Protokoll:
3008

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 3

  • date_rangeSitzungsnummer: 8

  • date_rangeDatum: 22. Januar 1958

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 15:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:59 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 8. Sitzung Bonn, den 22. Januar 1958 Inhalt: Amtliche Mitteilungen 239 A Fragestunde (Drucksache 142) : Frage 1 des Abg. Schmitt (Vockenhausen) : Zulassung unfallverschärfender Fahrzeuge Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 239 B Frage 2 des Abg. Schmidt (Hamburg) : Panzerübungen im Naturschutzpark in der Lüneburger Heide Strauß, Bundesminister 240 B Schmidt (Hamburg) (SPD) 240 D Frage 3 des Abg. Schmidt (Hamburg) : Zuleitung der Jahresabschlüsse der Deutschen Bundesbahn an den Bundestag Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 241 B Schmidt (Hamburg) (SPD) 241 D Frage 4 des Abg. Dr. Bucher: Bezeichnung der Regierung von Formosa als Regierung der Republik China Dr. von Brentano, Bundesminister . . 242 A Frage 5 des Abg. Jacobs: Freilassung des im tschechoslowakischen Gewahrsam befindlichen Generalmajors a. D. Richard Schmidt Dr. von Brentano, Bundesminister . . 242 C Frage 6 des Abg. Kalbitzer: Verteuerung der Hermes-Exportkreditversicherung Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister . . 242 D Frage 7 des Abg. Ritzel: Einsetzung von Bahnbussen auf der Odenwaldstrecke Weinheim—Mörlenbach—Wahlen Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 243 A Ritzel (SPD) 243 B Frage 8 des Abg. Ritzel: Verurteilung des Schützen Seifert Strauß, Bundesminister . . . . 243 D, 245 A Ritzel (SPD) 245 A Frage 10 des Abg. Dr. Werber: Einführung der Todesstrafe bei Mord Schäffer, Bundesminister 245 B Frage 11 des Abg. Dr. Mommer: Freigabe beschlagnahmter deutscher Vermögen Dr. von Brentano, Bundesminister . . 246 A Dr. Mommer (SPD) 246 B Frage 12 des Abg. Brück: Anrechnung des freiwilligen Arbeitsdienstes auf den öffentlichen Dienst Dr. Anders, Staatssekretär 246 D Brück (CDU/CSU) 246 D II Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Januar 1958 Frage 13 des Abg. Brück: Verkehrsunfälle durch Aufprallen auf Straßenbäume Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 247 A Brück (CDU/CSU) 247 C Frage 14 des Abg. Meyer (Wanne-Eickel) : Erfahrungsbericht über die Auswirkungen der Fünften Berufskrankheiten-Verordnung Blank, Bundesminister 248 A Frage 15 des Abg. Wendelborn: Eindämmung der Kriminalfälle Schäffer, Bundesminister 248 B Frage 16 mit Frage 9 der Abg. Ritzel und Schneider (Bremerhaven): Geltungsdauer der Sonntagsrückfahrkarten mit Einführung der 5-Tage-Woche Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . .249 A Frage 17 des Abg. Dr. Schmidt (Gellersen) : Besteuerung des Veräußerungsgewinns aus dem Verkauf landwirtschaftlicher Grundstücke und Gebäude im Zuge von Aussiedlungsverfahren Hartmann, Staatssekretär 249 B Frage 18 des Abg. Dr. Menzel: Schikanen bei der Wahrnehmung staatsbürgerlicher Ehrenämter bei der Preussag Dr. Lindrath, Bundesminister 249 C Frage 19 der Abg. Frau Renger: Schutz maßnahmen an der ostholsteinischen Küste Dr. Sonnemann, Staatssekretär . . . 250 A Frau Renger (SPD) 250 B Frage 20 des Abg. Seuffert: Geschwindigkeitsbegrenzung an Autobahn-Baustellen Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 250 C, 251 A Seuffert (SPD) 251 A Ubersicht 2 des Ausschusses für Petitionen über Anträge von Bundestagsausschüssen zu Petitionen, Stand vom 15. 1. 1958 (Drucksache 121) 251 A Entwurf eines Gesetzes über die Regelung der Rechtsverhältnisse bei der Volkswagenwerk-GmbH, Uberführung der Anteilscheine in private Hand (Drucksache 102); Antrag der Abg. Dr. Deist u. Gen. betr. Errichtung einer „Stiftung Deutsches Volkswagenwerk" (Drucksache 145) Dr.-Ing. E. h. Arnhold (CDU/CSU) . 251 C Kurlbaum (SPD) 254 C Hellwege, Ministerpräsident, Niedersachsen 257 B Dr. Hellwig (CDU/CSU) . . . . 257 D, 284 C Dr. Atzenroth (FDP) 263 C Dr. Elbrächter (DP) 266 B Dr. Deist (SPD) 269 A, 289 A Dr. Mommer (SPD) 277 A Häussler (CDU/CSU) 277 B Dr. Lindrath, Bundesminister . . . 279 A Dr. Preusker (DP) 281 A Entwurf eines Gesetzes über den Beitritt zu den Zusatzübereinkommen vom 7. 9. 1956 über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavereiähnlichen Einrichtungen und Praktiken (Drucksache 115) . 291 D Entwurf eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten (Drucksache 128) 291 D Entwurf eines Gesetzes über die Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes über die Sicherstellung von Leistungen auf dem Gebiete der gewerblichen Wirtschaft (Drucksache 129) Dr. Deist (SPD) 292 A Dr. Atzenroth (FDP) 292 D Dr. Hellwig (CDU/CSU) 293 A Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung des Bundesamtes für zivilen Bevölkerungsschutz (Drucksache 131) 293 C Fünfzehnte Verordnung über Zolltarifänderungen zur Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Drucksache 108) 293 D Nächste Sitzung 293 D Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten .295 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Januar 1958 239 8. Sitzung Bonn, den 22. Januar 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 15 Uhr.
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albertz 22. 1. Dr. Baade 24. 1. Dr. Barzel 24. 2. Bazille 25. 1. Dr. Becker (Hersfeld) 8. 2. Berendsen 31. 1. Blachstein 24. 1. Dr. Brönner 20. 2. Dr. Bucher 22. 1. Dr. Bucerius 22. 1. Dr. Dresbach 22. 1. Eschmann 22. 1. Faller 7. 2. Felder 31. 1. Franke 22. 1. Dr. Frey 22. 1. Gleisner (Unna) 24. 1. Graaff 23. 1. Dr. Gülich 24. 1. Heinrich 22. 1. Heye 31. 1. Huth 22. 1. Dr. Jaeger 8. 2. Dr. Jordan 23. 1. Josten 31. 1. Kalbitzer 25. 1. Kühn (Bonn) 27. 1. Kühn (Köln) 22. 1. Leber 22. 1. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 31. 1. Majonica 15. 2. Merten 22. 1. Meyer (Wanne-Eickel) 24. 1. . Müller-Hermann 15. 2. Oetzel 22. 1. Paul 28. 2. Dr. Preiß 31. 1. Probst (Freiburg) 5. 2. Rademacher 25. 1. Ramms 24. 1. Rasch 24. 1. Frau Dr. Rehling 22. 1. Rehs 27. 1. Scharnowski 24. 1. Scheel 24. 1. Dr. Schneider (Saarbrücken) 22. 1. Schoettle 24. 1. Schröder (Osterode) 31. 1. Schultz 22. 1. Dr. Serres 31. 1. Stierle 31. 1. Theis 24. 1. Wacher 3. 2. Dr. Wahl 10. 2. Dr. Weber (Koblenz) 22. 1. b) Urlaubsanträge Abgeordneter) bis einschließlich Bauer (Würzburg) 31. 1. Bettgenhäuser 30. 1. Frau Döhring (Stuttgart) 31. 1. Hoogen 2. 2. Ruhnke 31. 1. Spies (Brücken) 8. 2.
Gesamtes Protokol
Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300800000
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich bekanntgeben: Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 8. Januar 1958 gemäß § 33 Abs. 1 der Reichshaushaltsordnung eine Ubersicht über die über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben im 4. Vierteljahr des Rechnungsjahrs 1956 und im 1. Vierteljahr des Rechnungsjahrs 1957 übersandt, die nach Vereinbarung im Ältestenrat dem Haushaltsausschuß überwiesen wird. Das Haus ist damit einverstanden? — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 17. Januar 1953 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Kopf, Metzger und Genossen betreffend Vereinfachung der Formalität auf Flughäfen — Drucksache 117 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 143 verteilt.
Der Herr Bundesbeauftragte für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung hat unter dem 8. Januar 1958 im Anschluß an sein Schreiben vom 29. Dezember 1956 ein weiteres Gutachten über die Organisation der Deutschen Bundespost, zweiter Teil, Teilband 2 „Das Posttechnische Zentralamt", übersandt, das im Archiv zur Einsichtnahme ausliegt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 14. Januar 1958 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Rehling, Erler und Genossen betreffend Europäischer Schultag — Drucksache 88 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 150 verteilt.
Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde (Drucksache 142).
Frage 1 — Abgeordneter Schmitt (Vockenhausen) - betrifft die Zulassung unfallverschärfender Fahrzeuge:
Hat der Herr Bundesverkehrsminister die Ausführungen in dem Referat „Unfallverursachende und unfallverschärfende Gestaltung von Motorfahrzeugen" von Herrn Oberbaurat Dipl.-Ing. Otto Tope, das er auf der vom Verein Deutscher Ingenieure im März 1957 in Nürnberg veranstalteten Fachtagung „Anpassung des Fahrzeugs an den Menschen" gehalten hat, zum Anlaß genommen, die Frage einer Ergänzung der StVZO dahingehend zu überprüfen, daß unfallverschärfende Fahrzeuge und unzweckmäßiger Zubehör für den Verkehr überhaupt nicht zugelassen werden können?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Verkehr.

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0300800100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vortrag, den Herr Oberbaurat Tope im März 1957 in
Nürnberg über unfallverursachende und unfallverschärfende Gestaltung von Motorfahrzeugen aller Art gehalten hat, ist mir seit dieser Zeit bekannt. Er enthält wertvolle Hinweise und Anregungen für zweckmäßigere Gestaltung von Kraftfahrzeugen aller Art sowie des Zubehörs.
Der Bundesminister für Verkehr hat bereits im Jahre 1954 einen Sonderausschuß eingesetzt, dem Fachleute und Ärzte angehören, um diese Fragen laufend zu prüfen und insbesondere der Öffentlichkeit solche Unfallverhütungsmittel zu empfehlen, die nicht nur geeignet sind, Unfälle zu verhüten, sondern vor allem geeignet sind, die Schwere der Unfälle zu mildern. Dazu gehören die seitdem der Öffentlichkeit unterbreiteten Vorschläge über die Sturzhelme, über die Gürtel in Personenkraftwagen, über die Polsterung des Armaturenbretts und der Sonnenschutzscheiben, über die Ausgestaltung des Lenkrades sowie die Versenkbarkeit des Lenkrades, über die Beseitigung hervorstehender Metallteile und anderes. Auch das Schrifttum, das der Veröffentlichung des Vortrags von Herrn Tope beigegeben ist, zeigt, daß auf diesem Gebiet schon sehr eingehend im In- und Ausland gearbeitet worden ist. Ich darf nur erwähnen, daß in dem Schrifttum die ausgezeichneten Darstellungen von Herrn Prof. Dr. Bauer, Heidelberg, der auf der vorjährigen Verkehrssicherheitskonferenz das entscheidende Referat hielt, ebenso berücksichtigt sind wie die Richtlinien des Bundesministers für Verkehr über die Entfernung oder Änderung verkehrsgefährdender Teile an Kraftfahrzeugen.
Alle diese Vorschläge lassen sich ohne wesentliche Änderung der Straßenverkehrszulassungsordnung verwirklichen, da entsprechende grundlegende Rechtsvorschriften in den §§ 30 bis 32 dieser Verordnung bestehen. Auf die Beachtung dieser Vorschriften haben die zuständigen Länderbehörden in den letzten Jahren wiederholt hingewiesen. Ich verweise dazu z. B. auf die Veröffentlichung des Verkehrsblattes von 1955, Seite 266.
Da die Fahrzeuge bedauerlicherweise hinsichtlich ihrer äußeren wie inneren Gestaltung den Erfordernissen nicht entsprechen, habe ich im Januar 1957 die bereits erwähnten Richtlinien über die Entfernung oder Änderung verkehrsgefährdender Teile an Kraftfahrzeugen aufgestellt, die für die Zukunft die gleichmäßige Anwendung der bestehenden Rechtsvorschriften bei der Zulassung und Überwachung von Kraftfahrzeugen im Verkehr gewährleisten sollen. Die Vorschläge des Herrn Tope und

Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm
andere Vorschläge über die zweckmäßigere Gestaltung der Fahrzeuge im Innern und insbesondere über die Beschaffenheit und Anbringung der Bedienungseinrichtungen werden bei der Typprüfung der Fahrzeuge beachtet. In einem zur Zeit in Vorbereitung befindlichen Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrszulassungsordnung soll über die bestehenden Vorschriften hinaus die ausdrückliche Forderung erhoben werden, daß die Einrichtungen, die zur Führung der Fahrzeuge vorhanden sind, bequemer bedienbar sein müssen und daß für den Fahrer eine ausreichende Sicht bei allen Witterungsverhältnissen gewährleistet sein muß.
Zur Verbreitung der Auffassung, wie sie Herr Tope vorgetragen hat, dienen dankenswerterweise zahlreiche Veröffentlichungen in illustrierten Zeitungen. Diese Serie hat mit Aufnahmen begonnen, die in dem entsprechend ausgestatteten Fahrzeug der Fordwerke auf meine Veranlassung schon Anfang des vorigen Jahres von einer illustrierten Zeitung erfolgt sind, nachdem dieses Fahrzeug auf der 3. Straßenverkehrssicherheitskonferenz in Bad Godesberg 1956 der Öffentlichkeit vorgeführt worden war.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300800200
Frage 2 — des Abgeordneten Schmidt (Hamburg) — betreffend Panzerübungen im Naturschutzpark in der Lüneburger Heide:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß trotz mehrfacher — sich über mehrere Jahre erstreckender — Interventionen des Bundestages nach wie vor Teile des Naturschutzparks in der Lüneburger Heide durch britische und kanadische Panzereinheiten zu Übungszwecken benutzt werden?
Gibt die durch die geltenden Verträge geschaffene Rechtslage der Bundesregierung keine Möglichkeit, diese auch von ihr bedauerte nachhaltige Zerstörung des bisher einzigen Naturschutzparks der Bundesrepublik zu unterbinden?
Zur Beantwortung der Bundesminister für Verteidigung.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0300800300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantworte die Frage des Kollegen Schmidt folgendermaßen.
Der Bundesregierung ist bekannt, daß der im Übungsgebiet Soltau liegende Teil des Naturschutzparks in der Lüneburger Heide durch britische und kanadische Panzereinheiten zu Übungszwecken benutzt wird. Es handelt sich hierbei um einen Teil des Naturschutzparks, der in dem Gebiet liegt, das die britischen Stationierungsstreitkräfte jährlich während der Zeit von etwa März bis Oktober für eine Reihe von Übungen zur Durchführung ihrer taktischen Panzerausbildung in Anspruch nehmen.
Gemäß Artikel 19 des Vertrags über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und ihrer Mitglieder in der Bundesrepublik Deutschland (Truppenvertrag) sind die Stationierungsstreitkräfte berechtigt, zur Erfüllung ihrer Aufgaben in der Bundesrepublik außerhalb ihrer Anlagen nach rechtzeitiger vorheriger Benachrichtigung der zuständigen deutschen Behörden Manöver und sonstige Übungen abzuhalten. Das von ihnen hierfür in Aussicht genommene Gebiet bezeichnen sie in ihrer Übungsanmeldung.
Auf Grund der Schutzklausel des Artikels 3 Abs. 1 des Truppenvertrags, wonach zwischen den Interessen der Stationierungsstreitkräfte und den deutschen Interessen abzuwägen ist, können die deutschen Behörden hinsichtlich des Übungsgebietes Abänderungsvorschläge machen.
Da die britischen Stationierungsstreitkräfte in den bisher von mir auf Grund eines Kabinettsbeschlusses vom 20. März 1957 vom Auswärtigen Amt wegen der Aussparung des Naturschutzgebiets geführten Verhandlungen eine ersatzlose Herausnahme des Naturschutzgebietes aus dem Übungsgebiet Soltau abgelehnt haben, erscheint eine Freigabe des Naturschutzgebietes nur im Tausch gegen Ersatzland möglich. Dieses müßte in der Nähe des NATO-Schießplatzes Bergen liegen, da im Interesse der Beschränkung der Übungsschäden auf ein unvermeidbares Maß ein Teil der im Übungsgebiet Soltau durchzuführenden Ausbildung zur Nachtzeit auf dem NATO-Schießplatz Bergen durchgeführt wird. Da die Belegung der Plätze BergenHohne, Munster-Süd und Nord eine zusätzliche Unterbringung der gesamten taktischen Panzerausbildung verbietet, müßte als Ersatzland für das Naturschutzgebiet gerade auf dasjenige Gelände zurückgegriffen werden, dessen Schonung im landwirtschaftlichen Interesse während der Verhandlungen im Jahre 1956 von den britischen Stationierungstruppen zugestanden worden ist.
Bei dieser Sachlage darf ich Ihre Anfrage dahin beantworten, daß die Frage der Freistellung des Naturschutzparks von Panzerübungen in erster Linie von der Ersatzlandgestellung und nicht so sehr von der durch die geltenden Verträge geschaffenen Rechtslage abhängt. In ihrem Memorandum vom 31. Mai 1957 hat die Königlich Britische Botschaft die deutsche Bitte, den Naturschutzpark nicht mehr für Panzerübungen zu benutzen, offensichtlich im Rahmen der in Artikel 3 Abs. i des Truppenvertrags geforderten Interessenabwägung unter Hinweis darauf abgelehnt, daß das in Anspruch genommene Gebiet weitgehend Heidebrachland sei. Seine Aussparung würde dazu führen, daß die unerläßliche Ausbildung der britischen Streitkräfte in anderen Teilen des SoltauGebiets durchgeführt werden müßte. Das würde einen weitaus größeren Ernteschaden zur Folge haben. Die im Übungsgebiet an die landwirtschaftlichen Interessen gemachten Zugeständnisse seien nur deshalb möglich gewesen, weil die Streitkräfte auf das Heidebrachland des Naturschutzgebietes zurückgreifen konnten.

Helmut Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0300800400
Sind Sie sich bei dieser Antwort darüber klar, Herr Minister, daß diese sehr hoffnungslose Beantwortung durchaus von den Auskünften abweicht, die vor Jahresfrist und vor zwei Jahren im Verteidigungsausschuß zu dieser Frage gegeben wurden? Damals stellte das Verteidigungsministerium oder sein Vorgänger, das Amt Blank nämlich, in Aussicht, daß an Stelle des bisher benutzten sogenannten Heidebrachlands im Naturschutzpark — dieses Heidebrachland, wie Sie es nennen, macht übrigens erst den eigentlichen
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, 'den 22. Januar 1958 241
Schmidt (Hamburg)

Wert des Naturschutzparks aus — der frühere Truppenübungsplatz Munster Nord benutzt werden sollte, der allerdings inzwischen noch von Gelbkreuzmunitionsbeständen aus dem letzten Weltkrieg geräumt werden mußte, was inzwischen aber weitgehend geschehen sein dürfte.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0300800500
Soviel ich weiß, ist diese Räumung noch nicht erfolgt, jedenfalls noch nicht so weit, daß Menschen gefahrlos die bis dahin gesperrte Zone betreten können.

Helmut Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0300800600
Sollte man nicht annehmen, Herr Minister, daß im Zusammenhang mit der Verringerung der englischen Truppen, soweit sie in der Bundesrepublik stationiert sind, auch der Bedarf an Übungsplätzen für diese Truppen geringer geworden sein müßte, so daß es möglich sein sollte, den seit Generationen für den deutschen Kraftverkehr selbstverständlich gesperrten Naturschutzpark nunmehr auch für britische Panzer zu sperren?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0300800700
Dieses Problem wäre nach weiterer Verringerung des Bedarfs an Übungsplätzen ernsthaft zu prüfen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300800800
Frage 3 — Herr Abgeordneter Schmidt (Hamburg) — betreffend Zuleitung der Jahresabschlüsse der Bundesbahn an den Bundestag:
Warum sind die Vorschriften des § 32 des Bundesbahngesetzes betreffend Veröffentlichung des Jahresabschlusses und Zuleitung desselben an den Bundestag seit Inkrafttreten dieses Gesetzes im Dezember 1951 trotz zwei in den Jahren 1954 und 1955 erfolgten Anfragen in der Fragestunde des Bundestages immer
noch nicht erfüllt worden? Welche Stelle trifft die Verantwortung dafür, daß weder die im Gesetz vorgesehenen Fristen eingehalten wurden noch überhaupt für ein einziges der seither abgelaufenen fünf Geschäftsjahre jemals ein Jahresabschluß in der vom Gesetz zwingend vorgeschriebenen Form offiziell dem Bundestag zugeleitet und veröffentlicht worden ist?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Verkehr.

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0300800900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mich bei der Beantwortung dieser Anfrage auf meine Erwiderung auf die Kleine Anfrage Nr. 322 der Fraktion der SPD vom 12. Februar 1956, Drucksache 3205, beziehen. Damals hatte ich mitgeteilt, daß die Abschlüsse der Deutschen Bundesbahn für den D-Mark-Abschnitt des Geschäftsjahres 1948 und für die Geschäftsjahre 1949 bis 1954 erst im Dezember 1956 von mir genehmigt werden konnten, weil der Herr Bundesminister der Finanzen sein Einverständnis nicht vorher erteilt hatte.
Wenn ich bei der damaligen Beantwortung die Hoffnung aussprach, daß diese Abschlüsse noch vor dem Ende der zweiten Legislaturperiode dem Hohen Hause zugeleitet werden könnten, so hat sich dies leider nicht verwirklichen lassen, da der nach der Genehmigung durch die beiden Minister erforderliche Bericht des Bundesrechnungshofes zu den Abschlüssen erst im September 1957 endgültig
fertiggestellt worden ist. Die nach dem Bundesbahngesetz vorgeschriebene Vorlage der Jahresabschlüsse an die Bundesregierung mit Antrag auf Entlastung der Organe ist nach der Kabinettsbildung von mir vorgelegt und dem Bundesminister der Finanzen zur Mitzeichnung unterbreitet worden. Ich hoffe, daß die Bundesregierung diese Vorlage baldigst verabschiedet, damit ich dann die Abschlüsse der Deutschen Bundesbahn bis einschließlich 1954 gemäß § 32 Abs. 6 des Bundesbahngesetzes dem Bundestag offiziell vorlegen kann; denn erst dann können sie von dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn nach den Bestimmungen des Bundesbahngesetzes veröffentlicht werden.
Ich darf bemerken, daß den interessierten Ausschüssen des Hohen Hauses diese Abschlüsse schon vorab zugeleitet wurden. Die Abschlüsse für 1955 bis 1956 sind noch nicht genehmigt. Der Prüfungsbericht des Hauptprüfungsamtes für die Bundesbahn liegt erst für den Abschluß 1955 vor. Der Herr Bundesminister der Finanzen beabsichtigt, die Abschlüsse der beiden Jahre 1955 und 1956 im Zusammenhang zu prüfen. Dazu bedarf es der in Kürze zu erwartenden Vorlage des Prüfungsberichtes des Hauptprüfungsamtes der Deutschen Bundesbahn für den Jahresabschluß 1956. Die Verzögerung erklärt sich auch daraus, daß auf Grund der Bestimmungen des Haushaltsgesetzes 1957 und des Beschlusses der Bundesregierung über die Abnahme der betriebsfremden Personallasten diese Abschlüsse gemeinsam geprüft werden müssen, da bekanntlich der Verlustvortrag bis 31. Dezember 1956 durch Verrechnung mit Forderungen des Bundes an die Bundesbahn in einem Verfahren abgedeckt werden soll und dazu vorher die Verabschiedung und Veröffentlichung des Haushaltsgesetzes 1957/58 erforderlich war.
Ich hoffe, daß der Bundesrechnungshof dieses Mal seine Arbeiten rascher fertigzustellen vermag und daß die Abschlüsse 1955 und 1956 noch in diesem Jahre endgültig von der Bundesregierung verabschiedet und dann dem Bundestag zur Kenntnisnahme gebracht werden können. Ich beabsichtige aber auch die Jahresabschlüsse für die beiden Jahre 1955 und 1956, sobald der Herr Bundesminister der Finanzen meiner Genehmigung beigetreten ist, wieder vorab den interessierten Ausschüssen des Hauses zu ihrer Unterrichtung zuzuleiten.

Helmut Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0300801000
Herr Bundesminister, stehen Sie angesichts der von Ihnen soeben geschilderten Sachlage - daß seit Dezember 1951 das Bundesbahngesetz in diesem Punkt nicht befolgt worden ist, obwohl inzwischen über sechs Jahre vergangen sind — noch zu der Beurteilung, die Sie in der Fragestunde am 4. November 1954 gegeben haben, daß dieser Zustand denkbar unbefriedigend, ja fast unerträglich ist?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0300801100
Ich habe meiner Außerung von 1954 nichts hinzuzufügen, Herr Kollege Schmidt.




Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300801200
Frage 4 des Abgeordneten Dr. Bucher — in Vertretung Herr Abgeordneter Lenz (Trossingen) - betreffend Einladung der Regierung von Formosa als „Regierung der Republik China" zu einer Rot-Kreuz-Konferenz:
Trifft es zu, daß die Vertreter der Bundesrepublik auf der 19. Internationalen Konferenz des Internationalen Roten Kreuzes in Neu-Delhi dafür stimmten, daß die Regierung von Formosa als „Regierung der Republik China" eingeladen werde, und hat die Bundesrepublik nicht damit gerechnet, daß, wenn die Einladung in dieser Form erfolgt, dies die Sprengung der RotKreuz-Konferenz bedeutet?
Bitte sehr, Herr Bundesminister!

Dr. Heinrich von Brentano (CDU):
Rede ID: ID0300801300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die Anfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Bucher möchte ich folgendes antworten. Über den amerikanischen Antrag, alle Regierungen unter ihrer offiziellen Bezeichnung einzuladen, wurde auf Antrag von 16 Delegierten geheim abgestimmt. Der Antrag wurde mit 62 zu 44 Stimmen bei 16 Stimmenthaltungen angenommen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde auch die Stimme der Bundesregierung für diesen Antrag abgegeben. Bei Annahme des amerikanischen Antrags mußte auf Grund vorheriger Ankündigung damit gerechnet werden, daß die rotchinesische und die russische Regierungsdelegation die Konferenz verlassen würden. Andererseits wäre ohne die Annahme des amerikanischen Antrags die Republik China der Konferenz ferngeblieben. Angesichts dieser Alternative konnten nur die anerkannten Grundsätze des Roten Kreuzes Richtschnur für die Entscheidung sein.
Um seinen durch seine rein humanitären Aufgaben bedingten universellen Charakter unbeschadet aller politischen Gegensätze zu wahren, hat sich das Rote Kreuz stets jeder politischen und juristischen Beurteilung des Status einer Regierung enthalten. Folgerichtig sind alle Regierungen der übrigen geteilten Länder unter der von ihnen offiziell geführten Bezeichnung zur Konferenz eingeladen worden. Lediglich im Falle der Republik China war anfangs von diesem Grundsatz abgewichen worden. Die Einladung war an die Regierung von Formosa gerichtet. Angesichts der Gefahr, daß die sowjetischrotchinesische Aktion zu einer Verletzung dieses Prinzips und damit zu einem Mißbrauch der Konferenz zu politischen Demonstrationen führen würde, ist das Risiko in Kauf genommen worden, daß die oben genannten Regierungsdelegationen die Konferenz nach Annahme dieses Antrags verlassen würden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300801400
Keine Zusatzfrage. —
Frage 5 des Herrn Abgeordneten Jacobs betreffend Entlassung des in tschechoslowakischem Gewahrsam befindlichen Generalmajors a. D. Richard Schmidt:
Ich frage die Bundesregierung, welche Schritte sie unternommen hat bzw. zu unternehmen gedenkt, die Entlassung des in tschechischem Gewahrsam (Postovni urad, Praha 3, postovni schranka 1034/139) befindlichen Generalmajors a. D. Richard Schmidt herbeizuführen?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des Auswärtigen!

Dr. Heinrich von Brentano (CDU):
Rede ID: ID0300801500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die Anfrage des Herrn Kollegen Jacobs darf ich folgendes sagen.
Die Bundesregierung und das Deutsche Rote Kreuz sind seit Jahren im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten darum bemüht, die Freilassung des noch in tschechoslowakischer Gefangenschaft zurückgehaltenen Generalmajors a. D. Richard Schmidt zu- erwirken. Ich bedaure sagen zu müssen, daß all diese Bemühungen bisher erfolglos geblieben sind. Auch die Versuche, durch die Wiederaufnahme des Verfahrens eine Entlassung herbeizuführen, haben noch zu keinem Ergebnis geführt. Auch über das Ergebnis des zuletzt für Herrn Schmidt eingereichten Gnadengesuchs konnte bisher nichts in Erfahrung gebracht werden. Die Bundesregierung wird aber auch in Zukunft bei jeder sich bietenden Gelegenheit nichts unversucht lassen, um die Freilassung des Generalmajors a. D. Schmidt und der übrigen noch in der Tschechoslowakei zurückgehaltenen Gefangenen zu erreichen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300801600
Frage 6 des Herrn Abgeordneten Kalbitzer betreffend Verteuerung der Hermes-Exportkreditversicherung:
Warum hat die Bundesregierung die Hermes-Exportkreditversicherung durch Verschlechterung der Versicherungsbedingungen für die deutschen Exporteure verteuert?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Wirtschaft.

Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0300801700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantworte die Anfrage wie folgt:
Als der Bund im Jahre 1949 beschloß, Bürgschaften und Garantien im Ausfuhrgeschäft zu übernehmen, wurde festgestellt, in welcher Höhe sich die Ausfuhrwirtschaft an den Risiken, die im Ausfuhrgeschäft anfallen oder drohen, zu beteiligen hat und welche Entgelte hier zu leisten sind. In den Jahren 1956 und 1957 hatte die deutsche Ausfuhr ein Ausmaß erreicht, das es gerechtfertigt erscheinen ließ, die Beteiligung der Ausfuhrwirtschaft an den Ausfuhrrisiken zu erhöhen. Wenn mit der Anhebung der Selbstbeteiligungssätze keine Senkung der Entgelte verbunden war, so geschah dies in der Erkenntnis, daß die Risiken in der Welt wachsen, insbesondere in den Entwicklungsländern, und die Ausfuhrwirtschaft die Risikoauswahl gegenüber dem Bund treffen kann; d. h. sie braucht nur diejenigen Geschäfte anzudienen, die sie für besonders risikobehaftet hält.
Diese erhöhten Risiken, die der Bund der Ausfuhrwirtschaft zu 70 bis 80 °/o abzunehmen bereit ist, erfordern, wenn es zum Schaden kommt, in beträchtlicher Höhe Inanspruchnahmen des Bundeshaushalts. Die Bundesregierung mußte deshalb bestrebt sein, nicht nur durch die Erhöhung der Selbstbeteiligung, sondern darüber hinaus durch die Bei-

Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
behaltung der ursprünglich festgelegten Entgelte eine unerläßliche Entlastung des Bundeshaushalts herbeizuführen. Die beteiligten Bundesressorts und die Bundesbank haben bislang keine Notwendigkeit gesehen, der Bundesregierung vorzuschlagen, die auf Kabinettsbeschluß beruhende Erhöhung der Selbstbeteiligungssätze zu beseitigen oder die Entgelte herabzusetzen. Sie wird jedoch dieser Frage auch in Zukunft Beachtung schenken.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300801800
Keine Zusatzfrage.
Frage 7 — Herr Abgeordneter Ritzel — betreffend Einsetzung von Bahnbussen auf der Odenwaldstrecke Weinheim—Mörlenbach—Wahlen:
Ist dem Bundesverkehrsministerium bekannt, daß die Deutsche Bundesbahn den größten Teil des Verkehrs auf der Odenwaldstrecke Weinheim—Mörlenbach—Wahlen auf die Straße verlegt und an Stelle der Züge Bahnbusse eingesetzt hat?
Ist dem Bundesverkehrsministerium bekannt, daß diese Bahnbusse auf der schmalen Straße, besonders auf der Kreidacher Höhe, bei Schnee und Glatteis nicht verkehren können und daß so vor allem der ganze Berufsverkehr in empfindlicher Weise beeinträchtigt wird?
Was beabsichtigt das Bundesverkehrsministerium zu tun, um diesem Mißstand zu begegnen?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Verkehr.

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0300801900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir ist bekannt, daß die Deutsche Bundesbahn einen Teil des Personenverkehrs der Strecke Weinheim—Wahlen mit Omnibussen auf der Straße abwickelt, und zwar in den Zeiten, in denen der Reiseverkehr gering ist. Der Berufsverkehr wird im wesentlichen nach wie vor mit Dampfzügen bedient. Er wird also kaum davon betroffen, wenn bei hohem Schnee und bei Glatteis im Omnibusverkehr Verspätungen oder Ausfälle eintreten.
Die Bundesbahn hat im übrigen für solche Fälle Schienenersatzfahrpläne vorbereitet. Der Verkehr wird bei solchen Störungen sofort auf die Schiene umgelegt. Diese Maßnahme hat, wie mir die Deutsche Bundesbahn berichtet, ihre Bewährungsprobe schon mehrfach bestanden.
Ich bin nach erneuter Prüfung zu der Auffassung gekommen, daß es der Bundesbahn nicht zugemutet werden kann, den gesamten Personenverkehr auf die Schiene zurückzuverlegen. Die Kosten des Vollbetriebes dieser Strecke übersteigen leider die erzielten Einnahmen um mehr als das Doppelte. Der Bundesbahn kann deshalb bei ihrer Finanzlage und bei der ihr gesetzlich vorgeschriebenen kaufmännischen Betriebsführung nicht auferlegt werden, auf die durch teilweise Verlegung des Personenverkehrs auf die Straße erzielbare Verbesserung der Rentabilität dieser Strecke zu verzichten.

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0300802000
Darf ich den Herrn Bundesverkehrsminister fragen, ob ihm auch bekannt ist, daß — und das steht im Widerspruch zu der soeben erteilten Auskunft — in sehr großem Umfange Arbeiter, die ihre Arbeitsstelle erreichen wollen, gezwungen sind, diese Straßenbusse zu benutzen, und daß daraus Nachteile entstehen: Verspätetes Erreichen der
Arbeitsstelle, Versetzung an eine schlechter bezahlte Stelle; weiterhin Nichtbeförderung oder nicht rechtzeitige Beförderung von Expreßgütern, Verweigerung der Mitnahme von Kinderwagen und dergleichen mehr?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0300802100
Herr Kollege Ritzel, mich würde es interessieren, konkrete Fälle, in denen tatsächlich eine Schädigung des einen oder anderen Arbeiters in seinem Betrieb wegen wiederholten Zuspätkommens infolge dieser Maßnahme eingetreten ist, zu erfahren.
Im übrigen können bei dem Busbetrieb Expreßgut, Kinderwagen und ähnliches natürlich nicht mitgenommen werden. Das geht nur mit Zügen. Das Publikum muß sich leider nach den Zügen richten, die noch verkehren und in denen solche Gegenstände mitgenommen werden können.

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0300802200
Ich weiß nicht, Herr Minister, ob Sie damit meinen — ich bitte um Antwort auf diese Frage —, daß dann, wenn die Züge nicht gehen, beispielsweise Mütter, die mit ihren Kindern und Kinderwagen verreisen müssen, gezwungen sein sollen, die ganze Strecke von Wahlen bis an die Bergstraße zu Fuß zurückzulegen. Mir dreht es sich dabei in der Hauptsache um die Frage, ob Ihnen auch bekannt ist, Herr Minister, daß die Bundesbahn die Freundlichkeit hatte, einen alten und, soviel ich weiß, ausrangierten Personenwagen mit Ofenheizung, die meistens nicht in Betrieb ist, den Güterwagen anzuhängen. Dieser Zug hat im Volksmund den Namen „Brentano-Expreß" .

(Heiterkeit.)

Ich frage, ob dieser Zusatzwagen zur Deutschen Bundesbahn als eine ausreichende Lösung der dortigen Verkehrsschwierigkeiten angesehen werden kann.

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0300802300
Ich müßte mich da noch einmal erkundigen. Herr von Brentano kann allerdings für diese Dinge kaum verantwortlich gemacht werden; vielmehr müßte man der Bevölkerung empfehlen, diesen Zug „Seebohm-Expreß" zu nennen.

(Erneute Heiterkeit.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300802400
Keine Zusatzfrage. Frage 8 des Abgeordneten Ritzel betreffend Verurteilung des Schützen Seifert zu fünf Tagen Arrest:
Ich frage den Herrn Bundesverteidigungsminister, ob ihm die Verurteilung des Schützen Seifert zu fünf Tagen Arrest bekannt ist, der sich als Angehöriger der Panzerkampfgruppe B 3 in Schleswig unter Hinweis auf die Vorschriften über den inneren Dienst weigerte, das Schuhwerk des Kompaniechefs Maßmann zu putzen.
Ist der Herr Bundesverteidigungsminister der Auffassung, daß es zur Ausbildung der Angehörigen der Bundeswehr gehört, ihren Vorgesetzten die Stiefel zu putzen?
Der Herr Bundesminister für Verteidigung hat das Wort.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0300802500
Ich beantworte die vom Kollegen Ritzel gestellte Frage folgendermaßen:



Bundesverteidigungsminister Strauß
Dem Vorfall liegt folgender Sachverhalt zugrunde. Der am 15. Februar 1938 geborene Metallarbeiter Horst Seifert meldete sich im August 1956 freiwillig zur Bundeswehr. Er hatte zunächst um seine Verwendung als Bordfunker in der Unteroffizierslaufbahn gebeten, war aber laut Prüfbericht der zuständigen Annahmestelle vom 14. September 1956 damit einverstanden, in die Feldzeugtruppe des Heeres eingestellt zu werden. Er wurde daher am 16. März 1957 zur leichten Feldzeuginstandsetzungskompanie 3 einberufen, wo er mit Einverständnis seiner Mutter den Dienst antrat und sich etwas später zu einer Dienstzeit von 18 Monaten verpflichtete.
Am 21. Juni 1957 wurde durch den Kompaniechef, Hauptmann Maßmann, beim 2. Zug der Kompanie Unterricht über Befehl und Gehorsam abgehalten. Hauptmann Maßmann führte einige Beispiele dafür an, wann ein Befehl rechtmäßig und daher auszuführen sei und wann ein Befehl unrechtmäßig sei und seine Ausführung daher verweigert werden müsse bzw. dürfe. U. a. trug Hauptmann Maßmann als Beispiel für einen noch verbindlichen Befehl folgenden Sachverhalt vor: „Sie erhalten während des dienstlich angesetzten Revierreinigens den Befehl, die dienstlich gelieferte Oberbekleidung eines Offiziers zu reinigen."
Alle Soldaten mit Ausnahme des Schützen Seifert waren davon, überzeugt, daß dieser Befehl ausgeführt werden müsse, da er zu einem dienstlichen Zweck unter den vorgeschriebenen Voraussetzungen erteilt worden sei. Schütze Seifert äußerte dagegen, nach seiner Auffassung verstoße ein solcher Befehl gegen die Menschenwürde.
Er wurde daraufhin von seinem Kompaniechef über die Dienstvorschrift 10/5: „Der innere Dienst" — Abschnitt Persönliche Dienstleistung — in der Fassung vom Januar 1957 belehrt. Es heißt dort in Ziffer 136:
Unterkunftsräume, dienstliche Oberbekleidung und dienstliches Schuhwerk der in Gemeinschaftsunterkunft untergebrachten Offiziere und Feldwebeldienstgrade sind durch Zivilpersonal zu reinigen.
Diese Bestimmung wird in Ziffer 138 erläutert. Es heißt dort:
Soweit für persönliche Dienstleistung zivile Hilfskräfte nicht zur Verfügung gestellt werden (insbesondere in entlegenen Unterkünften, im Manöver, an Bord von Schiffen), sind hiermit Mannschaften zu beauftragen. Diese übernehmen in jedem Fall die Pflege der Handwaffen.
Am 22. Juni 1957 wurde dem Schützen Seifert während des allgemeinen Revierreinigens befohlen, eine Dienstbluse, einen Kampfanzug, ein Paar Dienstschuhe und ein Gewehr des Kompaniechefs zu reinigen. Er lehnte das Putzen der Schuhe mit dem Hinweis ab, daß die Ausführung dieses Befehls gegen die Menschenwürde verstoße.
Diesen Vorfall meldete der Kompaniechef dem Kampfgruppenkommandeur. Er erhielt von diesem die Anweisung, den Befehl erneut zu erteilen und,
bei einem Verharren des Schützen Seifert im Ungehorsam, gegen diesen Strafanzeige wegen Gehorsamsverweigerung zu erstatten. Dem daraufhin am 24. Juni 1957 nochmals erteilten Befehl, während des dienstlich angesetzten Revierreinigens die Oberbekleidung des Kompaniechefs zu reinigen, widersetzte sich Seifert wiederum.
Als ihn sein Kompaniechef nochmals auf die Folgen dieses Verhaltens aufmerksam machte, erwiderte Seifert, daß er im Falle einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft die Presse mobil machen würde. Darauf gab der Kompaniechef dieses Dienstvergehen am 25. Juni 1957 gemäß § 22 der Wehrdisziplinarordnung an die Strafverfolgungsbehörde ab.
Der Oberstaatsanwalt in Flensburg stellte das eingeleitete Ermittlungsverfahren durch Verfügung vom 2. August 1957 ein, da die Schuld des Täters gering und die Folgen der Tat unbedeutend seien.

(Heiterkeit.)

Damit war der Weg für eine disziplinare Ahndung frei. Als der Kampfgruppenkommandeur dem Schützen Seifert am 22. August 1957 eröffnete, daß er gegen ihn eine Arreststrafe verhängen werde, äußerte sich Seifert in folgender Weise: „Wenn ich bestraft werde, werde ich Wege finden, in der Öffentlichkeit diesen Fall bekanntzumachen."

(Unruhe und Lachen.)

Die vom Kampfgruppenkommandeur am selben Tage beantragte Rechtmäßigkeitserklärung der beabsichtigten Arreststrafe von fünf Tagen wurde durch den Vorsitzenden des Truppendienstgerichtes C 1 am 30. August 1957 ausgesprochen.
Gegen diese disziplinare Bestrafung legte Seifert am 4. September 1957 Beschwerde ein. Am 5. September 1957 wandte er sich in einem Schreiben an die Stammdienststelle des Heeres, in dem er u. a. ausführte — ich zitiere wörtlich —: „Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich bereits einen Bericht an eine deutsche Presseagentur gerichtet habe." Weiterhin forderte Seifert eine sofortige Entlassung aus der Bundeswehr, da er keinen Eid ablegen wolle, und kündigte an, dem Bund der Kriegsdienstverweigerer beizutreten.

