(Jäger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

oder des Schlechten bedeuten. Ich glaube, dem will sich von uns niemand ausliefern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110010900
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Haack.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1110011000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum drittenmal innerhalb von zehn Monaten befassen wir uns heute in einer Aktuellen Stunde — mit Recht, meine ich — mit Ereignissen in Ost-Berlin, bei denen DDR-Behörden gegen elementare Menschenrechte und von ihnen selbst unterzeichnete Vereinbarungen verstoßen haben.
Im Dezember des vergangenen Jahres kritisierten wir das Vorgehen des Staatssicherheitsdienstes in Räumen der Ost-Berliner Zionsgemeinde, im Februar dieses Jahres Übergriffe der DDR-Staatsmacht bei der Rosa-Luxemburg-Kundgebung. Heute reden wir über Maßnahmen der DDR-Sicherheitskräfte gegen Teilnehmer an einer Protestaktion, die sich wegen fortgesetzter staatlicher Zensureingriffe bei den kircheneigenen Zeitungen an die Öffentlichkeit wandten. Darüber hinaus kritisieren wir das Verfahren gegen Berichterstatter unserer Fernsehanstalten. Weitere rechtswidrige Aktionen der SED hat es in diesem Jahr gegeben. Ich meine, unser Protest im frei gewählten deutschen Parlament darf aber nicht zur Pflichtübung werden. Es darf auch nicht zu einer Arbeitsteilung kommen zwischen den Deutschlandpolitikern im innerdeutschen Ausschuß, die protestieren, und anderen Politikern, die mit Herrn Honecker reden und die Vereinbarungen abschließen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Sehr gut!)




Dr. Haack
Wir werden mit unserer politisch und moralisch gebotenen öffentlichen Kritik nur etwas erreichen, wenn alle verantwortlichen politischen Kräfte und jeder einzelne in der Bundesrepublik Deutschland klarmachen, daß für uns Verbesserungen der innerdeutschen Beziehungen nicht nur Zusammenarbeit und vertragliche Verklammerung zwischen den beiden deutschen Staaten bedeuten, sondern gleichzeitig und gleichrangig mehr Menschenrechte für unsere Landsleute in der DDR bedeuten.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ronneburger [FDP])

Was sich in Ost-Berlin am Beginn dieser Woche erneut abspielte, ist, wie Frau Wilms mit Recht feststellte, ein Verstoß gegen den Wortlaut der von der DDR 1975 selbst unterzeichneten KSZE-Schlußakte, gegen die zusammen mit dem Grundlagenvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen für unsere Medienvertreter in der DDR und auch ein Verstoß gegen den Geist des Kommuniqués Kohl/Honecker vom September 1987 hier in Bonn. An die von ihr selbst eingegangenen Verpflichtungen müssen wir die SED immer wieder erinnern.

(Jäger [CDU/CSU]: Sehr richtig! — Schulze [Berlin] [CDU/CSU]: So ist es!)

Wenn die DDR international aufgewertet werden will, muß sie sich an die internationalen Standards der Menschenrechtsdiskussion halten.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Eine neue Qualität haben die Ereignisse am Montag dadurch erreicht, daß jetzt in den inneren Kernbereich religiösen Lebens eingegriffen wird. Die Beanstandung eines Gebetstextes ist, wie mit Recht drüben in Ost-Berlin von den Kirchen festgestellt wurde, absolut unerträglich. Die SED-Führung widerlegt sich selbst, wenn sie in Interviews Honeckers in ausländischen Zeitungen oder durch ihre Diplomaten in internationalen Gremien über die Religionsfreiheit in der DDR spricht.
Ich wiederhole, was ich in der Aktuellen Stunde im Dezember des vergangenen Jahres erklärt habe, und greife hier auch einen Gedanken von Herrn Lummer auf. Die Friedensfähigkeit eines Staates erweist sich auch im Umgang mit seinen Bürgern. Ich nehme der SED-Führung ab, daß sie in der Außen- und Sicherheitspolitik für die Bewahrung des Friedens eintritt, aber eine Verengung der Friedensbereitschaft auf die Abrüstung ist unzulässig.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Frieden ist ein umfassendes Leitmotiv für politisches Handeln, nach außen gegenüber anderen Staaten, aber auch nach innen gegenüber der eigenen Bevölkerung. Zum Frieden nach außen und innen gehört die Freiheit, die Freiheit des Gewissens, die Freiheit der Religion, die Freiheit des Denkens, die Freiheit des Wortes.
Deshalb zitiere ich, gerichtet an die Verantwortlichen in Ost-Berlin, aus der Dankrede von Siegfried Lenz nach der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels am vergangenen Sonntag in der Frankfurter Paulskirche:
Mögen Eigentümer der Macht auch der Ansicht sein, daß es genug sei, wenn sie für uns denken und reden. Das uns allen verheißene Wohlgefallen auf Erden wird sich erst dann einstellen, wenn die Freiheit des Wortes für jedermann garantiert ist. Sie gehört zum Frieden, sie macht ihn zu ihrem Teil aus, sie ist eine Forderung.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren, die SED ist zur Umkehr, zu neuem Denken aufgefordert. Ihre Maßnahmen der Staatssicherheit — auch die der vergangenen Tage — sind Ausdruck des alten Denkens, des überholten Denkens. In Wirklichkeit ist dieses Denken bereits heute ebenso wie der erneute Versuch gescheitert, Deutschland in zwei Nationen aufzuteilen. Die Deutschen in beiden deutschen Staaten denken und fühlen in ihrer großen Mehrheit gleich. Sie sind für die Öffnung der Grenzen, für die Freiheit der menschlichen Existenz, für einen wirklichen Frieden nach innen und außen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110011100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reddemann.

Dr. Gerhard Reddemann (CDU):
Rede ID: ID1110011200
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! In der DDR verschärft sich der Druck auf die Menschen. Der Deutsche Bundestag nimmt dies zum Anlaß, um über die Situation in der DDR zu debattieren. Ich muß gestehen: Ich bedaure außerordentlich, daß der Sprecherin der GRÜNEN nichts anderes eingefallen ist, als statt mit zu protestieren, wilde Beschimpfungen gegen die demokratischen Institutionen in der Bundesrepublik Deutschland loszulassen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Ist ja dummes Zeug! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

— Verehrte Frau Unruh, daß Sie diesen Verhandlungen schlecht folgen, wissen wir seit langem; darüber wollen wir nicht mehr reden.
Frau Kollegin Hensel, ich sage Ihnen in aller Offenheit: Dies war ein Zynismus, der eigentlich keinen Kommentar mehr verdient.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Unruh [GRÜNE]: Stimmt nicht! — Frau Hensel [GRÜNE]: Verschließen Sie sich doch bitte nicht den Tatsachen!)

Wir reden über eine Situation, in der deutlich wird, daß die DDR-Regierung wieder einmal dabei ist, ihre eigene Verfassung zu verletzen. Der Art. 27 der DDR-Verfassung schreibt die Pressefreiheit vor; er garantiert die Pressefreiheit.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Die haben wir aber auch!)

Ein paar Diensträume im Presseamt der DDR-Regierung garantieren dann die Realität, daß diese Pressefreiheit nicht stattfindet, und das, nachdem wir alle eine Zeitlang gehofft hatten, diese Zeit wäre längst vorbei.
Meine Damen, meine Herren, was wir in den vergangenen Wochen und Monaten erlebt haben, und



Reddemann
zwar im Umgang der DDR-Regierung mit der evangelischen Kirchenpresse, das war schon mehr als der übliche Verfassungsbruch, den wir oft genug an dieser Stelle kritisieren mußten. Die späten Tage des Generalsekretärs Honecker erinnern diejenigen, die sich schon länger mit der Deutschlandpolitik befassen, immer mehr an die frühen Tage des Generalsekretärs Ulbricht.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Sie reden Quatsch!)

Meine Damen, meine Herren, die Zahlen alleine sind eindeutig. In vier überschaubaren Monaten durfte ein Drittel aller evangelischen Kirchenzeitungen entweder nur zensiert oder überhaupt nicht erscheinen. Das, was der Herr Kollege Duve soeben gesagt hat, die Drohung des Lizenzentzugs, macht deutlich, daß hier offenbar noch Steigerungen von der DDR-Regierung beabsichtigt sind.
Meine Damen, meine Herren, wir müssen darauf hinweisen, daß nicht nur politische Aussagen zensiert wurden. Die Wochenzeitung „Die Kirche" etwa mußte eine Würdigung des Schriftstellers Stefan Heym aus dem Blatt nehmen, während im SED-Zentralorgan „Neues Deutschland" Honeckers Paradeautor Stephan Hermlin den zeitweise verfemten Kollegen auf sozialistische Art abfeiern konnte. Der Dresdener „Sonntag" wurde beanstandet, weil er nach dem Hintergrund faschistoider Skinheads in der DDR fragte, während das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland" noch nicht so weit war, die offenbar vorgesehene Sprachregelung für die ganze DDR vorzuschreiben. Dem bereits zitierten „Sonntag" untersagte man dann sogar den Nachdruck eines Beitrags über die sowjetische Religionspolitik aus einer sowjetischen Zeitung.

(Jäger [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Da schlägt ganz offenkundig ein versteinertes Regime zu, das sich selber die Angst vor dem Westen eingeredet hat und nun auch Angst vor dem Osten bekommt.
Der jahrzehntelang gelehrte Spruch „Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen" wandelt sich offensichtlich mit zunehmender Geschwindigkeit in den Satz „Von der Sowjetunion lernen heißt fürchten lernen" . Ich glaube, dies ist im Zusammenhang mit Perestroika eine wichtige Aussage.

(Jäger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Hinzu kommt — auch das muß man hier erwähnen — : Jedes wirkliche Problem der DDR-Bevölkerung darf von den Kirchenzeitungen nicht mehr aufgegriffen werden. Über Ausreisewünsche, über Wehrdienstverweigerung, über Umweltverschmutzung, über die Sorge um die Kinder in den Schulen darf nichts mehr gesagt werden. Alle entsprechenden Beiträge werden weggestrichen.
Neuerdings — das ist hier bereits gesagt worden — greift man sogar unmittelbar in die Religion ein; neuerdings werden sogar Fürbittgebete der Kirche zensiert.
Dies, meine Damen, meine Herren, ist weit mehr als das, was wir in den letzten Jahren erlebt haben. Dies
ist ein ganz offenkundiger Rückfall in den Stalinismus; man muß dies offen sagen.
Meine Damen, meine Herren, daß unter diesen Umständen Kirchentagsauftritte des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt oder der Frau Kollegin Hamm-Brücher oder des Kollegen Egon Bahr in der Kirchenpresse ebenfalls nicht erwähnt werden dürfen, versteht sich schon fast am Rande.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Manche durften gar nicht einreisen!)

Das bedeutet mit aller Schlichtheit: Die DDR-Regierung ist in ihrer augenblicklichen Verfassung nicht nur bereit, gegen die eigene Verfassung zu verstoßen; das hat sie immer getan. Der Spruch „Im Zweifelsfall gegen die Verfassung" ist ein alter Spruch, den wir noch aus Zeiten Walter Ulbrichts kennen. Nein, inzwischen verstößt sie auch gegen internationales Recht, und ich sage Ihnen mit aller Offenheit: Ich werde meine Kollegen im Europarat bitten, . . .

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110011300
Herr Abgeordneter!

Dr. Gerhard Reddemann (CDU):
Rede ID: ID1110011400
... — ich bin beim Schlußsatz, Herr Präsident — in absehbarer Zeit dieses Thema nicht nur für den Deutschen Bundestag aufzubereiten, sondern in dem Gremium der 21 demokratischen Staaten Europas zu behandeln, damit von dort die Möglichkeit besteht, Einfluß auf diejenigen in der DDR zu nehmen, die keinen Frieden, keine Verständigung und keine Zusammenarbeit mit uns wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110011500
Die Frau Abgeordnete Hensel hat noch einmal das Wort.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Jetzt können Sie sich aber berichtigen, Frau Kollegin!)


Karitas Dagmar Hensel (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1110011600
Ich sehe keinen Anlaß, mich zu berichtigen.
Herr Kollege Reddemann, ich bedaure außerordentlich, daß Sie nicht wahrhaben wollen oder nicht wahrhaben können, daß Sie es sind, der mit zweierlei Maß mißt, und daß Pressefreiheit und Meinungsfreiheit in West-Berlin und Ost-Berlin das gleiche sein muß

(Beifall bei den GRÜNEN)

und daß wir es sind, die immer für die Unteilbarkeit dieser Freiheiten und der Menschenrechte eingetreten sind.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das glaubt Ihnen doch kein Mensch! — Reddemann [CDU/ CSU]: Sie beschimpfen die demokratischen Staaten!)

Wir haben in diesem Bundestag schon oft über das Thema gesprochen, und ich frage Sie heute wieder: Was folgt aus einer solchen Debatte wie der heutigen, wenn sie nicht nur eine rhetorische Pflichtübung sein soll?

(Reddemann [CDU/CSU]: Ihr Zynismus!)




Frau Hensel
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie habe ich schon oft gefragt und frage Sie jetzt wieder:

(Kittelmann [CDU/CSU] [zur SPD]: Jetzt kommt ihr dran!)

Was tun Sie in Ihrer konkreten Politik, um die in Ihrem gemeinsamen Papier mit der SED vorgesehene Demokratisierung des Dialogs zu verwirklichen? Haben Sie bei Ihren ausgedehnten Gesprächen mit der SED schon einmal darum gebeten, Kirchenvertreter und Mitglieder von Basisgruppen zu beteiligen?
Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, möchte ich fragen: Haben Sie bei der Durchführung Ihres umweltpolitischen Symposiums mit Vertretern der DDR-Regierung darum ersucht, auch Mitglieder von Ökologie-Basisgruppen oder kirchlichen Arbeitsgemeinschaften daran zu beteiligen? Ich möchte wagen, zu behaupten, daß Sie diese Frage verneinen müssen.
Wir GRÜNEN haben gegenüber der DDR immer deutlich gemacht, daß wir den staatlichen und den gesellschaftlichen Dialog führen wollen und daß beide Ebenen untrennbar zusammengehören und daß wir die kirchlichen und unabhängigen Basisgruppen für authentische gesellschaftliche Organisationen erachten ebenso wie die SED selbst.
Meine Damen und Herren, ich möchte bitte nicht mißverstanden werden. Es darf nach einer Stunde Menschenrechtsdebatte nicht zurückgegangen werden zu der alten Sprachlosigkeit des Kalten Krieges, sondern es muß um Ehrlichkeit und um Aufrichtigkeit gehen. Das heißt, es muß um politische Konsequenz gehen. Dies wird täglich nötiger, denn die DDR bewegt sich auf eine ernste gesellschaftliche Krise zu. Verzweiflung, Resignation, Fluchtgedanken und Fluchtversuche breiten sich immer mehr aus, und es ist nicht zu sehen, daß die DDR-Führung eine politische und wirtschaftliche Reform als notwendig begreift.
Ich muß leider aufhören. Danke sehr.

(Beifall bei den GRÜNEN — Kittelmann [CDU/CSU]: Nicht leider!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110011700
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1110011800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines jedenfalls verbindet mich mit der Kollegin Frau Hensel: daß wir beide in dieser Aktuellen Stunde zweimal auftreten. Aber damit hört es dann, verehrte Frau Kollegin, auch wirklich schon auf.

(Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank! — Frau Hensel [GRÜNE]: Gott sei Dank!)

Ihre Äußerungen haben mir nachträglich bestätigt, wie dringend notwendig meine aufklärenden Vorbemerkungen am Beginn meiner ersten Ausführungen waren. Vielleicht war es von vornherein eine Illusion — das muß ich mir selbst vorwerfen — , wenn ich von der Hoffnung ausging, eine solche einleitende Bemerkung, eine solche Klarstellung über Unterschiede könne dazu führen, daß solche hinkenden Vergleiche das nicht beeinträchtigen würden, was wir hier gemeinsam zu sagen versuchen, nämlich daß die gegenwärtige Entwicklung in der DDR nicht dem entspricht, was wir uns auch nach eigenen Äußerungen der DDR glaubten vorstellen und erhoffen zu können, und daß hier Menschenrechte entgegen eigenen Aussagen der DDR beeinträchtigt werden.
Sie, Frau Minister, haben vorhin aus einem Interview des Staatsratsvorsitzenden Honecker zitiert, soweit in diesem Interview die Freiheit der Journalisten angesprochen war. Ich möchte dieses Zitat mit folgenden Bemerkungen des Staatsratsvorsitzenden fortsetzen, die sich jetzt auf die Situation der Kirche beziehen. Da heißt es:
Kirchliche Literatur und kirchliche Publizistik haben in der DDR einen beachtlichen Umfang und finden auch im Ausland wachsendes Interesse. Dies zeigt,
— so Honecker damals in diesem Interview —
daß die Kirche in der DDR Mitverantwortung trägt, sie wahrnimmt und dabei durch den Staat und die gesamte Gesellschaft unterstützt wird.
Meine Damen und Herren, dieses muß man sich im Zusammenhang mit dem vorstellen, was z. B. der Kollege Reddemann eben an aktuellen Eingriffen in die kirchliche Presse und die Möglichkeit der Kirche, ihrem Verkündigungsauftrag gerecht zu werden, geschildert hat. Hier sind Grenzen sichtbar, deren Überschreiten wir nicht ohne Widerspruch lassen können und die auch durch Vergleiche mit Vorgängen im Bereich West-Berlin, die ich keineswegs verschwiegen habe, Frau Kollegin Hensel,

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Sie nicht!)

nicht aus der Welt geschafft werden. Das sind nicht die gleichen Dinge. Hier kann ich dem Kollegen Haack nur aus vollem Herzen zustimmen, der vorhin gesagt hat: Friedensfähigkeit erweist sich nicht nur in der Frage der Abrüstung, sondern im Umgang mit den eigenen Bürgern, auch in der Politik nach innen.
Ich möchte gerne, daß unserer Bereitschaft, eine aufgeschlossene Politik, eine Politik der Kooperation, eine Politik, die zu dem führen soll, was wir im Grundlagenvertrag festgeschrieben haben, eine Politik der guten Nachbarschaft zu betreiben, auch die Möglichkeiten erhalten bleiben. Aber wenn das so sein soll, ist dies keine Einbahnstraße, sondern etwas, was von beiden Seiten betrieben werden muß.
Wenn die DDR so weitermacht, wie es im Augenblick offenbar aus einem Gefühl innerer Unsicherheit heraus geschieht, dann wird diese Straße schwer begehbar werden, auch für uns. Ein demokratischer Staat hat Grenzen für seine Handlungsfähigkeit in bestimmten Richtungen. Und niemand möge sich darüber täuschen.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110011900
Das Wort hat der Abgeordnete Böhm (Melsungen).

Wilfried Böhm (CDU):
Rede ID: ID1110012000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die unerträgliche Art und Weise, mit der von der Sprecherin der GRÜNEN eine Gleichstellung der Lebensverhältnisse in der Bundes-



Böhm (Melsungen)

republik Deutschland und in der DDR versucht wurde, weise ich entschieden zurück.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Das haben Sie falsch interpretiert!)

Die Attraktivität der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland kommt schon darin zum Ausdruck, daß Millionen Menschen aus der DDR und aus aller Welt in diese Bundesrepublik Deutschland kommen wollen; doch sicherlich nicht deswegen, weil sie hier Elend und Polizeistaat suchen, sondern weil sie wissen, daß hier die freieste Ordnung ist, in der deutsche Menschen jemals gelebt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Unruh [GRÜNE]: Vergessen Sie aber nicht die Massenarbeitslosigkeit!)

Meine Damen und Herren, Frau Bundesminister Wilms hat deutlich herausgestellt, daß Generalsekretär Honecker die Freiheit der Meinungsäußerung und der Presse in der DDR als verfassungsmäßig garantiert bezeichnet und als elementares Menschenrecht anerkannt hat. Sie hat zu Recht darauf hingewiesen, wie von sozialistischen Funktionären wie Honecker immer dann gesprochen wird, wenn sie im europäischen Ausland für ihren Staat werbend auftreten wollen. Solche wohlklingenden Worte, die man vom Bekenntnis zu freier Meinungsäußerung und zur Pressefreiheit dann hört, sind der Anspruch der DDR. Über die Wirklichkeit der DDR diskutieren wir heute — und das nicht zum erstenmal.
Ein Schweigemarsch von rund 200 Menschen auf den Straßen Berlins, friedlich und unbewaffnet, nicht einmal vermummt, aus Protest gegen die staatliche Zensur von Kirchenzeitungen setzte den ganzen Staatsapparat in Bewegung. Auf diesen selben Straßen Berlins waren knapp 14 Tage vorher Tausende von bewaffneten „Genossen Kämpfern" zu ihrem Kampfappell aus Anlaß des 35. Jahrestages der Gründung der „Kampfgruppen der Arbeiterklasse" aufmarschiert, zu denen in der DDR rund 400 000 Mann gehören, die mit Schützenpanzerwagen, Panzerabwehrkanonen, Flugabwehrkanonen, schweren Maschinengewehren und schweren Granatwerfern ausgerüstet sind.
Derselbe Erich Honecker, der so gefühlvoll von Pressefreiheit und Meinungsfreiheit sprechen kann, hat auch einmal gesagt, „daß die Kirche in der DDR Mitverantwortung trägt, sie wahrnimmt und dabei durch den Staat und die gesamte Gesellschaft unterstützt wird" . Vor dieser Drohkulisse seiner Kampfgruppen aber wies er die Forderungen des Evangelischen Bundes in der DDR nach einer „Gesellschaft mit menschlichem Antlitz" und weitere Klagen über die Benachteiligung christlicher Kinder im Erziehungs-
und Bildungswesen brüsk zurück und erklärte: „Ich möchte im Gegensatz zu manchem verantwortungslosen Gerede von Leuten, die es besser wissen müßten, sagen, daß das Antlitz des Sozialismus auf deutschem Boden noch nie so menschlich war wie heute. "

(Jäger [CDU/CSU]: Unglaublich!)

Schüsse an der Elbe, Schüsse an der Mauer — menschliches Antlitz des Sozialismus? Die Tränen der getrennten Familien in Deutschland — menschliches
Antlitz des Sozialismus? Die Heranwachsenden in der DDR, die noch immer gegen den Widerstand der Kirchen zum Haß erzogen werden sollen — das menschliche Antlitz des Sozialismus? Nein, meine Damen und Herren, die DDR, sie ist nicht so, wie sie in Europa, wie sie in der Welt gesehen werden möchte!
Der gigantische Sicherheitsapparat mit seiner ständigen Bedrohung eines jeden Bürgers, das ist das unmenschliche Antlitz dieser Art von Sozialismus.

(Reddemann [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Die DDR wird heute von allen Mitgliedstaaten des Europarates in Straßburg und auch von allen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft fassungslos betrachtet, weil sie sich mit ihrer unheilvollen Politik im Prozeß der europäischen Annäherung immer mehr isoliert. Sie isoliert sich nicht nur gegenüber den Staaten Westeuropas mit pluralistischen Systeinen, nein, sie isoliert sich mittlerweile selbst innerhalb des sozialistischen Ostblocks.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Die DDR und das Rumänien Ceauçescus sind die Überbleibsel einer Zeit, von der so viele in Europa hofften, daß sie endgültig überwunden sei. Die DDR wird und darf sich dem Prozeß europäischer Annäherung nicht länger entziehen können. Ihre Führer müssen aber auch erkennen, daß ihr Verhalten denen vermittelbar sein muß, deren Steuergelder sie bekanntlich gern kassieren. Den Worten Erich Honeckers müssen endlich Taten des Friedens und der Menschenrechte folgen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110012100
Das Wort hat der Abgeordnete Niggemeier.

Horst Niggemeier (SPD):
Rede ID: ID1110012200
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Meine Vorredner haben, jeder auf seine Weise, den Ernst der Situation, der durch die Vorgänge in Ost-Berlin und in der DDR entstanden ist, beschrieben. Freimut Duve hat in seinen Ausführungen eigentlich ein richtiges und nachdenklich stimmendes Wort gesagt: Jetzt muß Schluß sein! Irgendwo muß die Grenze sein, wo man noch sagen kann, dies ist noch erträglich. Deshalb, so scheint es mir, ist deutliche Kritik an dem angebracht, worüber wir heute diskutieren.
Gestern hat das DDR-Außenministerium den Protest unserer Ständigen Vertretung wegen der in dieser Debatte in Rede stehenden Vorgänge und Vorfälle „nachdrücklich zurückgewiesen" . Morgen wird die SED wahrscheinlich erklären lassen, daß die heutige Aktuelle Stunde im Bundestag eine „eklatante Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR" darstelle.
Meine Damen und Herren, wir haben gelernt, mit solchen Zurückweisungen und Vorwürfen zu leben. Aber was ist mit den Menschen und den Institutionen in der DDR, die mit diesen freiheitsfeindlichen Rahmenbedingungen des SED-Systems tagtäglich zu leben haben? Kollege Reddemann hat schon darauf hingewiesen, daß in der Verfassung der DDR das Recht der Pressefreiheit ausdrücklich gewährleistet ist: „Freiheit der Presse, des Rundfunks und des Fernse-



Niggemeier
hens" heißt es dort. Aber in der politischen Praxis erweist sich diese Verfassungsbestimmung als eine sehr leere Worthülse. Der Einsatz von Knüppelkommandos der Staatssicherheit gegen westdeutsche Journalisten beweist sehr eindeutig, wie wenig die DDR-Führung von der Pressefreiheit, wie sie in der Verfassung formuliert ist, hält.
Auch das Verbot und die Zensur von Kirchenzeitungen sind kein Ausdruck von Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit. Aber so ist die Realität in der DDR: viele Rechte auf dem Papier und, wie wir immer wieder beklagen müssen, unerträgliche Willkür in der Praxis gegenüber den eigenen Staatsbürgern. Hier liegt die doppelte Moral der SED-Führung offen zutage.

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

Leider kann heute das Thema dieser politischen Doppelbödigkeit, mit der wir uns ständig auseinandersetzen müssen, nicht vertieft werden. Aber es sollte den Verantwortlichen in der DDR klar gesagt sein, daß auch ihr jüngstes Verhalten nicht im Guiness-Buch der Rekorde über politische Vertrauensbildung Eingang finden kann.

(Schulze [Berlin] [CDU/CSU]: Das ist die richtige Bezeichnung!)

Bestenfalls könnte sie unter der Rubrik „unterdrückte Meinungs- und Pressefreiheit" als Rekordhalter erwähnt werden. Aber das ist ein Rekord, den wirklich keine Staatsführung anstreben sollte.
Es nützt auch der Politik der Entspannung überhaupt nichts, wenn man frühmorgens und spätabends von Vertrauensbildung redet und in der Zwischenzeit mit wirklich unappetitlicher Regelmäßigkeit seitens des Staates gegen das Gebot der Vertrauensbildung handelt.

(Beifall bei der SPD)

Dieses Verhalten nützt letztlich auch nicht der DDR selbst. Im Gegenteil: Wenn die SED-Führung glauben sollte, daß sie auf die Pluralität der Meinungen in ihrem Machtbereich verzichten könnte, dann irrt sie gewaltig, dann unterschätzt sie die Wirkungen des von Gorbatschow in Gang gesetzten Prozesses auch auf die Bevölkerung der DDR.
Auf Dauer kann die SED der Frage nach der Perestroika nicht mehr ausweichen, weder so noch so. Es kann doch der SED eigentlich nicht daran gelegen sein, sich im Kreis der kommunistischen Staaten zu isolieren, um damit möglicherweise noch hinter den früheren Status von Albanien zurückzufallen.
Wenn die SED ihrer friedenspolitischen Verantwortung in Zentraleuropa gerecht werden will, muß sie ihre Politik im Innern nachhaltig reformieren, um nach außen hin vertrauenswürdig zu sein. „Gesellschaftssysteme sind nichts Statisches", heißt es dazu in dem SED-SPD-Papier über den „Streit der Ideologien".
Dieses Papier mag aus der Sicht seiner Kritiker hier und da Schwächen haben; ich will dem nicht widersprechen. Aber seine Stärke liegt zweifellos darin, daß sich die SED daran erinnern und daran messen lassen muß, was dort von ihr selbst über die „Grundregeln einer Kultur des politischen Streits" freiwillig akzeptiert wurde. Deshalb kann unsere Forderung nur sein: Die SED sollte sich an die Verpflichtungen erinnern, die sie selbst in vielen Papieren, u. a. auch in dem von vielen kritisierten SED-SPD-Papier, eingegangen ist. Wenn sie das täte, wären wir einen großen Schritt weiter.
Ich zitiere aus diesem Papier nur einen Satz, Herr Präsident. Dann bin ich fertig; das rote Licht leuchtet. In diesem Papier heißt es:
Es muß zum Normalfall werden, daß wir ... da offene und klare Kritik äußern können, wo nach unserem Verständnis ... die Menschenrechte und die Demokratie im anderen Bereich verletzt werden.
Das ist eine Feststellung, von der ich meine, daß wir ihr alle zustimmen können. Wir diskutieren also zu Recht darüber, was in Ost-Berlin und in der DDR mit den Journalisten und mit der Kirche passiert ist.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110012300
Das Wort hat der Abgeordnete Werner (Ulm).

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID1110012400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist richtig so, daß wir hier Laut geben, wenn in der DDR etwas im Widerspruch zu der dortigen Gesetzeslage und im Widerspruch zu den Menschenrechten geschieht. Gäben wir nicht Laut, so könnte das durch die Führung der DDR und auch seitens unserer Landsleute leicht mißverstanden werden, nämlich dahin gehend, daß wir sie mit ihren Nöten und Sorgen im Grunde abgeschrieben haben. Nein, das Gegenteil müssen wir tun: Wir müssen auf der einen Seite auf den vielfältigen Ebenen der Regierungsarbeit möglichst engmaschige Verdichtungen und Verknüpfungen finden, um den Menschen zu helfen, um die störende Grenze durchgängiger und durchlässiger zu machen. Wir müssen auf der anderen Seite als frei gewählte Parlamentarier immer wieder die Stimme erheben, um unseren Landsleuten in der DDR Hoffnung und Mut zu machen und zu zeigen, daß wir sie nicht im Stich lassen.
Deswegen, meine Damen und Herren, Frau Hensel, sprechen wir hier nicht irgendwie vom Podest der Selbstgefälligkeit und der Anklage, sondern aus der Haltung tiefer Betroffenheit und tiefen Bekümmertseins!

(Frau Unruh [GRÜNE]: Beispiel geben!)

Deswegen, Frau Hensel, ist es, glaube ich, völlig falsch, hier die Behauptung aufzustellen, es würde hier irgend jemand mit verschiedenen Maßstäben messen. Sie haben völlig recht: Es wäre fatal, wenn wir Freiheit im Westen anders buchstabieren würden als im Osten unseres Vaterlandes. Aber genau dies tun wir nicht.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Doch!)

Genau deswegen melden wir uns ja. Genau deswegen muß es doch unser Recht sein — und ist es auch
unsere Pflicht —, an die schon erwähnten Aussagen in



Werner (Ulm)

der DDR-Verfassung, an die von der DDR unterzeichneten Menschenrechtspakte und an die UN-Charta zu erinnern, der sich die DDR gleichfalls angeschlossen hat.
Ist es eigentlich Selbstgefälligkeit und Selbstgerechtigkeit, zu verlangen, daß sich die DDR an ihre eigene, selbst gegebene Rechtsordnung hält? Ich meine: nein!
Ich finde es auch fatal, so zu tun, als sei ein Übergriff von Polizisten gegenüber Journalisten im Osten automatisch gleichzusetzen mit dem, was wir teilweise in West-Berlin erlebt haben. In Ost-Berlin, Frau Hensel, fand eindeutig eine gewaltfreie Demonstration statt, um gegen Zensur, Zensur bis hinein in den kirchlichen Raum, zu demonstrieren. Im Westen waren es gewalttätige Demonstrationen und Situationen, in denen sich Journalisten nicht immer völlig zweifelsfrei verhalten haben, sondern — im Gegenteil — teilweise Festgenommenen ihre unmittelb are Unterstützung angeboten haben.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Es geht doch um Journalisten! — Zuruf der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

Dies, Frau Hensel und Frau Unruh, sollt man sehen, und man sollte die Dinge nicht einfach gleichsetzen!
Ich meine, man sollte auch nicht so tun, als sei hier bei uns die Situation auf Grund der Arbeitslosigkeit und auf Grund der schweren Nöte, in denen sich die Arbeitslosen befinden, automatisch mit der schwierigen Situation gleichzusetzen, in der sich unsere Landsleute in der DDR befinden, gerade angesichts der Tatsache, daß ihnen grundlegende, elementare Menschenrechte vorenthalten werden.
Ich glaube, es wäre dumm und töricht, wenn wir dieses Spiel des „Neuen Deutschlands" mitmachen würden, jeweils dann über angebliche Mißstände, über Gerichtsprozesse bei uns in der Bundesrepublik Deutschland die Diskussion unbedacht zu übernehmen, wenn wir mit Fug und Recht die DDR auf Verstöße gegen von ihr selbst gesetztes Recht hinweisen. Ich möchte damit nicht vertuschen, daß nicht auch wir uns stetig darum bemühen müssen, die von unseren Vorvätern geschaffene Verfassung dynamisch auszufüllen, daß auch wir stets Gesetze überprüfen müssen im Hinblick auf das, was die Freiheit verlangt. Aber ich warne davor, die Dinge einfach gleichzusetzen.
Ich möchte nochmals — wie auch die Kollegen zuvor — an die Führung der DDR appellieren, endlich mehr Freizügigkeit, endlich mehr Freiheit den Bürgern der DDR zu gewähren, endlich den Mut zur Umgestaltung, zur Perestroika, zu haben, nicht nur über neues Denken im Westen zu reden, sondern neues Denken in der DDR, im eigenen Staat, zu praktizieren! Ich fände es ganz fatal, wenn im Hintergrund womöglich der eine oder andere der DDR-Führung bereits Nachfolgekämpfe und Nachfolgeauseinandersetzungen auf dem Rücken der Kirchen austragen würde.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110012500
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist zu Ende.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte ohne Aussprache auf, die vor der Mittagspause nicht behandelt werden konnten, zunächst Punkt 6 der Tagesordnung:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahreswirtschaftsbericht 1988 der Bundesregierung
— Drucksachen 11/1924, 11/2584 —
Berichterstatter: Abgeordneter Hinsken
Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1924 abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke schön. Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung der GRÜNEN angenommen.
Ich rufe nunmehr Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahreswirtschaftsbericht 1988 der Bundesregierung
— Drucksachen 11/1923, 11/2618 —
Berichterstatter: Abgeordneter Grünbeck
Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 11/1923 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 1502 Tit. 65211 —
Beihilfen an junge Zuwanderer für ihre Schul- und Berufsausbildung
— Drucksachen 11/2682, 11/2955 —
Berichterstatter: Abgeordnete Kalb
Frau Conrad
Zywietz
Frau Rust



Vizepräsident Westphal
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 84 zu Petitionen
— Drucksache 11/3006 —
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (13. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur fünften Änderung der Richtlinie 76/768/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für kosmetische Mittel
— Drucksachen 11/2841 Nr. 12, 11/3049 —
Berichterstatterin: Abgeordnete
Frau Dr. Götte
Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe nun Punkt 11 der Tagesordnung und Zusatzpunkt 4 der Tagesordnung auf:
11. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze
— Drucksache 11/2421 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß (federführend)

Rechtsausschuß Finanzausschuß Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
ZP4 Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Änderung des Parteiengesetzes
— Drucksache 11/3097 —
Überweisungsvorschlag :
Innenausschuß (federführend)

Rechtsausschuß Finanzausschuß Haushaltsausschuß
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte 90 Minuten vorgesehen. — Es erhebt sich kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spilker.

Dr. Karl-Heinz Spilker (CSU):
Rede ID: ID1110012600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir behandeln heute im Deutschen Bundestag in erster Lesung den von den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Parteiengesetzes von 1967 und anderer Gesetze. Aus diesem Anlaß werden wir wieder einmal über die politischen Parteien und im Zusammenhang damit über Fragen der Parteienfinanzierung, aber auch andere Probleme debattieren.
Nach Art. 21 Abs. 1 des Grundgesetzes wirken die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Mit dieser Festlegung wurden 1949 erstmals in der deutschen Geschichte die Parteien von der Verfassung anerkannt, aber gleichzeitig auch gefordert. Im Grundgesetzkommentar Maunz/Dürig/Herzog heißt es dazu:
Die Aufnahme von Rechtssätzen über die politischen Parteien in das Grundgesetz ist für das deutsche Verfassungsrecht neu; sowohl der Verfassungsgesetzgeber wie auch der ausführende einfache Gesetzgeber betreten mit dieser Regelung Neuland.
Ich zitiere weiter:
Welche Tragweite im allgemeinen und im einzelnen die Behandlung dieses Fragenkreises im Grundgesetz hat, ist umstritten.
In der Tat liest sich der Art. 21 des Grundgesetzes leichter, als er zu interpretieren ist. Unbestritten ist, daß Art. 21 unmittelbar geltendes Recht setzt, darüber hinaus aber den Gesetzgeber beauftragt, die weitere Durchführung dieser Rechtssätze zu gestalten.
Mein Kollege Wolfgang Bötsch hat in der Debatte des Deutschen Bundestages über die Parteienfinanzierung und Unabhängigkeit des politischen Mandats am 18. November 1984 hier erklärt — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —:
Die Existenz politischer Parteien ist unverzichtbare Voraussetzung für den Bestand und die Funktionsfähigkeit der großen demokratischen Staaten mit freiheitlicher Grundordnung. Die Parteien sind gewissermaßen der Eckstein der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie.
Und weiter:
Ohne politische Parteien gäbe es diesen Staat Bundesrepublik Deutschland nicht und gäbe es dieses Parlament nicht.
Warum zitiere ich das? Meine Damen und Herren, zu dem Erscheinungsbild der Weimarer Zeit und den damaligen politischen Verhältnissen gehörten demagogische Schlagworte und Beschimpfungen, die geeignet waren und auch sein sollten, politische Parteien und deren Mitglieder zu diffamieren, um sie letztlich unmöglich zu machen. Es entwickelte sich die Meinung, daß Politik den Charakter verdirbt und Parteien schlecht oder bestenfalls ein notwendiges Übel sind. Schließlich wollte man in der Allgemeinheit nicht mehr verstehen, daß eine Demokratie ohne politische Parteien unmöglich zu handhaben ist. Die schlimmen Folgen — wenn ich an das Ende der Weimarer Republik und an die Zeit danach erinnern darf — sind uns bekannt.



Spilker
Der Parlamentarische Rat, der Ende der 40er Jahre das Grundgesetz erarbeitete, ging von diesen Erfahrungen und sehr bitteren Erkenntnissen aus. Unsere Verfassungsväter institutionalisierten die politischen Parteien,

(Frau Unruh [GRÜNE]: Das waren die Väter! Wo bleiben die Mütter?)

die keineswegs staatliche Gewalt ausüben, sondern — wie gesagt — bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken sollten.
Ich erwähnte, daß sich die Interpretation des Art. 21 des Grundgesetzes als schwierig erwies. Vielleicht war das auch ein Grund für dieses Parlament, mit der Gesetzgebung für politische Parteien bis 1967 zu warten. Wegen der Parteienfinanzierung war allerdings bereits 1958 das Bundesverfassungsgericht tätig gewesen. Es hat die damals praktizierte steuerliche Abzugsfähigkeit von Spenden an politische Parteien ganz erheblich eingeengt. Ich möchte nun nicht alle Novellierungen des Parteiengesetzes aufzählen oder die verschiedenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus den Jahren 1966, 1968, 1979 und 1986 zitieren, aber wenigstens darauf hinweisen, daß die vorhin geschilderten Meinungsverschiedenheiten über Art. 21 des Grundgesetzes in der fachwissenschaftlichen Literatur nicht ohne Folgen blieben. In den genannten Jahren entwickelten sich auch Meinungsverschiedenheiten zwischen Legislative und Judikative über die rechtliche Auslegung und Gestaltung des Art. 21, aber auch anderer Bestimmungen des Grundgesetzes, die zum Teil noch nicht überwunden sind, aber mit dieser Gesetzesvorlage abgebaut werden sollen.
Im Jahre 1983 wurde das Parteiengesetz erneut geändert. Erstmals wurde der Chancenausgleich in das Parteiengesetz aufgenommen, und gleichzeitig wurde die bereits 1967 eingeführte Wahlkampfkostenerstattung auf 5 DM angehoben. Hierfür war nicht nur die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dem vom Land Niedersachsen angestrengten Normenkontrollverfahren maßgebend — ich erinnere an das Jahr 1979 — , sondern auch der Bericht der vom Herrn Bundespräsidenten im Jahre 1982 berufenen Sachverständigenkommission vom 18. April 1983. Die Parteien, denen es trotz vielfacher Versuche nicht gelungen war, in eigener Sache in der Frage der Parteienfinanzierung im Laufe der 70er Jahre Einigung zu erzielen, hatten den Bundespräsidenten ausdrücklich gebeten, eine unabhängige Sachverständigenkommission zu berufen. Sie suchten einfach den sachverständigen Rat von Wissenschaft und Praxis.
Daß sich der Gesetzgeber heute erneut mit der Parteienfinanzierung befassen muß, liegt daran, daß das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 14. Juli 1986 einzelne Bestimmungen des § 10 b des Einkommensteuer- und des § 9 des Körperschaftsteuergesetzes für verfassungswidrig erklärt hat. Gleichzeitig begrenzte das höchste Gericht die Abzugsfähigkeit von Spenden für politische Parteien auf 100 000 DM jährlich für jeden Steuerpflichtigen und überließ die Gestaltung dem Gesetzgeber. Wir haben diese uns eingeräumte Möglichkeit in dem von uns vorgelegten Entwurf nicht ausgeschöpft, sondern die steuerliche Abzugsfähigkeit auf 60 000 DM begrenzt. Bei der Veröffentlichungspflicht haben wir eine Erhöhung von 20 000 DM auf 40 000 DM vorgeschlagen, wobei ich ausdrücklich darauf hinweisen möchte, daß die Veröffentlichungspflicht ab 20 000 DM vor knapp 20 Jahren, nämlich am 22. Juli 1969, festgelegt wurde.
Es gibt auch noch einen anderen Grund dafür, daß Gesetz zu novellieren. Dies hängt zwar auch mit dem Verfassungsrecht, mehr noch mit der Verfassungswirklichkeit, zusammen, nicht aber mit dem Bundesverfassungsgericht. Es hatte sich herausgestellt, daß sich der 1984 eingeführte Chancenausgleich in der Praxis eindeutig gegen die mitgliederstärksten Parteien richtet und auswirkt, was mit Sicherheit nicht beabsichtigt war. Die Parteien, die sich bemühen, ihre Mitgliederzahl ständig zu erhöhen und damit ihre Eigenmittel zu verstärken, können doch nicht damit „belohnt" werden, daß sie die größten „Chancen" haben, aus dem Chancenausgleich herauszufallen, mit anderen Worten Maßstabspartei zu werden und keinen Ausgleich zu bekommen. Das Risiko liegt hier nämlich nur bei ihnen und die Chancen nur bei den anderen. Das kann man wahrlich nicht Chancenausgleich nennen.
Der Bundestagspräsident hat Anfang dieses Jahres die Schatzmeister der im Bundestag vertretenen Parteien zu sich gebeten, um Fragen der Parteienfinanzierung und die Auswirkungen des 1984 eingeführten Chancenausgleichs zu besprechen. Nach einem langen Meinungsaustausch hat er die Vertreter der Parteien eindringlich gebeten, um eine angemessene Neuregelung des Chancenausgleichs bemüht zu sein, die die Chancengleichheit der sonst rivalisierenden Parteien in der Praxis sicherstellt. Der Bundestagspräsident hat in seinem Bericht über die Entwicklung der Finanzen der Parteien vom 14. März 1988 eine Benachteiligung der mitgliederstarken Parteien mit einem relativ hohen Beitragsaufkommen gegenüber Parteien mit relativ hohem Spendenaufkommen, aber geringeren Beitragszuflüssen durch den bisher praktizierten Chancenausgleich festgestellt. Der Präsident hat in der Zwischenzeit diese Überzeugung mehrfach geäußert. Er hat später, nachdem er von der Einigung im vorparlamentarischen Raum zwischen den Parteien, erfahren hatte, die gefundene Regelung ausdrücklich begrüßt. In dem nun vorgelegten Gesetzentwurf schlagen die genannten Fraktionen für die Berechnung des Chancenausgleichs, den sie 1983 gemeinsam beschlossen hatten, eine Lösung vor, durch die die mitgliederstarken Parteien mit hohem Beitragsaufkommen nicht mehr einseitig belastet werden.
Ich möchte nicht unerwähnt lassen, daß die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP bei der Änderung des Parteiengesetzes noch einige andere Vorschläge machen, die zum Teil sehr heftig kritisiert worden sind. Es handelt sich u. a. um die Einführung eines Grund- oder Sockelbetrages bei der Wahlkampfkostenerstattung. Hierzu folgendes: Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren früheren Entscheidungen festgelegt, daß der öffentliche Anteil an der Finanzierung der politischen Parteien 50 % ihrer Einnahmen nicht überschreiten darf. In der letzten Entscheidung des höchsten Gerichts zur Parteienfinan-



Spilker
zierung vom 14. Juli 1986 ist dieser Grundsatz noch einmal bestätigt worden. Für die in meiner Fraktion vertretenen Parteien möchte ich betonen, daß wir weit unterhalb dieser Grenze liegen. Der Anteil der privaten Mittel bei den Einnahmen von CDU und CSU liegt bei etwa 65 %.
Warum wird dieser Grundbetrag nun vorgeschlagen und in den Entwurf eingefügt? Meine Damen und Herren, es ging darum, die sogenannten Vorhaltekosten, Fixkosten — oder wie man sie auch nennen mag
— aufzufangen, die die Parteien zwischen den Wahlen außerhalb ihres normalen Geschäftsbetriebs zu tragen haben. Das sind Wahlkampfkosten, meine Damen und Herren, die leider von der Wahlkampfkostenerstattung bisher nicht gedeckt wurden. Auf keinen Fall — so war es nicht gedacht und vorgeschlagen
— sollten Gelder dieser Art zur Deckung der Kosten für das laufende Geschäft, Organisation und Verwaltung, dienen. So gesehen scheint uns der Grundbetrag eine notwendige, aber auch angemessene Lösung zu sein.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Der Steuerzahler freut sich!)

— Frau Kollegin, jetzt will ich Ihnen einmal etwa sagen. Vielleicht sollten Sie sich das endlich merken. Ihre Partei war bei den Besprechungen beim Herrn Bundestagspräsidenten logischerweise vertreten. Sie wissen natürlich, daß Sie — wie früher — an den Geldeinnahmen partizipieren. Davon machen Sie ja in höchstem Maße Gebrauch.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: So ist es!)

Wenn es aber so ist, verabschieden Sie sich, damit Sie ja nicht irgendwann einmal in die Verantwortung genommen werden können.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das ist so wie mit dem grünen Fahrrad und den Dienstwagen!)

Ich möchte darauf hinweisen, daß es bei den Parteien — ich bin natürlich nur legitimiert, für die CSU und CDU zu sprechen — sparsame Verwaltungen
— ich lege schon Wert darauf, das zu sagen — und Geschäftsführungen gibt. Wegen der angespannten Finanzlage der Parteien mußte in den letzten Jahren sogar Personal abgebaut werden.
Meine Damen und Herren, ich möchte mit allem Nachdruck betonen, daß dies auch seine Grenzen hat, wenn man an den Verfassungsauftrag denkt, den die demokratischen Parteien sehr ernst nehmen und auch zu nehmen haben. Diesen muß man dann auch aus guten Gründen die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen, soweit sie diese nicht selbst aufbringen können. Oder sollen etwa die vielen, vielen tausend ungezählten Mitglieder der Parteien, die ehrenamtlich tätig sind, außer ihrer Arbeit, ihrem Engagement, ihrem Einsatz und ihren Mitgliedsbeiträgen in Zukunft auch noch bares Geld mitbringen? Das scheint doch wohl niemand zu erwarten. Ich habe manchmal das Gefühl, meine Damen und Herren, daß Kritiker dies sehr leicht übersehen.
Ich glaube aufgezeigt zu haben, daß sich die bundesgesetzliche Gestaltung einer Regelung nach Art. 21 des Grundgesetzes als schwierig erwiesen hat;
die Gründe dafür habe ich genannt. Wenn man heute feststellt, daß die Parteien über mehrere, über vier Jahrzehnte ihren Verfassungsauftrag erfüllt haben, dann sollte man dem Parlament auch das Vertrauen bei der weiteren Gestaltung des Parteiengesetzes entgegenbringen.
Im Namen meiner Fraktion beantragte ich Ausschußüberweisung des Entwurfs, damit er intensiv beraten werden kann. Weiter schlagen wir vor, die Sachverständigenkommission, deren Bericht ich erwähnte und der ich hier in meiner Rede am 1. Dezember 1983 unter Beifall des Hauses gedankt habe, zur Anhörung einzuladen. Wir wünschen den sachverständigen Rat von Wissenschaft und Praxis, bevor wir entscheiden.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Das ist sehr gut!)

Meine Damen und Herren, zum Schluß noch ein kurzer Hinweis, um darzustellen — oder jedenfalls den Versuch dazu zu machen — , worum es eigentlich geht. Es geht um einen, wenn auch wichtigen Beitrag zum Funktionieren unserer parlamentarischen Demokratie — ich komme darauf zurück, was Wolfgang Bötsch hier 1984 erwähnt hat —, einer parlamentarischen Demokratie, die sich in der Verfassungswirklichkeit durch ihre politische Stabilität ausgezeichnet hat. Das kommt nicht von ungefähr, meine Damen und Herren. Die Parteien und Initiatoren des vorgelegten Entwurfs haben daran ihren unbestreitbaren Anteil.
Ich danke Ihnen sehr.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110012700
Das Wort hat der Abgeordnete Bernrath.

Hans Gottfried Bernrath (SPD):
Rede ID: ID1110012800
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich will jetzt in der ersten Lesung und auch zu Beginn dieser Diskussion ganz nüchtern einmal auf das Zahlenwerk und auf die Entwicklung bis heute eingehen und die Notwendigkeiten vor dem Hintergrund dieses Zahlenwerkes ein wenig begründen.
Ich darf vielleicht zwei, drei Sätze auf einen allgemeinen Hinweis verwenden, den wir in diesem Zusammenhang bedenken sollten. Der besondere öffentliche Status unserer Parteien birgt ganz natürlich gleichermaßen Chancen und Gefahren. Allerdings erleichtert dieser öffentliche Status auch die Übernahme demokratischer Verantwortung und Kontrolle, und er erweitert die Beteiligungsmöglichkeiten des Bürgers, stärkt damit auch die Rationalität der politischen Auseinandersetzung. Auf der anderen Seite — das muß man natürlich gleichermaßen sehen — kann die Staatsnähe der Parteien auch leicht zu einer Verselbständigung beispielsweise von Führungseliten, zur Erstarrung des politischen Systems, auch zu einer Entfremdung von der gesellschaftlichen Basis und damit auch zu nicht mehr durchsichtigen Einflußnahmen führen, Einflußnahmen beispielsweise durch Interessengruppen.
Um insbesondere diesen unerwünschten Tendenzen wenigstens auf finanziellem Gebiet entgegenzuwirken, haben wir die Parteienfinanzierung entwik-



Bernrath
kelt und vor allen Dingen darin den Grundsatz aufgenommen, daß öffentlich Rechenschaft über die Verwendung so erlangter Mittel abgelegt werden muß.
Aus zwei wesentlichen Gründen muß sich der Gesetzgeber nun nochmals mit der Parteienfinanzierung befassen, einmal wegen der schon zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Steuerabzugsfähigkeit von Spenden und zweitens wegen der Anregung des Bundestagspräsidenten, den Chancenausgleich nach den ersten praktischen Erfahrungen zu ändern. Wir möchten damit auch einige weitere Änderungen, die sich aus der Praxis ergeben, verbinden.
Zu letzterem gehören insbesondere die Einführung eines einheitlichen Grundbetrags bei der Wahlkampfkostenerstattung, die Bemessung der Höhe der Wahlkampfkostenerstattung, am Ergebnis der jeweils vorausgegangenen Wahl und die Koppelung steuerlicher und sonstiger Vergünstigungen für politische Parteien an der Erfüllung der Offenlegungspflicht, die ich soeben schon angedeutet habe.
Bei der Steuerabzugsfähigkeit von Parteispenden und Parteibeiträgen hat das Bundesverfassungsgericht die Bemessung der Abzugsfähigkeit nach bestimmten Vonhundertsätzen des Einkommens verworfen. Es muß ein für alle Steuerpflichtigen gleichermaßen festgelegter Höchstbetrag zugrunde gelegt werden, der allerdings 100 000 DM nicht überschreiten darf. Hier sieht der Gesetzentwurf nunmehr den einheitlichen Höchstbetrag von 60 000 DM vor und setzt sich damit in den Rahmen, den das Verfassungsgericht uns vorgegeben hat, ohne ihn allerdings auszuschöpfen.
Weiter ist die seit 1968 unverändert bei 20 000 DM liegende Veröffentlichungsgrenze für Großspender — das, was wir die Vertrauensgrenze nennen — auf 40 000 DM angehoben worden. Die Begründungen sind offenkundig. Darauf wird heute nachmittag hier noch eingegangen werden.
Das Gewicht der einzelnen Spende ist gerade auch im Zusammenhang mit der Gesamtspendensumme und den Gesamteinnahmen, die eine Partei hat, zu sehen. Die damals vom Bundespräsidenten berufene Sachverständigenkommission hat für den Vierjahreszeitraum 1968 bis 1971 die Spendeneinnahmen der Bundestagsparteien auf eine Höhe von rund 100 Millionen DM festgestellt. Das wären im Jahresdurchschnitt 25 Millionen DM gewesen. Die zuletzt veröffentlichten vier Jahre bis 1986 weisen Spendeneinnahmen ohne die Partei der GRÜNEN im Jahresdurchschnitt von 73 Millionen DM aus. Das ist eine Verdreifachung. Die Gesamteinnahmen der Parteien lag 1968 bis 1971 bei 119 Millionen DM und 1983 bis 1986 bei knapp 500 Millionen DM. Sie haben sich also in diesem Zeitraum mehr als vervierfacht. Wir meinen daher, daß eine Anhebung der Vertrauensgrenze innerhalb dieser Verhältnismäßigkeit auf 40 000 DM vertretbar ist. Ich sage noch einmal, dieser Betrag hält sich deutlich unterhalb verfassungsrechtlich anfechtbarer Grenzwerte.
Eine Änderung des erstmals 1984 eingeführten Chancenausgleichs hat sich ebenfalls als dringlich erwiesen. Dieses sehr komplizierte Instrument ist von
der vom Bundespräsidenten berufenen Sachverständigenkommission entwickelt worden, die damals nach der Erfahrung von etwa fünf Jahren aber auch empfohlen hat, seine Auswirkungen zu überprüfen und, wenn notwendig, Korrekturen vorzunehmen.
Hier zeigte sich ja schon 1984 bei der ersten Errechnung des Chancenausgleichs die große Überraschung. Die SPD, die die relativ geringsten Spendeneinnahmen hatte, erhielt nicht etwa Ausgleichszahlungen, sondern ging völlig leer aus, wurde also Maßstabspartei, während Parteien mit den relativ höchsten Spendeneinnahmen zusätzlich noch Ausgleichszahlungen erhielten. Diese Überraschung wiederholte sich für 1985. Damals ging die CDU leer aus, und die SPD erhielt einen außerordentlich geringen Ausgleichsbetrag, den geringsten überhaupt.
Eine sorgfältige Überprüfung der Ursachen dieser geradezu widersinnig erscheinenden Ergebnisse des Chancenausgleichs hat folgendes ergeben — und das müssen wir berücksichtigen — : Aus steuersystematischen Gründen müssen neben den Spenden auch die Mitgliedsbeiträge einbezogen werden, wenn man zu einer vernünftigen Berechnung und zu einem tatsächlichen Ausgleich kommen will. Dann wurde in diesem Entwurf auch der Gesamtbetrag der Spenden und Beiträge ins Verhältnis zu den erzielten Zweitstimmen gesetzt und damit ein Maßstab konkretisiert, der ebenfalls Probleme gemacht hat. Wenn der Bezug Spenden zu Wählerstimmen auch sachgerecht erscheinen mag, so kann dies für die Beiträge wohl keinesfalls gelten. Die haben keinen Bezug zu Wählern, sehr wohl aber einen Bezug zu der Mitgliedschaft in einer Partei. Der Fehler liegt also offenkundig darin, daß zwar die Beiträge einbezogen werden, nicht aber die Mitgliederstärke der Parteien. Darauf hat auch der Bundestagspräsident in seinem Bericht über die Entwicklung der Finanzen der Parteien Anfang dieses Jahres hingewiesen.
Ich muß deutlich sagen: Diese Überlegungen sind natürlich auch 1983 angestellt worden. Aber eine Regelung, wie sie jetzt im Entwurf steht, war damals nicht durchsetzbar. Es gab keinen Konsens in dieser Hinsicht. Uns ging es damals in erster Linie auch darum, mit diesem neuen Instrument auf jeden Fall dazu beizutragen, daß Umgehungen der gesetzlichen Regelungen nicht möglich und praktiziert wurden. Und Sie erinnern sich daran, daß wir damals auf keinen Fall für eine Amnestie für frühere Verstöße eingetreten sind. Das hat den Konsens auf eine sachgerechtere Lösung hin damals ganz natürlich erschwert.
Der Gesetzentwurf sieht nunmehr vor, daß die Berechnungen ab der nächsten Ermittlung des Chancenausgleichs getrennt vorgenommen werden: Spenden in Bezug zu Wählerstimmen und Beiträge in Bezug zu Mitgliedern. Und wir bilden dann noch ein arithmetisches Mittel, um dabei auch statistisch nicht uferlos zu werden, sondern das insgesamt begrenzen zu können und verantwortbar zu machen.
Neu eingeführt werden soll außerdem eine absolute Obergrenze. Nach bisherigem Recht konnten Auszahlungsbeträge nahezu unbegrenzte Höhen erreichen. Das war auch für den Bundeshaushalt nicht kalkulierbar. Eine Obergrenze wird das Haushaltsrisiko



Bernrath
ausschalten, andererseits aber auch verhindern, daß im Einzelfall unangemessene Beträge zur Auszahlung an die Parteien kommen.
Bei der Wahlkampfkostenerstattung sieht der Gesetzentwurf einen zusätzlichen Grundbetrag vor, der
— einheitlich je Partei — 20 v. H. ihrer Wahlkampfkostenerstattung ausmacht, aber 1,5 % des Gesamtbetrags der Bundestagswahlkampfkostenerstattung nicht übersteigen darf. Dies hat zur Folge, daß Parteien mit mehr als 7,5 % Wählerstimmen auch in Zukunft einen etwa gleich hohen Betrag erhalten, der aber niedriger als 20 % ihrer Wahlkampfkostenerstattung sein wird. Bei der SPD und der CDU werden das etwa 4 To sein.
Die Höhe der bisherigen Erstattung der notwendigen Kosten eines — natürlich angemessenen, nicht uferlosen, unverantwortlichen — Wahlkampfes richtet sich ausschließlich nach dem Wahlerfolg. Tatsächlich ist aber ein nicht unbeträchtlicher Kostenfaktor für alle Parteien, insbesondere für die beständigeren Parteien, nahezu gleich hoch und erfolgsunabhängig.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Und was ist eine beständige Partei?)

