Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich
drei Kollegen, die einen runden Geburtstag gefeiert ha-
ben, nachträglich gratulieren: Der Kollege Rainer Funke
feierte am 18. November seinen 60. Geburtstag, der Kol-
lege Dr. Schwarz-Schilling am 19. November seinen
70. Geburtstag und Vizepräsident Dr. Solms am 24. No-
vember seinen 60. Geburtstag. Im Namen des Hauses
spreche ich den drei Kollegen unsere besten Glückwün-
sche aus.
– Mir wird zugerufen, dass der Kollege Uldall 60 Jahre alt
wird.
– Da sehen Sie einmal, wie „schlecht“ die Verwaltung
funktioniert. Herzlichen Glückwunsch nachträglich!
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen
vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Hintze, Peter
Altmaier, Renate Blank, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU: Der Europäische Rat von Nizza muss
zum Erfolg für Europa werden – Drucksache 14/4732 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert,
Dr. Heinrich Fink, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der PDS: Klarheit des Begriffs Mensch in EU-
Grundrechte-Charta sichern und Menschenwürde umfas-
send gewährleisten – Drucksache 14/4720 –
ZP 3 Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
das Verbot des Verfütterns, des innergemeinschaftlichen
Verbringens und der Ausfuhr bestimmter Futtermittel –
Drucksache 14/4764 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
ZP 4 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren
Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Diemers, Karl-
Josef Laumann, Bernd Neumann , weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion CDU/CSU: Verbesserung des Programm-
angebots für Schwerhörige, Gehörlose, Sehbehinderte und
Blinde im Fernsehen und den neuen Medien – Drucksache
14/4385 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Kultur und Medien
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit er-
forderlich, abgewichen werden.
Des Weiteren soll der Einzelplan 09, Wirtschaft und
Technologie, bereits am Mittwoch als letzter Tagesord-
nungspunkt aufgerufen werden.
Außerdem mache ich auf eine geänderte Ausschuss-
überweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerk-
sam:
Der in der 133. Sitzung des Deutschen Bundestages über-
wiesene nachfolgende Antrag soll nunmehr feder-
führend an den Rechtsausschuss und an den Ausschuss
für Kultur und Medien zurMitberatung überwiesen wer-
den.
Bonitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU: Sachgerechter Schutz der
Rechte für Software – Drucksache 14/4384 –
überwiesen:
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
13023
135. Sitzung
Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Beginn: 9.00 Uhr
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Eidesleistung des Bundesministers fürVerkehr,
Bau- und Wohnungswesen.
Der Herr Bundespräsident hat mir mit Schreiben vom
20. November 2000 Folgendes mitgeteilt:
Gemäß Art. 64 Abs. 1 des Grundgesetzes für die
Bundesrepublik Deutschland habe ich heute auf Vor-
schlag des Herrn Bundeskanzlers den Bundesminis-
ter für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Herrn
Reinhard Klimmt, aus seinem Amt als Bundesminis-
ter entlassen.
Weiterhin hat mir der Herr Bundespräsident mit
Schreiben vom 20. November 2000 mitgeteilt:
Gemäß Art. 64 Abs. 1 des Grundgesetzes für die
Bundesrepublik Deutschland habe ich heute auf Vor-
schlag des Herrn Bundeskanzlers Herrn Kurt
Bodewig zum Bundesminister für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen ernannt.
Nach Art. 64 Abs. 2 des Grundgesetzes leistet ein Bun-
desminister bei der Amtsübernahme den in Art. 56 des
Grundgesetzes vorgesehenen Eid.
Herr Bundesminister Bodewig, ich darf Sie zur Eides-
leistung zu mir bitten.
Ich darf Sie nun bitten, den Eid zu sprechen.
Kurt Bodewig, Bundesminister für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen: Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem
Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen meh-
ren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die
Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine
Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen
jedermann üben werde.
Ich darf Ihnen im Na-men des ganzen Hauses unsere herzlichen Glückwünscheaussprechen.
Herr Bundesminister Kurt Bodewig hat den vomGrundgesetz vorgeschriebenen Eid geleistet. Ich darf Ih-nen nochmals im Namen des ganzen Hauses die bestenWünsche aussprechen. Zugleich wünschen wir demausgeschiedenen Bundesminister Reinhard Klimmt fürseine weitere Zukunft alles Gute.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 j sowiedie Zusatzpunkte 1 und 2 auf:2 a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierungzum bevorstehenden Europäischen Rat in Nizzavom 7. bis 9. Dezember 2000b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für die Angelegenheitender Europäischen Union
– zu dem Antrag der Abgeordneten GünterGloser, Hermann Bachmaier, Hans-WernerBertl, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPD sowie der Abgeordneten ChristianSterzing, Ulrike Höfken, Claudia Roth, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENEuropäischer Rat in Feira – Europa ent-schlossen voranbringen– zu dem Antrag der Abgeordneten PeterHintze, Peter Altmaier, Dr. Ralf Brauksiepe,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derCDU/CSUInnere Reform der Europäischen Union –Stand der Regierungskonferenz – Stabilitätdes Euro – Haltung zu Österreich– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. HelmutHaussmann, Hildebrecht Braun ,Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der F.D.P.Mutige EU-Reform als Voraussetzung füreine erfolgreiche Erweiterung– Drucksachen 14/3514, 14/3377, 14/3522,14/4457 –Berichterstattung:Abgeordnete Michael Roth
Peter AltmaierChristian SterzingDr. Helmut HaussmannDr. Gerd MüllerSabine Leutheusser-SchnarrenbergerUwe Hikschc) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für die Angelegenheitender Europäischen Union
– zu dem Entschließungsantrag der Abgeord-neten Dr. Jürgen Meyer , Joachim Poß,Günter Gloser, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPD sowie der AbgeordnetenClaudia Roth , Christian Sterzing,Volker Beck , weiterer Abgeordneterund der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN zur vereinbarten Debatte zur EU-Grundrechte-Charta– zu dem Antrag der Abgeordneten WolfgangBosbach, Peter Hintze, Norbert Geis, weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSUEntwurf der Charta der Grundrechte derEuropäischen Union– zu dem Antrag der Abgeordneten SabineLeutheusser-Schnarrenberger, Ina Albowitz,Hildebrecht Braun , weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der F.D.P.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Präsident Wolfgang Thierse13024
Europäische Grundrechte-Charta als Eck-stein einer europäischen Verfassung– Drucksachen 14/4269, 14/4246, 14/4253,14/4584 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer
Peter AltmaierClaudia Roth
Sabine Leutheusser-SchnarrenbergerUwe Hikschd) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für die Angelegenheitender Europäischen Union
– zu dem Entschließungsantrag der Fraktio-nen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENzu der Abgabe einer Erklärung der Bundesre-gierung zu den Ergebnissen der Sondertagungdes Europäischen Rates vom 23./24. März2000 in Lissabon– zu dem Entschließungsantrag der Fraktionder CDU/CSU zu der Abgabe einer Erklärungder Bundesregierung zu den Ergebnissen derSondertagung des Europäischen Rates vom23./24. März 2000 in Lissabon– Drucksachen 14/3099, 14/3101, 14/3903 –Berichterstattung:Abgeordnete Günter GloserPeter HintzeChristian SterzingDr. Helmut HaussmannManfred Müller
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für die Angelegenheitender Europäischen Union zu demAntrag der Fraktion der CDU/CSURegierungskonferenz 2000 und Osterweite-rung – Herausforderungen für die EuropäischeUnion an der Schwelle zum neuen Millennium– Drucksachen 14/2233, 14/3472 –Berichterstattung:Abgeordnete Winfried ManteMarkus MeckelMichael Roth
Peter HintzeMichael StübgenPeter AltmaierChristian SterzingSabine Leutheusser-SchnarrenbergerDr. Helmut HaussmannManfred Müller
f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für die Angelegenheitender Europäischen Union zu demAntrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann,Hildebrecht Braun , Rainer Brüderle,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Beziehungen zu Österreich normalisieren– Drucksachen 14/3187, 14/4323 –Berichterstattung:Abgeordnete Michael Roth
Gerd HöferMarkus MeckelArnold VaatzChristian Schmidt
Christian SterzingDr. Helmut LippeltDr. Helmut HaussmannUwe Hikschg) Beratung des Antrags der Abgeordneten WolfgangGehrcke, Dr. Gregor Gysi, Uwe Hiksch, weitererAbgeordneter und der Fraktion der PDSDie Europäische Union als Zivilmacht aus-bauen– Drucksache 14/4653 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger AusschussVerteidigungsausschussh) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. KlausGrehn, Uwe Hiksch, Dr. Gregor Gysi, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der PDSFür eine verbindliche und erweiterbare Euro-päische Charta der Grundrechte– Drucksache 14/4654 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger AusschussInnenausschussRechtsausschussAusschuss für Arbeit und Sozialordnungi) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierung60. Bericht der Bundesregierung über die Inte-gration der Bundesrepublik Deutschland in die
– Drucksache 14/3434 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUnion
Auswärtiger AusschussSportausschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenVerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Angelegenheiten der neuen LänderAusschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzungAusschuss für TourismusHaushaltsausschuss
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Präsident Wolfgang Thierse13025
j) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungBericht über die Anwendung des Subsidiari-
– Drucksache 14/4017 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUnion
RechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenAusschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten PeterHintze, Peter Altmaier, Renate Blank, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der CDU/CSUDer Europäische Rat von Nizza muss zum Er-folg für Europa werden– Drucksache 14/4732 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUnion
Auswärtiger AusschussInnenausschussRechtsausschussVerteidigungsausschussZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. IljaSeifert, Dr. Heinrich Fink, Dr. Ruth Fuchs, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der PDSKlarheit des Begriffs Mensch in EU-Grund-rechte-Charta sichern und Menschenwürdeumfassend gewährleisten– Drucksache 14/4720 –Zur Erklärung der Bundesregierung zum bevorstehen-den Europäischen Rat in Nizza liegen ein Entschließungs-antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/DieGrünen und ein Entschließungsantrag der Fraktion derPDS vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dieAussprache im Anschluss an die Regierungserklärungzwei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch.Dann ist so beschlossen.Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hatHerr Bundeskanzler Gerhard Schröder.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! In der kommenden Wochewerden die Staats- und Regierungschefs der EuropäischenUnion beim Europäischen Rat in Nizza zusammenkom-men.Auf diesem Gipfeltreffen zum Ende der französischenPräsidentschaft geht es – nicht nur nach meiner Auffas-sung – um wegweisende Entscheidungen. Nizza muss einEuropäischer Rat werden, auf dem die Weichen für die Zu-kunft der Europäischen Union gestellt werden. Diese Auf-gabe wird deutlich an den Themen, die den EuropäischenRat bestimmen werden: die Regierungskonferenz zu deninstitutionellen Reformen und zu der künftigen Entwick-lung der Union, die Ausgestaltung der europäischenSicherheits- und Verteidigungspolitik sowie die gemein-same Proklamation der Grundrechte-Charta der Europä-ischen Union durch das Europäische Parlament, den Ratund die Kommission.In Nizza geht es vor allen Dingen darum, vonseiten derEuropäischen Union die letzten internen Hindernisse fürdie Erweiterung aus dem Weg zu räumen. Uns Deut-schen ist die Erweiterung ein besonderes Anliegen, nichtnur, weil wir zu unserer historischen Verantwortung ste-hen. Auch aus wohlverstandenem Eigeninteresse habenwir uns immer als Anwalt der beitrittswilligen Staatenverstanden.Wir, die Deutschen, wollen die Erweiterung der Euro-päischen Union nach Osten und nach Südosten, weil sieim wirtschaftlichen und natürlich auch im politischen In-teresse Deutschlands liegt, und wir wollen sie so rasch,wie es irgend möglich ist. Wir müssen jetzt die institutio-nellen Reformen verabschieden, damit, wie in den Be-schlüssen von Helsinki vorgesehen – die EuropäischeUnion ab Ende 2002, also Anfang 2003 in der Lage ist,neue Mitgliedstaaten aufzunehmen. Die jüngsten Fort-schrittsberichte der Europäischen Kommission zu deneinzelnen Beitrittsländern haben gezeigt, dass deren Re-formen gut vorankommen. Die EU der 15 Mitgliedstaatenmuss und wird nun ihrerseits Bedingungen dafür schaf-fen, dass eine starke Union mit mehr als 20 Mitgliedernentstehen kann.Wir wollen aber keine Erweiterung auf Kosten derHandlungsfähigkeit der Union. Deshalb müssen wir inNizza die Effizienz, Legitimität und Transparenz der Eu-ropäischen Union auf Dauer sichern. Nur auf diese Weisekönnen wir die Erweiterung zu einem Erfolg für uns allewerden lassen.
In dieser Reformdiskussion geht es auch um dieFrage, wie wir Europa weiter ausgestalten wollen. Für dieBundesregierung steht dabei außer Zweifel, dass der Wegder weiteren Integration der richtige Weg ist. Mit demEintritt in die Wirtschafts- und Währungsunion, der Erar-beitung einer gemeinsamen Justiz- und Innenpolitik undder Schaffung einer sicherheits- und verteidigungspoliti-schen Dimension hat die Europäische Union einen Inte-grationsstand erreicht, der – anders, als manche glauben –mit bloßer intergouvernementaler Zusammenarbeit nichtzu halten sein wird.
Das ist der Grund, weshalb sich die Bundesregierungnachdrücklich zur Fortsetzung der Integration mit starkeneuropäischen Institutionen bekennt. Wir wollen einestarke Kommission. Aber im Gegenzug erwarten wir, dasssich die Kommission bei der Ausübung ihrer umfangrei-chen Kompetenzen Zurückhaltung auferlegt, dass sie dasSubsidiaritätsprinzip ernst nimmt. Wir wollen ein starkesParlament und wir wollen einen handlungs- und be-schlussfähigen Rat, in dem die Mitgliedstaaten eine wich-tige Rolle in der Ausübung einer effizienten europäischenPolitik spielen können. Dabei muss jedoch gelten: Für ge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Präsident Wolfgang Thierse13026
meinsam getroffene Entscheidungen müssen die Beteilig-ten auch in ihrem jeweiligen Bereich die politische Ver-antwortung übernehmen.Die Bundesregierung hat in intensiven Gesprächenversucht, mögliche Kompromisslinien für ein substanzi-elles Ergebnis in Nizza auszuloten. Beim deutsch-französischen Gipfel in Vittel, in den Gesprächen mitPremierminister Blair und Premierminister Juncker, Bun-deskanzler Schüssel, den Ministerpräsidenten Kok,Rasmussen, Verhofstadt und Amato sowie bei meinenBegegnungen mit der Präsidentin des Europäischen Par-laments habe ich den festen Willen gespürt, zu einemwirklich tragfähigen Ergebnis zu kommen. Alle Ge-sprächspartner haben ihre Bereitschaft signalisiert, aufnationale Maximalpositionen zu verzichten und sich kon-struktiv an der Suche nach belastbaren Kompromissen zubeteiligen. Solche Kompromisse – das wissen Sie alle –werden nicht zuletzt in Nizza angestrebt werden müssen.Dieses schwierige Dossier ist bei der französischen Präsi-dentschaft – jedenfalls nach deutscher Auffassung – inguten Händen. Wir wollen ihr bei der Lösung der beste-henden Probleme, soweit es in unserer Macht steht, hel-fen. Deutschland und Frankreich sind sich ihrer besonde-ren europäischen Verantwortung bewusst und nehmen sieim Geiste der engen freundschaftlichen Beziehungen zwi-schen Deutschland und Frankreich wahr.Wenn wir in Nizza den Weg für die Erweiterung derEuropäischen Union nach Osten und Südosten frei ma-chen, wird dieser Gipfel einen historischen Wendepunktin der Geschichte der europäischen Einigung markieren.Er wird entscheidend voranbringen, worum sich alle Eu-ropäer während des vergangenen Jahrzehnts intensivbemüht haben: die Spaltung des Kontinents endgültig zuüberwinden und Europa wieder zu kultureller, wirtschaft-licher und politischer Einheit zu führen.
Meine Damen und Herren, Sie alle kennen die zentra-len Fragen, die sich der Regierungskonferenz stellen undden Gipfel in Nizza bestimmen werden. Deshalb möchteich nur kurz skizzieren, welche Ergebnisse die Bundesre-gierung von den Verhandlungen in Nizza erwartet undwelches unsere wichtigsten Aufgaben sein werden. EinFesthalten am bisher geltenden Einstimmigkeitsprinzipwäre, insbesondere für den Fall der Erweiterung der Eu-ropäischen Union, gleichbedeutend mit einer Selbst-blockade der Europäischen Union. Deshalb ist es – nichtzuletzt auch für uns – wichtig, in einer erweiterten UnionBeschlüsse so weit wie möglich mit qualifizierter Mehr-heit fassen zu können.
Zur Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit gehörtnach unserer Auffassung immer dann, wenn es um Ge-setzgebung auf europäischer Ebene geht – ich betone: umGesetzgebung auf europäischer Ebene –, auch die Mit-entscheidung des Europäischen Parlaments; seine Kon-troll- und Legislativfunktionen müssen weiter gestärktwerden.
Mit den Ländern haben wir darin Einigkeit erzielt, dasPrinzip der Mehrheitsentscheidung auf möglichst vieleBereiche anzuwenden. Nach unserer Vorstellung sollte esnur bei Erfüllung strenger Kriterien eine Ausnahme vomPrinzip der Mehrheitsentscheidung geben, beispielsweisebei ratifizierungsbedürftigen Beschlüssen sowie bei Be-schlüssen mit konstitutionellem Charakter oder mit ver-teidigungspolitischen Bezügen. Darüber hinaus – das giltauch für besondere deutsche Anliegen – sollten wir uns inBereichen, die aus verständlichen Gründen für einzelneMitgliedstaaten sensible Fragen berühren, auf differen-zierte Lösungen verständigen. Ich denke, das wird sich er-reichen lassen.Allerdings haben wir bisher im Kreis der Partner fürunsere Vorstellungen zur qualifizierten Mehrheit nochnicht überall die Unterstützung gefunden, die wir uns er-hoffen; diese Frage muss offen diskutiert werden. Diesgilt insbesondere für die Anwendung der qualifiziertenMehrheit im Bereich der gemeinsamen Außen- und Si-cherheits- sowie der Innen- und Justizpolitik. Aber, meineDamen und Herren, das wird und darf uns nicht daran hin-dern, mit allem Nachdruck und der Unterstützung vor al-lem auch des Europäischen Parlamentes weiter für unsere,wie wir meinen, richtigen Positionen zu werben.
Es gibt einen Zusammenhang, den man nicht überse-hen darf: Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit er-fordern vor allem aus Legitimitätsgründen, dass dasStimmengewicht der einzelnen Mitgliedstaaten stärker anden Realitäten orientiert wird.Ich will ein Beispiel nennen: Es kann nicht sein, dasskünftig in einer erweiterten Union Deutschland mit mehrals 80 Millionen Einwohnern über zehn Stimmen im Ratverfügt, während 19 kleinere Länder, die zusammen nochnicht einmal auf 80 Millionen Bürgerinnen und Bürgerkommen, im Rat 57 Stimmen hätten, wenn man das nichtänderte.Eine stärkere Rücksicht auf demographische Tatsachenmuss auch für die Zusammensetzung des EuropäischenParlamentes gelten. Das Parlament selbst hat zu diesemThema Überlegungen entwickelt, die aus unserer, ausdeutscher Sicht eine gute Grundlage für eine Entschei-dung bilden.Mittlerweile wird von allen Partnern ausdrücklich an-erkannt, dass das derzeitige System der Stimmengewich-tung im Rat nicht einfach fortgeschrieben werden kann.Allerdings – das gilt es einzuräumen – liegen die Vorstel-lungen darüber, wie der Bevölkerungszahl konkret zumehr Geltung verholfen werden soll, noch auseinander.Für Deutschland – das will ich hier ausdrücklich beto-nen – ist sowohl eine reine Neugewichtung der Stimmenals auch das Prinzip der doppelten Mehrheit akzeptabel,also eine Abstimmung zunächst nach dem Kriterium „Je-dem Staat eine Stimme“ und dann im zweiten Durchgangeine Abstimmung nach dem Kriterium der Einwohner-zahl. Aber ich betone noch einmal: Für Deutschland istauch eine einfache Stimmengewichtung akzeptabel.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundeskanzler Gerhard Schröder13027
Für welches Verfahren sich die Konferenz in Nizzaschließlich entscheiden wird, lässt sich derzeit nicht klarsagen. Die Reise der französischen Präsidentschaft durchdie Mitgliedstaaten ist im Gange bzw. steht in vielen Mit-gliedstaaten noch bevor. Ich gehe davon aus, dass die Prä-sidentschaft ihren abschließenden Vorschlag erst nach derüblichen Präsidentschaftsreise durch die Mitgliedstaatenvorlegen wird. Ich betone aber noch einmal ausdrücklich,dass Deutschland sowohl gegenüber dem Prinzip einereinfachen Neugewichtung der Stimmen als auch gegen-über dem Prinzip der doppelten Mehrheit, die ich erläuterthabe, aufgeschlossen ist. Man muss sehen: Es besteht eineenge Verbindung zwischen dem Stimmengewicht der ein-zelnen Mitgliedstaaten, der Regelung der Mehrheitsent-scheidungen und selbstverständlich auch der Größe derKommission.Ein starkes Europa – das ist gewiss – braucht einestarke Kommission. Der Kommission ist es nicht zuletztaufgetragen, über den Binnenmarkt und über die Einhal-tung der Verträge zu wachen. Deshalb – das betone ichhier ausdrücklich – will Deutschland eine unabhängige,eine handlungsfähige und eine selbstbewusste Kommis-sion mit einem starken Präsidenten, der in der Perspektiveauch über eine klare Richtlinienkompetenz verfügenmuss.Dazu gehört aber auch – ich habe dies bei meinemjüngsten Besuch in Brüssel deutlich gemacht –, dass dieKommission die ihr aufgetragenen Aufgaben mit Augen-maß und mit Zurückhaltung ausübt. Europäisches Rechtmuss gewiss eingehalten werden. Aber dann müssen dieentsprechenden Entscheidungen aus Brüssel auch nach-vollziehbar sein.
Wenn die Kommission Entscheidungen trifft, die Auswir-kungen auf einzelne Mitgliedstaaten und auf einzelne Re-gionen haben, dann muss die Kommission dafür auch er-kennbar politische Verantwortung übernehmen. Nur so,denke ich, lassen sich auf Dauer die Unterstützung unddas Verständnis der Bürgerinnen und Bürger für die Ent-scheidungen der Gremien in Brüssel und in Straßburg ge-winnen.Zugleich brauchen wir eine Kommission, deren Größeund Zusammensetzung sich nach ihren Aufgaben richtet.Gemeinsam mit Frankreich und anderen Mitgliedstaatensind wir dafür eingetreten, die Zahl der Kommissare zubegrenzen. Es kann nicht sein, dass die Europäische Kom-mission mit jeder Erweiterung größer wird, ohne dass fürdie Vielzahl der Kommissare jeweils eigenständige Ver-antwortungs- und Zuständigkeitsbereiche vorliegen.
Wir wollen gewiss keine Europäische Union, in der esMitgliedstaaten erster und zweiter Klasse gibt. Geradedeshalb habe ich beim Rat in Biarritz in Absprache mit ei-nigen Partnern vorgeschlagen, die Begrenzung der Größeder Kommission mit einem gleichberechtigten Rotations-system zu kombinieren, in dem kein Mitgliedstaat, auchnicht die größeren, ein automatisches Recht besitzt, einenKommissar zu stellen. Das ist nicht zuletzt deshalb sach-gerecht, weil die Kommissare nach der Konstruktion derKommission eben keine Vertreter der Mitgliedstaaten seinsollen; vielmehr sollen sie gleichsam das Gemeinschafts-interesse definieren und über das Gemeinschaftsinteressewachen.Ich habe Zweifel, ob diese Vorstellung nicht nurDeutschlands, sondern auch Frankreichs und anderer Mit-gliedstaaten sofort umzusetzen sein wird, Zweifel des-halb, weil es eine Reihe wichtiger kleiner und mittlererStaaten gibt, die auf eine Präsenz in der Kommission nichtoder noch nicht verzichten wollen. Da die Entscheidun-gen indessen, wie Sie wissen, dem Einstimmigkeitsprin-zip unterliegen, wird man sich auch in dieser Frage um ei-nen Kompromiss bemühen müssen.Die Kommission ist die europäische Institution par ex-cellence. Sie muss an europäischen Notwendigkeiten aus-gerichtet werden. Die Kommission ist eben nicht die Ver-tretung der Mitgliedstaaten in Brüssel. Mein Eindruck ist,dass wir für diese Ansicht noch werben müssen.Große Fortschritte haben wir in den letzten Wochen ineinem Bereich erzielt, dem ich persönlich immer beson-dere Bedeutung zugemessen habe, dem Ausbau der Re-gelungen zur verstärkten Zusammenarbeit innerhalbdes Gemeinschaftsrahmens, ich betone: innerhalb des Ge-meinschaftsrahmens; denn mir ist wichtig, dass die Staa-ten, die bezüglich der Integration weitergehen wollen, dasauf dem Boden der Verträge tun. Es darf nicht dazu kom-men, dass verstärkte Zusammenarbeit nicht auf dem Bo-den der Verträge stattfindet. In einer erweiterten Europä-ischen Union wird es immer schwieriger werden,Integrationsfortschritte mit allen Mitgliedsländern gleich-zeitig zu erreichen. Aber ohne weitere Integration würdendie Handlungs- und Einflussmöglichkeiten der Europä-ischen Union gerade vor dem Hintergrund der zunehmen-den Globalisierung auf Dauer geschwächt werden. Des-halb brauchen wir die Möglichkeit, dass Mitgliedstaaten,die das wollen und können, im Hinblick auf die Integra-tion voranschreiten, wie es ja auch schon im Schengen-Bereich oder bei der Wirtschafts- und Währungsunion mitErfolg geschehen ist.Über das Grundprinzip der verstärkten Zusammenar-beit besteht seit Biarritz weit gehendes Einvernehmen un-ter den Mitgliedstaaten. Wir werden uns in Nizza um diekonkrete Ausgestaltung dieses wichtigen Prinzips küm-mern müssen. Hierzu haben Deutschland und Italien zu-sammen einen viel beachteten Vorschlag vorgelegt, derdie Basis für die Schlussberatungen bilden dürfte. Es istgelegentlich die Frage aufgeworfen worden – das habe ichgelesen –, warum dies eine Aktion Deutschlands und Ita-liens gewesen sei und Frankreich nicht einbezogen wor-den sei. Ich möchte das ohne jede Polemik erklären: Dashat schlicht damit zu tun, dass die jeweilige Präsident-schaft, also auch die jetzige französische Präsidentschaft,in der Lage sein muss, Kompromisse aufgrund der Vor-schläge der Mitgliedstaaten zu formulieren. Das hat alsonichts mit Irritationen im deutsch-französischen Verhält-nis zu tun. Es geht schlicht darum, der jeweiligen Präsi-dentschaft die Möglichkeit, eigene Kompromisse zu erar-beiten, zu erhalten. Der eine oder andere, der das kritisierthat, hat das offensichtlich übersehen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundeskanzler Gerhard Schröder13028
Unsere gemeinsame Vorstellung ist, dass verstärkteZusammenarbeit künftig durch einen Beschluss mit qua-lifizierter Mehrheit eingeleitet werden kann und dann füreinen Mitgliedstaat keine Vetomöglichkeiten mehr beste-hen. Dabei sollte die Mindestteilnehmerzahl auf acht Län-der beschränkt sein. Es ist auch wichtig, dass kein politi-scher Bereich von vornherein von der Möglichkeit zueiner verstärkten Zusammenarbeit ausgenommen seinsollte.
Genauso selbstverständlich muss es sein, dass kein Mit-gliedstaat, der bereit und in der Lage ist, an der verstärk-ten Zusammenarbeit teilzunehmen, von dieser ausge-schlossen werden darf. Es darf also keinen „closed shop“geben.Unbestritten ist auch, dass sich die verstärkte Zusam-menarbeit möglichst innerhalb der Verträge vollziehensoll und dass die Kommission als Hüterin der Verträgeeine starke Rolle spielen muss. Ich bin sehr zuversicht-lich, dass wir in Nizza in dieser Frage eine wirklich guteLösung finden werden, die einer erweiterten Union dienotwendige Flexibilität gibt, um auf dem Weg der zuneh-menden Integration vorankommen zu können.Meine Damen und Herren, die Entwicklung der Euro-päischen Union findet mit Nizza und mit der Erweiterungkeineswegs ihren Abschluss. Vielmehr müssen wir unsGedanken machen, wie wir die Union weiter festigen undwie wir den Bürgerinnen und Bürgern ein klareres Bildvon der künftigen Europäischen Union vermitteln kön-nen. Hierfür haben wir mit der Grundrechte-Charta eingutes Fundament geschaffen.
Die Charta wird in Nizza als gemeinsames Dokument vonEuropäischem Parlament, Rat und Europäischer Kom-mission feierlich proklamiert werden. Ich nehme gernedie Gelegenheit wahr, um von dieser Stelle aus dem Kon-vent, vor allem dem Leiter, Altbundespräsident Herzog,noch einmal meinen Dank und meine Anerkennung fürdie großartige Leistung auszusprechen, die erbracht wor-den ist.
Die Charta – das kann man wirklich sagen – fasst eu-ropäische Wertevorstellungen und europäische Traditio-nen klar und für alle Bürgerinnen und Bürger verständlichzusammen. Deshalb ist dieses Dokument ein Gewinn fürEuropa.
Die Bundesregierung tritt dafür ein, die Charta mittelfris-tig in die Verträge zu übernehmen, gleichsam als Herz-stück für ein Grundgesetz der Europäischen Union.
Was wir darüber hinaus brauchen, ist eine Vereinfa-chung und Neuordnung der Verträge, eine Klärung derGewaltenteilung zwischen den Brüsseler Institutionenund eine klare Abgrenzung der Kompetenzen zwischendem, was in Brüssel geschieht, und dem, was in den Mit-gliedstaaten zu geschehen hat.
Die Bürger beklagen sich zu Recht darüber, dass dieEntscheidungswege in Europa nicht nachvollziehbar undvielfach undurchsichtig sind. Deswegen – nicht nur we-gen des Freistaats Bayern, Herr Glos – sind wir der Auf-fassung, dass geklärt werden muss, wer für welche Fragenund für welche Entscheidungen zuständig ist. Das ist eineFrage der Klarheit, der Transparenz und damit der Legiti-mität Europas.
Das sind einige der wichtigen Aufgaben für eine Re-gierungskonferenz, die wir für das Jahr 2004 vorgeschla-gen haben.Um die Akzeptanz der Union bei unseren Bürgerinnenund Bürgern zu erhöhen, ist es wichtig, dass diese Fragengeklärt werden, aber nicht nur auf einer Regierungskon-ferenz – das kann nur der Abschluss sein –, sondern auchin einer breiten öffentlichen Debatte.Deswegen sollten wir uns schon in Nizza in den Grund-zügen über die Aufgaben, über den Zeitpunkt und über dieVorbereitung dieser neuen Regierungskonferenz verstän-digen. Auch hierfür gibt es viel Zustimmung bei den Kol-leginnen und Kollegen im Rat.Damit hier und anderswo keinerlei Missverständnisseaufkommen: Diese neue Regierungskonferenz ist nichtals eine Beitrittshürde für die beitrittswilligen Staaten ge-dacht. Sie formuliert keine neuen Voraussetzungen für dieErweiterung der Union. Dies wird auch in Nizza nocheinmal ausdrücklich betont werden.
Die Europäische Union – das ist mir wichtig – steht zuihren Zusagen von Helsinki: Bis Ende 2002, so haben wires beschlossen, ist die interne Erweiterungsfähigkeitder EU hergestellt und über die konkreten Beitrittster-mine der einzelnen Kandidaten entscheidet dann alleinderen Fähigkeit, den Acquis der Europäischen Unionwirklich in vollem Umfang zu übernehmen.Das ist der Grund, warum ich von einer Datendiskus-sion so wenig halte. Wir haben mit den Beschlüssen vonHelsinki vernünftigerweise, wie ich finde, festgelegt: DasEuropa der 15 strebt an – es wird das Ziel erreichen –, bisEnde 2002, Anfang 2003 aufnahmefähig in Bezug aufneue Mitglieder zu sein. Es liegt vor allen Dingen an denbeitrittswilligen Staaten selbst – wir können und wollenda hilfreich sein –, beitrittsfähig zu werden. Wann das inden einzelnen Staaten erreicht ist, ist nicht Sache der Eu-ropäischen Union, des Europas der 15, zu entscheiden;vielmehr liegt die Entscheidung vor allen Dingen bei denbeitrittswilligen Staaten selbst.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundeskanzler Gerhard Schröder13029
Hierin liegt der Grund, warum wir der Auffassung sind,dass eine Datendiskussion von den Notwendigkeiten ei-nes zügigen Fortschritts bei den inneren Reformen in denBeitrittsstaaten eher ablenkt und nicht hilfreich ist.
Im Zusammenhang damit ist etwas anderes wichtig:Die politische Frage der Erweiterung ist geklärt. Niemand– ich denke, auch niemand in diesem Hohen Hause – istder Auffassung, dass an der Notwendigkeit, Europa nichtan der deutschen Ost- oder an der polnischen Westgrenzeenden zu lassen, ein vernünftiger Zweifel erlaubt ist. Alsoverschiebt sich die Frage eines Beitritts weg von der reinpolitischen Ebene hin zu einer ökonomisch zu beantwor-tenden Frage. Ob ein Staat objektiv in der Lage ist – seineBereitschaft unterstelle ich –, die ökonomischen Konse-quenzen einer Mitgliedschaft in der Europäischen Unionzu tragen – sie sind ja nicht nur entlastender, sondern auchbelastender Natur; wir wissen das aus der Transformationeiner Kommandowirtschaft in eine Marktwirtschaft inDeutschland –, das entscheidet sich nach dem Stand derinneren Reformen in den Beitrittsstaaten selbst.Es entzieht sich der direkten Verantwortung der Mit-gliedstaaten des Europas der 15. Dass das Europa der 15ein Interesse daran hat, dass die Erweiterung zügig von-statten geht, erklärt sich aus der politischen Dimensiondieser Frage, aber auch aus der ökonomischen Dimen-sion. Das gilt nicht zuletzt für Deutschland.Ich halte es deshalb – ich sage es noch einmal – fürfalsch, jetzt eine Diskussion darüber zu beginnen, wannwelches Land seine Beitrittsfähigkeit erreicht haben wird.Diese Diskussion würde falsche Hoffnungen und Erwar-tungen wecken. Unter Umständen würde sie den Reform-eifer der einzelnen Länder schwächen und auf diese Weiseeventuell gewaltige Enttäuschungen hervorrufen.Was wir indessen brauchen und was wir auch schaffenwollen, ist, einen Fahrplan über die Behandlung der Sach-fragen in den Beitrittsverhandlungen aufzustellen, um dashohe Tempo, das inzwischen erreicht worden ist, beibe-halten und die Einzelheiten zielgerichtet umsetzen zukönnen. Für ein solches Vorgehen, für eine solche „roadmap“, wie man es nennt, wird sich die Bundesregierungin Nizza einsetzen.
In Nizza geht es noch um eine Reihe weiterer wichti-ger Fragen. Ich erwähne hier vor allen Dingen die euro-päische Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Bei die-sem zentralen Vorhaben, das wir 1999 unter deutscherPräsidentschaft auf den Weg gebracht haben, werden wirin Nizza aller Voraussicht nach ein wirklich bedeutendesEtappenziel erreichen. Die Truppensteller-Konferenz inder vergangenen Woche hat deutlich gemacht, dass dieEuropäer bereit und entschlossen sind, im Bereich der Si-cherheits- und Verteidigungspolitik gemeinsam Verant-wortung zu übernehmen. Die Europäer werden bei derKrisenprävention und bei der Krisenbewältigung ein star-ker Akteur sein.Schließlich haben wir – nicht zuletzt auf deutschesDrängen hin – erreicht, dass zivile Krisenprävention undziviles Krisenmanagement im Rahmen dieser Konzeptioneinen bedeutenden Stellenwert erreichen.
Ich halte es für einen Vorzug, dass Europa nicht in ersterLinie in militärischen Kategorien denkt. Für uns kann derEinsatz militärischer Mittel – das unterstreiche ich – im-mer nur Ultima Ratio sein.Aus deutscher Sicht ist darüber hinaus die Sicherungder öffentlichen Daseinsvorsorge von besonderer Be-deutung. Die Kommission hat dazu gemäß dem vonDeutschland angeregten Beschluss des Europäischen Ra-tes in Lissabon im Spätsommer eine neue Mitteilung vor-gelegt, die die aus dem Jahr 1996 ersetzt. Diese Mitteilungwird derzeit im Rat intensiv beraten. Wir sind der Auffas-sung, dass sie wichtige Schritte in die richtige Richtungenthält. Der kommende Europäische Rat sollte nach un-serer Auffassung die Kommission beim Wort nehmen unddie Erwartung formulieren, dass das Beihilferecht der Eu-ropäischen Union im Hinblick auf eine Stärkung derRechtssicherheit fortentwickelt wird. Es muss sicherge-stellt werden, dass die besonderen Leistungen, die Ein-richtungen der Daseinsvorsorge im Interesse der Allge-meinheit erbringen, bei der Anwendung wettbewerbs-und beihilferechtlicher Vorschriften des EG-Vertrages an-gemessen berücksichtigt werden.
Meine Damen und Herren, Beitrittsverhandlungen undVerfassungsdiskussionen, Erweiterung und Vertiefung –das sind die großen Themen, die die Europadiskussion inden kommenden Jahren prägen werden. Am Ende diesesJahrzehnts werden wir in einem anderen Europa leben.Dieses Europa wird größer sein; aber es muss zugleich po-litisch enger verflochten sein und es wird nach meinerfesten Überzeugung über eine verfassungsmäßige Grund-lage verfügen müssen und verfügen.Der Weg dorthin ist keineswegs zwangsläufig. Um die-ses Europa muss also politisch gekämpft werden, undzwar nicht nur auf der Ebene von Staaten und Regierun-gen, sondern vor allen Dingen in den europäischen Ge-sellschaften selbst. Wir müssen um des großen Projekteswillen verstärkt nicht bloß um den Verstand der Bürgerin-nen und Bürger, sondern eben auch um ihr Engagementfür dieses Europa und, wenn man so will, um ihre Herzenringen.
Angesichts dessen, was ich skizziert habe, lässt sichwirklich ohne falsches Pathos sagen: Europa ist unsereZukunft. Seine Vertiefung und Erweiterung bringen unsFortschritte, die im gemeinsamen Interesse, aber ebenauch im nationalen Interesse Deutschlands liegen. Dabeiwissen wir um die Ängste und Sorgen der Bürgerinnenund Bürger. Auch wenn sich diese Sorgen im Ergebnis alsweitgehend unbegründet erweisen werden, müssen wir
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundeskanzler Gerhard Schröder13030
diese Sorgen im Prozess der Erweiterung und Vertiefungernst nehmen.
Weil das so ist, meine Damen und Herren, dürfen wir beidiesem Thema keine Stimmungsmache betreiben,
sondern müssen gemeinsam die politische und ökono-mische Notwendigkeit und unser nationales Interessean der Erweiterung betonen. Ich sage das noch einmalinsbesondere mit Bezug auf die Menschen, die in denGrenzgebieten zu Polen, zu Tschechien leben und die angesichts bestimmter Fragen Ängste haben, die ich nach-vollziehen kann.Ich habe dort immer wieder gesagt und will es auchhier sagen: Es gibt längs der Grenze eine Reihe wirklichwichtiger Industrieunternehmen, die sich Gott sei Dankdort angesiedelt haben. Mit ihrer Ansiedlung verbandensie aber die klare Strategie, aus diesen Grenzgebieten,zum Beispiel längs der Oder, die mittel- und osteuropäi-schen Märkte zu bearbeiten und für ihre eigenen Produktezu erobern.
Die Strategie dieser Unternehmen, die in diesen Berei-chen Arbeitsplätze schaffen, kann und wird nur aufgehen,wenn die Märkte auch aufnahmefähig für die Produktewerden, die längs der Grenze hergestellt werden. Hierliegt einer der Gründe, warum es auch und gerade im In-teresse der Grenzregionen liegt, dass die Erweiterungkommt.
Wir alle müssen begreifen, dass es in unserem ökonomi-schen Interesse liegt und uns nützt, wenn durch Integra-tion in die Europäische Union in den Staaten Mittel- undOsteuropas für uns wichtige Märkte entstehen. So könnenwir den richtigen Weg einschlagen. Dabei wird dann auchdeutlich, dass die Chancen einer Erweiterung weit größersind als die Nachteile, die viele befürchten.
In diesem Zusammenhang noch etwas: Natürlich wirdim Laufe der Verhandlungen auch darüber geredet werdenmüssen,
welche Übergangsfristen erforderlich sind. Das ist dochgar keine Frage. Das wird übrigens ein bilateraler Prozesssein. Es steht doch völlig außer Frage, dass es für gewisseZeiträume bezüglich einiger Tatbestände Übergangsfris-ten auch für die beitrittswilligen Staaten geben muss undgeben wird. Ich will dazu keine Beispiele nennen. AberSie alle kennen doch die Tatsache, dass der Industrialisie-rungsgrad auf absehbare Zeit noch unterschiedlich seinwird. Deswegen muss natürlich auch auf der anderenSeite und keineswegs nur auf unserer Seite über Über-gangsfristen diskutiert werden. Das wird auch geschehen.Auf unserer Seite bezieht sich die Diskussion zum Bei-spiel auf die Frage der Arbeitnehmerfreizügigkeit.Wirwollen und wir werden kein Lohndumping zulassen. Dasist gar keine Frage.
Sie bezieht sich auch auf gewisse Formen von Dienstleis-tungsfreiheit, denn wir wollen und wir werden bei unskein Preisdumping zulassen. In den beitrittswilligen Staa-ten bezieht sie sich etwa auf für diese wichtige Fragestel-lungen der Industrie- und Landwirtschaftspolitik. Inso-fern bin ich ganz sicher, dass es im Interesse beider Seitenliegt, hier zu vernünftigen, den Ängsten der Bevölkerungauch wirklich begegnenden Regelungen zu kommen. Wirjedenfalls werden uns dafür einsetzen.
Politische Orientierungen für das zukünftige Europa zugeben und dafür um die Zustimmung der Bürgerinnen undBürger zu werben sollte vor diesem Hintergrund einegemeinsame Aufgabe des Hohen Hauses sein. Ein so he-rausragendes politisches, wirtschaftliches und gesell-schaftliches Zukunftsprojekt wie die europäischeEinigung lebt gewiss von der produktiven Auseinander-setzung um seine Gestaltung. Die Auseinandersetzungzwischen allen Beteiligten und in der Gesellschaft bei unssollte konstruktiv – ich betone: konstruktiv – geführt wer-den.Vor diesem Hintergrund ist die Bundesregierung bereit– sie befindet sich damit in einer guten deutschen Tradi-tion –, die großen europapolitischen Aufgaben der Zu-kunft, die im wohlverstandenen nationalen InteresseDeutschlands liegen, gemeinsam mit allen Fraktionen desDeutschen Bundestages anzugehen, um die zwischen unsweitgehend unstrittigen Ziele hinsichtlich der Perspekti-ven der europäischen Einigung in und eben auch für Eu-ropa zu verwirklichen. Ich sage es noch einmal: Dasschließt produktiven Streit nicht aus. Aber er sollte auf derBasis der gemeinsamen Grundüberzeugungen, was dieEntwicklung der Europäischen Union, ihre Erweiterungund ihre Vertiefung angeht, ausgetragen werden.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile dem Kolle-
gen Friedrich Merz, dem Vorsitzenden der CDU/CSU-
Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler,die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt Sie undIhre Regierung bei dem wichtigen Vorhaben, am 7. und8. Dezember in Nizza zu einem guten Abschluss der Re-gierungskonferenz zu kommen. Wir wissen, dass dies
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundeskanzler Gerhard Schröder13031
vermutlich eine der wichtigsten Konferenzen ist, die dieEuropäische Union in den letzten Jahren abgehalten hat.Wir wollen, dass diese Konferenz ein Erfolg wird, insbe-sondere weil sie die Voraussetzungen für die auch von unsgewollte und von uns für notwendig und richtig gehalteneOsterweiterung schaffen soll.
Sie haben völlig zu Recht darauf hingewiesen, dassdies einen breiten politischen Konsens in der Bundesre-publik Deutschland erfordert. Sie haben auch angemahnt,den Menschen in unserem Land die Ängste vor diesenVeränderungen zu nehmen. Ich habe mir allerdingswährend Ihrer Regierungserklärung die Frage gestellt,wie denn wohl jemand reagiert, der Sie heute Morgen amFernseher gesehen hat,
welche Empfindungen er hat und ob er die eine oder an-dere Sorge weniger hat, nachdem Sie gesprochen haben.
Herr Bundeskanzler, Ihre Regierungserklärung war soleidenschaftslos
und in einer solchen Bürokratensprache abgefasst,
dass nun wirklich niemand, der Ihnen zugehört hat, diezentrale Botschaft verstanden hat, um die es eigentlichuns allen gehen müsste.
Sie haben sauber abgearbeitet, was Ihnen aufgeschriebenworden ist. Aber die zentrale Botschaft – es geht nämlichdarum, mit dem Erfolg dieser Regierungskonferenz daswichtigste Projekt zu Beginn des 21. Jahrhunderts in derEuropäischen Union auf den Weg zu bringen – hat nie-mand verstanden, der Ihnen heute Morgen zugehört hat.
Herr Bundeskanzler, wenn es darum geht, den Men-schen Ängste und Sorgen zu nehmen, stelle ich mir schondie Frage, warum Sie ein zentrales – vielleicht das zen-trale – europäisches Thema, das in diesen Tagen die Öf-fentlichkeit beherrscht und das den Menschen wirklichAngst macht, überhaupt nicht angesprochen haben, näm-lich die Fälle von BSE-Erkrankungen und die sich darausergebene Krise.
– Nein, das ist kein Thema von Nizza.
Aber wenn Sie die Zustimmung zur europäischen Politikzurückgewinnen wollen, dann müssen Sie über die The-men sprechen, mit denen die Nöte und Sorgen der Men-schen zusammenhängen. BSE ist ein europäisches Thema!
Sie hätten durchaus darauf hinweisen können, dass esgroße Schwierigkeiten gibt, die Rechtsgemeinschaft derEuropäischen Union bei diesem Thema herzustellen, beidem es darum geht, dass sich nicht nur die Bundesrepu-blik Deutschland, sondern auch die anderen Mitgliedstaa-ten an das halten, was in der Europäischen Union verein-bart worden ist. Aber kein Wort davon an dieser Stelle. Siehaben eine große Chance vertan, den Menschen Sorgen zunehmen und ihnen das Vertrauen zu geben, dass die Euro-päische Union in der Lage ist, die großen Aufgaben derZukunft zu lösen.
Herr Bundeskanzler, mir ist bei der Vorbereitung derheutigen Aussprache ein Zweites aufgefallen: Sie habenin der zweijährigen Amtszeit als Bundeskanzler der Bun-desrepublik Deutschland bis zum heutigen Tag, ein-schließlich dieser Regierungserklärung, weder hier imDeutschen Bundestag noch außerhalb des DeutschenBundestages eine wirklich große europäische Rede ge-halten,
in der die Leidenschaft für dieses große Thema Europazum Ausdruck gekommen wäre.
Bei aller berechtigten oder unberechtigten Kritik an derfrüheren Bundesregierung kann ich nur sagen: Für Europahat es in der früheren Bundesregierung – wie übrigens inallen früheren Bundesregierungen – eine größere Bereit-schaft zum Engagement und eine größere Leidenschaftals bei Ihnen gegeben.
In einer der wenigen Reden, die nachhaltige Wirkunghaben sollte, nämlich in der Rede, die Sie vor rund einemJahr in der Französischen Nationalversammlung gehaltenhaben, haben Sie – völlig zu Recht – darauf hingewiesen,dass die Zukunft der Europäischen Union ganz maßgeb-lich davon abhängig ist, dass das deutsch-französischeVerhältnis der Motor in dieser Europäischen Union
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Friedrich Merz13032
bleibt. Sie haben in Paris gesagt, Europa zähle aufDeutschland und Frankreich. Keine der großen europä-ischen Aufgaben sei je gelöst worden, wenn sich Deutsch-land und Frankreich nicht einig gewesen seien. Keines dergroßen europäischen Integrationsprojekte, so haben Sieweiter ausgeführt, wäre jemals verwirklicht worden, hät-ten Deutschland und Frankreich nicht den Anstoß gege-ben. Sie haben Recht, Herr Bundeskanzler, es ist wahr:Die Zusammenarbeit der beiden großen MitgliedstaatenDeutschland und Frankreich war immer der Motor derEuropäischen Union.Jetzt stelle ich Ihnen aber einmal die Frage: Was ist derBefund ein Jahr später? Wir bekommen von den Mediengegenwärtig – da ist offensichtlich nicht nur ein bisschenRauch, sondern da ist Feuer unterm Dach – eine Be-schreibung des deutsch-französischen Verhältnisses, dieschlechter ist als jemals in den Jahren und Jahrzehnten zu-vor. Ich nenne Ihnen nur einige Stichworte: „Außenminis-ter Fischer irritiert Paris“; „Klimasturz in den Beziehun-gen zu Frankreich“; „Zwietracht stellt sich ein zwischenBerlin und Paris“;
„Ein Duft von Arroganz“; „Der Lack ist ab“; „Védrineüber Fischer verärgert“. Herr Bundeskanzler, Ihr Außen-minister wird in Paris in Anlehnung an den Rattenfängervon Hameln mittlerweile offen als der „Flötenspieler“ be-zeichnet.
Was ist los im deutsch-französischen Verhältnis, HerrBundeskanzler?
Wenn das, was Sie heute Morgen in Ihrer Regierungs-erklärung hier gesagt haben, richtig ist, dann erwartennicht nur wir, sondern das ganze Land von dieser Bun-desregierung ein höheres Engagement hinsichtlich derdeutsch-französischen Beziehungen. Deswegen möchteich Ihnen die Frage stellen: Ist es richtig, was in den Zei-tungen stand, dass Bundesaußenminister Joschka Fischerseit Anfang Juli, also seit Beginn der französischenRatspräsidentschaft, die Sie mit Recht als so wichtig undentscheidend bezeichnet haben, nicht mehr an den Minis-terrunden seines französischen Amtskollegen in Paristeilnimmt? Ist es richtig, dass Herr Fischer in Brüssel ge-sagt hat, es sei völlig nutzlos, an diesen Ministerrundenteilzunehmen, und dass seitdem nur noch einer seiner Be-amten dahin geschickt wird? Was war der Hintergrund derAbsage – nicht Ihres Verteidigungsministers, sondern desPräsidenten der europäischen Sozialisten – am letztenWochenende bei dem Kongress der französischen Sozia-listen in Grenoble? Warum hat er dort nicht teilgenom-men, für die deutsch-französischen Beziehungen gewor-ben und als Präsident der Sozialdemokratischen ParteienEuropas eine Rede für Europa gehalten?
– Angesichts der Zurufe, die Sie zu diesem Thema hiermachen, werden bei mir die Zweifel, ob BSE auf denMenschen übertragbar ist, noch geringer, als sie bisher oh-nehin schon waren.
– Regen Sie sich ruhig weiter auf!Herr Bundeskanzler, entscheidend ist doch, dass es of-fenbar im deutsch-französischen Verhältnis bei der Vor-bereitung des Abschlusses der Regierungskonferenz inNizza eine ganze Reihe von ungeklärten Fragen gibt unddass dies der Grund dafür ist, dass der Erfolg dieser Kon-ferenz wirklich auf der Kippe steht.Sie haben soeben in Ihrer Regierungserklärung aus-drücklich festgestellt, dass man sich im Ministerrat vor-stellen kann, so oder so zu entscheiden. Das hier im Deut-schen Bundestag von uns gemeinsam für richtig gehalteneEntscheidungsverfahren der doppelten Mehrheit im Mi-nisterrat ist also offensichtlich aufgegeben worden.Schwerer wiegt, dass offensichtlich zwischen Deutsch-land und Frankreich in einer Reihe von politischen Sach-fragen, die die europäische Politik betreffen und die aufdem Gipfel in Nizza entschieden werden müssen, größereVerstimmungen bestehen. Ich nenne ein wichtiges Bei-spiel, über das Sie kein Wort verloren haben: Was ist ei-gentlich auf europäischer Ebene und insbesondere im Ver-hältnis zwischen Deutschland und Frankreich in Bezug aufdie gemeinsame Handelspolitik los? Ende letzten Jahresist die Ministerkonferenz der WTO in Seattle gescheitert.Das hatte vielfältige Gründe, die mit Sicherheit auch indem beginnenden amerikanischen Wahlkampf zu suchenwaren. Aber was ist die Konsequenz für die Europäer?Sind Sie zusammen mit Frankreich bereit, dafür zu sorgen,dass auf dem Gipfel in Nizza beschlossen wird, dass derBereich der Handelspolitik vom Einstimmigkeitsprinzipzu Mehrheitsentscheidungen überführt wird? Sind Sie be-reit, die auf WTO-Ebene stattfindenden Verhandlungenüber geistiges Eigentum und Dienstleistungen auf derGrundlage von Mehrheitsentscheidungen der Europä-ischen Union zum Erfolg zu führen?
– Herr Fischer, Sie machen hier ständig Zurufe.
– Das kann er ja tun. Mich stört das nicht. – Nur, warum,Herr Fischer, ist beim letzten deutsch-französischenGipfel in Vittel der Bundeswirtschaftsminister überhauptnicht dabei gewesen? Weil er in diesem Land offensicht-lich nichts mehr zu sagen hat. Aber wirtschaftliche Fragensind doch wichtig!
Zu den Abschlusskommuniqués, die in diesem Zusam-menhang verabschiedet worden sind, ist festzustellen:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Friedrich Merz13033
Auf dem Gipfel in Nizza sollte die Entscheidung getrof-fen werden, dass die Kommission im Bereich derHandelspolitik in Zukunft weltweit auf der Grundlagevon Mehrheitsentscheidungen des Rates tätig werdenkann. Zu diesem Thema wurde kein Wort gesagt.Ein weiterer Punkt in Bezug auf das deutsch-französi-sche Verhältnis: Warum ist es streitig, Maßnahmen, diePersonenkontrollen an den Binnen- und Außengrenzender Europäischen Union betreffen, zwischen Deutschlandund Frankreich vorzubereiten? Warum gibt es in dieserFrage einen offensichtlich größer werdenden Dissens?Glauben Sie denn im Ernst, dass der Gipfel von Nizza derErfolg werden kann, den wir wollen und der notwendigist, wenn es vorher im deutsch-französischen Verhältniseine solche Zunahme an Problemen und Störungen gibt,die offensichtlich auch mit dem persönlichen Verhaltenmehrerer Mitglieder der Bundesregierung in Verbindungzu bringen sind?
Herr Bundeskanzler, Sie haben über die Osterweite-rung gesprochen und darauf hingewiesen, dass natürlichgerade wir als Deutsche ein Interesse daran haben müss-ten, dass die deutsche Ostgrenze und die polnische West-grenze nicht die Grenze bleibt, die den europäischen Kon-tinent weiter teilt. Wenn das aber so ist, dann frage ich Sie,warum sich der polnische Außenminister vor kurzem ver-anlasst gesehen hat, ein Interview zu geben, in dem er zumAusdruck gebracht hat, dass er die deutsche Unterstüt-zung insbesondere für den Beitritt Polens zur Europä-ischen Union vermisst. Was ist los im deutsch-polnischenVerhältnis,
dass solche Erklärungen des polnischen Außenministersnotwendig gewesen sind?Die Probleme in Ihrer Koalition und die Probleme, dieintern zwischen Ihnen, Herr Bundeskanzler, und der SPD-Bundestagsfraktion bestehen, absorbieren Sie in einem sohohen Maße, dass Sie für die wichtigen europapolitischenThemen und die bedeutenden Angelegenheiten, die jetztentschieden werden müssen, nicht den Kopf frei haben.Das war Ihnen heute Morgen anzumerken.
Ich will es noch einmal ganz ausdrücklich sagen, damitkeine Missverständnisse entstehen: Wir sind bereit, mitIhnen zusammen dafür zu sorgen, dass Nizza ein Erfolgwird.
Wir tragen dazu bei; übrigens haben wir mittlerweile of-fensichtlich bessere Kontakte zu unseren befreundetenParteien in Paris als Sie.
Wir sind bereit, mit Ihnen die Entscheidungen zu treffen,die notwendig sind, um die Osterweiterung der Euro-päischen Union zu ermöglichen. Zu diesen Entschei-dungen gehört nicht nur, dass die Institutionen in der Eu-ropäischen Union neu geordnet werden und dass dasZusammenwirken der Institutionen innerhalb der Europä-ischen Union besser wird. Das ist eine notwendigeVoraussetzung, aber ganz sicher keine hinreichende.Wir müssen in der Bevölkerung der BundesrepublikDeutschland für dieses große Projekt werben, und wirbrauchen eine Zustimmung der Bevölkerung, die wir ge-genwärtig – das wissen Sie – nicht haben. Wir müssen denMenschen gerade in unserem Lande deutlich machen, wases bedeutet, dass wir vor der größten Erweiterung der Eu-ropäischen Union in ihrer Geschichte stehen.Ich sage Ihnen voraus: Wenn Sie so weitermachen,dann werden Sie die Zustimmung der Bevölkerung inDeutschland dazu nicht gewinnen. Die Deutschen wollennämlich eine Antwort.
– Ich bedanke mich sehr herzlich, dass Sie der Oppositionso viel zutrauen, dass sie vernünftiges Regieren verhin-dern kann, wie das in Ihren Kreisen jetzt zum Ausdruckgebracht wird. Ich will Ihnen ausdrücklich sagen: Wirsind in diesem Bereich nicht an einem kleinlichen partei-politischen Streit und Gezänk interessiert.
Sie werden sich schon einmal anhören müssen – ob Siewollen oder nicht –, wo die wirklich substanziellen Pro-bleme in der Europäischen Union liegen. Wir lassen esuns jedenfalls auch mit Ihren Zwischenrufen und mitIhrem Geschrei nicht verbieten, hier anzusprechen,worum es in der europäischen Politik geht.
Neben allem, was jetzt in Nizza entschieden werdenmuss – die Institutionen neu ordnen, das Zusammenwir-ken der Institutionen neu regeln, eine Vertiefung der Zu-sammenarbeit, die Überführung einer großen Zahl derEntscheidungen in den Mehrheitsentscheid –, müssen Siebestrebt sein, die Zustimmung der Bevölkerung zu ge-winnen. Ich will Ihnen übrigens ausdrücklich sagen: Ichhalte das, was Sie vorgeschlagen haben im Hinblick aufdas Rotationssystem in der Kommission, für mutig undrichtig. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein großesMitgliedsland wie Deutschland sagt: Wir sind bereit, mitFrankreich zusammen mal zwischendurch auf Zeit aufdie Vertretung in der Kommission zu verzichten. Das istein mutiger und richtiger Schritt. Aber alles das reicht
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Friedrich Merz13034
nicht aus, um die Zustimmung der Bevölkerung für dieweitere europäische Politik, insbesondere für die Oster-weiterung und die vertiefte Integration in Europa, zu ge-winnen.Wir werden eine sehr viel intensivere Debatte umdie Fragen führen müssen: Was soll die europäische Poli-tik eigentlich lösen? Wo sind ihre Zuständigkeiten, ihreKompetenzen im wahrsten Sinne des Wortes? Was mussbei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union – mögli-cherweise sogar bei den Ländern und den Kommunen –verbleiben bzw. von Europa auf sie zurück übertragenwerden?Wenn Sie diese Debatte – wie das in einem im Übrigennicht zu kritisierenden Dokument der letzten deutsch-ita-lienischen Begegnung zum Ausdruck kommt – auf dasJahr 2004 vertagen, wenn Sie nicht unmittelbar nachNizza beginnen, die Frage der Kompetenzordnung undeines Verfassungsvertrages auf die Agenda der europä-ischen Politik zu setzen, dann werden Sie größere Schwie-rigkeiten haben, schon das akzeptabel zu machen, was inNizza verabschiedet wird.
Die Menschen wollen wissen: Was kann und was mussdiese Europäische Union machen? Wofür ist sie zustän-dig, was sind die großen politischen Themen: Auf die Eu-ropäische Wirtschafts- und Währungsunion, die wir ge-macht haben, Gott sei Dank mit breiter Zustimmung indiesem Haus, müssen eine gemeinsame Außen- und Si-cherheitspolitik, eine gemeinsame Verteidigungspolitikund, so füge ich hinzu, eine gemeinsame Rüstungs- undRüstungskontrollpolitik folgen.
– Sie sagen: „Ja klar!“. Aber was war denn das am ver-gangenen Wochenende? Sie haben von einer „Truppen-aufstellerkonferenz“ gesprochen, und zum selben Zeit-punkt müssen Sie sich von einem der führenden früherenSoldaten öffentlich sagen lassen, dass die notwendigenmateriellen Voraussetzungen, die die Bundesregierungdazu schaffen muss, überhaupt nicht vorhanden sind. HerrNaumann hat Ihnen in der Wochenendpresse dezidiertdargelegt, dass Sie eine Luftbuchung abgegeben haben.Das ist so, wie Sie es hier vorgeschlagen haben, nicht zumachen.
Es ist ja schön, dass da eine „Truppenaufstellerkonfe-renz“ stattgefunden hat. Wunderbar! Aber der Verteidi-gungsminister, der heute Morgen noch nicht einmal hierim Plenum ist, muss die notwendigen Voraussetzungendafür schaffen, dass die Bundeswehr an einem solchenEurokorps, wie Sie es vorgeschlagen haben, wirklich teil-nehmen kann. Fehlanzeige bei dieser Bundesregierung!Nein, Herr Bundeskanzler, so geht es nicht.Wir müssen darüber hinaus in der Innen- und Rechts-politik dafür sorgen, dass die Europäische Union zumin-dest die Kompetenz erhält, die grenzüberschreitende or-ganisierte Kriminalität zu bekämpfen. Auch dazu habenSie in Ihrer Regierungserklärung praktisch nichts gesagt.Die Menschen erwarten aber eine Antwort der Regierungder Bundesrepublik Deutschland auf diese große Heraus-forderung der Kriminalität, die mittlerweile grenzüber-schreitend stattfindet. Fehlanzeige bei dieser Bundesre-gierung, kein Wort zu diesem Thema!
Wir sind – ich betone das jetzt ein drittes Mal, damitSie nicht immer wieder versuchen, uns zu widerspre-chen – mit Ihnen auf dem Weg zu einer vertieften Euro-päischen Union. Wir sind mit Ihnen auf dem Weg, damitdie Europäische Union auch wirklich erweitert und diesergroßen Herausforderung entsprochen werden kann. Dasist das Projekt einer gesamteuropäischen Friedens- undFreiheitsordnung, das maßgeblich davon abhängig ist, obdie Bundesrepublik Deutschland in der geopolitischenMitte dieses Kontinents dazu einen eigenen Beitrag leis-tet. Wenn Sie aber wie heute Morgen völlig emotionslosund ohne jede innere Anteilnahme an dem, was hier statt-findet, agieren, dann wird es nicht gelingen, Herr Bun-deskanzler.
Deswegen sage ich Ihnen zum Schluss:
Wir sind bereit, mit Ihnen über viele Details und alle mög-lichen Sachfragen hier und in den Ausschüssen des Bun-destages zu streiten.
– Wissen Sie, wenn Sie noch nicht einmal verstanden ha-ben, dass ich dargelegt habe, was in den drei großen Be-reichen – in der Außen- und Sicherheitspolitik, der Wirt-schafts- und Währungspolitik und der Innen- undRechtspolitik – geschehen muss, damit die EuropäischeUnion handlungsfähig sein muss,
dann haben Sie offensichtlich während der ganzen Zeitnicht zugehört.
Wenn Sie es aber genauer wissen wollen, will ich Ihnenan dieser Stelle noch etwas sagen.
– Nein, ich mache es jetzt. Ich hätte es sonst morgen ge-macht, aber ich will es jetzt an dieser Stelle tun, damit dasvollständig wird: Sie werden auch nicht um die Debattedarüber herumkommen, wie die Mitgliedstaaten in derEuropäischen Union ihre Rolle in den nächsten Jahrenund Jahrzehnten sehen. Wenn es richtig ist, dass die Mit-gliedstaaten, die Nationen in Europa, eine wesentlichetragende Säule der europäischen Integration bleiben, dann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Friedrich Merz13035
müssen wir uns auch über das Thema nationale und kul-turelle Identität der Mitgliedstaaten selbst unterhalten.Sonst wird es nicht gelingen.
– Man kann ja über Worte trefflich streiten, aber wenn Ih-nen zum Thema einer freiheitlichen Leitkultur inDeutschland
nicht mehr einfällt als diese „Leithammel!“-Zwi-schenrufe, wenn die Bundesregierung, wenn der Außen-minister sich an Entenhausen und Mickymaus erinnertfühlen und wenn die Ausländerbeauftragte der Bundesre-gierung über Erbsensuppe und Pickelhaube daherschwa-droniert, dann muss ich dazu sagen: Das ist dem Themaüberhaupt nicht angemessen; die Bundesregierung wirdihrem Auftrag nicht gerecht, wenn sie nur mit solchenPlattitüden auf ein Thema reagiert, zu dem die MenschenOrientierung suchen.
Das Thema werden wir Ihnen nicht ersparen. Sie wer-den auch darauf Antworten geben müssen, was die Mit-gliedstaaten, die Nationen in der Europäischen Union, imInneren zusammenhält. Ich bin sehr dafür und von Grundauf überzeugt, dass die Bundesrepublik Deutschland nurdann eine gute Zukunft hat, wenn das europäische Projektgelingt. Die Bundesrepublik Deutschland löst sich aber indiesem europäischen Projekt nicht auf, sondern sie musseine eigene Identität und eine eigene Zukunft haben. Auchüber dieses Thema müssen wir reden. Nation und Eu-ropa schließen sich nicht aus, sondern bedingen sich ge-genseitig. Ohne Nationen wird Europa nicht gelingen.
– Sie können mit Ihren Zwischenrufen bleiben, wo Siesind. Die Zustimmung der Bevölkerung der Bundesrepu-blik Deutschland werden Sie mit dieser Art und Weise,Europapolitik zu machen, nicht bekommen.
Wir sind leidenschaftlich auf dem Weg nach Europa.Wir wollen die Erweiterung und die Vertiefung und wirsind bereit, Ihnen dabei zu helfen. Wenn allerdings das,was für Nizza geplant ist, aufgrund mangelnder Vorberei-tung und aufgrund der von mir beschriebenen Probleme,die offensichtlich im deutsch-französischen Verhältnisbestehen, nicht gelingt, dann trägt daran die Regierungder Bundesrepublik Deutschland ein höheres Maß an Ver-antwortung, als mit dieser abgelesenen Regierungser-klärung des Bundeskanzlers heute Morgen zum Ausdruckgekommen ist.
Ich erteile Außenmi-
nister Joseph Fischer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Nizza ste-hen wir vor einem der ganz entscheidenden Schritte nachvorn, hin zu einem integrierten, zu einem erweiterten Eu-ropa. In Nizza geht es darum, dass wir in einem wichtigenersten Schritt darüber entscheiden, dass im 21. Jahrhun-dert die europäischen Nationen, die europäischen Völker,indem sie zusammenfinden, ihr Schicksal – eingebundenin multilaterale Strukturen – im Wesentlichen selbst be-stimmen können. Selbst die größten europäischen Natio-nalstaaten – Frankreich, Deutschland, Großbritannien,Italien – werden für die anstehenden Herausforderungenzu klein sein.Wenn wir nicht zusammenfinden, dann wird dieses Eu-ropa stagnieren, zurückfallen in die europäische Selbst-fesselung, in die europäische Problem- und Konfliktlageder Vergangenheit. Das genau ist die Herausforderung,vor der wir stehen. Alle Redner haben betont, dass die eu-ropäische Vereinigung die historische Aufgabe ist, vorder wir stehen, die jetzt zu bewältigen ist. Wenn man die-ses so sieht, dann muss man allerdings diese Aufgabe ta-bulos durchdeklinieren, dann wird man, wie der Bundes-kanzler heute in seiner Rede sehr präzise dargestellt hat,
die Fragen der Erweiterung und der Vertiefung durch-deklinieren müssen, und dann wird man feststellen, dassNizza ein zentraler Schritt nach vorn sein muss.Allerdings, Herr Merz, hätte ich mir Ihrerseits schoneinen Hinweis darauf gewünscht, dass wir in Nizza dieÜberbleibsel, die „leftovers“, das, was in Amsterdamwährend Ihrer Regierungszeit nicht gelöst wurde, zu lö-sen haben. Das hätte ich mir von Ihnen dann schon ge-wünscht.
Da ich jetzt gerade bei Ihnen bin, verehrter Herr Op-positionsführer, muss ich Ihnen sagen: Ich habe mich ge-fragt, wie ausgerechnet Sie dazu kommen, Leidenschaftzu fordern. Dass ausgerechnet Sie das fordern!
Sie haben das Niveau vorgegeben. Ich will gerne daraufeingehen. Ich leide etwas darunter, dass ich nur nochSachdebatten führen darf. Jetzt haben Sie mir die Chancegegeben;
also will ich mich auf Ihr Niveau begeben, wenigstens fürfünf Minuten.
Was werfen Sie dem Bundeskanzler vor? – Sie werfendem Bundeskanzler einen Mangel an Leidenschaft vor,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Friedrich Merz13036
Sie werfen ihm vor, dass er zum Rinderwahn nichts gesagthat, und am Ende landeten Sie bei der Leitkultur.Zu dieser Debatte um die Leitkultur kann ich Ihnen nursagen: Nennen Sie mir ein anderes Volk, eine andere Na-tion in der Europäischen Union oder unter den Beitritts-kandidaten, die sich innerlich so schwach fühlt, dass siees nötig hätte, diese Debatte um die Leitkultur zuführen.
Sie müssten einmal einen Franzosen fragen, einenBelgier, einen Niederländer, einen Italiener, einen Polen,einen Tschechen! – Ich sage Ihnen: Nicht die Deutschenhaben hier eine Schwäche, sondern die demokratischedeutsche Rechte hat nach dem Ende des Kalten Kriegesein Defizit, in einem zusammenwachsenden Europa ihreeigene Identität zu definieren.
Aber dennoch finde ich, man sollte diese Debattedurchaus ernsthaft führen. Nur: Nicht die Frage danach,wie wir uns selbst definieren, beantworte ich mit Enten-hausen und Mickymaus, sondern wenn ich Sie darüber re-den höre, fällt mir das ein, Herr Merz. Das ist für mich derentscheidende Unterschied.
Wenn das heute die Leitkultur war, dann kann ich Ihnennur sagen: oppositionelle und europapolitische Trostlo-sigkeit.
– Ich komme gleich zu den inhaltlichen Punkten.Ich nehme es als Zustimmung, dass Sie inhaltlich zu al-len Punkten geschwiegen haben, weil Sie der Linie, dieder Bundeskanzler hier vorgegeben hat, im Grunde ge-nommen nichts entgegenzusetzen haben. Ich kenne dochdie Positionen; ich kenne die Positionen von Schäuble,von Pflüger, von Lamers, von Hintze und all den anderenEuropapolitikern. Es ist im Wesentlichen dieselbe Posi-tion.
Dann muss ich Sie aber fragen: Haben Sie mit Ihrer Rededie Position der Bundesregierung in diesen schwierigenVerhandlungen, bei denen es auch um nationale Interes-sen ging, gestärkt oder geschwächt?
Dagegen haben wir, habe ich – bei aller Kritik, die esnach Amsterdam an der Position von Bundeskanzler Kohlgab; ich weiß sehr wohl von der Kritik, die es daran gab –Ihre Position in der Europapolitik damals aus der Opposi-tion heraus in allen wesentlichen Teilen unterstützt.
Wir waren nicht daran interessiert, die Position der Bun-desregierung bei solch schwierigen Verhandlungen zuschwächen. Auch hinterher, selbst wenn das Ergebnisnicht gestimmt hat, war die Kritik moderat. Haben wirnach dem Treffen in Amsterdam die „leftovers“, dieschwierigen Fragen, die nicht gelöst wurden, als Anlasszu einer Fundamentalkritik genutzt? Nein.
