Rede von
Norbert
Geis
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staatssekretär Sauter wird die bayerische Position in dieser Frage am Schluß noch einmal erläutern. Gestatten Sie mir deshalb ein paar grundsätzliche Bemerkungen zu dieser gesamten Thematik.
Wir kommen ja nicht an der Tatsache vorbei, daß wir 200 000 registrierte Abtreibungen im Jahr im Wege der sozialen Indikation haben. Das muß uns natürlich zu Überlegungen veranlassen. Eine freie Gesellschaft kann die Freiheit ihrer Bürger nur bewahren, wenn die Konflikte, die täglich auftreten, mit gesetzlichen Regelungen vernünftig gelöst werden. Dabei spielen die Akzeptanz des Rechtes und die Fähigkeit des Rechtes, Motivation zu geben, die Fähigkeit des Rechtes zu gestalten, eine entscheidende Rolle. Beides hängt sehr eng miteinander zusammen.
Gerade dieser enge Zusammenhang wird insbesondere deutlich in der Diskussion um § 218. Man kann unumwunden feststellen, daß — so gut es die Reformer damals gemeint haben mögen — der ohnehin schon, zugegebenermaßen geltungsschwache alte § 218 durch die Reformen in den 70er Jahren seiner Motivationskraft gänzlich beraubt worden ist; sonst hätten wir nicht 200 000 Abtreibungen gerade im Bereich der sozialen Indikation, also in einem Bereich, in dem das Rechtsbewußtsein eine entscheidende Rolle spielt.
Dabei besteht in unserer Bevölkerung — das ist eigentlich die Schizophrenie — überhaupt kein Streit
darüber, daß das Recht auf Leben, auf Würde des einzelnen das höchste Recht ist, das uns zukommt.
Insoweit besteht eine breite Übereinstimmung zwischen Bewußtsein der Bevölkerung und der Verfassung.
Es besteht auch überhaupt kein Streit darüber, daß der Staat verpflichtet ist, das Leben und die Würde des einzelnen zu schützen. Auch insoweit besteht, auch in allen Parteien, vollkommene Übereinstimmung.
Der Unterschied — die Schizophrenie, die ich meine — taucht auf bei der Frage des Rechtes des noch nicht geborenen Lebens; nicht unbedingt bei der SPD-Fraktion, aber bei den GRÜNEN, wie ich aus manchen Äußerungen entnehmen zu müssen glaube. Bei der Frage des Rechtes des noch nicht geborenen Lebens, des noch nicht geborenen Kindes teilen sich bei uns die Meinungen. In vielen Fällen wird die Meinung vertreten, der Staat müsse sich hier mit seiner Schutzfunktion zurückziehen.
Nun besteht kein Zweifel — auch darüber kann man ernsthaft nicht diskutieren — , daß das noch nicht geborene Leben nach unserer Verfassung grundsätzlich dem geborenen Leben gleichzusetzen ist. Das ist nicht nur die Erklärung des Bundesverfassungsgerichtes in seinem Urteil vom 25. Februar 1975, sondern auch die Begründung der Gesetzesvorlage der SPD und FDP Mitte der 70er Jahre gewesen.