— Beständig ist: immer dabeisein, unter Mitverantwortung gleichermaßen mitmachen und nicht nur Rosinen picken. —

(Dr. Vogel [SPD] [auf die CDU/CSU weisend]: Da sind die am beständigsten!)

Die notwendige kontinuierliche Ansprache aller Wahlberechtigten und die dafür notwendige Organisation — all das ist, was die Kosten angeht, offenkundig. Und ich bin der Auffassung, daß wir mit dem neuen Maßstab dazu beitragen, daß die Wahlkampfkosten gesenkt, also die Wahlkampfausgaben verantwortbarer gemacht werden und sich dieses oft unsinnige Plakatieren oder auf andere Weise MiteinanderKonkurrieren auf den eigentlichen Zweck wieder zurückführen läßt.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Sehr gut hört sich das an!)

Darum schaffen wir den Grundbetrag, der dabei sicherlich eine große Hilfe sein wird.
Im übrigen wird als weitere Änderung noch vorgeschlagen, die Höhe der Wahlkampfkostenerstattung nicht mehr an dem neu erzielten Wahlergebnis, sondern am Ergebnis der vorausgegangenen Wahlen zu bemessen. Das sieht auf den ersten Blick sehr technokratisch aus, aber es wird — ich habe es angedeutet — ein wirksamer Beitrag zur Begrenzung der Wahlkampfausgaben sein. Die bisherige fast gesetzmäßige ständige Ausweitung dieser Ausgaben hatte ihre Ursache eben auch darin, daß die Höhe der staatlichen Erstattung erst nach der Wahl feststand.
Mit der vorgeschlagenen Gesetzesänderung wird also hinsichtlich der Spekulationen auf die Wahlkampfkostenhöhe und des Treibens dieser Kosten ein Ende gemacht. Wir werden uns also künftig nach dem vorausgegangenen Wahlergebnis richten.
Letzter Punkt. Wenn Parteien ihrer gesetzlichen Pflicht zur öffentlichen Rechenschaftslegung nicht
nachkommen, verlieren sie zwar den Anspruch auf Erstattung von Wahlkampfkosten, sofern sie einen solchen Anspruch haben, alle übrigen Vergünstigungen bleiben ihnen aber erhalten. Dazu gehören das Recht, steuerwirksame Spendenbestätigungen zu erteilen, die Befreiung von der Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen-, Erbschaft- und Schenkungsteuer sowie das Recht auf gleiche Nutzung öffentlicher Einrichtungen und Leistungen. Damit sollen insbesondere auch kleinere Parteien, Minderheiten also, begünstigt werden, oder die Neugründung von Parteien soll erleichtert werden.
Der Innenausschuß wird den Entwurf sorgfältig beraten, er wird eine Anhörung haben. Wir werden auch die frühere Sachverständigenkommission, die sogenannte Fürst-Kommission, des Bundespräsidenten einladen.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Alles im eiligsten Eiltempo!)

— Wir haben doch heute morgen die Fristen wesentlich weiter gesteckt,

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Eine Woche haben wir rausgehandelt!)

und ich bin überzeugt, daß Sie sich innerhalb dieser Fristen Ihre Meinung noch einmal überlegen und sie an Ihrem Wunsch messen können, bei der alten Finanzierung zu bleiben.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Ich denke, es soll schnell gehen!)

Sie haben schon gute Gründe dafür, weil Sie diese „Pfründe", die Sie jetzt haben, für sich haben möchten, ohne die Leistung dafür zu bringen, die die beständigeren Parteien bringen.

(Zustimmung des Abg. Conradi [SPD])

Schließlich — das sage ich abschließend — sind die Abgeordneten auch alle Mitglieder dieser Parteien, deren Kosten zu einem nicht unerheblichen Teil aus diesen Regelungen finanziert werden. Darum muß
— der Bürger dreht jede Mark dreimal um, bevor er sie ausgibt — der Abgeordnete wissen, daß er mit diesen Regelungen sauer verdientes Geld der Steuerzahler für seine Partei einsetzt. Die Begründungen müssen darum stimmen. Die Verwendungen — ich sage das noch einmal — müssen offengelegt werden, und nur dann können wir alle damit rechnen, daß unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger berechtigte Interessen der Parteien in dieser Hinsicht auch zu ihren eigenen Interessen machen.
Auch wir bitten um Überweisung an den Innenausschuß, und wir werden dann im Ergebnis sehen, wie wir dann auch nach der Beratung durch die Sachverständigen das Gesetz endlich fügen können.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110012900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1110013000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte lieber nach der



Dr. Hirsch
Frau Vollmer gesprochen, weil ich aus dem Antrag der GRÜNEN erkennen kann, daß sie einen größeren Teil ihrer Rede dem widmen möchte, was sie unter politischer Kultur versteht. Sie haben aber in dem Antrag kein Wort darauf verwendet, daß zur politischen Kultur auch gehört, daß man das Notwendige tut, um diese parteienstaatliche Demokratie verwirklichen zu können, daß die Parteien eine Aufgabe haben, die sie im Interesse unseres Demokratieverständnisses erfüllen müssen.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Sie verwenden in Ihrem Antrag auch kein Wort darauf, daß bisher die GRÜNEN bezogen auf ihre Gesamtfinanzierung der größten Anteil an staatlichen Mitteln in Anspruch nehmen. Auch das muß man mal offen sagen.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Das wissen wir!)

Dieser Gesetzentwurf ist nicht nur deswegen heikel, weil bekanntlich beim Geld die Gemütlichkeit aufhört, sondern aus zwei Gründen: einmal weil ein erheblicher Teil der Öffentlichkeit traditionell ein distanziertes Verhältnis zur Arbeit der Parteien überhaupt hat und leider nicht daran denkt, sich in Parteien zu engagieren und aktiv am politischen Leben teilzunehmen, trotzdem aber ein funktionierendes demokratisches System verlangt.
Das zweite Problem liegt darin, daß die Parteien in der Erscheinungsform der Fraktionen bei einer Gesetzgebung dieser Art immer in den Verdacht geraten, sich ausschließlich an ihren eigenen Interessen zu orientieren, und daß dementsprechend das Bundesverfassungsgericht berechtigterweise der Entscheidungsfreiheit des Bundesgesetzgebers enge Grenzen gesetzt hat, die peinlich zu beachten sind; Ministerpräsident Albrecht würde sagen: skrupulös zu beachten sind.
Die Distanz der Öffentlichkeit zu politischen Parteien muß uns intensiv beschäftigen und tut das auch. Wir tragen im Bundestag in der Art unserer Auseinandersetzungen dazu bei. Wir sind nicht so skeptisch wie die GRÜNEN, daß sich der Bürger immer weniger in Parteien engagiere und daß die Parteimitglieder einen immer geringeren Einfluß hätten, wie es in diesem Antrag heißt.
Wir sehen in den Parteien viel bürgerschaftliches Engagement. Es wächst das Verständnis dafür, daß Parteien in einer modernen Demokratie unverzichtbar sind, wenn die breite Mehrheit der Bürger überhaupt eine Möglichkeit haben soll, an der politischen Willensbildung teilzunehmen. Ein Engagement ist da. Das sieht man an den hohen Wahlbeteiligungen ebenso wie an den hohen Anteilen, mit denen demokratische Parteien gewählt werden. Ich glaube, es gibt ganz wenige andere Länder im Stile der westlichen Demokratie, die in diesen Zahlen dem entsprechen, was sich etwa hier in der Bundesrepublik jedenfalls bei den Wahlen darstellt.
Es wächst auch ein gewisses Verständnis dafür, daß in einem Staat mit mehreren Parteien eine offene politische Auseinandersetzung unerläßlich ist und daß das Wort vom „Parteienhader" und der ,,Parteipolitik", das ja abträglich gemeint ist, die Tatsache verdeckt, daß politische Auseinandersetzungen geradezu das Kennzeichen einer Demokratie sind und daß es nicht darauf ankommt, nur in völliger Harmonie miteinander zu leben. Das Entscheidende ist vielmehr die Art, wie die Auseinandersetzung stattfindet.
Wenn Parteien ihre Aufgaben erfüllen sollen, dann brauchen sie Geld, und zwar von ihren Mitgliedern, von Spendern oder vom Staat. Wer den Parteien die erforderlichen Mittel verweigert, schafft der Exekutive, d. h. der jeweiligen Regierung, einen gewaltigen Vorsprung bei der Ausübung der Macht, also bei der Entwicklung und Propagierung von politischen Ideen und von politischen Zielsetzungen und bei der Mobilisierung der öffentlichen Meinung. Das sollte eigentlich zwischen allen Beteiligten unstreitig sein.
Wie man diese Ziele, also eine angemessene Parteienfinanzierung, erreichen kann, hat 1983 die beim Bundespräsidenten eingesetzte Sachverständigenkommission vorgeschlagen — ihre Überlegungen sind ja weitgehend Gesetz geworden — , nämlich erstens durch eine drastisch erhöhte Transparenz der Parteienfinanzierung verbunden mit Sanktionen, wo die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt werden, zweitens durch eine verstärkte Bürgerfinanzierung der Parteien auch durch Mitgliedsbeiträge und Spenden, die ebenso steuerlich wirksam sein müssen wie Spenden an andere als gemeinnützig anerkannte Vereinigungen, verbunden mit der notwendigen Publizität, und drittens durch einen Chancenausgleich — das ist eine beachtliche Erfindung dieser Kommission — , der den Vorteil ausgleichen soll, der den Parteien mit relativ hohem Beitrags- und Spendenaufkommen aus dem staatlichen Steuerverzicht gegenüber den anderen Parteien erwächst. Viertens gehört schließlich dazu die Begrenzung der staatlichen Parteienfinanzierung.
Ich kann hier für die FDP sagen, daß wir auch den Appell der Kommission zur Selbstbeschränkung beachtet haben. Wir haben unsere Wahlkampfkosten drastisch reduziert. Wir haben die Zahl unserer Mitarbeiter auf das notwendige Minimum beschränkt. Wir liegen bei den Einnahmen aus öffentlichen Mitteln weit unter der Hälfte der Gesamteinnahmen. Ich kann auch sagen: Wir sind auf die in diesem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf vorgeschlagenen Änderungen des Parteiengesetzes nicht angewiesen. Es kann unseretwegen alles so bleiben, wie es jetzt ist — alles.

(Lachen bei der SPD)

— Ja, es ist so. Es kann alles so bleiben, wie es ist.
Wir wollen uns allerdings auch den Änderungswünschen der anderen Parteien dann nicht entziehen, wenn das bisherige System der Parteienfinanzierung zu nicht vorhergesehenen Problemen geführt hat, wenn die Änderungen verfassungsrechtlich einwandfrei sind und wenn sichergestellt ist, daß diese Voraussetzungen durch eine breite Anhörung im Gesetzgebungsverfahren öffentlich dargestellt und belegt werden können. Geheimniskrämerei zahlt sich nicht aus.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Richtig!)




Dr. Hirsch
Damit komme ich zunächst zu dem sogenannten Chancenausgleich, bei dem die Parteienfinanzierungskommission selbst die Überprüfung nach einem bestimmten Zeitraum empfohlen hat und bei der sich nach dem Bericht des Bundestagspräsidenten eine merkwürdige Situation ergibt. Der Chancenausgleich — ich habe das schon gesagt — sollte zugunsten der anderen Parteien den Steuervorteil ausgleichen, der einer Partei mit hohem Spendenaufkommen im Verhältnis zu den anderen Parteien dadurch entsteht, daß bei den Spenden durch ihre Abzugsfähigkeit das Finanzamt mit durchschnittlich 40 % dabei ist. Tatsächlich aber scheint das System sich dahin auszuwirken, daß Parteien mit einem geringen Mitgliederbeitragsaufkommen und einem hohen Spendenaufkommen zusätzlich einen hohen Chancenausgleich erhalten. Das war nicht gewollt, und wir müssen prüfen, ob die nun vorgeschlagene Trennung von Mitgliedsbeiträgen und Spenden abgrenzbar und vor allem kontrollierbar ist.
Der Vorschlag der GRÜNEN, das Problem dadurch zu lösen, daß man die Abzugsfähigkeit der Spenden überhaupt beseitigt, ist schon deswegen unbefriedigend, weil nicht einzusehen ist, warum ich zum Beispiel einem gemeinnützigen Verein zum Schutz des Waldes in größerem Umfang abzugsfähige Spenden sollte leisten können als einer Partei, die für dasselbe Ziel eintritt.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Weil sie nicht gemeinnützig ist!)

Das würde nämlich dazu führen, Hilfsvereine zu bilden, auf sie die Arbeit der Parteien zu verlagern und damit in Wirklichkeit das Transparenzgebot zu durchbrechen, das für die so oft beschworene politische Kultur von größter Bedeutung ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das zweite größere Problem liegt in dem sogenannten Sockelbeitrag der Wahlkampfkostenerstattung. Unbestreitbar ist, daß bei jeder Wahl ein fester Kostenbestandteil unabhängig von der Größe einer Partei als Mindestaufwand entsteht. Auf diese Tatsache hat schon das Parteiengesetz in § 5 Rücksicht genommen, und das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom Dezember 1968 eine solche Regelung ausdrücklich bestätigt und für richtig gehalten. Die Übertragung dieses Gedankens auf die Wahlkampfkostenerstattung kann also im Grundsatz nicht falsch sein.
Wir müssen uns allerdings mit der öffentlichen Kritik auseinandersetzen, daß diese Regelung ein Einstieg in die staatliche Vollfinanzierung der Parteien sein könne. Darum möchte ich hier für die Freien Demokraten ausdrücklich feststellen, daß wir an diesem verfassungsgerichtlichen Satz weder rütteln noch rütteln lassen werden, daß der staatliche Anteil begrenzt bleiben muß und daß er selbstverständlich unter der Hälfte der Gesamteinnahmen bleiben muß.
Wir sehen in diesem Zusammenhang ein anderes Problem, nämlich daß die Untergrenze von 2,5 % der Wählerstimmen den Vorwurf der Ungleichbehandlung begründen könnte. Wir müssen darum prüfen, ob z. B. die Behandlung der kommunalen Wählervereinigungen in diesem Zusammenhang den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht.
Der Antrag der GRÜNEN bezieht sich noch auf den sogenannten Bürgerbonus, also auf den Vorschlag, der Wähler möge mit einer dritten Stimme bei der Wahl entscheiden, welche Partei Wahlkampfkostenerstattung erhalten sollte. Ich halte diesen Gedanken deswegen nicht für überzeugend, weil der Wähler doch mit seiner Wahlstimme entscheidet, wer für ihn arbeiten soll, und der dann dafür auch die notwendigen Mittel braucht, und weil der Wähler den Bürgerbonus mit den 40 % des Spendenbetrags vom Finanzamt bekommt, wo er allerdings die Ernsthaftigkeit seiner Entscheidung mit seinem eigenen Spendenanteil von 60 % belegen muß.
Es ist unser politisches Ziel, sicherzustellen, daß die Parteien ihre in einer modernen Demokratie notwendige und unverzichtbare Aufgabe in einer verfassungsrechtlich einwandfreien Weise erfüllen können. Wir wollen keine Grauzonen schaffen; wir wollen dafür sorgen, daß die Parteienfinanzierung transparent und nachvollziehbar bleibt. Wir wollen die Chancengleichheit wahren. Wir wollen, daß der staatliche Anteil an der Finanzierung der Parteien begrenzt bleibt, und wir wollen, daß sowohl bei uns bestehende wie in der Öffentlichkeit erhobene Fragen im Gesetzgebungsverfahren in einer öffentlichen Anhörung öffentlich beantwortet und geklärt werden. Dann wird die endgültige Entscheidung erfolgen.
In diesem Sinne stimmen wir der Überweisung sowohl des Gesetzentwurfs als auch des Antrags der GRÜNEN an den Ausschuß zu.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110013100
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Vollmer.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1110013200
Am Anfang dieser Debatte dachte ich mir: Es muß irgendwie mit dem Thema zusammenhängen, daß hier immer mit so einer Beschwichtigungsstimme, mit so einer richtigen Schatzmeisterstimme geredet wird, wo es doch um die politische Debatte geht.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Es hat nicht jeder so ein Tremolo wie Sie! — Heiterkeit)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein erster Satz heißt, daß es um den Ruf der Parteien schlecht steht. Das gilt für Ihren Ruf, und das gilt, zum Teil jedenfalls, auch für unseren Ruf. — Das ist mein erster Satz.
Auch um die Glaubwürdigkeit der Politiker steht es nicht zum besten. Nach neuesten Umfragen billigen 60 % der Bevölkerung den Politikern Glaubwürdigkeit eben nicht zu. Da kann es eigentlich kein Trost sein, Herr Hirsch, wenn trotzdem gewählt wird. Es ist eher eine Zuspitzung, daß zwar gewählt wird, aber daß man den Politikern nicht traut. Ausgerechnet in dieser Situation des Glaubwürdigkeitsverlustes aller Parteien diskutieren wir in schöner Regelmäßigkeit, alle Jahre wieder, über die Diätenerhöhung und die Parteienfinanzierung. Das scheint mir ein merkwürdiger Begriff von Ökologie zu sein, als ob sich der Ver-



Frau Dr. Vollmer
lust von Glaubwürdigkeit durch einen Zugewinn an Finanzen ausgleichen ließe.
Nun gibt es da ja noch das Bundesverfassungsgericht, das zunehmend in die Instanz eines neutralen Schiedsrichters zwischen den Parteienbegehrlichkeiten und dem Bevölkerungsunwillen hineintrudelt. Ich sage gleich vorweg: Diese Art von Interessenausgleich ist eigentlich nicht die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts. Aber der Schein trügt auch. Das Bundesverfassungsgericht spielt in diesem Fall eine ganz andere Rolle.
Es ist ja außerordentlich typisch; wenn man sich anguckt, wie es zu diesem Gesetzentwurf gekommen ist, stellt man fest: Er ging von den Schatzmeistern aus. Schatzmeister haben eine vorzügliche Sensibilität für die Finanzen ihrer Parteien. Das ist auch ihr Amt.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: So ist es!)

Eine Sensibilität dafür, welche Rolle die Parteienfinanzierung für die Grundlagen der politischen Willensbildung und damit für die Demokratie spielt, ist mit diesem Amt nicht unbedingt eng verbunden, ja man kann sogar sagen: die roten Zahlen der Schatzmeister sind der eigentliche Motor der Sache. Von ihnen wird definiert, was sie brauchen. Dann folgt der parlamentarische Beschluß, dem die Fraktionen willig oder gierig folgen. Und eine kleine, beachtliche Minderheit in der FDP — das ist meistens Herr Hirsch — stimmt dagegen. Diesmal stimmt er aber nicht dagegen, sondern protestiert nur. Und eine kleine beachtliche Minderheit im Parlament, die GRÜNEN, stimmen dann wirklich dagegen. Alle profitieren davon.

(Zuruf von der CDU/CSU: Alle!)

Dann geht die Sache nach Karlsruhe, und dort wird sie dann erneut behandelt und in den Spitzen der Begehrlichkeit beschnitten. Dann geht es wieder zurück nach Bonn, und es folgt die nächste Runde.
Wird nun eigentlich in Bonn entschieden oder wird in Karlsruhe entschieden? Nein, es geht gerade um dieses Verwirrspiel zwischen Karlsruhe und Bonn, indem in Bonn erst einmal zwei Schritte vorgelegt werden, in Karlsruhe dann die Spitze der Begehrlichkeit abgeschnitten wird, es einen Schritt zurückgeht, dieser eine Schritt aber immerhin mehr als das ist, was man vorher hatte.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Wie die Echternacher Springprozession! Die ist am Pfingstdienstag!)

Genau diese Richtung ist gemeint. Es ist die von den Parteien beschlossene Marschrichtung. Damit holen sich die Parteien in Karlsruhe die Legitimation, die sie in der demokratischen Öffentlichkeit für dieses Vorhaben eben gerade nicht bekommen.
Im folgenden will ich die einzelnen Schritte Ihres neuen Gesetzentwurfes kommentieren, jedenfalls das, was sie mit der wachsenden Kritik am Finanzgebahren der Parteien zu tun haben.
Erster Punkt: der Chancenausgleich. Nach der Neuregelung soll der Chancenausgleich für Spenden und Beiträge getrennt durchgeführt werden. Die Kommission beim Bundespräsidenten, die die Gesetzesnovelle von 1983 formuliert hatte, hat immer bestritten, daß zwischen Mitgliedsbeiträgen und Spenden zu differenzieren sei. Dieser Meinung hatte sich damals auch der Bundestag angeschlossen. Interessant ist nun, daß hier offensichtlich inzwischen ein Sinneswandel eingetreten ist. Warum können wir heute zwischen Mitgliedsbeiträgen und Spenden unterscheiden, was doch damals gerade nicht möglich war? Ist unser Erkenntnisvermögen etwa größer geworden? Nein. Die Kassen sind leerer, und dann muß auch einmal der gesunde Menschenverstand, der das nicht begreift, beiseitestehen.
Zweiter Punkt: der Sockelbeitrag. Der Name ist Programm. Mit diesem Vorschlag sollen die Finanzen der Parteien endgültig auf ein Ewigkeitspodest, auf einen Sockel, gehoben werden. Was ist so ein Sockelbetrag anderes als die im Sinne des Bundesverfassungsgerichts gerade verbotene direkte Form der Parteienfinanzierung? In der Begründung wird auf die Notwendigkeit der kontinuierlichen Ansprache der Wähler durch die Parteien hingewiesen, auch darauf, daß das notwendig eine Organisation brauche. Seltsam; das Bundesverfassungsgericht legitimiert — gegen unsere Einschätzung — unter dem Deckmantel des Begriffs Wahlkampfkostenerstattung teilweise Parteienfinanzierung. Und nun wird ein Gesetzentwurf vorgelegt, der unter dem Deckmantel Wahlkampfkostenerstattung die generelle regelmäßige Parteienfinanzierung betreibt. Das kann nicht verfassungsgerecht sein.
Ein Zweites kommt hinzu; das Quorum von 2,5 %.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110013300
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch?

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1110013400
Das mache ich, wenn die Zeit nicht angerechnet wird.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1110013500
Würden Sie dann bitte zu der Bemerkung des Verfassungsgerichts in der Entscheidung vom Dezember 1968 Stellung nehmen, wo das Verfassungsgericht ja darauf hingewiesen hat, daß die Einführung eines Sockelbetrages dem Grundgedanken des § 5 des Parteiengesetzes entspricht, woraus man schließen kann, daß das Gericht dies nicht als verfassungswidrig betrachtet?

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1110013600
Ich beziehe mich darauf, daß die Parteienfinanzierung nur teilweise über die Form der Wahlkampfkostenerstattung genehmigt ist,

(Zuruf von der CDU/CSU: Woran sich nichts ändert!)

und daß es ausdrücklich in diesem Spruch heißt, daß direkte Parteienfinanzierung verfassungswidrig ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist unstrittig!)

Es kommt noch ein Zweites hinzu, nämlich das Quorum von 2,5 %. Früher hat es im Spruch des Bundesverfassungsgerichtes geheißen, daß für den Nachweis der Ernsthaftigkeit der Wahlkampfbemühung eine 2,5 %-Grenze nicht vertretbar wäre. Im Sockelbetrag taucht diese nun wieder auf. Das ist, deutlich



Frau Dr. Vollmer
gesagt, eine Kartellabsprache für das bestehende Parteienkartell. Wenn es jemals einen GRÜNEN Schatzmeister geben sollte, der dieser Absprache zustimmt, würde ich mich schämen. Ich habe aber nichts davon gehört, daß dies stattgefunden hätte. Unter dem Demokratieaspekt, daß auch neue Parteien und Gruppierungen eine Chancengleichheit haben müssen, ist diese Kartellabsprache absolut nicht vertretbar.
Dritter Punkt: die neuen Regelungen für die Abschlagszahlung. Grundlage für die Abschlagszahlung soll nun nicht mehr das kommende Wahlergebnis sein, sondern das vorangegangene. Das mag ja nun eine rein technische Lösung sein, wenn sie nicht mit vielen bitteren notwendigen Erfahrungen gewürzt wäre. Schon manche Partei ist nämlich in eine durchaus sinnvolle Existenzkrise von Selbstkritik und Realitätsüberprüfung dadurch gekommen, daß sie sich allzusehr vergriffen hatte in der Einschätzung ihrer Wählergunst. Eine richtige Konsequenz daraus, das nächste Mal vielleicht etwas vorsichtiger mit den Papierschlachten zu sein und etwas sensibler auf die Meinung der Leute zu hören, wird damit unterlaufen. Das letzte Wahlergebnis ist eine sichere Bank und wird verteidigt.
Vierter Punkt: die Höhe der steuerlichen Abzugsfähigkeit von nunmehr 60 000 DM. Ich weiß, daß diese Regelung vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird, wenn wir es auch bedauern. Das Prinzip der Bürgergleichheit ist hiermit eklatant verletzt worden. Das kann nur leugnen, wer annimmt, daß politische Prozesse nichts mit Geld und mit Einfluß durch Geld zu tun hätten.
Fünfter Punkt: die Transparenz der Parteienfinanzierung durch die Ausweisung in den Rechenschaftsberichten. Hier wird ein sehr eigentümliches Phänomen politischer Kultur deutlich, nämlich das Bestreben von Spendern, möglichst nicht in Zusammenhang mit politischen Parteien genannt zu werden. Einerseits wollen Spender auf die Parteien Einfluß nehmen, und sei es lediglich in Form der sogenannten „Landschaftspflege", andererseits soll der Schein erweckt werden, Unternehmer seien unpolitisch und hätten mit den Parteien überhaupt nichts zu tun. Das ist eine merkwürdige Lust auf Vermummung.
Ich dagegen denke, es spricht alles für eine politische Kultur, in der Menschen ihre ideellen und materiellen Zusammenhänge zu Parteien offenbaren, ohne daß sie befürchten müssen, dies werde ihnen irgendwie angekreidet.
In diesem Sinne sanktioniert der Gesetzentwurf einen Zustand, in dem eine verlogene Distanz zwischen Politik und Bürger festgeschrieben wird.

(Zuruf von den GRÜNEN: Und der Wirtschaft!)

Sechster Punkt: das System der Maßstabspartei. Nach dem neuen Gesetz soll für Spenden und Mitgliedsbeiträge getrennt ein Chancenausgleich durchgeführt werden. Das soll den Parteien nützen, die wenig Spenden, aber viele Mitgliedsbeiträge haben, sprich zu deutsch, es soll der SPD nützen. Gerade diese Regelung dürfte aber die Schatzmeister dazu veranlassen, manipulativ mit Mitgliedsbeiträgen und Spenden umzugehen. Wenn aber die Festlegung der
Mitgliederzahl einer Partei finanzielle Rückwirkungen auf die anderen haben wird, dann haben die anderen ein finanzielles und auch ein rechtliches Interesse daran, zu erfahren, ob die Zahlen tatsächlich stimmen. Wie soll das aber überprüft werden? Von staatlicher Seite? Das geht nicht, weil es die Autonomie der Parteien einschränkt. Sollen sich die Parteien gegenseitig kontrollieren? Das wird nicht zugelassen werden; es gibt auch Datenschutzbedenken. Die Quadratur des Kreises in dieser Frage zu lösen, dürfte sicher niemandem gelingen. Ich bin gespannt, wie Sie das beantworten wollen.
Alles in allem: Wir haben den Eindruck, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen DIE GRÜNEN geradezu gezwungen werden, den Gang nach Karlsruhe anzutreten. Es scheint fast so, als ob die Initiatoren des Gesetzentwurfes z. B. mit dem Sockelbetrag ein offensichtlich verfassungswidriges Element eingebaut haben, um damit die Partei der GRÜNEN auf den Weg nach Karlsruhe zu bringen. Erst Karlsruhe würde dann dem Gesetzentwurf seine letzte Weihe verschaffen, die ihm unzweifelhaft fehlt, nämlich die demokratische Legitimation vor der Öffentlichkeit, die durch eine wirkliche Öffnung der Parteien für die Kritik der Bürgerinnen und Bürger viel eher und dauerhafter zu erreichen wäre.
Warum denn so umständlich? Lassen Sie uns deswegen über unsere Vorschläge sprechen, die damit zu tun haben, daß wir die Parteien wirklich dieser Kritik der Bürgerinnen und Bürger öffnen wollen:
Erstens. Wir wollen, daß die Spenden an politische Parteien steuerlich nur für natürliche Personen, also die real existierenden Menschen absetzbar sind, und zwar nur bis zu einer steuerpflichtigen Höhe von 1 800 DM. Das heißt, wir wollen eine Honorierung der Kleinspenden und nicht mehr. Wer sich zu einer Partei bekennt und sie fördern will, soll und mag das tun, aber er soll nicht darauf rechnen, daß er das dann wiederum vom Steuerzahler honoriert kriegt.
Der zweite Punkt unseres Vorschlags stellt den eigentlichen Pfiff dar, wobei ich hinzufügen muß, daß diese wunderbare Idee leider keine grüne Idee ist, sondern ein sehr origineller und interessanter Ansatz aus der Kommission des Bundespräsidenten. Ausgerechnet er ist nun nicht in diesen Vorschlag eingeschlossen. Es handelt sich um den Bürger/-innen-Bonus. Was ist damit gemeint?
Derzeit ist es so, daß die Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Wahlverhalten nicht nur ein Votum für die Partei abgeben, sondern mit ihrem Kreuz auf den Wahlzettel so etwas wie einen Scheck für die Partei ausstellen. Die meisten Bürger wissen das gar nicht, ahnen es nur allgemein und ungefähr. Wüßten sie es genauer, würde es den einen oder anderen schon tüchtig ärgern.
Nun kann es aber sein, daß ich sehr wohl eine Stimme für eine Partei abgebe, deren Wahlkampfprotzerei mich ärgert. Es kann auch sein, daß ich will, daß eine Partei mit einem Programm existiert, obwohl ich sie nicht wählen würde. Nichts ist also naheliegender, als die Stimmabgabe und die Wahlkampfkostenscheckausstellung voneinander zu trennen.



Frau Dr. Vollmer
Was wir vorschlagen — der pfiffigen Idee der Kommission folgend — , ist also die schlichte Einführung eines zusätzlichen Wahlvorgangs auf dem Wahlzettel. Der Bürger hat hier die Möglichkeit zu sagen, daß die Wahlkampfkostenerstattung einer bestimmten Partei zukommen soll, die entweder seine eigene oder eine andere sein kann. Er hat auch die Möglichkeit, diesen Scheck vorzuenthalten und damit Steuergelder zu sparen, was viele Bürger gerne wollen. Diese zusätzliche Entscheidung über den Scheck kann also die Form einer Ermutigung haben, sie kann die Form eines Gerechtigkeitsausgleichs haben, sie kann ein ehrlicher Chancenausgleich zwischen den Parteien sein, auch eine Abmahnung oder Kritik wegen falschen Wahlkampfgebarens oder eine Kritik an einem konkret existierenden Parteienapparat.

(Sehr gut! bei den GRÜNEN)

Damit nur könnten die Bürgerinnen und Bürger direkt in die Parteien hineinregieren, was sehr zu begrüßen wäre.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Dieser Vorschlag weist in die Richtung eines politischen Diskurses, den wir uns eigentlich wünschen und der außerordentlich spannend wäre; spannend übrigens, weil dieser Vorschlag für jede der bestehenden Parteien, auch und gerade für DIE GRÜNEN, ein großes Risiko bedeuten würde. Die Frage muß nämlich lauten: Wer kann es sich eigentlich leisten, Politik zu machen? Wer hat eigentlich den Haupteinfluß auf den politischen Willensbildungsprozeß? Wer hat eigentlich das Recht auf die Besetzung des politischen Raumes? Haben die Parteien darauf wirklich den Monopolanspruch? Müßte es nicht vielmehr Möglichkeiten geben, daß auch parteilose Bürgerinnen und Bürger und Wählerinitiativen dafür finanziert werden, daß sie sich für die Politik interessieren?
Damit, glaube ich, sind wir am eigentlichen Kern dieser Debatte, nämlich bei der Frage, ob es sich nicht lohnen würde, wenn sich viel mehr Menschen politisch engagieren, ob man sie dazu nicht auch ermutigen und dabei unterstützen muß. Das geht nicht ohne ein Stück Machtverzicht der Parteien. Aber gerade Parteien, die auf diese Macht verzichten würden, würden vielleicht eher gewählt werden. Sie würden vielleicht auch weniger manipulative Werbung brauchen, weil sie bewußtere politische Akteure in der Gesellschaft voraussetzen könnten. In dieser Richtung wird die Debatte nun ungeheuer spannend.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110013700
Das Wort hat der Abgeordnete Gerster (Mainz).

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1110013800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde, Frau Vollmer, es wäre schon fair, zur Entwicklungsgeschichte dieses Gesetzentwurfes nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern zuzugeben, daß in den Vorberatungen die GRÜNEN beteiligt waren, daß deswegen von einem Kartell bei der Vorbereitung überhaupt keine Rede sein kann. Nur sind die GRÜNEN wieder — wie sie es so oft machen — zu einem bestimmten Zeitpunkt abgesprungen, um — ich sage das deutlich — publizistische Punkte zu sammeln,
wohl wissend, daß nach dem alten Gesetz Ihre Partei besonders profitiert hat und nach dem neuen Gesetz ebenfalls besonders profitieren wird. Hier geht es nach dem Motto: Wasch mich, aber mach mich nicht naß; die anderen Parteien sorgen ja schon für unser Wohlergehen.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: So ist es!)

Daß dies die Wahrheit ist, belegt z. B. die Aufrechnung des Chancenausgleichs bisher. Wenn man die Zahlen sieht, versteht man, daß Sie keine Veränderung in die neue Richtung wollen. Auf Grund der Rechenschaftsberichte des Jahres 1986 wurden Anfang 1988 an die CSU 1,4 Millionen DM, an die SPD 1,9 Millionen DM, an die FDP 4,3 Millionen DM, an die GRÜNEN 5,9 Millionen DM und an die CDU 0 Millionen DM ausgezahlt.

(Dr. Penner [SPD]: 5,9 Millionen DM; wo sind die denn hin?)

Das zeigt, daß dieser Chancenausgleich eine Wirkung hat, die von seinen Vätern mit Sicherheit nicht gewollt war — es wurde hier bereits vom Kollegen Hirsch und von anderen ausgeführt. Denn es werden eindeutig Parteien begünstigt, die wenig Eigenanstrengungen unternehmen, um z. B. mehr Mitglieder zu bekommen, die wenig Anstrengungen unternehmen, um Spenden zu bekommen, also praktisch Parteien, die viel stärker auf den Staatszuschuß angewiesen sind als andere Parteien.

(Zuruf von den GRÜNEN)

— Ich verstehe, daß Sie von den GRÜNEN da nervös werden, aber das sind unbestechliche Daten.
Es ist ja kein Zufall, daß in der Vergangenheit die GRÜNEN als Partei den höchsten Anteil von Staatsfinanzierungen hatten, viel mehr als alle anderen Parteien. Daß Sie aus diesem sozialen Bett, aus dieser sozialen Hängematte nicht aussteigen wollen, das verstehe ich noch. Daß Sie dies aber hier mit dem Odium verbinden, hier sollen völlig neue zusätzliche Finanzierungen für die anderen Parteien kommen, und daß Sie sagen: Wir biederen, braven puritanischen GRÜNEN wollen nicht mehr Geld, ist einfach verlogen und scheinheilig; ich muß das sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Abg. Frau Dr. Vollmer [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110013900
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1110014000
Sie können gleich eine Zwischenfrage stellen. Ich will Ihnen gleich Gelegenheit geben, das noch zu untermauern.
Das wird um so deutlicher dadurch, daß gestern Ihre Fraktion im Innenausschuß und im Haushaltsausschuß den Antrag gestellt hat, im nächsten Haushaltsjahr zusätzlich — bisher nicht gewährt — 8,665 Millionen DM für eine Regenbogenstiftung zu bekommen,

(Dr. Penner [SPD]: Was ist das denn?)

eine Stiftung der GRÜNEN. Dazu sage ich hier ganz
deutlich: Natürlich wenn alle anderen Parteien Stiftungen haben, warum sollte dann nicht auch Ihre un-



Gerster (Mainz)

terstützt werden? Nur, das Problem ist, daß Sie genau wissen, daß das Modell Ihrer Stiftung eindeutig — eindeutig! — verfassungswidrig ist. Das Verfassungsgericht gibt vor, daß die Vergabe öffentlicher Mittel zur Förderung politischer Bildungsarbeit von Parteien an parteinahe Stiftungen rechtlich und tatsächlich unabhängige Institutionen voraussetzt, die sich selbständig, eigenverantwortlich und in geistiger Offenheit dieser Aufgabe annehmen. Daraus ergibt sich erstens die gesetzliche Voraussetzung, daß die parteinahe Stiftung selber politische Bildungsarbeit betreibt. Zweitens werden qualitative Anforderungen an die Bildungsinhalte gestellt, und diese Voraussetzungen müssen natürlich vom Rechnungshof überprüfbar sein.
Was wollen Sie? — Ihre Regenbogenstiftung macht selber überhaupt keine Bildungsarbeit. Vielmehr soll sie eine reine Geldverteilungsstelle für autonome, nicht weisungsgebundene andere Stiftungen — Heinrich-Böll-Stiftung, Frauen-AN-Stiftung, BUND-Stiftung — sein. Mit anderen Worten, Sie wollen — und das ist verfassungswidrig — nichts anderes als das, was Sie sonst immer kritisieren, nämlich eine Geldwaschanlage für Stiftungsarbeit, die sich der staatlichen Kontrolle entzieht.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Sie wollen damit parteiunmittelbar Wahlkampf für die GRÜNEN machen. Das ist Ihre Politik!

(Frau Unruh [GRÜNE]: Lenken Sie doch nicht von Ihren Stiftungen ab!)

Sie wollen mehr Geld, wobei Sie mit den 8,6 Millionen, die Sie zusätzlich haben wollen, über die Hälfte mehr beanspruchen, als z. B. der Sockelbetrag auf Grund der neuen gesetzlichen Regelung für alle politischen Parteien vorsieht. Also stellen Sie sich bitte nicht hier hin und weinen Sie nicht Krokodilstränen über einen Sockelbetrag, wenn Sie selbst als eine der kleinsten Parteien über die Hälfte des Volumens verbraten wollen, das für den ganzen Sockelbetrag vorgesehen ist.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110014100
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1110014200
Aber selbstverständlich.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1110014300
Bei Ihrem Redeschwall habe ich jetzt schon fünf Fragen, aber ich nehme nur einmal die letzte: Herr Gerster, ist Ihnen bei Ihrer Argumentation eben nicht selber ein Widerspruch aufgefallen? Einerseits haben Sie empört gesagt, daß wir ganz autonome Stiftungen, also offensichtlich parteiunabhängige Stiftungen, haben wollen, und andererseits haben Sie gesagt, daß dies nun aber massive Parteienfinanzierung wäre. Ist Ihnen dieser Widerspruch nicht aufgefallen?

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1110014400
Frau Vollmer, ich halte die Vorstellung, daß mit Steuermitteln in Autonomie, d. h. nicht kontrollierbar, gearbeitet wird, für abenteuerlich. Immer, wenn Sie Steuermittel ausgeben wollen, müssen diese der Kontrolle z. B. des Rechnungshofes voll unterworfen sein.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Das ist wohl etwas anderes! Die Autonomie von Parteien ist etwas anderes als die Rechenschaftslegung!)

Wer das nicht will, will etwas anderes machen als das, was das Verfassungsgericht als Auftrag für die Stiftungen formuliert hat und was unserer gesetzlichen Grundlage entspricht.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Mensch, plustern Sie sich doch nicht so auf!)

Meine Damen und Herren, man könnte dem, was Frau Vollmer hier vorgetragen hat, noch weiter widersprechen, etwa auch dort, wo sie den Eindruck erweckt, als würden die Parteien versuchen, sich mehr zu bewilligen, als das Verfassungsgericht zugesteht. In vielen Fragen ist genau das Gegenteil der Fall. Das Verfassungsgericht hat es für möglich gehalten, Spenden bis 100 000 DM zuzulassen. Wir sehen Spenden nur bis 60 000 DM vor. Das Bundesverfassungsgericht gesteht eine Finanzierung bis 50 % zu. Wir wollen natürlich bedeutend weniger als 50 %. So könnte man hier eine ganze Kette von Unwahrheiten dartun. Ich habe an die GRÜNEN wirklich folgende Bitte. Es ist ja legitim, daß Sie auch staatliche Unterstützung wollen, auch für eine Stiftung, und es ist auch legitim, daß Sie in die Parteienfinanzierung hineinkommen. Das bestreitet Ihnen kein Mensch. Aber bitte nicht hingehen und einstecken und dann den Finger gegenüber anderen erheben! Sie sind, was den Anteil der Staatsfinanzierung angeht,

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sie weint, aber sie nimmt!)

eindeutig Weltmeister, während bei allen anderen Parteien der Bürger — und zwar freiwillig — viel mehr finanziert.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Wir haben Neuregelungen verlangt!)

Sehen Sie, meine Damen und Herren, das gilt auch, was den Sockelbetrag anlangt. Hier wird so getan, als sei der Sockelbetrag praktisch die Realisierung der endgültigen totalen Staatsfinanzierung der Parteien. Der Sockelbetrag ist aber, weil Parteien ja nicht zu Beginn eines Wahlkampfes plötzlich bei Null beginnen und z. B. Mitarbeiterkarteien aufbauen können, als eine Überbrückungshilfe gedacht, um den Parteien die Durchführung von Wahlkämpfen zu ermöglichen. Dazu gehört es, zu sagen, wieviel der Sockelbetrag ausmacht: ganze 1,5 % der Wahlkampfkostenerstattung. Wer behauptet, hier würde die totale Staatsfinanzierung eingeführt, vergißt einfach die Relationen, macht billige Stimmung und Polemik und geht an den Fakten vorbei.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Sagen Sie einmal etwas zum Bürgerbonus!)

Meine Damen und Herren, ich will es kurz machen, denn die wesentlichen Argumente sind vorgetragen worden. Ich möchte nur mit folgendem aufräumen. Es wird in der Öffentlichkeit immer behauptet: Die Parteien schwimmen im Geld, sie haben Riesenapparate, sie haben riesige Organisationsformen usw. Natür-



Gerster (Mainz)

lich gibt es Übertreibungen in Wahlkämpfen. Natürlich könnten wir uns da manches an Flugblättern, an Broschüren und auch an Plakaten ersparen. Allerdings sind auch da die GRÜNEN führend. Schauen Sie sich einmal die Stadt Mainz an. Dort gibt es ein Wahlkampfabkommen der Parteien, das vorsieht, daß nur innerhalb von vier Wochen vor Wahlen Plakate aufgestellt werden. Und wer hat das ganze Jahr über Plakate in Mainz stehen? Doch die GRÜNEN! Alle anderen halten sich daran, und das ist doch in der ganzen Republik so.

(Frau Schmidt-Bott [GRÜNE]: Eine Unverschämtheit!)

Das heißt, ich plädiere auch dafür, sich in Wahlkämpfen zurückzuhalten; nur ist die Vorstellung, daß sich hinter den Parteien riesige Organisationen verbergen, doch einfach unwahr.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: So ist es!)

Die CDU, verantwortlich für 750 000 Mitglieder der Partei und ihrer Vereinigungen, für Kreisverbände in jedem Kreis, für Zehntausende von Ortsverbänden, für die politische Arbeit auf der Basis des Vertrauens von 16, 17, 18, ja, fast 20 Millionen Wählerstimmen, hat in der politischen Zentrale rund 200 Mitarbeiter. Politik und die Gestaltung von Politik geht ja alle an. Ich frage die Öffentlichkeit wirklich: Ist eine Organisation mit 750 000 Mitgliedern mit dem Auftrag, Politik umzusetzen, auf der Basis von über 17 Millionen, 18 Millionen Wählerstimmen mit 200 hauptamtlichen Mitarbeitern überbesetzt?

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Die Mitarbeiter auf Landesebene auch noch!)

— In unserer Landesgeschäftsstelle in RheinlandPfalz haben wir in der Landesgeschäftsstelle selbst 14 Leute. Dann haben wir 36 Kreisverbände, wobei wir in den Kreisverbänden ursprünglich einmal 36 Geschäftsführer hatten, deren Zahl wir inzwischen durch Zusammenlegung reduzieren mußten. Das ist die Personalausstattung, die bei der SPD sicherlich ähnlich ist.
Hier zu glauben, hier seien Riesenapparate, ist einfach nicht die Wahrheit. Tatsache ist, daß hier durch viel ehrenamtliches Engagement von Zehntausenden Mitgliedern und Mandatsträgern ein Minimum an Verwaltung möglich ist. Ich behaupte noch einmal, daß andere Verbände bedeutend mehr Personal haben, ob im kulturellen, sportlichen, gesellschaftspolitischen oder in welchem Bereich auch immer. Auch in sogenannten sozialpolitischen Organisationen verbirgt sich manchmal mehr hauptamtliches Personal,

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

als ehrenamtliches vorhanden ist. Ich glaube, hier sollten die Öffentlichkeit, die Bürger, die Presse einmal genau in die Parteien hineinleuchten und sehen, was wirklich Realität ist.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Dies gilt im übrigen auch für die Bewirtschaftung der Mittel. Ich beklage, daß die Finanzberichte, auch Vermögensberichte, die die Parteien seit drei Jahren vorlegen, die als Drucksachen hier in den Bundestag eingehen, die öffentlich zugänglich sind, in der Öffentlichkeit relativ stiefmütterlich behandelt werden, relativ wenig ausgewertet werden und daß, wenn derartige Fragen auf Grund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes und auf Grund einer Anregung des Bundestagspräsidenten zu regeln sind, durch Nichtveröffentlichung der Tatsachen Stimmung gemacht wird nach dem Motto „Hier greifen alle Fraktionen wieder in die Tasche". Man sollte sich diese Dinge einmal sehr genau ansehen. Man wird feststellen, daß die Parteien hier mehr Transparenz ausüben als alle anderen Organisationen, was im Grunde auch richtig ist. Es ist doch nicht so, daß irgendwelche wildgewordenen Schatzmeister sich etwas in die Tasche wirtschaften wollen, sondern es ist letzten Endes sehr viel Mühe und Not vorhanden, um die notwendigen politischen Arbeiten gestalten zu können.
Meine Damen, meine Herren, das heißt nicht, daß wir diesen Entwurf jetzt so einfach durch den Ausschuß rasen lassen. Es gab auch in unserer Arbeitsgruppe kritische Rückfragen.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Keine einzige Ausschußsitzung ist dafür vorgesehen!)

Auch da gibt es Kollegen, die Bedenken haben. Da stimmen wir überein. Wir werden erstens eine Anhörung machen mit hervorragenden Fachleuten. Wir werden zweitens dieses Gesetz, weil es um die Parteien geht, besonders gründlich beraten. Wir werden das Gesetz besonders kritisch überprüfen. Aber, meine Damen, meine Herren, wir werden dann zu Entscheidungen kommen. Dabei sage ich in aller Deutlichkeit: Es gehört einfach zur Wahrheit zu sagen, daß diese Parteien, so sie ihren Auftrag wahrnehmen wollen, nicht zuviel Geld haben, sondern — ich sage das in aller Offenheit — eher zuwenig Geld haben, um ihrem verfassungsrechtlichen Auftrag gerecht zu werden.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110014500
Das Wort hat der Abgeordnete Conradi.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1110014600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Diskussion über die staatliche Mitfinanzierung der Parteien geht es um das Ob und um das Wie. Gelegentlich wird das vermengt in der Presse. Mancher, der gegen das Wie argumentiert, ist in Wirklichkeit grundsätzlich gegen die Mitfinanzierung der Parteien aus öffentlichen Mitteln.
Ich selbst war vor 20 Jahren, als die staatliche Mitfinanzierung der Parteien eingeführt wurde, grundsätzlich dagegen. Ich habe in meiner Partei argumentiert, die Parteien müßten sich allein aus Mitgliederbeiträgen und aus Spenden finanzieren und sollten kein Geld vorn Staat nehmen. Ich habe meine Meinung geändert. Der Grund dafür liegt

(Zuruf von den GRÜNEN: Das liegt daran, daß Sie zu lange in Bonn sind!)

in der Erfahrung aus vielen Wahlkämpfen, in der Erfahrung der großen, manchmal erdrückenden finanziellen Überlegenheit der kapitalnahen Parteien. Ich habe nach der Bundestagswahl 1983 in einer Zeitung



Conradi
meiner Stadt die Anzeigen nach Quadratzentimetern ausgemessen. Da ergab sich eine Überlegenheit der Koalitionsparteien gegenüber den anderen Parteien von 6 zu 1. Und wer den Bericht des Untersuchungsausschusses des baden-württembergischen Landtages zur Parteispendenaffäre liest — da ist zwar viel geschwärzt, aber die Zahlen sind nicht geschwärzt —, stellt fest, daß dort, wo Union und FDP Millionenbeträge bekommen haben, meine Partei ein paar zehntausend DM bekam. Deswegen meine ich: Gäbe es keine Mitfinanzierung der Parteien aus öffentlichen Mitteln, dann wäre allein aus finanzieller Überlegenheit die konservative Herrschaft fast unumstößlich.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Na, na! — Jetzt, wo die Neue Heimat pleite ist, vielleicht!)

In Wirklichkeit mildert die Parteienmitfinanzierung aus öffentlichen Mitteln Ihre finanzielle Überlegenheit etwas. Sie stellt etwas mehr Chancengleichheit her, und deshalb bin ich dafür.
Das ist nicht nur eine Frage der politischen Kultur, Frau Vollmer, wie Sie das hier etwas blauäugig darstellen, hier geht es auch um Fragen der politischen Macht. Wer keine Mitfinanzierung der politischen Parteien aus öffentlichen Mitteln will, muß klar sagen, daß er amerikanische Verhältnisse will. Dort ist schon bei der Kandidatenauswahl ganz wesentlich entscheidend, ob ein Kandidat Geld — das ist meistens Geld von der Wirtschaft — mobilisieren kann oder nicht. Wir wollen das nicht.

(Beifall bei der SPD)

Wie soll nun die staatliche Parteienfinanzierung aussehen? Da gibt es einmal die Erstattung der Wahlkampfkosten, also einen festen Betrag pro wahlberechtigten Bürger im Verhältnis der Wahlergebnisse. Die Wahlkampfkostenerstattung lag 1969 bei 2,50 DM pro Wahlberechtigten. 1973 wurden es 3,50 DM, 1984 4,50 DM und 1987 5 DM. Seit 1979 bekommen die Parteien die Wahlkampfkostenerstattung auch für die Europawahlen. Ich halte diese Verdoppelung in 20 Jahren für durchaus maßvoll.
Zur direkten Finanzierung kommt nun allerdings die steuerliche Abzugsfähigkeit von Parteispenden hinzu. Das bedeutet im Klartext: Die Gesamtheit aller Steuerzahler finanziert durch Steuerverzichte des Staates bei jeder Spende mit; bei den Großspenden über 40 %. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Tatbestand in seiner Entscheidung vom 24. Juni 1958 deutlich beschrieben. Da heißt es:
Der Grundsatz der progressiven Besteuerung führt nun aber dazu, daß diejenigen Bürger, die durch Parteispenden von ihrem demokratischen Recht auf Teilhabe an der staatlichen Willensbildung Gebrauch machen, als Steuerzahler einen unterschiedlichen materiellen Vorteil erlangen. Da dem Geld bei den Wahlvorbereitungen eine bedeutende Rolle zukommt, und da eine Partei, die über große Geldmittel verfügt, unter Umständen eine wirksamere Propaganda entfalten kann als eine Partei mit geringeren finanziellen Mitteln, kann der Spender mit hohem Einkommen seiner politischen Meinung zu einer größeren Werbekraft verhelfen und damit seinem politischen Einfluß eine größere Wirkung verschaffen
als der Spender mit kleinem Einkommen.
Das hat das Bundesverfassungsgericht damals deutlich dargestellt, deshalb hat es die steuerliche Abzugsfähigkeit von Parteispenden begrenzt. Nach der Flick-Affäre — dies sehe ich als Widerspruch zur früheren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts — hat es die steuerliche Abzugsfähigkeit der Spenden von 1 800 DM auf 100 000 DM, also um das Fünfundfünfzigfache, angehoben. Ich wundere mich, warum mancher, der jetzt mit Schaum vor dem Mund gegen den Chancenausgleich zu Felde zieht, damals vornehm geschwiegen hat; denn jetzt ist der Chancenausgleich geradezu zwingend. Sonst würde die Ungerechtigkeit, die das Bundesverfassungsgericht selbst dargestellt hat, unerträglich.
Dieser Chancenausgleich hatte einige Konstruktionsfehler und die werden jetzt durch einen anderen Berechnungsmodus repariert. Daß man das überprüfen will, stand damals schon in der Vorlage. Wir haben ja die Zahlen gehört und erfahren, Herr Bötsch, daß die kleinen Parteien von diesem Chancenausgleich außerordentlich begünstigt wurden. Deswegen ist es auch verständlich daß eine der kleinen Parteien, die am stärksten begünstigt wurde, jetzt am heftigsten gegen eine Änderung votiert hat.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Nein, wir wollen es anders, einen Bürgerbonus! — Zuruf der Abg. Frau Dr. Vollmer [GRÜNE])

— Wir haben ja Zahlen darüber gehört, Frau Vollmer, wie Sie im Chancenausgleich begünstigt worden sind. Sie haben sechsmal soviel bekommen wie die SPD. Da werden Sie doch nicht sagen wollen, das wäre eine schlechte Regelung gewesen. Ich verstehe gut, daß Sie jetzt gegen eine Änderung sind. — Bitte, Frau Vollmer.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110014700
Frau Dr. Vollmer möchte eine Zwischenfrage stellen. — Sie sind einverstanden. Bitte schön.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1110014800
Herr Conradi, würden Sie mir zugestehen, daß das, was wir vorgeschlagen haben, nämlich der Bürgerbonus, gerade für die GRÜNEN ein hohes Finanzrisiko bedeutet?

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1110014900
Das gestehe ich Ihnen zu, aber Sie haben das in der sicheren Erwartung vorgeschlagen, daß die anderen Parteien dem nicht zustimmen werden. Insofern ist es nach außen hin wirksam,

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Mitnichten! — Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU)

aber das Risiko ist gering.
Die Einführung des Sockelbetrages entsprach einer langjährigen Forderung der kleineren Parteien. Die kleinen Parteien haben gesagt, sie hätten bei jeder Wahl auch eine Grundlast. Sie müßten schließlich auch alle Wahlberechtigten ansprechen.
Ich halte den Sockelbetrag für möglicherweise problematisch, aber ich halte ihn für weit weniger problematisch als die vom Bundesverfassungsgericht so ungeheuer angehobene Grenze für die steuerliche Ab-



Conradi
zugsfähigkeit der Spenden. Wenn die GRÜNEN, wie Herr Schily, den ich hier heute leider vermisse, das mehrfach angekündigt hat, zum Bundesverfassungsgericht gehen — ich habe da erhebliche Zweifel —, dann kann sich das Bundesverfassungsgericht einmal mit dem Widerspruch zwischen seiner Entscheidung von 1958 und der aus dem Jahre 1984 auseinandersetzen.
Wir sollten bei der Gesetzgebung prüfen, ob wir den Grundbetrag, den Sockelbetrag nur auf die Bundestagswahl beziehen oder ob wir diesen Sockelbetrag möglicherweise geringer ansetzen, ihn dann aber auch auf die Europawahl und möglicherweise auch auf die Landtagswahlen beziehen sollen.
Ich will noch etwas zu den Zahlen sagen: Die Eigeneinnahmen von SPD, CDU/CSU und FDP sind seit 1968 — die GRÜNEN gab es damals noch nicht — um 550 % auf das Sechseinhalbfache gestiegen. Die Behauptung in Ihrer Begründung, die Bürger würden den Parteien zunehmend fernbleiben, sie würden keine Beiträge mehr an die Parteien leisten, ist durch die Zahlen widerlegt. Es mag zwar der Situation der GRÜNEN entsprechen, daß die Zahl der Mitglieder und die Beitragseinnahmen zurückgehen, aber Sie sollten das nicht auf uns übertragen.
Der Gesamtbetrag der Wahlkampfkostenerstattung ist in den vergangenen 20 Jahren auf knapp das Dreifache gestiegen, und zwar einschließlich der Europawahl. Die Staatsquote, der Anteil der Staatsmittel an den Gesamtausgaben der Parteien, ist von 1968 mit damals 47 % auf heute 27,5 % gefallen. Deswegen rede ich immer von einer staatlichen Mitfinanzierung der Parteien, denn 27,5 % sind keine ausschließlich staatliche Parteienfinanzierung.