Haben wir, als die schwierige Entscheidung zum EZB-Präsidenten anstand – jeder von uns weiß, was dort auchhinsichtlich des deutsch-französischen Verhältnissesstattgefunden hat –, eine solche Kritik geübt, wie Sie sieheute geübt haben?Ich sage Ihnen: Sie haben die Position der Bundesre-gierung vor diesen wichtigen Verhandlungen nicht imdeutschen Interesse gestärkt – was ich mir gewünschthätte –, sondern Sie haben versucht, sie zu schwächen.Das finde ich fatal.
Wir stehen in Nizza in der Tat vor einem ganz zentra-len und wichtigen Schritt. Ich gehöre nicht zu denen, diemeinen, dass unter der französischen Präsidentschaftkeine gute Arbeit geleistet wurde und dass in Nizza nichtdie Voraussetzungen dafür vorhanden sind, nach schwie-rigen Verhandlungen – sie werden sehr schwierig werden,weil es in einer sich erweiternden Europäischen Union umdie Verteilung der Gewichte auch zwischen großen undkleinen Mitgliedstaaten geht – zu einer Lösung zu kom-men.Es ist völlig klar: Dabei geht es um viel, nämlich umdie Stimmengewichtung, die Anzahl der Kommissare undum Mehrheitsentscheidungen. Das sind Fragen, die vonzentraler Bedeutung sind. Darüber hinaus: Wollen wir inRichtung einer europäischen Verfassung gehen? Natür-lich wird es auch um die Annahme der Grundrechte-Charta gehen. Wir wünschen uns, dass die Grundrechte-Charta in die Verträge aufgenommen wird. Auchwünschen wir uns selbstverständlich, dass wir in derESVP substanziell weiter vorankommen. Wichtig ist aber,die Beschlüsse, die in diesem Bereich gefasst werden kön-nen, zu fassen.Ich hoffe, dass wir all das erreichen. Ich möchte hier imGegensatz zum Kollegen Merz doch noch einmal auf dasProblem der Stimmengewichtung eingehen. Es ist dochtatsächlich so, dass es seit Beginn der Union zwischen derfranzösischen Republik und der Bundesrepublik Deutsch-land das Problem der Größenproportion gibt.
Dieses Problem wurde durch eine politische Entschei-dung gelöst.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundesminister Joseph Fischer13037
– Numerisch existiert dieses Problem. Es wurde politischgelöst, indem die Gleichrangigkeit beider Länder festge-schrieben wurde.
– Es war schon vorher da. Aber das ist jetzt nicht derPunkt.
– Es gab schon vorher die numerische Differenz zwischender alten Bundesrepublik Deutschland und Frankreich.Das ist doch völlig klar. Aber diese Differenz hat sichdurch die Wiedervereinigung noch verschärft. Aber auchdas ist nicht der entscheidende Punkt. Für Frankreich istes eine ganz entscheidende politische Frage, ob das Ver-hältnis trotz der numerischen Bevölkerungsdifferenzgleichrangig bleibt. Das ist einer der ganz wichtigenPunkte.Umgekehrt werden wir ein Prinzip finden müssen – dasmachte die Diskussion in Biarritz und danach klar –, dasfür alle gilt. Wenn es nur ein deutsch-französisches Pro-blem wäre – das hat der Bundeskanzler mehrmals be-tont –, wäre es innerhalb kürzester Zeit durch eine politi-sche Entscheidung gelöst, weil wir um die Bedeutung desVerhältnisses der Bundesrepublik Deutschland zur fran-zösischen Republik wissen.Was wir in Nizza aber finden müssen, ist eine wirkli-che Lösung dieses Problems. Es kann nicht sein, dass amEnde durch den Beitritt vieler kleinerer Staaten die Pro-portionalität in der Stimmengewichtung – das heißt,wie viel eine Stimme eines Mitgliedslandes wiegt, wennes um Mehrheitsentscheidungen geht – dermaßen aus derBalance gerät, wie es Wirklichkeit zu werden droht, wennwir keine neue Stimmengewichtung erzielen.
– Gut, ich stelle fest: Wir werden in diesem Punkt von derOpposition voll unterstützt. Ich versuche ja, Ihre Unter-stützung zu den Punkten herauszuarbeiten, zu denen Sieso beredt geschwiegen haben.
Bei der Frage der Kommission sind Sie schon etwasdeutlicher geworden. Sie haben den Vorschlag unterstützt.Allerdings muss man bei diesem Thema ehrlicherweisehinzufügen: Die kleineren Mitgliedstaaten haben zumRotationsprinzip leider eine klare Gegenposition bezo-gen. Ich sage bewusst „leider“; aber man muss es in einersolchen Debatte realistisch beschreiben. Ich freue michüber Ihre Unterstützung für diese weiter gehende Forde-rung. Dennoch denke ich, dass man auch hier einen Kom-promiss finden kann. Wir wollen – der Bundeskanzler hates vorhin nachdrücklich betont – eine starke Kommission.
– Die Opposition will es also auch – wieder ein Konsens!Ich würde mir auch eine stärkere Opposition wünschen,damit ein bisschen mehr Druck vorhanden wäre.Eine starke Kommission bedeutet für uns, dass dieZahl der Kommissare nicht beliebig erweitert werdenkann, weil es ansonsten zu Scheinzuständigkeiten kommt.Das wiederum wäre zulasten der Handlungsfähigkeit derKommission. Insofern wird es hier Möglichkeiten geben,einen Kompromiss zu finden, wenn dieser Mechanismusin den Verträgen tatsächlich formuliert und nicht als neues„leftover“ vertagt wird.Der nächste Punkt: Ausweitung der qualifiziertenMehrheit. Herr Merz, in dieser Frage haben Sie mit demTremolo des Anklägers das Beispiel der Handelspolitikgenannt. Weil Sie das deutsch-französische Verhältnis an-gesprochen haben, will ich sagen: Wir wären bei der Han-delspolitik in der Tat zu sehr weitgehenden Schritten be-reit. Aber die französische Republik tut sich damit sehrschwer.
– Gut, aber dann kann man nicht einfach im Brustton derÜberzeugung anklagend fragen: Seid ihr dazu bereit? Wirsind dazu bereit.
– Gut, dann will ich Ihnen die Frage beantworten. Es siehtim Moment so aus, als wenn Frankreich die Frage derHandelspolitik ganz hoch ansetzen würde. Es gibt einigeandere Fragen – die Frage der Steuerpolitik, des Asyl-rechts und noch einige Fragen kleinerer Mitgliedstaaten –,zu denen es schwierige Verhandlungen geben wird, weildie nationale Interessenlage hier einen Graben lässt, dernoch nicht durch die Möglichkeit zu einem Kompromissüberbrückt ist. Dennoch glaube ich, dass wir hier zu ei-nem substanziellen Ergebnis kommen, die Problemeweitgehend lösen und, ich hoffe, dann auch zu Mechanis-men der Überwindung finden können, und zwar innerhalbder Verträge. Aber es ist sehr schwierig, weil hier unter-schiedliche nationale Interessen zusammengefügt werdenmüssen.Zur verstärkten Zusammenarbeit. Ich fasse dasSchweigen der Opposition hierzu als eine klare Zustim-mung und auch als ein Lob auf.
– Herr Merz, Ihre Ausführungen waren dermaßen erre-gend, dass das bei uns dazu führte, sie auf der Regie-rungsbank kommunikativ begleiten zu müssen. Das sollteSie doch freuen.
Sie sind gewissermaßen der große Diskursstifter auf derRegierungsbank. Ich habe bei dieser hochgradig emotio-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundesminister Joseph Fischer13038
nalen Rede zwar etwas die Emotionen in den Reihen Ih-rer eigenen Leute vermisst – aber das möchte ich nichtweiter vertiefen.
Die verstärkte Zusammenarbeit ist deswegen von sogroßer Bedeutung, weil – hier komme ich noch einmal aufden Beginn meiner Rede zurück – die historische Heraus-forderung der Vereinigung Europas die Notwendigkeitder Vertiefung mit sich bringt. Wie der Bundeskanzler ge-sagt hat, würden wir es uns wünschen, dass nach Mög-lichkeit alle den nächsten Schritt zur politischen Integra-tion im Rahmen dieser Verträge tun. Wenn dies aber nichtder Fall ist, dann dürfen diejenigen, die weitergehen wol-len und können, nicht daran gehindert werden. Insofernfreuen wir uns – das ist eine originäre Leistung der Bun-desrepublik Deutschland, dieser Bundesregierung –, dassetwas, was noch vor einem Jahr als unmöglich angesehenwurde, seit Biarritz, im Wesentlichen auf der Grundlageder deutsch-italienischen Initiative, mehrheitsfähig ge-worden ist, nämlich die verstärkte Zusammenarbeit.
Dann sollte es in Nizza noch gelingen, das EuropäischeParlament zu stärken, die definitiven Strukturen derESVP mit einem entsprechenden Beschluss in Kraft zusetzen und gleichzeitig die Frage der Grundrechte-Charta zu verabschieden sowie eine Perspektive für dasweitere Vorgehen in den Schlussfolgerungen zu veran-kern.Das alles hat nichts mit Vertagung zu tun. Jeder Wegerfolgt Schritt für Schritt. Bisweilen sind es strategischwichtige Schritte, Entscheidungen an einer Weggabelung.Nizza ist solch ein großer Schritt. Das bedeutet aber nicht,dass wir mit Nizza am Ende des Weges der politischen In-tegration angekommen sind. Sie sollten dem Bundes-kanzler hier nicht unterstellen, wir wollten etwas verta-gen.
– Ich gehe auf dieses Argument ein, weil ich es kenne. Ichkann Ihnen nur sagen: Für uns ist entscheidend, dass inNizza keine „leftovers“ bleiben. Für uns ist entscheidend,dass bei den Schlussfolgerungen eine Perspektive für dienächsten Schritte eröffnet wird, mit der dann unter derschwedischen, der belgischen und den folgenden Präsi-dentschaften weiter gearbeitet werden kann. Dieses hatder Bundeskanzler mit der Perspektive für 2004 – dieseZeit werden wir brauchen – sehr konkret beschrieben.
Ich denke, dass wir bei der Erweiterung gut daran tun,uns an Helsinki zu orientieren. Ich kann nur unterstrei-chen, was der Bundeskanzler gesagt hat: Vor allen DingenSchweden wird sich in seiner Präsidentschaft sehr ener-gisch um diese Themen zu kümmern haben, wenn den Er-gebnissen von Nizza ein dauerhafter Erfolg beschiedensein soll. Der Fortschrittsbericht der Kommission isteine gute Grundlage für das weitere Verfahren.
Es darf keine politischen Gefälligkeitsentscheidungen,aber auch keine politisch motivierten Bremsentscheidun-gen geben.
Das ist für uns ganz entscheidend.Lassen Sie mich auf Grundlage der Ergebnisse der Ge-spräche von Helsinki betonen: Wir reden über die Wie-dervereinigung Europas und dabei kommt Polen eineganz besondere Bedeutung zu. Der Zweite Weltkrieg be-gann durch den Überfall von Nazi-Deutschland auf Polen,auf den das Vereinigte Königreich und die französischeRepublik mit einer Kriegserklärung an Deutschland rea-gierten. Polen wurde militärisch besiegt, hat aber nie dieWaffen gestreckt; es kämpfte immer für die Freiheit. Po-len war nach 1945 im System von Jalta auf der falschenSeite, aber hat erneut nicht die Waffen gestreckt. Das giltauch für andere, aber Polen hat eine zentrale historischeBedeutung: Wir reden bei der Osterweiterung nicht nurüber eine der Erweiterungsrunden, sondern über den Kernder Wiedervereinigung Europas nach seiner Teilung,
die unser Land durch den Absturz in die Verbrechen desNazi-Regimes verursacht hat.
Insofern sind wir auch besonders verpflichtet, uns hierzur engagieren. Vergessen wir nicht: Den ersten wirkli-chen Stein aus der Mauer hat die polnische Gewerk-schaftsbewegung Solidarnosc Ende der 70er-Jahre gebro-chen.
Ich weiß, dass auf diesem Feld ein breiter Konsens be-steht. Ich will nur die Bedeutung dieses Schrittes klarma-chen: Für uns ist es von überragender Wichtigkeit, dasswir die Wiedervereinigung Europas nach der Wieder-vereinigung Deutschlands hinbekommen. Mit dieser For-derung kann ich mich auf Helmut Kohl berufen und wirvergeben uns nichts dabei, wenn wir diesen wirklich be-deutsamen Teil seines Erbes in eine europapolitische De-batte einführen. Nebenbei bemerkt: Auch das hätte ich mirvon Ihnen gewünscht.
Da es einen engen Zusammenhang zwischen der Wie-dervereinigung Deutschlands und der WiedervereinigungEuropas gibt, fühlen wir uns verpflichtet, auf der Grund-lage von Helsinki gemeinsam mit unseren polnischenFreunden alle Anstrengungen zu unternehmen, damit
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundesminister Joseph Fischer13039
Polen die Bedingungen, die ökonomischen, empirischenund rechtlichen Bedingungen, schafft, um bei einer Er-weiterung in den kommenden Jahren bei den Ersten zusein.Ich bedanke mich.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Helmut Haussmann, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Ge-schätzte Kolleginnen und Kollegen! Es führt kein Weg da-ran vorbei: Um Europa steht es derzeit nicht gut. Wir allespüren, sofern wir uns für die Osterweiterung einsetzen,dass die Skepsis zunimmt; nur noch ein Drittel unsererBevölkerung ist für die Osterweiterung, zwei Drittel sinddagegen. Das Symbol der Integration, die europäischeWährung, verliert immer mehr an Außenwert und wirkli-che Reformen zur Stützung des Euro unterbleiben. Bei derBevölkerung in Osteuropa und bei den Reformern in die-sen Ländern nimmt die Enttäuschung zu. Damit wir unsnicht missverstehen, Herr Fischer: Wir als Oppositionwollen nicht weniger, sondern mehr Europa.
Wenn Sie dafür sorgen, das Nizza ein Erfolg wird – Siehaben dafür nur noch neun Tage Zeit –, haben Sie die volleUnterstützung der liberalen Fraktion. Als Ergebnis vonNizza muss die Handlungsfähigkeit Europas gestärkt unddie Tür für die Wiedervereinigung Europas aufgestoßenwerden.Herr Bundeskanzler, ich habe Ihrer Rede sehr auf-merksam zugehört. In Ihrem Redetext stand, genaue Ter-mine hinsichtlich der Osterweiterung seien unangebracht.Sie haben aber in Ihrer Rede darauf hingewiesen, Sie wür-den sich in Nizza für eine „road map“, das heißt für einenkonditionierten Beitrittsfahrplan, einsetzen. Das wäre eingroßer Fortschritt. Das heißt, dass unter ganz bestimmtenerfüllten Bedingungen Länder wie Polen oder die Tsche-chische Republik mit einem Beitrittstermin rechnen kön-nen. Richtig ist, dass Reformbemühungen in den Bei-trittsländern unternommen werden müssen; falsch waraber Ihre Bemerkung, dass die Länder diese Entscheidungselber zu treffen hätten. Die 15 EU-Staaten treffen die po-litische Entscheidung, wer Mitglied in Europa wird, ein-stimmig.Meine Damen und Herren, was Nizza angeht: DieStimmung ist gedrückt. Das Europaparlament droht mitAblehnung. Die Chefin des Europaparlaments war hier.Sie sprach von einem Ergebnis, das eher „médiocre“ aus-fällt. Dies wurde zunächst mit „mittelmäßig“ übersetzt.Nachher hieß es: „schlecht, unterdurchschnittlich“.Außenminister Fischer versteckt sich in Berlin und inBrüssel hinter abstrakten Visionen. Die deutsch-franzö-sischen Verhandlungen laufen schlechter denn je.Deutsche Beamte stehen gewieften sozialistischen Eu-ropapolitikern gegenüber. – Dies ist ein großes Manko,meine Damen und Herren. Wir dürfen uns nicht wundern,dass wir in der Handelspolitik große Probleme haben.Die schlechten Voraussetzungen für einen Erfolgdieses wichtigen Gipfels hängen auch mit zwei Proble-men zusammen, an denen die Bundesregierung alswichtigste Regierung Europas im Hinblick auf Nizzaentscheidenden Anteil hat. Das eine ist die Ver-schlechterung des deutsch-französischen Verhältnisses.Die gegenseitigen Beschuldigungen sind ein schlechtesZeugnis. Es hätte nie so weit kommen dürfen. Aber wirerinnern uns – wir haben das immer wieder gesagt –:Schon der Start war miserabel. In Frankreich haben dieunsensiblen Auftritte – zunächst von Herrn Lafontaine,dann von Herrn Trittin – die Atmosphäre von Anfang anverschlechtert.
Die damaligen Pläne des Bundeskanzlers, die er inzwi-schen aufgegeben hat, das bewährte Sonderverhältniszwischen Deutschland und Frankreich um Großbritannienzu erweitern, haben in Frankreich zu weiteren Missver-ständnissen geführt. Deshalb können wir Sie nur auf-fordern: Nutzen Sie die letzten neun Tage vor Nizza, umauf die französische Präsidentschaft einzuwirken, dass eszu einem substanziellen Ergebnis kommt, dem auch wirhier aus Überzeugung zustimmen können.
Meine Damen und Herren, der zweite große Fehler derBundesregierung war und bleibt die schlechte Behand-lung kleiner Länder.
Alle bisherigen Bundesregierungen haben ihre europä-ischen Erfolge durch eine besondere Berücksichtigungder kleineren EU-Staaten erzielt. Die absurde, von derBundesregierung geduldete Sanktionspolitik gegenüberÖsterreich hat die Erfolgsaussichten für Nizza weitergeschmälert.
Nicht zuletzt trifft dies auf die Behandlung des österrei-chischen Bundeskanzlers durch Bundeskanzler Schröderzu. Man konnte es am Fernsehen erleben: ein Treffen erstauf Vermittlung eines Verbandes, in einem Hotelzimmer,mit der Bemerkung: Ich habe weitere ausländische Gäste;nach 25 Minuten ist Schluss.
Diese Art von Behandlung führt dazu, dass nicht nur Öster-reich, sondern auch andere kleine Länder, auch kleineLänder in Osteuropa, große Zweifel haben, ob die Bun-desregierung die bewährte Politik, Anwalt der kleinenStaaten zu sein, wirklich fortführt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundesminister Joseph Fischer13040
Daher kann ich nur ganz klar sagen, Herr Außen- undEuropaminister Fischer: Mit einem schwachen Ergebnisin Nizza können Sie mit unserer Stimme nicht rechnen.Kommen Sie bitte nicht mit Vertagung auf 2004. Ich haltediese Diskussion für falsch, weil sie den Druck, in Nizzazu einem Erfolg zu kommen, eher abschwächt. Einschwaches Ergebnis in Nizza – ich hoffe, dass ich vonüberzeugten Europäern in der SPD unterstützt werde –hätte extrem schlechte Folgen für die Osterweiterung, fürden weiteren Euro-Kurs, aber auch hinsichtlich der Zu-stimmung unserer Bevölkerung zu weiteren europäischenFortschritten.
Deshalb sage ich: Wir begleiten Sie bei substanziellenKompromissen. Aber ohne wesentliche Fortschritte beider Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen werdenwir nicht zustimmen, meine Damen und Herren. Ich ver-weise auf das Europaparlament: Lösen Sie die Blockade,die durch das Vetorecht verursacht wird, auf. Aber, HerrFischer, hüten wir uns davor – davor möchte ich heuteauch warnen –, die verstärkte Zusammenarbeit als Alibizu missbrauchen, wenn die Durchsetzung des Mehrheits-prinzips scheitern sollte; denn wenn die Union aufgrundder Blockade in wichtigen Bereichen auseinander driftet,dann wird daran auch die verstärkte Zusammenarbeitnichts ändern, eher im Gegenteil. Das ist die große Gefahr.Deshalb muss zuerst das Mehrheitsprinzip durchgesetztwerden und dann die verstärkte Zusammenarbeit forciertwerden.
Wir appellieren an Sie: Verhindern Sie ein Scheitern inNizza! Ein solches Scheitern, das bisher möglich er-scheint, hätte verheerende Auswirkungen. Kämpfen Siefür den Erfolg; zeigen Sie wirkliche Leidenschaft! Europaist nicht ein Pflichtthema unter anderen. Die bisherigenBundesregierungen hatten auf solchen Gipfeln immer Er-folg.Herr Außenminister Fischer, wenn Sie an Maastrichterinnern, dann kann ich nur sagen: Das, was uns von derdamaligen Opposition, von Herrn Lambsdorff, von derDeutschen Bundesbank und von der CSU auf den Weggegeben wurde, hat die Bundesregierung unter Kohl undKinkel mit dem Vertrag von Maastricht umgesetzt, in demin vorbildlicher Weise deutsche Stabilitätsinteressen undeuropäische Integrationsbestrebungen zusammengeführtwerden.
Heute gibt es nur ein unterdurchschnittliches Ergebnis.Die osteuropäischen Länder warten dringend auf dieErgebnisse von Nizza. Ich kann Sie nur auffordern: Wer-den Sie zum Anwalt dieser Länder! Deutschland ist nichtirgendein europäisches Land. Von Ihrer Haltung und vonIhrem Engagement, aber auch von Ihrer Leidenschaftwird es abhängen, ob Nizza den Weg für die europäischeEinigung freimacht.Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Uwe Hiksch, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Die PDS und die europäische Linkebegreifen die Europäische Union vor allen Dingen alsChance, eine politische, zivilgesellschaftliche Macht alsAusgleichs- und Demokratiefaktor gegen die sich immerweiter ökonomisierenden und institutionalisierenden Fi-nanz- und Kapitalmärkte durchzusetzen. Die EuropäischeUnion hat vor allen Dingen auch die Aufgabe, die Sorgenund die Nöte der Menschen aufzugreifen, die spüren, dassauf der einen Seite der Nationalstaat nicht mehr das leis-ten kann, was er zu leisten hätte, nämlich soziale Sicher-heit herzustellen und soziale Daseinsfürsorge zu gewähr-leisten, und dass auf der anderen Seite die Politikerinnenund Politiker ihre eigenen Forderungen nicht mehr auf na-tionalstaatlicher Ebene erfüllen können und die berech-tigten Interessen der Menschen auf europäischer Ebeneeinzuklagen sind.Deshalb sehen wir es als unsere Aufgabe an, im Rah-men des Nizza-Prozesses und der gesamten Diskussio-nen, die momentan über die Zukunft der EuropäischenUnion geführt werden, deutlich zu machen, dass diealltäglichen Sorgen und Nöte der Menschen, die Angsthaben, dass Dinge, die geschaffen wurden, kaputtgehen,aufgegriffen werden müssen und der Internationali-sierung der Kapital- und Finanzströme endlich zivilge-sellschaftlich entgegengewirkt werden muss.
Die PDS-Bundestagsfraktion hat immer wieder daraufhingewiesen, dass der bisherige europäische Prozess vorallen Dingen wirtschaftlich, ökonomisch und monetärausgerichtet war, nicht etwa deshalb, um die EuropäischeUnion zu kritisieren, sondern um deutlich zu machen: EinEuropa, das sich nicht endlich ökologisch und sozial aus-richtet, wird von vielen Menschen als Gefahr empfundenwerden. Dann werden solche Reden über Leitkultur, wiesie Herr Merz hält, und solche nationalistischen Äußerun-gen wie die von Herrn Meyer eine Art Brandstiftung seinund mittelfristig den Haiders, die es auch in Deutschlandgibt, den Weg bereiten. Sie sollten sich dafür schämen undendlich erkennen: Nicht nationalstaatliche Diskussionen,wie sie der rechte Teil der CDU/CSU führt, müssen jetztauf der Tagesordnung in unserem Land stehen; vielmehrmuss endlich eine Diskussion über europäische Integra-tion und über Solidarität zwischen den verschiedenenBevölkerungsgruppen geführt werden. Sie betreiben eingefährliches Spiel. Sie zünden etwas an, das das, was wirtäglich erleben, nämlich den Nationalismus in seiner bru-talsten Form, vorantreibt.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir derfesten Überzeugung, dass die Aufgabe der Bundes-regierung darin bestehen muss, sich für die Daseinsvor-sorge in der Europäischen Union einzusetzen. Wir fordernSie auf, Herr Außenminister, Herr Bundeskanzler, inNizza deutlich zu machen, dass das bundesdeutsche
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dr. Helmut Haussmann13041
System und die anderen europäischen Systeme im Be-reich des sozialen Sektors von den Wohlfahrtsverbän-den – der Arbeiterwohlfahrt, der Caritas, dem DeutschenParitätischen Wohlfahrtsverband – nicht durchkapita-lisiert werden dürfen, nicht dafür benutzt werden dürfen,nur noch Gewinne zu machen. Die Aufgabe der Bundesre-gierung muss darin bestehen, deutlich zu machen, dasswir mit den Menschen in den Altenheimen, mit den Men-schen in den Sozialstationen und mit den Menschen undBeschäftigten in den Behinderteneinrichtungen dafürkämpfen, dass die Durchkapitalisierung von geschütztenBereichen nicht passieren darf und Europa die Verant-wortung hat, die sozialen Bereiche zu erhalten.
Als PDS-Bundestagsfraktion machen wir deutlich,dass wir uns dagegen wehren werden, dass die Wirt-schaftspolitik durch eine falsch verstandene Liberali-isierung zerstört wird; denn die öffentlichen Banken,allen voran die Sparkassen, leisten einen wichtigenBeitrag dafür, regionale Strukturentwicklungen zu er-möglichen. Sie helfen kleinen und mittelständischen Un-ternehmen und vor allen Dingen geben sie Existenzgrün-dern das notwendige Kapital. Hier sehen wir eine Aufgabeder Bundesregierung.
Wenn die Bundesregierung Europa als Europa der Men-schen, die hier arbeiten und leben wollen, gestaltet, dannwerden wir sie unterstützen.Deshalb hat sich die PDS-Bundestagsfraktion auchdeutlich dafür ausgesprochen, dass die Grundrechte-Charta, so wie sie jetzt vorliegt, hätte weiter gehend seinmüssen, da wir der Überzeugung sind, dass die sozialenGrundrechte bei weitem nicht so ausgestaltet sind, wie sieeigentlich sein müssten. Wir vermissen ein Recht auf Ar-beit. Wir vermissen ein Recht auf Wohnen. Wir vermissenvor allen Dingen, dass die Grundrechte auch individuelleinklagbar sind. Wir setzen uns dafür ein, dass mit derGrundrechte-Charta und mit einer schnellen Verankerungin den Verträgen sowie einer schnellen Einklagbarkeit fürdie Menschen in der Europäischen Union ein ersterSchritt in die richtige Richtung getan wird, nämlich Eu-ropa sozialer als bisher zu gestalten.
Als PDS wollen wir, dass möglichst viele Menschen zuden Großveranstaltungen nach Nizza fahren, um bei denDemonstrationen, die vom Europäischen Gewerkschafts-bund, den Arbeitslosenverbänden, der Arbeitsloseninitia-tive, von der Euro-Marsch-Bewegung und der ATTAC an-geregt wurden, deutlich zu machen, dass die Forderungender Menschen nach mehr sozialer Gerechtigkeit, die indi-viduelle Einklagbarkeit und die bürgerlichen Freiheits-rechte auf der einen Seite bestehen. Es muss aber auf deranderen Seite eine Unteilbarkeit der sozialen Grundrechtegeben. Auch die F.D.P. muss lernen, dass das Recht auf Ar-beit, das Recht auf Wohnen, das Recht auf sozialen Aus-gleich genauso hoch einzuschätzen ist wie das Recht aufFreiheit. Wir müssen es endlich schaffen, diesen leidigenWiderspruch zwischen Freiheitsrechten auf der einen Seiteund sozialen Rechten auf der anderen Seite zu überwinden.
Deshalb hoffen wir, dass die Hunderttausende, die nachNizza kommen werden, Druck auf die Regierungen aus-üben werden, um die Rechte der Menschen durchzuset-zen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind derMeinung, dass es vor allen Dingen erreicht werden muss, inNizza die „leftovers“ vollständig abzuarbeiten. Nizza wirddarüber entscheiden, ob die Integration der mittelosteuro-päischen Staaten in die Europäische Union zu einem Erfolgführt oder mit noch mehr Schwierigkeiten und noch mehrBürokratie auf europäischer Ebene verbunden ist. Deshalbwird die PDS diesen Diskussionsprozess konstruktiv be-gleiten und deutlich machen, wo wir Weiterentwicklungenfordern. Wir werden vor allen Dingen von der Bun-desregierung verlangen – wenn sie dem folgt, werden wirsie unterstützen –, dass bereits in Nizza eine Nachfol-gekonferenz mit einer klaren Terminierung festgelegt wird,um auf dieser Nachfolgekonferenz die sozialen Fragen, dieökologischen Fragen und die Fragen der Bekämpfung derMassenarbeitslosigkeit in Europa und in unserem Landendlich auf die Tagesordnung zu setzen. Deshalb, liebe Kol-leginnen und Kollegen, wünschen wir uns, dass das, was inEuropa ohne Probleme stattgefunden hat und mit einergroßen Schnelligkeit und Präzision durchsetzbar war, über-all durchgesetzt wird.Es geht hier auch um die Frage der Militärpolitik, umdie Frage der Streitkräfte. Die einzige – ich sage das inAnführungsstrichen – „Erfolgsgeschichte“ der Europä-ischen Union ist leider die Militarisierung der europä-ischen Ebene. Wir von der PDS wünschen uns, dassDiskussionen über Klimafragen, Diskussionen übersoziale Standards, beispielsweise bei der WTO, oderDiskussionen darüber, wie Kinderarbeit in der Weltbekämpft werden kann, mit der gleichen Präzision, mitder gleichen Schnelligkeit und vor allen Dingen in dergleichen Art und Weise wie Militärfragen durchgesetztwerden könnten.
Wir stellen an der Diskussion über die GemeinsameAußen- und Sicherheitspolitik fest, dass genau das, wasRot-Grün als Oppositionsparteien einmal vertreten haben,dass nämlich das Primat des Militärischen überwundenwerden soll und endlich durch das Primat des Politischenersetzt werden muss, aufgegeben wurde. Wir stellen fest,dass gerade die deutsche Bundesregierung – sie will18 000 Personen für die gemeinsame europäische Armeezur Verfügung stellen und wäre dann mit 30 Prozent über-proportional an dem beteiligt, was europäische Sicher-heitspolitik sein soll – alles, was sie in der Vergangenheiteinmal vertreten hat, aufgegeben hat. Diese Bundes-regierung betreibt die Militarisierung der Außenpolitikund die Militarisierung der Europäischen Union mehr alsdie alte Bundesregierung.Wir werden auch weiterhin dafür eintreten, dass dieEuropäische Union als zivile Union gestaltet wird,
dass es keine Militarisierung der Europäischen Uniongeben wird und dass die Europäische Union ihre Aufgabevor allen Dingen darin sehen muss, sich als internationaler
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Uwe Hiksch13042
Kriegsdienstverweigerer dafür einzusetzen, dass die OSZEgestärkt wird und dass militärische Sicherheitsstrukturennicht immer weiter ausgebaut werden, damit das Primat derAußenpolitik, die friedliche Beilegung von Konflikten,mehr als bisher zur Geltung kommt.Deshalb sagt die PDS Nein zu allen Plänen des mili-tärischen Engagements der Europäischen Union „in undum Europa“, wie es so schön heißt. Wir sagen Nein zueiner schnellen, überall einsetzbaren Eingreiftruppe, wiesie auf der europäischen Ebene aufgebaut werden soll.Wir sind der Überzeugung, dass zivile Konfliktbewälti-gung den Einsatz von Militärs verhindert. Man mussendlich darüber diskutieren, ob es richtig ist, 60 Milliar-den DM für ein neues Großflugzeug zur Verfügung zustellen. Dieses Geld sollte dafür eingesetzt werden, Ar-beitslosigkeit zu bekämpfen und den Menschen zu helfen.Man muss endlich erreichen, dass die politische Institu-tion Europa eine Gegenmacht gegen das wird, was Mili-tärs außerhalb Europas betreiben, und gegen das, was sichin den Unternehmen abspielt.Der Gipfel in Nizza sollte über die Bewältigung der or-ganisatorischen Aufgaben hinaus endlich ein Signal indiese Republik aussenden: Menschen, wir nehmen eureSorgen und Nöte ernst; wir geben euch keine nationaleAntwort darauf; die Antwort lautet, dass internationaleZusammenarbeit, dass das Zusammenleben der Völker,dass das Zusammenleben der Nationen dazu führenmüssen, dass eine große europäische, ökologische undsoziale Union geschaffen wird, die dazu da ist, den Men-schen im heutigen Europa, vor allen Dingen denjenigen inMittelosteuropa, die zu uns kommen wollen, eine sichereund soziale Zukunft zu geben.Danke schön.
Ich erteile dem Kolle-
gen Joachim Poß, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Wir befinden uns heute Morgen in einemDiskurs über die Leidenschaft. Ich meine damit die poli-tische Leidenschaft im Sinne von Max Weber. Ich habeden Bundeskanzler so verstanden, dass er mit Leiden-schaft zur Sache eine Kursbestimmung vorgenommenhat.
Davon muss man die künstliche Leidenschaft des Stilsvon Herrn Merz unterscheiden. Diese beiden Kategorienmuss man in der politischen Diskussion sehr genau aus-einander halten.Ich finde, dass unser Bundeskanzler mit Leidenschaftzur Sache das gesagt hat, was vom 7. bis zum 8. Dezem-ber ansteht. Wir sollten die Diskussion heute Morgensachlich führen – das wurde auch von Ihrer Seite bekun-det –: Weshalb ist er in den letzten Tagen so viel in eu-ropäischen Hauptstädten gewesen, wenn nicht deswegen,weil es darum ging, die Dinge voranzubringen und einmögliches Scheitern – Herr Haussmann, zum Beispielvon Ihnen wurde es fast an die Wand gemalt – zu verhin-dern? Motiv war unsere Verantwortung. Dieser Bun-deskanzler nimmt sie genauso wie sein Vorgänger, derebenfalls hier sitzt, wahr. Wir sollten die Debatte heuteMorgen nicht mit falschen Fronten führen. Damit werdenwir unserer Verantwortung als Bundesrepublik Deutsch-land nicht gerecht.
Es ist doch wohl unbestritten, dass es in Nizza um einenpolitischen Quantensprung geht und dass Erfolg und Miss-erfolg eng beieinander liegen, übrigens ganz unabhängigvon der Erweiterung. Wir wissen, dass sich die Uniongrundlegend reformieren muss. Aber das wissen wir dochnicht erst seit dem Jahre 2000. Herr Fischer hat zu Rechtdarauf hingewiesen, dass jetzt der dritte Anlauf zu einerReform genommen wird. Bei all seinen Verdiensten hatder Vorgänger dieses Bundeskanzlers in Maastricht undAmsterdam nicht das geschafft, was jetzt in Nizzaangepackt werden muss. Dies schmälert nicht seine Ver-dienste; aber man muss es feststellen. Das muss jetztgemeinsam bewältigt werden.Die Herausforderungen sind doch so groß, meineDamen und Herren, weil es sich um nichts Geringeres alsum die Teilung und Neuaufteilung von Macht handelt.
Deshalb tut sich die Europäische Union so schwer, dasssie einen dritten Anlauf nehmen muss, um zur Einführungder qualifizierten Mehrheit als Regel, zur Neugewichtungder Stimmen im Ministerrat und zur Bestimmung derzukünftigen Zahl der Kommissare zu kommen.In dieser Situation, Herr Haussmann, ist es doch – auchfür das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern – hilf-reich, sich des geschichtlichen Kontextes zu versichern.Am Anfang der Europäischen Union standen, unter demEindruck zweier furchtbarer Weltkriege, sicherheitspoli-tische Motive. Durch Verflechtung der Nationalstaatensollten bewaffnete Auseinandersetzungen unter ihnen fürdie Zukunft weitgehend ausgeschlossen werden. Das be-deutete, Deutschland in die euro-atlantischen Institutio-nen fest einzubinden. Darüber hinaus ging es darum,einen Zusammenschluss gegen die Expansionsbestrebungdes Stalinismus zu bilden. Erst Jahre später kam dasWohlstandsmotiv hinzu: Zunächst durch die Schaffungdes Binnenmarktes, später durch die Schaffung einergemeinsamen Währung wurden und werden zusätzlicheWachstumskräfte freigesetzt, die die einzelnen Öko-nomien alleine nicht hervorbringen können.Wir müssen jetzt fragen, was von diesen Motiven heutegeblieben ist. Das ökonomische Momentum, die Steige-rung des Wohlstandes, gilt nach wie vor. Das sicherheits-politische Motiv hat sich sicherlich ein wenig verändert.Im Vordergrund steht heute das stetige Bemühen, Macht-differenzen zwischen den europäischen Staaten nichtdurch „balance of power“, durch Allianzen und Gegenal-lianzen, sondern durch politische Integration auszuglei-chen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Uwe Hiksch13043
Ein wesentliches inneres Merkmal der EU, das inZeiten der Globalisierung, wie wir alle wissen, ohne Al-ternative ist, ist die Abgabe von Souveränität an gemein-same Institutionen.
Auch wissen wir alle – zumindest theoretisch, auch wennes schwer ist, dies umzusetzen –, dass die EU weltpo-litisch nur dann ein handlungsfähiger und ernst zu neh-mender, weil machtvoller Akteur ist, wenn sie mit einerStimme spricht. Wir machen doch gerade leidvolle Er-fahrungen damit, dass wir die Rolle noch nicht spielenkönnen, die wir spielen könnten, wenn wir all das, wasin Nizza ansteht, schon bewältigt hätten.Damit sind die strategisch bedeutsamen Vorbereitun-gen angesprochen, die die EU selbst leisten muss, umneue Mitglieder aufnehmen zu können. Die weitere Ab-gabe von Souveränität muss von den Bürgern der Mit-gliedsstaaten akzeptiert werden. Dies wird – bei allerKompromissbereitschaft der Bundesregierung, die hierbekundet wurde – nur gelingen, wenn die Stimmen imMinisterrat so gewichtet werden, dass nicht eine Minder-heit von EU-Bürgern, die von einer Mehrheit vergleichs-weise bevölkerungsarmer Staaten repräsentiert werden,die Mehrheit von EU-Bürgern, die in vergleichsweisegroßen Staaten leben, überstimmen kann. Dies ist für unseine zentrale Frage, meine Damen und Herren.
Wir müssen berücksichtigen, dass die mit Mehrheitgetroffene Entscheidung im Ministerrat eine Entschei-dung von Staaten über Staaten bedeutet. Um mit dengroßen Vorhaben der Vertiefung und Erweiterung dieKluft zwischen Politik und Bürgern nicht noch weiter zuvergrößern, benötigen wir gerade jetzt den von Europawirklich überzeugten Bürger, Herr Haussmann.
– Da sind wir uns einig. – Wir benötigen eine europäischeÖffentlichkeit, europäische Parteien und europäische In-teressenverbände. Denken wir an den Ausruf von JeanMonnet: „Wir einigen keine Staaten, wir führen Menschenzusammen.“ Das ist unsere gemeinsame Aufgabe und andieser Aufgabe müssen wir auch hier im Parlament ar-beiten, auch heute Morgen. Das haben Sie nicht gemachtund Herr Merz schon gar nicht.
Sie haben nicht die notwendigen Voraussetzungen geschaf-fen, um diesen Dialog in den nächsten Jahren zu organi-sieren.Die wirklich zentrale Herausforderung, die die Erwei-terung mit sich bringt, ist, die Mehrheitsentscheidungzur Regel werden zu lassen. Nur so bleibt die EU nach derAufnahme neuer Mitglieder nach innen und außen hand-lungsfähig. Die demokratische Legitimation europäischerPolitik muss gestärkt werden. Bei allen Legislativbe-schlüssen – der Bundeskanzler hat es ja unterstrichen –,die der Rat mit qualifizierter Mehrheit trifft, muss das Eu-ropäische Parlament zukünftig im Rahmen des Mit-entscheidungsverfahrens beteiligt werden. Sie, HerrHaussmann, haben ja hier sehr deutlich gesagt, wie dieF.D.P. sich hier verhalten könnte. Wir wissen, wie sich dasEuropäische Parlament verhalten könnte, wenn wir in un-serem eigenen wohlverstandenen Interesse die Interessendes Europäischen Parlaments berücksichtigten. Wie ste-hen wir zum Beispiel zu der Forderung des EuropäischenParlamentes nach Mitentscheidungsrechten in allenBereichen der Wirtschafts- und Währungspolitik? Ich bindafür, die Warnungen aus dem Europäischen Parlamenternst zu nehmen.
Die Vertiefungsvorhaben, die so genannten „left-overs“, müssen bewältigt werden, bevor neue Staatenaufgenommen werden können. Mein Eindruck ist, dassdie Europäische Union größte Anstrengungen unter-nimmt, diese in der europäischen Geschichte einzigartigeHerausforderung zu meistern. Was soll dann in diesemZusammenhang der Pessimismus, der insbesondere vonIhnen verbreitet wurde? Ohne Optimismus geht es nicht.
Das hat doch auch der ehemalige Bundeskanzler be-wiesen.Wir alle müssen berücksichtigen, dass die EuropäischeUnion aus Stabilitätsgründen die Staaten Südosteuropasebenfalls eingeladen hat und ihnen die Perspektiveeröffnet hat, Mitglieder der euro-atlantischen Institutio-nen zu werden. Wir müssen von daher aufpassen, dass wirdie Strukturen der EU im Zuge der europäischen Einigungnicht überdehnen. Schnelle Beitritte in eine unvorbereite-te Union haben für keine Seite einen Nutzen, da die EUihre Verheißungen – sie verspricht ja mehr Wohlstand undnach wie vor Sicherheit vor Krieg – dann in Zukunftvielleicht nicht mehr so gut wie bisher erfüllen kann.Werner Weidenfeld, einer der Mentoren der europapoli-tischen Diskussion, mahnt mit Blick auf eine möglicheÜberdehnung die Vorstellung eines föderalen Europa an.Er beschreibt sehr präzise die Probleme einer EU mit28 Mitgliedern. Ich füge hinzu, dass eine geografischdefinierte Union sogar 36 Mitglieder hätte. Ein solchesGebilde käme dem Charakter der OSZE, des Europaratesoder der Vereinten Nationen näher als dem Ideal derGründergeneration. Ähnliche Sorgen trieben wohl auchWilly Brandt um, als er mit Blick auf die zukünftigeGröße der EU warnend sagte:Wenn also von Architektur die Rede ist, widerrate ichjeder möglichen Neigung zur Gigantomanie.
Damit hier überhaupt kein Missverständnis aufkommenkann – mir ist bewusst, Herr Kollege Glos, dass Ihnen einWort wie „Gigantomanie“ viel flüssiger als mir über dieLippen geht –:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Joachim Poß13044
Das sind keine Argumente gegen die Erweiterung der EU,sondern Hinweise auf die Größe der politischen und auchintellektuellen Aufgabe – da wären wir wieder bei Ihnen,Herr Glos –, die wir zu meistern haben, um die TeilungEuropas zu überwinden.
Mit Besorgnis muss ich in diesem Zusammenhang fest-stellen, dass die CDU/CSU dabei ist, sich von einer be-währten politischen Tradition zu verabschieden. Damitmeine ich die Tradition des fraktions- und parteiüber-greifenden europapolitischen Konsenses.
Warum, Herr Merz, war es nicht möglich, für die heutigeDebatte einen gemeinsamen Antrag der Fraktionen desDeutschen Bundestages zu formulieren? Wenn man denText der Anträge vergleicht, kann man feststellen: Dashätte sehr wohl möglich sein können. Warum war es alsonicht möglich, einen gemeinsamen Text zu formulieren?
Unter Verkennung der europapolitischen Auswirkun-gen leisten Sie sich in diesen Wochen zudem eine un-sägliche Debatte über die so genannte deutsche freiheit-liche Leitkultur. Kann man an dieser Debatte ablesen,meine Damen und Herren von der Union, wie sich ein vonIhnen regiertes Deutschland in Europa aufführen würde?Ich ahne da nichts Gutes.
Die von Ihnen ausgelöste Diskussion kultiviert bereitswieder die unselige Tradition deutscher Überheblichkeit.
Sie schaden damit unserem Ansehen in der Welt und denaußen- und europapolitischen Interessen unseres Landes.Ich glaube, dass in der letzten Woche in der „Zeit“ diegegenwärtige Situation der CDU – das gilt auch für denAuftritt von Herrn Merz heute Morgen – richtig beschrie-ben wurde:Großmäulig in der Form, unbestimmt in der Sacheund jederzeit bereit, sich zum Lautsprecher sämtli-cher Unmutsstimmungen zu machen, die man in derBevölkerung vermutet, das scheint bis auf weiteresdas Erfolgsrezept zu sein, mit dem die Parteiführungden Aufbruch in die Zukunft zu bewerkstelligensucht.Es wird hochgefährlich, dieser Rezeptur zu folgen, wennes um das Thema Europa in Bezug auf Vertiefung und Er-weiterung geht.
Sie fordern Kompetenzabgrenzung und Subsidiarität.Das ist nicht falsch. Aber wer das so wie Sie erreichenwill, der muss wissen, dass sich dahinter die nationaleGrammatik eines bayerischen Politikers verbirgt, der nurzu gern der nächste Kanzlerkandidat der Union werdenwürde. Ministerpräsident Stoiber polemisiert bei jederGelegenheit – bei Herrn Merz klang dies ebenfalls an –gegen den angeblichen europäischen Superstaat.
– Ich habe den Parteitag durchaus verfolgt, Herr Müller. –Er bedient sich dabei eines durchschaubaren Tricks, in-dem er Nationalstaat und Nation gleichsetzt. Damit sollnach Ihrer Lesart jeder, der sich dann aus guten Gründenfür die weitere Übertragung nationalstaatlicher Souverä-nität an die Europäische Union einsetzt, zu einem Für-sprecher des nationalen Ausverkaufs gemacht werden.So mobilisieren Sie antieuropäische Ressentiments inDeutschland und wecken einen Geist, den Sie nicht mehrin die Flasche zurückbekommen.
Der europäische Superstaat, der Ihrer Meinung nach dieNationen vernichtet, ist ein Popanz. Niemand will einensolchen Staat. Wir wollen nicht die Nationen gegen Europaausspielen, so wie es Herr Merz zu unterstellen versuchthat. Was wir aber wollen, ist eine starke Europäische Unionals Katalysator für die europäischen Nationalstaaten. Nichtaufgrund eines Brüsseler Bürokratismus, sondern wegender Stürme der wirtschaftlichen und politischen Globalisie-rung haben die europäischen Nationalstaaten längst ihrStandvermögen in zentralen Bereichen verloren. Das istnicht zu leugnen; damit müssen wir umgehen.Ein Souveränitätszuwachs der Europäischen Union be-deutet von daher im Kern eine Stärkung der europäischenNationen. Auf der Basis dieser Klarstellung lässt sich dannsehr wohl über Aufgabenverteilung und Demokratisierungin der Europäischen Union diskutieren.Meine Damen und Herren von der Opposition, es warBundeskanzler Gerhard Schröder, der diese Frage auf dieTagesordnung gebracht hat und der diesen Prozess voran-treibt. Er hat sich auch heute Morgen dazu geäußert.Ob wir am vorletzten Wochenende auf dem Parteitagder CSU neue europapolitische Töne gehört haben, wirdsich noch erweisen. Wir werden abwarten müssen, ob undwie die neuen Worte des Parteivorsitzenden Stoiber in Ta-ten umgesetzt werden. Wir haben sehr wohl gehört, dassder CSU-Chef von der erweiterten Union als einer größe-ren politischen Kraft mit einem größeren politischen Ge-wicht gesprochen hat. Es ist auch aufgefallen, dass HerrStoiber über ein Europa mit mehr als 15 Mitgliedernspricht. Aber diese Worte bleiben zunächst ohne Folgen;denn sonst hätten wir einen gemeinsamen Antrag in die-ser Bundestagsdebatte.
Europäische Politik ist kein Geschicklichkeitsspiel,welches man so oder anders betreiben oder vielleicht auchlassen kann. Europäische Politik darf man nicht nach demMotto betreiben, welche Auszahlungsprämie man sich da-von erhoffen kann. Vielleicht erkennen Sie irgendwann,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Joachim Poß13045
dass so das eingesetzte Kapital verspielt wird. Wenn le-diglich so gedacht und gehandelt würde, würden die Mit-spieler, also die Staaten Europas, allesamt verlieren. Daswar auch die Maxime, von der sich Ihr ehemaliger Bun-deskanzler leiten ließ.Die Bundesregierung und die sie tragenden Koaliti-onsfraktionen wollen den Erfolg von Nizza. Die von derBundesregierung gemachten Vorschläge sind zukunfts-weisend. Die Bundesregierung hat die französische Rat-spräsidentschaft bei der Vorbereitung des Gipfels von Bi-arritz und natürlich auch des von Nizza nach Kräftenunterstützt. Sie, meine Damen und Herren von derCDU/CSU-Opposition, wissen das genau. Das wurdeauch bei der Rede von Herrn Merz deutlich. Deswegen hater doch zu zentralen Punkten geschwiegen, wie derAußenminister zu Recht festgestellt hat,
und mit Schweigen Zustimmung angedeutet. Aber in sei-nen letzten Satz hat er die Drohung hineingelegt, dassman, falls es in Nizza nicht klappt, schon einen Schuldi-gen hätte, nämlich die deutsche Bundesregierung. – Daskann keine Linie in der Europapolitik sein. Das wäre inder Tat viel zu billig.
Deswegen meine Bitte an Herrn Merz: Verhelfen Sieden Kollegen Hintze, Lamers, Rühe, Pflüger und auch an-deren Europapolitikern zu einer Mehrheit in Ihrer Frak-tion, die Sie als gesamte Fraktion wieder zur europapoli-tischen Vernunft zurückbringt. Blockieren Sie nichtlänger die für unser Land und für Europa notwendige Po-litik!Vielen Dank.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Peter Hintze von der CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehrgeehrten Damen und Herren! Wir haben gerade im Ple-num lange gerätselt, warum Herr Poß hier für die Sozial-demokraten spricht. Wir haben nach längerem Nachden-ken den Grund gefunden: Die Sozialdemokraten habenjemanden gesucht, der es nicht besser macht als der Bun-deskanzler. Das ist Herrn Poß heute gelungen; das könnenwir bestätigen.
Der Bundesaußenminister hat heute leider keine Aus-kunft darüber gegeben, ob er bei den Sitzungen der Re-gierungskonferenz gefehlt hat. Vielleicht sagt uns das janoch ein anderer Vertreter der Regierung. Stattdessen hater dem Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU vorgehal-ten, in den USA, in Frankreich und in Tschechien gebe eskeine Leitkulturdebatte wie in Deutschland. Warum gibtes in den USA, in Frankreich und in Tschechien keine sol-che Debatte?
Es gibt dort keine solche Debatte, weil das, was FriedrichMerz angesprochen hat, in den von Ihnen zitierten Länderneine blanke Selbstverständlichkeit ist und es dort keine sol-chen hysterischen Reaktionen wie hier in Deutschland gibt,wenn man eine solche Selbstverständlichkeit ausspricht.
Dann hat der Bundesaußenminister hier die Unterstüt-zung der Opposition für die Regierungskonferenz einge-fordert. Zuhören hätte geholfen. Der Fraktionsvorsitzendeder CDU/CSU hat heute – auch Herr Haussmann hat dasfür die F.D.P. getan und ich wiederhole das gerne – gesagt,dass die Opposition die Bundesregierung hinsichtlich deranstehenden Verhandlungen in allen Punkten, die der HerrBundeskanzler in seiner Regierungserklärung angespro-chen hat – ob es um die verstärkte Zusammenarbeit, umdie Neugewichtung der Stimmen im Rat, um die Stärkungder Kommission, um das Europäische Parlament oder umdie Osterweiterung geht –, unterstützt. Hier wird ein Po-panz aufgebaut, wenn dem Fraktionsvorsitzenden unter-stellt wird, er habe das nicht gemacht. Man hat nicht zu-gehört!
– Jetzt bleiben Sie mal einen Moment ruhig.Was wir – wie ich finde, zu Recht – kritisieren, ist dieDifferenz zwischen den richtigen Worten und den erleb-baren Taten. Da machen wir uns Sorgen und die sprechenwir hier an.
Unsere Sorge ist, dass die Europäische Union – unterMitverantwortung dieser rot-grünen Bundesregierung –in den letzten zwei Jahren in wichtigen Feldern an Hand-lungsfähigkeit verloren hat. Die Beitrittsverhandlungenverlaufen ausgesprochen schleppend. Formal hat dasnatürlich die Kommission, de facto die französische Prä-sidentschaft, zu verantworten. Aber wir sind bei diesenVerhandlungen ein wichtiger Partner. Die Agenda 2000,hier in Berlin groß gefeiert, war ein ziemlich bröckeligerKompromiss auf einem ziemlich niedrigen Niveau. DasErgebnis von Nizza steht auf des Messers Schneide.Nun habe ich der aktuellen Ausgabe des „Spiegel“– Helmut Kohl hat immer gesagt, wir sollen den „Spiegel“nicht so ernst nehmen; aber ab und zu muss man doch ein-mal hineinschauen – entnommen, dass BundeskanzlerSchröder in Deutschland alles hat stehen und liegenlassen – der Kulturstaatsminister ist ihm inzwischen ab-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Joachim Poß13046
handen gekommen –, um die Regierungskonferenz vonNizza doch noch vor dem Scheitern zu bewahren.
Ich finde das ja richtig. Herr Bundeskanzler, das ist einegute Aktivität.Die Frage, die wir uns mit Blick auf die letzten zweiJahre Ihres Regierungswirkens stellen, ist, ob diese Akti-vität möglicherweise etwas zu spät kommt und ob nichtzu viel Zeit verspielt wurde.
Ich habe soeben voller Freude wahrgenommen, dass Siegesagt haben, Sie hätten mit Bundeskanzler Schüssel imHinblick auf den Gipfel in Nizza Vereinbarungen getrof-fen. Es ist für uns eine große Freude, dass Österreichtrotz der Demütigungen, die es erlebt hat, zu uns steht unddem Gipfel von Nizza zum Erfolg verhelfen will.
Aber war es denn nötig, mit Österreich derart herumzu-hakeln, einen solchen Krampf zu veranstalten und da-durch so viel Energie zu vergeuden?Die Beziehung zwischen Deutschland und Frankreichist ein schwieriges und kompliziertes Thema; ich weißdas. Ich stelle hier ausdrücklich fest: Wir nehmen denBundesaußenminister in Schutz, wenn er von politischVerantwortlichen unseres großen Nachbarn in einer nichtakzeptablen Weise verbal angegangen wird.
Aber natürlich ist es eine zentrale Aufgabe der deutschenPolitik, das deutsch-französische Verhältnis in Ordnungzu halten und es gar nicht erst so weit kommen zu lassen,wie dies heute der Fall ist. Wir müssen den früherenRegierungen, zum Beispiel der Regierung unter HelmutKohl, deutlich bescheinigen, dass auf diesem Gebiet eineerfolgreiche Politik gemacht worden ist. Die jetzige Formder Beziehungen stört uns alle. Auch das Gegeneinandervon Großen und Kleinen ist keine gute Sache.Nun rennt also der Bundeskanzler durch Europa undversucht zu reparieren; das ist gut. Aber anders als in demFilm „Lola rennt“, in dem die Handlung immer wiederneu einsetzt, bis die Akteure die Sache am Ende in Ord-nung gebracht haben
– allerdings –, gibt es hier diese Chance nicht. Auf demGipfel in Nizza muss man, Herr Bundeskanzler, zu einemordentlichen Ergebnis kommen. Was die inhaltlichenPunkte angeht – ich wiederhole das –, haben Sie die Un-terstützung der CDU/CSU-Fraktion. Wenn der Bundes-außenminister dem Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSUzugehört hätte, hätte er das seiner Rede klar entnehmenkönnen.
Beim Betreten des Reichstagsgebäudes fragte michheute ein Reporter von n-tv, woran es eigentlich liege,dass trotz der großen Bedeutung des Europathemas die öf-fentliche Aufmerksamkeit für dieses Thema so geringsei. Ich bin der Überzeugung, dass der Gipfel von Nizzaeinen Beitrag dazu leisten kann, auch in diesen wichtigenFragen eine größere europäische Öffentlichkeit herzustel-len und die Aufmerksamkeit zu steigern, und zwar dann,wenn es uns auf der Regierungskonferenz gelingt, dieEntscheidungsprozesse transparenter zu machen und dieVerantwortlichkeiten eindeutiger zu gestalten. Was dieMenschen beschwert, ist, dass sie ein Europaparlamentwählen und dann keinen Zusammenhang mehr zwischenihrer Wahlentscheidung und den auf europäischer Ebenegetroffenen politischen Entscheidungen erkennen. Dennes gibt auf der europäischen Ebene keine klare Trennungvon Exekutive und Legislative. Da hören die Menschenetwas von einem Ministerrat, der zugleich eine Art Parla-ment und ein Exekutivorgan darstellt. Es ist nicht klar,wer eigentlich für was zuständig ist.Auch das so wichtige Thema BSE, das die Menschenim Moment sehr beschäftigt und ihnen große Sorgen be-reitet – Friedrich Merz hat es angesprochen –, können wirnicht allein angehen; das ist eindeutig. Im Gegenteil: Die-ses Thema ist eine Herausforderung für die europäischePolitik, und zwar in zweifacher Weise: Zum einen solltenwir sagen, dass BSE eine große Bedrohung für die Tiereund möglicherweise auch für die Menschheit ist, die wirgemeinsam angehen müssen. Zum anderen müssen wirunsere Institutionen und Verfahren daraufhin überprüfen,ob sie für die Bewältigung dieses Problems tauglich sind.Das ist eine ganz wichtige Angelegenheit.
Übrigens, nebenbei festgestellt: In der Kette der letztenvielen Ministerrücktritte – es wurden ja der Verkehrsmi-nister und der Kulturstaatsminister ausgewechselt – habeich einen in der Tat vermisst: Der Minister, der wirklichausgewechselt gehörte, ist der Landwirtschaftsminister.Dessen Pirouetten in den letzten Wochen und Tagen wa-ren abenteuerlich!
Zur Struktur von Europa ist zu sagen: Wir haben ei-nen Gesundheitsministerrat, einen Agrarministerrat, ei-nen Verbraucherministerrat und einen allgemeinenRat, der leider seine allgemeine Funktion längst verlorenhat. Wir müssen diese Strukturen neu ordnen. Deswegenist das, was wir gerade im Zusammenhang mitdem Post-Nizza-Prozess gefordert haben, sehr wichtig,nämlich dass wir eine Verfassung in Form einesVerfassungsvertrages, der die Trennung von Exekutive
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Peter Hintze13047
und Legislative herstellt und der wieder einen allgemei-nen Rat schafft, in dem auch tatsächlich die gesamte undzentrale Verantwortlichkeit zusammengeführt wird, er-halten. Das jetzige Nebeneinander, das zum Ergebnis hat,dass derjenige, der zum allgemeinen Rat gehört, sagt, zudieser oder jener Sitzung gehe er nicht, weil ihm das zulangweilig sei und sowieso alles auseinander drifte, solltebeseitigt werden.
Deswegen wollen wir einen Rat aus echt für Europa ver-antwortlichen Ministern, der die zentrale Verantwortunghat, und die gesamten Fachministerräte müssen Fachaus-schüsse dieses einen zentralen Rates werden.Nun will ich gerne dem Herrn Bundeskanzler bestäti-gen, dass auch aus unserer Sicht die mit Abstand wichtigs-te Reform der EU der Übergang zur qualifizierten Mehr-heit ist. Ich weiß, das war auch in Deutschland immer einThema. Früher haben wir auch oft Angst gehabt. DieseEinstimmigkeitsregel ist ja eine Angstregel. Wir habenAngst davor, es würde irgendetwas beschlossen, was ge-gen uns ginge. In Wahrheit ist es aber eine Fesselungsre-gel; das erkennen wir mehr und mehr. Wenn wir größerund nicht schwächer werden sollen und stark und erfolg-reich bleiben wollen, dann muss diese Fessel gelöst wer-den.Deswegen ist unser nachdrücklicher Wunsch – obwohlwir bei dem einen oder anderen Thema auch noch diesenoder jenen Gedanken haben –, dass es in Nizza zu einemklaren Votum weg von der Einstimmigkeitsfessel hin zurqualifizierten Mehrheit kommt. Das ist das wichtigsteKernstück der Reform.
Darin unterstützen wir Sie nachdrücklich und öffentlich.Es kommt auch nicht so sehr auf die Zahl der Bestim-mungen für die dann die qualifizierte Mehrheit gelten soll,sondern auf ihre Substanz und ihre Bedeutung an. Dafürhaben Sie die Unterstützung der Opposition; denn Europawird seine Rolle im 21. Jahrhundert in dieser Welt nurwahrnehmen können, wenn es diese Handlungsfähigkeitin seinen Abstimmungsverfahren herstellt.In Nizza schlägt die Stunde der Staatsmänner. Ich sagejetzt ohne Unterton oder Verweis auf verliehene Preise: InNizza wird sich entscheiden, ob die Verantwortung, die inIhren Händen liegt, wirksam genutzt wird, nicht nur fürunser Land, sondern für Europa, das vor der Chance sei-ner Wiedervereinigung und vor großen Aufgaben undHerausforderungen steht. Dabei sind die eben genanntenPunkte zentral. Auch die verstärkte Zusammenarbeit istein ganz wichtiger und zentraler Punkt. Im Zusammen-hang mit dem Verfassungsvertrag müssen wir schauen,dass der Prozess auch nach dem Gipfel von Nizza weiter-geht. Sie, Herr Bundeskanzler, haben dafür 2004 genannt.Das ist aus unserer Sicht wirklich das mit Abstand spätes-te Datum. Aber die Zeit bis dahin muss genutzt werden.Ich hoffe, dass auch die Bundesregierung das so sieht undunterstützt, damit ein solcher Verfassungsvertrag klug er-arbeitet werden kann.Zur Erarbeitung will ich ein Wort sagen: Ich habe dasGefühl, dass die Methode der Regierungskonferenzenmittlerweile an eine Erschöpfungsgrenze gekommen ist.Wir hatten die Einheitliche Europäische Akte, wir hattenMaastricht und Amsterdam, aber das Handeln wird ir-gendwie kraftloser. Was uns bei der Grundrechte-Chartagelungen ist, nämlich eine neue Form der Erarbeitung ei-nes europäischen Themas zu finden, das müssen wir alsIdee auch in die Vorarbeiten für die Konferenz 2004 ein-bringen.Ich halte es für total wichtig, dass wir nicht im bisheri-gen Trott weitermachen. Das hat in der Vergangenheit Er-folge gezeitigt, aber wir brauchen neue Arbeitsformen.Was Roman Herzog mit der Beteiligung der nationalenParlamente, des Europäischen Parlaments, der Kommis-sion und der Regierungen geschafft hat, war eine großar-tige Sache.
Die Notwendigkeit einer umfassenden Überprüfungder Arbeitsweise der Organe der EU ergibt sich aus unse-rer Sicht auch aus einem Auftrag des Amsterdamer Ver-trages. Ich spreche vom siebten Protokoll, Art. 2. DieserAuftrag ist für uns verbindlich, den können wir aufgrei-fen; denn es stellt sich ja ein bisschen die Frage: Soll dasin Nizza schon festgelegt werden oder nicht? Ich finde, essollte festgelegt werden.Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. Ichwill auch ein freundliches Wort zur Regierung sagen, dasist jetzt einfach mal angebracht:
Ich finde es gut, wie in der Frage der europäischen Si-cherheits- und Verteidigungspolitik, zumindest was diepolitischen Beschlüsse angeht, Nägel mit Köpfen ge-macht wurden. Das ist etwas zügiger gegangen, als eszu erwarten war. Das ist die eine Seite. Auf der anderenSeite – damit das Lob auch mit einem Arbeitsauftrag ver-bunden wird – ist natürlich die Ausstattung zu bedenken.Friedrich Merz hat zitiert, was General Naumann ge-schrieben hat, und auch Javier Solana hat es gesagt.Wenn wir in Europa handlungsfähig sein wollen, brau-chen wir Institutionen und politische Beschlüsse. Beidesist geliefert und wird jetzt in Nizza festgeklopft. Aber wirmüssen natürlich auch zusehen, dass beides materiellunterfüttert wird. Wenn ich 60 000 Mann aufstelle, brau-che ich auch für diese Luft- und Seetransportkapazitäten,Satellitenaufklärung, Kommunikationsmittel und Mittelzur Luftbetankung. Ich kann nicht auf der einen Seite dieBundeswehr austrocknen und auf der anderen Seite sa-gen: Ich liefere meinen Beitrag für Europa. Wenn Europaein Spieler auf der Weltenbühne ist, dann muss er auch mitden entsprechenden Mitteln ausgerüstet werden.Mein Wunsch ist, dass die Regierung ihren guten poli-tischen Beschlüssen in Sachen ESVP gute Beschlüsse inSachen Bundeswehr folgen lässt, damit wir unsere
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Peter Hintze13048
Verpflichtungen im Rahmen der europäischen Verträgeauch einhalten können.Herzlichen Dank.
–
Gernot Erler [SPD]: Machen wir, auch wennSie uns angegriffen haben!)
Als
nächster Redner hat der Kollege Christian Sterzing vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Be-richte über eine Regierungskonferenz haben immer denCharakter von Berichten über eine Baustelle; es sind so-zusagen Statusberichte über die Fortschritte und Schwie-rigkeiten, die beim Fortgang der Bauarbeiten auftreten.Wenn man sich aber all das anschaut, was in den letztenWochen und Monaten über die Regierungskonferenz ge-schrieben und gesagt wurde, gewinnt man immer mehrden Eindruck, dass es hier nicht um eine Neubaustelle,sondern um eine Altbausanierung geht.Gerade das macht deutlich, wo viele der Unwägbar-keiten in diesem Prozess liegen. Es gibt nämlich ganz spe-zifische Schwierigkeiten, unkalkulierbare Risiken bei ei-nem solchen Unterfangen; denn so manches Mal stehensich auf der einen Seite der Denkmalschutz und auf deranderen Seite das Bedürfnis nach Nutzbarkeit dieses eu-ropäischen Hauses gegenüber.Im Kern geht es natürlich um das historische Projektder Erweiterung. Der Gipfel in Nizza ist ein ganz we-sentlicher Schritt in diesem Prozess. Aber gerade dieKomplexität der in Nizza anstehenden Reform macht dieBegeisterung so schwer. Man hat den Eindruck, hier seienVertragsmechaniker am Werk. Schaut man sich die Syn-thesedokumente der französischen Ratspräsidentschaftan, erkennt man den Versuch, komplizierte politischeKompromisse in Vertragsformulierungen zu gießen. Dasist die augenblickliche Schwierigkeit und sie erfordert dieseriöse Auseinandersetzung über die damit zusammen-hängenden Probleme.Leider – das müssen wir auch in der heutigen Debattefeststellen – fehlt der Opposition in der Auseinanderset-zung so manches Mal die Seriosität.
– Doch, es gibt schon eine ganze Reihe von Wider-sprüchen, die in diesem Prozess stecken und von Ihnennicht ehrlich angesprochen werden. Auf der einen Seitefordern Sie, nationale Interessen in diesem Prozess deut-lich durchzusetzen und auf der anderen Seite sagen Sie,die Bundesrepublik müsse natürlich der Anwalt der klei-nen Staaten sein.
Sie müssen doch deutlich sagen, dass es den Konfliktzwischen großen und kleinen Staaten gibt und dass es sichdarum dreht, einen für beide Seiten tragbaren Kom-promiss zu finden. Genauso unaufrichtig sind Sie, wennSie – wie vorhin Herr Merz in der Handelspolitik – einer-seits die qualifizierte Mehrheit fordern, anderseits aber sa-gen, das deutsch-französische Verhältnis dürfe in keinerWeise gefährdet werden. Das fordern Sie in dem Wissendarum, dass es darüber eine ganz entscheidende Ausei-nandersetzung zwischen den Franzosen und einemgroßen Teil der anderen Mitgliedstaaten gibt. Das istschlichtweg unaufrichtig.
Ein weiteres Beispiel: Sie werfen der Regierung vor,sie habe angeblich die Forderung nach der doppeltenMehrheit aufgegeben, und sagen gleichzeitig, das guteVerhältnis zu den Franzosen sollte absolute Priorität ge-nießen. Doch auch Sie wissen, dass hier ein fundamenta-ler Widerspruch zur französischen Position besteht.Ich glaube, Sie sollten aufhören, diese komplexe Re-formauseinandersetzung zu missbrauchen, indem Sie sichüber diese Widersprüche einfach hinwegsetzen. Damitschaden Sie dem Reformprozess und der europäischenSache. Das können Sie auch nicht mit einem rhetorischenÜberschuss in Sachen Europapolitik und europapolitischeBekenntnisse wieder gutmachen.Über die „leftovers“ von Amsterdam ist hier schon We-sentliches gesagt worden. Ich möchte zusammenfassendnur auf zwei Entwicklungen hinweisen, die meines Er-achtens drohen: Das sind Intergouvernementalisierungund Entparlamentarisierung.Nachdem ich mir den neuesten Vertragsentwurf derfranzösischen Präsidentschaft angeschaut habe, habe ichden Eindruck, dass grundlegende Ziele dieses Integra-tionsprozesses, nämlich Demokratisierung undVergemeinschaftung, auf dem Altar der Handlungs-fähigkeit geopfert werden sollen. Eine ganze Reihe vonMitgliedstaaten scheinen sich nicht wie die Bundesre-publik, vertreten durch die Bundesregierung, deutlichhinter diese Forderungen nach Demokratisierung undVergemeinschaftung zu stellen. Insofern halte ich es fürwichtig, dass wir hier deutlich machen: Wenn es zu qua-lifizierten Mehrheitsentscheidungen kommt, dann musses auch zu einer Mitentscheidung des Europäischen Par-laments kommen.
Das ist Demokratisierung; sie ist notwendig.Wenn es Schwierigkeiten gibt, dann dürfen die Ent-scheidungsprozesse nicht immer in den Europäischen Rat,in die intergouvernementale Zusammenarbeit verlagertwerden, weil dies nämlich dem Vergemeinschaftungspro-zess, so wie wir ihn in den letzten Jahren angelegt haben,die Möglichkeit nimmt, sich weiterzuentwickeln. Insofernglaube ich, dass dies auch der Integrationsentwicklungkeineswegs förderlich sein wird.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Peter Hintze13049
Wir wissen, dass die Regierung da auf unserer Seite ist,und wir hoffen, dass sie sich in den Verhandlungen ge-genüber einigen anderen Mitgliedstaaten besser durchset-zen kann, als dies bisher der Fall ist.Erweiterung, so sagte ich, ist das zentrale Stichwort,um das es geht. Die Kommission hat die Fortschrittsbe-richte vorgelegt. Ich glaube, drei Wirkungen sind im Au-genblick festzustellen:Zum Ersten hat mit der objektiven Einschätzung derFortschritte in den Beitrittsländern auch in diesen Län-dern die Motivation zugenommen, sich in diesem Heran-führungsprozess weiter engagiert für den möglichst bal-digen Eintritt einzusetzen und dafür auch Opfer auf sichzu nehmen.Zum Zweiten wurde, so glaube ich, ein wichtiges Si-gnal in die Mitgliedsländer gesandt, denn dieser mit soviel Integrations- und Beitrittsrhetorik begleitete Wegverlangt nach entschlossenem Handeln und deutlicherBereitschaft, hierbei den Beitrittsländern entgegenzu-kommen. Der Bericht ist auch ein Appell an die Regie-rungen in den Mitgliedsländern, sich offensiver als bisherfür diesen Beitrittsprozess einzusetzen.Zum Dritten schließlich liegt der Ball in dem Erweite-rungsprozess nun bei den Regierungen der Mitgliedslän-der. Der ambitionierte Fahrplan für die Erweiterung, dervon der Kommission vorgelegt wurde, muss nun in Nizzaberaten werden. Ich hoffe, dass dort alle bereit sein wer-den, dem Beitrittsprozess neuen Schwung zu verleihen.Die Äußerungen der schwedischen Außenministerin inden letzten Tagen haben gezeigt, dass die schwedischePräsidentschaft bereit ist, die Verhandlungen hierzu mitNachdruck voranzutreiben. Ich hoffe, dass sehr viele Re-gierungen von Mitgliedstaaten wie auch unsere Bundes-regierung bereit sein werden, diesen Ball mit neuemNachdruck aufzunehmen, um dann nach einem erfolgrei-chen Abschluss des Gipfels von Nizza diesen Beitritts-prozess in das Zentrum der weiteren europapolitischenZusammenarbeit zu stellen. Vielen Dank.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger von der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Schwie-rigkeiten vor dem Gipfel in Nizza sind unübersehbar undes besteht auch kein Dissens hier im Hause, dass es aufdem Gipfel in Nizza große Schwierigkeiten geben wird.Wir vonseiten der F.D.P. wollen das große Interesse deut-lich machen, das wir – wie in all den vergangenen Jahren –daran haben, dass der europäische Integrationsprozesserfolgreich weiter vorangebracht wird.