(Heiterkeit.)

Über die Beschwerde entschied die 1. Kammer des Truppendienstgerichtes C mit Beschluß vom 24. Oktober 1957. Die Beschwerde wurde von dieser Kammer als unbegründet zurückgewiesen. Die Arreststrafe ist noch nicht vollstreckt worden.
Ich darf noch hinzufügen, daß der Schütze Seifert in der Zwischenzeit wegen einer weiteren Befehlsverweigerung — trotz Zubilligung einer Bedenkzeit — und weil er es ablehnte, seinen Eid zu leisten, mit Wirkung vom 23. September 1957 fristlos aus der Bundeswehr entlassen worden ist.
Zu der Frage, ob Stiefelputzen für einen Vorgesetzten Bestandteil der Ausbildung sei, darf ich antworten: nein, es gehört nicht zur Ausbildung, sondern ist eine unter bestimmten Umständen vorgeschriebene Dienstleistung; sie darf nur angeord-



Bundesverteidigungsminister Strauß
net werden, wenn es sich um eine Verschmutzung handelt, die im Außendienst entstanden ist, und zwar bei Kampfanzug, dienstlicher Oberbekleidung, Stiefel und Waffen.

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0300802600
Noch eine Frage, Herr Bundesverteidigungsminister! Haben Sie nachgeprüft, ob die Voraussetzungen der von Ihnen zitierten Ziffer 136 bei der Befehlserteilung vorlagen?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0300802700
Die Voraussetzungen der Ziffer 138 sind nach dem mir vom I. Korps unter dem 8. Januar 1958 erstatteten Bericht gegeben gewesen.

(Zurufe von der SPD: Ziffer 136!?)

Das ist dasselbe. Es heißt: dann, wenn Zivilpersonal nicht zur Verfügung steht; Ziffer 136 besagt: in der Regel Zivilpersonal. Aber es ist Ihnen wahrscheinlich aus der Praxis bekannt, daß Zivilpersonal für diesen Zweck aus haushaltsrechtlichen Gründen und wegen der personellen Lage zur Zeit nicht in ausreichendem Maße in Dienst gestellt werden kann.

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0300802800
Das genügt, danke sehr!

(Zurufe von der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300802900
Frage 9 wird zurückgestellt und zusammen mit Frage 16 beantwortet; ich rufe sie nachher auf.
Frage 10 — des Herrn Abgeordneten Dr. Werber — betrifft die Einführung der Todesstrafe bei Mord:
Hält die Bundesregierung die Einführung der Todesstrafe bei Mord in besonders schweren Fällen für notwendig, und ist sie gegebenenfalls bereit, alsbald dem Bundestag eine entsprechende Vorlage mit vorzusehender Änderung des Grundgesetzes zu unterbreiten?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister der Justiz.

Fritz Schäffer (CSU):
Rede ID: ID0300803000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir ist bekannt, daß gewichtige Gründe sowohl für als auch gegen die Todesstrafe geltend gemacht werden können. Der Parlamentarische Rat hat seinerzeit den dagegen sprechenden Gründen den Vorzug gegeben. Nach Art. 102 des Grundgesetzes ist die Todesstrafe abgeschafft. Zu ihrer Wiedereinführung bedürfte es einer Zweidrittelmehrheit sowohl in diesem Hohen Hause als auch im Bundesrat. Das Hohe Haus hat es in der 1. Legislaturperiode zweimal abgelehnt, die Frage der Wiedereinführung auch nur zum Gegenstand der Erörterung in dem zuständigen Ausschuß zu machen. In der 2. Legislaturperiode sind Anträge, welche die Wiedereinführung der Todesstrafe zum Ziel hatten, nicht einmal in erster Lesung beraten worden. Die Bundesregierung behält sich vor, erst bei der Einbringung des Entwurfs eines neuen Strafgesetzbuchs zur Frage der Wiedereinführung der Todesstrafe Stellung zu nehmen und dabei das Hohe Haus um eine Überprüfung des Art. 102 Grundgesetz zu bitten.
Die zahlenmäßige Entwicklung im Bereich der Mord- und Totschlagskriminalität drängt im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu einer solchen sofortigen Überprüfung. Die Zahlen der bekanntgewordenen Fälle von vollendetem Mord und Totschlag haben sich in der Bundesrepublik seit 1947 wir folgt entwickelt:
1947 = 757
1948 = 521
1949 = 427
1950 = 410 1951 = 361 1952 = 379 1953 = 308 1954 = 370 1955 = 348 1956 = 316.
Die Zahlen für 1957 liegen noch nicht vollständig vor. Bis einschließlich Oktober waren 255 Fälle von Mord und Totschlag zu verzeichnen, so daß für 1957 mit einer Gesamtzahl von nur wenig über 300 zu rechnen sein dürfte.
Ich möchte Ihnen auch einen Vergleich mit früheren Zeitabschnitten ermöglichen. Ein Vergleich der absoluten Zahlen für die Zeit vor und nach 1945 ist allerdings wenig sinnvoll, weil die Bevölkerungszahlen zu sehr voneinander abweichen. Ich gebe Ihnen daher eine Übersicht über die Entwicklung der sogenannten Kriminalitätsziffer, die angibt, wieviel wegen Mords oder Totschlags rechtskräftig Verurteilte in dem betreffenden Jahr auf 100 000 Personen der strafmündigen Bevölkerung entfielen. Diese Ziffer betrug für den Abschnitt von 1900 bis 1914 im Jahresdurchschnitt 0,66, für 1919 bis 1932 1,07, für 1933 bis 1938 0,96 und für 1950 bis 1955 0,73.
Diese Entwicklung der Kriminalität rechtfertigt es, dem Hohen Hause eine Überprüfung des Art. 102 Grundgesetz erst in einem größeren Zusammenhang vorzuschlagen, in dem eine Erörterung der Frage ohnehin notwendig werden wird, nämlich im Zusammenhang mit der Großen Strafrechtsreform. Wie dem Hohen Hause bekannt ist, hat die vom Bundesjustizministerium einberufene Große Strafrechtskommission ihre Beratungen über einen Entwurf des Allgemeinen Teils eines künftigen Strafgesetzbuchs in erster Lesung abgeschlossen. Der Besondere Teil, der in einem Entwurf von Unterkommissionen ebenfalls vorliegt, wird zur Zeit in der Vollkommission beraten. Die Bundesregierung hofft, den Gesamtentwurf im nächsten Jahr verabschieden und dem Hohen Hause nach der Sommerpause vorlegen zu können. Im Rahmen der sich dann anschließenden Beratungen wird es notwendig werden, das Strafensystem des neuen Strafgesetzbuchs zu erörtern und damit auch die Frage der Wiedereinführung der Todesstrafe zu überprüfen. Eine solche Überprüfung kann erst in diesem Zusammenhang eine sichere Grundlage finden. Denn für eine etwaige Androhung der Todesstrafe spielt es eine wesentliche Rolle, welche Taten als Mord anzuse-



Bundesjustizminister Schäffer
hen sind und ob es gelingt, in dem neuen Gesetz eine klare und gerechte Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag zu finden. Ob es möglich sein wird, innerhalb des Mordes noch besonders schwere Fälle zu unterscheiden, wird dann ebenfalls zu prüfen sein. Mir erscheint das zweifelhaft.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300803100
Keine Zusatzfrage.
Frage 11 — Herr Abgeordneter Dr. Mommer — betreffend Freigabe eines als Feindvermögen beschlagnahmten Betrages von 7000 $:
Wie lange muß der inzwischen 83 Jahre alt gewordene Friedrich Beck aus Neckarrems noch von Wohlfahrtsunterstützung leben, bis von unseren jetzigen Verbündeten seine als Feindvermögen beschlagnahmten 7000 Dollar freigegeben werden?
Zur Beantwortung hat das Wort der Herr Bundesminister des Auswärtigen.

Dr. Heinrich von Brentano (CDU):
Rede ID: ID0300803200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage des Herrn Kollegen Dr. Mommer beantworte ich wie folgt.
Im Anschluß an den Besuch des Herrn Bundeskanzlers im Frühjahr des letzten Jahres hat das Weiße Haus eine grundsätzliche Erklärung abgegeben, wonach die amerikanische Regierung beabsichtigt, in der Anfang Januar 1958 begonnenen Sitzungsperiode dem Kongreß einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Befriedigung der amerikanischen Kriegsansprüche und eine angemessene Geldabfindung an Eigentümer beschlagnahmter deutscher Vermögen vorsieht. Das Weiße Haus hat sich bei dieser Gelegenheit ausdrücklich auf den Grundsatz der Unantastbarkeit des Privateigentums auch in Kriegszeiten berufen.
Aus den seitherigen Fühlungnahmen mit dem State Department kann der Schluß gezogen werden, daß Eigentümer kleiner Vermögen durch dieses Gesetz den vollen Gegenwert ihrer beschlagnahmten Vermögen erhalten. Für die übrigen Eigentümer erwartet die Bundesregierung eine Lösung, die im Ergebnis etwa der deutsch-schweizerischen Freigaberegelung entsprechen könnte. Die Bundesregierung hat die Zuversicht, daß ein solcher Gesetzesvorschlag, dessen Vorbereitung im Gange ist, bis zum Ende der Sitzungsperiode, d. h. also bis zum Juli dieses Jahres, die Zustimmung des Kongresses finden wird.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0300803300
Herr Minister, wie kam der Senator Smathers zu dieser Meinung von einem Gespräch, das er mit Präsident Eisenhower hatte, einer Meinung, die in einer United-Press-Meldung wiedergegeben ist und die ich Ihnen hier in einem Satze verlesen darf:
Der Senator sagte, Eisenhower halte es für möglich, daß sich die deutsche Haltung hinsichtlich der Forderung auf vollständige Rückgabe der Vermögenswerte nach den Bundestagswahlen geändert hat.

Dr. Heinrich von Brentano (CDU):
Rede ID: ID0300803400
Meine Damen und Herren, die Erklärung von Herrn Senator Smathers ist uns natürlich bekannt. Er gehört zu denen, die schon seit geraumer Zeit im Kongreß und im Senat gegen jede Rückgabe des Eigentums aufgetreten sind. Die Erklärung, die er in dieser Beziehung abgegeben hat, entbehrt jeder — ich betone: jeder! — Grundlage.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0300803500
Danke sehr. — Darf ich noch fragen: Wie hoch belaufen sich die Ansprüche von amerikanischen Kriegsgeschädigten, die mit den Ansprüchen Deutscher auf ihr beschlagnahmtes Vermögen irgendwie aufgerechnet werden sollen? Bleibt da noch etwas übrig, wenn die Amerikaner ihre Schadensersatzansprüche durchgesetzt haben?

Dr. Heinrich von Brentano (CDU):
Rede ID: ID0300803600
Herr Kollege Mommer, ich könnte Ihnen die Zahlen nicht nennen, auch wenn ich die Unterlagen da hätte, weil die Schätzungen sehr weit auseinandergehen. Die Schätzungen beruhen zum Teil auf vorliegenden Anmeldungen, zum Teil handelt es sich aber auch um freie Schätzungen aus den Kreisen der Interessierten. Deswegen wird sich diese Frage nicht beantworten lassen. Aber die Gespräche, die wir mit der amerikanischen Regierung geführt haben — hier ist natürlich nur ein indirekter Einfluß möglich, denn wir können ja in die Gesetzgebungshoheit der Vereinigten Staaten nicht eingreifen —, haben zum Gegenstand, daß ohne Rücksicht auf die festgestellte Höhe dieser Ansprüche auf jeden Fall die Regelung durchgesetzt wird, von der ich eben sprach: volle Befriedigung der Eigentümer kleiner Vermögen und eine Befriedigung etwa im Sinne der deutsch-schweizerischen Regelung für die Eigentümer der Großvermögen, so daß es dann auf die Höhe dieser claims nicht ankommt.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300803700
Frage 12 — Herr Abgeordneter Brück — betreffend Anrechnung des freiwilligen Arbeitsdienstes auf den öffentlichen Dienst:
Ist die Bundesregierung bereit, im Wege der nach j 61 BBesG zu erlassenden Verwaltungsvorschriften eine Lösung zu treffen, wie sie beispielsweise in früherer Zeit durch Erlaß des Reichsverkehrsministers vom 10. März 1939 - 54.505 Pol/136 - gefunden worden war, um auch die im freiwilligen Arbeitsdienst abgeleisteten Zeiten in Anrechnung zu bringen, die der Bewerber im öffentlichen Dienst als Einstellungsbedingung nachzuweisen hatte?
Zur Beantwortung hat das Wort der Herr Staatssekretär des Innenministeriums.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0300803800
Die Antwort ist denkbar kurz. Sie lautet: Ja.

Valentin Brück (CDU):
Rede ID: ID0300803900
Darf ich fragen, ob der Inhalt der Verwaltungsvorschriften mit dem Inkrafttreten des Bundesbesoldungsgesetzes auch rückwirkend Rechtens würde?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0300804000
Die Verwaltungsvorschriften zum Bundesbesoldungsgesetz gelten vom Inkrafttreten dieses Gesetzes an.




Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300804100
Frage 13 —Herr Abgeordneter Brück — betreffend Zahl der Verkehrsunfälle durch Aufprallen auf Straßenbäume:
Hat die Bundesregierung genaue Zahlenangaben darüber, wie viele Straßenverkehrsunfälle durch Aufprallen auf Straßenbäume entstehen? Wie hoch ist die Anzahl der Todesfälle durch derartige Unfälle? Wäre es nicht zweckmäßig, sämtliche Straßenbäume zu entfernen, um die Zahl der folgenschweren Verkehrsunfälle zu verringern?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0300804200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Straßenverkehrsunfälle, bei denen Kraftfahrzeuge auf Straßenbäume auffahren oder aufprallen, werden leider in der Straßenverkehrsunfallstatistik des Statistischen Bundesamts nicht besonders ausgewiesen. Sie sind enthalten in der Summe der Unfälle, die unter der Bezeichnung „Unfälle durch Auffahren eines Fahrzeugs auf einen Gegenstand auf oder neben der Fahrbahn" — eine typische Bezeichnung in diesen Statistiken — erfaßt werden. Eine weitere Aufgliederung der Unfälle ist zwar unser ständiger Wunsch, sie ist aber leider wegen der Beschränkungen der statistischen Arbeiten durch gesetzlich gegebene und durch finanzielle Hindernisse bisher nicht durchsetzbar.
1953 ereigneten sich bei „nicht geschlossener Ortslage" 11 863 Unfälle dieser Art mit 779 Toten, 1954 waren es 14 644 Unfälle mit 874 Toten, 1955 21 620 Unfälle und 1956 25 434 Unfälle. Die Gesamtzahl dieser Unfälle ist somit stärker angestiegen, als es dem Durchschnitt der anderen Kategorien entspricht. In den Jahren 1955 und 1956 wurde die auf diese Unfallart entfallende Zahl der Toten wegen Einschränkung der statistischen Arbeiten leider nicht ermittelt.
Ich habe den Ländern schon vor längerer Zeit empfohlen, die Straßenverkehrsunfälle nach besonderen Richtlinien örtlich zu erfassen, um mit Hilfe dieses Verfahrens örtlich zu ermitteln, an welchen Stellen Straßenbäume eine Gefahrenquelle bilden und daher beseitigt werden müssen. Soweit Straßenbäume an Bundesstraßen durch ihre Lage zum Verkehrsraum der Straße nachweislich eine ausgesprochene Gefahr bilden, wurden und werden sie laufend beseitigt, obwohl dabei immer erneut Widerstände in der Öffentlichkeit sich bemerkbar machen, denn die Straßenbäume haben allgemein landschaftlich-ästhetische, biologische und auch als Windschutz Bedeutung; sie haben aber auch — das darf nicht vergessen werden — erheblichen verkehrstechnischen Wert.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Dieser Wert beruht auf der Leitwirkung der Bäume, die dem Kraftfahrer einen Anhalt über den weiteren Verlauf der Straße nicht nur am Tage, sondern vor allem während der Dunkelheit sowie bei Regen, Nebel und Schnee bieten. Die Straßenbepflanzung erfüllt damit wichtige Aufgaben der sogenannten optischen Führung.
Die neuen Richtlinien für den weiteren Aus- und Umbau der Bundesstraßen sehen für die Bäume erheblich größere Abstände vom Fahrbahnrand vor,
als sie heute noch vielfach vorhanden sind. Geschlossene Alleen der üblichen Art werden daher in Zukunft nur dann neu gepflanzt werden können. wenn ausreichend seitlicher Platz vorhanden ist. An Schnellverkehrsstraßen sollte die Bepflanzung mit Bäumen ganz unterbleiben.
Bei der Beurteilung der Frage darf nicht übersehen werden, daß eine Statistik der Verkehrsunfälle zwangsläufig nur den einseitig negativ bestimmten Ausschnitt des Verkehrsgeschehens umfaßt, während der unbestreitbar positive Einfluß der Straßenbäume auf den Verkehr natürlich in einer Statistik nicht zum Ausdruck kommen kann. Eine so allgemeine und weittragende Maßnahme wie die Beseitigung aller Straßenbäume schlechthin kann daher aus der Unfallstatistik allein nicht begründet werden. Trotzdem wird die Entwicklung sicher dahin gehen, daß die Bepflanzung der Straßenränder mit Bäumen mehr und mehr zurückgeht. Dabei ist zu beachten, daß der Bundesminister für Verkehr auf die Bepflanzung der Landstraßen I. und II. Ordnung und die Bepflanzung der Gemeindewege nur über den Weg der Empfehlung Einfluß auszuüben vermag.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300804300
Eine Zusatzfrage!

Valentin Brück (CDU):
Rede ID: ID0300804400
Herr Minister, darf ich fragen, ob man die durch Bäume erzielte Leitwirkung, von der Sie eben gesprochen haben, nicht durch entsprechende Markierung auf der Straßenmitte erreichen könnte, so wie es heute schon geschieht, daß man in Kurven den durchgehenden Strich und sonst, an nicht ganz übersichtlichen Stellen, die punktierte Strichlinie hat und daß man das generell macht?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0300804500
Herr Kollege Brück, die Mittelmarkierung würde den verkehrsleitenden Effekt der Bäume nicht voll ersetzen; wohl aber tut dies die seitliche Randmarkierung und das Aufstellen der Pfähle mit den selbstleuchtenden Rückstrahlern, wie sie in einer Reihe von Versuchsstraßen durchgeführt sind und jetzt auch auf der Autobahn zwischen Frankfurt und Mannheim durchgeführt werden sollen. Selbstverständlich sind diese rückstrahlenden Stäbe noch sehr viel besser als die Bäume dazu geeignet, diese Leitaufgabe nachts zu erfüllen. Wir legen auch großen Wert darauf, alle Straßen mit diesen Einrichtungen zu versehen, weil damit das Abkommen der Fahrzeuge von der Straße und infolgedessen das Kollidieren mit harten Gegenständen neben der Straße nachhaltiger vermieden wird.
Ich darf aber, wie im Verkehrsausschuß, das Hohe Haus darum bitten, dafür zu sorgen, daß mir die für diesen Zweck angeforderten Mittel im Bundeshaushalt nicht jedes Jahr erneut so stark beschnitten werden, daß ich mit diesen Arbeiten leider nicht so vorankomme, wie ich das wünsche.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300804600
Frage 14 — Herr Abgeordneter Meyer (Wanne-Eickel) — be-



Präsident D. Dr. Gerstenmaier
treffend Erfahrungsbericht über die Auswirkungen der Fünften Berufskrankheiten-Verordnung:
Wann ist mit dem seit Jahresfrist bereits zugesagten Erfahrungsbericht über die Auswirkungen der Fünften Berufskrankheften-Verordnung zu rechnen?
Ergibt sich aus den Berichtergebnissen der baldige Erlaß einer Sechsten Berufskrankheiten-Verordnung?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

Theodor Blank (CDU):
Rede ID: ID0300804700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht feststellen können, daß ein Erfahrungsbericht über die Auswirkungen der Fünften Berufskrankheiten-Verordnung zugesagt worden ist. Dennoch ist ein solcher Bericht in dem von meinem Ministerium herausgegebenen Buche „Arbeitsmedizinische Erkenntnisse und Erfahrungen nach den Berichten der staatlichen Gewerbeärzte", das im Jahre 1957 im Köllen-Verlag in Bonn erschienen ist, enthalten. Ich darf auf diese Veröffentlichung verweisen.
Auf Grund der nach Erlaß der Fünften Berufskrankheiten-Verordnung gewonnenen neuen arbeitsmedizinischen Erkenntnisse ist beabsichtigt, weitere Krankheitsgruppen als neue Berufskrankheiten in die Liste aufzunehmen. Die neue Verordnung steht in engem Zusammenhang mit dem Entwurf eines Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes. Die Vorarbeiten zu ihr sind so weit fortgeschritten, daß nach Verabschiedung des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes der Entwurf der Sechsten Berufskrankheiten-Verordnung in kürzester Frist dem Kabinett vorgelegt werden könnte.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300804800
Keine Zusatzfrage.
Frage 15 — Herr Abgeordneter Wendelborn — betreffend Eindämmung der Kriminalfälle:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um der ständig steigenden Zahl der Kriminalfälle entgegenzuwirken und sie somit auf ein Mindestmaß einzudämmen?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister der Justiz.

Fritz Schäffer (CSU):
Rede ID: ID0300804900
Man kann nur sehr bedingt davon sprechen, daß die Zahl der Kriminalfälle ständig steigt. Geht man von der Entwicklung der Jahre seit etwa 1951 aus, so ergibt sich bis 1955, dem letzten Jahr, für das endgültige Zahlen der Kriminalstatistik vorliegen, hinsichtlich der einzelnen Straftaten ein sehr wechselndes Bild.
Richtig ist, daß die Gesamtzahl der in der Bundesrepublik wegen Verbrechen oder Vergehen Verurteilten steigt. Das erklärt sich einmal aus dem Bevölkerungszuwachs. Die strafmündige Bevölkerung ist z. B. von 1951 bis 1956 um 3 Millionen gestiegen. Zum anderen erklärt sich die Zunahme der Verurteilten daraus, daß infolge der sich ständig steigernden Motorisierung des Verkehrs die Zahl der wegen fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Tötung Verurteilten beträchtlich zugenommen hat. 1910 betrug die Zahl der wegen fahrlässiger Körperverletzung Verurteilten rund 3600. 1955 betrug sie fast das Hundertfache, nämlich
350 000. Der Anteil der Verkehrsdelikte an der Gesamtkriminalität belief sich 1954 auf 38 %, 1955 schon auf 42 %. Sieht man von den Verkehrsdelikten ab, so haben die Jahre 1954 und 1955 einen geringfügigen Rückgang der Kriminalität bei den Erwachsenen gebracht. Bei den Jugendlichen ist allerdings eine Steigerung zu verzeichnen.
Ich kann nicht verhehlen, daß diese Steigerung wie auch die Steigerung bei gewissen, die Bevölkerung beunruhigenden Straftaten wie Diebstahl und Raub Gegenstand der Sorge sein muß. Doch bin ich der Meinung, daß die Entwicklung der Kriminalität nur bis zu einem gewissen Grad durch gesetzliche Maßnahmen beeinflußt werden kann. In erster Linie handelt es sich um Erziehungsaufgaben, die Elternhaus und Schule gestellt sind.
Eine erhebliche Rolle spielt weiter die Strafzumessungspraxis der Gerichte. Die Strafjustiz ist im wesentlichen Sache der Länder. Die Gerichte sind auch bei der Strafzumessung unabhängig und müssen es sein. Die Bundesregierung kann keinen Einfluß auf sie nehmen. Allerdings empfindet die Öffentlichkeit die von den Gerichten verhängten Strafen auch heute noch häufig als zu milde, und zwar auch meines Erachtens nicht immer zu Unrecht. Schon mein Vorgänger im Amt hat sich vor dem Hohen Hause in diesem Sinne geäußert.
Soweit es möglich erscheint, durch gesetzgeberische Maßnahmen, insbesondere durch Änderung des Strafrechts, die Entwicklung der Kriminalität zu beeinflussen, ist die Bundesregierung stets um Verbesserungen bemüht. Im Rahmen der großen Strafrechtsreform wird sie dem Hohen Hause eine Reihe von Maßnahmen vorschlagen, von denen sie sich eine günstige Beeinflussung der Kriminalität erhofft. Der von der Großen Strafrechtskommission vorgelegte Entwurf des Allgemeinen Teils eines neuen Strafgesetzbuchs enthält wesentliche Erweiterungen und Verbesserungen des Systems der bessernden und sichernden Maßregeln, die eine wirksame Bekämpfung von gefährlichen Verbrechen, vor allem von Rückfalltätern und Gewohnheitsverbrechern, erwarten lassen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300805000
Eine Zusatzfrage? — Keine Zusatzfrage.
Frage 16 verbunden mit Frage 9; die erste ist von dem Abgeordneten Ritzel, die zweite von dem Abgeordneten Schneider (Bremerhaven); beide betreffen die Geltungsdauer der Sonntagsrückfahrkarten:
Frage 9:
Ist der Herr Bundesverkehrsminister bereit, sich in Anbetracht der Einführung der Fünf-Tage-Woche in weiten Bereichen der Wirtschaft und Verwaltung dafür einzusetzen, daß die Gültigkeit der Sonntagsrückfahrkarten von Sonnabend 12.00 Uhr auf Freitag 17.00 Uhr vorverlegt wird?
Frage 16:
Ist die Bundesregierung bereit, eine Änderung der Geltungsdauer der Sonntagsrückfahrkarten mit Rücksicht auf die FünfTage-Woche zu veranlassen, um die Benutzung zu einem früheren Zeitpunkt als dem jetzigen (sonnabends 12 Uhr bis montags 24 Uhr) zu ermöglichen?
Zur Beantwortung hat das Wort der Herr Bundesminister für Verkehr.




Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0300805100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fragen der Herren Abgeordneten Schneider (Bremerhaven) und Ritzel darf ich wie folgt beantworten.
Mit Rücksicht auf die Fünf-Tage-Woche wird die Deutsche Bundesbahn auf Wunsch der Bundesregierung trotz der dadurch zu erwartenden, nicht unerheblichen Einnahmeausfälle die Geltungsdauer der Sonntagsrückfahrkarten auf den Samstag erstrecken. Vom 1. Februar 1958 an können im Zuge der Tarifreform die Sonntagsrückfahrkarten an den Samstagen schon von 3 Uhr morgens an zur Hinfahrt benutzt werden. Gleichzeitig muß allerdings für die Rückfahrt aus tarifpolitischen Gründen die Gültigkeit der Sonntagsrückfahrkarten auf die Zeitspanne von Samstag 18 Uhr bis Montag früh 3 Uhr begrenzt werden.
Eine Vorverlegung der Gültigkeit der Sonntagsrückfahrkarten auf Freitag 17 Uhr oder der Rückfahrt auf einen früheren Zeitpunkt am Samstag wird von der Bundesbahn mit Recht abgelehnt, da sonst mit zu großen Einnahmeausfällen zu rechnen ist. Diesen Reisenden kann die Benutzung der normalen Rückfahrkarten zugemutet werden, die gleichfalls eine erhebliche Verbilligung gegenüber dem Regeltarif gewähren.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300805200
Keine Zusatz-
frage? —
Frage 17 des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt (Gellersen) betreffend Besteuerung des Veräußerungsgewinns aus dem Verkauf landwirtschaftlicher Grundstücke und Gebäude im Zuge eines Aussiedlungsverfahrens:
Ist der Herr Bundesfinanzminister bereit, mit den Länderfinanzministern zu vereinbaren, daß von der Besteuerung des Veräußerungsgewinns aus dem Verkauf landwirtschaftlicher Grundstücke und Gebäude in den Fällen abgesehen wird, in denen im Rahmen eines Aussiedlungsverfahrens (Programm zur Verbesserung der Agrarstruktur) durch den günstigen Verkauf der alten Hofstelle der Anteil der Bundesmittel an den Gesamtkosten des Verfahrens vermindert werden kann?
Der Herr Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums hat das Wort zur Beantwortung.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0300805300
Herr Abgeordneter! Veräußerungsgewinne sind grundsätzlich steuerpflichtig mit Ausnahme des Teils, der auf die Veräußerung des Grund und Bodens entfällt. Das gilt auch für Veräußerungsgewinne im Zuge eines Aussiedlungsverfahrens, wenn ein Landwirt sein Gehöft aus der Dorflage in die Feldmark verlegt.
Nach § 131 der Abgabenordnung können aber im Einzelfall Steuern ganz oder teilweise erlassen werden, wenn ihre Einziehung unbillig wäre. Es können auch Richtlinien für bestimmte Gruppen von gleichgelagerten Fällen aufgestellt werden. Ob in jedem Aussiedlungsfall die Besteuerung des Veräußerungsgewinns eine unbillige Härte bedeutet, kann von hier aus nicht übersehen werden. Ich werde aber gern die Frage einer allgemeinen Billigkeitsmaßnahme mit den Herren Finanzministern der Länder besprechen, die für die Entscheidung dieser Frage bekanntlich zuständig sind.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300805400
Zusatzfrage? — Keine Zusatzfrage.
Frage 18 des Herrn Abgeordneten Dr. Menzel betreffend die Behinderung Werksangehöriger an der Wahrnehmung staatsbürgerlicher Ehrenämter durch die Preussag:
Billigt es die Bundesregierung, daß die Direktion der bundeseigenen Preussag-Steinkohlenbergwerke Ibbenbüren von einem Fahrsteiger verlangt, er solle sich die Zeit für die Teilnahme an der Sitzung eines Musterungsausschusses vom Urlaub abziehen lassen bzw. dem Betrieb die Unkosten für eine Vertretung erstatten?
Billigt es die Bundesregierung ferner, daß die Direktion dieses Betriebes einem Bundestagsabgeordneten jede Antwort darüber verweigert, warum hier ein Angestellter gesetzwidrig an der Wahrnehmung staatsbürgerlicher Ehrenämter gehindert wird?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für wirtschaftlichen Besitz des Bundes.

Dr. Hermann Lindrath (CDU):
Rede ID: ID0300805500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Menzel beantwortete ich im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung wie folgt.
Zu Teil 1 der Anfrage: Die Steinkohlenbergwerke Ibbenbüren verlangen grundsätzlich von keinem Angestellten, daß er sich die Zeit für die Teilnahme an ehrenamtlichen Sitzungen vom Urlaub abziehen läßt oder dem Betrieb die Unkosten für eine Vertretung erstattet. Die Bundesregierung würde ein solches Vorgehen auch nicht billigen.
In dem den Gegenstand der Anfrage bildenden Falle haben die Steinkohlenbergwerke Ibbenbüren jedoch einem Angestellten die Zeit für die Teilnahme an der Sitzung eines Musterungsausschusses vom Urlaub abgezogen. Das Unternehmen hat hierbei darauf hingewiesen, daß die ehrenamtliche Tätigkeit des Angestellten einen Umfang angenommen habe, der mit seinen beruflichen Aufgaben nicht mehr zu vereinbaren gewesen sei, und daß die Möglichkeit bestehe, den Verdienstausfall zur Erstattung beim Wehrersatzamt geltend zu machen. Gegen die von der Bergwerksverwaltung Ibbenbüren in diesem Fall getroffene Maßnahme bestehen auch meinerseits Bedenken. Ich habe daher die Preussag ersucht, dafür Sorge zu tragen, daß eine Wiederholung dieses Falles vermieden wird.
Zu Teil 2 der Anfrage: Die Bundesregierung billigt es nicht, daß die Anfrage eines Bundestagsabgeordneten durch die Direktion des Steinkohlenbergwerkes nicht ausreichend beantwortet worden ist.
Im übrigen hat der Vorstand der Preussag diesen Vorfall zum Anlaß genommen, die Bergwerksdirektion anzuweisen, Anfragen von Bundestagsabgeordneten dem Vorstand der Preussag zur unmittelbaren Bearbeitung vorzulegen. Der Vorstand wird Anfragen von Bundestagsabgeordneten unmittelbar beantworten.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300805600
Keine Zusatzfrage.
250 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, ,den 22. Januar 1958
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Frage 19 — Abgeordnete Frau Renger — betreffend Schutzmaßnahmen an der ostholsteinischen Küste:
Welche Schutzmaßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um die von den Sturmfluten bedrohte ostholsteinische Küste und die Insel Fehmarn vor weiteren Einbrüchen der See zu sichern?
Hat die Bundesregierung gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 21. Februar 1957 — Drucksache 3148 der 2. Wahlperiode — dem Land Schleswig-Holstein rechtzeitig und ausreichend Mittel für den Küstenschutz zur Verfügung gestellt?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0300805700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die Frage der Abgeordneten Frau Renger darf ich folgende Antwort erteilen.
Erstens. Im Einvernehmen mit der Wasserwirtschaftsverwaltung des Landes Schleswig-Holstein werden, um die Ostseeküste von der dänischen Grenze bis Travemünde einschließlich der Insel Fehmarn vor weiteren Einbrüchen der See zu sichern, seit 1950 umfangreiche Schutzmaßnahmen durchgeführt. Sie bestehen in der Hauptsache in der Wiederherstellung der beschädigten und teilweise zerstörten Schutzanlagen (Buhnen, Deckwerke), in der Errichtung von neuen Uferschutzanlagen und Deichen sowie in der Erhöhung und Verstärkung der bestehenden Deiche. Seit 1950 wurden hierfür rund 6,7 Millionen DM aufgewendet, zu denen der Bund rund 4,5 Millionen DM an Beihilfen gegeben hat. Auf die Küstenstrecke von Kiel bis Travemünde einschließlich der Insel Fehmarn entfallen hiervon rund 4,6 Millionen DM, zu denen der Bund 3,2 Millionen DM geleistet hat.
Zweitens. Die Mittel für den Küstenschutz werden dem Land Schleswig-Holstein stets in der im jeweiligen Bundeshaushaltsplan vorgesehenen Höhe — 1957 waren das 16 036 000 DM gleich rund 94 % aus 17 Millionen DM — rechtzeitig und in ausreichender Höhe zur Verfügung gestellt. Im Rechnungsjahr 1956 wurde der letzte Teilbetrag von 400 000 DM von Schleswig-Holstein am 27. Februar 1957 angefordert und am 8. März 1957 ausgezahlt. Für das Rechnungsjahr 1957 wurden die ersten beiden Raten von je i Million DM Anfang April 1957 auf Anforderung überwiesen. Es war bis jetzt nicht notwendig, von der Bindungsermächtigung — Beschluß des Deutschen Bundestags vom 21. Februar 1957, Drucksache 3148 — Gebrauch zu machen, zumal Schleswig-Holstein einen Restbetrag von 2 036 000 DM für das Rechnungsjahr 1957 noch nicht abgerufen hat.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0300805800
Herr Staatssekretär, ist die Nichtinanspruchnahme der 2 Millionen DM aus dem Titel 619, die Sie soeben angeführt haben, vielleicht darauf zurückzuführen, daß das Land die notwendigen Komplementärmittel nicht zur Verfügung stellen kann?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0300805900
Das ist uns nicht bekanntgeworden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0300806000
Hat das Land SchleswigHolstein im Bundesfinanzministerium darum gebeten, daß auch aus dem Titel 619/6 die Mittel für andere Küstenschutzmaßnahmen verwendet werden können als die dort angeführten?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0300806100
Das ist uns ebenfalls nicht bekannt.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300806200
Frage 20 — Herr Abgeordneter Seuffert — betreffend Geschwindigkeitsbegrenzung an Autobahnbaustellen:
Ist dem Herrn Bundesverkehrsminister bekannt, daß auf Autobahnen bei Baustellen usw. vielfach unangemessen niedrige Höchstgeschwindigkeiten vorgeschrieben werden und daß Polizeiorgane auch ganz geringfügige Überschreitungen dieser Vorschriften beanstanden, ohne Rücksicht darauf, ob eine wirkliche Verkehrsgefährdung vorliegt, und ohne Rücksicht auf die durch die Kontrollen entstehende Verkehrsbehinderung? Ist der Herr Bundesverkehrsminister gewillt, dagegen einzuschreiten, daß örtliche Stellen derartige Vorschriften zur Erzielung von Einkünften in größerem Ausmaß benutzen und dadurch den Autobahnverkehr behindern?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Verkehr.

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0300806300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Soweit ich unterrichtet bin, werden Geschwindigkeitsbegrenzungen unter 60 km auf Autobahnen jetzt nur dort von den örtlich zuständigen Behörden angeordnet, wo diese sie aus Sicherheitsgründen, insbesondere auch zum Schutz der auf der Baustelle Beschäftigten, für unerläßlich halten.
Deshalb ist auch die Beschilderung von Autobahnbaustellen nicht Sache des Bundes, sondern der Länderexekutive. Die obersten Behörden der in Frage kommenden Länder habe ich bereits im Frühjahr 1957 darauf hinweisen lassen — und damit endet sozusagen mein Einflußvermögen —, daß bei Baustellen der Autobahnen eine Geschwindigkeitsgrenze unter 60 km in der Regel nicht zweckmäßig ist.
Daß örtliche Stellen derartige Geschwindigkeitsbegrenzungen zur Erzielung von höheren Einnahmen benutzen, ist mir nicht bekannt. Es ist Aufgabe der Polizei, im Interesse der Ordnung und Sicherheit des Verkehrs und auch im Interesse der großen Mehrzahl der anständigen Kraftfahrer energisch gegen alle Geschwindigkeitsübertretungen einzuschreiten, nicht nur auf den Autobahnen, sondern auch in den Ortschaften oder wo immer solche Geschwindigkeitsbegrenzungen vorgeschrieben sind. Der einzelne Verkehrsteilnehmer kann nur selten beurteilen, in welchem Ausmaß eine angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung angemessen ist. Es muß von der Selbstdisziplin aller erwartet werden, daß sie sich solchen Anordnungen genau anpassen, um Unfälle verhindern zu helfen.
Nach dem Grundgesetz obliegt die Verwaltung der Autobahnen im Auftrage des Bundes den Ländern. Infolge der geltenden Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern verfügen die Länder über Verwaltungsbefugnisse in eigener Verantwortung, wie dies bei Auftragsverwaltungen auch in anderen Fällen üblich ist.




Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300806400
Eine Zusatzfrage.

Walter Seuffert (SPD):
Rede ID: ID0300806500
Sind dem Herrn Bundesminister für Verkehr die Pressemeldungen über die Einnahmen bekannt, die die Gemeinde Leonberg aus den Geschwindigkeitsbeschränkungen gezogen hat, die auf der Baustelle Friedensbrücke angeordnet sind, und hält der Herr Bundesverkehrsminister die dort angeordneten Geschwindigkeitsbeschränkungen und Polizeikontrollen für zweckmäßig?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0300806600
Es obliegt mir nicht, die Anordnungen der Landesregierung von Baden-Württemberg in diesem Falle zu verfolgen. Ich darf Sie bitten, Herr Kollege, unseren gemeinsamen Kollegen Minister Viktor Renner in Stuttgart in dieser Frage anzusprechen.

(Heiterkeit.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300806700
Schluß der Fragestunde. Nächste Fragestunde: Mittwoch, den 12. Februar. Sperrfrist für eingehende Fragen: Freitag, 7. Februar, 12 Uhr. Die heute nicht mehr beantworteten Fragen werden, wie üblich, schriftlich beantwortet.
Damit, meine Damen und Herren, kommen wir zu Punkt 2 unserer Tagesordnung:
Beratung der Ubersicht 2 des Ausschusses für Petitionen (2. Ausschuß) über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages über Petitionen nach dem Stande vom 15. Januar 1958 (Drucksache 121).
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Ich lasse abstimmen. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich erlaube mir, auf die ausgezeichnete Übersicht auf den beiden letzten Seiten der Drucksache 121 hinzuweisen. Ich finde diese Übersicht sehr hilfreich.
Punkt 3 der Tagesordnung:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Adenauer, Dr. Dr. h. c. Erhard, Blank, Häussler, Arndgen, Hahn, Stücklen, Cillien, Dr. Elbrächter, Dr. Krone und Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Regelung der Rechtsverhältnisse bei der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung und die Überführung der Anteilsrechte in private Hand (Drucksache 102);
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Deist und Genossen betreffend Errichtung einer „Stiftung Deutsches Volkswagenwerk" (Drucksache 145).
Die Begründung zu Punkt 3 a gibt der Herr Abgeordnete Dr. Arnold, die Begründung zu Punkt 3 b der Herr Abgeordnete Kurlbaum. Bitte sehr, Herr Abgeordneter Arnold!

