Rede von
Dr.
Heinrich
Deist
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung beantragt auf Drucksache 129, die Geltungsdauer des Gesetzes über die Sicherstellung von Leistungen auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft zu verlängern. Meine Fraktion möchte diesen Augenblick nicht unbemerkt vorübergehen lassen, denn es handelt sich in einem gewissen Umfange um einen historischen Augenblick, auch wenn er der Tragikomik nicht ganz entbehrt.
Ich möchte zunächst feststellen, daß die Bundesregierung weiterhin die Ermächtigung erbittet, Vorschriften zu erlassen über die Herstellung, die Verarbeitung, die Verwendung, die Lagerung, die Lieferung und den Bezug von Waren der gewerblichen Wirtschaft und für einige andere Maßnahmen mehr. Meine Fraktion hat bereits bei der Verabschiedung des Gesetzes im Dezember 1956 darauf hingewiesen, daß sich hier eine Regierung, die sich immer laut zur freien Marktwirtschaft bekennt, die Ermächtigung zu Lenkungsmaßnahmen geben läßt, die eine totale Bewirtschaftung ermöglichen.
Das Gesetz war ausgelöst durch die Suezkrise. Es sollte nur als kurzfristige Notstandsmaßnahme angesehen werden. Der Berichterstatter des vergangenen Bundestags, der Abgeordnete Samwer, bedauerte damals sogar, daß eine kürzere Geltungsdauer als bis zum 31. Dezember 1957 wegen der bevorstehenden Bundestagswahlen nicht möglich sei.
Die Bundesregierung schlug in dem uns vorliegenden Entwurf zunächst eine Begrenzung auf ein weiteres Jahr vor. Als aber der Bundesrat eine Verlängerung auf drei Jahre anregte, trat die Bundesregierung diesem Vorschlag gern bei,
wie sie sagt, aus Gründen der Verfahrensökonomie! Eine formale Beschränkung der Geltungsdauer auf drei Jahre bedeutet praktisch die Anerkenntnis, daß
es sich hier nicht mehr um eine Notstandsmaßnahme handelt. Die Bundesregierung betrachtet also Wirtschaftslenkungsmaßnahmen tiefgreifender Art nunmehr als durchaus zulässige Mittel einer freiheitlichen Wirtschaftspolitik.
Nach dem Gesetz ist auch weiterhin eine Bewirtschaftung von Kleidung, Schuhen und Hüten zulässig. Nach unserer Auffassung widerspricht es den Grundsätzen einer freiheitlichen Wirtschaft, dem einzelnen Bürger vorzuschreiben, was und wieviel er sich an diesen täglichen Bedarfsgütern beschaffen darf.
Die Gesetze eines demokratischen Staates sollten daher einen solchen Eingriff in die persönliche Freiheit eindeutig ausschließen. Wir werden im Ausschuß entsprechende Anträge stellen.
Unter diesen Umständen warten wir mit einer gewissen Spannung darauf, ob sich die Regierungsparteien erneut dem Wunsche der Bundesregierung beugen und ein solches Bewirtschaftungsgesetz, das allen ihren propagandistischen Verlautbarungen über das Wesen einer freiheitlichen Wirtschaft widerspricht, annehmen werden.