Dieser Prozess rührt daher, dass es „leftovers“ gegebenhat, denn sonst hätten wir die beschriebene Finalität deseuropäischen Integrationsprozesses ja schon längst errei-chen müssen.
Leider müssen wir ihn noch beschreiben. Das ist zum Teilnoch immer eine Vision.Deshalb haben die Gipfel immer wieder auch „left-overs“ von vorangegangenen Gipfeln zum Gegenstand.Das ist nicht etwas, was man in ständiger Wiederholungvorhergehenden Regierungen anlastet, sondern es ist dieganz einfache, selbstverständliche, normale Ausgangs-lage.
Deshalb ist Europa immer noch eine Baustelle.Für uns ist Europa kein Denkmal. Nein, wir wollennicht, dass Europa in dieser Form bestehen bleibt. Wirwollen eine handlungsfähigere Kommission. Wir, dieF.D.P., haben immer sehr mutig gesagt: Wir tragen auchLösungen mit – wir fordern sie ein –, die dazu führen, dassdie stärkeren Mitgliedstaaten in der Europäischen Unionihren Einfluss zurücknehmen. Wir unterstützen es, wenndie stärkeren Mitgliedstaaten eben nicht mehr wie bisherzwei Kommissare stellen, sondern es zu einem Modellkommt, bei dem durch eine Deckelung bei der Anzahl derKommissare nicht jedes Land zu jedem Zeitpunkt eineneigenen Kommissar hat. Wir wollen nicht, dass Europaeine Baustelle bleibt. Wir wollen, dass das, was in Ams-terdam als Grundstock gelegt wurde, jetzt erfolgreichweitergeführt wird.Ich möchte die Legende widerlegen, Amsterdam seider große Flop gewesen. Im Gegenteil: Wenn dort mit derSchaffung des Europas der Sicherheit, des Rechts und derFreiheit – das ist in Art. 6 des Vertrags von Amsterdamverankert, der die Grundlage der jetzt entwickelten Grund-rechte-Charta ist – nicht der Durchbruch gelungen wäre,wenn nicht das Abkommen von Schengen in den Vertragvon Amsterdam integriert worden wäre, wenn es in der In-nen- und Justizpolitik nicht die ersten Schritte mit kon-kreten Zeitschienen gegeben hätte, dass es nämlich bei derSicherung der Außengrenzen, beim Asylrecht und bei derEinwanderung zu Vergemeinschaftungen kommt, dannkönnten wir heute nicht über Einstimmigkeit reden oderwie weit eine qualifizierte Mehrheitsentscheidung in vie-len Bereichen der Europäischen Union durchsetzbar ist,sondern dann würden wir ausschließlich über intergou-vernementale Zusammenarbeit sprechen.
Dieser Grundstock ist damals im Vertrag von Amster-dam, zusammen mit der Integration der WEU, gelegt wor-den. Dass dort nicht alles zu schaffen war, ist selbstver-ständlich. Genauso wird jetzt schon mit der Perspektiveeiner nächsten Regierungskonferenz klar, dass „leftovers“so gut wie sicher sind, die uns nach Nizza in den weiterenJahren beschäftigen werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Christian Sterzing13050
Ein entscheidender Schritt in Amsterdam war natürlichauch die Stärkung des Europäischen Parlamentes.Wir,die Liberalen wollen, dass in diesem Prozess, von dem derBundeskanzler zu Recht sagt, die zivile Gesellschaftmüsse aktiv für Europa kämpfen, gerade das Parlamentals eine entscheidende Kraft neben einer sehr starkenKommission bestimmt.Deshalb müssen wir uns vertieft Gedanken darübermachen, warum das Europäische Parlament in größterSorge ist. Wir müssen uns klar machen, dass die Opposi-tion keine Schreckensszenarien an die Wand malt.
Der zuständige Kommissar in der Europäischen Kom-mission, Herr Barnier – das war in den letzten Tagen undauch heute nachlesbar –, ist in größter Sorge, dass es nichtzu einer Reform kommt, die diesen Namen wirklich ver-dient, und ein Durchbruch ausbleibt.
Wir müssen uns nach Nizza zusammensetzen und unsüberlegen, wie wir mit dem Ergebnis umgehen. Ich wün-sche mir, dass es nicht dazu kommt, dass wir uns Gedan-ken darüber machen müssen, ob die Maßnahmen für denErweiterungsprozess ausreichen. Die Liberalen wollendie Erweiterung. Wir wollen, dass die Spaltung in Europa,genauso wie die Spaltung Deutschlands überwunden wor-den ist, im 21. Jahrhundert möglichst bald durch ein hand-lungsfähiges, integriertes Europa überwunden wird.Aber die Zeichen stehen nicht so gut, wie wir uns daswünschen. Es nützt nichts, etwas schönzureden. Deshalbführen wir, die Liberalen, eine konstruktive Debatte undzeigen auf, welche Linien wir unterstützen. Dass dieGrundrechtecharta ein Projekt ist, das im weiteren Pro-zess sehr identitätsstiftend sein kann, ist klar. Machen Siesie zu einem Projekt, an dem die Bürger nach Nizza be-teiligt werden.
Scheuen Sie sich nicht, in Nizza ein europäisches Refe-rendum zu fordern.
Lassen Sie uns doch die nächsten Jahre nutzen, damit esin diesem Prozess zu einer Ausprägung der europäischenÖffentlichkeit und des europäischen Bewusstseinskommt, das wir brauchen, um die Akzeptanz der Bürge-rinnen und Bürger zu gewinnen.Vielen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Hans-Ulrich Klose von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Es ist richtig, Herr Kol-lege Hintze: Die Debatten, die in diesem Hause zu Europageführt werden, sind eigentlich immer sehr sachverstän-dig, zumeist – nicht immer – ernsthaft und im Ergebnispositiv. Positiv und sachverständig sind in der Regel auchdie Beschlüsse, die dazu verabschiedet werden. Gleich-wohl werden diese Debatten von der Bevölkerung – wennüberhaupt – eher unlustig verfolgt. Europa begeistert dieMenschen heute nicht mehr so wie uns, wie mich früherund heute noch immer. Es überwiegen – so erlebe ich esjedenfalls, zum Beispiel im Wahlkreis – Ängste und Sor-gen, von denen auch der Herr Bundeskanzler gesprochenhat.Warum ist das so? Ohne Polemik, Herr Kollege Hintze,müsste die Frage wie folgt beantwortet werden: Zum ei-nen ist es so, weil das komplizierte europäische Geflecht,das europäische Prozedere, für die Mehrheit der Men-schen noch immer nicht überschaubar ist. Zum anderenmeinen viele, dass Brüssel nicht tut, was nötig ist, undsich stattdessen zu oft in Dinge einmischt, die besser aufnationaler oder sogar auf lokaler Ebene zu regeln seien.Und schließlich sind mit der Freizügigkeit innerhalb derEuropäischen Union Probleme verbunden, die künftignoch zunehmen könnten, wenn die ökonomischen Dispa-ritäten zu groß und/oder bestehende Minderheitenpro-bleme ungelöst bleiben. Auf die Minderheitenprobleme,Herr Bundeskanzler, weise ich ausdrücklich hin.Dennoch gilt – es muss auch immer wieder klar unddeutlich ausgesprochen werden –: Europa ist eine große,eine geradezu unglaubliche Erfolgsgeschichte.
Man muss sich vorstellen, wo Europa heute stünde, wennes die EWG und die EG nicht gegeben hätte und es heutedie EU nicht gäbe. Wo stünden wir, wenn sich die Eu-ropäer nicht auf den Weg einer umfassenden und nicht nurökonomischen Kooperation begeben hätten? Es stündesehr viel schlechter um dieses Europa, um den Friedenund die Lebens- und Zukunftschancen der Menschen inEuropa.
Europa ist eine Erfolgsgeschichte. Diese Geschichtesoll in Nizza fortgeschrieben werden. Die Strukturen dereuropäischen Verfassung, die es schon gibt, auch wennsie so nicht bezeichnet wird, müssen modernisiert undpräzisiert werden – „Vertiefung“ lautet das Stichwort –,damit sich Europa weiter entwickeln kann, damit diesesEuropa, das 50 Jahre geteilt war, endlich wiedervereinigtwird. Das ist es doch, was wir meinen, wenn wir von „Er-weiterung“ sprechen: Es geht um die WiedervereinigungEuropas.
Der Außenminister hat dazu heute in einer Weise gespro-chen, die, wie ich finde, den Beifall des ganzen Hausesverdient hätte.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger13051
Wir Deutschen wissen nur zu gut, wie schwierig einsolches Werk, das Werk der Wiedervereinigung, ist. Eswächst eben nicht einfach zusammen, was zusammen-gehört. Das Zusammenwachsen muss auf nationaler undeuropäischer Ebene gestaltet, gefördert und erarbeitetwerden.Wenn das Werk gelingt, dann ist es ein Gewinn für dieeuropäischen Völker und jeden einzelnen Menschen. Dasmüssen wir immer wieder betonen und beweisen, damitdas große Ziel verstanden wird, damit die kleinen Ängsteund Sorgen uns nicht den Blick für den großen europä-ischen Entwurf verstellen.Für uns Deutsche ist die Wiedervereinigung Europasbesonders wichtig. Sie ist geradezu existenziell. Wenn siegelingt – und sie muss gelingen –, dann sind wir nichtmehr Grenzland. Wir Deutsche eignen uns sehr schlechtals Grenzland in einem weiterhin geteilten Europa. Dannsind wir nicht mehr Grenzland, sondern rücken in dieMitte, dann sind wir erstmals in unserer Geschichte nurnoch umgeben von Partnern und Freunden. Welch einGlück!
Für solches Glück zu arbeiten lohnt jede Mühe, auch dieMühen von Nizza.Nizza soll die Europäische Union erweiterungsfähigmachen; die heutigen Strukturen und Verfahrensregelnpassen nicht mehr für eine Union mit zwanzig und mehrMitgliedern. Deswegen muss über die künftige Größe derKommission, über Mehrheitsentscheidungen als Regelund über die Stimmengewichtung im Ministerrat ent-schieden werden. Das ist schwierig genug, weil jedes Mit-gliedsland Zugeständnisse machen muss und weil es da-bei nicht nur um Einfluss, sonder auch um Prestige geht.Weil das so ist, muss die deutsche europäische Politikebenso wie die französische behutsam und kooperativ zu-gleich sein. Es geht nicht alles, was Deutsche und Fran-zosen miteinander verabreden, aber ohne französisch-deutsche Kooperation geht gar nichts.
Ich möchte zu zwei Stichworten je eine Bemerkungmachen: In Nizza soll auch über die so genannte ver-stärkte Zusammenarbeit entschieden werden. Die Ent-scheidung ist nicht einfach und manch einer missverstehtsie als Versuch, EU-Mitglieder erster und zweiter Klassezu installieren. Herr Verheugen hat kürzlich bei einerKonferenz von einer partiellen Neugründung der EU inder EU gesprochen. Eine solche Aussage ist gewiss nichtunproblematisch.
Ein größeres Problem entstünde jedoch, wenn die Er-weiterung der Europäischen Union nicht weiter vorankäme; Stillstand, Lähmung oder Selbstblockade darf nichtsein. Deshalb muss es möglich sein, dass Länder, die dieswollen, ihre Kooperation verstärken und schneller bzw.weiter voranschreiten als andere, und zwar – ich unter-streiche das, Herr Bundeskanzler – in der Gemeinschaftund nicht außerhalb.
Zur Finalität der Europäischen Union – ein großesWort, bei dem ich wiederum fürchte, dass es der Normal-bürger nicht versteht: Es wäre sehr viel gewonnen, wennin einer neuen Regierungskonferenz, die nicht allzu langeauf sich warten lassen dürfte, darüber entschieden würde,wer in der EU was macht, auf EU-Ebene, auf nationalerEbene und darunter. Als Grundregel sollte gelten, dass dieZuständigkeit der EU auf das beschränkt wird, was aufnationaler Ebene bzw. darunter nicht geregelt werdenkann. Eine klare Kompetenzzuweisung nach dieserGrundregel wäre ein wichtiger Schritt, viel wichtiger alssonstige europäische Symbolik; wobei ich gegen eineSymbolik, die integrativ und nicht aufgesetzt wirkt, nichtseinzuwenden habe.Ein letztes Wort zur Gemeinsamen Außen- und Si-cherheitspolitik:Wir wollen sie, aber wir wollen sie mitMaßen. Europa will ein globaler Akteur sein – ist es auchschon heute –, aber keiner, der sich überhebt. Verlässlich-keit und Kooperationsfähigkeit sind politische Tugenden,militärische Stärke aber ist ein Instrument, eines nebenanderen, um Krisen zu bewältigen und Sicherheit zu ge-stalten. Weil es keinen Sinn macht, bewährte Strukturenzu beschädigen und gewachsenes Vertrauen zuschwächen, sollten wir Europäer unsere Sicherheits- undVerteidigungsidentität selbstbewusst und bewusst part-nerschaftlich – europäisch und atlantisch – definieren. Eu-ropäische Handlungsfähigkeit herstellen und erweiternund damit zugleich die NATO zu stärken, das muss ge-meinsam angestrebtes Ziel sein, in Nizza und darüber hi-naus.Im Übrigen sollten wir Europäer bei dieser Debatte be-denken, dass es eine Sache ist, institutionelle Grundlagenfür eine eigenständige militärische Komponente zu be-schließen, eine andere dagegen, die tatsächlichen Voraus-setzungen für eine nicht nur beschworene, sondern prak-tizierte größere Verantwortung zu schaffen.
Im Klartext: Die Europäer – auch wir Deutsche – werdenmittelfristig nicht darum herumkommen, die Mittel fürVerteidigung und Sicherheit in ihren jährlichen Haus-halten zu erhöhen und deren Einsatz zugleich effektiverzu gestalten.
Das ist, wie wir alle wissen, leicht gesagt und schwergetan. Man muss den europäischen Steuerzahlern erklä-ren, warum zehn Jahre nach dem Ende des Kalten Krie-ges – unsere Sicherheitslage ist dadurch dramatisch ver-bessert worden – die Verteidigungsausgaben nicht weiterreduziert werden können, sondern in Zukunft sogar wie-der steigen müssen, jedenfalls im investiven Bereich. Dasist, wenn man so will, die europäische Lektion, die zu ler-nen ist.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Hans-Ulrich Klose13052
Es gibt auch eine amerikanische Lektion. Amerika,die einzig verbliebene Weltmacht, hat noch immerSchwierigkeiten – heute offensichtlich mehr als noch vorJahren –, sich auf Verbündete einzustellen, zumal auf eu-ropäische Verbündete, bei denen immer mehrere Telefonezugleich bedient werden müssen.
Und doch muss Amerika einsehen, dass auch eine Super-macht Partner braucht, dass es eigentlich nur die Europäersind, die für Amerika als Partner bereitstehen, und dassman Partner wie Partner behandeln muss, wenn Führungakzeptiert werden soll.
Grundlage der europäisch-amerikanischen Partner-schaft ist die NATO, Grundlage der europäischen Zusam-menarbeit die Europäische Union. Dies klar zu machen,uns selbst und der Bevölkerung, den Menschen, ist eineAufgabe, der sich auch deutsche Politik immer wiederstellen muss, die Regierung ebenso wie die Opposition.Dabei hat es die Opposition schwer. Sie will, sie muss kri-tisieren und attackieren, obwohl sie im Grundsatz zu-stimmt. Das ist eine schwierige Rolle, Herr Kollege Merz.Ich weiß es und habe auch persönliche Erfahrung damit.
Für die Bevölkerung aber, im Übrigen auch für unserePartner, ist es sehr gut zu wissen, dass sich diese deutscheeuropäische Politik auf eine große Mehrheit im Deut-schen Bundestag stützen kann.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Gerd Müller von der CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Herr Klose, Sie habeneine sehr gute Rede gehalten, die auch auf die Unterstüt-zung der Opposition gestoßen ist. Ich glaube, in der Eu-ropapolitik sollten wir uns alle um einen breiten Konsensin der Darstellung und in der Umsetzung unserer Positio-nen bemühen.
Herr Außenminister Fischer, Sie haben sich von der Re-gierungsbank herunter gesetzt, sicherlich um treffendeZwischenrufe zu machen.
Aber es stellt sich die Frage – ganz bestimmt auch für un-sere Zuschauer –: Warum gelingt Ihnen dies nicht, HerrFischer, Herr Bundeskanzler? Herr Fischer, ich möchteIhnen persönlich etwas dazu sagen: Der Ton stimmt nichtbei Ihnen; er ist arrogant. Sie sind in Ihrer Aussage per-sönlich verletzend. Das ist nicht der angemessene Stil, mitdem man an diesem Thema arbeiten sollte.
Herr Klose, Sie haben sehr zu Recht nach außen, an dieBürgerinnen und Bürger, die Frage gestellt: Wer kanndenn diese Zusammenhänge noch verstehen? Dies ist inder Tat sehr schwierig. Es gab große Debatten in diesemHaus, insbesondere im Parlament in Bonn. Ich erinneremich zurück an die großen Themen der vergangenenJahrzehnte. Es waren Konrad Adenauer, Ludwig Erhardund Helmut Kohl, die Themen wie Westintegration,NATO und Wiedervereinigung aufgegriffen haben. Dergemeinsame Binnenmarkt, die Einführung des Euro, dieErweiterung der Europäischen Union von sechs auf zwölfMitgliedstaaten waren die großen Ergebnisse unserer Po-litik der letzten 50 Jahre, zumeist gemeinsam getragen.Heute, in Nizza und in den nächsten Monaten stehen dieThemen der Herstellung der Handlungsfähigkeit der Eu-ropäischen Union nach innen – wir wollen daran mitwir-ken – und die Vorbereitung der Erweiterung nach Mittel-und Osteuropa auf der Tagesordnung. Große Hoffnungender Menschen dort ruhen auf uns, die billige Polemik ei-gentlich überflüssig machen.Wir erwarten von der Bundesregierung Überzeugungs-kraft, Entschlossenheit und einen klaren Kurs. Ich fragemich am Ende dieser Debatte: Wofür stehen Sie? Wiesieht Ihr Kurs aus? Welche Vorgaben machen Sie? Waswollen Sie erreichen?Es gibt noch ein weiteres Problem: Abgesehen vonIhrem Ton, von Ihrem Geschrei und davon, wie Sie IhrePartner behandeln, geht es um die Fragen: Welche Me-thoden wollen Sie anwenden? Welche Strategie wollenSie verfolgen? Welche inhaltlichen Vorgaben wollen Siemachen? Wir wissen nicht, wohin Sie wollen, zum Bei-spiel hinsichtlich der „leftovers“.
Herr Fischer, Ihr Kanzler ist im Hinblick auf die Be-setzung der Kommission – um ein Detail herauszugrei-fen – für das Rotationsprinzip eingetreten. Damit hat erzunächst alle kleinen Staaten verärgert. Dann hat erden kleinen Staaten vorgeschlagen, auf einen Kommis-sarsposten gänzlich zu verzichten. Dagegen waren alle.Nun kommen Sie mit dem richtungsweisenden Vorschlag,den Kommissionspräsidenten direkt wählen zu lassen.
Dagegen spricht sich sogar die SPD-Fraktion im Europä-ischen Parlaments, allen voran Klaus Hänsch, aus.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Hans-Ulrich Klose13053
Ein anderer visionärer Vorschlag von Ihnen, HerrFischer, war, neben dem Europäischen Parlament einezweite Europakammer zu installieren.
Wenn man sich das einmal vorstellt: das EuropäischeParlament, die nationalen Parlamente und nun Ihr Vor-schlag, eine neue, zweite Europakammer einzurichten!
Herr Fischer, Sie haben viele visionäre Vorschläge ge-macht,
aber keine praktischen Gesamtkonzepte zur Lösung derProbleme vorgelegt, die jetzt auf der Tagesordnung ste-hen.
Das verunsichert Ihre Partner, unsere Freunde.
Kommissar Barnier stellt in seinem Dokument „ZweiPhasen und drei Wege für Europa“ vom 8. Juni fest:Joschka Fischer lehnt den Status quo ab, präzisiert in-dessen nicht, welcher der aufgezeigten Wege einge-schlagen werden sollte. Deutet seine Ablehnung deshistorischen Föderationsmodells als synthetischesKonstrukt auf eine intergouvermentale oder auf eineföderalistische Einstellung hin?Herr Fischer, es ist nicht angekommen, wohin Sie unsführen wollen. Deshalb bleiben wesentliche Gipfelerfolgeaus.
Sie haben kein Vertrauensverhältnis zu den Partnernaufgebaut.
Ich erinnere an das Auftreten von Minister Trittin in denvergangenen Jahren oder an den Gipfel von Berlin, aufdem Sie Chirac als Bauernpräsidenten beleidigt haben.
Der einzige Erfolg war der Misserfolg.
Jetzt streiten Sie sich mit dem französischen Europa-minister Moscovici.
Auch dabei spielt die Frage des Stils eine Rolle.
– Wie Sie krakeelen! Herr Fischer, so wie Sie hier kra-keelen, krakeelen Sie vermutlich auch im EuropäischenRat. Wie soll da Vertrauen aufkommen?
Wie gehen Sie mit den Menschen um, mit deren Unter-stützung Sie etwas erreichen wollen?
Sie haben keinen Stil, keinen Anstand und kein inhaltli-ches Konzept.
Ihnen fehlt offensichtlich die Kinderstube.
– Outen Sie sich ruhig als verbaler Gewalttäter – wenn Siedas wollen –, so gut Sie können.
Wir brauchen einen Bauplan für das europäische Haus.Der richtige Einstieg wäre jetzt – das ist vielleicht diezweite entscheidende Frage –, die Kompetenzen zwi-schen der EU und ihren Mitgliedstaaten klar abzugrenzen.Die Menschen – das ist zweifelsfrei – wollen wissen:Wofür steht Europa? Für welche Themen steht Europa?Steht es für Bekämpfung von BSE und Kriminalität odernicht? Wen können wir wählen?
Wen können wir – das wollen unsere Landwirte wissen –zur Verantwortung ziehen? Wofür stehen die Mitglied-staaten? Die Frage, wie die Kompetenzen präzise und klarabgegrenzt werden können, muss jetzt beantwortet wer-den, nicht erst 2004. Dann ist es zu spät. Die ent-sprechenden Entscheidungen müssen jetzt, vor der Er-weiterung, getroffen werden.
Eine klare Kompetenzabgrenzung wäre auch die Vo-raussetzung für die Ausweitung des Mehrheitsprinzipsim Europäischen Rat.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dr. Gerd Müller13054
Dies setzt allerdings die Reform des Rates selbst voraus.Kollege Peter Hintze hat dazu einige sehr wichtige Aus-führungen gemacht.
Heute haben wir 130 Ratsgruppen. Hier brauchen wir si-cherlich ein zielführendes Konzept.Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Schlussmöchte ich etwas zum Thema Osterweiterung sagen.
Der Zuschauer kann sich von der Flegelhaftigkeit desdeutschen Außenministers selber ein Bild machen. Dasspricht für sich, meine Damen und Herren.
Für mich ist klar, warum wir auf internationaler Ebene sodastehen, wie wir dastehen. Das liegt daran, dass wir ei-nen Flegel als Außenminister haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Beitritts-verhandlungen zur Osterweiterung verlaufen schlep-pend und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Wir habenkeine Beteiligung der Öffentlichkeit. Auch hier stelle ichdie Frage: Warum schaffen Sie keine Offenheit und sagenden Menschen draußen, den Bauarbeitern, den LKW-Fah-rern, den Menschen an der Grenze, den Landwirten, wasauf sie zukommt?
Wir können dieses europäische Vorhaben nur voran-bringen, wenn wir Offenheit und Transparenz schaffen.Haben Sie Angst vor dem Volk?
Haben Sie Angst vor den Menschen?
Nein, das kann nicht der Weg sein.Ich sage zum Schluss, meine sehr verehrten Damenund Herren noch einmal: Wir wollen den Erfolg in Nizza.Diese Opposition ist konstruktiv und unterstützt die Re-gierung in ihren Vorstellungen.
Danke schön.
Als
nächster Redner hat der Kollege Michael Roth von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war eine Konsensstiftende Rede, wie wir sie vom Kollegen Müller erwartethaben.
Ich war am Anfang schon etwas besorgt, weil ich Sie alssehr netten, aber auch sehr streitlustigen Kollegen im Aus-schuss kennen gelernt habe. Sie haben die Machete or-dentlich herausgeholt und haben richtig herumgerüpelt.Wer jedoch im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinenwerfen.
Halten Sie sich mit derlei Vorwürfen an den Außenminis-ter zurück. Ich finde das sehr bemerkenswert, wo Sie zuRecht die Rede des Kollegen Klose gelobt haben. Es ist inder Debatte um Nizza sicherlich auch notwendig, sich andie Wurzeln Europas zu erinnern und deutlich zu machen,warum wir uns mit diesem Prozess so viel Mühe gebenund warum wir in den vergangenen Monaten so hohe Er-wartungen an Nizza hatten.Über die Bedeutung von Nizza ist viel gesagt worden.Es geht – darüber sind wir uns glücklicherweise einig –um die Überwindung der Teilung Europas. Es geht unsdarum, dass Europa so handlungsfähig wird, wie es dieMenschen von Europa erwarten, wie wir es von Europaerwarten, damit die Probleme, die wir national oder re-gional nicht mehr lösen können, zukünftig gesamt-europäisch unter Einschluss von Ost und West gelöst wer-den können.
Ich finde den Beitrag von Ihnen, Herr Müller, auch des-halb so bemerkenswert, weil ich mich noch gut an eineDebatte im Deutschen Bundestag erinnern kann, in derder Bundesregierung, aber auch der Regierungskoalitionimmer wieder vorgeworfen wurde, sie wolle sich nur aufdie so genannten „leftovers“ konzentrieren. Sie haben dieAusweitung der Agenda für Nizza gefordert. Jetzt zeigtsich, wie wichtig es war, dass wir die drei großenHerausforderungen, verbunden mit dem Vorschlag einerverstärkten Zusammenarbeit, in den Mittelpunkt vonNizza rücken und keine weiteren Projekte in Angriff neh-men.
Das muss jetzt in Nizza geregelt werden. Wir brauchtenkeine Ausweitung. Hier haben wir Recht behalten.Wir müssen uns natürlich auch fragen, welche Rolleder Deutsche Bundestag hierbei spielen kann. Wir habendarüber Einvernehmen erzielt, dass das zentrale Projektdie weit gehende Beseitigung des Vetorechtes im Rat ist.Meines Erachtens ist der ambitionierte Vorschlag, den dieBundesregierung entwickelt hat, für die weit gehendeEinbringung der qualifizierten Mehrheit auch ein Erfolgder Europapolitiker dieses Hauses. Wir haben mit den
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dr. Gerd Müller13055
Fachleuten in den anderen Arbeitsgruppen und Ausschüs-sen sowie mit den Ressorts Verhandlungen geführt undhaben immer wieder darauf hingewiesen, dass Deutsch-land mit einem zukunftsweisenden Vorschlag in die Ver-handlungen gehen muss. Wir müssen das Vetorecht zu ei-ner großen Ausnahme werden lassen. Wir müssen diequalifizierte Mehrheit zur Regel werden lassen.Deswegen gibt es nur relativ wenige Vorschläge seitensder Bundesregierung, nach denen das Vetorecht auch inder Zukunft beibehalten werden soll. Das ist ein Erfolgdieses Hauses und seines Europaausschusses. Wir solltenruhig einmal selbstbewusst auf die Möglichkeiten desDeutschen Bundestages hinweisen.
Ich möchte mich auch bei der Bundesregierung – vorNizza werden wir dazu wahrscheinlich keine Gelegenheitmehr haben – bedanken. Mein Dank gilt vor allem Staats-sekretär Pleuger, der in einer außerordentlich offenen undauch auf die konfliktreichen Punkte hinweisenden Art inunseren wöchentlichen Jours fixes, in den Gesprächen mitden Obleuten und mit den Berichterstattern über die Er-gebnisse der bisherigen Verhandlungen berichtet hat. Dasist nicht selbstverständlich. Sein offener Gesprächsstil hatuns immer wieder die Möglichkeit gegeben, unsere An-forderungen an Nizza deutlich zu machen.Herr Barnier – er ist heute schon mehrfach zitiert wor-den – hat natürlich Recht: Wenn wir über die qualifizierteMehrheit sprechen, dann geht es nicht um neue Kompe-tenzen für die EU. Es geht nur darum, dass die bisherigenKompetenzen zielgerichteter und effizienter genutzt wer-den. Deswegen ist die Begrenzung des Vetorechts für unsso wichtig.Herr Hintze hat auf einen Streit hingewiesen, den ichnicht verstanden habe. Er hat der Bundesregierung, aberauch uns vorgeworfen, wir hätten den Konflikt zwischenkleinen Mitgliedstaaten einerseits und großen Mitglied-staaten andererseits geschürt. Ich sehe das überhauptnicht. Es gibt in der Geschichte der Europäischen Ge-meinschaft und der Europäischen Union kein einzigesBeispiel für einen Konflikt zwischen den Großen und denKleinen. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich immerals Sachwalter der kleinen Mitgliedstaaten in der Europä-ischen Union verstanden. Das ist unser Beitrag zum Soli-daritätsprinzip in Europa gewesen. In dieser Frage müs-sen Sie uns keine Nachhilfe erteilen.
Es war auch notwendig, dass der Bundeskanzler einendynamischen Vorschlag im Hinblick auf die Zusam-mensetzung der Kommission in die Verhandlungeneingebracht hat. Erst der Vorschlag, dass auch die großenMitgliedstaaten bereit sind, auf einen Kommissar zu ver-zichten, hat die notwendige Dynamik ausgelöst und ge-zeigt, dass es neben der Hierarchisierung und neben demRotationsprinzip auch andere Möglichkeiten gibt, die sichnicht negativ auf die Kleinen auswirken könnten, sondernbedeuten, dass ein großes Mitglied gegebenenfalls aucheinmal nicht in der Kommission vertreten ist. Die Kom-mission ist nun einmal kein Repräsentationsorgan derMitgliedstaaten, sondern ein den gemeinsamen europä-ischen Interessen dienendes starkes Organ der EU. Dassoll auch zukünftig so sein.Sie haben die deutsch-französische Zusammenar-beit und die Rolle der französischen Präsidentschaft an-gesprochen. Auch wir sind – das muss man der Offenheithalber hier so sagen – in dieser Hinsicht besorgt. Die Eu-ropapolitiker der SPD-Fraktion waren kürzlich in Parisund haben dort viele Gespräche geführt. Die Sorge unddas Unbehagen sind zum Teil auch von unseren parla-mentarischen Kolleginnen und Kollegen in Paris unter-strichen worden. Wir sind uns auf der parlamentarischenEbene einig. Es gibt also keinen deutsch-französischenKonflikt; verschieden sind vielmehr die Sichtweisen derParlamente auf der einen Seite und der die Verhandlungenführenden Regierungen auf der anderen Seite. Wir habenunsere französischen Kollegen in der Assemblée Natio-nale unterstützt. Sie wiederum haben uns gesagt: Machtdeutlich, wo auch für uns die Knackpunkte liegen und wieunsere alternativen Vorschläge aussehen. – Das gehört zueiner stabilen Freundschaft. Ich betone: Die deutsch-fran-zösische Freundschaft ist stabil.Der Bundeskanzler hat in den vergangenen Wochennicht umsonst bedeutsame bilaterale Gespräche geführt.Wo war er nicht überall? Er war gerade in den kleinenMitgliedstaaten, um deutlich zu machen, dass wir auchderen Sachwalter sind. Er hat klargestellt, dass es nichtum originär nationale Interessen, sondern um unser ge-meinsames europäisches Interesse geht, das nicht zwi-schen den Interessen von großen und denen von kleinenMitgliedstaaten unterscheidet.Ich finde es sehr positiv, dass der Kollege Hintze auchdie Systemproblematik der Regierungskonferenz ange-sprochen hat; denn das liegt uns Parlamentariern sehr amHerzen. Einer der schon jetzt erzielten Erfolge von Nizzaist doch die Grundrechte-Charta und die Tatsache, dasswir zusammen mit den Kollegen Meyer und Altmaier undmit vielen anderen ein Modell installiert haben, das dieHinterstubendiplomatie der Regierungskonferenzen ein-mal alternativ beleuchtet.Im Grundrechte-Charta-Konvent saßen Parlamenta-rierinnen und Parlamentarier, die deutlich gemacht haben,dass sie ebenso wie Diplomaten bereit und in der Lagesind, ihre Arbeit zügig und erfolgreich zum Abschluss zubringen.
Das sollte auch uns für die nächsten Jahre ein Vorbild sein,wenn wir die Verfassungsdebatte so führen, wie sie vomAußenminister angeregt wurde. Chirac hat sich dazugeäußert, auch Tony Blair hat sich dazu geäußert. TonyBlair hat eine der pro-europäischsten Reden gehalten, diejemals ein britischer Premierminister gehalten hat. Des-wegen habe ich auch nicht verstanden, warum die Aufre-gung darüber so groß war. Der Beitrag von Tony Blairpasst doch in das Konzept, Visionen über Europa zu ent-wickeln. Sie von der Opposition fordern von uns allesMögliche ein; aber Sie haben weder Visionen noch einenpragmatischen Ansatz, wie wir in Nizza zum Erfolg kom-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Michael Roth
13056
men können. Sie haben auch keine konkreten Alternativenzu dem geliefert, was die Bundesregierung bislang in dieVerhandlungen eingebracht hat.
Ich wünsche mir eine Parlamentarisierung des ver-fassungsgebenden Prozesses. Es ist deshalb nur richtig,dass wir das Modell des Konventes auch über Nizzahinaus in den nächsten Jahren immer wieder als unsereForderung einbringen. Es darf nicht nur die „Nacht derlangen Messer“ geben, in der hinter verschlossenen Türengefeilscht wird, sondern es kann eben auch anders gehen.Es ist der Beitrag von uns Parlamentarierinnen und Parla-mentariern, diesen Punkt immer wieder offensiv in dieDebatte zu bringen.
Lassen Sie mich noch eine abschließende Anmerkungzu dem Post-Nizza-Prozess machen. Ich verstehe das Un-behagen mancher im Hinblick auf die Erweiterung umdie mittel- und osteuropäischen Länder nicht. Ich ver-spreche mir eine erhebliche Zunahme der europapoliti-schen Dynamik, wenn Polen, Ungarn, Tschechien, Slo-wenien und die anderen mittel- und osteuropäischenStaaten erst einmal der EU angehören, weil es durchwegpro-europäische, integrationsfreundliche Länder sind, dieuns dabei unterstützen können, zu einem Europa zu kom-men, wie es sich die Bürgerinnen und Bürger wünschen:handlungsfähiger, demokratischer, transparenter. Wirbrauchen vor dem Erweiterungsprozess gar keine Angstzu haben.Die SPD-Fraktion hat in den vergangenen Monaten ei-nen Beitrag geleistet, um die Bürger aufzuklären und zuinformieren. Dabei haben wir nicht auf populistischeAngstmacherei gesetzt, sondern eine Informationskampa-gne in den Regionen der Bundesrepublik gestartet, die anTschechien und Polen grenzen. Wir haben mit Bürgerin-nen und Bürgern und mit Kommunalpolitikern gespro-chen und deutlich gemacht, dass der Erweiterungsprozessnicht nur Risiken mit sich bringt, sondern dass es geradein den Grenzregionen große Chancen und Potenziale gibt,die wir auf allen politischen Ebenen gemeinsam nutzenmüssen. Diesen Beitrag hat die SPD-Fraktion geleistet.Wir wünschen ihn uns auch von Ihnen, liebe Kolleginnenund Kollegen von der Opposition.
Ich bin auch überhaupt nicht pessimistisch, wenn ichan die Bürgerinnen und Bürger denke. Sie setzen immernoch – trotz mancher Probleme und trotz mancher Skep-sis – ihr Vertrauen in den europäischen Integrationspro-zess. Gerade in der Bundesrepublik Deutschland gibt esimmer noch eine große Zustimmung zu Europa. DiesesVertrauen müssen wir rechtfertigen. Deswegen müssenwir die Teilung Europas überwinden. Voraussetzung dafürist eine größere Gestaltungskraft Europas. Dazu müssenwir in Nizza einen Beitrag leisten. Die Probleme, die wirhier im Bundestag und die die Bundesregierung alleinnicht mehr lösen können, müssen auf europäischer Ebenegelöst werden können.Der Bundesregierung für Nizza ein herzliches Glück-auf! Unsere guten Wünsche begleiten sie. Ich hoffe, dasssie zusammen mit den anderen Partnern zu einem gutenErgebnis kommen wird, über das wir uns werden freuenkönnen.Vielen Dank.
Ichschließe die Aussprache. Wir kommen zu den Überwei-sungen und Abstimmungen.Tagesordnungspunkt II a: Interfraktionell wird vorge-schlagen, den Entschließungsantrag der Fraktionen vonSPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache14/4733 zur federführenden Beratung an den Ausschussfür die Angelegenheiten der Europäischen Union und zurMitberatung an den Auswärtigen Ausschuss, den Finanz-ausschuss und den Verteidigungsausschuss zu überwei-sen.Der Entschließungsantrag der Fraktion der PDS aufDrucksache 14/4666 soll zur federführenden Beratung anden Ausschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUnion und zur Mitberatung an den Auswärtigen Aus-schuss, den Rechtsausschuss und den Ausschuss für Ar-beit und Sozialordnung überwiesen werden.Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nichtder Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Unter Tagesordnungspunkt II b liegt eine Beschluss-empfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten derEuropäischen Union auf Drucksache 14/4457 vor.Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-empfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen vonSPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache14/3514 mit dem Titel „Europäischer Rat in Feira –Europa entschlossen voranbringen“. Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen derFraktionen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung derFraktion der PDS angenommen.Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss-empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion derCDU/CSU auf Drucksache 14/3377 mit dem Titel „InnereReform der Europäischen Union – Stand der Regierungs-konferenz – Stabilität des Euro – Haltung zu Österreich“.Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-fraktionen und der PDS-Fraktion gegen die Stimmen derFraktionen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschluss-empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktionder F.D.P. auf Drucksache 14/3522 mit dem Titel „MutigeEU-Reform als Voraussetzung für eine erfolgreicheErweiterung“. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Michael Roth
13057
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-tionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen vonCDU/CSU und F.D.P. und bei Enthaltung der PDS-Frak-tion angenommen.Unter Tagesordnungspunkt II c liegt eine Beschluss-empfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten derEuropäischen Union auf Drucksache 14/4584 vor.Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-empfehlung die Annahme des Entschließungsantrags derFraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen aufDrucksache 14/4269 zur vereinbarten Debatte zur EU-Grundrechte-Charta. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen derKoalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSUund F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen.Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss-empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion derCDU/CSU auf Drucksache 14/4246 zu dem Entwurf derCharta der Grundrechte der Europäischen Union.Es liegen Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnungzur Abstimmung zum einen vom Kollegen HubertHüppe1) von der CDU/CSU-Fraktion und zum anderenvon weiteren 26 Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktionvor2). Sind Sie damit einverstanden, dass wir diese Er-klärungen zu Protokoll nehmen? – Das ist der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-men der Koalitionsfraktionen und der PDS-Fraktion ge-gen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltungder F.D.P.-Fraktion angenommen.Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschluss-empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion derF.D.P. auf Drucksache 14/4253 mit dem Titel „Europä-ische Grundrechte-Charta als Eckstein einer europäischenVerfassung“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DieBeschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-onsfraktionen bei Gegenstimmen von CDU/CSU undF.D.P. und Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen.Unter Tagesordnungspunkt II d liegt eine Beschluss-empfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten derEuropäischen Union auf Drucksache 14/3903 vor. DerAusschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfeh-lung die Annahme des Entschließungsantrags der Frak-tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen aufDrucksache 14/3099 zur Erklärung der Bundesregierungzu den Ergebnissen der Sondertagung des EuropäischenRates in Lissabon. Wer stimmt für diese Beschlussemp-fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DieBeschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-onsfraktionen bei Gegenstimmen von CDU/CSU, F.D.P.und PDS angenommen.Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss-empfehlung die Ablehnung des Entschließungsantragsder Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/3101 zurErklärung der Bundesregierung zu den Ergebnissen derSondertagung des Europäischen Rates in Lissabon. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-gegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung istdamit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und derPDS-Fraktion bei Gegenstimmen von CDU/CSU undF.D.P. angenommen.Unter Tagesordnungspunkt II e liegt eine Beschluss-empfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten derEuropäischen Union auf Drucksache 14/3472 vor. DerAusschuss empfiehlt die Ablehnung des Antrages derFraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/2233 mit demTitel „Regierungskonferenz 2000 und Osterweiterung –Herausforderungen für die Europäische Union an derSchwelle zum neuen Millennium“. Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit denStimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS beiGegenstimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.Unter Tagesordnungspunkt II f liegt eine Beschluss-empfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten derEuropäischen Union auf Drucksache 14/4323 vor. DerAusschuss empfiehlt die Ablehnung des Antrags der Frak-tion der F.D.P. auf Drucksache 14/3187 mit dem Titel„Beziehungen zu Österreich normalisieren“. Wer stimmtfür diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen?– Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mitden Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS beiGegenstimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten II g bis II jund zum Zusatzpunkt 1. Interfraktionell wird Überwei-sung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/4653,14/4654, 14/3434 , 14/4017 und 14/4732 an die inder Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Zusatzpunkt 2: Wir kommen zur Abstimmung über denAntrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/4720 mitdem Titel „Klarheit des Begriffs Mensch in EU-Grund-rechte-Charta sichern und Menschenwürde umfassendgewährleisten“. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-gen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stim-men der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und derF.D.P. bei Zustimmung der PDS-Fraktion abgelehnt.Ich rufe den Tagesordnungspunkt III auf:a) Zweite Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für dasHaushaltsjahr 2001
– Drucksachen 14/4000, 14/4302 –
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Haushaltsausschusses zuder Unterrichtung durch die Bundesregierung
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms13058
1) Anlage 22) Anlagen 3 und 4Finanzplan des Bundes 2000 bis 2004– Drucksachen 14/4001, 14/4301, 14/4524 –Berichterstattung:Abgeordnete Dietrich AustermannHans Georg WagnerOswald MetzgerDr. Werner HoyerDr. Christa LuftWir beginnen mit drei Einzelplänen, zu denen keineAussprache vorgesehen ist.Ich rufe auf:III. 1 hier: Einzelplan 01Bundespräsident und Bundespräsidial-amt– Drucksachen 14/4501, 14/4521 –Berichterstattung:Abgeordnete Adolf Roth
Ewald SchurerAntje HermenauDr. Werner HoyerDr. Christa LuftWer stimmt für den Einzelplan 01 in der Ausschuss-fassung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Darf ich einmal fragen, wie sich die PDS-Fraktion ver-hält?
– Sie stimmt dafür. Damit ist der Einzelplan 01 einstim-mig angenommen.Ich rufe auf:III. 2 hier: Einzelplan 02Deutscher Bundestag– Drucksachen 14/4502, 14/4521 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Rolf NieseJochen BorchertAntje HermenauJürgen KoppelinDr. Barbara HöllWer stimmt für den Einzelplan 02 in der Ausschuss-fassung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DerEinzelplan 02 ist damit bei Enthaltung der PDS-Fraktionmit den Stimmen aller anderen Fraktionen angenommen.Ich rufe auf:III. 3 hier: Einzelplan 03Bundesrat– Drucksachen 14/4503, 14/4521 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Rolf NieseAlbrecht FeibelMatthias BerningerJürgen KoppelinHeidemarie EhlertWer stimmt für den Einzelplan 03 in der Ausschuss-fassung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Der Einzelplan 03 ist damit einstimmig angenommen.Ich rufe nunmehr auf:III. 4 hier: Einzelplan 08Bundesministerium der Finanzen– Drucksachen 14/4508, 14/4521 –Berichterstattung:Abgeordnete Susanne JaffkeHans-Eberhard UrbaniakManfred HampelAntje HermenauOswald MetzgerDr. Günter RexrodtDr. Uwe-Jens RösselDr. Christa LuftIII. 5 hier: Einzelplan 32Bundesschuld– Drucksache 14/4519 –Berichterstattung:Abgeordnete Hans Jochen HenkeHans Georg WagnerOswald MetzgerDr. Günter RexrodtDr. Uwe-Jens RösselIII. 6 hier: Einzelplan 60Allgemeine Finanzverwaltung– Drucksache 14/4520 –Berichterstattung:Abgeordnete Hans Jochen HenkeManfred KolbeHans Georg WagnerOswald MetzgerDr. Günter RexrodtDr. Uwe-Jens RösselIII. 7 hier: Einzelplan 20Bundesrechnungshof– Drucksache 14/4521 –Berichterstattung:Abgeordnete Oswald MetzgerEwald SchurerJosef HollerithDr. Werner HoyerHeidemarie EhlertZum Einzelplan 08 liegt ein Änderungsantrag derFraktion der PDS vor. Zum Einzelplan 32 liegt ein Ände-rungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Zum Einzel-plan 60 liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion derCDU/CSU, ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P.und ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor. Überden Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. werden wirspäter namentlich abstimmen. Zum Einzelplan 60 liegtein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor,über den wir am Freitag abstimmen werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms13059
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dieAussprache drei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat derKollege Dietrich Austermann von der CDU/CSU-Frak-tion das Wort.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Wir beginnen heute mit derzweiten Lesung des Bundeshaushalts für das Jahr 2001.Ich möchte mit vier Feststellungen beginnen:Erstens. Die rot-grüne Regierung und die sie tragendeMehrheit haben durch falsche wirtschaftspolitische Wei-chenstellungen die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbe-dingungen verschlechtert.
Die Stichworte sind: Einführung neuer Steuern – ich brau-che nur die Ökosteuer zu erwähnen –, das so genannteSteuerentlastungsgesetz, das zu Mehrbelastungen geführthat, das Thema „Minijobs“ sowie die Frage derScheinselbstständigkeit und die Rücknahmen beim Kün-digungsschutz und bei der Lohnfortzahlung. Ich glaube,diese Stichworte sind inzwischen in jedermanns Voka-bular.
Die Wirtschaft ist ernüchtert über den Reformkurs.Zweitens. Infolge dieser Politik trüben sich die Wachs-tumsaussichten ein. Zum fünften Mal hintereinanderkühlt sich der Ifo-Geschäftsklimaindex ab. Die Stimmungist zwar noch besser als die Lage; gestützt wird das Ganzeaber auf tönerne Füße: auf den Exportboom. Hinzukommt eine erdrückende Belastung durch die Energie-preise.Drittens. Die rot-grüne Bilanz in Bezug auf den Ar-beitsmarkt und die Beschäftigung ist blamabel.
Statt den Arbeitsmarkt zu modernisieren, wollen Sieihn betonieren.
Dies machen aktuelle Gesetzentwürfe, die bei Ihnen aufder Tagesordnung stehen, deutlich: Rechtsanspruch aufTeilzeitarbeit, Einschränkungen bei befristeten Arbeits-verhältnissen und die Erweiterung der betrieblichen Mit-bestimmung. Das sind neue Fesseln für mehr Beschäfti-gung und weniger Arbeitslose.
Viertens. Vieles ist in unserem Land zurzeit nicht mehrin Ordnung. Darauf weist nicht nur der Abgang von fünfMinistern in den ersten zwei Jahren Ihrer Regierung hin.Nummer sechs und Nummer sieben stehen gewisser-maßen schon an der Tür.
– Ich denke, Ihre Fantasie reicht aus, um sich vorstellenzu können, wer das sein könnte. Die Diskussion um einaktuelles Thema macht das deutlich. – Vieles ist also nichtmehr in Ordnung. Das gilt besonders für die Finanz- undHaushaltspolitik. Man muss endlich mit dem Argumentaufräumen, dass unter Hans Eichel gespart wird.
Der Eindruck, Herr Finanzminister, Sie seien ein Spar-kommissar, ist falsch. Kein Finanzminister hat je mehrEinnahmen erzielt. Keiner hatte je größere Taschen. KeinFinanzminister – das Jahr 1923 vielleicht einmal ausge-nommen – hat je in Deutschland mehr Steuereinnahmenund mehr Privatisierungserlöse erzielt.
Bürger und Betriebe wurden noch nie stärker angezapft,als das derzeit der Fall ist.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
– Nicht in dieser Form. Es kann ja jeder Werbung machen,aber man darf nicht in den Steuertopf greifen, um Wahl-propaganda für die eigene Person zu machen.
Ich glaube, wenn man sich ein paar Details anguckt,wird deutlich, dass in Deutschland in der Tat nicht gespartwird. Nehmen wir nur einmal die Luxussanierung des al-ten Kanzleramtes in Bonn für die Entwicklungshelfer!44 Millionen DM zusätzlich, damit sich die Ministerindort etwas wohler fühlt. Was könnte man mit diesem Geldin der Entwicklungshilfe tun!
Ein anderes Thema ist die wachsende Zahl von Spit-zenämtern für Genossen. Immer neue Behörden, immerneue Gesellschaften werden gegründet, um abgehalfterteGenossen mit einem gut bezahlten Job zu bedienen.
Herr Eichel, ich könnte es nicht an einer Hand aufzählen,wie viele Parteifreunde Sie in letzter Zeit zu einem neuenAmt in einer neuen Behörde oder in einer neuen Gesell-schaft gebracht haben. Und dann noch die verfassungs-widrige Öffentlichkeitsarbeit!Für das Jahr 2001 wird die Ausgabenausweitung mitein paar Tricks kaschiert.
– Ganz genau, Frau Kollegin. – Tatsächlich steigen dieAusgaben im nächsten Jahr. Über ein paar Tricks versuchtman, das zu kaschieren.
Da gibt es Zuflussvermerke beim Verteidigungsetatund beim Entwicklungshilfeetat, was bedeutet: Die Mehr-ausgaben erscheinen nicht sofort, sondern erst in der Bi-lanz am Ende des Jahres. Bestimmte Ausgaben, beispiels-weise für die EXPO – Welchen Anteil übernimmt dennnun der Bund? –, führt man gar nicht erst im Haushalt auf.Schätzansätze werden mit Absicht, aber gegen die Rea-lität, herabgesetzt. Die Ausgaben für die Arbeitslosenhilfewerden zu niedrig angesetzt – 4 Milliarden DM sind zuwenig, weil die Zahl der Langzeitarbeitslosen steigt.Wenn man sich die Beratungen am letzten Beratungs-tag vor Auge führt, ist das Ganze einfach nur noch alsunseriös zu kennzeichnen. Innerhalb von wenigen Stun-den wurden die Ausgaben und Einnahmen um 29 Milliar-den DM verändert. Man kann doch nicht sagen, dass demeine sinnvolle Beratung vorausgegangen ist. Es gab Pa-piere aus dem Finanzministerium, aber in dieser kurzenZeit war eine Beratung nicht möglich. In diesen wenigenStunden wurden auch die Verpflichtungsermächtigungen,die man für in der Zukunft vorgesehene Projekte einge-plant hatte, auf 78 Milliarden DM aufgestockt. Die Steu-ern wurden niedriger angesetzt als in der letzten Steuer-schätzung.Bei dem vorgelegten Haushalt stimmt doch alles hin-ten und vorne nicht, und das nur, um die Ausgabensitua-tion im Jahre 2001 künstlich unter der des Jahres 2000 zuhalten.Meine Damen und Herren, Sie haben sich im Laufeder Beratungen einer Reihe von Forderungen der Union
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dietrich Austermann13061
angeschlossen. Zum Teil wurden unsere Anträge einfachabgeschrieben und vier Wochen später als eigene vorge-legt.
Sie haben sich der Forderung angeschlossen, mehr für dieInvestitionen zu tun. Das haben Sie fast wörtlich abge-kupfert.
Das ist doch wie in der Schule, aber wenn der Lehrer esdort entdeckt, gibt es dafür eine Sechs und die Arbeit wirdals ungültig gewertet.
Damit haben Sie die falsche Haushaltspolitik ein biss-chen korrigiert. Nur wegen des Zufallsprodukts der Erlöseaus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen war das mög-lich und die Entscheidung zu deren Versteigerung fiel zuunserer Regierungszeit. Doch die Stärkung der Investitio-nen reicht bei weitem nicht aus. Die Investitionsquote imkommenden Jahr ist immer noch niedriger als im Jahre1998, also im Jahr des letzten Waigel-Etats. Selbst unterEinrechnung der Mehrausgaben für Straßenbau undSchiene liegen Sie darunter.Betrachten Sie die beiden Haushalte Wirtschaft undTechnologie plus Forschung auf der einen Seite und Bau-und Wohnungswesen auf der anderen Seite. Sie werdenfeststellen, dass bei beiden die Ausgaben im kommendenJahr niedriger sind als zu unserer Regierungszeit. Sie ge-ben also weniger für Investitionen aus, als wir das bei ei-nem niedrigeren Haushaltsniveau gemacht haben. Sie ge-ben weniger für Investitionen und damit weniger für dieZukunft aus.Nehmen wir ein Beispiel, das noch aus der Debatte umdas Thema BAföG aktuell ist. Die BAföG-Reform ist aufden Weg gebracht, für das BAföG wird im Jahre 2001deutlich weniger Geld ausgegeben als 1998 und 1997.Das nennen Sie Reform.Der Anspruch von Rot-Grün hat gelautet: Wir wollenSchulden abbauen. Wir haben Ihnen vorgehalten – ich tuedas heute noch einmal –, dass der Bund von 1999 bis 2004insgesamt sage und schreibe über 230 Milliarden DMneue Schulden macht. Die Steuerzahler sind zur Melkkuhvon Herrn Eichel geworden. Die Steuerzahler sind Opfervon Dr. Eichels Schröpfkur,
wobei das Steuerrecht durch die Entscheidung des letztenJahres mittelstandsfeindlicher und komplizierter gewor-den ist.
– Ich verstehe ja, dass Sie das beunruhigt,
aber die Tatsache kann doch jeder Bürger in seinem Por-temonnaie und jedes Unternehmen an seiner Investitions-kraft feststellen. Daran, dass die Steuereinnahmen desBundes bei uns um fast 15 Milliarden DM gesunken sindund bei Ihnen um 82 Milliarden DM steigen, wird dochganz deutlich, dass sich die Steuerreform zwar auf demPapier, aber nicht in den Taschen bemerkbar macht. Esgeht um sage und schreibe 82 Milliarden DM. Die angeb-lich größte Steuerreform der Geschichte ist nichts als dasFeigenblatt einer planvoll und mit großem Aufwand ver-nebelten Steuererhöhungspolitik,
die den Normalverdiener und die so genannte Neue Mittegnadenlos schröpft.
Unter dieser Regierung haben die Menschen immer we-niger Geld in der Tasche und der DGB beklagt, dass dieSchere zwischen Arm und Reich immer größer wird.
Die nächste Stufe der Ökosteuer ab 2001 ist vorpro-grammiert. Machen wir uns das noch einmal klar: Zurzeithaben die Belastungen durch Steuern und Abgaben eindramatisches Maß angenommen und Sie beabsichtigen,durch die Ökosteuer ab dem 1. Januar im Rahmen dernächsten Stufe weitere 7 bis 8 Milliarden DM zusätzlicheinzunehmen. Das verstehen wir nicht unter den notwen-digen Schritten für eine bessere Förderung des wirt-schaftlichen Wachstums in Deutschland.Insgesamt ist auch die Abgabenquote gestiegen. Nachden offiziellen Zahlen des Sachverständigenrates lag sie1998 bei 42,3 Prozent, im kommenden Jahr wird sie bei43,1 Prozent liegen. Betrachtet man das ganz in Ruhe,stellt man fest, dass es natürlich unsozial ist, dass Sie Ver-schiebungen zulasten der Krankenkassen und der Soli-darsysteme, zulasten von Bund und Ländern und zulastender Rentenversicherung vornehmen. Das gilt auch für dievorgesehene Entfernungspauschale, die von anderen öf-fentlichen Kassen mitfinanziert werden soll.Im Übrigen werden auch Zahlungsverpflichtungen, diemit den Händen zu greifen sind, verschoben. Erinnern wiruns doch, was Sie uns bezüglich der Kohlebelastungenvorgehalten haben, als wir einen Teil von dem gemachthaben, was Sie jetzt machen. Sie verschieben Belastun-gen, die gesetzlich festgelegt sind, in die nächsten Jahre.Hierbei handelt es sich um 1,5 Milliarden DM. Auch da-mit täuschen Sie über das tatsächliche Volumen des Haus-halts hinweg. Das hat mit Haushaltswahrheit und Haus-haltsklarheit nichts mehr zu tun.Lassen Sie mich etwas zu dem Thema Privatisierungsagen. Dies ist ein Thema, das wir über viele Jahre ken-nen, weil immer gesagt wird, wir hätten in unserer dama-ligen Regierungszeit das Tafelsilber verscherbelt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dietrich Austermann13062
Zunächst muss man erstaunt sein, wie viel Tafelsilbernoch da ist. Wir haben es doch angeblich verscherbelt.Wenn ich mir allerdings ansehe, wie hier Privatisierungmit der Brechstange betrieben wird, dann ist „Verscher-beln von Tafelsilber“ noch ein harmloser Ausdruck. Ei-nerseits wird alles, was nicht niet- und nagelfest ist, aus-schließlich unter dem Gesichtspunkt des Erlöses verkauft,während andererseits Darlehensforderungen gegen dieBahn mit einem kräftigen Abschlag an die Bahn selbstverkauft werden. Gleichzeitig fordert der Bund von derBahn noch 500 Millionen DM für die Ökosteuer – dasmuss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen –,obwohl doch die Menschen auf dieses Verkehrsmittel um-steigen sollen.
Bei der Ausgleichsbank wird der tüchtige Vorstand, derder Quasi-Fusion mit der KfW widersprochen hat, hi-nausgeekelt. Hinter dem eiligen Verkauf der Bundes-druckerei stehen viele Fragezeichen. Der Leiter der Post-regulierungsbehörde muss gehen.Wenn man sich diese Fakten vor Augen führt und fest-stellt, dass zum Schluss schnell noch einmal, um Reser-ven für den Haushalt 2002, das heißt: für das Wahljahr, zuhaben, die Privatisierungserlöse niedriger angesetzt wer-den als im Entwurf, dann zeigt dies, welche Taktik Sieverfolgen. Nein, das alles trägt den Stempel „unseriös“.Dies ist nicht zuletzt durch das Verfahren in den letztenTagen deutlich geworden.Meine Damen und Herren, die CDU/CSU hat sich beiden Haushaltsberatungen von einer klaren Generallinieleiten lassen. Sie heißt: Investitionen steigern, Forschungund Technologie fördern, den Beitrag zur Arbeitslosen-versicherung senken, die Bundeswehr modernisieren.Diese vier Punkte können Sie in sämtlichen Anträgen, diewir vorgelegt haben, nachlesen. Diese Generallinie hatdann auch zu einzelnen Anträgen geführt, die ich kurz er-läutern möchte.Wir haben vorgeschlagen und beantragt, den Ansatz fürden Bundesfernstraßenbau um 2 Milliarden DM zu er-höhen; zurzeit gibt es keinen aktiven Bundesverkehrswe-geplan, weil Sie ihn ausgesetzt haben. Wir wollen eben-falls um 2 Milliarden DM höhere Investitionen für dieSchiene. Ich sagte es schon, hier haben Sie abgekupfert.Wir wollen die Erhöhung der Mittel für die Gemein-schaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt-schaftsstruktur“ in den neuen Bundesländern um 300Mil-lionen DM. Hier haben Sie die Mittel zulasten derSituation in den neuen Bundesländern gekürzt.Wir wollen mehr für den Hochschulbau tun. Wir wol-len eine Verstärkung der Forschungs- und Bildungsausga-ben nicht von 600 Millionen DM, sondern von 1 Milli-arde DM.Wir wollen Verbesserungen für die Landwirtschaft, fürden Unterglasgartenbau. Wir stellen jetzt – StichwortBSE – einen neuen Antrag auf zusätzliche Mittel für einSofortprogramm für Maßnahmen zum Schutz der Ver-braucher und zur Umstrukturierung der Landwirtschaft.Wir wollen mehr Mittel für die Bundeswehr, denn esmacht keinen Sinn, eine Reform anzustreben und gleich-zeitig die Bundeswehr nicht mit dem nötigen Geld auszu-statten.
Wir wollen mehr Geld für die Stadtsanierung und dieWohnumfeldverbesserung in West und Ost. Wir wollendie Abschaffung der überflüssigen Ökosteuer, und wirwollen die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversi-cherung.Dass Letzteres möglich ist, hat der Verwaltungsrat derBundesanstalt für Arbeit durch einen Brief deutlich ge-macht. Sowohl die Vertreter der Gewerkschaften als auchdie der Arbeitgeber haben gesagt: Wenn Sie nicht Lasten,die bisher im Bundeshaushalt enthalten waren – Jugend-arbeitslosenprogramm, Lohnkostenzuschüsse für Lang-zeitarbeitslose, Strukturanpassungsmaßnahmen Ost –, derBundesanstalt und damit dem Beitragszahler aufs Augegedrückt hätten, dann wäre ein Spielraum für die Senkungder Beiträge zur Arbeitslosenversicherung vorhanden.
Wir halten das für unbedingt erforderlich, damit wenigs-tens im nächsten, im dritten, also im vorletzten Jahr IhrerRegierung etwas von der Senkung von Abgaben, die Sieangekündigt haben, zu erkennen ist.Insgesamt hätten unsere Anträge im Haushaltsausschussdazu geführt, dass die Nettokreditaufnahme auf knapp un-ter 40Milliarden DM hätte gesenkt werden können, mithinalso eine deutlich stärkere Senkung der Neuverschuldungals bei Rot-Grün. Wir fordern Sie auf, unserem Antrag zu-zustimmen, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zusenken.Meine Damen und Herren, inzwischen ist eine Füllevon Wirtschaftsinstituten, aber auch die Presse offen-sichtlich etwas mehr davon überzeugt, dass vieles vondem, was Sie in letzter Zeit gemacht haben, nicht geeig-net ist, die Stärkung des Wirtschaftsstandortes zu fördern.Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, das nichtden Ruf hat, der Union besonders nahe zu stehen, hat diesdeutlich so umschrieben:Einerseits vermindert der Bund – offensichtlich indem Bestreben, die staatlichen Ausgaben zu senken –die Mitfinanzierung von Aufgaben wie die Arbeits-förderung, die gesamtgesellschaftlicher Natur sind.Eigentlich gehen so von der Gesellschaft zu tragendeAusgaben nur zulasten der Versichertengemein-schaft.Es folgert:Würde der Bund also seiner Mitfinanzierungspflichtfür gesellschaftlich zu tragende Aufgaben stärkernachkommen, entstünden zusätzliche Spielräume fürBeitragssenkungen.Wo das DIW Recht hat, hat es Recht. Dies wollen wir un-terstreichen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dietrich Austermann13063
Mit der von uns beantragten Umschichtung, die auchfür mehr Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit sorgt,ergeben sich aufgrund der Anträge der CDU/CSU sowieden von uns mitgetragenen Kürzungen per Saldo Minder-ausgaben von 300 Millionen DM, Investitionssteigerun-gen um 5 Milliarden DM und die Investitionsquote würdedas Niveau des Jahres 1998, des letzten Jahres unsererRegierungszeit, erreichen. Wir wollen weniger Steuern,weniger Abgaben, mehr Investitionen und mehr Arbeits-plätze.
Rot-Grün bewirkt mit seiner Politik genau das Gegenteil.Wir werden in dieser Woche unsere Anträge wiederholen.Sofern ihnen nicht im Rahmen der zweiten Lesung ge-folgt wird, werden wir dem Haushalt insgesamt nichtzustimmen können.Lassen Sie mich mit einem Dank an den Vorsitzendendes Haushaltsausschusses, die Obleute und die bei derVorberatung Anwesenden schließen. Das, was wir be-schrieben haben, hat oft zu sachlichen Unterschieden ge-führt. Ich habe sie deutlich gemacht, für manchen von Ih-nen vielleicht zu deutlich; aber es war notwendig.Gleichwohl hat es über die Parteigrenzen hinweg im Rah-men der Rolle, die wir zu spielen haben, erträgliche Bera-tungen gegeben. Ich würde mich freuen, wenn dies dazuführen könnte, dass Sie einer Reihe von unseren Anträgenzustimmen,
damit sich die Situation in Deutschland im nächsten Jahrverbessert und sich die Wirtschaftslage nicht weiter ein-trübt.Herzlichen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Hans Georg Wagner von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Während der Rede desKollegen Austermann dachte ich: Das kann doch nichtder Austermann sein, so redet bestenfalls der Weihnachts-mann. Das passt auch zur Jahreszeit. Dem Weihnachts-mann kann man unterstellen, dass er vom Haushalt keineAhnung hat, aber von Ihnen kann man erwarten, dass Siezumindest die Kapitel des Bundeshaushaltes kennen.Deshalb bin ich über Ihren Diskussionsbeitrag etwas ver-blüfft.Aber er hat bei mir nur geringe Verblüffung ausgelöst;denn ich hatte meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ge-beten, einmal zusammenzustellen, was der HerrAustermann sagen könnte. Sie haben genau die angeführ-ten Punkte genannt. Insofern waren wir bestens präpa-riert. Deshalb will ich auf Ihre Rede nicht näher eingehen.Bei Ihrer Eingangsrede stimmte nur der erste Satz, dasswir heute die zweite Lesung des Bundeshaushaltes haben.Das ist richtig. Das möchte ich ausdrücklich bestätigen.
Alles andere ist falsch. Wenn Sie sich die Zeitung vonheute anschauen, Herr Kollege Austermann, dann werdenSie unschwer feststellen, dass sich die Industrieinvesti-tionen in Deutschland seit 1992 erstmals auf über100Milliarden DM belaufen. Das Statistische Bundesamthat festgestellt, dass die größten Unternehmen des verar-beitenden Gewerbes und der Bergbau rund 102 Milliar-den DM investiert haben.Jetzt noch ein Wort zur Zukunft des Steinkohleberg-baus. Wir haben eine einvernehmliche Lösung zwischendem Unternehmen RAG, der Bergbaugewerkschaft, derLandesregierung in Nordrhein-Westfalen und der Koali-tion gefunden. Sie wird die Zukunft des Bergbaus sichern.
– Sie können lachen, so viel Sie wollen. Diese Lösungwird bis zum Jahre 2005 das sicherstellen, was Sie, HerrRexrodt, als Vereinbarung im Jahre 1997 unterschriebenhaben. Diese Regierung hält ihre Versprechen. Sie hält so-gar die Versprechen ein, die Sie, die alte Regierung, sei-nerzeit den Bergwerkern gegeben haben.
Auch die EU-Kommissarin de Palacio wird dieserRegelung zustimmen, sodass wir auf der sicheren Seitesind und die Wünsche des Bergbaus erfüllen können. Siewissen alle: 2003 wird über die Auszahlung entschieden.Bis 2005 muss ausgezahlt werden.Heute wird eine Umfrage der Deutschen Genossen-schaftsbank veröffentlicht, die unter 2 500 mittelständi-schen Unternehmen durchgeführt wurde. Darin steht,dass die Geschäftslage des deutschen Mittelstandes vonden Unternehmen selber als unverändert gut bezeichnetwird. Dynamik herrsche in den Traditionsbranchen Elek-tro, Metall und Chemie. Beim Bau sei allerdings nocheine flaue Gesamtlage festzustellen. Deshalb haben wirbei den Bauinvestitionen etwas hinzugetan. Die Zinser-sparnisse haben wir auch für die Bauinvestitionen einge-setzt, damit die Bauwirtschaft wieder besser über dieRunden kommt. Das alles ist doch bei Ihnen vernachläs-sigt worden.
Das Wichtigste ist: Die 2 500 Mittelständler sagen,dass es auch in den nächsten zwei Monaten einen erheb-lichen Anstieg der Zahl der Beschäftigten geben wird. Dasheißt, es werden Arbeitsplätze geschaffen. Da greift dochunser Programm. Sie haben sich nie so intensiv darumgekümmert.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dietrich Austermann13064
Unser Haushalt, so wie er von der Koalition verab-schiedet worden ist, ist ein wichtiger Meilenstein zurKonsolidierung der Bundesfinanzen. Unser Tenor „Spa-ren und Gestalten“ ist Wirklichkeit geworden – das kannnachgelesen werden –, im Gegensatz zu früher, als hem-mungslos Schulden gemacht worden sind, anstatt Maß zuhalten, und man gegenüber allen praktischen Vorschlägender damaligen Opposition, wie man Geld einsparenkönne, uneinsichtig war.Die Koalition hat im Verfahren den Regierungsentwurfzum Haushalt um 1,7MilliardenDM auf nunmehr 477Mil-liardenDM gekürzt. Das hat es bei Ihnen nie gegeben. Wirkürzen permanent auch bei den eigenen Entwürfen, weilwir der Meinung sind, dass immer noch eine Chance be-steht, etwas herauszuholen. Wir holen auch etwas heraus,wie diese Zahlen beweisen.Herr Kollege, Sie haben eben die Investitionsquotebeklagt. Dazu muss ich Ihnen sagen: Die Investitionensteigen durch die Beschlüsse der Koalition um 3,4 Milli-arden DM auf 57,9 Milliarden DM.
Die Investitionsquote liegt damit bei 12,2 Prozent. Sie ha-ben öffentlich behauptet, diese Investitionsquote sei sogarniedriger als 1998. In der Tat hatten Sie 1998 eine Inves-titionsquote von 12,5 Prozent, also eine höhere als jetzt.Wir wissen aber alle, dass die alte Regierung das Haus-haltsrecht nicht so genau nahm. – Herr Kollege Austermann,Sie waren ja im Haushaltsausschuss maßgeblich daran be-teiligt. – Sie legte nicht nur verfassungswidrige Haushaltevor, sondern manipulierten den Investitionsbegriff, umden Verschuldungsrahmen nach Art. 115 des Grundgeset-zes hoch zu halten. Investitionsausgaben wurden künst-lich hochgerechnet, um dann am Ende – wie 1996 – 5,3Mil-liarden DM unter dem Soll des Haushaltsplanes 1996 zuliegen. Das heißt, es wurden Investitionen angesetzt, beidenen Sie von vornherein wussten, dass sie niemals um-gesetzt werden können. Das war nicht Haushaltswahrheitund -klarheit, das war Haushaltsverlogenheit.
Im Jahr 1998 wurden 1,7 Milliarden DM für Struk-turanpassungsmaßnahmen im Osten eingestellt, und zwarfür Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die nun wirklichkeine Investitionen sind. Subtrahiert man diese 1,7 Milli-arden DM von der Investitionssumme des Jahres 1998,dann erhält man eine Investitionsquote von exakt 12,1 Pro-zent. Und diese liegt unter der Investitionsquote unseresHaushaltes für das Jahr 2001.Herr Kollege Austermann, Sie haben vorhin gesagt,das Problem der Arbeitslosigkeit werde nicht verringert.Schauen wir uns doch einmal die Zahlen der Bundesan-stalt für Arbeit an. Ich darf die Zahlen noch einmal verge-genwärtigen: 1997 hatten wir 4 396 000 Arbeitslose, 19984 266 000 Arbeitslose, 1999 4 093 000 Arbeitslose, imOktober 2000 3 611 000 Arbeitslose. Bei der Prognose für2001 gehen die Bundesregierung und die Institute wie-derum von einem Rückgang von 400 000 Arbeitslosenaus. Wie man da von einer Stagnation beim Arbeitsmarktsprechen kann, begreife ich überhaupt nicht. Die Arbeits-losigkeit geht ganz klar zurück. Sie wollen das nur nichtzur Kenntnis nehmen.
Die Anträge, die Sie gestellt haben, sind alle nicht ge-genfinanziert. Sie sprechen von einer Erhöhung des Bun-deshaushaltes um 8,1 Milliarden DM. Aber das geht nurdurch Erhöhung der Nettokreditaufnahme; anders könnenSie das nicht finanzieren. Der Finanzierungsvorschlag,den Sie gemacht haben, Gelder der Europäischen Unionals Einnahme zu veranschlagen, ist völlig unüblich undwiderspricht schlicht und ergreifend dem deutschenHaushaltsrecht. Das hätten Sie aber wissen müssen, bevorSie den Antrag gestellt haben. Deshalb werden wir denAntrag ablehnen.Natürlich hätten wir gerne ein höheres Investitionsvo-lumen beschlossen. Wer denn nicht? Aber dann hätten wirunser Sparziel verfehlt. Das ist mit uns nicht zu machen.