(Zustimmung bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Behauptung der Presse, das alles hätten wir hinten herum, heimlich gemacht, ist absurd. Die Parteien haben verhandelt. Sie haben ihr Ergebnis vorgelegt. Sogar der SPD-Parteitag in Münster hat sich damit befaßt. Das wird nun öffentlich diskutiert und geht seinen normalen parlamentarischen Gang. Da kann keine Rede davon sein, dies sei ein Coup oder hier würde irgend etwas durchgepeitscht. Ich finde es gut, daß die Presse die Parteien und ihre Finanzen kritisch beobachtet. Ohne die Wachsamkeit der Presse sähe es um die Demokratie schlecht aus. Aber einiges, was da gesagt worden ist, hat mich doch erstaunt. Beispielsweise der Vorwurf: „Der Staat stirbt nicht, er verkommt. " Das geht weit, weit über diesen Anlaß hinaus. Wer hier so zu Felde zieht, muß sich fragen, wem er damit das Wort redet, ob er die Geister, die er da ruft, eines Tages nicht wieder gerne los würde.

(Zuruf von der CDU/CSU: Der weiß nicht, was er sagt!)

Demokratie gibt es nicht zum Nulltarif. Die Parteien, das Parteiengesetz, auch wir Abgeordneten sind gewiß verbesserungsbedürftig. Das kann bei Wahlen geschehen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Auch die Abgeordneten sind verbesserungsbedürftig!)

— Auch die Abgeordneten, Frau Unruh, auch wir beide sind verbesserungsbedürftig. Darüber wird der Wähler mit Hilfe der Presse entscheiden. Ich kann mir sehr wohl bessere Parteien und bessere Abgeordnete vorstellen, aber billigere Parteien und billigere Abgeordnete werden nicht notwendigerweise bessere sein.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1110015000
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Mischnick, Cronenberg (Arnsberg), Wolfgramm (Göttingen), Beckmann und Genossen Gestaltung des neuen Plenarsaales
hier: Änderung des Beschlusses über die Sitzordnung
— Drucksache 11/2537 (neu)
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 75 Minuten vorgesehen. — Ich sehe, daß es dagegen keinen Widerspruch gibt. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.

(Vorsitz: Vizepräsident Frau Renger)


Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID1110015100
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Freien Demokraten und Kollegen der CDU/CSU haben den Antrag gestellt, erneut über die Ausgestaltung des neuen Plenarsaales zu sprechen und zu entscheiden. Grund für diesen Antrag ist, daß wir meinen, daß nach der Entscheidung im Juni 1987 eine Überprüfung sinnvoll erscheint.
Die Entwicklung bis zum Juni 1987 will ich hier nicht noch einmal darlegen; sie ist sehr leidvoll. Ich verhehle nicht, daß ich persönlich der Auffassung bin, daß es gut gewesen wäre, Ende der 60er Jahre eine Gesamtlösung im Bereich der Gronau mit einer Zusammenfassung aller Einrichtungen einschließlich des Plenarsaals zu finden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Weil ich mich damals nicht habe durchsetzen können, will ich heute, in einer Situation, wo noch die Chance besteht, etwas zu beeinflussen, nicht schweigen. Im Gegenteil, ich will zu diesen Fragen noch einmal Stellung nehmen.
Ich habe mir die Protokolle über die Abstimmung vom 5. Juni 1987 unmittelbar danach angesehen. Wir haben nach dieser Abstimmung gegenüber dem Präsidium gesagt: Wir behalten uns vor, diese Abstim-



Mischnick
mung anzufechten und eine neue Abstimmung zu erbitten.

(Conradi [SPD]: Ein Jahr später!)

Nicht so voreilig! — Es hat dann ein Gespräch der Kollegen Kleinert und Wolfgramm mit dem Herrn Präsidenten stattgefunden. In diesem Gespräch ist bestätigt worden, daß, wie schon in der Plenarsitzung im Juni 1987 gesagt, vor der Entscheidung, wie es mit der Sitzordnung endgültig aussieht, der Bundestag erneut damit befaßt wird und dann Gelegenheit bestünde, diese Fragen wiederum zur Debatte zu stellen. Dies ist der Grund gewesen, weshalb wir damals darauf verzichtet haben, den Einspruch gegen die Wertung der Abstimmung weiterzuverfolgen.
Aus den Protokollen geht hervor, daß bei dieser Abstimmung so einige Zufälle eine große Rolle gespielt haben. Da war z. B. der Zufall, daß bei der ersten Abstimmung mehr als bei der zweiten Abstimmung abgestimmt haben. Nun gut, das passiert des öfteren in diesem Haus.

(Conradi [SPD]: Da war Pfingsten! Die sind in Urlaub gefahren! Das war auch eine Reihe von Ihren Kollegen!)

— Ich verstehe gar nicht, weshalb Sie immer so aufgeregt dazwischenrufen. Ich rede vom Zufall! — Dann war der zweite Zufall, daß bei der Auszählung festgestellt wurde, daß drei Kollegen, die für die halbrunde Lösung gestimmt hatten, ihren Namen nicht darauf-geschrieben hatten und nicht gewertet wurden. Zufällig ist bei denjenigen, die für die Rundlösung gestimmt haben, keiner dabei gewesen, der den Namen nicht daraufgeschrieben hat. Dann ist einer dem Irrtum erlegen, daß mit einem Nein zur Rundlösung das Ja zur Halbrundlösung verbunden sei. Dies sind vier Stimmen. Wie war der Vorsprung für die Rundlösung? Vier Stimmen! Diese Zufälle haben es uns natürlich erspart, daß wir an diesem Tag eine Stimmengleichheit gehabt hätten. Aber die Häufung der Zufälle ist manchmal doch etwas merkwürdig.
Im Mai 1988 hat der Bundesrat in einem Brief zum Ausdruck gebracht, daß er bei einer Rundlösung die Rechte des Bundesrates beeinträchtigt sähe; ein Argument, das in der Debatte 1987 hier schon vorgetragen worden ist.
Der Herr Bundestagspräsident hat dann Anfang Juni — ich selbst habe das Gespräch mit ihm am 8. Juni geführt — zwei Vorschläge für die Sitzplatzgestaltung des Plenarsaals vorgestellt. Beide Vorschläge liegen dem heutigen Antrag bei. In dem Gespräch mit dem Herrn Bundestagspräsidenten habe ich sofort erklärt, daß ich mich für die damals benannte Lösung D entscheide. Er hat mir daraufhin gesagt, wenn man die Lösung D wolle, müsse man seiner Überzeugung nach eine neue Beschlußfassung durchführen. Ich habe ihm daraufhin erklärt, dies würde ich dann durch einen entsprechenden Antrag, wenn meine Fraktion zustimme, herbeiführen. Wenn mir zwei Modelle für die innere Gestaltung dargestellt werden, muß ich davon ausgehen, daß beide Möglichkeiten noch zur Diskussion stehen, denn sonst wäre es ja unsinnig, zwei Möglichkeiten zu präsentieren.
Zweiter Punkt: Wenn wir dann feststellen, welche Kosten daraus entstehen, und uns dann mitgeteilt wird, für die Planung brauche man etwa eine knappe Million DM, so ist das ein Punkt, zu dem ich feststelle: Bei dem Gesamtvolumen von 140 bis 210 Millionen DM ist das kein Betrag, der alles auf den Kopf stellt. Wir haben deshalb in der Fraktion sofort Entscheidungen getroffen, uns mit Kollegen der CDU abgestimmt und am 21. Juni den entsprechenden Antrag gestellt, um Zeitverzögerungen zu vermeiden. Wir wollten noch vor der Sommerpause die Entscheidung haben.

(Beifall bei der FDP)

Interessanterweise ist dann plötzlich — wenige Tage später — die Feststellung aufgetaucht: Wenn man die halbrunde Lösung haben wolle, hätte man überhaupt nicht abzureißen brauchen. Eine völlig neue Feststellung. Bis zu der Entscheidung im Plenum im Juni hat es immer geheißen: Ganz gleich, ob halbrund oder rund, der Abriß sei die sinnvollere Lösung. Wäre es wirklich so gewesen, daß ein Abriß bei der halbrunden Lösung nicht notwendig war, hätte die Abstimmung ja umgekehrt stattfinden müssen, nämlich zuerst über die Frage: Rund oder halbrund? Wäre dann die Entscheidung für die runde Lösung gefallen, wäre der Abriß automatisch notwendig gewesen. Daß wir umgekehrt entschieden haben, zuerst über die Frage: Abriß, ja oder nein? und dann über die Frage: Rund oder halbrund? macht deutlich, daß zu diesem Zeitpunkt die Frage des Abrisses als Voraussetzung gesehen wurde.

(Dr.Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das ist nicht ganz korrekt, Herr Kollege!)

— Doch, genauso war es. Das können Sie nachlesen. Ich habe vorsichtshalber sämtliche Protokolle mitgebracht. Ich will es Ihnen ersparen, das hier alles vorzulesen.
Das heißt, nachträglich ist uns gesagt worden: Eigentlich hättet ihr, wenn ihr eine halbrunde Lösung wollt, gar nicht abzureißen brauchen. Dies ist in meinen Augen — entweder damals oder heute — zumindest eine nicht korrekte Unterrichtung des Plenums des Deutschen Bundestages.
Zum nächsten Punkt: Plötzlich hieß es dann, weil es sich etwas hinauszögerte — das kam nicht von unserer Fraktion, sondern insbesondere von den Kollegen der SPD — , daß man nicht im Juni entscheiden könne, sondern dafür brauche man längere Zeit. Dann kam der nächste Brief, daß das Ganze nicht nur 1 Million DM, sondern vielleicht ein bißchen mehr, plötzlich 4,5 Millionen DM ausmacht. Mir kann kein Mensch weismachen, daß bei Modellen, die schon vorliegen, plötzlich eine solche Kostensteigerung für die Planung entstehen könnte, es sei denn, man hat in der Planung ohne Rücksicht auf endgültige Entscheidungen alles vorangetrieben und damit die Zusicherung, man wolle über die Frage der Ausgestaltung noch einmal reden, obsolet gemacht.
Für mich besteht der Sinn dieses Antrags auch darin, hier deutlich zu machen, daß wir es uns in Zukunft nicht mehr bieten lassen, aus Planungsgründen etwas hinzunehmen, wozu wir noch keine Entscheidungen getroffen haben, und daß, will man eine



Mischnick
andere Entscheidung treffen, gesagt wird, dies sei eine Verteuerung, obwohl Beschlußfassungen überhaupt noch nicht vorgelegen haben.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das war leider in manchen Dingen bisher der Fall.
Nun ist uns die Rundlösung als eine besonders gute Lösung angepriesen worden. Wir haben jetzt in Düsseldorf ein rundes Parlament, ebenso in RheinlandPfalz. Es ist natürlich ein kleiner Unterschied, ob ich mit 100, mit 200 oder mit 500 Abgeordneten in einem runden Parlament sitze.

(Zuruf von der SPD)

— Ja, doch: Es ist in der Wirkung ein großer Unterschied.
Es war für mich interessant, daß ich von einer Kollegin aus Nordrhein-Westfalen mitgeteilt bekommen habe, daß Herr Matthiesen — seines Zeichens Minister der Sozialdemokraten — gesagt hat, der runde Landtag sei gut, aber nur zur Abgabe von Regierungserklärungen.

(Dr. Hirsch [FDP]: Ja!)

Das heißt, daß also die bisherige Erfahrung offensichtlich so ist, daß die Vorteile für die Debatten, die man sich von einer runden Lösung verspricht, in der Weise gar nicht vorhanden sind.

(Dr. Hirsch [FDP]: Sehr wahr!)

Deshalb sollten wir uns, nachdem diese Erfahrungen vorliegen, noch einmal damit befassen und zu einer Entscheidung kommen, die mehr dem traditionellen Bild des alten Bundestages entspricht. Ich bekenne mich dazu — und nicht nur ich, sondern viele meiner Freunde — , daß wir auch in Zukunft den Plenarsaal in der Ansicht so haben wollen, wie er dem traditionellen Bild des Deutschen Bundestages entspricht, weil wir darin auch ein Stück Tradition dieser Bundesrepublik Deutschland und eine Fortsetzung dessen sehen, was im alten Plenarsaal über Jahrzehnte in der Politikgestaltung geschehen ist.
Da mag mancher sagen: Mir ist das egal; mich beeindruckt es nicht, ob der Saal rund oder halbrund ist, ob das alte Bild in Erscheinung tritt, oder nicht. — Gut, jedem lasse ich seine Auffassung. Ich persönlich bin der Auffassung, daß es für diese Bundesrepublik Deutschland auch der Erhalt eines Stückes guter Tradition ist, wenn dieses Bild, das über Jahrzehnte über das Fernsehen den Zuschauern vermittelt worden ist, auch in Zukunft erhalten bleibt und nicht durch eine runde Lösung praktisch völlig verlorengeht.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, bitte ich, diesem Antrag zuzustimmen — wohlwissend, daß die Chancen heute geringer sind. Aber ich habe noch nie danach gerechnet, ob die Chancen groß sind oder klein sind, etwas durchzusetzen.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Denn wenn ich immer dieser Meinung gewesen wäre,
hätten wir in der sozialliberalen Koalition nicht so
lange zusammenarbeiten können. Da waren die Chancen oft gering,

(Dr. Vogel [SPD]: Und jetzt erst, Herr Mischnick! Neue Gesundheitsreformer, ihr! Jeden Tag eine Milliarde teurer!)

wenn ich an den ersten Tag der Entscheidung denke.
Was ich allerdings in aller Deutlichkeit sage: Bei den Beratungen des Bundeshaushalts werden wir in den Debatten über den Deutschen Bundestag all das, was an Kostenentwicklungen in den nächsten Monaten auf uns zukommen wird, z. B. über die Neubauten, in aller Ausführlichkeit diskutieren. Dasselbe gilt für das, was wir plötzlich hören, daß nämlich das, was gestern noch bleiben sollte, heute in Frage gestellt wird und morgen möglicherweise abgerissen werden soll. Denn es kann nicht so sein, daß der Deutsche Bundestag als Bauherr vor den Wählern draußen dauernd angeklagt wird, daß die Kosten ständig steigen, wir selber aber von diesen Dingen im Detail nichts wissen und immer wieder überrascht werden. Hier muß dafür gesorgt werden, daß die Baubegleitung in Zukunft in einer Weise erfolgt, daß die Abgeordneten des Deutschen Bundestages nicht ständig mit neuen Zahlen überrascht werden. Es muß auch beim Bau des Deutschen Bundestages möglich sein, vorgegebene Entscheidungen kostengerecht umzusetzen und sie nicht durch neue Überlegungen ständig weiter auszuweiten.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auch dies ist ein Grund, weshalb ich bitte, unserem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110015200
Das Wort hat Herr Abgeordneter Conradi.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1110015300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Geschichte der Bundestagsbauten ist kein Ruhmesblatt in der Geschichte unseres Parlaments. Sie ist gekennzeichnet von Unentschlossenheit, von Desinteresse, von Opportunismus, von Desinformation und von Wankelmut.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Und von Abrißwut!)

Wenige Kilometer nördlich von hier hat der Landtag von Nordrhein-Westfalen in diesen Tagen sein neues Gebäude bezogen — ein Beispiel dafür, daß auch die Demokratie vernünftig und schön bauen kann.

(Dr. Hirsch [FDP]: Aber mit anderen Architekten, Herr Kollege!)

— Sie sollten hier den Architekten nicht schmähen. Der Architekt, der für uns baut, war übrigens Vorsitzender des Preisgerichts in Düsseldorf, das diese Arbeit damals zur Ausführung empfohlen hat, Herr Hirsch.

(Beifall bei der SPD) Da sollte man sich vorher erkundigen.


(Zurufe von der FDP)




Conradi
Aber in Düsseldorf, Herr Hirsch, hat die FDP mitgearbeitet. Und daß es in Düsseldorf gut geworden ist, hat vielleicht auch damit zu tun, daß in der Baukommission nicht so viele Rechtsanwälte, sondern auch einige Handwerksmeister waren, die etwas vom Bauen verstehen.

(Beifall bei der SPD)

Ich empfehle Ihnen jedenfalls einen Besuch in Düsseldorf. Dann werden Sie sehen, daß das ein gut gelungenes Gebäude ist.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Was hat Düsseldorf gekostet?)

Der Gruppenantrag auf Drucksache 11/2537 (neu) ist geeignet, das Ansehen des Parlaments weiter zu beschädigen.

(Mischnick [FDP]: Das kann ja wohl nicht wahr sein!)

Was sollen die Bürger von einem Parlament denken, das seine eigenen Sachen nicht regeln kann? Wie sollen sie zu diesem Parlament Vertrauen haben, daß es ihre Sachen regeln kann?

(Beifall bei der SPD)

Was soll man von einem Parlament halten, daß 1987 seine Sitzordnung beschließt und ein Jahr später — der Rohbau ist bereits im Gange — diesen Beschluß wieder umstoßen will?
Und wenn hier behauptet wird, Herr Mischnick, Sie hätten nicht gewußt, von was damals die Rede gewesen sei, dann — —

(Mischnick [FDP]: Das habe ich nicht gesagt!)

— Sie haben gesagt, Sie seien nicht gut genug informiert gewesen.

(Mischnick [FDP]: Nein!)

— Also, ich lese Ihnen gerne Ihre eigenen Zitate vor.

(Mischnick [FDP]: Ich bitte ums Wort!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110015400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Conradi?

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1110015500
Natürlich.

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID1110015600
Herr Kollege Conradi, haben Sie nicht gehört, daß ich gesagt habe, in der Abstimmung seien bei einzelnen Kollegen unterschiedliche Entscheidungen getroffen worden, daß ich aber nicht gesagt habe, daß ich mich nicht informiert gefühlt habe?

(Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Sie wollen nur Ihren Willen durchsetzen, Herr Conradi!)


Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1110015700
Also, Herr Mischnick, im „Express" haben Sie gesagt, Sie seien nicht richtig informiert.

(Mischnick [FDP]: Nein!)

— Na gut, dann hat der „Express" falsch zitiert. — Ich
habe die Pläne mitgebracht; hier sind sie. Die haben
wir Ihnen allen geschickt; jeder wußte, über was abgestimmt wurde. Die Stimmzettel sind mit Ihrer Zustimmung im Ältestenrat beschlossen worden.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU]: So war es!)

Die Abstimmungsformulierung ist mit Zustimmung Ihrer beiden Geschäftsführer dort behandelt worden. Und jetzt kommen Sie, ein Jahr später, und sagen, das sei nicht ganz mit rechten Dingen zugegangen. Herr Mischnick, so handelt kein verantwortlicher Parlamentarier. Wir sollten diesen Antrag ablehnen. Eigentlich wäre Nichtbefassung die angemessenere Behandlung, weil wir nicht zulassen sollten, daß sich das Parlament lächerlich macht.

(Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Ach, Herr Conradi, Sie wollen nur Ihren Willen durchsetzen!)

Der Bundesbauminister ist heute aus zwingenden Gründen nicht da. Deswegen finde ich es, Herr Kollege Mischnick, unfair, den Bundesbauminister, der ja letztlich für die Kosten geradezustehen hat, hier anzugreifen. Wir werden über die Baukosten in der zweiten Lesung des Haushalts ausführlich miteinander reden; da wird einiges anzumerken sein. Heute will ich nur soviel sagen: Wenn Sie von der FDP bezweifeln, daß eine sechs- bis neunmonatige Stillegung der Baustelle nichts kostet, dann fragen Sie doch mal Ihre guten Freunde in der Wirtschaft, was die davon halten!

(Beifall bei der SPD)

Glauben Sie denn, daß die Baufirmen die Arbeiter und die Geräte kostenlos vorhalten und warten, um nach neun Monaten wieder anzufagen? So kann man doch nicht bauen. Ich finde es auch nicht sehr glaubwürdig, daß Sie die Mehrkosten beanstanden und gleichzeitig hier Anträge stellen, die Mehrkosten verursachen. So ganz stimmig ist das doch nicht.

(Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Es kommt darauf an, daß eine vernünftige Lösung rauskommt!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110015800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfgramm?

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1110015900
Aber gerne.

Torsten Wolfgramm (FDP):
Rede ID: ID1110016000
Herr Kollege Conradi, würden Sie freundlicherweise Ihre Wertung einmal dazu abgeben, daß wir Ende Juni 1988 einen Brief von der Bundesbaudirektion, vom Bundesbauminister, bekommen haben, in dem von Mehrkosten bis zu 1 Million DM gesprochen wurde, während die Kosten für dieselbe Planung drei bis vier Wochen später auf 4 bis 5 Millionen DM stiegen?

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1110016100
Herr Kollege, ich bin dem Bauminister wirklich herzlich zugetan, aber das geht nun zu weit. Er wird von dieser Koalition hier gewählt. Fragen Sie ihn, wenn er hier ist! Herr Dr. Schneider hat gebeten, die Kostenfrage nicht anzuschneiden, weil er nicht hier ist. Herr Mischnick tut es trotzdem, Sie tun es ein zweites Mal. Wir reden über die Baukostenfrage, wenn der Minister hier sein kann.

(Beifall bei der SPD)




Conradi
Er ist zwingend verhindert, und da gibt es auch so etwas wie parlamentarischen Anstand, daß man dann nicht in der Baukostenfrage hier lostönt, wenn der Minister nicht da ist.

(Dr. Vogel [SPD]: So sind wir! — Zurufe von der CDU/CSU)

— Verehrte Kolleginnen und Kollegen, warum die Aufregung? Ich muß mich doch hier als Abgeordneter der Opposition nicht bei Ihnen für Kosten rechtfertigen, die die Regierung vorlegt. Wo sind wir denn?

(Beifall bei der SPD)

Sie haben Ihren Vorschlag mit Einwänden des Bundesrats begründet, der nach Art. 43 Abs. 2 hier Zutrittsrecht hat und jederzeit zu hören ist. Es gibt aber kein Recht auf eine bestimmte Sitzordnung. Auch in der kreisförmigen Sitzordnung wird das eigenständige Gewicht der Bundesregierung und des Bundesrates durch Heraushebung ihrer Kreissektoren deutlich gemacht. Allerdings haben im inneren Kreis nicht alle elf Landesminister oder Ministerpräsidenten Platz
— wir freuen uns heute über die rege Beteiligung —;

(Beifall des Abg. Dr. Vogel [SPD])

das ist so auf Grund der Geometrie. Offenbar kann sich der Bundesrat schwer einigen, wer vorn und wer hinten sitzt; zugegebenermaßen ein schwieriges Problem. Vielleicht können die GRÜNEN beraten; die haben ja mit Rotation Erfahrung.
Wir Abgeordneten kennen das Problem übrigens auch. Ich will hier an die verdienstvollen Beiträge unseres verehrten Kollegen Mierscheid erinnern, der aufgefordert hat, endlich mit dem Hinterbänklertum Schluß zu machen und einen Plenarsaal zu planen, in dem alle 519 Abgeordneten in der ersten Reihe sitzen können. Wahrscheinlich wäre damit auch die FDP einverstanden.
Aber Scherz beiseite! Wir haben mit dem Bundesrat seit über zehn Jahren die Sitzordnung diskutiert. Die Folgen waren von Anfang an erkennbar. Bei allen Sitzungen der Baukommission war der Bundesrat vertreten; er hat nie widersprochen. Am 14. Juni 1978, vor zehn Jahren, fand im Amtshaus des damaligen Präsidenten ein Gespräch statt, an dem Frau Renger, die Herren Stücklen, Schmitt-Vockenhausen, Kohl, Zimmermann, Wehner, Jung, der Bundeskanzler Schmidt, der Bundesaußenminister Genscher und der Präsident des Bundesrates — ich vermisse ihn leider heute — teilgenommen haben. Damals hat man sich
— so sagt das Protokoll — zur Frage der Sitzordnung auf das sogenannte „runde Modell" geeinigt, also mit Zustimmung des Präsidenten des Bundesrates.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Ich habe auch den Plan hier, der damals diskutiert wurde. Wie gewichtig ist das Wort des Bundesrates, wenn er jetzt, zehn Jahre später — der Bau ist schon begonnen — , eine Änderung verlangt? Da wäre es doch gut, der Präsident des Bundesrates hätte vorher in der Registratur nachschauen lassen, was der Bundesrat früher zu diesem Thema gesagt hat.
Es kommt ein rechtlicher Grund dazu. Nachdem der Bundestag mit großer Mehrheit beschlossen hatte,
den alten Plenarsaal abzureißen, gab es einen heftigen Streit mit dem Land Nordrhein-Westfalen über die denkmalrechtliche Zustimmung zum Abriß. Ausschlaggebend war schließlich ein verfassungsrechtliches Gutachten, das die Entscheidung des Bundestags für eine neue Sitzordnung einen Abwägungsvorrang begründe. In der Genehmigung für den Abriß hat das Land Nordrhein-Westfalen erklärt: „Die denkmalrechtliche Erlaubnis zum Abbruch des Plenarsaals und der Lobby erfolgt ausschließlich wegen der vom Land aus verfassungsrechtlichen Gründen hinzunehmenden Entscheidung des Deutschen Bundestags für eine neue Sitzordnung."
Sie haben doch einige Juristen in der Fraktion, die dies qualifizieren können, Herr Kollege Mischnick.

(Mischnick [FDP]: Das ist vor der Entscheidung nicht gesagt worden!)

— Nein, natürlich nicht; das war nämlich hinterher; das konnten wir vorher nicht sagen.

(Mischnick [FDP]: Weil man das Ergebnis wollte! — Bohl [CDU/CSU]: Warum nicht?)

— Die denkmalschutzrechtliche Prüfung hatte noch gar nicht stattgefunden. Die rechtliche Prüfung kam ja erst nach dem Bundestagsbeschluß.
Ein Beschluß, jetzt nach dem Abriß die alte Sitzordnung wiederherzustellen, wäre eine Täuschung des Landes Nordrhein-Westfalen. Das wäre auch ein abstoßendes Beispiel für alle Bürger, die sich an die Gesetze halten. Was sollen diese von einem Bundestag halten, der sich eine Abrißgenehmigung unter einer bestimmten Voraussetzung holt, diese dann nachträglich ändert und sagt: Wir haben das nicht so gemeint; jetzt machen wir es anders?

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Damit würde der Bundestag sich gegenüber den Bürgern und dem Land Nordrhein-Westfalen ins Unrecht setzen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110016200
Herr Conradi, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1110016300
Frau Präsidentin, ich freue mich ja über das lebhafte Echo. Aber mit der Zeit sind Sie dann hoffentlich auch großzügig.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110016400
Ich halte die Zeit immer an, bis Sie geantwortet haben.
Herr Bohl, bitte.

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1110016500
Herr Kollege Conradi, wäre es dann aber nicht ganz sinnvoll gewesen, bei der Abstimmung zu wissen, daß man sich nur für einen runden Neubau aussprechen kann, wenn man vorher abreißt bzw. umgekehrt?

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1110016600
Herr Kollege Bohl, ich erinnere Sie auch an meinen eigenen Beitrag in der damaligen Debatte. Ich habe hier gesagt: Es ist technisch möglich, den alten Bau zu erhalten. Das ist nicht die Frage. Aber ich habe damals gesagt, dies sei nicht sinnvoll, weil nur ein ganz kleiner Teil der originalen Substanz erhalten würde, alles andere müßte man als Replik,



Conradi
also als Rekonstruktion wiederbauen. Ich habe damals gesagt: Wenn wir neu bauen, dann bin ich wirklich dafür, daß wir etwas Neues neu bauen und nicht das Alte noch einmal bauen. Das, was Sie jetzt anführten, nämlich das Gutachten des Staatsrechtlers Salzwedel, das besagt, daß das Land Nordrhein-Westfalen die denkmalrechtliche Zustimmung zum Abbruch geben muß, kam doch Monate nach der Debatte; das konnten wir nun wirklich während der Debatte noch nicht wissen.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Das ist logisch!)

— Das hoffe ich.
Zum Schluß möchte ich noch etwas über die alte Sitzordnung sagen. Sie war doch mehr ein Hörsaal als ein Saal der parlamentarischen Debatte. Die parlamentarische Demokratie lebt von der Auseinandersetzung, vom Austausch der Argumente, vom Hin und Her, von Rede und Gegenrede. Wenn wir schon nicht so wie im englischen Parlament ein Gegenüber von Mehrheit und Minderheit bauen können, dann sollten wir doch mit der kreisrunden Sitzordnung versuchen, eine lebendigere Atmosphäre zu schaffen.
Hinzu kommt der Symbolwert des Kreises. Fritz Eller, der Architekt des nordrhein-westfälischen Landtages, hat gesagt:
Der Landtag forderte einen kreisrunden Plenarsaal. Wir, die Architekten, verstanden diese Forderung als Hoffnung auf das Gemeinsame, alles Zusammenfassende, als Versammlung der Volksvertreter trotz aller Unterschiede der jeweiligen Vorstellungen über den besten Weg und das anzustrebende Ziel, als einen Ort des freien Wortes.
Der Kreis macht das deutlich. Der Kreis macht deutlich, daß das Parlament, die Bundesregierung und der Bundesrat in ihren unterschiedlichen Rollen an der politischen Auseinandersetzung und an der Gesetzgebung beteiligt sind. Wir sollten den Symbolwert einer solchen Sitzordnung nicht geringachten.
Ich bitte Sie, den Antrag auf Drucksache 11/2537 (neu) abzulehnen. Seine Annahme würde dem Ansehen des Parlaments schaden. Sie würde zusätzliche Baukosten verursachen; sie würde das Rechtsempfinden vieler Bürger verletzen, und sie würde uns gegenüber der Landesregierung Nordrhein-Westfalen ins Unrecht setzen. Schließlich: Warum sollten wir die alte Sitzordnung, über die wir oft geklagt haben, wiederherstellen, wenn wir inzwischen einen besseren Vorschlag haben?
Das sollten wir tun; wir sollten den neuen Plenarsaal bauen, und mit dieser Abstimmung in der nicht gerade ruhmreichen Baugeschichte des Bundestages einen vernünftigen Beschluß fassen, der deutlich macht, daß die Demokratie in der Lage ist, nützliche und schöne Bauten zu schaffen, in denen die Bürger die Republik und ihre Institutionen wiedererkennen und achten.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU und der GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110016700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bohl.

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1110016800
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Conradi, wenn ich vielleicht gerade nur unser Frage- und Antwortspiel noch ganz kurz fortsetzen darf: Was mich dabei ein wenig stört, ist die Tatsache, daß wir zunächst abgestimmt haben: Abriß — ja oder nein — und anschließend abgestimmt haben: rund oder eckig. Ich war mit diesem Verfahren einverstanden, damit da kein Zweifel entsteht.

(Conradi [SPD]: Eben!)

— Langsam!
Aber wenn die Behauptung richtig ist, daß ein Abriß nur dann erlaubt sei, wenn man rund wieder aufbaue, dann hätten wir nicht so abstimmen dürfen. Dann hätte man uns doch entsprechend juristisch belehren müssen, wie die Sachlage ist und daß wir so nicht hätten abstimmen dürfen.

(Dr. Vogel [SPD]: Wer ist denn „man"?)

Das ist das Monitum des Kollegen Mischnick, und dem kann ich im Grunde genommen nur zustimmen.

(Dr. Vogel [SPD]: Wer ist der Mann?)

Aber nun zur Sache. Ich glaube, daß der Präsident des Bundesrates für viele unserer Kollegen einleuchtende Argumente für die herkömmliche Sitzordnung vorgetragen hat. Wenn ich von einleuchtenden Argumenten spreche, schaue ich auf die Bundesratsbank und bin angenehm berührt,

(Beifall des Abg. Conradi [SPD])

daß der Bundesrat an unserer Debatte so Anteil nimmt.

(Dr. Vogel [SPD]: Aber auch überrascht!)

In der Tat, Herr Vogel, sprechen gute Gründe für die Bewahrung des Gesamtbildes des ehemaligen Plenarsaals, zu dem für viele Kollegen auch die alte Sitzordnung gehört. Im Bewußtsein der Bürger ist nun einmal der Plenarsaal der architektonisch anschauliche Mittelpunkt unserer Demokratie. In ihrer Entschließung vom 19. Mai 1987 hatte sich daher auch die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion folgerichtig bei einem notwendigen Abriß des alten Plenarbereichs für eine Gestaltung des Neubaus in der herkömmlichen Form ausgesprochen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110016900
Herr Abgeordneter, gestatten Sie zwei Zwischenfragen, einmal eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Faltlhauser und einmal eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lammert?

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1110017000
Gerne. Vizepräsident Frau Renger: Bitte sehr.

Dr. Kurt Faltlhauser (CSU):
Rede ID: ID1110017100
Herr Kollege, da Sie sich sogar erfreut über die so volle Bundesratsbank geäußert haben, möchte ich Sie fragen: Würden Sie sich gemeinsam mit mir auch freuen, wenn diese Bundesratsbank auch dann etwas voller wäre, wenn wir hier inhaltliche Debatten führen?




Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1110017200
Ich hatte den Eindruck, Herr Kollege Faltlhauser, daß die anwesenden Mitglieder des Bundesrates hier ganz besonders eindrucksvoll dokumentieren wollten, wie wichtig es ist, daß die herkömmliche Gestaltung des Plenarsaals erhalten bleiben muß.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110017300
Jetzt Herr Kollege Lammert.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1110017400
Herr Kollege Bohl, ich habe einen etwas bescheideneren Bezug zu Ihrem Hinweis auf die Teilnahme der Mitglieder des Bundesrates. Stimmen Sie meinem Eindruck zu, daß selbst die ungewöhnlich lebhafte Teilnahme von Mitgliedern des Bundesrates an dieser Debatte bei der geplanten neuen Sitzordnung des Bundestages

(Dr. Vogel [SPD]: Möglich wäre!)

in einer runden Anordnung immer noch die Teilnahme aller anwesenden Mitglieder der Bundesländer in der ersten Reihe möglich machen würde?

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD — Heiterkeit)


Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1110017500
Dieser Feststellung, Herr Kollege Dr. Lammert, möchte ich nicht widersprechen, allerdings auch anmerken, daß das im Normalfall auch für die Mitglieder des Deutschen Bundestages gilt.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Jawohl! Sehr wahr!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe persönlich — jetzt spreche ich für mich persönlich — den Eindruck, daß nicht alle Argumente für eine kreisrunde Anordnung, für die es natürlich auch gute Gründe gibt — Herr Conradi hat ja solche aufgezeigt — , im Lichte der Erkenntnisse der schon vorhandenen runden Plenarbauten in Straßburg, Mainz oder Düsseldorf letztlich greifen und tragen. Bei allen positiven Erfahrungen gibt es auch dort bemerkenswerte Einwände.
Aber, meine Damen und Herren, angesichts der eben skizzierten Sachlage waren eine Reihe von Kollegen der CDU/CSU und der FDP der Meinung, daß eine Aufhebung des alten Beschlusses für eine runde Sitzordnung und ein neuer Beschluß für die herkömmliche Sitzordnung möglich und sinnvoll sei. Dabei ging sicherlich die Mehrheit der Kollegen davon aus, daß damit keine Kostensteigerungen in beachtlicher Höhe und auch keine zeitlichen Verzögerungen verbunden sein würden. Jedenfalls hatte man diese Kollegen in dem Glauben gelassen, eine Veränderung der inneren Gestaltung des Plenarsaals sei im Zuge der Baufertigstellung ohne größere Komplikationen möglich. Die meisten Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die zunächst den Gruppenantrag mitgetragen hatten, sind zwischenzeitlich — bis auf vier — von dieser Unterstützung des Antrags abgerückt.
Wenn sie dies trotz des eigentlichen Wunsches nach Wiederherstellung des Plenarsaals in alter Form getan haben, dann hat das folgenden Grund: Nach Einreichung dieses Gruppenantrags teilte Bundesbauminister Dr. Schneider mit Schreiben vom 1. September 1988 mit, daß die Änderung der Sitzordnung Kosten für erforderliche Umplanungen von 4 bis 5 Millionen DM mit sich bringen würde und daß mit einer Bauverzögerung von neun Monaten gerechnet werden müsse. Eine solche Erhöhung der Kosten und auch eine Ausweitung der Gesamtbauzeit wollten die genannten Kollegen nicht mittragen, zumal insbesondere die Ausuferung der Kosten deshalb so schwer vertretbar erscheint, weil die Kosten für die Bundestagsbauten doch insgesamt explosionsartig steigen, ohne daß dies von den Mitgliedern des Deutschen Bundestages veranlaßt worden wäre.

(Conradi [SPD]: Na, na!)

Vor dem Hintergrund dieser Tatsache wollten die Kollegen meiner Fraktion nicht dazu beitragen, daß die in dieser Frage besonders sensible Öffentlichkeit weiteren Anlaß zur Kritik am Bundestag, an uns, hätte.
Wir haben uns in der CDU/CSU — wie ich finde, folgerichtig — deshalb auch dazu entschieden, keinen neuen Beschluß über die Sitzordnung und damit zu diesem Gruppenantrag zu fassen. Wir bleiben bei unserer Entschließung vom Mai letzten Jahres. Wir bleiben dabei, daß wir in der Frage der Plenarsaalgestaltung damit keine Verpflichtung oder Bindung unserer Kollegen in der Fraktion durch einen Fraktionsbeschluß zu diesem Gruppenantrag vornehmen wollen.
Ein Teil — das will ich hier offen sagen — der Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird daher aus Überzeugung mit den Antragstellern des Gruppenantrags für eine Änderung der Sitzordnung stimmen. Ein anderer Teil — ich gehöre zu denen — wird entgegen seiner ursprünglichen Überzeugung für eine Wiederherrichtung des Plenarsaals in herkömmlicher Form, nicht mehr für eine Änderung der Sitzordnung heute stimmen, und zwar entweder, weil er meint, wenn ein Beschluß einmal gefaßt worden ist, solle man sich daran halten,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

oder weil er der Auffassung ist, daß die Kostensteigerungen und die Bauverzögerung nicht hinzunehmen seien.
Aber — und auch das will ich sagen — ein großer Teil meiner Fraktion wird aus innerer Überzeugung wie beim letztenmal für die kreisrunde Anordnung auf Grund des früheren Beschlusses und damit gegen den Gruppenantrag stimmen.

(Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Für den Gruppenantrag?)

— Entschuldigung, Herr Kollege Hornhues, nicht für den Gruppenantrag. Auch Sie sind doch für die kreisrunde Anordnung.

(Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Ich nicht! Ich bin für den Antrag!)

Wenn Sie für die kreisrunde Anordnung sein sollten, müßten Sie den Gruppenantrag ablehnen.

(Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Jetzt verwirrt er schon wieder mit Absicht!)




Bohl
Der Gruppenantrag sieht vor, den Beschluß über die kreisrunde Anordnung aufzuheben. Also die Kollegen, die für die kreisrunde Anordnung sind, müssen den Gruppenantrag ablehnen. Nur das wollte ich anmerken.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal deutlich sagen, daß wir uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion weiterhin an den Beschluß des Bundestages vom Juni vergangenen Jahres gebunden fühlen,

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

nach dem die Altbauten des Bundestages erhalten und Neubauten nur in dem unbedingt notwendigen Umfang und in richtiger funktionaler Anbindung an die Altbauten vorgesehen werden sollen. Ich glaube, dies festzustellen ist wichtig, weil durch uns als CDU/ CSU eine Kostensteigerung vermieden werden soll, soweit das irgendwie vertretbar ist. Wir sind nicht bereit — das darf ich insbesondere auch an den Präsidenten des Deutschen Bundestages gerichtet sagen — , uns bei den weiteren Neubaumaßnahmen von ähnlichen Preissteigerungen überraschen zu lassen, wie das in den letzten Monaten der Fall war. Insbesondere wollen wir das nicht aus den Medien erfahren, ohne daß die zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages vorher unterrichtet worden wären.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Unsere Kollegen im Haushaltsausschuß werden deshalb auch von der Bauverwaltung und dem Architektenbüro eine qualifizierte Aufschlüsselung der Kosten für den Plenarbereich, Herr Präsident, verlangen und dabei die Kosten auch in angemessener Weise drücken. Wir gehen jedenfalls davon aus, daß die Kosten nunmehr unter 200 Millionen DM gehalten werden können. Wir wollen auch, daß überzogene Forderungen jetzt noch vermieden werden.
Eine allerletzte Bemerkung: Den weiteren wirtschaftlich notwendigen Neubaumaßnahmen, z. B. dem Schürmannbau, stehen wir unverändert positiv gegenüber. Zur Zeit werden Mietpreise bis zu 23 DM pro Quadratmeter gezahlt. Insgesamt zahlt der Deutsche Bundestag 10 Millionen DM pro Jahr an Miete. Wir sind in über 70 Liegenschaften untergebracht. Das ist weder für die Abgeordneten noch für unsere Mitarbeiter vertretbar. Deshalb sind wir der Meinung, daß wir in angemessener Weise neu bauen müssen.
Wir fordern auch die Medien auf, zu einer Versachlichung dieses Themas beizutragen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Ich glaube, das wäre ganz wichtig; denn mancher Vergleich, den man zwischen der Unterbringung von Abgeordneten des Deutschen Bundestages und der Unterbringung in manchen Redaktionen der öffentlich-rechtlichen Anstalten oder sonstiger Printmedien anstellen kann, fällt sicherlich nicht zugunsten des Deutschen Bundestages aus. Das sollten wir auch einmal deutlich sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Das war der beste Teil Ihrer Rede!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden deshalb dazu beitragen, daß in verantwortungsbewußtem Umfang weitergebaut werden kann und die Kosten in vertretbarer Höhe gehalten werden. Wir bitten Sie, Herr Präsident, mit dazu beizutragen, daß wir in dieser Frage, die in der Öffentlichkeit sehr penibel verfolgt und beobachtet wird, dafür sorgen, daß das Ansehen des Parlaments nicht durch unverantwortliche Kostensteigerungen geschädigt wird.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110017600
Das Wort hat Herr Abgeordneter Häfner.

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1110017700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe bei dieser Debatte den Eindruck: Jeder blamiert sich, so gut er kann.

(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

— Herr Mischnick, nachdem dieses kaum mehr glaubliche Hin und Her — zuerst zur Abbruchentscheidung, dann zur Bauentscheidung und zu der Frage, wieviel Eingänge und für wen und ob vielleicht für jeden Abgeordneten ein eigener Eingang und vielleicht ein besonderer für den Präsidenten eingebaut werden sollte — zusammen mit dem Problem der Sitzordnung nun wirklich jahrelang zur Erheiterung der Bevölkerung und zur Verzweiflung des Architekten beigetragen hat, kommen Sie nun wieder mit einem neuen Antrag, der in meinen Augen übrigens ein alter ist, über den der Deutsche Bundestag schon vor einem Jahr entschieden hat. Wem das nicht paßt, der kann entweder sagen, wir haben damals geschlafen oder wir waren zu wenige; aber so war das eben.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Bohl [CDU/CSU]: Ihr wart gar nicht da; wo waren Sie denn? — Zuruf von der FDP: Wo waren Sie damals?)

Die Mehrkosten von 5 bis 6 Millionen scheinen bei dieser Frage offenbar überhaupt keine Rolle mehr zu spielen, da sie ja auch weiter nicht ins Gewicht fallen angesichts der Milliarden für den Jäger 90 oder angesichts der Milliarden, die Sie den Bürgern aus der Tasche ziehen für die Steuerreform oder für die Gesundheitsreform usw.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110017800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bohl.

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1110017900
Bitte.

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1110018000
Herr Kollege Häfner, können Sie mir sagen, wo Sie bei der Abstimmung im Juli vergangenen Jahres waren?

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1110018100
Unsere Fraktion hat diese Frage schon damals nicht für die Schicksalsfrage der Nation gehalten, sondern z. B. die Frage der Lagerung atomarer und chemischer Waffen in der Bundesrepublik. Unsere Fraktion war damals in Geilenkirchen vor einem Raketendepot. Wir haben Ihnen das damals auch mitgeteilt. Nichtsdestotrotz haben wir seinerzeit auch hier unsere Auffassung vertreten, und das tue ich auch heute.



Häfner
Von den Gründen, die Herr Mischnick genannt hat, hat mich kein einziger überzeugt. Ich fand sie im Gegenteil eher verworren. Herr Mischnick, um Ihnen das zu sagen: Wir waren damals als Fraktion — wobei ich gleich dazusage, daß wir diese Abstimmung auch heute für jeden Abgeordneten freigegeben haben, wie das in einer Fraktion, die den Fraktionszwang ablehnt, ohnehin selbstverständlich ist — , gegen den Abriß.
Nur, Herr Mischnsick, inzwischen ist abgerissen, und das muß man einfach einmal als Tatsache zur Kenntnis nehmen. Die Politik sollte die Realitäten zur Kenntnis nehmen. Wer also jetzt sagt, wir hätten damals anders entscheiden sollen, der kommt mindestens ein Jahr zu spät.
Und wenn Sie, Herr Mischnick, jetzt am Ende Ihrer Rede sagen, „dieses Bild, das den Zuschauern über Jahrzehnte vermittelt wurde", sollte auch erhalten bleiben, so staune ich erst einmal über das Wort „Zuschauer". Die Bürger sollten in dieser Demokratie mehr sein als nur Zuschauer — obwohl Rudolf Wassermann sein Buch über die Demokratie in diesem Lande zu Recht mit „Zuschauerdemokratie" überschrieben hat; denn sehr viel mehr Rechte, als alle 4 Jahre ihre Stimme abzugeben und ansonsten zuzuschauen, haben die Leute ja bisher tatsächlich nicht.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Ihr macht doch die Schau!)

Das Bild, an das sie denken, aber kann den Bürgern gar nicht erhalten bleiben, weil der alte Plenarsaal abgerissen ist, das Bild ist weg! Und seien wir ehrlich: Die eigentliche Frage, um die es geht, ist doch: Wer darf in der ersten Reihe sitzen? Gibt es dort genügend Plätze? Dazu muß ich sagen, ich kann mir Wichtigeres vorstellen. Nicht immer korreliert das Sitzen in der ersten Reihe sozusagen unmittelbar mit der Qualität der Beiträge oder Argumente. Viele sitzen auch in der ersten Reihe und haben nichts zu sagen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Was Herr Conradi über die Rotation gesagt hat, könnte ja eine Lösung sein. Solange sich das auf die Sitzplätze bezieht, ist das, meine ich, keine Zumutung.
Es gibt ja einen Vorschlag in dieser Sache. Der für seine Klugheit in solchen Fragen bekannte, für seine Weitsicht auch über die Landesgrenzen hinaus berühmte Abgeordnete Mirscheidt hat schon eine Lösung gefunden, die erlauben würde, daß alle Abgeordneten einschließlich der Vertreter des Bundesrates
— die ich in solcher übrigen Zahl noch nie hier gesehen habe und deswegen besonders herzlich begrüße — und der Vertreter der Bundesregierung
— die wie immer spärlich anwesend sind —, daß alle die Herren und wenigen Damen in der ersten Reihe sitzen können. Man bräuchte hierfür nur ein großes Stadion zu bauen — das böte dann auch die Möglichkeit der Bandenwerbung — , und da könnten dann alle in der ersten Reihe sitzen und sich über den Platzlautsprecher verständigen.
Ich denke, verehrte Antragsteller, wir sollten nicht unbedingt nur zur Erheiterung der Bevölkerung beitragen, auch zum Erkenntnisgewinn.
Wir sollten den Bürgern deshalb z. B. einmal erzählen, daß der Bundestag in einer ehemaligen Pädagogischen Hochschule und zu weiteren Teilen per Mietvertrag bei der Allianz-Versicherung untergebracht ist. Ich finde beides — das wurde nie ausreichend gewürdigt — sehr sinnig und durchdacht. Während die Pädagogische Hochschule den wahren Zweck eines Teils dieser Veranstaltung deutlich macht, nämlich eine Art höhere Bildungsanstalt im wesentlichen für Lehrer zu sein, symbolisiert der Mietvertrag mit der Allianz ein Stück die Macht- und Wirklichkeitsverhältnisse in unserem Land.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bei vielen politischen Entscheidungen der Mehrheit dieses Hauses und auch der Regierung kann man ja auch nur sagen: Hoffentlich Allianz-versichert.

(Conradi [SPD]: Bandenwerbung! — Zuruf von der SPD: Schleichwerbung! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Ich werde nachher meine Kontonummer bekanntgeben.
Eigentlich müßte dieser Mietvertrag auch unter das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz fallen. Aber das haben Sie ja gerade abgeschafft. Nun, wir zahlen die Miete ja sowieso nicht aus unserer Tasche.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Bei Ihnen hat die Hochschule aber nichts genützt!)

Während das Regierungsviertel in Bonn — auch das sollte man vielleicht einmal erwähnen — ohnehin von einer architektonischen Armseligkeit geprägt ist, wie ich sie sonst in anderen Städten selten erlebt habe

(Beifall bei den GRÜNEN)

— und jede aufgestellte architektonische Zigarettenschachtel, die dazukommt, macht das noch schlimmer — , streiten Sie hier über die Form der Sitzordnung und halten das für die zentrale Frage.
Ich möchte Ihnen deutlich sagen: Ein Stück dessen, worüber wir debattieren, hängt ja auch damit zusammen, daß dieses Gebäude und das Ganze damals als Provisorium gedacht waren. Die FDP hat einen Weg gefunden, das Provisorium aufrechtzuerhalten, indem man so lange Anträge stellt, daß nicht weitergebaut werden kann, bis die Lücke sozusagen zum Prinzip geworden ist.
Diesen Mut zur Lücke — wir haben ja jetzt ein Loch hier; das läßt tief blicken — , denke ich, sollte man dann auch gleich radikal sehen. Warum schaffen wir nicht zusätzlich zum Parlament — wenn Sie mir diese Idee einmal erlauben — mitten in Bonn, also zwischen den Regierungsgebäuden, den Ministerien, den Häusern des Bundestages und des Bundesrates einfach einen Platz zur Verwirklichung öffentlicher Ideen, einen Platz, auf dem man — ein bißchen salopp gesagt — Birnen verhökern, Blümchen verkaufen, Kohl verkloppen könnte, aber auch einen Platz als Ort der Begegnung für Bürgerinnen und Bürger, eine Art freies Parlament für Bürgerinitiativen und Verbände, einen Ort des Protestes, des Dialoges und des Nachdenkens über die Beteiligung der Bürger an den politischen Entscheidungen? Ich fände das sehr sinnvoll, da wir ja umgeben sind von Häusern nicht nur der



Häfner
genannten Institutionen, sondern auch von den Sitzen der Lobbys von Asbest und Atom bis hin zu Zeitungsverlegern und Zahnärztekammer.
Ich will zum Ende noch ein ernstes Wort sagen. Raumgestaltung ist allerdings mehr als ein simples Gehäuse, als der bloße Schutz gegen Regen und Wind oder schlicht die ökonomischste Form, die übliche Masse an Beton und Stahl in eine Ordnung zu bringen. Vielmehr hat und entwickelt der Mensch ein Verhältnis zu dem Raum, in dem er lebt und arbeitet. Insofern ist die architektonische Armut in Bonn auch Ausdruck dessen, was in diesen Häusern geschieht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Umgekehrt ist, nachdem der Plenarsaal inzwischen abgerissen ist und wir einen neuen bauen können und müssen, die Entscheidung über die Gestaltung dieses Raumes auch ein Ausdruck von Bewußtsein, von Selbstverständnis des Parlaments und von Demokratieverständnis. Hier bin ich allerdings ganz entschieden der Meinung: Was wir an diesem Ort wollen, das sind Debatten, nicht Monologe. Das heißt, ich habe ein elementares Interesse daran, daß dieser Raum anders ist und daß hierin lebendiger gesprochen wird, daß auch vom Platz aus gesprochen werden kann, daß nicht immer nur Beiträge gehalten werden, zu denen dann die Lager so, wie sie eben sitzen, quasi vorbestimmt im Block klatschen oder Buh rufen, sondern daß sich mehr Dialog entwickelt.
Ein Raum kann das nicht schaffen — das ist klar —, das müssen wir selber schaffen. Aber ein Raum kann uns hierbei ein Stück weit unterstützen.
Insofern kann ich die Angst vor dem runden Plenarsaal nur schwer verstehen. Ich finde es nur wenig erträglich, hier in den Debatten immer quasi als Zuschauer zu sitzen und nichts anderes anstarren zu müssen als neben dem geschätzten Präsidium und den genannten Herren links und rechts davon diese mit den Jahren immer fetter gewordene Henne, die mich erschlägt und die jeden bedroht, der hier sitzt; aber diese soll ja offenbar auch in den Neubau mitgeschleppt werden.
Ich fände es sinnvoll, wenn man sich quer über die Reihen und durch die Fraktionen in den Debatten auch ins Gesicht gucken könnte, wenn man vom Platz aus reden könnte, wenn hier mehr und offenere Dialogsituationen entstünden.
Noch einmal: Das kann ein Raum nicht schaffen, aber er kann es unterstützen. Deswegen spreche ich mich sehr deutlich, nachdem wir nun den Plenarsaal abgerissen haben, für eine runde Sitzordnung aus.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110018200
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär, Herr Echternach.

Jürgen Echternach (CDU):
Rede ID: ID1110018300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat im Juni vergangenen Jahres mit großer Mehrheit beschlossen, den alten Plenarsaal nicht zu
sanieren, sondern neu zu bauen. Der Bundestag hat weiter mit knapper Mehrheit beschlossen, eine kreisrunde Sitzanordnung zu wählen, und er hat sich gegen das traditionelle Erscheinungsbild im Plenarsaal entschieden.
So, wie damals beschlossen wurde, ist die Planung inzwischen zu Ende geführt und mit dem Neubau begonnen worden. Gegenwärtig wird das Kellergeschoß für den Plenarbereich und das Eingangsbauwerk erstellt — wie man es von der Görresstraße aus gut beobachten kann.
Auf dieser Basis ist der Rohbauauftrag erteilt worden. Ihm schließt sich der Stahlbauauftrag an. Er ist ausgeschrieben worden, und er kann erteilt werden, sobald der Haushaltsausschuß die Beratung der Baunachträge abgeschlossen hat.
Das Bauvorhaben liegt insofern im Terminplan, den der Bundesbauminister vor Beginn der Rohbauarbeiten im März dieses Jahres dem Präsidenten des Bundestages mitgeteilt hat. Nach diesem Terminplan sollen die Bauarbeiten im Frühjahr 1991 abgeschlossen werden. Für die Einrichtung werden weitere drei Monate benötigt, so daß der neue Plenarsaal 1991 nach der Sommerpause in Betrieb genommen werden kann.
Der Präsident des Bundestages hat damals in der Debatte vom Juni letzten Jahres, die Hoffnung ausgedrückt, daß mit jener Entscheidung auch die Unsicherheit über die Bauabsichten des Bundestages beendet sein mögen.
Inzwischen wissen wir, daß sich im Hinblick auf die architektonische Gestaltung des Plenarsaals, insbesondere die Sitzordnung, seine Hoffnung nicht erfüllt hat. Hierüber ist weiterhin kontrovers diskutiert worden. Der Architekt hat wunschgemäß weitere Alternativen entworfen.
Vom Bauablauf her ist eine Änderung der Sitzordnung so, wie sie der vorliegende Antrag zum Ziel hat, durchaus noch möglich. Durch eine Änderung wären bisher getätigte Investitionen auch nicht verloren. Allerdings sind Mehrkosten in einer Größenordnung von 4 bis 5 Millionen DM zu erwarten. Außerdem würde eine Bauverzögerung von etwa neun Monaten eintreten.
Die Bundesbaudirektion hat die Auswirkungen im einzelnen durch ein gesondert eingeschaltetes Büro für Kosten- und Zeitplanung ermitteln lassen. Nach den Aussagen dieser Fachleute müßte der Plenarsaal neu geplant werden. Die Öffnung für das Lichtdach läge bei der Änderung der Sitzordnung nicht mehr im Schwerpunkt des Raumes und müßte entsprechend verschoben werden. Ebenso müßte das Stützensystem teilweise verschoben werden, wenn nicht schwerwiegende Nachteile in Kauf genommen werden sollen. Die Statik müßte also in Teilbereichen neu erarbeitet werden.
Das hätte Konsequenzen auf den bereits jetzt in Ausführung befindlichen Rohbau. Die neue Stützengestaltung müßte auch im Kellergeschoß berücksichtigt werden. Weiterhin müßte die rückwärtige Wand des Plenarsaales, die Adlerwand, verschoben werden, und die seitlichen Wandelgänge würden enger, als



Parl. Staatssekretär Echternach
bisher geplant. Schließlich müßten die Rundfunk- und Fernsehkabinen neu angeordnet werden.
Dies hat u. a. eine Neuplanung für die technischen Installationen zur Folge. Die Ausführungsplanung für den Plenarsaal müßte insgesamt überprüft und neu erstellt werden. Die baulichen Änderungen müßten in einem Nachtrag zur Haushaltsunterlage erfaßt werden, und das bauordnungsrechtliche Zustimmungsverfahren müßte auch insofern neu eingeleitet werden.
Von den Mehrkosten entfallen knapp 2 Millionen DM auf Honorare für die Umplanungen durch die Architekten, Tragwerksplaner und Fachingenieure für Haustechnik. Etwa 1 Million DM entfiele auf Entschädigungen für den Stillstand auf der Baustelle bei den beauftragten Firmen und auf Lohnmehrkosten für verlängerte Bauzeit.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Mischnick bezahlt das!)

