Protokoll:
15007

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 15

  • date_rangeSitzungsnummer: 7

  • date_rangeDatum: 6. November 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 13:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 16:02 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Tagesordnungspunkt 1: Befragung der Bundesregierung: OECD- Studie 2002: Bildung auf einen Blick 341 A Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF 341 B Katherina Reiche CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 342 C Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF 342 D Uwe Schummer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 343 B Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF 343 C Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 A Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF 344 A Cornelia Pieper FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 B Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF 344 C Vera Dominke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 345 B Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF 345 C Grietje Bettin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 345 D Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF 346 A Marion Seib CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 A Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF 346 B Dr. Ernst Dieter Rossmann SPD . . . . . . . . . . 346 D Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF 347 A Dr. Christoph Bergner CDU/CSU . . . . . . . . . 347 B Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF 347 C Hartwig Fischer (Göttingen) CDU/CSU . . . . 348 B Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF 348 B Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde (Drucksache 15/20) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 D Diplomatische Schritte zur Lösung des Tschetschenienkonfliktes MdlAnfr 1 Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . . . 348 D Antw StMin Hans Martin Bury AA . . . . . . . . 349 A ZusFr Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . 349 A Übereinstimmung der russischen Vorgehens- weise in Tschetschenien mit Russlands Pflichten als Europaratsmitglied MdlAnfr 2 Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . . . 349 C Antw StMin Hans Martin Bury AA . . . . . . . . 349 C ZusFr Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . 349 D Erbschaftsteuergesetzgebung fürmittelstän- dische Unternehmen MdlAnfr 3 Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 350 B Antw PstSekr’in Dr. Barbara Hendricks BMF 350 B ZusFr Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . 350 C ZusFr Hans Michelbach CDU/CSU . . . . . . . 351 C Regelungen der Erbschaftsteuergesetz- gebung in anderen EU-Staaten MdlAnfr 4 Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 352 A Antw PstSekr’in Dr. Barbara Hendricks BMF 352 A ZusFr Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . 352 B ZusFr Hans Michelbach CDU/CSU . . . . . . . . 353 A ZusFr Hartmut Koschyk CDU/CSU . . . . . . . 353 B Plenarprotokoll 15/7 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 7. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 6. November 2002 I n h a l t : Flächentarifverträge im öffentlichen Dienst, Übertragung der Tarifabschlüsse fürArbei- ter und Angestellte auf Beamte MdlAnfr 5 Hartmut Koschyk CDU/CSU . . . . . . . . . . . 353 D Antw PstSekr’in Ute Vogt BMI . . . . . . . . . . . 353 D ZusFr Hartmut Koschyk CDU/CSU . . . . . . . 354 A Bedrohung durch Anschläge des terroris- tischen Islamismus in Deutschland MdlAnfr 6 Hartmut Koschyk CDU/CSU . . . . . . . . . . . 354 B Antw PstSekr’in Ute Vogt BMI . . . . . . . . . . . 354 C ZusFr Hartmut Koschyk CDU/CSU . . . . . . . 354 C Antisemitische Straftaten im dritten Quar- tal 2002 MdlAnfr 7 Petra Pau fraktionslos . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 A Antw PstSekr’in Ute Vogt BMI . . . . . . . . . . . 355 B Umstrukturierung des Bundesgrenzschutzes zur „Bundespolizei“ MdlAnfr 8 Petra Pau fraktionslos . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 B Antw PstSekr’in Ute Vogt BMI . . . . . . . . . . . 355 B ZusFr Petra Pau fraktionslos . . . . . . . . . . . . . 355 C Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde betr. Auswirkungen der finanz- und gesellschaftspolitischen Vor- haben der Bundesregierung auf die Fa- milien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 D Maria Eichhorn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 355 D Christel Riemann-Hanewinckel, Parl. Staats- sekretärin BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 D Ina Lenke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 D Kerstin Andreae BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 B Thomas Dörflinger CDU/CSU . . . . . . . . . . . 361 D Ingrid Arndt-Brauer SPD . . . . . . . . . . . . . . . 362 D Ingrid Fischbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 364 A Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 365 C Antje Blumenthal CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 366 C Caren Marks SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 D Rita Pawelski CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 369 A Lydia Westrich SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 A Elke Wülfing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 372 A Christel Humme SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 B Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . . . 374 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 377 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. November 2002II (A) (B) (C) (D) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. November 2002 341 7. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 6. November 2002 Beginn: 13.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Dr. Gesine Lötzsch Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. November 2002 377 (C)(A) Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 6.11.2002 Gröhe, Hermann CDU/CSU 6.11.2002 Körper, Fritz Rudolf SPD 6.11.2002 Lengsfeld, Vera CDU/CSU 6.11.2002 Lietz, Ursula CDU/CSU 6.11.2002 Möllemann, Jürgen W. FDP 6.11.2002 Ostendorff, Friedrich BÜNDNIS 90/ 6.11.2002 DIE GRÜNEN Welt, Jochen SPD 6.11.2002 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage zum Stenografischen Bericht Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500700000

Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-

binettssitzung mitgeteilt: OECD-Studie 2002 „Bildung
auf ein Blick“.

Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung,
Edelgard Bulmahn.

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Sehr geehrte Herren und Damen! Der OECD-Bil-
dungsbericht wird in regelmäßigen Abständen herausge-
geben. Dieser Bericht weist darauf hin – das ist, denke ich,
gerade für Bildungs- und Forschungspolitiker, aber auch
für Politiker generell ein ganz entscheidender Gesichts-
punkt –, dass es einen sehr engen Zusammenhang zwi-
schen Bildungsstand, Bildungsanstrengungen der Länder
und den wirtschaftlichen Wachstumschancen von Volks-
wirtschaften gibt. Ferner weist er darauf hin, dass es einen
ebenfalls sehr engen Zusammenhang zwischen individu-
ellen Lebenschancen und Bildungschancen gibt.

Der OECD-Bericht unterstreicht, dass Deutschland
insgesamt einen sehr hohen Bildungsstand hat. Die Stärke
des deutschen Bildungssystems zeigt sich darin, dass ein
hoher Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter
über einen Schulabschluss des Sekundarbereichs II ver-
fügt. Mit einer Abschlussquote von 91 Prozent, bezogen
auf die Bevölkerung im typischen Abschlussalter, nimmt
Deutschland hier hinter Ungarn und Japan einen heraus-
gehobenen Platz ein.

Der OECD-Bericht unterstreicht außerdem, dass es zu
einer sehr positiven Entwicklung im Bereich der Hoch-
schulausbildung gekommen ist. Hier zeigt sich, dass die
Anstrengungen der Bundesregierung Erfolge zeitigen.
Wir haben in den vergangenen vier Jahren eine deutliche
Steigerung der Zahl derjenigen Jugendlichen erreichen

können, die sich für ein Studium entscheiden. Die Studie-
rendenquote ist in den letzten vier Jahren um mehr als
4 Prozent gestiegen. Dazu haben ganz wesentlich sowohl
die Reform des BAföG als auch die Einführung der ge-
stuften Studiengänge von Bachelor und Master beigetra-
gen. Die Studie weist darauf hin, dass der Weg, den wir
hier beschritten haben, und die diesbezüglichen Anstren-
gungen fortgesetzt werden sollten.

Die Studie zeigt ebenfalls auf, dass wir nach wie vor ei-
nen sehr hohen Stand bei der beruflichen Bildung haben,
dass die Modernisierungsanstrengungen, die wir in die-
sem Bereich unternommen haben, richtig und notwendig
waren und dass auch dieser erfolgreiche Weg der berufli-
chen Ausbildung fortgesetzt werden sollte.

Es gibt einen Punkt, bei dem wir noch Verbesserungen
erreichen müssen: Das ist die Durchlässigkeit zwischen
den verschiedenen Bildungswegen, also zwischen der be-
ruflichen Bildung und der Hochschulausbildung. Deshalb
ist es richtig, dass wir hier vermehrt Anstrengungen un-
ternehmen. Dies liegt allerdings in der Hand der Länder.
Sie könnten durch erleichterte Aufnahmeregelungen und
Bestimmungen für Personen aus der beruflichen Bildung
den Zugang zur Hochschule einfacher machen.

Die Studie weist auf die bekannten Probleme in der
Schulpolitik hin. Es zeigt sich, dass es richtig war, dass die
Bundesregierung in dieser Frage die notwendigen Konse-
quenzen gezogen hat, um die schulische Bildung eben-
falls deutlich zu verbessern. Die PISA-Studie hat ja klar
aufgezeigt, dass wir erhebliche Schwächen im Schul-
system haben. Das Leistungsniveau der deutschen Schü-
lerinnen und Schüler, auch in der Spitzengruppe, ist nicht
so hoch; es ist vielmehr deutlich geringer und niedriger als
in vergleichbaren Industriestaaten. Es ist vor allen Dingen
ein sehr enger Zusammenhang zwischen sozialer Her-
kunft und Bildungschancen zu konstatieren. Man kann es
auch anders formulieren – so formuliere ich es immer –,
nämlich dass wir ein sehr ungerechtes Bildungssystem
haben.

Deshalb ist es richtig, dass die Bundesregierung hier
Konsequenzen gezogen hat. Wir werden unseren Beitrag
leisten, um den Bildungsstandard insgesamt, bei allen
Kindern und Jugendlichen in Deutschland zu verbessern.




Bundesministerin Edelgard Bulmahn
Ganztagsschulen können dazu erheblich beitragen, weil
sie es ermöglichen, dass Kinder besser individuell geför-
dert werden. Eine der ganz wichtigen Zielsetzungen un-
seres Ganztagsschulprogramms ist, den Raum, die Zeit
und die Möglichkeit für eine bessere individuelle Förde-
rung zu geben. Genau das – darauf weist die OECD-Stu-
die ausdrücklich hin – ist entscheidend für die Verbesse-
rung der Qualität unseres Bildungssystems.

Ein weiterer Punkt. Die Bundesregierung hat gefor-
dert, dass wir bundesweite nationale Bildungsstandards
erarbeiten. Die Formulierung eines solchen Ziels ist rich-
tig; auch das zeigt die OECD-Studie auf. Es wird mehr-
fach darauf hingewiesen, dass es in den Ländern, die in
der Bildung erfolgreich sind, üblich ist, dass solche natio-
nalen Bildungsstandards vorhanden sind. Ich bitte darum,
dies nicht mit Zentralismus, mit zentralen Lehrplänen
oder Rahmenrichtlinien zu verwechseln. Einige machen
das immer wieder. Ein solcher Ansatz ist aber das Gegen-
teil einer aufgeklärten Bildungspolitik. Das Setzen von
Standards bedeutet vielmehr, dass Kompetenzen prägnant
beschrieben werden und dass die Schulen die Selbststän-
digkeit erhalten, die sie benötigen, um den Weg festzule-
gen, wie sie sicherstellen wollen, dass jede Schülerin und
jeder Schüler vergleichbare Kompetenzen erlangen kann.

Die Studie unterstreicht auch, wie wichtig es ist, dass
Bildungsleistungen regelmäßig evaluiert werden. Des-
halb ist es richtig, dass die Bundesregierung gesagt hat,
sie werde ihren Beitrag dazu leisten, dass eine nationale
Evaluierungsagentur eingerichtet wird, die regelmäßig
den Stand von Bildung überprüft und ihn offen legt, damit
wir frühzeitig auf Schwächen und Stärken unseres Bil-
dungssystems hingewiesen werden.

Die OECD-Berichte unterstreichen darüber hinaus die
Bedeutung einer kontinuierlichen Bildungsberichterstat-
tung. Die Bundesregierung weiß um diese Bedeutung und
setzt den Beschluss des Deutschen Bundestages vom
Sommer dieses Jahres für eine kontinuierliche Bildungs-
berichterstattung, die in Zukunft in zweijährigem Rhyth-
mus stattfinden wird, auch um.

Last not least: Wir werden im Rahmen der Zusammen-
arbeit zwischen Bund und Ländern die Verbesserung der
Unterrichtsqualität vorantreiben, und zwar besonders
dort, wo es in Deutschland zentrale Schwächen gibt. Dies
ist etwa bei der Sprachkompetenz oder im naturwissen-
schaftlich-mathematischen Unterricht der Fall wie auch
vor allen Dingen bei der Förderung von Kindern und
Jugendlichen aus so genannten benachteiligten Familien,
die also, aus welchen Gründen auch immer, familiäre
Schwierigkeiten haben. Das sind die Hauptfelder, auf die
wir uns in der Bund-Länder-Kommission verständigt ha-
ben und auf denen wir ein gemeinsames Programm für die
Verbesserung des Unterrichts umsetzen werden.

Der Bericht unterstreicht, um das kurz zu sagen, aus-
drücklich, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Er weist
auch darauf hin – diesen Punkt will ich hier thematisieren –,
dass zwar die Anstrengungen im Bereich Bildung gerade
in den letzten Jahren verstärkt worden sind, dass aber die
öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland im Ver-
gleich mit anderen Ländern wie zum Beispiel den skandi-
navischen Ländern, aber auch den Ländern Korea,
Kanada oder den Vereinigten Staaten noch immer nicht in

dem gleichen Maße gestiegen sind. Ich will darauf hin-
weisen, dass die Bundesregierung hier in den vergange-
nen vier Jahren ihre Anstrengungen erheblich verstärkt
hat. Nachdem wir vor 1998 einen Stillstand, ja sogar Kür-
zungen im Bildungs- und Forschungshaushalt auf Bun-
desebene erleben mussten, haben wir die Bildungsausga-
ben in den vergangenen Jahren erhöht. Mit dem Haushalt
für das Jahr 2003 sind das fast 30 Prozent, konkret 28 Pro-
zent. Die Bundesregierung wird an diesem Kurs festhal-
ten. Der Bericht der OECD unterstreicht mit sehr großem
Nachdruck, dass dieser Kurs und die Entscheidungen
richtig sind. Aber auch andere Politikebenen müssen diese
Anstrengungen unterstützen; denn Bildungspolitik ist
eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Bundesregie-
rung wird jetzt wie auch in Zukunft ihrer Verantwortung
gerecht.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500700100

Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu

stellen, über den soeben berichtet wurde. – Das Wort hat
die Kollegin Katherina Reiche.


Katherina Reiche (CDU):
Rede ID: ID1500700200

Frau Ministerin, Krippen und Kindergärten sollen aus-

gebaut werden. Dies soll mit den Ersparnissen beim Ar-
beitslosengeld bezahlt werden. So lauten die Pläne. Die
Finanzierung ist auf Sand gebaut, weil vorerst niemand
weiß, ob und in welcher Höhe diese Einspareffekte
tatsächlich zu erzielen sind.

Deshalb frage ich: Kann die Bundesregierung konkret
beziffern, welche Beiträge wann durch die Einsparungen
beim Arbeitslosengeld zur Verfügung stehen werden und
in welcher Höhe die Länder diese für den Ausbau von
Kinderkrippen- und Kindergartenplätzen gegebenenfalls
zur Verfügung stellen werden? Gibt es bereits konkrete
Gespräche oder Verhandlungen mit den Ländern?

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Auf Punkt und Komma genau kann die Bundesregie-
rung die Summe noch nicht beziffern. Wir gehen nach un-
seren Schätzungen davon aus, dass ein Finanzvolumen
von ungefähr 1,5 Milliarden Euro mobilisiert werden
kann. Dieses soll von den Ländern, den Gemeinden und
den Städten genau hierfür eingesetzt werden. Aber wie ge-
sagt: Auf Punkt und Komma genau können wir es noch
nicht sagen.

Ich will noch auf einen anderen Gesichtspunkt, der in
diesem Zusammenhang eine ganz wichtige Rolle spielt,
hinweisen: Die Bundesregierung wird einen Bildungsgip-
fel durchführen, auf dem die Zusammenarbeit zwischen
Kindergärten und Grundschulen thematisiert und Bil-
dungsziele für Kindergärten entwickelt werden sollen.
Die erfolgreichen Bildungssysteme zeichnen sich näm-
lich durch eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen Kin-
dergärten und Grundschulen aus. Deshalb habe ich immer
darauf hingewiesen, dass Kindergärten einen Bildungs-
auftrag haben, den sie wahrnehmen müssen, und dass sie
mit den Grundschulen sehr eng kooperieren müssen.


(A)



(B)



(C)



(D)


342


(A)



(B)



(C)



(D)






Das Beispiel Finnland zeigt uns, wie auf diesem Gebiet
erfolgreich gearbeitet werden kann. Dort erarbeiten die
Kindergärten gemeinsam mit den Grundschulen zum Bei-
spiel Schul- bzw. Kindergartenprogramme für das letzte
Kindergarten- und das erste Grundschuljahr. Das ist ein
ganz wichtiger Schritt, um die Qualität der Bildung ge-
rade in den ersten Lebensjahren voranzutreiben.

Ich komme zu einem zweiten wichtigen Schritt: Ich
habe immer darauf hingewiesen, dass unser Ganztags-
schulprogramm vor allen Dingen im Bereich der Grund-
schule und im Bereich der Sekundarstufe I eingesetzt wer-
den soll, weil es insbesondere hier Mängel und Defizite
gibt. Damit soll insbesondere für die Kinder in dem ent-
sprechenden Alter eine bessere individuelle Förderung
gewährleistet werden.

Last not least will ich darauf hinweisen, dass ich die
1,5 Milliarden Euro, die ich eben beziffert habe, nicht im
Zusammenhang mit dem Arbeitslosengeld, sondern im
Zusammenhang mit der Umsetzung des Hartz-Konzeptes,
das weitaus umfänglicher ist, genannt habe. Deshalb bitte
ich, dies auch so zu zitieren. Es bezieht sich auf die Um-
setzung des gesamten Hartz-Konzeptes.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500700300

Eine kurze Nachfrage der Kollegin Reiche.


Katherina Reiche (CDU):
Rede ID: ID1500700400

Ich hätte ganz gern noch etwas über den Verhand-

lungsstand gewusst. In welchem Verhandlungsstand mit
den Ländern befinden Sie sich? Das war auch ein Teil
meiner Frage.


(Nicolette Kressl [SPD]: Das gehört aber nicht zu null bis drei!)


Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Die Bundesregierung hat die Umsetzung des Hartz-
Konzeptes vorbereitet. In Kürze werden wir die Vor-
schläge der Bundesregierung hier im Deutschen Bundes-
tag beraten. Dann werden auch die Verhandlungen mit
den Ländern aufgenommen werden.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500700500

Als Nächster hat sich der Kollege Uwe Schummer ge-

meldet.


Uwe Schummer (CDU):
Rede ID: ID1500700600

Frau Ministerin, schon in der PISA-Studie wurde die

duale Ausbildung in Deutschland als vorbildlich gelobt.
Nach den Berechnungen der Bundesanstalt für Arbeit sind
im letzten Jahr etwa 100 000 Schulabgänger ohne eine be-
rufliche Ausbildungsstelle geblieben; in diesem Jahr wer-
den es wahrscheinlich 125 000 sein.

Worauf führen Sie diesen massiven Anstieg der nicht
mit einer beruflichen Ausbildungsstelle versorgten Schul-

abgänger zurück? Was gedenkt die Bundesregierung zu
tun, um die Ausbildungsmotivation und -fähigkeit in den
Betrieben zu stärken?

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Offiziell endet das Ausbildungsjahr mit dem 31. Au-
gust. Wir haben aber die Ausbildungsanstrengungen im
letzten und auch schon im vorletzten Jahr auch nach dem
31. August fortgesetzt. Dadurch ist es gelungen, zu einer
ausgeglichenen Ausbildungsbilanz zu kommen. Allen Ju-
gendlichen, die können und wollen, konnte ein Ausbil-
dungsplatz vermittelt werden. Das werden wir auch in
diesem Jahr fortsetzen. Wenn die Situation eintritt, dass
wir bis zum 31. August nicht ausreichend Ausbildungs-
plätze mobilisiert haben, dann setzen wir die Ausbil-
dungsanstrengungen fort.

Die duale Ausbildung beruht auf zwei Säulen. Auf der
einen Seite steht die Ausbildung in den Betrieben und den
Unternehmen. Auf der anderen Seite steht die Ausbildung
in den Berufsschulen. Diesen Weg werden wir fortsetzen.
Mir kommt es darauf an, dass wir den Zusammenhang
zwischen theoretischer und praktischer Ausbildung auf-
rechterhalten.

Erstens. Wir werden das duale System dadurch stärken,
dass wir die Modernisierung der Ausbildungsberufe fort-
setzen. Ich will nur darauf hinweisen, dass es uns durch
die gute Zusammenarbeit im Bündnis für Arbeit gelungen
ist, eine erhebliche Zahl von Berufen zu modernisieren
und neue Ausbildungsberufe zu schaffen, was im Übrigen
dazu geführt hat, dass viele zusätzliche Ausbildungsplätze
entstanden sind.

Zweitens. Wir werden die Berufsausbildung auch da-
durch stärken – das haben wir angekündigt –, dass wir die
Modellversuche, die wir in den letzten vier Jahren stark
vorangetrieben haben, weiterentwickeln und ausweiten.
Die berufliche Ausbildung soll in den Berufen, in denen
das von der Sache her notwendig ist, mit einer Fachhoch-
schulausbildung verknüpft werden. Beides soll parallel
laufen. Das ist gerade für sehr technikintensive Berufe ein
sehr erfolgreicher Weg, den wir beschritten haben und
weiter beschreiten werden.

Drittens. Wir werden auch unsere Modernisierungsan-
strengungen fortsetzen. Hier haben wir deutliche Erfolge
erzielt. Inzwischen dauert es weniger als ein Jahr, um Be-
rufe zu modernisieren bzw. neue Berufe zu schaffen.

Viertens – das ist mein letzter Punkt –: Jugendlichen,
die besondere Lernschwierigkeiten haben und eine Aus-
bildung, aus welchen Gründen auch immer, nicht ab-
schließen, wird die Möglichkeit gegeben, Ausbildungsab-
schnitte – wir nennen es Ausbildungsbausteine, weil es in
sich geschlossene Bausteine sein sollen – zertifizieren zu
lassen, sodass sie damit eine bessere Chance haben, in den
Arbeitsmarkt zu kommen und einen Job zu finden.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500700700

Herr Kollege Schummer, Sie haben sicherlich Ver-

ständnis dafür, dass ich eine weitere Frage von Ihnen im

Bundesministerin Edelgard Bulmahn




Vizepräsidentin Susanne Kastner
Augenblick nicht zulassen kann. Viele Kolleginnen und
Kollegen wollen noch Fragen stellen und kämen ansons-
ten nicht zum Zuge.

Als Nächster hat der Kollege Jörg Tauss das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1500700800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich habe das Gefühl, Kollegin Reiche, dass bei der Frage
der Betreuung von Kindern von null bis drei Jahren und
den Ganztagsschulen vielleicht ein Missverständnis vor-
lag. Aber das können wir möglicherweise bilateral klären,
weil ich nicht danach fragen möchte.

Frau Ministerin, die Initiativen der Bundesregierung
würdigend, möchte ich eine Nachfrage stellen. Nachdem
jetzt erfreulicherweise auch von der Kultusministerkonfe-
renz Hinweise zu der Entwicklung von Bildungsstandards
vorliegen und Sie verdienstvollerweise diese Debatte mit
den Ländern durch die Ankündigung befördert haben,
dass der Bund ebenfalls nationale Standards entwickelt,
interessiert mich, wie die Verzahnung der Entwicklung
der Standards zum gegenwärtigen Zeitpunkt aussieht und
wie die Bundesregierung möglicherweise die Arbeit der
Kultusministerkonferenz weiter ergänzen und fördern
will und kann.

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Ich habe darauf hingewiesen, dass in den erfolgreichen
Bildungsnationen nationale Standards üblich sind. Dies
gilt auch für ein föderales Land wie Kanada. Das heißt, es
ist auch in einem föderalen politischen System möglich,
nationale Standards mit Erfolg zu verankern.

Zu der Frage, wie in Deutschland diese Standards ent-
wickelt, implementiert und evaluiert werden können, ha-
ben wir eine Expertise an den Leiter des Deutschen Insti-
tuts für Internationale Pädagogische Forschung, Herrn
Professor Klieme, vergeben. Die Ergebnisse dieser Studie
werden im Januar vorliegen und gemeinsam mit den Län-
dern ausgewertet. Bund und Länder sind über dieses
wichtige Thema miteinander intensiv im Gespräch und
werden dies auch bleiben.