Noch eine Anmerkung zur Investitionsquote. DieseKennziffer ist zumindest verwirrend, wenn nicht proble-matisch. Ich beziehe mich dabei auf die Rede des Bundes-präsidenten am Donnerstag der vergangenen Woche inBonn zum 50-jährigen Jubiläum des Bundesrechnungs-hofes. Kollege Kalb war meines Wissens anwesend.
– Natürlich, ich habe mich auch gefreut, Sie zu sehen. –Der Bundespräsident hat die Frage gestellt, ob es richtigsein kann, dass die Anschaffung eines Dienstwagens nachunserem Haushaltsrecht eine Investition ist, wogegen In-vestitionen im Bildungs- und Forschungsbereich als kon-sumtive Ausgaben bezeichnet werden. Wenn jeder davonspricht, wir müssten für die Zukunft unserer Kinder undEnkelkinder etwas tun, so ist damit doch die Investition indie Zukunft Deutschlands gemeint; solche Ausgaben wer-den aber nicht als Investitionen, sondern als konsumtiveAusgaben gewertet. Über diese Sache müssen wir in Ruhereden.
Sicherlich sind auch Brücken, Straßen, Schienen und Ge-bäude Zukunftsinvestitionen, aber auch Mittel, die in dieBildung und Ausbildung von Menschen fließen, müssenin die Investitionsquote mit einbezogen werden. Auf die-sem Feld bestehen zwischen Ihnen und uns keine Strei-tigkeiten; wir müssten gemeinsam diskutieren, wie wir zueinem anderen Begriff kommen können.Gerade im Bereich Bildung und Ausbildung habenSie in der Vergangenheit am schwersten gesündigt.
Von 1992 bis 1998 haben Sie die Mittel hierfür von20,6 Milliarden DM auf 18,7 Milliarden DM gesenkt. In
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Hans Georg Wagner13065
Ihrer Regierungszeit wurden also die Ausgaben für Bil-dung massiv gesenkt und das BAföG verkümmerte. DieMittel in diesem Bereich belaufen sich im Haushalt 2001wieder auf 20,6 Milliarden DM, also den Stand des Jahres1992. So gewinnen wir die Zukunft. Beim BAföG sindSie völlig von der Rolle: Eben haben Sie beklagt, beimBAföG sei wenig gemacht worden, obwohl doch imnächsten Jahr 500 Millionen DM mehr bereitgestellt wer-den, damit auch die Arbeiterkinder Gelegenheit haben zustudieren.
Es ist nicht mehr so wie bei Ihnen, dass nur Kinder vonÄrzten oder Professoren Ärzte und Professoren werdenkonnten, während Arbeiterkinder nur Arbeiter werdenkonnten. Die Zeit ist vorbei!
Wir sind angetreten, die Arbeit billiger zu machen, undsenken die Lohnnebenkosten. 1999 betrug der Beitrags-satz zur Rentenversicherung 19,5 Prozent, 2000 beträgt er19,3 Prozent. 2001 wird er bei 19,1 Prozent liegen, 2002bei 18,8 Prozent und 2003 bei 18,6 Prozent. Jetzt klat-schen Sie nicht, obwohl das für Sie Traumzahlen seinmüssten. Dies hätten Sie nie erreicht, wenn Sie Ihre Poli-tik hätten fortsetzen können. Das Schöne ist, dass Sie ab-gewählt worden sind.Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, HerrJagoda, hat in den letzten Tagen erklärt, dass auf dem Aus-bildungsmarkt zurzeit mehr Ausbildungsplätze verfügbarals Bewerber vorhanden seien. Das ist gut so und unter an-derem auch ein Ergebnis des Sonderprogramms, das wiraufgelegt haben. Es hat sich als äußerst erfolgreich erwie-sen, und wir werden es mit einer Größenordnung von2 Milliarden DM fortsetzen. Man muss aber auf diesemGebiet etwas genauer hinsehen:
In Deutschland gibt es Regionen, in denen die Jugendar-beitslosigkeit hoch ist, und andere, in denen sie niedrig ist.Man muss also versuchen, die Gelder dorthin zu bringen,wo die Not am größten ist, wo die wenigsten Ausbil-dungsplätze angeboten werden. In diesen Regionen mussman Jugendliche in Ausbildung bringen und ihnen damiteine berufliche Chance geben. Das wird geschehen. Wirsind dabei, dieses Ziel genauer zu formulieren, aber andem Ansatz in Höhe von 2 Milliarden DM ändert sichnichts.
Sie haben damals gestänkert und gehetzt, aber wir ha-ben mit diesem Programm einen großen Erfolg gehabt.Alle sagen, dass die Koalition stolz darauf sein kann, die-ses Ziel erreicht zu haben, und wir sind auch stolz darauf.Die gesamte Arbeitsmarktpolitik wird auch im Jahre 2001in einem Umfang von 44 Milliarden DM finanziert. Auchdas ist Kontinuität in unserer Arbeit. Auf uns, auf Rot-Grün, ist auch bei der Arbeitsmarktpolitik Verlass.
Ich will zwei große Problemfelder ansprechen – es er-scheint mit notwendig, dies anzuführen – die Bundes-wehr und die Bundesbahn. Zum Thema Bundeswehr sageich: Rudolf Scharping ist nicht zu beneiden,
aber er hat die volle Solidarität von Rot-Grün. Er ist nichtzu beneiden, weil er die Bundeswehr in einem technolo-gisch schlechten Zustand übernommen hat.
Ich will das an Beispielen klarmachen, damit Sie es be-greifen: Vom Heer wurden Leo-II-Panzer in den Kosovotransportiert, von denen die eine Hälfte dadurch einsatz-fähig gemacht wurden, dass man die andere Hälfte ausge-schlachtet hat. Das ist die Wahrheit.Man hat Mörser in den Kosovo transportiert, sie alsDrohkulisse aufgebaut, aber nicht die geringste Menge anMunition gehabt, die hätte verschossen werden können.Das war das Ergebnis Ihrer Politik.
Jetzt zur Marine. Wie sah es dort aus? Ich will Ihnen ei-nen Punkt nennen. Es fand ein Marinemanöver der NATOim Ägäischen Meer statt. Die NATO musste die Anforde-rungsstandards sehr tief setzen, damit die Bundesmarineüberhaupt teilnehmen konnte. Also auch dort alles toteHose. Das ist das Ergebnis Ihres Versagens, meine Damenund Herren.
Jetzt zur Luftwaffe. In Deutschland gibt es Fliegerhors-te, in denen junge Piloten ausgebildet werden sollen, indenen aber für 30 auszubildende Piloten nur eine einzigeMaschine zur Verfügung steht,
weil alle anderen nicht einsatzfähig sind. Dann kommtnoch ein NATO-Offizier, der seine Flugstunden habenmuss und das Flugzeug noch vier Tage in der Woche be-legt. Also sitzen 30 junge Menschen, hoch motiviert fürdiesen Beruf, herum, spielen Mensch-ärgere-dich-nichtoder Skat oder trinken. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.Das müssen wir jetzt angehen.
Deshalb sage ich: Rudolf Scharping ist absolut nicht zubeneiden, wenn er Ihr Chaos beseitigen muss.Sie arbeiten auch mit der Unwahrheit, wie immer,wenn Sie sagen, das Finanzvolumen reiche nicht aus. IhrOberexperte ist ja heute nicht anwesend. Ich frage aberalle, die sich als Experten bezeichnen, insbesondere dieKolleginnen und Kollegen der CDU/CSU aus dem Ver-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Hans Georg Wagner13066
teidigungsausschuss: Haben Sie denn über Jahre undJahrzehnte wirklich nicht bemerkt, was mit der Bundes-wehr los ist?
Dabei geht es nicht nur um die von Ihnen verursachte Un-terbezahlung vieler Soldaten und später auch Soldatinnen.Das werden wir – damit das auch klar ist – ändern, damitdie Motivation in der Bundeswehr wieder steigt.
Mit 46,8 Milliarden DM, die in den Beratungen vonuns noch um 60 Millionen DM erhöht wurden, und mitden Erlösen, die das Verteidigungsministerium durch denVerkauf von Liegenschaften und anderen Einrichtungenerzielen kann, sowie durch eine Modernisierung der Ver-waltung ist die Reform zu finanzieren. Dies werden wir,wenn die Finanzierung steht und die Umstrukturierungin Gang gesetzt ist, auch darstellen.
Wir haben in diesem Falle großes Zutrauen zu RudolfScharping und wir werden ihn bei dieser Umstrukturie-rung auch unterstützen. Falls Sie etwas anderes erwarten,machen Sie sich falsche Hoffnungen.
Das zweite problematische Thema ist die DeutscheBahn AG.Hierzu frage ich die Kolleginnen und Kollegender CDU/CSU aus dem Verkehrsausschuss: Haben Siewirklich über Jahre und Jahrzehnte – spätestens seit derPrivatisierung der Bundesbahn – nicht bemerkt, dass dasSchienennetz so marode ist, wie dies heute, im Jahr 2000,festgestellt wird?Herr Mehdorn hat mir, als ich ihn gemeinsam mitHerrn Poß besuchte, eine Schraube gezeigt, mit der Schie-nen an Holzschwellen festgemacht sind und die er mit derHand herausgezogen hatte. Auf dieser Strecke fahrenICE-Züge. Dieser marode Schienenweg ist das ErgebnisIhres Wegsehens. Das kann nur daran liegen, dass Sieüberhaupt nicht aufgepasst haben.
Wie desolat der Zustand ist, will ich jetzt nicht mit ei-genen Zahlen belegen. Ich zitiere vielmehr aus dem Briefder deutschen Bauindustrie vom 13. November. Sie habenihn wohl alle bekommen. Zumindest Herr Austermann hatihn auch bekommen. Darin steht Folgendes:Die deutsche Bauindustrie begrüßt die Entscheidungder Bundesregierung, der Deutschen Bahn AG in denJahren 2001 bis 2003 jährlich 2 Milliarden DM zu-sätzlich an Baukostenzuschüssen bzw. Darlehen fürInvestitionen zur Verfügung zu stellen. Die Initiativeder Bundesregierung wird aber nur dann erfolgreichsein, wenn diese zusätzlichen Mittel auch tatsächlichin die Modernisierung des Schienennetzes inDeutschland fließen.Richtig! Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass diesin den letzen Jahren nicht immer der Fall war. In denHaushaltsjahren 1992 bis 1996 hat die Deutsche Bahn AGInvestitionsmittel in Höhe von 4,2 Milliarden DM nichtabgerufen. Warum?
– Sie hatten doch die Kontrolle. Was haben Sie denn ge-macht? Vor allem die neuen Bundesländer hatten unter derInvestitionsschwäche der DBAG zu leiden.In den Haushaltsjahren 1996 bis 1998 hat der Bund fürden Bereich der ehemaligen Deutschen ReichsbahnInvestitionsmittel in Höhe von 11,1 Milliarden DM zurVerfügung gestellt. Das war das Haushalts-Soll. Tatsäch-lich sind nur 6,6 Milliarden DM in das ostdeutsche Schie-nennetz geflossen. Das war das Haushalts-Ist. Das wardoch unter Ihrer Verantwortung, meine Damen und Her-ren! Sie müssen sich dieser Verantwortung endlich einmalstellen.Im Haushaltsjahr 1998 haben Sie sogar 960 Milli-onen DM aus allgemeinen Investitionsmitteln zur Abwen-dung des Fehlbedarfs beim Bundeseisenbahnvermögen,also zur konsumtiven Verwendung, umgeschichtet.
Das war ein fataler Fehler. Anstatt mit diesen Mitteln dasSchienennetz zu sanieren und Investitionen zu tätigen, ha-ben Sie mit den Mitteln konsumtive Ausgaben bestritten.Das war falsch, meine Damen und Herren.
Sie behaupten, von Sparen könne keine Rede sein.Wenn Sie so etwas behaupten, dann spricht die pure Un-wissenheit aus Ihnen. In der Tat sind die Ausgaben von1998 zu 1999 um 25,9 Milliarden DM auf 482,8 Milliar-den DM gestiegen. Aber warum? Sie wissen es doch ambesten. Wir mussten die Ausgaben um rund 10 Milliar-den DM erhöhen, um das zu etatisieren, was vorher garnicht oder zu niedrig etatisiert wurde. Ich verweise aufden Arbeitsmarkt, auf die Sonderhilfen für Bremen unddas Saarland und auf die Gewährleistungen.Wir haben für Haushaltsklarheit gesorgt. Zuschüsse zuden Postunterstützungskassen wurden in den Haushalteingestellt. Außerdem haben wir den Bundeszuschuss zurRentenversicherung, der aus dem Ökosteueraufkommenfinanziert wird, erstmalig veranschlagt. Bereinigt manden Haushalt um diese Faktoren, dann stieg der Haushalt1999 nur um 1,7 Prozent. Der Zuwachs beträgt von 1999bis 2003, in vier Jahren, nur 2,6 Prozent. Gleichzeitigsteigt das Bruttoinlandsprodukt um 16,5 Prozent. Waswill man denn noch mehr? Sie haben solche Erfolge, diewir in der kurzen Zeit unserer Regierungstätigkeit schonerreicht haben, nie erzielt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Hans Georg Wagner13067
Ein paar Sätze zur Entwicklungshilfepolitik, die Sievorhin kritisiert haben: Ich mache es mir einfach und ver-weise auf das, was Herr Wolfensohn, der Präsident derWeltbank, in einem Gespräch mit mir und einigen Kolle-ginnen und Kollegen gestern in Berlin gesagt hat. Er lobteausdrücklich die deutsche Entwicklungshilfe und sagte,sie sei im Gegensatz zu der anderer Industriestaaten wieetwa USAund Japan vorbildlich. Das ist unsere Entwick-lungspolitik, die Entwicklungspolitik von Rot-Grün!
Wir setzen Akzente und stellen die Mittel zur Verfügung,die wir zur Unterstützung der dritten Welt zugesagt haben.Wenn die Weltbank uns derart lobt, dann sollten wir frohsein. Sie sollten sich mit freuen; denn die deutsche Re-gierung, die auch Ihre Regierung ist, hat diesen Erfolg er-zielt.Herr Austermann hat natürlich wieder behauptet: Dierot-grüne Koalition schröpft die Bürger und die Unter-nehmen. Das ist Ihr Standardsatz, seitdem Sie in der Op-position sind. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass diedeutschen Steuerzahler durch die Steuerreform 2000 um62,5 Milliarden DM bis 2005 entlastet werden.
Durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002,Maßnahmen zur Familienförderung und durch die ande-ren Reformmaßnahmen kommen Entlastungen in Höhevon 30 Milliarden DM hinzu. Die Wirtschaft, das Deut-sche Institut für Wirtschaftsforschung und der Sachver-ständigenrat haben das positiv gewürdigt. Viele Arbeit-nehmer sollten sich im Januar ihren Lohnzettel einmalgenau anschauen. Dann werden sie sofort erkennen, dassCDU/CSU und F.D.P. gezielt versuchen, sie hinters Lichtzu führen. Auf Dauer können Sie so keine Politik machen,schon gar keine ehrliche.Im Beratungsverfahren hat die CDU/CSU Anträge ge-stellt, die den Etatansatz um 8,1 Milliarden DM erhöhthätten, und zwar ohne Gegenfinanzierungsvorschläge.Die F.D.P. hat Anträge eingebracht, die eine Erhöhung um4,6 Milliarden DM bedeutet hätten, ebenfalls ohneGegenfinanzierungsvorschläge. Die PDS-Anträge hätteneine Erhöhung um rund 700 Millionen DM bedeutet. Da-mit waren Sie, meine Damen und Herren von der PDS,noch sehr zurückhaltend. Allerdings wollten Sie dieseSumme durch Kürzungen im Verteidigungsetat gegenfi-nanzieren.
– Sie waren zwar die einzigen, die Gegenfinanzierungs-vorschläge gemacht haben – das ist wahr; das gestehe ichIhnen ausdrücklich zu –, aber diese waren vollkommenunrealistisch. Sie wollten den Verteidigungshaushaltschröpfen, um Ihre Vorschläge gegenzufinanzieren. Daskonnten wir nicht mitmachen.Wir haben vernünftige Anträge der Opposition mitge-tragen. Natürlich haben wir den Antrag der F.D.P. mitge-tragen, die politischen Stiftungen, die Aufbauarbeit imOsten und insbesondere auf dem Balkan leisten, zu unter-stützen. Das war ja auch ein vernünftiger Antrag. Deshalbwurde er von der SPD und von den Grünen unterstützt.Wir haben auch den PDS-Antrag, in Not geratene Hand-werker sowie kleinere und mittlere Unternehmen zu un-terstützen, mitgetragen, weil er vernünftig war.
Ich habe mich geärgert – das muss ich ehrlich zugeben –,dass wir selber nicht auf die Idee gekommen sind. Von derCDU/CSU kam kein einziger vernünftiger Antrag. Des-halb konnten wir keinen Ihrer Anträge unterstützen. Dasist Realität.
Ich möchte noch eine Minute bei dem Thema der man-gelnden Zahlungsmoral der öffentlichen Hand und derPrivaten bleiben; denn das ist kein Thema, um das es zwi-schen Koalition und Opposition Auseinandersetzungengibt. Viele Unternehmen
– genau! – leiden unter der mangelnden Zahlungsmoral.Wir haben ein entsprechendes Gesetz auf den Weg ge-bracht. Es greift noch nicht so, wie wir uns das vorgestellthaben. Ich bin jedenfalls mit dem Ergebnis noch nicht zu-frieden. Der Versuch war es jedenfalls wert. Viele Be-triebe, aber auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mer in den Betrieben leben aufgrund der mangelndenZahlungsmoral in ständiger Ungewissheit hinsichtlich ih-rer Zukunft. Herr Kollege Rauen – wir beide kommen so-zusagen aus demselben Gewerbe –, Sie wissen ja: Manmuss die Gewährleistung mit Bankbürgschaften absi-chern. Man muss aufgrund der Vorfinanzierung Ab-schlagszahlungen hinnehmen. Wenn dann die Zahlungenausbleiben oder nur verzögert erfolgen, dann ist der Kon-kurs des Unternehmens vorprogrammiert. So einfach istdas. Deshalb muss man an die öffentliche Hand und an diePrivaten appellieren, damit sie die Finanzierung endlichso vornehmen, dass die Betriebe nicht über die Wuppergehen. Wir sollten das gemeinsam angehen, damit dementgegengesteuert wird.Ich fasse zusammen: Der Haushalt des Jahres 2001 istdie Fortsetzung unseres strikten Konsolidierungsprozes-ses. Der Sparkurs wird uneingeschränkt fortgesetzt. Spä-testens 2006 wollen wir keine Nettokreditaufnahme mehrvornehmen und damit auch keine neuen Schulden ma-chen. Ab 2007 wollen wir, mit dem Abbau des Schulden-berges, den Sie uns hinterlassen haben, beginnen. Dasdauert sehr lange, weil die Schulden sehr hoch sind. Wirsind es unseren Kindern und Enkeln schuldig. Die Koali-tion ist gewillt, diesen Weg gemeinsam zu gehen. Sie wer-den sich wundern, wie die nächsten Haushalte aussehenwerden. Wir werden diesen Kurs weiterführen, denn nurer führt zum Erfolg. Dass Rot-Grün ein Erfolg wird, wer-den Sie sehen, wenn wir vor die Wähler treten und wennabgerechnet wird.Schönen Dank.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Hans Georg Wagner13068
Nun gebe
ich dem Kollegen Dr. Günter Rexrodt für die F.D.P.-Frak-
tion das Wort.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Im Haushalt 2001 fällt zweierlei auf:Der Kurs des Schuldenabbaus stimmt. Die Staatsschuldist zu hoch, die Neuverschuldung muss zurückgeführtwerden und sie muss in absehbarer Zeit auf null gebrachtwerden. Die Bundesrepublik Deutschland befindet sichim Übrigen in Gleichklang mit anderen Industrienationen.
Ich zögere nicht, dies am Anfang als ein positives Ergeb-nis der Haushaltspolitik herauszustellen.
Der Kurs ist gut. Aber er macht aus dem Haushalt 2001beileibe noch kein Highlight. Wenn man genau hinschaut,ist dieser Haushalt eher Magerkost. Der Haushalt profi-tiert auf der Einnahmeseite von sprudelnden Steuern undPrivatisierungserlösen. Das gibt Freiraum für die rot-grüne Koalition. Sie hat diesen Freiraum in einem ent-scheidenden Punkt aber nicht richtig genutzt: Sie hat ihnnicht genutzt, um die wirklichen, die strukturellen Pro-bleme des Haushalts anzugehen. Die liegen auf der Aus-gabeseite. Die Ausgabeseite des Haushaltes ist nicht kon-solidiert.
Da gibt es keine Reserven. Das wird dem Bundesfinanz-minister und der Koalition bei erstbester – oder anders:bei erstschlechter – Gelegenheit zu schaffen machen.Dazu genügen ein ungünstiger Verlauf der Konjunktur – dieKonjunktur, Herr Wagner, ist sehr fragil; das kann bereitsim nächsten Jahr so sein, was ich nicht hoffen will –,weniger Steuereinnahmen oder auch höhere Ausgaben fürEuropa. Dafür sind so lange keine Reserven vorhanden,wie man die Ausgabeseite des Haushaltes nicht richtig an-geht. Dies ist nicht geschehen.Der Kurs des Schuldenabbaus ist ohne Alternative. Ichfüge hinzu: Er ist umso bemerkenswerter, als er durchausnicht in sozialdemokratischer Tradition steht. Ihre Regie-rungen in Bund und Ländern haben sich nicht unbedingtdurch finanzielle Disziplin ausgezeichnet, ganz im Ge-genteil.
– Man lernt dazu. – Auch in der Amtszeit des KollegenEichel in Hessen ist die Verschuldung dieses Bundeslan-des um sage und schreibe 59 Prozent gestiegen.
Sozialdemokratische Oppositionspolitik war nicht immerdurch Ausgabendisziplin gekennzeichnet.
Ich erinnere mich sehr gut daran – es ist gerade zwei Jahreher –, dass Sie Anträge von uns nur deshalb abgelehnt ha-ben, weil Sie der Auffassung waren, dass an der jeweili-gen Stelle von uns nicht genügend Geld in die Handgenommen worden sei. Sie haben immer noch draufge-sattelt. Von Disziplin konnte keine Rede sein.
Das eine Lager der Grünen spielt sich heute als Ober-konsolidierer auf. Gleichzeitig holt das andere Lager je-den vernünftigen Vorschlag, auch den von Ihnen, HerrSchlauch,
dahin zurück, wo die Grünen herkommen, wo sie mitihrem Herzen und auch in der öffentlichen Wahrnehmungeigentlich anzusiedeln sind. Das ist der wesentlichePunkt.Ich höre an dieser Stelle oft Protestgeschrei, zum Bei-spiel von Ihnen, Herr Wagner. Auch der Bundesfinanzmi-nister tut sich hervor. Da wird immer gesagt: Ihr seid dochdiejenigen, die die Bundesschuld auf 1,5 Billionen DMgetrieben haben. – Das ist eine perfide Argumentation, dieganz geschickt angelegt ist. Damit will man die Menschenglauben machen, dass es gewissermaßen zum Wesen deralten Koalition gehört habe, leichtfertig mit dem Geld derSteuerzahler umzugehen, Schulden zu machen und Ge-fälligkeiten zu verteilen. Ich weise das mit Nachdruckzurück.
In dieser perfiden Argumentation lassen Sie ein glück-liches Ereignis, das unsere Entwicklung in den letztenzehn Jahren geprägt hat, immer ganz bewusst und ge-schickt außen vor: die Wiedervereinigung. Sie kostet unsbis zum heutigen Tage viel Geld. Ich sage gern: Wir müs-sen in die Wiedervereinigung noch immer viel Geld inves-tieren, Geld, das sich amortisieren wird. Es ist perfide,diese Entwicklung dazu zu benutzen, uns zu unterstellen,wir seien die Schuldenmacher.
– Wenn Sie dies sagen, dann zeigen Sie, dass Sie keineAhnung haben. Sie wissen genau: Die Menschen nehmenes Ihnen nicht ab.
Der Zuwachs der Bundesschuld entspricht in etwadem, was im gleichen Zeitraum, also in den letzten zehnJahren, in die neuen Länder geflossen ist. Die Zahlensind fast identisch. Das weiß jeder Mann und jede Frau in
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000 13069
diesem Lande. Sie betreiben eine perfide Politik, indemSie dieses Ereignis in Ihrer Argumentation weglassen.
Die günstige Entwicklung der Einnahmeseite hat zweiUrsachen:Als erste nenne ich: die verbesserte konjunkturelle Si-tuation und die geringere Arbeitslosigkeit. Das führt zuMehreinnahmen im Jahr 2001 von 14 Milliarden DM.Zweitens. Man muss die enormen Geldzuflüsse auf-grund der Privatisierungen hinzufügen. Wenn sich dieKonjunktur verbessert, dann rechnen sich die Regierun-gen das immer selbst zu. Das stimmt nur zu einem Teil.Ich zögere aber nicht zu sagen: Auch wir haben das ge-macht. Insoweit sei Ihnen der Bonus der guten Konjunk-tur gegönnt; zumal Sie eine Steuerreform verabschiedethaben, die für den Mittelstand zwar ganz gravierendeNachteile enthält und das Ziel der Steuervereinfachungverfehlt, die aber insgesamt so ist, wie es von der Großin-dustrie gewünscht wurde, und die alles in allem – ich sagedas ausdrücklich: alles in allem – in die richtige Richtunggeht.Der Rückgang der Arbeitslosigkeit – es handelt sichübrigens um einen sehr zögerlichen Rückgang – hat auchetwas mit der Konjunktur zu tun. Vor allem ist er ein Er-gebnis der demographischen Entwicklung.
Es geht um die Tatsache, dass aus dem Erwerbsleben al-tersbedingt mehr Arbeitnehmer ausscheiden als Berufsan-fänger in das Berufsleben eintreten. Der Saldo ist also ne-gativ. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit entlastet denHaushalt 2001.Ich möchte an dieser Stelle auf eine besondere, undzwar hausgemachte, Gefahr hinweisen. Sie liegt in dermangelnden Flexibilität unseres Arbeitsrechts. Man-gelnde Flexibilität besteht im Arbeitszeitrecht, im Kündi-gungsrecht und im Tarifvertragsrecht. Ich erinnere zumBeispiel an die unselige Bestimmung, dass Arbeitgeberund Arbeitnehmer in den Betrieben nicht das individuellregeln dürfen, was regelmäßig Bestandteil von Tarifver-trägen ist. Mit anderen Worten: Was im Tarifvertrag steht,kann individuell nicht mehr anders geregelt werden.Wenn dies in der Bundesrepublik Deutschland so bleibt,sehe ich enorme Gefahren für unsere konjunkturelle Ent-wicklung und auch für unsere Wettbewerbsfähigkeit iminternationalen Vergleich.Nachdem wir mit der Steuerreform einigermaßen rü-bergekommen sind und sich auch bei der Rente etwas ab-zeichnet – beim Thema Gesundheit tun wir uns nach wievor schwer –, ist die Flexibilisierung des Arbeitsrechtesder entscheidende Reformpunkt in der BundesrepublikDeutschland.
Die rot-grüne Koalition wagt sich an diesen Punkt nichtheran. Wenn wir aber an ihn nicht herangehen, wird daszum Nachteil der Arbeitsplätze sein. Das hat man irgend-wie begriffen und deshalb wird nun ein Gesetzentwurfüber Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse ge-macht. Das ist eine Verschlimmbesserung des bestehen-den Rechts. Es kann nicht angehen, dass der Arbeitgeber,das Unternehmen schutzlos gemacht wird, während derArbeitnehmer nahezu um jeden Preis Teilzeitarbeit, diewir ja alle wollen, begehren kann. Das führt zu mangeln-der Flexibilität der Unternehmen; das führt dazu, dass„teilzeitverdächtige“ Personengruppen, vor allem Frauen,überhaupt nicht mehr eingestellt werden. Sie haben einenschlimmen Gesetzentwurf gemacht, der der notwendigenFlexibilisierung entgegenwirkt.
Was Sie sich in Ihrem Haushalt nicht zurechnen lassenkönnen, ist der Milliardensegen aus der Privatisierungund dem Lizenzverkauf. Meine Damen und Herren,diese Erlöse beruhen zum großen Teil auf Reformen, dieSie leidenschaftlich bekämpft und manchmal auch überJahre verzögert haben. Welch ein Geschrei gab es hier imDeutschen Bundestag und bei den Gewerkschaftendraußen, als es um die Privatisierung der „alten Tante“Deutsche Bundespost ging! Was wäre denn, wenn nichtdie Zuflüsse aus dem Börsengang der Telekom oder ausder Versteigerung der UMTS-Lizenzen kämen? HerrEichel, diese Zuflüsse haben Ihnen eine enorme Entlas-tung gebracht; das können Sie nicht in Abrede stellen. Ichsage ja auch gar nicht, dass Sie das Geld falsch verwen-den, indem Sie es in den Schuldenabbau stecken. Aberdiese Entlastung ist aus Reformen gekommen, die wir ge-macht und die Sie leidenschaftlich bekämpft haben.
Das gilt auch für die Zuflüsse, die jetzt aus der gelben Postund vielen anderen Privatisierungsvorhaben kommenwerden.Meine Damen und Herren, dass Sie diese Mittel zumSchuldenabbau verwenden, bringt Zinsersparnisse. Mitdiesen Zinsersparnissen können Sie in den BereichenWissenschaft, Verkehr und Bildung etwas tun. Das istgrundsätzlich okay, auch wenn wir – darüber werden wirnoch am Freitag sprechen – ein paar Akzente anders set-zen wollen. Die richtigen Bereiche sind das jedenfallsschon, gar keine Frage.Nicht zuletzt – das muss ich nun auch ansprechen –profitiert die Einnahmeseite von der unseligen Erhöhungder Mineralölsteuer und der Gassteuer sowie von der Ein-führung der Stromsteuer. Sie fassen diese Steuererhöhun-gen und diese neue Steuer unter dem Begriff Ökosteuerzusammen. Im Jahre 2001 werden Sie nach Realisierungder dritten Stufe Einnahmen in Höhe von 22,3 Milliar-den DM haben. Immer wieder muss gesagt werden – dasgehört in diese Debatte, weil es die Einnahmeseite desHaushalts berührt –, dass diese Steuer nichts mit „Öko“ zutun hat, weil die Hauptverursacher, unter anderem die In-dustrie, von der Steuer ausgenommen worden sind. Dasist zwar mit Blick auf die Arbeitsplätze richtig, mit Blickauf die Begründung dieser Steuer aber lächerlich und ab-surd. Diese unselige Ökosteuer bezeichnet der Finanzmi-nister sehr gern als durchlaufenden Posten, der gewisser-maßen so, wie er hereinkommt, weiter an die Rentenkassengeht. Jedes Kind, jeder Laie weiß, dass eine so gearteteZurechnung von Einnahme- und Ausgabepositionen in
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dr. Günter Rexrodt13070
einem öffentlichen Haushalt gar nicht erfolgen darf. Des-halb bleibe ich dabei: Die Ökosteuer ist schlicht der Ge-genposten dafür, dass Sie, Herr Eichel, auf der Ausgaben-seite nicht zurechtkommen. Für den Verbraucher stellt dasGanze ohnehin nur eine Abzockerei dar.
Sie haben auf der Ausgabeseite Ihre Schularbeitennicht gemacht. Den Leuten werden die paar Mark, die sieim Zuge der ersten Stufe der Steuerreform mehr bekamen,durch die Ökosteuer wieder abgenommen, mehr noch:Selbst diejenigen, die nichts herausbekamen, die Rentner,die Sozialhilfeempfänger, die Arbeitslosen und dieBAföG-Empfänger, werden kräftig zur Kasse gebeten.Eine feine Politik ist das.
Hätten wir das so gemacht, dann hätten Sie auf die Trä-nendrüse gedrückt.
Alle Leute, die im sozialen Bereich arbeiten – das sindviele in Deutschland –, wären auf die Straße gegangenund hätten protestiert, wenn wir eine solch unselige Steuereingeführt hätten.
So richtig durchhalten können Sie Ihre Politik auchnicht. Das merken Sie ja. Die Ölpreise sind gestiegen,diese Erhöhungen gibt der Markt an den Verbraucher wei-ter. Das ist ja eigentlich von Ihnen gewünscht, denn nur solässt sich das Argument von der ökologischen Lenkungs-funktion dieser Steuer begründen. Die Preiserhöhungensind also eigentlich gewollt. Oder wollte man sie dochnicht? Es ist jedenfalls eng für Sie geworden. So gibt esnun für einen Teil der Betroffenen einen Heizkostenzu-schuss und vielleicht wird auch noch eine Entfernungs-pauschale eingeführt.Es ist der Fluch der bösen Tat, dass Böses sie gebärenmuss. – Nun haben wir wütende Verbraucher, ungehalteneLänder und wieder einmal zusätzlichen Aufwand und zu-sätzliche Bürokratie. Wenn die Leute aus den Weih-nachtsferien nach Hause fahren und noch einmal siebenPfennig pro Liter mehr bezahlen müssen, weil die Ideolo-gen das so gewollt haben, werden Ihnen die gar nichtweihnachtlichen Verwünschungen in den Ohren klingen.
Erst recht werden die Leute, wenn sie nach der Heizperi-ode im Mai/Juni ihre Abrechnungen über Heiz- undStromkosten und was sonst noch alles bekommen, diepaar Mark, die sie im Zuge der ersten Stufe der Steuerre-form bekommen haben, längst vergessen haben. Sie wer-den Ärger bekommen. Den haben Sie dann auch verdient.
Nun zur Ausgabeseite des Haushaltes: Dort liegt dieeigentliche Herausforderung – ich habe es schon gesagt.Der Finanzminister sagt, es werde gespart. Das haben imÜbrigen alle Finanzminister gesagt. Bemerkenswert istdoch eines: Während die Ausgaben des Bundes unterTheo Waigel im Zeitraum von 1995 bis 1998 um rund30 Milliarden DM gesenkt werden konnten, bleibt dasAusgabevolumen in den Jahren 2000 und 2001 in etwakonstant, um dann wieder kräftig anzusteigen. Der ei-gentliche Kraftakt, der Einstieg in die Konsolidierung,wurde schon in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre untersehr viel schwierigeren Zeitumständen, weil wir sehr vielnäher am Zeitpunkt der Wiedervereinigung waren, voll-zogen.Nach Ihren Prognosen werden die Ausgaben im Bun-deshaushalt im Jahre 2004 erstmals über einer halben Bil-lion DM liegen. Der Finanzminister bagatellisiert das. Ersagt, der Anstieg bei den Ausgaben bewege sich innerhalbder Inflationsrate und deshalb sei das eigentlich gar keinAnstieg. Ich sage Ihnen, Herr Eichel: Das ist eine falscheBetrachtungsweise.
Ich will nicht Erbsen zählen, aber es kommt darauf an, beider Konsolidierung der Staatsfinanzen nicht einseitig aufdie Einnahmeseite zu setzen. Es muss auch die Ausgabe-seite angegangen werden. Das haben Sie nicht getan.Darin liegt das Manko dieses Haushalts.
Ein anderer Strukturfehler ist das verheerende Miss-verhältnis zwischen investiven und konsumtiven Aus-gaben. Die konsumtiven Ausgaben wachsen ständigweiter, eine Trendwende ist nicht in Sicht. Die Investiti-onsquote wird 2004 auf das historische Tief von 10,4 Pro-zent gesunken sein. Herr Kollege Wagner, ich weiß sehrwohl, dass die Unterscheidung von investiven und kon-sumtiven Ausgaben schwierig ist. Darüber können wirdiskutieren. Aber auch wir sind auf der Basis der Abgren-zung und Zurechnung gemessen worden, wie sie im Mo-ment vorgenommen wird, mit all den damit verbundenentechnischen oder administrativen Schwierigkeiten.Die Leistungen des Bundes an die Rentenversiche-rung steigen überproportional. Im Jahre 2001 wird es eineSteigerung von 127 Milliarden auf 137 Milliarden DMgeben. Eine Rentenreform ist längst überfällig. Ich musszugeben: Herr Riester hat in den letzten Monaten einigesgelernt.
Es wäre uns allen aber viel Ärger erspart geblieben, wenndie demographische Komponente, die wir eingeführt ha-ben, nicht abgeschafft worden wäre, um sie jetzt wiedereinzuführen. Sie hätten auch gut daran getan, die Vorstel-lungen gerade meiner Partei zur Förderung der privatenVorsorge sehr viel früher zu übernehmen. Der Lernpro-zess hat uns allen viel Ärger und Ihnen – das ist auch be-rechtigt – sehr viel Verdruss eingebracht.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dr. Günter Rexrodt13071
Ein Hauptübel der Sozialausgaben liegt darin, dass dieBundesanstalt für Arbeit als Verschiebebahnhof für fi-nanzpolitische Manöver genutzt wird. Riesige Ausgabe-volumina, zum Beispiel für das Programm zum Abbau derJugendarbeitslosigkeit und für Strukturanpassungsmaß-nahmen, werden jetzt aus dem Haushalt der Bundesanstaltund nicht mehr aus dem Haushalt des Arbeitsministeri-ums bezahlt. Das hat tief greifende Konsequenzen. DieRegierung begibt sich der Möglichkeit, die Beiträge zurArbeitslosenversicherung angesichts geringerer Arbeits-losigkeit zu senken. Im Koalitionsvertrag noch konnteman lesen: Senkung der Quote der Sozialbeiträge auf un-ter 40 Prozent. Eine Politik, die falsche Maßnahmen wei-ter finanziert und Ausgaben nur verschiebt, bringt unserLand um die Möglichkeit, einen für die Wettbewerbs-fähigkeit der gesamten Wirtschaft wichtigen Reform-schritt einzuleiten, nämlich der Senkung der Beiträge derArbeitslosenversicherung. Da gehen Sie nicht heran.
Mit Blick auf meine verbliebene Redezeit will ich dasThema Verkehrspolitik nicht allgemein anschneiden. Indiesem Bereich ist eine Menge gemacht und auch finan-ziell zugelegt worden. Ich möchte aber zu dem ThemaBahn, das mich umtreibt und zu dem das letzte Wort nochnicht gesprochen ist, eine Bemerkung machen.Ich sage Ihnen und dem ganzen Hause – auch wir wa-ren in diesem Punkt nicht konsequent genug; das muss ichmeinen Freunden sagen –:
Ohne Trennung von Netz und Betrieb ist die Bahn einFass ohne Boden.
Sie werden die Probleme nicht lösen, wenn Netz und Be-trieb nicht getrennt werden. Es muss Geld ins Netz ge-steckt werden – auch vom Bund. Aber diese finanzielleUnterstützung muss berechenbar und überschaubar sein.Wenn Sie Netz und Betrieb zusammenlassen, ist es einFass ohne Boden. Die Bahn würde auf diese Weise niewettbewerbsfähig werden und die Menschen würden sichweiterhin ärgern.Es mag zwar nicht Ihren ethischen Grundvorstellungenentsprechen, aber die Erfahrungen insbesondere des letz-ten Jahrzehnts haben uns gelehrt: Es geht nur mit Wettbe-werb. Er muss endlich auch im Bereich der Schiene – wieschon im Bereich der Telekommunikation – eingeführtwerden. Nur so bekommen wir die Probleme der Bahn inden Griff. Diese große Reform steht in der Bundesrepu-blik Deutschland noch aus. Keiner von Ihnen spricht die-sen Reformbedarf an, nur wir, die F.D.P, tun dies.
Wenn Sie am Ende diese Reform doch machen, dann sa-gen Sie aber nicht, Sie seien die großen Reformer gewe-sen. Wir waren es, die Sie in diese Richtung getrieben ha-ben, zu der es keine Alternative gibt.Der Präsident mahnt mich zu Recht, meine Rede zu be-enden. Ich will Ihnen zum Schluss sagen, Herr Eichel: DerAbbau der Schulden und damit die Konsolidierung sind inOrdnung. Sie haben das Glück, dass die Konjunktur läuftund dass es Privatisierungserlöse gibt. Aber die eigentli-che, die schwierige Aufgabe eines Finanzministers, an dieStruktur der Ausgabenpolitik zu gehen, um Vorsorge füreine Zeit zu treffen, in der die Einnahmen nicht mehr soergiebig sind, haben Sie nicht erfüllt. Wir werden Sie unddie rot-grüne Koalition daran messen, ob Sie dies schaf-fen.Danke.
Für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun der Kollege
Oswald Metzger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchtemeine Rede folgendermaßen durchkomponieren:
Im ersten Teil beschäftige ich mich mit dem, was die Kol-legen Rexrodt und Austermann aufgeworfen haben. Imzweiten Teil werde ich die globale finanzpolitische Kon-zeption dieser Regierung im Kontext vortragen. Damitman sich nicht im Detail verliert, sondern sieht, in welcheRichtung die Finanzpolitik dieser Republik steuert, legeich im dritten Teil die Schwerpunkte dar, die wir Sozial-demokraten und Grüne in diesem Haushalt gesetzt haben.Kollege Rexrodt und Kollege Austermann, wenn Sieimmer wieder, bereits im September bei der ersten Le-sung, sagen, Sie hätten zwischen 1995 und 1998 die Aus-gaben reduziert, und das dem gegenüberstellen, was wirvon 1998 bis 2002 machen, dann wollen Sie wohl diesesParlament und die interessierte Öffentlichkeit für dummverkaufen. Denn am 1. Januar 1996 wurde die Finanzie-rung des Kindergeldes umgestellt. Im Bundeshaushalt1995 betrug das Ist-Ergebnis der Ausgaben für das Kin-dergeld 21,3 Milliarden DM. 1996 wurde diese Ausgabedurch den Abzug bei der Lohnsteuer über die Arbeitgeberin eine Einnahmeverkürzung umgewandelt. Allein durchdiese Bilanzkürzung ist Ihre rückläufige Ausgabepositionzustande gekommen, aber nicht durch konkretes politi-sches Handeln. Sie machen dadurch den Menschen ein Xfür ein U vor.
Außerdem, Kollege Roth und Kollege Austermann,nenne ich als Beispiel die Postunterstützungskasse, diefrüher, unter Waigel, im Bundeshaushalt etatisiert war.Unter Ihrem Finanzminister waren die strukturellen Defi-zite so groß, dass Sie mit der Investitionsquote kaum dieVorschriften des Art. 115 des Grundgesetzes erfüllen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dr. Günter Rexrodt13072
konnten und in einem Jahr sogar einen verfassungswidri-gen Haushalt im Vollzug hatten. Da würde ich mich alsHaushaltssprecher der Opposition schämen, hier so dieBacken aufzublasen. Das ist absolut unredlich.
Da könnte ich den heiligen Zorn bekommen als jemand,der sich bemüht, die Fakten für sich sprechen zu lassen.
Außerdem, Kollege Rexrodt, waren doch gerade dieLiberalen –
bis 1998 30 Jahre Regierungspartei, immer der kleineMotor, der die großen Volksparteien angeschoben hat –diejenigen, die, was alle Ökonomen in dieser Republikwissen, in den 70er-Jahren, in denen es keine Wiederver-einigung gab, in Relation zur volkswirtschaftlichen Leis-tung mit ihrem damaligen Partner die größte Neuver-schuldung generiert haben. Wieso stellen Sie sich dannjetzt hin und sagen: Nach der Wiedervereinigung hattenwir diesen Sondereffekt und mussten deshalb in die Ver-schuldung gehen?
– Wissen Sie, Kollege Rexrodt, mich ärgert, dass Sie jetztauf Parteitagen Programme gegen Verschuldung und füreine Senkung der Lohnnebenkosten verabschieden, nach-dem Sie als einzige von allen politischen Parteien in die-ser Republik 30 Jahre lang das genaue Gegenteil gemachthaben.
Allein zwischen 1990 und 1998 stiegen die Lohn-nebenkosten um 6,5 Prozent. Das war eine Finanzie-rungslast der deutschen Einheit. Das Geld ging natürlichauch in die Transfers in den Osten. Aber was, um Gotteswillen, hat das denn bewirkt? Schauen Sie sich doch denökonomischen Zusammenhang an: Arbeitsplätze wurdenvernichtet, in den 90er-Jahren gab es Reallohnverluste,weil der Verteilungsspielraum bei den Lohnverhandlun-gen gegen null tendierte.
– Wenn man, Kollege Rexrodt, den Solidaritätszuschlagbereits 1990 in der Wiedervereinigungseuphorie einge-führt hätte – und nicht, wie Sie erst später –, hätten dieLeute gespannt, dass ein solcher Kraftakt nur in einer so-lidarischen Kraftanstrengung der Gesellschaft zu leistenist.
Wenn Sie in Ihrer Rede so argumentieren, wie Sie esgetan haben, dann müssen Sie jetzt in Kauf nehmen, dassich etwas härter zurückschlage.
Mir geht es nämlich auf den Geist, dass Sie sich hier stän-dig hinstellen und sich auf die Schulter klopfen, obwohlSie eine absolut desaströse finanzpolitische Situation hin-terlassen haben. Ich könnte den Sachverständigenrat derJahre 1996, 1997 und 1998 zitieren, der Ihnen vorgehal-ten hat, dass Sie zwar ständig von Konsolidierung reden,sie aber faktisch nicht vorangebracht haben.Wir haben als Koalition jetzt einen mühsamen Wegbeschritten. Ich erinnere daran, dass, als Hans Eichel vor13, 14 Monaten das Zukunftsprogramm 2000 vorgelegthat, viele Leute – auch ich selber – skeptisch waren, dasser dieses tatsächlich realisieren kann, ein 30-Milliar-den-DM-Kürzungsprogramm, über Jahre angelegt, dasauch die mittelfristige Finanzplanung tangiert. Aber wirstanden zur Konsolidierung, sowohl die Sozialdemokra-ten – mein Respekt für eine große Volkspartei; ange-sichts von fünf Landtagswahlen standet ihr im letztenJahr dazu, obwohl ihr euch viel Kritik habt anhören müs-sen – als auch meine Partei.
Und wissen Sie was? Wir haben die fünf Wahlen verloren,aber wir haben den Turnaround in der Finanzpolitik die-ser Regierung eingeleitet und mit der Steuerreform, die imnächsten Jahr greift, den Baustein für eine vernünftige Fi-nanzpolitik gelegt, ohne dass wir wieder zum Verschul-dungsstaat werden oder den Leuten Steuersenkungendurch riesige Privatisierungen versprechen. Dass dasGanze positiv kommuniziert wird, stellen Sie fest, wennSie sich einmal die Reaktionen der breiteren Öffentlich-keit anschauen.
In einer Pressemitteilung des Deutschen Industrie- undHandelstages vom 28. November 2000, die heute, zu Be-ginn der Haushaltsberatungen, veröffentlicht worden ist,heißt es schlicht und einfach: „Respekt für den Konso-lidierungskurs dieser Regierung“. Die Rückführung derNettoneuverschuldung nach Plan gehe in Ordnung. Be-sonders beachtlich sei die Rückführung deshalb, weil inden nächsten Jahren mit der Steuerreform eine gewaltigeEinnahmenverschlechterung für die öffentlichen Haus-halte einhergehe. Was der DIHT nur beklagt, ist die Til-gungsstreckung, die von den Ländern verlangt worden ist.Das ist praktisch das einzige Haar in der Suppe, das derDeutsche Industrie- und Handelstag laut der Pressemittei-lung von heute zu dem im Haushaltsausschuss des Deut-schen Bundestages beschlossenen Haushalt gefunden hat.Ich finde, das ist ein Kompliment,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Oswald Metzger13073
das zwar nicht von der falschen Seite kommt, aber im-merhin aus einer Richtung, die Ihnen von der Oppositionnormalerweise näher steht. Deshalb sollten Sie ein biss-chen aufpassen, wenn Sie hier mit solchem Eifer aufmeine Darstellung Ihrer in der Vergangenheit gemachtenVersäumnisse reagieren.Die globale Strategie unserer Koalition lautet – diessage ich mit den Worten meiner Fraktion –: Wir sind füreine nachhaltige Finanzpolitik, eine Rückführung derStaatsverschuldung und ausgeglichene Budgets, damitdie Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft nichtständig immer mehr Steuern allein für Zinsen auf alteSchulden zahlen müssen.Liebe Leute, wir hatten im ursprünglichen Haushalts-entwurf der Regierung für das nächste Jahr Zinsausgabenin Höhe von fast 82 Milliarden DM etatisiert. Das sind17 Prozent aller Ausgaben des Bundes. Fast jede vierteMark aus den Steuereinnahmen hätte für Zinszahlungenverwendet werden müssen. Wenn wir von dieser Last he-runterkommen wollen, müssen wir langsam und stetigdazu übergehen, dass mit den laufenden Einnahmen dieAusgaben des Staates finanziert werden können. Auf die-sem Weg sind wir.Wir haben jetzt – auch das gehört zur Haushaltswahr-heit – aus diesen von mir genannten 82 Milliarden DMetwa 77 Milliarden DM gemacht,
die Zinsausgaben also um rund 5 Milliarden DM senkenkönnen. Dies wurde natürlich durch die UMTS-Verstei-gerungserlöse ermöglicht. Herr Kollege Adolf Roth, alsVorsitzender des Haushaltsausschusses und Obmannwährend der CDU/CSU-Regierungszeit wissen Sie mehrals andere hier im Bundestag, wie groß die Begehrlich-keiten innerhalb des Parlaments sind, wenn man sagt:Diese unverhofften Einnahmen kann man auch in ein In-vestitionsprogramm stecken.
Auch von euch kamen Vorschläge, die Investitionen zu er-höhen. Ihr hättet die Erlöse aus der Versteigerung derUMTS-Lizenzen doch gern dafür verwandt.Nein, wir – dies gilt auch für den Haushaltsausschussdes Deutschen Bundestages – blieben konsequent, habendem Finanzminister den Rücken gestärkt und haben damitfolgende seriöse Position durchsetzen können: Un-verhoffte einmalige Privatisierungserlöse müssen für dieTilgung genutzt werden, damit sich die Zinsausgaben-struktur des Bundes langfristig bessert, und zwar in demSinne: Wir geben künftig weniger für Zinsen aus; das da-durch freiwerdende Geld wollen wir – das haben beideRegierungsfraktionen beschlossen – für Investitionen inZukunft, für Forschung, Bildung und Verkehrsinfra-struktur einsetzen, um damit die von Ihnen im Septemberzu Recht beklagte rückläufige Investitionsquote aufzu-stocken.Herr Kollege Austermann, mir klingt es noch in denOhren, wie Sie hier im September dieses Jahres anlässlichder ersten Lesung gesagt haben:
Im letzten Jahr habt ihr von Rot-Grün im Haushaltsaus-schuss nur abgenickt, was von Eichel, von der Regierung,kam. – Unter den besonderen Umständen des damaligenKonsolidierungspaketes war das vertretbar. Denn wirwollten an keiner Stellschraube den Sack öffnen, um nichtvon den Änderungswünschen aus den Koalitionsfraktio-nen insgesamt überfahren zu werden.Dieses Jahr haben wir während des Haushaltsverfah-rens den Haushaltsentwurf der Regierung massiv, dasheißt in ganz maßgeblichen Größenordnungen, geändertund trotzdem die Eckpunkte der Regierungsvorlage ein-gehalten, ja sogar getoppt. Wir haben das Volumen derAusgaben auf 477 Milliarden DM reduziert. Es kommtalso zu einem leichten Minus der im nächsten Jahr ge-planten Ausgaben im Vergleich zu den in diesem Jahr ge-tätigten Ausgaben. Das nenne ich Sparen. Wir habenferner die Nettokreditaufnahme von 46,1 Milliarden DMauf 43,7 Milliarden DM reduziert und wir haben die In-vestitionsquote von 11,4 auf 12,2 Prozent erhöht. Einensolchen Dreiklang von Positivbotschaften nach einer Aus-schussberatung von zweieinhalb Monaten präsentieren zukönnen halte ich für eine grandiose Leistung der jetzigenKoalition.
Wir versuchen, den Weg der Verstetigung für die Zu-kunft weiterzuentwickeln. Ich erinnere an folgende Tatsa-che – dies habe ich schon in meiner Eingangsreplik aufSie, Herr Rexrodt, angesprochen –: Die jetzige Koalitionkonnte gleichzeitig sogar der von den Ländern ge-wünschten Tilgungsstreckung – unionsgeführte Länderhaben im Bundesrat die Mehrheit – für den Fonds „Deut-sche Einheit“ nachkommen, die ja nichts anderes bedeu-tet, als dass ich – die Häuslebauer wissen das genau – län-ger Schulden abzahle und es unterm Strich teurer wird. –Aber ihr wollt das.
– Das nennt man nicht sparen. Ihr habt die Mehrheit imBundesrat, Kollege Austermann. Von euch kommt das,auch deshalb, weil eure Finanzminister in den LändernProbleme haben, ihre Haushalte auszugleichen, weil siedie Schizophrenie besessen haben, das von Hans Eichelim letzten Jahr vorgelegte Konsolidierungsprogramm inBezug auf die Beamtenbesoldung im Bundesrat abzuleh-nen, obwohl gerade die Länder mit ihren hohen Perso-nalausgaben am meisten davon profitiert hätten, bei derBeamtenbesoldung und -versorgung nur den Inflations-ausgleich zu gewähren. Das finde ich besonders bemer-kenswert.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Oswald Metzger13074
Herr Kol-
lege Metzger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Koppelin?
Aber bitte, gerne.
Lieber Oswald Metzger,
weil du so schnell sprichst, bist du natürlich schon von
dem Punkt weg, wo ich einhaken wollte, nämlich bei der
„soliden Haushaltspolitik“ der Koalition. Ich versuche es
trotzdem: Lieber Kollege Metzger, können Sie mir sagen,
ob es solide ist, wenn eine Vorlage der Koalition, in der es
um 8 Milliarden DM für ein Lufttransportflugzeug geht,
zunächst einkassiert wird und daraus dann mithilfe von
Rot-Grün – die Grünen haben ja auch zugestimmt – in-
nerhalb einer Stunde plötzlich 10Milliarden DM werden?
Ist das solide Finanzpolitik?
Mit Solidität und Geschwindigkeit im parlamentarischenVerfahren haben wir alle Erfahrungen, das wissen Sie. Ichhabe es zwar nicht persönlich erlebt, aber ich weiß, dassals Sie 1993 einmal in einer Nachtaktion, kurz vor Ab-schluss der Haushaltsberatungen – Kollege Koppelin, Siewaren meines Wissens damals schon im Haushaltsaus-schuss – , eine globale Minderausgabe in Höhe von 5Mil-liarden DM beschlossen hatten, von der die damalige Op-position von einer Minute auf die andere überraschtwurde. Sie waren, was das betrifft, sogar noch einen Takt-schlag schneller.Entscheidend ist bei der Geschichte, die Sie anspre-chen: Es geht um eine Verpflichtungsermächtigung für dieBeschaffung eines Transportflugzeuges für die Bundes-wehr als Ersatz für die Transall. Die Verträge sollen imersten Quartal nächsten Jahres abgeschlossen werden.Ohne Verpflichtungsermächtigung im Haushalt wären dieVerträge nicht möglich, dann bräuchten wir einen Nach-tragshaushalt. Wir haben die formalrechtlichen Voraus-setzungen geschaffen und werden, wenn der Verteidi-gungsminister eine Beschaffungsvorlage macht, in denKoalitionsfraktionen darüber reden, wie wir dieses Flug-zeug finanzieren und wie viel Stück wir beschaffen.Das ist die Faktenlage. Ich finde, wir haben in der Ko-alition ordnungsgemäß gearbeitet, auch wenn wir, was dieHöhe der Etatisierung anbetrifft, durchaus unterschiedli-cher Meinung waren. Wir haben uns aber, wie es in einerKoalition guter Brauch ist, zusammengerauft und einenentsprechenden Beschluss gefasst, den auch wir als Grünevertreten.Ich war bei der globalen Botschaft zum Thema, was esheißt, eine nachhaltige Finanzpolitik zu betreiben – Kon-solidierung, Rückführung der Staatsverschuldung, Spiel-räume schaffen –, damit den Bürgerinnen und Bürgernmehr Geld in der Tasche bleibt. Sie alle, Kolleginnen undKollegen von der Union, instrumentalisieren mit Ihrer Er-wartungshaltung natürlich ein Stück weit die Konjunktur.Im September, als die Konjunkturerwartungen in dergesamten Bandbreite der Auguren überaus positiv waren,hatten Sie den Eindruck vermittelt: Die Konjunktur läuftgut, trotz der Koalition. Jetzt, wo eine leichte Seitwärts-bewegung zu merken ist, sagen Sie: Die Konjunktur kannja nicht gut laufen, weil ihr so eine unmögliche Politikmacht. – Da merkt man schon, wie beliebig Ihre Argu-mentation ist.
Richtig ist auf jeden Fall, dass sowohl das Ifo-Institutals auch das DIW – wie alle Wirtschaftsauguren – sagen,die Behauptung, die Energiepreissituation schlage massivauf die Weltkonjunktur durch, sei so nicht mehr haltbar.Der IWF hat erst vor vier oder sechs Wochen in seinemOutlook angesichts der Energiepreise im September dar-gestellt, dass für Europa die Wachstumsbremse durch diehohen Energiepreise lediglich etwa 0,1 Prozent ausmacheund die Inflationsrate durch die hohen Energiepreise inEuropa im nächsten Jahr um nur etwa 0,2 Prozent steigenwerde.Die Politik der Steuersenkungen im nächsten Jahr wirdim Januar sehr wohl bei den Bürgerinnen und Bürgern imPortemonnaie spürbar sein. Sie wird übrigens, Herr Kol-lege Rexrodt, auch beim Mittelstand spürbar sein. Ab Ja-nuar bezahlen die mittelständischen Unternehmer inDeutschland faktisch keine Gewerbeertragsteuermehr,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000 13075
Ordnungspolitisch ist klar: Die Gesamtkonzeptionheißt nichts anderes, als mit solider Finanzpolitik, mit derAbkehr vom Verschuldungsstaat Spielräume für mehr In-vestitionen und für mehr Geld im Portemonnaie derBürgerinnen und Bürger und der Wirtschaft durch die Ab-senkung der Steuertarife und der Lohnnebenkosten zuschaffen. In dieser politischen Konzeption liegen ver-nünftige Gestaltungsspielräume auch für die zukünftigenGenerationen.Es geht hier nicht um eine Angelegenheit eines Jahresoder einer halben Legislaturperiode, sondern das ist eineDauerveranstaltung. Eine solche Finanzpolitik ist, wie esder Finanzminister in seiner Rede in der Humboldt-Uni-versität aus meiner Sicht zutreffend gesagt hat, Gesell-schaftspolitik. Das müssen auch Sozialpolitikerinnen undSozialpolitiker begreifen. Wir müssen diesen soliden undlangfristigen Weg in den Parlamenten des Bundes und derLänder und in den Köpfen unserer Bevölkerung veran-kern. Wir müssen klarmachen, dass nur eine Politik, diedarauf abzielt, mit den vorhandenen Ressourcen auszu-kommen, Spielräume eröffnet, um zukünftig den Sozial-staat finanzierbar zu halten.Löst man diesen Zusammenhang auf, wird der Sozial-staat langfristig nicht mehr bezahlbar; denn die Arbeitwürde immer teurer und durch Rationalisierung entstündeimmer mehr Beschäftigungslosigkeit – in jeder konjunk-turellen Krise auf immer höherem Niveau –, folglich wäredie Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme, wennSteuereinnahmen wegbrächen und die ohnehin hohen Be-lastungen durch die zunehmende Arbeitslosigkeit in Kri-sensituationen zunähmen, nicht mehr ohne massivste Ein-griffe in soziale Leistungen zu meistern. Insofern ist dieseKonzeption eine vernünftige Gesellschafts- und Sozial-politik, weil mit ihr der Vorsorgegedanke aufgegriffenwird und man sich davon verabschiedet, ständig nur alsReparateur durch die politische Arena zu laufen.Im letzten Abschnitt möchte ich jenseits der globalenStrategie auf die Schwerpunkte zu sprechen kommen, diewir unter dem Motto „Sparen“ setzen. Denn wir wollennicht nur sparen, sondern auch gestalten, und zwar schonjetzt, da wir uns durch eine solide Politik bestimmte Ge-staltungsspielräume eröffnen.Ich nenne den Bereich Verkehrsinfrastruktur. Sie ha-ben natürlich Recht, Kolleginnen und Kollegen von derOpposition: Die geltenden Bundesverkehrswegeplänesind unterfinanziert. Ist das aber unsere Schuld? Der Fünf-jahreshorizont für den Verkehrswegeplan wurde in IhrerRegierungszeit beschlossen. Wenn man eine solche Ge-schichte wie ein Märchenbuch ausgestaltet und nicht fürdie Finanzierung sorgt und dann, wenn eine neue Regie-rung kommt, sagt, ihr habt es verbockt, dass nicht genü-gend Mittel für die Schiene, für Ortsumfahrungen bereit-gestellt werden können, ist das ziemlich verlogen.
Wir dagegen sagen: Dadurch, dass sich durch dieUMTS-Erlöse Spielräume bei den Zinsausgaben eröffnen– ansonsten werden die Mittel zur Tilgung verwandt; dasist eine solide Position –, kann die Bahn ab nächstem Jahrund in den folgenden drei Jahren jeweils 2 Milliarden DMfür Investitionen in die Schienenwege erhalten und kön-nen 900 Millionen DM für den Straßenbau bereitgestelltwerden, schwerpunktmäßig für das Ortsumfahrungspro-gramm. Das ist ein Wort und das führt immerhin dazu,dass wir in den nächsten drei Jahren bei den Investitionenin die Verkehrswege auf einem Niveau sind, wie Sie es inIhrer letzten Legislaturperiode nicht mehr erreicht haben.Wir sind also deutlich besser geworden und haben das so-lide finanziert.Wir können nur hoffen, dass sowohl die Bahn AG alsauch die Träger der Straßenbaulast die entsprechenden In-vestitionsmittel tatsächlich verbauen und die Investitio-nen nicht nur im Bundeshaushalt stehen, sondern wirklichdraußen in der Fläche ankommen. Aber ich finde, das isteine Schwerpunktsetzung, die diese Koalition gegenüberder breiten Öffentlichkeit jederzeit positiv kommunizie-ren kann. Da brauchen wir uns weiß Gott nicht zu ver-stecken.
Wir haben einen zweiten Schwerpunkt, Bildung undForschung. Ich muss noch einmal auf die Ausführungendes Herrn Kollegen Austermann, die er ganz am Anfangder Debatte gemacht hat, zurückkommen.
Wenn er sich hier hinstellt und sagt, für das BAföG seipraktisch weniger etatisiert als 1998 – er als haushaltspo-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Oswald Metzger13076
litischer Sprecher seiner Fraktion übersieht dabei, dasswir noch einmal die gleiche Summe über die StaatsbankKfW finanzieren und damit tatsächlich bei den Studentin-nen und Studenten so viel wie seit vielen Jahren nichtmehr ankommt –,
dann ignoriert er damit einfach eine Leistung dieser Ko-alition, die auch durch die Aufstockung der Ausgaben fürBildung und Forschung durch die UMTS-Milliarden zu-stande kommt.Auch wenn wir als ökologische Partei zum Thema Kli-maschutz natürlich weiter gehende Wünsche angemeldethaben, ist es durchaus eine Leistung – da gucke ich auchdie Sozialdemokraten an; es ist ein gemeinsames Projektdieser Koalition –, dass wir in den nächsten fünf Jahrenpro Jahr zwischen 180 000 und 190 000 Wohnungen desAltbaubestandes in Deutschland – schlecht isoliert, mitschlechten Heizungsanlagen – wärmedämmen könnenund es dafür zinsverbilligte Darlehen vom Staat gibt. Wirhaben für dieses Programm – das erste Mal im nächstenJahr – 400 Millionen DM aus diesen UMTS-Zinsmilliar-den eingestellt, und das wird bis zum Jahr 2005 durchge-zogen, sodass wirklich ein absolut großes Klimaschutz-programm und Altbausanierungsprogramm bei derBevölkerung ankommt.
Das ist eine Leistung, auf die wir als Koalition stolz seinkönnen.
Weiter müssen Sie sehen: Wir setzen auch in Poli-tikfeldern, die gesellschaftspolitisch diskutiert werden,wie zum Beispiel beim Rechtsextremismus, Akzente, hal-ten nicht nur Sonntagsreden, sondern legen auch in die-sem Bereich Programme auf: für Opferschutz, für mobileBeratungsstellen für Opfer rechtsradikaler Gewalt,
für Aufklärungsarbeit in der Bundeszentrale für politischeBildung. Hier geht es zwar nicht um die extrem großenSummen, häufig geht es nicht nur um Geld, sondern vorallem um entsprechende Aufklärung und um eine gesell-schaftspolitische Grundorientierung, um den „Aufstandder Anständigen“ in dieser Gesellschaft, aber auch so wer-den von uns gesellschaftspolitische Weichen gestellt. Wirtreten nicht nur bei Demonstrationen auf und brandmar-ken diesen rechten Terror, sondern wir sagen tatsächlich:Dort, wo es konkret wird, in der Prophylaxe wollen wirals Koalition auch etwas tun. Das haben wir gemacht, unddarauf, dass diese Bemühungen in den Haushaltsberatun-gen ihren Niederschlag gefunden haben, können wir auchein Stück weit stolz sein.
Jetzt komme ich zum Ausblick, weil ich natürlich alshaushaltspolitischer Sprecher unserer Fraktion jetzt schonden übernächsten Haushalt in der Pipeline habe.
So ist das nun einmal, auch wenn man gerade erst den ei-nen abgeschlossen hat.
Waigel baute in Sachen Haushalt auf das Prinzip Hoff-nung und wurde dann durch die Konjunkturentwicklungmeistens bestraft.Für das Jahr 2002 kann man Folgendes konstatieren:Unsere Koalition wird die zweite Stufe des Familienleis-tungsausgleichs auf den Weg bringen. Dabei geht es umKindergeld und Kinderbetreuungsfreibeträge. Sie wissenganz genau – ich werde keine Zahlen nennen –, dass wirin diesem Bereich die Leistungen verbessern. Je nach-dem, wie hoch das Kindergeld sein wird, was dieRegierungsfraktionen dazu beschließen und in Absprachemit dem Finanzministerium, das die globale Situationdes Haushalts berücksichtigt, werden wir allein für dieVerbesserung des Familienleistungsausgleichs im Bun-deshaushalt rund 5 Milliarden DM reservieren müssen.Dies ist eine Summe, die in der Finanzplanung noch nichtberücksichtigt ist.Wenn wir an den übernächsten Haushalt denken undauf dem Pfad der Tugend bei der Rückführung derStaatsverschuldung bleiben wollen, wenn wir das ehr-geizige Ziel – der Kollege Wagner und ich haben es in derPräsentation nach Abschluss der Haushaltswoche vor-letzte Woche öffentlich erklärt –, im Wahljahr 2002 zueiner Nettoneuverschuldung von unter 40 Milliarden DMzu kommen, erreichen wollen, dann müssen wir uns alsRegierungsfraktion an die Brust klopfen, damit wir nichtin vielen Politikfeldern – es ist schließlich ein Wahljahr –neue Ausgaben tätigen.Dieses Wasser will ich in den Wein der Regie-rungskoalition gießen; denn Sparen ist nicht eine Ange-legenheit, die nur ein oder zwei Jahre dauert. Vielmehr istes ein Prozess, von dem die Bürgerinnen und Bürgerprofitieren. Ich glaube, Kollege Poß, dass das die Finanz-politiker in beiden Koalitionsfraktionen wissen. Überzeu-gungsarbeit – steter Tropfen höhlt den Stein – ist wichtig.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Oswald Metzger13077
Wir müssen es schaffen, im Gespräch mit den Menschengenau diese Solidität unserer Finanzpolitik und ihre posi-tiven langfristigen Auswirkungen zu kommunizieren.Dann wählen die Leute nämlich Politiker, die eine solideFinanzpolitik machen, und nicht nur diejenigen, die dieSpendierhosen anziehen.Mit diesem Appell an die Selbstdisziplin der Koalitionmöchte ich schließen.Vielen Dank.
Nun gebe
ich für die PDS der Kollegin Dr. Christa Luft das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kol-leginnen und Kollegen! Am Anfang ein Wort zum Kolle-gen Austermann sozusagen von Opposition zu Opposi-tion. Es ist als Opposition in einer parlamentarischenDemokratie natürlich unsere Aufgabe, die Regierung zukritisieren und sie auch scharf anzugreifen. Aber ichfinde, jede einseitige Übertreibung wirkt schnell unglaub-würdig.Ich meine, wir sollten als Opposition keine Skrupel ha-ben zuzugeben: Es gibt in diesem Haushalt 2001 einigeDinge, von denen jedenfalls ich sagen würde, dass siesträfliche Vernachlässigungen der CDU-geführten Regie-rung der vergangenen Jahre korrigieren. Ich nenne hiernur die verbesserten Leistungen für Familien, die Er-höhung des Wohngeldes und des BAföG. Wir hätten nochandere finanzielle Vorstellungen gehabt. Aber es sind injedem Fall Tendenzen erkennbar, von denen wir sagenkönnen, dass sie in die richtige Richtung gehen.
Ihnen, Kollege Wagner – er ist im Moment nichthier –, und Ihnen, Kollege Metzger, muss ich sagen: Ver-gleichen Sie doch Ihre Finanz- und Haushaltspolitik nichtso häufig mit jener der Vorgängerregierung; denn diese istgerade wegen ihrer Fehlleistungen abgewählt worden.
Sie müssten das, was Sie tun, an Ihren Wahlversprechenund an Ihrer Koalitionsvereinbarung messen; denn dies istimmerhin der Haushalt zum Einstieg in die zweite Hälfteder Legislaturperiode. Zu diesem Zeitpunkt wird eineAbrechnung immer wichtiger.Im Zentrum Ihrer Ankündigungen stand 1998, dass Sienachhaltige Impulse für mehr existenzsichernde Arbeits-plätze setzen wollen. Sie wollten bis zum Jahr 2002 dieZahl der Arbeitslosen um eine Million reduzieren. DieLage aber ist uns bekannt. Es nützt nichts, Herr KollegeWagner, die Lage zu beschönigen.
Allein die Einbeziehung der 630-DM-Jobs hat – das ha-ben Ihnen auch die Sachverständigen neulich ins Stamm-buch geschrieben – das Ergebnis der Statistik über-zeichnet.
Es werden mehr Beschäftigungsverhältnisse neu ausge-wiesen, als die Arbeitslosenzahlen abnehmen. Sie dürfenauch nicht übersehen, wie viele Entlassungen es in großenUnternehmen in den nächsten Monaten noch geben wird.Ich nenne nur die Deutsche Bahn AG. Es ist schlimm, wasden Beschäftigten dort bevorsteht.Auch im Handwerk ist die Lage nicht so rosig, wie sieKollege Wagner hier beschrieben hat. Daher lautet unserPlädoyer nach wie vor: Gerade für das Handwerk, für ar-beitsintensive Dienstleistungen – darunter Reparaturleis-tungen –, ist der geringere Mehrwertsteuersatz in Anwen-dung zu bringen.
Das würde die Schwarzarbeit begrenzen und Arbeits-plätze sicherer machen. Das wäre auch ökologisch, weilnicht so viel weggeworfen würde. Zu dem Argument, dasswir dann ein paar Steuerausfälle hätten – Herr Bundesfi-nanzminister, ich erahne Ihr Gegenargument –: Sie habeneine Steuerreform auf den Weg gebracht, bei der so vieleSteuermindereinnahmen zu erwarten sind, dass Sie diesefür das Handwerk auch noch verkraften könnten, zumaldadurch, dass weniger Menschen arbeitslos wären, zu-sätzliche Steuereinnahmen entstehen würden.
Ich will nochmals betonen: Das Handwerk ist nicht ineiner rosigen Lage. Ich habe es übrigens als ein Zeichenvon Vorurteilsfreiheit der Koalition gehalten, dass siekeine Probleme damit hatte, einem PDS-Antrag zuzu-stimmen, um einen Härtefallfonds für unschuldig in Notgeratene Handwerkerfirmen zu schaffen. Ich finde nur, eshätten auch ein paar weitere Anträge der PDS ihre Zu-stimmung verdient.Soziale Ungerechtigkeiten sollten rasch abgebaut wer-den; so steht es in der Koalitionsvereinbarung. Einiges– ich habe Beispiele genannt – haben Sie auf den Weg ge-bracht. Aber Sie haben auch neue Ungerechtigkeiten ge-schaffen. Auch hier kann ich nur einige Beispiele nennen.Den Zuschuss an die Krankenversicherungskassenfür Arbeitslosenhilfebezieher wollen Sie entscheidend re-duzieren. Wir haben einen Antrag gestellt, das zu korri-gieren. Noch ist Gelegenheit, darüber nachzudenken, obSie das nicht doch tun. Sie werden entweder die Beitrags-zahlerinnen und -zahler künftig mit höheren Beiträgenwieder mehr belasten oder die Krankenkassen werden ge-ringere Leistungen erbringen. Das ist nicht im Interesseder Gesellschaft.