Dr. Karl Arnold (CDU):
Rede ID: ID0300806800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, namens der Fraktion der CDU/CSU dem Hohen Hause den Entwurf eines Gesetzes über die Regelung der Rechtsverhältnisse bei der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung und die Überführung der Anteilsrechte in private Hand vorzulegen und ihn zu begründen.
In meiner Begründung möchte ich nicht zu Einzelfragen des Entwurfs Stellung nehmen. Ich möchte vielmehr einige grundsätzliche Bemerkungen zu der Frage machen: Warum Eigentum in breite Hand? Auf solche grundsätzlichen Bemerkungen kann ich mich auch deshalb beschränken, weil sich ja schon der 2. Deutsche Bundestag mit diesem Thema beschäftigt hat und weil in den kommenden Ausschußberatungen reichlidi Gelegenheit gegeben sein wird, zu Einzelfragen des Gesetzes Stellung zu nehmen.
Die Durchführung dieses Gesetzes — um das vorwegzunehmen — betrifft auch besondere Interessen des Landes Niedersachsen. Über diese Differenzen des Landes Niedersachsen mit dem Bund möchte ich in dieser Stunde im einzelnen nicht sprechen. Wir möchten aber die Bundesregierung dringend bitten, diese Meinungsverschiedenheiten in Verhandlungen mit dem Land Niedersachsen zu klären und möglichst zu beseitigen.
Der Gesetzentwurf enthält neue Gedanken und Möglichkeiten für die persönliche Eigentumsbildung in breiter Hand. Auch die CDU/CSU-Fraktion des 3. Deutschen Bundestags bejaht diesen Gedanken und begrüßt das Ziel, das mit dem Entwurf angestrebt wird. Deshalb wird dieser Entwurf mit voller Überlegung eingebracht. Dabei wissen wir sehr wohl, daß mit dem vorliegenden Entwurf allein dieses Ziel noch nicht erreicht werden kann. Dazu gehören weitere und sehr überlegte Maßnahmen. Aber, meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf ist ein sehr bedeutsamer Hinweis auf eine unabwendbare innenpolitische Aufgabe, vor die sich Staat und Wirtschaft gestellt sehen und die im Interesse unserer Gesellschaft gelöst werden muß.
Mit der Einbringung dieses Gesetzentwurfs soll eine gesellschaftspolitische Initiative ergriffen werden, die vom ganzen Hause in großer Bereitschaft aufgenommen werden sollte.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Eine solche Initiative ist notwendig, wenn wir den einschneidenden Veränderungen gerecht werden wollen, die sich in unserer Gesellschaft vollzogen haben. Seit dem Entstehen der modernen Industriewirtschaft insbesondere in den letzten hundert Jahren ist eine Entwicklung eingetreten, die immer deutlicher eine tiefe Kluft zwischen Eigentümern und Vermögenslosen sichtbar werden ließ. Eine ungesunde Eigentumsverteilung herrschte vor und verursachte schwere soziale Spannungen. Die Diskussion um die Lösung dieser Frage hat vielfach zu Irrtümern geführt.
Statt die Eigentumsverteilung als einen zu reformierenden gesellschaftlichen Zustand zu unter-



Dr.-Ing. E. h. Arnold
suchen, wurde gar häufig die Institution des Eigentums als solche verworfen. Eigentum aber ist ein Naturrecht, das vom Schöpfer dem Menschen verliehen worden ist. Das persönliche Eigentum ist das Fundament der Freiheit sowohl für den Staatsbürger wie für die Gesellschaft. Diese Einsicht ist für meine politischen Freunde ein unverrückbarer Grundsatz.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Anders ist es mit der Frage des neu entstehenden Eigentums und seiner Verteilung. Hier ist es durchaus angebracht, kritisch zu untersuchen, ob diese Verteilung sozial gerechtfertigt ist oder ob sich hier eine allseitige Verpflichtung aufzeigt, die bisher sichtbar gewordenen Spannungen durch eine sozial gerechte Verteilung zu beseitigen. Meine Fraktion wünscht, wie es sich auch aus der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers ergibt, eine breite Streuung des Eigentums. Die Parole „Eigentum für jeden" ist daher eine gesellschaftspolitische Aufgabe für alle, die bereit sind, eine gesellschaftspolitische Verantwortung zu übernehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich habe bereits auf die Veränderungen in unserer Gesellschaft verwiesen. Darf ich daran erinnern, daß sich die Einwohnerzahl des Gebietes, das heute die Bundesrepublik Deutschland umfaßt, gewaltig verändert hat. Vor hundert Jahren lebten in diesem Gebiet noch nicht ganz 17 Millionen Menschen. Vor etwa 50 Jahren hatte sich die Einwohnerzahl bereits verdoppelt. Heute ist eine Verdreifachung der damaligen Zahl erreicht. Diese Feststellung ist um so eindrucksvoller, als zwei große Kriege schwere Verluste an Menschen gefordert haben. Für die Zukunft bedeutet das Anwachsen unserer Bevölkerung, daß wir spätestens in einem Menschenalter in dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik 70 Millionen Menschen Arbeit und Brot zu geben haben.
Vor etwa hundert Jahren lebten in dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland von vier Einwohnern noch drei auf dem Lande und nur einer in der Stadt. Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts wohnten genauso viele Menschen auf dem Lande wie in der Stadt. Heute hat sich der Zustand gegenüber der Zeit vor hundert .Jahren völlig umgekehrt. Heute lebt nur noch ein Einwohner von vier auf dem Lande, und drei wohnen in der Stadt. Vor hundert Jahren waren noch 50 % der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft beschäftigt. Vor 50 Jahren waren es immerhin noch 35 %. Heute sind es nicht einmal mehr 20 % der Erwerbspersonen, die in der Landwirtschaft tätig sind.
Während vor 50 Jahren noch 35 % der Erwerbstätigen selbständig bzw. als mithelfende Familienangehörige tätig waren, ist diese Quote in der letzten Zeit immer mehr und mehr abgesunken. Die Zahl der selbständigen Personen einschließlich der mithelfenden Familienangehörigen beträgt heute nur noch 25 %. Demgegenüber ist die Zahl der unselbständigen Arbeitnehmer immer größer geworden. Der Übergang der deutschen Wirtschaft von der Agrar- zur Industriewirtschaft, die Veränderung der Stellung im Erwerbsleben vom selbständigen Menschen zum unselbständigen Arbeitnehmer hat für die Eigentumsbildung schwere nachteilige Folgen gezeitigt.
Dieser Entwicklungsprozeß ist noch keineswegs abgeschlossen. Durch die stetige Vergrößerung und Ausweitung der industriellen Wirtschaft im Zuge der modernen Technik wird der eigenständige Lebensraum in der Landwirtschaft und auch im Handwerk in dem Maße eingeengt, wie der Prozeß der Industrialisierung weitere Fortschritte macht. Der gesellschaftliche Strukturwandel ist also in einer gesteigerten Entwicklung begriffen. Es ist zu befürchten, daß der Anteil der Selbständigen in einem Menschenalter nicht mehr 10 % betragen wird. In der industriellen Wirtschaft verlor der unselbständig gewordene Mensch sein kleines Eigentum und zog in die Stadt. Das Arbeitseinkommen war zwar beachtlich höher, jedoch war auch das Risiko, kein Arbeitseinkommen zu haben, vielfach größer. Man hat deshalb das soziale Recht und die Sicherung des Arbeitsplatzes in den Vordergrund geschoben. Man hat den Arbeitnehmer weitgehend gegen die Risiken der industriellen Arbeit versichert.
Dennoch kann das bisherige Ergebnis nicht befriedigen. Am unbefriedigendsten ist die Tatsache, daß der Arbeitnehmer keinen Anteil an der Vermögensbildung hatte. Es ist ihm im wesentlichen nicht gelungen, wieder Eigentum zu schaffen, wie er es in vergangenen Zeiten in der Agrarwirtschaft hatte. Einer amtlich geführten Statistik habe ich entnommen, daß die Vermögensbildung in der Zeit nach der Währungsreform nur zu 20 % bei den privaten Haushalten erfolgt ist. 40 % der Vermögensbildung entfielen auf die Unternehmungen und weitere 40 % auf den Staat. Sicherlich ist es richtig gewesen, nach dem totalen Zusammenbruch zunächst dafür zu sorgen, daß wir alle wieder Arbeit und Wohnung bekommen konnten. Nachdem aber der Aufbau der Wirtschaft erreicht ist, nachdem die Vollbeschäftigung Tatsache geworden ist, muß die Frage der Eigentumsbildung in den Vordergrund gestellt werden.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Aus diesem Grunde treten wir dafür ein, daß das öffentliche gewerbliche Vermögen privatisiert wird, soweit dies mit den öffentlichen Interessen vereinbar ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dieses Vermögen muß dafür eingesetzt werden, dem einzelnen minderbemittelten Staatsbürger wieder zum persönlichen Eigentum zu verhelfen. Es muß ihm eine Chance gegeben werden, persönliches Eigentum zu bilden.
Aus diesem Grunde trete ich auch mit Nachdruck dafür ein, daß der in dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehene Sozialrabatt von 20 bzw. 10 % für die Bezieher kleinerer Einkommen beibehalten wird. Es sollte in den Ausschußberatungen sogar überprüft werden, ob diese Sätze nicht noch erhöht werden können. Ich bin auch der Meinung, daß der Aktienwert von 50 DM auf 100 DM heraufgesetzt werden sollte.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 8, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Januar 1958 253
Dr.-Ing. E. h. Arnold
Ein platonischer Anspruch auf Eigentum genügt meiner Fraktion nicht. Es muß eine echte Möglichkeit für eine Eigentumsbildung in breiter Hand geschaffen werden. Neben der möglichen Privatisierung des öffentlichen gewerblichen Vermögens zugunsten der Eigentumslosen müssen auch eigentumsbildende Maßnahmen in der Privatwirtschaft in Erwägung gezogen werden. In fortschrittlichen Unternehmungen hat man vor geraumer Zeit sogar damit begonnen, der Belegschaft Aktien ihrer Unternehmung anzubieten. Diese fortschrittlichen Unternehmen haben der Belegschaft den Erwerb ihrer Aktien wesentlich erleichtert. Mir sind Fälle bekanntgeworden, in denen die Arbeiter Aktien ihrer Firma mit einem Nachlaß von 40 % und mehr ankaufen konnten. Hier kam nun sofort die Finanzverwaltung und kassierte auf Grund des gegebenen Rechts für diesen Nachlaß die Lohnsteuer ein. Das aber kann nicht der Sinn der Sache sein. Wir sollten dafür eintreten, daß freiwillige Sparzuschüsse der Arbeitgeber an ihre Arbeitnehmer bis zu einem Anteil von 50 % auf den vollen Sparbetrag steuerfrei werden. Man kann nicht auf der einen Seite eine breite private Eigentumsbildung anstreben, sie auf der anderen Seite aber, wenn sie freiwillig von den Unternehmern gefördert wird, durch Steuern besonders erschweren. Hier liegt für die Finanzverwaltung ein gesetzlicher Notstand vor, welcher durch neue gesetzliche Bestimmungen recht bald geändert werden muß.
Wir wollen, meine Damen und Herren, eine Entwicklung, die dem Staatsbürger die Freiheit und Unabhängigkeit sichert. Deshalb müssen wir weg von jedem kollektivistischen Denken und hin zum Privateigentum für alle und für jeden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir sollten uns in der Gesamtsituation, in der wir heute leben, ganz klarmachen, daß persönliche Freiheit ohne ein Maß von persönlichem Eigentum nicht möglich ist. Wenn wir also die Vorgänge und Elemente des gesellschaftlichen Strukturwandels fest in den Griff bekommen wollen, dann muß unsere Aufmerksamkeit den Vorgängen gelten, die geeignet sind, die Voraussetzungen für eine freie Persönlichkeitsbildung zu gefährden. Diese gesellschaftspolitischen Gefahren müssen überwunden werden.
Wir stehen in einer sozialwirtschaftlichen Entwicklung, die fast zwangsläufig die Zahl der selbständigen Existenzen verkleinert und die Zahl der unselbständigen Existenzen vergrößert. Damit ist die Grundlage der Gesellschaft bereits wankend geworden. Wer könnte an dieser gesellschaftspolitischen Entwicklung vorbeigehen? Unser oberstes and gemeinsames staatspolitisches Ziel muß daher sein, die Gesellschaft in ihrer geistigen und materiellen Leistungskraft gesund zu erhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die geistige Gesundheit und Leistungskraft der Gesellschaft werden primär nicht vom Ökonomischen ier bestimmt, sondern vom einzelnen Staatsbürger Ind seiner geistigen Grundhaltung. Es ist deshalb entscheidend, in welcher geistigen, sozialen und
wirtschaftlichen Situation sich der Staatsbürger befindet. Es ist entscheidend, welche Entfaltungsmöglichkeiten dem Staatsbürger in Wirtschaft und Gesellschaft gegeben sind.
Es ist unbestreitbar, daß die verantwortungsbereite und zur Verantwortung fähige Persönlichkeit nur in einer Atmosphäre der Freiheit herangebildet werden kann; in einer Freiheit natürlich, in der man die Bindungen gegenüber der Gemeinschaft freiwillig auf sich nimmt als ein unerläßliches Mittel, um eben diese Freiheit zu erhalten.
In Mitteldeutschland ist man genau den umgekehrten Weg gegangen. Dort hat man nach der Theorie von Karl Marx die Produktionsmittel verstaatlicht. Das war das Ende der Freiheit des Arbeiters und damit auch das Ende der Freiheit für das Volk.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die bolschewistische Lehre glaubte in der Schaffung des Privateigentums die Erbsünde der Menschheit sehen zu können. Durch Privateigentum, so wurde behauptet, seien Eigennutz, Ungerechtigkeit und Unfreiheit in die Welt gekommen. Durch seine Beseitigung werde das Zeitalter einer brüderlichen und klassenlosen Gesellschaft auf uns zukommen.
Auch dem objektiven Beobachter ist es nicht gelungen, festzustellen, daß es dem Arbeiter im Bereich der sowjetisch regierten Staaten nach dieser Art der Vergesellschaftung gut ginge, daß er in Freiheit und Unabhängigkeit leben könne, daß er Eigentum und soziale Sicherheit bilden und sich auf diese Weise verantwortlich in die Gesellschaft einschalten könne. Das krasse Gegenteil ist der Fall. Aus den arbeitenden Schichten hat man ein anonymes Kollektiv ohne individuelle Persönlichkeitswerte gemacht. Das ist das Ergebnis der vom Osten in die Praxis übersetzten Marxschen Lehre. Diesem Kollektiv stellen wir die Gemeinschaft oder, wenn Sie wollen, die echte Wirtschaftsdemokratie, das heißt, die gemeinsame Verantwortung gegenüber.
Wir behaupten nun nicht, daß wir mit diesem Gesetz dieses Ziel bereits erreichen. Dieses Gesetz ist aber der entscheidende erste Schritt dazu, der uns von dem bisher eingeschlagenen schmalen Weg der Eigentumsbildung auf die breite Straße einer neuen Sozialordnung führen soll.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir haben oftmals in den letzten Monaten und Jahren von der Sozialreform gesprochen, die unausbleiblich sei. Wir haben sie mit der Rentenreform in Verbindung gebracht. Wir können aber erst heute sagen: Mit den Maßnahmen zur privaten Eigentumsbildung in breiter Hand tritt sie in das Stadium ihrer ersten Verwirklichung. Jahre werden vergehen, bis diese Reform ihr endgültiges Bild und Gesicht zeigen wird; denn die Volksaktie allein stellt noch keine volle Sozialreform dar. Korrespondierend zu ihr müssen wir in einer systematischen Arbeit darangehen, zunächst alle Volksschichten in die Lage zu versetzen, Volksaktien auch tatsächlich zu erwerben. Wir wollen uns hier in diesem Hause nichts vormachen. Breite Schichten unseres Volkes



Dr.-Ing. E. h. Arnold
sind dazu in der Lage. Dazu gehören Arbeiter, Angestellte so gut wie Gewerbetreibende und Kleinunternehmer. Aber nicht a 11 e Arbeiter und nicht all e Angestellten können nach der heutigen Lage der Dinge in den Genuß der Volksaktie kommen. Das gilt auch in einem kaum überschaubaren Maß für die breite und für unser Volksganzes so wichtige Schicht der freiberuflich tätigen Intellektuellen. Ehe auf diesem wahrlich sehr weiten Feld kein grundlegender Wandel geschaffen ist, ehe der Geist nicht aus dem Bereich der Unterbewertung und der materiellen Armut herausgenommen ist, so lange wird es nicht möglich sein, eine gesunde gesellschaftliche Ordnung zu schaffen.
Wenn wir also dem vorliegenden Gesetz unser Ja und unsere bewußte Zustimmung geben, dann wissen wir, welche Verpflichtungen uns aus diesem Ja für die Zukunft erwachsen. Von der Erfüllung dieser Pflichten wird es abhängen, ob wir über kurz oder lang einmal ein sozial so vorbildliches Staatswesen sein werden, daß damit auch eine natürliche Anziehungskraft von uns ausgeht.
In solcher Anziehungskraft liegt wahrscheinlich, wenn nicht sogar mit Sicherheit, ein entscheidendes Moment auch für die Wiedervereinigung unseres Volkes. Haben wir eine echte Sozialordnung erst einmal verwirklicht, haben wir alle Elendsquartiere, alle Lager und alle aus dem Krieg und seinen Folgen noch immer resultierende Armut beseitigt, dann können uns auch alle noch so banalen Forderungen wie die Grotewohls und Ulbrichts nach Berücksichtigung der sogenannten „sozialen Errungenschaften der DDR" nicht mehr stören.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Sie lassen sich doch sowieso nicht stören!)

Denn dann ist zusammen mit dem notwendigen Sicherheitsschild nach außen durch eine neue Sozialordnung die Sicherheit nach innen gewährleistet und gegeben.

(Abg. Wehner: Ja, ja, durch die Volksaktie! Jedem seinen Panzerwagen! — Lachen bei der SPD.)

Darauf aber scheint es uns, wenn wir auf lange Sicht planen wollen und müssen, entscheidend anzukommen.
Im Kampf um die Wiedervereinigung in Freiheit siegt letztlich immer der, der das innerlich unangreifbarste Fundament hat, das heißt, wer der Freiheit die stabilsten und großzügigsten, die sozialsten und gerechtesten Grundlagen gibt. Erst aus einer solchen Freiheit wächst die Sicherheit, und zwar auch die soziale. Diese Sicherheit ist in erster Linie etwas Geistiges. Wer sie nicht vom Ideellen her erworben hat, dem fällt sie nicht durch materiellen Wohlstand in den Schoß.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Darin liegt die ganze Bedeutung des Begriffs: Eigentum für jeden.
Ich bitte deshalb das Hohe Haus, diesem Entwurf zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300806900
Zur Begründung des Antrags auf Drucksache 145 — Antrag der Abgeordneten Dr. Deist und Genossen — hat der Herr Abgeordnete Kurlbaum das Wort.

Georg Kurlbaum (SPD):
Rede ID: ID0300807000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Blank hat schon in der Debatte vom Mai des vorigen Jahres gelegentlich der ersten Beratung des ersten CDU/CSU-Antrags — damals war auch noch die Fraktion der DP mit dabei — an die Spitze aller seiner Überlegungen den Grundgedanken gestellt: Eigentum breit streuen und allen Volksschichten zugänglich machen. Herr Blank hat uns dann auch zu überzeugen versucht, daß dieser Gedanke schon immer in der CDU/CSU lebendig gewesen sei. Diesen Außerungen von Herrn Blank und — bitte, nehmen Sie es mir nicht übel — den etwas sehr hochtrabenden Formulierungen des Kollegen Arnold möchte ich nur eine Frage gegenüberstellen: Wie verträgt sich die acht Jahre lang betriebene Politik der CDU/CSU mit ihrer einseitigen Förderung der Vermögensbildung bei der Minderheit der Unternehmer und bei der Minderheit der Bezieher großer Einkommen mit dem, was uns heute hier vorgetragen worden ist?

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Nun zur Sache, meine Damen und Herren!

(Erneute Zurufe von der CDU/CSU. — Zuruf: Das war allerdings wenig sachlich!)

— Sie haben den Anfang dieser Debatte in so unsachlicher Form begonnen, daß er entsprechend beantwortet werden mußte.

(Beifall bei der SPD. — Fortgesetzte Zurufe von der Mitte. — Abg. Rasner: Aber jetzt kommt er doch zur Sache!)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300807100
Meine Damen und Herren, zur Sache wird jetzt gesprochen!

Georg Kurlbaum (SPD):
Rede ID: ID0300807200
Wenn wir auch unsere Ablehnung des Antrags, der heute gleichlautend wie im Mai vorigen Jahres vorliegt, schon damals begründet haben, so möchte ich das in den wesentlichen Punkten doch heute noch einmal tun, weil unsere Gegengründe zum großen Teil auch die Gründe sind, die uns zu unserem eigenen Antrag geführt haben. Entscheidend ist für uns folgendes.
Wenn wirklich breiten Volksschichten mit kleinem Einkommen die Möglichkeit gegeben werden soll, ohne eine wesentliche Senkung des jetzigen Lebensstandards Eigentum zu erwerben, dann muß ihnen bei diesem Bemühen wirklich geholfen werden. Es besteht heute überhaupt keine Meinungsverschiedenheit mehr darüber, daß in den vergangenen acht Jahren über die Steuerpolitik vor allen Dingen den Beziehern großer Einkommen und den Unternehmern in der massivsten Weise die Mittel der Allgemeinheit zugänglich gemacht worden sind.

(Zustimmung bei der SPD.)




Kurlbaum
Es besteht ferner bei allen volkswirtschaftlichen Sachverständigen eine einheitliche Meinung darüber, daß eine Einschränkung der einseitigen Vermögensbildung über Preise und, ich füge auch gern hinzu: über Steuern erstens möglich und zweitens nötig ist und daß nur eine solche Einschränkung dieser Vermögensbildung über Preise eine ausreichende Quelle für eine zukünftige Vermögensbildung auch der großen Mehrheit der Bezieher kleiner Einkommen sein würde.
Damit ist gleichzeitig folgendes klar: 1. Das Vermögen des Volkswagenwerks ist schon seiner Größe nach völlig unzureichend, um z. B. einen Ausgleich für die Milliardenbeträge der Selbstfinanzierung zu schaffen, die jährlich anfallen und zu Lasten der Verbraucher anfallen.

(Abg. Dr. Menzel: Sehr wahr!)

2. Die Volksaktie ist nichts als eine neue Sparform für diejenigen, die auch schon bisher das Geld hatten, eine Form, auf anderem Wege zu sparen.

(Abg. Wehner: Sehr wahr!)

Ich muß daher feststellen, daß zur Stärkung der Sparkraft der bisher Vermögenslosen der CDU/CSU-Antrag überhaupt nichts Wesentliches bringt.

(Abg. Welke: Sehr gut!)

Aber auch bezüglich der Sparform, die hier geboten wird, müssen wir, meine Damen und Herren von der Koalition, die stärksten Bedenken vorbringen. Ist diese Sparform denn wirklich die, von der wir annehmen können, daß sich die große Mehrheit der Menschen mit kleinem Einkommen ihr in absehbarer Zeit wirklich wird zuwenden können? Ich möchte auch eine andere Frage an Sie richten: Wir möchten gern einmal von der Koalition hören, welche konkreten Absichten sie denn hat, um der großen Mehrheit der kleinen Einkommensbezieher auf dem Gebiet der traditionellen Sparformen entscheidend zu helfen. Darauf warten wir!

(Beifall bei der SPD.)

Schließlich muß man sich auch einmal fragen, welchen Wert eine solche Kleinaktie, wie sie hier geboten wird, für den Kleinaktionär haben kann und haben wird. Da ist zunächst einmal die Frage zu stellen: Werden die Unkosten — wir kennen ja die Unkosten der Banken, sie sind nicht gering — in einem vernünftigen Verhältnis zu dem Ertrag stehen, den der Kleinaktionär auf seine Kleinaktie erwarten kann? Oder haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, sozusagen die Senkung der Körperschaftsteuer bei den Überlegungen für die Kleinaktie schon vorweggenommen, und soll die Kleinaktie vielleicht sogar als eine Art ideeller Vorspann für eine massive Senkung der Körperschaftsteuer und damit für ein von uns selbstverständlich abzulehnendes Milliardengeschenk auch an die bisherigen Altaktionäre dienen?

(Abg. Kunze: Sie wissen doch, daß wir das nicht wollen!)

Weiter muß man fragen: Ist es gewiß, daß auf Grund dieses Gesetzentwurfs an die Spitze des
Volkswagenwerks eine Verwaltung kommt, die auch wirklich die Interessen der Kleinaktionäre vertreten und berücksichtigen wird? Besteht nicht vielmehr die Gefahr, daß getarnte Machtgruppen ihre Einflüsse in der Verwaltung des Volkswagenwerkes geltend machen werden — alles auf lange Sicht gesehen —, so daß auch hier der Kleinaktionär in Zukunft der sein wird, der das Nachsehen hat?

(Abg. Dr. Hellwig: Gibt es bei Ihrer Konstruktion keine Machtgruppen?)

— Bei unserer Konstruktion hängt es von den Vorschlägen und von der Person des Bundespräsidenten ab, wer über diese Dinge zu bestimmen hat.

(Abg. Dr. Hellwig: Und die Muß-Zusammensetzung des Verwaltungsrats?)

— Darauf hat der Bundespräsident weitgehend Einfluß. Außerdem ist in unserem Vorschlag bereits für ein gewisses Gleichgewicht Sorge getragen, und man weiß, womit man zu rechnen hat, während ich die Frage stellen muß: Wissen Sie, wie die Verwaltungen nach Ihrem Vorschlag aussehen werden? Sie wissen es nicht, es ist ein Sprung ins Ungewisse.

(Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Herr Hellwig weiß es genau!)

3. Wir würden es für unbedingt notwendig halten, daß der zukünftige Kleinaktionär erschöpfend darüber unterrichtet wird, wie die wirklichen Vermögens- und Ertragsverhältnisse eines solchen Werkes sind. Wir finden in Ihrem Gesetzentwurf nichts darüber.

(Zuruf von der CDU/CSU: Neugestaltung des Aktienrechts!)

— Bitte, dann warten wir mit Spannung auf diesen Gesetzentwurf. Es sind also wirklich sehr fragwürdige Vorteile, die man nach diesem Gesetzentwurf der Koalition erwarten kann.
Lassen Sie mich noch einen Gesichtspunkt vortragen, den wir schon in den früheren Debatten immer erwähnt haben: die Lage auf dem deutschen Automobilmarkt, die Marktverfassung. Heute ist es praktisch so, daß drei große Privatfirmen und das Volkswagenwerk diesen Markt beherrschen. Der Markt ist schon heute gekennzeichnet durch überhöhte Gewinnspannen und eine selbst für die Verhältnisse in der Bundesrepublik überdurchschnittliche Rate der Selbstfinanzierung über den Preis. Zweifellos hätte die Bundesregierung über den Verwaltungsrat des Volkswagenwerks Möglichkeiten gehabt, hier für einen gewissen Ausgleich zu sorgen. Wenn sie das nicht getan hat, dann ist das ihre Sache; es ist aber kein Beweis dafür, daß das nicht hätte geschehen können.
Wenn nunmehr nach Ihren Vorschlägen das Volkswagenwerk privatisiert wird, dann ist mit Sicherheit vorauszusehen, daß in Zukunft der deutsche Automobilmarkt von einer Gruppe von vier privaten Großunternehmen beherrscht sein wird. Es ist sogar damit zu rechnen, daß der Einfluß der USA-Automobilindustrie auf diese marktbeherrschende Gruppe entscheidend sein wird.



Kurlbaum
Wir waren uns bei der Diskussion über das Kartellgesetz, glaube ich, über alle Parteien in diesem Hause hinweg darüber klar, daß nicht nur die Gefahren berücksichtigt werden müssen, die von einer unerwünschten Kartellbildung ausgehen, sondern daß wir auch die mindestens ebenso großen Gefahren in Rechnung stellen müssen, die von marktbeherrschenden Unternehmen und marktbeherrschenden Gruppen ausgehen. Wie stellt sich auf Grund dieser Überlegungen das Problem dar, wenn Sie in Zukunft damit rechnen müssen, daß auf diesem Markt eine marktbeherrschende Gruppe von vier großen Unternehmungen die Möglichkeit haben wird, die Dinge zu manipulieren? Unser Vorschlag sieht eine marktkonforme Beeinflussung dieses Marktes vor. Sie wollen sich hier anscheinend auf Ihr unzulängliches Kartellgesetz verlassen.
Ganz besonders beunruhigt sind wir durch gewisse Äußerungen in der Presse der letzten Tage über die Absichten des neuen Bundesschatzministers. Es wird davon gesprochen, daß er die Absicht habe, auch den Charakter der Aktien so abzuwandeln, daß sie näher an die normale Aktie herankommen. Er wünscht keine Einschränkung des Depotstimmrechts mehr. Das sind lauter Abwandlungen, die die Gefahren dieses Gesetzentwurfs noch erheblich vergrößern müssen. Wir würden daher entscheidenden Wert darauf legen, daß der Herr Bundesschatzminister hier zu diesen Äußerungen in der Presse eindeutig Stellung nimmt.
Selbstverständlich sind wir der Meinung, daß das Problem der Bildung von Privateigentum bei der großen Mehrheit der kleinen Einkommensbezieher unabhängig von diesem unserer Ansicht nach untauglichen Versuch gelöst werden muß.

(Abg. Höcherl: Wie denn?)

— Lassen Sie mich weiterreden. Die SPD hat in der Vergangenheit vielfach versucht, Vorschläge in dieser Richtung zu machen, z. B. auf dem Gebiete der Steuern. Wir sind eingetreten für einen Abbau der extrem hohen und unsozialen Belastungen gerade der Kreise, an die Sie jetzt denken, durch die indirekten Steuern. Wir haben Vorschläge für eine weitgehende Freistellung kleiner Einkommensbezieher und für eine Senkung der Einkommen- und Lohnsteuer bevorzugt für kleine und mittlere Einkommen gemacht.

(Abg. Höcherl: Wir haben es verwirklicht!)

— Unsere Vorschläge gingen sehr viel weiter. (Erneuter Zuruf des Abg. Höcherl.)

— Unsere Vorschläge gingen sehr viel weiter. Herr Höcherl, vielleicht haben Sie meine Vorschläge, die ich hier selbst vertreten habe, nicht gelesen. Sie gingen bezüglich der kleinen Einkommen sehr viel weiter als Ihre Vorschläge.
Unabhängig davon, daß wir diese Vorschläge auf dem Gebiete der Steuern unbeirrt fortsetzen werden, sind wir grundsätzlich auch bereit, spezielle Vorschläge zu unterstützen und an ihnen mitzuwirken, die gezielte Maßnahmen für die Bildung von Vermögen bei der großen Mehrheit der kleinen
Einkommensbezieher vorsehen. Allerdings mit einer Einschränkung: es muß endlich Schluß gemacht werden mit den Steuervergünstigungen, die eine Diskriminierung aller kleinen Einkommensbezieher darstellen.

(Beifall bei der SPD.)

Damit muß endgültig Schluß gemacht werden. Herr Höcherl, Sie werden sich erinnern, daß Sie hier unmittelbar vor der Wahl einen Beschluß gefaßt haben — ich glaube, es war ein Vorschlag des Ministers Preusker —, der die schwerste Diskriminierung der kleinen Einkommensbezieher auf diesem Gebiet darstellte.
Mit der Kritik an diesem Vorschlag ist auch schon sehr Wesentliches zur Begründung unseres eigenen Vorschlages gesagt.

(Abg. Dr. Hellwig: Umgekehrt hätte es der Geschäftsordnung besser entsprochen!)

— Meine Herren, ich glaube, es diente der Zeitersparnis, daß ich so verfahren bin, denn es vermeidet Wiederholungen.

(Abg. Metzger: Außerdem sind wir darin frei!)

Lassen Sie mich aber trotzdem noch einmal kurz ausführen, welches die entscheidenden Gründe sind, die für unseren Vorschlag sprechen.
Zuerst muß gesagt werden, daß zum Entstehen des Volkswagenwerkes gezwungen oder „freiwillig" in damaliger Zeit breiteste Volkskreise haben beitragen müssen. Daher muß auch sichergestellt werden, daß das Ergebnis aller dieser Opfer nunmehr auch wirklich breitesten Volkskreisen zugute kommt. Ob das nach dem Vorschlag der CDU wirklich der Fall sein wird, bezweifeln wir. Wir glauben, daß unser Vorschlag hier die entscheidenden Vorteile hat, und zwar dadurch, daß er sicherstellt, daß breite Volksschichten in der Zukunft einen guten und billigen Volkswagen zur Verfügung haben werden. Weiter steht in unseren Richtlinien für den Stiftungszweck, daß nunmehr ein wirklicher Wettbewerb auf dem deutschen Automobilmarkt und daher auch ein zügiger Fortschritt auf diesem Gebiet sichergestellt werden muß.
Gemäß unserem Vorschlag sollen auch die Erträgnisse des Volkswagenvermögens voll und mit dem Ausbau des Volkswagenwerkes steigend der Förderung des technischen Nachwuchses zugute kommen. Ich glaube, daß dieser Weg auch eine Einigung zwischen Bund und Niedersachsen wesentlich erleichtern würde.
Wir legen ferner Wert darauf — und damit komme ich zu einem sehr wichtigen Punkt, zu etwas, was Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, eigentlich auch am Herzen liegen sollte —, daß die Öffentlichkeit ein vollständiges Bild über die Entwicklung und Geschäftsführung des Volkswagenwerks erhält.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Wir wünschen, daß das Volkswagenwerk der Idee
einer einwandfreien und fortschrittlichen Publizität
nutzbar gemacht wird. Darauf legen wir vor allem



Kurlbaum
deshalb entscheidenden Wert, weil wir in dieser Beziehung z. B. gegenüber der USA-Wirtschaft sehr stark im Rückstand sind.

(Abg. Dr. Hellwig: Woher wissen Sie?)

Unser Vorschlag bietet darüber hinaus die Möglichkeit, das Institut der Stiftung, das sich im Ausland längst bewährt hat, nunmehr, sichtbar für die deutsche Öffentlichkeit, in großem Maßstabe, als Faktor auch in unserem Wirtschaftsleben zu erproben. Da nach unserem Vorschlag keinerlei private Eigentumsrechte neu begründet werden, besteht auch durchaus die Möglichkeit, einen solchen Gesetzentwurf entsprechend den Erfahrungen zu revidieren und damit auf lange Sicht auch sicherzustellen, daß der Stiftungszweck wirklich erreicht wird. Wenn Ihr Vorschlag, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, verwirklicht würde, wäre leider nichts mehr zu korrigieren; denn dann könnte man mit einem gewissen Recht sagen, daß durch eine solche Korrektur weitgehend private Eigentumsrechte berührt würden. Ihr Vorschlag bedeutet also ein wirkliches Experiment, das mit dem Risiko behaftet ist, daß notwendige Korrekturen später überhaupt nicht mehr anzubringen sind.
Ich glaube, daß es bei der Monotonie der überwältigenden Mehrheit der hauptsächlich auf Gewinnstreben ausgerichteten Unternehmen wirklich eine Bereicherung unseres Wirtschaftslebens wäre, wenn die Stiftung „Volkswagenwerk" im Sinne unseres Antrags mit einer vorwiegend ideellen Zielsetzung Wirklichkeit würde. Ich bin überzeugt, daß viele Männer und Frauen in der deutschen Bundesrepublik eine wirkliche Befriedigung darin finden werden — es werden gerade Menschen mit Phantasie, nicht nur für das Geldverdienen, es werden Menschen mit besonders starkem Verantwortungsbewußtsein und geschärftem Gewissen sein —, in einem gemäß unserem Vorschlag gestalteten Unternehmen tätig sein zu können.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300807300
Ehe wir in die allgemeine Aussprache eintreten, gebe ich das Wort nach § 47 der Geschäftsordnung dem Herrn Ministerpräsidenten von Niedersachsen in seiner Eigenschaft als Mitglied des Bundesrates.
Hellwege, Ministerpräsident des Landes Niedersachsen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ihnen in der Bundestagsdrucksache 102 vorliegende Gesetzentwurf über das Volkswagenwerk veranlaßt mich, namens der Niedersächsischen Landesregierung folgendes zu erklären.
Erstens. Niedersachsen wendet sich gegen die Regelung des Eigentums, wie sie im § 1 des Entwurfs vorgesehen ist, und zwar ausschließlich gegen diesen Punkt.
Zweitens. Die Niedersächsische Landesregierung hat ihre diesbezügliche Auffassung bereits im Juni des vergangenen Jahres anläßlich der Einbringung des Gesetzentwurfs Bundestagsdrucksache 3534 festgelegt. Ihre Bedenken sollten damals auch den Ausschüssen des Hohen Hauses vorgetragen werden. Dazu ist es jedoch nicht mehr gekommen, weil die Ausschüsse am Ende der Wahlperiode keine Zeit mehr zur Beratung fanden.
Drittens. Die Auffassung des Landes ist aber seinerzeit sowohl dem damals noch federführend zuständigen Herrn Bundesminister der Finanzen in einem Schreiben der Landesregierung vom Juni des vergangenen Jahres als auch Herrn Bundesminister Professor Dr. Erhard in einem Schreiben, das ich Anfang Oktober 1957 an ihn gerichtet habe, dargelegt worden. Eine Stellungnahme dazu ist der Landesregierung bisher nicht zugegangen.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Um so mehr hat es die Landesregierung überrascht, daß der frühere Gesetzentwurf mit der Drucksache 102 erneut eingebracht worden ist, ohne daß auf die niedersächsischen Gesichtspunkte mit einem Wort eingegangen oder hingewiesen wurde.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Ich habe es daher heute außerordentlich begrüßt, daß der Sprecher der Christlich-Demokratischen Union auf die Notwendigkeit einer möglichst baldigen Klärung der unterschiedlichen Auffassungen über die Eigentumsfrage hingewiesen hat.
Viertens. Die in § 1 des Gesetzentwurfs vorgesehene Lösung der Eigentumsfrage ist für Niedersachsen nach wie vor unannehmbar. Das Land ist aber weiter bereit, an einer politisch und sachlich zweckmäßigen Änderung des Status des Volkswagenwerkes, die den Bundes- und Landesinteressen Rechnung trägt, mitzuarbeiten.
Fünftens. Die Niedersächsische Landesregierung erlaubt sich, die Aufmerksamkeit des Hohen Hauses auf die vorgenannten Gesichtspunkte zu lenken und damit die Bitte zu verbinden, sich in den bevorstehenden Ausschußberatungen mit der niedersächsischen Auffassung auseinanderzusetzen. Wie es nicht möglich ist, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun, so kann auch über das künftige Schicksal des Volkswagenwerkes nur nach vorausgegangener Klärung der Eigentumsverhältnisse befunden werden.

(Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Dr. Mommer [zur Regierungsbank] : Das ist aber eine Panne!)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300807400
Allgemeine Aussprache erster Lesung!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hellwig.

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300807500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte, in die wir eintreten, soll sowohl den Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wie den Antrag der Abgeordneten Dr. Deist und Genossen umfassen. Es versteht sich nach der Natur der Dinge, daß sich meine Ausführungen voraussichtlich stärker mit dem dem Hause neu vorliegenden Antrag der SPD-Kollegen zu befassen haben, weil hinsichtlich des CDU/CSU-An-



Dr. Hellwig
trags auf die erste Lesung im 2. Bundestag verwiesen werden darf. Damals sind von den Sprechern aller Fraktionen wesentliche Ausführungen zu diesem Thema gemacht worden. Die zeitliche Belastung des federführenden Ausschusses für Wirtschaftspolitik durch die Beratung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, das noch verabschiedet werden sollte, erlaubte es nicht mehr, in die Ausschußberatungen im einzelnen einzutreten. Immerhin sind in der damaligen Debatte im Bundestag wie auch in der öffentlichen Diskussion, die dieser Antrag hervorgerufen hat, eine ganze Reihe von Gesichtspunkten zum Vortrag gebracht worden, die für die Ausgestaltung dieses Gesetzentwurfs in der nunmehr wieder beginnenden Detailberatung sicher von Wert sein werden.
Sie werden fragen: Warum ist der Antrag trotz der Diskussion, die in der Zwischenzeit stattgefunden hat, unverändert erneut von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im 3. Bundestag eingebracht worden? Ganz einfach, meine Damen und Herren: um aus der Initiative des Hauses die Beratung dieses Problems an einem konkreten Gesetzentwurf in Gang zu bringen und endlich jene unfruchtbaren Diskussionen und Verhandlungen außerhalb dieses Hauses zu einem Ende zu bringen. Mit Verhandlungen und Diskussionen außerhalb des Hauses sind wir keinen Schritt weitergekommen, auch nicht in der Frage der rechtlichen Stellung des Volkswagenwerks selbst. Die Erklärung, die Sie soeben vom Herrn Ministerpräsidenten von Niedersachsen gehört haben, belegt ja deutlicher, als ich es hier ) zu tun brauche, daß zunächst einmal ein Ausgangspunkt geschaffen, d. h. der Versuch einer gesetzlichen Regelung über das Eigentum am Volkswagenwerk unternommen werden muß. Alles andere bleibt im luftleeren Raum und bringt uns in der Lösung dieses Problems nicht weiter, wenn auch der Weg von Verhandlungen zwischen Niedersachsen und der Bundesregierung über die Verwendung des Erlöses bei der Durchführung unseres Antrags selbstverständlich bestimmte Möglichkeiten eröffnet. Das gleiche gilt für andere Ansprüche, die in diesem Komplex noch nicht endgültig entschieden worden sind.
Ich darf hier bezüglich des Unterschieds in den Auffassungen der Bundesregierung und der Bundestagsfraktion der CDU/CSU, die diesen Antrag eingebracht hat, einerseits und Niedersachsens andererseits kurz daran erinnern, daß es nach unserer Auffassung Aufgabe des Bundesgesetzgebers ist, einen gesetzlosen Zustand, wie er sich hier aus dem Auslaufen besatzungsrechtlicher Vorschriften ergeben hat, endlich zu beseitigen.
Man mag da eine andere Meinung vertreten. Das Land Niedersachsen hat beispielsweise seine Auffassung darauf aufgebaut, die Volkswagenwerk GmbH sei aufgelöst worden. Dem steht aber die praktische Behandlung des Werks entgegen; denn die GmbH ist von den niedersächsischen Landesbehörden nach wie vor als existent behandelt und zur Körperschaftsteuer herangezogen worden. Damit dürfte jener Auffassung, die den Ausgangspunkt für die Haltung von Niedersachsen bildet, daß die
Volkswagenwerk GmbH durch Besatzungsrecht aufgelöst worden sei, der Boden weitgehend entzogen sein. Ich habe nach wie vor die Hoffnung, daß in dem Teil des Gesetzes, welcher sich mit der Verwendung der Erlöse befaßt, eine befriedigende Verständigung auch mit den Wünschen und Sorgen des Landes Niedersachsen gefunden wird und daß diese Verständigung dort leichter erzielt werden kann als mit einer sterilen eigentumsrechtlichen Konstruktion, die im Grunde genommen — darauf werde ich später zurückkommen — niemand befriedigen wird und nur die Autonomie eines Werkes und seiner Verwaltung praktisch intakt lassen würde.

(Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Denken Sie an die Carl-Zeiß-Stiftung in Jena!)

— Ich komme auf das Thema „Stiftung" bei Gelegenheit der Erörterung Ihres Antrags noch zurück.
Nun darf ich einige Bemerkungen zunächst zu dem wirtschaftlichen Problem machen, welches hier dahintersteht. Wir sprechen im allgemeinen über die Bundesbeteiligungen und darunter besonders über das Volkswagenwerk, ohne eine klare Vorstellung von den Vermögenskomplexen und ihrer realen Größe zu haben. Die Publizität dieser Unternehmungen ist alles andere als ausreichend. Die Klage hierüber ist in diesem Hause von jeher von allen Parteien erhoben worden. Ich muß hier die Bitte und die Hoffnung aussprechen, daß das unter dem nunmehr zuständigen Minister eine wesentliche Besserung erfährt. Das sieht beim Volkswagenwerk ungefähr — in meist nur geschätzten Zahlen — wie folgt aus.
Das Stammkapital der Volkswagenwerk GmbH wird seit Jahren unverändert mit 60 Millionen DM ausgewiesen. Der innere Wert dieses Unternehmens ist vor etwa Jahresfrist von dem Staatssekretär im Bundesfinanzministerium von dieser Stelle aus mit mindestens 1 Milliarde DM angegeben worden. Die Neuinvestitionen, die das Werk seit der Währungsreform durchgeführt und aus eigenen Mitteln, d. h. aus Gewinnen, finanziert hat, werden von d. h. aus Gewinnen, finanziert hat, werden von Kennern auf mindestens 850 Millionen DM geschätzt. Demgegenüber stellen die sogenannten Jahresgewinne, die öffentlich bekanntgeworden sind, eigentlich nur eine Art von Restposten dar, den man, wie ein Kenner der Verhältnisse in der Wirtschaftspublizistik es gekennzeichnet hat, an anderer Stelle bilanzmäßig nicht mehr unterbringen konnte.

