Frau Ministerin, Sie haben bei Ihren Ausführungen
einmal mehr darauf hingewiesen, dass Sie in der Ein-
führung von Ganztagsschulen einen Weg zur Überwin-
dung der Bildungsdefizite sehen, die die OECD-Studie
ausweist. Nun ist jedem, der sich einmal in der Schulpra-
xis mit der Umsetzung von Ganztagsschulkonzepten be-
schäftigt hat, bekannt, dass sich hinter dem Begriff Ganz-
tagsschule zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze
verbergen können.
Bei dem einen versteht man darunter eine Betreuungs-
einrichtung ergänzend zu einer üblichen Halbtagsschule;
die Schule nähme also unter ihrem Dach Betreuungsan-
gebote im Sinne des Kinder- und Jugendhilfegesetzes
wahr. Diese wären fakultativ, die Teilnahme wäre also in
keiner Weise obligatorisch.
Der andere Ansatz – auf den müssten Sie verweisen,
wenn Ihnen beispielsweise das finnische Modell vor-
schwebt – sieht eine ganztägige Betreuung im Sinne einer
Unterrichtsbetreuung vor. Das hätte zwangsläufig eine
Ausweitung der Schulpflicht zur Folge.
Ich bedauere etwas, dass Sie bei Ihren Verweisen auf
die Ganztagsschulen bisher in diesem, für mich entschei-
denden Punkte eine Präzisierung vermissen lassen. Des-
halb möchte ich Sie fragen, welcher der von mir genann-
ten Typen aus Ihrer Sicht eine Überwindung der
Bildungsdefizite in Deutschland verspricht.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Sie wissen, dass die Zuständigkeit für die Schulen bei
den Ländern liegt.
Wir machen aber in Form der fünf Punkte, die ich genannt
habe, den Ländern ein Angebot, um in einem gemeinsa-
men Kraftakt unser Bildungssystem zu verbessern. Das
halte ich auch für notwendig, weil wir erreichen müssen,
dass wir in zehn Jahren wieder zu den Nationen mit der
besten Bildung gehören. Das werden wir nicht in ein oder
zwei Jahren schaffen, aber innerhalb von zehn Jahren
müssen wir es schaffen. Das Ganztagsschulangebot ist bei
diesem Vorhaben eine wichtige Säule – neben den ande-
ren, die ich genannt habe. Dazu gehört sozusagen als
sechste Säule auch noch die Veränderung der Lehreraus-
bildung und die Lehrerfortbildung.
Die Ganztagsschule ist in Finnland so organisiert, dass
dort Personal mit unterschiedlichen Kompetenzen einbe-
zogen wird. Das auch in Deutschland so zu machen halte
ich für sinnvoll und richtig. Ich sage ausdrücklich: Eine
Ganztagsschule ist keine Schule im traditionellen Sinne,
wo die bisherigen 45-minütigen Unterrichtsstunden zum
Teil einfach bis in den Nachmittag verlängert werden.
Hier soll auch viel stärker projektorientiert gearbeitet
werden und den musischen Fächern wieder ein höherer
Stellenwert zukommen. Ich halte es beispielsweise für
richtig, dass ein Kind die Möglichkeit hat, in der Schule
ein Musikinstrument zu erlernen. Das ist im üblichen Un-
terrichtsstundenrahmen im Augenblick schwer unterzu-
bringen.
Mir ist es deshalb wichtig, deutlich zu machen, dass
eine Ganztagsschule eine Schule ist, in der Begabungen
und Fähigkeiten von Kindern besser gefördert werden.
Dafür brauchen wir Lehrerinnen und Lehrer, aber auch
Menschen mit anderen Kompetenzen und Fähigkeiten.
Diese Aufgabe, die ich für sehr wichtig halte, haben wir
gemeinsam mit den Ländern, Städten und Gemeinden zu
meistern, damit wir hier Fortschritte und Erfolge erzielen.