(Jörg Tauss [SPD]: Sehr schön!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500700900

Die nächste Frage kommt von der Kollegin Pieper.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1500701000

Frau Ministerin, in der OECD-Studie wird die Effi-

zienz der Bildungssysteme von 30 Mitgliedstaaten vergli-
chen. Es ist nicht nur festgestellt worden, dass in Deutsch-
land in der Tat große Defizite im Grundschulbereich
bestehen, sondern in der OECD-Studie wird unter ande-
rem auch deutlich, dass zu wenig Schüler in Deutschland
die Hochschulreife erwerben. Im Vergleich mit dem
OECD-Durchschnitt, der bei 64 Prozent liegt, erwerben in

Deutschland nur 37 Prozent eines Jahrgangs die Hoch-
schulreife.

Sie haben auch die Sekundarstufe II angesprochen. In
Deutschland nehmen nur 30,2 Prozent der Jugendlichen
nach Abschluss der Sek II ein Studium auf. Im OECD-
Durchschnitt sind es immerhin 44 Prozent. Ich weise
außerdem darauf hin, dass in Deutschland nur 19 Prozent
eines Altersjahrgangs einen entsprechenden Hochschul-
abschluss erwerben. Im OECD-Durchschnitt hingegen
sind es 26 Prozent.

Ich frage Sie daher, welche Schritte die Bundesregie-
rung zu unternehmen beabsichtigt, um die Studierwillig-
keit junger Menschen in Deutschland zu erhöhen. Ich
denke dabei insbesondere an die Einführung von Bachelor-
und Masterstudiengängen, die eine deutliche Verringe-
rung der Studienzeit und eine passgenauere Vorbereitung
der Studierenden auf den späteren Beruf zulässt.

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Ich stimme Ihnen darin zu, dass die Einführung von
Bachelor- und Masterstudiengängen ein wichtiger Schritt
ist, um die Studienbereitschaft zu erhöhen. Denn damit
müssen sich Jugendliche nicht von vornherein entschei-
den, ob sie ein Studium mit einer längeren Studienzeit
durchführen bzw. ob sie eher einen wissenschaftlich ori-
entierten oder einen berufsorientierten Studiengang
wählen sollen, sondern sie verfügen über Entscheidungs-
alternativen. Deshalb unterstützt die Bundesregierung die
Einführung dieser Studiengänge, und zwar nicht nur in
finanzieller Hinsicht, sondern auch durch die im vergan-
genen Jahr vorgenommene Novellierung des Hochschul-
rahmengesetzes, mit der wir diese Studiengänge zu Re-
gelstudiengängen gemacht haben.

Wenn wir das Ziel verfolgen – dass es mein Ziel ist,
habe ich auch im Namen der Bundesregierung immer wie-
der formuliert –, 40 Prozent der Jugendlichen zu höchsten
Bildungsabschlüssen – ich unterscheide dabei nicht zwi-
schen akademischer und beruflicher Bildung – zu führen,
ist es sicherlich richtig, dass wir das gesamte Potenzial der
Begabungen in unserem Land mobilisieren, fördern und
unterstützen müssen. Damit müssen wir bei den Grund-
schulen beginnen. Wenn wir die Grundschulen nicht aus-
reichend fördern, wird die Zahl junger Menschen, die die
Hochschulen erreichen, nicht ausreichen. Deshalb ist für
mich die Verbesserung der Bildungssituation in den
Grundschulen ein wichtiges Anliegen.

Aus diesem Grund hat die Bundesregierung die von
mir bereits genannten Maßnahmen vorgestellt, nämlich
die Schaffung eines flächendeckenden Angebots an Ganz-
tagsschulen, die Verbesserung der Unterrichtsqualität, die
Schaffung und Entwicklung bundesweiter Bildungsstan-
dards und die nationale Bildungsberichterstattung. All
diese Schritte verfolgen das Ziel, die individuelle Förde-
rung von Kindern zu verbessern. Das ist das A und O,
wenn wir das Ziel erreichen wollen, 40 Prozent der Ju-
gendlichen zu höchsten Bildungsabschlüssen zu führen.

Ich möchte noch auf einen Punkt hinweisen. In der
OECD-Studie wird nicht darauf eingegangen, dass wir im


(A)



(B)



(C)



(D)


344


(A)



(B)



(C)



(D)






Bereich der beruflichen Bildung viele Berufsausbildun-
gen haben, die durchaus zu einem sehr hohen Bildungs-
niveau führen. Was aber notwendig und in Deutschland
noch nicht in ausreichendem Maße erreicht worden ist, ist
die Schaffung von Möglichkeiten für Jugendliche, bei-
spielsweise im Anschluss an eine berufliche Ausbildung
ein Hochschulstudium aufzunehmen. Ich habe in der ver-
gangenen Legislaturperiode erstmals mit den Sozialpart-
nern einen Durchbruch für die informationstechnischen
Berufe erreicht. Wir haben gemeinsam ein Weiter- und
Fortbildungssystem entwickelt, das mit einer anerkannten
Zertifizierung und der Verleihung von Kreditpunkten, wie
sie ebenfalls unserer Zielsetzung entspricht, ermöglicht,
dass zum Beispiel eine berufliche Ausbildung als IT-Sys-
teminformatiker in Zukunft bei der Aufnahme eines
Hochschulstudiums entsprechend gewichtet wird. Das
will ich auch für andere Bereiche und Branchen durchset-
zen. Denn wir dürfen den Zugang zur Hochschule sozu-
sagen nicht als Einbahnstraße, sondern müssen ihn als
mehrspurige Straße organisieren, sodass der Zugang über
unterschiedliche Bildungswege gewährleistet wird.

Sie werden mir sicherlich zugestehen, auf einen kleinen
Erfolg hinzuweisen. Wir haben durchaus schon einen spür-
baren Erfolg erzielt. Wir haben es in den letzten vier Jah-
ren geschafft, die Zahl der Studienanfänger erheblich zu
steigern – von rund 28 Prozent auf jetzt 32,4 Prozent. Die
Entscheidungen und die Reformen der Bundesregierung
haben wesentlich dazu beigetragen, dieses Ziel zu errei-
chen. Wir werden auf diesem Weg auch noch weitergehen.

Last but not least wollen wir auch durch den Pakt für
Hochschulen, den ich den Ländern angeboten habe, si-
cherstellen, dass die Zahl der Studienabbrecher deutlich
verringert wird.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Denn die Tatsache, dass die Zahl der Studienabbrecher in
einigen Studienfächern doch extrem hoch ist, kann aus
meiner Sicht nicht einfach hingenommen werden. Ich will
mit diesem Pakt für Hochschulen sicherstellen, dass wir
die Zahl der Studienabbrecher deutlich reduzieren. Wenn
uns das gelingt, werden wir nämlich auch die Zahl der
Studienabschlüsse deutlich erhöhen können.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500701100

Frau Kollegin Pieper, ich weiß, dass Sie eine zweite

Frage stellen wollen. Ich glaube aber, es ist ein Gebot der
Fairness gegenüber den anderen Kolleginnen und Kolle-
gen, die sich noch gemeldet haben, dass Sie sich vielleicht
noch einmal melden, wenn noch Zeit vorhanden ist.

Als Nächste folgt die Kollegin Vera Dominke.


Vera Dominke (CDU):
Rede ID: ID1500701200

Frau Ministerin, Sie haben gerade und auch eingangs

schon auf die besonders positive Entwicklung im Hoch-
schulbereich hingewiesen. Tatsächlich war ja in den letz-
ten Jahren insbesondere ein Boom privat finanzierter Elite-
hochschulen zu verzeichnen. Nun haben Sie in Ihrer
Koalitionsvereinbarung angekündigt, dass Firmenspenden

für gemeinnützige und insbesondere auch wissenschaft-
liche Zwecke künftig nicht mehr absetzbar sein sollen.


(Jörg Tauss [SPD]: Sie sind nicht auf dem aktuellen Stand! Zeitung lesen!)


Der Generalsekretär des Stifterverbandes für die deutsche
Wissenschaft, Herr Professor Erhardt, hat diese Entschei-
dung als Katastrophe für die Wissenschaft bezeichnet;
denn wir wissen alle, dass gerade Hochschulen und auch
Forschungsinstitute in besonderem Maße von der Förde-
rung durch die Wirtschaft abhängig sind.


(Zurufe von der SPD)

Nun hat zwar der Herr Bundeskanzler verbal schon seinen
Rückzieher angekündigt, aber wir wissen ja alle nicht,
was nach den Wahlen in Niedersachsen und Hessen
tatsächlich in diesem Bereich auf uns zukommen wird.

Ich frage Sie deshalb: Wie will die Bundesregierung in
Zukunft das Engagement der zu Recht verschreckten
Wirtschaft in Bildung und Wissenschaft fördern? Wie
wollen Sie die Entwicklung von mehr Public Private Part-
nership fördern und anstoßen?

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Liebe Kollegin, das Wort des Bundeskanzlers gilt.

(Jörg Tauss [SPD]: Immer! – Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist der größte Witz der Nation!)


Das kann ich ganz kurz beantworten. Deshalb wird die
Bundesregierung die Abzugsfähigkeit von Unterneh-
mensspenden an wissenschaftliche Einrichtungen und
Bildungseinrichtungen nicht streichen,


(Zuruf von der CDU/CSU: Wir haben doch überall Lüge! Rentenlüge! Steuerlüge!)


sondern die wird es weiterhin geben.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist eine Märchenstunde hier! – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das stand aber vor einer Stunde noch im Internet in Ihrer Koalitionsvereinbarung!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500701300

Ich weise darauf hin, dass wir im Augenblick Fragen

zu dem Themenbereich, der heute angemeldet ist, stellen.
Als Nächste bitte die Kollegin Grietje Bettin.


Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500701400

Frau Ministerin, können Sie mir schon etwas sagen

zum Verteilungsschlüssel für die 4 Milliarden Euro, die
jetzt zum Ausbau von Ganztagsschulen zur Verfügung ge-
stellt werden sollen? Ist diese Verteilung auch an pädago-
gische Konzepte geknüpft oder erfolgt die Vergabe dieser
Gelder nach einem bestimmten Schlüssel? Wie ist die Pla-
nung bisher?

Bundesministerin Edelgard Bulmahn





Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Ich habe immer darauf hingewiesen, dass die Vertei-
lung dieser Mittel daran geknüpft ist, dass erstens ein
pädagogisches Konzept vorliegt und zweitens dadurch
auch ein zusätzliches Ganztagsangebot geschaffen wird.
Das sind die beiden wichtigen Kriterien.

Erstens. Die Umsetzung liegt in der Hand der Länder.
Die Länder müssen und werden das pädagogische Kon-
zept verantworten. Es ist völlig klar, dass eine Ganztags-
schule natürlich ein pädagogisches Konzept erfordert und
dass wir dieses auch fördern.

Zweitens. Der Verteilungsschlüssel wird nach unserem
Vorschlag so aussehen, dass die Zahl der Schülerinnen
und Schüler in der Grundschule und in der Sekundar-
stufe I zugrunde gelegt werden sollte. Weil das der objek-
tiv gerechteste Schlüssel ist, haben wir ihn zugrunde ge-
legt. In unserem Angebot an die Länder wird auch dieser
Schlüssel angeboten.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500701500

Nächste Fragestellerin ist die Kollegin Marion Seib.


Marion Seib (CSU):
Rede ID: ID1500701600

Im Zusammenhang mit dieser OECD-Studie und als

einzige Reaktion auf PISA haben Sie – das haben Sie
heute wieder betont; gerade eben haben Sie der Kollegin,
die danach fragte, eine Antwort gegeben – das 4-Milliar-
den-Euro-Programm für die Ganztagsschulen angeboten.


(Jörg Tauss [SPD]: Viel mehr!)

Seit dem Haushaltsentwurf 2003 ist aber klar, dass mit
diesem Programm nur die Investitionen gefördert werden
sollen. Das heißt, die Länder und die Kommunen bleiben
auf den Sach- und den Personalkosten sitzen. Ich habe
deshalb die folgenden Fragen:

Erstens. Wann beabsichtigt die Bundesregierung, den
Ländern ein ganz konkretes – und zwar schriftliches – An-
gebot für die Ausstattung der Ganztagsschulen zu unter-
breiten?

Zweitens. Welche genauen Bedingungen sollen daran
geknüpft sein? Wir haben eben gehört, dass Sie von den
Ländern ein pädagogisches Konzept verlangen. Wer be-
urteilt dieses pädagogische Konzept?

Drittens. Wird der Schlüssel, den Sie eben auf die
Schülerzahl bezogen haben, tatsächlich eingehalten bzw.
welchen Einfluss hat das pädagogische Konzept noch auf
die Verteilung der Mittel, wenn Sie den Schlüssel nur auf
die Schülerzahl beziehen?

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Liebe Kollegin, Sie selbst haben gerade unterstri-
chen, wie notwendig und wie wichtig es ist, dass das,

was man lernt, in unterschiedlichen Zusammenhängen
wiederholt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ute Kumpf [SPD]: Auch in Bayern!)


Wir bieten nicht nur eine einzige Maßnahme an; viel-
mehr schlagen wir – ich betone das seit Frühjahr dieses
Jahres immer wieder; ich habe das auch hier, im Bundes-
tag, schon mehrfach geäußert – fünf Schritte vor.

Erstens. Wir stärken mit einem pädagogischen Kon-
zept die Ganztagsschule, um eine bessere individuelle
Förderung zu erreichen. Die Ganztagsschule muss zu ei-
ner wichtigen Säule im Schulsystem werden.

Zweitens. Dazu gehört die Entwicklung von bundes-
weiten, präzisen und prägnanten Bildungsstandards, da-
mit jeder weiß, wohin er muss und wohin er kommen soll.
Das ist nämlich immer und an jeder Stelle wichtig und
richtig. Das gilt sowohl für Schüler als auch für Lehrer als
auch für Eltern – für Politiker natürlich auch.

Drittens. Ich habe eine regelmäßige nationale Eva-
luierung unserer Bildungseinrichtungen vorgeschlagen.
Dabei denke ich auch an Bildungsvergleiche. Ich will
nämlich nicht, dass wir auf Dauer auf internationale
Untersuchungen angewiesen sind.

Viertens. Daher wollen wir eine nationale Bildungsbe-
richterstattung.

Fünftens. Ich habe den Ländern vorgeschlagen – das
haben wir bereits beschlossen –, ein gemeinsames Pro-
gramm zur Verbesserung des Unterrichts umzusetzen. Die
PISA-Studie weist nämlich darauf hin, dass wir genau an
diesem Punkt erhebliche Mängel und Schwächen haben.
Die Schwerpunkte dessen, was wir diesbezüglich vorha-
ben, habe ich bereits vorhin genannt.

Zu Ihrer Frage: Wir, die Bundesregierung, haben den
Ländern vorgeschlagen, dass wir 4 Milliarden Euro einset-
zen, um ein flächendeckendes Ganztagsschulangebot mit
der Zielsetzung der individuellen Förderung sicher-
zustellen. Wir fordern dafür ein pädagogisches Konzept
ein. Wie ich bereits vorhin ausgeführt habe, liegt es in der
Verantwortung der Länder, dieses pädagogische Konzept
zu überprüfen und sicherzustellen, dass es qualitativ gut ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Völlig klar ist aber: Wir wollen diese Mittel nicht dafür

einsetzen, dass allein ein warmes Mittagessen sicherge-
stellt ist; deshalb fordern wir ein pädagogisches Konzept
an. Die Länder müssen dieses Konzept verantworten, so
wie es auch in anderen Bereichen geregelt ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500701700

Die nächste Frage stellt der Kollege Ernst Dieter

Rossmann.


Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1500701800

Frau Ministerin, Sie haben Ihre Ideen zur Verbesserung

des Unterrichts angesprochen. Ich möchte Sie nach dem


(A)



(B)



(C)



(D)


346


(A)



(B)



(C)



(D)






Zusammenhang zwischen dem Handlungsfeld „Bund-
Länder-Programme“ und dem Handlungsfeld „Stiftung
Bildung und Erziehung“ fragen. Wo wollen Sie dort je-
weils verschiedene Akzente setzen? Wie sollen die beiden
Handlungsfelder zusammenfließen?

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Wir haben vor, eine „Stiftung Bildung und Erziehung“
ins Leben zu rufen. An dieser Stiftung sollen sich unserer
Zielsetzung nach auch Private beteiligen können, weil
Bildung – ich habe es bereits am Anfang gesagt – eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.

Diese Stiftung sollte unseren Überlegungen nach zum
Beispiel die Möglichkeit haben, gegenüber Schulen, die
gern ein neues Unterrichtskonzept umsetzen möchten, für
das sie eine finanzielle Unterstützung brauchen, als An-
sprechpartner, aber auch als Förderer aufzutreten.

Das ist sozusagen der Bottom-up-Weg, wie es so schön
heißt. So haben die einzelnen Einrichtungen selber die
Möglichkeit, Finanzierungshilfen zu erhalten, wenn sie
ein überzeugendes Konzept haben, das zügig und schnell
aufgegriffen, umgesetzt und erprobt werden kann. Es
muss ja auch die Möglichkeit vorhanden sein, hiermit Er-
fahrungen zu sammeln.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500701900

Die nächste Frage bitte vom Kollegen Christoph

Bergner.


Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1500702000

Frau Ministerin, Sie haben bei Ihren Ausführungen

einmal mehr darauf hingewiesen, dass Sie in der Ein-
führung von Ganztagsschulen einen Weg zur Überwin-
dung der Bildungsdefizite sehen, die die OECD-Studie
ausweist. Nun ist jedem, der sich einmal in der Schulpra-
xis mit der Umsetzung von Ganztagsschulkonzepten be-
schäftigt hat, bekannt, dass sich hinter dem Begriff Ganz-
tagsschule zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze
verbergen können.

Bei dem einen versteht man darunter eine Betreuungs-
einrichtung ergänzend zu einer üblichen Halbtagsschule;
die Schule nähme also unter ihrem Dach Betreuungsan-
gebote im Sinne des Kinder- und Jugendhilfegesetzes
wahr. Diese wären fakultativ, die Teilnahme wäre also in
keiner Weise obligatorisch.

Der andere Ansatz – auf den müssten Sie verweisen,
wenn Ihnen beispielsweise das finnische Modell vor-
schwebt – sieht eine ganztägige Betreuung im Sinne einer
Unterrichtsbetreuung vor. Das hätte zwangsläufig eine
Ausweitung der Schulpflicht zur Folge.

Ich bedauere etwas, dass Sie bei Ihren Verweisen auf
die Ganztagsschulen bisher in diesem, für mich entschei-
denden Punkte eine Präzisierung vermissen lassen. Des-
halb möchte ich Sie fragen, welcher der von mir genann-
ten Typen aus Ihrer Sicht eine Überwindung der
Bildungsdefizite in Deutschland verspricht.

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Sie wissen, dass die Zuständigkeit für die Schulen bei
den Ländern liegt.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Ach nee!)

Wir machen aber in Form der fünf Punkte, die ich genannt
habe, den Ländern ein Angebot, um in einem gemeinsa-
men Kraftakt unser Bildungssystem zu verbessern. Das
halte ich auch für notwendig, weil wir erreichen müssen,
dass wir in zehn Jahren wieder zu den Nationen mit der
besten Bildung gehören. Das werden wir nicht in ein oder
zwei Jahren schaffen, aber innerhalb von zehn Jahren
müssen wir es schaffen. Das Ganztagsschulangebot ist bei
diesem Vorhaben eine wichtige Säule – neben den ande-
ren, die ich genannt habe. Dazu gehört sozusagen als
sechste Säule auch noch die Veränderung der Lehreraus-
bildung und die Lehrerfortbildung.

Die Ganztagsschule ist in Finnland so organisiert, dass
dort Personal mit unterschiedlichen Kompetenzen einbe-
zogen wird. Das auch in Deutschland so zu machen halte
ich für sinnvoll und richtig. Ich sage ausdrücklich: Eine
Ganztagsschule ist keine Schule im traditionellen Sinne,
wo die bisherigen 45-minütigen Unterrichtsstunden zum
Teil einfach bis in den Nachmittag verlängert werden.
Hier soll auch viel stärker projektorientiert gearbeitet
werden und den musischen Fächern wieder ein höherer
Stellenwert zukommen. Ich halte es beispielsweise für
richtig, dass ein Kind die Möglichkeit hat, in der Schule
ein Musikinstrument zu erlernen. Das ist im üblichen Un-
terrichtsstundenrahmen im Augenblick schwer unterzu-
bringen.

Mir ist es deshalb wichtig, deutlich zu machen, dass
eine Ganztagsschule eine Schule ist, in der Begabungen
und Fähigkeiten von Kindern besser gefördert werden.
Dafür brauchen wir Lehrerinnen und Lehrer, aber auch
Menschen mit anderen Kompetenzen und Fähigkeiten.
Diese Aufgabe, die ich für sehr wichtig halte, haben wir
gemeinsam mit den Ländern, Städten und Gemeinden zu
meistern, damit wir hier Fortschritte und Erfolge erzielen.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500702100

Da wir zu diesem Themenbereich nur noch einen Fra-

gesteller haben, kann ich jetzt eine weitere Frage von Ih-
nen zulassen.

Bitte schön, Herr Kollege Bergner.


Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1500702200

Frau Ministerin, die für mich entscheidende Frage – es

tut mir Leid, das sagen zu müssen – ist nach wie vor nicht
beantwortet. Wenn die Ganztagsschule ein wirkungsvol-
les Instrument zur Überwindung von Bildungsdefiziten
sein soll, dann kann man nicht der Frage ausweichen, wel-
cher Typus von Ganztagsschule gemeint ist. Deshalb
möchte ich meine Frage gern noch einmal präzisieren:
Meinen Sie, dass die flächendeckende Einführung der
Ganztagsschule mit einer Ausweitung der Schulpflicht
verbunden sein muss, damit sie zur Überwindung der Bil-
dungsdefizite beiträgt?

Dr. Ernst Dieter Rossmann





Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Ich habe vorhin gesagt, dass die Ganztagsschule als
eine Angebotsschule organisiert werden soll. Das werden
die Länder sicherlich entsprechend umsetzen. Es soll also
keinen Zwang geben, sondern ein Angebot, das von den
Familien genutzt werden kann. Ich bin davon überzeugt,
dass viele das Angebot nutzen werden; denn diese Ganz-
tagsschulen werden eine bessere individuelle Förderung
der Kinder ermöglichen. Ich bin nicht der Auffassung,
dass man das mit einer so starren Definition machen kann,
wie das Ihre Frage nahe legt. Sie werden wissen, dass wir
in Deutschland nicht einmal eine einheitliche Definition
für Ganztagsschulen haben. Die KMK ist erst jetzt dabei,
eine verbindliche einheitliche Definition zu erarbeiten.

Wenn Sie erfolgreich organisierte Ganztagsschulen se-
hen wollen, bitte ich Sie, einen Blick in die Ausarbeitung
des Forums Bildung zu werfen. Wir haben in den vergan-
genen vier Jahren gemeinsam mit den Ländern, mit den
Sozialpartnern, mit Wissenschaftlern und mit in der
Schule Tätigen herausragende Schulen identifiziert und
vorgestellt. Jeder kann sich dort anschauen, wie ein guter,
erfolgreicher Ganztagsschulbetrieb praktiziert wird und
was dort geleistet wird.

Ich hoffe, dass alle die sich bietenden Möglichkeiten
nutzen. Wie gut eine Ganztagsschule arbeitet, hängt
natürlich auch sehr stark von den Lehrern ab, die dort tätig
sind, und von den Eltern. Deshalb kommt es darauf an, sie
dafür zu gewinnen und davon zu überzeugen. Ich bin der
Auffassung, dass ein solches Best-practice-Beispiel viel
überzeugender ist als abstrakte, blutleere theoretische De-
finitionen. Darum sollte man darauf schauen.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500702300

Die letzte Frage in dieser Regierungsbefragung hat der

Kollege Hartwig Fischer.