(Hört! Hört! rechts.)

Die effektiven Jahresgewinne des letzten vorliegenden gesamten Jahres, nämlich von 1956, sind wohl auf 250 Millionen DM zu schätzen; sie haben sich also gegenüber 1951 verfünffacht. Es ist wohl nicht zuviel gesagt und stellt ein glänzendes Zeugnis für die Marktposition des Volkswagens und für die Leistung dieses Werkes dar, wenn man heute feststellt, daß das Volkswagenwerk zur Zeit mindestens das Dreifache seines Stammkapitals jährlich reinverdient.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, ,den 22. Januar 1958 259
Dr. Hellwig
Damit wird ein Problem aufgeworfen, mit dem wir uns über kurz oder lang hier grundsätzlich auseinanderzusetzen haben. Kollege Arnold hat zu Recht ausdrücklich bestätigt, daß hier ein Anfang gemacht werden soll. Ich darf zum Vergleich einmal folgende Größenordnung vortragen. Das Volkswagenwerk stellt in der jetzigen Vermögensgröße etwa ein Fünftel bis ein Sechstel des industriellen Bundesvermögens dar. Die tatsächlichen Angaben in den Nachweisungen über die Bundesbeteiligungen haben das nie zum Ausdruck gebracht. Man muß sich die Mühe machen, die Nettoinvestitionen und insbesondere die Selbstfinanzierung der Bundesindustrieunternehmungen zu schätzen und zu addieren. Ich komme bei einer solchen Rechnung zu der Feststellung, daß der reale Wert des gesamten Bundesindustrievermögens zur Zeit wohl in der Größenordnung von 61/2 bis 7 Milliarden DM liegt. Nur zum Vergleich: das Sondervermögen des Marshallplans in der Hand und Verwaltung der Bundesregierung, also das ERP-Sondervermögen, hat 1956 zwischen 61/2 und 7 Milliarden DM betragen. Man braucht sich nur zu vergegenwärtigen, daß das Sondervermögen Marshallplan pro Jahr etwa 1 Milliarde DM an Zinsen und Tilgungen einträgt, die revolvierend wieder zur Förderung von Wirtschaft in allen Größenordnungen, von Wissenschaft und Forschung eingesetzt werden. Und nun stelle ich die Frage: Was hat ein ungefähr gleichgroßes Vermögen des Bundes in industriellen Unternehmungen für die allgemeine Förderung von Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung beigebracht? Hier wird, glaube ich, deutlich, daß es der sterilste Weg für öffentliches Vermögen ist, wenn es in Erwerbsunternehmungen festliegt und die Abführung der Erwerbsunternehmungen an den öffentlichen Haushalt völlig in der Hand der Verwaltung dieser Unternehmungen liegt. Meine Damen und Herren, hier muß eine entscheidende Änderung kommen!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Nun darf ich auf einige Bemerkungen — —

(Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Was wirft z. B. die Firma Krupp für die Förderung der Wissenschaft aus? Das würde mich interessieren!)

— Ich kann Ihnen die Zahlen hier im einzelnen nicht nennen, bin aber der Meinung: an der grundsätzlichen Feststellung, daß öffentliches Vermögen zu einem wesentlich höheren Grad der Wirksamkeit gebracht werden kann, wenn es nach der Art des ERP-Vermögens verwaltet wird, ändert Ihre Frage nichts, verehrter Herr Kollege Schmid.
Ich komme damit zu dem Antrag der SPD. Meine Damen und Herren, es fiele leicht, sich mit diesem überraschenden Antrag — er ist so überraschend, daß er nicht einmal die Unterschrift der SPD-Fraktion, sondern nur die Unterschriften einzelner Kollegen der Fraktion trägt — auseinanderzusetzen, indem man gewisse Widersprüche aufzeigt. Ich will es mir nicht so einfach machen, sondern will mir das Thema „Die Stiftung als Rechtsform" für solche Unternehmungen etwas kritischer ansehen.
Immerhin glaube ich aber doch darauf aufmerksam machen zu sollen, daß dieser Antrag kein konkreter Gesetzentwurf ist, sondern ein Auftrag an die Bundesregierung, einen solchen Gesetzentwurf vorzulegen. Daß ein derartiger Auftrag, einen solchen Gesetzentwurf vorzulegen, die Beratung des bereits vorliegenden konkreten Gesetzentwurfs der CDU/CSU sicher blockieren würde — vermutlich auch wohl blockieren soll —, brauche ich hier wohl nicht näher auszuführen. Aber der Antrag steht nach seiner Tendenz in einem diametralen Gegensatz zu dem Anliegen des Entwurfs der CDU/CSU.

(Zustimmung bei CDU/CSU und SPD.)

Die Stiftung als Rechtsform ist — wenn wir die jüngere Diskussion verfolgen — nicht nur bei uns, sondern auch in anderen Ländern eine Ausnahme, gewählt etwa dort, wo die Weiterführung eines Unternehmens den privaten Eigentümern oder ihren Erben aus bestimmten Gründen — Erbschaftsteuer in den USA oder das Verhältnis von Abbé zur Familie Zeiß im Falle der Zeiß-Werke Jena — nicht mehr möglich ist. Diesem Ausnahmecharakter der Stiftung als Rechtsform in der Wirtschaftsgeschichte der modernen Unternehmungen steht bei der SPD ein ganz grundsätzliches Bekenntnis zur Stiftung als Rechtsform für zu vergesellschaftende Unternehmungen gegenüber.

(Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Für das Volkswagenwerk!)

Ich verweise auf die Äußerungen, die in den Jahren 1945, 1946, 1947 und auch später noch von führenden Juristen der Sozialdemokratischen Partei hierzu gemacht worden sind.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Kein Geringerer als der Heidelberger Nationalökonom Alfred Weber, dessen Bekenntnis zum Sozialismus in den letzten Jahren wiederholt in der Öffentlichkeit bekanntgeworden ist, hat 1946 und 1947 ausdrücklich die Rechtsform der Stiftung für die Vergesellschaftung der zu sozialisierenden Unternehmungen empfohlen. Er hat beispielsweise 1947 in der Zeitschrift „Die Wandlung" zur Anwendung der Rechtsform der Stiftung gesagt: „In jedem Fall liegt eine Vergesellschaftung der Produktionsmittel vor, die keine Verstaatlichung ist."
Meine Damen und Herren! Es handelt sich darum, eine Rechtsform zu finden, die der Vergesellschaftung entspricht, ohne dem Staat und den im Staat unter Umständen über die parlamentarische Demokratie zum Zuge kommenden Kräften eine stärkere Einwirkungsmöglichkeit zu geben. Einer unserer Kollegen, der Kollege Dr. Arndt, hat bei einer Prüfung der Rechtsformen der Sozialisierung in der Deutschen Rechtszeitschrift 1947 auch einiges Empfehlende zur Wahl der Rechtsform der Stiftung gesagt; aber er hat auch sehr deutlich gemacht, daß die Stiftung in einem größeren Zusammenhang der Vergesellschaftung gesehen werden müsse. Er lehnte nämlich die vereinzelte Anwendung der Stiftung als Rechtsform ab. Dann wäre sie nämlich nur privatkapitalistisch gedacht, und es bliebe die privatkapitalistische Voraussetzung, „die wirtschaftlich als Einlage (Finanzierung) und Gewinn



Dr. Hellwig
oder Verlust (Risiko) in Erscheinung tritt". Er hat dann weiter gesagt: „Man kann Gemeineigentum nicht mit einem theoretischen Federstrich" — also mit der Anwendung einer solchen Rechtsform von Fall zu Fall — „inmitten einer privatkapitalistischen Ordnung (oder richtiger" — wie Arndt sagte — „Unordnung) entstehen lassen. Ebenso wie die Aktiengesellschaft nur im Ganzen eines privatkapitalistischen Wirtschaftssystems funktionsfähig ist, so kann auch ein Kollektiv" — nämlich das vergesellschaftete Unternehmen — „erst im Rahmen einer sozialistischen Wirtschaftsordnung oder der zu ihr überleitenden Vorstufe existieren. Die Nationalisierung (Vergesellschaftung)" — so sagte Dr. Arndt —„eines Betriebs, die ihn zum Gemeineigentum macht, ist also nicht isoliert möglich, sondern setzt die Nationalisierung des ganzen Industriezweiges, des ,Sektors', sowie die staatliche Wirtschaftsplanung voraus . . ."
Das, meine Damen und Herren, ist der Hintergrund, vor dem damals die Stiftung als Rechtsform empfohlen worden ist.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Ich glaube, man sollte sich, wenn man die Tendenzen des SPD-Antrags erkennen will, dieses historischen und geistesgeschichtlichen Hintergrundes bei der SPD bewußt sein.
Nun habe ich mir die Mühe gemacht, noch einmal das Thema Stiftung in einem anderen Zusammenhang zu sehen; denn auch in den eigenen Überlegungen — das gebe ich sehr gern zu — hat die Form der Stiftung eine sehr große Rolle gespielt. Aber darin unterscheiden wir uns: wir wollten nicht die Stiftung als Rechtsform zum Betreiben des Unternehmens, sondern wir wollten losgelöst von dem Unternehmen die Sammlung von Erlösen und Erträgen in einer Stiftung, und diese Stiftung sollte auch dem Zweck dienen, Wissenschaft, Lehre und Forschung zu fördern.
Wie ist diese unsere Überlegung von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, damals beantwortet worden? Vor einem Jahre hat Herr Dr. Deist gerade diese Zielsetzung, Erlöse und Erträge über eine Stiftung der Förderung von Wissenschaft und Forschung dienen zu lassen, von dieser Stelle aus abgelehnt und etwa mit diesen Worten lächerlich zu machen versucht: „ . . . Und dann die Fanfare: alles, was daraus kommt, wird zur Unterstützung von Wissenschaft und Forschung verwandt!" Später hieß es in der gleichen Rede über die Förderung von Wissenschaft und Forschung: „Bestimmungen, die rein propagandistisch zu verstehen sind, sollte man in einen solchen Antrag nicht aufnehmen." An anderer Stelle war von „lächerlichen Bestimmungen" die Rede, nämlich hinsichtlich der Bindung von Erlösen und Erträgen aus dem Verkauf des Volkswagenwerks für die Förderung von Wissenschaft und Forschung.
Meine Damen und Herren, ich freue mich sehr, daß Sie inzwischen auch musikalisch geworden sind und die gleiche Fanfare nunmehr an den Mund gesetzt haben.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Es hätte aber die ganze Diskussion über dieses Thema wesentlich versachlicht, wenn Sie damals schon bereit gewesen wären, die Chancen, die hier gegeben sind, einmal ein großes Objekt des Bundesvermögens sowohl für die Kapitalbildung, für die Eigentumsstreuung im breiten Sinne, wie für die Förderung von Wissenschaft und Forschung einzusetzen, ehrlich zuzugeben und mit uns an ihre Verwirklichung zu gehen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich muß Sie namens meiner politischen Freunde bitten, den Antrag der SPD-Kollegen — nicht der SPD-Fraktion — aus folgenden Gründen abzulehnen.
Zunächst inhaltlich: Die Absicht, durch die Stiftung als bewußtes Kollektiv Eigentum

(Unruhe bei der SPD)

zu neutralisieren und der Privatwirtschaftsordnung und dem Privatrechtsverkehr zu entziehen, steht in einem diametralen Gegensatz zu unserer Vorstellung und dem Ziel unseres eigenen Gesetzentwurfs. Die breiteste Streuung des Eigentums ist auf diesem Wege nicht zu verwirklichen, im Gegenteil, die für die breiteste Streuung von Sachwerten zur Verfügung stehenden Werte würden auf diesem Wege einer solchen Verwendung entzogen. Nicht ohne Grund ist die Stiftung gerade die Rechtsform, die man als die tote Hand bezeichnet, nämlich die Ausschaltung eines Vermögenskomplexes aus dem Wirtschafts- und Rechtsverkehr.
Zum zweiten. Dieser Vorschlag erreicht nichts auf dem Wege zu dem Ziele, das wir mit unserem Antrag verbinden, nämlich über die hier gebotenen Anreizmöglichkeiten eine zusätzliche Kapitalbildung herbeizuführen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300807600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300807700
Bitte schön!

Georg Kurlbaum (SPD):
Rede ID: ID0300807800
Herr Kollege Hellwig, darf ich Sie einmal fragen, ob Sie die Carl-Zeiß-Stiftung mit ihren mannigfachen Unternehmungen als ein typisches Beispiel für die tote Hand betrachten?

(Heiterkeit bei der SPD.)


Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300807900
Zu dem Thema CarlZeiß-Stiftung darf ich Ihnen folgendes sagen. Die Carl-Zeiß-Stiftung hat genau das erfüllt, was einen Ihrer Kollegen veranlaßte, die Stiftung als isolierte Erscheinung in einer privatwirtschaftlichen Ordnung abzulehnen. Sie hat nämlich als Partner in der privatkapitalistischen Ordnung genauso wie ein privatwirtschaftlich geführtes Unternehmen gearbeitet.

(Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Ausgezeichnet! — Weitere Zurufe von der SPD.)

— Die isolierte Anwendung dieser Rechtsform verneine ich ja durchaus nicht.

(Aha-Rufe und Lachen bei der SPD.)




Dr. Hellwig
— Meine Damen und Herren, dann hätten Sie genau hinhören müssen. Ich habe das abgelehnt, weil im Grunde genommen hinter dieser Rechtsform, wie ich Ihnen an Hand einer Reihe von Zitaten aus Ihrem eigenen Lager gezeigt habe, viel weitergehende Absichten stehen.

(Erneutes Lachen bei der SPD.)

Auch in Ihrem eigenen Antrag stehen verschiedene Dinge, die mit einer allgemeinen privatwirtschaftlichen Einbettung dieser Rechtsform nichts zu tun haben.

(Abg. Kurlbaum: Herr Kollege Hellwig, ich habe doch nach der toten Hand gefragt! Dazu mußten Sie antworten!)

— Ja, verzeihen Sie, es zeigt sich doch, daß diese Rechtsform offenbar nur dann brauchbar ist, wenn sie im Grunde genommen nicht das ist, was das Wesen der Stiftung ausmacht — —

(Abg. Kurlbaum: Wenn sie in Ihr Konzept paßt, dann ist es so! — Heiterkeit bei der SPD.)

— Nein, Sie müssen auch einmal folgendes sehen, und das ist ein Punkt, der mich immer mit Sorge erfüllt hat: Jena war die Stadt von Zeiß. Jena hat auch die Stiftung in der Hand der Arbeitnehmer gehabt mit der Zeiß-Stiftung. Es war ja nicht nur die öffentliche Hand, sondern auch ein bestimmter Teil von Arbeitnehmern beteiligt. Aber gerade diese Konstruktion hat einen unheilbaren Konflikt zwischen berechtigten und nicht berechtigten Arbeitnehmern der Zeiß-Werke herbeigeführt, und es war dieser unheilvolle Konflikt, der zur Folge hatte, daß eine Vergiftung der sozialen Atmosphäre in Jena vorhanden war, die in dem hohen Anteil kommunistischer Wähler in Jena ihren Ausdruck fand.

(Lachen bei der SPD. — Beifall bei der CDU/CSU.)

Diese Rechtsform hat das Problem nicht lösen können. Das werden Sie nicht bestreiten können.
Nun zurück zu den Gründen, aus denen wir Ihren Antrag abzulehnen bitten. Unsere Überlegungen gehen auch in die Richtung, daß breite Eigentumsstreuung von dieser Seite her mit ein Beitrag zur Dekonzentration großer Machtgebilde sein soll. In Ihrem Entwurf, meine Damen und Herren, sehe ich nur die weitere Verquickung der Leitung dieses Werks mit großen Machtgruppen sowohl im Bereich der Politik, der Parteien, wie in dem der Sozialverbände. Denn es heißt: Sechs Vertreter der Arbeitnehmer. Es soll doch heißen: Sechs Vertreter der Gewerkschaften. Weiterhin wird die Verknüpfung mit den großen Organisationen der Wissenschaft darin angestrebt. Aber diejenigen, die wir mit als einen Faktor gegen große Konzentration brauchen, die Masse privater Eigentümer, aus denen ein öffentliches Interesse daran erwächst, vermissen wir darin.
Eine weitere Überlegung. Die Förderung von Wissenschaft und Forschung als Stiftungszweck ist auch
mit einer anderen Konstruktion zu erreichen. Die Wege dafür hat sowohl der damalige Entwurf der Kollegen Dr. Vogel, Dr. Elbrächter und anderer, den wir vor einem Jahr beraten haben, wie unser jetziger Initiativentwurf gezeigt. Von dieser Zwecksetzung her besteht also keine Veranlassung, das Unternehmen selbst als Stiftung zu betreiben.
Aber auch formal habe ich Veranlassung zu bitten, diesen Antrag abzulehnen. Er fordert die Regierung auf, einen Gesetzentwurf auszuarbeiten. Unser Antrag ist bereits ein konkreter Gesetzentwurf. Selbstverständlich kann vieles an ihm in der Ausschußberatung geändert werden; darüber sind wir uns völlig klar. Einige Fragen sind schon von dem Kollegen Arnold bei der Begründung des Antrags erwähnt worden. Würde nunmehr der Antrag der Kollegen der SPD zur Beratung an die Ausschüsse überwiesen werden und von dort vielleicht an die Bundesregierung gehen, so würde die gesamte Erörterung des zur gleichen Sache bereits vorliegenden konkreten Gesetzentwurfs blockiert werden. Das aber möchten wir keinesfalls. Auch aus diesem Grunde bitten wir, den Antrag der SPD abzulehnen.
Abschließend habe ich noch einige Bemerkungen zu dem Thema Eigentumsbildung überhaupt zu machen. Herr Kollege Kurlbaum, Sie haben den Beginn Ihrer Rede weniger Ihrem Gesetzentwurf, auch nicht unserem gewidmet, sondern haben einige allgemeine wirtschaftspolitische Bemerkungen gemacht, die, ich möchte sagen, zum stehenden Repertoire der öffentlichen Propaganda gegen die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung gehören. Mit welchem Erfolg, darauf hat Ihnen wohl die Masse der Wähler am 15. September die Antwort gegeben. Trotzdem werden diese Dinge hier immer wieder aufgerührt, obgleich es, wie Sie wissen, doch eine ganz grobe Vereinfachung ist, die Sie zu der Beleuchtung dieses Punktes immer wieder bringen.
Wollen Sie wirklich behaupten, daß unsere Wirtschaftspolitik im Ganzen nur die Taschen von wenigen gefüllt habe? Wollen Sie nicht mehr sehen, daß diese Wirtschaftspolitik die Verdreifachung der öffentlichen Sozialleistungen in acht Jahren ermöglicht hat? Wollen Sie nicht mehr sehen, daß den Steuersenkungen der letzten Legislaturperiode von 9 oder 10 Milliarden die Erhöhung der öffentlichen Sozialleistungen um 12 Milliarden DM gegenübersteht?

(Abg. Kurlbaum: Wir sprechen von der Vermögensbildung!)

— Verzeihen Sie, alles hängt miteinander zusammen.

(Widerspruch bei der SPD.)

Es kommt darauf an, Ihnen einmal deutlich zu machen, daß eben nicht nur Vermögensbildung stattgefunden hat, sondern daß zunächst Steuersenkungen von Milliarden auch für die breite Masse und Erhöhungen von Sozialleistungen um Milliarden stattgefunden haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

262 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, ,den 22. Januar 1958
Dr. Hellwig
Ich möchte Ihnen hier einige Beispiele nennen. Der Anteil der Arbeitnehmer bei den neuzugelassenen Personenwagen ist von 9,6% im Jahre 1952 auf 35% im Jahre 1956 gestiegen. Wollen Sie wirklich behaupten, daß es die von Ihnen erfundenen 200 Millionäre gewesen seien, die sich diese Personenwagen in diesen Jahren hätten zulassen können?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Oder nehmen Sie die ganz bewußte Politik der Eigentumsförderung, die von uns — leider ohne Ihre Zustimmung — bei der Verabschiedung des Gesetzes zur Förderung der Familien- und Eigenheimbildung betrieben worden ist. Folgendes ist doch die Tatsache, die ich Ihnen hier in die Erinnerung zurückrufen muß: Von Jahr zu Jahr wächst der Anteil der Arbeitnehmer — der Beamten, Angestellten und Arbeiter —, der Rentner und der Pensionäre bei der Neuerstellung von Wohngebäuden, und zwar insbesondere gerade bei den öffentlich geförderten.
Wir haben den Anteil der Arbeitnehmer bei den Wohngebäuden der privaten Bauherren in den Jahren von 1952 bis 1955 auf über 50% steigern können. Das sind doch Entwicklungen, die wir bewußt vorwärtsgetrieben und die wir selbstverständlich als einen ersten Schritt zu der Eigentumsbildung in breiter Streuung betrieben haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Eigentumsbildung aber vollzieht sich, wie es einmal ein Sozialwissenschaftler genannt hat, in Ringen. Es sind Ringe des Schutzes um das Individuum, in denen es gewisses Eigentum um sich legt: das erste sind die Gegenstände des persönlichen, des täglichen Bedarfs. Dann folgt der Hausrat, und darauf folgen die aufwendigeren Bedarfsartikel der Einrichtung usw. Wieder ein anderer Ring ist die Wohnung, ist schließlich das Eigentum an der Wohnung, das Eigenheim oder das Grundstück, der Garten oder sonstiger Grundbesitz.
Die nächsten Ringe sind dann die etwas komplizierteren Formen der Kapital- und Eigentumsbidung — sie schlagen sich in verschiedenen Kapitalformen nieder —, also die Ersparnisbildung in Geld, das Wertpapiersparen, der Versicherungsabschluß usw.
Wenn Sie, Herr Kollege Kurlbaum, bestreiten, daß die Vermögensbildung für die breite Masse auch auf diesem Wege gefördert worden ist, dann sehen Sie sich doch einmal die Zahlen der Inanspruchnahme des Bausparprämiengesetzes an, dann sehen Sie sich doch einmal die steuerbegünstigten Sparverträge und viele andere Dinge an! Sie werden doch nicht bestreiten können, daß auch gerade hier neue Formen der Vermögensbildung für die kleinen Sparer entwickelt worden sind.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Kurlbaum)

— Ja, aber Sie haben es vorhin bestritten.

(Erneute Zurufe von der SPD.)

Ich glaube, es ist nun an der Zeit, die Eigentumsbildung auch auf den Gebieten zu fördern, die wegen der etwas komplexeren Formen — nämlich Kapitalbeteiligungen usw. — bei uns noch

(Zurufe von der SPD)

reichlich unpopulär sind. Es ist nicht zu bestreiten, daß die Aktie als ein Eigentumstitel bei uns noch nicht die Popularität hat, die sie in anderen Ländern, insbesondere in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, seit langem hat.
Woran liegt das aber? Es liegt doch daran, daß der Aktionär seit Jahrzehnten in der sozialpolitischen Auseinandersetzung zunächst einmal mit dem Ausbeuter gleichgesetzt wurde und daß die legitime Dividende, die er für seine Aktie bekommt, als Profit Gegenstand der Klassenkampfauseinandersetzung war.

(Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Das war zur Zeit des Königreichs Stumm, Herr Hellwig!)

Meine Damen und Herren, wenn wir bei dem Sozialpartner die positive Einstellung zum Gewinn eines Unternehmens hätten, wie es die Gewerkschaften in den USA seit langem haben, wo auch gesagt wird, daß der Unternehmer nichts taugt, der keinen Gewinn erzielt, und wo gesagt wird, daß gerade im Interesse der Arbeitnehmer, der Arbeitsplatzerhaltung, der Modernisierung der Betriebe usw. Gewinn erzielt werden muß, wenn wir einmal diese positive Einstellung des Sozialpartners zum Gewinn und zur Gewinnerzielung und damit zur Aktie haben, dann wird auch der Boden für die Aktie als weitverbreitetes Wertpapier und weitverbreitetes persönliches Eigentum bereitet sein.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Hier muß ich eine Bemerkung zu Überlegungen machen, die in dem SPD-Antrag stehen, insbesondere zur Frage der Publizität. Ich bin mir völlig im klaren darüber, daß die Publizität, die eine Kapitalgesellschaft bewirkt, entscheidend für das Vertrauen des Sparers, des Aktionärs ist und daß auch nur in dem Zwang zu erhöhter Publizität ein Korrektiv gegenüber der Allmacht eines von weitgestreuten Eigentümern unabhängig gewordenen Managements liegt. Ich habe in meinen Ausführungen zu dem gleichen Thema im vergangenen Sommer hier schon einmal darauf hingewiesen, daß die Allmacht des Managements, also der Verwaltung großer Kapitalgesellschaften, in Amerika von da an gebrochen war, als Hunderttausende von Aktionären ein Interesse an dieser Gesellschaft nahmen und damit eine Macht in der öffentlichen Meinung darstellten. Hundert Aktionäre sind keine Macht in der öffentlichen Meinung; hunderttausend Aktionäre stellen einen nicht zu verkennenden Faktor in der öffentlichen Meinung dar. Daher begrüßen wir gerade auch die Bewegung, die im Augenblick in der Bevölkerung zu beobachten ist, durch eine Massenaufklärung über Aktionärsvereine die Gedanken sowohl des Aktiensparens als auch der Verbesserung des Rechtsschutzes des Kleinaktionärs zu vertiefen. Bei der Beratung unseres Entwurfes sollte da, wo die Vertretung der Aktionäre in der

" 263

Dr. Hellwig
Hauptversammlung geregelt wird, dieser neuen Bewegung Rechnung getragen werden.
Wo haben wir denn die größere und wo haben wir die geringere Publizität in den deutschen Industrieunternehmungen? Wir haben darüber inzwischen sehr exakte Untersuchungen vorliegen. Von der Gesamtheit der in Aktienrechtsform betriebenen Industriegesellschaften sind — vom Kapital her gerechnet — nur ein Fünftel jene Gesellschaften, die bei ihrer Publizität das gesetzlich vorgeschriebene Mindestmaß nicht überschreiten, vier Fünftel der deutschen Aktiengesellschaften in der Industrie — nach dem Kapital gerechnet — überschreiten in ihrer Publizität ganz erheblich das vorgeschriebene gesetzliche Mindestmaß gerade aus Rücksicht auf die wachsende Zahl der Aktionäre. Nehmen Sie Montanfirmen mit 50 000 Aktionären! Ich glaube, eine Montanfirma hat jüngst ihre Aktionärzahl mit 130 000 bekanntgegeben. Wegen dieser Entwicklung sind die Gesellschaften gezwungen, eine größere Publizität zu entwickeln.
Als vorbildlich können wir bisher gerade die der öffentlichen Hand angehörenden oder mit ihr verflochtenen Gesellschaften hinsichtlich der Publizität nicht ansehen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Daher habe ich jetzt große Bedenken, ob der Wunsch, der dem Antrag der Kollegen der SPD zugrunde liegt, daß die Stiftung eine vorbildliche Publizität pflegt, wirklich in Erfüllung gehen würde, wenn es zu einer solchen Rechtsform käme. Bisher dürfen jedenfalls gerade die großen deutschen Aktiengesellschaften mit Zehntausenden und mehr Aktionären für sich in Anspruch nehmen, bahnbrechend in der Entwicklung einer die gesetzlichen Vorschriften bei weitem überschreitenden Publizität gewesen zu sein.
Ich darf meine Bemerkungen schließen. Es handelt sich im Grunde genommen um ein gesellschaftspolitisches Anliegen von zentraler Größenordnung. Die moderne Industriegesellschaft wird für die weitere Entwicklung ihrer technischen Leistungen einen Kapitalbedarf haben, der nur durch eine vermehrte Kapitalbildung der gesamten Bevölkerung befriedigt werden kann. Es ist klar, daß die daraus entstehenden Vermögen einer weitgehenden Kontrolle unterliegen müssen, weil damit Macht verbunden ist.

(Zurufe von der SPD.)

Aber wir halten es nicht für den richtigen Weg, diese Machtkonzentration dadurch noch zu begünstigen, daß die Organe dieser Unternehmungen mit den Vertretern politischer Macht oder von Verbandsmacht gekoppelt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das ist, glaube ich, die entscheidende Frage, in der wir uns einstweilen unterscheiden.
Wir sind nach wie vor der Meinung, daß bei der Lösung des Problems der Machtkonzentration
und der Kontrolle der Macht in der modernen Industriegesellschaft die Mitwirkung der Eigentümer in möglichst breiter Streuung, d. h. in breitester Interessierung der Öffentlichkeit, einfach nicht entbehrt werden kann. Die Mängel des Aktienrechts sind uns völlig klar. Aber es muß eine Antwort darauf gegeben werden. Diese Antwort kann nicht die sein, die Eigentümer weiter auszuschalten und zu entrechten, sondern nur die, den Eigentümern die Hilfestellung der öffentlichen Autorität zu geben, um damit das Management und die Verwaltung in Kontrolle zu halten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Zur Erreichung dieses Zieles soll unser Antrag ein Auftakt sein. Daher bitten wir Sie, den Antrag der CDU/CSU zur Beratung dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik als federführendem Ausschuß zu überweisen, den Antrag der Kollegen Dr. Deist und Genossen aber abzulehnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und rechts.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300808000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Atzenroth.

Dr. Karl Atzenroth (FDP):
Rede ID: ID0300808100
Meine Damen und Herren! Sie werden verstehen, daß wir von dem bisherigen Ablauf der heutigen Beratungen sehr angenehm überrascht sind. Ein Ziel, für das wir seit acht Jahren in diesem Hause kämpfen, scheint sich langsam der Verwirklichung zu nähern. Wir sind seit acht Jahren dafür eingetreten, daß sich die öffentliche Hand aus dem Erwerbsleben heraushält. Wir sind sehr froh, dem vorliegenden Gesetzentwurf entnehmen zu können, daß auch die Abgeordneten Adenauer, Erhard und Blank sich dieser Ansicht wieder angeschlossen haben, nachdem sie es am Schluß des 2. Bundestages schon einmal demonstriert hatten. Wir sind ganz besonders überrascht, gerade aus dem Munde eines unserer neuen Kollegen, Arnold, das hohe Lied des Eigentums und der Freiheit vorgetragen zu bekommen,

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

Dinge, für die wir seit acht Jahren demonstrativ kämpfen, und wir sind sehr begeistert davon, daß wir in Ihnen, Kollege Arnold, nunmehr einen Mitstreiter gefunden haben.

(Beifall bei der FDP.)

Wir hoffen, daß wir damit das Kapitel Ahlen als erledigt betrachten können.

(Zuruf von der SPD: Schon lange!)

Wir sind ebenso, wie es der Kollege Arnold vorgetragen hat, für eine breite soziale Streuung des Eigentums. Wir sind dafür, daß Eigentum für alle geschaffen werden kann, d. h., wie Kollege Arnold es eben gesagt hat, daß alle sich Eigentum erwerben können, und zwar jeder durch Leistung auf seinem Gebiet. Wir sind mit Ihnen auch der Meinung, daß die bisherige Verteilung des Eigentums keineswegs in allen Fällen sozial befriedigend ist und daß wir durch unsere gesetzgeberischen Maßnahmen eine
264 Deutscher Bundestag — J. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, ,den 22. Januar 195e
Dr. Atzenroth
befriedigende Verteilung anstreben müssen. Insofern werden wir alle Maßnahmen und Vorschläge der Regierung und der Regierungsparteien unterstützen.
Bevor ich auf die Privatisierung des Volkswagenwerkes zu sprechen komme, möchte ich mich ein wenig mit Ihren allgemeinen Ausführungen beschäftigen, auf die auch der Kollege Hellwig etwas eingegangen ist. Es ist die Frage zu stellen: Ist dieser Gesetzentwurf wirklich geeignet, auf breitester Basis Eigentum zu schaffen? — So haben Sie es ausgedrückt. Sie schaffen ja hiermit kein Eigentum, sondern Sie wollen die Möglichkeit geben, Eigentum in einer anderen Form als bisher zu erwerben. Sie wenden sich also damit an die Menschen, die bisher aus einem gewissen Einkommen Eigentum erworben und dabei den Weg des Sparens gewählt haben. Sie wollen nun einen Anreiz schaffen, einen Anreiz zur Eigentumsbildung auf dem Wege über die Aktie, und Sie wollen — darin finden Sie unsere volle Unterstützung — die Aktie populärer machen, wie es in Amerika der Fall ist, wo es Gesellschaften gibt, die mehr Aktionäre als Arbeitnehmer haben. Damit sind wir voll und ganz einverstanden.
Aber wir haben das Gefühl, daß dieser Weg, auf dem Sie eine andere Form der Eigentumsbildung zu schaffen versuchen, nicht der geeignete ist. Wir werden gar nicht daran vorbeikommen, die Formen der Vermögensbildung verschieden zu gestalten. Für einen Mann, der 50 Mark zur Verfügung hat, ist die Aktie eben nicht die geeignete Kapitalform. Der Mann muß auf die Form des Sparens verwiesen bleiben, bei der wir ihm noch alle möglichen Variationen zur Verfügung stellen können. Insofern sehen wir es als nicht glücklich an, daß Sie das, was mit dem Begriff „Volksaktie" zusammenhängt, in diesen Gesetzentwurf hineingebracht haben.
Wir sind allerdings mit Ihnen der Meinung, daß es, um zu einer echten Breitenstreuung des Aktienbesitzes zu kommen, dringend notwendig ist, das Aktienrecht sehr bald zu ändern. Ich darf daran erinnern, daß ich schon ungefähr in der Mitte der zweiten Legislaturperiode die Bundesregierung gefragt habe, wann wir endlich wenigstens den ersten Teil eines Entwurfs für eine Änderung des Aktienrechts vorgelegt bekommen. Herr Hellwig hat hier mit großer Beredsamkeit dargelegt, welche Mängel in dieser Frage bestehen, welche Macht das Management hat und wie geringen Einfluß eigentlich noch der Kapitalbesitzer, nämlich der Aktionär, besitzt. Daß wir dieses Verhältnis grundlegend ändern müssen, darüber sind wir uns — das haben wir heute in der Diskussion erfahren — alle einig. Wir sollten mit diesen Arbeiten sehr schnell beginnen.
Ich kann Herrn Kollegen Kurlbaum keineswegs zustimmen, wenn er hier derartige Angriffe gegen die bisherige Gesellschaftsform richtet. Herr Kurlbaum, lesen Sie sich doch einmal die Bilanzen deutscher Aktiengesellschaften durch! Ich habe noch keine Bilanz gelesen, aus der sich nicht ergibt, daß die freiwilligen sozialen Leistungen weitaus höher sind als die ausgeschüttete Dividende. Wie wollen Sie gegen eine solche Sozialordnung Vorwürfe erheben? Der Eigentümer bekommt weniger, als freiwillig — über' die gesetzlichen Leistungen hinaus -an die Arbeitnehmer ausgeschüttet wird, weitaus weniger!

Georg Kurlbaum (SPD):
Rede ID: ID0300808200
Herr Kollege Atzenroth, haben Sie meinen Ausführungen nicht entnommen, daß ich mich zum Problem der Publizität allgemein geäußert habe? Ich habe keineswegs gesagt, daß über freiwillige soziale Leistungen nicht genügend gesprochen wird. Ist Ihnen nicht bekannt, daß es sich bei der Publizität in erster Linie um die Frage handelt: Inwieweit wird der wirkliche Vermögenswert und damit auch der Vermögenszuwachs der Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht, und inwieweit wird über die wirkliche Ertragslage Auskunft gegeben?

(Zustimmung bei der SPD.)


Dr. Karl Atzenroth (FDP):
Rede ID: ID0300808300
Sie haben Angriffe gegen die Sozialordnung in den vergangenen acht Jahren gerichtet, und darauf habe ich Ihnen gesagt, daß ein solcher Vorwurf bei den Aktiengesellschaften nicht berechtigt ist.

(Abg. Kurlbaum: Davon habe ich gar nichts gesagt!)

Was die Publizität anlangt, so sind wir mit Ihnen einig. Ich glaube, Herr Hellwig hat dasselbe gesagt. Wir sind alle dafür, die Publizität in Zukunft sehr zu erweitern. Aber ich muß Sie wieder an das erinnern, was Herr Hellwig eben gesagt hat. Wo ist denn die Publizität am geringsten? Bei den Gesellschaften, die sich in öffentlicher Hand befinden!

(Zuruf von der SPD: Beispiel?)

- Salzgitter! Die Publizität von Salzgitter ist doch wirklich weniger als ausreichend.

(Abg. Kurlbaum: Warum sagen Sie das nicht dem Bundeswirtschaftsminister?)

— Sie haben es eben beanstandet.
Nun noch etwas zu Ihren Ausführungen, Herr Kollege Arnold. Sie haben hier erklärt — ich glaube, bei Ihnen klang auch ein Unterton des Bedauerns mit; ich hoffe es jedenfalls —, daß sich die Zahl der, wie man leider hier immer sagt, „Unselbständigen" immer weiter verringert, und zwar unabänderlich verringert. Wegen dieses „unabänderlich" möchte ich mit Ihnen sprechen. Das sollten wir, denen die Gesetzgebung zusteht, nicht sagen.

(Zuruf des Abg. Arnold.)

— So, dann habe ich Sie falsch verstanden. Aber wir sollten in viel stärkerem Maße den Kampf dagegen aufnehmen, daß dieser Zug sich immer mehr verstärkt, daß die Menschen von der Selbständigkeit zur Unselbständigkeit gebracht werden. Auch da vermisse ich eine Initiative der Regierung. Hier sollte die Regierung dem Parlament positive Vorschläge unterbreiten. Die Aktienrechtsreform ist einer der Punkte. Aber ich könnte mir noch eine ganze Reihe anderer Mittel denken, wie wir dazu gelangen können.
Deutscher Bundestag — 3, Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, .den 22. Januar 1958 265
Dr. Atzenroth
Meine Damen und Herren, ich sehe also, wir sind uns im Ziel weitgehend einig. Wir sollen den Menschen stärken, damit er selbst Eigentum bildet. Das kann ich nun in diesem Gesetzentwurf nur in ganz geringem Maße erkennen. Ich gestehe Ihnen allerdings zu, daß dieser Gesetzentwurf eigentlich auch nicht die richtige Stelle ist, wo wir dieses Ziel erarbeiten sollen. Herr Hellwig, ich freue mich, daß Sie mir zunicken. Aber in Ihrem Gesetzentwurf steht es drin. Wir sollten andere Wege finden, um zu diesem Ziel zu kommen.
Daß wir das, was abgesehen von diesen Fragen in Ihrem Gesetzentwurf steht, billigen, das wissen Sie. Das ist unser altes Ziel, das ist unser altes Anliegen, und die Tatsache, daß Sie es jetzt so eindringlich vertreten, gibt uns nun den Mut, unseren Gesetzentwurf, den wir vorläufig noch zurückgehalten haben und der die generelle Frage der Beteiligung der öffentlichen Hand regeln soll, wieder einzubringen. Das werden wir in allernächster Zeit tun.
Herr Hellwig hat sich mit der Frage auseinandergesetzt: Soll sich die öffentliche Hand im Erwerbsleben betätigen oder nicht? Er hat auf die Mängel hingewiesen. Ich weiß nicht, Herr Hellwig, ob Ihnen da nicht ein kleiner Lapsus unterlaufen ist, wenn Sie sagten, daß das ERP-Vermögen 1 Milliarde einbringe.

(Abg. Dr. Hellwig: Pro Jahr an Rückflüssen, an Zinsen und Tilgung!)

— Also, meine Damen und Herren, meine Kollegen haben mich darauf aufmerksam gemacht. Dann haben doch viele Sie mißverstanden. Herr Hellwig hat gesagt, das ERP-Vermögen in der Höhe von etwa 7 Milliarden DM bringt jährlich i Milliarde DM, etwas mehr sogar, an Zinsen und Rückflüssen ein, also nicht nur an Zinsen. Das ist natürlich etwas anderes. Rückflüsse können wir aber vom gewerblichen Bundesvermögen nicht erwarten. Infolgedessen hätte man nur die Zinsen vergleichen sollen. Aber auch da haben Sie völlig recht. Wenn man das Aufkommen an Zinsen aus dem ERP-Vermögen vergleicht mit den Erträgen, die die öffentliche Hand aus dem Bundesvermögen erzielt hat, stellt man fest, daß das ein allzu krasser Mißstand, eigentlich das drastischste Beispiel dafür ist, daß die öffentliche Hand sich nicht im Erwerbsleben betätigen sollte.
Was nun das Volkswagenwerk angeht, so sind wir der Meinung, daß die Eigentumsverhältnisse auf dem Verhandlungswege tatsächlich fair geklärt werden sollten. Ich müßte mich aber dagegen wenden, wenn das Land Niedersachsen sich auf den reinen Rechtsstandpunkt stellte. Den Ausführungen, die Herr Hellwig dazu gemacht hat, stimme ich voll und ganz zu.
Ich möchte hier noch eine weitere Voraussetzung für die Regelung dieses Komplexes anregen, nämlich daß sich die Bundesregierung frühzeitig, vielleicht noch vor der Verabschiedung dieses Gesetzes, zu einem fairen Vergleich mit den Volkswagensparern bereit findet.

(Beifall.)

Diese Frage muß doch einmal — denn das ist eine sc'-wärende Wunde — gelöst werden. Wenn wir das ganze Problem an manchen Stellen doch durchhauen müssen, dann können wir auch diese Frage vielleicht mal etwas großzügiger behandeln, als es nach dem reinen Rechtsstandpunkt möglich wäre.
Ich hatte schon Einwendungen gegen die 50-
Mark-Aktien erhoben, die ja wohl auch Herr Kollege Arnold als nicht zweckmäßig bezeichnet hat. Zu der Frage der Namensaktien darf ich Ihnen einen Hinweis geben: Wenn wir nur 200 Millionen Kapital ansetzen würden — Herr Hellwig, Sie sagen: 1 Milliarde, ich stimme Ihnen zu, ich bin absolut Ihrer Meinung —, dann wäre ein Viertel der Aktien, die in 50-Mark-Aktien als Namensaktien ausgegeben werden sollen, schon 1 Million Aktien. Dann müßte die Verwaltung des Volkswagenwerkes um ein neues Verwaltungsgebäude bereichert werden, denn dann wären ja nicht nur für diese 1 Million kleiner Namensaktien jeweils die Zinsen zu errechnen und die Einladungen zu den Hauptversammlungen usw. auszustellen, sondern dann müßte nach diesem Gesetzentwurf auch jeder Eigentumsübergang noch einmal über diese Stelle gehen.

(Abg. Dr. Hellwig: Jetzt wildern Sie bei Herrn Stegner!)

