Rede von
Freimut
Duve
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es war richtig von der Bundesregierung, hier eine so abgewogene Stellungnahme abzugeben. Die Opposition ist in dieser Situation in der gleichen Stimmungslage.
Ich will kurz auf den Beitrag der Kollegin von den GRÜNEN eingehen. Ich denke, man kann nicht ganz umhin, sozusagen die beiden Berliner Ereignisse zu sehen. Günter Gaus hat im vergangenen Jahr bei einer anderen Demonstrationsabfolge in West-Berlin und in der DDR einen Essay geschrieben — „Deutschland im Juni" — , und er hat am Schluß dieses Buches hoffnungsvoll geschildert, wie der Generalsuperintendent zum Abschluß des Kirchentages am 28. Juni vorigen Jahres sinngemäß sagte: Wenn wir im Gespräch bleiben, auch mit der DDR-Regierung, dann kann es vorankommen. — Das war ein hoffnungsvoller Ausblick. Diese Hoffnung ist, wie wir jetzt empfinden müssen, zerschlagen. Es ist eine sehr ernste Lage eingetreten. Wir müssen aufpassen, daß unsere Meßlatte, über die ja hier gesprochen wurde und die wir an uns selbst und auch drüben anlegen, nicht in einigen Fällen zum Balken im eigenen Auge wird. Ich sage das in aller Zurückhaltung.
Es gibt Meßlatten, nämlich die freiheitliche Verfassung und die friedliche Absicht von Demonstranten, und das muß so bleiben. Wenn darüber hinausgegangen wird, dann muß man auch sagen: Ein Journalist darf in keiner bundesdeutschen Stadt verprügelt werden — nirgends.
Die Geduld der Kirchen ist zu Ende. Wir haben seit heute einen neuen Zensurfall: Heute morgen ist die Zeitschrift „Die Kirche" erschienen. Sie ist verzögert erschienen — sie sollte am 9. erscheinen — , weil der Abdruck eines Stückes aus dem Papier von der ökumenischen Versammlung der christlichen Kirchen in Magdeburg zum Thema Umwelt verboten worden war. Hier müssen wir — ich will das jetzt auch einmal als Kultursprecher der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zum Ausdruck bringen — der DDR ganz deutlich sagen: Nun ist Schluß.
Es ist heute morgen in einem Gespräch eines hohen Kirchenvertreters mit der Regierung im Zusammenhang mit der Linzenzvergabe an die Kirchenzeitung eine Warnung ausgesprochen worden. Dies ist eine deutliche Drohung. Die Geduld der Kirchen ist zu Ende. Früher hat man immer gesagt, die Geduld der DDR-Führung sei zu Ende. Jetzt muß man aber auch einmal sagen: Die Geduld der Kirchen mit solchen Drohungen ist zu Ende. Ich halte es für bedenkenswert, daß Superintendent Ziemer dieser Tage von einem Sakrileg gesprochen hat und daß er in dieser Formulierung gegen die DDR-Regierung von den katholischen Monsignores unterstützt worden ist. Sie haben die gleiche Formulierung übernommen.
Es ist eine ganz ernste Situation eingetreten. Für unseren kulturellen Dialog, für unseren Dialog auf vielen Feldern mit der DDR, müssen wir dies jetzt eindeutig feststellen. Das müssen wir berücksichtigen, wenn wir mit den Gesprächspartnern reden. Es ist unmöglich, daß die Lizenzfrage durch den bevormundenden Staat gestellt wird. Glaube läßt sich nicht lizenzieren und nicht zensieren, und auch Freiheit läßt sich nicht lizensieren und nicht zensieren. Darum geht es.
Wir erwarten von der DDR, daß sie mit diesem vormundschaftlichen Gehabe — im Guten wie im Bösen — , mit diesem gnädigen: „Wenn ihr lieb seit, dann dürft ihr" , aufhört. Wir können sonst nicht den guten und richtigen Weg zwischen den beiden Staaten, den wir brauchen, weitergehen.
Wir wollen uns hier nicht auf Gorbatschow berufen, sondern auf unsere eigenen Maßstäbe. Wir wollen uns auf die Maßstäbe berufen, die wir in Gesetzen und in Verfassungstexten der DDR selber finden.
Wir sagen ganz deutlich — ich kann das jedenfalls aus der Lage der Kulturpolitik nach einer intensiven Diskussion auch mit dem Kultusministerium in der DDR über Ausformung, Ausführung und Durchführung des Kulturabkommens sagen — : Die Lizenzfrage wird nicht gestellt. Wenn sie gestellt wird, dann werden auch Fragen wie diese gestellt: Wie sieht es mit dem Kunsthandel aus? Wie sieht es mit vielen anderen Dingen aus?
Die Kirche muß wissen, daß wir hinter ihr stehen, und die Kirche muß bald ein Signal bekommen, auch von der SED, von denen, die weitergehen wollen, daß ihre Zeitungen nicht berührt sind und ihre Zeitungen nicht bedroht werden. Endlich muß die Zensur aufhören. Der vormundschaftliche Staat hat in der Welt des 20. und 21. Jahrhunderts keine Chance.