Hartwig Fischer (CDU):
Rede ID: ID1500702400

Frau Ministerin, Sie haben eben erklärt, dass die Vo-

raussetzung für die Förderung Konzepte seien, die die
Länder Ihnen vorlegen. Vor diesem Hintergrund frage ich
Sie, ob bei den Konzepten auch die Unterrichtsversor-
gung eine Rolle spielt. In Niedersachsen zum Beispiel hat
sich die Schüler-Lehrer-Relation seit 1990 um 19 Prozent
verschlechtert


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

und gegenüber 1990 wird 12 Prozent weniger Unterricht
erteilt.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das ist ja ein genialer Wahlkampf!)


Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Lieber Herr Kollege, erstens hat sich die Unterrichts-
versorgung in Niedersachsen in den letzten Jahren deut-
lich verbessert.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Ich weise nur darauf hin, dass Niedersachsen eines der
ersten Bundesländer ist, die die verlässliche Grundschule
eingerichtet haben,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Aber in den weiterführenden Schulen findet gar nichts statt!)


wodurch die Eltern sicher wissen, dass ihr Kind nicht vor
13 Uhr womöglich vor der verschlossenen Haustür steht.
Die Sicherheit, die dadurch geschaffen worden ist, ist von
der Sache her notwendig.

Aber ich will zweitens noch einmal auf den anderen
Punkt eingehen. Wir fordern in unserem Vorschlag ein
pädagogisches Konzept. Die Länder sind diejenigen, die
das pädagogische Konzept überprüfen und es auch ver-
antworten müssen. Die Länder haben die Verantwortung
für die Schulpolitik. Deshalb sind sie es, die das pädago-
gische Konzept prüfen und qualitativ verantworten müs-
sen. Wir fordern den Ländern lediglich ab, dafür Sorge zu
tragen, dass ein solches pädagogisches Konzept vorliegt.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500702500

Eine kurze Zusatzfrage.


Hartwig Fischer (CDU):
Rede ID: ID1500702600

Wird die Unterrichtsversorgung in den einzelnen Bun-

desländern für Sie bei der Beurteilung des pädagogischen
Konzepts eine Rolle spielen?

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Die Länder beurteilen das pädagogische Konzept.

(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Was?)

– Ich habe ja vorhin gesagt, dass die Länder das pädago-
gische Konzept der Schule prüfen und dass sie es auch
verantworten müssen. Ich gehe davon aus, dass die Frage
der Unterrichtsversorgung für die Länder ein wichtiger
Gesichtspunkt ist.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500702700

Vielen Dank, Frau Ministerin.
Damit beende ich die Regierungsbefragung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksache 15/20 –
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Aus-

wärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht Herr Staatsmi-
nister Hans Martin Bury zur Verfügung.

Ich rufe Frage 1 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, frak-
tionslos, auf:

Welche konkreten diplomatischen Schritte – bilateral oder im
Rahmen der EU – plant die Bundesregierung angesichts der guten


(A)



(B)



(C)



(D)


348


(A)



(B)



(C)



(D)






persönlichen Beziehungen des Bundeskanzlers Gerhard Schröder
zum russischen Präsidenten Wladimir Putin, um die russische Re-
gierung zu einer politischen Lösung des Tschetschenien-Konflik-
tes zu bewegen?

H
Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1500702800


Frau Kollegin Lötzsch, die Bundesregierung drängt
– bilateral und gemeinsam mit ihren EU-Partnern – im
Dialog mit Russland seit Jahren darauf, eine politische
Lösung des Tschetschenien-Konflikts zu suchen. Die
Bundesregierung wird diese Politik auch bei künftigen
Begegnungen mit der russischen Seite auf allen Ebenen
fortsetzen.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500702900

Frau Kollegin, Ihre Zusatzfrage.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1500703000

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Teilt die Bundes-

regierung meine Auffassung, dass eine politische Lösung
des Tschetschenien-Konflikts nur unter Berücksichtigung
der Ausgangslage des Jahres 1991, als Tschetschenien
verfassungsgemäß aus der Russischen Föderation ausge-
treten ist, erreichbar ist?

H
Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1500703100


Frau Kollegin, es ist Sache der beteiligten Konfliktpar-
teien, in politischen Gesprächen miteinander eine Lösung
für die Zukunft Tschetscheniens zu finden.

Für den Weg dorthin orientiert sich die Haltung der
Bundesregierung an folgenden Prinzipien: Sie orientiert
sich zum Ersten an der Anerkennung der territorialen In-
tegrität Russlands und zum Zweiten an dem gemeinsamen
Kampf gegen den Terrorismus. Zum Dritten sind russi-
sche Menschenrechtsverletzungen, aber auch Verbrechen
und Vergehen durch Terroristen und tschetschenische Re-
bellen für uns nicht hinnehmbar. Zum Vierten muss der
ungehinderte Zugang für Organisationen, die humanitäre
Hilfe leisten, gewährleistet sein.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500703200

Frau Kollegin, Sie haben eine zweite Zusatzfrage.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1500703300

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Ausgehend von

dieser Beantwortung möchte ich gerne wissen, ob Sie den
Tschetschenien-Konflikt als innere Angelegenheit Russ-
lands betrachten und – wenn ja – nach welchen Kriterien
Konflikte als innere Angelegenheit von Ländern betrach-
tet werden und nach welchen nicht.

H
Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1500703400


Frau Kollegin, ich hatte Ihnen vorhin die Kriterien ge-
nannt, an denen sich die Bundesregierung orientiert. Dazu

gehört unter anderem die Anerkennung der territorialen
Integrität.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500703500

Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch

auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass das bereits jah-

relang mit überaus unverhältnismäßiger Härte auch gegenüber der
Zivilbevölkerung praktizierte Vorgehen der russischen Streit-
kräfte in Tschetschenien – das in anderen Fällen zum Anlass ge-
nommen wurde, seitens der NATO militärisch zu intervenieren –
mit den Pflichten des Europaratmitgliedes Russland hinsichtlich
der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Konven-
tion zum Schutz von nationalen Minderheiten im Einklang steht?

Bitte schön, Herr Staatsminister.

H
Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1500703600


Frau Lötzsch, Bundesminister Fischer hat unter ande-
rem vor der Genfer Menschenrechtskommission am
20. März dieses Jahres erklärt, dass die Bundesregierung
das gewaltsame Vorgehen der Streitkräfte gegen die Zivil-
bevölkerung in Tschetschenien für inakzeptabel und mit
europäischen und VN-Normen nicht vereinbar hält.

Die Russische Föderation hat die Europäische Men-
schenrechtskonvention am 5. Mai 1998 und das Rah-
menübereinkommen Nr. 157 zum Schutz nationaler Min-
derheiten am 21.August 1998 ratifiziert. Sie hat damit alle
Pflichten, die sich aus dem System des Menschenrechts-
schutzes des Europarats ergeben, übernommen.

Die sehr hohe Zahl der gegen die Russische Föderation
in den letzten drei Jahren eingelegten Individualbeschwer-
den ist Grund für besondere Aufmerksamkeit. Es ist davon
auszugehen, dass viele dieser Beschwerden mit dem
Tschetschenien-Konflikt zusammenhängen. Erste Urteile
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in
Verfahren gegen die Russische Föderation könnten bis
Ende 2003 vorliegen. Die Bundesregierung will dem Aus-
gang dieser Verfahren nicht vorgreifen.

Die Bundesregierung setzt sich aktiv für die Einhal-
tung der Bestimmungen der Europäischen Menschen-
rechtskonvention und für die Unabhängigkeit des Euro-
päischen Gerichtshofs für Menschenrechte ein und wird
die weitere Arbeit der Gremien des Europarats aufmerk-
sam verfolgen.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500703700

Ihre Zusatzfrage, bitte.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1500703800

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Wie beurteilt die

Bundesregierung in diesem Zusammenhang das Vorgehen
der russischen Seite bei der Befreiung der Geiseln im
Theater Nord-Ost und die Exekution bewusstloser Geisel-
nehmer anstelle ihrer Festnahme und Ladung vor ein Ge-
richt?

Vizepräsidentin Susanne Kastner





H
Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1500703900


Frau Kollegin, ich glaube, Entscheidungen wie diejeni-
gen, die bei einer solchen Geiselnahme zu treffen sind,
gehören zu den schwierigsten, die Politikerinnen und Poli-
tiker zu treffen haben. Denn es handelt sich bei einer sol-
chen Aktion immer um eine Abwägung zwischen der Ret-
tung von Menschenleben – immerhin waren rund
800 Geiseln in der Gewalt der Geiselnehmer – und der
möglichen Gefährdung von Menschenleben. Ich glaube
nicht, dass es uns zusteht, die Entscheidung für die Befrei-
ungsaktion hier zu kritisieren.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1500704000

Auch wenn Sie sagen, es stehe der Bundesregierung

nicht an, solches Vorgehen zu kritisieren, möchte ich fra-
gen: Gibt es Gespräche zwischen der Bundesregierung
und der russischen Seite über das Vorgehen in diesem Fall
und gibt es Fragen nach dem Einsatz des Kampfgases?

H
Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1500704100


Frau Kollegin, selbstverständlich gibt es laufend inten-
sive Kontakte mit der russischen Seite.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500704200

Es liegen für diesen Geschäftsbereich keine weiteren

Fragen vor. Deswegen schließe ich den Geschäftsbereich
des Auswärtigen Amtes und bedanke mich bei Staatsminis-
ter Hans Martin Bury für die Beantwortung der Fragen.

Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die Parla-
mentarische Staatssekretärin Frau Dr. Barbara Hendricks
zur Verfügung.

Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Ernst Hinsken,
CDU/CSU-Fraktion, auf:

Mit welcher Begründung bewertet die Bundesregierung die
deutsche Erbschaftsteuergesetzgebung als nicht „ursächlich für
eine etwaige Unschlüssigkeit der Erben mittelständischer Be-

(vergleiche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister der Finanzen, Karl Diller, vom 25. Oktober 2002 auf meine schriftlichen Fragen mit den Arbeitsnummern 17 und 18 für den Monat Oktober 2002)

telständler unschlüssig sind, ob sie ihr Erbe überhaupt antreten
und die Betriebe weiterführen sollen, und was gedenkt sie dage-
gen zu unternehmen?

Bitte schön, Frau Staatssektretärin.

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1500704300


Herr Kollege Hinsken, das Erbschaftsteuergesetz ent-
hält für denjenigen, der einen geerbten Betrieb fortführt,
erhebliche Erleichterungen. Zu nennen sind hier unter an-
derem: ein Freibetrag von 256 000 Euro; ein Bewer-
tungsabschlag vom Gesamterbe von 40 Prozent – bevor
dieser Freibetrag überhaupt ansetzt! –; die Besteuerung in
der günstigen Steuerklasse I, und zwar unabhängig vom

Verwandtschaftsgrad des Erbers, und die Möglichkeit der
zinslosen Stundung der Erbschaftsteuer, sofern sie über-
haupt anfällt, für die Dauer von zehn Jahren.

Deshalb kann das geltende Erbschaftsteuerrecht kei-
nesfalls Ursache dafür sein, das Erbe eines Betriebsver-
mögens nicht antreten und einen mittelständischen Be-
trieb nicht fortführen zu wollen. Dies müsste andere
Gründe haben.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500704400

Herr Kollege Hinsken, Ihre Zusatzfrage bitte.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1500704500

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretärin

Hendricks, warum war Ihr Kollege Diller nicht in der
Lage, mir eine solche Antwort zu geben? Ist es diesem
vielleicht egal, dass bis zum Jahr 2004 380 000 Betriebs-
übergaben anstehen? Mindestens die Hälfte dieser Be-
triebsinhaber weiß noch nicht, wer den Betrieb weiter-
führen wird. Die Bereitschaft dazu ist überhaupt nicht
mehr vorhanden, weil die steuerliche Belastung sehr
hoch, ja, erdrückend ist und man sich sagt: Anderweitig
komme ich besser über die Runden.

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1500704600


Zunächst, Herr Kollege Hinsken: Ich kenne das Schrei-
ben, das Ihnen Kollege Diller in meiner Abwesenheit – und
damit gewissermaßen als mein Vertreter – geschickt hat.
Ich bitte darum, Herrn Kollegen Diller von irgendeiner
Schuld freizusprechen. Er war natürlich in der Lage, Ihnen
eine vernünftige Antwort zu geben.


(Widerspruch des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])


Gleichwohl waren Sie mit der Antwort nicht zufrieden;
das ist Ihr gutes Recht. Deshalb haben Sie hierzu eine
Frage gestellt.

Wir alle wissen um die große Zahl der Betriebe, deren
Übergabe ansteht. Sie haben gerade von einer Zahl von
380 000 gesprochen. Wir alle kennen das Problem aus un-
seren Wahlkreisen.

Da sind aber nicht nur Fragen des Erbschaftsteuer-
rechts zu klären. Es gibt sehr viele Betriebsinhaber, die
zwar Kinder haben, die aber den elterlichen Betrieb – aus
welchen Gründen auch immer – nicht fortführen wollen.
Auch gibt es Betriebsinhaber, die keine Erben haben und
sich deswegen jemanden suchen, der ihren Betrieb käuf-
lich erwirbt. Das ist natürlich nicht immer einfach, weil
derjenige, der einen Betrieb veräußert, aus dem Erlös für
sein Alter vorsorgen möchte, was sein gutes Recht ist.

Er wird also einen Käufer suchen. Das hat aber mit dem
Erbschaftsteuerrecht überhaupt nichts zu tun; denn verer-
ben kann man natürlich auch an Nichtverwandte, aber
dann gibt man den Betrieb ja kostenfrei ab. Ein Betriebs-
inhaber möchte natürlich, sofern er keine nahen Ver-
wandten hat, seinen Betrieb lieber verkaufen, als ihn kos-
tenfrei an irgendeinen Betriebsfremden abzugeben. Er


(A)



(B)



(C)



(D)


350


(A)



(B)



(C)



(D)






wird ihn also veräußern. Da erfüllen sich nicht immer alle
Wünsche der Betriebsveräußerer; denn es ist in der Tat
nicht so einfach, einen Betrieb zu erwerben und den dafür
notwendigen Schulden- und Zinsendienst zu leisten, der
wesentlich höher ist als jede denkbare Zahlung der Erb-
schaftsteuer.

Die Erbschaftsteuer, so wie sie in der Bundesrepublik
Deutschland besteht und ich sie Ihnen gerade dargestellt
habe, ist gerade im Hinblick auf Betriebsvermögen außer-
ordentlich niedrig. Sie kann kein Hindernis für die Fort-
führung eines Betriebes sein.

Wir haben – denn diese Frage wird häufig gestellt – bei
den Landesfinanzverwaltungen nachgefragt: Es gibt bis-
her keinen einzigen aktenkundigen Fall dahin gehend,
dass ein Betrieb etwa wegen Zahlens der Erbschaftsteuer
in Konkurs gegangen ist.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500704700

Herr Kollege Hinsken, Ihre zweite Zusatzfrage bitte.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1500704800

Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, dass in einem

Großteil der EU-Staaten die Erbschaft- und Schenkung-
steuer gestrichen worden ist? In etlichen Ländern hat man
entsprechende Veränderungen vorgenommen, um Voraus-
setzungen dafür zu schaffen, dass Betriebe vermehrt über-
nommen werden.

Deshalb die Frage an Sie: Meinen Sie nicht auch, dass
es dringend erforderlich wäre, Nachbesserungen bzw.
Korrekturen in der Richtung vorzunehmen, die ich gerade
angesprochen habe, damit der Einzelne stärker bereit ist,
in die Selbstständigkeit zu gehen bzw. selbstständig zu
bleiben, wenn er den Betrieb der Eltern übernehmen kann
oder er die Möglichkeit hat, bei einem Verwandten oder
Bekannten einzusteigen?

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1500704900


Wir sprechen von Erbe und Erbschaftsteuer; das möchte
ich noch einmal deutlich machen. Ich kenne nicht viele Be-
triebsinhaber, die ihren Betrieb Bekannten vererben wol-
len; an Bekannte wollen sie ihn veräußern. Die meisten
wollen an Verwandte, am liebsten an relativ nahe Ver-
wandte – manchmal auch an Neffen oder Nichten –, verer-
ben. Ich kenne nur sehr wenige, die ihren Betrieb Bekann-
ten vererben wollen, also ohne einen Veräußerungserlös zu
erzielen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ich kenne auch welche!)


Dieser Fall entspricht nicht der nahen Lebenswirklichkeit.
Wir reden also von Verwandten, von Kindern oder von

Verwandten zweiten Grades, zum Beispiel Nichten oder
Neffen. Sie könnten infrage kommen, einen Betrieb fort-
zuführen. Im Rahmen der Erbschaftsteuer werden sie alle
wie Nachkömmlinge ersten Grades behandelt; es wird
also nicht auf den Verwandtschaftsgrad geachtet. Selbst
ein Fremder würde hier wie ein Kind behandelt.

Ich sage es noch einmal: Zur Ermittlung der Bemes-
sungsgrundlage für die Erbschaftsteuer wird das Be-
triebsvermögen grundsätzlich um 40 Prozent reduziert.
Dies bezieht sich auf alle Anteile des Betriebsvermögens,
auch auf Kapitalvermögen. Es ist eigentlich eine seltsame
Vorstellung, dass 10 Millionen Euro, sobald sie in das Be-
triebsvermögen übergehen, für die Erbschaftsteuer nur
noch 6 Millionen Euro wert sind. Das stellt eine erhebli-
che Vergünstigung dar. Dazu gibt es übrigens schon einen
Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofes an das Bundes-
verfassungsgericht; der Bundesfinanzhof hält die Begüns-
tigung des Betriebsvermögens für zu umfangreich.

Vor diesem Hintergrund sieht die Bundesregierung
keinerlei Veranlassung, die Vergünstigungen des beste-
henden Erbschaftsteuerrechts bei der Vererbung von Be-
triebsvermögen noch stärker auszuweiten.


(Gerd Andres, Parl. Staatssekretär: Sehr gute Antwort!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500705000

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Michelbach.


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1500705100

Frau Staatssekretärin, Sie haben in Ihrer Antwort auf

die Frage des Kollegen Hinsken gesagt, dass es bei der
Erbschaftsteuer erhebliche Vergünstigungen gebe, wenn
ein Betrieb übernommen wird, und Sie sähen nicht die
von Herrn Hinsken angesprochene Problematik. Führen
Sie nicht die rapide Abnahme der Zahl von Unternehmen
auf die Steuerbelastungen zurück, also auch auf die Dop-
pelbesteuerung in Verbindung mit der Erbschaftsteuer?
Und wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang Ihre
neuesten Steuererhöhungspläne, die eine unbegrenzte Be-
steuerung von Gewinnen aus Wertpapier- und Immobi-
lienverkäufen vorsehen? Dies würde neben der Erb-
schaftsteuer eine zusätzliche große Belastung bedeuten.

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1500705200


Herr Kollege Michelbach, ich sehe diesen von Ihnen
hergestellten Zusammenhang nicht. Ich weise auch den
Begriff der Doppelbesteuerung zurück. Selbstverständlich
werden betriebliche Gewinne, sofern sie anfallen, ver-
steuert. Ein Erbfall ist ein eigener steuerlicher Tatbestand,
der für sich gesehen wird und neu zu bewerten ist. Zudem
fällt die Erbschaftsteuer nicht beim bisherigen Betriebs-
inhaber an, der die betrieblichen Gewinne bis dahin ver-
steuert hat, sondern beim Nachfolger, der den Betrieb kos-
tenfrei erworben hat, ihn also nicht kaufen muss wie
andere junge Menschen, die sich selbstständig machen
wollen. Es gibt also überhaupt keinen Grund, hier von ei-
ner Doppelbesteuerung zu reden. Es sind zwei verschie-
dene Sachverhalte.

Zum anderen weise ich darauf hin, dass die Besteue-
rung von Veräußerungsgewinnen natürlich schon Gegen-
stand unseres Steuerrechts war, wenn auch mit Fristen.
Auch in Zukunft wird es so sein, dass bei demjenigen, der

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks




Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
einen Betrieb geerbt hat – nur hier kann ich einen Zusam-
menhang mit der Frage des Kollegen Hinsken sehen –, bei
einer späteren Veräußerung der Wert des Betriebes zu dem
Zeitpunkt des Erbantritts berücksichtigt wird.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500705300

Wir kommen damit zur Frage 4 des Abgeordneten

Ernst Hinsken:
Wird die Bundesregierung, da sie bisher über keine Übersicht

zu den steuerlichen Regelungen des Unternehmenserbes im Mit-
telstand in den EU-Mitgliedstaaten verfügt – vergleiche Antwort
des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister der
Finanzen, Karl Diller, vom 25. Oktober 2002 auf meine schrift-
lichen Fragen mit den Arbeitsnummern 17 und 18 für den Monat
Oktober 2002 –, diese Informationen einholen, um zu prüfen, wel-
ches System für Deutschland als Vorbild dienen könnte, und wenn
ja, bis wann?

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1500705400


Die Bundesregierung sieht angesichts der für Betriebs-
vermögen in Deutschland bereits bestehenden Erleichte-
rungen – ich habe sie eben geschildert, Herr Kollege
Hinsken – derzeit keine Veranlassung, einen Rechtsver-
gleich über die Erbschaftsteuer für die Betriebsnachfolge
in den EU-Mitgliedstaaten durchzuführen. Zu bedenken
ist auch, dass in den EU-Mitgliedstaaten zum Teil sehr un-
terschiedliche Systeme für Erbrecht und Erbschaftsteuer
bestehen. So gibt es in anderen Ländern zum Beispiel eine
Nachlasssteuer oder eine Erbanfallsteuer. Somit wäre ein
Rechts- und Belastungsvergleich sehr schwierig.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500705500

Herr Kollege Hinsken, Ihre Zusatzfrage.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1500705600

Frau Staatssekretärin Hendricks, halten Sie es denn für

richtig und ist es nicht mehr als mager, wenn Ihr Kollege
Diller – ich nehme ihn hier in die Verantwortung, weil er
das unterschrieben hat – mir auf die Frage: „Wie ist in den
Mitgliedstaaten der Europäischen Union das Unterneh-
menserbe im Mittelstand steuerlich geregelt und welches
System könnte für Deutschland als vorbildlich dienen?“
antwortet: „Die Bundesregierung hat keine Übersicht da-
rüber, wie in den übrigen Mitgliedstaaten der Europä-
ischen Union das Unternehmenserbe im Mittelstand steu-
erlich geregelt ist.“ Haben Sie in Ihrem Haus überhaupt
eine Abteilung, die sich solchen Sachen widmet? Wenn
der Wissenschaftliche Dienst, an den ich mich in der
Folge gewandt habe, in der Lage ist, mir innerhalb von
sechs Tagen die Antworten zu liefern, die das Bundesfi-
nanzministerium zu liefern nicht in der Lage war, dann ist
das doch ein Armutszeugnis für Sie. Sind Sie deshalb
bemüht, insofern möglichst schnell für Abhilfe zu sorgen,
sodass in Zukunft Abgeordnete auf vernünftig gestellte
Fragen auch ausreichende Antworten bekommen?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1500705700


Herr Kollege Hinsken, Sie haben selbstverständlich
immer das Recht, Fragen an die Bundesregierung zu stel-
len. Die Bundesregierung wird, wie schon in der Vergan-
genheit, auch in Zukunft immer bemüht sein, Ihnen rasch
Antworten zu geben. Allerdings ist die Bundesregierung
auch berechtigt, den Aufwand für die Beantwortung von
Fragen in einem angemessenen Rahmen zu halten. Dies
entspricht der Geschäftsordnung.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500705800

Herr Kollege Hinsken, Sie haben noch eine Zusatzfrage.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1500705900

Frau Staatssekretärin Hendricks, Sie sind mir persönlich

sehr sympathisch. Ich weiß, dass ich heute mit Ihnen die
Falsche treffe. Mir wäre es lieber, Ihr Kollege stünde hier.
Aber dennoch die Fragen: Sind auch bei Ihnen schon Be-
sorgnis erregende Briefe eingegangen, wie ich sie vorhin ge-
nannt habe, in denen also gesagt wird: „Wir wollen nicht
übernehmen, weil die steuerliche Belastung so hoch ist.“
Was halten Sie von Forderungen verschiedener Wirtschafts-
verbände, aber auch politischer Organisationen, nach denen
das Betriebsvermögen von der Erbschaftsteuer freigestellt
werden soll, wenn der Nachfolger den Betrieb mindestens
zehn Jahre weiterführt, die Erbschaftsteuer zunächst ge-
stundet, dann Jahr für Jahr reduziert und nach Ablauf dieser
Zeit völlig erlassen werden soll?