— Ich habe keine Verbindung mit Herrn Stegner.
— Also das wäre ein Einwand, der allerdings schon zu den kleineren sachlichen Problemen gehört, die wir bei der Beratung des Gesetzentwurfs zu klären haben. Es ist auch zu fragen, ob wir uns bei der Feststellung des Anlagevermögens nur auf das Gutachten einer im Besitz des Bundes befindlichen Treuhandgesellschaft stützen sollen oder ob wir nicht eine weitere Hilfe in Anspruch nehmen müssen, um zu einer besseren und gerechteren Klärung zu kommen.
Ich habe noch die Aufgabe, mich mit dem Entwurf zu befassen, den einige sozialdemokratische Abgeordnete in letzter Minute eingebracht haben. Es kann keinem Zweifel unterliegen — auch Herr Hellwig hat das festgestellt —, daß das ein kleiner Störungsentwurf ist, der die Weiterbehandlung des CDU-Entwurfs konterkarieren soll. Dagegen wenden auch wir uns mit aller Entschiedenheit. Ich stimme den Ausführungen, die Herr Hellwig zur Frage der Stiftung gemacht hat, in den meisten Punkten zu.
In einer Hinsicht möchte ich sie noch ergänzen. Von sozialdemokratischer Seite wird immer wieder darauf hingewiesen, Zeiß - Jena sei ein gutes Beispiel dafür, wie eine Stiftung wirtschaftlich funktionieren könne. Wir müssen dem entgegenhalten, daß die Stiftung Zeiß - Jena aus Privatvermögen auf freiwilliger Basis zustande gekommen ist. Hier soll aber über öffentliches Vermögen entschieden werden, über Vermögen, das uns allen gehört. Das muß zuerst privatisiert werden. Wenn dann eines Tages von demjenigen, dem dieses in privates Eigentum übergeführte Vermögen gehört, etwa der Wunsch geäußert wird, es in eine Stiftung zu überführen — warum denn nicht? —, dann ist das dessen gutes Recht. Hier soll zunächst einmal der Bund, der

Dr. Atzenroth
deutsche Steuerzahler, das Vermögen zurückerhalten, das er in einer ungeeigneten Form zur Zeit im Volkswagenwerk liegen hat.
In aller Deutlichkeit muß in der Öfffentlichkeit herausgestellt werden, daß die Form der Stiftung hier mit dem etwas an das Gefühl gehenden Gedanken der Förderung der Wissenschaften verknüpft ist. Wir wollen für die Förderung der Wissenschaften nicht weniger tun als Sie. Aber diese Form halten wir für falsch. Wenn Sie es wollen und wenn die Mehrheit des Hauses dazu bereit ist, dann können wir uns darüber unterhalten, ob der Sonderfonds, der in diesem Gesetzentwurf vorgesehen ist, nicht eine andere Form bekommen soll, ob er etwa zur Förderung der Wissenschaften verwendet werden soll. Wir sind jederzeit bereit, uns darüber zu unterhalten. Wir lehnen aber die Form der Stiftung, die praktisch nur die jetzige Form der Vergesellschaftung in einen anderen äußeren Rahmen kleiden will, unter allen Umständen ab.
Ich möchte zusammenfassen: Wir werden alles tun, um dem Grundgedanken, der in dem zur Beratung stehenden Gesetzentwurf liegt, so schnell wie möglich zur vollen Wirkung zu verhelfen. Wir müssen den Antrag, das Volkswagenwerk in eine Stiftung zu bringen, ablehnen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU/CSU.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300808400
Das Wort hat der Abgeordnete Elbrächter.

Dr. Alexander Elbrächter (CDU):
Rede ID: ID0300808500
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Mit einer gewissen Befriedigung darf ich feststellen, daß ich nunmehr zum drittenmal zur gleichen Sache sprechen muß. Es wäre natürlich besser gewesen, wir hätten Ende der vorigen Legislaturperiode dieses Werk noch vollenden können. Aber es sieht jeder ein, daß die Zeit dazu nicht ausreichte, und das ist vielleicht gut; inzwischen ist nämlich in der öffentlichen Diskussion noch auf verschiedene sachliche Mängel hingewiesen worden, die in der Tat beachtet werden sollten.
Mit einem Gefühl der Befriedigung stelle ich weiter fest, daß die CDU/CSU-Fraktion unmittelbar nach dem Zusammentritt des 3. Bundestages den Entwurf wieder eingebracht hat. Damit sind alle Anwürfe, dieses Anliegen sei Wahlpropaganda, hinfällig. Hier ist vielmehr, wie Kollege Arnold zu Recht und mit Nachdruck hervorgehoben hat, eines der ernstesten Anliegen zu verwirklichen, ein Anliegen, das wirklich in die Fragen der Sozialreform hineinreicht; denn es soll dem Bürger im Staat eine andere Stellung gegeben werden als die, die er zur Zeit hat und die uns allen Unbehagen bereitet.
Ich darf das mit um so größerer Befriedigung feststellen, als sich meine Fraktion nach wie vor zu diesem Grundanliegen bekennt. Wenn meine Fraktion diesmal nicht mit unterschrieben hat — ich spreche das ganz freimütig aus —, so geschah es eigentlich mehr aus technischen Gründen; sie beziehen sich auf die §§ 4 und 5, auch auf § 10 und zum Teil auf § 12. In meinen Augen handelt es sich dabei aber nur um Schönheitsfehler. Deswegen habe ich persönlich den Entwurf der CDU auch diesmal mit unterschrieben; denn es schien mir wichtig, das große politische Anliegen zu unterstützen.
Ich freue mich, auch im Namen meiner Freunde in folgendem Punkte volle Übereinstimmung -
wie sollte es auch anders sein! — feststellen zu können. Nachdem Kollege Arnold eindeutige Ausführungen zur Frage des Privateigentums gemacht hat, kann ich mit Befriedigung feststellen, daß zumindest in diesem Punkt zwischen der DP und der CDU, also zwischen den Koalitionspartnern, keine Unterschiede mehr bestehen. Als ich vor etwa anderthalb Jahren den Antrag Drucksache 2614 einbrachte, konnte ich mich nur an einen Teil meiner CDU-Kollegen in der Hoffnung wenden, Unterstützung für das Anliegen zu bekommen.
Ich freue mich also, wie gesagt, daß sich jetzt die gesamte Fraktion zu diesem Gedanken bekennt, und ich darf diese Betrachtung — vielleicht etwas scherzhaft — mit dem Bemerken abschließen, daß nicht nur der Weg nach Tipperary, wie es in einem englischen Volkslied heißt, sehr weit ist, sondern auch der Weg von Ahlen nach Wolfsburg sehr weit zu sein scheint. Es kommt mir aber nicht auf die Melodie, sondern darauf an, daß wir im gleichen Schritt marschieren und daß wir den Weg zu Ende gehen, und zwar möglichst bald; das ist das Wesentliche.
Ich darf noch einmal ganz kurz darauf hinweisen, daß dieser Gesetzentwurf drei Grundanliegen zu verwirklichen sucht; das erste ist die Privatisierung, das zweite die Eigentumsordnung, das dritte die Förderung der Wissenschaften, ein Problem, das sicherlich gleichrangig ist, wenn es auch auf einer anderen Ebene liegt.
Was die Privatisierung anlangt, so kann ich mich kurz fassen. Der Standpunkt meiner Freunde ist bekannt. Ich habe ihn mehrmals vortragen dürfen, nicht nur aus Anlaß der Behandlung dieses Gesetzentwurfs. Wir wollen nicht, daß der Staat seine Schiedsrichterrolle aufgibt. Er braucht deswegen kein „Nachtwächter" zu sein. Er soll echter Schiedsrichter bleiben und in diesem Spiel nicht mitspielen. Das tut er aber, wenn er gewerbliches Vermögen von solcher Höhe hat.
Ich darf noch darauf hinweisen, daß auch für die Freiheit des Bürgers eine Gefahr aus dem großen Besitz des Bundes erwächst. Leider besteht in unserer Zeit ein großer Zug zur wirtschaftlichen Konzentration. Das erfüllt alle Kollegen dieses Hauses, auf welcher Seite es auch sei, mit Sorge. Zweifellos käme es auch hier zu einer Konzentration, wenn der Staat seine gewerblichen Beteiligungen behielte und ausbaute. Das würde für einen großen Teil unserer Bürger eine wirtschaftliche Abhängigkeit von Unternehmen des Staates bedeuten. Wir wollen nicht verschweigen, daß trotz Bemühens des Parlaments das Gewicht des „Apparats" gegenüber dem einzelnen manchmal noch recht groß ist. Es ist unsere Aufgabe, das zu verhindern; daß wir uns darum mühen, verleiht uns unsere Würde. Ich warne also davor, daß zu dieser
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, ,den 22. Januar 1958 267
Dr. Elbrächter
Beeinflussung durch den „Apparat", die sich durch die Verteilung der Gewichte zwischen Staat und Bürger ergibt, unter Umständen wirtschaftliche Einflüsse hinzukommen. Gerade dieser Gesichtspunkt bewegt meine Freunde und mich, die Privatisierung mit allem Nachdruck voranzutreiben.
Ich will noch auf eine Kritik eingehen, die aus Anlaß eines besonderen Falles in jüngster Zeit den Anhängern der Privatisierung vorgehalten worden ist: die Frage der Henschelwerke. Ich glaube, die Gegner der Privatisierung irren sich, wenn sie meinen, aus diesem Fall Argumente ziehen zu können. Hier liegt eindeutig ein unternehmerisches Versagen vor. Der betreffende Unternehmer, der Eigentümer ist mit der höchsten Strafe bestraft worden, die es in einem Markt gibt, nämlich mit dem Verlust des Eigentums. Wenn der Staat in solchen Fällen Unterstützungsaktionen einleitet, tut er das nicht des Eigentümers wegen, sondern praktisch wegen der großen Zahl von Arbeitnehmern und vor allen Dingen wegen der vielen Zulieferanten und mittelständischen Betriebe, die an einem solchen Großbetrieb hängen. Dieser Fall stellt also, glaube ich, kein Argument gegen das Bestreben der Privatisierung dar.
Zur Frage des Eigentums kann ich mich nach den Ausführungen des Kollegen Arnold ganz kurz fassen. Ich freue mich, wie ich schon einleitend feststellte, sagen zu dürfen, daß hier keinerlei Unterschiede mehr sind. Die Rolle des Eigentums für den Bürger kann gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Eine Gesellschaft, ein demokratischer Staat wird nach unserer Überzeugung erst dann richtig funktionieren, wenn der Bürger nicht nur die politisch garantierte Freiheit, sondern auch die wirtschaftliche Selbständigkeit und damit die wirtschaftliche Sicherheit hat. Auf die erzieherische Rolle des Eigentums brauche ich nur in einem Satz hinzuweisen. Ein Bürger, der Eigentum zu bewahren hat, verhält sich anders gegenüber Experimenten — ich darf dieses nach den Wahlen vielleicht etwas anrüchige Wort hier ruhig erwähnen —; er ist gegen politische Versuchungen und Verlockungen — jetzt denke ich an die Zeit vor 25 Jahren — anders gewappnet als ein Bürger, der nichts hinter sich hat.
Nun darf ich noch auf einige Einwände eingehen, die gegen den Plan der Volksaktie vorgebracht werden. Ich wundere mich eigentlich, daß gegen diesen Plan soviel Einwände gemacht werden. Es wird immer betont, es sei etwas Neues. In meinen Augen ist es gar nichts Neues. Die Idee der Volksaktie, der Kleinaktie, wie ich lieber sagen möchte, hat sich in den USA, wie Herr Kollege Hellwig ausgeführt hat, gut bewährt. Ich darf an das österreichische Beispiel erinnern, obwohl mir dieses wegen der aktienrechtlichen Minderstellung nicht vorbildlich erscheint. Man hat dort Aktien zweierlei Rechts geschaffen. Das möchte ich persönlich nicht. Aber auch in Deutschland liegen Erfahrungen vor. Gerade vor zwei Tagen habe ich in dem Bericht der Firma Bayer (Leverkusen) lesen können, daß 20 % der Angestellten und Arbeitnehmer Inhaber von Aktien sind. Es handelt sich also nicht um etwas Neues. Das Instrument ist nur leider in der Vergangenheit in Deutschland aus Animosität wenig gehandhabt worden, worauf Kollege Hellwig schon hingewiesen hat.
Das einzige, was mir in diesem Zusammenhang neu erscheint und was vielleicht typisch für Deutschland ist, ist das Getöse und das Gezänk, das urn dieses Problem gemacht wird und das völlig unnötig ist. Ich glaube nicht, daß die Gegner der Volksaktie recht haben, wenn sie sagen, für Deutschland sei das Sparen das gegebene Instrument, Eigentum zu bilden. Man kann sich nach meiner Auffassung auch nicht darauf berufen, daß Aktien erst für Inhaber von Sparkonten in Höhe von 10 000 DM interessant seien. Keineswegs! Die Erfahrungen in den USA lehren etwas ganz anderes. Natürlich wollen wir nun keineswegs die üblichen, klassischen Formen der Eigentumsbildung — Hausbesitz, Sachwertsparen, auch Kontensparen — durch diese neue Form irgendwie diskriminieren oder gar ausschalten. Volkswirtschaftlich besteht aber ein Unterschied zwischen dem Kontensparen und der Anlage des Geldes in Aktien oder sonstigen Wertpapieren. Wenn ich Geld zur Sparkasse bringe, bleibt es immer Geldkapital und ist jederzeit reversibel, kann also wieder in den Konsum zurückfließen. Wenn ich Aktien anschaffe, so schaffe ich irreversibles Sachkapital. Gerade heute, wo wir uns so sehr bemühen, den Kapitalmarkt wieder in Ordnung zu bringen, sollten wir auf diesen Punkt größten Wert legen. Selbstverständlich habe ich keine Illusionen; ich weiß, daß der Summe nach durch diese neue Form zunächst relativ geringe Mittel zusammenkommen werden. Aber was heute ein kleines Bächlein ist, wird nach meiner Überzeugung einmal ein großer Strom. Wie Kollege Atzenroth und auch Kollege Hellwig mit Recht gesagt haben, gibt es in den USA Unternehmen, die mehr Aktionäre — Kleinaktionäre — haben als überhaupt Arbeitnehmer. Das ist nach unserer Auffassung der richtige Weg der Eigentumsbildung.
Ich möchte mich nicht in den Streit einlassen, den Kollege Atzenroth darüber angerührt hat, ob mit diesem Entwurf wirklich Eigentum geschaffen wird oder nicht. Vielleicht ist es nur eine Umverteilung, Kollege Atzenroth; Sie haben recht. Aber der Weg, den wir hier beschreiten, führt sicherlich in Zukunft zu einer neuen Eigentumsbildung, zur Beteiligung neuer Schichten am Eigentum. Das Anliegen kann in einer Industriegesellschaft — ich muß wiederholen, was Kollege Arnold gesagt hat —, in der mehr als 80 % unselbständige Arbeitnehmer sind, doch nur so erfüllt werden. Es gibt keinen anderen Weg als den, sie über die Aktie an den Sachwerten, an den Produktionsgütern zu beteiligen. Ich wundere mich, daß gerade die Gewerkschaften dagegen Sturm laufen. Zugegeben, dieser Weg entspricht nicht den Vorstellungen, die vor hundert Jahren von Karl Marx und seinen Anhängern entwickelt worden sind. Aber wir sollten uns doch nicht in alte Vorstellungen festbeißen, sondern den erprobten Weg gehen, der in anderen Volkswirtschaften zu guten Erfolgen geführt hat.



Dr. Elbrächter
Ich würde es daher begrüßen, wenn es, trotz der heute sichtbar gewordenen Spannungen, im Ausschuß zu einer vernünftigen, sachlichen Verständigung käme.
Die Einwände, die weiter gemacht worden sind, sind zum Teil natürlich berechtigt. Hierher gehört selbstverständlich auch die hier noch nicht erwähnte Doppelbesteuerung der Aktie. Auch das muß geändert und beseitigt werden.
Über die Stellung des Aktionärs haben Herr Atzenroth und Herr Hellwig mit Recht ausgeführt, daß die alte Stellung des Aktionärs, wie sie vor 1935 bestanden hat, wiederhergestellt, ja noch gefestigt werden muß. Der Aktionär muß Sicherheit vor unerwünschten Konzentrationen haben. Wir sind uns einig — auch meine Freunde sind der Meinung -, es wäre wünschenswert, daß mehr Publizität waltete, als das zur Zeit der Fall ist. Ich verstehe eigentlich gar nicht, warum der deutsche Unternehmer so ängstlich ist. Er hat doch gute Leistungen aufzuweisen. Aber in Deutschland leidet die unternehmerische Leistung in der Beurteilung ja in der Tat durch den Neidkomplex, den wir leider zum großen Teil in Deutschland immer wieder feststellen müssen. Der Gewinn ist nun einmal notwendig; Herr Kollege Atzenroth hat das richtig betont. Zum mindesten darf ich es negativ sagen: kein Unternehmen kann es sich leisten, mit roten Zahlen zu arbeiten.
Ich darf auf einige weitere Einwände eingehen. Es wird gesagt, die Dividende würde nicht zu einer Einkommensvermehrung führen. Das ist in gewissem Umfange richtig; der Betrag spielt keine Rolle. Aber nicht die Einkommensvermehrung ist, glaube ich, der entscheidende Anreiz, sondern der Anreiz nach Besitz — ein ganz ursprüngliches Anliegen des Menschen — wird ausschlaggebend dafür sein, ob der Mensch Aktien anschaffen wird oder nicht.
Nun zu zwei Problemen, die hier auch schon angesprochen worden sind. Das betrifft die Volkswarensparer. Ich darf Ihnen mitteilen, daß meine Fraktion die Bundesregierung gestern hat bitten lassen — das Schreiben ist noch unterwegs —, diese Frage durch einen Vergleich möglichst schnell zu bereinigen. Es ist selbstverständlich, daß das vorweggehen muß. Ich persönlich meine, daß da eine gewisse Großzügigkeit am Platze ist, damit wir von diesem Problem wegkommen. Ich darf aber meine Mahnung an die Volkswagensparer wiederholen, daß sie hinsichtlich der Höhe keine utopischen Vorstellungen haben dürfen. Auch dort muß man zu einem billigen Vergleich kommen — „billig'' nicht in des Wortes kostenmäßiger Bedeutung, sondern im Sinne von „recht und billig".
Nun zum Land Niedersachsen. Wir haben alle die Erklärung des Herrn Ministerpräsidenten Hellwege zu diesem Punkt gehört. Ich darf mit besonderer Befriedigung feststellen, daß sich mir hier ein Ausweg aus diesem leidigen Streit zu eröffnen scheint. Gerade wenn wir in § 12 — und deswegen erwähne ich dieses Problem noch einmal — zu dem Verwendungszweck kommen, der in dem Antrag
Drucksache 2614 ursprünglich vorgeschlagen war, nämlich ausschließlich zur Förderung der Wissenschaft — nicht nur des technischen Nachwuchses; ich möchte das viel breiter haben —, so ergibt sich sicherlich eine Lösung zwischen Bund und Niedersachsen, die sowohl dem Anliegen von Bund und Niedersachsen als auch diesem zentralen Anliegen einer Förderung der Wissenschaft gerecht wird.
Ich darf als ehemaliger Angehöriger der GeorgiaAugusta zu Göttingen feststellen, daß Niedersachsen eine Reihe von vorzüglichen Hochschulinstituten hat. Die Georgia-Augusta hatte vor einem Vierteljahrhundert geradezu Weltruf. Ich hoffe, daß das so bleiben wird. Die Technischen Hochschulen in Braunschweig und in Hannover sind führende Institute. Die Tierärztliche Hochschule in Hannover ist ebenfalls führend. Auch die Bergakademie in Clausthal-Zellerfeld darf ich nicht vergessen. Gerade die Lage dieser Hochschulinstitute im Zonenrandgebiet berechtigt sie dazu, einen besonderen Anteil aus dem Erlös zu erhalten, und ich glaube, wenn wir uns darüber verständigen, dann kann dieser Rechtsstreit, zu dem ich jetzt absichtlich nicht Stellung nehme, gelöst werden. Ich hoffe, daß die Erklärung des Herrn Ministerpräsidenten Hellwege in diesem Sinne zu verstehen war.
Nun will ich ganz kurz zu dem Stiftungsvorschlag der einzelnen SPD-Kollegen Stellung nehmen. Ich kann mich da den Ausführungen von Herrn Kollegen Hellwig anschließen. Ein Stiftung wäre doch weiter nichts als eine Verlagerung von kollektivem Eigentum vom Staat zu einem anderen kollektiven Unternehmer. Das mag sehr ideal klingen. Aber es muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden, daß Stiftungen in den USA einen ganz anderen Sinn hatten als etwa den, den Gewinn nicht zu hoch werden zu lassen, wie das hier bei der Begründung von Herrn Kurlbaum angeklungen ist, auch nicht allein den, die Wissenschaft zu fördern, sondern einfach Erbschaftssteuer zu sparen. Die Stiftenden haben sich dann meist einen Prozentsatz Aktien vorbehalten, die allein stimmberechtigt waren. So sieht es bei der Ford-Stiftung aus. Ich betone das in aller Deutlichkeit, weil gerade in verschiedenen Aufsätzen, in „Christ und Welt" z. B. — da ist uns allen dieser Tage ein Sonderdruck zugegangen —, aber auch in den Vorschlägen des Vereins Deutscher Ingenieure auf diesen Punkt hingewiesen wird. Das trifft nicht ganz den Kern der Sache. Meine Freunde lehnen den Vorschlag, eine Stiftung zu errichten, nachdrücklich ab, weil er im Grunde genommen keine Lösung unseres Problems bringt, bei dem es um die Privatisierung und um die Eigentumsfrage geht. Die Förderung der Wissenschaft kann sicherlich durch eine Stiftung des öffentlichen Rechts, die ja unsere Drucksache 2614 auch schon vorgesehen hat, besser gelöst werden, weil dorthin nicht nur die Erlöse aus dem Volkswagenwerk, sondern praktisch die Erlöse aus allen späteren Privatisierungsvorgängen fließen können. Ich glaube, daß so ein sehr viel umfangreicheres Stiftungsvermögen sich entwickeln wird, als das bei einer begrenzten Volkswagenstiftung möglich wäre. Meine Freunde



Dr. Elbrächter
und ich müssen diesen Entwurf also jetzt schon ablehnen, ohne daß es einer Ausschußberatung bedarf..
Wenn es den SPD-Kollegen mit einer Förderung der Wissenschaft ernst gewesen wäre — so darf ich abschließend sagen —, dann hätte ein einfaches Ersuchen an die Bundesregierung genügt, in Zukunft die Gewinne des Volkswagenwerks für diesen Zweck einzusetzen. Dazu brauchen wir nicht diesen umfangreichen Entwurf mit allen seinen Vorschriften, die aber im Grunde genommen erkennen lassen, was dahintersteckt. Im Grunde genommen ist es doch der Versuch, die Mitbestimmung auf dem Wege über eine Nationalstiftung beim Volkswagenwerk einzuführen. Das lehnen wir mit Nachdruck ab.

(Beifall rechts und in der Mitte.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0300808600
Das Wort hat der Abgeordnete Deist.

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300808700
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Der Abgeordnete Arnold hat sich bemüht, zur Begründung des Gesetzentwurfs in großen Worten die gesellschaftspolitische Zielsetzung, die gesellschaftspolitische Aufgabe dieses Gesetzentwurfs darzulegen. Er hat ein sehr anschauliches Bild von dem Weg Deutschlands von der Agrarstruktur zur heutigen Industriestruktur gegeben. Er hat aber wenig gesagt über das, was das kennzeichnende Element der modernen Wirtschaft ist, nämlich die Tatsache, daß sich in der modernen Industriegesellschaft allmählich Großunternehmungen und Großeigentum entwickeln und damit die Struktur unserer Wirtschaft entscheidend bestimmen.
Die Tatsache, daß wir heute Großunternehmungen haben, bedeutet nicht nur, daß wir neben einigen kleineren auch einige größere Unternehmungen haben, sondern sie bewirkt, daß die Wirtschaft in den Bereichen, in denen wir Großunternehmungen haben, völlig anders aussieht als in jenen Bereichen, wo wir kleinere und mittlere Unternehmungen haben. Das ist ein Tatbestand, der denen, die sich mit der modernen Gesellschaftsentwicklung befassen, eigentlich bekannt sein sollte. Im Gegensatz zu den kleineren und mittleren Unternehmungen werden die Großunternehmungen dadurch gekennzeichnet, daß sie eine umfangreiche Apparatur, sowohl eine technische wie eine menschliche, benötigen, die man normalerweise als Bürokratie zu bezeichnen pflegt, und daß die Funktionen, die Teilbereiche des Unternehmens so fein gegliedert und durch Unter- und Überordnung so geregelt sind, daß sie durch Organisation wieder zusammengefaßt werden. Diese modernen Unternehmungen erhalten so eine hierarchische Struktur, sie sind Herrschaftsinstrumente in der Hand der wenigen, die an der Spitze stehen, die Herrschaft und Macht ausüben sowohl über Zehntausende von Arbeitnehmern, die in diesen Betrieben arbeiten, wie auch Einfluß auf den gesamten Wirtschaftsablauf.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Das ist das wesentliche Element der modernen Wirtschaft, eine Konzentrationstendenz, die Wirtschaft und Gesellschaft von Grund auf verändert. Wir stellen aber nicht nur eine Konzentration großer wirtschaftlicher Vermögen in Großunternehmungen fest, sondern auch eine Konzentration des Eigentums an den Unternehmungen — wenn Sie so wollen —, also des Aktienkapitals, auf eine verhältnismäßig kleine Schicht der Bevölkerung.
Vor kurzem wurden die Ergebnisse einer interessanten Untersuchung des Deutschen Industrieinstituts für Wirtschaftsforschung in Berlin veröffentlicht, die über die Einkommensbildung der Selbständigen wie auch der Unternehmungen Aufklärung geben. Da ist nämlich festgestellt worden, daß die Hälfte des gesamten Selbständigeneinkommens im Jahre 1950 auf 7,7 % der Selbständigen und der Unternehmungen konzentriert war. Im Jahre 1956 waren es aber nur noch 3 %.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

So stark ist die Konzentration dieser sich ansammelnden wirtschaftlichen Vermögen in der modernen Wirtschaft. Und jetzt erzählen Sie bitte nichts davon, das werde ja durch die breite Streuung des Aktienkapitals wieder korrigiert. Nun gebe es eine große Zahl von Eigentümern, die an diesem wirtschaftlichen Vermögen beteiligt sind.

(Abg. Dr.-Ing. E. h. Arnold: Das habe ich gar nicht gesagt!)

Es ist ein Jammer, daß wir in Deutschland über die Verteilung der Aktien, über die Größe der Aktienpakete und die Bedeutung der Aktie für die Vermögensbildung nicht das mindeste statistische Material haben.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Aber es ist z. B. aus den Vereinigten Staaten bekannt, daß es dort etwa 10 Millionen Aktionäre gibt — die Zahlen variieren etwas; ich glaube, diese ist die höchste, die bisher genannt wurde —, und das macht bei einer Bevölkerung von 160 Millionen immerhin 60/o aus, scheint mir also nicht eine überwältigende Beteiligung zu sein.

(Abg. Dr. Hellwig: Sie müssen nach Haushaltungen rechnen!)

— Selbst wenn Sie nach Haushaltungen rechnen, bleibt es eine kleine Minderheit.
Aber viel interessanter ist folgendes. Auch innerhalb des Kreises der Aktionäre konzentriert sich das Aktienkapital auf verhältnismäßig wenige große Aktionäre. Aus der amerikanischen Statistik kann man nämlich feststellen, daß 50 bis 60% der Kapitalgewinne an nur 5 % der Aktionäre, nämlich einige Großaktionäre, gehen und daß deren Vermögen im wesentlichen aus Aktienkapital besteht. Das heißt: ein ganz, ganz geringer Bruchteil der Bevölkerung verfügt über 50 % der Aktien. Meine Damen und Herren, das ist ein Tätbestand, den Sie zur Kenntnis nehmen sollten, wenn Sie davon reden, daß Sie über die Streuung von Aktien den Anfang für eine breite Streuung von Eigentum machen wollen.



Dr. Deist
Wenn Sie breite Streuung von Eigentum wollen, dann werden Sie, nehme ich an, auch an die 70 % der Erwerbstätigen denken, die bei uns in Deutschland Arbeitnehmer sind. Einer der Redner sprach sogar davon, daß es wichtig sei, dem minderbemittelten Staatsbürger echte Möglichkeiten der Eigentumsbildung zu geben. Nun, meine Damen und Herren, bei uns in Deutschland sind einige Versuche mit Kleinaktien gemacht worden. Solche Kleinaktien haben die chemische Fabrik Bayer, die Nachfolgegesellschaft der IG Farben, die Demag und Mannesmann ausgegeben. Sie haben einen sehr attraktiven Ausgabekurs gewählt. Sie haben sie nämlich zu etwa 60 % des Ausgabekurses abgegeben. Der einzelne Aktienerwerber hatte also große Gewinnchancen. Und was ist geschehen? Im Schnitt haben bei diesen Unternehmungen nur etwa 10 bis 15 % der Gesamtbelegschaft Aktien erworben.

(Abg. Dr. Hellwig: Das ist ein Anfang!)

Das waren überwiegend Angestellte; bei den Arbeitern waren es wesentlich weniger als 10 %. Die übrigen 90 % schlugen die Chance, eventuell 150 DM Vermögen — wie sagte doch der Herr Bundesfinanzminister — nachher versilbern zu können, zugunsten der Sicherheit, im Augenblick 100 DM Bargeld zu haben, aus.

(Abg. Dr. Hellwig meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Ich verweigere gewöhnlich keine Zwischenfrage; aber ich möchte jetzt, gleich am Anfang, diesen Gedanken erst zu Ende führen. — Das hat doch seine Gründe. Wir haben von dem Berliner Institut nähere Unterlagen über die Zusammensetzung der Einkommen der Unselbständigen; und diese Unselbständigen sind diejenigen, die man braucht, wenn man Eigentum auf breiter Front bilden will. Da wurde festgestellt, daß im Jahre 1956 bei 50 % der Arbeitnehmer die Nettoeinkommen unter 300 DM im Monat lagen. Sie liegen heute etwas höher, das konzediere ich Ihnen ohne weiteres. Bei den Männern waren es 40 %. 35 % dieser Nettoeinkommen der Arbeitnehmer lagen zwischen 300 und 500 DM pro Monat.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, hiernach ist ganz klar, daß mehr als die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung mit seinem monatlichen Einkommen auch nach den Lohnerhöhungen der letzten zwei Jahre jedenfalls unter 600 DM liegt. Das ist die Gruppe, bei denen Sie Eigentum bilden wollen. Was kann man unter diesen Umständen tun, damit in Deutschland in breiten Schichten Eigentum gebildet wird, wenn man es mit dieser Forderung wirklich ernst meint?
Es liegt doch auf der Hand, daß jemand, der 500 bis 600 DM Einkommen hat, nicht daran denkt — ich werde das gleich begründen —, Aktien zu erwerben. Was macht er? Er geht zunächst zur Sparkasse und spart dort. Er spart, weil er demnächst eine Reise machen oder weil er sich ein Auto anschaffen will. Das sind Ihre berühmten Ringe, Herr Hellwig. Wenn man Ringe ansetzt, fängt man nämlich mit dem inneren Ring an, innen, und nicht außen bei der Aktie, die man vielleicht später einmal erwerben kann.

(Abg. Dr. Hellwig: Das habe ich ja genauso geschildert!)

Diesen Menschen wollen Sie aber zumuten, eine Aktie zu kaufen.
Eines ist natürlich richtig — und leider ist das auch ein Ergebnis der Währungsreformen, die bei uns in Deutschland zweimal in so unerhört unsozialer Weise durchgeführt worden sind -:

(Beifall bei der SPD)

daß eine Aktie auf lange Sicht — im Gegensatz zu Geldvermögenswerten—ihren Vermögenswert nicht nur behält, sondern sogar steigert. Aber wir wissen, daß eine Aktie kurzfristig sehr große Wertschwankungen durchmachen kann. Die 1000-Mark-Aktie von Bayer, ein gutes Papier, hatte im Jahre 1955 einen Höchstkurswert von 2665 Mark, und im Laufe des Jahres 1957 einen niedrigsten Kurswert von 1685 Mark; das ist also ein Verlust von 1000 Mark. Welchem Arbeitnehmer wollen Sie wirklich mit ehrlichem Gewissen raten, unter diesen Umständen seine Ersparnisse in Aktien anzulegen?

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Hellwig: Also soll der Arbeitnehmer nie Aktionär werden?)

Es ist gar kein Zweifel: Wer Aktien erwerben will, der muß warten können, damit er die Aktie verkaufen kann, wenn sie einen hohen Stand und nicht einen niedrigen Stand hat. Warten aber kann im Ernstfall nur derjenige, der vorher in der Lage war, sich Rücklagen für Notfälle und dergleichen mehr in Höhe von mehreren tausend Mark auf der Sparkasse anzulegen.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Diesen Weg können Sie nicht mit der Aktie beginnen. Als nächste Etappe zur Eigentumsbildung für den Arbeitnehmer kommen die Bausparkassen und die Lebensversicherungen in Frage. Dann kommen vielleicht festverzinsliche Papiere wie Kommunalanleihen, dann Investmentpapiere, aber immer noch nicht die Aktie. Das kann niemand, und Sie können es dem Arbeitnehmer mit gutem Gewissen nicht empfehlen. Wer dem Arbeitnehmer unter diesen Umständen rät und vielleicht sogar durch öffentliche Hilfe anreizt, Aktien zu kaufen, ruft in ihm gefährliche Illusionen hervor, soweit er nichts Schlimmeres begeht.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Hellwig: Eine Sünde wider den Geist Ihrer Wirtschaftsverfassung!)

Herr Kollege Arnold hat hier davon gesprochen, er wisse auch, daß nicht alle Arbeitnehmer auf diesem Wege Aktien erwerben könnten. Ich möchte es viel deutlicher und drastischer sagen, weil ich meine, man soll keine falschen Vorstellungen erwecken. Auf diese Weise können nur bei einer kleinen Gruppe von Arbeitnehmern mit gehobenen Einkommen zusätzliche Möglichkeiten der Verdienste ge-



Dr. Deist
schaffen werden. Die große Masse der Arbeitnehmer ebenso wie die große Masse der Selbständigen und der freien Berufe kann auf diese Weise niemals Eigentum bilden.

(Beifall bei der SPD.)

Auf diese Weise werden privilegierte Schichten geschaffen, denen mit Steuervergünstigungen und anderen staatlichen Mitteln zusätzliche Möglichkeiten der Vermögensanreicherung geschaffen werden, was jemand, der für eine gesunde soziale Ordnung eintritt, nicht wollen kann.

(Beifall bei der SPD.)

Wenn Sie den Menschen, die 500 bis 600 Mark im Monat verdienen, die Möglichkeit zur Eigentumsbildung geben wollen, — und meine Damen und Herren, verbreiten Sie nicht immer das Märchen, die Sozialdemokratie sei ein Gegner einer solchen Eigentumsbildung; im Aktionsprogramm der SPD steht seit 1952 ausdrücklich, daß sie eine Politik der Eigentumsbildung auch für unselbständige Menschen betreibt — —

(Abg. Dr. Hellwig: Und dem Familieneigenheimgesetz haben Sie widersprochen!)

— Kommen Sie nicht mit dem Eigenheimgesetz an! Wir wünschen nicht, daß einigen wenigen Privilegierten zu Lasten der großen Masse besondere Vorteile zugeschanzt werden.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Hellwig: Skandal! Sie meinen wohl die Wohnungsunternehmungen mit öffentlichen Geldern, gewerkschaftliche Wohnungsunternehmungen? — Zuruf von der CDU/CSU: Was ist denn das, „privilegiert"? — Abg. Dr. Hellwig: Sie meinen wohl den Wohnungsbestand bestimmter Gesellschaften!)

— Lassen Sie mich ein ganz offenes Wort sagen. Wenn Ihre Kollegen Arnold und Hellwig glauben, ein ernstes Problem in der Weise behandeln zu können, wie sie es hier getan haben, dann müssen sie sich gefallen lassen, daß wir entsprechend antworten.

(Lebhafter Beifall bei der SPD. Gegenrufe von der CDU/CSU. — Abg. Schlick: Diese Kritik steht Ihnen nicht zu!)

- Ich habe nicht kritisiert, sondern ich habe gesagt, was ich hier tue, nichts weiter.
Meine Damen und Herren, wer wirklich Eigentumsbildung in den breiten Schichten der Bevölkerung haben will, der muß zahllose Maßnahmen
— und zwar in erster Linie und vordringlich — ergreifen, die die Eigentumsbildung ermöglichen. Aber wie vertragen sich die Äußerungen z. B. Ihres Herrn Bundeswirtschaftsministers zu den Lohnbewegungen der deutschen Arbeiter — in der letzten Vergangenheit ist beinahe jede Lohnbewegung diffamiert worden — mit der Behauptung, es würden Möglichkeiten geschaffen, Eigentum zu bilden? Sie können Eigentum doch nur bilden, wenn die Einkommenslage und der Lebensstandard der breiten Schichten auch über die Lohnpolitik weitgehend gesteigert werden.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, wir haben große Auseinandersetzungen über die Steuerpolitik gehabt. Sie wissen, daß Ihr Herr Bundeswirtschaftsminister in Zeiten, in denen dieses Volksaktien-Programm noch nicht so aktuell erschien, z. B. die Auffassung vertreten hat — und das war, wie ich meine, doch wohl seine ehrliche Auffassung —, man müsse eine lineare Steuersenkung vornehmen, damit die Ergebnisse der Steuersenkung denen zugute kämen, die auch sparen könnten. Das verrät jedenfalls eine Geisteshaltung, bei der man nicht darauf aus ist, Möglichkeiten zur Eigentumsbildung in breiter Hand zu schaffen.
Vorhin ist das Beispiel der steuerbegünstigten Sparverträge genannt worden. Sind Sie wirklich der Auffassung, daß mit dieser Steuerbegünstigung neues Kapital durch neue Sparverträge geschaffen wird? Wissen Sie nicht alle, daß nur Umlagerungen im Rahmen des Kapitalaufkommens vorgenommen worden sind?

(Abg. Dr. Hellwig: Doch nicht nur! — Bausparverträge!)

— Ganz überwiegend, will ich Ihnen konzedieren.
Aber noch ein Zweites! Erkundigen Sie sich einmal bei den Sparkassen und bei den Banken, wer ganz überwiegend diese steuerbegünstigten Sparverträge abgeschlossen hat, ob das wirklich eine Methode war, breiten Schichten der Bevölkerung die Möglichkeit zum Sparen zu geben oder ganz anderen!

(Beifall bei der SPD. — Abg. Schröter [Berlin] : Wer da hat, dem wird gegeben!)

Mit Ihrem Entwurf fördern Sie mit staatlichen Mitteln nur die Einkommens- und Vermögensbildung in der Hand einiger weniger. Und dann wagen Sie, Herr Kollege Arnold — ich habe mich sehr darüber gewundert —, ausgerechnet in diesem Zusammenhang davon zu sprechen, daß es sich hier um die Grundlage für eine gesunde wirtschaftliche Demokratie handele. Das hat auf der weiten Welt bisher noch niemand unter „wirtschaftlicher Demokratie" verstanden.
Aber wir haben nicht nur diese große Sorge, sondern auch Besorgnis in folgender Hinsicht. Bei Ihrer Konstruktion, die Sie dem Volkswagenwerk bieten wollen, wird nicht nur eine begrenzte Gruppe an den großen Gewinnmöglichkeiten beteiligt, sondern die Verfügung über das Unternehmen erhalten zwangsläufig einige wenige Großbanken, — um so mehr, als der Herr Schatzminister, wenn die Zeitungen richtig berichtet haben, die Auffassung vertreten hat, die recht fragwürdige Begrenzung des Depotstimmrechts auf ein Drittel des Gesamtkapitals solle nach seiner Auffassung auch noch fallen.
Sehen Sie, meine Damen und Herren: Das macht uns außerordentlich skeptisch gegenüber allen Argumentationen, die Sie diesem Gesetzentwurf geben, weil das Ergebnis gerade das Gegenteil sein muß.



Dr. Deist
Vor einiger Zeit sind Ausführungen eines bekannten Aktienrechtlers erschienen, der Ihren Auffassungen näher stehen dürfte als den meinen. Es ist Herr Dr. C. E. Fischer, der die Schrift des Bundes der Steuerzahler „Der Bundeskonzern — Schach dem Staatskapitalismus durch Privatisierung" verfaßt hat; das dürfte Ihnen ja nicht allzu unsympathisch sein. Herr Dr. Fischer hat in seinen Untersuchungen, die sich mit dem Volkswagenwerk befassen, einige sehr interessante Feststellungen getroffen.

(Abg. Dr. Hellwig: Wir halten die Zeitung!)

— Sie werden mir trotzdem gestatten, daß ich, wenn der Herr Präsident es mir erlaubt, aus dieser Zeitschrift einiges vorlese, weil es nicht nur Ihrem begrenzten Kenntnisbereich zugute kommen sollte.

(Beifall und Heiterkeit bei der SPD. — Abg. Dr. Hellwig: Warum müssen Sie gleich persönlich werden?)

— Bitte, das war doch nicht persönlich, ich bin weit davon entfernt; wir haben genug Sachliches auszukarten, als daß ich da persönlich zu werden brauchte. Herr Kollege Hellwig — Sie können es also in Ihrem Exemplar verfolgen —, da schreibt Herr Dr. Fischer — —

(Heiterkeit. — Abg. Dr. Hellwig: Ich korrespondiere wöchentlich mindestens einmal mit ihm!)

— Herr Kollege Hellwig, ich will Ihnen erklären, warum ich das gesagt habe. Gestatten Sie mir dieses Einschiebsel. Sie haben vorhin so getan, als wenn ich die von Ihnen zitierten Äußerungen im Zusammenhang mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gemacht hätte. Es war aber der Entwurf des Kollegen Atzenroth, um den es damals ging. Das hätte man zur Klarstellung ruhig auch sagen sollen.

(Abg. Dr. Hellwig: Vogel, Elbrächter!)

— Den Namen von Herrn Hellwig habe ich nicht darunter gesehen.

(Abg. Dr. Hellwig: Vogel, Elbrächter; der Name Hellwig steht mit darunter!)

— Schön, aber es war nicht der vorliegende Gesetzentwurf.
Sie haben gemeint, ich hätte damals die Verwendung für wissenschaftliche Zwecke lächerlich gemacht. Haben Sie den Wortlaut da? Das würde mich interessieren; ich habe nämlich auch einen da.