Etwa anderthalb Millionen entfielen auf Änderungen des konstruktiven Rohbaus.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Oder Lambsdorff!)

Selbstverständlich sind all diese Zeit- und Kostenangaben mit einer gewissen Unsicherheit behaftet. Sie beruhen auf vorsorglich eingeholten Stellungnahmen der eingeschalteten Architekten und Sonderfachleute. Endgültige Aussagen können erst erwartet werden, wenn die Architekten und Sonderfachleute förmlich beauftragt werden, die Planung zu ändern, die Änderungen in allen Einzelheiten konkret durchzuplanen und die Änderungskosten dann genau zu erfassen.
Es ist nun der Bauverwaltung vorgehalten worden, sie habe den Eindruck erweckt, eine Änderung der Sitzordnung sei ohne großen Aufwand jederzeit möglich. Dieser Vorwurf trifft nicht zu. Jede Planung braucht nun einmal eindeutige Vorgaben. Das gilt erst recht für die Ausführungsplanung. Sie kann nicht alternativ erstellt werden. Sie kann nur die Lösung erfassen, die letztendlich beschlossen wurde und zur Ausführung kommen soll. Dies war nun einmal die kreisrunde Gestaltung des Plenarsaals.
Bereits im Februar dieses Jahres hat der Bundesminister dem Präsidenten des Deutschen Bundestages mitgeteilt, daß zwar für unterschiedliche Detaillösungen innerhalb einer kreisrunden, abgesenkten Sitzordnung noch Zeit sei, daß aber mit dieser Planung eine Sitzordnung nicht vereinbar sei, wie sie beispielsweise die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in ihrer Entschließung vom 19. Mai letzten Jahres vor Augen hatte. Der Minister schreibt:
Eine Rückkehr oder auch nur weitgehende Annäherung an die überkommene Sitzordnung mit ebenem Saalboden würde eine neue Planung und eine Stillegung der Baustelle notwendig machen.
Soweit der Bundesbauminister schon am 10. Februar!
Genau das, was der Bauminister damals als notwendige Konsequenz vorausgesagt hat, würde eintreten, wenn der vorliegende Antrag jetzt eine Mehrheit
fände; denn der Antrag will ja keine unterschiedliche Detaillösung, sondern eine ganz andere Gestaltung.
Eine problemlose Abkehr vom Beschluß von Juni letzten Jahres war vielleicht noch Anfang dieses Jahres möglich. Heute hat sie Konsequenzen für Bauablauf und Kosten. Je später diese Abkehr erfolgt, um so höher sind auch die Kosten. Deswegen ist es kein Widerspruch, Herr Kollege Mischnick, wenn Sie hier die Divergenz zwischen den im Juni mitgeteilten Kosten von 1 Million und den jetzt mitgeteilten Kosten von 4 bis 5 Millionen registrieren; denn zwangsläufig sind die Kosten in der Zwischenzeit höher geworden.

(Mischnick [FDP]: Das haben wir nicht zu verantworten!)

Die Planungskosten sind zwangsläufig wesentlich höher geworden. Die Bauausführung ist weiter fortgeschritten; sie würde nun konstruktive Ergänzungen und Änderungen erfordern. Die Baustelle müßte teilweise stillgelegt werden; nur im Eingangsbereich könnten die Arbeiten fortgeführt werden.
Auch die Behauptung, die Bauverwaltung habe unzulänglich informiert, ist nicht richtig. Dieser Vorwurf trifft nicht zu. Es ist immer ausreichend, rechtzeitig und zuverlässig informiert worden. Es sind keine Mitteilungen zurückgehalten worden. Zur Vorbereitung der Beratungen in den Fraktionen sind schon im April 1984 jedem Mitglied dieses Hauses die Auswirkungen der unterschiedlichen Planungen in einer Broschüre vorgelegt worden. Die beiden großen Fraktionen haben sich dann im Mai 1984 für die kreisrunde Sitzordnung ausgesprochen. Auf dieser Basis ist die Haushaltsunterlage in Auftrag gegeben worden.
Ein zweites Mal sind alle Mitglieder des Bundestages durch eine Dokumentation von Juni 1986 informiert worden. In dieser Dokumentation ist die kreisrunde Sitzanordnung ausführlich dargestellt worden, und zwar neben einer Alternative, die dem traditionellen Erscheinungsbild entspricht. Die Pläne für eine kreisrunde Sitzordnung waren also weder geheim, noch wurden sie ohne ausdrückliche Billigung der beiden großen Fraktionen und des Ältestenrates entwickelt. Jeder hat sich vor der Entscheidung am 5. Juni über die Planung informieren können.

(Conradi [SPD]: So ist es!)

Unzutreffend ist auch die Behauptung, daß über die Kosten nicht rechtzeitig informiert worden sei. Ich bin dafür dankbar, daß auch der Kollege Conradi ausdrücklich gesagt hat: Darüber sollte in einer gesonderten Debatte mit dem Bauminister selbst diskutiert werden. Ich kann nur — weil dieser Vorwurf hier auch von anderen Kollegen erhoben worden ist — feststellen: Der Grund für die eingetretenen Kostenerhöhungen liegt in dem fehlenden Redaktionsschluß, nicht in irgendeiner Täuschung.

(Bohl [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)

— Genau das stimmt für die Kosten der Planung, Herr Kollege Bohl.

(Bohl [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)

Was immer übersehen wird, ist folgendes. Es handelt
sich ja nicht um den Neubau nur eines Gebäudes,



P
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1110018400
den Neubau des Plenarsaals, den Neubau des Eingangsbauwerks, den Neubau des Anbaus für den Präsidenten, den Neubau des Anbaus für die Vizepräsidentin und das Restaurant.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110018500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Jürgen Echternach (CDU):
Rede ID: ID1110018600
Bitte.

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1110018700
Herr Staatssekretär, finden Sie es nicht überraschend, zumindest für einen Laien wie mich, daß die Tatsache, daß wir den Wunsch geäußert haben, das Eingangsbauwerk kleiner zu gestalten, nicht zu Kostensenkungen, sondern zu Kostensteigerungen geführt hat?

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)


Jürgen Echternach (CDU):
Rede ID: ID1110018800
Herr Kollege Bohl, Sie haben recht. Es war ja ein Vorschlag des Architekten und der Bauverwaltung, ein Geschoß herunterzunehmen, statt dreigeschossig zweigeschossig zu bauen. Wenn man nur dies getan hätte, hätte das eine Kostensenkung von rund 3 Millionen DM gebracht. Das entscheidende Problem war, daß der Bundestag nicht bereit war, sein Raumprogramm entsprechend zu reduzieren. Der Bundestag hat auf dem gleichen Raumprogramm bestanden wie bei dem ursprünglich vom Architekten geplanten dreigeschossigen Bau. Das bedeutete, es mußte das bisherige dritte Stockwerk in den Keller verlagert werden. Auf diese Weise ist es zu Mehrkosten gekommen, denn ein Geschoß in den Keller zu verlagern, ist natürlich teurer als ein drittes Obergeschoß. Dort liegt der Grund für die Kostensteigerung beim Eingangsbauwerk, Herr Kollege Bohl.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben im übrigen die gesamte Kostenentwicklung sehr detailliert dem Haushaltsausschuß in mehreren Vorlagen unterbreitet. Der Haushaltsausschuß beschäftigt sich zur Zeit sehr genau mit allen diesen Punkten.
Lassen Sie mich abschließend ausdrücklich feststellen: Die Bauverwaltung hat ein hohes Interesse daran, die Bauvorhaben des Deutschen Bundestages sorgfältig und zuverlässig abzuwickeln. Die Bauverwaltung hat keinen eigenen gestalterischen Ehrgeiz bei diesem Bauvorhaben. Sie ist vielmehr bemüht, exakt das umzusetzen, was von den zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages beschlossen wird.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110018900
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Weyel.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ist sie auch für kreisrund oder für vernünftig?)


Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID1110019000
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese ganze Debatte ist, glaube
ich, kein Ruhmesblatt der Geschichte dieses Parlaments.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜNEN)

Wenn ich höre „Sind Sie für kreisrund oder für vernünftig?", finde ich das schon eine sehr eigenartige Alternative. Ich halte kreisrund für sehr vernünftig.

(Zuruf von der CDU/CSU: Kann ich überhaupt nicht einsehen!)

Ich fühle mich bestätigt durch die Kollegen in den Landtagen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, die sich sehr bewußt für die kreisrunde Lösung entschieden haben. Soweit meine Nachfragen das ermitteln konnten, sind die Kolleginnen und Kollegen dort ganz zufrieden damit. Auch in Straßburg haben wir eine runde Sitzanordnung.

(Dr. Vogel [SPD]: Europa ist rund!)

Ich habe noch nicht gehört, daß die Verhandlungen des Parlaments dadurch entschieden schlechter wurden.

(Dr. Vogel [SPD]: Richtig! — Beifall bei der SPD)

Ich gebe allerdings — dies sage ich an den Bundesrat gerichtet — zu, daß uns von den Landtagen eines unterscheidet: Keines dieser Parlamente hat außer Regierung und Parlament noch ein weiteres Organ, das im Plenum Platz findet. Wir haben als weiteres Organ den Bundesrat. Das macht die Debatte manchmal sicherlich etwas schwieriger.
Aber ich denke, die vorgelegte Lösung zeigt, daß der Bundesrat einerseits zu dem Ganzen der Bundesrepublik gehört, daß er sich aber andererseits sowohl von der Bundesregierung wie auch vom Bundestag unterscheidet.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Zu der grundsätzlichen Diskussion ist, glaube ich, schon genug gesagt worden. Vor einem Jahr war diese Grundsatzdiskussion richtig und angemessen und notwendig. Ich habe auch Verständnis dafür, daß nach einem knappen Abstimmungsergebnis die unterlegene Gruppierung versucht, durch nochmalige Debatte und nochmalige Abstimmung eine Reparatur zu erreichen. Die Frage ist nur: Wann soll das geschehen? Herr Mischnick, Sie haben von den Zufällen gesprochen. Ich bin dankbar, daß Sie keine anderen Ausdrücke dafür benutzt haben. Ich denke, es ist auch dann, wenn ich nicht am Rednerpult stehe, sondern auf meinem Platz sitze, gar nicht schlecht, wenn ich auch die Kollegen von der FDP und die Kollegen von der CSU ansehen kann; denn das fördert doch das Miteinander. Das spricht eigentlich in sehr starkem Maße für die runde Sitzordnung. Wenn ich die Frau Kollegin Hamm-Brücher anschaue, meine ich, daß die Frage der Parlamentsreform und die Frage einer anderen Sitzordnung im neuen Plenarsaal sehr wohl etwas miteinander zu tun haben, da auch die Sitzordnung das miteinander Umgehen im Parlament symbolisieren kann.
Vorhin wurde für den alten Plenarsaal die Bezeichnung „Hörsaal" benutzt. Man könnte auch „Schulzimmer" sagen. Wenn ich mir die moderne Pädagogik



Frau Weyel
ansehe, dann stelle ich fest, daß die Schulen inzwischen längst zu einer anderen Sitzordnung übergegangen sind. Es gilt meistens als sehr altertümlich, wenn jemand noch den sogenannten Frontalunterricht macht. Ich meine, es ist auch für die Redner des Bundestages schöner, wenn sie ihre Kollegen rundum sitzen haben.

(Beifall bei der SPD)

Nachdem nun seit der Zustimmung zu der runden Sitzordnung über ein Jahr vergangen ist, haben wir eine andere Situation als vor einem Jahr. Deshalb hat mich auch eine ganze Reihe von Kollegen meiner Fraktion, die damals gegen die runde Sitzordnung und für die Erhaltung des alten Zustandes gestimmt haben, gebeten, hier für sie zu erklären, daß sie in dieser veränderten Situation nicht noch einmal eine Neuplanung, eine Umplanung haben wollen, sondern daß sie nun der vor einem Jahr getroffenen Mehrheitsentscheidung zustimmen werden, und zwar nicht nur, weil sie all die Schwierigkeiten in der Sache sehen — Herr Echternach hat das ja deutlich gemacht — , sondern auch deshalb, weil sie der Meinung sind, daß es der Würde dieses Hauses entspricht, wenn man sich mit einer Mehrheitsentscheidung abfindet und sich dann damit einverstanden erklärt.

(Beifall bei der SPD — Unruhe)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110019100
Frau Kollegin, einen Moment bitte! Meine Damen und Herren, ich bitte etwas ruhiger zu sein. Man kommt mit seiner Stimme kaum durch. Ich bitte die Herren Kollegen, Platz zu nehmen oder nach draußen zu gehen, wenn sie sich unterhalten wollen. — Bitte, Frau Kollegin!

Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID1110019200
Ich darf Sie daher alle miteinander bitten, nicht wieder die Frage aufzuwerfen, ob nun der einzelne Sitz so oder anders sein könnte, sondern einfach in dem Sinne zu entscheiden: Wir haben im Juni 1987 eine vernünftige Entscheidung getroffen, die nicht allen gefällt, die aber von der Mehrheit der damals Anwesenden — das sage ich ausdrücklich — so getroffen worden ist. Auf Grund dieser Entscheidung sind zahlreiche Maßnahmen ergriffen worden, und vieles ist in Gang gesetzt worden. Nachdem wir da schon Fakten geschaffen haben, sollten wir uns so verhalten, wie es in dieser Situation das einzig Vernünftige ist, nämlich so weitermachen, wie wir begonnen haben, damit wir in absehbarer Zeit wieder einen Plenarsaal haben, in dem auch die Debatten einfacher sind, weil der Geräuschpegel kurz vor einer Abstimmung nicht so hoch ist, wie das hier der Fall ist. In diesem Sinne bitte ich das zu unterstützen, was hier als Vernunftlösung gelten kann, nämlich den Bau nicht zu unterbrechen, sondern damit fortzufahren, damit wir uns möglichst bald in dem neuen Plenarsaal heimisch fühlen können.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110019300
Das Wort hat der Staatsminister Martin (Rheinland-Pfalz).

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1110019400
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich hielte es für unangemessen, wenn sich bei dieser Frage, die auch den Bundesrat in entscheiden-
der Weise betrifft, kein Mitglied des Bundesrates zu Wort meldete. Ich möchte all dem, was hier vorgetragen worden ist, nur wenige Gedanken beifügen, weil ich mich natürlich nicht auf die Diskussion einlassen werde, die zu den Beschlüssen geführt hat, die heute hier in Rede stehen.

(Urbaniak [SPD]: Sehr weise!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, aber ich möchte doch darauf hinweisen, daß man — hier sind alle Mitglieder des Bundesrates übereinstimmender Meinung — die Verhältnisse, wie sie sich in den Landtagen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen darstellen, nicht einfach auf die Frage, wie der Plenarsaal des Deutschen Bundestages zu gestalten sei, übertragen kann. Die entscheidende Frage — entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, daß ich das aus der Sicht des Bundesrates hier doch anfüge — , vor der der Deutsche Bundestag steht, wenn er über die künftige Gestalt seines Plenarsaales entscheidet, ist, wie und in welcher Weise er in dieser Gestaltung der Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland ein Bundesstaat ist, gerecht werden will und ihr Ausdruck verleihen möchte.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110019500
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Conradi?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1110019600
Selbstverständlich.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1110019700
Herr Staatsminister, war diese Frage für Sie nicht schon vor zehn Jahren entscheidend, oder warum hat Ihr Ministerpräsident, der damalige Präsident des Bundesrates, ausdrücklich der kreisrunden Sitzordnung mit der Aufteilung, wie wir sie vor einem Jahr beschlossen haben, zugestimmt,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

und warum haben Sie hier nicht vor einem Jahr widersprochen?

(Zustimmung bei der SPD — Dr. Vogel [SPD]: Gute Frage!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1110019800
Ich halte es nicht für möglich, jetzt Archivstudien im Blick auf die zurückliegenden zehn Jahre zu betreiben, aber eine Anmerkung darf ich machen. Zum erstmöglichen Zeitpunkt, in dem der Bundesrat über die Beschlüsse des Bundestages informiert wurde, hat der Bundesrat über diese Frage diskutiert. Er hat keinen abschließenden Beschluß gefaßt, sondern er hat sich eine Meinung gebildet und den Herrn Bundesratspräsidenten gebeten, diese Meinung hier mitzuteilen. Ich kann nur von dieser Tatsache ausgehen und wollte heute hier unseren Standpunkt darlegen, weil ich meine, daß dieser Gesichtspunkt im Deutschen Bundestag nicht unerwähnt bleiben sollte.
Ich denke, daß der Hinweis erlaubt ist, daß ein Parlament bei der Gestaltung seines Plenarsaals der Verfassungswirklichkeit, in der wir leben, Ausdruck geben will, daß von daher die Frage der Zuordnung des Bundesrates in der äußeren Gestaltung mit ein Gesichtspunkt sein sollte, und daß man dem Bundesrat und seinem Votum sicher nicht gerecht wird, wenn



Staatsminister Martin (Rheinland-Pfalz)

man ihm Gedanken des Neides — wer in der ersten Reihe sitzt — als entscheidendes Motiv unterstellt. Darauf hinzuweisen halte ich angesichts der Debatte am heutigen Tage doch für richtig.

(Beifall bei der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110019900
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kansy.

Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU):
Rede ID: ID1110020000
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst darf ich meiner Freude darüber Ausdruck geben, daß Sie in so großer Zahl erschienen sind,

(Heiterkeit)

um diesem letzten Beitrag zuzuhören.

(Frau Weyel [SPD]: Es ist der vorletzte, Herr Kansy!)

Herr Kollege Mischnick, ich habe für Ihren Antrag großes Verständnis. Ich gehöre zu der Hälfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die im letzten Jahr mit praktisch den gleichen Argumenten hier knapp unterlegen sind. Ich teile auch nicht die Kritik der Medien, die den Deutschen Bundestag als Bauherrn in den letzten Wochen sehr pauschal lächerlich gemacht haben, weil er eine Entscheidung noch einmal überprüft. Meine Damen und Herren, Planungsänderungen gibt es auch woanders, aber woanders müssen auch die Bauherren dafür geradestehen. Deswegen spreche ich hier gegen Ihren Antrag, Herr Kollege Mischnick. Ich tue dies zwar im Respekt vor dem Wunsch einer Reihe von Kollegen, das charakteristische Erscheinungsbild des bisherigen Plenarsaals in etwa zu erhalten, aber ich sage das auch als jemand, der in den letzten Jahren vielleicht ein bißchen öfter, als wir das gemeinsam hätten machen sollen, das Ringen um diesen Weg miterlebt hat. Nach meiner Auffassung geht es deswegen nicht allein um einige Millionen DM Mehrkosten. Es geht auch nicht allein um einige Monate Bauzeitverlängerung. Es wäre ein weiteres Glied in einer Kette von Entscheidungen, bei denen wir uns als Parlament — das ist schon gesagt worden — in den letzten 15 Jahren nicht gerade mit Ruhm bekleckert haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin allerdings nicht der Auffassung, daß jeder Beschluß, der zu Mehrkosten führt, automatisch falsch ist. Wenn ich mir die Sendungen im Fernsehen, die Kommentare in vielen Zeitungen in den vergangenen Wochen ansehe, dann muß ich fragen: Besteht hier wirklich noch das richtige Verständnis für die Debatte um einen Bau, der letztlich doch das Herz der Republik ist? Wir waren als Deutscher Bundestag als Bauherr in den Nachkriegsjahren eher bescheiden als größenwahnsinnig. Dies lag nicht zuletzt daran, daß wir uns nicht dem Vorwurf aussetzen wollten, den Anspruch auf die Hoffnung, möglichst schnell wieder zu einem vereinigten Vaterland zu kommen, durch einen Bau vielleicht in der Qualität des Düsseldorfer Parlaments zu konterkarieren. Insofern war ein Planungsziel — wenn auch nie ausgesprochen — der Nachkriegsbauten immer, den provisorischen Charakter etwas zu erhalten. Aber, meine Kolleginnen und Kollegen, 43 Jahre nach dem Krieg ist dies jetzt
vorbei, ohne daß wir unsere Hoffnung aufgeben, in einem freien und vereinten Vaterland gemeinsam Politik gestalten zu können.
Ich sage bei allem Streit über „rund", „abgesenkt" oder „halbrund" noch einmal: Wir sollten bei dieser Debatte nicht vergessen, wir reden über das Herz dieser zweiten deutschen Demokratie. Wie soll eigentlich ein Bürger, der sich nur begrenzt für Politik interessiert und als Gast nach Bonn kommt, vermuten, wo die Macht in diesem Lande liegt, wenn er um sich herum moderne Ministerien und Kanzlerämter — jedem seien sie gegönnt — , moderne Verwaltungsbauten, Fernsehstudios von München bis Hamburg und Verlagshäuser an Stadträndern findet, aber hier in ein Parlament kommt — falls er den Eingang überhaupt findet — ,

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

wo er im Winter auf Sandsäcke trifft, weil sonst der Vater Rhein nämlich in unseren Keller läuft? Wir sollten den Mut haben, uns auch dazu zu bekennen. Räume zu bauen ist nicht nur eine Frage der Gestaltung, es ist ein Stück Selbstverständnis des Bauherren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wir brauchen uns nicht zu verstecken, wenn von uns lästerlich behauptet wird, wir suchten größenwahnsinnige Lösungen.
Dennoch — und das gehört zur Ehrlichkeit — : Hier ist heute ein mea culpa dieses Parlaments angesagt, was unsere eigenen Angelegenheiten betrifft. Aber, meine Damen und Herren, das mea maxima culpa sind nicht Kostenerhöhungen und sind nicht Planungsänderungen, sondern das ist nach meiner Auffassung vielleicht der Kleinmut, den wir 1981 bewiesen haben,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

als wir eine Lösung, die wir lange beraten haben und bei der wir übergroße Baumassen abgespeckt haben und dann endlich auf dem Papier hatten, zur Seite gelegt haben, weil dieselben Journalisten, die vielleicht heute gerade wieder über uns schreiben und senden, wir würden nicht wissen, was wir wollen, uns damals gesagt haben: Wenn ihr euer Parlament so baut, wie ihr wollt, dann versündigt ihr euch an den Finanzen dieses Staates. Es war ein wenig Kleinmut dabei.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Weil dies so war, weil wir seit der ersten Planung 1972 16 Jahre lang geplant und diskutiert haben, weil da draußen ein Loch ist, wo früher einmal unser alter Plenarsaal stand, und weil, wie die Bundesregierung sagt — ohne daß ich das im Detail hier überprüfen kann — , nicht nur wieder Mehrkosten, sondern auch eine Verlängerung der Bauzeit zu befürchten wären, bitte ich alle Kollegen bei vollem Verständnis für den Antrag — auch ich, wie gesagt, habe für die andere Lösung gestimmt —, heute zu sagen: Jetzt stehen wir zu unserer Entscheidung vom letzten Jahr. Jetzt sagen wir ja. Jetzt bauen wir weiter; denn dieser Raum ist



Dr.-Ing. Kansy
zwar ein Schmuckstück, aber auf Dauer kein Arbeitsplatz für unser Parlament.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110020100
Ich darf den letzten Redner dieser Debatte ankündigen, Herrn Abgeordneten Mischnick.

(Conradi [SPD]: Jetzt zieht er den Antrag zurück!)


Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID1110020200
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier ist von dem Abgeordneten Conradi gesagt worden, das Ansehen des Parlaments würde beschädigt, wenn wir über diese Frage noch einmal diskutieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich weise diese Anschuldigung zurück.


(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn dieses Parlament in eigener Sache noch einmal darüber redet, wie es sein eigenes Haus gestaltet, dann schädigt das nicht das Ansehen des Parlaments, sondern zeigt, daß wir uns Gedanken darüber machen, welche Lösung auf Dauer die bessere ist, nichts anderes.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Nächstes Jahr noch einmal! — Frau Adler [SPD]: Sie lassen so lange abstimmen, bis es Ihnen paßt!)

Frau Kollegin Weyel, Sie haben davon gesprochen, daß die Diskussion kein Ruhmesblatt sei. Insgesamt teile ich Ihre Meinung,

(Frau Weyel [SPD]: Ich sprach auch von „insgesamt" ! )

wenn ich all die Jahre verfolge. Wenn Sie uns nun hier aber gesagt haben: Es muß doch möglich sein, in Zukunft bei den Debatten den Kollegen gegenüberzusitzen, sie ansprechen und ansehen zu können, dann muß ich Sie allerdings auf folgendes aufmerksam machen: Wenn Sie die vollrunde Lösung haben, müssen Sie ständig im Kreise pendeln, um die Kollegen ansehen zu können

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

im Gegensatz zu heute oder einer halbrunden Lösung, wo Sie immer in der Lage sind, Regierung, Bundesrat, aber auch alle Kollegen anzusprechen. Das ist der Unterschied zur runden Lösung.
Zum nächsten Punkt. Bei der nordrhein-westfälischen Genehmigung ist ausgesprochen worden: rund und abgesenkt. Der Vorschlag, den wir hier machen — halbrund und abgesenkt — steht also nicht in vollem Widerspruch zu der Genehmigung, die erteilt worden ist.

(Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Sehr wahr! — Conradi [SPD]: Windbeutelei!)

Aus der Mitteilung vom 14. Juni 1988 von der Bundesbaudirektion geht hervor, daß eine solche Entscheidung, wie wir sie nämlich vorschlagen, auf die Rohbaukonstruktion der Untergeschosse kaum Einfluß hat, d. h. eine entscheidende Veränderung nicht eintritt. Wer jetzt den Antragstellern Verzögerung und Verteuerung vorwirft, der muß sich an die eigene Nase fassen und fragen, weshalb er nicht bereit war, bereits im Juni die Entscheidung zu treffen, wie wir das hier beantragt haben.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Damals wollten Sie nicht. Sie wollten hinauszögern, um damit die Abstimmung in eine andere Richtung zu bringen.

(Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Genauso war es!)

Wer damals verzögert hat, darf heute nicht den Vorwurf der Verzögerung und Verteuerung erheben.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Im Juni war es schon zu spät!)

Zum letzten Punkt, meine Damen und Herren. Wenn ich von dem Bild, von dem Eindruck des Plenarsaales sprach, dann muß ich die GRÜNEN daran erinnern, daß bei dem Gespräch bei der Bundesbauverwaltung ein Vertreter der GRÜNEN damals den gleichen Standpunkt vertreten hat, daß nämlich dieses historische Bild so weit als möglich erhalten werden soll.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Es ist doch alles weg!)

Bei der Abstimmung waren Sie — wie so oft — überhaupt nicht anwesend.

(Widerspruch bei den GRÜNEN — Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/ CSU)

Meine Schlußbemerkung. Ich habe volles Verständnis, daß diejenigen, die für die runde Lösung gestimmt haben, sie nach wie vor für die bessere halten.

(Conradi [SPD]: Kreisrund!)

Wenn zur endgültigen Festlegung aber zwei Modelle vorgestellt werden — ein kreisrundes und ein halbrundes —, dann müssen Sie den anderen zugestehen, daß dieses Modell, das Ihnen als eine Möglichkeit vorgestellt wird, auch noch einmal zur Entscheidung gestellt wird. Sonst hätte die halbrunde Lösung überhaupt nicht mehr zur Diskussion gestellt werden dürfen. Das ist geschehen. Nun muß darüber entschieden werden.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110020300
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Es tut mir leid, daß ich den Rednern nicht mehr Gehör verschaffen konnte. Aber das ist angesichts dieser Räume, die wir hier zur Verfügung haben, bei namentlichen Abstimmungen leider keinem Präsidenten mehr möglich.
Mir liegt zur Abstimmung eine schriftliche Erklärung des Abgeordneten Schulhoff vor. * )
*) Anlage 2



Vizepräsident Frau Renger
Jetzt kommen wir zur Abstimmung. Meine Damen und Herren, die Fraktionen der FDP und auch der SPD verlangen gemäß § 52 der Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Das Verfahren ist bekannt. Ich eröffne die Abstimmung. —
Sind alle Stimmkarten abgegeben, meine Damen und Herren? — Ich frage die Parlamentarischen Geschäftsführer: Sind jetzt alle Stimmkarten abgegeben? — Ich schließe die Abstimmung und bitte um Auszählung.

(Abg. Dr. Hauchler [SPD] möchte seine Stimmkarte noch abgeben)

— Es geht nicht mehr. Keine Ausnahmen. Es tut mir leid, es können keine weiteren Stimmkarten mehr angenommen werden, da wir die Abstimmung schon geschlossen haben. * )
Meine Damen und Herren, ich bitte, wieder Platz zu nehmen, da wir in der Tagesordnung fortfahren. Die Damen und Herren, die hier nicht anwesend sein möchten, bitte ich, den Raum zu verlassen, damit wir in der Tagesordnung fortfahren können.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 64 zu Petitionen — Drucksache 11/2337 —
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/3099 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. — Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Frau Abgeordnete Bulmahn hat das Wort.

Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1110020400
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Mit Schreiben vom 8. März 1988 begehrt eine Sekretärin im Namen einer chemischen Fabrik — ich zitiere — : „Der Deutsche Bundestag möge im Sinne der heuchlerisch verbreiteten Schaffung von Arbeitsplätzen die Voraussetzungen dafür schaffen, daß Arbeitsplätze nicht durch realitätsferne Entscheidungen vorsätzlich zerstört werden."
Meine Damen und Herren, was ist der Anlaß für das Begehren der Petentin? Sie hat bei der Auskunftsstelle eines Arbeitsgerichts — nicht etwa aus eigener Betroffenheit — erfahren, „daß ein Arbeitnehmer, der ein volles Jahr krank war, nach dieser Zeit einen Urlaubsanspruch bis zum 31. März des folgenden Jahres in voller Höhe hat". Dies kommt in den Augen der Petentin einer vorsätzlichen Zerstörung von Arbeitsplätzen gleich, denn, so argumentiert sie, bei derartig großen finanziellen Risiken könne den Arbeitgebern die Schaffung von Arbeitsplätzen nicht mehr zugemutet werden.
Nur allzu deutlich hat die Petentin damit ausgesprochen, worum es ihr in ihrem Anliegen tatsächlich geht,
*) Ergebnis Seite 6883 C
nämlich um den Abbau von Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenrechten unter dem Vorwand, diese würden die Schaffung von Arbeitsplätzen verhindern. Die Koalitionsvertreter im Petitionsausschuß bekunden für diese Haltung der Petentin allem Anschein nach Verständnis, denn sie haben sich dafür ausgesprochen, die Petition „dem Fachminister als Material für die beabsichtigten Gesetzgebungsarbeiten zu überweisen" .
Ich frage mich allerdings, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ob Sie das Ansinnen der Petentin vor dem Hintergrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Urlaub insgesamt tatsächlich geprüft haben. Ist es denn wirklich so, daß das Bundesarbeitsgericht den Arbeitgebern unzumutbare Risiken auferlegt, so daß sie sich kaum mehr in der Lage sehen, feste Arbeitsplätze zu erhalten und zu schaffen?
Erlauben Sie mir bitte, hierzu auf einige Grundzüge der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seit 1982 zum Urlaub einzugehen. Zutreffend hat das Bundesarbeitsgericht meines Erachtens 1982 festgestellt, daß das Bundesurlaubsgesetz Urlaubsansprüche tatsächlich vom Bestand eines Arbeitsverhältnisses und nicht von einer tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung abhängig macht. Zugleich geht die höchstrichterliche Rechtsprechung davon aus, daß jeder Urlaubsanspruch automatisch untergeht, wenn er wegen Ablaufs des mit dem Kalenderjahr identischen Urlaubsjahres bzw. des Übertragungszeitraumes nicht genommen worden ist.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Da gibt es aber in allen Tarifverträgen Regelungen!)

Für den von der Petentin konstruierten Fall einer ganzjährigen Erkrankung, Herr Kollege, bedeutet dies in der Tat, daß der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaub hat, sofern er noch bis zum 31. März infolge eingetretener Arbeitsfähigkeit den Urlaub in Anspruch nehmen kann. Dauert die Arbeitsunfähigkeit über den Übertragungszeitraum hinaus an, so besteht für das vergangene Urlaubsjahr kein Urlaubsanspruch mehr.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Die meisten Tarifverträge sehen etwas anderes vor!)

Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, einmal zu überlegen, wie oft es denn tatsächlich vorkommt, daß jemand ausgerechnet am 1. Januar eines Jahres arbeitsunfähig wird und prompt zu Beginn des Folgejahres wieder arbeitsfähig ist.
Noch etwas, denke ich, sollten Sie in diesem Zusammenhang nicht außer acht lassen. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bezieht sich im vorliegenden theoretischen Fall nur auf den gesetzlich garantierten Mindesturlaub von 15 Arbeitstagen und, lieber Kollege, nicht auf den tarifvertraglich vereinbarten Urlaub.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Aber die Tarifverträge haben Übergangsregelungen!)

Von einem unvertretbar großen finanziellen Risiko der Arbeitgeberseite zu sprechen, das feste Arbeitsplätze gefährde, ist daher hanebüchen. Was hier seitens der Petentin angestrebt wird, ist, um es klar zu sagen, Stimmungsmache auf Kosten der Arbeitneh-



Frau Bulmahn
merinnen und Arbeitnehmer. Dafür werden wir uns nicht hergeben.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Auch der Blick auf anders gelagerte Fälle macht die Vordergründigkeit, die Scheinheiligkeit, mit der hier vorgegangen wird, sehr schnell deutlich.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Langsam! Gucken Sie mal in die Tarifverträge!)

Nehmen wir den Fall einer Arbeitnehmerin, die das gesamte vergangene Jahr gearbeitet hat und ihren Urlaub Ende November nehmen wollte. Auf Grund betriebsorganisatorischer Maßnahmen und krankheitsbedingter Ausfälle wird ihr durch den Arbeitgeber die Urlaubsnahme zum vorgesehenen Zeitpunkt versagt. Die Arbeitnehmerin entschließt sich daraufhin, ihren Jahresurlaub im Februar zu nehmen. Am 27. Januar erkrankt sie jedoch und bleibt bis zum 15. April arbeitsunfähig. Da der Urlaub nicht bis zum 31. März genommen werden konnte, verfällt der gesamte Urlaubsanspruch trotz der vollständigen Arbeitsleistung der Arbeitnehmerin im vergangenen Urlaubsjahr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der ausgewogenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die die Interessen der Arbeitgeberseite mehr als hinreichend berücksichtigt, und verschiedener Spezialregelungen ist es unseres Erachtens nicht nachvollziehbar, warum weitere gesetzliche Regelungen notwendig sein sollen, es sei denn, man will den Schutz und die Rechte der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen insgesamt weiter aushöhlen. Wenn man dieses will, dann sollte man dieses auch offen benennen und nicht behaupten, die derzeitige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gefährde die Sicherheit der Arbeitsplätze.
Bei nüchterner Abwägung der Gegebenheiten gibt es unseres Erachtens keinen Grund für eine Änderung des Bundesurlaubsgesetzes im Sinne der Petentin. Ich bitte deshalb um Ihre Zustimmung zu dem Antrag der SPD-Fraktion, die Petition als erledigt anzusehen.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110020500
Das Wort hat Herr Abgeordneter Haungs.

Rainer Haungs (CDU):
Rede ID: ID1110020600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Petition ist relativ einfach. Deshalb ist die mehrheitliche Entscheidung des Petitionsausschusses, sie als Material zu behandeln, durchaus auch sachgerecht.
Die Petentin, die uns angeschrieben hat, versteht nicht, daß ein Arbeitnehmer — es handelte sich hier um einen mittelständischen, kleinen Betrieb — , der in dem betreffenden Jahr in dem Unternehmen überhaupt nicht gearbeitet hat, trotzdem einen Urlaubsanspruch hat. Die Petentin hat natürlich ein gutes Recht, daß wir uns mit dieser Petition sachgerecht befassen. Deshalb hat der Petitionsausschuß auch mit Mehrheit beschlossen, dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung diese Petition als Material zu überweisen. Der Ausschuß hält die Eingabe für einen geeigneten Anlaß, über eine Gesetzesänderung nachzudenken, da die Rechtsprechung über Jahrzehnte hinweg den
Zusammenhang zwischen Arbeitsleistung und Urlaubsanspruch gesehen hat. Es stand bis 1982 nach höchstrichterlicher Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts fest, daß es Rechtsmißbrauch sei, für ein Jahr Urlaub geltend zu machen, wenn ihm in dem betreffenden Urlaubsjahr keine angemessene Arbeitsleistung gegenüberstand.
Der Petent und der Petitionsausschuß verstanden es deshalb nicht, warum diese Rechtsprechung aufgegeben wurde. Deshalb wird darauf hingewiesen, daß es keinem Arbeitgeber zugemutet werden kann, Arbeitsplätze zu schaffen, wenn das Risiko, Kosten tragen zu müssen, denen keine entsprechende Leistung gegenüberstand, so groß ist, wie in dieser Petition geschildert. Gerade kleine mittelständische Betriebe werden in Zukunft bei der Schaffung neuer Dauerarbeitsplätze sehr zurückhaltend sein und dem unkalkulierbaren Risiko ausweichen, indem sie befristete Arbeitsverhältnisse schaffen. Dies kann aber nicht das Ziel unserer Politik sein, und dies hat deshalb, liebe Kollegin Bulmahn, auch nichts mit Verletzung von Arbeitnehmerrechten zu tun.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Unser Ziel ist es, dauerhafte Arbeitsplätze zu schaffen, und unser Ziel ist es, eine Sozialgesetzgebung zu haben, die auch von der Mehrheit der mittelständischen Unternehmer verstanden wird.
Die vom Petenten vorgetragene Kritik hinsichtlich der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 7 des Bundesurlaubsgesetzes findet sich auch in der arbeitsrechtlichen Literatur und zum Teil auch bei den Instanzgerichten wieder. Deshalb hat der Petitionsausschuß großes Verständnis für die vorgetragene Bitte, und wir wollen versuchen, im Wege der Gesetzgebung die Rechtslage wiederherzustellen, die früher bestanden hat. Deshalb auch das Votum, diese Petition als Material zu überweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110020700
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hoss.

Willi Hoss (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1110020800
Meine Damen und Herren! Die Petentin ist die Chemische Fabrik Freising, und sie verlangt, daß jemandem, der längere Zeit krank ist, der Urlaub gestrichen wird. Die Art und Weise, wie der Petitionsausschuß oder, genauer gesagt, die Mehrheit dieses Hauses im Petitionsausschuß mit dieser Petition umgeht,

(Kalb [CDU/CSU]: Sind Sie Mitglied im Petitionsausschuß?)

zeigt, daß hier Weichen gestellt werden, die genau in das Bild passen, unsere Gesellschaft zu einem weiteren Stück zu entsolidarisieren.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Herr Kollege, kennen Sie nicht den Tarifvertrag?)

Wir erleben das gegenwärtige im Gesundheits-Reformgesetz, wo wir es mit dem Versuch zu tun haben, die Kosten des Gesundheitswesens abzuwälzen auf diejenigen, die krank oder alt sind, und die zu schonen, die gesund sind und die über das nötige Geld verfügen.



Hoss
Die Petentin, die Chemische Fabrik Freising, verlangt, daß jemand, der lange Zeit krank ist oder war, den Urlaub gestrichen bekommt. Ausdrücklich wird dabei noch vermerkt, daß das auch gelten soll — denn sonst würde das ja nicht drinstehen — für Arbeitnehmer, die ein Viertel- oder ein halbes Jahr krank waren. Das geht von einem Menschenbild aus, das in Ihrer Mehrheitsentscheidung so aussieht: Wer krank ist, der hat zugleich auch schon seinen Urlaub.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Also das ist unerhört! — Haungs [CDU/CSU]: Sie kennen die Petition ja gar nicht!)

Es geht von einem Menschenbild aus, wonach nur derjenige zählt, der gesund ist. — Sie brauchen gar nicht zu sagen, daß das unerhört sei. Ich finde unerhört, was sie hier mit dieser Petition machen.

(Beifall der Abg. Frau Nickels [GRÜNE] — Zuruf von der CDU/CSU: Sie waren ja gar nicht bei der Beratung dabei!)

— Hören Sie das doch einmal in Ruhe an! — Die geltende Rechtsprechung geht davon aus, daß der Urlaub der Erholung dient

(Kalb [CDU/CSU]: Ich habe Sie noch nie im Petitionsausschuß gesehen!)

und zur Wiederherstellung der körperlichen und geistigen Kräfte, in diesem Falle von Arbeitnehmern. Wenn Sie hier keine klare Entscheidung treffen, sondern sagen, Sie übergeben diese Petition dem Arbeitsministerium, dem Herrn Blüm als Material, dann ist ganz klar, was dabei herauskommt, nämlich daß Sie Kolleginnen und Kollegen, die längere Zeit krank sind, um den verdienten Urlaub bringen. Dieser hängt nämlich nicht nur damit zusammen, ob man ein halbes Jahr vorher gearbeitet hat, sondern der hängt damit zusammen, daß man in einen Zustand versetzt werden soll, der es einem möglich macht, seine Gesundheit nachhaltig zu erhalten und auch die körperliche und geistige Verfassung wieder aufzubessern.
Es ist so, daß Langzeitkranke ohnehin einer starken Kontrolle unterliegen. Ich sage ja ganz offen, daß 8 Tage oder 14 Tage Kranke nicht dieser starken Kontrolle unterliegen. Sie können davon ausgehen, daß jemand, der ein halbes Jahr oder ein Jahr krank ist, von den Krankenkassen wirklich untersucht und öfter mal vorzitiert worden ist. Jetzt wird gefordert, daß der gegenwärtige Rechtszustand erhalten bleiben soll, wonach nach der Krankheit der Urlaub noch angetreten werden kann. Das dient ja dem Unternehmer ohnehin, weil es dann nicht zu einem Rückfall kommt.

(Haungs [CDU/CSU]: Das glauben Sie selber nicht!)

Es ist ja so, daß ein Unternehmer nach den sechs Wochen Lohnfortzahlung mit der Sache sowieso wenig zu tun hat, weil dann die Krankenkassen dafür aufkommen.

(Haungs [CDU/CSU]: Die haben es ja!?)

Insofern sind wir ganz entschieden dafür, daß der Wunsch des Petenten zurückgewiesen und im Sinne der SPD entschieden wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110020900
Meine Damen und Herren, ich darf zunächst das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Mischnick, Cronenberg und Fraktion auf Drucksache 11/2537 (neu) bekanntgegeben. Abgegebene Stimmen: 382. Keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben 102 Abgeordnete gestimmt, mit Nein haben 274 Abgeordnete gestimmt. 6 Abgeordnete haben sich enthalten.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 379; davon
ja: 102
nein: 269
enthalten: 5
ungültig: 3
Ja
CDU/CSU
Bayha
Dr. Becker (Frankfurt) Biehle
Dr. Blüm
Böhm (Melsungen)

Dr. Bötsch Dr. Czaja Dr. Dollinger
Engelsberger
Dr. Fell
Geis
Gerstein Gerster (Mainz)

Gröbl
Günther
Dr. Häfele Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinsken
Höffkes
Höpfinger
Dr. Hornhues
Graf Huyn
Dr. Jahn (Münster)

Dr. Jobst Kalb
Kalisch
Dr. Kappes Klein (München)

Dr. Köhler (Wolfsburg) Kraus
Dr. Kunz (Weiden)

Dr. Laufs
Link (Frankfurt) Linsmeier Lintner
Maaß
Marschewski
Oswald
Frau Pack Dr. Pinger Dr. Probst Dr. Riesenhuber
Roth (Gießen)

Ruf
Sauer (Salzgitter) Scharrenbroich
Schartz (Trier)

Dr. Schulte

(Schwäbisch Gmünd) Dr. Schwarz-Schilling Spilker

Spranger
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken Strube
Susset
Graf von Waldburg-Zeil Wimmer (Neuss)

Windelen
Dr. Wittmann
Würzbach Zink
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Bredehorn Eimer (Fürth)

Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker
Funke
Gallus
Gries
Grüner
Heinrich Dr. Hirsch
Dr. Hitschler Hoppe
Dr. Hoyer Irmer
Kleinert (Hannover)

Kohn
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Mischnick Neuhausen
Nolting
Richter
Rind
Ronneburger
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms Timm
Dr. Weng (Gerlingen) Wolfgramm (Göttingen)
Frau Würfel Zywietz
SPD
Frau Dr. Hartenstein Nagel
Stiegler
DIE GRÜNEN
Frau Beer Brauer
Kreuzeder



Vizepräsident Frau Renger
Nein
CDU/CSU
Bauer
Dr. Biedenkopf
Dr. Blank
Dr. Blens
Börnsen (Bönstrup)

Bohl
Breuer
Bühler (Bruchsal) Buschbom
Carstensen (Nordstrand) Clemens
Dr. Daniels (Bonn) Dörflinger
Doss
Echternach
Ehrbar Eylmann
Dr. Faltlhauser
Fellner
Frau Fischer
Fischer (Hamburg)

Francke (Hamburg)

Dr. Friedrich
Fuchtel
Funk (Gutenzell)

Ganz (St. Wendel)

Dr. Geißler
Dr. von Geldern
Dr. Göhner
Dr. Grünewald
Harries Haungs
Hauser (Esslingen) Hedrich
Frau Dr. Hellwig
Hinrichs Hörster Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann (Soltau) Dr. Hüsch
Jäger
Dr. Jenninger
Jung (Limburg)

Jung (Lörrach)

Dr.-Ing. Kansy
Kittelmann
Kolb
Kossendey
Krey
Kroll-Schlüter
Dr. Kronenberg
Lamers
Dr. Lammert
Dr. Langner
Lattmann
Frau Limbach
Link (Diepholz)

Dr. Lippold (Offenbach) Louven
Lowack Lummer
Frau Männle
Magin Michels Müller (Wadern)

Nelle
Dr. Neuling
Niegel
Dr. Olderog
Pesch Pfeffermann
Pfeifer
Dr. Pfennig
Dr. Pohlmeier
Rawe Reddemann
Repnik
Frau Rönsch (Wiesbaden) Rühe
Dr. Rüttgers Sauer (Stuttgart)

Sauter (Epfendorf) Schemken Schmidbauer
von Schmude
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder (Freiburg) Schulze (Berlin)
Schwarz
Seiters
Dr. Sprung
Dr. Stark (Nürtingen) Tillmann
Dr. Todenhöfer
Dr. Uelhoff Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel (Ennepetal)

Vogt (Duren)

Dr. Voigt (Northeim)

Dr. Waffenschmidt
Dr. von Wartenberg
Weiß (Kaiserslautern) Werner (Ulm)
Frau Will-Feld
Wilz
Dr. Wulff Zeitlmann Zierer
FDP
Schäfer (Mainz)

SPD
Frau Adler Amling
Andres
Antretter Bachmaier Bahr
Bamberg
Becker (Nienberge) Bindig
Frau Blunck
Dr. Böhme (Unna) Börnsen (Ritterhude) Brück
Büchler (Hof) Büchner (Speyer)
Dr. von Bülow
Frau Bulmahn Catenhusen Frau Conrad Conradi
Daubertshäuser
Diller
Dreßler
Dr. Emmerlich
Erler
Ewen
Frau Faße
Fischer (Homburg)

Frau Fuchs (Köln)

Frau Fuchs (Verl)

Gansel
Dr. Gautier Gerster (Worms)

Gilges
Frau Dr. Götte
Graf
Großmann Grunenberg Dr. Haack Hasenfratz Heistermann Heyenn
Dr. Holtz Horn
Huonker
Jahn (Marburg)

Dr. Jens
Jung (Düsseldorf) Jungmann Kastning
Kiehm
Kirschner
Klein (Dieburg)

Dr. Klejdzinski
Kolbow
Koltzsch Kühbacher Kuhlwein Lambinus Leidinger Lohmann (Witten)

Lutz
Frau Luuk
Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier Menzel
Dr. Mertens (Bottrop) Meyer
Dr. Mitzscherling
Müller (Pleisweiler) Müller (Schweinfurt) Müntefering
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese Niggemeier Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oesinghaus Oostergetelo
Opel
Paterna
Dr. Penner Peter (Kassel)

Porzner
Purps
Reimann Frau Renger
Reuter
Rixe
Roth
Schäfer (Offenburg)

Schmidt (München)

Schmidt (Salzgitter)

Dr. Schmude
Dr. Schöfberger
Schreiner Schütz
Seidenthal Frau Seuster
Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Frau Dr. Sonntag-Wolgast Steiner
Frau Steinhauer
Dr. Struck Frau Terborg
Frau Dr. Timm Toetemeyer
Frau Traupe
Urbaniak
Vahlberg
Verheugen Dr. Vogel
Voigt (Frankfurt) Wartenberg (Berlin)
Frau Dr. Wegner Weiermann
Frau Weiler Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Wernitz
Westphal
Frau Weyel
Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche
Wimmer (Neuötting) Wischnewski
Dr. de With Wittich
Würtz
Zander
Zeitler
Zumkley
DIE GRÜNEN
Frau Beck-Oberdorf
Dr. Briefs
Dr. Daniels (Regensburg) Frau Eid
Frau Flinner Häfner
Frau Hillerich Hoss
Hüser
Dr. Mechtersheimer
Frau Nickels Frau Olms
Frau Saibold Frau Schilling Schily
Frau Schoppe Sellin
Frau Unruh
Frau Vennegerts Frau Dr. Vollmer Weiss (München) Wetzel
Fraktionslos Wüppesahl
Enthalten
FDP
Frau Dr. Hamm-Brücher DIE GRÜNEN
Ebermann
Kleinert (Marburg) Frau Schmidt-Bott Frau Wollny
Der Antrag ist abgelehnt.

(Beifall bei der SPD)

Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Funke.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1110021000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die in Frage stehende Petition betrifft wieder einmal eine als sozial angesehene Rechtsprechung,



Funke
die sich im Ergebnis aber gegen die Arbeitnehmer richtet, wie wir das bei manchen sozialen Schutzrechten für Arbeitnehmer feststellen können und leider auch müssen. Zu Recht kritisiert die Petentin die neue Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahre 1982, wonach ein Arbeitnehmer, der ein volles Jahr krank war, nach dieser Zeit noch einen Urlaubsanspruch in voller Höhe und dazu Anspruch auf ein volles Urlaubsgeld hat. Diese gewandelte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hebt die bisherige Rechtsprechung aller Instanzen auf, die in der Vergangenheit auch in der Literatur durchaus geteilt wurde und nach der ein Urlaubsanspruch nur dann möglich ist, wenn in dem betreffenden Jahr eine entsprechende Arbeitsleistung erbracht wurde.
Wegen der neuen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts prüft das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, ob auf dem Wege der Gesetzesänderung die frühere Rechtsprechung der Arbeitsgerichte wieder herbeizuführen ist.
Die FDP ist der Auffassung, daß diese alte und auch bewährte Regelung wieder eingeführt werden sollte, und bittet den Bundesarbeitsminister, die Prüfung unverzüglich abzuschließen. Seit 1982 sind sechs Jahre ins Land gegangen. Der Bundesarbeitsminister sollte nun so langsam in die Schuhe kommen.
Aus diesem Grunde hat die FDP auch vorgeschlagen, die Petition als Material für die vorgesehene Gesetzesnovellierung zu überweisen.
Die Petentin weist zu Recht darauf hin, daß sonst die Arbeitgeber schon bei relativ kurzer Erkrankung gezwungen seien, den betroffenen Arbeitnehmern zu kündigen, um zu vermeiden, daß noch zusätzliche Lohnnebenkosten, nämlich neben den Krankheitskosten, Kosten für die Vorhaltung des Arbeitsplatzes, entstehen. Insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, vor allem handwerkliche Unternehmen, ist eine solche zusätzliche Belastung nicht zumutbar.
Demgemäß werden wir auch hier votieren, wie der Petitionsausschuß entschieden hat.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110021100
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Drucksache 11/3099. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Kann ich die Gegenprobe noch einmal sehen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/2337 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 66 zu Petitionen — Drucksache 11/2434 —
Es liegt ein Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 11/3100 vor.
Interfraktionell ist für die Beratung je Fraktion ein Beitrag bis zu fünf Minuten vereinbart. — Kein Widerspruch; so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Staatsminister Schäfer.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1110021200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat mehrfach im Parlament und in der Öffentlichkeit unterstrichen, daß die Ratifizierung der Zusatzprotokolle von 1977 zu den Genfer RotkreuzKonventionen von 1949 zu ihren Zielen gehört.
Sie hat Verständnis dafür, daß über zehn Jahre nach Zeichnung des Zusatzprotokolls die Frage nach der Umsetzung gestellt wird. Die Bundesregierung muß jedoch, wie ihre Vorgängerinnen, der Tatsache Rechnung tragen, daß sie Mitglied des westlichen Verteidigungsbündnisses ist, daß ihre Streitkräfte in das Bündnis integriert und daß auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland Truppen mehrerer verbündeter Staaten stationiert sind.
Angesichts dieser Verflechtung muß es ein Anliegen der Bundesregierung sein, in der NATO möglichst einheitliche Auffassungen zum humanitären Völkerrecht herzustellen. Auch militärische Gründe sprechen dafür, daß Interoperabilitätsprobleme zu vermeiden sind, die dadurch entstehen können, daß die Zusatzprotokolle von einigen Bündnispartnern ratifiziert werden, von anderen jedoch nicht. Dieses Anliegen ist durch die Entscheidung der US-Regierung vom Januar 1987, das I. Zusatzprotokoll dem Senat nicht zur Ratifizierung vorzulegen, besonders akut geworden.
Mit auf Grund der Initiative der Bundesregierung ist es aber gelungen, mit den wichtigsten Bündnispartnern weitgehende materielle Übereinstimmung zu erzielen. Wir hoffen, daß diese Arbeiten demnächst zum Abschluß gebracht werden können, damit unser Ziel, die baldige Ratifizierung der Zusatzprotokolle durch die Bundesrepublik Deutschland, erreicht wird.
Die Bundesregierung fühlt sich in ihrer Haltung durch den Bericht des Petitionsausschusses bestärkt. Die Aussagen zur sogenannten Nuklearerklärung bestätigen die Auffassung, daß die neuen Regeln der Zusatzprotokolle keine Anwendung auf den Einsatz von Nuklearwaffen finden und daß es sinnvoll ist, dies durch eine Interpretationserklärung bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunde klarzustellen.
Ich darf im übrigen darauf hinweisen, daß bisher immerhin sechs NATO-Länder Vertragspartei sind, während dagegen bisher kein Staat des Warschauer Paktes die Zusatzprotokolle ratifiziert hat.
Wenn die Regelungen des Zusatzprotokolls in Europa Anwendung finden sollen, müssen sie aber in West und Ost akzeptiert werden.
Die Bundesregierung nimmt den Vorschlag des Petitionsausschusses, das innerstaatliche Zustimmungsverfahren einzuleiten und eine völkerechtliche Bin-



Staatsminister Schäfer
dung gegebenenfalls erst nach Ratifizierung durch eine Nuklearmacht des Bündnisses herbeizuführen, zur Kenntnis. Sie würdigt das Bemühen des Petitionsausschusses, einerseits eine Beschleunigung des Beitrittes zu erreichen, andererseits aber den Gründen gerecht zu werden, die dafür sprechen, eine Nuklearmacht — dies wäre unter den jetzt gegebenen Umständen Großbritannien — vorangehen zu lassen.
Die Vorschläge des Petitionsausschusses werden gründlich geprüft werden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110021300
Das Wort hat der Abgeordnete Peter.

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1110021400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen von Herrn Staatsminister Schäfer machen das Problem nicht leichter; es wird dadurch auch nicht gelöst.
Bei dieser Debatte um die Sammelübersicht 66 geht es nämlich um zwei Seiten, erstens um eine formale und zweitens um eine materiell-inhaltliche.
Zur formalen Seite. Nach unserer Auffassung ist das Votum der Ausschußmehrheit eine Täuschung der Öffentlichkeit;

(Beifall der Abg. Frau Nickels [GRÜNE])

denn das Ziel der Petenten lautet eindeutig: Ratifizierung der Zusatzprotokolle I und II von 1977 zu den Genfer Rotkreuz-Konventionen von 1949 ohne Nuklearvorbehalt oder Nuklearerklärung. Das heißt, die Ablehnung einer Nuklearerklärung ist Bestandteil der Petition.
Diese Forderung lehnt die Ausschußmehrheit ab. In der Begründung des Ausschußbeschlusses heißt es:
Der Petitionsausschuß hat zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung die Ratifizierung der Zusatzprotokolle von 1977 zu den Genfer Rotkreuz-Konventionen von 1949 befürwortet. Er hält die Ratifizierung insbesondere auch deshalb für notwendig, da die Zusatzprotokolle eine wünschenswerte Fortentwicklung des humanitären Kriegsvölkerrechts im konventionellen Bereich enthalten. Aus den dargelegten Gründen hält er jedoch auch die Abgabe einer Nuklearerklärung aus Anlaß der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde für sinnvoll. Insoweit empfiehlt der Petitionsausschuß, die Eingabe als erledigt anzusehen.
Das ist die Kernaussage der Begründung. Im Ausschußbeschluß taucht sie erst unter Punkt c) auf.
Das Votum unter Punkt a) bedeutet jedoch die Stützung der falschen Position der Bundesregierung, eine Nuklearerkärung sei notwendig. Es bedeutet gleichzeitig die Entschuldigung des bisherigen zögerlichen Verhaltens der Bundesregierung, indem gesagt wird: Der Petitionsausschuß hat Verständnis dafür, daß die Bundesregierung zunächst die Ratifikation durch eine Nuklearmacht des Bündnisses abwarten will, zumal die Bundesrepublik Deutschland selbst nicht Nuklearmacht ist und entsprechend ihren Erklärungen nie sein wird. Das kommt im Beschlußvorschlag des Ausschusses nicht zum Ausdruck.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Sicher!)