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr guter Vorschlag!)


D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1500706000


Herr Kollege Hinsken, ich verstehe natürlich solche
Wünsche von Interessenverbänden. Jeder würde immer
lieber weniger Steuern zahlen, als er zahlen soll. Ich habe
Ihnen aber schon gesagt, dass es bereits eine großzügige
Regelung für die Erbschaftsteuer, nämlich die zinsfreie
Stundung für die Dauer von zehn Jahren, gibt.

Ich möchte noch auf die erste Frage eingehen. Bei mir
sind bis jetzt keine Briefe eingegangen, in denen stand:
Ich bin unschlüssig, ob ich das Erbe meiner Eltern antre-
ten soll, weil mir die Erbschaftsteuer zu hoch ist. – Briefe
solchen Inhalts oder auch mit vergleichbaren Formulie-
rungen hat es nach meiner Kenntnis im Bundesfinanzmi-
nisterium noch nicht gegeben. Wenn ich einen solchen
Brief erhielte, würde ich am konkreten Fall demjenigen,
der Bedenken hat, nachweisen können, dass eine solche
Unschlüssigkeit unbegründet wäre.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ich werde veranlassen, dass Ihnen solche Briefe zugeleitet werden!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500706100

Herr Kollege Michelbach, ich erteile Ihnen das Wort zu

einer Zusatzfrage.


(A)



(B)



(C)



(D)


352


(A)



(B)



(C)



(D)







Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1500706200

Frau Staatssekretärin, Sie haben gesagt, dass Ihnen

diese Stundungsregelung nicht bekannt ist. Ist Ihnen nicht
bekannt, dass es ein so genanntes englisches Modell gibt,
das in Großbritannien die Fortführung von mittelständi-
schen Betrieben sehr begünstigt, indem für die Erb-
schaftsteuer Stundung und bei einer Fortführung des Be-
triebs über zehn Jahre sogar Erlass gewährt wird, und das
sich für die Arbeitsplatzsicherung und die Erhaltung von
Betrieben sehr bewährt hat? Warum können Sie sich eine
steuerliche Regelung wie in Großbritannien nicht auch in
Deutschland vorstellen?

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal die
Frage stellen: Sehen Sie nicht ein – wenn Sie schon nicht
einräumen, dass es sich bei der Erbschaftsteuer um eine
Doppelbesteuerung handelt –, dass es sich bei der Erb-
schaftsteuer zumindest um eine Substanzbesteuerung
handelt? Denn die Vermögenszuwächse, die für die Be-
triebe wichtig sind, werden ja noch einmal besteuert, ob-
wohl sie schon vorher vom Erblasser versteuert worden
sind.

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1500706300


Herr Kollege Michelbach, das von Ihnen angespro-
chene englische Modell – das möchte ich gerne einräu-
men – war mir so nicht bekannt. Ich kann aber verstehen,
dass es ein solches Modell in Großbritannien gibt. Dort
scheint es auch notwendig zu sein, weil die Erb-
schaftsteuersätze etwa viermal so hoch sind wie in der
Bundesrepublik Deutschland. Bezogen auf das Betriebs-
vermögen ist die Erbschaftsteuer in Großbritannien bei
allgemeinem Erbanfall im Vergleich zur Bundesrepublik
Deutschland sogar noch höher als der vierfache Satz,
wenn ich mich richtig erinnere. Wenn also die Erb-
schaftsteuer so hoch wie in Großbritannien ist, dann wird
man das Betriebsvermögen besonders schützen müssen.

Dies tun wir in der Bundesrepublik Deutschland, wie
ich anfangs ausgeführt habe, durch die besondere Begüns-
tigung des Betriebsvermögens beim Erbanfall, und zwar
durch einen 40-prozentigen Bewertungsabschlag, durch
die Regelung, dass jeder Erwerber die günstigste Steuer-
klasse erhält, und durch einen Freibetrag von mehr als
250 000 Euro für den Ersterwerber. Bei einem normalen
Betriebsvermögen zum Beispiel in der Größenordnung
von 3,5 Millionen Euro, das an eine Ehefrau und zwei
Kinder vererbt wird, fällt – ich betone das – keine Erb-
schaftsteuer an. Auch bei größeren Vermögen sind die
Erbschaftsteuersätze äußerst moderat. Deshalb brauchen
wir in Deutschland keine besondere Regelung wie in
Großbritannien.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500706400

Eine weitere Frage vom Kollegen Koschyk.


Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1500706500

Frau Staatssekretärin, nach der Ausarbeitung des Wis-

senschaftlichen Dienstes des Bundestages, auf die der

Kollege Hinsken vorhin abgehoben hat, ist in Großbritan-
nien die Regelung so, dass mittelständische Betriebe völ-
lig von der Erbschaftsteuer ausgenommen sind. Würden
Sie vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis des Wissen-
schaftlichen Dienstes bei möglichen Neuregelungen
durch die Bundesregierung nicht doch dem englischen
Modell näher treten wollen?

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1500706600


Herr Kollege Koschyk, Sie haben nicht gesagt, wie die
allgemeinen Bedingungen in Großbritannien aussehen.
Sie haben lediglich behauptet, die Betriebe in Großbri-
tannien seien völlig von der Erbschaftsteuer ausgenom-
men, wenn sie für eine bestimmte Zeit fortgeführt wür-
den. Dies mag so sein, wobei allerdings auch noch die
Abgrenzungsfrage interessant ist, was also in Großbritan-
nien als Betriebsvermögen und was als Privatvermögen
bewertet wird. Gerade vor diesem Hintergrund warne ich
davor, die Ergebnisse kurzsichtiger Rechtsvergleiche für
bare Münze zu nehmen; denn meistens sind die Bedin-
gungen an anderer Stelle wieder unterschiedlich. Deswe-
gen trägt ein einfacher Vergleich nicht.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500706700

Es liegen keine weiteren Fragen zu dem Geschäftsbe-

reich des Bundesministeriums der Finanzen mehr vor.
Deswegen schließe ich diesen Geschäftsbereich. Ich be-
danke mich sehr herzlich bei der Frau Staatssekretärin
Dr. Barbara Hendricks.

Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht die Frau
Parlamentarische Staatssekretärin Ute Vogt zur Verfü-
gung.

Wir kommen zu Frage 5 des Kollegen Hartmut
Koschyk:

Haben sich nach Einschätzung der Bundesregierung Tarif-
autonomie und Flächentarifvertrag auch im öffentlichen Dienst
bewährt und hält die Bundesregierung daran fest, zunächst Tarif-
verhandlungen für Arbeiter und Angestellte im öffentlichen
Dienst abzuschließen und anschließend das Ergebnis zeit- und
inhaltsgleich auf Beamte zu übertragen?

Bitte, Frau Staatssekretärin.

U
Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1500706800


Danke schön, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr
Kollege Koschyk, die vom Grundgesetz garantierte Tarif-
autonomie hat sich auch im öffentlichen Dienst bewährt.
Dies gilt im Grundsatz auch für Flächentarifverträge, so-
fern sie neben den bestehenden bundeseinheitlichen Re-
gelungen ausreichend Flexibilität bieten, um spezifischen
Gegebenheiten in unterschiedlichsten Bereichen des öf-
fentlichen Dienstes Rechnung zu tragen. Das Ergebnis der
Tarifverhandlungen für die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer im öffentlichen Dienst wird auch künftig Ba-
sis der allgemeinen Anpassungen für die Beamtinnen und
Beamten sein. Ob und inwieweit das Ergebnis der Tarif-
verhandlungen im Einzelnen auf Beamtinnen und Beamte




Parl. Staatssekretärin Ute Vogt
übertragen wird, ist zu gegebener Zeit durch ein Bundes-
gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu
entscheiden.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500706900

Ihre erste Zusatzfrage. Bitte, Herr Kollege Koschyk.


Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1500707000

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staats-

sekretärin, darf ich Ihren Aussagen entnehmen, dass die
Bundesregierung der vom Land Berlin ausgehenden Bun-
desratsinitiative ablehnend gegenübersteht, die eine Öff-
nungsklausel im Hinblick auf die bundeseinheitliche Be-
soldung von Beamten zum Ziel hat?

U
Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1500707100


Zu diesem konkreten Entwurf wird sich die Bundesre-
gierung dann äußern, wenn ein entsprechender Beschluss
des Bundesrates vorliegt.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500707200

Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege

Koschyk.


Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1500707300

Frau Staatssekretärin, hält die Bundesregierung auch

weiter an ihrer Begründung zum Versorgungsänderungs-
gesetz 2001 fest, zu dem sie ausgeführt hat, eine bundes-
einheitliche Regelung – ich darf ergänzen: der Beamten-,
Arbeiter- und Angestelltenbesoldung im öffentlichen
Dienst – ist erforderlich, da Regelungen über die Alterssi-
cherung für die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftsein-
heit, insbesondere die Wahrung der Einheitlichkeit der
Lebensverhältnisse im Bundesgebiet, ein ganz besonde-
res Gewicht haben? Gilt diese Aussage der Bundesregie-
rung auch für die kommenden Tarifverhandlungen im öf-
fentlichen Dienst?

U
Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1500707400


Diese Aussage gilt im Grundsatz weiter.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500707500

Damit kommen wir zur Frage 6 des Abgeordneten

Hartmut Koschyk:
Seit wann hat die Bundesregierung bereits Kenntnis von der

im „Spiegel“ vom 28. Oktober 2002, Seite 134, wiedergegebenen
Einschätzung des Bundeskriminalamtes (BKA) hinsichtlich der
Bedrohung durch Anschläge des terroristischen Islamismus in
Deutschland, nach der Deutschland von den Experten des BKA
mittlerweile für annähernd so gefährdet gehalten wird wie die Ver-
einigten Staaten von Amerika selbst?

Bitte schön, Frau Staatssekretärin.

U
Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1500707600


Die Veröffentlichung im „Spiegel“ bezieht sich auf
vertrauliche Dokumente. Die Bundesregierung nimmt zu
diesen vertraulichen Dokumenten öffentlich keine Stel-
lung. Ich kann Ihnen aber zur allgemeinen Gefährdungs-
lage sagen, dass die Gefährdungsbewertungen für die
Bundesrepublik Deutschland sowie die deutschen Inte-
ressen im Ausland fortlaufend und der Lage angepasst
durch das Bundeskriminalamt in Zusammenarbeit mit
dem Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Bundes-
nachrichtendienst erstellt werden.

Die sich aus den Gefährdungsbewertungen ergebenden
Konsequenzen werden zwischen Bund und Ländern re-
gelmäßig und zeitnah erörtert. Deutschland ist ebenso wie
die USA und alle sonstigen westlich orientierten Staaten
Teil eines Gefahrenraumes, in dem die Gefahr von An-
schlägen aus dem Bereich des islamistischen Terrors be-
steht. Informationen über konkrete Ziele, Orte, Zeiten
oder Modi Operandi möglicher Anschläge liegen den
deutschen Sicherheitsbehörden nicht vor.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500707700

Ihre erste Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege Koschyk.


Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1500707800

Danke, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretärin, Sie

haben darauf verwiesen, dass es sich um vertrauliche,
nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Informationen des
Bundeskriminalamtes handelt. Jetzt hat in dieser Woche
der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Herr
Hanning, in einem Fernsehinterview, das von den Medien
sehr breit aufgenommen worden ist und die heutigen
Schlagzeilen beherrscht, die Gefährdungslage durch ter-
roristische Bedrohungen für Deutschland sehr dramatisch
dargestellt. Wäre es vor dem Hintergrund einer solchen
Aussage des Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes
nicht angebracht, dass nicht nur der Chef eines Dienstes,
sondern auch der Bundesminister des Innern und die Bun-
desregierung die Öffentlichkeit über die Gefährdungslage
durch terroristische Bedrohungen informieren?

U
Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1500707900


Die Bundesregierung hat keinen Anlass, dem Präsi-
denten des Bundesnachrichtendienstes zu widersprechen.
Die Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik – das Bun-
deskriminalamt, das Bundesamt für Verfassungsschutz
und der Bundesnachrichtendienst – beurteilen die Sicher-
heitslage gemeinsam so, dass wir mit einer steigenden Ge-
fährdung rechnen müssen. Diese Beurteilung wird ebenso
wie die daraus notwendigen Maßnahmen regelmäßig mit
den Ländern abgestimmt.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500708000

Ihre zweite Frage, bitte.


(A)



(B)



(C)



(D)


354


(A)



(B)



(C)



(D)







Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1500708100

Danke schön, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretä-

rin, hält die Bundesregierung vor dem Hintergrund der
Erhöhung des Gefährdungspotenzials für die Bundesre-
publik Deutschland – auch von Ihnen wurde die Aussage
des Bundesnachrichtendienstes indirekt bestätigt – die
bislang getroffenen gesetzgeberischen Maßnahmen der
beiden Antiterrorpakete für ausreichend und sieht die
Bundesregierung nicht die Notwendigkeit gesetzgeberi-
scher Maßnahmen, wenn es zum Beispiel um die Einrei-
semodalitäten möglicher gewaltbereiter Extremisten nach
Deutschland geht?

U
Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1500708200


Die gesetzgeberischen Maßnahmen, die in den Anti-
terrorpaketen I und II getroffen worden sind, sind aus
Sicht der Bundesregierung ausreichend. Wir arbeiten ge-
meinsam mit den Ländern und international intensiv an
der Umsetzung. Das betrifft auch Einreisebestimmungen,
Visaerteilungen und Ähnliches. Dies wird international
abgestimmt.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500708300

Wir kommen jetzt zur Frage 7 der Abgeordneten Petra

Pau, fraktionslos:
Wie viele antisemitische Straftaten wurden im dritten Quartal

2002 in der Bundesrepublik Deutschland begangen und wie viele
Opfer dieser Straftaten gab es?

U
Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1500708400


Sehr geehrte Frau Kollegin Pau, im dritten Quartal des
Jahres 2002 wurden insgesamt 243 antisemitische Strafta-
ten, die dem Bereich „Politisch motivierte Kriminalität –
rechts“ zugeordnet wurden, gemeldet. Darunter sind
37 Propagandadelikte und fünf Gewaltdelikte, bei denen
es sich um vier Körperverletzungen sowie um eine Brand-
stiftung handelt. Im dritten Quartal 2002 wurden zwei Per-
sonen verletzt; es waren keine Todesfälle zu verzeichnen.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500708500

Da die Kollegin Pau keine Zusatzfragen hat, kommen

wir gleich zur Frage 8 der Kollegin Petra Pau:
Mit welchen konkreten Maßnahmen will das Bundesminis-

terium des Innern die Umstrukturierung des Bundesgrenzschutzes
zur „Bundespolizei“ durchführen?

U
Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1500708600


Die Bundesregierung beabsichtigt, dem Bundesgrenz-
schutz einen Namen zu geben, der dem geänderten Auf-
gabenspektrum Rechnung trägt. Die neue Bezeichnung
wird mit einer entsprechenden Umbenennung des BGS-
Gesetzes sowie der Namensanpassung in anderen Vor-
schriften einhergehen.

Eine Erweiterung des Zuständigkeitsbereiches oder
eine Umstrukturierung des Bundesgrenzschutzes ist da-
mit nicht verbunden.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500708700

Ihre Zusatzfrage, bitte.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1500708800

Danke, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretärin, darf

ich aus Ihrer Antwort entnehmen, dass die Bundesregie-
rung nicht mit den Vorstellungen der Gewerkschaft der
Polizei zur Schaffung einer tatsächlichen Bundespolizei
und auch zur Zusammenfassung von Kompetenzen, wie
sie im vergangenen Jahr in einem Strategiepapier nieder-
gelegt wurden, übereinstimmt?

U
Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1500708900


Mit der vorzunehmenden Namensänderung ist keine
Veränderung der Aufgabenstellung und der Strukturen des
Bundesgrenzschutzes verbunden.


(Petra Pau [fraktionslos]: Danke!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500709000

Ich sehe keine weitere Zusatzfragen. Damit sind wir

am Ende der Fragestunde angelangt.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14.30 Uhr. Die

Aktuelle Stunde ist nach interfraktioneller Verständigung
auf 14.30 Uhr terminiert worden.


(Unterbrechung von 14.17 bis 14.30 Uhr)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500709100

Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Auswirkungen der finanz- und gesellschafts-
politischen Vorhaben der Bundesregierung auf
die Familien

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Maria Eichhorn, CDU/CSU-Fraktion.


Maria Eichhorn (CSU):
Rede ID: ID1500709200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Rot-Grün hat vor der Wahl die Familienförderung
zu den drängendsten Aufgaben erklärt. Nach der Wahl ist
davon nichts mehr übrig.


(Widerspruch bei der SPD)

Versprochen hatte die SPD eine Kindergelderhöhung auf
mindestens 200 Euro, die Grünen sogar eine Kinder-
grundsicherung.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Richtig!)





Maria Eichhorn
Davon ist im Koalitionsvertrag keine Rede mehr.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Entlarvend ist Ihr Satz, dass Eltern ihr Armutsrisiko
durch die Erwerbstätigkeit selbst bekämpfen sollen. Da-
mit verabschiedet sich Ihre Familienpolitik aus dem so-
zialen Ausgleich.


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Hören Sie auf!)


Nun hat SPD-Generalsekretär Scholz die Katze völlig aus
dem Sack gelassen. Rot-Grün wolle mit der Ganztags-
betreuung eine „kulturelle Revolution“ erreichen. Offen-
sichtlich geht es Ihnen, meine Damen und Herren von
Rot-Grün, nicht darum, mit der Kinderbetreuung Fami-
lien zu unterstützen. Nein, Ihnen geht es um eine ideolo-
gisch ausgerichtete Familienpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei der SPD)


Mit der weitgehenden Gleichsetzung von ehelichen
und nicht ehelichen Lebensgemeinschaften in der letzten
Legislaturperiode begann der Anfang vom Ende des
Schutzes von Ehe und Familie. In diesem Zusammenhang
ist auch der Versuch zu sehen, das Ehegattensplitting
abzuschaffen. Wer das Splitting abschafft oder begrenzt,
besteuert Eheleute höher als Singles. Bestraft werden die-
jenigen, die wegen der Kindererziehung auf Erwerbs-
tätigkeit verzichten oder verzichtet haben.


(Peter Dreßen [SPD]: Bleiben Sie doch bei der Wahrheit!)


Der Gipfel der Abgeschmacktheit, wie die „FAZ“ zu
Recht kommentiert hat, ist der unsägliche Satz des Gene-
ralsekretärs, die SPD wolle „die Lufthoheit über den Kin-
derbetten“.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Unglaublich! Zurücknehmen! – Ina Lenke [FDP]: Unerhört!)


Sie nehmen durch Ihre Politik den Familien die Luft weg.
Sie schnüren Familien finanziell und gesellschaftspoli-
tisch ein. Das sind die Tatsachen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie wichtig es ist, Fa-
milie und Erwerbstätigkeit miteinander zu vereinbaren.
Wir von der Union fordern und setzen uns für eine be-
darfsgerechte Kinderbetreuung für alle Altersstufen ein.
Aber die Betonung liegt auf „bedarfsgerecht“. Darüber
muss vor Ort entschieden werden. Die Eltern müssen
selbst entscheiden können, ob sie Beruf und Erwerbs-
tätigkeit miteinander vereinbaren oder ob sie sich zumin-
dest eine Zeit lang ganz der Erziehung der Kinder widmen
möchten. Beides muss möglich sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dafür hat die Politik die Rahmenbedingungen zu schaf-
fen. Sie von Rot-Grün jedoch fördern durch Ihre Politik
einseitig die Erwerbstätigkeit.

Der Ausbau der Betreuungseinrichtungen darf nicht
zulasten der finanziellen Förderung von Familien gehen.
Für die Verwirklichung der Wahlfreiheit ist beides not-
wendig: die Betreuungseinrichtungen, aber auch eine an-
gemessene finanzielle Förderung von Familien.

Kinder sind in Deutschland ein Armutsrisiko. Dies
wird sich durch Ihre Politik verstärken. „Der Spiegel“ hat
Ihnen vorgerechnet, dass Familien mit einem Kind in Zu-
kunft 300 Euro weniger in der Tasche haben werden. Al-
lein die Beschränkung der Eigenheimzulage schlägt mit
177 Euro zu Buche. Die Verschiebung der Steuerreform
geht ebenfalls zulasten der Familien.


(Zuruf von der SPD: Die Steuerreform, die Sie nicht wollten!)


Durch höhere Sozialabgaben werden den Familien im
nächsten Jahr nahezu 450 Euro fehlen. Hinzu kommt
noch die nächste Stufe der Ökosteuer, die vor allem Fa-
milien mit mehreren Kindern belasten wird.

Meine Damen und Herren, die Finanzierung der von
Ihnen geplanten Betreuungseinrichtungen ist unseriös.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ina Lenke [FDP])


Länder, Städte und Gemeinden müssen fürchten, dass sie
mit den Kosten allein gelassen werden; denn die Finan-
zierung soll durch Einsparungen aus der Umsetzung des
Hartz-Konzepts erfolgen. Ob diese Vorschläge tatsächlich
umgesetzt werden, muss sich erst zeigen. Wer Beschlüsse
fasst, muss aber auch für eine verlässliche Finanzierung
sorgen.


(Nicolette Kressl [SPD]: Ja, wie beim Familiengeld!)


Meine Damen und Herren, Kinder in Deutschland müssen
sich auf eisige Zeiten einstellen. Von Ihren vollmundigen
Ankündigungen vor der Wahl ist nichts mehr übrig ge-
blieben. Eine Zeitung wählte vor kurzem die Überschrift
„Schröder-Schröpf“. – Recht hat sie!


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500709300

Die nächste Rednerin ist die Parlamentarische Staats-

sekretärin Christel Riemann-Hanewinckel.

Christel Riemann-Hanewinckel, Parl. Staatssekre-
tärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Am 22. September 2002 ha-
ben Frauen in Ost und West und aller Altersgruppen die
SPD und das Bündnis 90/Die Grünen gewählt. Warum
wohl?


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)


Weil sie nämlich mit dem einverstanden sind, was seit
1998 in familienpolitischer Hinsicht auf den Weg ge-


(A)



(B)



(C)



(D)


356


(A)



(B)



(C)



(D)






bracht wurde. Sie wollen, dass dieser Weg weiterver-
folgt wird.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Meine Damen und Herren von der Opposition, Frauen
und Familien waren es leid, dass ihnen per Gesetz bzw.
durch Diskriminierung vorgeschrieben wurde, wie sie zu
leben haben.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb hat die rot-grüne Koalition in den vergangenen
vier Jahren durch die Schaffung neuer Rahmenbedingun-
gen dafür gesorgt, dass Frauen, Familien und alte Men-
schen ihre Lebensentwürfe auch tatsächlich leben können.


(Ina Lenke [FDP]: Das stimmt überhaupt nicht!)


Für uns hat die Familie ihren Platz in der Mitte der Ge-
sellschaft. Das soll auch so bleiben.


(Beifall bei der SPD)

Jetzt gilt es, Strukturen für Familien zu schaffen, die ih-

nen Sicherheit und Möglichkeiten bieten, ihre vielfältigen
Lebensentwürfe umzusetzen.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Durch einseitige Förderung der Berufstätigkeit!)


Denn die Familien halten unsere Gesellschaft zusammen
und sorgen für die Weitervermittlung unserer Werte. Im
Miteinander der Geschlechter und Generationen lernen
Kinder Teilnahme, Teilhabe und Teilen. Sie üben das
Streiten und Versöhnen und erleben Wärme, Geborgen-
heit und Liebe. Familien leben vor, was Solidarität, Ver-
antwortung und Gerechtigkeit heutzutage für uns bedeu-
ten. Sie zeigen uns aber auch auf, wo es an Erneuerung
fehlt.