Im Unterschied zur Rente, bei der eine – wenn auchmodifizierte – Anpassung an die Nettolohnentwicklungerfolgen soll, haben Sie eine Anpassung bei der Arbeits-losenhilfe und bei der Sozialhilfe nicht vorgesehen. Damitwird die Bevölkerung, die von solch einem Schicksal be-troffen ist, leider wieder von einer Anpassung ausge-schlossen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Oswald Metzger13078
Im Übrigen soll – ich sagte das schon – die Anpassungnach einer modifizierten Formel erfolgen. Das heißt imKlartext: Der fiktive Durchschnittslohn sinkt, weil dieGeringbeschäftigten erstmals in diesem Jahr in die Netto-lohnstatistik aufgenommen werden. Eine genaue Be-rechnung der Wirkungen liegt zwar noch nicht vor, abernach Schätzungen von Experten wird sich die Einbezie-hung der 3 Millionen bis 4 Millionen prekären Beschäfti-gungsverhältnisse längerfristig so auswirken, dass derDurchschnittslohn um bis zu 5 bis 6 Prozent geringer aus-fällt. Man muss den Renterinnen und Rentnern bei dieserGelegenheit auch einmal sagen, was – allein durch einenstatistischen Trick – auf sie zukommen kann.
Endlich eingeleitet werden sollten von Rot-Grün derselbsttragende Aufschwung in den neuen Bundeslän-dern und die Angleichung der Lebensverhältnisse derMenschen im Osten an die im Westen. Der Prozess solltejedenfalls beschleunigt werden. Ich kann von „ChefsacheOst“ im Haushalt 2001 wenig erkennen; das gestehe ich.
Um es zur Chefsache zu machen, um eine höhere Wert-schöpfung – absolut und auch pro Kopf – zu schaffen,wäre eine Initialzündung bei Forschung und Entwicklungsowie bei Innovationen notwendig. Man gewinnt eher denEindruck, die Menschen im Osten sollen sich mit Nied-riglohnsektoren begnügen.Kollege Schlauch hat neulich diese kühne Idee gehabt,man solle Tarifverträge aufweichen. Ich kann nur sagen:Er scheint lange nicht mehr im Osten gewesen zu sein.Dort gibt es nur noch eine Hand voll Unternehmen, dieTarifverträge tatsächlich einhalten. Die meisten sind ausdem Unternehmerverband ausgetreten. Das hat zur Folge,dass in der privaten Wirtschaft Löhne von brutto 8 DM dieStunde gezahlt werden. Ich weiß nicht, was man da nochmehr öffnen will und wo das hinführen soll. Das kannnicht die Zukunft für den Osten sein.
Statt die Umsetzung all der Wahlversprechen, von de-nen ich einige wiederholt habe, vorzunehmen, haben Siedie Reduzierung der Nettokreditaufnahme zum über-ragenden Ziel der Haushaltspolitik gemacht. Den ehrgei-zigen Plan des Bundesfinanzministers, die neuen Schul-den gegenüber dem Vorjahr von 49,5 Milliarden DM auf46,1 Milliarden DM zu reduzieren, haben die rot-grünenHaushälter noch einmal um 2,4 Milliarden DM übertrof-fen. Dafür mussten Ausgaben im Sozialbereich zum Teilempfindlich gekürzt werden. Beim Verteidigungshaushaltaber haben Sie die Spendierhosen wieder angezogen undin einer Nacht-und-Nebel-Aktion Verpflichtungsermäch-tigungen im Umfang von 10 Milliarden DM für die Be-schaffung eines Großraumtransporters eingestellt, mitdem die Bundeswehr weltweit operieren können soll. Wirlehnen dies entschieden ab.
Dieses Geld sollten Sie für Investitionen im Bereich derBildung verwenden.Wir haben keinen Widerspruch dazu, dass eine rück-läufige Nettokreditaufnahme eine erhebliche Bedeutungfür die Bundesrepublik hat, da ein Abbau des Schulden-sockels im Interesse zukünftiger Generationen liegt. Spa-ren darf aber nicht zum Selbstzweck werden; Zukunfts-vorsorge hat mehr Facetten, als dass sie sich auf dasSchuldenthema reduzieren ließe. Finanzpolitik, Herr Kol-lege Metzger, ist mehr als Schuldenabbau. Zukunftsvor-sorge heißt – ich will nur ein Beispiel anführen –, denheute 20- bis 35-Jährigen – also denjenigen, die von IhrerRentenreform betroffen würden, wenn sie, was ich nichthoffe, beschlossen würde – die Chance zu geben, sich einelebensstandardsichernde Rente zu erarbeiten. Das bedeu-tet, diese Menschen müssen in Arbeit kommen. Tatsacheist aber, dass gerade diese Gruppe von Arbeitslosigkeitvermehrt betroffen ist. Darüber hinaus hat in dieser Al-tersgruppe bundesweit jeder Sechste einen unsicherenJob. Diese Menschen brauchen existenzsichernde Arbeit.Das setzt Investitionen voraus, die aber nach der mittel-fristigen Finanzplanung bis zum Jahre 2004 sinken wer-den.Der Einstieg in ein Zehn-Jahres-Programm für denstädtebaulichen Rück- und Umbau leer stehender Woh-nungen wäre zum Beispiel eine Chance gewesen, der be-sonders Not leidenden Bauwirtschaft und den Menschen,die auf diesem Sektor arbeiten, zu helfen. Wir halten esunserer Initiative zugute, dass Sie in diesem Bereichschließlich 60 Millionen DM in den entsprechenden Titeldes Haushalts eingestellt haben.
Wir meinen aber, es wäre ein höherer Betrag notwendiggewesen; aber immerhin ist ein Einstieg gelungen. Eswäre aber wichtiger gewesen, Geld für solche Projekte zurVerfügung zu stellen, als sich einen Kopf darüber zu ma-chen, woher das Geld für den Bundeszuschuss zurDeckung des EXPO-Defizits kommen soll. Die von mirgenannten Projekte sollten im Mittelpunkt der Bundesfi-nanzpolitik stehen.Ich will ein letztes Beispiel anführen.
Frau Kolle-
gin Luft, Sie haben Ihre Redezeit weit überzogen. Das
geht zulasten des zweiten Redners Ihrer Fraktion.
Ich bin sofort fertig. – Zu-kunftsvorsorge bedeutet, Schulabgängern eine solide undvom Markt anerkannte Ausbildung zu geben. Sie wissen,dass wir nie gegen das JUMP-Programm polemisiert ha-ben, aber es werden zum dritten Mal 2 Milliarden DMausgegeben und damit wird etwas erreicht, was Rot-Grünnicht anstreben sollte: Sie privatisieren öffentliches Ver-mögen, reprivatisieren aber nicht Pflichten von Unterneh-men, nämlich die Pflicht, junge Leute fachlich auszubil-den. Kämen die Unternehmen auf diesem Gebiet ihrerPflicht nach, könnten wir 2 Milliarden DM einsparen undfür andere Zwecke einsetzen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dr. Christa Luft13079
Ich erteile
nunmehr dem Bundesfinanzminister Hans Eichel das
Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Prä-
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Finanz-
politik in Deutschland ist wieder berechenbar geworden.
Herr Kollege Rexrodt, Ihre Tricks waren unter Ihrem Ni-
veau. Sie könnten einmal zurückblenden und sich fragen,
wie das seit Mitte der 90er-Jahre bei Ihren Haushalten ge-
laufen ist: Sie haben von Steuerschätzung zu Steuerschät-
zung gezittert und bei jeder Steuerschätzung wurde das
Loch größer.
Das war nicht der Tatsache geschuldet, dass man das Steu-
eraufkommen nur schwer schätzen konnte. Der Umstand
hatte zwei Hintergründe: zum einen die systematische
Zerstörung des Steuerrechts durch immer mehr Steuer-
vergünstigungen, die Sie in Ihrer Regierungszeit einge-
führt haben
mit der Konsequenz, dass die Steuerbasis – ich berufe
mich dabei auf Ausführungen des Kollegen Waigel – zer-
bröckelt ist,
und zum anderen die systematische Beschönigung der
Annahmen. Die Realitäten haben sich um Ihre Annahmen
nicht gekümmert und so brauchten Sie sich nicht zu wun-
dern, dass Sie zu allerlei Buchungstricks greifen mussten,
um zu verschleiern, dass Sie in der Finanzpolitik von der
Hand in den Mund gelebt haben. Eine solche Verschlei-
erung gelang in der Jahresrechnung letztlich nicht.
Herr Kollege Rexrodt, diese Politik war völlig unter
Ihrem Niveau. Durch die so genannten Sparoperationen
von 1995 bis zum Ende der Ära des Kollegen Waigel sind
– ich will das noch einmal aufgreifen, weil der Kollege
Metzger dies sehr nachdrücklich deutlich gemacht hat –
alleine beim Kindergeld auf der Ausgabenseite statis-
tisch 40 Milliarden DM verschwunden.
Sie hatten zunächst 20 Milliarden DM vorgesehen. Dann
mussten Sie, weil Sie sich ein Verfassungsgerichtsurteil
einhandelten, das Ihnen bestätigte, dass Sie die Familien
verfassungswidrig hoch besteuert haben – das war, wenn
Sie sich erinnern, übrigens immer die Meinung der Sozi-
aldemokraten Ihnen gegenüber –, das Kindergeld auf
200 DM heraufsetzen.
– Das war übrigens das Ergebnis auch unseres Einflusses
über den Bundesrat. – Das bedeutet einen Ausgabeposten
von 40 Milliarden DM. Dann haben Sie das Ganze als
steuerliche Maßnahme deklariert, und damit erscheint es
nicht mehr auf der Ausgabenseite, sondern es vermindert
die Einnahmen. Mit anderen Worten: Ihre gesamte Spar-
operation ist in Wirklichkeit eine Ausgabenerhöhung um
20 Milliarden DM, die statistisch zu einer Einnahmemin-
derung um 40 Milliarden DM führt. Auf der Ausgaben-
seite erscheint das Ganze dann nicht mehr.
Das ist die Wirklichkeit, meine Damen und Herren:
10 Prozent des Ausgabenvolumens des Haushaltes er-
scheinen alleine durch diese Rechtsänderung nicht mehr
auf der Ausgabenseite.
– Regen Sie sich doch nicht so auf! Es kommt noch dicker.
Zweitens. Der Haushalt des Jahres 1999, den Sie,
meine sehr verehrten Damen und Herren, noch vorgelegt
haben, hat – verfassungswidrig – eine Fülle von Ausgaben
gar nicht mehr enthalten. Daher bestand im Jahre 1999 für
die neue Bundesregierung die Notwendigkeit – noch nicht
in meiner Verantwortung als Finanzminister –, zunächst
einmal für Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit
zu sorgen.
Das habe ich Ihnen übrigens als Finanzkoordinator der so-
zialdemokratisch geführten Länder im Bundesrat noch
zwei Tage vor der Bundestagswahl vorgerechnet.
Herr Bun-
desfinanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kalb?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein.
Sie gestat-
ten nicht. – Bitte sehr, Herr Minister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ichmöchte im Zusammenhang vortragen. Das können Siesich zunächst einmal im Zusammenhang anhören.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 200013080
Die Wahrheit ist, meine Damen und Herren: Erstenswurden Ausgaben nicht veranschlagt und zweitens er-folgte eine völlige Umveranschlagung beim Kindergeld,sodass die Mittel als Ausgabeposten ausgebucht wurden,was dazu geführt hat, dass Sie erzählen können, Sie hät-ten in dieser Zeit gespart.
Wenn das so gewesen wäre, wäre ja zu fragen: Wieso hat-ten Sie dann seit 1996 zumindest im Vollzug verfassungs-widrige Haushalte? Später haben Sie das Ganze über-haupt nur noch durch Privatisierungserlöse verdeckenkönnen. Das war der Sachverhalt, den wir vorgefundenhaben.
Deswegen glaubt Ihnen in der Finanzpolitik in der Tat nie-mand. Das ist also – leider, sage ich – berechtigt.Ich wünsche mir Kontinuität in der Finanzpolitik undsage ausdrücklich einen herzlichen Dank an den Haus-haltsausschuss insgesamt und auch an seinen Vorsitzen-den für das kollegiale Verhältnis, in dem dort, unbescha-det unterschiedlicher Positionen, beraten wird. Ich sageauch einen herzlichen Dank an die Koalitionsfraktionen.Denn gemeinsam haben wir – Bundesregierung und Ko-alitionsfraktionen – es geschafft – obwohl wir das alle erstnoch einüben müssen –, auch im zweiten Jahr in den Eck-punkten des verabredeten Programms, das wir im Som-mer vergangenen Jahres präsentiert haben, zu bleiben undsogar noch ein bisschen besser zu werden. Das ist einehervorragende Leistung.
Das heißt, Finanzpolitik hat wieder Kontinuität und Fi-nanzpolitik ist auch berechenbar.Der Haushalt des Jahres 2001, der zweite auf demKonsolidierungspfad, ist davon gekennzeichnet, dass wirerstens ohne alle Abweichung und sogar – darauf kommeich gleich noch zu sprechen – mit einigen Verbesserungenkonsequent versuchen, aus der Falle von immer neuenStaatsschulden herauszukommen und jedes Jahr wenigerSchulden zu machen, mit dem mittelfristigen Ziel, imJahre 2006 zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kom-men. Dies ist zweitens umso erstaunlicher, als wir mitdem 1. Januar 2001 die größte Nettoentlastung, die diesteuerzahlenden Bürgerinnen und Bürger und Unterneh-men in diesem Lande jemals bekommen haben, durch-führen. Gleichzeitig – so wird auch ein Zusammenhangdaraus – kann nur der, der seine Ausgaben im Griff hat,der Ausgabendisziplin übt, wirklich Steuern senken. Allesandere sind nämlich Steuersenkungen, die nichts anderesbedeuten als Steuererhöhungen in der Zukunft.
Drittens. Wir verbessern die Ausgabenstruktur mit die-sem Haushalt. Einerseits sorgen wir – das ist auch not-wendig; ich möchte mich anschließend mit Ihrem Begriffder konsumtiven Ausgaben auseinander setzen, Herr Kol-lege Rexrodt – für mehr soziale Gerechtigkeit in dieserGesellschaft. Das war nach 16 Jahren Ihrer Regierungs-tätigkeit dringend notwendig.
Andererseits sorgen wir für Zukunftsinvestitionen – wasimmer das auch präzise sein mag; denn dieser Begriffsetzt sich aus zwei Wörtern zusammen, die wir im Haus-haltsrecht so nicht kennen; nicht jede Investition ist gleicheine Zukunftsinvestition und nicht alles, was wir für zu-kunftswichtig erachten, muss auch eine Investition imklassischen Sinne sein –, indem wir die Schulden redu-zieren – richtig, der Zufallsfund UMTS-Erlöse; daraufkomme ich gleich zurück – und die aufgrund der einge-sparten Zinsen frei werdenden Mittel – ohne eine einzigeD-Mark mehr auszugeben! – in die Felder investieren, diefür die Sicherung des künftigen Wohlstands wichtig sind.Das sind die drei Kernelemente unserer Haushaltspolitik.Sehr verehrter Herr Kollege Rexrodt, der Konsolidie-rungskurs findet natürlich auf der Ausgabenseite statt.
Es freut mich – nur Herr Kollege Austermann hat an-scheinend noch Nachholbedarf –, dass die Oppositions-fraktionen allmählich zu einer differenzierten Betrach-tung unserer Haushaltspolitik kommen. Es setzt sich dochdie Erkenntnis durch, dass wir auf dem richtigen Wegesind. Herr Rexrodt, Sie haben gesagt: Der Weg aus derSchuldenfalle ist richtig. Ich kann nur bestätigen: Ja, dasist er. Aber Sie haben hinzugefügt, der Konsolidierungs-kurs finde nicht auf der Ausgabenseite, sondern auf derEinnahmenseite statt. Das lässt sich schlicht durch dieZahlen widerlegen; denn die Ausgaben, sehr verehrterHerr Kollege Rexrodt – auf die Einnahmen gehe ichgleich ein –, sinken das zweite Jahr in Folge, und zwarohne die Tricks, die ich Ihnen vorhin vorgeworfen habeund die während Ihrer Regierungszeit in der zweitenHälfte der 90er-Jahre üblich waren. Die Ausgaben sinkenim Jahr 2000 im Vergleich zu 1999 um 1,4 Prozent undsinken weiter – das war das Ergebnis der Bereinigungs-sitzung – im Jahr 2001 im Vergleich zu 2000 nominal um0,4 Prozent. Zeigen Sie mir ein Land in Europa, das einesolche Kraftanstrengung zuwege gebracht hat! Natürlichgibt es Länder, die früher mit der Konsolidierung ihrerHaushalte begonnen haben. Die haben es jetzt nicht mehrso nötig wie wir, weil wir leider später mit der Konsoli-dierung begonnen haben. Das Volumen des Gesamthaus-halts liegt bei 477 Milliarden DM.Ich komme nun auf Ihre Mär von den Mehreinnahmen,sehr verehrter Herr Kollege Rexrodt, zu sprechen, dieman eigentlich nicht mehr hören kann; denn das Gegen-teil ist richtig. Die Konsequenz aus der Steuerreform ist,dass die Einnahmen im nächsten Jahr im Vergleich zu die-sem Jahr sinken. In diesem Jahr lagen die Steuereinnah-men bei 387 Milliarden DM. Im Jahr 2001 werden esauch nach der Steuerschätzung vom November noch384 Milliarden DM sein. Darin ist übrigens das Aufkom-men aus der nächsten Stufe der Ökosteuer – auch darauf
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundesminister Hans Eichel13081
komme ich wieder zurück –, das wir zur Senkung derRentenversicherungsbeiträge verwenden, schon einge-rechnet. Mit anderen Worten: Wenn man die Mehreinnah-men aus der Ökosteuer abzieht, dann werden die Steuer-einnahmen bei 379 Milliarden DM liegen. Das sind8 Milliarden DM weniger als in diesem Jahr. Das ist dieKonsequenz aus unserer Steuerreform. Deshalb könnenSie den Leuten nicht ernsthaft erzählen, uns wachse dasGeld aus den Ohren und die Konsolidierung finde nur aufder Einnahmenseite statt. Das ist schlicht Unsinn. Mit denZahlen lässt sich das genaue Gegenteil belegen.
Sie behaupten, die Konsolidierung sei nur aufgrund derPrivatisierungserlöse möglich. Auch das ist schlichtUnsinn. Sie, sehr verehrter Herr Kollege Rexrodt und sehrverehrter Herr Kollege Austermann, haben in der End-phase Ihrer Regierungstätigkeit rund 20 Milliarden DMaus Privatisierungserlösen für laufende Ausgaben einge-stellt. Wir haben bereits im Haushalt des Jahres 2000 dasNiveau dessen, was wir aus den Privatisierungserlösen fürdie laufenden Ausgaben, zum Beispiel für die Postunter-stützungskasse, benötigen, heruntergefahren, und zwarauf 9 Milliarden DM.Nur im nächsten Jahr müssen wir – darauf habe ich be-reits im letzten Dezember hingewiesen; das geschieht ge-gen meine Überzeugung; wir werden das in den nächstenJahren nicht wiederholen – einen Teil der Privatisierungs-erlöse – Sie wollten die Steuern eigentlich noch stärkersenken; das wäre ohne neue Schulden nicht finanzierbargewesen – zur Finanzierung der nächsten Stufe der Steu-erreform verwenden. Das sind 15,6 Milliarden DM. DieKoalitionsfraktionen haben im Haushaltsausschuss die-sen Betrag um 1,5 Milliarden DM gemindert. Sie habenbeschlossen – damit wäre ich bei einem weiteren Aspektdes Konsolidierungskurses –, dass die konjunkturbeding-ten Steuermehreinnahmen, die nach der Steuerschätzungvom November im nächsten Jahr bei 3,9 Milliarden DMliegen werden, entweder ausschließlich zur Senkung desNiveaus der Nettokreditaufnahme um 2,4 Milliarden DM– das Niveau würde dann im Gegensatz zum Regierungs-entwurf bei 43,7 Milliarden DM liegen – oder ausschließ-lich zur Senkung des Niveaus dessen, was wir aus denPrivatisierungserlösen für die laufenden Ausgaben benö-tigen, verwendet werden dürfen. In den Folgejahren wer-den wir Privatisierungserlöse nur noch für die Postunter-stützungskasse einsetzen.Ich will Ihnen, weil wir eine finanzpolitische Debatteganz offen führen müssen, noch ein Risiko vor Augenführen. Was meine Person betrifft, haben Sie Recht: Mitder Privatisierung der Post war ich nicht einverstanden.Mit der Privatisierung der Bahn war ich einverstanden,aber die Erfahrungen waren zu schlecht. Das hat michskeptisch gemacht. Leider hatte ich bei der Bahn Recht.Bei der Post ist es besser gelaufen. Sehen wir uns einmaldie Börsenkapitalisierung der Postnachfolgeunternehmenan und fragen uns angesichts der gegenwärtigen Situation– das war vor einem halben Jahr ganz anders –, ob wir dasGeld, das wir brauchen, bekommen, um die Pensionen fürdie übergeleiteten Beamtinnen und Beamten und derenWitwer und Witwen zu finanzieren.
Als Finanzminister muss ich Ihnen dieses Risiko offenba-ren. Tun Sie nicht so, als ob das ein Goldklumpen sei.
An diesem Punkt könnte Grimm leider Recht bekommen.Denn wenn wir nicht wieder zu anderen Kursen kommen,bleibt von dem Goldklumpen am Schluss gar nicht mehrso viel übrig. Das ist ein großes Risiko.Für die Zukunft bedeutet das – ich weiß nicht, ob wires schaffen –, dass wir uns bei der Finanzierung der Post-unterstützungskasse nicht von den Privatisierungserlösenabhängig machen können, zumal wir angesichts der Kurs-entwicklung nicht sicher sein können, ob wir es zu denZeiten, zu denen wir privatisieren müssten, überhauptkönnen. Angesichts unserer Verantwortung für die vielenKleinaktionäre und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dieebenfalls Aktien besitzen, müssen wir die Kurse ebenfallsim Auge behalten. Wenn Sie auf die sonstigen Einnahmenschauen würden und sähen, dass sie sinken, und wenn Siefeststellen, dass der Gewinn der Bundesbank gegenüberIhrer Regierungszeit massiv nach unten gegangen ist,dann würden Sie erkennen, dass wir eine Reihe von Risi-ken selbst bei dieser Politik zu verkraften haben. Damit istIhre Argumentation in der Tat, Herr Kollege Rexrodt, eineMär. Die Konsolidierung findet – das ist schmerzhaft ge-nug – über die Ausgabenseite statt. Deshalb haben SieAusgabenerhöhungsanträge gestellt, weil die Konsolidie-rung über die Ausgabenseite stattfindet. Das muss man somachen. Das heißt, bei einem mittelfristigen Kurs habenwir einen Konsolidierungserfolg von 30 Milliarden DMim vergangenen Jahr. Im Jahr 2003 steigt er bis auf50 Milliarden DM.Meine Damen und Herren, das ist die eine Seite: Aus-gabendisziplin, Absenkung der Nettokreditaufnahme,Verwendung der konjunkturbedingten Steuermehreinnah-men ausschließlich zur Reduzierung der Neuverschul-dung und zur Reduzierung der Privatisierungserlöse.Künftig wollen wir – die Ermächtigung haben Sie uns ge-geben, wofür ich Ihnen sehr dankbar bin –, wann immeres geht, die Privatisierungserlöse einsetzen, um die Alt-schulden abzubauen.
Daraus ergeben sich für uns Handlungsmöglichkeiten,weil wir dann Zinsausgaben, die bisher unsere Investitio-nen eingeschränkt haben, in Zukunftsvorsorge wandelnkönnen. Das wird das Thema der Zukunft sein.Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, ha-ben wir die größte Steuer- und Abgabensenkung, die es inder Geschichte der Bundesrepublik in einem Jahr gegebenhat: 45 Milliarden DM Nettoentlastung. Das ist das Pro-blem der Länder.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundesminister Hans Eichel13082
Es ist verwunderlich, wie Sie hier reden. Kein Finanzmi-nister eines Landes Ihrer Couleur würde eine solche Redehalten, wie sie hier gehalten wurde, weil er sie nach sei-nem eigenen Haushalt überhaupt nicht halten könnte. Wo-her kommen die Klagen der Länderfinanzminister, wenndie Steuerreform keine Einnahmeausfälle zur Folge ge-habt hätte? Das ist, wie Sie wissen, alles nicht wahr.
Diese Steuerreform kommt zur rechten Zeit. EineNettoentlastung von 45 Milliarden DM in einer Situation,in der der kurzfristig enorm gestiegene Ölpreis dieserVolkswirtschaft rund 30 Milliarden DM entzogen hat, be-deutet, dass wir damit die konjunkturellen Gefahren wei-testgehend abfedern. Eine Minderung des Wachstumspo-tenzials um etwa 0,2 Prozent, wie es von allen Institutengesagt wird, ist eine volkswirtschaftlich hervorragendeLeistung, wie es sie bei einer solch schockartigen Ölpreis-entwicklung vorher nicht gegeben hat.
Das ist auch richtig so.Der Einkommensteuereingangssatz sinkt ein Jahrfrüher als geplant auf 19,9 Prozent. Einen so niedrigenEingangssteuersatz hat es doch zu Ihrer Zeit nie gegeben.
Wir werden ihn auch noch weiter senken, und zwar bis auf15 Prozent.Auch einen Körperschaftsteuersatz von 25 Prozent füreinbehaltene wie für ausgeschüttete Gewinne hat es zu Ih-rer Zeit nie gegeben.
Die Abschaffung der Gewerbesteuer – ein Kostenfaktorfür das Handwerk, für den Einzelhandel und für die Per-sonengesellschaften – ist ein lang gehegter Traum der Be-triebe, der ab dem 1. Januar 2001 Wirklichkeit wird. Siehaben dies in den Jahrzehnten, in denen Sie in diesemLand regiert haben, nicht zuwege gebracht. Ein andererTeil der Haushalts- und Finanzpolitik für das Jahr 2001besteht in einer enormen Entlastung der Haushalte undder Unternehmen sowie in einer nachhaltigen Verbesse-rung der Nachfrage auf dem Binnenmarkt und einer nach-haltigen Verbesserung der Investitionsbedingungen.
Ein weiterer Teil der Haushalts- und Finanzpolitik fürdas Jahr 2001 besteht in der Zukunftsvorsorge. In diesemZusammenhang, Herr Kollege Rexrodt, will ich michkurz mit Ihrem Begriff „konsumtive Ausgaben“ ausei-nander setzen. An dieser Stelle kommen parteipolitischeUnterschiede zum Tragen. Das ist gewiss wahr. Darübermuss man redlich und offen sprechen. Herr KollegeRexrodt, es gibt konsumtive Ausgaben, die in der Tat soweit zurückzuführen sind, wie es irgend möglich ist. Wirreduzieren zum Beispiel – das ist schwierig genug – Sub-ventionen, Beihilfen.Lassen Sie mich mit allem Freimut sagen: Das istschon spannend. Kaum haben wir die Körperschaftsteuerauf den niedrigsten Satz, den es je gegeben hat, gesenktund eine ordentliche Verbreiterung der Bemessungs-grundlagen vorgenommen – alle haben gesagt, das sei derrichtige Weg –, da bekomme ich von großen Unterneh-men mit wunderbaren Bilanzen schon wieder Forderun-gen nach neuen Steuerprivilegien. Mir wird gesagt, manmüsse den Mitarbeitern helfen, den Weg ins Internet zufinden. – Dafür muss es keine neuen Steuerprivilegien ge-ben.
– Danke, Herr Kollege Rexrodt. – Ich sage ganz aus-drücklich – das ist schon ein spannendes Thema –: An die-ser Stelle sollte man einmal darüber reden, was Subventi-onsabbau wirklich bedeutet, und dies dann auch machen.Wenn Sie dabei mitmachen, dann finde ich das ganzprima.Es gibt aber konsumtive Ausgaben, zu denen wir unsnachdrücklich bekennen. Die Unterlassung bestimmterkonsumtiver Ausgaben hat enorme Zukunftswirkungen.Das BAföG ist ein Beispiel dafür. Das ständige Festhaltenam Berechnen der BAföG-Sätze über das Einkommen derEltern ist unterlassene Zukunftsvorsorge, Herr KollegeRexrodt.
Ich verweise darauf, wie viele junge Menschen nicht mehrgefördert werden und wie viele tatsächlich nicht studierthaben. Wir haben innerhalb der Europäischen Union mitden geringsten Anteil von Studentinnen und Studenten ineinem Jahrgang. Das ist unterlassene Zukunftsvorsorge.
BAföG ist nicht nur eine Sozialleistung, sondern aucheine Zukunftsinvestition.Aber wir sagen auch ganz nachdrücklich: Familienför-derung ist Zukunftsinvestition. Sie haben die Familien-förderung in Ihrer Regierungszeit – verfassungswidrig –hoch besteuert. An diesem Punkt werden wir weiterhinVerbesserungen vornehmen.
Die Reform des Wohngeldes, wie sie im Haushalt 2001enthalten ist – sie schafft übrigens in ganz Deutschlandgleiche Verhältnisse –, ist ein sehr vernünftiger Weg. DasGleiche gilt für die Aufstockung des Erziehungsgeldes.Sie haben diesen Schritt ganz lange Zeit überhaupt nichtin Angriff genommen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundesminister Hans Eichel13083
Wenn wir über das Einsparen von konsumtiven Ausga-ben reden, dann müssen wir auch über Staatsmodernisie-rung, wie sie der Kollege Schily intensiv betreibt, spre-chen. Damit sind ganz schwierige Themen verbunden:Bundeswehrreform, Reform der Finanzverwaltung. Ichbekomme lauter Eingaben. Übrigens, die erste kam vonder Bayerischen Staatskanzlei. Sie kämpft jetzt für jedesZollamt in Bayern.
Ich muss Ihnen sagen: Das ist so etwas von unglaubwür-dig! So wird man in der Zukunft allerdings nicht gewin-nen.
– In Richtung Bayern ist das dringend notwendig, HerrRamsauer.Wir müssen uns unsere Perspektive klarmachen: Wirsind eine alternde Gesellschaft, ob uns das gefällt odernicht.
Wenn der Anteil der Beschäftigten immer weiter zurück-geht, dann werden wir dafür sorgen müssen, dass auch derStaat mit weniger Beschäftigten auskommt;
sonst haben wir die Steuererhöhungen der Zukunft bereitsprogrammiert. Auch das müssen wir uns klarmachen.
Wer über im Zusammenhang mit dieser Regierungsko-alition von Sozialdemokraten und Grünen konsumtiveAusgaben redet, redet nicht darüber, dass wir die sozialenBedingungen verschlechtern, sondern darüber, dass wirden Staatsaufwand verringern,
und zwar überall dort, wo es ohne Leistungsminderungfür diejenigen Bürgerinnen und Bürger geht, die auf dieseLeistungen angewiesen sind. Das ist der zentrale Ansatz.
– Aber dann möchte ich sehen, dass auch Sie dabei sind,wenn es wirklich darauf ankommt.Wenn es konkret wird, wird es jedes Mal schwierig.Deswegen habe ich das bayerische Beispiel genannt. Esist nicht auf Bayern beschränkt; in Bayern wird so etwasnur mit ein bisschen mehr Ellbogeneinsatz als woandersbetrieben. Das ist auf allen Ebenen zu sehen, übrigensauch parteienübergreifend, wie ich ohne weiteres einräu-men will. Nur können Sie hier nicht von Verminderungdes Staatskonsums reden und auf Länderebene das genaueGegenteil davon verlangen. Das ist schlicht nicht glaub-würdig.
Zum Thema Zukunftsinvestitionen sage ich noch ein-mal einen herzlichen Dank an die Koalitionsfraktionen.Es war nicht selbstverständlich, dass der Zufallsfund der100 Milliarden DM aus den UMTS-Lizenzen – als Fi-nanzminister war ich hier wie bei allen sonstigen Annah-men ein bisschen vorsichtig; das muss auch so sein, weilich mich ungern unangenehm überraschen lasse – voll-ständig zur Schuldentilgung eingesetzt wird und niemandden Versuch unternehmen konnte, davon etwas in die Fin-ger zu bekommen. Das ist eine enorme Leistung, die diefinanzpolitische Debatte in Deutschland wirklich voran-bringt.
Dies war auch für die Regierung nicht leicht, weil esnämlich eine Fülle von Aufgaben gibt, denen man eigent-lich nachkommen müsste.
– Ja, ich habe viele Vorschläge bekommen, wie man die-ses Geld ausgeben kann. Das meiste wäre mir allerdingsauch alleine eingefallen, meine Damen und Herren.
Der entscheidende Punkt dabei ist folgender: Wir habenetwas eingeübt, was ab 2006 zum System wird. Dann wer-den wir sehen, wer in diesem Lande zukunftsfähig ist.Jetzt bekommen wir nämlich zwei Dinge zusammen, diezusammengehören: Schuldenabbau und die Chance fürmehr Zukunftsinvestitionen.
Der Schuldenaufbau hat unsere Zukunftsfähigkeit erheb-lich ruiniert und der Schuldenabbau gibt uns die Zu-kunftsfähigkeit wieder. Insofern stellte die Debatte um dieVerwendung der UMTS-Erlöse einen interessanten Lern-prozess dar.Ich sage aber auch mit allem Nachdruck: So schön eswäre, wenn man nur konsolidierte und auch die Zinsen inden Schuldenabbau steckte, es wäre nicht nur eine Über-forderung der politischen Debatte in Deutschland, son-dern vor allen Dingen im Blick auf unsere Zukunftsfähig-keit nicht richtig gewesen. Der Dreiklang, meine Damenund Herren, muss sein: erstens Schulden abbauen, zwei-tens richtig in die Zukunft investieren, also die Staatsaus-gaben in ihrer Zusammensetzung verbessern – Zukunfts-vorsorge statt Zinsausgaben –, und drittens Steuern undAbgaben senken, und zwar so, dass auch schon bei derSteuererhebung und nicht erst hinterher bei der Umver-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundesminister Hans Eichel13084
teilung über die Ausgaben im Staatshaushalt soziale Ge-rechtigkeit erkennbar wird.
Durch Schuldenreduzierung und Reduzierung derZinsausgaben können wir es uns leisten, die Investitionenin den Verkehrssektor, vor allem aber die Investitionen inden Bereich Bildung und Forschung wieder zu erhöhen.Der Bildungshaushalt steigt um 1,4 Milliarden DM oder9,5 Prozent. Das ist die mit Abstand größte Steigerungs-rate eines Einzelhaushalts. Das ist so auch richtig, daransieht man, dass wir richtig in die Zukunft investieren.
Es geht auch darum, Vorsorge für die Aufgaben zu tref-fen, die beim Aufbau Ost – ich sage das mit allem Nach-druck – vor uns stehen und weiterhin zu leisten sind. Wirmüssen noch über lange Zeit in die Infrastruktur investie-ren. Der Bundeskanzler hat mit den Ministerpräsidentenverabredet, dass wir noch in dieser Legislaturperiodenicht nur den bundesstaatlichen Finanzausgleich, sondernauch den Solidarpakt II neu fassen, damit auch über 2005hinaus Gewissheit darüber herrscht, dass wir unsere Auf-gaben beim Aufbau Ost nicht vernachlässigen werden undes eine Perspektive für die neuen Bundesländer gibt, andie westdeutschen Länder herangeführt zu werden.
Dazu gehört viel, meine Damen und Herren: Dazugehören die Infrastruktur, die aktive Arbeitsmarktpolitik,das Investitionsförderungsgesetz, das Programm Inno-Regio und das Jugendbildungsprogramm JUMP, das zuüber 50 Prozent in den neuen Bundesländern greift undauch greifen muss, weil die Wirtschaft es dort noch nichtschafft, genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung zustellen. Ich sage das übrigens nicht vorwurfsvoll. Wir wis-sen nämlich, dass es dort zu wenig dafür geeignete Be-triebe gibt. Die Struktur ist anders und unter diesemAspekt schlechter als in den westdeutschen Ländern.Im Rahmen von Wohnungsmodernisierungsprogram-men muss man natürlich auch über den Wohnungsleer-stand reden, weil dieser ein Anzeichen für eine außeror-dentlich schwierige Situation ist. All das sind Aufgaben,denen wir uns mit diesem Haushalt annehmen. In diesenBereichen treffen wir auch Vorsorge für die Zukunft. Dasheißt, der Reformstau in Deutschland ist wirklich aufge-löst. Die Maßnahmen hierfür umfassten nicht nur Haus-haltskonsolidierung und Steuerreform, sondern auch Ren-tenreform, Bundeswehrreform und Justizreform. Es istschon erstaunlich, was wir nach so vielen Jahren des Still-standes den Menschen alles zumuten müssen, damit die-ses Land wieder vorankommt.
– Das ist so. Sie hätten ja wenigstens ein paar Aufgabenmehr angehen können. Da das aber nun nicht mehr zu än-dern ist, müssen wir es tun.
Der Erfolg, meine Damen und Herren, ist ja sichtbar.Wir können wieder erfreuliche Wachstumsraten verzeich-nen. Mit dem Ziel „Mehr Wachstum und Beschäftigungfür die Menschen“ sind wir angetreten; dafür ist GerhardSchröder in den Wahlkampf gezogen. Damit sorgen wirkonkret für soziale Gerechtigkeit in der Gesellschaft.
Die Wachstumsraten in diesem Jahr betragen 3 Prozent.Unsere Schätzung für das nächste Jahr von 2,75 Prozentliegt – das sagen alle Institute – am unteren Rand. DieseRaten liegen doppelt so hoch wie der Durchschnitt derganzen 90er-Jahre. Unter Ihrer Verantwortung erlebteDeutschland damals eine ausgesprochene Schwächeperi-ode.
Trotz hoher Ölpreise ist die Kerninflationsrate inDeutschland nach wie vor niedrig, sie liegt nämlich beietwa 1 Prozent.
Das heißt, dass sich die Europäische Zentralbank im Hin-blick auf ihre Geldpolitik darauf verlassen kann, dass vomgrößten Mitglied der EU und der Euro-Zone keine Infla-tionsgefahren ausgehen. Das ist eine wesentliche Voraus-setzung dafür, dass eine Zinspolitik betrieben werdenkann, die dazu beiträgt, dass sich das Wachstum weiterpositiv entwickelt.Nun komme ich zur Beschäftigung. Auch da erzählenSie große Märchen, wenn Sie behaupten, die Beschäfti-gung sei während Ihrer Regierungszeit gestiegen. Ichkann Ihnen ganz andere Zahlen vorlesen:
1992 ging die Zahl der Beschäftigten – Herr Austermann,Sie wissen, wer damals regiert hat – um 1,5 Prozent, 1993um 1,3 Prozent und 1994 um 0,2 Prozent zurück. 1995gab es ein Plus von 0,2 Prozent, 1996 ein Minus von0,3 Prozent, 1997 ein Minus von 0,2 Prozent, 1998 – jetztgeht es wieder aufwärts – gab es ein Plus von 0,9 Prozent,
1999 ein Plus von 1,1 Prozent – da haben wir schon re-giert.
2000 wird es ein Plus von 1,5 Prozent und 2001 ein Plus
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundesminister Hans Eichel13085
von 1,5 Prozent geben. So lauten die Prognosen aller In-stitute.
Mit anderen Worten – hierbei bleibt der Effekt des 630-Mark-Gesetzes außen vor, Herr Kollege Rexrodt – heißtdas: Wir haben zurzeit einen Zuwachs von jährlich min-destens 500 000 zusätzlich Beschäftigten. Das hat nichtsmit der demographischen Entwicklung zu tun, sondern esgibt zusätzlich 500 000 Arbeitsplätze in diesem und zu-sätzlich – eher etwas mehr – 500 000 Arbeitsplätze imnächsten Jahr.
Eine so starke Zunahme hat es in den ganzen 90er-Jahrennicht gegeben, nicht ein einziges Mal. Damals war dieEntwicklung nur negativ.Es ist auch falsch, wenn Sie behaupten, dass der Rück-gang der Arbeitslosigkeit etwas mit der demographischenEntwicklung zu tun hätte. Es verhält sich ganz anders: DieArbeitslosenzahl geht nämlich gar nicht so zurück, wie sieaufgrund der demographischen Entwicklung zurückge-hen müsste. Das hat damit zu tun, dass jetzt eine MengeMenschen aus der stillen Reserve in die Arbeitswelt drän-gen, die gar nicht als arbeitslos gemeldet waren. DieserSchritt ist mit Blick auf die Zukunft vernünftig. Wir müs-sen unser Beschäftigungspotenzial nämlich besser aus-schöpfen. Eine Quelle hierfür stellen die jungen Frauenim Westen dar. Dort gibt es eine zu geringe Zahl von be-rufstätigen Frauen. Im Osten ist die Arbeitslosenquote sohoch, weil es in der alten DDR sehr viele erwerbstätigeFrauen gab. Hier ist noch eine Menge zu tun. So kommtzum Beispiel noch die sehr große Aufgabe auf uns zu, dieKinderbetreuung in den westdeutschen Ländern sicherzu-stellen, damit Frauen überhaupt einer Beschäftigungnachgehen können.
Wir sind damit auf einem sehr guten Weg; alle Daten zei-gen dies. Dies bestätigen auch die Wirtschaftsforschungs-institute, der Sachverständigenrat, die Bundesbank, dieOECD und der Internationale Währungsfonds.Zwei Dinge trösten mich: Erstens. Diese Politik istnicht nur in der Regierungskoalition – wir haben hartdafür kämpfen müssen; das war nicht einfach –, sonderninzwischen auch im Lande tief verankert. Es wird keineunsolide Finanzpolitik wie die, die wir beendet haben,mehr geben. Diese Erkenntnis hat sich im Lande durch-gesetzt.
Zweitens. Wir befinden uns – darauf hat Herr KollegeRexrodt zu Recht hingewiesen – in einem europäischenund internationalen Geleitzug.
Wenn wir da ausbüchsen würden, würden wir es teuer be-zahlen.Eine letzte Bemerkung mit Blick auf die Europade-batte heute Morgen, in der der Bundeskanzler eine Re-gierungserklärung abgegeben hat. Wir werden uns sehrnüchtern – in der Wirtschafts- und Finanzpolitik geht esimmer sehr nüchtern zu – damit beschäftigen müssen,welchen Rahmen uns Europa setzt. Der nächste Jahres-wirtschaftsbericht wird genau in diesen Rahmen passen.Eine Fülle von Reden, die Sie gehalten haben, wird esdann nicht mehr geben. Könnten diese Reden doch gehal-ten werden, dann würde dies nämlich bedeuten, dass wiraus dem europäischen Rahmen herausspringen und unse-rer Verantwortung für den Euro nicht gerecht werden. Ichbin aber zuversichtlich, dass es nicht so kommen wird.
Wir haben die deutsche Stabilitätskultur nach Europagetragen. Von dort kommt sie jetzt als Forderung an unszurück. Ich finde, dies ist außerordentlich tröstlich; dennman kann aus deutscher Sicht kein besseres Argument fürEuropa anführen.Ich bin für die Zukunft guter Dinge. Wir sind auf demrichtigen Wege. Überlegen Sie sich, ob Sie dem nicht zu-stimmen können!
Für die
CDU/CSU-Fraktion gebe ich dem Kollegen Peter Rauen
das Wort.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Herr Eichel, die Um-stellung des Kindergeldes von der steuerlichen Förde-rung auf die direkte Förderung erfolgte zum 1. Januar1996. Damals haben sich die Einnahmen wie auch dieAusgaben um 20,5 Milliarden DM erhöht. Es war alsonicht so, wie sie vorhin gesagt haben, dass es eine Er-höhung um 40 Milliarden DM im Jahre 1998 gab. Einesolche falsche Aussage ist eines Finanzministers unwür-dig.
Mir ist klar, warum Sie diese Verneblungstaktik an-wenden. Wenn man sich nämlich einmal anschaut, um wieviel die Nettoneuverschuldung zurückgegangen ist,dann muss man feststellen, dass dies – eigentlich IhremRuf gemäß – ziemlich wenig ist. Sie werden im Jahre2001 43,2 Milliarden DM mehr Steuereinnahmen als imJahr 1998 haben. Aber die Nettoneuverschuldung geht indemselben Zeitraum nur um 0,7 Prozent zurück.Diesen Sachverhalt wollen Sie mit dem nicht zutref-fenden Hinweis auf das Kindergeld vernebeln. Sie wollendamit nur verschleiern, dass der Grund für den geringen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundesminister Hans Eichel13086
Rückgang der Nettoneuverschuldung darin liegt, dass IhrVorgänger Lafontaine die konsumtiven Ausgaben um30 Milliarden DM erhöht hat. Gehen Sie nicht so weit,diese Tatsache mit dem Kindergeld zu verknüpfen! Dashat mit der Politik Ihres unmittelbaren Vorgängers zu tun.
Ich bin dankbar, dass Sie zugegeben haben, gegen diePrivatisierungsmaßnahmen der alten Bundesregierunggewesen zu sein. Damit geben Sie endlich zu, dass Sie un-verdientermaßen die Sondereinnahmen in Höhe von fast150 Milliarden DM kassieren können,
für die Theo Waigel und Helmut Kohl die Saat ausge-bracht haben.
Sie hatten das Glück, dass durch die Zinsersparnis dernächste Haushalt weniger belastet wird. Wir begrüßen,dass Sie deswegen Investitionen für das nächste Jahrvornehmen können. Aber ohne diese Zinsersparnissewäre die Investitionsquote nach Ihrem Regierungsent-wurf auf 11,4 Prozent gesunken und damit auf einen his-torischen Tiefstwert gefallen.
Dennoch sind diese Investitionen noch immer völlig un-zureichend.Wir haben in Deutschland einen gewaltigen Investiti-onsstau bei notwendigen Reparaturen und Neubauten vonStraßen, Schienen- und Wasserwegen. Dies gilt insbeson-dere für die neuen Bundesländer.
Gute Verkehrswege sind die Voraussetzung für wirt-schaftliche Prosperität, für eine sich dynamisch ent-wickelnde Wirtschaft und damit für die Arbeitsplätze vonmorgen. Ich halte es deshalb vor diesem Hintergrund füreinen großen Fehler, dass Sie gemäß Ihrer Finanzplanungdie Investitionsquote von 12,2 Prozent im Jahr 2001 über10,9 Prozent und 10,5 Prozent auf 10,4 Prozent imJahr 2004 zurückfahren wollen. Im Klartext heißt das,dass Sie im Jahr 2004 8,5 Millionen DM weniger für In-vestitionen ausgeben wollen als noch im Jahr 2001. Ichhalte dies angesichts des Bedarfs an Investitionen inDeutschland für verantwortungslos.Diese Finanzpolitik ist ein wirtschaftspolitischerBlindflug zulasten der Infrastruktur in Deutschland undeine Gefahr für den Arbeitsmarkt.
Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist ohnehin die Achil-lesferse dieser Regierung. Sie geben das nur nicht zu undversuchen – bisher, wie ich zugeben muss, mit gutem Er-folg –, die öffentliche Wahrnehmung zu täuschen und zumanipulieren. Bei der Ermittlung der Beschäftigtenzahlenrechnen Sie heute 2,2 Millionen 630-Mark-Jobs hinzu,die vor 1999 niemals mitgezählt wurden. Mehr Beschäf-tigung ist dadurch nicht entstanden. Im Gegenteil, weilSie die 630-Marks-Jobs so uninteressant gemacht haben,wird manche Arbeit in Deutschland nicht mehr getan, zu-mindest nicht mehr legal. Kein Wirtschaftszweig inDeutschland wächst so stark wie die Schwarzarbeit.Die Entspannung auf dem Arbeitsmarkt kommt daher,dass in den letzten beiden Jahren 500 000 ältere Menschenmehr aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, alsjunge Menschen hinzukamen.
Diesen Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials habendie wirtschaftswissenschaftlichen Institute bereits imApril 1999 vorausgesagt. Die Arbeitslosenzahlen sindzwar zurückgegangen; mehr Beschäftigung ist dadurch inDeutschland aber nicht entstanden.
Hinzu kommt, dass in Deutschland zurzeit neben deroffiziellen Arbeitslosigkeit eine verdeckte Arbeitslosig-keit von 1,8 Millionen Personen existiert, die in AB-Maß-nahmen und im arbeitsmarktbedingten Vorruhestand ver-steckt werden.Fast 5,5 Millionen Menschen sind in diesem Jahr offenoder verdeckt arbeitslos; das sind 13,2 Prozent. AndereLänder sind Beispiele dafür, dass es kein Naturgesetz gibt,nach dem es auf Dauer hohe Arbeitslosigkeit geben muss.Es ist möglich, Vollbeschäftigung zu erreichen. In ande-ren Volkswirtschaften liegt die Arbeitslosenquote wesent-lich niedriger, in Holland zum Beispiel bei 3 Prozent, inDänemark und in den USA bei 4 Prozent.Es gibt aber auch bei uns riesige Beschäftigungschan-cen im Mittelstand, vor allem in der New Economy. DieZukunft gehört vielen kleinen und mittleren Unternehmensowie Neugründern, die in der Lage sind, flexibel zu ar-beiten und schnell auf Nachfrageänderungen zu reagie-ren. Aber genau daran werden sie durch die Wirtschafts-und Arbeitsmarktpolitik dieser Regierung gehindert.
Wenn Sie mir nicht glauben, dann lesen Sie doch we-nigstens das Gutachten, das die Sachverständigen im Auf-trag Ihrer Regierung abgegeben haben. Darin steht glasklar,dass der Beschäftigungszuwachs, in Erwerbstätigkeitsstun-den gerechnet, zum Stillstand gekommen ist. Das ist derBeweis, dass die Regierung bei ihrer Arbeitsmarktpolitikversagt hat. Durch den Rückgang der Arbeitslosenzahlenist diese schlimme Entwicklung in der öffentlichen Wahr-nehmung weitestgehend noch nicht registriert worden. DieArbeitsmarktpolitik der Bundesregierung geht in die völligfalsche Richtung.Der Sachverständigenrat gibt auch die Antwort darauf,warum dies so ist. Als Gründe nennt er das 630-Mark-Ge-setz, die überbürokratisierten Regeln zur Scheinselbststän-digkeit, die erneute Regulierung beim Kündigungsschutz,die Rücknahme der verminderten Lohnfortzahlung, dieSchlechtwettergeldregelung und die erneute Regulierungder Märkte für Energie und Telekommunikation. Statt den
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Peter Rauen13087
viel zu starren Arbeitsmarkt zu deregulieren, machen Siegenau das Gegenteil dessen, was die OECD, der Interna-tionale Währungsfonds, die EU-Kommission und die For-schungsinstitute fordern.
Stattdessen gehen Sie in Ihrer sozialistischen Rege-lungswut genau in die andere Richtung: voraussetzungs-loser Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit, Ausweitung derMitbestimmung und Herabsetzung der Schwellenwerte,Einschränkung der befristeten Arbeitsverträge. – Das al-les ist Gift für den Arbeitsmarkt und die freie Entfal-tungsmöglichkeit von Unternehmern.Mit dem Unternehmer haben Sie ohnehin, wie ich im-mer wieder feststellen muss, nichts am Hut.
Er bleibt für Sie der Kapitalist, der geschröpft werdenmuss.
Das haben Sie mit Ihrer Steuerreform nachdrücklich un-ter Beweis gestellt.
– Ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören.Sehr geehrter Herr Eichel, Sie haben die ideologischeVorgabe von Lafontaine astrein umgesetzt. Sie haben mitIhrer Steuerreform zwar die Unternehmen entlastet, nichtaber die Unternehmer. Sie haben einbehaltene Gewinnegegenüber ausgeschütteten Gewinnen begünstigt. DieseSteuerreform ist eine Reform zugunsten der großen Kapi-talgesellschaften und zum Nachteil der Personengesell-schaften sowie der kleinen GmbHs und damit zum Nach-teil des Mittelstandes.
– Ach, Herr Poß, Ihre dummen Sprüche kenne ich zurGenüge.
Das ist letztlich auch das Urteil, zu dem der Sachver-ständigenrat in seinem Gutachten kommt. Sie werdenzwar dafür gelobt, dass Sie die Steuern senken. Aber wasdie Architektur der Reform angeht, hagelt es Kritik. Ob esdie unterschiedliche Behandlung einbehaltener und aus-geschütteter Gewinne, die Ersetzung des Anrechnungs-durch das Halbeinkünfteverfahren oder die Gewerbesteu-eranrechnung ist, die tragenden Pfeiler Ihres Reformkon-zepts hält der Sachverständigenrat für wirtschaftspolitischverfehlt, steuersystematisch fragwürdig und verfassungs-rechtlich angreifbar.
Aber nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch beiden Steuerzahlern hat sich inzwischen herumgesprochen,was von Ihrer Reform zu erwarten ist: Die mittleren undkleinen Unternehmen, die in Deutschland in der Ver-gangenheit für zusätzliche Arbeitsplätze gesorgt habenund dies auch in Zukunft tun werden, kommen bei dieserReform entschieden zu kurz. Sie werden nicht entlastet,sondern massiv belastet.
Alle wissen, dass die tarifliche Entlastung der Personen-unternehmen zum 1. Januar 2001 mit 3 Prozent weit hin-ter jener der großen Kapitalgesellschaften, die 13 Prozentbeträgt, zurückbleibt.Herr Eichel, Sie behaupten immer, dass nur der Mittel-stand durch die Steuerreform effektiv entlastet werde.Demgegenüber erhielten die Kapitalgesellschaften mitder Tarifsenkung nur das zurück, was ihnen zuvor auf-grund der Verschärfung der steuerlichen Gewinnermitt-lung durch das so genannte Steuerentlastungsgesetz1999/2000/2002 genommen worden sei. Sie wollen unsund dem Mittelstand damit weismachen, dass Ihr Vorgän-ger nur die Kapitalgesellschaften geschröpft, den Mittel-stand aber verschont habe.
Jeder sachkundige Steuerberater weiß doch, dass ge-nau das Gegenteil der Fall ist. Lassen Sie mich nur einigevon Lafontaines steuerpolitischen Hinterlassenschaftennennen: Einführung der Mindestbesteuerung, Einschrän-kung des Betriebsausgabenabzugs von Schuldzinsen,Erschwerung bzw. Einschränkung der Teilwertabschrei-bung, Abschaffung des Mitunternehmererlasses, Ein-schränkung des Verlustrücktrages, Einschränkung derVerlustverrechnung und Abschaffung des halben Steuer-satzes für Betriebsveräußerungs- und -aufgabegewinne.
Das alles sind doch Punkte, die auch oder sogar aus-schließlich den Mittelstand betreffen. Nur einen kleinenTeil dieser Verschlechterungen haben Sie in dem entspre-chenden Vermittlungsverfahren zurückgenommen. Auch§ 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes haben Sie jetztnur teilweise wieder so eingeführt, wie er früher war.Durch die Begrenzung des halben Steuersatzes durch denMindeststeuersatz werden gerade die kleinen Unterneh-mer massiv getroffen. Sie sind genauso Betrogene wie dieMittelständler, die 1999 und 2000 ihren Betrieb aufgebenmussten, und die Handelsvertreter, deren Abfindungenbeim halben Steuersatz völlig außen vor gelassen wurden.
Zu den genannten Abschreibungsverschlechterungenkommen ab 1. Januar 2001 weitere hinzu – das gilt auchfür den Mittelstand –: Die degressive AfA wird um einDrittel reduziert.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Peter Rauen13088
– Dümmer kann kein Zuruf sein. Wir haben ein ganz an-deres Konzept gehabt als das, das Sie vorgelegt haben.
Die neuen AfA-Tabellen, die ab Januar 2001 gelten sol-len, treffen die gesamte Wirtschaft, besonders aber denMittelstand.Hinzu kommt ab 1. Januar eine weitere Erhöhung der Mi-neralölsteuer um 7 Pfennig einschließlich der Umsatz-steuer.
Sie könnten, Herr Minister Eichel – da will ich an dasanknüpfen, was Herr Wagner gesagt hat –, die Arbeitslo-senversicherungsbeiträge im nächsten Jahr um 0,5 Pro-zentpunkte senken. Stattdessen sanieren Sie den Bundes-haushalt zulasten der Bundesanstalt für Arbeit.
Ich halte dies für einen Treppenwitz im Zusammenhangmit Ihrem Geschwätz, dass Sie die Lohnzusatzkostenmindern wollten.Der Mittelstand wird nicht entlastet, er wird massiv be-lastet. Die Tarifentlastung 2005 kommt für Unternehmerund Arbeitnehmer viel zu spät. Aber ich sage es hier nocheinmal, damit es sich auch einprägt, Herr Minister Eichel:Wer Unternehmer nicht entlasten will, will auch Arbeit-nehmer nicht entlasten, denn beide werden nach dem glei-chen Einkommensteuertarif besteuert.Ich habe Ihnen schon mehrmals vorgerechnet und Siehaben es mir nicht ein einziges Mal widerlegt,
dass ein Arbeitnehmer bei einer jährlichen Lohnerhöhungvon 2,5 Prozent bis 2005 dann prozentual genauso vielSteuern zahlt wie im Jahr 2001. Wenn die Lohnabschlüssedurch die zwischenzeitlich energiepreisbedingt höhereInflationsrate höher ausfallen, wird er prozentual sogarnoch höhere Steuern zahlen als im Jahr 2001.Sie geben den Unternehmern und den Arbeitnehmernin den Jahren 2003 und 2005 lediglich das zurück, was Sieihnen vorher durch heimliche Steuererhöhungen, durchdie kalte Progression aus der Tasche gezogen haben. DieErwartungen der Menschen in die Steuerentlastung wer-den durch die Realität nicht gedeckt. Auf ihren Lohn- undGehaltsabrechnungen ab Januar werden die Menschen ab-lesen können, dass die Steuerentlastung für die meistennicht einmal die Folgen des Energiepreisanstiegs aus-gleicht.
Herr Eichel, weil Sie es eben mit den globalen Zahlen,die den Staat interessieren, gesagt haben, sage ich es jetzteinmal am Beispiel eines Lohn- oder Gehaltsempfängers:Wenn jemand 5 500 DM brutto verdient, wird er durch dieSteuerreform ab 1. Januar monatlich 85,49 DM mehr imGeldbeutel haben, das sind im Jahr 1 026 DM mehr. Wennderselbe Arbeitnehmer jetzt seinen Heizöltank mit3 000 Litern füllt, muss er 1 500 DM mehr bezahlen alsvor einem Jahr. Der wird von der Steuerentlastung im Ja-nuar überhaupt nichts merken. Das ist Fakt.
Wenn die Mieter im Frühjahr ihre Nebenkostenabrech-nungen erhalten, werden neben den Eigenheimbesitzernalle 39 Millionen Haushalte in Deutschland merken, wasihnen von der Steuerentlastung an Kaufkraft bleibt, näm-lich nichts.Bei dieser Betrachtung sind die Mehrkosten durch diehohen Benzin- und Dieselpreise noch gar nicht einge-rechnet. Die Menschen auf dem flachen Land, die zwin-gend auf ihr Auto angewiesen sind, um zur Arbeit zu kom-men, haben mittlerweile gemerkt, dass die Erhöhung von70 auf 80 Pfennig für sie ein schlechter Witz ist. Diese Er-höhung reicht gerade einmal aus, um die 7 Pfennig Mehr-kosten ab 1. Januar bezahlen zu können. Das ist ein reinesNullsummenspiel für die Leute, die ihr Auto zwingendbrauchen, um zur Arbeit zu kommen.
Für dieses Nullsummenspiel werden sich vor allem dieBürger in den Flächenländern, zum Beispiel Baden-Würt-temberg und Rheinland-Pfalz, zu bedanken wissen. Siewerden kaum Verständnis dafür haben, dass sie ohne jeg-liche effektive Entlastung mit ansehen müssen, wiegleichzeitig Fußgänger, Radfahrer, Bahn- oder Busfahrermassiv entlastet werden und dabei teilweise noch eingutes Geschäft machen können.Herr Eichel, dieses Gesetzgebungsverfahren wird all-mählich immer mehr zur Posse. Sie wissen ja, dass dieLänder seit Wochen sagen: Wir bezahlen diesen Unfugnicht mit. Dennoch wurde das Gesetz hier im Parlamentdurchgepeitscht. Und jetzt kommen die Überlegungen, obman die Erhöhung der Pauschale befristet, die Höhe derPauschale nach dem jeweils benutzten Verkehrsmittelstaffelt,
die Pauschale erst ab einer gewissen Mindestentfernungoder nur bis zu einer bestimmten Höchststrecke gewährtoder den Abzug auf einen bestimmten Höchstbetrag be-grenzt. Dieses Tohuwabohu ist nur noch mit RiestersRentenreform zu vergleichen und hat die Qualität der ge-scheiterten Gesundheitsreform.
Herr Minister, schaffen Sie die Ökosteuer ab! Daswäre für die Konjunktur und die Arbeitsplätze ein befrei-endes Signal. Die ganze Flickschusterei bringt nichts. Dasist alles wie gewollt und nicht gekonnt.Herr Eichel, in Ihrem Vortrag vor der Berliner Hum-boldt-Universität am 9. November haben Sie den Grund-satz der Nachhaltigkeit zum Fundamentalprinzip Ihrer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Peter Rauen13089
Finanzpolitik erklärt: Keine Generation dürfe auf Kostender Nachfolgergeneration wirtschaften.Dass in Konsequenz dieser Politik der Staat aus derSchuldenfalle heraus muss, ist richtig. Das unterstützenwir von der Opposition ohne Wenn und Aber. Richtig istaber auch, dass die arbeitenden Menschen aus der Steuer-und Abgabenfalle heraus müssen. Ebenso richtig ist es,dass der Arbeitsmarkt von lähmenden und einstellungs-feindlichen Regulierungen befreit werden muss.Die Balance dieser drei Grundforderungen für mehrWachstum und Beschäftigung hat Ihre Regierung bisherleider nicht gefunden. Es ist doch eine Schande, dass diegrößte Industrienation Europas mit Italien zusammenSchlusslicht beim Wachstum in Europa ist.
Ausgerechnet die Wirtschaft in Europa mit dem größ-ten Exportanteil ist trotz der Begünstigung der Außen-konjunktur durch den schwachen Euro nicht in der Lage,in Deutschland einen Aufwuchs an Beschäftigung her-beizuführen. Wie sollen die internationalen Kapital-märkte das Vertrauen in den Euro zurückgewinnen, wennnicht Deutschland wieder Wachstumslokomotive in Eu-ropa wird? Schuldenabbau und gleichzeitige Entlastungder Menschen von Steuern und Abgaben sind kein Ge-gensatz, sie bedingen sich einander. Eine erfolgreicheWirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik als Einheit ver-standen bewährt sich am besten auf dem Arbeitsmarkt undgenau da haben Sie versagt.
Wie das geht, hat die Regierung Kohl von 1982 bis1989 erfolgreich bewiesen.
– Hören Sie ruhig zu, Sie haben offenbar ein so kurzes Ge-dächtnis, dass Ihnen so manches wieder in Erinnerung ge-bracht werden muss.
Damals wurde die Nettoneuverschuldung von 37 Milli-arden DM im Jahre 1982, die, wenn Schmidt an der Re-gierung geblieben wäre, in 1983 auf 50 Milliarden DMangestiegen wäre, auf 19 Milliarden DM in 1989 zurück-gefahren und gleichzeitig entstanden in Deutschland3 Millionen zusätzliche ordentliche Arbeitsplätze, überdie Steuern und Abgaben gezahlt worden sind.
Hiervon sind Sie heute meilenweit entfernt.Meine Damen und Herren, ich will abschließend sa-gen: Die Regierung Schröder, die vor zwei Jahren mit derAufforderung an die Nation angetreten ist, sie an ihren Er-folgen auf dem Arbeitsmarkt zu messen, ist nicht die Lö-sung unserer Probleme, diese Regierung ist das Problemselbst.
Das Wort hat jetzt der
Kollege Jörg-Otto Spiller, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren!Die konjunkturelle Lage der deutschen Wirtschaft istgut. Die Politik hat begonnen, den wachstumshem-menden Reformstau aufzulösen. Die Bundesregie-rung hat in diesem Jahr in der Finanzpolitik wichtigeVoraussetzungen für mehr Wachstum und Beschäfti-gung geschaffen. Im internationalen Wettbewerb derInvestitionsstandorte kann verlorenes Terrain wie-dergewonnen werden.
– Das schreibt der Sachverständigenrat zur Begutach-tung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Herr Merz,in seinem Gutachten, das er Mitte November vorgelegthat, aber so etwas lesen Sie ja nicht.
„Solider Aufschwung“, „Expansion nach klassischemMuster“ – das sind die Stichworte zur konjunkturellenAnalyse. Dann zieht sich die Zustimmung des Sachver-ständigenrates zur Finanzpolitik der Bundesregierung undder sie tragenden Koalition wie ein roter Faden durch die-ses Gutachten.Meine Damen und Herren von CDU/CSU und F.D.P.,warum können Sie sich nicht einfach einmal darüberfreuen, dass Deutschland eine gute Entwicklung nimmt?
Sie suchen krampfhaft nach allen möglichen Ecken undKanten und unerfüllten Wünschen.
Sie kommen überhaupt nicht auf die Idee, dass die Wirt-schaft und die Menschen in diesem Lande eine ganz an-dere Einschätzung haben als die, die Sie hier verbreiten.
Vielleicht pflegen Sie das. Ich kann das ja nachempfin-den.
Es tut Ihnen offensichtlich Leid,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Peter Rauen13090
dass es in Deutschland einen Aufschwung gibt. Das kannich noch verstehen. Es tut Ihnen Leid, dass Sie daran nichtbeteiligt sind. Sie haben dafür nichts getan.
Aber Sie sollten sich hier nicht hinstellen und diesen Auf-schwung kleinreden. Es ist nur der schwarz-gelbe Neid,dass Sie das nicht hingekriegt haben.
Das, was vom Sachverständigenrat und in ganz ähnli-cher Weise vor einigen Wochen auch in dem Gemein-schaftsgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen For-schungsinstitute herausgestellt worden ist, ist die positiveWirkung, die die Finanzpolitik dieser Regierung, die dieFinanzpolitik dieser Koalition für die wirtschaftliche Ent-wicklung bringt.Das Erste ist, dass dieser Reformstau überwundenworden ist, dass über die „deutsche Krankheit“ nicht mehrgeredet wird, sondern dass endlich die Dinge vorange-kommen sind.
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ramsauer?
Mit Freude.
Bitte sehr, Sie haben
die Freude, Herr Kollege.
Herr Kollege
Spiller, wenn das alles so ist, wie Sie es hier vortragen,
wie erklären Sie sich dann das regelrecht demonstrative
Desinteresse an Ihrer Finanzpolitik,
was sich auf der Regierungsbank in der totalen Abwesen-
heit der Kabinettsmitglieder widerspiegelt, wenn man
von einem gerade ausscheidenden Staatsminister und ei-
nigen Staatssekretären absieht?
Unsere Regierung ist immeram Arbeiten,
und das macht sie natürlich manchmal auch außerhalb desPlenums.
– Ich finde, ich habe es überhaupt nicht schwer. HerrRexrodt, Sie haben mir natürlich Leid getan, als ich sah,mit welcher Verbissenheit Sie nun das kommentierenmussten, was alle loben.
Die wirtschaftswissenschaftlichen Institute und – wasSie wahrscheinlich noch mehr schmerzt – auch die Un-ternehmen selbst und die Bürger im Lande sagen: Gut,dass das endlich zustande gekommen ist.
Es gibt natürlich immer – je nachdem, wie Sie das hand-haben – unterschiedliche Äußerungen. Wenn Sie zu Ver-sammlungen kommen, bei denen die Leute die Jacke ih-res Verbandes anhaben, dann wird der eine oder anderenatürlich erst einmal sagen: Wir hätten uns noch Schöne-res gewünscht. Wenn Sie aber mit den Leuten, auch denMittelständlern, reden, Herr Merz, kommt eigentlich im-mer heraus: Endlich, wir freuen uns. Gut, dass ihr das ge-schafft habt und dass es nicht durch den Bundesratblockiert worden ist. Sie haben ja damals die völlig rich-tige Einschätzung gehabt: Am 14. Juli wird sich die Spreuvom Weizen trennen. Genauso ist es gekommen und wirhaben jetzt eine ordentliche Steuerreform.
Zu der Wirkung der Steuerreform oder zumindest zuder Unterstützung, die von der Steuerreform für das Wirt-schaftsgeschehen ausgeübt worden ist, gehört die deutli-che Belebung der Investitionstätigkeit.Wir haben es seitlangem nicht gehabt, dass Ausrüstungsinvestitionen in derGrößenordnung von 8 Prozent pro Jahr zunehmen unddass dabei nicht allein die Ersatzinvestitionen das Motivdafür sind, sondern auch die Erweiterung von Produk-tionskapazitäten, Innovation und neue Produkte. DasGanze geht mit einer Zunahme von Beschäftigung einher.Ich kann verstehen, dass es Sie stört, dass das bei Ihnennicht stattgefunden hat, Herr Rexrodt. Herr Rauen, Siesollten sich vielleicht noch einmal die Tabellen ansehen.In der ganzen Zeit seit 1990, als Herr Kohl regierte, ist dieBeschäftigung in Deutschland zurückgegangen. Wir ha-ben seit diesem Jahr endlich eine Zunahme an Beschäfti-gung. Darüber kann man sich doch freuen. Man mussdoch dabei nicht kleinkrämerisch irgendwelche Nachteilesuchen. Ich finde, das ist ein großer Grund zur Freude.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Jörg-Otto Spiller13091
Es ist im Übrigen so, dass die Investitionstätigkeit ge-rade im verarbeitenden Gewerbe, auch in Ostdeutsch-land, erfreulich aktiv ist. Trotzdem sage ich: Das, was wirin Ostdeutschland brauchen, wäre eine höhere Inves-titionsrate als in Westdeutschland, damit die Rückständein der Kapitalausstattung, in der Ausrüstung der Betriebeaufgeholt werden. Wir haben jetzt in etwa einen Gleich-stand. Wir brauchen aber eine Belebung. Gerade in Ost-deutschland wird die Unternehmensteuerreform, die denim Unternehmen belassenen Gewinn deutlich schont,heilsame Wirkungen auslösen. Dessen bin ich ganz sicher.Wir brauchen eine Stärkung der Eigenkapitalbasis, geradein den ostdeutschen Betrieben, die ihre Gewinne zu einemgroßen Teil in den Betrieben belassen müssen.
Es kommt noch etwas hinzu. Herr Rauen, HerrRexrodt, auch der Einzelhandel freut sich darauf, dass espositive Auswirkungen auf die Beschäftigung gibt und dieKaufkraft zunimmt.
Gestern erklärte der Präsident des Hauptverbandes desDeutschen Einzelhandels, Herr Frenzen:
Das Weihnachtsgeschäft läuft gut. Für 2001 sind die Er-wartungen ausgesprochen positiv. Der endgültige Durch-bruch sollte nach Ansicht von Herrn Frenzen im kom-menden Jahr geschafft sein; denn dann dürften dieKonjunkturentwicklung, der Beschäftigungszuwachs undauch die Auswirkungen der Steuerreform einen Umsatz-zuwachs von real rund 2,5 Prozent ermöglichen.
Endlich nimmt auch die Kaufkraft der breiten Bevöl-kerung wieder zu. Wir haben – darauf haben übrigens vorkurzem die Institute hingewiesen – im kommenden Jahrzu erwarten, dass die Nettolöhne und -gehälter stärker alsdie Bruttolöhne und -gehälter ansteigen werden. Dies be-deutet einen deutlichen Zuwachs an Kaufkraft. Davon ha-ben Sie immer nur geträumt. Bei Ihnen ist nämlich dieSchere zwischen brutto und netto immer mehr aufgegan-gen.
Wir haben endlich die Situation, dass Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer von dem, was sie durch ihre Arbeit ver-dienen, mehr als vorher in der Tasche behalten.
Ich nenne bloß einmal zwei Beispiele:
Ein allein stehender Arbeitnehmer mit einem Jahresbrut-toeinkommen von 40 000 DM – es geht um einen jünge-ren Menschen – hat in diesem Jahr monatlich 50 DM we-niger Lohnsteuerabzug als 1998. Im nächsten Jahr hat ermonatlich 100 DM weniger Abzug als 1998.