Dieses zögerliche Verhalten der Bundesregierung bedarf einer knappen Darstellung. 1983 meinte die Bundesregierung, alsbald werde das Ratifizierungsverfahren eingeleitet. 1984 meinte sie: noch im selben Jahre. Die jetzige Version, die wir eben gehört haben, lautet: erst nachdem eine nukleare Großmacht die Ratifizierung vollzogen habe.
Daß inzwischen Norwegen, Dänemark, Italien, Belgien und die Niederlande die Ratifizierung ohne Nuklearerklärung vorgenommen haben, spielt offensichtlich für den treuesten Bündnisgenossen der USA keine Rolle. Das finden wir bei dem gegenwärtigen politischen Klima politisch bedenklich.
Vor dem Hintergrund dieses Begründungstextes ist das Votum zu a) eben eine Täuschung, weil es nach außen vorspiegelt, der Petitionsausschuß empfehle der Bundesregierung die Ratifizierung.
Hier kommt es jetzt auf die materielle Argumentation an. In dem Zusatzprotokoll geht es um den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte. Die Streitfrage, die eben bisher verborgen war, ist: Hat das Auswirkungen auf die Nuklearstrategie der NATO?
Die Bundesregierung meint, durch das Zusatzprotokoll I seien Nuklearwaffen nicht erfaßt. Die SPD geht auf Grund der Interpretation des Vertragstextes davon aus, daß diese Position falsch ist — was die Bundesregierung auch weiß —; denn im Zusatzprotokoll I geht es um die Auswirkung von Waffen, nicht um die Benennung von Waffen. Die Auswirkung von Atomwaffen auf die Zivilbevölkerung und die Bevölkerung, die Kombattantenstatus hat, sowie auf Soldaten ist doch wohl unstrittig von dem Zusatzprotokoll erfaßt.
Meine Damen und Herren, wenn Texte von Verträgen eine Bedeutung haben, sollten Sie unserem Antrag zustimmen. In Art. 48 des Zusatzprotokolls I heißt es:
Die am Konflikt beteiligten Parteien unterscheiden jederzeit zwischen der Zivilbevölkerung und Kombattanten sowie zwischen zivilen Objekten und militärischen Zielen.
Und in Art. 49 heißt es:
Dieser Abschnitt „Kampfführungsbestimmungen" findet auf jede Kriegsführung zu Land, in der Luft oder zur See Anwendung, welche die Zivilbevölkerung oder zivile Objekte in Mitleidenschaft ziehen kann.
Wenn Vertragstexte einen Sinn haben, schließt dieses Zusatzprotokoll den Ersteinsatz von Atomwaffen aus, und es schließt weiter die dritte Stufe der NATO-Triade, den Einsatz von strategischen Atompotentialen, aus, weil da alle miteinander gleich, nämlich tot sind.
Deshalb bitte ich Sie, unseren Antrag anzunehmen. Derjenige, der dieses Problem der Öffentlichkeit kundgetan hat, der damalige Leiter des Völkerrechtsreferates beim Bundesverteidigungsministerium, verdient meines Erachtens für seinen Mut und für seine Zivilcourage, die übrigens inzwischen zu einer Versetzung geführt hat, Anerkennung des gesamten Bun-



Peter (Kassel)

destages. Er hat sich um das deutsche Volk verdient gemacht.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Nikkels [GRÜNE])


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110021500
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Göhner.

Dr. Reinhard Göhner (CDU):
Rede ID: ID1110021600
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Man kann über die Frage einer Nuklearerklärung im Rahmen der Ratifizierung dieser Zusatzprotokolle sicher unterschiedlicher Meinung sein. Aber dem Petitionsausschuß vorzuwerfen, er täusche die Öffentlichkeit, das weise ich hier als unerhört zurück.
Herr Kollege Peter, das Votum, das der Petitionsausschuß zur Beschlußfassung vorgeschlagen hat, ist in dieser Frage völlig eindeutig. Es sagt: Wir überweisen die Petition zur Berücksichtigung im Hinblick auf die Ratifizierung der Zusatzprotokolle. Soweit ein Verzicht auf die Abgabe einer Nuklearerklärung gefordert wird, schlägt der Petitionsausschuß vor, diese Petition für erledigt zu erklären, also diesen Teil klar abzulehnen. Daran ist keine Täuschung, da haben wir gegensätzliche Auffassungen. Wir vertreten hier die Auffassung, die alle früheren Bundesregierungen vertreten haben und die seit 1980 auf Beschluß des Bundessicherheitsrates unter Vorsitz des damaligen Bundeskanzlers Schmidt vereinbart wurde.
Der Beschluß des Petitionsausschusses enthält in der Begründung allerdings — Herr Staatsminister Schäfer ist darauf eingegangen — einen neuen Akzent, einen neuen Vorschlag, von dem Sie, Herr Staatsminister, gesagt haben, die Bundesregierung wolle das prüfen. Lassen Sie mich in aller Offenheit sagen, daß mir das etwas wenig ist. Denn die Auffassung des Petitionsausschusses zu diesem Punkt ist seit geraumer Zeit bekannt. Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten hier klar erklären können, ob Sie dem mehrheitlichen Votum des Petitionsausschusses in diesem Punkte folgen möchten oder nicht.
Ich finde, daß der Vorschlag des Petitionsausschusses vernünftig ist: Ratifizierung hier einleiten, Ratifizierungsurkunde aber erst hinterlegen, wenn auch eine Nuklearmacht die Ratifizierung vollzogen hat.
Der Standpunkt, daß wir hier nicht vorangehen wollen, hat seine Begründung eigentlich in der Entstehungsgeschichte dieser Zusatzprotokolle ; das wird von den Oppositionsfraktionen schlicht und einfach übersehen oder negiert. Zur Entstehungsgeschichte gehörte nämlich ausdrücklich, daß die Geltung dieser Zusatzprotokolle auf den Bereich konventioneller Waffen beschränkt sein sollte. Sonst wären diese Verhandlungen seinerzeit gar nicht zustandegekommen. Das Internationale Rote Kreuz hat das damals natürlich in Kenntnis der NATO-Strategie, in Kenntnis auch der Strategie des Warschauer Paktes auf konventionelle Waffen beschränkt.

(Peter [Kassel] [SPD]: Es geht um die Wirkung!)

Niemand sollte uns unterstellen, daß wir mit dieser
von uns erstrebten Ratifizierung der Zusatzprotokolle
sozusagen einen konventionellen Krieg in Europa für
wahrscheinlich halten oder damit rechnen. Allerdings müssen wir zur Kenntnis nehmen, daß es während der 40jährigen Friedenszeit in Westeuropa über 100 blutige konventionelle Kriege gegeben hat. Gerade deshalb ist die Ratifizierung dieses zusätzlichen Stücks humanitären Kriegsvölkerrechts dringend erforderlich.
Mir persönlich leuchtet eigentlich die Haltung der Bundesregierung in diesem Punkte nicht vollständig ein.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Die wissen es besser als Sie!)

Wenn wir sagen: Nach der Entstehungsgeschichte ist klargestellt, daß es nur für den konventionellen Bereich gelten kann, dann müßte durch die Abgabe einer zusätzlichen Nuklearerklärung, wie vorgesehen, auch klargestellt werden, daß die Bundesregierung das in diesem Sinne versteht. Daß die WarschauerPakt-Staaten dieses noch nicht unterzeichnet haben, kann nun für uns kein Hinderungsgrund sein. Im Gegenteil: Die Warschauer-Pakt-Staaten — Sowjetunion — waren an Kriegen beteiligt — Stichwort: Afghanistan — , wodurch sie bereits zutiefst gegen diese Zusatzprotokolle verstoßen haben. Insofern wäre die Ratifizierung dieser Zusatzprotokolle durch den Warschauer Pakt geradezu das Gegenteil ihrer Handlungen während der letzten Jahre.
Kollege Peter, den Vorwurf, die Öffentlichkeit würde getäuscht, möchte ich mindestens mit einer Frage zu Ihrem Antrag zurückgeben. Sie schreiben in der Begründung Ihres Antrages nämlich etwas anderes als das, was Sie hier vorgetragen haben. Sie sagen am Schluß, daß die Nuklearstrategie des westlichen Bündnisses nicht im Vordergrund stehen dürfe. Was Sie hier aber vorgetragen haben, ist die vollständige Ablehnung dieser Nuklearstrategie. Deshalb kann ich nur an Sie appellieren, Ihren Standpunkt hier zu klären. Wenn man Ihren Standpunkt zugrunde legt, nämlich daß die Nuklearstrategie nicht nur nicht im Vordergrund steht, sondern vollständig abzulehnen ist, ist das natürlich das Gegenteil der Politik von Helmut Schmidt und damit auch das Gegenteil des Beschlusses des Bundessicherheitsrates von 1980. Ich denke, daß dies auch die große Streitfrage in der Auseinandersetzung um nukleare Abrüstung war, um den Weg einer schrittweisen Abrüstung, der auf beiden Seiten eingeschlagen worden ist. Ich würde es für eine konsequente Ergänzung unserer Abrüstungspolitik halten, wenn wir die Ratifizierung unserer Zusatzprotokolle des Internationalen Roten Kreuzes einleiten würden.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110021700
Das Wort hat Frau Abgeordnete Nickels.

Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1110021800
Meine Damen und Herren! Meine Vorredner haben hier schon dargestellt, worum es geht. Ich will das darum nicht wiederholen. Ich glaube aber, an dieser Petition werden zwei sehr wichtige Problemkreise noch einmal offenbar. Das erste Problem ist die entscheidende Frage: Ist nicht eigentlich jeder Krieg unmenschlich? Hebelt er nicht



Frau Nickels
die Menschenrechte und die Demokratie aus? Die Frage, die sich daran knüpft, ist dann: Können eigentlich völkerrechtliche Regelungen — das Kriegsvölkerrecht — geeignet sein, dieser dem Krieg essentiell innewohnenden Inhumanität und Brutalität ein Stück die Spitze zu brechen? Das ist eine sehr schwierige Frage, und ich glaube, eine Antwort kann man nur finden, wenn man sieht, was diejenigen tatsächlich tun, die immer erklären, sie wollten sich nur verteidigen und wollten sich nie eine Angriffsoption offenhalten, und die weiter erklären, daß sie für den Fall, daß sie angegriffen werden sollten, alles dafür tun wollten, mögliche Auswüchse noch einzudämmen. Es geht um die Frage, ob sie das, was sie an Kriegskontrolle kodifizieren, nicht nur auf dem Papier aufschreiben, sondern tatsächlich auch in ihre praktische Politik und in die Leitlinien ihrer Politik, in ihren politischen Programmen, umsetzen.
Ich denke, daß wir hier Herrn Schneider, der damals Leiter des Völkerrechtsreferats im Bundesministerium der Verteidigung war,

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Petentennamen wollten wir hier im Plenum nicht nennen!)

unglaublich viel zu verdanken haben. Dem Mut dieses Mannes ist es zu verdanken, daß diese schwierige Frage, die ich anzudeuten versucht habe, zum erstenmal in der Öffentlichkeit und in Fachkreisen so breit diskutiert worden ist.
Herr Göhner, Sie haben eben zu Recht den Minister gefragt, warum er denn nicht Ihrem Vorschlag Folge leisten will und so zögerlich ist. Ich nehme einmal an, der Herr Minister kennt die Intentionen besser. Die sind nicht so, wie Sie sie vorgetragen haben. Das ist der entscheidende Punkt: An Hand der Petition ist klargeworden, daß sich auch Staaten, die — wie der unsere — demokratisch verfaßt sind und die immer erklären, daß sie sich niemals in Angriffsoptionen verwickeln lassen wollen, offensichtlich doch ein Hintertürchen offenhalten wollen. Dort, wo eigentlich die praktischen Konsequenzen dieser Zusatzprotokolle in die Politik umgesetzt werden müßten, kneift man bis heute. Man schiebt immer andere Regierungen vor, damit man keinen Offenbarungseid leisten muß, und man sichert sich doppelt ab; man will eine nukleare Vorbehaltsklausel.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Jetzt werden Sie aber ungerecht!)

Ich frage Sie nur, was das eigentlich soll. Herr Minister, Sie wissen ganz genau, daß das Protokoll nicht Waffen oder Waffenarten verbietet, aber bestimmte Wirkungen auf Menschen und Natur. Sie haben immer erklärt, daß die Atomwaffen der Abschreckung dienen sollen und nie eingesetzt werden dürfen. Wenn das stimmt, müßten Sie diesen Zusatzprotokollen vorbehaltlos zustimmen und sie sofort in geltendes Recht umsetzen, sie ratifizieren.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Wenn Sie das nicht tun, wird glasklar, daß das als
Errungenschaft gepriesene Kriegsvölkerrecht ein
Stück weit benutzt wird, um die Brutalität zu verschleiern und zu verstecken

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Frau Nickels, das meinen Sie doch nicht ernst!)

und um die Leute darüber zu täuschen, was eigentlich wirklich auf sie zukommt.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Das ist doch nicht mehr Ihre Meinung!)

— Das ist meine Meinung. Ich bin davon überzeugt, nachdem ich diese Petition schon in der alten Legislaturperiode sehr ausführlich studiert habe. — Ich finde, das ist zutiefst unwürdig. Sie sollten sich wirklich überlegen, ob Sie das so wollen. Ich bin nur froh darüber, daß die Auseinandersetzungen in den ganzen Jahren das so klargemacht haben, daß es Ihnen nicht mehr gelingt, auch nicht mit einem solchen Vorschlag der Mehrheit des Petitionsausschusses, die Öffentlichkeit über das zu täuschen, was eigentlich dahintersteckt und was gemeint ist.
Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110021900
Das Wort hat der Abgeordnete Funke.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1110022000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Sachverhalt der Petition ist von meinen Vorrednern ausführlich dargestellt worden. Kern der Forderung der Petenten ist, daß die Bundesregierung bei der Ratifizierung und anschließenden Hinterlegung der Urkunde der Zusatzprotokolle zur Genfer Rote-Kreuz-Konvention auf die Abgabe einer sogenannten Nuklearerklärung verzichten soll.
Einigkeit besteht zwischen allen Fraktionen, daß die Bundesregierung gebeten wird, das Verfahren zur Ratifizierung der Zusatzprotokolle von 1977 zu der Genfer Rote-Kreuz-Konvention von 1949 einzuleiten.
Die Bundesregierung beabsichtigt, mit der Ratifizierung dieser Zusatzprotokolle eine sogenannte Nuklearerklärung abzugeben, in der klargestellt wird, daß der sachliche Geltungsbereich des Zusatzprotokolls I keine Nuklearwaffen, sondern nur konventionelle Waffen erfaßt. Ich halte diese Absicht der Bundesregierung auch für richtig. Zwar ist die Bundesrepublik Deutschland keine Nuklearmacht, doch hat sie an der militärischen Integration des Bündnisses teil. Dies gilt auch, soweit im Rahmen der Abschreckung nukleare Waffeneinsätze durch Truppen verbündeter Staaten geplant werden. Deshalb hat die Bundesrepublik Deutschland ein Interesse daran, daß die genannte Nuklearerklärung den sachlichen Geltungsbereich der neuen Regeln des Zusatzprotokolls klarstellt und noch einmal betont, daß sie keine völkervertragsrechtlichen Verpflichtungen eingeht, die der Nuklearstrategie des Nordatlantischen Bündnisses widersprechen. Staatsminister Schäfer hat zu Recht mit Herrn Dr. Göhner darauf hingewiesen, daß wir uns nicht in Widerspruch zu unserer Außenpolitik und Verteidigungspolitik setzen können.
Im übrigen ergibt sich aus den Beratungen und aus den Protokollen für die Zusatzprotokolle, daß diese



Funke
Zusatzprotokolle lediglich die konventionellen Waffen betreffen sollen. Insoweit dient die Nuklearerklärung der Sicherheit im Völkerrechtsverkehr.

(Peter [Kassel] [SPD]: Na!)

— Das ist schon richtig. Herr Peter, ich glaube, manchmal würde das Studium der Akten uns wissenschaftliche und manchmal auch politische Ausführungen ersparen.
Wir werden daher bei dieser Petition, soweit gefordert wird, auf die Nuklearerklärung zu verzichten,

(Peter [Kassel] [SPD]: Haben Sie die Petition studiert?)

dahin gehend votieren, daß die Petition insoweit als erledigt zu betrachten ist.
Danke schön.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110022100
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/3100. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, bitte ich um Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/2434 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zur Lage der Stahlindustrie — Drucksache 11/1537 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß
b) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Legislative Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission an den Rat für eine Verordnung zur Einführung eines Gemeinschaftsprogramms zugunsten der Umstellung von Eisen- und Stahlrevieren (Programm RESIDER)

Legislative Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission an den Rat für einen Beschluß über einen Beitrag an die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl zu Lasten des Gesamthaushaltsplans der Gemeinschaften zur Finanzierung von Sozialmaßnahmen im Rahmen der Umstrukturierung der Eisen- und Stahlindustrie
Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission an den Rat für die von bestimmten Voraussetzungen abhängige Einführung eines
neuen Quotensystems für bestimmte Erzeugnisse mit einer Laufzeit von drei Jahren
— Drucksache 11/1676 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß
Im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte 45 Minuten vereinbart worden. Ich sehe keinen Widerspruch. — Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Staatssekretär von Wartenberg.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1110022200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die uns vorliegenden Entschließungsanträge des Europäischen Parlaments befassen sich mit der Lage der Stahlindustrie im Jahre 1987 sowie den Krisenmaßnahmen und der sozialen und regionalen Flankierung durch die Europäische Gemeinschaft, über die Ende letzten Jahres in den Fachgremien der Gemeinschaft beraten wurde. Das Europäische Parlament hatte die Entschließung im November und Dezember des vergangenen Jahres vor dem Hintergrund der bevorstehenden Ministerräte angenommen. Der Inhalt der Entschließungen ist durch die Ministerräte vom 22. Dezember des vergangenen Jahres und vom 2. Februar und 24. Juni dieses Jahres weitgehend überholt. Dies gilt insbesondere für die Forderungen des Europäischen Parlaments, das Quotensystem und das Gemeinschaftsprogramm zur Förderung von Ersatzarbeitsplätzen in den Stahlregionen fortzuführen.
Das Quotensystem ist zum 1. Juli 1988 ausgelaufen. Angesichts der mangelnden Stillegungsbereitschaft der europäischen Stahlindustrie und einer außerordentlich guten Stahlnachfrage hielten die EG-Kommission und mehrere Mitgliedstaaten die wirtschaftlichen und die rechtlichen Voraussetzungen für eine Verlängerung der Krisenmaßnahmen gemäß Art. 58 des EGKS-Vertrages nicht mehr für gegeben. Die Kommission legte dem Rat daher keinen Vorschlag für eine Verlängerung des Systems vor.
Die Bundesregierung hat in der Ratstagung am 24. Juli 1988 jedoch die Einführung eines verbesserten Monitoring-Systems durchgesetzt, das die Erhebung monatlicher Produktions- und Lieferstatistiken, die Fortführung der vierteljährlichen Marktvorausschätzungen sowie regelmäßige Konsultationen mit den betroffenen Marktteilnehmern vorsieht. Dadurch ist unseres Erachtens sichergestellt, daß eine eventuelle Verschlechterung der Marktlage rechtzeitig erkannt werden kann und daß gegebenenfalls geeignete Maßnahmen beschlossen werden können.
Das neue Gemeinschaftsprogramm RESIDER des EG-Regionalfonds zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in Stahlregionen wurde Anfang Februar dieses Jahres ebenfalls vom Rat verabschiedet. Auf der Grundlage von Anmeldungen der Bundesländer hat die Kommission entschieden, daß die Ruhrgebiets-Region und das Saarland als Interventionsgebiete des RESIDER-Programms anerkannt werden. Für das Saarland ist be-



Parl. Staatssekretär Dr. von Wartenberg
reits ein Interventionsprogramm genehmigt worden, und das Programm für das Ruhrgebiet steht unmittelbar zur Genehmigung an. Demgegenüber hat die Kommission noch nicht über die Gebietsanmeldungen von Niedersachsen und Bayern entschieden.
Auch die Kommissionsvorschläge zur weiteren Verbesserung der Sozialmaßnahmen gemäß Art. 56 des EGKS-Vertrages wurden zwischenzeitlich vom Rat akzeptiert. Offen ist hier nur noch die Frage der Finanzierung. Der von der Kommission dem Rat am 24. Juni 1988 vorgelegte Vorschlag für einen Haushaltstransfer aus dem EWG- in den EGKS-Haushalt für die Jahre 1988 bis 1990 wurde vom Ministerrat wegen nicht ausreichender Vorbereitungen noch nicht angenommen. Der bevorstehende Ministerrat wird sich damit deshalb erneut befassen.
Meine Damen und Herren, seit Anfang des Jahres hat sich die Lage der deutschen Stahlindustrie deutlich verbessert. Die Stahlnachfrage aus dem Inland und aus dem Ausland und die Produktion befinden sich auf einem vergleichsweise hohen Niveau. Die Ordertätigkeit aus dem Inland und aus dem Ausland ist stark gestiegen. Allein in den ersten neun Monaten des Jahres nahm die Rohstahlproduktion um 11,8 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu. Bis Ende des Jahres kann mit einer Gesamtmenge von 41 Millionen Tonnen gerechnet werden. Das wäre ein Zuwachs von rund 10 Prozent gegenüber dem Jahr 1987. Die Preise sind ebenfalls beträchtlich gestiegen. Diese Lage, die voraussichtlich noch einige Zeit anhalten dürfte, führt dazu, daß gegenwärtig alle Stahlunternehmen Gewinne erwirtschaften oder zumindest kostendeckende Erlöse erzielen.
Wir meinen dennoch, daß kein Grund zur Euphorie besteht. Auch nach neueren Prognosen aller maßgeblichen Institute und der EG-Kommission ist die Nachfrage nach Stahl in den Industrieländern langfristig weiterhin rückläufig. So hält z. B. auch die Substitution, d. h. der Ersatz des Stahls durch andere Produkte, an. Ich darf hier an die Situation im Jahre 1974 erinnern, als weltweit ein Stahlmangel vorausgesagt wurde, während die Stahlindustrie tatsächlich unmittelbar vor der größten und langwierigsten Strukturkrise dieses Jahrhunderts stand. Es kommt deshalb jetzt darauf an, daß die Stahlindustrie die zur Zeit günstige Situation nutzt, um ihre Strukturanpassung konsequent fortzuführen und ihre Wettbewerbsfähigkeit auch im Hinblick auf die Vollendung des Binnenmarktes 1992 weiter zu stärken. Dazu gehört auch, daß Schwachstellen und Verlustquellen weiterhin beseitigt werden.
Bis Mitte 1988 ist etwa die Hälfte der in den Umstrukturierungsplänen der Jahre 1986/87 vorgesehenen insgesamt rund 35 000 Personalfreisetzungen durchgeführt worden. Bisher hat kein Unternehmen erkennen lassen, daß wegen der guten Konjunktur auf diese geplanten Anpassungsmaßnahmen verzichtet werden soll. Dies gilt auch für Rheinhausen. Dementsprechend sieht die Bundesregierung derzeit keine Veranlassung, ihre Zusage an die Stahlindustrie aus dem Oktober 1987, auf Grund deren die bevorstehende Strukturanpassung mit finanziellen Mitteln des Bundes und der Länder sozial flankiert wird, in Frage zu stellen. Es ist allerdings denkbar, daß sich der Per-
sonalabbau bei den Stahlunternehmen auf Grund der guten Marktsituation zeitlich verzögert. Die gegenwärtige Lage der Stahlunternehmen ermöglicht es ihnen aber unseres Erachtens, daß sie ihrer Verantwortung für die Stahlregionen dadurch stärker gerecht werden, daß sie bei der Schaffung zukunftsorientierter Arbeitsplätze mithelfen. Die jüngste Entwicklung, z. B. die in Dortmund, zeigt, daß sich auch die Unternehmen im Ruhrgebiet diese Aufgabe selbst stellen.
Die von der Bundesregierung und vom Bund-Länder-Planungsausschuß beschlossene Aufstockung der regionalen Fördermittel für die Schaffung neuer Arbeitsplätze in Stahlstandorten bedarf noch der Zustimmung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften. Wir gehen davon aus, daß auch die Kommission der EG die Umstrukturierung der Montanregionen für dringend erforderlich hält und die regionale Flankierung, d. h. das Sonderprogramm Montanregionen, in Kürze genehmigt wird. Das Programm wird nach unseren Erfahrungen von allen an der wirtschaftlichen Entwicklung Beteiligten in der Region positiv angenommen. Allein im letzten halben Jahr sind — vorbehaltlich der Genehmigung der EG-Kommission — rund 100 Millionen DM Fördermittel in den Ruhrgebietsregionen für Investitionsprojekte der gewerblichen Wirtschaft und Infrastrukturmaßnahmen bewilligt worden. Auch die sonstigen Anstöße, die aus der Kanzlerrunde über die Ruhrgebietsregionen erfolgt sind, werden von der Bundesregierung wie bisher nachhaltig weiterverfolgt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Roth [SPD]: Bitte nicht „Beifall bei der CDU/ CSU", sondern „des Abg. Dr. Lammert" ! — Dr. Lammert [CDU/CSU]: Der die CDU/ CSU-Fraktion in diesem Falle wirklich vollständig vertritt! — Roth [SPD]: Eine bedeutende Versammlung! — Mischnick [FDP]: Der Koalitionspartner ist da! Keine Sorge! — Roth [SPD] [zu Abg. Dr. Lammert [CDU/ CSU]]: Sie sind der übernächste Redner! Dann klatscht aber keiner mehr!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110022300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jens.

Prof. Dr. Uwe Jens (SPD):
Rede ID: ID1110022400
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß wir über diese Entschließung zur Lage der Stahlindustrie aus dem Europäischen Parlament nach der Beratung im Wirtschaftsausschuß möglicherweise noch einmal diskutieren, denn die Zeit ist bekanntlich schnellebig. Aber noch schneller ändert sich offenbar die Situation in der deutschen Stahlindustrie. Prognosen sind wirklich manchmal Glücksache. Die heutige Situation ist ganz zweifellos besser, als wir alle es vorhergesehen haben. Selbst der ja sonst zielstrebige Bundeswirtschaftsminister Bangemann hat sich geirrt, als es um die Lage der Stahlindustrie ging, aber auch — insoweit befindet er sich in guter Gesellschaft — das Internationale Stahlinstitut in Seoul in Korea. Die Nachfrage nach Stahl ist weltweit einfach stärker gestiegen, als wir alle es vorhergesehen haben. Die Stahlproduktion — das haben wir schon gehört — in der Bundesrepublik hat sich in den letzten acht Monaten im Durchschnitt um 11 % erhöht und in der EG durch-



Dr. Jens
schnittlich nur um 8 %, was einmal mehr die doch relativ günstige Position der deutschen Stahlindustrie unterstreicht.
Einige Schwellenländer wie Südkorea und Taiwan benötigen ihre eigene Stahlproduktion für die gestiegene Binnennachfrage, aber in Europa, in den Vereinigten Staaten und in Japan sind eben erhebliche Kapazitäten stillgelegt worden. Dennoch: Nach Auffassung der Sozialdemokraten spricht vieles dafür, daß die Strukturanpassungsproblematik der Stahlindustrie zur Zeit kurzfristig von einem Boom überdeckt wird. Die Umstrukturierung beim Stahl zu einem weltweit leistungsfähigen Wirtschaftszweig muß unseres Erachtens weiter verfolgt werden. Alle Beteiligten, die Konzernleitungen, die Bundesregierung und auch die EG-Kommission, müssen die Chance jetzt nutzen, denn bekanntlich ist es viel einfacher, Strukturwandel in einer günstigen wirtschaftlichen Lage voranzubringen als etwa in einer Krisensituation. Ich erinnere auch noch einmal daran, daß wir bereits 1985/86 eine Boomphase hatten und damals die Umstrukturierung zurückgestellt haben, was sich nachträglich als nicht sehr sinnvoll herausgestellt hat.
Dennoch behaupte ich immer — und das ist quasi eine Binsenweisheit — : Jeder, der Entscheidungen trifft, muß, wenn sich die Lage grundlegend verändert, bereit sein, die Entscheidung zu überprüfen. Die Stahlkonzerne müßten aus unserer Sicht die guten Einnahmen, die sie zur Zeit einfahren, verstärkt zur Umstrukturierung nutzen. Vor allem sie sind für Ersatzarbeitsplätze in den betroffenen Regionen verantwortlich, und dies könnte aus unserer Sicht schneller geschehen, und es könnten auch vielleicht noch ein paar mehr Ersatzarbeitsplätze als geplant in Zukunft geschaffen werden. Sie selbst müssen Investitionen und Innovationen für neue, zukunftsträchtige Produkte tätigen. Manche Stahlkonzerne haben den Strukturwandel schon besser als andere bewerkstelligt. Hier gilt es, verstärkt auch etwas seitens der Konzernleitungen zu tun.
Von der Bundesregierung erwarten wir, Herr Staatssekretär, daß sie die Versprechungen, die sie anläßlich der Montankonferenz abgegeben hat, ernst nimmt und auch durchführt. Wir Sozialdemokraten glauben, daß der Finanzansatz im Haushalt für die Gemeinschaftsaufgabe für die Förderung der Umstrukturierung in den Montanregionen mit 100 Millionen DM zu niedrig ist. Wir hatten bereits im Wirtschaftsausschuß darüber diskutiert und haben zusätzlich 275 Millionen DM gefordert. Neue, zukunftsträchtige Arbeitsplätze sind einfach teuer, sie kosten viel Kapital. Deshalb wäre es schon sinnvoll, wenn wir die Umstrukturierung wirklich dauerhaft bewerkstelligen wollen, daß die Regierung noch einmal darüber nachdenkt, ob sie hier nicht doch noch ein bißchen zusätzlich tun kann.
Von der EG-Kommission erwarten wir, daß auf alle Fälle der Subventionskodex verlängert wird. Man kann der Kommission ja nur Glück wünschen. Sie hat gewissermaßen Glück gehabt, indem sie die Quotenregelung in einer Situation abgeschafft hat, wo die Lage anschließend deutlich besser war, als wir das vorhergesehen haben. Der Subventionskodex muß aus unserer Sicht zumindest für fünf Jahre fortgeführt
werden. Hier, glaube ich, ist es notwendig, mehr Transparenz, mehr Durchsicht auch für Außenstehende zu schaffen. Es muß Schluß sein mit staatlich gesicherten Finanzierungskrediten vor allem an staatliche Stahlunternehmen.
Das RESIDER-Programm — das ist ein Kunstwort — , das wir hier heute diskutieren, ist aus unserer Sicht ein guter Ansatz. Wir unterstützen dieses Programm der EG-Kommission. Bei der Kommission wurde offenbar erkannt, daß Innovationen — das predigen wir immer wieder — zur Zeit eher in kleinen und mittleren Unternehmen als etwa in Großkonzernen getätigt werden. Wir sind mit dem Europäischen Parlament der Ansicht, daß die Mittel für dieses Programm um weitere 120 Millionen ECU aufgestockt werden müßten.
Ich behaupte im übrigen, Herr Staatssekretär, was wir im Stahlbereich versuchen, ist eine sinnvolle zukunftsorientierte Entwicklung. Wir haben ein Konzept, um den Strukturwandel in der Bundesrepublik zu bewerkstelligen. Ich sage: Wir Sozialdemokraten haben möglicherweise das etwas bessere Konzept. Wir wollen nämlich nicht wie in den Vereinigten Staaten ganze Wirtschaftszweige ausradieren oder ganze Regionen platt machen — das nennt man externen Strukturwandel — , wir wollen vielmehr innerhalb der Branche, innerhalb des Unternehmens, innerhalb der Region den Strukturwandel forcieren und vorantreiben und auf diese Art und Weise die Probleme lösen. Ich glaube, daß wir alle in diese Richtung denken müssen. In der Bundesrepublik Deutschland, sage ich einmal, gibt es im Grunde keine Alternative dazu. Wir können es uns nicht erlauben, den Strukturwandel so wie in den Vereinigten Staaten zu praktizieren.
Wir plädieren im Gegensatz zur sogenannten passiven Sanierung — daß man Bereiche platt macht — für die aktive Sanierung. Hier gilt es also, die alten Arbeitsplätze in neue, in zukunftsträchtige gewissermaßen umzuwandeln. Wir brauchen eine qualitativ verbesserte Beschäftigtenstruktur. Ich glaube, auch wegen der hervorragenden Berufsausbildung in der Bundesrepublik Deutschland, ist auch ein hoher Kündigungsschutz, wie wir ihn in der Bundesrepublik kennen, durchaus berechtigt.
Ich sitze als Arbeitnehmervertreter in dem Aufsichtsrat eines Stahlunternehmens — eines ehemaligen Stahlunternehmens, muß ich sagen — und habe dort die paritätische Mitbestimmung einmal ein bißchen kennengelernt. Ich glaube, wir hier im Parlament denken häufig anders darüber, als es sich in der Praxis wirklich darstellt. Zur Zeit ist es wenigstens so, daß — das gilt schon für eine geraume Zeit — man gewissermaßen Ball paradox spielt, daß es eine verkehrte Welt ist: Die Arbeitgebervertreter im Aufsichtsrat denken über Stillegung, über Kostenreduzierung, über den Abbau von Arbeitsplätzen nach. Wir dagegen denken darüber nach, wie Investitionen und Innovationen verstärkt gefördert und vorangebracht werden können. Insofern ist das eine wichtige Begründung für uns, die paritätische Mitbestimmung zu erhalten und noch weiter auszubauen.

(Beifall bei der SPD)




Dr. Jens
Nach meiner festen Überzeugung ist das öffentliche Palaver um den Industriestandort Bundesrepublik Deutschland töricht, dumm und absurd. In der Bundesrepublik gibt es eine gut ausgebaute, wirtschaftsnahe Infrastruktur, eine gute Produktivität und eine hohe Qualität der Arbeitskräfte. Wir haben im übrigen einen bewährten Mechanismus zur Bewältigung von Konflikten, die sich immer wieder aufbauen. Wir haben seit Jahren sozialen Frieden, auch das ist ein wichtiges Pfund zur Beurteilung der Wirtschaftsstruktur eines Landes.
Ich sage, im Standort Rhein/Ruhr, im Standort Saar, aber auch in anderen Montanregionen zeigt sich, daß sich das Klima insgesamt deutlich verbessert hat. Die Umstrukturierung zeigt ihre Wirkungen: Die Stimmung wird besser. Es gilt, diese Stimmung zu erhalten; denn die immer noch gut motivierten Arbeitnehmer in diesen Regionen müssen auch für die Zukunft motiviert bleiben.
Wichtig ist, daß wir jetzt dafür sorgen, daß diese Umstrukturierung weitergeht. Dafür brauchen wir weitere Leistungen des Bundes, aber auch der EG-Kommission. Wir benötigen ferner dringend mehr Dynamik bei den gesamtwirtschaftlichen Investitionen; denn wenn es gesamtwirtschaftlich besser läuft, dann läuft auch der Strukturwandel einfach besser. Wir benötigen dringend mehr Dynamik bei den gesamtwirtschaftlichen Investitionen. Daran mangelt es leider seit Jahren in der Bundesrepublik Deutschland.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110022500
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Lammert.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1110022600
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Freunde der CDU/CSU-Fraktion vor den Bürolautsprechern.

(Roth [SPD]: „Lieber Freund Wartenberg" , so müßte das heißen!)

— Ich will ihn in seiner Eigenschaft, wenn es gewünscht wird, auch gerne ausdrücklich hier begrüßen.

(Roth [SPD]: Ich sage das nur, andere sind ja nicht da!)

— Die Schriftführer nehme ich sozusagen als exterritoriales Gebiet natürlich in, wie ich hoffe, sinngemäßer Interpretation der Geschäftsordnung von der Begrüßung aus.

(Roth [SPD]: Sie sind nicht geschlechtsneutral, aber parteineutral!)

— Das habe ich auch gar nicht behauptet. Dieser Zwischenruf wäre überflüssig gewesen, wenn der verehrte Herr Kollege Roth dem zugehört hätte, was ich tatsächlich gesagt habe.
Es ist ungewöhnlich genug, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, daß wir hier im Deutschen Bundestag über die Stahlindustrie diskutieren, wenn akute Probleme offensichtlich nicht zu bewältigen sind. Wir haben dies oft genug bei umgekehrten Vorzeichen getan. Es kommt im übrigen auch nicht allzu häufig vor, daß der Deutsche Bundestag eine Debatte auf der
Basis von Papieren führt, bei denen es sich um die Unterrichtung über Entschließungen des Europäischen Parlaments handelt.
Von diesen beiden uns vorliegenden Papieren können wir uns halbwegs präzise, denke ich, eigentlich nur mit der Empfehlung vom 14. Dezember 1987 befassen, weil ich nicht so recht weiß — um das an dieser Stelle vielleicht wenigstens in Klammern zu sagen —, was wir eigentlich mit einer Vorlage auf der Drucksache 11/1676 tun sollen, die eine Reihe von Änderungsanträgen des Europäischen Parlaments gegenüber einem von der Kommission vorgeschlagenen Text zum Gegenstand hat, aber keineswegs den vollständigen Text enthält, dessen Änderung mit diesem Papier beantragt wird.
Ich beziehe mich jetzt also auf die Entschließung des Europäischen Parlaments zur Lage der Stahlindustrie, die nun auch eine Reihe von Monaten zurückliegt, die aber durchaus deutlich macht, daß es in den grundsätzlichen Fragen der europäischen Stahlpolitik ein hohes Maß an Übereinstimmung zwischen den Entschließungen, die auch in diesem Parlament mehrfach verabschiedet worden sind, und den Einschätzungen gibt, die unsere Kollegen im Europäischen Parlament hier haben deutlich werden lassen.
Ich will darauf verzichten, nun die Reihe von Punkten einzeln aufzuführen, für die sich eine solche Übereinstimmung nahtlos belegen läßt, und will mich hier aus gutem Grund auf eine einzige Ziffer beziehen, nämlich auf die Ziffer 6 dieses Entschließungspapiers des Europäischen Parlaments, in dem es die Tatsache betont — ich zitiere — , „daß die europäische Stahlindustrie eine leistungsfähige Schlüsselindustrie mit besonders qualifizierten Arbeitnehmern und von großer Bedeutung für die Europäische Gemeinschaft ist; sie hat Zukunft ... ". Das sagt das Europäische Parlament.
Ich denke, dem können wir zustimmen. Aber wir haben Anlaß, gerade auf dem Hintergrund der im Augenblick ungewöhnlich günstigen Daten in der Stahlindustrie, vor dem Mißverständnis zu warnen, als könne die Zukunft von Regionen, deren Vergangenheit von der Stahlindustrie ganz wesentlich geprägt war, weiter auf dieser Branche beruhen.
Selbst die Stahlkonzerne haben inzwischen — wie ich finde, eher zu spät als zu früh — konkrete Schlußfolgerungen aus der Erkenntnis gezogen, daß ihre wirtschaftliche Zukunft auf diesen Produkten nicht beruhen kann. Deswegen wäre es ein verhängnisvolles, leider naheliegendes Mißverständnis, aus den besseren konjunkturellen Daten dieser Branche heute die Schlußfolgerung herzuleiten, die Umstrukturierung könne ganz oder jedenfalls zeitweise eingestellt werden.
Ich denke — und so habe ich den Kollegen Jens verstanden — , daß wir auch in dieser Frage offensichtlich ein hohes Maß an Übereinstimmung in diesem Haus haben. Niemand von uns wird sich darüber beklagen, daß die Zahlen besser geworden sind, daß der Druck für alle geringer geworden ist: für die Unternehmen wie für die Arbeitnehmer. Aber wir sollten auch gemeinsam voreilige Hoffnungen dämpfen, und wir sollten insbesondere gemeinsam zu den Überzeu-



Dr. Lammert
gungen stehen, die wir auch in schwierigeren Situationen hier vertreten haben. Die Umstrukturierung muß weitergeführt werden.
Sie muß nun allerdings auch mit den verbesserten Möglichkeiten einer durchgreifend verbesserten Situation in Angriff genommen und durchgesetzt werden. Es hat ja mehr als nur plakative Bedeutung, wenn nun seit einigen Wochen und Monaten statt von schwarzen Fahnen von schwarzen Zahlen die Rede ist und wenn statt von einer Dauerberichterstattung über eine Dauerstahlkrise nun von einem Stahlboom die Rede ist. Da muß man bitte auch alle Beteiligten und alle Betroffenen danach fragen dürfen, wie sie diese verbesserten Möglichkeiten nutzen, um ihrerseits praktische Schlußfolgerungen auf dem Hintergrund notwendiger Umstrukturierungsmaßnahmen herbeizuführen.
Vor wenigen Tagen hat der Chef der Wirtschaftsvereinigung Eisen und Stahl und Vorsitzende der Thyssen Stahl AG in einem Zeitungsinterview erklärt — ich zitiere — :
Die Stahlkonjunktur in der Bundesrepublik ist zur Zeit ausgezeichnet. Sie wird auch im nächsten Jahr anhalten; denn es gibt keine Zeichen einer Abschwächung.
Wenn das so ist, dann würde ich mir allerdings — außer den verständlichen und sachlich richtigen Hinweisen, daß man auf die beabsichtigte Umstrukturierung deswegen nicht verzichten könne und wolle — auch ein höheres Maß an Vollzugsmeldung für den Teil der Frankfurter Erklärung wünschen, in dem die Stahlindustrie selber konkrete, praktische Anstrengungen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in anderen Bereichen angekündigt hat.

(Beifall des Abg. Roth [SPD] — Roth [SPD]: Wo er recht hat, hat er recht! — Sellin [GRÜNE]: Aber nur angekündigt!)

Letzte Bemerkung. Der Kollege Jens hat vorhin darauf hingewiesen, daß die Europäische Kommission möglicherweise mit ihrer Aufgabe der Quotenregelung Glück gehabt habe. Ich kritisiere die Aufgabe des Quotenregimes nicht; dafür gab es in der Tat gute Gründe. Aber wir müssen gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung schon festhalten, daß die acht Jahre eines Brüsseler Krisenmanagements die strukturellen Überkapazitäten in der Europäischen Gemeinschaft eben nicht beseitigt haben, daß man in diesen Jahren eher versäumt hat, die Ursachen der Krise wirklich zu bekämpfen, und sich ständig mehr mit ihren Auswirkungen beschäftigt hat. Daß die Europäische Kommission möglichweise selber dem besseren Wetter nicht so recht traut und auch kein abschließendes Zutrauen zu ihrem eigenen Mut zur Aufgabe von Quotierungen hatte, mag man vielleicht auch daran erkennen, daß sie gleichzeitig ein sogenanntes Monitoring, also ein Überwachungssystem der tatsächlichen Entwicklung im Bereich der Produktionsmengen, aber auch der Subventionspraxis eingeführt hat, mit dessen Hilfe sie die Rückkehr zu Produktionsquoten jederzeit relativ schnell organisieren könnte.
Wir müssen deswegen auch und gerade auf dem Hintergrund der gegenwärtig verbesserten Situation
darauf bestehen, daß sowohl die Bundesregierung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft als auch insbesondere die Europäische Kommission selbst sich gerade in einer Zeit, in der das vielleicht eher möglich ist, in der das weniger schmerzhaft ist als in Zeiten einer krisenhaften konjunkturellen Situation mit Nachdruck darum bemüht, für eine Ordnung der Wettbewerbsbedingungen zu sorgen, die auch dann für alle Betriebe und insbesondere die Arbeitnehmer in diesen Stahlbetrieben und Stahlunternehmen wieder zumutbare Arbeitsvoraussetzungen schafft, wenn, wie absehbar, die gegenwärtig günstige Stahlkonjunktur wieder eher normalen Verhältnissen weichen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110022700
Das Wort hat Herr Abgeordneter Sellin.

Peter Sellin (GRÜNE):
Rede ID: ID1110022800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine Schlagzeile in der „Frankfurter Rundschau" vom 29. Februar 1988 findet im Herbst 1988 ihre Bestätigung. Sie lautete: „Rheinhausener Bürger-Komitee fühlt sich von Bonn verkohlt" .
Die Bundesregierung steht nach wie vor für die geplante Stillegung von Duisburg-Rheinhausen, ohne für Rheinhausen alternative Standortproduktionen von den Stahlkonzernen eingefordert zu haben. Die aktuellen Informationen zur Auftragslage in der Stahlwirtschaft sind vor dem Hintergrund der geplanten Stillegung schon absurd. Die IG Metall hat die Zahl der Überstunden in der bundesdeutschen Stahlindustrie derzeit auf 665 000 Arbeitsstunden pro Monat beziffert. Dies entspricht rechnerisch 4 000 Arbeitsplätzen. Der Stillegungsplan sieht vor, 5 000 Arbeitsplätze sollen bei Krupp und Mannesmann vernichtet werden. Die Stahlindustrie erlebt 1988 weltweit eine Stahlrenaissance. Fakt ist, die Stahlindustrie hat mit pessimistischen Erwartungen die Stillegungspläne durchgesetzt.
Die Bundesregierung und die EG-Kommission hatten und haben keine handfesten Daten zu der immer wiederholten Behauptung über in riesigem Ausmaß vorhandene Überkapazitäten. Wir GRÜNEN fordern von der Bundesregierung, der Europäischen Gemein, schaft und auch der Stahlindustrie, auch wirtschaftspolitisch überprüfbare Produktionskapazitätszahlen für alle Stahlsorten und für alle Stahlstandorte auf den Tisch zu legen,

(Beifall bei den GRÜNEN)

um den mittelfristig anzulegenden Umbau der Stahlindustrie und der Stahlstandorte für ökologisch und sozial verträglichere Produktionszweige regional planen zu können.
Am 31. März 1989 soll das Walzwerk in Rheinhausen gänzlich geschlossen werden. Ende 1988 soll die Schienenproduktion zu Thyssen verlagert werden. Mitte 1989 soll eine Wirtschaftlichkeitsüberprüfung über eine Verlängerung der restlichen Produktion entscheiden. Die Streikaktionen von Rheinhausen haben dazu geführt, daß die Unternehmensleitung heute die Gelegenheit hat, den unverhofften Stahlboom mitzumachen und abzukassieren. Von Verlusten redet



Sellin
derzeit niemand. Der Thyssen-Chef Spethmann hat sich in dieser Woche in Nordrhein-Westfalen sogar bereit erklärt, daß die Stahlindustrie gewährte Beihilfen insgesamt an Bund und Länder zurückzahlen werde. Die Beschäftigten von Stahlwerken müssen sich wirklich von Konzernleitung und herrschender Politik „verkohlt" vorkommen, wenn einerseits die Stillegung als unabänderliches Datum und Faktum gehandelt wird und gleichzeitig laufend zusätzliche Schichten verlangt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Einerseits wird eine Maloche bis zum Umfallen verlangt; andererseits wird eine ungewisse Zukunft durch Stillegung einer derzeit ausgelasteten Fabrik zugemutet.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110022900
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?

Peter Sellin (GRÜNE):
Rede ID: ID1110023000
Bitte schön, aber ohne Zeitanrechnung.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110023100
Aber sicher.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1110023200
Herr Kollege Sellin, würden Sie freundlicherweise einräumen, daß das, was Sie gerade als „Maloche bis zum Umfallen" bezeichnet haben, wenn überhaupt, dann nur mit Zustimmung des jeweiligen Betriebsrates erfolgen kann und daß vermutlich ein Großteil der Arbeitnehmer beispielsweise in Rheinhausen nach den Wochen von Kurzarbeit mit damit verbundenen Einkommenseinbußen nun dankbar die Möglichkeit begrüßt, durch ein Mehr an Arbeitsleistung auch zu einer Verbesserung des persönlichen verfügbaren Einkommens zu kommen?

Peter Sellin (GRÜNE):
Rede ID: ID1110023300
Ich möchte Ihnen darauf antworten, daß ich es beschäftigungspolitisch, gesundheitspolitisch und auch ökologisch völlig verkehrt finde, daß der Betriebsrat diesem Begehren der Belegschaft zustimmt. In diesem Moment verhalten sich auch einzelne Arbeitnehmer in bezug auf ihre eigene Gesundheit, sehr, sehr schädlich. Es geht zu Lasten ihres Rükkens und zu Lasten ihrer Gesundheit, wenn sie solche Schichten für vorübergehende Mehreinkommen kloppen. Man muß zur Kenntnis nehmen, daß ich diesen Widerspruch zu dem Verhalten, das die Betriebsräte an den Tag gelegt haben, ganz hart vertrete.
Die Beschäftigten sind bestimmt in ihrem Leben zur Änderung ihrer beruflichen Tätigkeit bereit, wenn eine rationale Planung aus den Absichten einer Unternehmensleitung erkennbar wäre. Dem ist jedoch nicht so. Sie werden als konjunkturelle Manövriermasse mißbraucht.
Es ist schon absurd: Die IG Metall hat für die Stahlarbeiter auch von Nordrhein-Westfalen ab November 1988 die 36,5-Stunden-Woche durchgesetzt. Gleichzeitig muß aber festgestellt werden, daß 665 000 Überstunden in der Stahlindustrie geleistet werden. Zusatzschichten werden gerissen; die eigene Gesundheit wird vernachlässigt; vorübergehend mehr Lohn in der Tasche bestimmt das individuelle Verhalten der Arbeiter.
All diese Erscheinungen in der Arbeitswelt der Stahlindustrie sind kein Beitrag zu ökologisch und sozial sinnvollen Beschäftigungsverhältnissen. Von daher ist es um so wichtiger, sich Konzeptionen auszudenken und zu entwerfen, wie der mittelfristige Umbau des Ruhrgebietes ökologisch orientiert und sozial durchdacht vollzogen werden kann. Die eine Milliarde DM Finanzhilfen von Bund, NordrheinWestfalen und der Europäischen Gemeinschaft für die Montanregion sind völlig unzureichend, um den infrastrukturellen Umbau des Ruhrgebietes nachhaltig finanziell unterstützen zu können.
Die GRÜNEN haben im Februar 1988 ihre Vorstellungen zur Ökoregion Ruhrgebiet in Düsseldorf der Presse vorgetragen. Aus dem Programm einige Essentials.
Es geht darum, daß der Umbau des Ruhrgebietes in manchen Branchen Wachstum, in anderen Schrumpfung bedeutet. Die Konversion der Produktion im ökologischen und sozialen Interesse verlangt, daß die Beschäftigten, die Belegschaften, und die Kommunen an dem Prozeß der Umstrukturierung demokratisch beteiligt werden. Es gilt der Grundsatz: Standorte und Arbeitsplätze sind so lange zu erhalten, bis vor Ort Ersatzarbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden. Konzerninterne Beschäftigungsgesellschaften haben die mittelfristige Umstrukturierung der Stahlkonzerne für andere Produkte und Produktzweige ökonomisch und sozial durchzuführen. Diese Gesellschaften haben Ausbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen anzubieten, um den Transfer der Beschäftigten in neue Tätigkeitsfelder zu ermöglichen. Grundsätzlich sind für die regionale Entwicklung Energiesparpotentiale zu erschließen. Es sind Programme aufzulegen, die dem Ruhrgebiet eine ökologische und soziale Entwicklung ermöglichen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110023400
Das Wort hat Frau Abgeordnete Würfel.

Uta Würfel (FDP):
Rede ID: ID1110023500
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir führen heute eine Debatte auf dem Hintergrund einer glänzenden Stahlkonjunktur, die weitgehend unerwartet über uns hereingebrochen ist und über die wir uns natürlich von Herzen freuen. Denn erinnern wir uns: Noch am Ende des Jahres 1987 waren die wirtschaftlichen Voraussagen für den Stahlmarkt recht düster. So ist es zu erklären, daß die Entschließungen des Europäsichen Parlaments zur Lage der Stahlindustrie vom Dezember 1987 noch von dem Andauern der Krise in der europäischen Stahlindustrie auch im Jahre 1988 ausging. Erfreulicherweise ist jedoch diese Entschließung durch den Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung auf dem Stahlmarkt überholt, denn die manifeste Krise nach dem EGKS-Vertrag besteht nicht mehr, und somit sind Krisenmaßnahmen gegenwärtig nicht mehr gerechtfertigt.
Es zeigt sich, daß der Ministerrat das Quotensystem zu Recht ausgesetzt hat und daß es keineswegs so ist, wie die SPD noch unlängst behauptet hat, nämlich



Frau Würfel
daß die Abschaffung des Quotensystems die nächste Krise beim Stahl vorprogrammiere.

(Zuruf von der SPD: Die Entwicklung geht ja weiter!)

Allerdings wissen wir auch aus den Erfahrungen der vergangenen Stahlzyklen, daß sich die Stahlkonjunktur in absehbarer Zeit wieder abschwächen kann. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir, daß die Bundesregierung ein verbessertes Überwachungssystem des Stahlmarkts durchgesetzt hat, mit dem in regelmäßigen Abständen die Lage am Stahlmarkt abgefragt und erörtert werden kann. Dieses Überwachungssystem ist die Voraussetzung dafür, daß bei einer Abschwächung der Stahlnachfrage rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden können. Der Vorwurf, wir ließen alles treiben und gingen unvorbereitet in die nächste Krise, ist daher durch nichts gerechtfertigt.

(Roth [SPD]: Wir werden uns hier noch einmal treffen!)

Gerade weil wir davon ausgehen müssen, daß die gegenwärtige hohe Nachfrage nach Stahl leider nicht in den nächsten Jahren anhalten wird,

(Roth [SPD]: Wir werden uns hier noch einmal treffen!)

wäre es unsinnig und töricht, jetzt getroffene Entscheidungen der Unternehmen zur Anpassung ihrer langfristigen Kapazitäten wieder in Frage zu stellen. Investitions- und Kapazitätsentscheidungen in der Stahlindustrie — das wissen auch die Vertreter der Gewerkschaften in den mitbestimmten Auf sichtsräten — müssen langfristig und oft antizyklisch getroffen und durchgehalten werden.
Für uns ist vor allem eines wichtig: Unsere Stahlindustrie muß sich für den gemeinsamen europäischen Binnenmarkt 1992 wettbewerbsfähig halten. Dazu gehört auch, daß verstärkt von der Rohstahlerzeugung auf die tiefere Staffelung der Weiterverarbeitung und Veredelung umgeschaltet wird. Die Bundesrepublik bleibt ein Stahlerzeugerland. Was zählt, ist letztlich die Qualität und die Verarbeitungstiefe unserer Produkte, und das schließt eine Tonnenideologie aus.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

Als Vertreterin des Saarlandes darf ich an dieser Stelle insbesondere das RESIDER-Programm begrüßen. Dieses Programm dient der Abfederung des Strukturwandels durch Schaffung neuer Arbeitsplätze in den betroffenen Stahlregionen. Es ist ein Verdienst der Bundesregierung, dieses Programm mit angeregt zu haben. Das Saarland ist von der EG-Kommission als betroffene Region anerkannt worden, und entsprechende Maßnahmen sind bereits genehmigt. Wir erhalten hiermit dringend notwendige Hilfe, die zur ökonomischen Umstrukturierung der schwachen Saarregion dringend notwendig ist.
Wie der saarländische Wirtschaftsminister in der vergangenen Woche zu Recht feststellte, sind die Meldungen über günstige Bilanzergebnisse bei Saarstahl Völklingen nur ein Teil der Wahrheit. Ohne die Zins- und Tilgungsleistungen von Bund und Saarland kämen sie so nicht zustande.
Mit dem RESIDER-Programm kann an der Saar das noch zu Zeiten eines FDP-Wirtschaftministers aufgelegte EFRE-Stahlsonderprogramm fortgesetzt werden, was bedeutet, daß die Anschlußfinanzierung der begonnenen Projekte Gott sei Dank sichergestellt ist. Das Stahlsonderprogramm von 1984 gab der Innovationsförderung und dem Technologietransfer durch die Einrichtung des Technologiezentrums an der Saar entscheidene Impulse. Diese Maßnahmen haben sich in den letzten vier Jahren bewährt und müssen als ein Schwerpunkt von RESIDER im Saarland unbedingt fortgesetzt werden.
Ein weiterer Schwerpunkt von RESIDER muß zweifelsfrei die Revitalisierung von Industriebrachen, vornehmlich im Montanbereich, sein. Meist liegen diese Flächen sehr zentral, sind infrastrukturell bereits gut erschlossen und verfügen über gute Verkehrsanbindungen. Es ist ein Flächenrecycling notwendig, parzelliert für kleinere und mittlere Unternehmen und nicht etwa für Verbrauchermärkte.
Nicht eingesetzt werden sollten die RESIDER-Mittel jedoch als Investitionshilfemittel. Bei derartigen Investitionshilfen besteht für RESIDER keine Priorität. Die Fördermittel der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" für arbeitsplatzschaffende Investitionen sind vom Bund im vergangenen Jahr mehrfach erhöht worden, so daß sicherlich die knappen RESIDER-Mittel für andere wichtige Aufgaben eingesetzt werden sollten.
Um die Umstrukturierung der Saarwirtschaft zügig voranzutreiben, ist das Saarland dringend auf technologieorientierte Unternehmen angewiesen. Gerade kleinere und mittlere Unternehmen sind hier der wichtigste Ansprechpartner. Die saarländische Landesregierung muß deshalb dafür sorgen, daß in der Hauptsache kleinere und mittlere Unternehmen von RESIDER profitieren.
Ich bin sicher, daß wir alle den richtigen Weg verfolgen, wenn wir das Saarland auf moderne Industrien und Dienstleistungen in der Mitte Europas ausrichten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110023600
Ich schließe die Aussprache. Sind Sie mit den Überweisungsvorschlägen einverstanden? — Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Krieger, Frau Rust, Frau Schoppe und der Fraktion DIE GRÜNEN Gegen die Verschärfung des § 218 StGB
— Drucksache 11/2957 —
Überweisungsvorschlag
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (federführend)

Rechtsausschuß
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Einverständnis? — Dann ist es so beschlossen.