Familien sind Leistungsträger und brauchen vor allen
Dingen die richtigen Rahmenbedingungen, um ihre Leis-
tungsfähigkeit entfalten zu können. Deshalb war es in der
vergangenen Legislaturperiode nötig, den Schwerpunkt
auf die materielle Sicherheit der Familien zu setzen.


(Ina Lenke [FDP]: Nein, ihr nehmt ihnen das Geld aus der Tasche! Das ist es doch!)


Das Bundesverfassungsgericht hat uns aufgrund Ihrer
Versäumnisse in der Familienpolitik diese Priorität aufge-
geben.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Minimale Umsetzung bei Ihnen! Sprüche, aus denen nichts geworden ist! – Ina Lenke [FDP]: Unterste Grenze!)


Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie
scheinen vergessen zu haben, was in den vergangenen
vier Jahren von der rot-grünen Regierung auf den Weg ge-
bracht wurde.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: In die eine Tasche hinein, aus der anderen Tasche heraus!)


Den Familien ist das gegenwärtig, aber ich werde es Ih-
nen noch einmal aufzählen, damit Sie sich wieder daran
erinnern können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN In der vergangenen Legislaturperiode ist die Entlastung der Familien um 13 Milliarden Euro gestiegen. – Sie wissen sehr wohl, Frau Lenke, dass sich daran nichts ändern wird. – Sie haben mehr als acht Jahre dafür gebraucht, eine solche Zahl zustande zu bringen. (Ina Lenke [FDP]: Natürlich wird sich das ändern!)


(Ina Lenke [FDP]: Das wird sich jetzt ändern!)


Ich erinnere noch einmal an die Maßnahmen, die von
uns durchgeführt worden sind: die dreimalige Erhöhung
des Kindergelds auf 154 Euro, die Erhöhung des Kinder-
freibetrags


(Ina Lenke [FDP]: Das musstet ihr machen!)

und die Einführung eines Freibetrags für Betreuungs-, Er-
ziehungs- und Ausbildungsbedarf.


(Ina Lenke [FDP]: Der ist niedriger!)

– Was heißt hier „niedriger“? Ich habe gar keine Zahl ge-
nannt. Der ist eingeführt worden.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich nenne weiter die Einführung der steuerlichen Absetz-
barkeit von erwerbsbedingten Kinderbetreuungskosten,
die es bisher so auch nicht gab. Die Einkommensgrenzen
beim Erziehungsgeld sind nach Urzeiten endlich erhöht
worden. Wir haben ferner ein Budget eingeführt, sodass
Familien selbst entscheiden können, wie sie es für sich
gern hätten, und sie sich nicht so verhalten müssen, wie es
ihnen die Opposition in früheren Zeiten vorgeschrieben
hat.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Wie bitte?)

– Beim Erziehungsgeld war es ja so, dass Eltern sehr ge-
nau überlegen mussten, wie sie am besten klar kommen.
Jetzt haben sie Entscheidungsfreiheit.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Was haben Sie denn im Bereich Erziehungsgeld getan? – Ina Lenke [FDP]: Vier Jahre lang nichts gemacht!)


Das ist notwendig. Wie die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf umgesetzt wird, wollen wir den Familien nicht vor-
schreiben, sondern es ihnen überlassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Wohngeldleistungen für Familien wurden verbessert
und – wenn Sie sich erinnern; auch das gehört zur Fami-
lienpolitik – der BAföG-Höchstfördersatz und die Eltern-
freibeträge wurden erhöht.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Verschlechterung der Ausbildungsfreibeträge!)


Parl. Staatssekretärin Christel Riemann-Hanewinckel




Pa
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1500709400
Familienpolitik heißt,
gerechte Strukturen zu schaffen, wenn es um die wirt-
schaftliche Situation der Familien geht. Das haben wir be-
gonnen und das werden wir auch weiterhin tun, denn Fa-
milien wollen nicht in erster Linie von Transferleistungen,
sondern vom Einkommen aus ihrer Erwerbsarbeit leben.
Deshalb brauchen Familien eine gut funktionierende In-
frastruktur.


(Ina Lenke [FDP]: Habt ihr doch nicht geschaffen!)


Die ist sehr breit und ich nenne hier nur einen wichtigen
Punkt: die Infrastruktur der Kinderbetreuung.


(Ina Lenke [FDP]: Ja wann?)

Familien wollen eine ausreichende Zahl von qualitätsvol-
len Kindertageseinrichtungen in Ost und in West.


(Beifall der Abg. Kerstin Griese [SPD])

Sie wollen Krippen, Kindergärten, Horte, in denen sich
Kinder wohl fühlen, die Bildung, Erziehung, Wärme, Ge-
borgenheit und Betreuung bieten. Besondere Schwer-
punkte werden wir deshalb bei der Errichtung von Ganz-
tagsschulen und bei der Kleinkindbetreuung setzen. Dort
muss es um das Zusammenwirken von Bildung, Erzie-
hung und Betreuung gehen. Wir werden Mütter und Vä-
ter, Frauen und Männer, die Familie und Beruf miteinan-
der vereinbaren wollen, unterstützen und auch denjenigen
den Wiedereinstieg erleichtern, die sich über längere Zeit
der Kinderbetreuung gewidmet haben.

Meine Damen und Herren, Familie bedeutet auch das
miteinander Leben und das füreinander Einstehen von
mehreren Generationen. Die meisten Menschen, die
Pflege brauchen, werden von Familienangehörigen ge-
pflegt, vorrangig von den weiblichen Familienangehöri-
gen. Sie tun das sehr selbstverständlich;


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Aber nur, wenn sie daheim sind!)


es ist manchmal aber auch eine große Belastung und sie
sind deshalb auf Unterstützung und Entlastung


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Dann kriegen sie das Ehegattensplitting gekürzt!)


durch ambulante Dienste, Tagespflegeeinrichtungen und
stationäre Einrichtungen angewiesen. Wir werden in die-
ser Legislaturperiode diese Bereiche eng miteinander ver-
zahnen, damit die, die Pflege brauchen, und die, die
Pflege leisten, im besten Sinne nicht allein gelassen wer-
den, sondern Unterstützung erfahren.

Es ist sehr gut und ich bin sehr froh darüber, dass nach
zwölf Jahren nun endlich das Altenpflegegesetz in dieser
Republik gültiges Recht werden wird und die CSU und
Bayern an dieser Stelle vom Bundesverfassungsgericht
deutlich in ihre Schranken gewiesen wurden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es gibt aber noch einen anderen Bereich, in dem die
rot-grüne Regierung Impulse für eine gesellschaftspoli-

tisch andere Entwicklung gesetzt hat. Ich rede vom Gesetz
zur gewaltfreien Erziehung und vom Gewaltschutzgesetz,
das in der letzten Legislaturperiode Recht geworden ist.
Jetzt muss es noch darum gehen, dass Gewalt in dieser
Gesellschaft mehr denn je geächtet wird. Auch dazu wer-
den wir in der kommenden Legislaturperiode das Unsere
beitragen.

Meine Damen und Herren, solidarisch ist es, wenn die
Hilfe für diejenigen, die in diesem Jahr durch die Flutka-
tastrophe an den Rand ihrer Existenz gekommen sind, und
das, was in dem Bereich geleistet werden muss, auf alle
Schultern verteilt wird. Familien erhalten die Hilfen, die
sie brauchen, aber Familien in diesem Lande sind auch ge-
willt, Hilfe zu leisten. Sie sind nämlich bereit, auf die Ent-
lastung durch die zweite Stufe der Steuerreform zu ver-
zichten.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Haben Sie die gefragt? 100 Euro im Monat müssen sie blechen, ob sie wollen oder nicht! Die werden nicht gefragt!)


Wir werden mit unserer Familienpolitik den gesellschaft-
lichen Zusammenhalt stärken – egal was Sie von der Op-
position dazu sagen. Wir werden die vorhandene Solida-
rität der Menschen untereinander sichern und stützen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden Familien stärken und fördern; denn darum
geht es. Wir werden Begehrlichkeiten sowie unverträgli-
che Belastungen abwenden und die Kräfte der Familie un-
terstützen.

Meine Damen und Herren von der Opposition, unter-
stützen Sie nicht weiterhin die Spaltung der Gesellschaft
da,


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei Abgeordneten der FDP)


wo Menschen bereit sind, füreinander einzustehen! Ar-
beiten Sie lieber konstruktiv mit und verweigern Sie sich
nicht den Familien!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500709500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ina Lenke, FDP-

Fraktion.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1500709600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Re-

gierungsparteien haben die Bundestagswahl nur knapp
gewonnen.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Mehrheit ist Mehrheit!)



(A)



(B)



(C)



(D)


358


(A)



(B)



(C)



(D)






Viele Wählerinnen haben großes Vertrauen in eine sozial-
demokratische Politik gesetzt. Sie sind allesamt betrogen
worden, Herr Küster:


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie wollten doch 18 Prozent! Haben Sie doch versprochen!)


Vor der Wahl versprechen, nach der Wahl es brechen. Frau
Hanewinckel hat heute auf Wolke sieben gesessen und die
Realität nicht gesehen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Der Koalitionsvertrag und besonders die Regierungs-
erklärung des Bundeskanzlers zur Familienpolitik im
Frühjahr


(Zurufe von der SPD)

– nun beruhigen Sie sich einmal – trieften geradezu vor
Versprechungen. O-Ton Schröder vom 18. April – hören
Sie sich das einmal an –:

Deshalb setzen wir mit unserer Politik da an, wo
Menschen zusammenleben ..., in der Familie also. ...
Wir wollen diesen Weg der Verbesserung – das ist
immer noch nötig – weitergehen.

(Peter Dreßen [SPD]: Hat Ihnen Möllemann das aufgeschrieben?)

Wir werden nicht zulassen, dass etwas verloren
geht ...

Was sind denn die nackten Tatsachen nach der Wahl?
Rot-Grün überbietet sich mit Belastungen und Einspar-
vorschlägen, die Familien, Kinder sowie Leistungsträger
und Leistungsträgerinnen in unserer Gesellschaft beson-
ders hart treffen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die neue Familienministerin, Frau Schmidt, ist auf Tauch-
station gegangen. Sie schweigt, schweigt und schweigt.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Frau Lenke redet, redet und redet!)


Kurz nach der Wahl erleben wir ein rot-grünes Streich-
konzert ohne Ende.

Erstens: Eigenheimzulage – familienfeindlich.
Zweitens: Gaspreiserhöhung und Ökosteuererhöhung.

Eine Familie – das wissen diejenigen, die Kinder haben –
verbraucht viel Energie für die Heizung, für die Wasch-
maschine, für Warmwasser, für alles Mögliche. Also, Sie
vergrößern die Belastungen der Familien.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Drittens: Ausweitung der Beitragsbemessungsgrenze

bei der Krankenversicherung und Erhöhung der Renten-
versicherungsbeiträge. Für Mütter und Väter, die durch
eigener Hände Arbeit das Familieneinkommen sichern,
bedeutet das nicht mehr, sondern weniger netto.


(Peter Dreßen [SPD]: Jawohl, MöllemannStrategie!)


Viertens: die Ankündigung, das Ehegattensplitting zu
kappen. Die Kappung haben Sie vor, obwohl Sie genau
wissen, dass 70 Prozent der Familien vom Ehegatten-
splitting profitieren. Die Grünen haben von diesem Vor-
haben Abstand genommen. Frau Schewe-Gerigk, ich sage
Ihnen: Diese Pläne kommen wieder. Warten wir einmal
ein Jahr ab, dann kommt es.

Fünftens. Frau Hanewinckel hat darauf verwiesen, was
die Regierungskoalition durch das Zweite Familienförde-
rungsgesetz alles erreicht hat. Dieses Gesetz enthielt die
Streichung des Haushaltsfreibetrages für Alleinerzie-
hende und die Kürzung der steuerlichen Entlastung für
auswärts studierende Kinder. Frau Hanewinckel, Sie als
Staatssekretärin möchte ich bitten, sich vielleicht bei Frau
Hendricks schlau zu machen. Das BAföG haben Sie zwar
erhöht, den Steuerfreibetrag für Eheleute, deren Kinder
auswärtig studieren, haben Sie aber gesenkt.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit!)


Erzählen Sie mir nichts! Sie sind auf dem Irrweg. Fragen
Sie einmal Ihren Steuerberater, der das besser als Sie
weiß!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Frau Lenke, man muss auch verstehen, worüber man spricht!)


– Ich weiß das schon, Herr Küster. Ich weiß das besser als
Sie. Herr Küster, ich komme aus diesem Beruf. Sie kön-
nen mir nichts erzählen.


(Abg. Dr. Uwe Küster [SPD]: Aber Sie mir auch nicht! Sie reden viel und sagen nichts!)


– Regen Sie sich ruhig auf! Ich glaube, Sie haben ein
Recht dazu, weil Sie alles falsch machen.

Sechstens. Die hohe Arbeitslosigkeit trifft zuerst
Frauen. SPD- und Grünen-Politiker sind für die schlechte
Arbeitsmarktlage verantwortlich.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Kein europäisches Nachbarland hat derart schlechte Wirt-
schaftsdaten.

Frau Hanewinckel schwebt wirklich auf Wolke sieben.
Sie hat gesagt, Sie würden für die Vereinbarkeit von Fa-
milie und Beruf sorgen.


(Erika Lotz [SPD]: 18 Prozent!)

In den letzten vier Jahren haben Sie überhaupt nichts ge-
tan. Sie haben vier Jahre lang Verbesserungen im Kinder-
betreuungsbereich versprochen, jetzt erst fangen Sie da-
mit an. Sie haben noch nicht einmal eine Konferenz
zustande gebracht. Frau Bergmann, die vorherige Frauen-
ministerin, wollte einen Kinderbetreuungsgipfel; jetzt
will ihn auch die neue Ministerin. Freuen wir uns darauf;
bisher hat es nicht geklappt. Das ist Versagen auf der
ganzen Linie.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ina Lenke




Ina Lenke
Da nützen Ihnen, meine Damen und Herren, die Hinweise
auf die Erhöhung des Kindergeldes nun überhaupt nicht.


(Nicolette Kressl [SPD]: Das haben Sie abgelehnt!)


Nein, Sie kürzen zwar das Kindergeld nicht, aber Sie zie-
hen den Familien peu à peu das Geld durch andere ver-
steckte Maßnahmen aus der Tasche. So sieht es aus.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liberale Familienpolitik bedeutet, das kleinste und be-
deutendste soziale Netz in unserer Gesellschaft durch
niedrigere Steuern, durch Verringerung der Abgabenlast,
durch ein nachhaltiges System zum Erhalt unserer sozia-
len Sicherungssysteme und durch Steuerentlastung bei
den Kinderbetreuungskosten zu fördern.

Ich komme jetzt zum Schluss, Frau Präsidentin. Der
Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel – den
kennen Sie ja alle – rechnete die mögliche finanzielle Be-
lastung durch die Steuerbeschlüsse aus, die manchen Fa-
milien die Tränen in die Augen treiben. Tränen der Wut,
wie der „Weser-Kurier“ in Bremen kommentierte. Dem
kann ich nur zustimmen. So ist die Lage.


(Zurufe von der SPD)

In Niedersachsen und Hessen werden, am 2. Februar

2003, Landtagswahlen stattfinden. Mein Hinweis an frus-
trierte Wählerinnen und Wähler lautet: Kommen Sie zu
uns!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Erika Lotz [SPD]: Das war das Pfeifen im Walde!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500709700

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Andreae,

Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500709800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich muss zunächst meine Stimme entschuldigen:
Ich bin stark erkältet; ich hoffe, Sie sehen mir das nach.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Nach den Beschlüssen von gestern!)


– Schon länger.
Ich möchte zuerst einen Blick zurückwerfen, weil ich

zeigen möchte, was wir in der letzten Legislaturperiode
erreicht haben. Ganz allgemein: Wir haben ein modernes
Kinder- und Familienbild und ein modernes Gesell-
schaftsbild auf den Weg gebracht. Jetzt führen wir das in
Form der Förderung eines modernen Frauen- und Fami-
lienbildes und moderner Beziehungsmodelle fort.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Sie schaffen den Schutz der Familie ab!)


Das ist ein Erfolg. Darauf bin ich stolz. Ich bin mir sicher,
dass die Punkte, die wir anführen und die ich noch aus-
führen werde, dazu beitragen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das war übrigens einer der Hauptgründe für unseren
Wahlerfolg. Das haben ja auch Sie, sehr geehrte Damen
und Herren von der CDU, erkannt. Sie haben erkannt,
dass Sie gerade für junge Familien und für junge Frauen
kein attraktives Bild abgegeben haben, weil Sie ein an-
tiquiertes Familienbild präsentiert haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!)

Sie haben hier eine Neuorientierung Ihrer Politik an-
gekündigt. Ich bin sehr gespannt, wie sich das äußert und
ob Sie sich der Lebenswirklichkeit junger Menschen
wirklich annähern können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Dann müssen Sie unser Regierungsprogramm lesen!)


Die Kollegin Riemann-Hanewinckel hat ja schon aus-
geführt, was Rot-Grün in den letzten vier Jahren gemacht
hat, deswegen erwähne ich es nur ganz kurz: Kindergeld,
steuerfreier Grundfreibetrag für Kinder, zusätzliche kind-
bezogene Freibeträge, Absetzbarkeit erwerbsbedingter
Betreuungskosten. Diese Reformen haben sich finanziell
positiv auf die Familien ausgewirkt.


(Ina Lenke [FDP]: Stimmt doch gar nicht! – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Ökosteuer!)


53 Milliarden Euro sind in der letzten Legislaturperiode
mehr für Familien ausgegeben worden. Das müssen uns
andere Regierungen erst einmal nachmachen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Manfred Grund [CDU/CSU]: 53 Milliarden? Das wird ja immer mehr!)


– In vier Jahren.
Von den künftigen finanz- und gesellschaftspolitischen

Vorhaben will ich drei Punkte herausgreifen. Das eine ist
der Ausbau der Kinderbetreuung. Mit Ihrer Forderung,
meine Damen und Herren von der Opposition, den Fami-
lien und den Frauen bei der Entscheidung, ob sie ihre Kin-
der selber betreuen oder Betreuungseinrichtungen nutzen
wollen, die Wahlmöglichkeit zu lassen, haben Sie wirk-
lich Recht; aber viele haben keine Wahl.


(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Ich komme aus Baden-Württemberg und habe einen zwei-
einhalbjährigen Sohn. Vor diesem Hintergrund kann ich
sagen: Baden-Württemberg ist das Land mit der misera-
belsten Betreuungsquote überhaupt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU – Maria Eichhorn [CDU/ CSU]: In Nordrhein-Westfalen 2,3 Prozent bei den unter 3-Jährigen!)



(A)



(B)



(C)



(D)


360


(A)



(B)



(C)



(D)






Eine Wahl ist erst möglich, wenn es flächendeckend Be-
treuungsmöglichkeiten gibt. Erst dann kann ich entschei-
den, ob ich die Betreuungseinrichtungen nutze oder die
Kinder bei mir zu Hause bleiben.

Wir haben im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass
der Bund dies durch eine gesetzliche Regelung sicherstel-
len wird. Das Entscheidende hierbei ist, dass durch eine
gesetzliche Regelung festgeschrieben wird, dass in dieser
Legislaturperiode in jedem Bundesland eine bedarfsge-
rechte Betreuungsquote für Kinder unter drei Jahren von
mindestens 20 Prozent erreicht werden muss. Das sind
richtige Schritte, die jungen Familien nützen, die Verein-
barkeit von Familie und Beruf ermöglichen und für Ge-
rechtigkeit gegenüber Alleinerziehenden sorgen, weil
diese ganz besonders auf Betreuungseinrichtungen ange-
wiesen sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Ina Lenke [FDP])


Zu den finanzpolitischen Vorhaben. Wir halten an un-
serem Ziel der Haushaltskonsolidierung fest. Wir haben
sie zeitlich verzögert, aber wir halten daran fest. Haus-
haltskonsolidierung ist ein elementarer Beitrag zu Gene-
rationengerechtigkeit und für unsere Kinder.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir haben im Rahmen der Sparmaßnahmen aber im-
mer auch darauf geachtet, die zusätzlichen Belastungen
für Familien mit Kindern gering zu halten. Das gilt bei-
spielsweise für die Eigenheimzulage, über die wir morgen
noch sprechen werden.


(Ina Lenke [FDP]: Ab dem sechsten Kind!)

Die Fördermöglichkeiten für Familien mit Kindern sind
beibehalten worden. Ebenso bestehen weiterhin Förder-
möglichkeiten für Familien, die erst bauen und dann Kin-
der bekommen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Aber richtig ist, dass es zu mehr Belastungen kommt,
für Paare mit Kindern weniger als für Paare ohne Kinder.
Zur Haushaltskonsolidierung müssen alle ihren Beitrag
leisten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wie die Rentner!)

Wenn Sie nach den Auswirkungen der finanzpoliti-

schen Vorhaben fragen, dann will ich noch eines an-
führen: Die nächste Stufe der Steuerreform wird kommen,


(Zurufe von der CDU/CSU: Wann?)

und zwar am 1. Januar 2004.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Und die Erde ist eine Scheibe!)


Die erste Stufe der Steuerreform hat insbesondere für Fa-
milien spürbare Entlastungen gebracht. Eine Familie mit
zwei Kindern und durchschnittlichem Einkommen wird
durch unsere Steuerreform um 2 400 Euro pro Jahr ent-

lastet. Wir haben diese Steuerreform auf den Weg ge-
bracht, nicht Sie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, Ausbau der Kinderbetreu-
ungseinrichtungen, weitere Stufen der Steuerreform,
Haushaltskonsolidierung und besondere Berücksichtigung
von Alleinerziehenden,


(Ina Lenke [FDP]: Haushaltsfehlbetrag!)

das sind einige unserer familienpolitischen Vorhaben und
Schwerpunkte. Sie nutzen Familien, Kindern und der Ge-
sellschaft.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Ina Lenke [FDP])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500709900

Liebe Kollegin Andreae, ich gratuliere Ihnen im Na-

men des ganzen Hauses sehr herzlich zu Ihrer ersten Rede
im Deutschen Bundestag und wünsche Ihnen alles Gute
und gute Besserung für Ihre Stimme.


(Beifall)

Nächster Redner in der Debatte ist Thomas Dörflinger,

CDU/CSU-Fraktion.


Thomas Dörflinger (CDU):
Rede ID: ID1500710000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es
ist gut, dass wir zu Beginn der 15. Wahlperiode diese De-
batte führen; denn der Beginn dieser Wahlperiode unter-
scheidet sich von dem Beginn anderer Wahlperioden da-
durch, dass wir uns nicht mehr in einem parteipolitischen
Wettstreit darüber befinden, wer mit welchen Konzepten
die bessere Familienförderung erreicht, sondern an einem
Scheideweg stehen, an dem wir uns entscheiden müssen
zwischen einer Familienpolitik, die sich an Art. 6 des
Grundgesetzes orientiert, und einer Familienpolitik, die
die Änderung oder die Abschaffung dieses Artikels des
Grundgesetzes notwendig macht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir sind uns vermutlich darüber einig, dass die „FAZ“
nicht unbedingt zu den Organen gehört, die sozialdemo-
kratische Grundsatzpositionen vertreten.


(Zuruf von der SPD: Das ist wohl wahr!)

Aber wir sind uns wahrscheinlich auch darüber einig, dass
diese Zeitung ein internationales Renommee besitzt und
auf ihre Wortwahl durchaus achtet. Der Kommentator der
„FAZ“ hat am vergangenen Montag seinen Kommentar
mit den Worten beschlossen:

Zerstörung der Ehe, Entwertung der Familie als
Lebens- und Fürsorgegemeinschaft,


(Lachen der Abg. Nicolette Kressl [SPD])


Kerstin Andreae




Thomas Dörflinger
– es ist interessant, dass Sie das lächerlich finden –

das ist in der Tat eine kulturelle Revolution. Nur ori-
ginell ist sie nicht. Sie entspringt der Tradition eines
freiheitsverachtenden sozialistisch-totalitären Den-
kens ...