Ein Ehepaar mit zwei Kindern und einem Jahresbrut-toeinkommen von 65 000 DM hat in diesem Jahr monat-lich rund 200 DM mehr in der Tasche und im kommendenJahr rund 260 DM monatlich mehr als 1998. Das ist dochetwas. Sie wollen so tun, als wäre das nichts. Aber dieMenschen in diesem Lande beurteilen das anders.
Im Zusammenhang mit der Lohnsteuermuss ich nocheine Bemerkung loswerden. Wir hatten die Situation, dasssich die Bundesrepublik Deutschland immer mehr zueinem Lohnsteuerstaat entwickelte. Damit haben wir end-lich aufgehört. Die Lohnsteuer war fast die einzige Ein-nahmenquelle, die beständig wuchs, während die veran-lagte Einkommensteuer durch die bewusste Verwüstungdes Steuerrechtes durch die alte Koalition nur noch einRestposten war.
– Frau Präsidentin, es gibt den Wunsch nach einer Zwi-schenfrage!
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, gerne.
Bitte schön, Herr
Schauerte.
Herr Kollege, Sie
haben gerade betont, dass die Belastung durch die Lohn-
steuer beim Steueraufkommen prozentual nicht mehr so
hoch sein wird, wie es vor einigen Jahren der Fall war. Die
Lohnsteuer war leistungsbezogen. Glauben Sie, dass Sie
mehr soziale und steuerliche Gerechtigkeit hergestellt ha-
ben, indem Sie nun die Ökosteuer in brutaler Weise und
völlig unabhängig vom Einkommen auch den Kleinen
und Einkommensschwachen auferlegen?
Ich sage erst einmal etwaszur Lohn- und Einkommensteuer. Das Lohnsteuerauf-kommen ist gerade in den Jahren Ihrer Regierungszeit vonJahr zu Jahr deutlich gestiegen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Jörg-Otto Spiller13092
Die veranlagte Einkommenssteuer ist innerhalb weni-ger Jahre in der letzten Wahlperiode zu einem kümmerli-chen Erinnerungsposten zusammengeschmolzen.
1993 wies die veranlagte Einkommensteuer noch eineGrößenordnung von gut 30 Milliarden DM auf. 1997 be-trug sie noch nicht einmal mehr 6 Milliarden DM. Ihrstanden 250 Milliarden DM Lohnsteuereinnahmen ge-genüber.
Wie ist dieses Verhältnis zustande gekommen? Es ist zu-stande gekommen, weil die Einkommensteuerabteilun-gen der Finanzämter in Gegenden, wo gut verdienendeLeute wohnen, zu einer reinen Erstattungskasse verkom-men sind.
Sie haben es nämlich Menschen, die ein gutes, laufendesEinkommen hatten, durch eine Fülle von Steuer-schlupflöchern und Sonderregelungen immer wieder er-möglicht, sich vor dem Finanzamt arm zu rechnen undsich an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben nichtmehr zu beteiligen.
Ich frage Sie, ob Sie
weitere Zwischenfragen des Kollegen Rauen und der Kol-
legin Dr. Höll zulassen. Wenn Sie damit einverstanden
sind, meine Damen und Herren, lasse ich dann keine wei-
teren Zwischenfragen mehr zu. – Herr Kollege Rauen,
bitte.
Herr Kollege Spiller, Sie
wissen als Mitglied des Finanzausschusses, dass die Ein-
kommensteuer laut Statistik deshalb so niedrig war, weil
jemand, der ansonsten Lohnsteuer zahlt, eine Einkom-
mensteuererklärung machen muss, wenn er Sonderab-
schreibungen geltend machen kann.
Das, was Sie eben geschildert haben, hat sehr eindeu-
tig damit zu tun, dass jemand in den 90er-Jahren eine Son-
derabschreibung geltend machen konnte, wenn er in den
neuen Bundesländern Wohnungen oder Büro- und Ge-
werbeflächen gebaut hatte. Das war auch von Ihnen ge-
wollt.
Es ist unredlich, wenn Sie die Sache so darstellen, als
wenn da übliche Steuerschlupflöcher gewesen wären.
Vielmehr hatte das mit dem Wiederaufbau in den neuen
Bundesländern zu tun, und zwar gewollt von allen Par-
teien hier im Hause.
Das, was wir wollten, war
ein System von Zulagen,
eine gezielte Unterstützung von Unternehmen in Ost-
deutschland, die ertragsschwach waren.
Die originär ostdeutschen Betriebe waren in den frühen
90er-Jahren fast alle ertragsschwach.
Denen hilft natürlich eine Sonderabschreibung überhaupt
nicht. Sie haben das nachher ja auch, Herr Kollege Rauen,
dankenswerterweise akzeptiert.
Aufgrund unseres Drängens im Finanzausschuss haben
Sie mitgetragen, dass wir von Sonderabschreibungen auf
Zulagen umgestellt haben.
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage der Kollegin Dr. Höll?
Ja.
Das ist dann die letzte
Zwischenfrage. Anschließend können Sie im Zusammen-
hang vortragen.
Bitte schön, Frau Kollegin.
Herr Kollege Spiller, Sie ha-ben zu Recht darauf hingewiesen, dass in der Regie-rungszeit von Schwarz-Gelb ein Wandel zum Lohnsteu-erstaat eingetreten ist. Ich habe aber noch nicht ganzverstanden, wie Sie eine Umkehr realisieren wollen, dadie Verbreiterung der Bemessungsgrundlage politisch mitder gleichzeitigen massiven Senkung des Spitzensteuer-satzes begründet wurde.
Auch von einer Wiedereinführung der Vermögen-steuer, wie sie von Frau Simonis im Landtagswahlkampfgefordert wurde, sind Sie weit entfernt.
Die Entlastung beim Spitzensteuersatz ist natürlich we-sentlich größer als im unteren Steuerbereich.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Jörg-Otto Spiller13093
Zunächst einmal darf ich
feststellen, dass das Aufkommen der veranlagten Ein-
kommensteuer in den letzten Jahren wieder deutlich ge-
stiegen ist. Wir haben letztes Jahr im Bereich der Ein-
kommensteuer ein Aufkommen in einer Größenordnung
von 26 Milliarden DM.
Das führt natürlich dazu, dass Menschen, die sich dank
ihrer Tüchtigkeit ein gutes Einkommen haben verschaffen
können, auch zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben
herangezogen werden. Das ist so in Ordnung.
Es wird für alle – Arbeitnehmer und Selbstständige –
eine Senkung des Einkommensteuertarifes geben. Es
bleibt aber dabei, dass man sich nicht mehr mit Verlust-
zuweisungen vor dem Finanzamt arm rechnen kann.
Es ist sowieso eine Perversion von Ordnungspolitik, wenn
Investitionsentscheidungen nicht nach Gewinnerwartun-
gen, sondern nach Verlustzuweisungen erfolgen. Das hat
im Übrigen fast immer auch dazu geführt, dass Kapital in
eine falsche Richtung gelenkt wurde. Häufig waren diese
Steuersparmodelle zugleich Vermögensvernichtungsmo-
delle, weil ohne eine vernünftige, nüchterne, kaufmänni-
sche Vorgehensweise sehr viel Unsinn finanziert wurde.
Wir haben wieder mehr Steuergerechtigkeit hergestellt,
indem alle von der Senkung der Tarife profitieren werden,
man sich aber der Steuerpflicht nicht mehr entziehen
kann. Übrigens, Herr Rexrodt: Sowohl die F.D.P. als auch
die Union haben in den Beratungen im Laufe des Jahres
versucht, alle möglichen Lücken, die wir geschlossen ha-
ben, wieder zu öffnen.
Eine letzte Bemerkung zu der Legende, die Herr
Rexrodt vorhin hinsichtlich der Ursachen der Verschul-
dung erzählt hat:
Sie haben immer wieder betont, es gäbe eine simple Er-
klärung für Ihre unsolide Schuldenpolitik,
nämlich die Wiedervereinigung; die Wiedervereinigung
sei die Ursache für den Anstieg der Verschuldung des
Bundes gewesen. Im Jahre 1982, als Helmut Kohl Kanzler
wurde, betrug die Bundesschuld 350 Milliarden DM; bis
Helmut Kohl abgewählt wurde, hatte sich die Schuld in
etwa vervierfacht, nämlich auf 1 450 Milliarden DM. Im
Jahre 1990 – unmittelbar vor der Wiedervereinigung und
in der Mitte der Regierungszeit von Helmut Kohl – betrug
die Bundesschuld einschließlich der Nebenhaushalte
700 Milliarden DM.
Das heißt, in der ersten Hälfte der Regierungszeit hat sich
die Bundesschuld von 350 Milliarden DM auf 700 Milli-
arden DM verdoppelt und in der zweiten Hälfte der Re-
gierungszeit hat sie sich noch einmal verdoppelt.
Sie haben Schulden gemacht, immer im gleichen Rhyth-
mus, ohne wenigstens halbwegs seriös mit dem Geld der
Steuerzahler umzugehen und eine Belastung künftiger
Generationen zu vermeiden.
– Dass Sie das nicht gerne hören, kann ich mir vorstellen.
– Es gefällt Ihnen nicht, wenn man Ihnen nüchtern die
Wahrheit sagt. Das ist Ihnen unbequem.
Wir haben aber inzwischen etwas erreicht. Das liegt an
der Koalition und das liegt an dieser Regierung. Wir ha-
ben zurückgefunden zu der Kombination von soliden Fi-
nanzen und gerechten Steuern. Das hilft der Wirtschaft
und das hilft den Menschen in Deutschland.
Das Wort hat jetzt der
Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen, liebe Kollegen! Seit dem Amtsantritt vonBundesfinanzminister Eichel ist bekanntlich die Redu-zierung der Nettokreditaufnahme zum vorrangigenZiel rot-grüner Haushaltspolitik avanciert. Ganz gewiss:Die Verringerung der gigantischen Zinslasten des Bundessowie die erst jetzt begonnene nennenswerte Tilgung vonBundesschulden – immerhin belaufen sie sich pro Kopfauf 16 600 DM – haben für die Handlungsfähigkeit desBundes große Bedeutung. Haushalts- und Gesellschafts-politik aber können nicht auf den Schuldenabbau, sowichtig dieser auch sein mag, verengt werden.
Notwendig ist vor allem der drastische Abbau der anhal-tend hohen Arbeitslosigkeit. Notwendig ist eine wirklichOffensive für Bildung und Innovationen, für Wissen-schaft und Kultur.Ungeachtet manch positiver Ansätze bleibt, gemessenan diesen Anforderungen, der Haushalt 2001 besondersbezüglich der Zukunftsvorsorge unzureichend. Ich kann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 200013094
die sehr positive und sehr unkritische Einschätzung desKollegen Spiller daher nicht teilen.So braucht vor allem die arg gebeutelte Deutsche Bahnendlich ein Zukunftsprogramm und nicht ständig neueHorrormeldungen aus der Konzernzentrale.
Die überfällige Bahnsanierung, auch mit Bundesmitteln,muss sofort auf einer verlässlichen mittelfristigen Finanz-planung beruhen. Sanierung der Bahn statt Halbierung derBahn, das muss die Devise sein, nicht nur beim Bahnvor-stand, sondern auch bei der Bundesregierung.
Die PDS-Fraktion wendet sich vehement dagegen,dass sich der Zugservice weiter verschlechtert, dass Inter-regio-Verbindungen abgebaut und, Kollege Küster, selbstLandeshauptstädte wie Magdeburg von der Interregio-Verbindung abgekoppelt werden sollen.
Gleichzeitig erwarten wir, dass sich die Bundesregierungund der Bahnvorstand dafür engagieren, dass die Bahn-werke eine verlässliche Perspektive erhalten und dort derdrohende Beschäftigungsabbau durch konkrete Maßnah-men abgewendet wird.
Die Bundesregierung ist gerade auf diesem Zukunfts-feld immens gefordert. Sie kann sich nicht länger, wienoch unter den vorangegangenen Ministern Münteferingund Klimmt, in – ich sage es mal ganz bescheiden – vor-nehmer Zurückhaltung zur Bahn üben.
Das muss endlich vorbei sein.
Auch in der Wohnungspolitik des Bundes und im Bud-get für das Bauwesen sind neue Ansätze vonnöten. So hatdie Bundesregierung lange Zeit die sich zuspitzendenStrukturprobleme in Ostdeutschlands Wohnungswirtschaftin der Tat verschlafen. Jetzt ist ein erster, wenn auch nochbescheidener Budgetansatz geschaffen, der wesentlich aus-gebaut werden sollte.Entschieden mehr Hilfe brauchen auch die Kommu-nen. Auch unter Finanzminister Hans Eichel, selbst mehrals ein Jahrzehnt Oberbürgermeister einer Großstadt, ver-kommen sie immer mehr zu einer Melkkuh für den Bund.
In der Koalitionsvereinbarung hingegen wurden denKommunen noch großzügige Versprechungen hinsicht-lich der Stärkung ihrer Finanzkraft gemacht. Eingelöstaber wurde fast nichts.
All das aber trifft auf den entschiedenen Widerstandder PDS-Fraktion. Die Kommunen wurden im Rahmender Steuerreform überproportional mit Einnahmeausfäl-len konfrontiert und werden das in den nächsten Jahrenimmens zu spüren bekommen. Darüber hinaus hat derBund bekanntlich aus der Versteigerung der Mobilfunkli-zenzen über 100Milliarden DM Einnahmen erhalten – einwahrer Geldsegen! Auf der anderen Seite müssen dies dieKommunen mit Steuerausfällen von 17 Milliarden DM inden nächsten 20 Jahren mit bezahlen. Ein schönes Ge-schäft für den Bund, aber ein Desaster für die Schwachen,die Kommunen! Das ist unverantwortlich.
Deswegen fordern wir als Soforthilfe für die Kommunen,in den Bundeshaushalt 2001 Mittel für eine Investitions-pauschale für die ostdeutschen Kommunen und für Städte,Gemeinden und Landkreise in strukturschwachen Regio-nen im Altbundesgebiet einzustellen. Der Budgetansatzvon 3 Milliarden DM soll direkt aus den UMTS-Erlösenfinanziert werden. Die Mittel sollen unbürokratisch direktvom Bund in die Kassen der Gemeinden fließen und vorallem, Kollege Rauen, dem angeschlagenen Bau- undBaunebenhandwerk zugute kommen und damit Beschäfti-gung fördern.Der Spareifer des Bundesfinanzministers ist sprich-wörtlich. Aber dieser Ruf ist durch den Haushalt 2001 an-geknackst. Während er gemeinsam mit den KollegenScharping und Schily die von uns seit längerem gefor-derte Angleichung der Bezüge der Zeit- und Berufssolda-ten sowie der Zivilbeschäftigten der Bundeswehr ausOstdeutschland an die aus Westdeutschland auf denSankt-Nimmerleins-Tag verschieben möchte – dafürwären weniger als 200 Millionen DM erforderlich –, istihm bei prestigeträchtigen milliardenschweren Großpro-jekten der Bundeswehr offenbar nichts zu teuer. Für dieUmrüstung der Truppe zu einer weltweit agierenden In-terventionsarmee veranschlagt der Bundesfinanzministerbis zum Jahr 2015 die gigantische Summe von 180 Milli-arden DM, ich betone: 180 Milliarden DM.
Herr Kollege, achten
Sie bitte auf Ihre Redezeit. Sie haben sie schon weit über-
zogen.
Ja, nur noch zwei, drei
Sätze. Zum Vergleich: Der Etat für Umwelt im Bundes-
haushalt 2001 umfasst lediglich 1,2 Milliarden DM. Dem
stehen 180 Milliarden für die Interventionsarmee gegen-
über. Mit diesem Etat soll nach dem Willen der rot-grünen
Koalition der Einstieg in das größte Programm zur quali-
tativen Aufrüstung der deutschen Nachkriegsgeschichte
vollzogen werden. Das lehnt die PDS ganz entschieden
ab. Sie sagt Nein zu diesem Haushalt.
Das Wort hat nun dieKollegin Susanne Jaffke, CDU/CSU-Fraktion.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dr. Uwe-Jens Rössel13095
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was in den letztendreieinhalb Stunden in der Diskussion über diesen Haus-haltsansatz gesagt worden ist, war zum großen Teilschlimm.
Ich werde mich bemühen, das etwas besser zu machen.Ich habe den Eindruck, dass jeder hier ein Stück weit nurseine Region vertritt und sich deswegen nicht mehr sosehr um das große Ganze bemüht.Es ist schon bezeichnend, wenn die Bundesregierungso gut wie nichts zum Aufbau in den neuen Bundeslän-dern sagt.
Als eine Abgeordnete aus einer sehr ländlichen Regionin Mecklenburg-Vorpommern kann ich all das, was hierzum Beispiel der Kollege Spiller gesagt hat, überhauptnicht mehr nachvollziehen.
Die Lage des mittelständischen Gewerbes und in derLandwirtschaft ist dort alles andere als rosig. Ihre so ge-nannte Ökosteuer schlägt in den Betrieben aus diesen Be-reichen ganz anders zu Buche, als Sie sich das vorstellen.Ich kenne so gut wie keinen Betrieb in meiner Region, dereine Gewinnversteuerung vornehmen kann, geschweigedenn, dass er etwas ansparen kann; denn die Mittel-ständler in den neuen Bundesländern, gerade die ausden ländlichen Regionen, befinden sich stets und ständigam Rande der Pleite.Die hier immer wieder gerühmte Ökosteuer ist eigent-lich gar nichts weiter als eine Erhöhung der Mineralsteuer.Welche Belastung diese Steuer ist, können Sie am bestenan den Flächenländern sehen, in denen die Menschen aufdas Auto angewiesen sind, wenn sie zur Arbeit kommenwollen; denn die Bahn fährt in vielen Regionen derFlächenländer einfach nicht. Dort gibt es keine Schienen.Da können Sie noch so viel über die Bahn und über die ihrzu gewährenden Zuschüsse reden! Diese Belastungen fürden normalen Arbeiter und Steuerzahler sind von meinenKollegen aus der CDU/CSU-Fraktion und auch von mei-nem Kollegen Rexrodt dankenswerterweise schon sehrgut dargestellt worden.
Dann macht diese Bundesregierung nichts weiter, alsdie Sanierung des Haushalts zulasten der Kommunen zupräsentieren. Die Kommunen werden mit zusätzlichenSozialausgaben belastet. Der kleine Ausgleich, der für diesozial Schwachen als Heizkostenpauschale geleistet wer-den soll, ist zu vernachlässigen.In einer Untersuchung der Landesregierung Mecklen-burg-Vorpommern wird vom dortigen InnenministerTimm, SPD, festgestellt, dass die Kommunen am Randeihrer Finanzkraft sind, dass für Investitionen keine Spiel-räume vorhanden sind. Dieses Gutachten, das von denWirtschaftsweisen bestätigt wird, gerade für die Flächen-länder unter den neuen Bundesländern, wird aber unterVerschluss gehalten und nicht in die Öffentlichkeit getra-gen. Es passt nicht in das ach so schöne Bild, das mit denvielen Millionen DM für Öffentlichkeitsarbeit in diesemHaushalt gemacht werden soll.
Als Berichterstatterin für das Bundesfinanzministe-rium möchte ich auf einige Punkte eingehen, die mit die-sem Haushalt konkret zu tun haben. In diesem Haushaltsind Veranschlagungen für die Betriebe, die als Nachfol-gebetriebe der Treuhandanstalt in den neuen Bundeslän-dern noch tätig sein sollen, enthalten. Im Bereich der Sa-nierung der ehemaligen Braunkohlereviere ist sich derBundesfinanzminister nicht zu schade, die an die LMBVfließenden Investitionsmittel, die mit den Ländern Sach-sen und Brandenburg vertraglich vereinbart sind, um50 Millionen DM zu kürzen. Eigentlich haben die Bele-genheitsländer noch gar nicht zugestimmt. Trotzdem wirdder Betrag gesenkt. Die Leidtragenden sind dann wiederdie auftragnehmenden Sanierungsfirmen mit Sitz in denneuen Bundesländern. Sie müssen die höheren Energie-kosten auffangen und werden mit Sicherheit im nächstenJahr in akute Existenzschwierigkeiten kommen.Gleichzeitig zieht der Bund aus den Nachfolgebetrie-ben der Treuhand, die zum Bundesfinanzministeriumgehören, zusätzliche Liquidität ab. Am Beispiel der TLGlässt sich das verdeutlichen. Die Treuhand Liegenschafts-gesellschaft, die in den neuen Ländern zur Infrastruktur-hilfe ausgegründet wurde, musste in den Jahren 1999 und2000 nach einem Rechnungshofbericht zusätzlich Liqui-dität von über 30 Millionen DM über die BvS demBundeshaushalt zuführen und wird im nächsten Jahr Li-quiditätsprobleme bekommen.Weiterhin muss man feststellen, dass in diesem Haus-halt die Mittel für die Gemeinschaftsausgabe „RegionaleWirtschaftsförderung“ in den neuen Bundesländerngekürzt werden, dass die Mittel für den Straßenbau Ostum 200 Millionen DM gekürzt werden und dass die Mit-tel für Forschung und Entwicklung in den neuen Bundes-ländern auch um 30 Millionen DM gekürzt werden.
All diese Dinge werden in der Öffentlichkeit nur wenigbeachtet.Der Bundesfinanzminister hat einen weiteren Bereichangesprochen. Er möchte Personal abbauen. Was da ge-schieht, ist aber ein Stück aus dem Tollhaus. Da wird mitgroßem Brimborium und Trallala eine Gesellschaft fürEntwicklung, Beschaffung und Betrieb, GEBB genannt,ins Leben gerufen. Eine schlüssige Konzeption für dieseGesellschaft gibt es noch nicht. Minister Scharping hat sienoch nicht vorgelegt. Aber in den letzten beiden Sitzun-gen des Haushaltsausschusses wird per Handzettel dieInformation über den Tisch gereicht, dass die GEBBin Ermangelung anderer Aufgaben die entbehrlichenBundeswehrliegenschaften vermarkten soll. Früher
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 200013096
war es üblich, dass das die Bundesvermögensverwaltunggetan hat. Sie hat es bisher mit gutem Erfolg getan. Auchdie Erlöse, die die Bundesvermögensverwaltung erzielthat, sind in Verstärkungsvermerken dem Verteidigungs-ministerium wieder zugeführt worden. Aber wie ist es ei-gentlich miteinander in Einklang zu bringen, dass Sie aufder einen Seite ankündigen, Personal abzubauen und da-mit Beamten ihre eigentliche Arbeit wegzunehmen, unddass Sie auf der anderen Seite Gesellschaften mit viel bes-ser dotierten Posten und Pöstchen, was die Besoldung an-geht, ins Leben rufen? Ich frage mich wirklich: Wo ist daeigentlich noch Haushaltsklarheit und Haushaltswahr-heit?
Zu der Aushebelung der Beschlüsse des Haushaltsaus-schusses, dass man sich in der Bundesregierung um eineinheitliches Liegenschaftsmanagement kümmern soll,schweigt die Koalition.Am Rande bemerkt sei nur, dass mit dem Haushalt desJahres 2001 die Verbilligungstatbestände bei der Ver-äußerung von Liegenschaften zugunsten von Alten- undPflegeheimen, zugunsten von Frauenhäusern, zugunstenvon Obdachlosenheimen, zugunsten von Kinder- und Ju-gendhilfeprojekten, zugunsten von Werkstätten für geistigund körperlich Behinderte ersatzlos gestrichen wurden,und zwar von einer Regierungskoalition, deren größererPartner das Wort „sozial“ in seinen Namen trägt.
– Diese Dinge anzusprechen tut weh und ich weiß, dasmacht Ihnen Kummer; deshalb verschweigen Sie dies sohartnäckig. An dieser Stelle kann man diese Punkte ein-mal ansprechen.Eine weitere im stillen Kämmerlein ausgehandelteVereinbarung – oder Nichtvereinbarung, wie auch im-mer – ist die Neustrukturierung der Zollverwaltung. DieZollverwaltung, die sich unter Objektivitätsparameternfür die Wirtschaft als Dienstleister und für die Bekämp-fung der Kriminalität in der Zukunft präsentieren soll,weiß bis heute noch nicht, wie ihre endgültigen Struktu-ren aussehen. Ich kann mich noch gut an den Bericht desKollegen Urbaniak erinnern, der in seinem letzten Dis-kussionsbeitrag sehr nachdrücklich gefordert hat, etwasfür die Kriminalitätsbekämpfung zu tun. Vor diesem Hin-tergrund muss er seinen Finanzminister fragen, wie dasmit dessen Aussage in Übereinstimmung zu bringen ist– er hat sie auch vorhin getätigt –, dass er die Zollverwal-tung neu strukturiert, weil Arbeitskräfte abgebaut werdenmüssen und weil man weniger öffentlich Bedienstetebraucht.Ich wünsche uns insgesamt, dass der Spuk dieser Re-gierung bald ein Ende hat und dass die Haushalte ab 2002wieder besser werden.
Jetzt hat der Kollege
Hans-Eberhard Urbaniak, SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über die Kohle rede ichnicht, Herr Rexrodt. Dazu werden wir an anderer StelleGelegenheit haben. Es kommt nur darauf an, dass der Ver-trag eingehalten wird, den Sie unterschrieben haben. Da-von wollen Sie offensichtlich Abstand nehmen. Das istnicht in Ordnung.
Ich möchte nur wenige Punkte erwähnen. Bezogen aufmeine liebenswerte Kollegin Jaffke stelle ich fest, dass dieOpposition sehr verkrampft ist und Gespenster sieht.
Wie kann sie sonst von „Spuk“ reden? Das ist eine sehr ei-gentümliche Sache. Sie müssen sich mit dieser Regierungkonkret auseinander setzen. Entkrampfen Sie sich und be-freien Sie sich vom Spuk! Wenn das geschieht, dann kön-nen wir richtig debattieren.
Bezogen auf den Einzelplan 08 haben wir uns insbe-sondere mit dem Umsatzsteuerbetrug, mit der Gründungder FISCUS GmbH, mit der Strukturentwicklung derBundesfinanzverwaltung, mit der Bekämpfung der illega-len Beschäftigung, mit den personalwirtschaftlichenAuswirkungen und den Folgemaßnahmen und mit denGrundzügen der Sozialverträglichkeit beschäftigt. Dassind alles ganz wichtige Tatbestände, auf die ich im Ein-zelnen kurz eingehen will. Es ist dabei zu erwähnen, dassder Bundesfinanzminister in seinem Haushalt 420 Milli-onen DM – das ist eine enorme Summe – sparen wird. Erhat das Sparen also nicht nur von anderen verlangt, son-dern auch für sich selber akzeptiert.Durch Umsatzsteuerbetrug – wir haben schon des Öf-teren darüber geredet – gehen dem Fiskus jährlich 23Mil-liarden DM verloren. Wir stellen eine zunehmendeAnzahl von Betrügereien fest, seit der Binnenmarkt ent-standen ist. Es sind erhebliche Schwierigkeiten aufgetre-ten, die Betrüger zu fassen. Wir haben daher Maßnahmengetroffen, um das Personal für die Verfolgung derartigerStraftatbestände zur Verfügung zu stellen. Des Weiterenbedienen wir uns zur Informationsgewinnung einer zen-tralen Datenbank und auch einer internationalen Daten-bank in der Fachwissen über internationales Steuerrechtzusammengefasst ist. Außerdem werden wir eine qualifi-zierte Projektgruppe beim Bundesamt für Finanzen ein-richten. Ich hoffe, dass wir damit dem Umsatzsteuerbe-trug besser auf die Spur kommen können; denn es istunerhört, wie die Arbeitnehmer Monat für Monat zur Ab-gabe ihrer Lohnsteuer herangezogen werden, währendhier ganze Gruppen auf kriminelle Art und Weise Staat
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Susanne Jaffke13097
und Gesellschaft betrügen. Damit muss es ein Ende ha-ben, meine Damen und Herren!
Es wird heute schon von einem organisierten Verbrecher-ring gesprochen. Diese Situation fordert uns besondereAktivitäten ab.Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Gründung derFISCUS GmbH, deren Aufgabe als Softwarefabrik eskünftig sein wird, die Steuerverwaltungen des Bundesund der Länder mit einheitlichen Softwareprodukten zuversorgen, damit sie besonders effizient arbeiten können.Sobald wir diese FISCUS GmbH auf Trab gebracht habenwerden, wird allein der Bund 1,3 Milliarden DM mehreinnehmen. Die für den Bundeszuschuss benötigten Kos-ten machen also nur einen Bruchteil der Steuermehrein-nahmen aus.Ein weiterer Punkt ist die Strukturentwicklung derBundesfinanzverwaltung, für die der Finanzministermittlerweile ein Grobkonzept vorgelegt hat. Auch damitsoll ein Beitrag zum Abbau der Staatsverschuldung ge-leistet werden. Wir werden zu einer Neustrukturierung derZollverwaltung, zu einer Straffung der Bundesvermö-gensverwaltung, zu einer Überprüfung der Organisations-strukturen bei den Oberbehörden und zu einer Anpassungdes Organisationsrahmenkonzeptes an die verändertePersonalstruktur des BMF kommen.Wir müssen uns insbesondere mit dem Zoll auseinan-der setzen. Durch den EU-Beitritt der osteuropäischenLänder stellt sich die Frage, welche Aufgaben den beimZoll Beschäftigten übertragen werden sollen, wenn dieZollgrenzen wegfallen werden. Den Zollfahndungsdienstund das Zollkriminalamt wollen wir entscheidend verbes-sern und sie der in der Folge der Verwirklichung des Bin-nenmarktes und der Öffnung der Grenzen nach Osteuropaveränderten Kriminalitätslage anpassen.
Wir werden die Hauptzollämter so organisieren, dassderen Strafsachenstellen mit der Bekämpfung von Klein-kriminalität auch fertig werden können, und werden dieSpezialeinheit des Zollfahndungsdienstes beim Zollkri-minalamt – die so genannte Zentrale Unterstützungs-gruppe Zoll – stärken.
All dies wird sozialverträglich erfolgen. Man wird das mitden Personalräten und den Gewerkschaften – mit ihnenführt man ja Gespräche – wohl vernünftig regeln können.So werden die Umstrukturierungen in diesem Bereichselbstverständlich durch soziale Maßnahmen flankiertwerden.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Bekämpfung derillegalen Beschäftigung. Wir werden hier die Zahl derArbeitskräfte von gegenwärtig 1 100 auf 2 500 erhöhen,werden also 1 400 Personen in diesem Bereich mehr ein-setzen können,
um der illegalen Beschäftigung Herr zu werden. Jedermuss dagegen sein. Was hier auf den Baustellen und in an-deren Bereichen des Arbeitsmarktes erfolgt, ist ein Skan-dal. Darum ist es wichtig, dass wir hier intensiv vorange-hen.
– Ich hoffe, Sie, Herr Rexrodt, haben das richtig zurKenntnis genommen. Sie riefen ja „Hört! Hört!“, aber dasist ja Ihre Art. So soll es auch bleiben. Wir werden unsweiterhin mit Ihnen auseinander setzen.Wir werden also in diesem Bereich vorankommen, zu-mal die Zollbehörden weitere staatsanwaltschaftliche Mög-lichkeiten erhalten werden. Damit wird man derartigerLeute schneller habhaft werden können. Die Zusammen-fassung der Rechenzentren wird ebenfalls vorangebracht.Wir werden die Bundesaufsichtsämter entsprechend ent-wickeln und insbesondere deren Effektivität erhöhen. Allepersonalwirtschaftlichen Maßnahmen, das sage ich nocheinmal sehr deutlich, werden sich an sozialverträglichenGesichtspunkten orientieren.Zum Schluss darf ich festhalten: Insgesamt zielt dieserHaushalt, den der Finanzminister Eichel vorgelegt hat, aufSchuldenabbau bzw. -tilgung, auf Wachstum, auf das Ab-decken von Defiziten, gleichzeitig aber erweitert er dieGestaltungsmöglichkeiten der Politik, für mehr Chancen-gleichheit zu sorgen. Hier konkretisiert sich unsere Poli-tik.
Als Letzter in dieser
Aussprache hat der Kollege Bartholomäus Kalb,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist meinesWissens das erste Mal, dass die Ergebnisse der Steuer-schätzung vom November nicht exakt in den zu be-schließenden Haushalt übernommen werden. Hätten Siedas getan, hätten Sie beispielsweise eine niedrigere Net-tokreditaufnahme ausweisen können. Sie setzen an dieStelle von Haushaltsklarheit und HaushaltswahrheitHaushaltskosmetik. Damit verfolgen Sie meines Erach-tens zwei Ziele:Zum einen müssen Sie sich schlechter rechnen, um dieBegehrlichkeiten aus den eigenen Reihen nicht zu großwerden zu lassen, und Vorsorge dafür tragen, dass derBundeskanzler keinen allzu großen Angriff auf die Kasseunternimmt. Er könnte ja sonst noch häufiger der Auffas-sung verfallen, dass das Erringen von Mehrheiten und dieZustimmung des Bundesrates nur eine Sache des Kauf-preises sei. Diese Sorge ist berechtigt.
Das Zweite ist – es deutet alles darauf hin –: Sie wol-len mit Blick auf den Haushalt 2002 die Eckdaten glätten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Hans-Eberhard Urbaniak13098
Es soll nämlich Vorsorge getroffen werden, dass die be-reits angedachten und für das Wahljahr 2002 vorgesehe-nen Mehrausgaben für die Wahlgeschenke in einem nichtzu negativen Licht erscheinen. Es ist mit den Händen zugreifen: Sie werden vor der Bundestagswahl ein Feuer-werk abbrennen, um damit die Bürger und Wähler zu be-eindrucken und gnädig zu stimmen. Es zeichnet sichschon in diesem Haushalt ab: Nicht eisernes Sparen, son-dern das Verteilen von Wohltaten wird die Devise sein.Warum begrenzen Sie die zusätzlichen Mittel im so ge-nannten Zukunftsinvestitionsprogramm ausdrücklich biszum Jahr 2003 und belassen es bei der alten mittelfristi-gen Finanzplanung? Sie tun dies, weil sie die Effekte vor-her haben möchten und im Jahre 2003 die Bundestags-wahl vorbei ist.Sie schieben, verschleiern und drücken auch bei denPrivatisierungserlösen. Sie haben gar kein Interesse, dieerzielbaren Einnahmen noch dieses Jahr zu realisieren.Denken wir beispielsweise an den Verkauf der Eisen-bahnerwohnungen! Da wollen Sie die Erlöse bewusst erstim nächsten Jahr erzielen, weil Sie dieses Jahr offenbarschon genug Einnahmen haben.
Damit sorgen Sie exakt in dem Sinne vor, den ich geradebeschrieben habe, nämlich im Jahre 2002 mit Geschenkenund Wohltaten durchs Land ziehen zu können.Die Steuereinnahmen des Bundes betrugen 1998341 Milliarden DM. Für das jetzt zu Ende gehende Jahrbeziffern die Steuerschätzer die Einnahmen auf 395 Mil-liarden DM. Das sind innerhalb von zwei Jahren 54 Mil-liarden DM mehr, obwohl Sie ein so genanntes Steuer-entlastungsgesetz und ein Gesetz zur Familienförderungbeschlossen haben. Auch im nächsten Jahr werden dieSteuereinnahmen des Bundes – trotz der ersten Stufe derSteuerreform – um 45 Milliarden DM über den Einnah-men des Jahres 1998 liegen. Nach den Zahlen des Fi-nanzplanungsrates werden die Steuereinnahmen bis zumJahre 2004 dreimal so schnell steigen wie die Ausgabendes Bundes.Trotz dieser Zahlen haben Sie behauptet, eine Steuer-reform, wie wir sie vorgeschlagen und eingebracht ha-ben, sei nicht machbar. Der Finanzminister hat seinerzeitgesagt, sie sei „schlicht und einfach nicht finanzierbar“.
Sie haben sich während der Beratung allen Vorschlägenwidersetzt. Sie waren stur wie ein Panzer. Selbst derKanzler hat alle Änderungsvorschläge abgelehnt. Damalshat er noch höflich gesagt: Das ist es; so wird es gemacht.Heute würde er sagen – mittlerweile ist er zu den Genos-sen etwas unfreundlicher als zu uns –: Basta! – Der wei-tere Fortgang ist bekannt: In der Nacht zum 14. Juli hatteder Kanzler auf einmal eine ganze Menge Geld.
Ob Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren vonder Koalition, mit der Steuerreform glücklich werden,muss sich erst noch zeigen. Sie werden insbesondere imnächsten Jahr, wenn die steuerfreien Milliardentransfersder großen Kapitalgesellschaften in Gang kommen, nochviele Fragen beantworten müssen, warum Sie den Mittel-stand und die Arbeitnehmer ungleich schlechter behan-deln.
Jedenfalls kann jetzt niemand mehr behaupten, es habenicht genügend Spielräume für eine gute, in sich stimmigeund schlüssige Steuerreform gegeben.
Der Bundeskanzler hat in der ersten Lesung diesesHaushalts gesagt, der Begriff „German disease“ – also dasWort von der deutschen Krankheit – gelte nicht mehr under habe den Reformstau überwunden.
Viele haben das auch geglaubt. Auch Herr Spiller hat dieseben erwähnt. Es gilt aber: Wenn Sie Glück haben, wer-den Sie die Steuerreform mit dem Ergänzungsgesetz zumEnde des Jahres in das Gesetzblatt aufnehmen können. Siehaben zwar schon im Mai mit der Information der Bevöl-kerung begonnen. Herr Eichel hat sich 7,5 Millionen DMextra für die zur Information der Bevölkerung über dieMaßnahmen der Steuerreform bewilligen lassen. GroßeAnzeigen sind geschaltet worden. Die Bürger wissenzwar immer noch nicht, was eigentlich auf sie zukommt.Aber zumindest wissen sie jetzt, wie fesch unser Finanz-minister auf einem Schwarz-Weiß-Porträtfoto wirkt.
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Michelbach?
Gerne, Frau Präsi-
dentin.
Bitte sehr.
Herr Kollege Kalb,
können Sie mir sagen, worin eigentlich der Informations-
gehalt in der Haushalts- und Finanzpolitik besteht, wenn
sich Herr Bundesfinanzminister Eichel in voller Körper-
größe auf einer ganzseitigen Anzeige in der Zeitung ab-
bilden lässt?
Herr KollegeMichelbach, ich kann nicht erkennen, wo der Bürger indieser Aufnahme einen Informationswert sehen sollte.Deshalb muss ich zur Beantwortung Ihrer Frage auf zweiAntworten der Bundesregierung in Drucksache 14/3984zurückgreifen, in denen sie mitteilen lässt:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bartholomäus Kalb13099
Mit seinen Informationsanzeigen entspricht das Bun-desfinanzministerium seiner Informationsverpflich-tung. So tritt der Informationsgehalt nicht hinter dieAufmachung zurück, sondern nutzt diese vielmehrzur erfolgreichen Informationsvermittlung. Vor demHintergrund heutiger Seh- und Lesegewohnheitenlenkt sie den Blick der Bürgerinnen und Bürger aufdie in dem Anzeigentext genannten konkreten Infor-mationen ...Weiter heißt es dann:Die personalisierten Informationsanzeigen verstär-ken die oben beschriebenen Mechanismen der Infor-mationskampagne. Das Bild des Bundesministersder Finanzen vergrößert den „Stoppereffekt“ der In-formationsanzeigen ...Mir, Herr Kollege Michelbach, ist allerdings nicht ganzklar, was der „Stoppereffekt“ dieser Anzeige genau seinsoll.
Herr Kollege, nun
kommen Sie mal zur Sache zurück, weil wir gleich in die
Abstimmung eintreten wollen. – Ich bitte um etwas mehr
Ruhe, liebe Kolleginnen und Kollegen, damit der Kollege
von Ihnen allen gehört werden kann.
– Es ist der Wunsch geäußert worden, dass Sie das Bild
noch einmal zeigen, Herr Kollege.
Warum kommt
die Steuerreform erst jetzt? Sie hätte bereits am 1. Ja-
nuar 1998 in Kraft treten können, denn schon damals
war sie vom Deutschen Bundestag beschlossen. Aber
Sie haben sie verhindert und jetzt sagen Sie, Sie hätten
den Reformstau aufgelöst. Bei der Rente doktert Herr
Riester herum, kommt aber nicht in die Gänge.
– Ach, Herr Fischer. – Frau Fischer will erst gar nicht ein Ge-
sundheitsreformgesetz vorlegen. Es war jedenfalls grund-
falsch, dass Sie nach der Regierungsübernahme die Refor-
men zurückgenommen haben; jetzt wissen Sie nicht, wie Sie
die sich daraus ergebenden Probleme lösen sollen.
Mit der Behauptung, Sie hätten den Reformstau aufge-
löst, können Sie ja wohl schlecht die Ökosteuer gemeint
haben.
In 34 Tagen wird die nächste Stufe in Kraft treten, ohne
Rücksicht auf die Belastbarkeit des Bürgers. Mit jeder
Stufe verstärken Sie die Benachteiligung von Rentnern,
Familien mit Kindern und der Bevölkerung im ländlichen
Raum. Wir haben immer darauf hingewiesen, dass die so
genannte Ökosteuer verfassungsrechtlich bedenklich,
wenn nicht falsch ist. Mittlerweile bestätigt Ihnen diese
Auffassung auch der Bundesfinanzhof.
Der Bundesfinanzminister tut manchmal so, als habe er
das Sparen erfunden. Dass er früher ganz andere Auffas-
sungen hatte und eine ganz andere Politik praktiziert hat,
hat Kollege Dr. Rexrodt hier bereits dargelegt.
Bei der 50-Jahr-Feier des Bundesrechnungshofes hat
der Bundesfinanzminister, schon mit Blick auf den euro-
päischen Stabilitätspakt, auf die Notwendigkeit der Haus-
haltskonsolidierung hingewiesen. Diesen Stabilitätspakt
hat im Interesse Europas aber kein anderer als der frühere
Finanzminister Waigel durchgesetzt, in einer Zeit, in der
in Deutschland größte Herausforderungen zu bewältigen
waren, wohl wissend, dass dieses ein sehr ehrgeiziges,
aber richtiges und wichtiges Ziel auch für Deutschland
selbst war.
Die Leitlinien und Ziele waren also exakt vorgegeben.
In der Phase des Aufbaus insbesondere in den neuen Län-
dern sollte eine stringente Politik der Haushaltskonsoli-
dierung und Defizitrückführung folgen. Die Ziele und die
Zeitpläne wurden seinerzeit klar vorgegeben. So verwun-
dert es auch nicht, dass sich die Zieldaten nur ganz unwe-
sentlich unterscheiden.
Im Übrigen gibt es Länder, die ohne die einmalige He-
rausforderung der Wiedervereinigung und ohne beson-
dere Verteidigungslasten wesentlich höhere Schulden
haben. So haben zum Beispiel die sozialistischen Bun-
deskanzler in Österreich 1,8 Billionen Schilling Bundes-
schulden hinterlassen.
Herr Kollege, einen
Augenblick bitte. – Liebe Kolleginnen und Kollegen – das
gilt jetzt für alle Fraktionen –, ich finde es ein bisschen un-
fair, dass Sie munter miteinander plaudern und dem Red-
ner nicht mehr die Chance geben, akustisch durchzudrin-
gen. Ich bitte um ein wenig Ruhe, damit der letzte Redner
dieser Runde gehört werden kann.
Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin,ich danke Ihnen. – In Deutschland werden jetzt die vor-maligen SPÖ-Bundeskanzler als besonders qualifiziertangesehen. Franz Vranitzky hat laut „Focus“ einen „hochdotierten Job als Berater bei der Westdeutschen Landes-bank“ bekommen. Viktor Klima, der letzte SPÖ-Kanzler,macht einen „spektakulären Neustart bei VW“. TätigeMithilfe des deutschen Bundeskanzlers darf wohl unter-stellt werden. Aber Schröder scheint den Österreichernnicht mehr so nahe zu stehen, seitdem dort nicht mehr dieSPÖ regiert.Schröder scheint jedoch nicht nur die Österreicher,sondern auch die Bayern nicht mehr zu mögen. Beim Ar-beitgebertag – so hat mir ein aufmerksamer Fernsehbe-obachter zuverlässig berichtet – hat er sich wieder einmalüber die Bayern ausgelassen. Demnach soll Schröder ge-sagt haben – ich zitiere –, selbstverständlich müssten Aus-länder, die sich in Deutschland integrieren wollten,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bartholomäus Kalb13100
Deutsch lernen. Dabei – so Schröder weiter – denke eraber nicht nur an Ausländer, sondern auch an so manchenBayern.Ich gebe ja zu, dass ich lieber bayerisch spreche undim Deutschen vielleicht Fehler mache. Aber das ist nochlange kein Grund dafür, dass der Bundeskanzler glaubt,er könne uns Bayern beleidigen. Wenn er mit seinemDeutsch in Bayern besser verstanden würde, würde erdort vielleicht auf mehr Zustimmung stoßen.Seine Haltung liegt auf der gleichen Linie wie dieAndrohung, er werde den Bayern „Steine statt Brot“ ge-ben, die Bemerkung von Frau Däubler-Gmelin hinsicht-lich des Bayerischen Waldes und die Äußerung des HerrnNaumann, der von „barocker Verfassungsfolklore“ sprach.Der Bundeskanzler und Teile der Regierung haben wohleine tief sitzende Abneigung gegen Bayern
und gegen den Süden insgesamt entwickelt, und zwar nurdeshalb, weil dort nicht gleich alle in Ehrfurcht vor derBundesregierung erstarren und man sich dort sogar er-laubt, anders zu wählen, als der Herr Bundeskanzler dasgerne hätte.Der Erfolg der Südstaaten tut sein Übriges. Ohne dieseErfolge im Süden aber sähen für die Regierung Schröderwichtige Zahlen und entsprechende Kennziffern sehr vielschlechter aus.
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst zu Ein-
zelplan 08 – Bundesministerium der Finanzen – in der
Ausschussfassung. Es liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion der PDS auf Drucksache 14/4736 vor, über den
wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungs-
antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 08 in der Ausschuss-
fassung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Einzel-
plan 08 ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Abstimmung über den Einzelplan 32 – Bundesschuld –
in der Ausschussfassung. Es liegt ein Änderungsantrag
der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/4745 vor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Ge-
gen die Stimmen von CDU/CSU bei Stimmenthaltung der
PDS ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 32 in der Ausschuss-
fassung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Einzel-
plan 32 ist angenommen.
Abstimmung über den Einzelplan 60 – Allgemeine Fi-
nanzverwaltung – in der Ausschussfassung. Hierzu lie-
gen Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstim-
men. Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/4737. Wer stimmt für diesen Änderungs-
antrag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Bei Enthaltung
von PDS und F.D.P. gegen die Stimmen der CDU/CSU
ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksa-
che 14/4738. Die Fraktion der F.D.P. hat namentliche Ab-
stimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. –
Sind alle Urnen besetzt? – Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Alle Mitglieder des Hau-
ses, soweit sie da sind, haben ihre Stimmen abgegeben. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Meine Damen und Herren, bevor ich die Sitzung un-
terbreche, haben wir noch über Anträge abzustimmen.
Ich habe noch einen Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/4739. Wer stimmt für die-
sen Änderungsantrag? – Danke schön. Wer stimmt dage-
gen? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nun noch über einen Änderungsantrag
der Fraktion der PDS ab. Wer stimmt für den Änderungs-
antrag auf Drucksache 14/4742? – Gegenprobe! – Wer
enthält sich? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich unterbreche die Sitzung bis zum Vorliegen des Er-
gebnisses der namentlichen Abstimmung.
Die unterbrocheneSitzung ist wieder eröffnet.Ich gebe nun das von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichenAbstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion derF.D.P. zu Einzelplan 60 auf Drucksache 14/4738 bekannt:Abgegebene Stimmen 606. Mit Ja haben gestimmt 74, mitNein haben gestimmt 363, Enthaltungen 169. – Der Än-derungsantrag ist abgelehnt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bartholomäus Kalb13101
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 606;davonja: 74nein: 363enthalten: 169JaCDU/CSUOtto Bernhardt
Dr. Karl-Heinz HornhuesThomas KossendeyJulius LouvenDr. Christian Schwarz-SchillingF.D.P.Ina Albowitz
Rainer BrüderleErnst BurgbacherJörg van EssenUlrike FlachHorst Friedrich
Rainer Funke
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 200013102
Hans-Michael GoldmannJoachim Günther
Dr. Karlheinz GuttmacherKlaus HauptUlrich HeinrichWalter HircheBirgit HomburgerDr. Werner HoyerUlrich IrmerDr. Klaus KinkelDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppJürgen KoppelinIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerDirk NiebelGünther Friedrich Nolting
Cornelia PieperDr. Günter RexrodtDr. Edzard Schmidt-JortzigGerhard SchüßlerDr. Irmgard SchwaetzerMarita SehnDr. Hermann Otto SolmsDr. Max StadlerDr. Dieter ThomaeJürgen TürkDr. Guido WesterwelleP.D.S.Dr. Dietmar BartschPetra BlässMaritta BöttcherEva Bulling-SchröterRoland ClausHeidemarie EhlertDr. Heinrich FinkDr. Ruth FuchsWolfgang GehrckeDr. Gregor GysiUwe HikschDr. Barbara HöllCarsten HübnerUlla JelpkeSabine JüngerDr. Evelyn KenzlerDr. Heidi Knake-WernerRolf KutzmutzHeidi LippmannUrsula LötzerDr. Christa LuftHeidemarie LüthPia MaierAngela MarquardtKersten NaumannRosel NeuhäuserChristine OstrowskiDr. Uwe-Jens RösselChristina SchenkGustav-Adolf SchurDr. Ilja SeifertNeinSPDBrigitte AdlerIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHermann BachmaierErnst BahrDoris BarnettDr. Hans Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Ingrid Becker-InglauWolfgang BehrendtDr. Axel BergHans-Werner BertlFriedhelm Julius BeucherPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigKlaus BrandnerAnni Brandt-ElsweierWilli BraseDr. Eberhard BrechtRainer Brinkmann
Bernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannEdelgard BulmahnDr. Michael BürschHans Martin BuryHans Büttner
Marion Caspers-MerkWolf-Michael CatenhusenDr. Peter DanckertDr. Herta Däubler-GmelinChristel DeichmannKarl DillerPeter DreßenDetlef DzembritzkiDieter DzewasDr. Peter EckardtSebastian EdathyLudwig EichMarga ElserPeter EndersGernot ErlerPetra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Gabriele FograscherIris FollakNorbert FormanskiRainer FornahlHans ForsterDagmar FreitagPeter Friedrich
Lilo Friedrich
Harald FrieseAnke Fuchs
Arne FuhrmannMonika GanseforthKonrad GilgesIris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacGünter Graf
Angelika Graf
Dieter GrasedieckKerstin GrieseAchim GroßmannWolfgang GrotthausHans-Joachim HackerKlaus HagemannManfred HampelChristel HanewinckelAlfred HartenbachAnke HartnagelKlaus HasenfratzNina HauerHubertus HeilReinhold HemkerFrank HempelRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogMonika HeubaumReinhold Hiller
Stephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid HolzhüterEike HovermannChristel HummeLothar IbrüggerBarbara ImhofBrunhilde IrberGabriele IwersenRenate JägerJann-Peter JanssenIlse JanzDr. Uwe JensVolker Jung
Johannes KahrsUlrich KasparickSabine KaspereitSusanne KastnerUlrich KelberHans-Peter KemperKlaus KirschnerMarianne KlappertSiegrun KlemmerHans-Ulrich KloseWalter KolbowFritz Rudolf KörperKarin KortmannNicolette KresslVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerHorst KubatschkaErnst KüchlerHelga Kühn-MengelUte KumpfKonrad KunickDr. Uwe KüsterWerner LabschChristine LambrechtBrigitte LangeChristian Lange
Detlev von LarcherChristine LehderDr. Elke LeonhardEckhart LeweringGötz-Peter Lohmann
Christa LörcherErika LotzDr. Christine LucygaDieter Maaß
Winfried ManteDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkUlrike MascherChristoph MatschieHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MehlUlrike MertenAngelika MertensDr. Jürgen Meyer
Ursula MoggChristoph MoosbauerSiegmar MosdorfMichael Müller
Jutta Müller
Christian Müller
Franz MünteferingAndrea NahlesVolker Neumann
Dr. Edith NiehuisDr. Rolf NieseDietmar NietanGünter OesinghausEckhard OhlLeyla OnurManfred OpelHolger OrtelAdolf OstertagKurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinJohannes PflugDr. Eckhart PickJoachim PoßDr. Carola ReimannMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterReinhold RobbeGudrun RoosRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Birgit Roth
Gerhard RübenkönigMarlene RupprechtThomas SauerDr. Hansjörg SchäferGudrun Schaich-WalchBernd ScheelenSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyDieter Schloten
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Carsten Schneider
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000 13103
Dr. Emil SchnellWalter SchölerOlaf ScholzKarsten SchönfeldFritz SchösserOttmar SchreinerGerhard SchröderGisela SchröterDr. Mathias SchubertRichard Schuhmann
Brigitte Schulte
Volkmar Schultz
Ewald SchurerDr. R. Werner SchusterDietmar Schütz
Dr. Angelica Schwall-DürenRolf SchwanitzBodo SeidenthalErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWieland SorgeWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltAntje-Marie SteenLudwig StieglerRolf StöckelRita Streb-HesseReinhold Strobl
Dr. Peter StruckJoachim StünkerJoachim TappeJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesUta Titze-StecherAdelheid TröscherHans-Eberhard UrbaniakRüdiger VeitSimone ViolkaUte Vogt
Hans Georg WagnerHedi WegenerDr. Konstanze WegnerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Matthias WeisheitGunter Weißgerber
Dr. Ernst Ulrich vonWeizsäckerJochen WeltDr. Rainer WendHildegard WesterDr. Margrit WetzelDr. Norbert WieczorekJürgen Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulDieter WiefelspützKlaus WiesehügelBrigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena Wohlleben
Heidemarie WrightUta ZapfPeter ZumkleyCDU/CSUNorbert BarthleBrigitte BaumeisterRenate BlankPeter BleserSylvia BonitzGeorg BrunnhuberDankward BuwittManfred Carstens
Albert DeßDirk Fischer
Norbert GeisDr. Reinhard GöhnerPeter GötzCarl-Detlev Freiherr vonHammersteinManfred HeiseJosef HollerithSiegfried HornungGeorg JanovskyDr. Harald KahlSteffen KampeterDr.-Ing. Dietmar KansyVolker KauderHartmut KoschykDr. Hermann Kues
Meinolf MichelsNorbert Otto
Klaus RiegertFranz Romer
Dr. Klaus RoseKurt J. RossmanithAdolf Roth
Dr. Andreas SchockenhoffDr. Erika SchuchardtGerhard SchulzDiethard Schütze
Carl-Dieter SprangerMax StraubingerMichael StübgenAribert WolfPeter Kurt WürzbachWolfgang ZeitlmannBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENGila Altmann
Marieluise Beck
Volker Beck
Angelika BeerMatthias BerningerGrietje BettinAnnelie BuntenbachEkin DeligözDr. Thea DückertFranziska Eichstädt-BohligDr. Uschi EidHans-Josef FellAndrea Fischer
Joseph Fischer
Katrin Göring-EckardtRita GrießhaberWinfried HermannAntje HermenauUlrike HöfkenMichaele HustedtMonika KnocheDr. Angelika Köster-LoßackSteffi LemkeDr. Helmut LippeltDr. Reinhard LoskeOswald MetzgerKerstin Müller
Winfried NachtweiChrista NickelsCem ÖzdemirSimone ProbstChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkRezzo SchlauchWerner Schulz
Christian SimmertChristian SterzingHans-Christian StröbeleJürgen TrittinDr. Antje VollmerSylvia VoßHelmut Wilhelm
Margareta Wolf
EnthaltenCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AltmaierDietrich AustermannDr. Wolf BauerGünter BaumannMeinrad BelleDr. Sabine Bergmann-PohlHans-Dirk BierlingDr. Heribert BlensDr. Maria BöhmerJochen BorchertWolfgang BosbachDr. Wolfgang BötschKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepePaul BreuerMonika BrudlewskyHartmut Büttner
Cajus Caesar
Leo DautzenbergWolfgang DehnelHubert DeittertRenate DiemersThomas DörflingerHansjürgen DossMaria EichhornRainer EppelmannAnke Eymer
Ilse FalkDr. Hans Georg FaustAlbrecht FeibelUlf FinkIngrid Fischbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeHans-Joachim FuchtelDr. Jürgen GehbGeorg GirischMichael GlosDr. Wolfgang GötzerKurt-Dieter GrillHermann GröheManfred GrundHorst Günther
Norbert Hauser
Helmut HeiderichUrsula HeinenSiegfried HeliasHans Jochen HenkeErnst HinskenPeter HintzeKlaus HofbauerMartin HohmannKlaus HoletschekJoachim HörsterHubert HüppeSusanne JaffkeDr.-Ing. Rainer JorkBartholomäus KalbIrmgard KarwatzkiEckart von KlaedenUlrich KlinkertNorbert KönigshofenEva-Maria KorsRudolf KrausDr. Martina KrogmannDr. Paul KrügerKarl Lamers
Dr. Norbert LammertHelmut LampDr. Paul LaufsKarl-Josef LaumannVera LengsfeldWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Eduard LintnerDr. Manfred LischewskiDr. Michael Luther
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzel-plan 60 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist derEinzelplan 60 angenommen.Abstimmung über den Einzelplan 20. – Bundesrech-nungshof – in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –Wer stimmt dagegen? – Der Einzelplan 20 ist einstimmigangenommen.Nun rufe ich Zusatzpunkt 3 auf:Erste Beratung des von den Fraktionen SPD undBÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes über das Verbot des Ver-fütterns, des innergemeinschaftlichen Verbrin-gens und der Ausfuhr bestimmter Futtermittel– Drucksache 14/4764 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für GesundheitEine Aussprache ist nicht vorgesehen.Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-wurfes auf Drucksache 14/4764 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es an-derweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann istdie Überweisung so beschlossen.Ich rufe auf:Einzelplan 17Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und Jugend– Drucksachen 14/4516, 14/4521 –Berichterstattung:Abgeordnete Antje-Marie SteenDr. Michael LutherAntje HermenauJürgen KoppelinHeidemarie EhlertEs liegen ein Änderungsantrag der Fraktion derCDU/CSU und ein Änderungsantrag der Fraktion derPDS vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Dazu höre ich kei-nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die KolleginMaria Eichhorn, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Nach zwei Jahren rot-grünerRegierung muss ich feststellen: Die Politik der RegierungSchröder geht zulasten der Familien.
Dass Rot-Grün die Familienpolitik links liegen lassenwürde, war spätestens dann klar, als Gerhard Schröderseine Familienministerin mit den Worten vorstellte, FrauBergmann sei für Frauen, Familie und das sonstige Ge-döns zuständig. Statt Familien zu fördern, haben Sie mitder Verabschiedung des Lebenspartnerschaftsgesetzes imDeutschen Bundestag gleichgeschlechtliche Lebensge-meinschaften der Ehe nahezu gleichgestellt.Während der Abstand des Pro-Kopf-Einkommens zwi-schen Familien und Nichtfamilien rapide wächst, wollenSie gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften unteranderem sowohl im Steuer- und im Unterhalts- als auchim Versorgungsrecht der Ehe gleichstellen. Das ist einSkandal.
Mit diesem Gesetz haben Sie die Stellung der Ehe ent-wertet. Wir werden das nicht hinnehmen.Sie brüsten sich mit der Kindergelderhöhung um50 DM auf 270 DM. Diese reicht aber nicht aus, um denForderungen des Bundesverfassungsgerichts gerecht zu
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Vizepräsidentin Anke Fuchs13104
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterFriedrich MerzHans MichelbachDr. Gerd MüllerBernward Müller
Elmar Müller
Bernd Neumann
Claudia NolteGünter NookeFranz ObermeierFriedhelm OstEduard OswaldDr. Peter PaziorekAnton PfeiferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzMarlies PretzlaffDr. Bernd ProtznerThomas RachelHans RaidelDr. Peter RamsauerHelmut RauberPeter RauenChrista Reichard
Erika ReinhardtHans-Peter RepnikDr. Heinz RiesenhuberNorbert RöttgenDr. Christian RuckVolker RüheAnita SchäferHartmut SchauerteHeinz SchemkenGerhard ScheuNorbert SchindlerDietmar SchleeBernd SchmidbauerDr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt
Hans Peter Schmitz
Birgit Schnieber-JastramDr. Rupert ScholzReinhard Freiherr vonSchorlemerHorst SeehoferHeinz SeiffertDr. h. c. Rudolf SeitersBernd SiebertJohannes SinghammerBärbel SothmannWolfgang SteigerErika SteinbachDr. Wolfgang Freiherr vonStettenAndreas StormDorothea Störr-RitterMatthäus StreblDr. Rita SüssmuthDr. Susanne TiemannEdeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzAngelika VolquartzAndrea VoßhoffDr. Theodor WaigelPeter Weiß
Gerald Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Klaus-Peter WillschBernd WilzWilly Wimmer
Matthias WissmannWerner WittlichDagmar WöhrlBenno ZiererWolfgang Zöllerwerden. Die durch das Verfassungsgerichtsurteil erzwun-gene erste Erhöhung des Kinderfreibetrags um 3 000 DMkommt nur etwa 10 Prozent der Bevölkerung zugute. Diegroße Mehrheit muss sich jedoch mit dem Kindergeld be-gnügen. Während die maximale Entlastungswirkung desKinderfreibetrages jährlich 1 500 DM beträgt, erhalten90 Prozent der Eltern mit der Kindergelderhöhung weitweniger: Es sind in diesem Jahr insgesamt 240 DM.
Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtsmüsste der Kinderfreibetrag in der zweiten Stufe, nämlichzum 1. Januar 2002, nochmals um circa 3 000 DM ange-hoben werden. Die Meldungen des Wochenendes lassenjedoch befürchten, dass der Kinderfreibetrag und dasKindergeld nur geringfügig erhöht werden. Der DeutscheFamilienverband hat gestern dazu ganz klar gesagt – ichzitiere –: „30 DM Kindergeld mehr sind absolut nicht ak-zeptabel.“Statt dafür zu sorgen, dass die Familien die Förderungerhalten, die ihnen nach dem Verfassungsgerichtsurteilzusteht, belasten Sie diese zusätzlich. Die Ökosteuer gehtnicht nur durch die höheren Energiekosten zulasten derFamilien, sondern auch durch die Verwendung der Steuer-einnahmen zur Rentenfinanzierung. Ein Single bekommtbei gleichem Bruttoeinkommen dieselbe Beitragsent-lastung wie eine mehrköpfige Familie. Dadurch klafft dieEinkommensschere zwischen Familien und Nichtfami-lien noch weiter auseinander.Die im Juli beschlossene Steuerreform wird die Kluftnoch verschärfen: Während Ledige mit einem Einkom-men von 60 000 DM im Jahr 2005 mit 2 098 DM entlas-tet werden, spart eine vierköpfige Familie mit dem glei-chen Bruttoeinkommen nur 1 860 DM. Ab einem höherenEinkommen wird die Kluft noch deutlicher. Das heißt,durch die Steuerreform 2000 wird der Einkommens-abstand zwischen Kinderlosen und Familien systematischausgebaut. Daraus folgt ein zunehmender Verlust von Le-bens- und Entwicklungschancen für Kinder und deren El-tern. Ein Kommentar des „Tagesspiegels“ vom 7. No-vember 2000 spricht von einem „Webfehler“ rot-grünerFamilienpolitik. Ich zitiere: „Man tut nicht nur zu wenig,man tut es auch auf falsche Weise.“Auch bei der Rentenreform sind Familien mit geringe-ren Einkommen massiv benachteiligt. Bei der Privatvor-sorge können Arbeitnehmer mit einem hohen Einkommeneine um 400 DM höhere Förderung erhalten als eine Fa-milie mit zwei Kindern und einem durchschnittlichenEinkommen. Auch hier geht Ihre Politik wieder zulastender Familien.Die großen Verlierer der Rentenreform sind dieFrauen. Frau Ministerin, ich vermisse Ihren Protest gegendieses Rentenkonzept. Sie sind in doppelter Weise ge-fragt, nämlich als Frauen- und als Seniorenministerin. DieSenkung des Rentenniveaus auf 61 Prozent trifft dieMehrzahl der Rentner, die Frauen, besonders hart. Diesekommen in Deutschland im Durchschnitt auf 28 Bei-tragsjahre. Damit fällt das Rentenniveau für viele Frauenunter 50 Prozent. So treiben Sie Frauen in die Altersarmut.Das ist unverantwortlich, meine Damen und Herren vonder Regierung.
Ich kann mich der Mitgliederversammlung des Deut-schen Frauenrates vom 10. November 2000 nur anschlie-ßen und Sie auffordern – ich zitiere –, „endlich einegenerationengerechte, sozialverträgliche, frauen- und fa-milienfreundliche Reform auf den Weg zu bringen“.Frau Ministerin, Ihre Eckpunkte für ein Gleichstel-lungsgesetz, die Sie im September vorgelegt haben, wer-den nicht das bringen, was Sie erreichen wollen. Sie sindeinerseits zu unverbindlich, andererseits aber drohen Siemit Zwangsmaßnahmen. Es hat ja auch sehr lange gedau-ert, bis Sie wenigstens die Eckpunkte vorgelegt haben.Trotz aller Ankündigungen des Bundeskanzlers in seinerRegierungserklärung ist es für die Frauministerin wohläußerst schwer, sich mit ihren Vorstellungen beim Bun-deskanzler Gehör zu verschaffen.Bereits vor einem Jahr hat das Bundeskabinett den Ak-tionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen be-schlossen. Viele der dort angesprochenen Maßnahmenliegen in der Verantwortung der Länder und Kommunen,wo Sie nur eine begrenzte Einflussmöglichkeit haben.Der angekündigte Gesetzentwurf für ein so genanntesGewaltschutzgesetz liegt jedoch in der Zuständigkeit desBundes. Hier könnten Sie handeln. Machen Sie Druck beiIhrer Kollegin, der Frau Justizministerin, damit der Ge-setzentwurf endlich auf den Tisch kommt.Nach langem Hin und Her liegt nun endlich das Heim-gesetz vor. Es schafft viel Bürokratie, bringt aber kaumVerbesserungen. Obwohl die Personaldecke heute schonsehr dünn ist, werden der Heimaufsicht eine Fülle von Be-ratungs- und Aufsichtspflichten vorgeschrieben.Es ist grundsätzlich richtig, dass die Beratung von Se-niorinnen und Senioren verstärkt wird. Aber gerade Bera-tung ist personal- und kostenintensiv. Wenn Sie behaup-ten, das Gesetz sei kostenneutral, ist dies aus Sicht derKostenträger ein schlechter Witz.Frau Ministerin, ein absolutes Stiefkind Ihrer Politik istder Jugendmedienschutz. Eine Anhörung vor zwei Wo-chen, die auf Antrag der CDU/CSU durchgeführt wurde,hat gezeigt, dass Gewalt, Pornographie und Rechtsradi-kalismus in Internet und Fernsehen brennende Themensind. Die Auswirkungen werden immer wieder in ganz er-schreckender Weise deutlich.Wir brauchen im Bereich des Jugendmedienschutzeswirksame Regelungen, die für gleiche Medieninhalteauch vergleichbare Maßnahmen vorsehen. Es reicht nichtaus, dies den Ländern zu überlassen, wie es mancherortsgefordert wird. Gerade vor dem Hintergrund der weltwei-ten Vernetzung dürfen Sie sich Ihrer bundespolitischenVerantwortung nicht entziehen. Sie müssen aktiv undnachhaltig dazu beitragen, dass europa- und weltweit ge-meinsame Strategien und Standards gefunden werden, umden Jugendschutz auch im Internet wirksam umzusetzen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Maria Eichhorn13105
Frau Kollegin, den-
ken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Gleichzeitig müssen
die Jugendschutzregelungen den neuen Entwicklungen
besser angepasst werden. Aber Sie haben ja nicht einmal
dafür gesorgt, dass die bestehenden Regelungen umge-
setzt werden.
Frau Ministerin, wir erwarten von Ihnen, dass Sie die
Anliegen von Familien und Senioren, von Frauen und Ju-
gendlichen in dieser Regierung kraftvoll vertreten. Ihre
bisherige Politik wird diesem Maßstab nicht gerecht.
Ich erteile nun der
Kollegin Antje-Marie Steen, SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Frau Eichhorn, ich ersparemir, auf diesen politischen Rundumschlag einzugehen.Ich glaube, er hat sich von alleine disqualifiziert. Insofernerspare ich mir nähere Ausführungen.
Konsolidieren und sozial gerecht reformieren – dieserLeitlinie der Bundesregierung folgt auch der Ihnen vor-liegende Entwurf des Einzelplans 17. Damit entspricht erden strikten Vorgaben, zu denen sich die Bundesregierungund die sie tragenden Fraktionen verpflichtet haben: ers-tens, der Konsolidierung der Staatsfinanzen und zweitens,den Bemühungen, den angewachsenen Reformstau auf-zulösen.Bereits mit den vorausgegangenen Haushalten unterunserer Verantwortung haben wir ein Reformprogrammbegonnen, das eine aktiv gestaltende moderne Familien-,Frauen-, Jugend- und Seniorenpolitik wieder in den Mit-telpunkt politischen Handelns rückt.
Frau Eichhorn, ich sage Ihnen nachdrücklich: Lesen Siees einmal nach, vielleicht ist es Ihnen ja entgangen. Ichwill mich nicht wiederholen, möchte aber an die Reformdes Zivildienstgesetzes, dabei besonders an die Gleich-stellung bei der Besoldung und der Verkürzung derDienstzeit, an die Regelung im Unterhaltsvorschussge-setz und an das Aktionsprogramm zur gewaltfreien Erzie-hung erinnern. Wir haben hier einen großen Schritt nachvorne getan. Ich möchte weiter an die Aufstockung desBundesaltenplanes sowie an andere Maßnahmen erin-nern, die in diesem Haushalt ihre Verstetigung finden. Wirmachen keine kurzatmigen, sondern auf Dauer angelegteReformen.Damit setzen wir unsere Bemühungen zu einem Re-formhaushalt fort; eine Ausgabenminderung von2,23 Prozent halte ich für ein sehr moderates Vorgehen.Angesichts eines uns von der Vorgängerregierung hinter-lassenen Schuldenberges von 1,5 Billionen DM und derdaraus resultierenden Zinsbelastung von über 82 Milli-arden DM bleibt uns nichts anderes übrig.
Ich kann Ihnen aber versichern, dass wir im Rahmen un-serer Beratungen im Haushaltsausschuss noch zusätzlicheMittel in Höhe von 41,13 Millionen DM haben einstellenkönnen, um für besondere politische Schwerpunkte einenfinanziellen Rahmen darzustellen.Große Priorität im Haushalt 2001 genießt – wie immerfür uns – die Verbesserung der Lebenssituation der Fa-milien. Nach den Jahren der Vernachlässigung durch diekonservativ-liberalen Fraktionen setzen wir durch eineNovellierung des Bundeserziehungsgeldgesetzes das fort,was wir bereits mit der steuerlichen Entlastung der Fami-lien durch BAföG und eine Erhöhung des Kindergeldesbegonnen haben. 14 Jahre lang wurden die Einkommens-grenzen für das Erziehungsgeld nicht angehoben. Damitnahmen Sie, meine Damen und Herren der ehemaligenRegierungsfraktionen, billigend in Kauf, dass junge Fa-milien in wirtschaftliche Nöte gerieten, sich immer weni-ger junge Menschen für ein Kind entscheiden konntenund die Frauen die Erziehungsarbeit überproportionalübernehmen mussten.
Durch die inhaltliche Verbesserung des Gesetzes sindjetzt weitaus mehr Familien antragsberechtigt bzw. erhal-ten das volle Erziehungsgeld für einen längeren Zeit-raum.
Alternativ zum monatlichen Erziehungsgeld in Höhe von600 DM über einen Zeitraum von 24 Monaten könnensich Eltern auch für eine verkürzte Bezugsdauer von ei-nem Jahr entscheiden und erhalten dann monatlich900 DM. Mit diesen und anderen neuen Wahlmöglichkei-ten eröffnen sich den Eltern mehr Chancen, die Erzie-hungsarbeit individuell zu gestalten.Damit verbessern wir die Voraussetzungen für die Ver-einbarkeit von Familie und Beruf für beide Elternteile we-sentlich. Auch das ist ein Schritt auf dem Weg hin zu ei-ner auf Emanzipation setzenden Gleichstellungspolitik,der wir einen hohen Rang einräumen und die wir als An-gebot an die Lebensplanung und Lebensentwürfe jungerFamilien auch noch erweitern werden.