Vizepräsident Frau Renger
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Schoppe.

Waltraud Schoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1110023700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben hier noch einmal einen Antrag vorgelegt und wollen den Bundestag damit auffordern, sich gegen die Vorstellung der sogenannten Freistellung auszusprechen.
Ich muß das kurz erklären, weil das manche überhaupt noch nicht wissen. Es gibt ein Schreiben des Bayerischen Staatsminsiteriums an die Verbände. Dort ist das auch schon diskutiert worden. Es hat eine Anhörung dazu gegeben. Das Freistellungsangebot soll schwangeren Frauen gemacht werden. Das bedeutet, daß den Frauen lebenslang die Unterhaltsverpflichtung für die Kinder und auch das Sorgerecht, also ihre Verpflichtungen als Eltern, abgenommen werden.
Was hat das zu bedeuten? Ich will ein bißchen aus dem Schreiben vorlesen , das an die Verbände geschickt worden ist, damit man sich ungefähr vorstellen kann, was dahintersteckt. Es geht um das Beratungsangebot. In dem Schreiben wird gesagt:
Sobald erkennbar wird,
— also im Beratungsgespräch —
daß das vorrangige Ziel, in der werdenden Mutter den Wunsch nach einem Austragen und Behalten des Kindes zu wecken, nicht erreicht werden kann, sollte es möglich sein, der werdenden Mutter behutsam, aber mit der gebotenen Deutlichkeit nahezubringen, daß eine Freigabe des Kindes zur Adoption im Vergleich zur Tötung der Leibesfrucht das geringere Übel darstellt.
Jetzt müssen wir allerdings wissen, daß schon nach heutigem Recht Frauen auch die Möglichkeit haben, ihr Kind zur Adotpion freizugeben. Nach heutigem Recht ist es so, daß die Frau nach einer Frist von acht Wochen nach der Geburt die Einwilligung zur Adoption geben kann. Dann muß man sich allerdings die Frage stellen: Was soll jetzt eigentlich dieses zusätzliche Angebot einer Freistellung bedeuten? Ich denke, wenn man das richtig betrachtet, dann ist dieses Angebot der Freistellung, das Angebot, lebenslang auch die Elternverpflichtung, die Verpflichtung für die finanzielle Versorgung der Kinder loszuwerden, ein Angebot, damit die Notlage von Frauen lösen zu wollen. Offensichtlich steht dahinter die Vorstellung, daß eine Frau das Kind nur auf Grund einer finanziellen Notlage nicht haben will. Deshalb nimmt man ihr diese Verpflichtung ab, und somit sind die Gründe für die Notlage überhaupt nicht mehr da. Das bedeutet, daß man von Bayern aus auf dem Verordnungsweg versucht, die Notlagenindikation zu kippen. Deswegen hat das unsere Fraktion noch einmal auf die Tagesordnung gebracht. Wir wollen, daß sich der Bundestag auf jeden Fall dagegen ausspricht.
Es gibt einen weiteren Brief des Bayerischen Staatsministeriums. Den habe ich auf meinem Platz vergessen, sonst könnte ich ihn zitieren. Aber ich kann Ihnen auch aus dem Kopf sagen, was darinsteht. Er ist von einem Herrn Vorndran. Er sagt, er wolle, daß dieses Freistellungsangebot auf jeden Fall in das bayerische Beratungsgesetz übernommen werde. Er möchte auch
— so ist die Vorstellung auch von bestimmten Leuten in Bayern — , daß der Standard des bayerischen Beratungsrechtes auch Bundesstandard wird. Da denke ich, muß man jetzt einfach mal hellhörig sein und etwas dagegen tun, denn ich glaube, das wäre wirklich eine Verschärfung des § 218, die damit ins Auge gefaßt wird.
Wie wir wissen, gibt es heute schon Adoptionen. Wer sich die Geschichte der Adoption einmal anguckt, der weiß, das Adoptionsrecht wurde früher einmal eingerichtet, damit reiche Leute, die viel Geld oder einen Titel zu vererben hatten, aber die keine Kinder hatten, sich durch eine Adoption einen Stammhalter sichern konnten, damit das Erbe, das Geld, nicht an den Staat fällt und der schöne Titel nicht irgendwo verschwindet.

(Neuhausen [FDP]: Rechtsgeschichte unbekannt!)

— Sie können mich dann ja verbessern. Ich habe recheriert und das so rausgekriegt.
Dann hat sich das verändert, und heute ist es so, daß man durch die Adoption Kindern ermöglichen will, in einer vollständigen Familie zu leben, weil wir alle wissen, die wir die Heime kennen, daß — obwohl viele Leute sich um diese Heimkinder sorgen — die Heimerziehung wirklich nicht das Gelbe vom Ei ist.
Die Grundlage aller Auseinandersetzung — darauf möchte ich noch einmal hinweisen — , die wir hier im Bundestag führen, ist ja eigentlich der Tötungsvorwurf. Wir müssen uns diesen Vorwurf an einer Stelle, wo er uns sehr zugespitzt vorgeworfen wird, einmal genau angucken. Es wird ja von einigen Leuten gesagt, die Abtreibung sei das gleiche, wie es der Holocaust gewesen ist. Man muß einmal darüber nachdenken, was hiermit eigentlich passiert. Ich glaube, daß mit dieser Aussage so etwas geschieht, wie eine Verleumdung und Verdrängung unserer eigenen Geschichte. Es wird sozusagen im Nachhinein phantasiert, als könnten Frauen heute durch Abtreibung die Greueltaten, die im Faschismus passiert sind, wiederholen. Das ist eine Verleugnung unserer Geschichte und reiht sich ein in die ganze Verdrängung der Geschichte des Nazi-Regimes, die wir ja auch kennen. Es ist interessant zu sehen, daß die gleichen Leute, die bei der Verdrängung der Nazi-Geschichte auch in anderen Bereichen immer vorneweg sind, auch diejenigen sind, die solche Vergleiche brauchen.
Etwas anderes an dem Tötungsvorwurf, worüber wir hier noch nicht geredet haben und was den Leuten und vielen Frauen große Schwierigkeiten macht, ist folgendes: Wenn Frauen abtreiben oder für sich einklagen, daß es die Möglichkeit zur Abtreibung gibt, dann ist damit eigentlich das Bild der Frau als Lebensschenkende, als Bewahrende zerstört. Das macht vielen Männern Angst, weil sie ein anderes Frauenbild wollen. Das macht auch vielen Frauen Angst. Aber ich denke, wir müssen uns auch mit diesem Frauenbild auseinandersetzen, weil ich glaube, daß die Frauen, indem sie für sich einklagen, daß es die Möglichkeit zu einer Abtreibung gibt, für sich so etwas einklagen wie auch progressive Täterinnen sein zu wollen. Denn, wenn eine Frau eine Abtreibung vornimmt, dann muß sie aggressiv sein gegen sich und gegen das



Frau Schoppe
werdende Leben; sie muß Durchsetzungskraft haben. Dies aber paßt nicht zu dem Bild, das man für die Frauen hier gerne haben will.
Zu der Geschichte in Bayern läßt sich noch sagen: Ich habe mich informiert und festgestellt, daß sowohl die Kirchen in Bayern als auch die Verbände in Bayern, dieses Freistellungsangebot an die Frauen ablehnen. Ich hoffe, daß sich der Bundestag in gleicher Weise einer Ablehnung anschließt. Ich glaube auch, daß mit diesem Freistellungsangebot all das ad absurdum geführt wird, was wir uns unter einer Beratung vorgestellt haben, was Beratung bei einer ungewollten Schwangerschaft für die Frauen bedeuten kann; denn eine Beratung, bei der sich eine Frau ihre Situation wirklich vor Augen führen und zu einer eigenständigen Entscheidung kommen kann, kann nur eine Beratung sein, die keine Vorgaben macht. Wenn gefordert wird, der Frau, soweit sie sich für eine Abtreibung entschlossen hat, das Angebot zu machen, ihr das Kind abzukaufen, dann ist das eine Form von Leihmütterschaft. Alle die, die das verfolgen, können nicht ernsthaft im anderen Bereich gegen Leihmütterschaft auftreten.
Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110023800
Das Wort hat der Abgeordnete Geis.

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1110023900
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staatssekretär Sauter wird die bayerische Position in dieser Frage am Schluß noch einmal erläutern. Gestatten Sie mir deshalb ein paar grundsätzliche Bemerkungen zu dieser gesamten Thematik.
Wir kommen ja nicht an der Tatsache vorbei, daß wir 200 000 registrierte Abtreibungen im Jahr im Wege der sozialen Indikation haben. Das muß uns natürlich zu Überlegungen veranlassen. Eine freie Gesellschaft kann die Freiheit ihrer Bürger nur bewahren, wenn die Konflikte, die täglich auftreten, mit gesetzlichen Regelungen vernünftig gelöst werden. Dabei spielen die Akzeptanz des Rechtes und die Fähigkeit des Rechtes, Motivation zu geben, die Fähigkeit des Rechtes zu gestalten, eine entscheidende Rolle. Beides hängt sehr eng miteinander zusammen.
Gerade dieser enge Zusammenhang wird insbesondere deutlich in der Diskussion um § 218. Man kann unumwunden feststellen, daß — so gut es die Reformer damals gemeint haben mögen — der ohnehin schon, zugegebenermaßen geltungsschwache alte § 218 durch die Reformen in den 70er Jahren seiner Motivationskraft gänzlich beraubt worden ist; sonst hätten wir nicht 200 000 Abtreibungen gerade im Bereich der sozialen Indikation, also in einem Bereich, in dem das Rechtsbewußtsein eine entscheidende Rolle spielt.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Das heißt Notlagenindikation!)

Dabei besteht in unserer Bevölkerung — das ist eigentlich die Schizophrenie — überhaupt kein Streit
darüber, daß das Recht auf Leben, auf Würde des einzelnen das höchste Recht ist, das uns zukommt.

(Zustimmung bei der FDP)

Insoweit besteht eine breite Übereinstimmung zwischen Bewußtsein der Bevölkerung und der Verfassung.
Es besteht auch überhaupt kein Streit darüber, daß der Staat verpflichtet ist, das Leben und die Würde des einzelnen zu schützen. Auch insoweit besteht, auch in allen Parteien, vollkommene Übereinstimmung.
Der Unterschied — die Schizophrenie, die ich meine — taucht auf bei der Frage des Rechtes des noch nicht geborenen Lebens; nicht unbedingt bei der SPD-Fraktion, aber bei den GRÜNEN, wie ich aus manchen Äußerungen entnehmen zu müssen glaube. Bei der Frage des Rechtes des noch nicht geborenen Lebens, des noch nicht geborenen Kindes teilen sich bei uns die Meinungen. In vielen Fällen wird die Meinung vertreten, der Staat müsse sich hier mit seiner Schutzfunktion zurückziehen.
Nun besteht kein Zweifel — auch darüber kann man ernsthaft nicht diskutieren — , daß das noch nicht geborene Leben nach unserer Verfassung grundsätzlich dem geborenen Leben gleichzusetzen ist. Das ist nicht nur die Erklärung des Bundesverfassungsgerichtes in seinem Urteil vom 25. Februar 1975, sondern auch die Begründung der Gesetzesvorlage der SPD und FDP Mitte der 70er Jahre gewesen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1110024000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Schoppe?

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1110024100
Einen Augenblick. Davon gingen die Reformer damals aus. Bitte, Frau Schoppe.

Waltraud Schoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1110024200
Herr Geis, Sie sagten eben, einige Leute forderten, daß sich der Staat hier heraushalte. Das ist in der Tat richtig. Wir sind ja der Meinung, daß das eine sehr persönliche Entscheidung ist und daß sich der Staat deshalb herauszuhalten hat.
Ich möchte Sie nur auf eins hinweisen — ich weiß nicht, ob Sie davon keine Kenntnis haben; wir haben es schon so oft gesagt — : Wir haben gute Beispiele in Ländern, wo die Abtreibungszahlen sehr gering sind. In den Niederlanden z. B., in unserem Nachbarstaat, haben wir sehr geringe Abtreibungszahlen. Wir haben dort ein ganz liberales Abtreibungsrecht, und wir haben dort eine sehr sexualfreundliche Aufklärung. Wäre es, wenn wir gemeinsam die Zahl der Abtreibungen verringern wollen, nicht eine Möglichkeit für uns, daß wir dann auch diesen Weg verfolgen?

(V o r sitz : Präsident Dr. Jenninger)


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1110024300
Frau Schoppe, ich bin bereit, jeden Weg mitzugehen, um die Zahl der Abtreibungen zu vermindern. Nur müssen Sie eines bedenken: Wir haben eine ganz klare Verfassungslage, die zum großen Teil ihren Grund in der leidvollen Geschichte des Nazi-Regimes haben mag. Die Väter unseres Grundgesetzes haben mit voller Absicht das an sich selbstverständliche Recht auf Leben eigens in die Verfas-



Geis
sung hineingeschrieben, weil es bei uns eine Zeit der Endlösung gab, eine Zeit der Liquidation und eine Zeit der Vernichtung „unwerten" Lebens gab.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Aber daran waren doch nicht die Mütter schuld!)

— Lassen Sie mich doch bitte ausreden. — Diese Verfassungslage zwingt den Staat zu dem höchsten Schutz, den er hat. Das ist nun einmal der Schutz des Strafrechtes, wobei viele andere Schutzfolgen gefragt sind. Ich stimme mit Ihnen voll überein, daß wir noch längst nicht bei den Forderungen und bei den Überlegungen — nichts anderes tut die bayerische Regierung im übrigen bei ihren Überlegungen zur Adoption — am Ende sind. Darauf werde ich nachher noch zu sprechen kommen. Ich weiß nicht, warum Sie sich so dagegen stemmen. Wir sind noch längst nicht am Ende bei den Überlegungen, wie wir den Frauen helfen können, die in Not, in Bedrängnis sind und nicht wissen, ob sie das Kind austragen können. Aber es besteht überhaupt kein Zweifel, daß daneben die Verpflichtung des Staates steht, mit dem schärfsten Mittel, das er hat, nämlich mit dem Mittel des Strafrechtes, zu schützen.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Das Strafrecht schützt nicht, Herr Geis, das wissen Sie!)

Das ist so auch in dem verfassungsgerichtlichen Urteil vom 25. Februar 1975 ausgedrückt und ist auch Wille derer gewesen, die damals reformiert haben; auch die haben den § 218 bestehen lassen.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Aber das Bundesverfassungsgericht will nicht, daß wir immer noch weiter verschärfen!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110024400
Bitte, Frau Kollegin, stellen Sie eine Zwischenfrage, oder stellen Sie den Dialog ein.

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1110024500
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben aber bei uns trotz dieser eindeutigen Verfassungslage die Situation, daß sich viele darüber einfach hinwegsetzen, so z. B. Ihre Frau Oesterle-Schwerin, wenn sie erklärt, sie betrachte die Tatsache, daß Frauen durch Sexualität schwanger werden, als Konstruktionsfehler der Natur, den die Frau durch einen kleinen Eingriff — gemeint ist Abtreibung — leicht korrigieren könne. Hier wird nicht nur die Tötung des Kindes, sondern auch die schwere Entscheidung der Frau, wenn sie sich zur Abtreibung entschließt, im Grunde genommen lächerlich gemacht. Dies zeigt, wie weit viele, auch solche, die hier im Bundestag sitzen, von den Grundwerten unserer Verfassung entfernt sind. Dies beweist aber auch einen, wie ich meine, bodenlosen, menschenverachtenden Zynismus.
Dies wird in einer weiteren Erklärung von Frau Oesterle-Schwerin deutlich: Sie hat nämlich geäußert, daß sie das Abholzen von alten Kastanien für schlimmer halte als das Absaugen von Zellgewebe — gemeint ist das noch nicht geborene Kind, das eine Frau nicht haben will.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies ist, wie ich meine, nicht die Gesinnung derer, die seinerzeit guten Willens die Reform gemacht haben. Dies ist
nicht die Gesinnung von kultivierten Menschen des 20. Jahrhunderts, sondern das ist der Weg zurück in die Steinzeit.
Obwohl unsere Verfassung denselben Schutz für das noch nicht geborene Leben wie für das geborene Leben grundsätzlich bejaht, klaffen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. Das beweisen die 200 000 Abtreibungen allein im Bereich der sozialen Indikation.
Deshalb, sehr geehrte Frau Schoppe, muß es doch möglich sein, muß es einer Landesregierung, muß es der bayerischen Staatsregierung doch erlaubt sein, darüber nachzudenken, wie sie in dieser Situation ihrer Verpflichtung gegenüber dem noch nicht geborenen Kind und gegenüber der Frau, die in Bedrängnis gerät und die nicht weiß, ob sie das Kind austragen kann oder nicht, gerecht wird. Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, auch eine ganze Reihe von Maßnahmen der Bundesregierung, die sich dieser Sorge annehmen. Eine dieser Maßnahmen — aber nur eine, nicht die alleinige — ist die Möglichkeit der Adoption.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Die andere Möglichkeit ist, die Gelder zu kürzen! Das haben Sie in Bayern auch gemacht!)

— Frau Schoppe, wir haben die Gelder nicht gekürzt.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Natürlich haben Sie das gemacht!)

— Nein! Eine weitere Möglichkeit ist die Freistellung dann, wenn sie das Kind nicht zur Adoption freigeben kann, weil niemand da ist, der es annehmen will.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Den Frauen die Kinder abkaufen, was für ein Menschenbild steckt dahinter?)

Ich wiederhole: Natürlich ist die Adoption nicht die alleinige Möglichkeit, aber sie ist doch eine Möglichkeit, der Frau aus ihrer Bedrängnis zu helfen und das Leben des Kindes zu retten. Darum geht es ja auch! Es geht um die Lösung des Konflikts, in dem die Frau ist, und es geht um die Rettung des Lebens des Kindes.
Ich meine, es kann doch nicht so, wie Sie es in Ihrem Antrag tun, formuliert werden, daß Frauen dann, wenn sie sich für eine Adoption entscheiden — das ist eine schwere Entscheidung, und es wird für die Frau starke psychische Belastungen bedeuten, wenn sie sich zur Adoption entscheidet —,

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Ja, eben!)

als „Austragshülse" oder als Rabenmutter bezeichnet werden.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Als Leihmutter!)

— Lesen Sie Ihren eigenen Antrag nach: Als Leihmutter, als „Austragshülse" haben Sie sie bezeichnet. Darin kommt doch, wie ich meine, nicht nur eine bodenlose, eine unbarmherzige Verachtung des Lebens des Kindes zum Ausdruck,

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Zwangsschwan, gerschaften sind unmenschlich!)




Geis
sondern auch eine Verachtung der Selbstbestimmung und der Würde der Frau,

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Es ist doch keine Selbstbestimmung, wenn sie unter Druck gesetzt wird!)

die sich dazu entscheidet, das Kind zur Adoption freizugeben. Was anderes kommt denn darin zum Ausdruck? Doch nichts anderes! Das sollten Sie sich überlegen, bevor Sie solche Anträge stellen. Sie werden dann beim Wort genommen. Ich nehme Sie beim Wort, und ich denke gar nicht daran — —

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Selbst die Kirchen sind gegen diese Freistellung!)

— Die Kirchen haben Mitte der 70er Jahre selbst den Vorschlag gemacht, die pränatale Adoption zu ermöglichen.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Die Kirchen sind gegen diese Freistellung! Das wissen Sie doch aus Bayern!)

— Jetzt hören Sie doch auf! Das müssen Sie mir erst einmal beweisen, Frau Schoppe.
Ich meine noch auf eines hinweisen zu müssen: Sie treten sehr oft mit dem Anspruch auf, besonders für die Selbstbestimmung der Frau zu kämpfen. Aber in diesem Fall halten Sie sich nicht an den Anspruch, denn durch Ihre Verunglimpfung — lesen Sie Ihren eigenen Antrag noch einmal nach; der ist in seiner Formulierung unbarmherzig und im Grunde genommen bodenlos, und da gehen einem schon die Nakkenhaare hoch — verachten Sie gerade das Selbstbestimmungsrecht der Frau, die sich dazu entschließt, die sich zweifellos schweren Herzens dazu entschließt, ihr Kind nicht abzutreiben, nicht zu töten. Ich meine, diese Entscheidung sollten wir hoch einschätzen, denn das Kind leben zu lassen und schweren Herzens zur Adoption freizugeben, ist eine Entscheidung, die meiner Auffassung nach Achtung verdient. Da sollte man nicht mit Worten wie „Rabenmütter", „Leihmütter" oder gar „Austragungshülsen" kommen, wie Sie es tun.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110024600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Nickels?

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1110024700
Ja, bitte.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110024800
Bitte sehr, Frau Nickels.

Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1110024900
Herr Geis, vorausschicken will ich, daß ich Ihnen darin zustimme, daß die Freigabe zur Adoption eine achtenswerte und sehr schwere Entscheidung ist. Ich möchte Sie jetzt erstens fragen: Wissen Sie nicht, daß Adoptionsmöglichkeiten heute schon bestehen? Warum wird das von Ihnen als so großer Fortschritt im Sinne des Schutzes des ungeborenen Lebens dargestellt? Das ist mir nach Ihren Ausführungen immer noch nicht klargeworden.
Zweitens. Sie heben hier hervor, daß eine Regierung eine Maßnahme, die heute schon ergriffen werden kann, den Frauen als eine Möglichkeit, aus einer Notlage herauszukommen, anbietet, allerdings als eine Möglichkeit, die sehr unbarmherzig ist, weil sie das, was sich zwischen Mutter und Kind entwickelt,
völlig außer acht läßt und der Frau eigentlich nur die Wahl läßt, diese sehr schwere und schmerzliche Entscheidung zu treffen oder eben abzutreiben. Sie posaunen diese Lösungsmöglichkeit hier in die Welt hinaus, obwohl es sie heute schon gibt. Sehen Sie nicht, daß Sie damit die Frauen noch mehr in die Verzweiflung treiben? Und warum tun Sie nicht das, was diesen Frauen helfen würde, nämlich nicht Sachen hochjubeln, die es heute schon gibt, sondern den Frauen wirkliche Hilfen — materiell, psychisch und gesellschaftlich — geben, die ihnen diese zweite Not ersparen würden?

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1110025000
Aber Frau Nickels, Sie wissen doch genauso gut wie ich, daß die Adoption heute von weiten Teilen der Bevölkerung nicht angenommen wird. Mit Ihrem Antrag erreichen Sie genau dies: daß die Ablehnung der Adoption immer noch weitergetrieben wird. Mit diesen Formulierungen, die Sie in Ihrem Antrag gebraucht haben,

(Zuruf von den GRÜNEN: Das ist völlig verkehrt!)

erreichen Sie genau das.
Die Staatsregierung in Bayern versucht durch diese Initiative, die Adoption als eine Alternative zur Tötung darzustellen. Sie werden mir doch um Himmels willen zustimmen, Frau Nickels, daß die Adoption besser ist als die Tötung des Kindes, letztlich sowohl für das Kind als auch für die Frau. Da werden Sie mir — ich bitte Sie — doch wohl zustimmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch eine Schlußbemerkung! Der Gesetzgeber hat noch nie in einer derart eklatanten Weise wie bei dem Schutz des ungeborenen Kindes die Verfassung und die Entscheidung des Verfassungsgerichtes übergangen, wie ich meine. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir diesen Fehler der Vergangenheit wie' dergutmachen können.
Die Überlegungen, die wir in der Koalition anstellen, den Müttern in der Bedrängnis zu helfen, sind vielfältig und zum Teil mit Erfolg gekrönt. Dazu gehört auch das Beratungsgesetz. Dazu gehört natürlich auch der Versuch, die Adoption in der Öffentlichkeit in ein besseres Licht zu stellen, weil sie natürlich eine Alternative zum Tod darstellt.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110025100
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Götte.

Dr. Rose Götte (SPD):
Rede ID: ID1110025200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das bayerische Justizministerium, daß schon durch die Memminger Prozesse ein trauriges Beispiel für menschenverachtenden Umgang mit Frauen in Not geliefert hat, wartet nun mit einer neuen Idee auf.

(Bohl [CDU/CSU] : Immer diese krassen Urteile!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110025300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Geis?




Dr. Rose Götte (SPD):
Rede ID: ID1110025400
Ja, bitte.

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1110025500
Meinen Sie nicht, daß Ihr Hinweis auf die Memminger Prozesse und die Form, in der Sie diesen Hinweis gemacht haben, letztlich eine Hexenjagd auf die Richter darstellen,

(Widerspruch und Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

die, weil sie sich nicht in der Öffentlichkeit wehren können,

(Zuruf von der SPD: Kommen Sie zu Ihrer Zwischenfrage!)

die nur versuchen, nach rechtsstaatlichen Grundsätzen Recht zu sprechen nach einem Gesetz, das von der sozialliberalen Koalition in den 70er Jahren verabschiedet worden ist? Meinen Sie nicht, daß dieser Angriff auf die Richter von Memmingen letztlich ein Angriff auf die Gewaltenteilung und damit ein Angriff auf eine Grundfeste, auf eine Grundsäule unseres Staatswesens ist?

Dr. Rose Götte (SPD):
Rede ID: ID1110025600
Nein, Herr Kollege, das meine ich nicht, sondern ich meine, daß in diesem Prozeß deutlich wurde, wie eine politische Einstellung dazu benutzt werden kann, Frauen in Angst und Schrecken zu versetzen, weil sie nämlich damit rechnen müssen, daß sie, wenn sie von einem Recht Gebrauch machen, mit ihren ganzen Privatangelegenheiten und mit ihren persönlichen Konflikten an die Öffentlichkeit gezerrt werden, wie es in diesem Fall geschehen ist.

(Zuruf von den GRÜNEN: Genau so! — Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110025700
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Rose Götte (SPD):
Rede ID: ID1110025800
Nein, ich möchte weitermachen.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110025900
Sie gestatten die Zwischenfrage nicht?

Dr. Rose Götte (SPD):
Rede ID: ID1110026000
Nein, danke.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110026100
Keine Zwischenfrage! — Bitte, fahren sie fort.

Dr. Rose Götte (SPD):
Rede ID: ID1110026200
Frauen, die durch eine Schwangerschaft in eine schwere Notlage geraten, soll nun empfohlen werden, die Schwangerschaft doch zu akzeptieren und ein Kind zur Welt zu bringen, das sie dann zur Adoption freigeben soll. Weil das bayerische Justizministerium an alles denkt, ist für solche Kinder, die mit Behinderungen geboren werden und die dann — davon geht das bayerische Justizministerium aus — niemand haben will, ein Heimplatz auf Staatskosten sichergestellt.

(Zuruf von der FDP: Ungeheuerlich! — Zurufe von der SPD: Zynisch!)

Ich weiß nicht, wer sich im bayerischen Justizministerium solche Ratschläge ausdenkt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand daran beteiligt war, der selbst schon ein Kind geboren hat und weiß, was sich da an
Zwiegesprächen zwischen Mutter und Kind vor und nach der Geburt abspielt.
Wir haben uns alle mit gutem Recht darauf geeinigt, daß wir Leihmütterverhältnisse ablehnen. Nun will ausgerechnet der Staat Frauen, die in besonderen Notlagen sind, zu solchen Leihmüttern machen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich verwende das Wort ganz bewußt noch einmal, Herr Geis, denn es ist so. Frauen, die gar nicht die Absicht haben, ein Kind zur Adoption freizugeben, und sich gar nicht vorstellen können, daß sie dazu in der Lage sind, sollen nun aus dem Druck der Notlage heraus dazu gebracht werden, d. h. sie sollen zu Leihmüttern gemacht werden.
Meine Damen und Herren, es wird langsam unerträglich, daß sich dieselben christdemokratischen Politiker, die sich der Kirche und der Öffentlichkeit stets als die prädestinierten Beschützer ungeborenen Lebens empfehlen, gegenseitig übertreffen in der Produktion wenig hilfreicher oder gar schädlicher Ratschläge, aber immer dann zurückzucken, wenn es um konkrete und kostenintensive Maßnahmen für Schwangere geht.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Frau Pack [CDU/CSU]: Wo tut denn die SPD etwas in diesem Bereich?)

Frau Ministerin Süssmuth ist verantwortlich für den Entwurf eines Beratungsgesetzes, durch das ein hohes Gut, nämlich die Beratung, ausgehöhlt und diskriminiert wird. Ehrlich, wer von uns würde jemals einen Menschen um Rat fragen, von dem er weiß, daß er diesen Rat schon fertig in der Schublade liegen hat, ehe er überhaupt das Anliegen angehört hat?

(Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Das sind doch Unterstellungen!)

Wenn Beraterinnen in die Rolle von Bedrängerinnen gesteckt werden sollen, ist doch das Vertrauensverhältnis von vornherein gestört. Vertrauen aber ist absolut notwendige Voraussetzung dafür, daß eine Beratung überhaupt einen Sinn hat.
Uns Sozialdemokraten wird von manchen Gruppen immer wieder unterstellt, wir würden uns um den Schutz des ungeborenen Lebens nicht so intensiv kümmern wie beispielsweise die CDU. Das Gegenteil ist der Fall. Als einzige Fraktion haben wir bisher einen umfassenden Maßnahmenkatalog, ein Sofortprogramm für schwangere Frauen, für Mütter und Familien vorgelegt, einen Maßnahmenkatalog für Hilfen mit Rechtsanspruch und Maßnahmen für eine kinder- und familienfreundliche Gesellschaft. Wir haben diesen Katalog im Juni dieses Jahres dem Bundestag zur Kenntnis gebracht. Bis heute haben wir von keiner Seite der Regierungskoalition ein zustimmendes Signal erhalten. Nach unserem jetzigen Informationsstand hat die Regierungskoalition nicht die Absicht, besondere Maßnahmen für junge Mütter, die noch in der Ausbildung sind, zu ergreifen oder etwas für die Sicherung des Arbeitsplatzes junger Mütter zu tun, wie wir es in diesem Katalog vorschlagen.

(Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Typisch!)




Frau Dr. Götte
Schon gar nicht sollen Leistungen für Schwangere und Kinder nach dem BSHG verbessert oder der soziale Mietwohnungsbau zur Verbesserung der Wohnungssituation Schwangerer und junger Familien wieder aufgenommen werden.

(Zuruf von der SPD: Das ist die Realität!)

Wenn Sie gefragt werden, meine Damen und Herren von der CDU, welche konkreten Maßnahmen Sie denn für Mütter in Not außer Ihren Ratschläge bisher zustande gebracht haben,

(Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Schauen Sie doch mal in die Bundesländer!)

so weisen Sie immer voller Stolz darauf hin, daß Sie 1984 die Stiftung „Mutter und Kind" ins Leben gerufen hätten. Sie haben damals tatsächlich 25 Millionen DM für diese Einrichtung bereitgestellt,

(Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Wieviel sind es heute?)

im gleichen Jahr aber 3,078 Milliarden DM im Familienbereich gestrichen. Das ist die Wirklichkeit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Widerspruch von der CDU/CSU)

— Hören Sie sich das in Ruhe an. Das ist die Wahrheit. Sie können es selber nachrechnen.
Noch immer wird die Tatsache, daß jemand verheiratet ist, von den Finanzpolitikern dieses Staates höher bewertet als die Tatsache, Kinder zu haben. Wenn es um die Frage geht, ob es jetzt nach zehn Jahren nicht an der Zeit wäre, das Kindergeld zu erhöhen, so hat es ein Verteidigungsminister allemal leichter, die notwendigen Milliarden für sein Projekt „Jäger 90" zu bekommen als eine Familienministerin, die bisher keine zusätzlichen Mittel für die Familien lockermachen konnte.

(Bohl [CDU/CSU]: Ihr habt das Kindergeld ja gesenkt! — Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Das ist so nicht richtig!)

Meine Damen und Herren, die Alternative kann doch unmöglich heißen — —

(Bohl [CDU/CSU]: Sie haben das Kindergeld doch gesenkt! Das ist doch lächerlich!)

— Sie haben die Wende damit eingeleitet, familienpolitische Maßnahmen im Umfang von rund 9 Milliarden DM zu streichen,

(Frau Pack [CDU/CSU]: Indem wir das Kindergeld für arbeitslose Jugendliche wieder eingeführt haben, haben wir die Wende eingeleitet!)

und Sie haben erst nach und nach das alte Niveau, das wir damals bei der Wende hatten, jetzt wieder erreicht. Und dann wollen Sie sich als besonders familienfreundliche Fraktion darstellen!

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Alternative, über die wir hier zu reden haben, kann doch unmöglich heißen, Abtreibung oder Kind verschenken. Die Alternative kann doch nur sein, Maßnahmen zu ergreifen, damit die Mütter ihre Kinder behalten können. Wer immer noch glaubt, Herr Geis, daß er die ungeborenen Kinder vor ihren Müttern schützen muß, statt endlich bereit zu sein, mehr für die Mütter zu tun, kann in Zukunft nicht mehr den Anspruch erheben, Anwalt des ungeborenen Lebens zu sein.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Für beides, Frau Götte!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110026300
Das Wort hat der Abgeordnete Funke.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1110026400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der GRÜNEN gegen die Verschärfung des Paragraphen 218 geht, glaube ich, an der Wirklichkeit vorbei. Es ist nicht die Absicht der Regierungskoalition, den § 218 StGB zu verändern. Demgemäß kann auch keine Uminterpretation, wie es in Ihrem Antrag heißt, erfolgen. Die Gesetzeslage ist eindeutig, und so wird sie auch bleiben.
Ich erinnere daran, daß die Novellierung des § 218 auf Grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1975 zustande gekommen ist und eine abgewogene Regelung im Hinblick auf die Interessen der Frau und des werdenden Lebens unter voller Berücksichtigung der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts darstellt. Hieran Änderungen vornehmen zu wollen ist aus verschiedenen Gründen unzweckmäßig.
Erstens. Ein Gesetz, das nach sehr langen Abwägungsprozessen, in denen moralische, ethische, religiöse und auch rechtliche Fragen berücksichtigt wurden, kann nicht dauernd zur Disposition gestellt werden.
Zweitens. Solche Gesetze müssen auch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten auf Dauer angelegt sein. Schließlich müssen die betroffenen Bürger und die Rechtsgemeinschaft wissen, woran sie sind. Ein Gesetzgeber, der grundlegende Gesetze ständig verändert, wird merken, daß das Rechtsbewußtsein der Bürger leidet und der Bürger hierdurch verunsichert wird.

(Zustimmung bei der FDP — Dr. de With [SPD]: Aber aus der Union kommen dauernd solche Versuche!)

— Entschuldigen Sie, ich spreche für die FDP, Herr Dr. de With.

(Dr. de With [SPD]: Ich sage: von der Union, und Sie gehören zur Koalition!)

— Aber deswegen teile ich ja noch nicht die Rechtsauffassung der Union. Das wissen Sie ja auch, Herr Dr. de With.

(Heistermann [SPD]: Das ist gut! — Abg. Frau Schoppe [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110026500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1110026600
Bitte schön.

Waltraud Schoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1110026700
Herr Funke, teilen Sie meine Meinung, daß es außer der Möglichkeit, § 218 zu verändern, viele andere Möglichkeiten gibt, die



Frau Schoppe
Abtreibung zu erschweren? Wir kennen doch die Diskussion über die Abschaffung der Kostenübernahme durch die Krankenkassen in den Fällen der Notlagenindikation. Das ist ja immer noch nicht vom Tisch; da wird ja von hinten auch immer noch gewühlt. Eine andere Möglichkeit besteht natürlich auch darin, die Beratung der Frauen derart zu gestalten, daß die Möglichkeit der Abtreibung erschwert wird.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1110026800
Frau Kollegin Schoppe, diese Möglichkeiten und auch dieser Druck sind mir natürlich von dem einen oder anderen bekannt. Aber ich werde mich diesem Druck widersetzen.

(Zustimmung bei der FDP — Frau Schoppe [GRÜNE]: Sehr löblich! — Dr. de With [SPD]: Hoffentlich in anderen Dingen auch!)

— Jetzt sprechen wir erst einmal zu diesem Thema.
Wenn nun die bayerische Landesregierung eine gesonderte Anhörung zu einem Vorschlag zur Förderung der Möglichkeiten der Adoption durchführt, ist das in unseren Augen erst einmal das Problem der bayerischen Landesregierung. Dieses Problem muß auch in Bayern bewältigt werden. Es kann nicht Aufgabe des Bundestages sein, einzelne Landesgesetze zu kritisieren, ohne zu beurteilen, ob das bayerische Parlament überhaupt gesetzgeberische Kompetenzen hierfür hat. Wir werden konstruktiv an der Beseitigung etwaiger Mängel mitwirken. Herr Staatssekretär Sauter, ob eine entsprechende Gesetzesinitiative des Freistaats Bayern im Deutschen Bundestag jemals eine Mehrheit findet, wird sich danach richten, ob dieses Gesetz in Einklang mit den in der Koalition zu § 218 beschlossenen Maßnahmen steht. Hierüber und insbesondere über das Beratungsgesetz ist ja in diesem Hause schon mehrfach diskutiert worden. Die FDP hat in der Vergangenheit deutlich gemacht, daß sie einer Verschärfung des § 218 nicht zustimmen wird und daß dies auch nicht der Koalitionsvereinbarung entspricht. Vielmehr ist beschlossen worden, ein bundeseinheitliches Beratungsgesetz, Herr Staatssekretär Sauter, zu verabschieden, das die einzelnen Länderregelungen einschließlich der Regelung des Freistaats Bayern obsolet macht. Über dieses Gesetz werden wir im Bundestag noch zu beraten haben.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110026900
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger?

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1110027000
Nein, in diesem Fall nicht.
Dabei kann es eine durchaus überlegenswerte Diskussion sein, ob die Beratungsstellen der Schwangeren die Möglichkeiten einer Adoption aufzeigen sollten. Dies müßte im Rahmen der allgemeinen Beratung der Beratungsstellen erfolgen. Die Bereitschaft von Müttern, ihr Kind gegebenenfalls auszutragen, kann durch eine Verbesserung des Adoptionsrechts meines Erachtens erhöht werden. Die Anlaufstellen für Adoptiveltern müßten dazu in ihrer Anzahl vermehrt und ihre Besetzung mit sozialpädagogisch und juristisch geschultem Personal verstärkt werden.
Ungewollt Schwangere, die bereit sind, ihr Kind zur Adoption freizugeben, brauchen eine verbesserte Unterstützung. Wichtig ist, daß die Beratung in einem
Klima von Vertrauen und gegenseitigem Respekt geschieht. Ich meine, daß wir bei zukünftigen Beratungen sorgfältig die Situation von adoptionswilligen schwangeren Frauen in unsere Betrachtung einbeziehen müssen. Hierbei wäre jedoch zu berücksichtigen, daß ein Druck auf die Schwangere, das Kind nach der Geburt sofort zur Adoption freizugeben, nicht in Frage kommen kann.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Es kann sich lediglich um eine Beratung handeln, in der auf alle Gesichtspunkte einschließlich einer möglichen Adoption hingewiesen wird. Dies würde aber auch zweckmäßig sein, weil viele Bürger über die rechtlichen Voraussetzungen der Adoption und der Freigabe zur Adoption nicht hinreichend aufgeklärt sind.
Bei der Beratung sind natürlich auch mögliche psychische Folgen für die Mutter einzubeziehen, die das Kind zur Adoption freigibt. Mit anderen Worten, es müssen bei der Beratung alle Aspekte einer möglichen späteren Adoptionsfreigabe angesprochen werden. Niemanden von uns kann es unberührt lassen — insoweit gebe ich dem Kollegen Geis auch völlig recht — , daß in einem der reichsten Länder der Welt Jahr für Jahr — geschätzt — bis zu 200 000 Abtreibungen vorgenommen werden und auf der anderen Seite der Wunsch vieler Ehepaare nach Adoption eines Kindes unerfüllbar bleibt, weil es nicht genügend Kinder gibt, die zur Adoption freigegeben sind.
Mit dem Beratungsgesetz und auch dem Aufzeigen der Adoptionsmöglichkeiten werden wir nur dann eine Verringerung der Abtreibungen erreichen, wenn wir gleichzeitig die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die ungewollt Schwangeren verbessern. Da muß ich auf das zurückgreifen, was Frau Schoppe und Frau Dr. Götte gesagt haben: daß es nicht genügend hilft, nur das eine oder andere an zusätzlichen finanziellen Leistungen zu verbessern, daß vielmehr auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einschließlich der gesellschaftlichen Akzeptanz einschließlich der Kirchen verbessert werden müssen. Frau Schoppe hat zu Recht darauf hingewiesen, daß diese gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Holland eben besser sind als in der Bundesrepublik Deutschland. Wir sollten uns an unserem Nachbarland insoweit durchaus ein Beispiel nehmen.

(Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Es gilt auch, der Schwangeren z. B. den Arbeitsplatz oder Studienplatz zu erhalten und für das Kind sicherzustellen, daß es, auch wenn die Mutter arbeitet oder studiert, gute Aufwuchsmöglichkeiten hat.
Meine Fraktion wird auch insoweit konstruktiv an den Beratungen über das Beratungsgesetz zu § 218 teilnehmen. Wie wichtig eine bundeseinheitliche Regelung des Verfahrens im Rahmen des § 218 ist, zeigt in unseren Augen auch Ihr Antrag. Wir halten ihn allerdings nicht für sehr konstruktiv. Lassen Sie uns das Beratungsgesetz abwarten! Sie werden sehen, daß wir hier sachdienlich diskutieren werden.



Funke
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110027100
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister der Justiz.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1110027200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die GRÜNEN von dem bayerischen Vorschlag zur Förderung der Adoption und Freistellung von Unterhalt und Sorge für das Kind eine Einengung der Notlagenindikation befürchten, verkennen sie die Notlagenindikation des geltenden Rechts. Diese ist in § 218a des Strafgesetzbuches genau wie die kriminologische und die eugenische Indikation als Unterfall der umfassenden medizinischen Indikation geregelt. Der Konflikt der Schwangeren muß deshalb, wenn er eine Notlagenindikation begründen soll, genauso schwer sein wie in den anderen Fällen eines gerechtfertigten Schwangerschaftsabbruchs.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Das ist es auch!)

Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Fristenregelung vom 25. Februar 1975 gefordert. Daß eine Schwangere ihren Arbeitsplatz oder ihre Wohnung wechseln muß, reicht hierfür genausowenig aus wie das Erfordernis, eine Ausbildung oder Berufstätigkeit vorübergehend zu unterbrechen.

(Jäger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Keinesfalls — wie wir wissen — vermag die individuelle Einstellung einer Frau allein eine Notlagenindikation zu begründen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Hier müssen objektive Umstände hinzutreten, die dies auf der subjektiven Seite untermauern.
Aber unzumutbar kann die Fortsetzung der Schwangerschaft beispielsweise dann sein, wenn die Schwangere selber schwer behindert ist, wenn sie wegen der Betreuung anderer Pflegebedürf tiger überfordert würde oder wenn sie durch die Schwangerschaft gezwungen würde, ihre begabungsgemäße Berufsausbildung für immer und ewig aufzugeben. Auch diese Fälle mit der Bejahung der Rechtfertigung der Notlagenindikation sind ausgetragene Sache und so entschieden worden.
Meine Damen und Herren, an dieser Rechtslage würde die vorgeschlagene Adoptions- und Freistellungsgarantie nichts ändern; denn in der Regel wird es eine Frau seelisch in unzumutbarer Weise belasten, ein Kind zur Welt zu bringen, wohl wissend, daß sie sich gleich nach der Geburt von diesem Kinde trennen muß. An dieser Konfliktlage vermag auch eine Adoptions- und Freistellungsgarantie nichts zu ändern.

(Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

An die Stelle der Belastungen durch Unterhalts- und Fürsorgepflichten würde wie bisher oft dann nur eine andere und ebenso gravierende Notlage treten.

(Beifall bei der FDP, der SPD und bei den GRÜNEN)

Die vorgeschlagene Adoptions- und Freistellungsgarantie ändert den § 218 Strafgesetzbuch also nicht. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht — nein, ich sage es deutlicher — , die Bundesregierung wird nicht einen Gesetzentwurf vorlegen, der die Notlagenindikation neufaßt. In dieser Koalition wird dies nicht passieren.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Insofern geht der Entschließungsantrag der GRÜNEN ins Leere.
Ich will aber etwas anderes nicht verschweigen.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110027300
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Geis?

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1110027400
Ja, bitte.

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1110027500
Herr Bundesminister, würden Sie mir darin zustimmen, daß die Formulierung des § 218a, insoweit sie die Notlagenindikation betrifft, schwer verständlich und auch für ein Gericht, wenn sie justitiabel sein soll, schwer nachvollziehbar ist, weil nicht genau festgelegt und umrissen werden kann, wann überhaupt ein Fall der Notlage vorhanden ist?

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1110027600
Es haben, Herr Kollege, die Gesetze so an sich, daß sie oftmals Tatbestände zu behandeln haben, bei denen die Aufzählung bestimmter Tatbestände, die eine Notlagenindikation als gegeben ansehen lassen, nicht möglich ist. Sie werden, wenn Sie alles, was dazu gesagt und geschrieben, was von Fachleuten untersucht und dargelegt worden ist, auch nur in etwa verfolgen, immer wieder darauf kommen, daß der vielleicht Ihnen naheliegende Gedanke, in den Punkten 1 bis 15 aufzählen zu können, wo es geht und wo es nicht gehen soll, keinerlei Grundlage und keinerlei Möglichkeit hat.

(Beifall der Abg. Frau Schoppe [GRÜNE] — Dr. Czaja [CDU/CSU]: Sie haben gerade aufgezählt!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110027700
Gestatten Sie eine weitere Frage des Abgeordneten Geis, Herr Bundesminister?

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1110027800
Ja, bitte.

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1110027900
Herr Minister, können Sie mir dann erklären, weshalb wir in der Bundesrepublik Deutschland anerkanntermaßen in 87 % der Abtreibungsfälle — und das sind 200 000 Abtreibungen im Jahr — angeblich einen Fall der sogenannten — ich sage jetzt: sogenannten — sozialen Indikation vorfinden?

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Die Zahlen stimmen schon mal gar nicht! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN und der SPD)


Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1110028000
Wir wissen, daß es in diesem Lande Abtreibungen, Schwangerschaftsabbrüche in einer — auch nach Auffassung der Bundesregierung, auch nach Auffassung gerade meiner Fraktion — zu hohen Zahl gibt und wir mit allen Möglichkeiten der seelischen, aber auch der materiel-



Bundesminister Engelhard
len Hilfe alles, aber auch alles tun müssen, um diese Zahl zu senken.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Darin sind wir uns einig, und an dieser Stelle mehr dazu zu sagen scheint nicht notwendig zu sein. —

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich komme zu einem Punkt zurück, der der Aufmerksamkeit auch der Antragsteller bisher entgangen ist. Denn ich möchte nicht verschweigen, daß die bayerischen Vorschläge Probleme auf einem ganz anderen Gebiet als dem einer Verengung der Notlagenindikation aufwerfen. Diese Probleme liegen auf dem Gebiet des Verfassungsrechts. Das gilt vor allem für die Fälle, in denen eine Adoption wegen einer Behinderung des Kindes unterbleibt, nicht stattfinden kann. Hier würde die vorgesehene Regelung dann im Extremfall zu einer lebenslangen Unterhalts- und Sorgepflicht des Staates führen.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Ja!)

Mütter aber, die vor der Geburt einen Schwangerschaftsabbruch nicht auch nur erwogen haben, müßten die Belastung der Geburt eines behinderten Kindes selbst tragen.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Ja!)

Ob dies mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar wäre und insoweit einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten könnte, müßte im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens erst einmal sehr eingehend geprüft werden.
Aufgerufen hierzu wäre zunächst einmal der Bayerische Landtag, da ja eine landesgesetzliche, bayerische Regelung vorgeschlagen wird. Der Deutsche Bundestag wäre meines Erachtens gut beraten, die Lösung der Probleme des Bayerischen Landtags zunächst einmal auch diesem zu überlassen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110028100
Ich erteile das Wort dem Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten , Herrn Sauter.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1110028200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst auf eine Bemerkung von Frau Schoppe eingehen, wonach die Beratung grundsätzlich ohne Vorgaben zu erfolgen habe. Wenn Sie diese Ansicht vertreten, dann darf ich Ihnen vorhalten, daß Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1975 offensichtlich nicht gelesen haben.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Doch!)

Dieses Urteil sagt klar und eindeutig, daß eine „Beratung zum Leben" zu erfolgen habe. Wenn das keine Vorgabe ist, dann frage ich Sie, welche anderen Vorgaben von unserem höchsten Gericht überhaupt noch gemacht werden können.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Es kommt dann darauf an, wie man das macht!)

Es wäre Ihnen vielleicht lieber, wenn es ohne Vorgaben zu erfolgen hätte. Aber das ist nicht Rechtslage, das ist nicht Gesetzeslage, und das ist nicht Verfassungslage.

(Bohl [CDU/CSU]: Sehr richtig, da hat er recht!)

Lassen Sie mich zum zweiten auf die Vorhaltung der Frau Kollegin Götte eingehen, daß sich die Regierungskoalition immer dann zurückziehe, wenn es um konkrete finanzielle Maßnahmen gehe. Frau Kollegin, Sie wissen doch besser als ich, daß dies Schlichtweg falsch ist.

(Werner [Ulm] [CDU/CSU]: So ist das! — Widerspruch bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich möchte mir erlauben, Ihnen die Frage stellen zu dürfen, wer denn das Erziehungsgeld eingeführt hat. War es vielleicht die SPD-Fraktion, die in der Zeit, als sie regiert hat, das Erziehungsgeld eingeführt hat?

(Zuruf der Abg. Frau Dr. Götte [SPD])

— Das Mutterschaftsgeld, insbesondere nicht für alle. Ihre Fraktion hat damals dafür plädiert, daß das Mutterschaftsgeld nicht für alle eingeführt wird. Sie haben zwei Klassen von Müttern in diesem Land geschaffen. Das ist Ihre Erfindung, Ihr Verdienst.

(Widerspruch bei der SPD)

Und wir haben dafür Sorge getragen, daß es das nicht mehr gibt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte Sie ganz gerne fragen dürfen: Wer hat denn dafür gesorgt, daß die Anerkennung der Erziehungszeiten bei der Rente erfolgt? Etwa Ihre Fraktion? Sie haben nie daran gedacht, überhaupt so etwas zu machen,

(Dr. de With [SPD]: 1972, das ist falsch! — Weitere Zurufe von der SPD)

weil Sie nicht mal das Geld gehabt haben, um das so einführen zu können, wie das von uns gemacht worden ist.

(Zurufe von der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110028300
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1110028400
Dann darf ich an Sie die Frage stellen, ob Sie vielleicht den Gedanken der Stiftung „Mutter und Kind" geboren haben. Nichts haben Sie geboren.

(Dr. de With [SPD]: Kein Anspruch! — Weitere Zurufe von der SPD)

— Was heißt „kein Anspruch"? Es ist doch entscheidend, daß bezahlt wird. Es geht doch nicht um Ansprüche. Es ist typisch sozialdemokratisches Denken, daß man immer Ansprüche braucht. Bei uns wird das anders geregelt.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110028500
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Nickels?




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1110028600
Nein, in dem Fall nicht, Herr Präsident.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Das ist sehr eigenartig, Herr Sauter!)

— Das kann sein, aber ich gestatte es trotzdem nicht.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Sie haben soviel Redezeit, wie Sie lustig sind!)

— Lustig bin ich in dem Fall nicht. Bei dem Thema, über das ich hier zu reden habe, bin ich nicht lustig. Aber Ihnen würde es guttun, wenn Sie ein bißchen lustiger wären.

(Zurufe von der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der diesem Haus zur Beratung vorliegende Antrag der Fraktion der GRÜNEN gipfelt in der abenteuerlichen Aufforderung an die Bundesregierung — ich zitiere —: „... auf die Bayerische Staatsregierung einzuwirken, ihren Vorschlag zur Förderung der Adoption durch ein staatliches Adoptions- und Freistellungsangebot zurückzunehmen". Dieses Ansinnen kann schlicht und einfach wirklich nur als unverschämt bezeichnet werden, und zwar aus folgenden Gründen.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Sonst geht das immer nur umgekehrt, sonst nimmt Bayern immer nur Einfluß auf den Bundestag!)

Erstens gibt es keinen derartigen Vorschlag der Bayerischen Staatsregierung. Es gibt lediglich Vorüberlegungen, zu denen sich die Staatsregierung bis zum heutigen Tage keine abschließende Meinung gebildet hat.

(Abg. Frau Schoppe [GRÜNE] zeigt ein Schriftstück)

— Ist das vielleicht ein Gesetzesvorschlag? Lesen Sie es doch mal endlich!
Zweitens. Es ist weder Aufgabe des Bundestages noch Aufgabe der Bundesregierung, darauf hinzuwirken, daß der Freistaat Bayern ein Landesgesetz ändert. Es ist zu Recht vom Herrn Bundesjustizminister festgestellt worden, daß es sich hier, wenn überhaupt, um die Änderung eines Landesgesetzes handelt, aber doch nicht um die Änderung eines Bundesgesetzes, wie fälschlicherweise von den GRÜNEN unterstellt wird. Ich meine, es versteht sich für alle vernünftig Denkenden von selbst

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Ausgenommen Herrn Sauter! — Zuruf des Abg. Heistermann [SPD])

— so lange sind Sie noch gar nicht da, daß Sie sich schon beteiligen könnten —, daß eine Einwirkung der Bundesregierung auf die Bayerische Staatsregierung, nicht mehr über Alternativen zum Schwangerschaftsabbruch nachzudenken, verfassungsrechtlich nicht zulässig wäre. Von den GRÜNEN wird hier in unverantwortlicher und demagogischer Weise eine Zensur der Gedanken gefordert. Letztlich soll die Gedankenfreiheit verboten werden, Frau Kollegin Schoppe.
Ich möchte mich an dieser Stelle nicht im einzelnen mit dem lächerlichen, nahezu zwanghaft anmutenden und absolut untauglichen Versuch der GRÜNEN auseinandersetzen, Verbindungen zwischen richterlichen Maßnahmen in einem Strafverfahren und einer angeblichen Rechtsauffassung der Bayerischen Staatsregierung herzustellen. Wer dies tut, hat sich mit der Unabhängigkeit der Richter und der Gerichte offensichtlich noch nie beschäftigt oder hat davon zumindest verworrene um nicht zu sagen falsche Vorstellungen.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Was ist denn los in Bayern? Warum gehen denn die Frauen, die abtreiben wollen, nach Hamburg usw.?)

Wenn Sie hier die Memminger Richter nochmals ansprechen, dann darf ich mir erlauben, Ihnen vorzuhalten, daß Sie sich vielleicht mal den Standardkommentar Dreher nehmen sollten, der für alle Strafrechtler eine, wie ich meine, nicht zu unterschätzende Bedeutung hat, insbesondere natürlich auch für die Urteilsfindung der Gerichte,

(Heistermann [SPD]: Sie leisten sich auch Ihre eigenen Kommentare!)

wo zu § 218 zu der Tatbestandsvoraussetzung

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Wie kann man eigentlich solch eine Arroganz an den Tag legen, wie Sie das machen?)

daß die Gefahr auf eine andere, der Schwangeren zumutbare Weise nicht abwendbar sein dürfe, wörtlich steht — ich darf das mit Genehmigung des Präsidenten verlesen — :
Doch wird man bei dem auch vom Bundesverfassungsgericht immer wieder betonten Höchstwert des ungeborenen Lebens Heimunterbringung, Unterbringung in einer anderen Familie oder Adoption, auch wenn dagegen generell oder vom Standpunkt der werdenden Mutter Bedenken von Gewicht geltend gemacht werden können, in der Regel für zumutbar halten müssen.
Auch das ist eine Kommentierung, von der ich glaube, daß Sie sie mal — —

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Das ist ja unerhört! Was heißt denn hier „zumutbar"?)

— Entschuldigung, ich habe hier aus dem Dreher zitiert.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Ende des Zitats!)

— „Ende des Zitats", Sie haben recht. Ich danke Ihnen für die freundliche Hilfe. In dem Fall war es mehr als hilfreich.
Ich meine, die heutige Debatte gibt allen Anlaß dazu, in dem hochsensiblen Bereich des Schutzes des ungeborenen Lebens im Mutterleib nicht den von den Oppositionsparteien gewählten Weg von Polemik, Demagogie und Tatsachenverdrehung zu gehen, sondern sich in dem Bewußtsein um die Verantwortung vor der Schöpfung und der menschlichen Gemeinschaft sachlich und emotionsfrei mit allen Überlegungen zu beschäftigen, die der werdenden Mutter einen Ausweg aus ihrer Notlage und eine Alternative zum Schwangerschaftsabbruch anbieten.

(Heistermann [SPD] : Fragen Sie doch mal die Mütter! Die werden Ihnen schon was sagen!)




Staatssekretär Sauter (Bayern)

Ich möchte hierbei betonen, daß die Bayerische Staatsregierung wiederholt darauf hingewiesen hat, daß alle rechtlichen, sozialen und finanziellen Möglichkeiten zum Schutz des ungeborenen Lebens ausgeschöpft werden müssen. Im Rahmen dieser umfassenden Überlegungen ist auch der Frage nachzugehen, inwiefern als eine flankierende Maßnahme zum Schutz des ungeborenen Lebens die Adoption als Alternative zum Schwangerschaftsabbruch gefördert werden kann.

(Heistermann [SPD]: Programmierte Leihmütter sind das! — Bohl [CDU/CSU]: Dummes Geschwätz!)

— Wer so redet, hat sich wirklich mit dem Institut der Adoption, wie ich meine, noch nie ernsthaft beschäftigt.