Den Rest des Zitates erspare ich Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn sich der Kommentator der „FAZ“ einer solchen
Wortwahl befleißigt, dann müssten Ihnen eigentlich die
Ohren klingen, dass in Ihrer Politik etwas nicht in Ord-
nung sein kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

In diesem Zusammenhang ist mindestens genauso in-

teressant, dass sich der SPD-Vize Wolfgang Thierse heute
bemüßigt fühlt, in einem Beitrag für die „Zeit“ aufzufor-
dern, traditionelle Institutionen wie Kirchen und Familien
wieder stärker aufzuwerten. Ich sage: Ausnahmsweise hat
der Mann Recht, nur, er müsste in den eigenen Reihen da-
mit anfangen, anstatt andere dazu aufzufordern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ihr Problem, meine Damen und Herren von Rot-Grün,
ist: Sie haben ein tiefes Misstrauen gegenüber den Men-
schen.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie trauen ihnen beispielsweise nicht zu, ihre Kinder ver-
antwortungsbewusst so zu erziehen, dass das anschlie-
ßend in Einklang mit dem zu bringen ist, was Sie an ideo-
logischen Vorgaben gemacht haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Sie sind der Auffassung, der Staat müsse grundsätzlich
alles regeln.


(Zuruf von der SPD: Nein, er muss die Rahmenbedingungen setzen!)


Dieser Auffassung sind wir nicht. Wir sind vielmehr der
Meinung, dass jeder, familienpolitisch gesehen, nach sei-
ner eigenen Fasson selig werden kann und dass der Staat
nur dort eine Hilfeleistung anbieten sollte, wo sie not-
wendig ist. Im Unterschied zu Ihnen überlassen wir es
dem Einzelnen, wo und wann er Hilfe anfordert. Wir
maßen uns nicht an, zu entscheiden, wann unseren Bür-
gerinnen und Bürgern geholfen werden sollte.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir haben ein grundsätzlich anderes Menschenbild.
Das unterscheidet uns und das wird an dieser Frage deut-
lich. Der Staat hat nicht die Aufgabe, Bedarfe zu wecken
– im Übrigen entsteht ohne sein Angebot kein Bedarf –,
nur weil er beispielsweise meint, dass Erwerbstätigkeit
grundsätzlich höher zu bewerten sei als Berufstätigkeit in
der Familie.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Lassen Sie mich zwei abschließende Bemerkungen zu
der nach meiner Meinung wenig geschmackvollen
Ankündigung des SPD-Generalsekretärs und Kollegen
Olaf Scholz machen, man wolle die „Lufthoheit über den
Kinderbetten“ erreichen.


(Ina Lenke [FDP]: Das ist das Letzte!)

Dazu sage ich Ihnen eines: Die Lufthoheit über den Bet-
ten unserer beiden Kinder haben meine Frau und ich.
Dazu brauchen wir nicht Herrn Scholz, dazu brauchen wir
nicht Frau Schmidt und dazu brauchen wir auch nicht
Herrn Schröder.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Eine weitere Bemerkung zu dieser Ankündigung.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Geschmacklos!)


Wenn ich in das Zimmer meines Sohnes Klaus-Martin mit
einem Foto dieses Kabinetts gehen würde, dann würde er
mich fragen: Papa, was soll diese alte Truppe in meinem
Zimmer?

Lassen Sie uns, die jungen Familien in Deutschland,
einfach das tun, was wir für richtig halten. Wir können es
wesentlich besser als Sie.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500710100

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ingrid Arndt-

Brauer.


Ingrid Arndt-Brauer (SPD):
Rede ID: ID1500710200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Ich hoffe, dass Ihre zwei Kinder und meine vier Kin-
der Ihre Rede nicht anhören mussten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Was?)


Dieses Niveau dürfen wir niemandem zumuten. Wir sollten
dieses Thema ernst nehmen und sachlich darüber reden.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Warum sind Sie dann so unverschämt?)


Ich möchte daher am Anfang meiner Rede über das
Menschenbild sprechen, das wir zugrunde gelegt haben,
als wir in der letzten Legislaturperiode reformorientierte
Gesetze auf den Weg gebracht haben.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Rückwärts gewandt!)


Es ging beispielsweise um das Problem, wie man bei der
Rente mit Menschen umgeht, die jahrelang Kinder erzo-
gen haben. Dieses Problem haben Sie uns ziemlich un-
gelöst vor die Tür gelegt.


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)



(A)



(B)



(C)



(D)


362


(A)



(B)



(C)



(D)






Es waren gerade die Frauen, die durch ihre Familien-
leistungen erhebliche Ausfälle in der Rentenversicherung
hinnehmen mussten.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wer hat denn die Erziehungszeiten eingeführt?)


Sie wissen, dass wir das verändert haben. Wir haben die
Anerkennungszeiten erhöht.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Was? – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben die Rentenbeiträge erhöht!)


Wir haben für Menschen, die mehrere Kinder erziehen,
Entgeltpunkte eingeführt. Sie wissen genauso gut wie ich,
dass wir bei der Riester-Rente eine sehr hohe Kinderför-
derung eingebaut haben. Das kommt den Familien sehr
zugute.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Das ist doch eine Frechheit, so etwas zu behaupten! Auf Druck der Opposition haben Sie es gemacht!)


Zur Beruhigung eines Vorredners will ich sagen, dass
das Ehegattensplitting bleibt.


(Zurufe von der CDU/CSU: Wie lange?)

Auch bei uns hat das Ehegattensplitting einen hohen Stel-
lenwert. Diesen Punkt wollte ich noch einmal deutlich
machen.

Auch Sie haben 16 Jahre lang gefordert, Subventionen
müssten abgebaut werden.


(Ina Lenke [FDP]: Das sind Subventionen?)

Jeder Bürger fordert dies. Wir haben aber folgendes Pro-
blem: Es gibt circa 20Millionen Familien in Deutschland.
Wenn man Subventionen abbaut, ist es schwierig, nur die
zu treffen, die keine Familie haben.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Das Ehegattensplitting ist doch keine Subvention!)


Mit unseren Maßnahmen treffen wir ein wenig auch die
Familien. Aber wir haben uns bemüht, beim Subventions-
abbau die Familien nicht, wie Sie es vorhin unterstellt ha-
ben, über Gebühr zu treffen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)


Wenn man bedenkt, dass mit dem Subventionsabbau
der Haushalt konsolidiert wird und damit eine verantwor-
tungsvolle und nachhaltige Politik möglich wird, dann
muss man sagen, dass dieser Abbau den Familien zugute
kommt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Sie sich dann noch anschauen, was wir streichen,
dann werden Sie mir zustimmen, dass alles nicht so
schlimm ist.


(Lachen bei der CDU/CSU – Manfred Grund [CDU/CSU]: Unglaublich! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Reden Sie mal von der Erbschaftsteuer!)


Sie können niemandem erklären, dass die Senkung der
linearen Gebäudeabschreibung per se familienfeindlich
ist. Sie können ferner niemandem erklären, dass die Er-
höhung der Pauschale bei privater Nutzung von Firmen-
wagen familienfeindlich ist.


(Beifall bei der SPD – Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Das ist aber nicht Ihr Ernst!)


Auch die Einführung von Kontrollmitteilungen seitens
der Banken an die Finanzbehörden ist vom Ansatz her
nicht familienfeindlich.


(Ina Lenke [FDP]: Hat doch überhaupt keiner gesagt! – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Hat keiner gesagt! Wir reden von der Eigenheimzulage!)


Vielleicht wirkt sie sich auf die eine oder andere Familie
negativ aus; das mag so sein. Aber ich denke, wir alle wol-
len, dass eine vernünftige Finanzpolitik gemacht wird.
Deswegen ist diese Einführung völlig in Ordnung.

Dass wir bei der Eigenheimzulage besonders die Kin-
der als Förderpotenzial herausstellen, ist nicht familien-
feindlich.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ab dem sechsten Kind!)


– Nein, nicht ab dem sechsten Kind. – Im Gegenteil, wir
erhöhen zum Beispiel die Ökozulage bei der Eigenheim-
förderung. Wir handeln also nachhaltig, indem wir den
Familien, vor allem den Kindern, eine vernünftige Welt
hinterlassen. Das ist sehr familienfreundlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir nehmen einige Dinge bei der Umsatzsteuer zurück,

(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Steuererhö hungen, bis zum Weihnachtsbaum!)

die jahrelang Subventionen waren. Das mag natürlich bei
dem einen oder anderen Betrieb, der Familienangehörige
beschäftigt, zu Einbußen führen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hoffentlich schenkt Ihnen Ihr Mann noch Blumen!)


Aber Sie können keinem verkaufen, warum es solche Sub-
ventionen weiterhin geben muss. Bei einigen Dingen kann
man nur mit dem Kopf schütteln, zum Beispiel dass wir
Sporen zur Aussaat privilegiert behandelt und Stroh und
Streu bevorzugt besteuert haben. Auch Abfälle aus der Le-
bensmittelindustrie wurden mit dem halben Steuersatz
besteuert. Worin bei den hier vorgesehenen Maßnahmen
Familienfeindlichkeit besteht, kann ich nicht erkennen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hans Michelbach [CDU/CSU]: In der Preisspirale zum Beispiel)


Alles in allem muss man klarstellen: Wir versuchen,
den Haushalt zu konsolidieren, ohne die Leistungen für
die Familie zurückzufahren. Im Gegenteil: Wir versu-
chen, die Lebenssituation der Familien zu verbessern.


(Lachen der Abg. Ina Lenke [FDP])


Ingrid Arndt-Brauer




Ingrid Arndt-Brauer
Die Unterstellung, die in dem Thema der von Ihnen bean-
tragten Aktuellen Stunde deutlich wird, wird nicht da-
durch wahrer, dass Sie Ihre Aussagen hier im Bundestag
machen und sie nicht nur in entsprechenden Presseorga-
nen verbreiten.


(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Das merkt man an Ihrer Rede!)


Wir sollten uns zusammensetzen, vernünftig über alles
sprechen, die Schärfe herausnehmen und ein bisschen auf
das Niveau unserer Diskussion achten.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Was nehmen Sie denn zurück?)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500710300

Das Wort hat die Abgeordnete Ingrid Fischbach,

CDU/CSU.


Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1500710400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war jetzt
der absolute Kracher.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Ich hoffe, und zwar nicht nur für uns, sondern für alle an-
deren, dass gerade viele Menschen bzw. Familien vor dem
Fernseher gesessen und dem zugehört haben, was Sie,
verehrte Frau Kollegin Arndt-Brauer, hier zum Besten ge-
geben haben: Die Familien werden zum Subventions-
fall der neuen Bundesregierung gemacht. Dazu kann ich
nur sagen: Machen Sie weiter so! Denn dann, Frau
Hanewinckel, werden Sie genau das erleben, was Sie vor-
hin angesprochen haben. Am 22. September seien Sie, so
sagten Sie, von den Familien und Frauen gewählt worden,
und Sie fragten, warum wohl. Angesichts der jetzigen
Umfrageergebnisse frage ich Sie: Warum wohl? Das, was
die Kollegin gerade gesagt hat, war besser als all das, was
ich darauf hätte antworten können. Machen Sie weiter so!
Sie werden die Quittung bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung
ein Jahrzehnt für die Familien angekündigt. Er will
Deutschland zu einem familienfreundlichen Land machen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist eine Drohung, wenn er das macht!)


Im Koalitionsvertrag steht: „Wir stärken die Familien und
das Leben mit Kindern.“


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nach der Rede von eben, nach Ihren Aussagen ist festzu-
stellen: Sie sind dabei, die Familien zum Subventionsfall
zu machen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die konkreten Maßnahmen im Koalitionsvertrag: keine.
Trotz der angespannten Lage, in der sich die Familien zur-
zeit in Deutschland befinden, werden in der kommenden
Legislaturperiode keine Entlastungen erfolgen. Vielmehr
werden die Familien stärker belastet als bisher. Das ist der
falsche Weg.

Das werde ich Ihnen an zwei Stellen deutlich ma-
chen – ich spreche jetzt nicht über Milliardenbeträge; das
versteht draußen keiner; denn die Portemonnaies der Fa-
milien sind klein und die Budgets eng; da geht es um ein-
zelne Euro, um einzelne Cent –: an der Krankenversiche-
rung und an der Rentenversicherung. Das sind Dinge, die
die Menschen draußen verstehen. Denn hier muss Vor-
sorge bzw. Planungssicherheit für das Alter geschaffen
werden. Daran denken die Menschen. Schauen wir ein-
mal, was Sie den Familien hier anbieten: Führen Sie hier
Entlastungen durch? Geben Sie Planungssicherheit? Hel-
fen Sie den Familien? Gibt es hier eine Familienförde-
rung? Fördern Sie Familien? – Pustekuchen!

Herr Kuhn, Sie sitzen hier so locker und lustig.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Sehr entspannt!)

Ich habe in der Zeitung gelesen, dass Sie gesagt haben:
Ein Rentenbeitrag von 19,3 Prozent, das ist das letzte
Wort!

Wir erleben jetzt, dass die Koalitionsvereinbarung
nicht das Papier wert ist, auf dem sie steht; denn sie hat
nicht einmal drei Wochen gehalten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Was hat die Ministerin Ulla Schmidt nicht alles ver-

sprochen! – Sie ist heute nicht da. Das ist auch nicht tra-
gisch. Sie hat weit wichtigere Probleme zu lösen. – Noch
im August hat sie gesagt, ob man es hören wollte oder
nicht: Die Opposition redet Unsinn. Die Krankenkassen-
und Rentenversicherungsbeiträge sind stabil. Wir lassen
uns doch nicht schlecht reden. – Was haben wir jetzt auf
dem Tisch? Herr Kuhn hat gesagt, 19,3 Prozent seien das
letzte Wort. Nun sind es 19,5 Prozent für die Rentenversi-
cherung. Wissen Sie, was die Anhebung von 19,1 Prozent
auf 19,5 Prozent für die Familien bedeutet?


(Nicolette Kressl [SPD]: Wie hoch bei Kohl? – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange!)


– Sie haben gesagt, die Beiträge blieben stabil. Zu diesem
Zweck haben Sie die Ökosteuer eingeführt. Sie haben ge-
sagt: „Liebe Leute, ihr müsst jetzt Ökosteuer zahlen, weil
wir die Rentenbeiträge stabil halten wollen“, und die Men-
schen haben es getan. Jetzt aber zahlen sie Ökosteuer, er-
höhte Rentenbeiträge und – jetzt kommt das Schlimmste –
auch die Heizölkosten werden steigen.


(Nicolette Kressl [SPD]: Nein!)

Das bedeutet für die Familien eine zusätzliche Belastung
von im Schnitt 75 Euro pro Monat. Wer soll das denn be-
zahlen? Das ist doch schier unmöglich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



(A)



(B)



(C)



(D)


364


(A)



(B)



(C)



(D)






Mein Kollege Laumann hat einmal gesagt: Um die
Rentenbeiträge stabil zu halten, müssen wir jetzt viel
mehr Auto fahren: Rasen für die Rente. Meine Damen und
Herren, Sie setzen noch eins drauf. Jetzt heißt es nicht nur:
„Rasen für die Rente“, sondern auch: „Heizen für die
Rente“. Je kälter der Winter, desto sicherer ist unsere Al-
tersvorsorge. Liebe Leute, so geht es doch wirklich nicht!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie erhöhen die Krankenkassenbeiträge und die Ren-

tenversicherungsbeiträge. Wo entlasten Sie eigentlich die
Familien? Wenn Sie in dieser Form ein Jahrzehnt weiter-
machen, dann werden wir keine Familien mehr haben.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: 13 Milliarden Euro in den letzten vier Jahren!)


Ihre Kollegin hat vorhin gesagt: Man muss offensichtlich
erst ein Haus bauen und kann erst dann Kinder kriegen.
Aber dann will keiner mehr Kinder, weil es nicht zu be-
zahlen ist. Dann wird auch niemand mehr das Haus bauen
können, das er bauen will, zumindest wird er es nicht ab-
bezahlen können.


(Zuruf des Abg. Peter Dreßen [SPD])

– Herr Dreßen, Sie können schimpfen, so viel Sie wollen.
Sie wissen, dass ich Recht habe. Deshalb ärgern Sie sich
auch so.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD)


Sie haben in beiden Bereichen, sowohl bei der Kran-
kenversicherung als auch bei der Rentenversicherung, ei-
nen faulen Kompromiss ausgehandelt. Sie wissen ganz ge-
nau, dass die Zahlen, die Sie jetzt auf den Tisch gelegt
haben, keinen Bestand haben werden. Das heißt, dass das
Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist. Die Beiträge
sind weder stabil noch ist ein Ende der Beitragserhöhungen
in Sicht. Es wird weitergehen. Das werden die Familien
nicht mitmachen; das haben sie auch nicht verdient. Die
Menschen in Deutschland haben Stabilität verdient, ein
faires Miteinander und auch, zu wissen, wohin es geht.

Meine Damen und Herren, in der „Financial Times“
vom 5. November steht ein Artikel mit der Überschrift
„Das Letzte“. Die neue Familienministerin – eine starke
Frau, sie kämpft für die Familien – sagt in diesem Artikel:

Ich hasse meinen Job! ... Für meine Aufgabe habe ich
kein Geld und keine Gesetzgebungskompetenz, des-
halb wurde ich offenbar ausgesucht.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Zurücktreten!)


Ich kann Ihnen nur sagen: Die CDU/CSU hat Kompe-
tenz. Wir hassen unseren Job nicht, sondern machen ihn
gerne und wir machen ihn für die Familien.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500710500

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ekin Deligöz,

Bündnis 90/Die Grünen.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500710600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Frau Fischbach, wenn ich Sie von Quittungen spre-
chen höre, fällt mir nur eine Quittung ein: Wir haben die
Wahl gewonnen, Sie nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Maria Eichhorn [CDU/ CSU]: Wegen der Kriegsangst haben Sie gewonnen! – Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)


Im Übrigen: Sie reden über Zeitungsartikel vom 5. No-
vember, ich über Zeitungsartikel vom 6. November. Darin
steht, dass die Preise für Heizöl nicht erhöht werden. Das
ist auch Tatsache.


(Ina Lenke [FDP]: Das wollen wir erstmal sehen!)


Es gibt noch einen Punkt, den ich hier mit einer gewis-
sen Ironie und auch mit einer gewissen Bitterkeit anspre-
che.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie wissen gar nicht, was! Sie machen doch jeden Tag was anderes!)


Wenn Frau Eichhorn in dieser Runde aufsteht und die
Worte „Bedarfsgerechtigkeit und Verlässlichkeit“ in den
Mund nimmt, während die Bayerische Staatsregierung
plant, innerhalb der kommenden Jahre 9 000 Kindergärt-
nerinnen- bzw. Erzieherinnenstellen und


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Wie bitte? 400 000 Euro Nachtragshaushalt haben wir für Kinderbetreuung! Was erzählen Sie für Märchen? – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die Staatsregierung ist gar nicht zuständig! Die Kommunen sind zuständig!)


3 800 Kindergartengruppen zu streichen und sich immer
noch weigert, das Recht auf einen Kindergartenplatz in
Bayern umzusetzen, dann ist das nicht nur ironisch, son-
dern, wie ich finde, kinder- und elternfeindlich und nichts
anderes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Dörflinger, Sie haben eine schöne Rede gehalten;
aber Sie waren, glaube ich, im falschen Film. Sie haben es
irgendwie nicht verstanden. Wir reden überhaupt nicht
über Art. 6.


(Ina Lenke [FDP]: Darum geht es!)

Kein Mensch redet über Art. 6. Kein Mensch will ihn an-
tasten. Ganz im Gegenteil: Wir reden hier über die Fami-
lien, über die Realität in den Familien, über das, was die
Eltern wollen, über das, was die Eltern brauchen, über
das, was wir für sie tun können. Wir wollen – darin unter-
scheiden wir uns von Ihnen – Eltern in diesem Land nicht
allein lassen. Wir wollen sie nicht im Stich lassen.


(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Sie wollen sie bevormunden – Hans Michelbach (CDU/ CSU: Sie wollen sie sozialisieren!)


Ingrid Fischbach




Ekin Deligöz
Wir wollen uns dieser Verantwortung stellen. Wir wollen
diese Aufgabe ernst nehmen und wahrnehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Der Staat soll es richten!)


Eine Sache muss ich noch ansprechen. Es ist an der
Zeit, finde ich, dass wir gerade dann, wenn es um die
Zukunft der Familien, um die Zukunft der Kinder in
diesem Land geht, endlich anfangen, über geeignete Maß-
nahmen im Bereich der Infrastruktur und zum Teil auch
im Bereich der Förderung zu debattieren.


(Ina Lenke [FDP]: Das hat aber vier Jahre gedauert!)


Vor allem müssen wir diese ideologisierten Debatten be-
enden. Der Satz von Herrn Scholz von der Hoheit in den
Kinderzimmern – das muss man hier offen erwähnen –
gehört dazu. Das gefällt auch mir nicht.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Uns geht es darum, die öffentliche Verantwortung für

unsere Kinder zu übernehmen, und zwar gemeinsam. Es
geht darum, Lebensbedingungen zu verbessern, und es
geht darum, sie zu optimieren. Es geht um Beratung, es
geht um Hilfsangebote, es geht um Elternkompetenz, es
geht um Kinderrechte.

Mir gefällt es auch nicht, wenn ich, wo es um Ganz-
tagsschulen und Ganztagskindergärten geht, wo es um
Qualität in der Pädagogik geht, wo es nicht nur darum
geht, was für die Eltern gut ist, sondern auch darum, was
für unsere Kinder gut ist, von Herrn Goppel einen Satz
wie „Das kennen wir aus kommunistischen Staaten wie
der DDR und der Sowjetunion, mit verheerenden Aus-
wirkungen“ in der Zeitung lesen muss. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich bitte Sie: Kehren Sie doch bitte in die
Realität der Politik zurück!

Worum geht es uns? Es geht uns darum, Standards zu
schaffen, damit sich Eltern, insbesondere Mütter, ent-
scheiden können, berufs- bzw. erwerbstätig zu bleiben,
damit gut qualifizierte Frauen, aber nicht nur die, ihre Er-
werbstätigkeit fortsetzen können. Es geht um Qualität in
den Betreuungseinrichtungen. Es geht nicht um Sozialis-
mus. Es geht um ein Kinder- und Jugendhilfegesetz – dem
Sie übrigens zugestimmt haben – das weder von Marx
noch von Lenin verfasst wurde, sondern vom Bundestag
verabschiedet wurde.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Kehren wir zu einer weiteren Realität zurück. Diese
Regierung hat deutlich etwas für die Familien getan.


(Ina Lenke [FDP]: Hat! Was macht sie jetzt? Vergangenheit ist das!)


Wir haben Familien aus der Armut herausgeholt. Ich
nenne nur: Erhöhung der Freibeträge, Kindergelder-
höhung, BAföG, gesetzliche Rentenversicherung, Aner-
kennung von Erziehungszeiten, Erziehungsgeldreform,
Kinderrechte. Das alles war Bestandteil unserer Gesetz-
gebung.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Wie bitte?)


Das sind die Gesetze, gegen die Sie gestimmt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Bei keiner einzigen dieser Maßnahmen zur Familienför-
derung habe ich Sie zustimmen sehen.


(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Haben Sie vier Jahre geschlafen?)


Sie haben nirgendwo zugestimmt und das, denke ich,
spricht für Ihre Politik.

Zum Schluss kann ich nur eines sagen: Gerade wir als
Grüne führen die Gerechtigkeitsdebatte. Wir führen die
Generationendebatte. Wir sind die Anwälte der Eltern und
Kinder. Sie haben das längst verspielt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: 19,3 Prozent! – Geknickte Grüne!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500710700

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Antje Blumenthal,

CDU/CSU.


Antje Blumenthal (CDU):
Rede ID: ID1500710800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau

Deligöz, manchmal ist der Blick zurück doch ganz hilf-
reich. Erinnern Sie sich bitte daran, was unter CDU/CSU-
FDP-geführten Regierungen seit 1986 alles umgesetzt
worden ist!


(Nicolette Kressl [SPD]: Was das Bundesverfassungsgericht entscheiden musste!)