(Heiterkeit bei der SPD. — Abg. Dr. Hellwig: Hier ist der Wortlaut Ihrer Bemerkung zum Antrag Dr. Vogel!)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0300808800
Bitte, meine Herren, keine Unterhaltungen!

(Zuruf von der CDU/CSU: Vorlesen, Herr Dr. Deist!)


Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300808900
Jawohl; seinen hat Herr Dr. Hellwig ja vorgelesen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nein, Ihren!)

— Ja, kommt jetzt. — Meine Damen und Herren, die Sache ist nicht so lächerlich, wie vielleicht der eine oder andere hier tun mag. Darin steckt ein sehr ernster Kern. Man muß die Dinge im Zusammenhang sehen. Ich habe nämlich zu der Bestimmung, die die Förderung der Forschung und des wissenschaftlichen und technischen Nachwuchses behandelt, folgendes gesagt:
Dann ist so neckisch die Ziffer 5. Da steht, der Verkaufserlös soll einer Stiftung öffentlichen Rechts zur Förderung der Forschung, des wissenschaftlichen und technischen Nachwuchses usw. gegeben werden. Nun, meine Damen und Herren, eine etwas späte Erkenntnis! Ich habe den Eindruck, die Aktivität der Sozialdemokratie gerade auf diesem Gebiet hat Ihnen zu Gemüte geführt, daß da in der Vergangenheit etwas versäumt worden ist und daher einiges nachgeholt werden müßte.

(Beifall bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, Sie sollten den Zusammenhang wiedergeben, wenn Sie einige Sätze aus solchen Ausführungen zitieren. Damit möchte ich meine Bemerkungen über dieses Zitat und Ihre Gepflogenheit, zu zitieren, abschließen.
In den Ausführungen des Herrn Dr. Fischer finden sich einige Feststellungen, die jeder ernsthaft überprüfen sollte. Ich meine, sie geben Anlaß zu der Überlegung, ob daraus nicht Konsequenzen gezogen werden müssen. Da heißt es nämlich:
Ein Markt, auf dem ein großes Unternehmen eine derartige Preisführerschaftsrolle zu spielen vermag, ist weit davon entfernt, als Markt mit vollständigem Wettbewerb funktionieren zu können.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

— Ja, ich habe das vor einem Jahr, weil es der Kern der Dinge ist, auch schon ausgeführt. Es heißt dann weiter:
Heute werden 67 % der innerdeutschen PkwBedarfsdeckung allein von den drei großen Firmen Opel, VW und Ford bestritten. In diesem Oligopol von sechs Großen oder diesen drei ganz Großen besitzt das Volkswagenwerk eine eindeutige marktbeherrschende Stellung.
Und dann kommt die Konsequenz:
Durch eine Privatisierung als Aktiengesellschaft wird die gefährliche Marktmacht des Volkswagenwerks in keiner Weise neutralisiert, sondern im Gegenteil,
— alle, die bei diesem Gesetzentwurf guten Willens sind, bitte ich einmal aufzumerken —
sie wird geradezu in das Scheinwerferlicht der Börsentransaktionen gerückt und würde zwangsläufig über kurz oder lang zu hohen Kursen dem zufallen, der sie dann auch ausnutzen will und muß.

(Beifall bei der SPD.)




Dr. Deist
Jegliche Form von Privatisierung des Volkswagenwerks als Aktiengesellschaft beschwört demnach große wirtschaftspolitische Gefahren herauf, welche durch Maßnahmen des Bundeskartellamts im Ernstfall nicht gebannt werden können.

(Abg. Dr. Hellwig: Das gilt auch für Ihren Vorschlag!)

Das sind die Überlegungen, die wir vor einem Jahr hier vorgetragen haben und die uns auch heute veranlassen, ernsthaft davor zu warnen, das Volkswagenwerk der privaten Verfügung einiger weniger an den Gewinnen dieses Werkes Interessierter zu überlassen. Dieser grundsätzliche Anhänger der Privatisierung, Herr Dr. Fischer, kommt zu dem Ergebnis: „Ais einziger Ausweg aus diesem Dilemma erscheint mir die Rechtsform eines Stiftungsunternehmens."
Nun frage ich Sie: Ist es fair, eine solche Form, die sich in Deutschland und in anderen Ländern bewährt hat, in dieser Weise zu diffamieren, wie das der Herr Kollege Hellwig hier heute getan hat?

(Zustimmung bei der SPD.)

Die Rechtsform der Stiftung existiert in Dänemark, in Großbritannien, in den Vereinigten Staaten und spielt dort eine große Rolle. Bei uns in Deutschland gibt es diese Form bei den Zeiß-Werken. Die Zeppelin-Werke wurden ebenfalls in der Form einer Stiftung geführt.
Vielleicht, Herr Dr. Hellwig, sehen Sie sich doch einmal ein klein wenig das an, was Ihr Parteifreund Strickrodt über diese Stiftung geschrieben hat.

(Abg. Dr. Hellwig: Ist mir bestens bekannt!)

Das, was das Volkswagenwerk geschaffen hat, ist geschaffen worden auf der Grundlage der Leistung eines großen Erfinders mit einer tüchtigen und erfolgreichen Unternehmensführung, mit einer leistungsfähigen Belegschaft, die gezeigt haben, daß man ein großes Unternehmen, ein riesengroßes Unternehmen, wirtschaftlich führen kann, ohne daß überhaupt irgendwo Eigentümer zu sehen sind.

(Sehr gut! und Sehr richtig! bei der SPD.)

Eigentum hat es bei diesem Volkswagenwerk in den ganzen zwölf Jahren, seit es aufgebaut worden ist, nicht gegeben, und trotzdem ist es ein hochleistungsfähiges, wirtschaftlich arbeitendes Werk geworden.

(Abg. Dr. Hellwig: Der Verbraucher zahlt ja!)

Meine Damen und Herren, eine Wochenzeitung, die Ihnen vielleicht auch etwas zu sagen hat — es ist „Christ und Welt"; ich nehme an, sie ist auch Ihnen bekannt —, hat dazu folgendes ausgeführt:
Obwohl in ungeklärten Eigentumsverhältnissen der öffentlichen Hand stehend, wurde es mit der Initiative und Tatkraft eines privaten Betriebes geführt. Welche Schattenseiten hier und da immer entdeckt werden mögen, im ganzen ist das Volkswagenwerk zu einem Symbol dafür geworden, wie sich das deutsche Volk
nach einer furchtbaren Katastrophe als moderne Industrienation zu behaupten versteht. Darum gilt es nun, diese Beziehungen zwischen dem Volkswagenwerk und dem Volke für alle Zeiten festzulegen und fruchtbar zu gestalten.
Diese Leistung, meine Damen und Herren, war das Ergebnis der Gemeinschaftsarbeit aller derer, die zu dem Werke gehören, die dabei die tatkräftige Hilfe der öffentlichen Hand fanden. Und dann meint Herr Dr. Hellwig, jeder Versuch, eine moderne Unternehmensform aus der Stiftung zu entwickeln, müsse hier diffamiert werden.

(Abg. Dr. Hellwig: Wer hat diffamiert?)

— Herr Kollege Hellwig, ich komme darauf zurück.
Sie haben zunächst die Frage aufgeworfen, was dieses Unternehmen, das sich von einer Produktion von etwa 5- bis 6000 Wagen in den ersten drei Jahren auf 500 000 Wagen heraufgearbeitet hat, für Forschung und Wissenschaft beigetragen hat. Sie haben gemeint, ein solches fähiges Unternehmen in öffentlicher Hand zu führen, sei der sterilste Weg, den man sich denken könne.
Meine Damen und Herren, zunächst eine Frage: Wer ist für die Führung dieses Unternehmens Volkswagenwerk in den vergangenen Jahren verantwortlich gewesen? Nach den Verfügungen der Alliierten, die damals zu bestimmen hatten, lag die treuhänderische Verwaltung bei der Bundesregierung. Der Verwaltungsratsvorsitzende des Volkswagenwerks war zugleich hoher Beamter in der Finanzverwaltung, und der stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsrats war ebenfalls ein hoher Beamter des Bundes. Alles das, was im Volkswagenwerk nicht geschehen ist, fällt unter die Verantwortung dieser, Ihrer Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Hellwig: Herr Dr. Deist, das ist eine völlig verzerrte Wiedergabe!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Volkswagenwerk hat unter der Ägide dieser Bundesregierung die gleiche Unternehmenspolitik und die gleiche Gewinnpolitik betrieben, die gleichartige Unternehmungen in der privaten Wirtschaft betrieben haben, nicht schlechter und nicht besser als diese.

(Abg. Dr. Atzenroth: Doch, schlechter!)

Sie können sich das auf dem Gebiet der Automobilfabrikation ansehen. Auch bezüglich der Kautschuk- und Gummiverarbeitung hat das Bundesamt für Statistik einige Zahlen veröffentlicht. Aber das ist doch das Ergebnis einer Selbstfinanzierung in den Großunternehmungen. Und diese hohe Selbstfinanzierung ist die Folge der Wirtschaftspolitik, der Finanzpolitik, der Steuerpolitik und der Unternehmenspolitik in den öffentlichen Unternehmungen dieser Bundesregierung. Es ist unfair, zunächst in diesen Bundesunternehmungen, besonders im Volkswagenwerk, eine Politik zu betreiben, die in diesem Bundestag herbe Kritik, auch von Ihrer Seite in der Mitte, gefunden hat, und dann die



Dr. Deist
Schlußfolgerung zu ziehen: weil die Bundesregierung diese merkwürdige Politik mit öffentlichen Unternehmungen getrieben hat, darum sind die öffentlichen Unternehmungen schlecht und darum ist das öffentliche Eigentum eine sterile Form für die Führung von großen Unternehmungen.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Hellwig: Das ist aber stark verzerrt!)

Darum, meine Damen und Herren, bin ich der Auffassung, daß jeder, der es mit dem Problem ernst meint, dem Gedanken einer Stiftung nähertreten sollte. Wir sind sehr gespannt darauf, ob wirklich alle hier im Hause von halbrechts bis rechts den Versuch mitmachen, eine sachliche Debatte über diesen Antrag dadurch unmöglich zu machen, daß Sie entgegen allen guten parlamentarischen Gepflogenheiten die Überweisung an einen Ausschuß ablehnen. Sie sollten dabei daran denken, daß breite Kreise in Deutschland diesem Gedanken einer Stiftung durchaus sympathisch gegenüberstehen. Ich habe Ihnen die Stellungnahme der Wochenzeitung „Christ und Welt" vorgelesen. Sie wissen, daß der Verein Deutscher Ingenieure dem Stiftungsgedanken ebenfalls sympathisch gegenübersteht. Sie wissen, daß zahlreiche Wissenschaftler und Forscher der gleichen Auffassung sind. Man sollte also diesen Vorschlag nicht so einfach von der Hand weisen.
Meine Damen und Herren, ich komme jetzt zur Zeiß-Stiftung und zu ihrer Diffamierung durch Herrn Dr. Hellwig. Da möchte ich gegenüber falschen Behauptungen doch einmal sehr deutlich aussprechen: Die Zeiß-Stiftung hat sich als eine hervorragende Einrichtung erwiesen!

(Zustimmung bei der SPD.)

Es ist unzutreffend, daß die Form der Zeiß-Stiftung zu starken sozialen Spannungen und zur Schaffung privilegierter Gruppen innerhalb dieses Unternehmens geführt habe.

(Zuruf von der SPD: „Zur Förderung des Kommunismus" hat er auch gesagt!)

Die Zeiß-Werke haben in dieser Stiftungsform die Vertreibung aus Jena überstanden und den Wiederaufbau des Unternehmens hier im Westen durchgeführt. Es ist — entschuldigen Sie — unerhört und nicht zu vertreten, daß Sie glauben, eine solche fortschrittliche Unternehmensform, die sich bewährt hat, damit begeifern zu können, daß Sie sagen, dadurch sei die kommunistische Bewegung gefördert worden.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Hellwig: Nein! Sie hat diese Spannungen nicht lösen können, habe ich gesagt! Das ist einfach eine Verdrehung, Herr Dr. Deist!)

— Herr Kollege Hellwig, Sie haben die Form der Stiftung der Zeiß-Werke mit dem Aufkommen der kommunistischen Bewegung in Jena in Verbindung gebracht,

(lebhafte Zustimmung bei der SPD)

und davon kommen Sie jetzt nicht mehr herunter.

(Zurufe von der Mitte.)

— Herr Kollege Hellwig, wir können uns an Hand
des unkorrigierten Protokolls darüber unterhalten.
Aber lassen Sie mich dazu noch einige weitere Worte sagen. Was ist das für eine Methode, nachdem man an Hand des Beispiels der Zeiß-Stiftung zunächst einmal die Stiftung als eine unsoziale und für eine moderne Wirtschaft nicht geeignete Form hingestellt hat, dann nachher, gestellt, zu sagen: Ja, die Stiftung vielleicht, aber die bösen Hintergründe bei euch!, so nach der Melodie: Hinter Ihnen steht einer, hinter Ihnen geht einer!

(Heiterkeit. — Abg. Dr. Hellwig: Die Hintergründe habe ich vorhin schon genannt!)

— Meine Damen und Herren, Sie brauchen da keine Furcht vor der Vergesellschaftung haben. Wir wissen nämlich mit Herrn Professor Alfred Weber und mit meinem Freund Adolf Arndt, daß die Stiftung kein Ersatz und keine Form der Vergesellschaftung ist. Wir sind nämlich nicht so primitiv und orthodox, daß wir meinen, für die Führung von öffentlichen Unternehmungen gebe es nur eine einzige Form. Aber wir sind der Meinung, daß für eine öffentliche Unternehmung von dieser Größenordnung und von dieser Bedeutung, wie sie das Volkswagenwerk hat, die Stiftung eine moderne und gute Form sein kann, und zwar als Mittel einer bewußten Marktpolitik. Herr Kollege Hellwig, es wäre doch besser gewesen, wenn Sie sich unseren Antrag einmal angesehen hätten. Da steht nämlich drin, daß das Volkswagenwerk dazu beitragen soll, im Marktverkehr den Wettbewerb zu stärken. Das geschieht nämlich in einem Oligopol nicht, wenn nicht ein Unternehmen mit der speziellen Zwecksetzung der Preissenkung und als Hecht im Karpfenteich wirkt und durch die Wahl der Verwaltungsorgane sichergestellt ist, daß dieser gesetzte Zweck auch verfolgt wird.

(Abg. Dr. Hellwig: Glauben Sie das noch, nach den Ausführungen, die Sie zitiert haben?)

— Herr Kollege Hellwig, wenn die Stiftung so besetzt wird, wie wir das vorgeschlagen haben, glaube ich daran.

(Abg. Dr. Atzenroth: Glauben Sie denn an Wettbewerb?)

— Herr Kollege Atzenroth, es tut mir leid, daß ich in diesem Fall offenbar viel mehr vom Wettbewerb halte als Sie.

(Beifall und Heiterkeit bei der SPD.)

Herr Kollege Atzenroth, Sie wissen folgendes genauso gut wie ich: Wenn in einem Unternehmenszweig drei, vier große Unternehmen den Ablauf des Marktgeschehens, die Produktion und die Preisbildung bestimmen und wenn dies in den Unternehmen Männer bestimmen — seien es nun die Vertreter der Banken oder die Manager in den Vorständen —, die in erster Linie nach privaten Ertragsgesichtspunkten arbeiten, dann werden

(Zuruf von der FDP: Dann wird scharfer Wettbewerb stattfinden!)




Dr. Deist
normalerweise alle bestehenden Gewinnmöglichkeiten realisiert; denn das gehört ja wohl zum Wesen der normalen privaten Marktwirtschaft.
Es kommt entscheidend darauf an, daß es auch Unternehmungen gibt, die dieser Tendenz, ihre Marktmacht auszunutzen, entgegenwirken. Dazu eignen sich z. B. Unternehmungen in öffentlicher Hand, wie wir sie seit je in allen modernen Staaten kennen. Wir meinen aber, man .sollte hier einen Versuch mit einer Stiftung machen, bei der sich das Unternehmen nicht in Staatseigentum befindet und bei der durch die Stiftungsverfassung eine moderne Wirtschaftsführung im öffentlichen Interesse gesichert wird. Wenn Sie meinen, das nicht tun zu sollen, dann geben Sie den Gedanken auf, daß eine Unternehmung wie das Volkswagenwerk dem öffentlichen Wohle dienen könnte.
Was hat Herr Dr. Hellwig über das Volkswagenwerk gesagt? Eine Selbstfinanzierung in Höhe von 800 Millionen wird nicht nur von ein paar Kennern behauptet, sondern sie hat sich allgemein herumgesprochen. Selbstfinanzierung in ähnlicher Höhe gibt es weit und breit in der Wirtschaft. In der deutschen Wirtschaft hat die Selbstfinanzierung z. B. im vergangenen Jahre zu einer Vermögensanreicherung in Höhe von etwa 14 Milliarden DM geführt.

(Abg. Dr. Burgbacher: Sie hat aber auch zur Vollbeschäftigung geführt!)

— Ja und? --

(Abg. Dr. Burgbacher: Und ist das gar nichts?)

— Ihr Entwurf spricht doch höchstens gegen die Argumentation von Herrn Hellwig, der die Selbstfinanzierung beim Volkswagenwerk als ein ungeheures Verbrechen darstellen möchte,

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU: Nein, nein!)

während es sich in Wirklichkeit doch nur um die in
den vergangenen Jahren in der deutschen Wirtschaft
übliche Nutzung der Marktchancen gehandelt hat.

(Erneuter Widerspruch von der CDU/CSU.)

Es kommt darauf an, daß die Kapitalkraft und die Ertragskraft, die in diesen Unternehmungen steckt, nicht einer verhältnismäßig kleinen Schicht von Einkommensbeziehern zuwächst. Was in diesen Unternehmen steckt, ist wirklich eine große Kapital- und Ertragskraft. Aber sind Sie wirklich der Meinung, daß es — da- nun einmal nur begrenzte Schichten Aktien erwerben können —, richtig ist, diese Gewinnchancen einer verhältnismäßig begrenzten Gruppe zuzuwenden und die Macht über diese Unternehmungen einigen wenigen Großbanken zu überlassen? Das ist das große gesellschaftspolitische Problem, das dahintersteckt; es handelt sich um ein gesellschaftspolitisches Problem — ich unterstreiche das — von zentraler Größenordnung.
Das Problem ist die Machtbildung in der deutschen Wirtschaft; es geht darum, wie diese Macht in Schranken gehalten werden kann, so daß sie nicht zu ungerechtfertigter Vermögensanreicherung in kleinen Schichten des Volkes führt.
Herr Kollege Hellwig hat gemeint, dieses Ergebnis müsse eintreten, wenn man diese Unternehmungen mit Verbandsmacht verbinde. Ich frage: Wann und wo ist Verbandsmacht bei uns in Deutschland wirksam geworden? Wir haben davon manches in der Vergangenheit bemerkt, z. B. als bei der Ernennung des Herrn Bundesernährungsministers Verbandsmacht eingesetzt wurde.

(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der Mitte: Ohne Erfolg! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

Wir sind auch darüber unterrichtet, daß bei der Ernennung des Herrn Bundesfinanzministers mit großem Erfolg Verbandsmacht wirksam war.

(Erneuter Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Mitte: Von wem?)

Ebenso wissen wir, daß bei der Besetzung der Bundeskartellbehörde — deshalb die Verzögerung —und bei der Aufstellung ihres Etats — deswegen auch hier die Verzögerung — Verbandsmacht wirksam gewesen ist.

(Zurufe von der Mitte.)

Wir wissen auch, daß diese Verzögerungstaktik es ermöglicht, daß inzwischen in der deutschen Wirtschaft eine Abwehrapparatur in der Form von Schiedsgerichten aufgebaut wird, die darauf hinzielt, die Tätigkeit der Kartellbehörde völlig auszuhöhlen.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, das ist Verbandsmacht, und diese möchten wir .bekämpfen, und zwar mit aller Härte. Die Verbandsmacht liegt aber ganz woanders, als Sie es darzustellen versuchen. In der Konstruktion, die wir für das Volkswagenwerk wählen wollen, spielt Verbandsmacht keine Rolle, sondern wir wenden hier einen Grundsatz an, den Sie, Herr Kollege Arnold, früher als das „machtverteilende Prinzip" vertreten haben.

(Heiterkeit bei der .SPD. — Zurufe von der Mitte.)

In dem Kuratorium sollen nämlich Forscher, Wissenschaftler, Vertreter der Kultusminister, Vertreter der Wirtschaft und Vertreter der Arbeitnehmerschaft nebeneinander sitzen. Wir wollen diesem Kuratorium einen hohen Rang verleihen; es soll auf seine hohe Aufgabe gesetzlich verpflichtet werden. Daß wir dem Kuratorium diesen hohen Rang verleihen wollen, dokumentiert sich auch damit, daß wir diese Ernennung der Mitglieder durch den Herrn Bundespräsidenten vorschlagen. Was wir hier tun, ist Kampf gegen einseitige Verbandsmacht.
Herr Kollege Hellwig, wenn Sie das Volkswagenwerk der Verfügungsgewalt einiger Großbanken ausliefern — das ist zwangsläufig die Folge Ihres heutigen Gesetzentwurfs —, stärken Sie die wirtschaftliche Macht und die Verbandsmacht, die bei uns in Deutschland schon eine entscheidende Rolle spielt.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)




Dr. Deist
Sie meinen, Herr Kollege Hellwig, es sei in dieser Wirtschaft, in der die mächtigen Großunternehmen die entscheidende Rolle spielen, möglich, durch die Mitwirkung der Eigentümer und mit Hilfe der Kontrolle durch die Eigentümer die wirtschaftliche Macht und die Verbandsmacht auszuschalten?
Herr Kollege Hellwig, Sie müssen doch wissen, wie die Hauptversammlung, die Aufsichtsräte und Vorstände dieser Großunternehmen funktionieren. Wissen Sie nicht, daß die Aktionäre in diesen Großunternehmen nicht einen Deut zu sagen haben,

(Sehr richtig! bei der SPD)

daß in diesen durch die Konzentration entstandenen Machtgebilden eine Autokratie besteht, daß ganz wenige allein entscheiden, ohne jede Kontrolle, ohne jede echte Legitimation? Was Sie nicht aussprechen wollen, hat seinerzeit Herr von Fürstenberg von der Deutschen Handelsgesellschaft ausgesprochen. Er sagte — und das ist die Einstellung fast aller Manager in der Wirtschaft; Sie werden das nicht bestreiten —

(Abg. Dr. Hellwig: Das ist bekannt; dagegen sollten wir uns wenden!)

-- und wenn es auch bekannt ist, möchte ich es sagen —: der Aktionär ist dumm und unverschämt, dumm, wenn er eine Aktie kauft, und unverschämt, wenn er eine Dividende verlangt! Das Wort stammt nicht von Sozialdemokraten, sondern von einem Berliner Großbankier, der inzwischen verstorben ist. Das kennzeichnet nicht nur den Mann — ihn insofern, als dies jetzt eine gute Kenntnis der Verhältnisse in den modernen Gesellschaften verrät —, sondern auch die Situation in diesen Großunternehmungen. Man soll nicht sich und anderen weismachen, man könne über die Beteiligung von einigen Hunderten oder Tausenden an dem Aktienkapital des Volkswagenwerks eine breite Streuung des Kapitals und eine wirksame Kontrolle herbeiführen; das hieße nur anderen Sand in die Augen streuen.

(Beifall bei der SPD.)

Nun noch eins! Sie sprechen so groß vom Aktionär und halten angeblich soviel von der Kontrolle durch den Aktionär. Dabei wissen Sie, wie wenig er im Grunde genommen zu bedeuten hat. Warum findet sich in Ihrem Gesetzentwurf aber nicht ein einziges Wort über die Ausdehnung der Publizität in diesen großen Gesellschaften? Wenn man schon behauptet, es gehe Ihnen um den Aktionär und der Aktionär solle wissen, was los sei, dann muß man doch für eine genügende Publizität sorgen, damit dieser sagenhafte Aktionär über Geschäftsbericht, Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnung wirklich erfährt, was in den Unternehmungen vor sich geht. Darüber steht kein halbes Wort in Ihrem ganzen Entwurf! Hier liegt die Krux. Sie, Herr Kollege Hellwig, wissen genau wie ich, daß die New Yorker Börse den Handel mit deutschen Aktien abgelehnt hat, weil amerikanischen Aktionären nicht zugemutet werden könne, Aktien von Firmen zu kaufen, die ihre Bilanzen und Geschäftsberichte nur dazu benutzen, ihre wahre Vermögens- und Ertragslage zu verschleiern.

(Lebhafte Rufe: Hört! Hört! von der SPD.)

Wenn Sie hier schon von „Stärkung des Aktionärs",
„Eigentum in breiter Hand" durch Aktien sprechen,
müßte in Ihrem Entwurf ganz vorn und ganz groß
das Wort „Publizität" in entsprechenden Vorschriften enthalten sein.

(Beifall bei der SPD.)

Wir haben mit Absicht in unserem Antrag die Forderung nach Publizität aufgenommen, weil wir die ausreichende Unterrichtung der Öffentlichkeit für ein entscheidendes Problem der modernen Gesellschaft halten. Nicht, weil wir glauben, auf diese Weise könnte man den Aktionär der großen Unternehmen wiederbeleben. Über den Aktionär und seine Bedeutung ist — dazu mag man „leider", oder mancher Manager vielleicht auch „Gott sei Dank", sagen — die gesellschaftliche Entwicklung in der Großwirtschaft längst hinweggegangen. Der Aktionär spielt hier bei der Führung und Kontrolle der Unternehmungen keine entscheidende Rolle mehr, wenn er nicht Großaktionär ist.
Hier muß wenigstens dafür gesorgt werden, daß, da es hier praktisch keine echte Kontrolle durch die Aktionäre gibt, wenigstens die Öffentlichkeit erfährt, was in diesen Unternehmungen gespielt wird. Ich bedaure sehr, daß in Ihrem Entwurf dafür nicht ein einziger Ansatzpunkt vorhanden ist, obwohl die breiteste Öffentlichkeit dringend darauf wartet, daß hier einmal etwas mehr Licht in das hineingebracht wird, was an wichtigen Stellen der deutschen Wirtschaft, die für unsere wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung von entscheidender Bedeutung sind, eigentlich vorgeht. Das fehlt in Ihrem Entwurf völlig.
Meine Damen und Herren, der Unterschied zwischen Ihrem Entwurf und unserem Entwurf läßt sich auf eine ganz einfache und primitive Formel bringen. Wir wünschen, daß das Volkswagenwerk den Wettbewerb steigert und dazu beiträgt, daß die anderen Unternehmungen nicht jede denkbare Gewinnchance ausnutzen können. Darum hat das Volkswagenwerk die Aufgabe — und die von dem Herrn Bundespräsidenten zu bestellenden Organe sind darauf verpflichtet —, dafür zu sorgen, daß ein billiger Volkswagen herausgebracht wird, den auf die Dauer jedermann wirklich kaufen kann. Sie wissen genauso wie ich, daß bei einer anderen Wirtschaftspolitik, bei einer anderen Straßenbaupolitik, bei einer anderen Finanz- und Steuerpolitik der Volkswagen zu zwei Drittel seines heutigen Preises verkauft werden könnte.

(Beifall bei der SPD.)

Das ist der Sinn unseres Antrags. Die Durchführung Ihres Gesetzentwurfs aber führt dazu, daß das Unternehmen nach privaten Gesichtspunkten geführt wird und — das ist ja Ihr Wunsch — daß diese Möglichkeit, einen billigen Volkswagen für jedermann herauszubringen, verlorengeht, weil nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen jede Gewinnchance mitgenommen wird. Das ist, auf eine primitive Formel gebracht, wirklich das, was in Mark und Pfennigen bei der Behandlung dieses Gesetzentwurfs herauskommt.



Dr. Deist
Meine Damen und Herren, bitte sehr, entscheiden Sie selbst! Ich meine, Sie sollten jedenfalls nicht so hoch zu Roß sitzen, daß Sie glauben, einen solchen ernstgemeinten Antrag einfach abtun und eine Behandlung im Ausschuß vereiteln zu können.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0300809000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mommer.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0300809100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich melde mich zu Wort, um ein Hindernis für den guten, sachlichen Fortgang dieser passionierenden Debatte aus dem Wege zu räumen. Die Redner der CDU-Fraktion haben beanstandet, daß in dem Antrag Dr. Deist und Genossen das Petitum an die Bundesregierung gerichtet ist, einen Gesetzentwurf zu unterbreiten, der im Inhalt dem Gesetzentwurf widerspricht, der soeben von der Bundesregierung vorgelegt wird. Um das aus dem Wege zu räumen, schlage ich vor, den Antrag Dr. Deist und Genossen in folgender Weise zu ändern. Es soll heißen:
Der Bundestag wolle beschließen,
bei der Beratung des Gesetzentwurfs über die Regelung der Rechtsverhältnisse bei der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung und die Überführung der Anteilsrechte in private Hand — Drucksache 102 — die Möglichkeit zu prüfen, das Volkswagenwerk in eine Stiftung zu verwandeln. Dabei sollen folgende Grundsätze berücksichtigt werden:
Erstens . . .
und so weiter; es folgt der Text wie bisher.
In interfraktioneller Fühlungnahme habe ich erfahren können, daß durch diese Änderung das Hindernis aus dem Wege geschafft ist und die Debatte, nachdem sie hier beendet sein wird, im Ausschuß ihren sachlichen Fortgang wird finden können.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0300809200
Das Wort hat der Abgeordnete Häussler.

Erwin Häussler (CDU):
Rede ID: ID0300809300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwurf eines Gesetzes über die Regelung der Rechtsverhältnisse bei der Volkswagenwerk GmbH und die Überführung der Anteilsrechte in private Hand hat hier die Geister des Widerspruchs herausgefordert. Es ist deshalb sicher richtig, die Vorteile dieses Gesetzentwurfs auch in dieser ersten Lesung noch einmal herauszustellen.
Wir halten daran fest, daß dieser Gesetzentwurf den Eigentumsgedanken zweifellos mit Durchschlagskraft versehen wird und daß er vor allem den unteren Einkommensbeziehern direkte Vorteile vermittelt.
Zum zweiten möchten wir betonen, daß die Einzahlungen gut gesichert sind durch die Aktien wie auch durch die Forderungen gegen die Kreditnehmer.
Ferner werden hier Mittel für Investitionen in kreditarme Zweige der Wirtschaft geschaffen.
Wir wissen auch, daß eine vorzugsweise Verwendung für die Arbeitnehmer mitwirken wird an dem Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit.
Wenn in der Diskussion gesagt wurde, die gewissermaßen klassischen Sparformen reichten für den kleinen Mann aus, so ist dem entgegenzuhalten: mit dem vorliegenden Gesetzentwurf möchten wir den Anfang machen, daß eine neue Sparform mit besonderen Anreizen, wie sie der Gesetzentwurf bietet, neben die Sparkasse, neben die Bausparkasse tritt.
Wir wissen, daß im nationalsozialistischen Staat eine staatliche Kapitalbildung den Vorrang vor den Lohnwünschen der Arbeitnehmer gehabt hat, und wir können sagen, daß in den vom Bund aus der Kriegs- und Rüstungswirtschaft zweier Weltkriege übernommenen Staatsbetrieben Schweiß und Arbeitslohn der deutschen Arbeitnehmer stecken. Die Forderung, daß im Zuge der Privatisierung dem Arbeitnehmer Preisabschläge beim Erwerb von Kapitalanteilen eingeräumt werden, erscheint uns daher sinnvoll.
Sicher ist es ein gegenüber allen blassen Theorien brauchbarer Vorschlag, Kapital für die kapitalmäßig ausgeblutete Zone für den Tag der Wiedervereinigung zur Verfügung zu stellen. Ich glaube, daß dies ein Schritt über den bloßen Antikommunismus hinaus ist. Wir glauben auch, daß in der Sowjetzone eine für die dortigen Machthaber unangenehme Reaktion zu verspüren ist. Wir haben doch erlebt, daß in der Sowjetzone zur gleichen Zeit das Gegenteil praktiziert wurde, nämlich die zielbewußte Herbeiführung der Eigentumslosigkeit aller. Das war der Sinn des kürzlichen Geldumtauschs. Mit Berechnung naben die Machthaber drüben das freie Eigentum auf 300 Mark beschränkt, um den Menschen die mühsam angesammelten Reserven wieder wegzunehmen und sie somit wieder ausweglos vor ihren Wirtschaftskarren spannen zu können. Deswegen wollen wir mit diesem Gesetzentwurf den ersten Schritt gehen und den Unterschied der Wirtschaftsgesellschaftsauffassung von Ost und West mit nicht zu überbietender Deutlichkeit herausstellen, ebenso aber auch die Richtigkeit des Satzes: Eigentum ist die Basis der Freiheit.
Die CDU/CSU schlägt vor, die aus der Privatisierung des Volkswagenwerks sich ergebenden Erlöse einem besonderen Vermögensstock zuzuführen, dessen Mittel als langfristiges und revolvierendes Kapital für Rationalisierungsinvestitionen im Bereich der mittelständischen Wirtschaft und der Landwirtschaft bereitgestellt werden sollen. Der Vorschlag dient also dem erkennbar besten Zweck. Wie der Gesetzentwurf ausweist, sollen nach der Wiedervereinigung die anfallenden Verkaufserlöse und die Rückflüsse der bereits in der Bundesrepublik ausgegebenen Kredite für den Wiederaufbau der mittelständischen Wirtschaft vor allem der Zone umgelegt werden. Somit, glaube ich, ist dargetan, daß für uns die Wiedervereinigung kein rhetorisches, sondern ein Herzensanliegen ist.
Die Kapitalbereitstellung für den Tag X ist eine praktische Tat, und darauf kommt es uns bei diesem Gesetzentwurf an. Bei vernünftiger Überlegung



Häussler
wild auch der Steuerzahler mit der vorgeschlagenen Verwendung dieser Verkaufserlöse einverstanden sein. Denn der Tag der Wiedervereinigung wird dem deutschen Volke mit der Wiederausrüstung der Zone mit Kapital eine große nationale Aufgabe stellen. Die Mittel hierfür müssen so oder so bereitgestellt werden. Erfolgt die Bereitstellung nicht auf dem hier vorgeschlagenen Wege einer Mobilisierung staatlicher Kapitalsubstanz, dann müßte sie aus dem laufenden Steueraufkommen erfolgen, und dies würde wiederum eine massive Steuererhöhung notwendig machen, noch dazu in einem Augenblick einer Anspannung der Wirtschaftskraft Deutschlands, wie sie die Wiedervereinigung zweifellos mit sich bringen wird.
Nun möchte ich noch kurz einige Einwände beantworten. Zunächst haben wir in den Ausführungen der SPD-Sprecher einen Einwand vermißt, der noch im 2. Bundestag mit großer Schärfe vorgetragen worden ist, die CDU/CSU habe mit diesem Gesetzentwurf einen Wahlschlager vorbereitet. Ich glaube, dieser Einwand ist hinfällig; denn wir haben mit der erneuten Einbringung dieses Entwurfs dargetan, daß es uns hierbei nicht um einen Wahlschlager zu tun war.

(Zuruf von der SPD: Dieser Beweis ist nicht schlüssig!)

Dann möchte ich betonen, daß in § 12 Abs. 4 unseres Entwurfs eine Lösung vorgesehen ist, die dem Anliegen des Antrags der SPD bereits entspricht. Im übrigen sind wir verwundert, daß die SPD einen Gesetzentwurf zu torpedieren versucht, ler gerade dem Arbeitnehmer zweifellos Vorteile bringt. In diesem Gesetzentwurf ist die Tendenz zu breiterer Eigentumsstreuung doch unverkennbar. Wir fragen deshalb: Will die SPD eine Radikalkur, oder welche Form stellt sie sich überhaupt hinsichtlich der Privatisierung der Staatsbetriebe vor? Darauf war heute leider keine Antwort zu bekommen.
Nachdem dieser Pessimismus hinsichtlich des Entwurfs zum Ausdruck gekommen ist, müßte man der Opposition mehr Mut zur Zukunft anraten; denn zweifellos gehört zu diesem wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Schritt einiger Mut.
Ich bin nun der Meinung, daß die seitherigen Erfahrungen mit der Aktie nicht zu dem Pessimismus berechtigten, wie er hier gezeigt wurde. Zweifellos wird es ein schwieriger Weg sein, aber er soll ja nicht der einzige sein. Es werden im Laufe der kommenden Monate weitere Gesetzentwürfe eingebracht werden müssen, die vor allem auch ihre Rückwirkung auf das Gesellschaftsrecht haben werden.
Herr Kurlbaum hat die schwierige Verwaltung angeführt. Ich glaube, wir können heute im Zeitalter der Automation solche Einwendungen nicht mehr mit voller Überzeugung aufrechterhalten. Wir möchten auch deutlich betonen, daß die Privatisierung mit diesem Entwurf nicht abgeschlossen ist. Sie soll gewissermaßen nicht auf einem Bein stehenbleiben. Die Überführung des Volkswagenwerks in privaten Kleinbesitz ist ein Anfang. Es sollen weitere öffentliche Besitztitel für solche Zwecke bereitgestellt werden.
Herr Kollege Atzenroth hat darauf hingewiesen, daß die FDP bereits vor 11/2 Jahren einen Privatisierungsentwurf eingereicht hat. Ich möchte dazu sagen, daß unser Entwurf die Tendenz der breiten Streuung hat und daß diese Forderung zuerst von uns erhoben worden ist. Der Entwurf der FDP schlug keine Privatisierung in diesem Sinne vor; seine Durchführung hätte nur eine Umschichtung bewirkt, aber nicht die breite Streuung und die Art der Verwendung, wie wir sie vorschlagen.
Nun hat auch Kollege Atzenroth mit Recht bedauert, daß ein Rückgang bei den Selbständigen festzustellen sei. Wir wissen, daß wir uns in der heutigen Massengesellschaft in einer schwierigen Lage befinden, aber wir wollen gerade mit diesem Gesetzentwurf, dem weitere folgen sollen, ein System entwickeln, das gewissermaßen zum mittelbaren Selbständigen in dieser Massengesellschaft führen kann.
Es ist hier wiederum das Ahlener Programm zitiert worden. Ich möchte wie schon in der ersten Lesung des 2. Bundestags darauf hinweisen, daß dieses Ahlener Programm vom Februar 1947, dessen Geltung sich übrigens nur auf die britische Zone erstreckte, die Vergesellschaftung des Bergbaus und der eisenschaffenden Großindustrie vorsah. Daneben heißt es aber im gleichen Atemzug: „In Industrie, Handel, Handwerk und Gewerbe ist die private Unternehmertätigkeit zu erhalten und zu entwickeln." Und weiter steht dort: „Rechtmäßig erworbenes Eigentum ist zu schützen." Wenn wir hier nun einen Weg beschritten haben, um das Eigentum am Produktionsmittel Kapital nicht als ein Gruppen- oder Klassenvorrecht bestehen zu lassen, sondern gerade dem Arbeiter wie jedem anderen Bürger diesen Weg zu öffnen, dann deshalb, weil wir der Überzeugung sind, daß das eigene Kapitalvermögen die Grundlage seiner Existenz verbreitert. Die Verwirklichung der Forderungen „gesicherter Arbeitsplatz" und „Dauervollbeschäftigung" liegt dann auch mit in der Hand des Arbeitnehmers; denn Investitionswille und Kapitalbildung eines Volkes sind mitentscheidend für Wettbewerbsfähigkeit und gesicherten Absatz seiner Erzeugnisse am Weltmarkt.
So soll angestrebt werden, einem möglichst hohen Prozentsatz unserer deutschen Bürger als Einzeleigentümer zu diesem Produktionsmittel Kapital zu verhelfen. Weil es uns klar war, daß die Sozialisierung nicht das Mittel sein wird und nicht sein kann, das Ziel „Eigentum für jeden" zu erreichen, haben wir heute mit diesem Antrag einen Anfang gemacht. Wir sind auch der Überzeugung — und damit möchte ich schließen —, daß es nicht Aufgabe des Staates sein kann, weiterhin erwerbswirtschaftliches Vermögen zu verwalten; es ist besser, wenn es sich in der Hand seiner Bürger befindet. Der Staat soll durch sein eigenes Beispiel und durch entsprechende Gesetze dazu verhelfen, daß seine bisher vom Kapitalmarkt ausgeschlossenen Bürger zu Eigentum gelangen, und damit eine gesunde wirtschaftsgesellschaftliche Ordnung ermöglichen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, ,den 22. Januar 1958 279

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0300809400
Das Wort hat der Bundesminister Dr. Lindrath.

(Abg. Dr. Mommer: Der Herr Bundesveräußerungsminister!)


Dr. Hermann Lindrath (CDU):
Rede ID: ID0300809500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir ein paar Worte zum bisherigen Ablauf dieser Debatte, die sich von der Debatte, die wir im Mai des vergangenen Jahres zum gleichen Thema hatten, doch recht wesentlich unterscheidet. Im vergangenen Mai ging es hauptsächlich um die Frage des Zeitpunktes: warum und weshalb gerade damals. Heute ist die Frage des Zeitpunkts des Einbringens aus Gründen, die meine Kollegen Häussler und Elbrächter vorhin bereits dargelegt haben, nicht erwähnt worden.
Aber in einem anderen Sinne ist auch heute in einem gewissen Umfang von einem Zeitpunkt gesprochen worden. Es ist gefragt worden, warum sich die Bundesregierung nicht schon längst darauf besonnen habe, daß sie Eigentum breit streuen möchte. Insofern ist von einem gewissen Zeitpunkt gesprochen worden: Warum erst jetzt?
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Herr Bundeswirtschaftsminister, Herr Professor Erhard, tut nicht den zweiten Schritt vor dem ersten, sondern geht der Reihe nach.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Die Aufwärtsentwicklung auf wirtschaftlichem Gebiet, von der mein Kollege Dr. Hellwig sprach, war der erste Schritt, der vorausgehen mußte, ehe man die Voraussetzungen für die Bildung von Vermögen, nämlich das Sparen, schaffen konnte. Unter diesem Gesichtspunkt war jetzt der richtige Zeitpunkt, mit der Privatisierung des Bundesvermögens und der Überführung der Anteile in breite Schichten zu beginnen. Andere, private Betriebe — das ist schon gesagt worden — sind uns hierbei vorausgegangen: Bayer Leverkusen, Krupp, Demag, Mannesmann, BASF, auch Siemens-Halske und viele andere. Natürlich ist der Erfolg noch nicht so, wie wir ihn gern sehen möchten. Das liegt eben daran, daß sich die öffentliche Hand eine gewisse Zurückhaltung auferlegt hat.
Heute ist die Diskussion von diesen Fragen der Zeitpunkte abgegangen .und hat sich mehr auf die grundsätzliche Frage nach den beiden Formen verlagert, in denen man ein solches Unternehmen wie das Volkswagenwerk führen könnte. Ich bin überrascht, mit wie wenig Aufmerksamkeit man Herrn Dr. Hellwig offenbar gefolgt ist; oder man hat ihn offensichtlich nicht verstehen wollen, weil man die Dinge immer anders dargestellt hat, als sie tatsächlich gewesen sind.
Herr Dr. Hellwig hat eindeutig erklärt, daß er die Stiftung als eine mögliche Form der Unternehmensführung ansieht, daß aber eine Führung von derartigen Unternehmen in dieser Form bestimmte Voraussetzungen hat und bei uns die Ausnahme bildet. Das hat er gesagt, und er hat gerade das
letzte an der Zeiss-Jena-Stiftung dartun wollen. Es ist völlig ungerechtfertigt, ihm dieserhalb einen Vorwurf zu machen.