(Frau Dr. Timm [SPD]: Was haben Sie sich damals gegen unsere große Adoptionsreform gewehrt! Alles steht kopf! — Frau Dr. Götte [SPD]: Wie kommt eine Mutter dazu, ihr Kind zu verschenken?)

— Es steht gar nichts kopf. Es gibt nur die Tatsache, daß Sie damals nichts durchsetzen konnten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Warum sind Sie denn dagegen? — Heistermann [SPD]: Sie müssen mal Ihre eigenen Protokolle lesen!)

— Herr Kollege, man kann Ihnen wirklich nur empfehlen, daß Sie einmal Ihre eigenen Protokolle lesen. Wenn es darum geht, daß wir hier etwas zu verbergen hätten, dann darf ich Ihnen auch im Zusammenhang mit Memmingen jetzt wirklich empfehlen, die Protokolle des Rechtsausschusses nachzulesen, die damals im Zusammenhang mit den Änderungen zum § 218 und der Einführung des § 218a angefertigt worden sind. Ich kann Ihnen wirklich nur empfehlen, die Protokolle dazu nachzulesen und dann die Stellungnahmen Ihrer eigenen Fraktion, leider auch von Ihnen, Frau Kollegin Götte, die heute wiederum abgegeben worden sind, noch einmal entsprechend zu überprüfen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie das täten.

(Bohl [CDU/CSU]: Die Entschließung von Herrn Wehner müssen Sie mal lesen!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie ich bereits vorhin erwähnt habe, gibt es derzeit keinen konkret ausformulierten Vorschlag der Bayerischen Staatsregierung oder etwa einen fertigen Gesetzentwurf. Die Bayerische Staatsregierung hat im November vergangenen Jahres das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung federführend beauftragt, mit den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege, den Kirchen und den Trägern der Schwangerschaftsberatungsstellen zu erörtern, ob durch ein staatliches Adoptions- und Freistellungsangebot die hohe Zahl von Abtreibungen wegen sozialer Notlage verringert werden kann.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Genau! Und die Verbände und die Kirchen haben das verneint!)

— Warten Sie doch! Auch ich habe doch was zu sagen.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Das glauben Sie aber nur!)

— Das weiß ich, Herr Kollege; das ist das, was uns unterscheidet.
Diese Anhörung hat im April dieses Jahres in München stattgefunden. Ich will in diesem Zusammenhang nicht verhehlen, daß hierbei vor allem von den Vertretern der Schwangerenberatungsstellen Kritik geübt wurde.
Festzuhalten ist, daß sich die Bayerische Staatsregierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine abschließende Meinung gebildet hat und daß es in diesem Stadium der Vorüberlegungen als völlig unangebracht erscheint, den Versuch zu unternehmen, einen landesinternen Überlegungsprozeß von seiten des Bundes zu beeinflussen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur Fristenregelung die maßgeblichen Grundsätze zum Schutz des ungeborenen Lebens aufgestellt. Das im Grundgesetz verankerte Grundrecht auf Leben schützt nach den klaren Aussagen des Verfassungsgerichts das Leben des Ungeborenen in gleicher Weise wie das Leben des Geborenen, und zwar vom ersten Anbeginn an. Vom ersten Augenblick an hat das Ungeborene im Mutterleib ein verfassungsrechtlich verbürgtes Lebensrecht. Ich wäre dankbar, wenn auch die GRÜNEN bei dem, was ansonsten manchmal veranstaltet wird, gelegentlich einmal daran denken würden.
Wir alle haben die unabdingbare Rechtspflicht zum Schutz dieses Lebens: der Staat mit seiner Rechtsordnung, die Gesellschaft mit ihren Hilfsmöglichkeiten, die Mutter, der Schutz und Verantwortung für das ungeborene Leben anvertraut wird.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110028700
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1110028800
Jawohl, Herr Präsident.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110028900
Bitte sehr, Frau Kollegin Schoppe.

Waltraud Schoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1110029000
Sie zitieren so oft das Bundesverfassungsgericht und weisen auf dessen Entscheidungen hin. Das ist natürlich richtig; es ist ja für uns alle die Grundlage. Aber wenn es die Grundlage ist, erinnern Sie sich auch daran, daß im Urteil des Bundesverfassungsgerichts steht, daß die Entscheidung einer Frau auf jeden Fall zu respektieren ist, auch dann, wenn sie sich für einen Abbruch entscheidet?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1110029100
Können Sie mir das Zitat einmal geben?

Waltraud Schoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1110029200
Ich habe es jetzt nicht dabei, aber Sie können es ja nachlesen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1110029300
Das ist kein Beispiel für selektive Wahrnehmung, aber so wie das hier wiedergegeben wird, stimmt es einfach nicht.




Waltraud Schoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1110029400
Ich habe frei aus dem Kopf zitiert, aber dem Sinn nach steht es so drin, und ich finde, auch das muß zur Kenntnis genommen werden.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1110029500
Ich kenne dieses Zitat, so wie es von Ihnen sinngemäß wiedergegeben worden ist, nicht, aber ich bin gerne bereit

(Zuruf der Abg. Frau Nickels [GRÜNE])

— Frau Nickels, ruhiger geht das alles leichter — , in dieser Frage mich mit Ihnen nochmals zusammenzusetzen. Dann lesen wir es einmal gemeinsam durch.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Zusammensetzen muß nicht gerade sein!)

Ich bin gerne bereit, mich in dieser Frage einmal neben Sie zu setzen oder Ihnen am Tisch gegenüberzusitzen, und dann können wir uns das gemeinsam nochmals durchlesen. Dann finden wir vielleicht das, was Sie gemeint haben, und wenn wir gefunden haben, was Sie gemeint haben, dann unterhalten wir uns darüber, ob es auch so ist, wie Sie es ganz gerne ausgelegt haben würden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir alle tragen in diesem Bereich eine sehr hohe Verantwortung, der wir uns bewußt sein müssen. Wir tragen diese Verantwortung — das darf ich zum Abschluß sagen — natürlich auch für das ungeborene Leben, und ich wäre dankbar, wenn Sie sich für das ungeborene Leben genauso engagieren könnten wie für manch andere Dinge,

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Das tun wir sowieso! — Frau Eid [GRÜNE]: Das tun wir!)

die Sie heute von sich gegeben haben. Sie tun es nicht, und Sie wollen es nicht.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU — Frau Nickels [GRÜNE]: Das war aber schlacksig! Das war unverschämt!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110029600
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.

(Frau Nickels [GRÜNE] [zu Staatssekretär Sauter]: Da haben Sie aber Bayern blamiert! Wirklich!)

— Ich bitte, jetzt diese Nachbetrachtungen einzustellen. Wir müssen jetzt abstimmen.
Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN wünscht, daß ihr Antrag zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß überwiesen wird. Die Fraktionen der CDU/ CSU und FDP sowie der SPD beantragen hingegen eine Überweisung des Antrages zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit.
Ich lasse abstimmen. Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der Fraktion DIE GRÜNEN? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der CDU/CSU und FDP sowie der SPD? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Überweisungsvorschlag ist angenommen. Damit ist der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2957 zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit überwiesen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften
— Drucksache 11/2212 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß (federführend)

Verteidigungsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung besoldungs- und wehrsoldrechtlicher Vorschriften
— Drucksache 11/2383 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß (federführend)

Verteidigungsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte 30 Minuten vereinbart worden. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich eröffne nur dann die Aussprache, wenn die Damen und Herren entweder Platz nehmen oder den Saal verlassen.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Das gilt auch für die Regierungsbank!)

— Das gilt für alle Seiten des Hauses, sowohl für die Regierungsbank wie für die Kolleginnen und Kollegen, die im Gang stehen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Heistermann.

Dieter Heistermann (SPD):
Rede ID: ID1110029700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion bringt heute einen Gesetzentwurf auf Drucksache 11/2212 zur gesetzlichen Dienstzeitregelung für Soldaten ein, der nach 32 Jahren Bundeswehr das leidige Problem einer nicht geregelten Arbeitszeit für Soldaten beenden will. Mit der Einführung einer gesetzlichen Regeldienstzeit von 40 Stunden für Soldaten wäre endlich Schluß mit dem Tatbestand, daß die Soldaten in unserem Land von einem zentralen Bestandteil des sozialen Rechtsstaats ausgeschlossen sind. Denn es gibt keine stichhaltigen Gründe, die es rechtfertigen könnten, den Soldaten in Friedenszeiten den Schutz einer gesetzlichen Dienstzeitregelung vorzuenthalten.

(Beifall bei der SPD)

Zentrale Forderungen unseres Gesetzentwurfs sind eine Regeldienstzeit von 40 Wochenstunden, eine Vergütung von Mehrarbeit primär durch Freizeit und, wo dies nicht möglich ist, ersatzweise eine finanzielle Vergütung, die individuell zu berechnen ist und mit



Heistermann
der geleisteten Mehrarbeit ansteigt. Die Regeldienstzeit in der Woche ist die verbindliche Berechnungsgrundlage für die Ausgleichsregelung. Dienst über diese Regeldienstzeit hinaus ist demnach in erster Linie durch Dienstbefreiung auszugleichen, die dem Soldaten die Möglichkeit planbarer Freizeit bietet. Wo die Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich ist, ist der Ausgleich durch Geld zu schaffen.
Mit diesem Gesetz erreichen wir jene Normalität, wie sie für andere gesellschaftliche Gruppen schon seit Jahren durchgesetzt ist.

(Frau Fuchs [Verl] [SPD]: So ist es!)

Wie bei Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit soll auch für die Grundwehrdienstleistenden der Freizeitausgleich Vorrang haben. Erst wenn dies nicht möglich ist, erfolgt der Ausgleich in Form erhöhter Wehrsoldzahlung.
Ebenso stellt unser Gesetzentwurf sicher, daß alle Regelungen auch für die Zivildienstleistenden in vollem Umfange gelten, die fast ausnahmslos in Einrichtungen tätig sind, die eine gesetzliche Dienstzeitregelung haben. Gerade vor dem Hintergrund der diesjährigen Besoldungsrunde im öffentlichen Dienst wird deutlich, daß den Soldaten als einziger Gruppe im öffentlichen Dienst die in den beiden nächsten Jahren beginnende Arbeitszeitverkürzung vorenthalten werden soll. Wer von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, kann denn auf Dauer einen solchen unerträglichen Zustand rechtfertigen? Noch gehen wir davon aus, daß das niemand bei Ihnen will. Wenn das so ist, dann gibt es zu einer gesetzlichen Dienstzeitregelung keine haltbare Alternative.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110029800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Horn?

Dieter Heistermann (SPD):
Rede ID: ID1110029900
Bitte.

Erwin Horn (SPD):
Rede ID: ID1110030000
Herr Kollege Heistermann, sehen Sie nicht einen enormen Kontrast zwischen den großen Bekenntnissen der Union zu unseren Soldaten und der Präsenz von zwei Mann bei dieser wichtigen Debatte gerade für unsere Soldaten in den unteren Dienstgraden?

(Beifall bei der SPD)


Dieter Heistermann (SPD):
Rede ID: ID1110030100
Herr Kollege Horn, ich kann Ihnen nicht nur zustimmen, sondern muß sagen, daß das auch zeigt, wie trotz der Sonntagsreden der Koalition die Realität in diesem Parlament aussieht.

(Richter [FDP]: Neun Sozialdemokraten sind aber auch nicht gerade de luxe! — Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

— Herr Kollege, ich darf Ihnen antworten: Wenn Sie bei der FDP auch nur einen Verteidigungspolitiker feststellten, dann wäre Ihre Kritik vielleicht angemessener gewesen.
Noch gehen wir davon aus, daß das niemand bei Ihnen so will. Wenn das so ist, dann gibt es zu einer
gesetzlichen Dienstzeitregelung — das habe ich eben ausgeführt — keine Alternative.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110030200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Ronneburger?

Dieter Heistermann (SPD):
Rede ID: ID1110030300
Gerne, Herr Kollege Ronneburger.

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1110030400
Herr Kollege Heistermann, wenn Sie denn meinen, an einer Präsenz im Plenarsaal oder im Ausschuß das Interesse an einer bestimmten Angelegenheit sozusagen abzählen zu können, darf ich Sie fragen, wie Sie das Interesse der FDP im Verteidigungsausschuß an allen dort behandelten Fragen im Licht dieser Präsenz — im Gegensatz zu der anderer Fraktionen — beurteilen?

(Sehr gut! bei der FDP)


Dieter Heistermann (SPD):
Rede ID: ID1110030500
Herr Kollege Ronneburger, ich werde Sie von dieser Stelle aus gleich noch einladen, mit uns gemeinsam eine vernünftige Regelung zu treffen. Ich kann Ihnen nur bestätigen, daß Sie durchaus — das sage ich auch hier vor diesem Hause — großes Interesse haben, für die Soldaten etwas zu tun. Nur, wenn Ihr Kollege glaubt, Kritik anmelden zu müssen, meine ich, war meine Replik durchaus angemessen.

(Beifall bei der SPD — Richter [FDP]: Schwach war das!)

Wenn es zur gesetzlichen Dienstzeitregelung keine haltbare Alternative gibt, frage ich Sie — und ich bitte, das sehr genau zu nehmen; Sie wissen doch genauso wie wir, daß alle Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst auf einer gesetzlich festgelegten Wochenarbeitszeit basieren — : Welche Gründe könnte es denn geben, dieses Modell den Soldaten vorzuenthalten? Die Ungerechtigkeit durch die heutige Dienstzeitbelastung ist nicht mehr hinnehmbar, zumindest nicht von jenen 70 % der 350 000 Soldaten des Heeres, die im Jahresdurchschnitt mehr als 56 Wochenstunden Dienst leisten — so eine Erhebung des BMVg —, während sich unsere Gesellschaft auf dem Weg in die 35-Stunden-Woche befindet.
Lediglich 8 % der Soldaten haben eine 40- bis 45Stunden-Woche. Die übrigen 92 % kommen auf weit über 45 Stunden, wobei 20 % 60 Wochenstunden, 5 % bis zu 65 und immerhin noch 3 % der Soldaten 85 und mehr Wochenstunden Dienst leisten.
Wir anerkennen, daß hier und da Freizeitausgleich für dienstliche Belastungen gewährt wird. Aber das sind Almosen, die man gewähren oder auch jederzeit wieder wegnehmen kann. Das ist nicht das, was die Soldaten und wir wollen, nämlich einen gesetzlichen Anspruch auf eine geregelte Arbeitszeit in Friedenszeit. Soldaten wollen keine Gnadenerlasse, sondern das, was ein Bürger in Uniform in der heutigen Gesellschaft erwarten und beanspruchen kann.
Die Soldaten in der Bundeswehr werden mit Bitterkeit registrieren, daß der SPD-Antrag im Verteidigungsausschuß auf Anhebung des Haushaltsansatzes für die Vergütung von Spitzendienstzeiten von bisher 195 Millionen auf 210 Millionen DM anzuheben, von der Regierungskoalition einmütig abgeschmettert



Heistermann
wurde. Aus diesem Haushaltsansatz ließe sich eine gesetzliche Dienstzeitregelung voll finanzieren.
Wir halten fest: Sie bewilligen Milliarden DM für den Jäger 90, aber 15 Millionen DM für eine vernünftige Dienstzeitregelung der Soldaten haben Sie nicht übrig.

(Zuruf von der SPD: Unerhört!)

Es wird Ihnen schwerfallen, bei den Soldaten und ihren Familien dafür Verständnis zu finden.

(Beifall bei der SPD)

Niemand nimmt dem Bundesminister der Verteidigung mehr ab, daß der Soldatenberuf nun mal kein Beruf wie jeder andere sei, daß es keine geregelten Dienstzeiten geben könne und ein Eingriff in diese Grundvoraussetzungen die Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr entscheidend schwächen würde.
Wer sich bei den NATO-Einheiten umschaut, weiß, daß dieses Argument nie gestimmt hat. Die Zeiten sind vorbei, wo man nach Gutsherrenart über die Zeit der Unterstellten jeweils verfügen konnte.
Wir haben ein anderes Bild vom Staatsbürger in Uniform. Wir wollen, daß die Soldaten und ihre Familien die Möglichkeit erhalten, sich so in die Gesellschaft zu integrieren, wie es ihre Nachbarn auch tun können. Dazu gehören sportliche Betätigungen, Teilnahme am Vereinsleben und die Chance, sich am jeweiligen Standort integrieren zu können.
Unser Grundgesetz stellt die Familie unter den besonderen Schutz des Staates. Und das sollte für die
Dundeswehr nicht gelten? Die Familien der Soldaten haben ein Recht auf selbstbestimmte, gemeinsame und individuelle Entfaltung. Es entspringt unserer Fürsorgepflicht für die Soldaten, ungerechtigte Belastungen von ihnen abzuhalten.
Beenden wir also die Nachkriegszeit, entwickeln wir ein Modell „Streitkräfte im Frieden".
Die Vorbeter einer notwendigen Präsenz der Bundeswehr widersprechen sich im Grunde selbst; denn Präsenz haben wir ja an Wochenenden und an Weihnachten und Ostern auch nicht. Sie müssen sich fragen lassen: Wieso ist an einem Tag Präsenz notwendig, an einem anderen Tage nicht?
Wir wissen, unsere Bundeswehr ist gut. Sie wird ihren Auftrag auch im Rahmen einer gesetzlichen Dienstzeit voll erfüllen.
In den sechs Wehrbereichveranstaltungen, die die SPD unter dem Motto „Im Gespräch mit unserer Bundeswehr" durchgeführt hat, haben wir nicht nur zugehört, was die Soldaten zu sagen hatten, sondern wir wurden durch viele Redner darin bestärkt, unseren Gesetzentwurf in aller Konsequenz zu verfolgen.
Der Bundesregierung und der Regierungskoaltion stünde es deshalb gut an, ihren eingebrachten Gesetzentwurf zurückzuziehen. Dieser Entwurf ist nicht nur ungenügend, sondern er führt dazu, daß bis zu 84 Wochenstunden ohne Ausgleich möglich sind, daß kein Ausgleich für Wochenend- und Feiertagsdienste bis zu zwölf Stunden vorgesehen ist und daß jede
neunte bis zwölfte Überstunde als Gratisleistung der Soldaten verlangt werden kann.

(Zuruf von der SPD: Das ist richtig! So ist es! Das sagt auch der Bundeswehrverband!)

Die Bundesregierung, unterstützt durch die militärische Führung der Bundeswehr, vertritt hier einen Standpunkt, der zur weiteren Demotivierung der Soldaten beitragen wird, wenn er denn je Gesetzeskraft erreichen sollte.
Unser Gesetzentwurf hat bewirkt, daß nun auch im BMVg und bei der Koalition ein neues Modell entwikkelt wird. Wir werden heute das Wunder erleben, daß beide Koalitionsfraktionen erklären werden, daß das Modell der Regierung nicht weiter verfolgt wird. So weit, so gut.
Die Frage bleibt allerdings: Wußte die Bundesregierung nicht, was die Koalitionsfraktionen denken? Oder umgekehrt: Wußten die Koalitionsfraktionen nicht, was die Bundesregierung will? Der Zumutung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung werden wir jedenfalls nicht folgen. Wir laden vielmehr die Regierung und die Koalition ein, unseren Gesetzentwurf zur Grundlage der Beratungen im Verteidigungsausschuß zu machen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110030600
Ich erteile das Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister der Verteidigung, Frau Hürland-Büning.

Agnes Hürland (CDU):
Rede ID: ID1110030700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Heistermann, seit der Erhebung durch das Bundesministerium der Verteidigung hat sich die Realität der Dienstzeit wesentlich geändert. Es ist unredlich, Herr Kollege, Zahlen von 1981 einer Beratung von 1988 zugrunde zu legen. Aber durch Ihr Zitat ist deutlich geworden, welchen Stellenwert die Soldaten zu Zeiten der SPD-Regierung wirklich hatten.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110030800
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heistermann?

Agnes Hürland (CDU):
Rede ID: ID1110030900
Bitte schön.

Dieter Heistermann (SPD):
Rede ID: ID1110031000
Frau Kollegin Agnes Hürland, gestehen Sie dann zu, daß Anfragen von Abgeordneten, die Regierung möge die neuen tatsächlichen Dienstzeitbelastungen bekanntgeben — die Fragen sind z. B. auch durch den Bundeswehr-Verband gestellt worden — , von der Regierung bisher nicht beantwortet wurden? Worin könnten die Gründe dafür liegen?

Agnes Hürland (CDU):
Rede ID: ID1110031100
Weil es bisher noch keine neuen Erhebungen gegeben hat. Die Zahlen sind noch nicht so verläßlich, daß sie nach draußen



Parl. Staatssekretär Frau Hürland-Büning
gegeben werden können. Aber ich werde in meiner Rede auf diesen Punkt noch eingehen.
Die durch den besonderen Dienst der Soldaten bedingte zeitliche Belastung — neben der physischen und psychischen — wurde über mehr als 25 Jahre kaum bemerkt, außerhalb der Bundeswehr nicht beachtet — auch nicht vom Parlament — und schon gar nicht honoriert.

(Widerspruch der Abg. Frau Schilling [GRÜNE])

— Sie machen manchmal den Eindruck, als wären Sie noch gar nicht 25 Jahre alt, Frau Kollegin.

(Frau Schilling [GRÜNE]: Das ist Ihr Problem!)

1980 wurde schließlich die außerordentliche Belastung durch pauschale Abgeltung von zuletzt gezahlten monatlich 100 DM bei mehr als 56 Stunden Dienstzeit wöchentlich für Berufs- und Zeitsoldaten anerkannt. Wehrpflichtige bekamen entsprechend weniger. Und das, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, alles zur Zeit kontinuierlicher Kürzung der Arbeitszeit im gesamten zivilen Bereich.
Erst 1982 hat der Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages unter dem Vorsitz unseres verehrten Kollegen Dr. Werner Marx — der leider viel zu früh verstorben ist — einen interfraktionellen Entschließungsantrag, die Dienstzeit betreffend, eingebracht.
Schließlich hat der Bundesrechnungshof die pauschale Abgeltung je nach Einheit als ungerecht eingestuft und das Parlament bzw. die Bundesregierung aufgefordert, eine gerechte Lösung zu finden, und zwar eine individuelle. Diese gerechte, individuelle Lösung in einem vom Finanzminister vorgegebenen Rahmen von jetzt 195 Millionen DM pro anno zu finden war fast so „einfach", als wollte man einen viereckigen Kreis malen.
Die Hardthöhe hat dennoch Lösungsmöglichkeiten gefunden. Hier möchte ich besonders Oberst Bronisch und Oberst Schwarzburg erwähnen und ihnen danken, auch wenn das dritte Bein ihrer Gesamtkonzeption der Dienstzeitentlastung, nämlich der finanzielle Belastungsausgleich, in der parlamentarischen Beratung wahrscheinlich eine Änderung erfahren wird.
Es ist wichtig, zu wissen, daß finanzieller Ausgleich für Dienstzeitbelastungen nur ein Teil des Gesamtkonzepts der Dienstzeitreduzierung sein wird.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Das Gesamtkonzept sieht vor: Erstens Verminderung der Dienstzeitbelastung und vorausschauende Dienstzeitgestaltung; zweitens Ausgleich unabweisbarer besonderer zeitlicher Belastungen vor allem durch planbare Freizeit; drittens Abgeltung verbleibender Belastungen, die nicht durch Freizeit ausgeglichen werden können, durch eine individuelle Vergütung.
Eine gesetzliche Dienstzeitregelung ist nicht das geeignete Mittel, die mit der Dienstzeitbelastung verbundenen Probleme zu lösen. Sie wäre auch nicht mit vertretbarem Aufwand realisierbar. Wir können ja wohl kaum in jeder Einheit, auf den Übungsplätzen,
im Manöver Stechuhren einführen. Wir wollen das auch nicht; es ist nicht praktikabel. Wir werden aber in dem entsprechenden Zeitrahmen die Dienstvorschrift 10/5 ändern und vorlegen.
Meine Damen und Herren, noch immer ist der Dienst in den Streitkräften ein Dienst für die Gemeinschaft. Hieraus beziehen die Soldaten ihre Achtung und Anerkennung in unserer Bevölkerung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der vorliegende Entwurf der Bundesregierung erreicht die angestrebten entscheidenden Ziele:
Erstens. Der Ausbildungsstand und die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte werden erhalten.
Zweitens. Die Dienstzeitbelastung wird auf einen vertretbaren Rahmen begrenzt.
Drittens. Hohe Belastungen werden individuell mit Freizeit oder einer finanziellen Vergütung ausgeglichen.
Viertens. Der Verwaltungsaufwand wird in Grenzen gehalten.
Wir sind überzeugt, daß der Gesetzentwurf den Belangen der Streitkräfte am besten gerecht wird. Er enthält auch das notwendige Maß an Flexibilität, an künftige Entwicklungen angepaßt zu werden, würdigt und belohnt die individuelle Leistung, dient der Motivation des einzelnen ebenso wie der Erhöhung der Attraktivität der Streitkräfte.

(Zuruf von der SPD: 84 Stunden in der Woche!)

Wir wollen, daß der Dienst unserer Soldaten gewürdigt wird und auch im materiellen Bereich seine Anerkennung findet.
Ich bitte die beratenden Ausschüsse, zügig vorzugehen, damit das Gesetz zum 1. Januar 1989 in Kraft treten kann.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110031200
Das Wort hat der Abgeordnete Richter.

Manfred Richter (FDP):
Rede ID: ID1110031300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Wehrbeauftragte hat in seinem letzten Jahresbericht bedauert, daß langjährige Diskussionen und Auseinandersetzungen, auch dringliche Anmahnungen in seinen Jahresberichten erforderlich waren, um das Problem der Dienstzeitbelastung unserer Soldaten anzugehen. Auch ich bin froh, wenn wir das Problem endlich vom Tisch haben.
Jeder Abgeordnete, der Gelegenheit hatte, sich im Gespräch mit Soldaten zu informieren, konnte erfahren, daß die in einigen Verbänden immer noch hohe Dienstzeitbelastung nicht nur eine Belastung für den Soldaten selbst ist, sondern sich auch in der Motivation und damit im gesamten Dienstbetrieb der Bundeswehr widerspiegelt.
Es war daher dringend nötig, durch einen angemessenen Ausgleich die Attraktivität des Arbeitsplatzes Bundeswehr für unsere Soldaten zu verbessern

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)




Richter
und für die Bundeswehr annähernd vergleichbare Voraussetzungen wie in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes zu schaffen.
Die FDP-Fraktion ist sich darüber im klaren, daß in der Bundeswehr einerseits der regelmäßige AchtStunden-Tag mit dem soldatischen Auftrag nicht zu vereinbaren ist, andererseits aber im Hinblick auf die zeitliche Durchschnittsbelastung bei Freizeitausgleich der gleiche Standard gelten muß wie für die zivilen Arbeitnehmer.
Die Kollegen Ronneburger, Dr. Hoyer und Nolting haben deshalb bei der Beratung des Einzelplans 14 des Bundeshaushalts 1988 im Verteidigungsausschuß beantragt, die Dienstzeitbelastung der Soldaten zu reduzieren und einen Ausgleich durch Freizeit und Geld zu schaffen.
Ergebnis dieses Antrags ist der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung, der zwar das Anliegen aufgreift, aber keineswegs zufriedenstellend ist.

(Dr. Hoyer [FDP]: So ist es!)

Danach erhalten nämlich die Soldaten keine Vergütung, die nur ein- oder zweimal im Monat mehr als zwölf Stunden täglich leisten oder mehrere Tage hintereinander jeweils zwölf Stunden Dienst leisten oder Wochenend- und Feiertagsdienste bis zu zwölf Stunden täglich leisten. Leisten sie in einem Kalendermonat dreimal mehr als zwölf Stunden zusammenhängenden Dienst, erhalten sie für jeden derartigen Dienst eine Pauschale von lediglich 15 DM.

(Zuruf von der SPD: Und so etwas vertreten Sie!)

— Hören Sie zu Herr Kollege.
Der Bundesminister des Innern äußerte sich in der Kabinettsvorlage zu diesem Gesetzentwurf — ich zitiere — :
Etwaigen auf Nachbesserung gerichteten Bestrebungen während der parlamentarischen Beratungen muß entschieden entgegengetreten werden.
Ich wünsche dem Innenminister dabei viel Vergnügen, denn dies haben wir in der Tat vor. Wir wollen diesen Gesetzentwurf im Verlauf der parlamentarischen Beratungen verbessern, und dies werden dabei unsere Leitlinien sein:
Erstens. Die Dienstzeit der Soldaten muß durch Verringern, Straffung oder Zusammenlegen von Aufgaben reduziert werden.

(Beifall bei der FDP — Heistermann [SPD]: Auf was?)

Zweitens. Der Dienstzeitausgleich wird vorrangig bei noch verbleibendem Mehrdienst durch planbare Freizeit ausgeglichen.
Drittens. Mehrbelastungen, die nicht durch Freizeit ausgeglichen werden können, werden durch individuelle finanzielle Vergütung abgegolten, nicht wie bisher durch die dreifache Pauschalierung: Jahresdurchschnitt, Einheit, Vergütung für alle.

(Zustimmung bei der FDP — Heistermann [SPD]: Das ist doch unser Vorschlag!)

Die Rahmendienstzeit soll wöchentlich 46 Stunden einschließlich der Pausen betragen. Bis zu zwei Stunden über die Rahmendienstzeit geleisteter Dienst an einem Tag muß im Verhältnis 1 : 1 nach Maßgabe des Disziplinarvorgesetzten zwingend in Freizeit ausgeglichen werden. Dienst an Sonn- und Feiertagen soll ebenfalls ausgeglichen werden. Darüber hinaus abgeleisteter Dienst, der nicht durch Freizeit abgegolten werden kann, soll nach einer stundenweisen Abstufung finanziell vergütet werden.
Meine Damen und Herren, ein abschließendes Wort. Bei der Festlegung der Rahmendienstzeit darf nicht verkannt werden, daß Arbeitszeitverkürzungen im öffentlichen Dienst zu Disparitäten zwischen den Angehörigen der Bundeswehr und den übrigen Angehörigen des öffentlichen Dienstes führen.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110031400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Manfred Richter (FDP):
Rede ID: ID1110031500
Das Licht blinkt, Herr Präsident. Rechnen Sie mir das an?

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110031600
Ich rechne grundsätzlich nie an. Das kann für alle Zeiten zur Kenntnis genommen werden.

Manfred Richter (FDP):
Rede ID: ID1110031700
Danke sehr, dann gerne!

Horst Jungmann (SPD):
Rede ID: ID1110031800
Herr Kollege Richter, kann man bei Ihren Ankündigungen davon ausgehen, daß die Abstimmungen am Ende so laufen, wie ich es heute im Haushaltsausschuß erlebt habe, nämlich daß der Kollege Hoyer Anträgen der Fraktionen von FDP und CDU/CSU im Verteidigungsausschuß zustimmt und die gleichen Anträge im Haushaltsausschuß ablehnt?

Manfred Richter (FDP):
Rede ID: ID1110031900
Herr Kollege, Sie können davon ausgehen, daß wir unsere Rolle als Parlamentarier ernst nehmen, und aus diesem Grunde habe ich meine Ausführungen so gemacht.

(Lachen bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Soldaten sollen nicht vom restlichen öffentlichen Dienst abgekoppelt werden. Dazu gehört eine vernünftige Lösung der Überstundenproblematik, und ich denke, daß wir mit unseren Vorstellungen in dieser Richtung einen großen Schritt weiterkommen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110032000
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schilling.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1110032100
Die Situation ist schon absurd. Da wird gestern im Verteidigungsausschuß für den Jäger 90 mit all den Milliarden, die daranhängen, die Hand gehoben, und heute wird hier gebeten und gebettelt, in einem Gesetzentwurf doch bitte ein paar Mark für die Menschen in der Bundeswehr lockerzumachen. Diese Diskrepanz widerspricht auch vollkommen Ihrem sonstigen Hochhalten der Bundeswehr. Sie sagen immer, Sie legen Wert auf die Bundeswehr, aber wenn es darauf ankommt, für die Menschen in der Bundeswehr einmal etwas zu tun, haben



Frau Schilling
Sie keine müde Mark übrig, weil Sie nur an die Beschaffung von Waffensystemen denken.

(Lowack [CDU/CSU]: Mit „müder Mark" hat das überhaupt nichts zu tun!)

— Das hat damit sehr, sehr viel zu tun!
Die GRÜNEN sind natürlich für Freizeitausgleich. Die GRÜNEN sind dafür, daß die Bundeswehr, wenn es nach uns ginge, gar keinen Dienst zu tun bräuchte. Ich denke, ein demokratisches Gemeinwesen könnte auch darauf verzichten, eine militärische Konfliktlösung anzustreben, wo es doch im friedlichen Bereich sehr viele Möglichkeiten gibt, Konflikte zu lösen. Aber um diesen Bereich kümmert man sich überhaupt nicht.
Es ist wichtig, daß die Leute in der Bundeswehr ihre Freizeit nicht in der Kaserne verbringen, denn dort gammeln sie sowieso nur herum. Sie lernen dort das Saufen, sie lernen, Drogen zu konsumieren, um den ganzen Frust, den sie haben, herunterzuspülen, weil nämlich der sogenannte Dienst in der Bundeswehr kein normaler Dienst ist; man kann hier nicht von „normal" reden.
Mich wundert aber, daß niemand auf den zweiten Teil des Regierungsentwurfs eingegangen ist; denn bei dem zweiten Teil kann man wirklich von einer Lex Rebmann sprechen. Ich frage mich, ob das nicht im Widerspruch zu den Meldungen steht, daß Herr Rebmann seine Amtszeit verlängert bekommen sollte. Ich frage mich, ob er vielleicht seine Amtszeit nur unter dieser Bedingung verlängert.
Da meine Zeit gleich zu Ende ist,

(Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank!)

möchte ich noch eine Sache, die mir sehr wichtig ist, sagen. Während wir uns hier über solche Probleme unterhalten, hat gerade vorhin draußen ein ziemlich brutaler Polizeieinsatz stattgefunden, und zwar gegen den Deutschen Tierschutzbund, der bei der hessischen Landesregierung demonstriert hat, weil dort vor der Verabschiedung der Pelztierverordnung noch einmal alle Leute darauf getrimmt werden sollten,

(Zuruf von der CDU/CSU: Was hat das mit dem Dienstzeitausgleich für Soldaten zu tun?)

dem nur ja zuzustimmen.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110032200
Frau Abgeordnete, bitte kommen Sie zur Sache.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1110032300
Ich habe gerade gesagt, das hat nichts mit der Sache zu tun. Ich will das hier nur einmal sagen, weil, während wir hier über so etwas reden, wird — —

(Bohl [CDU/CSU]: Vielleicht könnte es auch die Bannmeile sein, die verletzt worden ist!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110032400
Frau Abgeordnete, ich muß Sie bitten, zur Sache zu kommen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind x-mal verurteilt worden wegen Verletzung der Bannmeile! )

Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Es tut mir leid; Sie müssen jetzt bald Ihre Rede beenden.

(Beifall bei der CDU/CSU) Frau Schilling (GRÜNE): Ich bin am Ende.


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110032500
Das Wort hat der Abgeordnete Ganz.
Ganz (St. Wendel) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich erwarte jetzt zunächst keine Zwischenfrage des Kollegen Horn des Inhalts, ob ich mit ihm feststelle, daß die Präsenz der CDU/CSU- und FDP-Kollegen aus dem Verteidigungsbereich inzwischen deutlich stärker ist als die der SPD.

(Horn [SPD]: Fast so groß!)

Die Fairneß hätte es geboten, Kollege Horn, diese Frage zu stellen.

(Horn [SPD]: Zählen lernen, Kollege Ganz!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110032600
Wir veranstalten keine Volkszählung. — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Ganz!
Ganz (St. Wendel) (CDU/CSU): Es stimmt, Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Sachverhalt, über den wir hier beraten, beschäftigt die Streitkräfte selbst, deren Dienstherrn, das Parlament und insonderheit den Verteidigungsausschuß seit Jahren mit steigender Intensität.

(Zuruf von der SPD: Die haben weniger als wir!)

Die Suche geht nach einer Antwort auf die Frage, wie der Interessenkonflikt

(Zuruf von der SPD: Immer noch!)

zwischen dem in den Streitkräften notwendigen Zeitaufwand zur Erfüllung des der Bundeswehr vorgegebenen Verteidigungsauftrages einerseits

(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

und den in der Gesellschaft immer lauteren Ruf nach kürzerer Arbeitszeit und den Anspruch auf mehr Freizeit andererseits gelöst werden kann. Kurz: Es geht um die Bestimmung des Maßes der Dienstzeit der Soldaten und der Bewertung der über dieses Maß hinaus erbrachten Dienstzeit in Freizeit oder Geld.
Vorab: Niemand in diesem Hause bezweifelt den Regelungsbedarf. Keine Seite sollte der anderen deswegen mangelndes Problembewußtsein unterstellen oder den Willen absprechen, an die Lösung des Problemes herangehen zu wollen. Denn angesichts der ebenso unbestrittenen Notwendigkeit, den Auftrag der Bundeswehr entsprechend der Verfassung zu sichern, aber auch die Bundeswehr in angemessenem und begründbarem Maße gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen, um attraktiv, aber auch Spiegelbild der Gesellschaft zu bleiben, ist es für uns als Gesetzgeber sozusagen ein Dauerauftrag, in diesem Interessenkonflikt einen Ausgleich herbeizuführen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

Leider gibt es hierfür — wie so oft — kein Patentrezept. Wenn wir uns so viele Soldaten leisten könnten,



Ganz (St. Wendel)

daß die Summe der 40-Stunden-Woche pro Mann die Auftragserfüllung sichern würde,

(Zuruf von der SPD: Das kann es nicht sein! Das ist zu einfach!)

wäre das Problem am einfachsten gelöst. Doch ich bezweifle, daß dieser simple Lösungsvorschlag unter Berücksichtigung der Ausbildungsaufgaben einer Wehrpflichtarmee, der Erfordernisse einer Präsenzarmee, der hohen Fluktuation im personellen Bereich und des hohen Grades an Technisierung zu dem gewünschten Erfolg führen würde.
Die Vorgängerregierung und Sie, meine Damen und Herren von der SPD, versuchten, das Problem mit der ja noch heute gültigen Pauschalregelung zu mildern, nachdem die Soldaten der Einheiten, die im Jahresdurchschnitt in der Woche mehr als 56 Stunden Dienst leisten, eine Zulage erhalten. Das war 1980, und im Haushalt waren dafür 150 Millionen DM eingestellt, die auch in 1981 ausgegeben wurden.
Daß man in der Regierungsverantwortung gelegentlich an die Grenze des Machbaren stoßen kann, erfuhren Sie hautnah schon 1982, als der damalige Verteidigungsminister Hans Apel Ihnen mitteilen mußte, daß Vorhaben und Wirklichkeit um 35 Millionen DM auseinanderklafften, die Sie und er nicht mehr aufbringen konnten. Um Geld und Zeit wieder in Deckung zu bringen, mußten die Inspekteure damals anordnen, die Dienstzeit in denjenigen Einheiten, die 60 Wochenstunden ausgewiesen hatten, auf 56 Wochenstunden herunterzudrücken. Wir erinnern uns noch alle daran, daß dies damals eine Flut von Prozessen auslöste, die wir dadurch eindämmten, daß wir im Haushalt 1983 die fehlenden 35 Millionen DM auf die 150 Millionen DM draufsattelten und 1986 noch einmal um 10 Millionen DM erhöhten, um so die Anhebung der Zulage zu ermöglichen.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110032700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klejdzinski?
Ganz (St. Wendel) (CDU/CSU): Bitte schön, Herr Kollege.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1110032800
Herr Kollege, es ist sicherlich richtig, daß damals etwas gemacht worden ist, was sich im nachhinein doch nicht so bewährt hat. Aber welche Konsequenzen haben Sie denn im einzelnen aus unseren Fehlern damals gezogen? Ich kann nur davon ausgehen, daß Sie noch nicht einmal dieses umgesetzt haben.
Ganz (St. Wendel) (CDU/CSU): Herr Kollege Klejdzinski, eine Konsequenz habe ich Ihnen bereits genannt, nämlich die Tatsache, daß wir die 35 Millionen DM, die Sie nicht mehr aufbringen konnten, im Jahre 1983 draufgesattelt haben, um das weiter zu tun, was Sie in die Wege geleitet hatten. Eine zweite Konsequenz werde ich jetzt nennen, und eine dritte erfahren Sie am Schluß. Das sind alles Konsequenzen aus Ihrem Fehlverhalten.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110032900
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Ganz (St. Wendel) (CDU/CSU): Nicht mehr! Immer dann — das habe ich mittlerweile hier im Hohen Hause erfahren —, wenn man solche kritischen Dinge aus der Vergangenheit anschneidet, versucht man den Redner durch Zwischenfragen zu verunsichern oder von diesem Thema abzulenken.

(Widerspruch bei der SPD — Heistermann [SPD]: Erinnern Sie sich an den gemeinsamen Beschluß vom März 1982?)

Die zweite Konsequenz, Herr Kollege Heistermann: Erschwerend kam in dieser Zeit hinzu, daß Sie den Mittelansatz für Längerdienende und damit deren Zahl ebenfalls heruntergefahren haben, was noch mehr Dienstzeit für die Unterführer in den Einheiten bedeutete. Auch diesem Mangel haben wir abgeholfen, indem wir 15 000 Längerdienende mehr eingestellt haben.
Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren von der SPD, bewundere ich Ihre Chuzpe,

(Zuruf von der SPD: Wie heißt der Genosse? — Heiterkeit bei der SPD)

heute einen Gesetzentwurf vorzulegen, der im Kern eine gesetzliche Regeldienstzeit von 40 Wochenstunden und die Abgeltung von darüber hinausgehenden Mehrleistungen nach dem Vorbild der Mehrarbeitsvergütung im öffentlichen Dienst vorsieht. Wir haben nicht die Zeit, uns im Detail mit Ihrem Entwurf auseinanderzusetzen, der sicherlich gut gemeint ist, den Sie aber glaubwürdiger schon 1980 eingebracht hätten.

(Heistermann [SPD]: Wie lange regieren Sie eigentlich?)

Nur soviel bitte ich, verehrte Kolleginnen und Kollegen, in allem Ernst heute schon zu bedenken:

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110033000
Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Schluß. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Seine Uhr geht anders!)

Ganz (St. Wendel) (CDU/CSU): Würden wir mit einer gesetzlichen Regeldienstzeit nicht den Kommandierenden insbesondere in den Kampf- und Kampfunterstützungstruppen die notwendige Entscheidungsfreiheit nehmen, die für die Erfüllung ihres grundgesetzlichen Auftrages notwendig ist? Der Dienst nach Stechuhr könnte die Folge sein. Automatisch würde sich auch die Forderung nach der Definition des Dienstes einstellen. Das heißt, jede soldatische Tätigkeit müßte darauf abgeklopft werden, ob und inwieweit sie als Dienst im Sinne der gesetzlichen Dienstzeit einzustufen ist. Können Sie sich einen Dienstplan vorstellen, der — wie beim Bundesgrenzschutz — Teile des Dienstes als Viertel- oder Halb- oder Volldienst ausweist? Hinterfragt würden auch die auf dem Soldatendienst, abweichend vom übrigen öffentlichen Dienst, beruhenden Sonderregelungen wie z. B. die Lebensarbeitszeit der Soldaten, die Freistellung der Zeitsoldaten im Rahmen der Berufsförderung, die Soldatenurlaubsverordnung und vieles andere mehr. Haben Sie bedacht, daß Sie mit der vorgesehenen



Ganz (St. Wendel)

Mehrarbeitsvergütung einen Erwartungshorizont aufgerichtet haben, der einfach nicht zu erreichen ist?

(Zuruf von der SPD: Warum ist dann der Bundeswehr-Verband für unsere Vorstellungen und nicht für Ihre?)

Oder hieße das nicht letztendlich Dienst nach Kassenlage?
Meine Damen und Herren, die Zeit ist leider abgelaufen. Ich habe keine Zeit mehr, auf Einzelheiten einzugehen. Wir hatten im Frühjahr gebeten, die erste Lesung dieser Gesetze bis in den Herbst zu verzögern, um Gelegenheit zu haben, während des Sommers — diese Gelegenheit haben wir genutzt — mit den Soldaten, mit den Kommandeuren und mit dem Verteidigungsministerium Gespräche und Verhandlungen zu führen. Wir sind zu guten Ergebnissen gekommen. Wir werden unsere Vorschläge im Verteidigungsausschuß unterbreiten. Ich bin sicher, daß wir mit dem, was wir dann dort zum Abschluß bringen wollen, gemeinsam leben können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110033100
Herr Abgeordneter, Sie haben Ihre Redezeit um zweieinhalb Minuten überschritten. Aber mir wurde eben von der Fraktion der CDU/CSU mitgeteilt, daß das auf die nächste Diskussionsrunde umgeschichtet wird.

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Gesetzentwürfe an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über ihre Maßnahmen zur Förderung der ostdeutschen Kulturarbeit gemäß § 96 BVFG in den Jahren 1984 und 1985
— Drucksache 11/2572 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß (federführend)

Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde — nunmehr minus zweieinhalb Minuten — vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? — Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister des Innern das Wort.

Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID1110033200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Bericht gibt Ihnen einen umfassenden Überblick über die konkreten vom Bund geförderten Tätigkeiten der mit der Pflege und der Weiterentwicklung des ostdeutschen Kulturguts befaßten Einrichtungen im Berichtszeitraum. Bei dem Auftrag nach § 96 BVFG geht es im Kern um die Erhaltung und Vermittlung einer in Jahrhunderten in den deutschen Ostprovinzen und Siedlungsgebieten im Osten und Südosten gewachsenen kulturellen Vielfalt, die damals — vor Flucht und Vertreibung — von über 17 Millionen Deutschen getragen war. Dieser großartige kulturelle Beitrag ist zugleich unlösbarer Teil der gesamten deutschen und auch europäischen Geschichts- und Kulturentwicklung.
Daher kann die Erhaltung, Pflege und Vermittlung dieses ostdeutschen Anteils nicht nur Aufgabe der Vertriebenen sein. Zu dieser Aufgabe müssen sich zugleich auch alle Deutschen bekennen.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Es muß wieder selbstverständlich werden, daß die Aufgabe, sich mit deutscher Wissenschaft, Kunst und Kultur zu befassen, stets auch den ostdeutschen Anteil mit umfaßt, und zwar unabhängig von der Frage, ob eine Vertriebenen- und Flüchtlingsverwaltung in der Lage ist, zusätzliche Förderungsmittel bereitzustellen.
Zur Erfüllung dieser von unserem gesamten Volk zu leistenden deutschen Kulturaufgabe erbringen die Vertriebenen und Flüchtlinge selbst in ganz erheblichem Umfange eigene Beiträge. Dank ihrer fortlebenden kulturellen Traditionen und auf der Grundlage ihres ungebrochenen kulturellen und geschichtlichen Selbstverständnisses sind sie dazu berufen und in der Lage, uns allen ostdeutsche Kultur in ihrer Lebendigkeit und Tiefe zu vermitteln. Ihnen ist zu danken, daß sie dieser Aufgabe auch nachgekommen sind, als sie als öffentliche Verpflichtung noch gar nicht recht wahrgenommen wurde.
Unter äußerstem Einsatz ihrer Kräfte und ohne ausreichende finanzielle Unterstützung und ohne eines Dankes gewiß zu sein, haben sie Grundlagen gelegt, auf denen wir aufbauen können. Den heute — gemessen an einer anspruchsvollen allgemeinen Kulturarbeit — gesteigerten Erwartungen können sie jedoch nur dann nachkommen, wenn sie hierzu von uns durch Förderung entsprechender Maßnahmen in die Lage versetzt werden.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Ziel der ostdeutschen Kulturförderung insgesamt ist es zu erreichen, daß ostdeutsche Kultur selbstverständlicher Bestandteil unseres kulturellen Lebens wird und dementsprechend vergleichbare Rahmenbedingungen, wie sie für die anderen deutschen Kulturbereiche seit langem selbstverständlich sind, erhält.
Hierzu hat der Bundesminister des Innern seit Jahren Initiativen ergriffen und in Abstimmung mit den Ländern und Verbänden zunächst eine Grundsatzkonzeption zur Weiterentwicklung der ostdeutschen Kulturarbeit erstellt, die der Deutsche Bundestag 1984 zustimmend zur Kenntnis genommen hat.
Das dem Bundestag jetzt zusammen mit dem Bericht nach § 96 BVFG vorgelegte Aktionsprogramm trägt dem genannten Rollenverständnis für die ostdeutsche Kulturförderung Rechnung. Es soll die Wei-



Parl. Staatssekretär Spranger
chen für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen in der ostdeutschen Kulturarbeit stellen. Der Entwurf des Programms ist mit den Ländern, den Verbänden, mit zahlreichen Einrichtungen und sachkundigen Persönlichkeiten abgestimmt. Das Aktionsprogramm zeigt, wo in den nächsten Jahren dringender Handlungsbedarf besteht. Notwendige Förderungsschwerpunkte werden danach in Zukunft sein: der Ausbau ostdeutscher musealer Einrichtungen, vor allem der Landesmuseen, die Sicherung dinglichen Kulturguts, welches bereits vielfach durch Ankäufe von privater Seite, auch aus dem Ausland, für ostdeutsche Museen verlorengeht, die Schließung von Forschungslücken, die Pflege und Vermittlung ostdeutschen Brauchtums, ostdeutscher Literatur, ostdeutscher Kunst und ostdeutscher Musik.
Ich wäre dankbar, meine Damen und Herren, wenn Sie das Aktionsprogramm in diesem Sinne unterstützen und durch weitere Anregungen in den Ausschüssen ergänzen würden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110033300
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Nöbel.

Dr. Wilhelm Nöbel (SPD):
Rede ID: ID1110033400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu später Stunde wird der Bericht behandelt, aber er wird behandelt. Warum sage ich das? Weil es Zeiten gegeben hat, als dies ganz anders war. Ich habe vor zehn Jahren in diesem Hause gesagt — da ging es um die Regierungsberichte 1973 bis 1975 — :
Die bisherigen Berichte — sechs an der Zahl — über die Jahre 1957 bis 1972 blieben meist aus verschiedenen Geheimhaltungsgründen der Öffentlichkeit vorenthalten.
Heute sind die Geheimhaltungsgründe überhaupt nicht mehr verbergenswert. Die damalige Bundesregierung war der Meinung, daß die gesamte deutsche Ostarbeit — das hieß „Ostarbeit" — einschließlich der Kulturarbeit und in besonderem Maße die deutsche Ostforschung in den Ostblockstaaten mit großer Aufmerksamkeit verfolgt und mit propagandistischer Zielsetzung zum Anlaß genommen würden, deutschen Stellen revanchistische und imperialistische Motive zu unterschieben.
Meine Damen und Herren, es hat sich doch manches verändert; vieles ist in Bewegung gekommen. Dazu gehört auch das Eintreten für bessere Lebensverhältnisse der Deutschstämmigen in Osteuropa, um ihr Verbleiben dort zu erleichtern. Gleichzeitig müssen wir Sorge dafür tragen, ostdeutsches Kulturgut dort zu erhalten und zu fördern, wo es entstanden ist und seinen historischen Platz hat. Das Auswärtige Amt muß alle Möglichkeiten nutzen und in verstärktem Umfang schaffen, um diejenigen Deutschen, die in ihrer Heimat bleiben wollen, durch Gründung von Goethe-Instituten, durch Zuleitung deutscher Literatur, Schulbücher, Gesangbücher usw. zum Verbleiben zu bewegen.
So selbstverständlich, wie das klingt — die Aufgabe ist neu. Die Förderung der ostdeutschen Kulturarbeit kann nämlich sehr leicht falsch bzw. einseitig verstanden werden. Soll nur wichtig sein, was war? Nein. Es
gibt mehrere neue Aufgaben. Ich nenne eine als Beispiel: Europa. Hier bietet sich die große Chance der Gemeinsamkeit aller politischen Richtungen. Während bei der mitteldeutschen Kultur der aktuelle politische Aspekt vorgegeben ist, wird meines Erachtens bei der Förderung der ostdeutschen Kulturarbeit immer wieder die Gefahr eines gefährlichen Mißverständnisses offenkundig — es wäre gut, wenn diese Gefahr augenscheinlicher als bisher würde — , nämlich daß sie allzu einseitig verstanden wird als das, was war, vielleicht sogar als das, was doch längst vorbei bzw. abgeschrieben ist. Nein, meine Damen und Herren, Kulturerbe bedeutet Blick in die Zukunft; sonst hat man sein Erbe nicht verdient. Da gibt es Perspektiven; die eine heißt, wie gesagt, Europa. Bei aller kritischen Auseinandersetzung in Sachen Kultur bleibt das einigende Band, das da Kulturnation heißt. Und jetzt, wie gesagt, Europa: Binnenmarkt, Integration, Föderalismus hier, Regionen überall, Nationen, Kulturen.
Mein Satz gilt, den ich zum letzten Bericht im Plenum gesagt habe:
Es hat in Deutschland niemals ost-, mittel- und westdeutsche Kultur gegeben, sondern immer nur deutsche Kultur in unterschiedlichen Landschaften.
Niemand wird bestreiten: Es gibt, seit es Europa gibt, europäische Kultur. Gerade jetzt müssen wir uns in Begleitung der politischen und wirtschaftlichen Schritte der kulturellen Chance — gemeinsam mit der sozialpolitischen Komponente — bewußt sein oder zumindest werden.
Es stellt sich die Frage, ob der Föderalismus überhaupt noch eine Chance hat, geschweige denn die deutsche Kultur der Landschaften außerhalb der Bundesrepublik. Wenn wir mit Blick auf 1990/1992 sogar fragen müssen, ob der Föderalismus hier zu einem politischen Anachronismus oder sogar zu einem politischen Ärgernis wird — wie kürzlich der Präsident des nordrhein-westfälischen Landtages sagte —, könnten wir Zweifel an der Zukunftsträchtigkeit der Förderung ostdeutscher Kultur haben.
Wir dürfen nicht zweifeln; denn Europa will ja gar nicht heißen: weg mit den regionalen Wurzeln und gewachsenen Traditionen.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Nein, in diesem größeren Europa werden die Eigenheiten, die Besonderheiten der Staaten und Regionen sozusagen automatisch größer geschrieben als bisher, weil eine ganz andere Qualität des Ansporns da ist. Das hat sich in der Geschichte immer wieder erwiesen. Klar ist nämlich, daß gerade die Kultur zum zentralen Traditionspunkt wird, während verwaltungsmäßig die Bürokratie aufbläht. Kultur wird zwischen den einzelnen Landschaften zum Wettbewerbsfaktor und zum wesentlichen demokratischen Element, nicht zuletzt in ihrer Gesamtheit zur gesamteuropäischen Klammer.
Die neue Aufgabe heißt außer Europa auch — ich sage das aus aktuellem Anlaß — , die kulturelle Ei-



Dr. Nöbel
genart der Aussiedler und Übersiedler zu berücksichtigen und zu unterstützen.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Leider hat, Herr Czaja — wie Sie wissen — , unser Antrag zur Aufstockung der Mittel für den Fonds Soziokultur im Innenausschuß kein Wohlwollen der Mehrheit gefunden. Ich weiß, daß Sie sich noch bemüht haben, etwas zu tun. Leider hat es nicht funktioniert.
Wir meinen und bleiben dabei, daß ein neues Aufgabenfeld der Soziokultur in den Bemühungen um die kulturelle Integration von Aussiedlern und Übersiedlern erwächst. Die diesem Personenkreis gewährten Eingliederungshilfen beschränken sich zur Zeit auf wirtschaftliche und soziale Aspekte, während der Aspekt der kulturellen Integration vernachlässigt wird.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Dabei darf es jedoch nicht bleiben.