Für die Maßnahmen der Frauenpolitik bleibt es bei ei-nem Haushaltsansatz in Höhe von 40 Millionen DM. Sostehen zur Verwirklichung der Gleichstellung von Mannund Frau 22 Millionen DM zur Verfügung. In diesem Zu-sammenhang seien beispielsweise die Programme „Frauund Beruf“, „Chancen für Existenzgründerinnen“,„Neues Leitbild für Männer“ und „IDEE – IT“, mit dem
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 200013106
speziell jungen Frauen zukunftsweisende Berufe in derIT-Branche näher gebracht werden sollen, genannt.Ich kann die Frau Ministerin und ihr Ministerium nursehr herzlich bitten, für diese und andere Maßnahmen ei-ner zukunftsorientierten Frauen- und Familienpolitik inihrem Engagement, für das ich im Namen meiner FraktionDank sagen möchte, nicht nachzulassen.
Ein gleich großes Augenmerk gilt dem Bereich derKinder- und Jugendpolitik – einem politischen Schwer-punkt unserer parlamentarischen Arbeit. Dies schlägt sichauch in diesem Haushaltsentwurf nieder. So erhöhen sichdie Ansätze im Kinder- und Jugendplan um 2 Milli-onen DM für ein deutsch-israelisches Jugendwerk, damitwir neben den bereits etablierten Jugendwerken mitFrankreich, Polen und der Tschechischen Republik deminternationalen Jugendaustausch einen größeren Aktions-radius einräumen können. Für die nahe Zukunft solltendie Länder, die der EU beitreten wollen, zum Beispiel diebaltischen Staaten, in diese Programme intensiver einbe-zogen werden. Gerade unter dem aktuellen Aspekt des im-mer stärkeren Anwachsens von Fremdenfeindlichkeit un-ter Jugendlichen müssen die Begegnungsmöglichkeitenund das Kennenlernen anderer Kulturen und Lebenswei-sen erweitert werden.
Wir setzen – mit dem gleichen Mittelansatz wie imVorjahr, nämlich mit 15 Millionen DM – das sehr ehrgei-zige und äußerst erfolgreiche Programm „Entwicklungund Chancen für junge Menschen in sozialen Brenn-punkten“ fort, das sowohl in Städten als auch in struktur-schwachen ländlichen Räumen zum Abbau von Defizitenbei beruflicher und gesellschaftlicher Integration beiträgt.Da, wo für Kinder und Jugendliche ein Mangel an ganz-heitlichen, integrierten und vernetzten Sozialisationshil-fen und Erziehungsstrategien besteht, trägt diese Pro-grammplattform zur Aktivierung und Beteiligung von vorOrt tätigen Organisationen, Ämtern und ehrenamtlichTätigen bei. Ich glaube, jeder von uns hat in seiner Regionein solches Projekt und kann sich auch von dem Erfolgdieses Projektes selbst überzeugen.Die Eingliederung junger Spätaussiedler und jungerausländischer Flüchtlinge bleibt eine wichtige Aufgabe.Hierbei kommt dem Erwerb deutscher Sprachkenntnissegroße Bedeutung zu. Mit 146Millionen DM ist dieser An-satz auch nach den Richtlinien des Garantiefonds ausrei-chend. Derzeit wird ein neues Sprachkonzept entwickelt,das neben der Qualitätssicherung des Sprachunterrichtsauch Dauer und Umfang der Maßnahme und den Kreisder Teilnahmeberechtigten regelt und eine klare Kompe-tenzregelung zwischen den beteiligten Ministerien ver-sucht. Es wird ab 2002 zum Einsatz kommen. Sie werdensicherlich noch im Fachausschuss Gelegenheit haben,hierüber zu diskutierenUm die soziale Betreuung junger Aussiedler sicherzu-stellen, stehen den Jugendgemeinschaftswerken 50 Milli-onen DM für zur Verfügung.Wenn Kinder zu Jugendlichen heranwachsen, sind wiralle gefordert, ihnen einen angemessenen Platz in unsererGesellschaft zu sichern. Ganz besonders deutlich wird dasin letzter Zeit, wo ein anwachsendes Potenzial gewaltbe-reiter und rassistisch eingestellter Jugendlicher, die an-scheinend den Parolen rechtsradikaler Gewalttätermehr Gehör leihen und Gefolgschaft leisten, als sich mitunserem demokratischen Gemeinwesen auseinander zusetzen, die unsere Gesellschaftsordnung infrage stellenbzw. sich aus ihr zurückziehen. Viel zu lange ist weg-gehört worden, wenn rassistische Parolen gegrölt wurden,weggeschaut worden bei Hetzjagden auf ausländischeMitbürger und bei der Schändung nationaler Gedenkstät-ten und jüdischer Einrichtungen.
Ausgeblendet oder viel zu lange unterschätzt wordenist das Anwachsen rechter Gewalt auch bei vielen politi-schen Entscheidungsträgern. Liebe Kolleginnen und Kol-legen, nicht alleine Jugendliche sind als Täter auszu-machen. Vielmehr gibt es eine Mittäterschaft im Hin-tergrund, die diesen Ausschreitungen mehr oder minderBeifall spendet, nicht widerspricht und die – das ist fürmich das Erschreckendste – oft genug auch im familiärenUmfeld der Täter zu finden ist.Ausgelöst durch die provozierenden Aufmärsche undVorkommnisse rechtsradikaler Parteien und Gruppie-rungen, die wirklich eine Grenze erreicht haben, beginntdie Zivilgesellschaft sich eindrucksvoll zu wehren. DieBundesregierung zählt den entschiedenen Kampf gegenRechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zu ihrenHauptaufgaben. Niederschlag findet dieser politischeWille auch im Einzelplan 17 mit der Bereitstellung vonzusätzlichen 30 Millionen DM für die politische Jugend-bildung, etatisiert im Kinder- und Jugendplan.
Das ist angesichts des Sparhaushaltes, dem wir uns alleverpflichtet haben, eine außerordentlich große Leistung.Dabei geht es um Projekte beispielsweise zu Bekämpfungdes Rechtsextremismus im Internet und mit Hilfe des In-ternets, Frau Eichhorn. Wir reagieren also. Es geht um dasAufzeigen von Wegen aus der Gewalt für Kinder und Ju-gendliche, um Maßnahmen gegen Rechtsextremismus,Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, die bundeszentraleTräger der politischen, kulturellen und sportlichen Ju-gendbildung dann ausführen können. Weitere zusätzliche10 Millionen DM zur Finanzierung von Modellprojektenmobiler Beratungsstellen und Opferberatungsstellen ha-ben wir ebenfalls als neuen Haushaltstitel eingestellt. Vorallem in den neuen Bundesländern wird ein Schwerpunktgebildet werden können. Damit knüpfen wir an bereits er-folgreich agierende Projekte der Länder mit dezentralenBeratungsstellen und mobilen Beratungsteams an. DasLand Brandenburg macht so etwas bereits in diesem Be-reich.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Antje-Marie Steen13107
In der Konsequenz unserer Bemühungen, dem Rechts-extremismus und dem Rassismus Einhalt zu gebieten,wird auch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdendeSchriften 65 000 DM mehr erhalten. Die Bundesprüfstelleleistet hervorragende Arbeit für einen wirksamen Ju-gendmedienschutz, soweit es der gesetzliche Auftragbisher beinhaltet. Die Debatte darüber, ob es Bedarf gibt,diesen Auftrag zu verändern, muss an anderer Stelle ge-führt werden. Wir haben aber eine Mittelerhöhung be-schlossen, um den Bezieherkreis zu erweitern und mehrInformationen über indizierte Medienprodukte veröffent-lichen zu können.Ein Wort noch zum Zivildienst und den Minderausga-ben von 89 Millionen DM. Wie bereits erwähnt, wirkensich die vor einem Jahr beschlossenen Änderungen im Zi-vildienstgesetz aus. Die Obergrenze von 124 000 Zivil-dienstleistenden im Jahresdurchschnitt erbringt erhebli-che Einsparungen bei Sold und Versicherungsbeiträgen.Ich bin trotzdem überzeugt, dass das Bundesamt für Zi-vildienst seine Aufgaben mit den vorhandenen Mitteln er-füllen wird und kann, auch in dem sensiblen Bereich derindividuellen Schwerstbehindertenbetreuung.Wir sollten uns auch noch einmal mit den Ergebnissender Arbeitsgruppe „Zukunft des Zivildienstes“ beschäfti-gen. Das ist unausweichlich. Aus den dort gemachten Vor-schlägen werden wir Anregungen sammeln können.Ich möchte mich an dieser Stelle für die konstruktiveund kollegiale Zusammenarbeit in der Berichterstatter-gruppe bedanken, der Frau Ministerin und ihrem Haus fürdie gute Vorbereitung und Beratung ebenfalls Dank aus-sprechen und das Parlament um die Zustimmung zumEinzelplan 17 bitten. Die Anträge der Opposition möchteich Ihnen zur Ablehnung empfehlen, ohne sie hier zukommentieren.Ich danke Ihnen.
Jetzt hat das Wort der
Kollege Klaus Haupt, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Frau Schewe-Gerigk, ich werde Sienicht enttäuschen.
Familie, Senioren, Frauen und Jugend sind gleicher-maßen wichtige Anliegen für die Zukunft unserer Gesell-schaft. Leider spiegelt sich das kaum im Haushalt der fürdieses Ressort zuständigen Ministerin wider. Die 14. Le-gislaturperiode ist zur Halbzeit bewältigt. Die Bilanz vonRot-Grün im Zuständigkeitsbereich von Frau Bergmannist durchaus dürftig. Viel Hoffnung auf eine besserezweite Hälfte gibt es auch nicht:
Im Wahlkampfjahr 2002 wird es kaum noch große Ge-staltungsmöglichkeiten geben. Dem Haushalt für 2001kommt deshalb die Schlüsselrolle für die Gesamtbilanzvon Frau Bergmann zu. Leider deutet alles darauf hin,dass im Bereich Familie, Senioren, Frauen und Jugendkeine originellen und kreativen Entwicklungen mehr zuerwarten sind. Der angekündigte Quantensprung, FrauMinisterin, ist in Ihrem Ressort ausgeblieben.
Das wesentliche Markenzeichen rot-grüner Politik aufdiesem Gebiet bleiben mit viel heißer Luft und Schubi-Duaufgeblasene Ankündigungen.
Beispiel Zivildienst: Seit langer Zeit steht neben demWehrdienst auch der Zivildienst unter erheblichem Ver-änderungsdruck. Aufgrund der angekündigten Bundes-wehrreform muss der Dienstleistungsbeitrag unserer Zi-vis erheblich zurückgefahren werden. Ein Konzept, wiedie Einrichtungen der Alten- und Krankenpflege oder derJugendarbeit diesen Rückgang auffangen sollen, hat dieBundesregierung nicht.
Dabei ist schon jetzt glasklar absehbar, dass die Kür-zungen eigentlich nur eine Etappe bis zur Aussetzung die-ser Dienste sein werden. Wie soll die Altenpflege, wie solldie Jugendarbeit künftig gestaltet werden – ohne Zivis?Die Bundesregierung verweigert bis jetzt die Antwort aufdiese Frage.
Auch bei der Frauenpolitik ist Rot-Grün nicht vielNeues, geschweige denn Gutes eingefallen. Der Rechts-anspruch auf Teilzeitarbeit kostet auf Dauer Arbeitsplätzefür Frauen.
Auch das Gleichberechtigungsgesetz für die Wirtschaft,das die Vergabe von Aufträgen an die Erfüllung von Frau-enquoten knüpft, ist eine Gängelung des Mittelstandes.
Das ist keine Politik für, sondern gegen Frauen. Rot-Grünsetzt auf Drangsalierung der Wirtschaft, wir Liberalen da-gegen auf Motivation.
Auch die ältere Generation hierzulande ist gut bera-ten, viel Geduld zu haben. Trotz steter Ankündigung be-findet sich das Heimgesetz noch immer in der Warte-schleife. Aber ich halte es mit Shakespeare: Arm sind die,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Antje-Marie Steen13108
die keine Hoffnung haben. – Statt ständiger Ankündigun-gen wünsche ich mir von der Ministerin konkrete Einmi-schung in die zentrale Frage für unsere Senioren, nämlichdie Rentenreform. Hier hätte ich mir entschlossenes En-gagement der Ministerin besonders für die 11 MillionenRentnerinnen in unserem Land gewünscht, und zwar fürden Abbau der Benachteiligung von Frauen in der Ren-tenversicherung.
In der Familienpolitik bleiben Sie weit hinter demzurück, was das Bundesverfassungsgericht fordert. Wirhaben Vorschläge zur Erziehungs- bzw. Elternzeit und zurFamilienförderung auf den Tisch gelegt, durch die endlichder Erziehung von Kindern die gesellschaftliche Achtungentgegengebracht wird, die sie verdient. Sie speisen dieFamilien mit einer Kindergelderhöhung ab, die passendzu den Wahlterminen eingeplant wird.
Das ist wahltaktisch geschickt, doch was Sie den Fa-milien in die eine Tasche hineinstecken, haben Sie mit derÖkosteuer längst aus der anderen herausgenommen.
Nein, das ist keine Familienentlastungs-, sondern eineFamilienbelastungspolitik.Es fehlt ein zukunftsweisendes Konzept zur Familien-politik vor allem im Interesse der jungen Generation.
Meine Damen und Herren, in diesem Jahr ist allzudeutlich geworden, welche immense Bedeutung die Er-ziehung der jungen Generation für die Zukunft unsererGesellschaft hat. Die beschämenden rechtsextremisti-schen Straftaten der vergangenen Monate zeigen diestumpfe, primitive Gewalt als sinnlosen Ausweg ausFrustrationen, die auch aus der Unfähigkeit zur Bewälti-gung der alltäglichen Lebensprobleme herrühren.Die komplexe, anspruchsvolle und verantwortungs-volle Aufgabe Erziehung muss endlich einen anderenStellenwert in unserer Gesellschaft erhalten. Unsere ge-meinsame Verabschiedung des Gesetzes zur Ächtung vonGewalt in der Erziehung war ein wichtiges Signal. Eskann zu einer neuen Qualität in der Erziehung, zu einerneuen Kultur des Aufwachsens in unserem Land beitra-gen.Der Kampf der rechten Szene um die Vorherrschaft aufder Straße und vor allem in den Köpfen unserer Jugend istaber nicht nur ein Problem der häuslichen Erziehung oderwidriger äußerer Umstände; es ist auch eine bewusste Er-ziehung zur Demokratie erforderlich. Demokratie darf da-bei nicht nur intellektuell vermittelt werden, Demokratiemuss erfahrbar, erlebbar sein, ja, wir müssen die jungenMenschen für die freiheitlich-demokratische Grund-ordnung in unserem Land begeistern.
Auch und gerade das Jugendministerium ist gefordert,gegen den braunen Spuk vorzugehen und praktische, geis-tige Vorsorge zum Schutz der Jugend zu leisten.
Das muss sich natürlich auch im Haushalt widerspiegeln.Nehmen wir zum Beispiel die Förderung junger Spätaus-siedler und ausländischer Flüchtlinge; Frau Steen,Sie sind darauf eingegangen. Sie kürzen hier um 6 Milli-onen DM. Dabei wurde gerade Anfang des Monats auf ei-ner Fachkonferenz in Dresden wieder einmal Folgendesdeutlich: Die Integration junger Spätaussiedler wird im-mer schwieriger. Nur noch jeder Vierte spricht Deutsch.Die Unterbringung begünstigt Cliquenbildung, Alkohol-probleme und das Abrutschen ins kriminelle Milieu. Fazitdieser Fachtagung: Obwohl die Zahl der Aussiedler sinkt,nimmt der Bedarf an Integrationsmaßnahmen enormzu.
Es wäre eine Chance gewesen, die frei werdenden Mittelfür einen Neuansatz in der Integrationsarbeit zu nutzen.
Sie haben die Chance leider vertan.Vor allem aber bei der gezielten Bekämpfung desRechtsextremismus müssen wir alle gemeinsam neueWege gehen. Wir Liberalen glauben, dass alle demokrati-schen Kräfte gemeinsam offensiv für eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft werben sollten. Deshalb hatdie F.D.P. eine Initiative „Erziehung zur Demokratie“ vor-geschlagen. Wir fordern ein Sonderprogramm zur Förde-rung der kommunalen Jugendarbeit, insbesondere für po-litische Bildung, soziales Engagement und kulturelleArbeit. Eine offensive Erziehung zur Demokratie mussuns allen etwas wert sein.
Ich wiederhole: Familien, Senioren, Frauen und Ju-gend sind von entscheidender Bedeutung für die Zukunftunserer Gesellschaft. Ich füge hinzu: Sie verdienen einenhöheren Stellenwert in der deutschen Politik, als in derersten Halbzeit von Rot-Grün deutlich geworden ist.
Das Wort hat jetzt dieKollegin Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen.
Kollegen! Das Prinzip „Kreatives Sparen und Gestalten“ist im Einzelplan 17 auch im Jahre 2001 gelungen.
– Ich erläutere Ihnen das gleich; lachen Sie nicht zu früh!Während in der Frauenpolitik die Ansätze des Jahres2000 gehalten wurden, konnten die Maßnahmen für Se-nioren- und Familienpolitik sogar verstärkt werden.Frau Steen ist im Einzelnen darauf eingegangen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Klaus Haupt13109
Darum entbehrt der bei der ersten Lesung geäußerteVorwurf unseres damaligen Kollegen Kolbe, dass unterRot-Grün bei den Familien überproportional gekürzt undder restliche Haushalt aufgebaut wurde, jeglicher Realität.Ich sage Ihnen noch einmal, weil Sie es immer falschwiedergeben: Beim Erziehungsgeld hat es keinerlei Kür-zungen gegeben. Im Gegenteil: Es gibt Leistungsverbes-serungen, die bis zum Jahre 2004 auf 300 Millionen DManwachsen. Allerdings gehen die Geburten in diesemZeitraum um 40 000 Kinder zurück. Auch beim Kinder-geld wurde nicht geknausert. Seit der Regierungsüber-nahme durch Rot-Grün ist das Kindergeld um fast einViertel erhöht worden.
Auch ab 2002, mit der zweiten Stufe des Familienleis-tungsausgleichs, wird mehr Geld in die Portemonnaiesder Familien fließen. Wohlgemerkt, Herr Haupt, das ge-schieht nicht, weil es ein Wahljahr ist – das fällt günstigzusammen –, sondern weil wir einer Vorgabe des Bun-desverfassungsgerichts folgen.
Meine Fraktion plädiert für eine Kindergelderhöhung um30 DM. Das wären dann noch einmal über 5 Milliar-den DM mehr für Kinder. Da sagen Sie, das sei nichts!
Hinzu kommt, dass bereits ab 2001 eine Erhöhung desWohngeldes um 475 Millionen DM erfolgt. Auch dieswird junge Familien deutlich unterstützen.
Ich frage mich, meine Damen und Herren von der Oppo-sition: Woher nehmen Sie eigentlich die Unverfrorenheit,uns Familienfeindlichkeit zu unterstellen? Frau Eichhorn,da auch Sie das vorhin getan haben, kann ich es Ihnen nichtersparen, zwei weitere Meilensteine unserer Familienpoli-tik vorzutragen, die seit vielen Jahren auf eine Realisie-rung gewartet haben. Das sind zum einen das Programmfür eine gewaltfreie Erziehung und zum anderen das Pro-gramm zum Abbau der Diskriminierung von gleichge-schlechtlichen Lebensweisen.
– Es ist wunderbar. Die Kinder leben dort sehr gut; daswissen Sie. Es gibt Studien darüber.Im Juli dieses Jahres haben wir das Gesetz zur Äch-tung der Gewalt in der Erziehung verabschiedet. Da-nach ist jede körperliche und seelische Gewalt gegen Kin-der rechtswidrig. Eine Kampagne soll nun dennotwendigen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft be-fördern und ein neues Leitbild anstoßen. Eltern und Er-ziehungsberechtigte werden Unterstützung und Beratungbekommen, damit das Recht der Kinder auf gewaltfreieErziehung auch in der erzieherischen Praxis Eingang fin-det.Ich komme nun zu einem Lebensbereich, in dem Men-schen tagtäglich mit zahlreichen Diskriminierungen zukämpfen haben: die gleichgeschlechtlichen Lebensge-meinschaften. Mit dem neuen Gesetz bieten wir lesbi-schen und schwulen Paaren erstmals in Deutschland einengesicherten Rechtsrahmen für ihre Beziehungen. Daswird von einer deutlichen Mehrheit der deutschen Bevöl-kerung begrüßt.
Eine Reihe von Kollegen und – das muss ich auch sa-gen – Kolleginnen der CDU/CSU hinken der Gegenwarthoffnungslos hinterher. Frau Eichhorn, ich kann IhremArgument nicht folgen: Wenn Menschen füreinander ein-stehen, wo wird da, bitte schön, die Ehe entwertet? Viel-leicht könnten Sie mir darauf einmal eine Antwort geben!
– Na gut, sie ist schon weg.Schwule und Lesben haben in vielen Lebensbereichenmit Benachteiligungen zu kämpfen, zum Beispiel am Ar-beitsplatz. Neben den gesetzlichen Regelungen sind daherauch Hilfen zum Abbau von Diskriminierungen nötig.Dafür stehen im Haushalt jetzt insgesamt 430 000 DM zurVerfügung.Zum Abschluss der Gespräche über den Bundeshaus-halt konnte die Koalition ein weiteres deutliches Signalsetzen, für das ich mich bei den Haushälterinnen undHaushältern ganz besonders bedanke. Es ist gelungen,für die Bekämpfung von Rechtsextremismus zusätzlich75 Millionen DM bereitzustellen. Das heißt, im Einzel-plan 17 werden im kommenden Jahr 10Millionen DM zurVerbesserung des Opferschutzes und für bessere Auf-klärung und Ausbildung der zuständigen Stellen und30 Millionen DM für die politische Jugendbildung zu-sätzlich ausgegeben.
Die Finanzierung der politischen Jugendbildung ist daseine. Das Verhalten einiger Politiker ist das andere. Ichspreche jetzt vom Oberbürgermeister von Sebnitz. Das istdie Stadt, in der der kleine Joseph auf noch ungeklärteWeise zu Tode gekommen ist. Als dieser Oberbürgermeis-ter heute Morgen im Fernsehen gefragt wurde, wie er essich denn erkläre, dass die Familie des Opfers von Rechts-radikalen bedroht wird und rund um die Uhr Polizeischutzbenötigt, sagte er – ich zitiere ihn; ich habe es aufge-schrieben –: „Wenn eine ganze Stadt in Sippenhaft ge-nommen wird, kann es zu Übergriffen kommen.“ Dasnenne ich Brandstifterei.
Wenn Jugendliche von oberster Stelle ihrer Stadt Signalebekommen, dass ihr Verhalten toleriert wird, dann könnenwir noch so viel Geld investieren, ohne dass eine Ände-rung herbeigeführt wird.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Irmingard Schewe-Gerigk13110
Wir alle müssen uns den gesellschaftlichen Anforde-rungen stellen, wir alle müssen konsequent die Ächtungund Verhinderung rechtsextremer Übergriffe verfolgen.Da sind wir Politiker und Politikerinnen besonders ge-fragt. Wir müssen den Boden für eine Gesellschaft desAntirassismus, der Toleranz und der gegenseitigen Aner-kennung bereiten.Vielen Dank.
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Petra Bläss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Die Haushaltsdebatte bietet alle Jahrewieder Anlass, Bilanz zu ziehen, auch darüber, wie es umdie Umsetzung der Koalitionsvereinbarung steht. Es seidaran erinnert, dass Sie seinerzeit einen Aufbruch in derGleichstellungspolitik angekündigt haben. Die PDS hatdamals keinen Hehl daraus gemacht – wir tun dies auchheute nicht –, dass es gerade auf dem Gebiet der Gleich-stellungspolitik durchaus Projekte gibt, die in ihrerStoßrichtung unsere grundsätzliche Unterstützung finden.Aber – das habe ich bereits in der ersten Lesung deutlichgemacht – uns gehen viele Ihrer Initiativen nicht weitgenug. Das gilt für die vorgesehenen Regelungen zurGleichstellung von Frauen in der Privatwirtschaft ebensowie für das Aktionsprogramm gegen Gewalt an Frauen.Ich fürchte, Sie bleiben hier in Ankündigungen stecken.Liebe Kolleginnen und Kollegen, vergangenen Sams-tag war der Internationale Tag der Gewalt gegen Frauen.Wir haben anlässlich dieses Tages wieder erfahren müs-sen, mit welcher Brutalität Männer überall auf der Weltgewalttätig gegenüber Frauen sind, leider auch hierzu-lande. Ich unterstütze die Bundesministerin Bergmannausdrücklich in ihren Bemühungen, das Tabu über Gewaltim Privatbereich zu brechen und Gewalt zu ächten. Aberwir müssen mehr tun. Gewalt gegen Frauen muss einThema der inneren Sicherheit werden; denn es geht umdie Sicherheit aller hier lebenden Frauen.
Wir erwarten von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kolle-gen der Regierungsfraktionen, dass Sie den Worten auchTaten im Bereich der Gesetzgebung folgen lassen. Polizeiund Justiz brauchen mehr Fortbildung, damit Gewalt ankeiner Stelle mehr als Kavaliersdelikt behandelt wird. DieFrauenhäuser und Notrufe brauchen langfristige und ver-lässliche Unterstützung. Die Opfer von Frauenhandelbrauchen mehr Schutz auch vor Abschiebung. Seit Jahrendiskutieren wir über ein unabhängiges Aufenthaltsrechtfür Immigrantinnen und über ein politisches Asyl fürFrauen, die allein deswegen verfolgt werden, weil sieFrauen sind. Worauf warten Sie? Setzen Sie hier endlichZeichen!Liebe Kolleginnen und Kollegen, zurzeit findet in Ber-lin eine Sondersitzung des CEDAW-Ausschusses derVereinten Nationen statt. CEDAWist das „InternationaleÜbereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskri-minierung der Frau“ und das einzige völkerrechtlichverbindliche Dokument in der Frauenpolitik. Im vergan-genen Jahr haben die Vereinten Nationen ein Zusatzpro-tokoll zu CEDAW verabschiedet. Elf Staaten haben es in-zwischen ratifiziert; die Bundesrepublik gehört bis jetztleider noch nicht dazu. Das ist bedauerlich, denn das Ab-kommen ermöglicht es einzelnen Frauen und Gruppenerstmals, Rechte einzuklagen. Es stellt damit einen riesi-gen Schritt auf dem Weg zu mehr Rechtssicherheit undDemokratie dar.Bei der Anhörung im CEDAW-Ausschuss der Verein-ten Nationen im Januar dieses Jahres wurde die Bundes-republik wegen Verletzung der Rechte von Frauen heftigkritisiert. Es ist übrigens bedauerlich, dass hierzu bisheute keine Debatte im Parlament – weder in den Aus-schüssen noch im Plenum – stattgefunden hat. Die imUNO-Bericht kritisierte Benachteiligung insbesonderevon ostdeutschen Frauen und von Migrantinnen auf demArbeitsmarkt ist im Übrigen kein Ressortproblem, son-dern eines der Demokratie. Genausowenig ist Gewalt ge-gen Frauen ein Privatproblem, sondern ein strukturellesProblem und damit ein Demokratie- und Menschen-rechtsthema. Ich fordere die Bundesregierung auf, dasCEDAW-Zusatzprotokoll so schnell wie möglich im Par-lament zur Abstimmung zu bringen.
Die Kritik der Vereinten Nationen ernst zu nehmenheißt, unsere Politikangebote immer wieder zu prüfen. Ichschlage Ihnen dazu vor, dass wir einen „Sachverständi-genrat zur Begutachtung der geschlechterdemokrati-schen Entwicklung“ berufen. Ja, die Parallele zu den sogenannten Wirtschaftsweisen ist durchaus gewollt. Wirhaben einen Sachverständigenrat, der über das gesamt-wirtschaftliche Gleichgewicht wachen soll. Ich meine,wir brauchen in diesem Land auch einen Rat der Weisen,der über das demokratische Gleichgewicht wacht. In ei-nem jährlichen „Frühjahrsgutachten“ – warum nicht je-weils zum 8. März? – könnte aufgezeigt werden, wie sichdie Demokratie zwischen den Geschlechtern entwickelt.Ich schlage vor, dass dieser „Rat der Demokratieweisen“komplementär zum Rat der Wirtschaftsweisen besetztwird. Solange dieser eine 100-prozentige Männerrundeist, dürften für die „Demokratieweisen“ nur Frauen nomi-niert werden. Zug um Zug kann man das dann ändern, bisin beiden Gremien die Quote tatsächlich stimmt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Bundesrepu-blik Deutschland hinken wir nach wie vor den internatio-nalen Vereinbarungen hinterher. Wenn wir sie einhaltenwollen, muss sich das auch im Haushaltsentwurf nieder-schlagen. Vom so genannten „gender budgeting“, dasheißt einer Haushaltspolitik, die in jedem Einzelplan fürdie angemessene Berücksichtigung beider Geschlechtersorgt, sind wir leider noch meilenweit entfernt.Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine kurze An-merkung zu den neuen Haushaltstiteln im Jugendbereich.Ich bin sehr froh darüber, dass nun zusätzliches Geld für
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Irmingard Schewe-Gerigk13111
Initiativen gegen Rechtsradikalismus und für die Arbeitmit den Opfern bereitgestellt wird. Das findet die volleUnterstützung der PDS, die sich im Übrigen auch in denFachausschüssen und bei der Bereinigungssitzung sehrstark dafür eingesetzt hat. Es sind die Projekte vor Ort, dienachhaltig wirken und die nicht der Rotstiftpolitik – egalauf welcher Ebene – zum Opfer fallen dürfen. Ich denke,wir alle stehen hier in Verantwortung.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat
jetzt der Kollege Michael Luther.
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dem Bundes-
ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
kommt eine an und für sich immer größer werdende Be-
deutung zu. Das ist meine politische Überzeugung. Ich
möchte das an zwei Beispielen, in denen es um Aufgaben-
bereiche des Ministerium geht, aufzeigen:
Erstens geht es um das Thema Familie.
Ehe und Familie stehen unter dem besonderen
Schutze der staatlichen Ordnung.
So steht es im Grundgesetz. Das kommt nicht von unge-
fähr, sondern wurde aufgrund der klaren Erkenntnis so
formuliert, dass Familien den Kern der Gesellschaft bil-
den und eine wichtige Aufgabe für den Fortbestand unse-
rer Gesellschaft übernehmen, und zwar die Aufgabe der
Kindererziehung. Die demographische Entwicklung in
Deutschland und in ganz Europa macht uns heute be-
wusst, dass Kinder zwischenzeitlich zum knappsten Gut
unserer Gesellschaft geworden sind.
Das ist eine Erkenntnis unserer Zeit, die als neue Erfah-
rung in unser Bewusstsein und in das Bewusstsein unse-
rer Gesellschaft Eingang finden muss. Deshalb kommt
der Familienministerin in dieser Frage eine besondere
Verantwortung zu.
Wir befinden uns in den Haushaltsberatungen. Deshalb
ist die Frage berechtigt, wo diese Erkenntnis im Haushalt
und darüber hinaus in der gesamten Politik dieser Regie-
rung ihren Niederschlag findet.
Da fehlen mir einfach Impulse. In dieser Frage liegen wir
ein Stück weit auseinander.
Ich möchte auch die konkreten Differenzen benennen.
Der Haushaltsansatz von Frau Bergmann verringert sich
insgesamt um 204Millionen DM gegenüber dem Vorjahr.
Das liegt zum einen an dem Rückgang der für den Zivil-
dienst eingeplanten Ausgaben um 64,5 Millionen DM.
Zum anderen aber werden 175 Millionen DM weniger für
gesetzliche Leistungen an Familien aufgewandt.
Das ergibt sich im Wesentlichen aus der Anpassung des
Ansatzes beim Erziehungsgeld und ganz speziell auf-
grund der verringerten Ausgaben aufgrund der prognosti-
zierten demographischen Entwicklung. Was heißt das?
Diese Bundesregierung spart Geld ein, weil sie weniger
für Kindererziehung ausgeben muss. Ich verstehe nicht,
Frau Steen, dass Sie darauf auch noch stolz sind.
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage der Kollegin Steen? – Bitte, Frau
Steen.
Herr Kollege Luther, ich
gestehe Ihnen ja zu, dass Sie sich als neuer Haushälter in
eine schwierige Materie einarbeiten mussten. Das ging
mir auch so. Das wird aber wohl nicht der Grund sein,
dass Sie zu dieser Einschätzung kommen. Ich würde Sie
gerne fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass die Ausgaben
beim Erziehungsgeld deshalb rückläufig sind, weil – das
hat die Kollegin Schewe-Gerigk ja bereits ausgeführt –
weitaus weniger Kinder geboren werden.
Habe ich ja gesagt.
Ja, aber dann handelt es
sich doch nicht um Kürzungen, sondern die verringerten
Ausgaben sind auf die demographische Entwicklung
zurückzuführen, für die Ihre Politik 14 Jahre lang gesorgt
hat.
Frau Steen, wennSie aufmerksam zugehört hätten, dann wüssten Sie, dassich das genauso gesagt habe – diese Erkenntnis haben wiralle –: Es liegt an der demographischen Entwicklung;Kinder sind das knappste Gut unserer Gesellschaft ge-worden.Angesichts der Tatsache, dass Sie im Haushalt für Fa-milie, Senioren, Frauen und Jugend einen Impuls setzenwollten, muss man feststellen, dass hier mehr getan wer-den muss, als bisher getan wurde. Das heißt, es muss eineVeränderung geben. Es muss mehr Geld für diesen Be-reich ausgegeben werden als bisher. Sie haben aber in Ih-rer Rede von einem „moderaten Rückgang“ gesprochen,haben sich damit der Haushaltsdisziplin, die Ihnen HerrEichel auferlegt hat, unterworfen und diese für gut befun-den. Sie sind also stolz darauf, dass Sie die Vorgaben vonHerrn Eichel erfüllen können. Das gelingt Ihnen aber nur,weil es weniger Kinder gibt. Ich halte das für einiger-maßen makaber.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Petra Bläss13112
Ich habe schon gesagt, dass der Haushalt Impulse set-zen müsste für mehr Kinder. Ich habe zur Kenntnis ge-nommen, dass dies geschehen soll: Im Jahre 2002 wollenSie das Kindergeld erhöhen. Ich halte das für eine guteIdee. Ich muss aber fragen: Warum soll das ausgerechnetim Wahljahr 2002 und nicht vorher geschehen?Ich vermisse auch zu einem anderen Teil der Regie-rungspolitik ein klares Wort. Ihnen, Frau Ministerin,obliegt die Aufgabe, den besonderen Stellenwert vonEhe und Familie in der Gesellschaft anzumahnen, derEhe und Familie zusteht. Stattdessen lassen Sie es zu, dassdie gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft in eineneheähnlichen Status erhoben wird,
der den vom Grundgesetz geforderten besonders schutz-würdigen Status von Ehe und Familie in einer herabwür-digenden und unerträglichen Weise relativiert.
Ich habe nichts dagegen, wenn Schwule und Lesbengegenseitig Verantwortung übernehmen wollen.
Dafür soll eine rechtliche Basis geschaffen werden. Aberwas wir in diesem Hause erlebt haben, ist ein Paradig-menwechsel; denn de facto wird die gleichgeschlechtlicheLebensgemeinschaft der Ehe und Familie gleichgestellt.Das können wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion nie-mals mittragen.
Lassen Sie mich zu einem zweiten Aspekt kommen,und zwar zum Thema Jugend. Die Förderung und Unter-stützung der Jugend sowie der Schutz der Jugend vorGefahren unserer Zeit ist Aufgabe der Bundesministerinfür Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Hier setzen Sieneue Impulse. Vor dem Hintergrund der allgemeinen po-litischen Debatte um Rechtsradikalismus und Gewalt hatman sich in der Bereinigungssitzung des Haushaltsaus-schusses doch noch entschlossen, der Bekämpfung dieserAuswüchse auch im zuständigen Ressort durch einen ent-sprechenden Haushaltstitel Rechnung zu tragen. Die vor-gesehenen 40 Millionen DM mehr sind in Ordnung. Wirhatten 20 Millionen DM gefordert und sind froh, dass esdiesen Titel jetzt gibt.
Trotzdem muss man sich das Ergebnis etwas genaueransehen.
Sie wollen nur rechtsextremistische Gewalt bekämpfen.
Es ist richtig, dass rechtsextremistische Straftaten inDeutschland zurzeit eine besondere Rolle spielen. Wahrist aber auch – das kann man feststellen, wenn manVerfassungsschutzberichte und die entsprechenden Statis-tiken der letzten Jahre liest –, dass rechte und linkeGewalt nahezu die gleiche Rolle spielen.
Links- und Rechtsextremismus sind in ihrer Zielrichtungund in ihrer ideologischen Ausrichtung zwar konträr. Aberin ihrer Gewaltbereitschaft und in ihrer Auswirkung un-terscheiden sie sich kaum. Die gesellschaftlichen Ursa-chen sind aus meiner Sicht in vielen Facetten gleich.Das wichtigste Mittel gegen Extremismus bei Jugend-lichen ist, jungen Menschen aus der vermeintlichen odertatsächlichen Perspektivlosigkeit herauszuhelfen.
Wir brauchen Arbeits- und Ausbildungsplätze.
Wir brauchen in den neuen Bundesländern einen AufbauOst, der wieder zu einer Herzenssache wird – anstatt zueiner „Chefsache“ zu verkommen, wie wir das in der letz-ten Zeit in den neuen Bundesländern erleben.
Deshalb stelle ich fest: So, wie Sie die Bekämpfungvon Extremismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit an-gehen, werden Sie dem eigentlichen Ziel, nämlich derEindämmung derselbigen, eher schaden als nützen, undzwar deshalb, weil Sie sich nur auf einen Teil der Gewalt,nämlich die rechtsextremistische Gewalt, konzentrieren,weil Sie nur denen helfen wollen, die Opfer von rechts-extremer Gewalt geworden sind.Noch schlimmer finde ich, dass Sie aus zwei Haus-haltstiteln mit einem Volumen von insgesamt 10 Milli-onen DM nur die Bekämpfung rechtsextremistischer Ge-walt in den neuen Bundesländern finanzieren wollen.
Ich fordere Sie deshalb genau wie in den Haushaltsbera-tungen auf: Ändern Sie die inhaltliche Ausrichtung derentsprechenden Haushaltstitel 686 02 und 686 03 undstreichen Sie hier die Einschränkung „neue Länder“.
Rechtsextremistische Gewalt ist ein gesamtdeutschesProblem.
Es bleibt Ihnen unbenommen, Schwerpunkte zu setzen;dagegen habe ich nichts. Mit der Politik, die Sie betreiben,unterstützen Sie allerdings so etwas wie die Medien-kampagne in den letzten Tagen in Sebnitz. Der FallSebnitz muss aufgeklärt werden, keine Frage. Wenn sichherausstellen sollte, dass weggeschaut wurde, dann mussdas gegeißelt werden, auch keine Frage. Aber es gibt in
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dr. Michael Luther13113
Deutschland den Rechtsgrundsatz der Unschuldsvermu-tung.
Dieser gilt für eine Person und auch für eine ganze Stadt.Zu diesem Rechtsgrundsatz sollten wir dringend zurück-kehren. Von Ihnen, Frau Ministerin, die Sie unzweifelhaftsächsisch sprechen,
hätte ich auf jeden Fall erwartet, dass Sie das hier mit Au-genmaß anmahnen.
Ministerpräsident Biedenkopf engagiert sich hier inden letzten Tagen in hervorragender Weise. Ein solchesEngagement schafft Glaubwürdigkeit, indem es zeigt,dass man tatsächlich etwas gegen Extremismus und Ge-walt unternehmen will.Mit ihrem Haushalt hätte die Bundesministerin für Fa-milie, Senioren, Frauen und Jugend Impulse setzen kön-nen. Sie hat es nicht getan. Ich finde das schade.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Christian Simmert.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Ihnen, Herr Luther,
nur einen Satz: Die Aufklärung, die in den letzten 100 Jah-
ren stattgefunden hat, werden Sie heute hier nicht zurück-
drehen.
Es gibt in diesem Land aufgeklärte Menschen, die beim
Thema eingetragene Lebenspartnerschaften eine vernünf-
tige Position haben.
Eine zweite Bemerkung, die den Bereich Zivildienst
betrifft. Die Bundesregierung hat in den letzten zwei Jah-
ren eine einseitige Verkürzung des Zivildienstes von
13 auf elf Monate vorgenommen; das wissen Sie. Wir ha-
ben uns den Grundsatz der Gleichbehandlung der Dienste
zu Eigen gemacht
und auch die Besoldung der unterschiedlichen Dienste an-
geglichen. Es gibt eine stärkere Beteiligung der Träger.
Wenn Sie von der Opposition bei diesem Punkt sagen, wir
hätten Kürzungen im Zivildienstbereich vorgenommen,
dann müssen Sie auch sagen, dass das dem geschuldet ist,
dass wir nahezu für eine Gleichbehandlung der Dienste
gesorgt haben. Darauf sind die Kürzungen in diesem
Haushaltstitel zurückzuführen.
Herr Kollege
Simmert, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Frau Lenke, ich werde wahrscheinlich einige Ihrer Fragenohnehin beantworten; deswegen warten Sie bitte noch ei-nen Augenblick.Natürlich ist die Herstellung der Gleichbehandlungnoch nicht abgeschlossen. Hier stehen für mich vor allenDingen die Sprachförderung und der Sonderurlaub für Zi-vildienstleistende sowie für Bündnis 90/Die Grünen diegleiche Dienstzeit im Vordergrund. Wir werden in einemProzess innerhalb der Koalition weiter versuchen, die Un-gleichbehandlung zu beseitigen, die wir als Hinterlassen-schaft der Vorgängerregierung, nämlich der schwarz-gel-ben Koalition, vorgefunden haben. Sie haben beim ThemaUngleichbehandlung der Dienste im Zivildienst nunwahrlich nichts zuwege gebracht. Im Gegenteil, Sie habensie verstärkt.Die Kürzungen im Einzelplan 17, die Sie beklagen, ge-hen also auf die Rückführung der Dienstzeit im Zivil-dienst zurück. Wenn Sie keine Kürzungen wollen, müs-sen Sie sagen, dass Sie wieder 13 Monate Dienstzeitwollen.
Ich glaube, dass Sie uns da noch eine Antwort schulden.Wir wollen das auf jeden Fall nicht.
– Regen Sie sich nicht auf! Warten Sie einfach ab!In Bezug auf den Zivildienst haben wir im Gegensatzzur alten Regierung mit den entsprechenden Verbänden undTrägern einen Dialog geführt. Wir haben uns mit den Or-ganisationen der Kriegsdienstverweigerer an einen Tischgesetzt.
Der Bundesbeauftragte für den Zivildienst hat eine Ar-beitsgruppe eingesetzt. Unsere Fraktion hat begrüßt, dassdie Dauer des Zivildienstes weiter verkürzt wird. Wir ha-ben uns dafür ausgesprochen, zu prüfen, ob das FÖJ unddas FSJ zur Ableistung des Zivildienstes genutzt werdenkönnen. Wir wollen, dass der Bund die soziale Absiche-rung für den Anderen Dienst im Ausland übernimmt.Über all das führen wir Diskussionen und zu all dementwickeln wir Konzepte. Grundsätzlich glaube ich, dasswir, die Regierungsfraktionen, aber auch Bündnis 90/Die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dr. Michael Luther13114
Grünen allein, deutlich gemacht haben, dass wir ange-sichts der Änderungen, die im Rahmen der Wehrstruktur-reform 2002 anstehen, einen Ausbau der Freiwilligen-dienste anstreben. Wir wollen ein Freiwilligendienstent-sendegesetz auf den Weg bringen; das haben wir im Ko-alitionsvertrag vereinbart. Die Fraktion der Grünen willaber auch einen Gesetzentwurf einbringen, mit dem derAusbau der Freiwilligendienste gestärkt wird, auchwenn in einem ersten Schritt nicht alle Dienste davon er-fasst werden.Wir brauchen klare Standards für die Freiwilligen-dienste. Das heißt, wir brauchen eine pädagogische Be-gleitung, soziale und versicherungsrechtliche Absiche-rungen sowie Anreize für junge Menschen, sich stärkergegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu engagie-ren.
Dem werden wir Rechnung tragen, indem wir ein Frei-willigendienstentsendegesetz auf den Weg bringen wer-den.Bei den Trägern gibt es eine Umorientierung zum frei-willigen Engagement. Dieses freiwillige Engagementwollen wir fördern. Wir warten immer noch darauf, dassvor allen Dingen die CDU/CSU-Fraktion einmal klar-stellt, was sie von den Vorschlägen zu einer allgemeinenDienstpflicht, die Herr Koch diese Woche ins Gesprächgebracht hat,
hält und wie sich die CDU/CSU – vielleicht kann HerrDörflinger das in seiner Rede noch einmal erläutern – ei-gentlich die Zukunft in diesem Zusammenhang vorstellt.
Herr Kollege
Simmert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Seifert?
Nein. Ich möchte im Zusammenhang fortfahren.
Wir wollen eine Entwicklung des Zivildienstes, die auf
zwei Säulen fußt: Wir wollen den Freiwilligendienst aus-
bauen, so wie wir das vorgeschlagen haben und wie ich es
gerade erwähnt habe, und wir wollen vor allen Dingen die
Schaffung von Arbeitsplätzen in Kernbereichen des Zivil-
dienstes. Auch vor dem Hintergrund der Äußerungen von
Willfried Penner möchte ich für meine Fraktion noch ein-
mal deutlich machen, dass wir natürlich weiterhin eine
schrittweise Abschaffung der Wehrpflicht und des Zivil-
dienstes anstreben und dass wir weiterhin – allerdings
nicht von heute auf morgen – an einer Konversion der
Zivildienstplätze in Arbeitsplätze festhalten werden. Bei
der Lösung dieser Aufgabe auf politischer Ebene werden
wir im Gesundheits- bzw. Pflegebereich das freiwillige
Engagement und die Schaffung von Arbeitsplätzen
durchaus miteinander verbinden können.
Ich glaube also, dass die Fortsetzung des rot-grünen
Kurses der Gleichbehandlung von Wehr- und Zivildienst
und der Förderung der Freiwilligendienste mit dem vor-
liegenden Einzelplan gewährleistet ist. Auch wenn die
CDU/CSU gerne darüber diskutieren würde, inwiefern
man Pflichtdienste einführen sollte, wären wir gut bera-
ten, wenn wir uns auf das freiwillige Engagement von jun-
gen Menschen und nicht auf einen zusätzlichen Zwang
stützen würden. Das ginge an den Realitäten absolut vor-
bei.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Thomas Dörflinger.
Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt im par-lamentarischen Sprachgebrauch für das, was Sie, HerrKollege Simmert, soeben getan haben, ein ganz einfachesdeutsches Wort: Sie haben geeiert. Sie haben nämlichnicht gesagt, was Sie eigentlich wollen.
Herr Kollege Simmert, Sie hätten explizit sagen müssen,dass die von Ihnen angestrebte Gleichbehandlung undGleichbewertung von Wehr- und Zivildienst darin be-steht, beides abzuschaffen. Dann werden beide Dienstegleich behandelt. Das ist die offizielle Position von Bünd-nis 90/Die Grünen; ich komme gleich noch einmal daraufzurück.
Meine Damen und Herren, als die „Berliner Morgen-post“ am 20. Mai eine vorläufige Zwischenbilanz über diePolitik für Familie, Senioren, Frauen und Jugend der rot-grünen Bundesregierung zog, titelte der Kommentator„Ministerin mit Mängelliste“. Nun bin ich mit Ihnen derMeinung, dass dieses Urteil nicht zutrifft, denn es müssteumgekehrt heißen „Mängelliste mit Ministerin“.
Nach zwei Jahren Rot-Grün stelle ich, ähnlich wie derKollege Klaus Haupt, fest: Die Bilanz ist ziemlich dürf-tig, und Sie, Frau Ministerin, bestätigen meine Annahme.Wenn man Ihre Reden nämlich nicht in der Weise, wie sieeinem über Ihr Pressereferat zugehen, sondern in derWeise, wie Sie sie beispielsweise im Ausschuss halten,anschließend im Wortprotokoll, wenn es eines gibt, nach-liest, dann stellt man fest, dass Ihre Wortwahl sehr verrä-terisch ist. Sie schließen jedes Statement mit einer Ab-sichtserklärung ab. Es heißt beispielsweise: „Da müssenwir dranbleiben.“ Es heißt weiter: „Das müssen wir wei-ter in die Gesellschaft hineintragen“, „Das werden wir an-gehen“, oder – das war, als mein Vorredner sprach, IhrZwischenruf eben von der Regierungsbank – „Wir sindauf einem guten Weg.“
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Christian Simmert13115
All das sind Absichtserklärungen, die eigentlich nurdarüber hinwegtäuschen sollen, dass von dem, was mansich programmatisch vorgenommen hat, so viel nochnicht umgesetzt werden konnte. Ansonsten bedürfte esdieser Absichtserklärungen nicht.Das gilt natürlich genauso für das Bekenntnis, das Siewiederholt abgegeben haben, wie sehr doch der Herr Bun-deskanzler hinter der Politik für Familien und Gedönssteht. Keine andere oder kein anderer Ihrer Kabinettskol-leginnen und -kollegen hat dieses Bekenntnis je abgege-ben, es hatte auch keine oder keiner nötig. Ausschließlichin Ihrem Ressort scheint ständig die Verpflichtung zu be-stehen, auf diesen Umstand hinzuweisen.Meine Damen und Herren, exemplarisch für diese Mi-schung aus Untätigkeit und dem Zustandekommen vonZufallsprodukten ist die Diskussion um den Zivildienst.Ich komme darauf zurück, Herr Kollege Simmert. In die-sem Zusammenhang, Frau Ministerin, fand ich es interes-sant, dass ich von Ihrem Haus und auch von Ihnen selbstseit dem 14. September, als die Arbeitsgruppe „Zukunftdes Zivildienstes“ ihre Empfehlungen vorgelegt hat, indieser Frage rein gar nichts mehr gehört habe.Zwischendurch hat sich der Wehrbeauftragte noch ein-mal zu Wort gemeldet, der Bundespräsident fühlte sichbemüßigt, in die Diskussion einzugreifen oder eine Dis-kussion zu befördern, auch der eine oder andere aus die-sem Hause hat sich zu diesem Thema geäußert, die zu-ständige Ministerin hat allerdings nichts dazu gesagt.Sie hat auch nichts zum Thema der Wehrgerechtigkeitgesagt.
Sie hat nichts gesagt beispielsweise zu der Tatsache, dassin dem Eckpunktepapier zur Wehrgerechtigkeit, das Bun-desverteidigungsminister Scharping vorgelegt hat und daser dankenswerterweise auch ins Internet hat stellen lassen,von gänzlich anderen Zahlen die Rede ist als in dem Pa-pier der Arbeitsgruppe „Zukunft des Zivildienstes“. DieArbeitsgruppe „Zukunft des Zivildienstes“ geht von ma-ximal 144 000 Zivildienstleistenden in den kommendenJahren aus.
– Frau Kollegin Steen, Sie sprachen eben in Ihrer Redevon 124 000, das fanden wir auch interessant.
Die Zahl der anerkannten Kriegsdienstverweigerer istnach dem Papier von Herrn Scharping in den Jahren 2005bis 2012 irgendwo zwischen 160 000 und 154 000 anzu-siedeln.Nicht nur die Konzepte zwischen Familienministeriumund BMVg sind nicht aufeinander abgestimmt – daskönnte man noch verschmerzen –, auch zwischen Minis-terium und Fraktion und zwischen den Koalitionsfraktio-nen selbst ist das Ganze nicht abgestimmt.Ich bin dafür, dass wir genau hinsehen und hinhören.Wenn beispielsweise die Arbeitsgruppe „Zukunft des Zi-vildienstes“ selbst wörtlich sagt, dass „grundsätzlich Pla-nungssicherheit“ herrsche und zurzeit – wörtliches Zitat –„keine grundsätzliche Neustrukturierung im Zivildienstnotwendig“ sei, dann hat man während der Arbeit dieserArbeitsgruppe offensichtlich erkannt, dass eben dochnicht so ganz sicher ist, ob Planungssicherheit besteht, so-wohl was die Zukunft der Zivildienststellen als auch wasdie Zukunft der Zivildienstleistenden angeht.Ein letzter Satz, meine Damen und Herren: Frau Mi-nisterin, wenn in der Bilanz über Ihre Amtszeit eine an-dere Zeitung, der „Tagesspiegel“ hier in Berlin, zugege-benermaßen etwas freundlicher titelte „Lizenz zumLächeln“, stelle ich fest: Lizenz zum Lächeln, auch wennes charmant ist, ist zu wenig. Wir erwarten, dass Sie, ins-besondere in dieser Frage, Ihre Arbeit tun.Herzlichen Dank.
Das Wort hatjetzt die Ministerin Christine Bergmann.Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-milie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Präsidentin!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde jawahrscheinlich noch einmal lächeln dürfen – jedenfalls inRichtung der Koalitionsfraktionen. Das mache ich auchgerne.
Es ist ja interessant, dass wir uns in diesem Hause im-merhin über die Bedeutung dieses Ressorts einig sind.Das ist schon einmal ganz erfreulich.
Aber diese Einigkeit trägt nicht weit, wenn man sicheinmal ansieht, wie diese Wertschätzung umgesetzt wird.Meine Damen und Herren von der Opposition, von Ihnenhöre ich permanent Sprüche, nicht als heiße Luft.
Das werde ich noch belegen.Wir handeln wirklich für Familien, Alte, Junge undFrauen in der Gesellschaft. Immer dann, wenn wir einenVorschlag auf den Tisch legen – einen Vorschlag, der zumTeil sogar von Ihnen gefordert wurde –, sagen Sie: Nein,das wollen wir nicht. Das ist alles von Übel. – Das werdeich Ihnen an einigen Beispielen belegen. Das ist es, wasuns ganz wesentlich unterscheidet. Ich denke, das kommtzum einen in diesem Haushalt, zum anderen aber auch inunserer Politik zum Ausdruck.Ich fange mit dem Bereich der Altenpolitik an.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Thomas Dörflinger13116
Meine Damen und Herren von der Opposition, zehn Jahrelang haben wir um eine bundeseinheitliche Altenpflege-ausbildung gestritten. Diese ist auch von Ihren Fach-leuten, von den Fachministern der Länder, immer ge-fordert worden. Sie haben sie immer hintertrieben. Aberwir haben es gepackt.
Wir haben einen entsprechenden Vorschlag auf den Tischgelegt. Das ist doch schon einmal ein Ergebnis.
– Sie haben ihn unterstützt. In Bezug auf die Oppositionmuss man differenzieren; das ist klar.Ab dem 1. August 2001 wird es eine einheitliche, qua-litativ hochwertige Altenpflegeausbildung geben, die ge-währleistet, dass alte Menschen in unserer Gesellschaftdie Hilfe bekommen, die sie benötigen, und dass dieserüberwiegend von Frauen ausgeübte Beruf die Aufwertungerfährt, die er verdient.Frau Eichhorn ist nicht mehr da; das macht nichts. Sa-gen Sie ihr – aber das ist wahrscheinlich auch egal; dennsie nimmt nicht zur Kenntnis, was auf dem Tisch liegt –:Auch die Altenpflegeverbände aus Bayern wollten diesebundeseinheitliche Altenpflegeausbildung. Wir habenalle Fachverbände mit einbezogen.Mit dem Heimgesetz, das übrigens als Referentenent-wurf bereits im Kabinett beschlossen wurde, machen wirweiter.
Nun stehen die Beratungen im Bundesrat an. Am21. Dezember wird der erste Durchgang im Bundesratstattfinden. Sie wissen, dass dies ein Stück Vorbereitungbrauchte. Das heißt, unser nächster Gesetzentwurf liegtauf dem Tisch. Es passiert schon wieder das Gleiche: Sie,meine Damen und Herren von der CDU/CSU, sagen, dassSie das alles nicht wollen: keine stärkeren Kontrollen undoffensichtlich auch nicht mehr Transparenz. Was wollenSie denn? Wenn Sie sagen, dass Sie etwas für alte undauch für pflegebedürftige Menschen in dieserGesellschaft tun wollen, dann müssen Sie auch einmalNägel mit Köpfen machen und sich dementsprechend zudiesem Gesetzent-wurf verhalten. Dazu wird Gelegenheitbestehen. Wir werden sehen, wie es läuft. In Bezug auf dieAltenpflegeausbildung gab es vonseiten der CDU oderder CSU keinen Antrag mit Verbesserungsvorschlägen.Auch das habe ich mir gemerkt.
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Ja, sicher; Frau
Lenke immer.
Frau Bergmann, ich war auf ver-schiedenen Veranstaltungen von Heimträgern, auch vonkaritativen. Ich habe immer gehört, dass das Heimgesetzund das Pflegequalitätssicherungsgesetz sehr bürokra-tisch sind. Haben nicht auch Sie Briefe bekommen? Waswollen Sie tun, um dieses Heimgesetz unbürokratischerzu gestalten? Denn hier muss wirklich noch etwas getanwerden.
– Auch die Kolleginnen und Kollegen der SPD müssensich das bei solchen Veranstaltungen anhören.Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-milie, Senioren, Frauen und Jugend: Das ist klar: Wirwerden diese Debatte weiter führen. Im Vorfeld haben wirsehr viele Gespräche mit den Verbänden, übrigens auchmit den Heimbewohnerinnen und -bewohnern und derenVertretern geführt. Wir haben ein gutes Maß in Bezug aufdie notwendige Kontrolle gefunden. Wenn man Ältereschützen möchte, braucht man bessere Kontrollen undmehr Transparenz. Diejenigen Einrichtungen, die bisherschon vorbildlich gearbeitet haben – solche haben wir jaGott sei Dank überwiegend –, werden mit den Regelun-gen gut zurechtkommen. Die Fachdebatte werden wir imEinzelnen noch führen.Ich komme zu dem nächsten Bereich: Familienpolitik.Ich muss als Erstes sagen: Wir müssen uns in diesem Hausdarüber im Klaren sein, dass Familienpolitik und Kinder-politik zunächst einmal bedeuten, dass man nicht – wiebisher – weiter Schulden macht.
Diese Last kann die nächste Generation nicht mehr tragen.Darüber müsste man sich verständigen können. Siemachen es doch in Ihren Familien zu Hause genauso, in-dem Sie sagen: Ich will meinen Kindern keine Lasthinterlassen, die sie gar nicht tragen können.Wenn Sie jetzt beklagen, was sozusagen in Ausfüllungder Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichtes auf unszukommt: Diese Beschlüsse sind die Bilanz Ihrer Regie-rungstätigkeit.
Wir haben das jetzt präsentiert bekommen, und wir gehenan die Umsetzung. Ich denke, wir haben schon ganz erheb-liche finanzielle Verbesserungen für Familien erreicht;das wird auch fortgesetzt werden.Familien brauchen Geld – das ist klar – aber Familienbrauchen auch eine bessere Infrastruktur, Familien brau-chen auch Rahmenbedingungen, die es ihnen ermögli-chen, so zu leben, wie sie das gern möchten. Ich denke,dazu haben wir eine ganze Menge vorgelegt.Denken Sie an die Änderung des Bundeserziehungs-geldgesetzes und die darin enthaltenen materiellen Ver-besserungen. Aber wir haben jetzt endlich auch Verbesse-rungen hinsichtlich möglicher Teilzeitarbeit. Zum ersten
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundesministerin Dr. Christine Bergmann13117
Mal haben wir einen Teilzeitanspruch für Väter und Müt-ter vorgesehen; dieser wird nicht von allen hier gebilligt.Wir begleiten diese Regelung mit einer entsprechendenVäterkampagne im nächsten Jahr. Dazu haben wir Unter-nehmen gewonnen, die wirklich mitmachen und sagen:Auch uns ist das ein Anliegen. – Das heißt, wir wirken aufdiesem Gebiet in die Gesellschaft hinein.Herr Dörflinger, da sind wir auf einem guten Weg. Daserreicht man nicht über Nacht, wenn man eine solche Hy-pothek übernimmt, wie Sie sie uns hinterlassen haben.
Erst einmal müssen wir den gesamten Reformstau ab-bauen, dann müssen wir gesellschaftliche Debatten inGang setzen und deutlich machen, dass Familien bei unseinen höheren Stellenwert haben, einen sehr viel zeit-gemäßeren, der dem entspricht, was die jungen Leute undauch die nicht mehr ganz so jungen in unserer Gesell-schaft wirklich wollen. Das setzen wir um.Damit komme ich zum nächsten Beispiel. Ich kannmich erinnern – wahrscheinlich bin ich die Einzige, diesich überhaupt noch daran erinnert –, dass es einmal einPapier der CDU zur Familienpolitik gab.
„Mut zur Familie“ oder so ähnlich war es überschrieben.Sie haben offensichtlich vergessen, was Sie darin for-muliert haben. Das war gar nicht so schlecht. Sie hattenganz gute Anleihen bei uns genommen und Dinge präsen-tiert, die ich zum großen Teil unterstützen könnte. Darinwar zum Beispiel auch ein Anspruch von Eltern aufTeilzeitarbeit formuliert, der nicht nur für die Zeit desErziehungsurlaubs, sondern auch darüber hinaus geltensollte. Das haben Sie in Ihrem Papier zur Familie for-muliert. Daran gemessen erkennt man Ihre ganzeHeuchelei, die heiße Luft, die Sie produzieren.
Vor einer Woche haben wir hier ein Teilzeitgesetz aufden Tisch gelegt, das für Familien, so finde ich, eminentwichtig ist. Niemand wird gezwungen, dieses Gesetz inAnspruch zu nehmen; aber es eröffnet sehr viel mehrMöglichkeiten. Was tun Sie? Sie lehnen dieses Gesetz ab.Das ist nicht sehr überzeugend. Ich denke, das werden dieFamilien in unserem Land auch entsprechend einschätzenkönnen.Herr Luther, Sie haben mich auf das Thema gleich-geschlechtliche Lebensweisen angesprochen. DiesesThema und die rechtliche Möglichkeit, die wir geschaffenhaben, sind für Sie offensichtlich ein Punkt, der auf derSkala familienpolitischer Themen zuoberst steht.Natürlich lasse ich es gern zu, dass endlich eine Ak-zeptanz dieser Lebensweisen in der Gesellschaft erreichtwird. Dazu braucht man rechtliche Änderungen, und dazubraucht man auch eine Änderung des Klimas in der Ge-sellschaft. Das werden wir ja wohl aushalten.Ich als altgediente Ehefrau – 37 Jahre mit dem gleichenMann; das ist ja schon etwas – sage dazu auch: Mir nimmtdoch niemand etwas weg. Ich fühle mich in gar keinerWeise von irgendjemandem angegriffen, der in einerBeziehung mit einer anderen sexuellen Orientierung lebt.Ich sage: Ihr übernehmt Fürsorge füreinander, seid für-einander da. Das ist doch gut. Das ist doch eigentlich einWert. Standen Sie nicht einmal für Werte?
Ich will noch einmal deutlich machen, dass – –
– Nein, das war nicht platt. Das geht schon an dieWurzeln, an die Wurzeln dessen, was wir in unsererGesellschaft an Lebensformen akzeptieren. Reden Siedoch einmal mit den Betroffenen.
Wenn mir ein schwules Paar sagt: „Wir leben 40 Jahrezusammen, wir wollen endlich Akzeptanz“, dann nehmeich das sehr ernst.
Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Frau Ministerin, gestatten Sie mirbitte, Sie für einen Moment zu unterbrechen. Ich mussjetzt einmal eingreifen; denn mir nimmt das mit denChauvinismen in dieser Debatte jetzt überhand. Ichmöchte das nicht durchgehen lassen.
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-milie, Senioren, Frauen und Jugend: Das fällt schon garnicht mehr auf.Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich denke,wenn wir in dieser Gesellschaft etwas verändern wollen,wenn wir sie weiterentwickeln wollen, dann geht dasnicht ohne die Frauen.Wir brauchen den Mut, die Kraft,die Qualifikation, den Gestaltungswillen von Frauen indieser Gesellschaft. Das haben wir nicht nur begriffen,sondern verinnerlicht. Deswegen sind wir dabei, die Bar-rieren abzubauen, die verhindern, dass Frauen zum Bei-spiel in der Wirtschaft an die entsprechenden Positionenkommen. Das ist nicht nur eine Frage der Demokratie.Das ist auch eine Frage der Ökonomie in unserer Gesell-schaft.
Hier gibt es einen ganz deutlichen Nachholebedarf.Deswegen nehmen wir uns dieses Themas an. Wir habendie Eckpunkte für die Gleichstellung in der Privatwirt-schaft vorgestellt. Ich halte es für sehr kreativ, wie wirvorgehen. Wir sagen den Unternehmen, die immer erklä-ren, sie möchten gerne etwas tun: Ihr dürft jetzt etwas ma-chen. Ihr seid zwar verpflichtet, etwas zu machen, aber ihr
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundesministerin Dr. Christine Bergmann13118
könnt auswählen, was für euch das Wichtigste ist. Dochihr steht in der Pflicht: Wenn ihr es nicht im ersten Anlaufschafft, dann werden wir in der zweiten Stufe schärfereMaßnahmen ergreifen.Wir haben in dieser Sache auch Unternehmen an unse-rer Seite. Wir haben die Zeit genutzt, um mit Unterneh-men ins Gespräch zu kommen, um deutlich zu machen,dass es den Unternehmen, die das Prinzip begriffen habenund es umsetzen wollen, ökonomische Vorteile bringt.Der Nachholebedarf ist nicht bei der Mehrzahl der Unter-nehmen, sondern bei den Verbandsvertretern – das mussman einmal ganz klar sagen –, die auf die Anforderungenvon morgen mit den uralten Argumenten von vorgesternantworten.Frau Eichhorn hat das Thema Gewalt angesprochen.Ich habe nicht mehr so viel Redezeit zur Verfügung,möchte aber sagen: Dass wir in diesem Bereich etwas zu-stande gebracht haben, ist wohl unstrittig. Wir haben dasAusländergesetz geändert. Es ist wichtig, dass man hiermit den Ländern und den Kommunen zusammenarbeitet.Wir haben die Frauenhäuser und die Beratungsstellen ver-netzt. Es gibt eine enge Zusammenarbeit, damit diesesThema endlich den Stellenwert in der Gesellschaft erhält,den es verdient.
Die Sehnsucht der CSU nach einem Gewaltschutzgesetzhat mich gefreut. Ich nehme an, Sie werden einem solchenGesetz zustimmen. Ich bin gespannt.Zu Ihnen, Frau Bläss. Sie haben CEDAW angespro-chen. Nun muss man fairerweise sagen, was dort wirklichabgelaufen ist. Es gab in dem Bericht über DeutschlandKritik. Es war der Bericht über das Handeln der alten Re-gierung. Es gab aber ebenso viel Zustimmung – auch daserleben wir – für das, was wir mittlerweile zustande ge-bracht haben. Das Handeln der alten und der neuen Re-gierung müssen wir schon auseinander halten.Ich freue mich, dass wir es gemeinsam geschafft haben– ich bedanke mich vor allen Dingen bei den Regierungs-fraktionen, die das initiiert haben, und bei allen anderen,die es mitunterstützt haben – dass wir für die Bekämp-fung von Rechtsextremismus und Ausländerfeindlich-keitmehr Geld im Haushalt haben. Das muss man einmalzur Kenntnis nehmen. Wir haben dadurch mehr Möglich-keiten, etwas zu tun.
Wir wissen, dass dies ein besonderes Thema ist. DiesesThema hat schon eine andere Qualität, Herr Luther. Ge-walt ist immer schlimm; darüber werden wir uns schnellverständigen können. Aber wir erleben diese fürchterli-chen rechtsextremen Gewalttaten in einem Ausmaß, wiewir es uns vor einigen Jahren wahrscheinlich nicht vor-stellen konnten. Es geht nicht nur darum, an einem Tag,dem 9. November, zu demonstrieren – das ist wichtig –,sondern dass wir all diejenigen, die vor Ort aktiv sind, un-terstützen. Das sind die mobilen Beratungsteams undviele andere kleine Projekte. Dorthin muss das Geld ge-hen, zum Beispiel in die Unterstützung von Jugendpro-jekten, die auf vorbildliche Weise versuchen, etwas zu be-wegen. Sie wollen in der Gesellschaft ein anderes Klimaherbeiführen.
Wir haben noch zusätzliche Gelder: Uns stehen mitdem Programm Xenos in den nächsten drei Jahren proJahr 25 Millionen DM aus dem ESF zur Verfügung. Siewerden durch die Kofinanzierung von Ländern und Kom-munen aufgestockt. Das kommt noch hinzu. Das heißt,wir können in diesem Bereich – ich bitte hierbei alle umUnterstützung – sehr viele Projekte fördern.Noch eines zu Ihnen, Herr Luther. Sie sprachen an, wasman in diesem Bereich für Jugendliche tun soll. Ich weißnicht, ob Sie zur Kenntnis genommen haben, dass von denGeldern für das JUMP-Programm – das sind immerhin2 Milliarden DM – mittlerweile 50 Prozent, also 1 Milli-arde DM, neben dem, was wir sowieso an Sonderpro-grammen zur Finanzierung von Ausbildungsplätzen ha-ben, in die neuen Länder fließen. Ich denke, ein solchesErgebnis kann sich sehen lassen.Die knappe Redezeit erlaubt es mir nicht, noch näherauf den Zivildienst einzugehen. Aber, Herr Dörflinger,rechnen sollte man noch können. Wir haben 124 000 imJahresdurchschnitt, das heißt 140 000 einberufene Zivil-dienstleistende. Das muss man auseinander halten. DieRegelung, die wir gefunden haben, ist vernünftig. Wir ha-ben noch einige Möglichkeiten. Sie werden zu gegebenerZeit dem Hause vorgestellt. Dann können wir das weiterdiskutieren.Ich möchte mich zum Schluss bei all denjenigen be-danken, die mich im zuständigen Fachausschuss undnatürlich auch im Haushaltsausschuss bei der politischenArbeit unterstützt haben.Ich denke, das, was wir geschafft haben, kann sich se-hen lassen. In den nächsten zwei Jahren haben wir nochgenug zu tun. Herr Dörflinger, ich weiß nicht, was daranschädlich ist, wenn man Vorhaben hat.Danke.
Ich schließe da-mit die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 17des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauenund Jugend in der Ausschussfassung. Hierzu liegen Än-derungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion derCDU/CSU auf Drucksache 14/4740? – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit denStimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmenvon CDU/CSU und PDS bei Enthaltung der F.D.P. abge-lehnt worden.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion derPDS auf Drucksache 14/4741? – Wer stimmt dagegen? –
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundesministerin Dr. Christine Bergmann13119
Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stim-men des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS, dienatürlich zugestimmt hat, abgelehnt worden.Abstimmung über den Einzelplan 17 in der Ausschuss-fassung. – Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Gibt esEnthaltungen? – Der Einzelplan 17 ist damit mit denStimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen dergesamten Opposition angenommen worden.Ich rufe jetzt die Einzelpläne 07 und 19 auf:III. 9 hier: Einzelplan 07Bundesministerium der Justiz– Drucksachen 14/4507, 14/4521 –Berichterstattung:Abgeordnete Carsten SchneiderAlbrecht FeibelMatthias BerningerDr. Werner HoyerHeidemarie EhlertIII. 10 hier: Einzelplan 19Bundesverfassungsgericht– Drucksache 14/4521 –Berichterstattung:Abgeordnete Carsten SchneiderAlbrecht FeibelMatthias BerningerDr. Werner HoyerDr. Christa LuftNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst derAbgeordnete Albrecht Feibel.
Frau Präsidentin!Meine verehrten Kolleginnen! Verehrte Kollegen! Es be-steht sicherlich Einigkeit aller demokratischen Parteien indiesem Hohen Hause, dass Rechtsextremismus nicht ge-duldet werden darf. Aufrechte Demokraten dürfen nichtwegschauen, wenn Menschen Opfer rechtsextremisti-scher Gewalt zu werden drohen.