(Zuruf von der SPD: Kann er sich nicht selbst verteidigen?)

— Das wird er wahrscheinlich noch tun. Ich sage es aber, um noch weiter zu der Frage der Stiftung zu sprechen.
Sie sind der Auffassung — das haben Sie, Herr Dr. Deist, vorhin wiederholt ausgeführt —, daß die Stiftung ein besonders gutes Mittel ist, um die Marktpolitik zu fördern und die Wettbewerbswirtschaft aufrechtzuerhalten. Ich bin der Meinung, daß hier die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens verschoben wird, Herr Dr. Deist; sie wird unecht gemacht, wenn wir das in Form einer solchen Stiftung tun, wie Sie es hier vorschlagen.
Überhaupt möchte ich noch darauf hinweisen, daß der Gedanke der Stiftung, der immer wieder erörtert wird, zum Teil so verworren vorgetragen wird, daß man immer erst fragen muß, was eigentlich damit gemeint ist. Dabei möchte ich nicht auf den Antrag Bezug nehmen, der hier vorgelegt ist; hier ist es eindeutig gesagt. Aber in der gesamten Diskussion — Herr Kollege Dr. Deist, das werden Sie mir zugeben — wird häufig von einer Stiftung gesprochen, ohne daß gesagt würde, ob diese Stiftung der Kapitalträger des Unternehmens sein soll, wie es in Ihrem Antrag der Fall ist, oder ob er nur teilweise Kapitalträger sein oder ob er neben dem Kapitalträger bestehen soll. Auch diese Lösung haben wir für akzeptabel erklärt; wir würden sie eventuell annehmen. — Das sind Dinge, die unklar sind.
Weiterhin ist in der Diskussion über die Stiftung sehr häufig unklar, was man eigentlich für die Zwecke der Stiftung aufwenden will, den Erlös oder die Erträge. Das geht häufig sehr arg durcheinander. Beispielsweise geht es auch sehr stark bei den Vorschlägen durcheinander, die wir in „Christ und Welt" finden usw. Auch da sind die Dinge nicht ganz klar dargestellt.

(Abg. Kurlbaum: W i r haben doch alles klar gesagt!)

— Sicher, Sie haben es in Ihrem Antrag klar gesagt. Um die von Ihnen vorgeschlagene Form völlig klar darzustellen, habe ich die abweichenden Vorschläge einmal erörtert, weil ich Ihre Vorschläge noch etwas prägnanter herausstellen wollte.
Allerdings wird durch diese Form der Stiftung eigentlich das Unternehmen der öffentlichen Kontrolle entzogen. In der Stiftung wird das Unternehmen allein von den 21 Verwaltungsratsmitgliedern beherrscht. Sonst hat niemand irgend etwas zu sagen, und das Unternehmen besteht dann als ein Unternehmen für sich allein. Niemand kann hineinreden. Auf der anderen Seite aber — und das ist unlogisch — wird gerade von Ihnen eine viel stärkere Publizität gefordert. Die stärkere Publizität kann bei der Form der Stiftung überhaupt nicht erreicht werden.

(Zustimmung in der Mitte.)


Dr. Lindrath
Darüber hinaus sagen Sie, die Stiftung ist auch marktpolitisch gesehen günstiger. Verschieben wir aber bei Ihrer Stiftung nicht die Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit? Ihre Stiftung, Herr Kollege Dr. Deist, ist in der Form, wie Sie sie formuliert haben, eine gemeinnützige Stiftung.

(Widerspruch bei der SPD.) — Hier steht ganz deutlich:

Zweck der Stiftung ist es, das Volkswagenwerk im Dienste des Gemeinwohls zu führen.

(Abg. Kurlbaum: Das ist nicht gemeinnützig! — Weitere Zurufe von der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0300809600
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Dr. Lindrath, Minister für wirtschaftlichen Besitz des Bundes: Bitte!

Georg Kurlbaum (SPD):
Rede ID: ID0300809700
Herr Minister, ist Ihnen entgangen, daß ja dieses Volkswagenwerk auch als Stiftung Erträge abwerfen muß, wenn diese Stiftung etwas für die Förderung des technischen Nachwuchses tun muß? Sie muß also Erträge abwerfen und ist insofern anderen Unternehmen gleichgestellt.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Dr. Lindrath, Minister für wirtschaftlichen Besitz des Bundes: Die Aufwendungen zur Förderung der Wissenschaft sind ja auch gemeinnützig und werden steuerlich begünstigt. Ich fürchte, wenn das Unternehmen in Form der Stiftung errichtet wird, wird selbstverständlich gefordert werden, daß es steuerfrei gestellt wird. Damit hätte diese Stiftung einen Vorrang gegenüber jedem anderen Unternehmen.
Allein die Körperschaftsteuer, die heute vom Volkswagenwerk gezahlt wird, beträgt immer noch mehr als 100 Millionen DM im Jahr. Durch einen solchen Vorrang würde die Wettbewerbsfähigkeit meiner Meinung nach durchaus verschoben. Außerdem würde ein sehr beträchtlicher Steuerausfall entstehen; der würde auch die Länder betreffen. Allein im Lande Niedersachsen entstünde ein Steuerausfall von 65 Millionen DM im Jahr. Das sollte man bei der Debatte dieser Frage doch nicht vergessen.
Sowohl Herr Kollege Kurlbaum als auch Herr Kollege Dr. Deist haben mich in der Frage des Depotstimmrechts angesprochen. Ich habe dazu in der Öffentlichkeit folgendes gesagt: Ich wünsche nicht, daß die Kleinaktien, die nach diesem Entwurf ausgegeben werden sollen, irgendeinen diskriminierenden Bestandteil in sich bergen. Sie sollen genauso vollgültige Aktien wie alle anderen Aktien sein.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Zur Frage des Depotstimmrechts verweise ich auf
den § 114 des Aktiengesetzes. Diese Frage läßt sich
in der Satzung ohne weiteres in einer Weise regeln, die es möglich macht, Überfremdung und Machtausübung zu verhindern.
Sie haben ferner darauf hingewiesen, daß hier eine neue Sparform gewünscht wird. Gewiß, auch eine neue Sparform, aber nicht eine neue Sparform gleicher Art neben den sonstigen Sparformen, sondern eine Sparform, bei der diejenigen, die die Volksaktien oder Kleinaktien erwerben, Eigentümer an den Produktionsmitteln werden. Das ist etwas anderes als andere Formen des Sparens wie z. B. über das Sparbuch schlechthin.
Sie haben dann gesagt: Wer soll denn diese Volksaktien kaufen? Nun, wir denken an Stückelungen von 100 DM. Da können wir sehr breite Kreise ansprechen, und zwar, Herr Kollege Dr. Deist, viel breitere Kreise — auch Kreise, die weniger Einkommen haben —, als Sie sie mit Ihrem Antrag ansprechen. In Ihrem Antrag sagen Sie, Sie wollen breite Bevölkerungsschichten mit einem billigen, guten Kraftwagen versorgen, dieser kostet immer noch 3 600 DM, und die Volksaktien können sie für 100 DM erwerben.

(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD.)

— Das ist gar nicht zum Lachen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wenn Sie der Auffassung sind, man sollte breite Kreise ansprechen, dann soll man auch noch kleineren Einkommenbeziehern die Möglichkeit geben, an Produktionsmitteln Eigentum zu erwerben, und nicht, einen Kraftwagen, der wesentlich teurer ist, zu kaufen, der einem viel stärkeren Verschleiß unterliegt.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Kreyssig: Versilbern, Herr Minister! — Abg. Schröter [Berlin] : Wir gratulieren zur Jungfernrede!)

Sie haben den Aktienkauf eine „Illusion, wenn nicht Schlimmeres" genannt, Herr Dr. Deist. Ich muß schon sagen: das ist eine Unterstellung, die eigentlich doch sehr weit geht. Wenn wir diese Kleinaktie der Bevölkerung zum Ankauf anbieten und ihr damit einen Anteil an den Produktionsmitteln geben, dann ist das keine Illusion, sondern ein echter Sachwert, wie er beim Kauf des Kleinwagens auch erworben wird, vielleicht sogar, wie ich soeben sagte, ein besserer. Aber man kann doch nicht sagen, das sei eine Illusion und der Wettbewerb solle dadurch, daß die Stiftung herausgestellt werde, nur gesteigert werden. Die Frage „Stiftung oder Aktiengesellschaft" ist vielleicht, nachdem der Antrag durch Herrn Kollegen Mommer abgeändert worden ist, im Augenblick nicht mehr so akut, weil sie ja im Ausschuß noch Gegenstand eingehender Erörterungen werden wird.
Eines möchte ich noch hinzufügen. Die Eigentumsfrage wird ebenfalls — damit möchte ich auf die Erklärung Bezug nehmen, die der Herr Ministerpräsident von Niedersachsen hier abgegeben hat — sehr bald aufgegriffen. Ich kann Ihnen mitteilen, daß die Verhandlungen aufgenommen sind. Ich habe



Dr. Lindrath
.) dem zuständigen Ressortminister der niedersächsischen Regierung bereits mitgeteilt, daß die Verhandlungen sofort aufgenommen werden sollen.
Sie haben darauf hingewiesen, daß breiteste Volkskreise bei der Erstellung des Volkswagenwerkes große Opfer gebracht haben und damit auch an der Wiedererstellung dieses Werkes wesentlichen Anteil haben. Das trifft zu. Es handelt sich um ein Unternehmen, das völlig zerstört war und das durch den Fleiß, die Arbeit und die Treue der gesamten Belegschaft unter einer tatkräftigen und tüchtigen Geschäftsführung wiederaufgebaut worden ist. Ich möchte auch hier der Belegschaft und der Geschäftsleitung des Volkswagenwerkes Dank und Anerkennung aussprechen und ihnen gleichzeitig sagen, daß bei der Neugestaltung des Volkswagenwerkes in ihren Arbeitsverhältnissen keinerlei Änderungen geplant sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0300809800
Das Wort hat der Abgeordnete Preusker.

Dr. Victor-Emanuel Preusker (CDU):
Rede ID: ID0300809900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß die Diskussion heute zum Teil mit etwas getarnten Zielsetzungen betrieben worden ist.

(Zurufe von der SPD: Schauen Sie Herrn Hellwig an!)

— Ich kann auch Herrn Hellwig ansehen; ich meine das ganze Haus. — Die Diskussion hat nämlich zwei verschiedene Zielsetzungen: das eine ist die ganz eng begrenzte Frage, in welcher Form und Gestalt man das Volkswagenwerk am zweckmäßigsten weiterführt, und das zweite ist die Frage, ob eine ganz bestimmte Form gleichzeitig einen ersten Schritt zur Besserung unserer Sozialordnung und einen Anreiz zum Sparen oder einer breiteren Eigentumsstreuung darstellt. Wir sollten diese beiden Punkte einmal in aller Sachlichkeit trennen.
Wenn es nur darum ginge, ob man ein bestimmtes Unternehmen etwa als öffentliches Unternehmen, als Aktiengesellschaft in privatem Eigentum oder als Stiftung betreiben soll, wobei das Konkretum das Volkswagenwerk ist, könnte man durchaus sachlich über jede dieser drei Rechtsformen debattieren. Ich glaube auch, daß man das im Ausschuß tun sollte. Aber wenn man die Dinge gleichzeitig mit der Vorstellung verknüpft — das ist hier von allen Seiten geschehen, und das ist auch der Gegensatz in unseren politisch-sachlichen Auffassungen —, welches gewissermaßen die im Sinne einer neuen und besseren Sozialordnung vorteilhaftere Form ist, dann wird aus dem Einzelfall natürlich sofort der Modellfall oder das Prinzip, und damit kommt die Diskussion auf ein ganz anderes Gebiet.
Herr Kollege Deist, Sie sind es ja gewesen, der zunächst einmal beklagte, daß der Kollege Hellwig zuvor den Einzelfall und das Prinzip unterschieden hat. Aber Sie haben nachher selbst erklärt, daß der spezielle Fall Volkswagenwerk einmünde in den Fall eines großen marktbeherrschenden Unternehmens, eines Unternehmens, das aus der Konzentration der Wirtschaft heraus in eine beherrschende Stellung hineingewachsen sei, und daß wegen dieser besonderen Charakteristik Ihre Meinung dahin gehe, dieses Unternehmen sollte als Stiftung und nicht als Aktiengesellschaft fortgeführt werden.
Ich möchte versuchen, in dieser einen grundlegenden Frage, die immer wieder Spannungen mit sich bringt — ich weiß auch, daß sie nicht zu überbrücken sind —, in leidenschaftsloser Weise zu argumentieren, der einen Argumentation die andere entgegenzusetzen. Ich muß beginnen mit einem Punkt, den der Herr Kollege Kurlbaum zu Anfang seiner Rede angesprochen hat, als er in wohl etwas unglücklicher Weise bemerkte, daß in den letzten acht Jahren eine Konzentration von Vermögen im wesentlichen bei einigen wenigen erzielt worden sei. Herr Kollege Kurlbaum, ich möchte Ihnen entgegenhalten: das ist nach meiner Überzeugung nicht etwa geschehen, weil wir in diesen acht Jahren zuviel Privateigentum und zuwenig Staat hatten, sondern weil wir im ganzen immer noch zuviel Staat und zuwenig konsequent Privateigentum und Privatinitiative hatten.

(Beifall rechts. — Abg. Kurlbaum: Das gilt nur für die eine Hälfte!)

— Nein! Lassen Sie mich den Gedanken doch erst einmal weiter ausführen. Das gilt besonders für den Gedanken der Selbstfinanzierung. Zweifellos hat nach dem Zusammenbruch und nach der Währungsneuordnung, deren Charakter ja nicht von deutscher Seite bestimmt wurde, sondern die uns damals noch als eine Maßnahme unserer Besatzungsmächte auferlegt worden ist, das Kapital in breiter Streuung gefehlt, das notwendig war, um unsere ganze Wirtschaft und aus den Trümmern unsere Städte wiederaufzubauen.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Damals ist uns auch — nicht von uns erfunden, sondern wiederum als Ausfluß der Politik der Besatzungsmächte — eine ungeheuer hohe steuerliche Belastung auferlegt worden, die von vornherein dem Staat einen ganz großen Anteil am Sozialprodukt zugeführt und ihm damit auch von vornherein einen wesentlichen Anteil an den ganzen Aufgaben des Wiederaufbaus zugespielt hat. Das lag jenseits von Wünschen und Wollen, von politischen Vorstellungen, das war in dem Augenblick schlechthin ein Faktum. Wir konnten es ja gar nicht nach unserem Wunsch und Willen ändern. Noch als wir 1950 in der Bundesrepublik unsere ersten Steuersenkungen durchführen wollten, begegneten wir einem geharnischten Veto der damaligen Besatzungsmächte, das erst allmählich durch die Standhaftigkeit auf unserer Seite überwunden werden konnte.
Wenn man aber eben einen zu großen Anteil des Sozialprodukts direkt und indirekt als Steuern erhebt, kann das nicht gleichzeitig bei Herrn Müller, Herrn Schulze und Herrn Lehmann als Sparguthaben wieder in das private Vermögen und in den privaten Besitz hineinwachsen. Das eine schließt das andere aus.
282 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode —8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Januar 1958
Dr. Preusker
Später haben wir zweifellos in unserer gesamten Wirtschafts- und Finanzpolitik diese Überforderung des Steuerpflichtigen noch fortgesetzt.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Ich will da auch keinen Menschen entschuldigen, sondern ich nehme das als eine Tatsache hin, die man eben bekennen muß. Ich kann mich nur darüber freuen, daß die Bundesregierung inzwischen zu der klaren Erkenntnis gekommen ist, daß es notwendig ist, mit dieser Politik der Überforderung auf dem steuerlichen Gebiet soweit wie irgend möglich zu brechen und damit die Hauptursache einer vielleicht nicht genügend schnellen und breiten Spartätigkeit und Vermögensbildung beim einzelnen zu beseitigen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang, weil sowohl Sie, Herr Kurlbaum, wie Sie, Herr Kollege Deist, die Frage der besonderen Förderungsmaßnahmen für den sozialen Wohnungsbau zu Beginn des Jahres 1957 angesprochen haben, einmal folgendes sagen. Ich habe — das ist allgemein bekannt — bereits lange vorher eine rechtzeitige und ausreichende allgemeine Steuersenkung verlangt, um einen solchen, sagen wir einmal, Minderertrag am Kapitalmarkt gar nicht erst entstehen zu lassen, dem wir uns dann nach den scharfen Restriktionsmaßnahmen der Bundesnotenbank gegenübergesehen haben. Ich hätte den anderen Weg vorgezogen. Aber ich stehe trotzdem noch zu dem, was ich damals auch als eine Notmaßnahme bezeichnet habe, und zwar aus einem ganz anderen Grunde. Ich glaube, ich kann das mit einer Gegenfrage sehr schnell darstellen: Was hätten Sie wohl hier für ein Lamento erhoben, wenn etwa wegen eines Nichthandelns der Bundesregierung an die 100- bis 150 000 Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus im Jahre 1957 nicht gebaut worden wären?

(Abg. Dr. Hellwig: Sehr richtig!)

Deshalb glaube ich, daß aus dieser Situation heraus das einzige, was damals möglich schien, nämlich diejenigen, die tatsächlich mit einigen Anreizen etwas herbeischaffen konnten, zugunsten derjenigen, die nichts hatten, zu Opfern zu veranlassen, sich rechtfertigen ließ.
Ich darf nur das eine noch, Herr Kollege Deist, ehe Sie Ihre Frage stellen, abschließend zu diesem Komplex hinzufügen: daß inzwischen durch Erklärungen sowohl der Bundesnotenbank als auch der Sparkassenorganisationen eindeutig klargestellt ist, daß mindestens zwei Drittel dieser Beträge, die damals aufgekommen sind, völlig neues Sparkapital dargestellt haben. Herr Kollege Deist, Sie brauchen nur den April- oder Maibericht — ich weiß es im Moment nicht genau — damals noch der Bank deutscher Länder nachzusehen, in dem der Prozentsatz nach eingehenden Ermittlungen mit 65,3 % festgestellt ist. — Bitte, Herr Kollege Deist!

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300810000
Herr Kollege Preusker, verschieben wir nicht die Debatte um ein ganz erhebliches Stück? Wir haben uns nicht darüber unterhalten, ob es richtig war, für den Wohnungsbau Mittel zu beschaffen, oder nicht. Die Frage war einzig und allein die, ob die von Ihnen gewählte Methode zur Streuung von Eigentum in breiter Hand geführt hat oder wer eigentlich in der Lage war, langfristige Sparverträge abzuschließen. Das war das Problem und kein anderes.

Dr. Victor-Emanuel Preusker (CDU):
Rede ID: ID0300810100
Herr Kollege Deist, ich widerspreche Ihnen gar nicht, dies war das Problem. Ich sage nur: wir wären von der Lösung dieses Problems in der richtigen Form noch viel weiter abgekommen, wenn wir etwa 2 Millionen arbeitslose Bauarbeiter und 150 000 Wohnungen weniger gehabt hätten. Sie dürfen eben diese Einzelmaßnahme, die ja nicht den Inhalt einer konsequenten Generallinie einer Regierungspolitik dargestellt hat, nicht als eine solche Grundsatzfrage herausstellen. Sie ist nichts anderes gewesen als eine Notmaßnahme, und ich sage Ihnen hier noch einmal, was ich zu Eingang schon sagte: Das Entscheidende wäre nach meinem Dafürhalten und nach meinen Vorstellungen auch gewesen, rechtzeitig vorher die staatlichen Anforderungen an die Wirtschaft, an Arbeitnehmer, an Unternehmer und an freie Berufe so zu reduzieren, daß ihnen ein größeres Maß an Leistungsfähigkeit für den Betrieb oder für die Sparkapitalbildung verblieben wäre. Das — das möchte ich hier wiederum betonen — steht auch jetzt wieder als die kardinale Frage vor uns.
Deshalb möchte ich auch in das, was der Kollege Arnold vorhin ausgeführt hat, einen etwas anderen Ton hineinbringen. Man konnte aus seinen Ausführungen den Eindruck haben, daß die Aktie die ganz besondere Sparform für den kleinen Mann in der Gegenwart und in der Zukunft sein sollte. Ich möchte das als Fernziel auch für mich unbedingt bejahen, daß es in Deutschland einmal dahin kommt Aber in der Gegenwart haben Sie, glaube ich, fast offene Türen eingerannt, als Sie sagten, daß der Bezieher eines Einkommens zwischen 300 und 500 DM wohl nicht der erste Aspirant auf die Aktie sein werde; er werde, wenn er spare, das zunächst über die Sparkasse, die Bausparkasse, die Lebensversicherung oder das Investment-Papier tun, in dem dann ja auch schon die Aktie enthalten ist, und erst wenn es ihm dann besser gehe und er einen gewissen Stock habe, werde er auch die Aktie beziehen.

(Abg. Schröter [Berlin] : Also da sind Sie ja beide einig!)

Aber Herr Kollege Deist, wenn ich Ihnen in bezug auf die Reihenfolge der Sparformen durchaus recht gebe, so besagt das noch lange nicht, daß ich nicht das andere Ziel, nämlich Verbreiterung und Streuung des Aktienbesitzes, auch jetzt schon mit allen Mitteln angestrebt haben möchte.
Ich gebe Ihnen auch noch in einem zweiten Punkt weitgehend recht. Selbstverständlich gehört dazu in gleicher zeitlicher Reihenfolge auch die grundlegende Reform des Aktienrechts. Das ist, glaube ich, auch vom Herrn Kollegen Hellwig ebenso eindeutig herausgestellt worden. Auch die Bundesregierung hat in ihrer Regierungserklärung die Notwendigkeit dieser Aktienrechtsreform pari passu mit den anderen Maßnahmen unterstrichen. Dazu

Dr. Preusker
gehört auch, daß die Macht der Verwaltung, die unabhängig und ohne Verantwortung den Jahresabschluß feststellen kann, möchte ich fast sagen, gebrochen und wieder gegenüber den Aktionären in eindeutiger rechtlicher Form eine Verpflichtung hergestellt wird. Die Aktionärsrechte und die Pflichten der Vorstände müssen wieder durch Ausmerzung all der Dinge, die nach 1933 in das Aktienrecht hineingekommen sind, in ganz klarer Weise herausgestellt werden. Auch darüber werden und können wir uns sehr schnell einig sein.
Jetzt kommt die prinzipielle Frage, ob überhaupt eine Reprivatisierung angestrebt werden soll, und wenn ja, ob dann die Größe des Unternehmens ganz bestimmte andere Formen nahelegt als die Überführung in das private Eigentum, das heißt, ob speziell die Stiftung dafür eine geeignete Form darstellen kann. Ich möchte ganz klar herausstellen, daß alle diese Fragen müßig bleiben, solange nicht gleichzeitig das übergeordnete Problem einer grundlegenden steuerlichen Neuordnung so angepackt wird, daß dem Staat im Haushalt wirklich nur noch das Allernotwendigste an Mitteln zur Erfüllung seiner Aufgaben zugebilligt wird. Ich möchte es einmal so formulieren: es muß eigentlich so sein, daß ein Antrag, der in diesem Parlament im Laufe eines Haushaltsjahres gestellt wird und der irgendwelche Ausgaben zur Folge hat, nur bei gleichzeitiger Bewilligung einer Anleiheaufnahme oder einer Steuererhöhung angenommen werden kann. Wenn die Finanzierung der in dem Antrag geforderten Maßnahmen aus Überschüssen des Haushalts denkbar wäre, müßte eigentlich die Regierung von sich aus verpflichtet sein, eine Steuersenkung herbeizuführen. Etwas anderes ist eine interne Umlagerung. Wenn Sie z. B. sagen, Verteidigungsausgaben sind nicht oder nicht in der Höhe nötig, und dafür etwas anderes wünschen, dann liegt das auf einer ganz anderen Ebene. Aber die Gesamtbelastung muß bis an diese Grenze gesenkt werden.
Dann haben Sie auch die notwendige Grenze für die Selbstfinanzierung gesteckt, und dann werden Sie die Selbstfinanzierung der Wirtschaft auch nicht mehr als alleinigen Zwangsausweg auferlegen müssen. Dann können nämlich die Unternehmen mit Erfolg an den Kapitalmarkt appellieren; diese Methode ist schließlich auch billiger als die Selbstfinanzierung, die immer sehr teuer ist. Erst dann wird wieder in echter Form eine Wettbewerbswirtschaft etabliert. Dann gibt es nämlich einen Druck auf die Preise, und dann wird — das möchte ich auch einmal sagen, Herr Kollege Deist — der Zug zur Konzentration außer durch technische Überlegungen nicht auch noch durch die Kapitalmacht, die dahintersteht, begünstigt werden. Bei einem funktionierenden Kapitalmarkt und bei einer breiten Streuung des Sparkapitals wird dann auch der mittlere Betrieb konkurrenzfähig sein, wenn er tatsächlich eine bessere Leistung zu bieten hat.
Unterstellen wir einmal die Erfüllung dieser Voraussetzung, also die Beseitigung übertriebener Selbstfinanzierung durch eine entsprechende Steuerpolitik, durch eine entsprechende Entlastung und
Förderung des Sparens! Angesichts der Beispiele aus der Sowjetunion und aus der sowjetisch besetzten Zone wird auch Ihnen klar sein, daß in dem sogenannten „Volkseigentum", bei dem die Macht in der Hand des Staates anstatt Privater konzentriert ist, die größte Gefahr eines Mißbrauchs der Macht liegt, die wir kennengelernt haben. Das ist auch die größte Gefahr für den sozialen Fortschritt und die Freiheit des einzelnen.
Ich komme damit zur zweiten Frage, zum Problem der Stiftung, nun nicht einmal als Einzelfall gesehen, sondern unter dem Aspekt, den Sie angedeutet haben: wenn ein Unternehmen eine gewisse Größe, eine marktbeherrschende Position erlangt habe, sei gegenüber der Macht, wie sie im Privateigentum gegeben sein könne, die Stiftung die bessere Lösung.
Demgegenüber, Herr Kollege Deist, möchte ich nur einmal auf folgendes hinweisen. Eine Siftung ist am Kapitalmarkt nicht emissionsfähig und wäre daher im Wettbewerb, in dem es sich mit anderen wirtschaftlichen Unternehmen befindet, in allererster Linie auf die Selbstfinanzierung, d. h. auf die Finanzierung über die Preise, angewiesen. Aber gerade das ist ja das Krebsübel, das wir beseitigen wollen. Wenn wir es durch eine entsprechende Wettbewerbsordnung und eine allgemeine steuerliche Entlastung beseitigten, entfiele für die Stiftung im wesentlichen die Selbstbehauptungsmöglichkeit. Wenn Sie die Form der Stiftung prinzipiell für marktbeherrschende Unternehmen wählen — Sie haben es ja ungefähr so formuliert, daß das der Modellfall der künftigen Neuordnung sein könne —, haben Sie, wenn mehrere solcher Fälle vorhanden sind, eine Konzentration derartiger Unternehmen, die sich dann in einer, ich möchte sagen, fast nicht zu verantwortenden Position befinden; denn Sie haben dann nicht einmal mehr wie beim direkten staatlichen Unternehmen die Kontrolle durch die Regierung und durch ein Parlament, dem die Regierung verantwortlich ist, und Sie haben auch nicht die Kontrolle durch Anteilseigner, durch Aktionäre und durch eine Hauptversammlung nach dem umgestalteten Aktienrecht, sondern Sie haben nur ein Kuratorium.
Herr Kollege Deist, das Kuratorium, wie Sie es sich vorgestellt haben, in allen Ehren! Aber wie soll dieses Kuratorium aussehen? Ich lese es Ihnen aus Ihrem Antrag vor, wer darin sein soll: fünf Vertreter der Kultusministerkonferenz, fünf Vertreter der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Das sind schon mal zehn von den 21 Mitgliedern. Ich bezweifle, ob sie es unter allen Umständen am besten verstehen, wie Autos produziert werden sollen. Ich glaube, diese Zusammensetzung ist wesentlich schlechter als eine — ich will mich mal jetzt in etwa Ihrer Ausdrucksweise bedienen — von Großbankvertretern, die an einer möglichst hohen Dividende interessiert wären; denn sie würden sich immer um den höchsten wirtschaftlichen Ertrag bemühen.

(Abg. Dr. Hellwig: Das Kuratorium ist nicht der Verwaltungsrat!)

— Gewiß, es ist klar, daß das Kuratorium nur den
Verwaltungsrat bestellen soll; aber dieses Kurato-



Dr. Preusker
rium wird eben den Verwaltungsrat nicht auf Grund von Branchenkenntnissen und unmittelbar wirtschaftlichen Interessen bestellen.
Herr Kollege Deist hat dann gegen die Reprivatisierung in der Form der Aktiengesellschaft noch eingewandt, die Konzentration der Aktien in Deutschland sei bereits so weit fortgeschritten, daß auch diese Aktion nur wieder in den personellen und kapitalmäßigen Machtbereich einiger weniger Großbankeneinflüsse einmünden würde. Herr Kollege Deist, wenn man gewisse Erscheinungen der Gegenwart und der Vergangenheit — aus einer Entwicklung, die hier niemand etwa als ideal bezeichnen oder gar verewigen möchte — als Gegenargument bringt, ohne dabei das zu berücksichtigen, was hier auch von der Bundesregierung herausgestellt worden ist, nämlich über die Aktienrechtsreform und über die entsprechende Begünstigung der Eigentumsbildung und der Sparbildung die große Streuung des Eigentums als eine wirklich neue soziale Ordnung zu erreichen, dann kann man natürlich einen etwas schiefen Eindruck erwecken.
Ich möchte deshalb als unsere Auffassung noch einmal herausstellen: wir bejahen diesen einzelnen Fall der Reprivatisierung des Volkswagenwerks in vollem Umfang, auch wenn wir mit vielen Einzelheiten des Gesetzentwurfs, insbesondere mit der Diskriminierung in der Form der Aktienrechte, nicht einverstanden sind, weil hiermit ein Ansatz als ein Teil eines Gesamtprogramms gemacht werden soll, den Staat konsequent aus all den Bereichen der Wirtschaft zu entfernen, in denen ein wirtschaftlicher Wettbewerb durchaus das gleiche leisten kann. Es wird wohl niemand behaupten können, daß die Produktion von Automobilen automatisch und von Natur aus eine Aufgabe oder eine Verpflichtung für das Allgemeinwohl sei. Es handelt sich hier um etwas anderes als um die Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung oder die Bundesbahn oder Bundespost.
Wir sehen in dem hier vorgeschlagenen Weg nur eine mögliche Form der Sparförderung, die wir neben den Investmentgesellschaften, neben der Begünstigung des Konten- und sonstigen WertpapierSparens und dem mir besonders ans Herz gewachsenen Bausparen als freie Wahlmöglichkeit für den einzelnen immer weiter entwickeln sollten, um fortzufahren auf dem Weg: sowenig Staat wie möglich, soviel Privateigentum und soviel Privatverantwortung wie möglich, sowenig, so niedrige und so einfache Steuern wie möglich, damit aus dem erzielten höheren Arbeitsertrag möglichst breitgestreutes Eigentum gebildet werden kann. Diesen Weg bejahen wir in vollem Umfang, und in dieser Hinsicht ist für uns auch der vorliegende Gesetzentwurf ein Modellfall. Wir vertreten das Prinzip des privaten Eigentums und des privaten Sparens, das Prinzip der Entmachtung des Staates und der Entmachtung auch von Verbandsgruppen, gleichgültig welcher Art sie sind, zugunsten der Verantwortung desjenigen, der arbeitet, leistet und spart.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300810200
Das Wort hat der Abgeordnete Hellwig.

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300810300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu meinem großen Bedauern muß ich noch einmal kurz das Wort ergreifen, weil der Kollege Dr. Deist stellenweise das von mir Vorgetragene in einer Art und Weise wiedergegeben und dann dagegen polemisiert hat, die ich als ungewöhnlich unfair — abweichend von dem Verfahren, das wir sonst bei Diskussionen in diesem Hause hatten — angesehen habe.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Herr Dr. Deist, ich komme an einigen Stellen darauf zurück und werde Ihnen diese merkwürdige Art der Polemik genau vorhalten.
Aber zunächst einiges zum geschäftsordnungsmäßigen Ablauf. Nachdem der Antrag der SPD die Ihnen bekanntgegebene Änderung erfahren hat, werden meine politischen Freunde dafür stimmen, daß der Entschließungsentwurf dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik mitüberwiesen wird.
Etwas, was die Fragwürdigkeit der Art der Polemik des Kollegen Dr. Deist hier sofort ganz offenkundig macht, ist zunächst das, was er über die Einkommensschichtung gesagt hat. Herr Dr. Deist, Sie haben gesagt — ich habe nicht exakt mitgeschrieben —, nach den letzten Feststellungen hätten rund 50 % der Einkommen bei uns — und zwar der unselbständigen Einkommen, wenn ich es richtig in Erinnerung habe — nicht über 300 Mark gelegen. Herr Dr. Deist, wer eine solche Zahl bringt, muß auch die Erläuterungen des Statistischen Bundesamtes dazu bringen, wie diese Gruppe niedrigster Einkommen sich zusammensetzt: daß nämlich darin enthalten sind die Lehrlinge,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft und in häuslichen Diensten Beschäftigte, von denen ein Teil nur saison- oder stundenweise erwerbstätig,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

also nicht das ganze Jahr voll beschäftigt gewesen ist, weiterhin Teilbeschäftigte, zum Teil in der gewerblichen Wirtschaft, zum Teil auch im öffentlichen Dienst,

(erneute Rufe bei der CDU/CSU: Hört! Hört!)

weiterhin Personen, die auch andere Einkünfte —aus eigenem Vermögen, aus eigenem Betrieb — beziehen und ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit in unselbständiger Stellung als Nebenverdienst haben,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

und daß nach den Berechnungen, die uns bisher abgeschlossen vorliegen, in der untersten Einkommensschicht nur 10 % enthalten sind, die ganzjährig in der gewerblichen Wirtschaft beschäftigte Arbeitnehmer waren.
Meine Damen und Herren, damit wird deutlich, daß mit einer solchen Zahl, wie Herr Dr. Deist sie gebracht hat, hier überhaupt nichts bewiesen wer-



Dr. Hellwig
den kann. Ich muß dem — ich erinnere nochmals daran: rund 50 % der Unselbständigen hätten unter 300 Mark Monatseinkommen gelegen — gegenüberstellen: Der Monatsdurchschnitt des Arbeitnehmereinkommens nach den Haushaltsberechnungen 1956 ergab sich — vom Statistischen Bundesamt auf Grund der Haushaltsrechnungen berechnet - mit 509 Mark und 80 Pfennig.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Das monatliche Bruttoeinkommen eines männlichen Arbeiters in der Industrie allein — Arbeitseinkommen aus Hauptberuf —, ohne den Bergbau, wohlgemerkt, der höher liegt, betrug im Jahre 1956 456,30 DM. — Mit diesen Gegenüberstellungen ist wohl deutlich, daß mit der Zahlenrechnung über die Einkommensschichtung, die wir hier vorgesetzt bekamen, nichts, aber auch gar nichts bewiesen werden kann.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Eine weitere Feststellung. Es ist über den hohen Anteil der Vermögensbildung bei den selbständigen Unternehmungen gesprochen worden. Es ist das so dargestellt worden, als wenn das ein unabänderliches und unverändertes Faktum in den letzten Jahren gewesen wäre. Man sollte auch zugeben, daß 1950 der Anteil der Unternehmungen und der Selbständigen noch bei 50 % lag und daß er seither kontinuierlich — unterbrochen von einer konjunkturellen Bewegung — zurückgegangen ist, daß dagegen der Anteil gerade der öffentlichen Hand an der Vermögensbildung kontinuierlich gewaltig gestiegen ist.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Das ist doch das Bild der Einkommensentwicklung, mit dem wir uns auseinanderzusetzen haben; und gerade auch daraus, daß der Anteil der öffentlichen Hand an der Vermögensbildung kontinuierlich gestiegen ist, ergibt sich ein Motiv für die Vorlage, die wir Ihnen heute hier vorgelegt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Eine weitere Sache, wo hier nur mit halben Feststellungen eine Tendenz vertreten wird, die in der Sache nicht gerechtfertigt ist. Das ist die Frage, in welcher Weise sich die Belegschaften zum Aktienerwerb in ihren Firmen, wo ihnen erleichterter Erwerb ermöglicht wurde, verhalten haben. Herr Kollege Deist, Sie sprachen davon, daß der Prozentsatz in den genannten Firmen sehr niedrig sei. Sie hätten sagen müssen, daß er in einem Unternehmen, dessen Verhältnisse in der Presse gerade in den letzten Tagen bekanntgegeben worden sind, in den letzten Jahren, insbesondere im letzten Jahre, bereits ganz erheblich zugenommen hat und daß hier offensichtlich schon ein Erfolg der Aufklärungsarbeit zu verzeichnen ist, die nicht zuletzt die Arbeitnehmerschaft, die hinter der CDU/CSU steht, in den letzten Monaten bei den Arbeitnehmern geleistet hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dann etwas zu der Frage der Psychologie des Aktienerwerbs. Wir haben von Herrn Dr. Deist nur alle Warnungen gegen den Erwerb von Aktien gehört. Er sprach von „Illusionen, um nicht noch etwas Schlimmeres" zu nennen. Offensichtlich war da so etwas, was vielleicht an Betrug oder Irreführung grenzt, gemeint, oder was sollte „schlimmer als Illusion" sein?

(Zuruf des Abg. Dr. Deist.)

— Nun, ich bin beruhigt, daß Sie es nicht so grob gemeint haben. Aber, meine Damen und Herren, löst das denn das Problem, daß wir der deutschen Arbeitnehmerschaft sagen: Ihr seid nicht reif genug, Aktien zu erwerben!?

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)


Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300810400
Herr Dr. Hellwig, aus welchen Stellen meiner Ausführungen meinen Sie herauslesen zu können, daß ich gesagt habe, der deutsche Arbeiter sei nicht reif, eine Aktie zu erwerben?

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300810500
Herr Dr. Deist, ich muß den Wortlaut hier genau abgrenzen. Sie haben eine Reihe von Ausführungen des Inhaltes gemacht, daß es einfach noch nicht verantwortet werden könne, dem Arbeitnehmer das Risiko eines Aktienbesitzes oder Aktienerwerbs zuzumuten.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

— Zumindest für die Auseinandersetzung, in der wir stehen

(Abg. Dr. Deist: Aha!)

— ich unterstelle Ihnen nicht eine Behauptung; ich habe eben auch nicht gesagt, daß Sie das gesagt hätten —,

(Zurufe von der SPD)

löst das doch nicht das Problem, daß wir sagen: der
Aktienbesitz ist mit Risiken behaftet, die dem deutschen Arbeitnehmer nicht zugemutet werden können.

Georg Kurlbaum (SPD):
Rede ID: ID0300810600
Herr Dr. Hellwig, erinnern Sie sich nicht auch daran, daß in unserer Argumentation eine ganz wesentliche Rolle gespielt hat, daß wir gesagt haben: bei dem augenblicklichen Zustand der Publizität können wir es den Kleinaktionären allgemein nicht zumuten, daß wir ihnen dazu raten?

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300810700
Ich komme darauf noch zurück. Sie haben die Behauptungen von Herrn Kollegen Dr. Deist eben etwas modifiziert.
Meine Damen und Herren! Mir liegt über das Interesse der deutschen Arbeiter am Aktienbesitz eine Reihe von Befragungen der deutschen Meinungsforschungsinstitute vor. Ich will damit nicht sagen, daß sie die Weisheit und die wahre Erkenntnis unbedingt gepachtet hätten; aber ich glaube, daß in diesem Saale Parteien sind, die die Exaktheit der Voraussagen dieser Institute gerade bei der letzten Bundestagswahl sehr schmerzlich haben feststellen müssen.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

286 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, ,den 22. Januar 1958
Dr. Hellwig
Über das Interesse am Aktienbesitz wird folgendes gesagt. Eine als Weihnachtsgratifikation erhaltene Kleinaktie würden 31 % der Arbeiter sofort wieder verkaufen. Das ist immerhin ein Prozentsatz, der überraschend niedrig ist. 22 % der Arbeiter wären nicht darüber begeistert, würden sie aber behalten. 15 % der Arbeiter wüßten nichts damit anzufangen. Der Rest also behält sie.

(Lachen bei der SPD.)

— Warten Sie ab! Außerdem sagen 22 % der Arbeiter, sie würden sich bemühen, von Kollegen, die verkaufen wollen, noch mehr zuzukaufen.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Ich glaube, daß das für den Anfang der Aufklärungskampagne, in der wir uns auf diesem Gebiet befinden, schon eine ganz erfreuliche Feststellung über das Interesse der Arbeiter am Aktienerwerb ist.
Nun, meine Damen und Herren, was ist mit den Aktienbesitzern in den USA los? Die Zahl der Aktienbesitzer von etwa 10 Millionen wurde zur Gesamtbevölkerung von 160 Millionen in Beziehung gesetzt. Wenn Sie bei 160 Millionen ein Viertel als Haushaltungen rechnen, also 40 Millionen Haushaltungen, dann kommen Sie schon auf ein Viertel der Haushaltungen, die Aktien besitzen. Und nun überlegen Sie einmal folgendes. Gerade der selbständige Betriebsinhaber, der die flüssigen Mittel in seinem Betrieb arbeiten läßt, fällt ja als Erwerber von Aktienbesitz aus. Es ist das doch ein Problem, das mein Freund und Kollege Schmücker immer wieder anführt, daß die Förderung insbesondere des Aktiensparens in Konflikt käme mit dem Kapitalbedarf und dem Sparbedarf gerade der Selbständigen zugunsten ihres eigenen Betriebs. Ich glaube, man sollte diese Zahlen etwas sorgfältiger wägen, ehe man hier Feststellungen trifft.
Nun zu dem Thema Publizität und Werbung für die Aktie. Herr Dr. Deist, Sie kennen meine Auffassung. Ich habe sie auch vorhin zumindest so deutlich gemacht, daß Sie es eigentlich nicht hätten überhören dürfen, daß ich mit dem derzeitigen Ausmaß der Publizität gerade zum Schutze der breiten Schicht der Kleinaktionäre durchaus nicht zufrieden bin.