Sie haben es nicht geschafft, Erziehungszeiten anzurech-
nen. Sie haben die Rentnerinnen betrogen. Daran sollten
Sie sich erinnern! Sie sollten sich auch daran erinnern,
was wir in dieser Zeit geleistet haben und um wie viel wir
das Kindergeld erhöht haben. Das sollten Sie sich einmal
hinter die Ohren schreiben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der SPD: Hat das Bundesverfassungsgericht entschieden oder nicht?)


Frau Deligöz, Sie haben sich darauf bezogen, dass Sie
die Wahl gewonnen haben.


(Nicolette Kressl [SPD]: Haben wir auch!)

Dumm sind wir ja auch nicht. Aber fragen Sie heute bitte
Ihre Wählerinnen und Wähler, die Ihren Versprechungen
Glauben geschenkt haben! Diese sind bitter betrogen
worden. In Ihren heutigen familienpolitischen Papieren
heißt es: Ziel der Familienpolitik von Rot-Grün soll unter
anderem sein, die materielle Sicherheit von Familien zu
verbessern. – Tatsächlich sind die familienpolitischen
Auswirkungen der Koalitionsbeschlüsse aber katastro-
phal.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wer unter Rot-Grün Kinder und Familie in unserem

Land hat, setzt sich einem nicht unerheblichen Armuts-


(A)



(B)



(C)



(D)


366


(A)



(B)



(C)



(D)






risiko aus. Anstatt diesen Missstand zu beseitigen, werden
die Familien aufgrund der bisher von Ihnen angekündig-
ten Maßnahmen in ihrem ohnehin schon engen finanziel-
len Spielraum weiter beschnitten. Alle vollmundigen
Wahlversprechungen von Rot-Grün erweisen sich als
dreiste Täuschung. Ich frage Sie, meine Damen und Her-
ren von der Regierungskoalition: Können Sie eigentlich
morgens noch in den Spiegel schauen? Ich glaube, Sie tun
es lieber abends, weil Sie sonst rot würden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin Riemann-Hanewinckel, auch Sie

haben betont, dass Ihre Partei insbesondere von Frauen
gewählt worden sei. – Vielleicht können Sie mir zuhören,
Frau Staatssekretärin. Ich wollte Sie eigentlich direkt an-
sprechen.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Vielleicht hasst auch sie ihren Job!)


– Vielleicht sollte ich auch danach fragen. – Wir haben
zurzeit in unserer Republik ein Problem: Sie behaupten
immer, dass Sie die Wahl zu Recht gewonnen hätten. Ob-
wohl wir verzweifelt die Wähler und Wählerinnen von
Rot-Grün suchen, können wir sie nicht finden. Alle, die zu
uns kommen, beklagen sich über Ihre Beschlüsse und be-
reuen es, nicht uns gewählt zu haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD: Oh! Oh!)


Ich möchte – da das von der Regierungskoalition nicht
zur Sprache gebracht worden ist – noch einmal auf die von
Ihnen gemachten Versprechungen bzw. auf die Stellen
zurückkommen, wo es Veränderungen geben soll. Vor der
Bundestagswahl hat die SPD vollmundig von einer Kin-
dergelderhöhung auf 200 Euro geredet. Davon hat sich
Rot-Grün mittlerweile verabschiedet. Noch nicht einmal
eine minimale Kindergelderhöhung ist im Koalitionsver-
trag vorgesehen. Insbesondere Familien mit kleinen Ein-
kommen werden so von Ihnen weiterhin massiv benach-
teiligt werden. Der Familienleistungsausgleich wird von
Ihnen weder weiterentwickelt noch den von Ihnen zu ver-
antwortenden steigenden Lebenshaltungskosten ange-
passt. Wie gesagt, die Kindergelderhöhung ist vom Tisch.
Eine Anpassung des Erziehungsgeldes an die steigenden
Lebenshaltungskosten ist nicht in Sicht.

Die Kindererziehungszeiten sollten in der Pflegeversi-
cherung angemessen berücksichtigt werden; Sie hatten
versprochen, das unverzüglich zu tun. Jetzt ist zu lesen,
dass Sie frühestens im Jahr 2004 das umsetzen werden,
was Ihnen vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben
worden ist.

Die Koalition hat außerdem sinkende Sozialversiche-
rungsbeiträge versprochen. Das Ergebnis sind steigende
Sozialversicherungsbeiträge und damit auch steigende
Lohnnebenkosten. Ich habe ja noch immer die Hoffnung,
dass Rot-Grün irgendwann versteht: Das, was wir in der
gegenwärtigen Situation dringend benötigen, sind sin-
kende und nicht steigende Lohnnebenkosten.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Wohl wahr!)

In der nächsten Stufe der Ökosteuer werden die Kosten

für Sprit, Strom und Erdgas erhöht. Diese Erhöhungen

werden Haushalte mit Kindern überproportional stark be-
lasten; denn Kinder im Haus erhöhen die Verbrauchskos-
ten deutlich. Kinder können aber nichts zur Entlastung
bzw. Kostendeckung beitragen.

All diese von Ihnen geplanten Maßnahmen tragen zu
einer massiven Verschlechterung und nicht zu einer Ver-
besserung der Situation der Familien bei. Schon heute le-
ben 1 Million Kinder in der Sozialhilfe und fallen somit
in den Bereich der Kinderarmut. Bereits in der letzten Le-
gislaturperiode geschah vonseiten der Regierung nichts,
um die Situation der Familien zu verbessern. Und jetzt?
Durch die von Ihnen geplanten und vor allen Dingen zu
vertretenden Mehrbelastungen werden noch mehr Fami-
lien und deren Kinder in Armut fallen.


(Beifall der Abg. Maria Eichhorn [CDU/CSU])


Anstatt die Kinder und ihre Familien aus der Kinder- und
Familienarmut zu befreien, verschlechtern Sie die Situa-
tion und nehmen den Menschen damit die Chancen für die
Zukunft. Wenn das die von Ihnen neuerdings bean-
spruchte Lufthoheit über den Kinderbetten ist, von der Ihr
Generalsekretär Scholz verächtlich spricht,


(Manfred Grund [CDU/CSU]: General Scholz!)


dann gute Nacht!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500710900

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Caren Marks, SPD.


Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1500711000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Familien sind in; 88 Prozent der jungen Men-
schen wünschen sich Kinder und Familie. Das ist das Er-
gebnis der Shell-Jugendstudie aus dem Jahr 1998. Dass
aber circa 40 Prozent der Akademikerinnen bis zum 39.
Lebensjahr keine Kinder haben, steht dazu zunächst ein-
mal im Widerspruch. Die Gründe liegen jedoch auf der
Hand: Familie – sprich: Kinder zu wollen – ist eine Sache;
eine andere ist es, die Unwägbarkeiten, die mit der Fami-
liengründung verbunden sind, zu meistern.

Das traurige Resultat von 16 Jahren konservativer,
rückständiger Familienpolitik


(Ina Lenke [FDP]: Und vier Jahren Rot-Grün!)

der CDU/CSU und der FDP


(Beifall bei der SPD)

waren die verfassungswidrige finanzielle Benachteili-
gung von Familien,


(Ina Lenke [FDP]: So ein Quatsch!)

mangelhafte Betreuungsmöglichkeiten und ein familien-
feindliches Klima.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Frau Marks, das ist Murks!)


Antje Blumenthal




Caren Marks

1998 wurde es höchste Zeit, Kinder und Familien aus
dem Abseits zu holen und wieder in das Zentrum der Ge-
sellschaftspolitik zu stellen.


(Beifall bei der SPD)

Dem längst überholten, ideologisch gefärbten Familien-
bild der Union haben wir, die SPD, eine moderne und ge-
rechte Familienpolitik entgegengesetzt,


(Beifall bei der SPD – Maria Eichhorn [CDU/ CSU]: Die Ideologie der Erwerbstätigkeit ist bei Ihnen im Vordergrund! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Marks redet Murks!)


eine Familienpolitik, die sich an der Lebensvorstellung
und der Lebenswirklichkeit von jungen Paaren und jun-
gen Familien orientiert. Die Familienpolitik der SPD ba-
siert auf zwei Säulen: Die erste Säule,


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Schröpfen!)

die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Fami-
lien, war ein Schwerpunkt der letzten Legislaturperiode.
Wir haben deutlich zugunsten der Familien umverteilt.
Mit der Erhöhung von Kindergeld und Steuerfreibeträgen,
der Anhebung von Einkommensgrenzen beim Erzie-
hungsgeld und den Verbesserungen beim Wohngeld und
BAföG haben wir Familien spürbar entlastet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Vergleich zur alten, unionsgeführten Regierung ge-
ben wir jedes Jahr 13 Milliarden Euro mehr für Familien
aus. Obwohl Union und FDP eine Anpassung materieller
Rahmenbedingungen für Familien 16 Jahre lang vernach-
lässigt haben, versuchen Sie, sehr geehrte Damen und
Herren von der Opposition,


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Die Lügen werden durch Wiederholen nicht wahr!)


die Familienpolitik nun auf diese materiellen Rahmenbe-
dingungen zu reduzieren. Doch da haben Sie die Rech-
nung ohne die Familien und insbesondere ohne die jungen
Frauen gemacht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Denn diese setzen insbesondere auf die zweite Säule un-
serer Familienpolitik: eine Verbesserung der strukturellen
Rahmenbedingungen. Die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf ist hier an erster Stelle zu nennen.

Erste entscheidende Verbesserungen haben wir bereits
erreicht. So erleichtern der Rechtsanspruch auf Teilzeitar-
beit, die Flexibilisierung der Elternzeit, aber auch die
steuerliche Absetzbarkeit erwerbsbedingter Betreuungs-
kosten bereits die Vereinbarkeit von Familie und Er-
werbsarbeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Verbesserungen sind aber noch nicht ausrei-
chend. In Sachen Kinderbetreuung – angefangen bei den
Krippenplätzen über Ganztagskindergärten und Hort-

plätze bis hin zu Ganztagsschulen – ist Deutschland in-
nerhalb Europas ein Entwicklungsland. In dieser
Legislaturperiode räumen wir dem Ausbau der Ganztags-
betreuung Priorität ein und stellen hierfür 4 Milliarden
Euro zur Verfügung.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Warum machen Sie es nicht da, wo Sie zuständig sind: in den Ländern?)


Die Union hat nichts dazugelernt. Mit dem Familien-
geld wollten Sie, meine geehrten Damen und Herren von
der Opposition, da weitermachen, wo Sie aufgehört ha-
ben. Junge Mütter sollten mit dem Familiengeld, einer
Zuhause-bleib-Prämie, abgespeist werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Unabhängig von der Erwerbstätigkeit! Lesen Sie, bevor Sie reden!)


Dieses Familienkonzept missachtet die Lebensvorstellun-
gen der jungen Generation. Über die Finanzierung des Fa-
miliengeldes hat sich die Union wenig Gedanken ge-
macht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein über Schulden finanziertes Familiengeld hätten die
Kinder, die Sie entlasten wollten,


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Wer macht Schulden? – Hans Michelbach [CDU/CSU]: 14 Milliarden Euro!)


bezahlt; denn die Kinder werden morgen für die Bedie-
nung der Schulden geradestehen müssen, die Sie verursa-
chen.

Doch die Menschen wissen, wer etwas für Familien
tut und wer nur über Familienförderung redet. So wer-
den wir mit den Stimmen der Mütter und Väter weiter
für ein kinder- und familienfreundliches Deutschland
sorgen.


(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: War das eine Drohung?)


Anders als bei der Union war und ist für uns Sozialde-
mokratinnen und Sozialdemokraten dabei klar: Wir
schreiben keiner Familie und keiner Frau vor, wie sie le-
ben sollen.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Aber Sie wollen sie zur Erwerbstätigkeit verpflichten! Sie machen das Gegenteil von dem, was Sie sagen!)


Wir ermöglichen es den Menschen aber, so zu leben, wie
sie leben wollen. Kinder dürfen für Frauen nicht länger
Verzicht auf Karriere bedeuten und Karriere darf für
Frauen nicht länger Verzicht auf Kinder bedeuten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ina Lenke [FDP])



(A)



(B)



(C)



(D)


368


(A)



(B)



(C)



(D)






Der Wirtschaftsstandort Deutschland kann weder auf
hoch qualifizierte, motivierte Frauen verzichten, noch
kann unsere Gesellschaft auf Kinder verzichten.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Marks sei Dank!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500711100

Das war Ihre erste Rede, Frau Kollegin. Ich gratuliere

Ihnen zu dieser ersten Rede.

(Beifall – Dr. Uwe Küster [SPD]: Das war eine gute Rede!)

Auch die Kollegin, die jetzt das Wort erhält, Rita

Pawelski, wird ihre erste Rede im Plenum halten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)



Rita Pawelski (CDU):
Rede ID: ID1500711200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kol-

legin Marks, wenn man aus einem Land kommt, das in
Bezug auf die Kinderbetreuung im untersten Drittel im
Ländervergleich liegt, wenn man aus einem Land kommt,
das Weltmeister im Schuldenmachen ist – das neue, un-
gedeckte Haushaltsloch beträgt 1,3 Milliarden Euro –,
wenn man aus einem Land kommt, das in der PISA-Stu-
die noch hinter Polen rangiert, dann sollte man hier anders
auftreten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Das müssen Sie gerade sagen!)


In der rot-grünen Koalitionsvereinbarung steht wört-
lich:

Unser Familienbegriff ist so vielfältig wie die Le-
bensumstände der Menschen ...

So ganz ernst scheint Rot-Grün diesen Satz nicht zu neh-
men; denn Sie haben in Ihren Vereinbarungen eine wich-
tige Gruppe kaum berücksichtigt: die Alleinerziehenden.


(Zuruf von der SPD: Das ist doch Quatsch!)

Die werden von Ihnen hart getroffen. In Deutschland leben
rund 2 Millionen allein erziehende Mütter und Väter, die
sich um 2,8 Millionen Kinder kümmern. Dass es diesen
Familien finanziell nicht gut geht, dass es ihnen schlecht
geht, dürfte selbst Ihnen von Rot-Grün bekannt sein. Denn
über 50 Prozent dieser Familien leben von Sozialhilfe. Das
Durchschnittseinkommen beträgt 1 700 Euro. Das ist wahr-
lich nicht viel.

Umso schlimmer ist: Sie schröpfen die Mütter und Vä-
ter, die es schaffen, den Lebensunterhalt für sich und ihre
Kinder nicht durch Transferleistungen, sondern durch Er-
werbsarbeit zu bestreiten. Sie schämen sich nicht, diesen
Menschen, die es oft schwer genug haben, tief in die Ta-
sche zu greifen. Den Alleinerziehenden wird der Haus-
haltsfreibetrag, der zuletzt 3 000 Euro betrug, stufenweise
bis 2005 weggenommen. Das ist ein Riesenskandal.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lydia Westrich [SPD]: Das ist die Unwahrheit!)


Aber das reicht Ihnen immer noch nicht. Durch Ihre
unsoziale Renten-, Gesundheits- und Steuerpolitik belas-
ten Sie diese Familien zusätzlich. Sie nehmen ihnen die
Luft zum Atmen.


(Widerspruch bei der SPD)

Wissen Sie eigentlich, was es heißt, jeden Cent nicht drei-
mal, sondern fünfmal umzudrehen? Wissen Sie eigent-
lich, wie diese Familien unter Ihrer Politik leiden? Und
Sie reden von sozialer Gerechtigkeit!


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Schönes Chaos! – Zuruf von der FDP: Unglaublich!)


Alleinerziehende sind stärker als andere auf Betreu-
ungseinrichtungen angewiesen. Im Koalitionsvertrag for-
dert Rot-Grün verlässliche Betreuungseinrichtungen und
setzt dabei den Schwerpunkt bei Kindern bis zu drei Jah-
ren. Dafür wollen Sie 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung
stellen. Nur, dieses Geld stellen in Wahrheit nicht Sie von
der Regierung den Kommunen zur Verfügung. Vielmehr
soll es aus den Minderausgaben bei der Umsetzung des
Hartz-Konzeptes erwirtschaftet werden – eines Konzep-
tes, das noch gar nicht umgesetzt ist.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Sie verteilen also das Fell des Bären, den Sie noch nicht
einmal gesichtet haben.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Wolkenkuckucksheim!)


Es kommt hinzu: Diese Summe reicht nicht. Das hat
Ihnen auch der Deutsche Städtetag vorgerechnet. Er geht
von Kosten in Höhe von mindestens 2,4 Milliarden Euro
aus. Zur jetzt schon offensichtlichen Finanzierungslücke
von 900 Millionen Euro schweigen Sie. Wie wollen Sie
dies finanzieren? Und vor allem stellt sich die Frage: Wer
soll dies tun? Die Kommunen, die von Ihnen ausgeblutet
wurden, können die Mehrbelastungen nicht mehr tragen
und wehren sich. Was sollen sie anderes tun? Sie werden
die Kosten an die Familien weiterreichen. Das trifft dann
genau diejenigen, die eigentlich Ihre Hilfe brauchen,
nämlich die Alleinerziehenden.

Nicht nur die Betreuung der ganz Kleinen ist durch Ihre
Finanzierung nur mangelhaft gesichert. Zur Betreuung
der Kinder zwischen drei und sechs steht in Ihrer Koali-
tionsvereinbarung kein einziges Wort.


(Zurufe von der CDU/CSU: So ist es!)

Der von Rot-Grün angekündigte Ausbau der Ganz-

tagsschulen entpuppt sich als schillernde Seifenblase, die
sehr schnell platzen wird, weil auch hier die Kommunen
zur Kasse gebeten werden. Ihre Finanzierungshilfen gibt
es nur für einen kleinen Teil der Sachkosten; der Löwen-
anteil, nämlich die Personalkosten, muss hauptsächlich
von den Ländern, die ebenfalls pleite sind – das gilt zu-
mindest für Niedersachsen –, und von den Kommunen
aufgebracht werden.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: So ist es!)


Caren Marks




Rita Pawelski
Die Kommunen wissen das und wehren sich gegen die
Einrichtung der Ganztagsschulen. So wurden zum Bei-
spiel in Niedersachsen von 140 Optionen auf Ganztags-
schulen nur zwölf angenommen, weil sich die Kommunen
die Finanzierung einfach nicht leisten können.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Dabei wissen wir doch alle, dass gerade Alleinerziehende
auf Ganztagsschulen angewiesen sind.

Im Klartext heißt das: Durch Ihre Politik ist keine bes-
sere Betreuung für Schulkinder in Sicht. Die Familien
werden sich bei Ihnen bedanken! In dem rot-grünen Koa-
litionsvertrag steht:

Wir werden alle Anstrengungen unternehmen, um
Armut von Familien zu vermindern.

Ich sage Ihnen: Sie machen Familien arm.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500711300

Auch Ihnen, liebe Frau Kollegin, gratuliere ich zur ers-

ten Rede hier im Plenum.

(Beifall)


Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Lydia Westrich,
SPD-Fraktion.


Lydia Westrich (SPD):
Rede ID: ID1500711400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Eichhorn und Herr Dörflinger, Sie und Ihre Partei
waren, wenn es um die Familie geht, schon immer gut im
Halten von Sonntagsreden. Aber Ihre Redebeiträge heute
und die Ihrer Kollegen haben die Familien nicht verdient.


(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Aber Ihre Politik haben sie wohl verdient?)


Das, was Sie heute von sich gegeben haben, spottet jeder
Beschreibung.


(Beifall bei der SPD)

Sie haben gezeigt, dass Sie noch immer nicht wissen,

wie eine moderne familienfreundliche Politik aussieht.
Sie haben bis heute keine Ahnung davon. Seit vielen Jah-
ren beobachten wir und die staunende Öffentlichkeit, wie
Sie die Rahmenbedingungen für Familien immer an der
Lebenswirklichkeit vorbei formulieren, wenn Sie über-
haupt zu Formulierungen kommen. Die Quittung dafür
haben Sie bei der Bundestagswahl vor allem von den jun-
gen Frauen erhalten. Diese konnten mit dem von Ihnen
propagierten, aber nicht finanzierbaren Familiengeld
nichts anfangen.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Wer hat denn das Erziehungsgeld eingeführt? Wer hat denn den Erziehungsurlaub eingeführt? Das waren nicht Sie! Das waren wir!)


Sie entwerfen jetzt ein Familienbild, das niemanden
mehr anspricht. Junge Menschen verbinden heute ganz
selbstverständlich den Wunsch nach Beruf und Familie.

Sie sind gut ausgebildet und wollen ihre Fähigkeiten ein-
setzen. Sie verlangen von uns, nicht nur die wirtschaftli-
che Situation für Familien zu verbessern – was wir getan
haben und was wir auch weiterhin tun werden –, sie wol-
len, wie es in unserem Koalitionsvertrag steht, ein be-
darfsgerechtes und verlässliches Betreuungsangebot für
ihre Kinder.


(Beifall bei der SPD – Ina Lenke [FDP]: Ab 2004!)


Diesen Wunsch werden wir ihnen in dieser Legislatur-
periode erfüllen.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Auf Kosten der Kommunen!)


Jahre um Jahre hat Ihnen, meine Damen und Herren
von der Opposition, das Bundesverfassungsgericht be-
scheinigt, dass Sie die Familien zu hoch besteuert haben.


(Zurufe von der SPD: Aha!)

Sie haben gerade denjenigen, die Ihnen angeblich so am
Herzen liegen, das Geld zu Unrecht aus der Tasche gezo-
gen. Mit viel Geld und hohem finanziellen Einsatz haben
wir Ihre verfassungswidrige Familienpolitik erst wieder
in Ordnung bringen müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie waren gegen alles: gegen die Erhöhung des Kinder-
geldes, gegen die Steuerentlastungen, gegen die Er-
höhung des Erziehungsgeldes, gegen den Rechtsanspruch
auf Teilzeitarbeit.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Sie haben 200 Euro Kindergeld versprochen! Wo sind die denn? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)


Elternzeit für Väter und Mütter, das ist ein Fremdwort für
Sie.


(Beifall bei der SPD – Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Lesen Sie einmal die Protokolle nach! Das ist doch Quatsch!)


Nachhaltigkeit ist in Ihrem Gehirn ebenfalls nicht gespei-
chert.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das ist doch gelogen!)


Nachhaltige Politik – ich will es Ihnen noch einmal er-
klären – betrifft die Umwelt und die Finanzen; sie sichert
die Zukunft. Wir sind immer noch damit beschäftigt,
Ihren Schuldenberg abzubauen, der eine Riesenhypothek
für die nächsten Generationen darstellt. Sie haben eine
verantwortungslose und für die Familien verfassungswid-
rige Politik betrieben und kommen uns jetzt mit Vorwür-
fen, weil wir das Ruder herumgerissen haben.


(Beifall bei der SPD – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Wir haben die Wiedervereinigung zu finanzieren gehabt!)



(A)



(B)



(C)



(D)


370


(A)



(B)



(C)



(D)






Ja, wir werden sparen, Subventionen abbauen und die
Förderungen auf die Menschen, die es wirklich nötig ha-
ben, konzentrieren. Wir werden die Eigenheimzulage kin-
derfreundlich ausgestalten.


(Ina Lenke [FDP]: Was? Ab sechs Kindern!)

– Frau Lenke, sie soll nicht Ihnen, sondern denjenigen zu-
gute kommen, die sie dringend brauchen; Sie brauchen sie
nämlich nicht. Darüber diskutieren wir morgen aber aus-
führlich.


(Beifall bei der SPD – Ina Lenke [FDP]: Ich habe drei Enkelkinder! Für die gilt das nicht!)


– Das stimmt ja nicht. Sie kennen den Gesetzentwurf ja
noch gar nicht. Sie müssen erst einmal nachlesen, was
morgen auf den Tisch kommt.

Wir verstärken die Lenkungswirkung der ökologischen
Steuerreform


(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Lenken, das können Sie am besten!)


und bauen auch dort Subventionen ab, so wie Sie das von
der Opposition immer forderten. Wenn es aber konkret
wird, kneifen Sie und sind Sprachrohr für jeden Verband
und jeden Lobbyisten, der herumläuft.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie kassieren ab!)


Auf die Anhörung zum und die Beratungen über das
Gesetz über die Fortentwicklung der ökologischen Steu-
erreform sowie darauf, wie Sie sich dabei verhalten, bin
ich schon gespannt.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Versprochen und gebrochen!)


