Rede von
Fritz
Schäffer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Man kann nur sehr bedingt davon sprechen, daß die Zahl der Kriminalfälle ständig steigt. Geht man von der Entwicklung der Jahre seit etwa 1951 aus, so ergibt sich bis 1955, dem letzten Jahr, für das endgültige Zahlen der Kriminalstatistik vorliegen, hinsichtlich der einzelnen Straftaten ein sehr wechselndes Bild.
Richtig ist, daß die Gesamtzahl der in der Bundesrepublik wegen Verbrechen oder Vergehen Verurteilten steigt. Das erklärt sich einmal aus dem Bevölkerungszuwachs. Die strafmündige Bevölkerung ist z. B. von 1951 bis 1956 um 3 Millionen gestiegen. Zum anderen erklärt sich die Zunahme der Verurteilten daraus, daß infolge der sich ständig steigernden Motorisierung des Verkehrs die Zahl der wegen fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Tötung Verurteilten beträchtlich zugenommen hat. 1910 betrug die Zahl der wegen fahrlässiger Körperverletzung Verurteilten rund 3600. 1955 betrug sie fast das Hundertfache, nämlich
350 000. Der Anteil der Verkehrsdelikte an der Gesamtkriminalität belief sich 1954 auf 38 %, 1955 schon auf 42 %. Sieht man von den Verkehrsdelikten ab, so haben die Jahre 1954 und 1955 einen geringfügigen Rückgang der Kriminalität bei den Erwachsenen gebracht. Bei den Jugendlichen ist allerdings eine Steigerung zu verzeichnen.
Ich kann nicht verhehlen, daß diese Steigerung wie auch die Steigerung bei gewissen, die Bevölkerung beunruhigenden Straftaten wie Diebstahl und Raub Gegenstand der Sorge sein muß. Doch bin ich der Meinung, daß die Entwicklung der Kriminalität nur bis zu einem gewissen Grad durch gesetzliche Maßnahmen beeinflußt werden kann. In erster Linie handelt es sich um Erziehungsaufgaben, die Elternhaus und Schule gestellt sind.
Eine erhebliche Rolle spielt weiter die Strafzumessungspraxis der Gerichte. Die Strafjustiz ist im wesentlichen Sache der Länder. Die Gerichte sind auch bei der Strafzumessung unabhängig und müssen es sein. Die Bundesregierung kann keinen Einfluß auf sie nehmen. Allerdings empfindet die Öffentlichkeit die von den Gerichten verhängten Strafen auch heute noch häufig als zu milde, und zwar auch meines Erachtens nicht immer zu Unrecht. Schon mein Vorgänger im Amt hat sich vor dem Hohen Hause in diesem Sinne geäußert.
Soweit es möglich erscheint, durch gesetzgeberische Maßnahmen, insbesondere durch Änderung des Strafrechts, die Entwicklung der Kriminalität zu beeinflussen, ist die Bundesregierung stets um Verbesserungen bemüht. Im Rahmen der großen Strafrechtsreform wird sie dem Hohen Hause eine Reihe von Maßnahmen vorschlagen, von denen sie sich eine günstige Beeinflussung der Kriminalität erhofft. Der von der Großen Strafrechtskommission vorgelegte Entwurf des Allgemeinen Teils eines neuen Strafgesetzbuchs enthält wesentliche Erweiterungen und Verbesserungen des Systems der bessernden und sichernden Maßregeln, die eine wirksame Bekämpfung von gefährlichen Verbrechen, vor allem von Rückfalltätern und Gewohnheitsverbrechern, erwarten lassen.