(Abg. Hahn: Sehr richtig!)

Ich habe das an jeder Stelle betont und fördere, soweit ich irgendwie darauf Einfluß nehmen kann, die Erweiterung der Publizität auch in dem Sinne, daß Zahlen über Umsatz usw. in der Berichterstattung gebracht werden. Aber man soll doch den Gesetzentwurf, der die Rechtsverhältnisse des Volkswagenwerks regelt, nicht mit Problemen der allgemeinen Aktienrechtsreform belasten.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Man muß einen Anfang machen, Herr Dr. Deist, und wir werden wahrscheinlich in der Diskussion die Schwächen des Aktienrechts sehr genau erfahren und herausarbeiten. Insofern wird die Diskussion über unseren Entwurf auch ein sehr positiver Beitrag zur Aktienrechtsreform sein. Inwieweit diese Dinge dann schon in diesem Gesetz oder in der Novelle zum Aktienrecht behandelt werden, ist eine Zweckmäßigkeitsfrage, zu der wir zunächst die Juristen hören müssen, schon im Sinne der Ökonomie des Gesetzgebers.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0300810800
Herr Dr. Deist zu einer Zwischenfrage!

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300810900
Herr Dr. Hellwig, meinen Sie nicht, daß es gerade beim Volkswagenwerk — nur von dem spreche auch ich hier — wichtig wäre, das Problem der Publizität in moderner Weise zu lösen? Meinen Sie nicht, daß man, wenn man schon einmal irgendwo einen Anfang macht, bei diesem Volkswagenwerk-Gesetzentwurf auch mit der Frage der Publizität einen Anfang hätte machen sollen?

(Beifall bei der SPD.)


Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300811000
Herr Dr. Deist, wir haben uns sehr überlegt, ob wir Publizitätsvorschriften im konkreten präzisen Sinne in diesen Gesetzentwurf hineinbringen sollen. Wir haben aber den zeitlichen Zusammenhang mit den an anderer Stelle laufenden Arbeiten über die Verbesserung der Publizitätsvorschriften im Aktienrecht richtig gesehen und behalten uns vor, das bei der Ausschußberatung hineinzubringen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Nun zu der Frage der deutschen Aktiengesellschaften und ihrer Publizität im Verhältnis zu amerikanischen Gesellschaften, dem vielbeschworenen Beispiel, daß die Zulassung deutscher Aktien bei der New Yorker Wertpapierbörse abgelehnt worden sei. Ich glaube, man kann in dem gleichen Zusammenhang darauf hinweisen, daß es die öffentliche Meinung der deutschen Aktionäre einer in amerikanischem Mehrheitsbesitz befindlichen Kapitalgesellschaft war, die zum Schutz der Aktionäre es erzwungen hat, die Maßnahmen des Management dieser Gesellschaft zu revidieren.

(Lachen bei der SPD.)

Hier wird einmal sehr deutlich, wie wenig vergleichbar im Augenblick Publizitätsvorschriften und Ausmaß der Publizität von amerikanischen und deutschen Gesellschaften sind. Man kann das nicht an einem Zipfel heranziehen. Ich darf hier ankündigen, daß eine Reihe von Arbeiten zum Vergleich der Publizitätsmethoden und gesetzlichen Vorschriften in amerikanischen und deutschen Gesellschaften läuft und zu gegebener Zeit vorgelegt werden wird.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300811100
Herr Abgeordneter Kurlbaum zu einer Zwischenfrage!

Georg Kurlbaum (SPD):
Rede ID: ID0300811200
Herr Dr. Hellwig, sind Sie sich nicht klar darüber, daß das Beispiel - Sie spielen offenbar auf die Ford-Gesellschaft an — hier ganz falsch gewählt ist? Für die deutsche Gesellschaft war das deutsche Recht maßgebend, und um die Modifikation des deutschen Rechts handelt es sich.




Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300811300
Ich glaube nicht, daß ihre Frage irgendwie etwas von dem entkräftet, was ich gesagt habe, nämlich daß man Verhalten und Publizitätsvorschriften amerikanischer und deutscher Gesellschaften nicht ohne weiteres miteinander vergleichen kann, ohne sie im ganzen Zusammenhang zu sehen, beispielsweise auch das Problem des Börsenzulassungsprospekts. Ich habe auf Grund eines Vergleichs amerikanischer und deutscher Prospekte den Eindruck, daß das deutsche Börsenrecht wesentlich schärfere Publizität im Bärsenzulassungsprospekt verlangt als das amerikanische. Das muß man aber doch zusammen sehen, und man soll da nicht mit einer — verzeihen Sie den Ausdruck — billigen Konfrontierung mit diesem New Yorker Börsenentscheid kommen.
Ein weiterer Komplex, der in den Ausführungen von Dr. Deist angeführt wurde, war meine kritische Auseinandersetzung mit dem Vorschlag, die Rechtsform der Stiftung zu wählen. Ich darf nochmals klarstellen: ich verneine nicht die Anwendbarkeit der Rechtsform der Stiftung auch in der Wirtschaft. Ich selbst habe seit vielen Jahren in stetem Gedankenaustausch mit unserem Parteifreund Dr. Strickrodt gestanden, der ja eine Schrift dazu vorgelegt hat. Das Entscheidende ist, daß die Stiftung als Rechtsform von Strickrodt und anderen als Ausdruck privatwirtschaftlicher, freiwilliger Entscheidung herausgestellt wird, nicht aber als ein Instrument, um bisher unter öffentlicher Kontrolle stehendes Vermögen dieser bisherigen parlamentarischen Kontrolle der öffentlichen Hand zu entziehen und einer Selbstverwaltungskörperschaft zu unterwerfen. Das ist der entscheidende Unterschied, den wir bei der Bejahung oder Verneinung der Rechtsform der Stiftung machen.
Ich muß noch etwas dazu sagen. Es ist ein Unterschied, ob die Stiftung die Rechtsform des Unternehmens ist oder oh die Erlöse dieses Unternehmens, Erträge oder was immer es ist, in der Form einer Stiftung verwaltet werden. Mit dieser Modifizierung haben wir uns bereits in unserem eigenen Antrag vertraut gemacht, wo für die Verwaltung der Rückflüsse aus den Erlösen die Errichtung einer Stiftung ausdrücklich vorausgesetzt wird.
Aber nun zu dem Vorwurf — und diesen Vorwurf muß ich als ungewöhnlich empfinden, Herr Dr. Deist —, ich hätte Ihren Vorschlag, die Stiftung als Rechtsform hier hereinzubringen, in unfairer Weise diffamiert. Ja, meine Damen und Herren, wenn plötzlich von sozialdemokratischen Kollegen die Stiftung als Rechtsform für ein bisher von der öffentlichen Hand verwaltetes Unternehmen vorgeschlagen wird, dann müssen Sie uns schon zugestehen -- und wir würden uns einer Oberflächlichkeit schuldig machen, wenn wir es nicht täten —, daß wir den Begriff der Stiftung in offiziellen und offiziösen Außerungen der Sozialdemokratischen Partei aus den letzten Jahren nachzeichnen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich habe nichts anderes getan, als die Ausführungen führender Sozialdemokraten über die Anwendung der Rechtsform der Stiftung zur Erreichung des
Ziels der Vergesellschaftung hier zitiert. Meine Damen und Herren, wenn Sie das als Diffamierung ansehen, dann rücken Sie von den geistigen Beiträgen Ihrer eigenen Freunde ab.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Kurlbaum: Von Zeiß war die Rede!)

Ich komme zu dem Thema Zeiß. Ich habe hier den unkorrigierten Wortlaut meiner Ausführungen über Zeiß. Ich muß sie vorlesen, um klarzumachen, daß ich nicht gesagt habe, die Stiftung habe das und das verursacht. Hier heißt es:
— Nein, Sie müssen doch auch einmal folgendes sehen, und das ist ein Punkt,
— nämlich Zeiß-Jena —
der mich immer mit Sorge erfüllt hat: Jena war die Sadt von Zeiß. Jena hat auch die Stiftung in der Hand der Arbeitnehmer gehabt mit der Zeiß-Stiftung. Es war ja nicht nur die öffentliche Hand, sondern auch ein bestimmter Teil von Arbeitnehmern beteiligt. Aber gerade diese Konstruktion hat einen unheilbaren Konflikt zwischen berechtigten und nicht berechtigten Arbeitnehmern der Zeiß-Werke herbeigeführt, und es war dieser unheilvolle Konflikt, der zur Folge hatte, daß eine Vergiftung der sozialen Atmosphäre in Jena vorhanden war, die in dem hohen Anteil kommunistischer Wähler in Jena ihren Ausdruck fand.

(Zurufe von der SPD: Na also! — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist etwas anderes!)

Meine Damen und Herren, das ist ein Versuch, dieses rätselhafte Phänomen von Jena so objektiv wie möglich zu umschreiben. Wir sollten lieber gemeinsam untersuchen, wieso diese Rechtsform dort das Problem nicht hat lösen können. Dann würden wir nämlich einen positiven Beitrag leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ein ähnlicher Vorwurf, der in einer erheblichen Verzerrung meiner eigenen Ausführungen wurzelte, wurde damit gemacht, daß Herr Dr. Deist behauptete, ich hätte von dem sterilsten Weg gesprochen, öffentliches Vermögen in Erwerbsunternehmungen zu stecken, weil daraus nicht ein für die Förderung von Wissenschaft, Forschung usw. verwendbarer Betrag von der Größenordnung des Marshallplanvermögens erzielt worden wäre. Ich hätte also offenbar nur die geringe Gewinnerzielung dieser Unternehmungen in Vergleich gesetzt.
Nein, ich habe gesagt, ein Vermögen wie das Marshallplanvermögen, das ständig revolvierend für die Wirtschaftsförderung eingesetzt wird, ist auch ein öffentliches Vermögen, es leistet aber einen viel gewichtigeren Beitrag für die allgemeine Förderung von Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung als das in Erwerbsunternehmungen angelegte andere Vermögen des Bundes. Das Problem ist es, mit der Privatisierung derartiger Unternehmen eine echte zusätzliche Kapitalbildung zu erreichen, die an Stelle dieser erwerbswirtschaftlich gebundenen Vermögen ein zusätzliches Kapitalvermögen in der Hand des Bundes schafft und damit ein Vermögen,



Dr. Hellwig
das revolvierend für die Förderung von Wirtschaft — siehe Saarland usw. —, von Wissenschaft und Forschung eingesetzt werden kann. Daß dieser Einsatz wesentlich wirkungsvoller ist, habe ich beim Vergleich mit dem Marshallplanvermögen gezeigt. Ich habe hier absolut keine diffamierenden oder sonstigen herabsetzenden Bemerkungen über die geringe Gewinnabführung der Unternehmungen des Bundes gemacht. Ich habe allerdings gesagt, daß, solange die Gewinnabführung derartiger Vermögen in der Hand der Verwaltung dieser Unternehmungen liegt, natürlich kein entscheidend großer Beitrag für diese öffentlichen Finanzierungsaufgaben erreicht werden kann.

(Zuruf von der Mitte: Was auch richtig ist! — Gegenrufe von der SPD.)

Eine letzte Bemerkung! Herr Dr. Deist hat uns vorgeworfen, unser Gesetzentwurf laufe im Grunde darauf hinaus, die Volkswagenwerksaktien nach gewisser Zeit in die Hände gepoolter Banken auszuliefern. Ich muß sagen, Herr Dr. Deist, in dem Entwurf hätten Sie eigentlich lesen können, daß uns gerade das Problem besondere Sorge gemacht hat — es wird uns auch bei der Ausschußberatung Sorge machen —, wie wir in einer legitimen, einwandfreien Weise, gegebenenfalls auch unter Eingriff in das Aktienrecht, die Ausübung der Stimmrechte durch die Banken oder Investmentgesellschaften begrenzen können, um zu einer echten Machtverteilung der verschiedenen Stimmrechtsvertreter in der Hauptversammlung zu kommen. Das ist ein Problem; ich gebe es Ihnen zu. Aber die Tatsache, daß wir einen Vorschlag für seine Lösung machen, sollte Ihnen eigentlich zeigen, daß wir den jetzigen Zustand des Depotstimmrechts nicht uneingeschränkt bejahen, sondern ihn korrigieren und neue Formen finden wollen, um diese Sache in Ordnung zu bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300811400
Zwischenfrage?

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300811500
Bitte!

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300811600
Herr Dr. Hellwig, stimmt es nicht, daß in dem Gesetzentwurf folgende Bestimmungen enthalten sind: Persönliche Aktionäre dürfen nur ein Zwanzigtausendstel des Aktienkapitals haben, Banken dürfen bis zu einem Drittel des Aktienkapitals haben?

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300811700
Nein, nein, im Gesetzentwurf steht, daß Kapitalgesellschaften überhaupt keine Anteile haben können.

(Abg. Dr. Deist: Kreditgesellschaften!)

Die Begrenzung auf ein Drittel bezieht sich auf die Wahrnehmung der Stimmrechte In der Hauptversammlung. Sie verwechseln hier den Eigentumsanteil — also Aktionärsanteil — mit Ausübung des Stimmrechts.

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300811800
Herr Dr. Hellwig, es handelt sich ja um die Ausübung des Stimmrechts. Bedeutet es nicht, daß das Unternehmen durch die Banken beherrscht wird, wenn Kreditgesellschaften, das heißt also Banken, bis ein Drittel der Stimmrechte ausüben dürfen? In der Regel vertreten in einer solchen Gesellschaft zwei bis drei Großbanken Stimmrechte bis zu einem Drittel des Kapitals, während alles übrige breit gestreut ist.

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300811900
Herr Dr. Deist, Sie müssen unterscheiden, daß zunächst eine Begrenzung des Besitzes von Aktien vorhanden ist, nämlich auf ein Zwanzigtausendstel des Kapitals, daß außerdem Besitzveränderungen der Genehmigung des Aufsichtsrats unterliegen und daß insbesondere gerade Kapitalgesellschaften Anteile nicht erwerben sollen.
Eine zweite Frage betrifft die Vertretung der Aktionäre in der Hauptversammlung und die Übertragung des Stimmrechts. Da bisher das Depotstimmrecht die gängige Form dafür ist, wo es sich um breit gestreuten Besitz handelt, sind wir der Meinung, daß dieses Problem aufgegriffen und gelöst werden muß. Als einen möglichen Vorschlag haben wir zunächst einmal die Begrenzung der vor Banken insgesamt zu vertretenden Stimmrechte auf ein Drittel vorgesehen.

(Zuruf von der SPD: Also doch!)

— Verzeihen Sie, es sind eine ganze Reihe von anderen Möglichkeiten zur Diskussion gestellt. Der Katalog von verschiedenen Vertretern, die ihr Stimmrecht ausüben können, ist sicherlich noch nicht vollständig. Ich sehe nicht ein, warum wir uns hier entzweien ollen, wenn wir auf der Linie einig sind, daß das Problem der Begrenzung in den Stimmrechten ein ernstes Anliegen ist, über das wir in den Ausschüssen beraten müssen.
Ich verstehe nicht, warum Sie uns dann einen unsachlichen Vorwurf machen.

(Sehr richtig! in der Mitte.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300812000
Meine Damen und Herren, ab und zu muß ich doch einen Blick auf die Uhr werfen und auch an den § 78 der Geschäftsordnung erinnern. Die Debatte ist bemerkenswert interessant, aber der Präsident ist gehalten, darauf aufmerksam zu machen, daß hier die allgemeinen Grundsätze der Vorlage besprochen werden. Für meinen Laienverstand werden hier bereits sehr wichtige Details verhandelt.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Also bitte, meine Herren, kehren Sie wieder einmal zu den Grundsätzen der Vorlage zurück und kommen Sie möglichst bald zum Schluß, denn das Programm des Tages muß abgewickelt werden und morgen früh um 9 Uhr wird neu begonnen.

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300812100
Herr Präsident, mit Dank für diesen freundlichen Hinweis darf ich hier nur feststellen, daß ich nicht die Absicht hatte, in die Detaildiskussion einzutreten. Es ist mir aber



Dr. Hellwig
in der Grundsatzerörterung wichtig erschienen, eine unserem Anliegen unterstellte Tendenz zurückzuweisen, und das konnte nur an dieser Stelle geschehen.

(Beifall in der Mitte.)

Ich glaube, daß wir in den Ausschüssen sehr fruchtbare Arbeit werden leisten können. Wir sind bereit, auch den Entwurf der SPD, nachdem er eine andere Fassung erhalten hat, mit in die ernsthafte Erörterung zu ziehen. Ich möchte nur wünschen, daß die Erörterung im Ausschuß für Wirtschaftspolitik weniger Polemik um der Polemik willen bringt, als es leider in dieser Debatte der Fall war.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei der FDP.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300812200
Das Wort zu einer kurzen Erklärung hat der Herr Abgeordnete Dr. Deist.

(Abg. Dr. Deist: Nicht eine kurze Erklärung!) — Eine längere Rede?


Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300812300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte zwar nicht zu einer kurzen Erklärung das Wort erbeten, aber ich werde gern dem Wunsche des Herrn Präsidenten nachkommen, mich in dieser späten Stunde zu beschränken, aber ich muß doch auf einige Punkte noch eingehen. Ich werde versuchen, am Rande stehende Einzelfragen unberücksichtigt zu lassen. Aber mir scheint, daß einige grundsätzliche Fragen erörtert werden sollten.
Der Herr Bundesschatzminister hat eine merkwürdige Auffassung vertreten. Er meinte, dadurch, daß wir eine Stiftung schüfen, würden die Voraussetzungen der Wettbewerbsfähigkeit verschoben. Zunächst weiß ich nicht, wie durch die Unternehnungsform an sich die Wettbewerbsfähigkeit zwischen Unternehmungen, die im übrigen unter gleichen Bedingungen im Wettbewerb stehen, verschoben werden könnte. Aber dann kam eine merkwürdige Begründung: sie werde nämlich dadurch verschoben, daß die Stiftung für ihre Abführungen für Wissenschaft und Forschung steuerlich begünstigt werde. Was wollen Sie nun eigentlich? Sie haben vorhin davon gesprochen, daß Unterstützung von Forschung und Wissenschaft auch Ihr großes Ziel sei; ich habe noch die großen Worte unseres Kollegen Arnold über die Bedeutung von Wissenschaft und Forschung im Ohr. Dafür gibt es steuerliche Begünstigungen für jedes Unternehmen, für private Unternehmen wie auch für Unternehmungen in Stiftungsform.
Ich verstehe nicht, wie dadurch die Wettbewerbsverhältnisse verschoben werden können. Und gar nicht scheint mir das Argument hier hereinzupassen, daß dadurch ein Steuerausfall eintrete. Ich meine, wenn wir uns über Wettbewerbsfähigkeit und die Unternehmensform der Stiftung unterhalten, sollten fiskalische Argumente, die bisher das Privileg des Herrn Bundesfinanzministers waren, hier entstünden Steuerausfälle, zunächst einmal aus der Diskussion ausscheiden.
Ich muß mich mit einem zweiten Argument des Herrn Bundesschatzministers auseinandersetzen. Er meinte, es liege eine Unlogik in unserem Vorgehen, wir schüfen hier ja keine öffentliche Kontrolle. — Worum geht es denn bei jenen Großunternehmungen, die wirtschaftliche Macht haben und bei denen Machtmißbrauch droht? Wir sind mit Ihnen einig, daß wir den Staat in diese Dinge nur so weit einschalten sollten, als das notwendig ist. Es besteht aber die Möglichkeit — und wir meinen, das wäre eine gute Methode —, für ein solches Unternehmen eine Form zu schaffen, die Machtmißbrauch verhindert und trotzdem unmittelbare staatliche Kontrolle und staatlichen Einfluß vermeidet. Das möchten wir, wie ich Ihnen vorhin dargelegt habe, durch die Konstruktion des Kuratoriums und des Verwaltungsrats sicherstellen. Das scheint mir eine wichtige Angelegenheit zu sein, weil damit wirklich der Versuch unternommen wird, Unternehmungen im Rahmen der Marktwirtschaft im Interesse des Gemeinwohls, d. h. des öffentlichen Wohls zu führen, ohne daß eine staatliche, verwaltungsmäßige Kontrolle eingeführt wird. Sie sollten uns wenigstens konzedieren, daß das in einer freiheitlichen Ordnung ein wünschenswerter Weg ist.
Der Herr Bundesschatzminister meinte, Publizität sei bei einem solchen Gremium nicht möglich; so oder so ähnlich drückte er sich aus. Das ist mir völlig unverständlich. Eine Stiftung kann natürlich — und nach den von uns vorgesehenen Bestimmungen soll sie gesetzlich dazu verpflichtet sein — eine starke Publizität entfalten. Herr Kollege Hellwig, es tut mir leid: es genügt nicht, daß man sich ständig zur Publizität bekennt und darüber Arbeiten schreibt, sondern man muß dann auch in dem Augenblick, wo die Frage für ein bestimmtes Unternehmen akut wird, wenigstens den Versuch machen, das Problem anzupacken.

(Beifall bei der SPD.)

Herr Kollege Hellwig, Sie werden selber abschätzen können, wie lange es dauern wird, bis die Aktienrechtsreform einmal unter Dach und Fach ist. Wer auf die Aktienrechtsreform warten wollte,

(Abg. Dr. Hellwig: Das hat niemand von uns gesagt!)

würde damit zeigen, daß es ihm mit dem Anliegen nicht ernst ist. — Bitte, Herr Dr. Hellwig, ich habe zur Kenntnis genommen, daß Sie Ihren Gesetzentwurf auch insoweit als unvollständig und fehlerhaft ansehen, weil in ihm diese Dinge noch nicht vorgesehen sind.

(Beifall bei der SPD. — Widerspruch bei der CDU/CSU.)

— Aber selbstverständlich! Ich zitiere Herrn Blank, der seinerzeit die Begründung zum Gesetzentwurf gegeben und erklärt hat, daß der Gesetzentwurf noch mit Fehlern und Mängeln behaftet sei.

Dr. Victor-Emanuel Preusker (CDU):
Rede ID: ID0300812400
Herr Kollege Deist, glauben Sie, daß es sehr lange dauern würde, wenn man im Aktiengesetz nur die ursprünglichen Formen wiederherstellte?


Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300812500
Darüber müßten Sie besser unterrichtet sein, da Sie zur Regierungskoalition gehören.

Dr. Victor-Emanuel Preusker (CDU):
Rede ID: ID0300812600
Sie werden doch mit dieser Antwort nicht meine Frage beantworten wollen! Das ist ein Federstrich!

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300812700
Herr Kollege Preusker, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie in der Regierung, zu deren Gefolgschaft Sie gehören, für diesen Federstrich sorgen wollten. Ansonsten schien mir diese Frage aber nicht ganz zum Thema zu gehören.
Wir haben dann mit Erstaunen vom Herrn Bundesschatzminister gehört, daß er Aktien schaffen will, die genauso vollgültig sind wie die Aktien bei anderen Gesellschaften. Ich hatte mich bemüht, wenigstens eine Vorstellung davon zu vermitteln, welche Rechte und welche Bedeutung Kleinaktionäre mit einem Zwanzigtausendstel des Aktienkapitals in solchen großen Unternehmungen haben und nicht. Es ist eigentlich eine Verhöhnung dieser Aktionäre, wenn man ihnen sagt, sie würden genauso vollgültige Aktien bekommen wie die vielen Tausende von Kleinaktionären, die in ihren großen Gesellschaften ebenfalls nichts zu sagen haben.

(Heiterkeit bei der SPD.)

Ich meine, das Problem wird dadurch nicht gelöst.
Und dann, Herr Bundesschatzminister, ich weiß nicht, wie ich parlamentarisch zu diesem Vorgang Stellung nehmen soll: Sie meinten, Sie sprächen ja immerhin breitere Kreise an. Einen Volkswagen für 3600 DM könnten sich nur wenige kaufen, eine Aktie von 100 DM dagegen sehr viele. Meinen Sie wirklich, daß man daraus die Konsequenz ziehen sollte: Dann lieber einen Wagen für 3600 DM, den sich nur wenige kaufen können, und dafür einige mehr, die sich 100-DM-Aktien kaufen können? Das ist doch keine Argumentation!
Damit komme ich wieder zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Hellwig. Wenn sie im Kern richtig wären, dann wäre das allerdings ein Einwand gegen meine Argumentation. Ich habe aus den Feststellungen des 'Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin bestimmte Konsequenzen gezogen, und zwar sehr vorsichtig, Herr Dr. Hellwig. Ich habe festgestellt — was in dem Bericht so steht —, daß die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer im Jahre 1956 zu 50 % unter 300 DM lagen. Ich habe gleich gesagt, daß es bei Männern und Frauen verschieden lag und daß die Einkommen inzwischen angestiegen sind. Ich habe dann eine Schlußfolgerung gezogen, ,die Sie, Herr Dr. Hellwig, mittelbar bestätigt haben. Ich habe nämlich gesagt, daß hiernach weit mehr als die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung heute ein Einkommen unter 600 DM bezieht.

(Abg. Dr. Hellwig: 300 DM haben Sie vorhin gesagt!)

— Nein, ich habe aus den Feststellungen des Instituts die Konsequenz gezogen, daß etwa die Hälfte aller Unselbständigen ein Einkommen von weniger als 600 DM bezieht.

(Abg. Dr. Hellwig: Sie haben vorhin von 300 DM gesprochen!)

— Ich habe immer von diesen Einkommen unter 600 DM gesprochen. Und der Herr Kollege Preusker war so nett, mich ebenfalls zu zitieren und zu bestätigen, daß ich von den Einkommen zwischen 300 und 600 DM gesprochen habe. Auch er hat also indirekt meine Behauptung bestätigt. Und nur darum geht es. Meine Schlußfolgerung ist richtig, und sie kann auch von Ihnen nicht bestritten werden.
Die einzige Frage ist, ob Ihre Methode, angesichts dieser Einkommensverhältnisse in Deutschland die Aktien des Volkswagenwerks zu versilbern, wirklich geeignet ist, um breit gestreutes Eigentum zu schaffen.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Hellwig: Der Ausdruck „versilbern" ist ja wohl nicht angebracht, Herr Dr. Deist!)

- Der stammt, glaube ich, vom Herrn Bundesfinanzminister. Tut mir leid.

(Lachen und Zurufe von der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300812800
Aber parlamentarisch ist er ja zulässig.

(Heiterkeit. — Abg. Schröter [Berlin]: An einem Ministerwort soll man nicht drehen und deuteln! — Große Heiterkeit. — Abg. Dr. Hellwig: Wieso? Seit wann? — Erneute Heiterkeit.)


Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300812900
Ich habe den Eindruck, daß der Sachverhalt genügend klar ist, und ich würde an Ihrer Stelle darauf sehen, daß die Sprachregelung in Ihren Reihen in Ordnung kommt. Dann können wir uns auch unterhalten.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Zuruf von der Mitte: Können wir nicht! — Abg. Rasner: Den Begriff kennen wir nicht!)

— Welchen? (Abg. Rasner: Den Begriff Sprachregelung!)

— Nein, Sie haben bei allen Abstimmungen und Darlegungen eine so einheitliche Haltung!

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Lachen in der Mitte.)

Ich möchte aber doch noch einen Gedankengang richtigstellen, Herr Kollege Hellwig, den Sie nicht zutreffend wiedergegeben haben. Ich habe das schon in einer kurzen Zwischenfrage versucht. Uns geht es um die Feststellung, daß niemand, der es mit der Forderung ernst meint, die große Masse der Arbeitnehmer solle einen Rückhalt in Form von Eigentum haben und nicht nur auf seine laufenden Bezüge angewiesen sein, daß niemand diesem Arbeitnehmer im Ernst zuraten kann, sich Aktien zu verschaffen. Das hat mit der Reife der Arbeitnehmer nicht das mindeste zu tun. Ich hin Ihnen dankbar, daß Sie schließlich anerkannt haben, das hätte ich auch nicht gesagt. Aber das ist der entscheidende



Dr. Deist
Punkt. Es handelt sich nicht um die Reife der Arbeitnehmer, sondern es handelt sich darum, ob Sie nicht mit Ihrer Darlegung über die Ringe der Eigentumsbildung recht haben, daß man nämlich erst mit dem Sparkassenguthaben, mit dem Hause und ähnlichen Dingen anfangen muß.

(Abg. Höcherl: Sind wir ja schon dabei! Ist schon fast erledigt!)

— Ach, ist erledigt? Das hatte ich noch nicht gewußt.

(Abg. Höcherl: Fast!)

- Das wir dabei sind, weiß ich; wir geben uns auch Mühe darum. Daß diese Frage schon längst zur Zufriedenheit erledigt ist, ist mir neu.

(Abg. Höcherl: Fast!)

Ich bitte um Entschuldigung, daß ich das nicht gewußt habe.

(Heiterkeit.)

Aber, meine Damen und Herren, ich muß noch einige Dinge richtigstellen, die Herr Dr. Hellwig über die Vermögensbildung gesagt hat. Das ist eine Darstellung, die leider immer wieder in dieser Form gebracht wird und die die öffentliche Vermögensbildung in einem Ausmaße diffamiert, das dem Sachverhalt nicht entspricht. Sicherlich, die formalen Prozentsätze sind: 40 % in Unternehmenshand, 20 % in privater Hand und 40 % in öffentlicher Hand. Aber bitte, unter diesen 40 % ist zunächst einmal das ganze Vermögen, das in Darlehen für den sozialen Wohnungsbau gegeben worden ist.

(Sehr richtig! bei der SPD. — Abg. Dr. Hellwig: Dafür sind bei den Unternehmungen auch die öffentlichen Unternehmungen!)

Das sollte man dazusagen, wenn man immer von diesem raffgierigen Staat mit seinen 40 % spricht. Und Sie sollten weiterhin wissen, daß in der öffentlichen Vermögensbildung z. B. die Vermögensbildung der gesamten Sozialversicherung steckt, was sicherlich eine moderne und gute Form der Kapitalbildung ist. Drittens steckt allerdings auch eine unangenehme Sache darin, nämlich der von Ihnen zu verantwortende Juliusturm und ähnliche Dinge.

(Lachen in der Mitte.)

Hiernach sollten Sie mit dieser Art der Darstellung über die Vermögensbildung in der öffentlichen Hand etwas vorsichtig sein.
Das Problem besteht darin, ob es uns gelingt, von den 40 %, die im Wege der Selbstfinanzierung überwiegend bei Großunternehmungen angereichert werden, einen Teil der privaten Vermögensbildung zuzuführen. Dazu aber reicht das Mittel, die Aktien des Volkswagenwerks zu veräußern, nicht nur nicht aus — es ist überhaupt kein Ansatzpunkt. Im Gegenteil, es gefährdet eine gesunde Entwicklung der Vermögensbildung bei den breiten Schichten, da wir alle sie fördern möchten.
Der Herr Bundesschatzmeister meinte, wir sollten nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun. Das ist haargenau unsere Auffassung. Wir möchten Sie nämlich davor warnen, den zehnten, elften und zwölften Schritt vor dem ersten zu machen. Wer es mit der Vermögensbildung in breiter Hand ernst meint, muß dafür sorgen, daß der Lebensstandard und damit das laufende Einkommen der breiten Schichten durch eine gesunde Lohn- und Gehaltspolitik und durch steuerliche und wirtschaftspolitische Maßnahmen gehoben wird, bevor man hinten, am Ende anfängt und so tut, als ob man durch den Verkauf von ein paar Aktien dieses wichtige Problem lösen könnte.

(Beifall bei der SPD.)

Sie beschwören damit eine große Gefahr herauf, die Gefahr nämlich, daß alle diejenigen, die glauben, auf diesem Wege werde neues Eigentum geschaffen, enttäuscht werden und die Schuld der demokratischen Staatsform geben. Sie belasten die Entwicklung der Demokratie mit derartigen Methoden, die im Grunde genommen nur soziale Ungleichheit und nicht soziale Gerechtigkeit herbeiführen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300813000
Keine weiteren Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen. Der Antrag auf Drucksache 145 ist abgeändert, ich brauche das wohl nicht noch einmal vorzulesen. Für diesen Antrag ist ebenso wie für den Antrag auf Drucksache 102 Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik—federführend — und — mitberatend — an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht vorgeschlagen. Ist das Haus mit diesen Überweisungen. einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Punkt 4 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Zusatzübereinkommen vom 7. September 1956 über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavereiähnlicher Einrichtungen und Praktiken (Drucksache 115).
Keine Wortmeldung. Hier ist Überweisung an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten (Steuerberatungsgesetz) (Drucksache 128).
Keine Wortmeldungen. Vorgeschlagen ist die Überweisung — federführend — an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik und zur Mitberatung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen und an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht. — Keine Gegenstimmen; es ist so beschlossen.
Punkt 6 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über



Präsident D. Dr. Gerstenmaier
die Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes über die Sicherstellung von Leistungen auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft (Drucksache 129).
Zur Einbringung wird das Wort nicht gewünscht. Ich eröffne die allgemeine Aussprache in erster Lesung. Eine Erklärung von seiten der SPD! Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Deist.

(Zuruf des Abg. Dr. Atzenroth.)

— Nein, Herr Kollege Atzenroth, vorher war schon der Fraktionsgeschäftsführer der SPD bei mir und hat mir gesagt, die SPD wolle dazu eine Erklärung abgeben. Glauben Sie mir!

(Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Atzenroth.)

— Entschuldigen Sie. Was Sie sagen wollen, das weiß ich doch nicht. Im allgemeinen gebe ich das Wort in der Reihenfolge der Meldungen. Also diesmal hat Ihnen die SPD den Rang abgelaufen. Aber vielleicht können Sie das mit dem, was Sie sagen wollten, noch tun.
Der Herr Abgeordnete Deist hat jetzt das Wort.

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300813100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung beantragt auf Drucksache 129, die Geltungsdauer des Gesetzes über die Sicherstellung von Leistungen auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft zu verlängern. Meine Fraktion möchte diesen Augenblick nicht unbemerkt vorübergehen lassen, denn es handelt sich in einem gewissen Umfange um einen historischen Augenblick, auch wenn er der Tragikomik nicht ganz entbehrt.
Ich möchte zunächst feststellen, daß die Bundesregierung weiterhin die Ermächtigung erbittet, Vorschriften zu erlassen über die Herstellung, die Verarbeitung, die Verwendung, die Lagerung, die Lieferung und den Bezug von Waren der gewerblichen Wirtschaft und für einige andere Maßnahmen mehr. Meine Fraktion hat bereits bei der Verabschiedung des Gesetzes im Dezember 1956 darauf hingewiesen, daß sich hier eine Regierung, die sich immer laut zur freien Marktwirtschaft bekennt, die Ermächtigung zu Lenkungsmaßnahmen geben läßt, die eine totale Bewirtschaftung ermöglichen.
Das Gesetz war ausgelöst durch die Suezkrise. Es sollte nur als kurzfristige Notstandsmaßnahme angesehen werden. Der Berichterstatter des vergangenen Bundestags, der Abgeordnete Samwer, bedauerte damals sogar, daß eine kürzere Geltungsdauer als bis zum 31. Dezember 1957 wegen der bevorstehenden Bundestagswahlen nicht möglich sei.
Die Bundesregierung schlug in dem uns vorliegenden Entwurf zunächst eine Begrenzung auf ein weiteres Jahr vor. Als aber der Bundesrat eine Verlängerung auf drei Jahre anregte, trat die Bundesregierung diesem Vorschlag gern bei,

(Hört! Hört! bei der SPD)

wie sie sagt, aus Gründen der Verfahrensökonomie! Eine formale Beschränkung der Geltungsdauer auf drei Jahre bedeutet praktisch die Anerkenntnis, daß
es sich hier nicht mehr um eine Notstandsmaßnahme handelt. Die Bundesregierung betrachtet also Wirtschaftslenkungsmaßnahmen tiefgreifender Art nunmehr als durchaus zulässige Mittel einer freiheitlichen Wirtschaftspolitik.
Nach dem Gesetz ist auch weiterhin eine Bewirtschaftung von Kleidung, Schuhen und Hüten zulässig. Nach unserer Auffassung widerspricht es den Grundsätzen einer freiheitlichen Wirtschaft, dem einzelnen Bürger vorzuschreiben, was und wieviel er sich an diesen täglichen Bedarfsgütern beschaffen darf.

(Lachen in der Mitte. — Abg. Rasner: Wollen Sie ein Aufnahmeformular haben?! — Abg. Dr. Hellwig: Herr Dr. Deist, das hätten Sie vor acht Jahren sagen sollen! Vorsicht, Lächerlichkeit tötet!)

Die Gesetze eines demokratischen Staates sollten daher einen solchen Eingriff in die persönliche Freiheit eindeutig ausschließen. Wir werden im Ausschuß entsprechende Anträge stellen.
Unter diesen Umständen warten wir mit einer gewissen Spannung darauf, ob sich die Regierungsparteien erneut dem Wunsche der Bundesregierung beugen und ein solches Bewirtschaftungsgesetz, das allen ihren propagandistischen Verlautbarungen über das Wesen einer freiheitlichen Wirtschaft widerspricht, annehmen werden.

(Beifall bei der SPD. — Lachen in der Mitte. — Abg. Rasner: Wollen Sie ein Aufnahmeformular haben?)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300813200
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.

Dr. Karl Atzenroth (FDP):
Rede ID: ID0300813300
Meine Damen und Herren! Ich wollte, wenn der Antrag, den ich stelle, nicht angenommen wird, für meine Fraktion eine Erklärung abgeben, die etwas Ähnliches sagt wie das, was die SPD dargelegt hat; es entspringt aber aus einer Haltung, die wir konsequent immer eingenommen haben, und wird nicht aus einer gewissen Oppositionsstimmung heraus hier vorgetragen.
Ich stelle den Antrag, die Beratung dieses Gesetzes vorläufig abzusetzen; denn das Gesetz wäre, wenn es erlassen würde, verfassungswidrig. Sie können nicht ein Gesetz verlängern, das nicht mehr besteht. Das Gesetz, das hier verlängert werden soll, ist seit 21 Tagen tot.

(Zuruf von der Mitte: Aber nicht beerdigt!)

— Sie haben es nicht beerdigt, das ist schon richtig; aber am 21. Dezember 1957 ist es erloschen. Man kann ein Gesetz, das erloschen ist, nicht für irgendeine Zeit verlängern. Wenn Sie bei der Absicht bleiben, ein Ermächtigungsgesetz zu machen — wir nennen es tatsächlich so —, müssen Sie den Entwurf neu einbringen.

(Beifall rechts und bei der SPD. — Abg. Wittrock: Das ist schöne Pfuscharbeit!)

Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, ,den 22. Januar 1958 293

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0300813400
Meine Damen und Herren, es ist Absetzung von der Tagesordnung beantragt. Der Antrag ist nach § 26 Abs. 4 der Geschäftsordnung zulässig. — Herr Abgeordneter Hellwig dazu!

(Lachen bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Da ist nicht dran zu tippen! — Abg. Altmaier: Der lebende Leichnam!)

— Einen Augenblick! Herr Abgeordneter Altmaier, wen meinen Sie mit „lebender Leichnam"?

(Zurufe von der SPD: Das Gesetz natürlich! — Heiterkeit.)

— Herr Abgeordneter Hellwig, fühlen Sie sich nicht getroffen?

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300813500
Herr Präsident, ich fühle mich einstweilen so gesund, daß ich mich von diesem Zwischenruf nicht betroffen fühlen konnte.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300813600
Ja, das sieht man Ihnen an.

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300813700
Gestatten Sie mir zu dem Antrag, der eben gestellt worden ist, folgende kurze Bemerkung. Der Entwurf eines Verlängerungsgesetzes ist noch rechtzeitig vor Auslaufen des Gesetzes von der Bundesregierung vorgelegt

(Abg. Wittrock: Das spielt gar keine Rolle!)

und rechtzeitig im Bundesrat beraten worden. Aus der Beratung des Bundesrats verdient das Faktum festgehalten zu werden, daß der Antrag, das Gesetz nicht nur für ein Jahr, sondern für drei Jahre zu verlängern, von einem sozialdemokratischen Wirtschaftsminister gestellt und vertreten worden ist.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Das ist ein erheblicher Widerspruch zu der Erklärung, die wir eben von dieser Seite gehört haben.

(Zurufe von der SPD.)

Im übrigen erkennen wir selbstverständlich die Rechtslage an, die durch die Weihnachtsferien eingetreten ist, und folgen dem Antrag, den die Kollegen der FDP gestellt haben, die Vorlage von der Tagesordnung abzusetzen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300813800
Der Antrag auf Absetzung von der Tagesordnung ist zwar zulässig, und ich werde auch über ihn abstimmen lassen; aber nach alter Übung des Hauses geht der Antrag auf Ausschußüberweisung immer noch vor.

(Zurufe von der Mitte: Es ist kein Überweisungsantrag gestellt!)

— Meine Damen und Herren, ich muß darauf aufmerksam machen, daß im Ältestenrat die Überweisung an den Wirtschaftsausschuß vereinbart worden ist. Wenn das Haus andere Wünsche hat, wenn von keiner Seite Überweisung an den Ausschuß gewünscht wird, kann ich jetzt über den Antrag auf Absetzung von der Tagesordnung abstimmen lassen.

(Zustimmung.)

— Offensichtlich ist niemand daran interessiert, dem Vorschlag des Ältestenrats zu folgen. Ich lasse über den Antrag abstimmen, den Punkt von der Tagesordnung abzusetzen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Einer ist dagegen.

(Abg. Wittrock: Das ist für die Regierung die größte Blamage, die es bisher gegeben hat! — Weitere Zurufe.)

— Meine Damen und Herren, machen Sie sich heute abend mit dieser Sache nicht mehr das Leben schwer! Einstweilen ist nur der Ältestenrat mit seinem Vorschlag auf Überweisung durchgefallen.

(Heiterkeit.)

Punkt 7 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung des Bundesamtes für zivilen Bevölkerungsschutz (Drucksache 131)

Das Wort zur Einbringung wird nicht gewünscht.
— Das Wort wird auch sonst nicht gewünscht. Vorgeschlagen ist Überweisung an den Ausschuß für Inneres — federführend —, an den Ausschuß für Kommunalpolitik und öffentliche Fürsorge zur Mitberatung. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 8:
Beratung der Fünfzehnten Verordnung über Zolltarifänderungen zur Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Drucksache 108)

Das Wort zur Einbringung wird nicht gewünscht. — Auch sonst wird das Wort nicht gewünscht. Es ist Überweisung an den Außenhandelsausschuß vorgeschlagen. — Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Punkt 9 ist nach einer interfraktionellen Vereinbarung von der heutigen Tagesordnung abgesetzt.
Damit, meine Damen und Herren, ist die Tagesordnung erschöpft. Die nächste Sitzung ist am Donnerstag, dem 23. Januar, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.