Aussiedler und Übersiedler, die aus Ländern mit einer strengen staatlichen Ordnung kommen, müssen die hier geltenden Werte und Normen erst kennenlernen und Wissen über Gesellschaft, Staat und Kultur der Bundesrepublik nachholen. Die Soziokultur, die die Entfaltung der ästhetischen, kommunikativen und sozialen Bedürfnisse und Fähigkeiten aller Bürger fördern und sie damit zur aktiven Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermutigen und befähigen will, kann hierbei wertvolle Hilfestellung leisten. Aus diesen Anmerkungen zu neuen Aufgaben, meine Damen und Herren, leite ich das Erfordernis der Flexibilität ab.
In diesem Bericht faßt die Bundesregierung ihre Arbeit in den Jahren 1984 und 1985 zusammen. Darüber hinaus umfaßt das Papier ein Aktionsprogramm des Bundesministers des Innern zur Förderung der ostdeutschen Kulturarbeit in den Jahren 1988 bis 1993, das die Perspektiven der Arbeit aufzuzeigen versucht.
Im Berichtszeitraum sind insgesamt 31 Millionen DM aus dem Bundesetat für ostdeutsche Kulturarbeit aufgewendet worden. Unterstützt wurden — das betone ich besonders — Museumsprojekte ostdeutscher Regionen wie das Ostpreußische Landesmuseum Lüneburg, das Pommersche Landesmuseum LübeckTravemünde ebenso wie Forschungsprojekte an deutschen Universitäten.
Meine Damen und Herren, wir begrüßen diese Initiativen. Wir begrüßen sie insbesondere deshalb, weil in diesem Bericht erstmalig erkennbar ist, daß vorrangig Projekte gefördert worden sind und werden,

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

die zentrale Bedeutung haben. Wir begrüßen ferner, daß das innerdeutsche Ministerium begonnen hat, Förderungen vorzunehmen, die die früheren Provinzen des mitteldeutschen Raumes berücksichtigen. Was allerdings noch fehlt, ist ein Aktionsprogramm für die mitteldeutsche Kulturarbeit, ein Programm für Bewahrung und Erhaltung, wie es für die ostdeutsche Kulturarbeit vorhanden ist.
Natürlich ist klar, meine Damen und Herren, daß eine Konzeption für die Kulturarbeit im mitteldeutschen Raum andere Voraussetzungen und Bedingungen erfüllen muß als ein Programm für die ostdeutsche Kulturarbeit. Das geht in der Tat hin bis zu den Fragen um die innerdeutschen Begegnungen, um die Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls, um die Aufgabe, die wir in der Bundesrepublik und in der DDR gemeinsam zu lösen haben, nämlich die Bewahrung des gemeinsamen Kulturerbes. Das ist aktuelle Deutschlandpolitik. Da geht es um den Grad der Verwirklichung des Kulturabkommens vom Mai 1986, um Informations- und Forschungsarbeit.
Wir haben zu akzeptieren, daß noch kein Aktionsprogramm vorliegt, aber wir nehmen zur Kenntnis, daß durch den Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen zur Zeit eine Bestandsaufnahme der Förderungsmaßnahmen für die Kulturfragen des mitteldeutschen Raums in Angriff genommen wird, die Grundlage für das noch ausstehende Aktionsprogramm sein wird.
Neben der europäischen Sicht und der aktuellen Problematik der kulturellen Betreuung der Aussiedler zeigt sich also auch, und zwar ganz naturgemäß, bei der mitteldeutschen Betrachtung, daß Bewegungsfreiheit — Flexibilität — unerläßlich ist. Gerade deshalb, weil die innerdeutsche Regierungsseite noch nicht zu einem Aktionsprogramm gefunden hat, kann und muß sie die Chance nutzen, ihr Programm offenzuhalten und für neue Aufgaben zu gestalten. Dies muß auch im Programm des Innenministers möglich gemacht werden, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Es wäre fatal, wenn sich der Eindruck bestätigte, daß ein Verband die Mittel so ausreizt, daß kein Spielraum mehr bleibt, was ja bedeutet, nicht der Minister, sondern eben jener Verband hat die Verfügungsgewalt über jenen Fonds. Ich habe volles Verständnis dafür, wenn Kollegen dieses Hauses Mittel und Wege und Durchsetzungskraft zu besitzen wissen, um einen Topf für ihren Verband mit beiden Händen fest im Griff zu halten. Nur frage ich den Minister, warum er sich selbst jeglichen Handlungsspielraum nehmen läßt. Bedarf ist akut vorhanden, wie ich vorher berichtet habe. Aus diesem Grunde ist verständlich, warum auch die Frage nach der Relation der institutionellen Förderung zu den Eigenmitteln gestellt wird. Das muß man verstehen.
Es ist auch nicht der Sache förderlich, wenn in Veröffentlichungen wie der von der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat herausgegebenen „Kulturpolitischen Korrespondenz", wie mir anläßlich der Debatte hier vor zwei Jahren geschehen, das Wort im Mund verdreht wird. In diesem sensiblen Bereich — ich sage das an alle Fraktionen — muß Sachlichkeit ganz extrem gefragt sein. Es ist unsere gemeinsame Kultur, die sich nicht an eine Gruppe verpachten läßt.

(Heistermann [SPD]: So ist es!)

Deshalb plädiere ich dafür, immer wieder aufs neue die integrierende Kraft zu suchen.

(Beifall des Abg. Heistermann [SPD])

Ich will Ihnen sagen, was ich großartig finde:



Dr. Nöbel
1984
— so heißt es im Bericht —
gab sich die Künstlergilde
— gemeint ist die in Esslingen —
eine neue Satzung, um nunmehr jedem Künstler (nicht nur aus dem Kreis der Vertriebenen und Flüchtlinge), der sich um die Pflege des ostdeutschen Kulturguts bemüht, die Möglichkeit zu geben, im Verein mitzuarbeiten und dessen Einrichtungen zu nutzen.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Das ist auch gut so!)

— Ja, ich sage, das finde ich großartig. — Denn die eine Seite ist ja die — und sie ist nicht nur verständlich, sondern selbstverständlich — : Wenn der oder die der bzw. die aus seiner bzw. ihrer Heimat vertrieben wurde, sich für angestammte Kultur interessiert und sich zu ihr bekennt, sich für sie einsetzt, so ist das, meine Damen und Herren, wie gesagt, selbstverständlich bzw. sozusagen ganz natürlich. Aber wenn sich einer, der in Bonn geboren ist, dann nicht nur mit rheinischer Landeskunde, sondern mit spätmittelalterlichen Fragen Osteuropas befaßt oder gar darüber promoviert, Herr Dr. Czaja, so nehme ich an, daß ihm dies nicht als Verirrung anzukreiden ist.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Ich lobe das sehr!)

— Ich weiß das. Ich wußte, daß dieser Beifall kam.
Manchmal gibt es Kritik an Landesregierungen
— ich weiß, nicht von Ihnen —, wobei ich den Eindruck habe, daß diese Kritik deshalb kommt, weil das jeweilige Land sozialdemokratisch regiert ist. Deshalb erinnere ich an ein Gespräch des Präsidiums des Bundes der Vertriebenen mit Johannes Rau vor zwei Jahren, nämlich am 17. September 1986. Ich weiß, daß es noch spätere Zusammenkünfte und spätere Aussagen zu würdigen gibt. In dem gemeinsamen Kommuniqué heißt es:
Es bestand Übereinstimmung, daß die Pflege des Kulturerbes der Ost- und Sudetendeutschen und der Deutschen aus den Siedlungsgebieten in Ost- und Südosteuropa als Bestandteil der deutschen Nationalkultur weiterhin nach Kräften gefördert werden soll. Hierbei komme der Weiterführung der ostdeutschen kulturellen und wissenschaftlichen Arbeit im Sinne des § 96 des Bundesvertriebenengesetzes große Bedeutung zu.
Johannes Rau hob in diesem Zusammenhang hervor, daß sich an dieser Arbeit nicht nur die Vertriebenenverbände und Landsmannschaften beteiligen sollten, sondern dies sei Aufgabe aller Deutschen und insbesondere jeder Bundes- und Landesregierung.
Deutlicher ist es nicht zu sagen. Ich möchte auch an die Patenschaften Nordrhein-Westfalens über die Siebenbürger Sachsen und über die Thüringer, über die Sachsen und Oberschlesier erinnern.
Ich glaube, festgestellt zu haben, daß das Interesse der Menschen in der Bundesrepublik an unseren östlichen Nachbarn stark gewachsen ist. Es gibt zahllose wissenschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle
Kontakte, die vor wenigen Jahren exotisch erschienen.
Natürlich haben wir durch die Existenz zweier deutscher Staaten einen Zustand des Auseinanderfallens nationaler und staatlicher Gemeinschaft, also anders als unsere Nachbarn. In der deutschen Geschichte ist es jedoch eigentlich nichts Neues. Aber um so wichtiger ist es gerade deshalb, uns an die mitteleuropäische Geschichte zu erinnern und von der Verabsolutierung des Staates weg und hin zur Orientierung an den eigentlichen Werten zu gelangen, die eine Gemeinschaft der Nation ausmachen. Dann kommen wir nämlich zum Kulturbegriff, der zum Kulturstaat führt, der wiederum viel umfassender ist als der Rechts- und Sozialstaat. Er schließt ihn sozusagen ein.
Meine Damen und Herren, die Pflege des ostdeutschen Kulturgutes muß eingebettet sein in die Friedens-, Entspannungs- und Versöhnungspolitik, muß dieser Politik dienen und darf nicht zu einer erneuten Konfrontationspolitik mißbraucht werden.

(Beifall bei der SPD)

Sie hat deshalb im Geiste der geltenden Ostverträge der Bundesrepublik Deutschland mit der Sowjetunion, der Volksrepublik Polen und im Geiste des deutsch-deutschen Grundlagenvertrages zu geschehen. In diesen Punkten muß Einigkeit in diesem Hause herrschen.
Da gerade das ostdeutsche Kulturgut eng mit Geist und Kultur der Nachbarvölker verflochten ist, hat die Pflege dieses Kulturgutes die besondere Verpflichtung, das Gemeinsame, Versöhnende und die wechselseitige Beeinflussung der Kulturen in den früheren deutschen Gebieten jenseits der Oder-Neiße-Grenze, in Südosteuropa und der UdSSR darzustellen.
Deshalb bitten wir die Bundesregierung, in Zukunft ausführlicher auf die deutschlandpolitische Bildungs-, Öffentlichkeits- und Publikationsarbeit der Verbände und Landsmannschaften und die dafür eingesetzten öffentlichen Mittel einzugehen. Die Regierung sollte sich nicht scheuen, über mögliche radikale Tendenzen und die eventuell zu beobachtenden Veränderungen zu berichten. Sie sollte die Aufklärungsarbeit über die Haltung der Bundesregierung zur Frage der Unverletztlichkeit der bestehenden Grenzen bei den Verbänden und Landsmannschaften vertiefen, die innerdeutschen Beziehungen und Begegnungen und den kulturellen Austausch mit der DDR intensivieren, das Schrifttum über eine gesamteuropäische Sicherheits- und Friedensordnung intensivieren und schließlich die Kenntnis über die wechselseitige geschichtliche und kulturelle Entwicklung — von deutscher, polnischer, österreichischer und russischer Seite — im ostdeutschen Kulturraum vertiefen helfen.
Ich habe noch eine Minute Zeit, aber wenn ich jetzt weitermache, brauche ich noch eine halbe Stunde, Herr Präsident.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110033500
Das ist im Interesse der Nachtruhe, die wir uns alle wünschen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Czaja.




Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID1110033600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwischen den Mehrheiten in den Parteien der Mitte scheint es — das zeigt auch die beachtliche Rede des Kollegen Dr. Nöbel — gravierende Gegensätze zur Notwendigkeit der gesetzlich aufgegebenen Förderung ostdeutscher Kulturarbeit nicht zu geben. Ich halte mich da — ich wußte nicht, welche Zitate Sie bringen, Herr Kollege Dr. Nöbel — an den stellvertretenden Vorsitzenden der SPD und Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau. Sie haben ihn von früher zitiert; ich zitiere ihn aus neuerer Zeit.
Im Haus des deutschen Ostens in Düsseldorf bekannte er sich am 22. Juni abermals in diesem Sommer zur Pflicht, das Kulturerbe der Ostdeutschen, der Sudetendeutschen und der Deutschen aus den Siedlungsgebieten in Ost- und Südosteuropa, so wie Sie es eben sagten, als Bestandteil der gemeinsamen deutschen Kultur zu erhalten und auch, wie er sagte, das Heimatbewußtsein der Vertriebenen zu pflegen und an die nachwachsende Generation weiterzugeben.
Der Fraktionsvorsitzende der FDP, Herr Mischnick, hat sich in einer Presseerklärung vor nicht zu langer Zeit zu einer Verstärkung kultureller Breitenarbeit der Vertriebenen und vor allem — Herr Nöbel, auch da waren Sie auf einer ähnlichen Linie — zu einer verbesserten wissenschaftlichen Ausstattung der Landesmuseen und landeskundlichen Institute bekannt.

(Beifall des Abg. Wolfgramm [Göttingen] [FDP])

Die FDP nehme — jetzt können Sie noch einmal Matschen — die Verpflichtung des § 96 des Bundesvertriebenengesetzes sehr ernst; so Herr Mischnick.

(Wolfgramm [Göttingen] [FDP]: Das hatte ich mir vorbehalten, selbst zu sagen!)

Unsere Fraktion begrüßt diese Grundübereinstimmung in diesen Fragen lebhaft. Sie hat diese Anschauungen seit Jahren vertreten. An den Rändern des Hauses, die, so wie die Mehrheit, ebenfalls nicht sehr vertreten sind, mag es auch Kritiker geben. Die GRÜNEN sind im Moment überhaupt nicht vertreten.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das stimmt nicht!)

Sie sollten aber nicht pauschal und nicht unbestimmt, Herr Kollege, und nicht mit ideologischen Gemeinplätzen kritisieren. Überzeugen Sie sich vielmehr selbst, Herr Kollege, nachdem Sie jetzt da sind, von den Leistungen, z. B. von den Ergebnissen wissenschaftlicher Projekte! Dann kann man inhaltlich darüber reden, was einer Korrektur bedarf.
Natürlich gibt es in diesem kulturellen Bereich viele Nuancen. Den verantwortlichen Organen der Verbände — Sie haben einen genannt, den ich nicht näher repräsentieren kann — und ihres Gesamtverbandes wird man in der kulturellen und wissenschaftlichen Arbeit aber wohl kaum nachweisen können, daß sie etwas tun oder etwas sagen, was nicht auf dem Fundament des Grundgesetzes, seiner Verpflichtung zur Selbstbestimmung und Kontinuität Deutschlands, was nicht im Dienst einer freiheitlich-europäischen Einigung gründet.
Selbstverständlich wird dabei auch — das ist nicht von Übel — das Geschichtsbewußtsein der Deutschen gepflegt, ohne dunkle Flecken zu verschweigen. Die sittliche Pflicht gegenüber unserem Volk und gegenüber Deutschland, aber auch gegenüber der Würde unserer Nachbarn wird geachtet. Das ist in meinen Augen nicht schlauer Verbalismus, sondern darum bemühe ich mich seit Jahren.
Mit großer Mehrheit hat der Bundestag wiederholt beschlossen, daß bei den geförderten landeskundlichen und wissenschaftlichen Projekten und in der kulturellen Breitenarbeit — hier zitiere ich wieder Johannes Rau — „das Erfahrungswissen der Schlesier, der Oberschlesier, der Ostpreußen, der Pommern, der Sudetendeutschen und anderer Volksgruppen genutzt werde" — Ende des Zitats. In der ostdeutschen Kulturarbeit muß also das kulturelle Alltagsleben möglichst lange durch Zeitzeugen aus den Verbänden präsent sein.
Die vorliegenden Jahresberichte 1984 und 1985 liegen etwas hinter den gegenwartsnahen Zahlen und aktuellen notwendigen Maßnahmen zurück. Schon bald ist aber der Bericht 1986/1987 fällig. Er wird in den Zahlen noch gegenwartsnäher sein.
Wir begrüßen es, daß die Förderungsmittel in einem mittelfristigen Plan schrittweise angehoben werden. Aber der Bericht der Bundesregierung selbst stellt fest — ich zitiere jetzt — : Die Förderungsmittel sind noch unzureichend. Von allen Ministerien wird für die gesamte ostdeutsche Kulturarbeit eigentlich weniger ausgegeben, als eine mittlere Großstadt für das gesamte kulturelle Leben ihres Bereiches aufwendet. Das angesprochene Aktionsprogramm für die ostdeutsche Kulturarbeit ist ein Programm, das sich das Ministerium setzt. Es ist kein Gesetz, keine Rechtsverordnung, es soll und muß flexibel bleiben und muß Empfehlungen aus dem Parlament zu Änderungen nutzen. Wichtiger aber als Programme sind, meine Damen und Herren, die Maßnahmen, ihre zügige Abwicklung. Die Haushaltsvorschriften sind zu beachten, aber es ist auch, dem Ablauf wissenschaftlicher und kultureller Arbeiten angepaßt, verantwortungsbewußt zu entscheiden. Ich meine, das Bundesinnenministerium muß auch in Zukunft noch mehr darum ringen, daß nicht sogar in einen Regierungsbericht hineingeschrieben werden muß: Die Mittel sind noch nicht zureichend.
Hierbei verweise ich nochmals auf die Beschlußempfehlungen dieses Hauses in den Drucksachen 8/4299, 10/1671 und 10/6212. Sie waren präzise und mit großer Mehrheit verabschiedet worden. In einzelnen Teilen des Berichts wird darauf eingegangen. Nicht in allen wird gesagt, wieweit dem Rechnung getragen wurde. In den Ausschußberatungen werden wir die Verwirklichung mancher weiterer Beschlußempfehlungen anmahnen.
Nun zu einigen Schwerpunkten des Berichts. Förderung von Kunst und Kultur hat eine gute Tradition. Es bleibt zu wünschen, daß weiterhin Wertvolles in diesem Bereich gelingen möge, auch in dem Sinne, wie Sie es sagten.
Wichtiger Schwerpunkt — das hat das Ministerium und das haben auch Sie gestreift — werden die ostdeutschen Landesmuseen. Nach den früheren Berich-



Dr. Czaja
ten und dem Aktionsprogramm sollten nicht nur neuere Landesmuseen für größere Provinzen entstehen, sondern es sollten auch frühere Bemühungen von Ländern und Verbänden um einzelne bereits bestehende Museen, z. B. in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg, durch Ausbaumaßnahmen belohnt werden. Das ostpreußische und das pommersche Landesmuseum sind neu errichtet und inzwischen tätig. Hier und da gibt es Anfangsschwierigkeiten. Dem Ministerium und der Zonenrandförderung gebührt Dank dafür. Der Haushalt für das nächste Jahr — wenn ich etwas vorgreifen darf — sieht zum erstenmal auch Summen für den Ausbau bestehender Landesmuseen vor, was ich dankbar unterstreichen möchte.
Die Beschlußempfehlungen des Bundestages forderten ein Landesmuseum für jede geschichtlich gewachsene ostdeutsche Provinz und für die großen Siedlungsgebiete außerhalb Deutschlands. Auf dieser Grundlage sollten die Absichten gegliedert und diese Terminologie sollte verwandt werden. Sie ist vielleicht klarer als vage Verweise auf „ostdeutsche Kulturlandschaften" , was immer das sein mag.
Mit dem Lob für die guten Ansätze verbinden wir ein Wort des Dankes auch für die großen Anstrengungen einzelner Patenländer und einiger Landsmannschaften. Beachtlich ist, daß auch Träger einzelner Museen unseren Bundestagsempfehlungen folgen und mit diesen Museen wissenschaftliche landeskundliche Institute verbinden. Dringend wird es sein, die institutionelle Ausstattung der neuen und der erweiterten Landesmuseen zu gewährleisten und die Hilfen für ihre Bibliotheken und Archivbestände so zu fördern, daß sie ein Sammelpunkt für die kulturellen und wissenschaftlichen Aktivitäten der betreffenden Heimatregion sein können. Vorbildlich entwickelt sich das im Bereich der Sudetendeutschen.
Ich möchte nicht verhehlen, daß wegen der Bodenkosten und der Nachkriegsentwicklung sich manche Standorte dieser Museen nicht als problemlos erweisen. Desto mehr muß die wissenschaftliche Leistungskraft der mit ihnen verbundenen landeskundlichen Institute zur anziehenden Wirkung kommen.
Besondere Aufmerksamkeit erfordert auch das Kapitel „Bildung, Wissenschaft und Forschung". Da ist noch vieles nachzuholen. In diesen Bereich wurde das Schrifttum einbezogen. Etwas zu wenig hat man die Förderung des schöngeistigen ostdeutschen Schrifttums und des Schrifttums über ostdeutsche Gebiete berücksichtigt.
Sehr wichtig bleibt die Vermehrung — Sie haben es angesprochen — der wissenschaftlichen landeskundlichen Projekte. Mit ihrer Hilfe wird eine größere Zahl von Wissenschaftlern — nicht nur ostdeutschen —, Universitätsprofessoren, aber auch jungen Nachwuchskräften an die ostdeutsche wissenschaftliche Landeskunde herangeführt. Einige Universitäten arbeiten mit landeskundlichen wissenschaftlichen Instituten und Landesmuseen gut zusammen. Ich nenne die Universität Münster, aber auch den Projektbereich „Schlesische Geschichte" an der Universität Stuttgart. In einem Zwischenbericht verweist der Dekan für Politikwissenschaften der Universität Münster, Professor Wittkämper, der auch hier im Bundestag wissenschaftlich tätig war, auf die gewaltigen Forschungslücken im Bereich der ostdeutschen Geschichte, die in den letzten Jahrzehnten entstanden sind. Er belegt eindeutig mit Zahlen und anderen Nachweisen, welch große Vorsprünge in einem bestimmten Bereich östliche Nachbarstaaten durch konzentrierte Förderung der Landeskunde über deutsche Provinzen und Siedlungsgebiete in den letzten Jahrzehnten erreichten, wobei Zahl und Inhalt einseitiger Schriften drohen — nicht immer, aber manchmal und nicht selten —, ein schiefes Bild über die kulturellen Leistungen der Deutschen in der Heimat entstehen zu lassen.
In den nächsten Berichten sollte über die geförderten größeren Einzelprojekte und nicht nur über die Tätigkeit regionaler Kulturwerke berichtet werden.
Schwer zu beurteilen bleibt die Gesamtdarstellung der deutschen Geschichte im Osten, für die Verträge geschlossen sein sollen. Ich gebe zu, ich hätte gewünscht, daß zuerst manche Lücken im Bereich der zeitgemäßen Einzelforschung geschlossen würden.
Offene Fragen gibt es auch bezüglich Projektmaßnahmen einer Kommission für das Studium der deutschen Geschichte und Kultur im Osten in Bonn. Abweichend von den Ausführungen des Ministerpräsidenten Rau und den Empfehlungen des Bundestages auf Drucksache 10/1671 sucht man dort kaum die enge Zusammenarbeit mit den im Hinblick auf ostdeutsche Erfahrungen bewährten Institutionen, Verbänden und Zeitzeugen.
Im historischen Bereich braucht man wegen der Quellenforschung — das wissen Sie, Herr Dr. Nöbel — eine längere Vorbereitung für Publikationen als beispielsweise im Bereich des Staats- und Völkerrechts. Im In- und Ausland sind eine Reihe Staats- und völkerrechtlicher Schriften der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen namhafter, insbesondere vorn Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen geförderter Wissenschaftler, sehr hoch geschätzt. Allerdings sollte diese Stiftung, was die Zahl der Mitarbeiterstellen betrifft, weniger stiefmütterlich behandelt werden. Man könnte fast meinen, daß die anerkannte Leistung für manche unbequem wird.
Nähere Zusammenarbeit mit den genannten Verbänden möchte man im übrigen auch überregionalen Kulturwerken und Stiftungen wünschen. Sie verfügen auf Grund der Westvermögenszuführungsverordnung über gerettetes Kapital aus der Heimat. Die Aufteilung dieses Kapitals und der Zinsen liegt lange zurück. Inzwischen haben sich aber neue Schwerpunkte der Forschung entwickelt, die nicht beiseitegeschoben werden dürften.
Die Hilfen für die unentbehrlichen Periodika, die Sie ebenfalls angesprochen haben, Herr Nöbel, sind zu begrüßen, besonders die Förderung durch Ankauf von Exemplaren guter wissenschaftlicher Schriften, um sie an Bibliotheken, Gesellschaften und publizistischen Multiplikatoren und im pädagogischen und politischen Bereich des In- und Auslands zu verbreiten.
Die Bemühungen des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen zugunsten größerer Forschungsmaßnahmen sind ebenfalls anzuerkennen. Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses



Dr. Czaja
bedarf noch einer präziseren Überlegung. Die Eigenleistung verschiedener Institutionen ist auch auf diesem Gebiet nicht gering.
Das Auswärtige Amt legt zwar eine Zahlenübersicht vor, doch tauchen im Bereich der Förderung von Vortragsreisen zum Umweltschutz z. B., aber auch von Soziologen und Strafrechtlern Namen auf, die im ostdeutschen Forschungsbereich wenig bekannt waren. Die in diesem Ressort ausgegebenen 2,2 Millionen DM sollten also nicht für Maßnahmen ausgegeben werden, die nur am Rande mit den Zielen von § 96 des Bundesvertriebenengesetzes in Beziehung stehen.
Im langfristigen Aktionsprogramm ebenso wie im Sonderprogramm für Aussiedler — das hat Herr Nöbel sehr betont angesprochen, und ich unterstreiche das — fehlt fast völlig — wenn ich über 1985 hinaus vorgreifen darf — der kulturelle Teil mit Bezug auf die wachsenden Aussiedlerzahlen. Insbesondere sollte man geeignete sprachkundige Nachwuchswissenschaftler nicht auf Arbeitslosengeld setzen, sondern zur Mithilfe an wissenschaftlichen Projekten unter Leitung hiesiger Ordinarien im Bereich der landeskundlichen Forschungen auch mit ihren Sprachkenntnissen einsetzen. Diese Lücke auch im Bereich des Sonderprogramms bedarf vielleicht noch der Bereinigung. Das muß man überlegen.
Man hat im personellen Bereich, nach gewissen Mißständen im Jahr 1987 und im ersten Halbjahr 1988, nun das Verwaltungspersonal für die Aufnahme, das ja auch niedrig war, sehr erweitert. Aber dann bleibt für die geistig-wissenschaftliche Arbeit und für entsprechende Stellenverbesserungen wenig übrig. Das muß man doch mit Sorge sagen.
Eine Schlußbemerkung. Einzelnes mag man kritisieren, aber eine grundlegende Ablehnung der Förderung wäre gegenüber einem sinnvollen Geschichtsbewußtsein und der Treue zur eigenen Geschichte nicht zu verantworten. Besser wäre es, auf breiter Basis Verbesserungen anzustreben.
Auf die Anlage zum Aktionsprogramm wollen wir nach den Beratungen im Ausschuß noch besonders zu sprechen kommen.
Meine Damen und Herren, ich möchte aber schon jetzt manchem eifrigen Mitarbeiter des Bundesinnenministers, des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen und anderer Häuser, der mit der Förderung befaßt war, für die Mühen und Zielstrebigkeit danken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ebenfalls einige Minuten an Redezeiten ersparend, möchte ich schließen: Anerkennenswertes Tun werden wir immer würdigen, möglichst auf breiter Ebene zwischen den Parteien. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und FDP und der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110033700
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.

Torsten Wolfgramm (FDP):
Rede ID: ID1110033800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es war
seinerzeit eine gute Überlegung, daß die von meinem Kollegen Baum entwickelte Grundsatzkonzeption der ostdeutschen Kulturarbeit in Form eines Berichts der Bundesregierung vorgelegt wird und daß wir sie alle zwei Jahre beraten.
Meine sehr geschätzten Herrn Vorredner haben das sehr umfassend und detailliert getan, so daß ich versuchen kann, meine Überlegungen dazu zu raffen und mich auf ein paar Anmerkungen zu konzentrieren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Andres [SPD]: Die Legendenbildung!)

Wenn man den Bericht betrachtet, und zwar nicht nur diesen, sondern auch seine Vorgänger von 1984 und 1986, dann stellt man fest, daß viel liebevolle und mühsame Arbeit von Ehrenamtlichen getan worden ist, in einer Vielzahl von Instituten, von Vorträgen, von Museen, musikalischen und volkskundlichen Darbietungen. Dafür möchte ich mich bei allen bedanken.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es ist ja nicht ganz von ungefähr, daß die Mittel der Bundesregierung, wenn ich es recht sehe, um 13,7 % erhöht worden sind. Wenn ich die Anmerkung meines Vorsitzenden Wolfgang Mischnick richtig verstehe, so hat er gesagt, das sei noch nicht ganz genug. Aber es ist doch im Verhältnis zum Durchschnitt des Bundeshaushaltes ein erfreuliches Ergebnis. Ich möchte meinen, daß wir der Bundesregierung für diesen Ansatz dankbar sein dürfen, aber auch dem Haushaltsausschuß, daß er dies so quergeschrieben hat;

(Beifall bei der FDP und CDU/CSU)

denn ein solcher Ansatz ist etwas ungewöhnlich. Er zeigt aber auch, daß die Bemühungen realisiert werden können, gerade die der ehrenamtlichen Kräfte.
Es ist hier ein sehr umfassendes Kompendium im einzelnen aufgelistet worden. Ich will das nicht noch einmal zusätzlich beschreiben, möchte aber doch auf einen Punkt eingehen. Mein Kollege Hirsch hat im Jahr 1984 die Frage der Effektivität angesprochen. Das ist in diesem Zusammenhang eigentlich ein unfreundliches Wort, aber ein wenig beschreibt es ja doch das, was mit der Sache gemeint ist, nämlich die Frage: Gibt es eine Veränderung in den Köpfen der Menschen — so hat er es damals formuliert — zum Positiven hin, zur Aufnahme dieses Kulturgutes? Es wäre vielleicht nützlich, wenn wir dies bei der Beratung im Ausschuß noch einmal aufgreifen würden, wobei ich auch festhalten möchte, daß ich es gut finde, daß wir dieses Mal vor der Beratung im Ausschuß, wie sich das eigentlich auch bei einer Überweisung gehört, das Thema hier im Parlament behandeln.
Ich möchte noch die Anregung geben, daß sich die Bundesregierung mit der Frage beschäftigt, ob wir das Stiftungsrecht überprüfen müssen, damit wir die vielen Schätze — Kulturgüter —, die bei den einzelnen Ostdeutschen, die in den Westen gekommen sind, lagern, die sie vererben könnten, die sie vielleicht aber auch einem Museum vermachen wollen, in einem unbürokratischen Verfahren in eine Stiftung einbringen können. Ich wäre insofern für Anregungen durch die Regierung dankbar.

(Sehr gut! bei der FDP)




Wolfgramm (Göttingen)

Der Hinweis auf die steigende Zahl der Aussiedler macht deutlich, daß wir hier ein zusätzliches Bindeglied haben werden, das weiterführende aktuelle ostdeutsche Kulturarbeit benötigt, aber auch befruchtet.
Im übrigen kann ich meinem Fraktionsvorsitzenden nur zustimmen. Wir nehmen § 96 BVFG sehr ernst und werden weiter daran arbeiten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110033900
Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Unterrichtung durch die Bundesregierung an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sie sind damit einverstanden? — Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung der Sonderstellung von psychisch Kranken in der Krankenversicherung (PsychKVG)

— Drucksache 11/2594 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, für die Beratung 30 Minuten vorzusehen. Sie sind damit einverstanden? — Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Egert.

Jürgen Egert (SPD):
Rede ID: ID1110034000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir kommen zu später Stunde zur Beratung des Gesetzentwurfs der SPD-Fraktion. Anlaß unserer Gesetzesinitiative ist das sogenannte GesundheitsReformgesetz. Wir haben bei der inhaltlichen Prüfung dieses Gesetzentwurfes — abgesehen von den sonstigen Defiziten, den Leistungsausgrenzungen und den schlagseitigen Belastungen der Krankenversicherten — feststellen müssen, daß eine wesentliche Aufgabe einer Strukturreform im Gesundheitswesen, die den Namen auch verdient, überhaupt nicht angegangen worden ist. Ich spreche von der Verbesserung der Versorgungssituation der psychisch Kranken.
Der seit vielen Jahren bestehende Skandal ist, daß psychisch Kranke Kranke zweiter Klasse sind.

(Zuruf von der SPD: Leider wahr!)

Der Krankheitsbegriff, der den Regelungen zur gesetzlichen Krankenversicherung zugrunde liegt, geht noch immer einseitig von somatischen Krankheiten aus. Psychosomatische Zusammenhänge und psychische Krankheiten werden weitestgehend ausgeklammert.
Der beschriebene Zustand findet sich in der Finanzierung wieder. Immer noch wird die Finanzierung der Behandlung und Wiedereingliederung psychisch Kranker von den Sozialhilfeträgern aufgebracht. Das ist, gemessen an einem sinnvollen, umfassenden
Krankheitsbegriff, nicht nur systemwidrig, sondern auch ein Skandal für die betroffenen Menschen.

(Beifall bei der SPD)

Ihre Schlechterstellung bei der Finanzierung der Krankheitskosten heißt: Sie müssen im Gegensatz zu den übrigen Patienten mit ihrem vollen Einkommen und Vermögen für ihre Behandlungskosten einstehen. Wenn sie bei den Sozialhilfeträgern vorstellig werden, erleiden sie das angesichts ihrer spezifischen Leiden besonders fatale und demütigende Verfahren der Bedürftigkeitsprüfung. Diese Diskriminierung in der Finanzierung entspricht der Diskriminierung der psychisch Kranken in unserer Gesellschaft.
Der Titel unseres Gesetzentwurfs beschreibt ein Programm. Es geht um die längst überfällige Beseitigung der Sonderstellung von psychisch Kranken in der Krankenversicherung. Die Situation der psychisch Kranken muß verbessert werden, aber nicht dadurch, daß laufend weitere Sonderregelungen für sie geschaffen werden, sondern dadurch, daß ihre Behandlung endlich im Rahmen der Krankenversicherung angemessen und sachgerecht abgesichert wird. Das ist die Position der Sozialdemokraten.
Wir haben deshalb unsere Gesetzesinitiative aus der vorherigen Legislaturperiode aktualisiert wiederaufleben lassen.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage: aktualisiert. Aktuell ist die laufende Diskussion um die sogenannte Gesundheitsreform. Ich will die Gelegenheit nutzen, den GRG-Entwurf noch einmal daraufhin abzuklopfen, was er denn für psychisch Kranke bringt. Das ist um so notwendiger, als uns ja — wie Ihnen inzwischen wohl hinreichend bekannt ist — für die parlamentarische Behandlung dieses Gesetzeswerks gerade noch die Zeit bleibt, die Nummern all der Änderungsanträge zu lesen. Uns inhaltlich schlau zu machen, eine fundierte Meinung zu bilden ist nicht mehr erwünscht und wird massiv zu verhindern versucht.
Bevor ich im einzelnen auf die Punkte im GRG eingehe, einige weitere Bemerkungen zur traurigen Geschichte der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland. Dabei geht es vor allem um die Erfahrungen mit der Psychiatrie-Enquete aus dem Jahre 1972 und um das „Modellprogramm Psychiatrie".Die in den 70er Jahren vom Deutschen Bundestag eingesetzte Psychiatrie-Enquete hat in ihrem Bericht schwerwiegende Mißstände und Benachteiligungen bei der Behandlung und Pflege psychisch Kranker und seelisch Behinderter offengelegt. Dies hat die SPD/FDP-Koalition dazu bewogen, ein Modellprogramm aufzulegen, mit dem neue Formen einer angemessenen und zeitgerechten Betreuung und Behandlung psychisch kranker Mitbürger erprobt werden sollten.
Die für die Durchführung des Programms ursprünglich vorgesehene Summe von 500 Millionen DM verringerte sich, weil sich ein Teil der Bundesländer weigerte, sich an diesem 1980 entwickelten Programm der Bundesregierung zu beteiligen.
Aber auch der reduzierte Umfang des Programms läßt nach fünfjähriger Erfahrung eine Bewertung zu:



Egert
Durch den modernen Behandlungskonzeptionen gerecht werdenden Neu- und Umbau in dem früher dominierenden und als Ergebnis geschichtlicher Entwicklungen übergroßen und fehlplazierten stationären Bereich, durch die Einrichtung gemeindenaher Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern und entsprechend kleiner Sonderkrankenhäuser konnte ein Teil der Mißstände in der Psychiatrie im stationären Bereich abgebaut werden.
Durch den Auf- und Ausbau gemeindenaher sozialpsychiatrischer Dienste konnte in vielen Fällen die stationäre Aufnahme der Patienten verhindert werden. Auch die stärkere Nutzung teilstationärer oder komplementärer Einrichtungen hat zu einer Verbesserung der Situation der psychisch kranken Patienten beigetragen.
Die Durchführung des Modellprogramms hat insgesamt eine Reihe positiver Erfahrungen ergeben. Es käme nun darauf an, Einrichtungen und Dienste, die sich bewährt haben, nach Abschluß der Modellphase weiterzuführen und sie finanziell abzusichern, um sie allen psychisch Kranken, die der Behandlung in diesen Einrichtungen bedürfen, zu öffnen.
Nun hat im GRG-Entwurf die Bundesregierung gesagt, sie wolle, bevor sie Regelungen trifft, die Modellprogramme auswerten und insbesondere abwarten, was die Expertenkommission sagt. Die Expertenkommission hat im Zusammenhang mit dem GesundheitsReformgesetz im Mai des Jahres 1988 Vorschläge zu einer Novellierung des Gesundheits-Reformgesetzes der für das Modellprogramm zuständigen Ministerin — die im übrigen hier nicht auf der Regierungsbank vertreten ist — vorgelegt. Ich habe bei der Gesundheitsreform-Diskussion auch nicht erlebt, daß diese schweigsame Dame zu diesen Vorschlägen eine Stellungnahme abgegeben hat. Die Experten erwarten, daß während der Gesetzgebung ihre Vorschläge zum Gesundheits-Reformgesetz erörtert werden. Ich habe es als Vorsitzender des federführenden Ausschusses wenigstens schaffen können, in der Ausschußdrucksache 603 — das sage ich, damit Sie es in dem Wust von Papier wiederfinden — die Stellungnahme der „Aktion psychisch Kranke", die federführend ist für die Abwicklung des Modellprogramms und für die Arbeit der Expertenkommission, zugänglich zu machen, damit Sie angeregt werden, trotz der kurzen Beratungszeit bei der Gesundheitsreform Regelungen im Interesse der psychisch Kranken, die als dringend notwendig empfunden wird, im Gesetz zu verankern.

(Bohl [CDU/CSU]: Aber sie haben doch noch den Durchblick!)

Die Bundesregierung hat es in den Diskussionen zwischen dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung und dem Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit bisher versäumt, deutlich zu machen, was sie zu tun gedenkt. Diese Schweigsamkeit ist ein weiteres trauriges Kapitel in der Geschichte der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der SPD) In der Begründung sagen Sie:

Mit dem „Gesetz zur Verbesserung der ambulanten und teilstationären Versorgung psychisch Kranker" sind im Jahre 1986 bereits erste Verbesserungen im Leistungsrecht erreicht worden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird dieser Ansatz weiterverfolgt ... Weitere Schritte erscheinen erst sinnvoll, wenn die Ergebnisse
— heißt es dann einschränkend —
der wissenschaftlichen Begleitforschung des Modellprogramms und die Reformvorschläge der Expertenkommission vorliegen.
Sie liegen seit Mai 1988 vor. Zur gleichen Zeit, als der Gesetzentwurf eingebracht wurde, gab es diese Vorschläge. Seitdem gibt es keine Kundmachung aus dem Kreis der Koalitionsfraktionen.
Nun frage ich Sie, ob wir — neben dem Selbstlob, das Sie sich in der Begründung geben — dem eklatanten Handlungsbedarf Rechnung tragen werden und ob insbesondere Sie während des anstehenden Gesetzgebungsverfahrens Anträge stellen werden. Wir sind trotz der kurzen Beratungszeit dazu bereit, dies wegen des schweren Schicksals der psychisch Kranken gemeinsam mit Ihnen aufzugreifen. In unserem Gesetzentwurf haben Sie eine ganze Reihe von sinnvollen Anregungen, die dazu führen würden, daß wir im Bereich der teilstationären und der stationären Einrichtungen sowie hinsichtlich der notwendigen, aus den Modellerfahrungen geborenen Einsichten zu Wohngemeinschaften usw. die finanzielle Absicherung schaffen. Dazu reichen wir Ihnen die Hand. Wir wären bereit, das mit Ihnen gemeinsam zu tun.
Wir wollen mit unserem Gesetzentwurf deutlich machen, daß wir künftig eindeutige sozialversicherungsrechtliche Grundlagen für die Behandlung der psychisch Kranken schaffen, damit wir einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Versorgung der psychisch Kranken in einem Land leisten, das es eigentlich als kulturelle Schande empfinden muß, daß dies noch nicht geschehen ist. Wir wollen die diskriminierende Sonderstellung psychisch Kranker nicht verstetigen. Wir wollen innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung endlich zur Gleichstellung der psychisch Kranken mit den somatisch Kranken kommen. Wir laden Sie herzlich dazu ein, dies mit uns gemeinsam zu tun.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110034100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker.

Dr. Karl Becker (CDU):
Rede ID: ID1110034200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu später Stunde trifft sich wieder der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. Wir sind das in dieser ganzen Legislaturperiode ja gewohnt. Lassen Sie mich in dieser späten Stunde zur Sache folgendes sagen:
Die SPD-Bundestagsfraktion hat in diesem Sommer einen neunseitigen Gesetzentwurf zur Beseitigung der Sonderstellung von psychisch Kranken in der Krankenversicherung eingebracht. Bis auf die Überschrift und einen kleinen Spiegelstrich-Absatz auf der zweiten Seite ist dieser Gesetzentwurf wörtlich mit



Dr. Becker (Frankfurt)

einem SPD-Gesetzentwurf zur Verbesserung der Versorgung psychisch Kranker, der 1985 eingebracht wurde, identisch.
Damals wurde der Entwurf im Zusammenhang mit unserem CDU/CSU-FDP-Gesetzentwurf zur Verbesserung der ambulanten und teilstationären Versorgung psychisch Kranker hier im Parlament behandelt. Den größten Teil der SPD-Vorschläge mußten wir damals ablehnen; viele Voraussetzungen für eine Zustimmung lagen nicht vor. Auch heute trifft die mangelhafte Zustimmungsvoraussetzung noch weitgehend zu. Daher bin ich der Meinung: Wenn Sie schon den alten Entwurf wieder einbringen wollten, hätten Sie damit bis zum rechten Zeitpunkt warten sollen.

(Egert [SPD]: Was ist denn der rechte Zeitpunkt, bitte?)

Sie wissen, daß die Regierungskoalition damals, 1985, die gesicherten Erkenntnisse über die Wirksamkeit von psychiatrischen Institutsambulanzen aus dem Modellprogramm der Bundesregierung durch entsprechende Vergütungsregelungen umsetzte, ehe überhaupt der Bericht über ein entsprechendes wissenschaftliches Begleitprogramm vorlag. Auch die nichtärztlichen Leistungen wurden mit einbezogen. Beides konnte eindeutig dem Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung zugeordnet werden.
Wir haben bereits damals festgelegt, daß der psychisch Kranke einen unmittelbaren Zugang zur teilstationären Behandlung haben muß, nicht erst auf dem kostentreibenden Umweg über eine Einweisung in stationäre Behandlung. Dazu bedurfte es keiner ausdrücklichen Regelung im Gesetz, sondern lediglich der Streichung eines Halbsatzes, der eine solche Regelung hemmen konnte. Damit war die tagesklinische Behandlung der psychisch Kranken bereits gesichert, und sie ist das heute auch. Trotzdem hat die SPD dieses bereits gelöste Problem wieder in ihren Entwurf aufgenommen.
Die SPD weiß auch, daß der für weitere Entscheidungen unbedingt notwendige wissenschaftliche Bericht über das 1985 ausgelaufende Psychiatrie-Modellprogramm noch nicht vorliegt. Es sind zwar einzelne Ergebnisse bekanntgeworden, aber der Bericht selbst ist noch nicht im Bundestag.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110034300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Egert?

Jürgen Egert (SPD):
Rede ID: ID1110034400
Herr Dr. Becker, wären Sie so gütig, zu der Tatsache Stellung zu nehmen, daß dem Ministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit seit Mai von der Expertenkommission die hier auf der Ausschußdrucksache 603 unseres Ausschusses ausgedruckten Vorschläge vorliegen und daß dazu noch keine Stellungnahme erfolgt ist?

Dr. Karl Becker (CDU):
Rede ID: ID1110034500
Es ist durchaus möglich, daß ein solches Papier existiert. Mir persönlich ist nicht bekannt, daß es veröffentlicht worden ist.
Die SPD weiß auch, daß vor einer Entscheidung noch viele Fragen zu klären sind, z. B. wieweit hier die Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung
und wieweit die Zuständigkeit der Länder und der Gemeinden geht. Denn dieses kommt hier in eine Übereinstimmung.
Gerade für den psychisch Kranken, mehr noch als für die somatisch Kranken, ist die spezifische Verknüpfung von Behandlungs- und Betreuungseinrichtungen von großer Bedeutung. Dies war Gegenstand der Modellforschung. Hier sollte das Ergebnis abgewartet werden. Es ist unbestritten, daß bei der Versorgung der psychisch Kranken noch manches Defizit besteht.
Es ist aber auch unbestritten, daß seit der Psychiatrie-Enquete von 1975 bei der Versorgung psychisch Kranker schon eine ganze Reihe verbessert wurde. Ich habe einige Maßnahmen bereits genannt. So ist auch die frühere ambulante Unterversorgung mit Nervenärzten heute weitgehend beseitigt.
Dennoch ziehen wir bei der Vorbereitung des Gesundheitsreformgesetzes, noch vor der Vorlage des wissenschaftlichen Berichts, einige Vorschläge zur Verbesserung der Situation psychisch Kranker vor. So wollen wir eine Regelung in das Gesetz aufnehmen, nach der den besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker bei der Krankenbehandlung Rechnung zu tragen ist. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, der damit praktisch der Gleichstellung völlig entgegenkommt

(Zuruf von der SPD: Was heißt das?)

und der auch so durchgesetzt werden kann. Aber erst nach der Vorlage des wissenschaftlichen Berichtes und dessen Auswertung ist das Weitere zu veranlassen.

(Zuruf von der SPD: Ach so!) Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110034600
Das Wort hat der Abgeordnete Hoss.

Willi Hoss (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1110034700
Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der SPD ist nicht darauf angelegt, die Versorgung psychisch Kranker in der Bundesrepublik Deutschland nachhaltig zu verbessern, weil darin die dominierende Rolle konservativer bisheriger Medizin in der psychosozialen Versorgung festgeschrieben wird. Zwar versucht er, der die in den 70er Jahren versäumte Umorientierung in der Versorgung von psychiatrischen Kliniken auf ambulante Versorgungsformen aufzuholen, fügt dabei aber die ambulanten Einrichtungen lediglich hinzu, ohne an der Dominanz der psychiatrischen Kliniken etwas zu ändern. Die zusätzlichen ambulanten Leistungen sollen ausschließlich auf Kosten der Sozialversicherung finanziert werden an Stelle einer verstärkten Übernahme von finanzieller Verantwortung durch die öffentliche Hand. Vorschläge zur personellen Vernetzung der stationären und der ambulanten Versorgungsformen fehlen vollständig.
Statt dessen ist zu fordern, daß statt der Billiglösung auf Kosten der Sozialversicherung endlich eine umfassende Verbesserung der Lage der psychisch Kranken in der Bundesrepublik in Angriff genommen wird. Trotz anderer Töne, die im Zusammenhang mit dem



Hoss
Gesundheitsreformgesetz von den Sozialdemokraten zu hören sind, scheint die Praxis des Verschiebebahnhofs dort noch einigermaßen verwurzelt zu sein. Grüne Forderungen in diesem Zusammenhang sind Schaffung einer institutionell verankerten psychosozialen Basisversorgung, weitgehender Abbau von Psychopharmaka bei psychosozialen Hilfen, Verbesserung der rechtlichen Stellung psychisch Kranker, Kommunalisierung und Dezentralisierung der psychosozialen Dienste, Finanzierung und Einrichtung bzw. Aufrechterhaltung von klinikunabhängigen, gemeindenahen ambulanten Einrichtungen, Integration psychiatrisch-klinischer Einheiten in Allgemeinkrankenhäuser.
Natürlich sind auch wir für eine Beendigung der Benachteiligung der psychisch Kranken und für Ausbau und Verbesserung der ambulanten Versorgung. Aber die in diesem Gesetzentwurf vorgeschlagenen Maßnahmen tragen zum Teil zur Aufrechterhaltung bestehender Mißstände bei. Psychisch Kranke verfügen meist über sehr wenig Geld, viele sind von der Sozialhilfe abhängig. Die Finanzierung verschiedener ambulanter Einrichtungen über die Sozialversicherung ohne eine umfassende Verbesserung der Situation und der Versorgungsmöglichkeiten psychisch Kranker bringt den Betroffenen im Endergebnis kaum etwas. Aber wenn — das muß zugestanden werden — durch die von der SPD vorgeschlagenen Änderungen für den einen oder anderen Verbesserungen erreicht werden können, ist das natürlich gut.
Unsere wichtigste Forderung, eine umfassende Reform der Psychiatrie, wird noch nicht einmal andeutungsweise aufgenommen. Der Gesetzentwurf ist angesichts der immer noch erschreckenden Zustände in bundesrepublikanischen psychiatrischen Einrichtungen unter dem Strich noch ungenügend. Wir werden Gelegenheit nehmen, im Verlauf der Beratungen unsere Vorstellungen dazu einzubringen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110034800
Das Wort hat der Abgeordnete Heinrich.

Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1110034900
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Egert, gewiß ist in der psychiatrischen Versorgung noch einiges verbesserungswürdig. Die Defizite, die die EnqueteKommission aufgezeigt hat, sind längst noch nicht aufgearbeitet. Dabei ist für uns wesentlich, daß ein Krankenhausaufenthalt soweit wie möglich abgekürzt bzw. teilweise überhaupt vermieden wird. Die Behandlung und Versorgung im ambulanten und komplementären Bereich und die Betreuungsangebote vor allem im ländlichen Raum sind noch stark verbesserungswürdig. Von einer gemeindenahen und bedarfsgerechten Versorgung sind wir leider heute noch weit entfernt.
Dennoch meine ich, daß wir in dem Bemühen, ein optimales Versorgungsnetz für die verschiedensten Versorgungsstufen zu errichten, schon ein Stück vorangekommen sind. Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Verbesserung der ambulanten und teilstationären Versorgung psychisch Kranker Anfang 1986
wurde ein entscheidender Schritt in dieser Richtung durch den Bundesgesetzgeber getan. Mit diesem Gesetz wurde die tagesklinische teilstationäre Versorgung möglich, und zwar ohne vorhergehende vollstationäre Behandlung. Dieser Punkt aus Ihrem Gesetzentwurf ist bereits Wirklichkeit geworden.

(Egert [SPD]: Es bleiben ja noch ein paar übrig!)

Die Übertragung weitergehender Aufgaben auf die gesetzlichen Krankenkassen ist nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auch aus grundsätzlichen finanzverfassungsrechtlichen Erwägungen nicht ganz unproblematisch. Die psychosoziale Versorgung ist Aufgabe der Länder. Somit ist es auch eine Aufgabe der Länder, für eine gesicherte Finanzierung der komplementären Dienste zu sorgen.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Sehr richtig!)

Die Übertragung weiterer Aufgaben der sozialpsychiatrischen Versorgung und Rehabilitation auf die gesetzlichen Krankenversicherungen würde deren Aufgaben ausweiten.
Im Grunde genommen handelt es sich bei diesem Problem um das gleiche wie bei der Pflege oder bei der Finanzierung des Rettungsdienstes. Ständig wird versucht, Leistungen, für die in erster Linie die Länder oder die Kommunen zuständig sind, der gesetzlichen Krankenversicherung zu übertragen. Damit wird eine Entlastung der Länder und der Sozialhilfehaushalte zu Lasten der Beitragszahler in der gesetzlichen Krankenversicherung angestrebt.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Durchsichtig!)

Wir wollen das auf gar keinen Fall so haben.
Mit dem Gesundheitsreformgesetz kommen wir der Gleichstellung psychisch Kranker mit somatisch Kranken wieder ein Stück näher. Die Krankenkassen können in Zukunft Selbsthilfegruppen aus dem Bereich der Psychiatrie finanziell unterstützen. Psychisch Kranke werden genauso wie somatisch Kranke Anspruch auf häusliche Krankenpflege haben. Und sie haben Anspruch auf Unterkunft und Verpflegung in einer Kur- und Rehabilitationseinrichtung. Im Rahmen der Leistungen zum Zwecke der Prävention und der Rehabilitation hat die Kasse die Möglichkeit, sich an der Finanzierung von psychiatrischen Diensten und Einrichtungen im Rahmen von Mischfinanzierungen zu beteiligen.
Zusammenfassend möchte ich noch einmal betonen: Wir wollen ambulante statt stationäre Behandlung, und wir wollen darüber hinaus keine weiteren Belastungen der Beitragszahler, um eine Entlastung der Länder und Kommunen zu erreichen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110035000
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herrn Höpfinger.

Stefan Höpfinger (CSU):
Rede ID: ID1110035100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ge-



Parl. Staatssekretär Höpfinger
Setzentwurf der SPD-Fraktion ist von der Sache her eigentlich nicht erforderlich. Wir beraten zur Zeit den Regierungsentwurf zur Strukturreform im Gesundheitswesen.

(Andres [SPD]: Welchen?)

Zu diesem Entwurf hat der Bundesrat um Prüfung gebeten, ob die speziellen Fragen der medizinischen Versorgung psychisch Kranker in diesem Gesetzentwurf berücksichtigt werden könnten.

(Heyenn [SPD]: Aber wir sind hier im Bundestag!)

Der Bundesrat nennt vier Anliegen: die Besonderheiten der sozialpsychiatrischen Krankenpflege, die Finanzierung sozialpsychiatrischer Dienste, die Betreuung psychisch Kranker in Wohngemeinschaften und die Rehabilitation psychisch Kranker in Übergangseinrichtungen.
Der Bundesrat war also schneller. Er hat vorweggenommen, was Inhalt des Gesetzentwurfs der SPD-Fraktion ist. Im übrigen — Herr Dr. Becker hat es schon hervorgehoben —, Ihr Entwurf vom Juni 1988 gleicht Ihrem Gesetzentwurf zur Verbesserung der Versorgung psychisch Kranker aus der vergangenen Legislaturperiode.
Die damals erforderlichen Konsequenzen hatten die Koalitionsfraktionen mit dem Gesetz zur Verbesserung der ambulanten und stationären Versorgung psychisch Kranker gezogen, einerseits durch die Möglichkeit der teilstationären Versorgung ohne vorherige vollstationäre Behandlung, andererseits durch die Steigerung der Leistungsfähigkeit der Institutsambulanzen durch Präzisierung ihres Aufgabengebiets und Verbesserung der Leistungsvergütung, insbesondere durch die gesonderte Vergütung nichtärztlicher Leistungen.
Sowohl in der Stellungnahme des Bundesrats zum Gesundheitsreformgesetz als auch im vorliegenden Gesetzentwurf der SPD-Fraktion geht es um weiterreichende Forderungen. Die Bundesregierung hat Prüfung des Bundesrats-Anliegens zugesagt. Diese Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. Es zeichnet sich aber schon jetzt ab, daß eine klarstellende Regelung, nach der bei der Krankenbehandlung den besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker Rechnung zu tragen ist, in das Gesetz aufgenommen werden sollte.

(Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: Das wollen wir! — Heyenn [SPD]: Wann kommt der Antrag?)

Das ist gewollt, und das wird so geschehen. Vor weiterreichenden Schritten sind noch schwierige Fragen zu klären.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kernfrage ist: Wieweit ist die Betreuung und Versorgung psychisch Kranker und Behinderter eine Aufgabe der Sozialversicherung, und wieweit sind die Länder gefordert? Für die gesetzliche Krankenversicherung knüpft sich sogleich die weitere Frage an: In welchem Umfang bedarf es über die erwähnte klarstellende Regelung hinaus zusätzlicher krankenversicherungsrechtlicher Sonderregelungen zur medizinischen Versorgung dieses Personenkreises?
Zur Beantwortung dieser Fragen müssen zunächst einmal die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung des Modellprogramms Psychiatrie und die Reformvorschläge der eingesetzten Expertenkommission ausgewertet werden. Beide Entscheidungsgrundlagen liegen der Bundesregierung noch nicht vor, Herr Kollege Egert. Es liegen Entwürfe vor, aber der Wortlaut dieser Vorlagen ist noch nicht gegeben. Es ist jedoch in Kürze mit deren Vorlage zu rechnen. Ich weiß nicht genau, wann, aber es ist in Kürze damit zu rechnen. Die Bundesregierung wird diese Vorschläge gründlich prüfen. Dazu bedarf es keiner besonderen Aufforderung.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110035200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Stefan Höpfinger (CSU):
Rede ID: ID1110035300
Ja, bitte schön.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110035400
Herr Kollege Egert, bitte sehr.

Jürgen Egert (SPD):
Rede ID: ID1110035500
Herr Staatssekretär, ist die Kommunikation zwischen den beiden Ministerien so schlecht? Ich mache mich gern anheischig, Ihnen ein Schreiben zu geben. Wir haben das als Ausschußdrucksache im Ausschuß verteilt.

Stefan Höpfinger (CSU):
Rede ID: ID1110035600
Herr Kollege Egert, ich habe mich nochmals sachkundig gemacht, und die Antwort war: Entwürfe liegen vor, aber der Wortlaut liegt nicht vor.

(Egert [SPD]: Was ist das hier anderes als ein Wortlaut? — Heyenn [SPD]: Was steht denn im Entwurf drin, wenn da kein Wort drinsteht?)

— Machen wir zunächst einmal fertig.
In der Begründung des Gesetzentwurfs der SPD wird zwar hervorgehoben, daß es nicht beabsichtigt sei, Leistungen, die der sozialen Rehabilitation dienen, zu Pflichtaufgaben der Sozialversicherung zu machen. Deshalb müssen Antworten auf die Frage nach der Reichweite des sozialversicherungsrechtlichen Versorgungsauftrags für psychisch Kranke und den sich daraus ergebenden leistungsrechtlichen Konsequenzen sorgfältig erarbeitet werden. Dies läßt sich nicht im Eilverfahren durchführen und auch nicht im Rahmen des Gesundheits-Reformgesetzes.
Im allgemeinen Teil der Begründung Ihres Gesetzentwurfes weisen Sie auf die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU und FDP hin. Deshalb darf ich noch einmal bekräftigen: die Bundesregierung wird nach Auswertung der genannten Forschungsergebnisse und Expertenvorschläge die in ihrem Aufgabenbereich erforderlichen Initiativen unverzüglich einleiten.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1110035700
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.



Präsident Dr. Jenninger
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Anderweitige Vorschläge liegen nicht vor. — Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der 100. Sitzung des Deutschen Bundestages dieser Wahlperiode angekommen.

(Beifall — Wolfgramm [Göttingen] [FDP]: Herr Präsident, dann ist jetzt aber ein Umtrunk fällig! — Andres [SPD]: Dann müssen Sie einen ausgeben!)

Sie können für sich in Anspruch nehmen, daß Sie mit dabei gewesen sind.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 14. Oktober 1988, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.