Es müsste ja selbst zu Ihnen durchgedrungen sein, dass
gute und zukunftsfreundliche Familienpolitik immer den
Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen beinhaltet: Res-
sourcenschonung, Energieeinsparung, Nutzung umwelt-
freundlicher Technologien und nachwachsender Roh-
stoffe, das sind Lebensbedingungen für Familien und
Kinder.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Warum erhöhen Sie dann die Erdgassteuer?)


– Herr Seiffert, die Fortentwicklung der ökologischen
Steuerreform und die sie begleitenden Programme sind
gute Beiträge, diese Bedingungen für Familien zu ge-
währleisten.

Die auseinander klaffende Schere zwischen den Ein-
kommen kinderloser Haushalte und der Haushalte mit
kleinen Kindern


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Wird sich bei Ihnen noch weiter auseinander bewegen!)


wurzelt vor allem in den unzureichenden Erwerbsmög-
lichkeiten für Mütter. Frau Eichhorn, das wissen Sie doch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Besonders für Alleinerziehende wirkt sich das verhee-
rend aus.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Warum wollen Sie dann den Haushaltsfreibetrag ganz abschaffen?)


Wenn Sie ein wenig lesen würden, würden Sie erkennen,
dass im europäischen Vergleich hinsichtlich der Einkom-
mensarmut eine hohe Frauenerwerbsquote deutlich wirk-
samer ist als ein noch so hoher Familienlastenausgleich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb ist der Weg der rot-grünen Koalition, den Ausbau
von Kinderbetreuungseinrichtungen zu verstärken, un-
ausweichlich.


(Ina Lenke [FDP]: Ab 2004, also zur Hälfte der Legislaturperiode!)


Das wäre es selbst für Sie, aber bei Ihnen kommt das ja
nicht vor.

Auch in Zusammenarbeit mit vielen Unternehmen, die
Familienfreundlichkeit als positiven Standortfaktor er-
kannt haben, kommen verstärkte Bemühungen um fle-
xible Arbeitszeiten hinzu. Wie wir aus reichlicher Erfah-
rung wissen, ist der Abbau vieler lieb gewordener
Subventionen zwar sehr schwierig, aber wir werden die-
sen Weg trotzdem gehen, weil wir damit die finanziellen
Mittel erhalten, die wir für den Aufbau von Betreuungs-
einrichtungen brauchen, und weil wir damit die Qualität
von Bildung und Ausbildung stärken.

In jeder ernst zu nehmenden Studie der letzten Zeit und
vielen Verlautbarungen von zahlreichen Verbänden – von
Verbänden des Handwerks bis zur Caritas – steht, dass
eine andere Familienpolitik nötig ist. Sie haben es aber
noch nicht gemerkt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Politik muss weg von Prämien, die Frauen an Heim
und Herd binden sollen, und hin zur Vereinbarkeit von Er-
werbstätigkeit und Familie.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500711500

Frau Kollegin, denken Sie daran, dass die Redezeit in

der Aktuellen Stunde nur fünf Minuten beträgt.


Lydia Westrich (SPD):
Rede ID: ID1500711600

Wir werden die Voraussetzungen dafür schaffen. Wir

sparen bei Dienstwagen, bei Auslandsflügen, bei Speku-
lationsgewinnen und durch die Mindestgewinnbesteue-
rung. Sie können uns dabei helfen, damit die Familien-
politik auch ihren Namen verdient.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500711700

Frau Kollegin!

Lydia Westrich






Lydia Westrich (SPD):
Rede ID: ID1500711800

Nicht nur Lobbyismus pur, sondern auch Mut, die un-

bequemen Entscheidungen für mehr Gerechtigkeit zu tra-
gen, sind gefordert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Maria Eichhorn [CDU/ CSU]: So ein Quatsch! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die Gerechtigkeit heißt Abkassieren! – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Abkassieren brutal heißt das! – Ina Lenke [FDP]: Ich bin gerne Lobbyistin für Tagesmütter!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500711900

Ich möchte es für alle sagen: In der Aktuellen Stunde

sehen wir die Regelung bezüglich der fünfminütigen Re-
dezeit eng, weil es wirklich Schlag auf Schlag gehen soll.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Also bitte! Nicht Schlag auf Schlag, sondern Wort auf Wort!)


Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Elke Wülfing,
CDU/CSU.


Elke Wülfing (CDU):
Rede ID: ID1500712000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Frau Westrich, ich weiß gar nicht, was Sie gegen
Lobbyisten haben. Zusammen mit meiner Fraktion bin ich
gerne Lobbyistin für Alleinerziehende, Familien und Kin-
der.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielleicht sind auch Sie das, aber Sie setzen sich in Ihrer
Regierung und bei Herrn Eichel nicht durch.

Frau Pawelski hat eben ganz richtig festgestellt: Rot-
Grün macht arm.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: So ist es!)

Rot-Grün macht alle arm, speziell natürlich die Familien.
Wenn ich mich an den Wahlkampf erinnere – Frau Arndt-
Brauer, wir haben uns in der Gegend ab und zu gesehen –,
dann muss ich mich schon sehr über die Familienpolitik
wundern, die Sie zurzeit machen. Diese Familienpolitik
haben die Familien wirklich nicht verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Was ist eigentlich aus Ihren Versprechungen gewor-
den? Sie haben materielle Sicherheit für die Familien zu-
gesagt. Das ist doch richtig, oder? Sie haben überall ge-
fordert, das Kindergeld müsse auf 200 Euro erhöht
werden. Wo ist denn diese Erhöhung geblieben? Ich weiß,
das ist peinlich, das hören Sie nicht so gerne. Darauf kön-
nen Sie auch nicht antworten. Es ist aber nun so, dass nicht
nur das Kindergeld nicht auf 200 Euro erhöht wird, son-
dern dass leider auch viele zusätzliche Belastungen auf
die Familien zukommen werden. Das war zum Teil schon
Thema dieser Aktuellen Stunde. Aber Sie handeln immer
nach dem Motto: Was stört mich mein Geschwätz von
gestern? Sie betreiben damit Wählerbetrug. Sie verraten

die Interessen unserer Zukunft, nämlich die Interessen un-
serer Kinder.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich will noch ein paar Beispiele hinzufügen. Wenn das
Heizen in einem Haushalt teurer wird, dann trifft das aus-
gerechnet die Familien; das wissen Sie ganz genau.


(Nicolette Kressl [SPD]: Das betrifft alle!)

Wer so dämlich war, zu glauben, dass man mit einer Erd-
gasheizung umweltfreundlich und damit preiswert heizt,
ist jetzt wirklich angeschmiert. Der Ökosteuersatz für
Erdgas sollte von 3,4 Euro auf 5,7 Euro je Megawatt-
stunde steigen. Sie werden es noch als familienpolitische
Förderung verkaufen, dass er jetzt nur auf 5,5 Euro erhöht
wird. Ich warte auf diese Art von Argumentation. Das
Gleiche haben Sie bei der Eigenheimzulage gebracht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Drohung, dass dies auch für leichtes Heizöl gelten
sollte, stand schon im Raum. Das haben Sie abgewendet.
Dafür müssen Ihnen die Familien aber richtig dankbar
sein, nicht wahr?


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Wie schön ist es doch, dass Sie dabei geblieben sind,

die Ökosteuer nur um 3,5 Cent je Liter zu erhöhen. Dazu
werden wir von Ihnen sicherlich noch das eine oder an-
dere hören. Wir haben es vorhin schon gehört: Rasen für
die Rente, heizen für die Rente. Ich möchte wissen, was
man demnächst für die Rente noch alles tun muss.


(Lydia Westrich [SPD]: Einiges!)

Die Familien haben sich darüber gefreut, dass die von

Rot-Grün im letzten Jahr gestrichene Absetzbarkeit von
Haushaltshilfen zum Teil wieder eingeführt werden sollte.
Die 500-Euro-Mini-Jobs im Haushalt sollten nach dem
Hartz-Konzept vom zu versteuernden Einkommen abge-
setzt werden können. Aber das wird wohl nichts. Davor
stehen nämlich Herr Eichel oder Frau Hendricks, der
größte Feind oder die größte Feindin, die Familien an-
scheinend haben.

Ich bin gespannt, was daraus nun wird. Der eine spricht
davon, dass 10 Prozent abgesetzt werden können. Der an-
dere nennt 25 Prozent. Das sind entweder 600 Euro oder
1 500 Euro, aber nicht 6 000 Euro pro Jahr. Damit ist ein
wichtiger Anreiz, Haushaltshilfen einzustellen, genom-
men. Das wird damit zunichte gemacht.

Ihre Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die auch die
unsere ist – ich hoffe, Sie kapieren das bald –, haben Sie
auch noch in den Orkus geschmissen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lydia Westrich [SPD]: Sie müssen endlich Ihre Lösung auf den Tisch legen!)


Sie wollten doch das Hartz-Konzept zu 100 Prozent
umsetzen.


(Ernst Burgbacher [FDP]: 1 : 1!)



(A)



(B)



(C)



(D)


372


(A)



(B)



(C)



(D)






Warum machen Sie es dann nicht? Ausgerechnet im Fa-
milienbereich, wo es wirklich etwas bewirken würde, ma-
chen Sie es nicht, Frau Kressl.

Besonders sauer auf Sie dürften die Familien auch we-
gen der Eigenheimzulage sein.


(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Allerdings!)

Die 13 000 Euro, die Sie den Familien streichen, bedeu-
ten bei uns im Münsterland, dass sich Familien keine
Häuser mehr leisten können.


(Ina Lenke [FDP]: Genauso ist es!)

Viele Familien mit einem ganz normalen Einkommen ha-
ben sich dort noch Häuser leisten können. Wenn die Zu-
lage von 13 000 Euro gestrichen wird, dann geht das nicht
mehr. Ein Eigenheim ist nicht irgendetwas, ist nicht nur
der Besitz eines Hauses. Für eine Familie ist das etwas,
was den Kindern nützt und ihnen dient. Ein Haus bringt
Sicherheit.


(Lydia Westrich [SPD]: Deswegen kriegen es ja auch die Kinder!)


– Wir wollen einmal sehen, was daraus folgt. Sie sagen an
einem Tag dies, an einem anderen Tag jenes und am drit-
ten Tag wieder etwas anderes. Wer einmal lügt, dem
glaubt man nicht, Frau Westrich. Ich bin es langsam leid.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Mit der Änderung der Eigenheimzulage werden wir

uns dann befassen, wenn sie so im Gesetzblatt steht, wie
Sie es einmal hier und einmal da ankündigen. Beim Ehe-
gattensplitting ist es dasselbe. Sie haben Ihren ursprüng-
lichen Plan plötzlich nicht weiterverfolgt. Ich bin aber
davon überzeugt, dass dieses Thema nach den Landtags-
wahlen am 2. Februar 2003 wieder auf den Tisch kommen
wird.

In dieser Aktuellen Stunde geht es um die Frage, wie
sich Ihre finanz- und gesellschaftlichen Vorhaben auf die
Familien auswirken. Ihre Vorhaben wirken sich so aus,
dass Kinder in ganz normalen Familien nicht mehr so le-
ben können, wie sie es verdient haben, nämlich sicher und
mit guter Unterstützung seitens der Eltern. Sie wollen die
Einmischung des Staates in die Familien. Das ist Ihr gutes
Recht, aber unserer Meinung entspricht es nicht. Ich
meine, wir sollten Familienpolitik mit Rücksicht auf die
Situation der Eltern und Kinder in Deutschland gestalten
und nicht darauf, wie Sie es gerne hätten, Frau Marks –
nomen est omen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh! – Caren Marks [SPD]: Der war aber extrem flach!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500712100

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christel Humme,

SPD-Fraktion.


Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1500712200

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/

CSU-Fraktion, ich danke Ihnen recht herzlich für die Be-
antragung der Aktuellen Stunde.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das können Sie jede Woche haben!)


Denn wer aufmerksam zugehört hat, weiß genau, dass der
Kompetenzvorsprung in der Familienpolitik bei Rot-Grün
und nicht bei der CDU/CSU und der FDP liegt.


(Beifall bei der SPD)

Ich garantiere, dass unsere heutige Politik auch weiter-

hin erfolgreich sein wird, weil sie die Grundlagen schafft,
die auch morgen und übermorgen tragfähig sind. Darum
und um nichts anderes geht es bei den anstehenden Ent-
scheidungen gerade im Interesse von Familien. Deshalb
sind Nachhaltigkeit, Generationengerechtigkeit und Zu-
kunftssicherung Markenzeichen der rot-grünen Regie-
rung. Das war in der vergangenen Legislaturperiode so
und das wird – das garantieren wir – auch in den nächsten
vier Jahren so bleiben. Mit den anstehenden Reformen
bauen wir Brücken von der Gegenwart in die Zukunft, die
auch unsere Kinder und Kindeskinder noch sicher tragen
werden.

Mit unseren Reformen machen wir die sozialen Siche-
rungssysteme zukunftsfähig. Davon profitieren die Fami-
lien. Unsere Umsetzung der Hartz-Vorschläge stellt die
Arbeitsmarktpolitik auf ein sicheres Fundament und senkt
die Arbeitslosigkeit. Auch das kommt vor allen Dingen
den Familien zugute.

Die von uns eingeleitete Energiewende ist Ausdruck
einer nachhaltigen Umweltpolitik. Mit der Fortentwick-
lung der ökologischen Steuerreform schaffen wir beides:
Arbeitsplätze und eine lebenswerte Umwelt für unsere
Kinder.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Da bin ich aber gespannt! – Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Das sehen wir dann im nächsten Winter, wenn es 4,5 Millionen Arbeitslose gibt!)


Wir sind es, die endlich mit einer nachhaltigen Haus-
haltspolitik Ernst gemacht haben. Auch dies liegt im Inte-
resse von Familien und Kindern. Denn wenn wir heute auf
Pump leben,


(Manfred Grund [CDU/CSU]: 3,5 Prozent!)

lassen wir es zu – wie es nämlich Ihre Politik war –, dass
unsere Kinder und Enkelkinder für unsere Schulden gera-
destehen müssen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Beitragsbemessungsgrenze! Wer bezahlt das?)


Das entspricht nicht unserer Vorstellung von einer nach-
haltigen Familienpolitik.


(Beifall bei der SPD)

Zu unserem Kurs der Konsolidierung und Neugestal-

tung gibt es keine Alternativen. Ihre Wahlprogramme für
2002, liebe Kollegen und Kolleginnen von der Opposition,
liefen alle auf das eine hinaus: teure Wahlversprechen
ohne Gegenfinanzierung.

Elke Wülfing




Christel Humme


(Ina Lenke [FDP]: Quatsch! Dagegen wehre ich mich! Dann haben Sie das Programm nicht gelesen, Frau Humme!)


Das ist eine Politik, die die Lösung gegenwärtiger Pro-
bleme den uns nachfolgenden Generationen überlässt.
Das hat nichts mit Generationengerechtigkeit und sozia-
ler Gerechtigkeit zu tun und ist auch keine nachhaltige Po-
litik zugunsten der Familien.


(Beifall bei der SPD – Thomas Dörflinger [CDU/ CSU]: Aber das, was Sie tun, schon?)


Liebe Kollegen und Kolleginnen, wir haben die Fami-
lienpolitik in den vergangenen vier Jahren ohne ideologi-
sche Scheuklappen der Lebenswirklichkeit angepasst.


(Ina Lenke [FDP]: Sechs Kinder für die Eigenheimzulage!)


Sie, meine Damen und Herren von der Union, wollen
– das ist der Unterschied zu uns – die Lebenswirklichkeit
ständig Ihren politischen Vorstellungen anpassen. Das
geht aber gründlich schief.

Wenn Sie zu Hause alles im Griff haben, Herr
Dörflinger, dann ist das zwar in Ordnung, aber ich rate Ih-
nen, auch einmal über den Tellerrand zu schauen.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Was für ein Quatsch!)


Dann wüssten Sie, dass 80 Prozent der jungen Frauen und
Männer eine Familie haben, aber auch erwerbsfähig sein
wollen.


(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Dagegen ist doch nichts zu sagen!)


70 Prozent der Frauen mit kleinen Kindern wollen arbei-
ten. Das müssen auch Sie einmal zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei der SPD – Thomas Dörflinger [CDU/ CSU]: Das ist doch gar nicht unser Problem! Wir haben doch kein Problem damit!)


Wenn sich so viele Frauen wie bei uns gegen Kinder
entscheiden, dann lösen Sie dieses Problem nicht mit ei-
ner Trost- und Zuhausebleibprämie, mit Ihrem Familien-
geld.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden! – Maria Eichhorn [CDU/ CSU]: Das wird nicht wahrer, wenn Sie es immer wieder sagen!)


Mit Sicherheit schon deshalb nicht, weil Sie dieses Geld
unabhängig vom Einkommen an alle zahlen, also auch an
die gut verdienenden Abgeordneten. Das ist nicht die Lö-
sung, die wir anstreben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Schauen wir nicht in sozialistische Länder – Sie zitie-
ren gern aus entsprechenden Berichten in der „FAZ“ –,
schauen wir in unsere europäischen Nachbarländer, die
weit weg sind vom Sozialismus, die genauso demokrati-
sche Staaten sind wie wir. Schauen wir in diese Nachbar-
länder, schauen wir nach Frankreich und Skandinavien.

Dort gibt es eine höhere Frauenerwerbsquote und eine
höhere Geburtenrate.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Da haben sie Ganztagsschulen! Hätten wir auch gern!)


Dort können sich Frauen, wenn sie wollen, für Kinder ent-
scheiden, ohne auf Erwerbstätigkeit zu verzichten. Gute
Bildungs- und Betreuungsangebote machen es möglich.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Da gibt es ja auch keinen Widerspruch!)


Das ist ein zukunftsweisender Weg.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Da laufen Sie bei uns offene Türen ein!)


Frau Pawelski, gleichzeitig lösen wir mit einem besse-
ren Bildungs- und Betreuungsangebot das Problem der
Kinder- und Familienarmut und wir helfen vor allen Din-
gen Alleinerziehenden. Nach wie vor sind 60 Prozent der
Alleinerziehenden Sozialhilfeempfänger, die dringend
darauf warten, dass wir ihnen das Betreuungsangebot ge-
ben, das sie brauchen, um endlich erwerbstätig sein zu
können, und das mit Kindern.


(Beifall bei der SPD)

Das genau ist der Grund, warum wir unsere Bildungs-

und Betreuungssituation dem internationalen Standard
anpassen. Es geht in der nächsten Zeit darum, unsere
knappen finanziellen Mittel effizient einzusetzen. Wir
werden das tun, so wie wir das in den vier Jahren der letz-
ten Legislaturperiode getan haben. Wir werden das tun
mit 4 Milliarden Euro für die Ganztagsbetreuung und
1,5 Milliarden Euro für die Betreuung von Kindern unter
drei Jahren.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Das reicht aber nicht! Schaffen Sie doch eine ordentliche Finanzierung!)


Diese Politik nützt den Frauen, den Familien und uns al-
len, weil sie nämlich gleichzeitig die Bildungschancen
verbessert.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500712300

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gesine Lötzsch,

PDS.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Fraktionslos! Das ist ein Unterschied!)

– Ich habe nicht die Fraktion, sondern die Parteizu-
gehörigkeit genannt.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1500712400

Vielen Dank. Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Sehr geehrte Gäste! Diese Debatte im Deutschen
Bundestag wird sicher eine der Debatten dieser Legis-


(A)



(B)



(C)



(D)


374


(A)



(B)



(C)



(D)






laturperiode sein, bei der die meisten Frauen gesprochen
haben. Wenn es einerseits sehr erfreulich ist, dass Frauen
politisch aktiv sind und auch das Wort ergreifen, ist es ge-
rade in dieser Debatte wiederum ein Zeichen dafür, dass
man die Verantwortung für die Familien vor allen Dingen
den Frauen zuweist.


(Ina Lenke [FDP]: Ja, machen Sie es doch anders! – Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass ich keine Frau bin?)


In der Koalitionsvereinbarung wird die Vereinbarkeit
von Kindern und Beruf als ein zentrales gesellschaftspo-
litisches Reformvorhaben festgeschrieben und dazu will
die Bundesregierung Ganztagsschulen und Krippen
schaffen. Wir als PDS halten das Reformvorhaben für
richtig und wichtig. Die Bundesregierung kann sich bei
der Umsetzung dieses Projektes vertrauensvoll an uns
wenden; denn viele unserer guten Kommunalpolitikerin-
nen und Kommunalpolitiker in Ostdeutschland haben in
der Frage der Ganztagsbetreuung langjährige Erfahrun-
gen. So gut und nützlich Studienreisen nach Finnland und
Dänemark sind, ich denke, man kann manchmal auch sa-
gen: Das Gute liegt so nah. Man kann sich über die Er-
fahrungen vor Ort informieren. Ich lade Sie, Frau Staats-
sekretärin, gern in meinen Wahlkreis Lichtenberg ein. Das
ist kostengünstiger; es kostet nur eine Fahrkarte der BVG.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das kann sie in Halle-Neustadt genauso gut machen!)


Ich möchte gern noch auf ein gravierendes Problem
hinweisen. Mit der Ausweitung der Betreuungsangebote
allein werden Sie Ihre Reform nicht erfolgreich umsetzen
können; denn eine Erfahrung haben wir in Ostdeutschland
schon in den letzten zehn Jahren gemacht: Wir haben im
Osten eine ausreichende Zahl von Krippen und Kinder-
gärten; in den Kommunen müssen diese sogar aufgrund
des dramatischen Geburtenrückgangs abgebaut werden.
Das Problem sind hier nicht in erster Linie die Betreu-
ungsangebote für die Kinder, sondern die fehlenden
Arbeitsplätze für Mütter und Väter.

Meine Damen und Herren, bei der Finanzierung dieser
Reform stellen sich jedoch eine Reihe von Fragen. Der
Bund will den Kommunen ab 2004 1,5 Milliarden Euro
pro Jahr zur Verfügung stellen. Das ist nicht wirklich viel
Geld. Hinzu kommt aber, dass diese Mittel durch die Um-
setzung des Hartz-Konzepts erst noch erwirtschaftet wer-
den sollen. Die eingesparten Mittel dürfen die Kommunen
für eine bessere Kinderbetreuung einsetzen. Das ist ein

ungedeckter Wechsel. Meine Erfahrung mit den Refor-
men der letzten Bundesregierung ist, dass sie selten zu
mehr Geld für die Kommunen geführt haben.


(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])

Was passiert also, wenn das Hartz-Konzept nicht so
schnell greift, wie sich die Bundesregierung das vorstellt?

Die Bundesregierung will eine bedarfsgerechte Be-
treuungsquote für Kinder unter drei Jahren von mindes-
tens 20 Prozent erreichen. Die Frage für Ostdeutschland
ist aus meiner Sicht, ob bei Übererfüllung des 20-Prozent-
Ziels auch Mittel für die qualitative Verbesserung der
Bausubstanz und der Betreuung verwendet werden kön-
nen, zum Beispiel für die Sanierung von Krippen und
Kindergärten oder für die Verbesserung des Betreuungs-
schlüssels, für die Verkleinerung der Gruppen oder für die
bilinguale Erziehung.

Ihr Konzept setzt bei der Krippe an. Warum setzen Sie
eigentlich nicht bei der Geburt an? Die leider viel zu früh
verstorbene Sozialministerin von Brandenburg, Regine
Hildebrandt, Ihre Parteifreundin, hat dort ein Begrü-
ßungsgeld von 1 000 DM pro Kind eingeführt. Dann
wurde in Brandenburg das Geld knapp und diese Initiative
wurde wieder eingestellt. Es gibt doch sicher ein paar
reiche Kommunen, die ein solches Begrüßungsgeld fi-
nanzieren könnten. Vielleicht sollte die Ministerin diese
Initiative ihrer Parteifreundin Hildebrandt aufgreifen und
für jedes in der Bundesrepublik geborene Kind ein Begrü-
ßungsgeld von 1 000 Euro einführen. Sie können sicher
sein: Die Statistiker werden in ein paar Jahren von einem
positiven Geburtenknick sprechen, der dann vielleicht der
„Schmidt-Effekt“ heißen wird.

Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500712500

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-

nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-

tages auf morgen, Donnerstag, den 7. November 2002,
9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.