Gegen rechtsextremistische Gewalt sind Demonstra-tionen eine Sache, eine andere ist unsere Aufgabe, die ei-gentlichen Ursachen dieser Gewaltbereitschaft zu erfor-schen. Inwieweit kommen Eltern, Schulen, Medien,Politik und gesellschaftliche Gruppen ihrer Verantwor-tung nach, junge Menschen so zu erziehen, dass sie ebennicht für rechtsextremistische Aktionen, Organisationenund Gewalt anfällig werden?Leider werden wir – trotz aller Anstrengungen – auchin Zukunft mit extremistischer Gewalt rechnen müssen.Deshalb ist es grundsätzlich richtig, dass es im Einzel-plan 07, im Geschäftsbereich des Bundesministeriums derJustiz, die Bereitstellung von 10 Millionen DM für Härte-leistungen für Opfer extremistischer Gewalt gibt.Wir werden aber in Zukunft, wie in der Vergangenheit,mit extremistischer Gewalt unterschiedlicher Hinter-gründe zu rechnen haben. Es wird neben der rechtsextre-mistischen Gewalt auch weiterhin eine linksextremisti-sche Gewalt geben. Es wird Gewalt aus religiöserMotivation geben. Es wird Gewalt geben, die weder einenpolitischen, noch einen religiösen Hintergrund hat.Menschen, die Opfer rechtsextremistischer Gewaltwerden, und nur diese, sollen nach dem vorliegendenHaushaltsplan Härteleistungen erhalten, so will es die Ko-alition von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Opfer jeg-licher anderer extremistischer Gewalt dagegen werdenleer ausgehen.Das widerspricht dem grundgesetzlich verbrieftenRecht auf Gleichbehandlung aller Bürger in unserer Re-publik.
Sie wollen hier ein Gesetz zur Ungleichbehandlung ver-abschieden. Damit schaffen Sie eine Zweiklassenge-sellschaft von Opfern extremistischer Gewalt. Hinzukommt, dass die Koalitionsparteien in den Erläuterungenzu diesem Mittelansatz ausführen: „Die Prüfung der Vo-raussetzungen und Auszahlung der Mittel sollen demGeneralbundesanwalt beim Bundesgerichtshof oblie-gen.“ Weiter heißt es, dass zur Soforthilfe Mittel bereit-gestellt werden sollen. Soforthilfe bedeutet für die Koali-tion, dass diese Hilfe erst nach eingehender Prüfung derTätermotivation gewährt werden kann, weil zuerstgeprüft werden muss, ob es sich bei dem Übergriff umrechts, links oder religiös motivierte Gewalt handelt oderob „nur“ ein Opfer mafioser, erpresserischer Gewalt zubeklagen ist.Erst nach eingehender Prüfung, die möglicherweiseMonate in Anspruch nimmt, wollen Sie von der Regie-rungskoalition Ihre so genannte Soforthilfe den Opfernzukommen lassen. Wenn Sie den Hintergrund der Tatbe-gehung nicht aufklären können, wird im Zweifel gegendas Opfer entschieden. Damit schaffen Sie eine Zwei-klassengesellschaft von Opfern. Sie teilen in gute undschlechte Opfer ein; Opfer rechtsextremistischer Gewaltsind die guten Menschen, denen man helfen muss, undOpfer linksextremistischer Gewalt oder Opfer religiösmotivierter Straftaten sind schlechte Menschen, die zukurz kommen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehntdeshalb den Einzelplan 07 in dieser Fassung ab.
Es gibt einen zweiten wichtigen Grund, warum wir die-sen Einzelplan ablehnen: In vielfacher Hinsicht haben so-wohl die Regierungskoalition als auch die Regierungselbst bekundet, dass die Personalsituation beim Deut-schen Patent- und Markenamt ganz dringend verbes-sert werden muss. Das DPMA leidet seit geraumer Zeitunter einer gewaltigen Zunahme der Patent- und Marken-anträge einerseits und einer völlig unzureichenden Perso-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer13120
nalausstattung andererseits. Das ist ein absolut unerträgli-cher Zustand.Bedenkt man, dass heute Erfindungen in verhältnis-mäßig kurzer Zeit überholt sein können und durch neueEntwicklungen ersetzt werden, kann ein Erfinder ange-sichts der immensen Wartezeiten seine Erfindung kaumnoch angemessen vermarkten. Dadurch wirkt das DPMAungewollt wie eine Innovationsbremse. Vor dem Hinter-grund der noch immer angespannten Lage auf dem deut-schen Arbeitsmarkt müsste die Bundesregierung bestrebtsein, das Gegenteil zu erreichen: Gas geben anstatt brem-sen. Wir brauchen eine schnellere Bearbeitung der Patent-anträge und damit eine Lösung der Innovationsbremse.
Die jetzt vorgesehene Personalaufstockung um netto21 Stellen ist der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.In Vorgesprächen waren sowohl das Bundesfinanzminis-terium als auch das Bundesjustizministerium der Auf-fassung, dass eine Personalaufstockung um mindestens43 qualifizierte Mitarbeiter anzustreben ist, um das Pro-blem einigermaßen in den Griff zu bekommen.Völlig unverständlich ist uns von der CDU/CSU-Frak-tion die ablehnende Haltung der Koalition bei den Bera-tungen im Haushaltsausschuss und hier im Plenum. Sievergießen, wenn Sie die Personalsituation beim Patent-und Markenamt ansprechen, immer wieder Krokodilsträ-nen und die sind bekanntermaßen nicht ernst zu nehmen.Völlig unverständlich wird die Haltung der Koalition– und natürlich auch Ihre Haltung, Frau Minister –, wennman bedenkt, dass das DPMA seine Ausgaben eigentlichselbst finanziert. Für die zu bearbeitenden Anträge wer-den entsprechende Gebühren fällig und vereinnahmt. Dasheißt, je mehr Anträge bearbeitet werden, desto mehrGeld kommt in die Kasse.Nun hat die Justizministerin auch noch dafür gesorgt,dass diese Gebühren kräftig erhöht wurden. Gleichzeitigsind Sie aber nicht bereit, das DPMA in die Lage zu ver-setzen, die nunmehr auf über 100 000 Überhänge ange-stiegene Zahl der Anträge in einem angemessenen Zeit-raum abzuarbeiten. Mit Ihrem Verhalten schaden Sie denErfindern, der deutschen Wirtschaft und auch dem Ar-beitsmarkt und betätigen und profilieren sich als Innova-tionsbremser.Wenn ich den Bundeshaushalt 2001 insgesamt be-trachte, so verstehe ich die Rechnung des Bundesfinanz-ministers – er ist leider nicht da – ganz und gar nicht. 1998– der Haushalt wurde von der CDU/CSU und von derF.D.P. verantwortet – beliefen sich die Ausgaben auf457 Milliarden DM. Im Jahre 2001 werden es 479 Milli-arden DM sein. Das sind bekanntermaßen mehr als457 Milliarden DM. Aber die Steuereinnahmen, die 1998noch 341 Milliarden DM betrugen, steigen nach der Pla-nung der derzeitigen Regierung im Jahr 2004 auf 446Mil-liarden DM an. Das bedeutet, auf der Grundlage von 1998gerechnet, 105 Milliarden DM mehr Steuern, die die Bür-ger zu zahlen haben. Der Bundesfinanzminister will,großzügig wie er ist, eine Entlastung von 43 Milli-arden DM durchbringen. Das bedeutet für die Bürger einezusätzliche Belastung von rund 60Milliarden DM. Da derHaushalt in diese Richtung zeigt, können wir ihm nichtzustimmen.Danke schön.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Carsten Schneider.
Frau Präsidentin! Sehrgeehrte Damen und Herren! Frau Ministerin, wenn wirheute Abend abschließend über den Haushalt des Einzel-plans 07, also über den Etat des Bundesjustizminis-teriums, debattieren, so müssen wir auch diesen kleinenEtat im Zusammenhang mit der Haushaltspolitik des Bun-des sehen. Ohne wieder zu den grundsätzlichen Debattender Finanz- und Haushaltspolitik zurückkehren zu wollen,möchte ich doch die von allen Seiten – ich betone: wirk-lich von allen Seiten – gelobte Konsolidierungs- und Re-formpolitik von Rot-Grün am Beispiel des Justiz-haushaltes erläutern.Zuvor möchte ich noch sagen, dass es mir als Vertreterder jungen Generation ein besonderes Anliegen ist, dasswir mit unserer Haushaltspolitik den eingeschlagenenPfad der Konsolidierung voranschreiten.
Es gibt verschiedene Theorien über die Vor- und Nachteileöffentlicher Kreditaufnahme. Eines steht aber fest: DieSchulden werden von Bürgern zurückgezahlt, die nicht inden Entscheidungsprozess eingebunden waren. Entwederwaren sie zu jung, um zu wählen, oder sie waren nochnicht einmal geboren. Daher bedarf es der Nachhaltigkeitauch in der Finanz- und Haushaltspolitik,
und zwar Nachhaltigkeit in dem Sinn, dass Haushaltspo-litik immer die Auswirkungen auf die Gestaltungsspiel-räume der kommenden Generationen im Blick hat. Schul-den schränken die Handlungsfähigkeit kommenderGenerationen ein, ja sie schränken deren Freiheit ein.Mein Verständnis als Mitglied des Haushaltsausschussesund als Berichterstatter für den Justizetat ist daher vondem Bestreben eines auf Nachhaltigkeit ausgerichtetenBundeshaushaltes wie – soweit das eben möglich ist –auch Justizhaushaltes geprägt.Der uns vorliegende Justizhaushalt verbindet wie derganze Bundeshaushalt als solcher Konsolidierung mit Re-formen. Das heißt ganz konkret: Der Haushalt der Justizreagiert sehr schnell auf Veränderungen in Gesellschaftund Wirtschaft. Er unterstützt dabei lobenswerte Verän-derungen im wissenschaftlich-technischen Bereich und erleistet sogar einen Beitrag gegen den Rechtsextremismusan einer Stelle, die ich für sehr wichtig halte und auf dieich in meiner Rede noch zurückkommen werde.Die Beratungen im Haushaltsausschuss zum Einzel-plan 07 waren von einer sehr zielgerichteten und kolle-gialen Haltung aller Beteiligten geprägt. Das Ergebnis
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Albrecht Feibel13121
dieser Beratungen sieht für den Haushalt des Bundesmi-nisteriums der Justiz Einnahmen in Höhe von 516,8 Mil-lionen DM vor. Dem stehen Ausgaben in Höhe von680,2 Millionen DM gegenüber. Die im Haushaltsaus-schuss beschlossenen Mehrausgaben sind damit zwar um14 Millionen DM höher als im Regierungsentwurf vorge-sehen. Aber sie sind durch eine Einnahmenerhöhung pla-fondneutral finanziert worden. Damit sind die Ausgabenum 13Millionen DM geringer als die, die für das laufendeJahr eingestellt sind. Sie sind zum einen das Ergebnis ad-äquater Sparanstrengungen und beruhen zum anderen aufdem Rückgang der Bauinvestitionen, der sich auf denBaufortschritt in einigen Liegenschaften zurückführenlässt.Wir stellen mit Freude fest, dass der Kostenplan für denUmbau des ehemaligen Reichsgerichtsgebäudes in Leip-zig eingehalten werden kann, dass unsere Vorschläge zurReduzierung der Kosten umgesetzt wurden und dass so-gar noch weitere Einsparungen möglich sind. Wir werdenden Umbau natürlich weiterhin mit argwöhnischem Augeüberwachen. Wir hoffen, dass das Gerichtsgebäude 2002fertig gestellt ist, sodass das Bundesverwaltungsgerichteinziehen kann.Die Personalausgaben liegen mit knapp 440 Milli-onen DM in etwa so hoch wie die im Haushalt für 2000.Damit machen die Personalausgaben mit 64 Prozent zu-sammen mit den personengebundenen Sachausgaben beiinsgesamt 80 Prozent des Gesamthaushalts für den Justiz-bereich aus. Das ist so hoch wie in kaum einem anderenRessort. Diese Zahl verdeutlicht auch, unter welchschwierigen Bedingungen dem Konsolidierungspfad derHaushaltspolitik Rechnung getragen werden muss. Ichverstehe die zunehmenden Probleme, die sich für das Mi-nisterium aus der linearen Stelleneinsparung ergeben. Sowaren wir alle mehr als erstaunt, als wir im Berichterstat-tergespräch erfuhren, dass allein in diesem Jahr über25 000 Überstunden verfallen. Ich denke, dass dies aufDauer nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann. Aberdas zeigt auch die sehr hohe Leistungsbereitschaft derMitarbeiter des Justizministeriums, denen ich dafür aus-drücklich danken möchte.
Lassen Sie mich nun auf Veränderungen eingehen, diewir beim Deutschen Patent- und Markenamt – HerrKollege Feibel hat das schon angesprochen – vorgenom-men haben. Ich möchte an dieser Stelle zuerst daraufeingehen, wie sich die Situation des DPMA dargestellthat, als 1998 die Bundesregierung wechselte. Das DPMAhatte von 1991 bis 1999 einen Rückgang der Zahl der Be-schäftigten um 13,4 Prozent zu verzeichnen. Herr Feibel,Sie waren mit dabei, als wir das Amt in München besuchthaben, und konnten vor Ort prüfen, wie sich der Perso-nalbestand entwickelt hat. Wir waren meines Erachtens indieser Zeit nicht an der Regierung. Daher kann ich dieKritik, die Sie vorgebracht haben, nicht in Gänze verste-hen. Aber ich kann sie durchaus nachvollziehen. Sie wa-ren zwar genau wie ich damals – leider – nicht Mitglieddieses Parlaments. Aber zumindest Ihre Fraktion musssich vorhalten lassen, dass ihre jetzigen Mehrausgaben-forderungen ihrer damaligen Politik entgegenstehen.Die Zahl der Beschäftigten ging zurück, die Zahl derMarkenprüfer sogar um 19,3 Prozent. Im Gegensatz dazustieg die Zahl der Patentanmeldungen um 225 Prozent.Durch technische Neuerungen ist es gelungen, den Mitar-beitern des DPMA ihre Arbeit zu erleichtern und die Effi-zienz ihrer Arbeit zu steigern. Aber das reicht nicht aus,keine Frage. Deshalb sage ich nicht ohne Stolz, dasses unsere Haushaltspolitik in den letzten zwei Jahren war– das wird auch weiterhin so sein; das sage ich demDPMA zu –, die dem Patent- und Markenamt wieder dieGeltung verschafft hat, die es auf dem Gebiet des ge-werblichen Rechtsschutzes eigentlich verdient.
Deutschland ist für seine Erfinder- und Ingenieursleis-tungen bekannt. Das Markenzeichen „made in Germany“steht weltweit noch immer für erstklassige Produkte. Dassdas so bleibt und noch intensiviert wird, damit junge Men-schen und somit die gesamte Gesellschaft die Möglichkeitbekommen, kreative und innovative Arbeit anzunehmen,sehe ich als einen wichtigen Beitrag an, um die PositionDeutschlands als Entwickler- und Forscherland zu stär-ken.Die Stärkung des Deutschen Patent- und Markenamtesist nachhaltige Politik im wahrsten Sinne des Wortes undder beste Beweis dafür, dass trotz der Vorgaben des Ein-zelplans 07 die Möglichkeit besteht, eine Haushaltspolitikzu betreiben, die im Ergebnis zu einer Verbesserung desWirtschafts- und Wissenschaftsstandorts Deutschlandführen wird.
Um ein Zitat des früheren Bundesfinanzministers KarlSchiller etwas abzuändern: Wir sparen da, wo es mög-lichst sinnvoll ist, und wir investieren da, wo es nötig ist.Natürlich reicht das Plus von 49 Stellen – Herr KollegeFeibel, es sind 49 Stellen, die wir in diesem Jahr neuschaffen; das DPMAhatte nur 43 Stellen gefordert – nichtaus, um die gesamte Bugwelle abzuarbeiten; da bin ichmir sicher. Allerdings wissen Sie auch, dass der Arbeits-markt gerade im Bereich der Patentprüfer nicht sehr vielhergibt und dass es deshalb schwer genug werden wird,diese 49 Stellen im Laufe des Jahres zu besetzen und dieneuen Mitarbeiter einzuarbeiten. Ich glaube aber, dassdies eine gute und mit Augenmaß getroffene Entschei-dung der Koalitionsfraktionen war.Mehr Personal ist jedoch nicht alles. Daher haben wirauch zusätzliche 4 Millionen DM zur Stärkung desDEPATIS-Systems beschlossen. Dieses elektronische Ar-chiv- und Recherchesystem, welches dem DPMAund derÖffentlichkeit dient, ist obendrein auch zur Sicherstellungder internationalen Kooperation im Patentwesen ausge-sprochen nützlich.Der Haushalt des Einzelplans 07 hat sich gegenüberdem Regierungsentwurf aber auch an anderen Stellen ver-ändert. Als Beispiel hierfür möchte ich den Arbeitsstabzur Beilegung internationaler Konflikte in Kindschafts-sachen nennen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Carsten Schneider13122
Hier hat das Ministerium rasch reagiert und die Voraus-setzungen für die Bildung eines Arbeitsstabes, befristetauf drei Jahre – wie ich gehört habe, hat er bereits amMontag in Paris getagt –, geschaffen. Dieser soll vor al-lem im Interesse der Kinder helfen, akzeptable Lösungenfür alle Beteiligten zu finden.Als nächsten Punkt nenne ich den nächste Woche er-folgenden Gründungsbeschluss für ein Deutsches Insti-tut für Menschenrechte.
Wir kommen damit einerseits unserer Koalitionsverein-barung und andererseits internationalen Verpflichtungennach. Wir tragen damit der weltweit steigenden Bedeu-tung der Menschenrechte Rechnung und unterstreichendie Förderung der Menschenrechte als Leitlinie unsererAußenpolitik.
In diesem Zusammenhang möchte ich der Ministerinnochmals für ihre Initiative des Deutsch-ChinesischenRechtsdialogs danken.
In den Haushaltsberatungen wurde kritisiert, dass wirdie Mittel im Bereich der Forschung ein weiteres Mal er-höht haben. Wir haben das getan, weil wir zu den dank derso tatkräftigen Justizministerin umfangreichen Reform-vorhaben der Bundesregierung auch eine begleitende For-schung benötigen, ein Teil des Geldes aber noch durch dieVorhaben der Vorgängerregierung gebunden ist.
Beim Institut für Ostrecht, von dessen Nützlichkeitwir uns als Berichterstatter vor Ort überzeugt haben,wurde der Haushaltsvermerk ausgebracht, dass ein Teilder zusätzlichen Einnahmen im Institut verbleibt. Damitist diesem Institut ein Anreiz gegeben, noch mehr Dritt-mittel einzuwerben, die dann letztendlich auch im Institut– in die Bibliothek – investiert werden können.
In der ersten Lesung zum Bundeshaushalt hat die Mi-nisterin auf eine Anregung des Kollegen Hoyer – mansieht daran, dass die SPD auch auf gute Vorschläge derF.D.P. eingeht – davon gesprochen, dass das Recht auf derSeite der Schwächeren stehen muss. Ich kann ihr da nurzustimmen und bin nicht zuletzt aus diesem Grund stolz,dass wir eine Soforthilfe für Opfer rechtsextremistischerÜberfälle geschaffen haben. Wir setzen damit ein Zei-chen, dass der Staat und die Gesellschaft konsequent ge-gen rechtsextremistische Übergriffe vorgehen. Zur ver-fassungsrechtlichen Einordnung dieser Soforthilfe wirddie Ministerin wohl später noch etwas beitragen. Ichmöchte hier nur so viel sagen: Wer auf der einen Seite bür-gerschaftliches Engagement als Voraussetzung für eineerfolgreiche Bekämpfung des Rechtsextremismus for-dert, der muss auf der anderen Seite auch bereit sein, siezu fördern. Es ist gut, dass die Bundesregierung hierfürGeld bereitstellt und auch die Opfer von Gewalt im Augehat.Herr Feibel, ich habe – um noch einmal auf Ihre vorhingemachten Ausführungen einzugehen – im Ausschussganz deutlich gesagt, dass im Zweifelsfalle – wenn nichtklar ist, ob es ein rechtsextremistischer Anschlag ist, wiedas in Düsseldorf der Fall ist – zugunsten der Opfer ent-schieden wird. Ich sehe dieses Geld, die 10Millionen DMfür die Entschädigungen, als wichtiges politisches Zei-chen nach außen an, dass wir uns nicht nur um die Präven-tion, sondern auch um die Opfer rechtsextremistischerGewalt kümmern.
Als ich 1998 Berichterstatter für diesen Einzelplanwurde, hätte ich nicht gedacht, dass die Etatisierung einersolchen Soforthilfe in diesem Einzelplan nötig sein wird.Ich hätte auch nicht gedacht, dass meine HeimatstadtErfurt dadurch an Bekanntheit gewinnt, dass am 20.Aprildieses Jahres rechtsextremistische Jugendliche einenBrandanschlag auf die dortige Synagoge verübten. Ichhätte vor allen Dingen nicht gedacht, dass ein solcherheimtückischer Anschlag in Erfurt überhaupt denkbar ist.Er hat aber einmal mehr gezeigt, dass unsere Demokratieverteidigt werden muss. Dafür tragen wir alle Verantwor-tung.Unsere Politik muss klarmachen, dass wir Antisemitis-mus, Ausländerfeindlichkeit, Rechtsextremismus und In-toleranz keine Chance geben. Und wir müssen klarma-chen, dass wir mit unseren jüdischen Mitbürgerinnen undMitbürgern, mit den hier lebenden Ausländerinnen undAusländern und mit denen, die Opfer von Gewalttaten ge-worden sind, solidarisch sind. Wir müssen unseren Wor-ten auch Taten folgen lassen. Daher ist die nun vor-gesehene Opferentschädigung der richtige Weg.
Bei dem Anschlag in Erfurt wurde kein Mensch ver-letzt, weil die Brandsätze nicht zündeten. Es hätte aberOpfer geben können, wie es beispielsweise in Düsseldorfgeschehen ist. Deshalb ist es wichtig, dass den Opfern diebenötigte Hilfe schnell zuteil werden kann.Zum Schluss meiner Rede möchte ich den Kolleginnenund Kollegen Mitberichterstattern für die konstruktiveZusammenarbeit danken. Ich möchte auch der Frau Mi-nisterin, dem Herrn Staatssekretär und deren Mitarbeiternim Justizministerium sowie den Mitarbeitern des Bundes-verfassungsgerichts danken.
Es ist viel wert, wenn ein Ministerium von einer allseitskompetenten, von Juristen und Nichtjuristen geachtetenPersönlichkeit geleitet wird. Sie werden jetzt vielleichtfragen, warum ich das so betone. Das ist in den jeweiligenBundesländern nicht selbstverständlich. RechtspolitischeDifferenzen liegen in der Natur der Sache. Wer das Ver-trauen der gesamten thüringer Justiz durch seine Einfluss-nahme in laufende Verfahren, so wie es der thüringer Jus-tizminister Birkmann getan hat, missbraucht hat, der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Carsten Schneider13123
sollte die Größe haben, die Konsequenzen zu ziehen undsich zu verabschieden.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rainer Funke.
Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Gerade die Vorkommnisse der letztenWochen und Monate zeigen, wie wichtig die rechtsstaat-liche Ordnung für unser Gemeinwesen ist. Das Bundes-ministerium der Justiz hat dabei eine zentrale Funktion,obwohl der Etat des Justizministeriums eher von geringerBedeutung ist, was sicherlich auch an der föderalen Ord-nung in der Bundesrepublik liegt, da die Justizverwal-tungen Organe der Länder sind.Aber überall stellen wir fest, dass trotz des Rufens nachRecht und Ordnung, nach Rechtsstaatlichkeit, die Finanz-minister von Bund und Ländern versuchen, die Justiz-haushalte zu kürzen und Personaleinsparungen vorzuneh-men. Dies ist sicherlich der falsche Weg, wenn man denRechtsstaat erhalten oder gar ausbauen will.
Innere und äußere Sicherheit sowie das Justizwesen sindKernaufgaben des Staates. An dieser Stelle zu sparen be-deutet sicherlich, am falschen Ende zu sparen.
Auch die so genannte Justizreform, die am Freitag inerster Lesung für eine halbe Stunde im Deutschen Bun-destag beraten werden darf – eine halbe Stunde ist für einewichtige Reform, die sie sein soll, ja „angemessen“ –, hatzumindest im Ansatz fiskalische Ursprünge der Ein-sparung gehabt und hat sie eigentlich noch heute. DenRechtsschutz des Bürgers zu verkürzen ist sicherlich derfalsche Weg, wenn man den Rechtsstaat stärken will.
Mit Sorge sieht meine Fraktion, dass die Justizministe-rin immer wieder versucht, ihre Gesetzesvorhaben durchden Rechtsausschuss zu peitschen. Selbst bessere Ein-sichten aufgrund von Anhörungen im Rechtsausschussund Diskussionen in Berichterstattergesprächen werdennicht berücksichtigt. Vom Justizministerium wird Druckauf die Kollegen, beispielsweise auf die der SPD, aus-geübt. Es wäre wünschenswert, wenn wir im Rechtsaus-schuss zur kollegialen Zusammenarbeit, wie es sich unterJuristen eigentlich gehört, zurückkehrten.
Das Niederstimmen der Opposition hilft bei der Erar-beitung von Gesetzen nicht immer weiter. Ein gewissesVerständnis kann man sicherlich dafür haben, dass mannach 26 Jahren Arbeit als Abgeordnete – später auch alsOppositionspolitikerin – nunmehr Erfolgserlebnisse inder Form haben möchte, dass diese Gesetze schnell insBundesgesetzblatt kommen. Das darf aber nicht zulastender gründlichen Erarbeitung, vor allem nicht zulasten derKollegialität im Rechtsausschuss gehen.
Die Justizreform allerdings wird sicherlich kein Er-folgserlebnis für Sie werden, Frau Ministerin,
da alle im Justizbereich Tätigen gegen dieses so genannteReformvorhaben sind. Dasselbe Schicksal könnte auchdie Schuldrechtsreform erleiden, wenn man versucht,auch sie durch die Parlamentsgremien zu peitschen.
Eine so grundlegende Reform bedarf gründlichster, auchwissenschaftlicher Begleitung. Unter Hinweis auf umzu-setzende Richtlinien der EU Druck zu machen dient nichtder Sache. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischenSchuldrechtsreform und den umzusetzenden Richtlinienbesteht ohnehin nicht; das wissen Sie ganz genau, HerrHartenbach.Die F.D.P.-Fraktion begrüßt, dass durch die Initiativeauch meiner Fraktion – Herr Hoyer ist ja hier – die Zahlder Personalstellen beim Deutschen Patent- und Mar-kenamt erhöht worden ist. Das Patent- und Markenamtbietet eine für unsere Wirtschaft unentbehrliche Dienst-leistung. Wir werden sehr genau beobachten, ob es durchdiese Stellenvermehrung gelingt, den erheblichen Rück-stau aufzulösen, und sagen hierfür auch unsere Hilfe zu.Wir teilen Ihre Kritik, Herr Kollege Feibel, nicht ganz; wirsind vielmehr froh, dass wir durch gemeinsame Anstren-gungen diese Stellen bekommen haben. Ich hoffe, dassdadurch wenigstens Teile des Rückstaus abgebaut werdenkönnen.Mit Sorge sehe ich jedoch, dass die Bundesregierungnoch immer kein Konzept für die internationale rechtli-che Beratung entwickelt hat. Zunehmend haben sowohlIndustrieländer als auch Entwicklungsländer und dieMOE-Staaten ein Interesse daran, sich mit unserer deut-schen Rechtsordnung auseinander zu setzen und Gesetzezu übernehmen. Die Zuständigkeit für diese Beratung istaber in der Bundesregierung nach wie vor zersplittert. Ichhabe schon vor zwei Jahren angeregt, die Beratung kon-zentriert im Bundesjustizministerium anzusiedeln. Dortwäre diese rechtliche Beratung am besten aufgehoben unddort könnte ein Konzept entwickelt werden.
Ich frage mich nur, warum dies nicht geschieht. Das solltenun endlich in Angriff genommen werden.
Lassen Sie mich abschließend zur Insolvenzordnungkommen.Die 1994 verabschiedete und seit dem 1. Januar 1999in Kraft getretene Insolvenzordnung hat sich im Prinzipbewährt. Sie ist seinerzeit gründlich vorbereitet und auch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Carsten Schneider13124
von der damaligen Opposition – auch von Ihnen, FrauJustizministerin; Sie haben zum Teil an den Berichterstat-tergesprächen teilgenommen – unterstützt worden. Ichglaube, es ist ein gutes Gesetz geworden. Das damals ein-geführte Institut für Verbraucherinsolvenz und der Rest-schuldbefreiung ist im Prinzip richtig, auch wenn es inden vergangenen Monaten bei den Vorverfahren, also ins-besondere bei den Schuldnerberatungsstellen, zu Engpäs-sen gekommen ist. Dies liegt im Wesentlichen an denBundesländern, die diesen Flaschenhals nicht durch ent-sprechende finanzielle Spritzen erweitert haben. Mit an-deren Worten, es fehlt schlicht am Geld und es ist auchvon den Ländern – auch weil man sparen wollte – schlechtvorbereitet worden. Das gilt für alle Länder. Am Prinzipder Verbraucherinsolvenz und an den Restschuldverfah-ren werden wir nicht rütteln lassen; denn wir wollen, dassden zwei Millionen überschuldeten Haushalten und derenFamilienangehörigen eine Perspektive für ihr künftigesLeben gegeben wird. Deswegen werden wir dort, wo eszu Fehlentwicklungen gekommen ist, an einer Novellie-rung der Insolvenzordnung tatkräftig mitwirken. Ichglaube aber, dass die Insolvenzordnung insgesamt gut ist.Abschließend danke ich den Mitarbeiterinnen und Mit-arbeitern des Bundesministeriums der Justiz für ihre nichtimmer leichte Arbeit und hoffe auch für das nächste Haus-haltsjahr auf konstruktive Gespräche.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Volker Beck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese rot-grüne Koalition steht für einen entschlossenen und kon-sequenten Kampf gegen den Rechtsextremismus. Dasbelegt auch der Justizhaushalt für das nächste Jahr:10 Millionen DM werden Opfern rechtsextremistischerÜbergriffe künftig als Soforthilfe zur Verfügung stehen.Auch wenn in diesem Zusammenhang letzte juristischeFragen, etwa das Verhältnis zu anderen Ausgleichsan-sprüchen wie dem Opferentschädigungsgesetz, noch imDetail geklärt werden müssen, steht fest, dass diese Ko-alition es nicht hinnehmen wird, dass die Opfer des brau-nen Mobs nur deshalb leer ausgehen, weil den Tätern inaller Regel die Mittel zur Wiedergutmachung des Scha-dens fehlen. Dort, wo aus humanitären Gründen zügigeund unbürokratische Hilfe geboten ist, werden wir dieOpfer nicht auf den Rechtsweg verweisen. Auch das zeugtvon verantwortungsvoller Rechtspolitik.Meine Damen und Herren, es hat mich doch sehr ver-wundert, dass Herr Feibel hier gesagt hat, er sei gegendiese Soforthilfe, weil wir hier Opfern rechtsextremis-tischer Gewalt einen besonderen Zugang zur Opfer-entschädigung ermöglichen. Ich bin über seine Äußerun-gen sehr erstaunt. Sein brandenburgischer Kollege, derJustizminister Schelter, fordert seltsamerweise genau fürdiesen Bereich Strafverschärfungen.
Da kann man auf einmal rechtsextremistische Gewalt sehrgenau definieren – oder meint es zumindest. Wenn es aberum die Opfer geht, geht dieses auf einmal nicht mehr.
Wir als Politiker haben die Bevölkerung draußen imLande aufgefordert, aufzustehen, Zivilcourage zu zeigenund einzuschreiten. Wenn aber jemand einmal einschrei-tet und dabei zum Opfer wird, dann hat er unsere Solida-rität verdient.
Wenn wir diese nicht zeigen, dann lassen wir die Men-schen alleine und dann sind unsere Aufforderungen zurZivilcourage leere Phrasen. Hier geht es um die Glaub-würdigkeit der Politik. Unser Verhalten ist nur konse-quent.
Meine Damen und Herren, die von der Bundesregie-rung zusätzlich bereitgestellten Mittel im Kampf gegenrechts tragen einer alarmierenden Entwicklung Rech-nung: Über 1 000 Straftaten haben rechtsgerichtete Täterallein im letzten Monat verübt. Knapp 11 000 Straftatenwaren es seit Jahresbeginn. Rund 600 Menschen wurdenin diesem Jahr von rechten Schlägern verletzt, zwei Per-sonen sogar getötet. Verharmlosungen sind da nicht ange-bracht, aber auch kein legislatorischer Aktionismus. Ma-chen wir uns nichts vor: Weder ein NPD-Verbot durchKarlsruhe noch irgendwelche, angeblich notwendigenGesetzesänderungen würden an dieser Entwicklung ir-gendetwas nachhaltig ändern: Es gibt keine juristischenPatentrezepte. Wer aber diesen Eindruck vermittelt, han-delt meines Erachtens genauso verantwortungslos wiederjenige, der nichts tut.Ein Beispiel für verantwortungslose Schaumschlägereiist die Gesetzesinitiative aus Brandenburg. Sie vermitteltden Bürgern unter dem Motto „Der Gesetzgeber wird esschon richten – Zivilcourage überflüssig!“ ein von Grundauf falsches Signal. Dabei hat der vergangene Samstagdoch eindrucksvoll gezeigt: Wer es wagt, sich den Rech-ten in den Weg zu stellen, kann damit Erfolg haben. DieseEinstellung müssen wir durch unsere Politik fördern.
Das schafft keine Gesetzesänderung.Auch die von einigen vorgeschlagene Änderung desVersammlungsgesetzes hätte übrigens die NPD-Demonstration am Samstag nicht verhindern können.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Rainer Funke13125
Warum aber in ein Grundrecht von allen eingreifen, wennes noch nicht einmal nützt? Wir brauchen keinen Flicken-teppich befriedeter Bezirke in unserem Land. Den Tri-umph, dass wir in Deutschland Freiheitsrechte opfern, nurweil ein paar Neonazis es so wollen, dürfen wir den Rech-ten nicht gönnen. Wir lassen nicht zu, dass Demokratieund Rechtsstaatlichkeit eingeschränkt werden.
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gehb?
Aber gerne doch.
Herr Kollege Beck,
ich habe nur die Frage, ob Sie das Verhalten der Gegen-
demonstranten aus der linken bzw. autonomen Szene ge-
gen die NPD-Demonstration eigentlich als besonderen
Ausdruck von Zivilcourage ansehen.
Ich sehe es als einen besonderen Ausdruck von Zivilcou-rage an, wenn viele Bürgerinnen und Bürger auf dieStraße gehen, weil sie wissen, dass der braune Mob durchdie Stadt läuft, und diese Tatsache nicht unwidersprochenhinnehmen, sondern sich dem entgegenstellen.
Wenn einzelne Demonstranten, bei welcher Veranstaltungauch immer, Straftaten verüben oder irgendwie über dieStränge schlagen, dann ist das immer zu verurteilen. Wirhaben Gesetze, die für alle gelten. Man darf aber nicht dieZivilcourage der vielen Bürgerinnen und Bürger, die sichin Berlin auf die Straße getraut haben, diskreditieren, nurweil sich einzelne Personen womöglich nicht hundert-prozentig korrekt verhalten haben.
– Wie ich die Fragen beantworte, die Sie mir stellen, istimmer noch meine Sache.Wir brauchen keine neuen Straftatbestände. DerStraftatbestand der Körperverletzung aus niedrigen Be-weggründen, wie ihn Herr Schelter vorschlägt, ist über-flüssig. Jedes Gericht ist schon heute verpflichtet, Frem-denfeindlichkeit als strafverschärfend im Rahmen derStrafzumessung zu berücksichtigen. Dann reichen auchdie Strafrahmen aus. Man muss also die bestehenden Ge-setze nur richtig anwenden. Aber damit hat Herr Schelter,wie sich in den letzten Wochen zur Empörung der gesam-ten Richterschaft in Brandenburg gezeigt hat, offenbarseine liebe Mühe.Was wir brauchen, ist ein Bündel von Maßnahmen.Dazu mag auch die Initiative zum Verbot der NPDgehören. In kriminalpolitischer Hinsicht ist im Kampf ge-gen Straftaten von rechts eine Trias aus Repression,Prävention und Resozialisierung der Täter unverzicht-bar. Der Chef der Staatsschutzabteilung des BKA, HerrNeidhardt, hat letzte Woche auf der Herbsttagung in Wies-baden festgestellt: „Hartes Durchgreifen allein ist nichtausreichend.“ Recht hat er. Aber dort, wo es geboten ist,wo hinreichende Verdachtsmomente existieren, da mussauch konsequent ermittelt und notfalls hart durchgegrif-fen werden.
Die rot-grüne Reformpolitik läuft auch im BereichKriminalitätsbekämpfung und Erneuerung des Rechts-staates auf Hochtouren. Wir werden am Freitag Gelegen-heit haben, über die Justizreform ausführlich zu reden.Mit der Sanktionenrechtsreform erweitern wir für dieGerichte das Instrumentarium, um auf kriminelles Ver-halten angemessen und nachhaltig einzuwirken. Dasunflexible Geld- und Freiheitsstrafensystem aus dem19. Jahrhundert hat ausgedient. Sanktionen wie Fahrver-bot und gemeinnützige Arbeit sind manchmal schmerz-hafter und führen das Unrecht einer Tat besser vor Augenals die Überweisung eines Geldbetrages.Diese Sanktionenrechtsreform ist auch eine Reform fürdie Opfer und zu ihrem Schutz. Denn: Wenn wie heute inüberfüllten Haftanstalten eine Resozialisierung der Tätergar nicht mehr möglich ist, dann darf man sich über diehohen Rückfallquoten nicht wundern. Eine Perle dieserReform ist, dass 10 Prozent der Geldstrafen an die Opfer-hilfe gehen. Wir haben also eine Wende in der kriminal-politischen Diskussion eingeleitet. Wir reden nicht nurüber die Opfer, sondern wir tun auch etwas für sie.
Am Freitag wird der Bundesrat über ein weiteres wich-tiges Reformprojekt der rot-grünen Koalition diskutieren.Es geht um die eingetragene Partnerschaft, die wir hierauf den Weg gebracht haben. Das Signal ist klar: Dieeingetragene Lebenspartnerschaft wird ihren Weg insBundesgesetzblatt finden. Deshalb ergibt sich für dieMehrheit des Bundesrates die Notwendigkeit, die rechtli-chen Konsequenzen im Lebenspartnerschaftsergänzungs-gesetz zu ziehen und hier nicht aus parteipolitischenGründen zu blockieren.Allgemeine Rechtsgrundsätze müssen auch für ho-mosexuelle Partnerschaften sowie für die schwulen Bür-ger und die lesbischen Bürgerinnen dieses Landes gelten.Zu diesen allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehört: DieBesteuerung muss an der steuerlichen Leistungsfähigkeitanknüpfen.
Diese wird durch gesetzliche Unterhaltsverpflichtungberührt. Die Bedürftigkeitsprüfung im Sozialrecht muss
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Volker Beck
13126
gesetzliche Unterhaltsrechte berücksichtigen und einbe-ziehen. Dies hat auch bei der eingetragenen Partnerschaftder Fall zu sein. Das Alimentationsprinzip bei Beamtengilt selbstverständlich auch bei eingetragenen Lebens-partnern, die Beamte sind. In diesem Land ist immer nochdas Standesamt für Personenstandsfragen zuständig.
Dem Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetz kannnur derjenige die Zustimmung verweigern, der einen Kul-turkampf gegen die Rechte von Lesben und Schwulenführen will. Wie Sie, Herr Geis, vor einigen Wochen zudiesem Thema gesprochen haben,
stößt mittlerweile auch bei immer mehr Mitgliedern in Ih-rer Partei auf Scham, Entsetzen und Verbitterung.
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den saarlän-dischen Ministerpräsidenten, der in der „Woche“ gesagthat, es habe ihn betroffen gemacht, welche Sätze vonsei-ten der Unionsfraktion zu diesem Thema gefallen sind.
– Es waren die Kollegen Geis und Hohmann, die denHerrn Kollegen Müller betroffen gemacht haben.Ich finde es gut, dass in der CDU/CSU mittlerweileeine Debatte beginnt. Ich hoffe deshalb, dass wir hin-sichtlich der Rechtsfolgen der eingetragenen Partner-schaft zu einer sachbezogenen Diskussion finden werden,die zum Ausdruck bringt, dass wir die Rechte von Lesbenund Schwulen in diesem Land respektieren und diesenauch gesetzgeberisch Rechnung tragen. Ich denke, wirhaben hier eine Riesenchance. Ich hoffe, dass der Bun-desrat, dessen Bänke heute leider etwas leer sind,
am Freitag den Weg für den zweiten Teil der Reform freimacht.Vielen Dank.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Sabine Jünger.
Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Sieht man sich die Protokolle der letz-ten Debatten um den Justizhaushalt an, dann fällt auf, dassfast alle Rednerinnen und Redner ungeachtet ihrer Frakti-onszugehörigkeit immer wieder betonen, wie klein, aberdoch fein das Justizministerium ist und wie klein bzw.schmal auch der dazugehörige Haushalt. Darüber, ob derHaushalt ebenso fein ist, herrschte hier schon keine Ei-nigkeit mehr.Im kommenden Haushaltsjahr haben wir die gleiche Si-tuation: Das Justizministerium als Schlüssel- und Quer-schnittsressort ist noch immer ein feines Haus, das in Re-lation zu seiner Bedeutung ziemlich klein ist und auch imnächsten Jahr über ein sehr überschaubares Budget verfü-gen wird.Volker Beck hat an dieser Stelle einmal gesagt, dieRechtspolitik sei in der Koalition ein deutlicher Schwer-punkt. Es sind in dieser Legislaturperiode nicht wenigerechtspolitische Vorhaben angegangen oder zumindestangekündigt worden. Das war auch heute wieder der Fall.Aber ich frage mich schon, wie das alles bewerkstelligtwerden soll. In Anbetracht der großen Veränderungen, diedie Regierungskoalition noch auf den Weg bringen will,erscheint mir der finanzielle Rahmen doch mehr als dürf-tig auszufallen. Reformen, vor allem so ehrgeizige, sindnun einmal nicht zum Nulltarif zu haben.
Wie Sie mit den vorgesehenen Mitteln zum Beispiel dieMietrechtsreform zum großen Wurf werden lassen wol-len, frage ich mich schon. Wir werden – es ist schon ge-sagt worden – am Freitag in diesem Haus die Reform derZivilprozessordnung behandeln. Das ist wahrlich keinkleines Gesetzesvorhaben. Eine Reform ist längst über-fällig, gerade aus Gründen der Unzulänglichkeiten im Be-reich der Rechtspflege. Aber ich sage es ganz deutlich:Die PDS-Fraktion will eine Reform zugunsten der Bürge-rinnen und Bürger. Die vorgesehene Reform wird zwar alsbürgernah gepriesen, hat aber, wie ich denke, nicht zuletztden Zweck, Geld zu sparen.Die angekündigte große Justizreform, bei der die ZPO-Reform ein Teil sein sollte, ist, wie gesagt, nicht zumNulltarif zu haben. Im Gegenteil, zumindest anfangs wer-den die Umstellungen und Veränderungen sogar zusätzli-che Kosten mit sich bringen.Immerhin wird es im nächsten Jahr wieder mehr Geldfür Fortbildung und für Ausbildung geben. Es scheintmir dennoch sehr fragwürdig, wie mit so geringen Mittelnund so wenig Personal ein so bedeutende Reform be-werkstelligt werden soll. Eine wirkliche Strukturreformsehe ich so nicht.Wo ich gerade bei den großen Würfen bin, lassen Siemich auf ein Gesetz zu sprechen kommen, das vor einigenWochen hier verabschiedet worden ist und das in denletzten Jahren immer als rot-grüner Knüller angekün-digt worden ist – Herr Beck hat gerade dazu gesprochen –:die eingetragene Lebenspartnerschaft. Der KollegeStröbele hat im letzten Jahr nicht verstanden, warum ichgesagt habe, dass man dafür Geld braucht. Ich kann es Ih-nen gerne noch einmal erklären. Wir alle haben in denletzten Monaten deutlich gesehen, wie schlecht die Öf-fentlichkeit über dieses Projekt informiert war und ist.Das hat sich daran gezeigt, dass sowohl die CDU/CSU alsauch die Betroffenenverbände und große Teile der Bevöl-kerung nicht begriffen haben, dass die rot-grüne Koalitionuns hier mitnichten die Homoehe beschert hat.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Volker Beck
13127
In diesem Zusammenhang begrüße ich übrigens aus-drücklich, dass das Bundesjustizministerium erneut einengrößeren Etat für Öffentlichkeitsarbeit bekommt. Dasscheint mir ziemlich notwendig. Vielleicht sollten Sie,Frau Ministerin, wenigstens etwas Geld für eine Auf-klärungskampagne lockermachen, damit Schwule undLesben mit amtlich besiegeltem Willen zur Bindung undzur Verantwortungsgemeinschaft wenigstens wissen, wor-auf sie sich einlassen.Vielleicht schieben Sie gleich noch einen Infobrief andie bundesdeutschen Gerichte einschließlich des Bundes-verfassungsgerichtes, dessen Etat wir hier mit verhan-deln, hinterher. Erklären Sie den Richterinnen und Rich-tern, warum Sie Ihre politische Verantwortung an dieRechtsprechung delegieren. Die rot-grüne Koalition hatnicht den Mumm in den Knochen, für die völlige Gleich-berechtigung von Schwulen und Lesben zu streiten,
und belastet jetzt die Gerichte damit, die notwendigenKlarstellungen zu verfassen.
– Herr Hartenbach, das, was Sie verabschiedet haben,zeigt mir, dass Sie nicht den Mumm in den Knochen ha-ben, wahrlich eine Gleichstellung hinzubekommen. – Daswar kein Betriebsunfall und noch nicht einmal Schuld derkonservativen Opposition. Nein, das war von vornhereinvon Ihnen so geplant. Dazu könnte man eine Menge vonZitaten anführen.
– Manchmal haben auch Sie Schuld.Frau Ministerin, meine Damen und Herren von der Re-gierungskoalition, lassen Sie mich ganz zum Schluss ei-nen Vorschlag meiner Kollegin Christina Schenk aufgrei-fen: Richten Sie doch einen Rechtshilfefonds für dieHomos ein, die wegen ihrer Rechte vor Gericht ziehenmüssen! Wenn Sie schon auf halber Strecke stehen blei-ben und die Arbeit andere machen lassen, dann stellen Siediesen doch wenigstens die notwendigen Ressourcen zurVerfügung.Danke schön.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Norbert Geis.
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Ich werde zu einigenPunkten der Rechtspolitik Stellung nehmen, ohne dabeidie anderen Punkte, die ich nicht erwähnen kann, völligausklammern zu wollen. Diese Punkte sind genauso wich-tig; aber es ist nicht die Zeit vorhanden, um auf alle Pro-bleme, die wir haben, einzugehen.Das wichtigste Thema der Rechtspolitik ist die Justiz-reform. Hier wird der Versuch unternommen, gegen denRat der Anwaltschaft, gegen den Rat weiter Bereiche derRichterschaft und gegen den Rat von vielen Sachverstän-digen und Wissenschaftlern eine Reform durchzuboxen,die dann am Ende mehr Schaden als Nutzen bringen wird.
Es wird hier nach der neuen Devise der Rechtspolitik ge-handelt: Helm fest, Augen zu und mitten durch die Wand!Das ist Ihre Methode.
Die hatten wir früher in der Rechtspolitik nicht.
Wir konnten uns in der Rechtspolitik auseinander setzen;wir sind aufeinander zugegangen. Das Argument hat ge-golten. Jetzt gilt ein Argument nichts mehr. Wir lebenvielmehr mitten in der „Basta-Politik“: Basta, so wird esgemacht! Das Argument zählt nicht mehr. Das ist dieLage, in der wir uns befinden, und das ist das Problem, vordem wir stehen.
Ich unterstütze Herrn Funke in seinem Appell, imRechtsausschuss zu einer vernünftigen Diskussion, zu ei-nem vernünftigen Diskurs zurückzukehren.
Das ist verdorben. Hier müssen wir einiges tun, um denentstandenen Schutt wegzuräumen.Die Justizreform wird als bürgernah und effizient ver-kauft. Die Effizienz unserer Ziviljustiz ist sehr hoch. Imeuropäischen Vergleich liegen wir bei den Erledigungs-zahlen vorne. Die Justiz ist kaum effizienter zu gestalten,ohne die Einzelfallgerechtigkeit zu beschädigen. Es istalso nicht notwendig, ein großes Reformwerk auf dieSchiene zu setzen mit der Behauptung, dadurch solle dieJustiz effizienter werden. Wir haben eine effiziente Justiz.Das muss hier einmal festgehalten werden. Wir braucheninsofern keine Reform.
Es wird behauptet, nach der Reform werde die Justizbürgernäher werden. Wir haben eine bürgernahe Justiz;sonst würden sich nicht jährlich immer mehr Menschenan die Justiz wenden und dort ihr Recht suchen.
Das ist doch das Ergebnis einer bürgernahen Justiz. Wenndie Justiz den Bürgern wirklich fern wäre, dann würdenwir nicht derart hohe Eingangszahlen haben. Das ist dochkein falsches Argument. Wir haben eine bürgernahe Justizund ich fürchte, nach der Reform wird sie bürgerfern sein.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Sabine Jünger13128
Überlegen Sie nur einmal, was geschieht, wenn durch-geht, was vorgesehen ist, nämlich dass die Berufungsin-stanz bei den Oberlandesgerichten konzentriert wird.Dann müsste man bei mir zu Hause von Aschaffenburgnach Bamberg fahren. Dazu bräuchte man einen ganzenTag. Bei einem Streitwert von 1 500 DM sind die dadurchentstehenden Kosten viel zu hoch. Man verliert viel Zeit –und das für 1 500 DM. Die Kostenrelation wird den ein-zelnen Bürger dazu bringen, zu sagen: Ich gehe nicht indie Berufung.
Was bedeutet das? Das ist ein Weniger an Rechts-schutz; das ist ein Weniger an Rechtskultur. Deswegenmüssen Sie von diesem Vorhaben Abstand nehmen. Ichbitte Sie darum.
Dies gilt auch für die Zurückschneidung des Sachvor-trags. Hier sind Sie uns zwar einen Schritt entgegenge-kommen;
aber das ist immer noch zu wenig. Sie müssen den Sach-vortrag in zweiter Instanz zulassen. Ich habe es wiederholtgesagt: 90 Prozent des Zivilprozesses bestehen nun ein-mal aus Sachverhalt. Der Bürger muss die Möglichkeithaben, auch in zweiter Instanz noch einmal seinen Sach-verhalt zur Debatte und zur Diskussion zu stellen unddann darüber urteilen zu lassen. Darum geht es im Zivil-prozess. Sie machen das zunichte. Ich halte das für einenVerstoß gegen unsere Rechtskultur.Wir müssen alles unternehmen, mit der Anwaltschaft,mit der Richterschaft und mit weiten Teilen der Wissen-schaft, damit diese Reform so, wie sie auf dem Tisch liegt,nicht durchgebracht wird.Wir werden am Freitag die Regierungsvariante dieserReform erleben. Wer geglaubt hat, die vielen Diskussio-nen und die vielen Gespräche mit den Richtern, denRechtsanwälten und der Wissenschaft auf dem Juristentaghätten irgendetwas gebracht, der sieht sich getäuscht, derlebt auf einem anderen Stern. Der Vorschlag vom Freitagwird nichts anderes sein als eine Variation des Vorschlagsder Koalition vor der Sommerpause. Deswegen sind wirauch insofern tief enttäuscht.
Die Diskussion hat sich nicht ausgezahlt. Ich fürchte,auch die Anhörung wird nichts bringen.Ich fürchte, wir werden dieses Gesetz durchgepeitschtbekommen, wie das ja üblich ist.
Die Gesetze werden durchgepeitscht, man kann garnicht mehr vernünftig miteinander reden. Die Möglich-keit, noch einmal ein Rechtsgespräch mit Experten zuführen, ist ja nicht mehr gegeben.
Ich fürchte, dass wir wieder ein Gesetz bekommen, beidem die Regierungsparteien brutal von ihrer MehrheitGebrauch machen und zum Schluss vor einem Scherben-haufen im justiziellen Bereich stehen.
Durch die Einführung des Einzelrichters in fast allenBereichen werden die Kammern so gut wie abgeschafft.Alle Welt sieht in der Teamarbeit den großen Wurf, nur hatsich diese Erkenntnis noch nicht bis zum Justizministe-rium und bis zur Koalition durchgesprochen. Ich verstehedas nicht. Der Einzelrichter ist ein Verlust an Binnenkon-trolle. Die Abschaffung der Kammern ist ein Verlust derBinnenkontrolle der Richter untereinander. Das führt zuFehlurteilen, das führt zu einem Verlust an Rechtskultur.Auch dagegen müssen wir uns wehren.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es heißt nunnicht, dass wir nicht aufmerken müssen. Wir müssen alleVersuche unternehmen, um auch im justiziellen, auch imzivilrechtlichen Bereich Verbesserungen zu erreichen.Das Telekommunikationswesen hat auch im Rechts-bereich längst Einzug gehalten. Wir erleben immer mehr,dass Rechtsgeschäfte über das Internet abgewickelt wer-den. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Nutzung desInternets auch im Verhältnis von Richter und Staatsanwaltauf der einen und Betroffenen auf der anderen Seite undzwischen Richter und Kläger oder beklagter Partei auf dereinen und der anderen Seite möglich ist. Hier brauchenwir Rechtsvorschriften. Dafür sollten wir uns einsetzen,statt Reformvorhaben durchzusetzen, die am Schluss nureinen Scherbenhaufen übrig lassen.Dass die Telekommunikation im Bereich der Justizsehr wohl ihren Platz hat, beweist das elektronischeGrundbuch, das wir jetzt schon haben. Das Handelsregis-ter muss folgen.
In diesem großen Bereich bietet sich für den Bundestagdie Möglichkeit, die neue Kommunikationstechnik auchin der Justiz zu verankern.Ein Wort zum Gerichtsvollzieher. Wir werden inKürze das Gerichtsvollziehergesetz erneuern. Ich glaube,dass der Gerichtsvollzieher in der Justiz eine wichtigeFunktion hat. Was nützt mir der schönste Titel, wenn ichihn nicht durchsetzen kann? Dazu brauchen wir den Ge-richtsvollzieher. Deshalb glauben wir, dass der, der hier zuknapp kalkuliert, am falschen Ende spart.Ein Wort zur Streitschlichtung. Frau Ministerin, Siehaben mit Recht – da unterstütze ich Sie – darauf hinge-wiesen, dass das Instrument der Streitschlichtung, das wirhier im Parlament geschaffen haben, in den Ländern noch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Norbert Geis13129
zu wenig genutzt wird. Die Streitschlichtung ist ein ex-zellentes Mittel, um bei Streitwerten unterhalb von1 500 DM zu einem vernünftigen Ausgleich zu kommen,ohne dafür gleich einen großen Prozess beginnen zu müs-sen. Es ist nach der Devise eingerichtet worden: mehr Ei-genverantwortung und weniger Staat auch im Bereich derzivilrechtlichen Kleinverfahren. Die kleine Konfliktlö-sung sollten wir stärker vorantreiben. Hier unterstützenwir Sie. Wir halten dies für eine richtige und wichtigeEinrichtung.Ein Wort zum Lebenspartnerschaftsgesetz. VerehrterHerr Beck, wir haben darüber ausgiebig diskutiert. Abermit diesem Gesetz wurde in einer provokanten und, wieich meine, missglückten Weise versucht, eine Kopie derEhe durchzusetzen. Wir halten dies für verfassungswid-rig. In dieser Frage werden wir uns wohl – je nachdem,wie der Bundesrat entscheidet – vor dem Verfassungsge-richt wiedersehen.Eine der wichtigsten Aufgaben der Justiz überhaupt istnach wie vor die Bekämpfung der Kriminalität. DasVertrauen der Bürger hängt davon ab, ob es der Justiz ge-lingt, die Kriminalität zu bekämpfen und die innere Si-cherheit zu wahren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier geht es da-rum, dass wir gute Polizeien haben, dass wir gute Staats-anwaltschaften haben, die entsprechend anklagen, Ge-richte, die auch einmal bereit sind, den Strafrahmenauszuschöpfen, und dass wir über einen vernünftigenStrafvollzug verfügen, der dem Täter klarmacht, dass erfür seine Taten einzustehen hat und der Strafvollzug keineFreizeitveranstaltung ist.
Wir müssen nach wie vor gegen die organisierte Kri-minalität kämpfen. Dazu brauchen wir die Kronzeugen-regelung. Sie ist vor einem Jahr ausgelaufen. Es ist unsvöllig unverständlich, weshalb die Koalition untereinan-der zerstritten ist, ob die Kronzeugenregelung nun wiedereingeführt werden soll oder nicht. Es wurde eine eigeneKommission eingesetzt.
Ich hoffe, Sie kommen zu einem vernünftigen Ergebnis.Hier sollte sich die SPD einmal nicht so sehr nach denGrünen richten. Beim Lebenspartnerschaftsgesetz habenSie es zur Genüge getan. Richten Sie sich nun einmal nachIhrem eigenen Empfinden.Ob es Ihnen und der F.D.P. recht ist oder nicht: Wirbrauchen die Videoüberwachung, um Verbrechen effizi-ent zu bekämpfen. Wir brauchen eine Besserstellung derPosition des verdeckten Ermittlers. Bei der grenzüber-schreitenden Verfolgung von Verbrechen brauchen wireine europäische Regelung.Verehrte Frau Ministerin, wir brauchen aber keinSanktionssystem, das es letztendlich gut mit dem Tätermeint, das ihn billiger davonkommen lässt und dem Be-troffenen unter Umständen nicht sein Recht verschafft.Wir brauchen vielmehr ein Sanktionssystem, das denStraftaten gerecht wird. Wenn die Informationen, die ausIhrem Hause herausdringen, richtig sind, sind Sie davonmeilenweit entfernt.Natürlich müssen wir gegen rechtsextremistischeStraftaten angehen. Hier können wir nicht die Hände inden Schoß legen. Diese Gewalttaten müssen mit aller Ent-schiedenheit bekämpft werden. Aber es kann doch nichtmöglich sein, dass Sie die Gesinnung eines Täters als aus-schlaggebend dafür ansehen, ob das Opfer ein paar Markmehr bekommt oder nicht bzw. ob das Opfer besser ent-schädigt wird oder nicht.
Das kann doch nicht wahr sein! Das kann nicht mit unse-rer Rechtsordnung in Einklang gebracht werden. Hiermuss man von Populismus unterscheiden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine:Die Skinheads sollte man nicht zu hoch einschätzen. Un-ter diesen – Entschuldigung, wenn ich das so sage – Glatz-köpfen ist nicht so viel Hirn, dass allzu viel Ideologie –von rechts oder von links – darin Platz hätte. Das sinddumpfe Gewalttäter und Verbrecher, die das Verbrechenwollen.
Der Staat muss mit aller Entschiedenheit dagegen antre-ten. Ein solches Vorgehen unterstützten wir mit aller Ent-schiedenheit. Wir fordern die Gerichte auf, ihren Straf-rahmen endlich auch einmal auszuschöpfen.
Wir fordern den Strafvollzug auf, entsprechend strafver-folgend tätig zu sein und den Strafvollzug durchzusetzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, aber mandarf hier keinen Popanz aufbauen. Wir würden die Täternicht richtig einschätzen, wenn wir sie nicht als dumpfeGewalttäter qualifizierten und wenn wir nachlassen wür-den, dieser dumpfen Gewalt mit aller Macht entgegenzu-treten.
Herr Kollege
Geis, denken Sie bitte an die Zeit.
Oh ja. Einen Satz sage ichnoch.Wir haben im April dieses Jahres, lange bevor dieWelle des Rechtsextremismus begann, eine Verbesserungdes Jugendstrafrechts und des Jugendgerichtsgesetzeseingeleitet. Hier zeigen wir Möglichkeiten auf, um diesenrechten Gewalttätern entgegenzutreten. Ich möchte Siebitten, diesen Gesetzentwurf zu unterstützen. Die Rechts-politik ist nicht so spektakulär wie manche andere Poli-tikbereiche. Aber es geht hier um langfristige Weichen-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Norbert Geis13130
stellungen für die Gesellschaft. Deswegen kämpfen wir sosehr um den richtigen Weg.Danke schön.
Das Wort hatjetzt die Frau Bundesministerin der Justiz, Herta Däubler-Gmelin.Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin derJustiz: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Zunächst einmal möchte ich mich bei dem KollegenEichel, dem Bundesfinanzminister, und insbesondere beiIhnen, Herr Staatssekretär Diller, und natürlich bei denverehrten Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsaus-schusses
ganz herzlich für die zwar außerordentlich schwierigen,aber doch sehr sachlichen und sehr konstruktiven Ver-handlungen zum Haushalt 2001 bedanken.Lassen Sie mich sagen, warum ich das so ausdrücklichbetone. Wir alle, jedenfalls wir von der Koalition, tragengerade auch im Interesse der jungen Generation denSparkurs dieser Bundesregierung und gerade auch desBundesfinanzministers und des Haushaltsausschussesmit. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig. Dass das aberbei einem kleinen und außerdem außerordentlich stark aufVerwaltungshaushalt ausgerichteten Etat eine besondereSchwierigkeit mit sich bringt, das wissen wir. Wir habeneigentlich keine Rationalisierungspotenziale mehr. Des-wegen, meine Damen und Herren, brauchen wir – da binich für die Hilfe, egal, woher sie kommt, dankbar – immerdie Unterstützung dieses Hauses, um unsere Prioritätentatsächlich durchsetzen zu können.Wir müssen angesichts der Notwendigkeiten, also an-gesichts dessen, was wir eigentlich alles tun müssten, aufmanches Vorhaben verzichten, vieles zurückstellen undunsere Prioritäten sehr sorgfältig setzen. Das macht unsim Einzelnen vielleicht ungeduldig, aber es geht nicht an-ders. Nur: Wenn Sie uns helfen, dass wir die Prioritätendann auch zeitgerecht tatsächlich erledigen können, dannsind wir sehr dankbar.Zu diesen Prioritäten gehört auf der einen Seite dieStück für Stück vorzunehmende Modernisierung desnachgeordneten Bereiches und auf der anderen Seiteauch die Modernisierung von Justiz und Recht sowohlzum Schutz der Schwächeren in unserer Gesellschaft alsauch zu dem Zweck, dass die Justiz ihre Eigenschaft alstragender Pfeiler unserer demokratischen und sozialenRechtsordnung tatsächlich behalten kann.Lassen Sie mich mit dem nachgeordneten Bereich,insbesondere mit dem Deutschen Patent- und Marken-amt, beginnen. Ich bin Ihnen, Herr Kollege Schneider,und Ihnen, Herr Kollege Berninger, sehr dankbar für dieUnterstützung bei der Modernisierung des Deutschen Pa-tent- und Markenamtes, Ihnen, Kollege Diller, auch.Lieber Herr Feibel, Sie haben gerade so signifikant ge-sagt, das Deutsche Patent- und Markenamt leide unterdem stärkeren Eingang von Anträgen. Das ist nicht derFall. Es ist sehr gut, dass die deutsche Wirtschaft dasDeutsche Patent- und Markenamt stärker in Anspruchnimmt. Worunter es leidet, das ist die von Anfang der90er-Jahre bis 1998 praktizierte falsche Personalpolitik:Während die Zahl der Anträge stieg, nahm die der Perso-nalstellen ab. Darunter leiden wir noch heute.
Natürlich brauchen wir noch erheblich mehr Personal,aber es hat überhaupt keinen Sinn, jetzt die rot-grüne Re-gierung für Ihre Versäumnisse anzugreifen. Die Stellen,die wir besetzen können, werden wir besetzen. Wir brau-chen Geduld, um auf dem Arbeitsmarkt, den Sie ange-sprochen haben, tatsächlich hochleistungsfähige Patent-prüfer in ausreichender Zahl zu bekommen.20 Stellen für Patentprüfer, 5 Stellen für Markenprüfer,14 Stellen für IT-Fachpersonal, 10 weitere Stellen für Ju-risten zum Abbau des Rückstands im Markenbereich –das ist zusätzlich zu dem, was gerade besprochen wurde,nicht so schlecht, aber Sie haben völlig Recht: Wir wer-den weitermachen.Lassen Sie mich noch eines dazu sagen. Der Zustanddes Deutschen Patent- und Markenamtes, so wie wir esübernommen haben, musste natürlich auch im Bereich derInformations- und Kommunikationstechnologie verbes-sert werden. Es war ein Skandal, dass viele Patentprüfereinen PC zwar aus ihren Patentanmeldungen kannten,aber nicht als Arbeitsmittel. Dass es einen unglaublich ho-hen Betrag an Geld erfordert, um tatsächlich PCs undDEPATIS-Stationen in ausreichender Zahl zur Verfügungzu stellen, das wissen Sie. Auch dafür, dass wir hierfürnoch zusätzlich etwas bekommen haben, sage ich herzli-chen Dank, aber ich sage Ihnen ebenso: Auch das mussweitergehen.Wir haben ferner zum 1. April des kommenden JahresMaßnahmen vorgesehen, die natürlich in einem industri-ellen Hightechland längst hätten passieren müssen. Wirwerden zum 1.April des kommenden Jahres in der Tat denInternetzugang zu DEPATIS – das ist die Patentdatenbankfür Forschung und Industrie – ermöglichen.
Lassen Sie mich noch etwas sagen. Es wird mir immervorgeworfen – ich habe das jedenfalls gehört –, ich würdeim Zuge der Modernisierung gelegentlich heilige Küheschlachten oder Sakrilege begehen. Ich bekenne michschuldig. Wir werden auch im Bereich des Deutschen Pa-tent- und Markenamtes wieder eine heilige Kuh schlach-ten, und zwar die gezackte Gebührenmarke, die älter als100 Jahre ist. Sie wird es ab dem 1. Januar 2002 mit derEinführung des Euro nicht mehr geben,
sondern ein außerordentlich modernes Abrechnungssys-tem.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Norbert Geis13131
Es hätte Sie niemand davon abgehalten, spätestens An-fang der 90er-Jahre diese Veränderungen und Verbesse-rungen einzuführen. Zu der Zeit waren sie längst auf demMarkt.
Ich habe als einen weiteren Punkt genannt, dass wir dasRecht und die Justiz modernisieren und damit den von Ih-nen in 16 Jahren hinterlassenen Reformstau Stück fürStück abbauen, Herr Funke. Natürlich war abzusehen,dass Ihnen nicht alles gefällt, was wir vorschlagen oderwas wir in den Bundestag einbringen. Aber dass wir Sieeinladen, mitzudiskutieren
und sich nicht zu verweigern, wie Sie es in weiten Berei-chen getan haben, will ich noch einmal sehr deutlich zumAusdruck bringen.
Es waren Sie, die Kolleginnen und Kollegen von CDUund CSU, die sich bei unserem Gesetz „Erziehung ja –Gewalt nein“ verweigert haben. Sie waren es, die Nein ge-sagt haben.
– Sie haben dagegen gestimmt, auch wenn es Ihnen jetztnicht passt, dass man Sie daran erinnert.
– Lieber Kollege Geis, Sie haben auch gegen die Besser-stellung von Alleinerziehenden hinsichtlich des Kinder-geldes gestimmt.
Wenn Sie jetzt ankündigen, dass Sie beim Gewaltschutz-gesetz dafür stimmen werden, finde ich das hervorragend.Wir werden Sie beim Wort nehmen.
All das gehört dazu, dass das Recht auf der Seite derSchwächeren stärker werden muss.Jetzt kommen wir zu den Kriminalitätsopfern. Sie sindim Grundsatz, wie ich Ihren Worten entnehmen kann, garnicht so weit von mir entfernt. Aber dann müssen Sieauch, wenn es um den verstärkten Täter-Opfer-Aus-gleich geht, zustimmen und dürfen dazu nicht Nein sagen.
Auch beim strafrechtlichen Sanktionensystem werden wirdie Rechte der Opfer weiter verstärken. Auch dabei wer-den wir Sie beim Wort nehmen, weil Sonntagsreden alleinohne Zustimmung hier im Bundestag nicht ausreichen.
Lassen Sie mich noch etwas zu dem, wie ich hoffe, ge-meinsamen Eintreten für Menschenrechte sagen. HerrFeibel, ich hätte mich sehr gefreut, wenn Sie gesagt hät-ten: Jawohl, dieser 10-Millionen-DM-Fonds für die Opferrechtsextremistischer Gewalt ist wirklich eine gute Sache.
Wenn Sie noch hinzugefügt hätten, dass Sie einen weite-ren Fonds wünschen, wenn Bedarf besteht, lieber HerrFeibel, dann fände ich das in Ordnung. Aber es hat dochkeinen Sinn, immer die Opfer der einen Seite gegen dieanderen auszuspielen.
– Ob Sie jetzt nun wieder schreien oder nicht, spielt dochkeine Rolle. Wir werden ja sehen, ob Sie dem Justizhaus-halt zustimmen.
Ich würde mich freuen, wenn Sie das sehr deutlich täten.Dass 2001 das Menschenrechtsinstitut endlich anfangenkann, zu arbeiten, dass wir mit der Ratifizierung jetzt in derTat dem Internationalen Strafgerichtshof den Weg frei ge-macht haben, dass wir dem Menschenrechtsgerichtshof inStraßburg – übrigens auch dafür ganz herzlichen Dank – dienotwendigen zusätzlichen Mittel tatsächlich zugestehenkönnen, ist das Ergebnis der Haushaltsberatungen. Ich be-danke mich ausdrücklich beim Haushaltsausschuss, dassdies möglich gewesen ist.
Jetzt lassen Sie mich noch etwas zur Modernisierungsagen. Ich hätte es gerne gesehen, wenn Sie das Miet-recht modernisiert oder angefangen hätten, die Schuld-rechtsmodernisierung voranzubringen. Niemand hat Siedaran gehindert. Herr Funke, in dem Punkt gebe ich Ihnenvöllig Recht: Beides sind ganz wichtige Projekte. Ich habemich gerade noch einmal vergewissert: Sie haben am18. September 2000 unseren Diskussionsentwurf zurSchuldrechtsmodernisierung übermittelt bekommen.
Meine Bitte ist, jetzt nicht wieder so lange darüber zuschimpfen, bis es zu spät ist, sondern mitzudiskutieren.Ich stehe Ihnen für Diskussionen in beiden Fällen – daswissen Sie ganz genau – gerne zur Verfügung. Eine wis-senschaftliche Begleitkonferenz wird es geben, und zwareine ständige, weil wir in der Tat zusammenarbeiten müs-sen.Nur, die Bereitschaft zur Zusammenarbeit muss auchvon Ihrer Seite kommen. Zur Zusammenarbeit laden wirSie ein, genauso wie zum Beispiel bei der Namensaktie,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin13132
der virtuellen Hauptversammlung oder jetzt bei der Auf-hebung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung.Selbstverständlich tun wir das auch bei den Gesetzesvor-haben, die ja schon alle eingebracht sind und die, wenn esnach uns geht, bis Ende des kommenden Jahres beratenwerden sollen.Das sind die Grundlagen, die Sie anmahnen, Herr Geis,und die die Möglichkeit geben sollen, die Informations-und Kommunikationstechnologien nicht nur bei Ge-richt, sondern auch im Rechtsverkehr ohne Schaden ein-zusetzen.
Auch diese Grundlagen hätten Sie schon vor Jahren ein-bringen können. Wir tun das jetzt.
Ich will noch auf zwei Bereiche eingehen, die ganz be-sonders wichtig sind, nämlich auf das Biopatentgesetzund das Urheberrecht. Ich sage Ihnen: Auch da werdenwir Sie zu gemeinsamen Diskussionen einladen, da dasRecht auch auf diesen Gebieten modernisiert werdenmuss, wenn wir den Anschluss ans 21. Jahrhundert errei-chen wollen.Sie haben die Justizreform erwähnt. Ich freue michdarüber. Noch nie ist so häufig über die Notwendigkeit derModernisierung von Justiz geredet worden wie jetzt undnoch nie so wenig über das, was Sie in den letzten 16 Jah-ren getan haben, nämlich ständig die Streitwerte zulastender kleinen Leute zu erhöhen.
Wenn ich mir die Debatten der vergangenen Tage undMonate anhöre, höre ich nichts mehr von diesem etwasmerkwürdigen Vorwurf, wir würden gegen die Amtsge-richte vorgehen.
Denn Sie wissen mittlerweile, dass Sie damit gar keinenErfolg mehr haben werden. Wir stärken die Amtsgerichte.Auch dazu laden wir Sie ein.
Verehrter Herr Geis, Sie waren schon einmal weiter.Ich darf Sie an den Sachverständigenrat „Schlanker Staat“erinnern und an den Gesetzentwurf zur Rechtspflegeent-lastung, den Sie sogar eingebracht haben. Ich fürchte, eswird wieder Folgendes passieren: Jetzt werden Sie Him-mel und Hölle in Bewegung setzen, aber wenn wir dasGesetz verabschieden, werden Sie sagen: Wir haben dasfrüher schon immer gesagt, aber Rot-Grün macht dasnicht in der Art und Weise, wie wir das immer wollten.
Die F.D.P. wird dann auf den Redebeitrag meines Vor-gängers, des Herrn Kollegen Schmidt-Jortzig, auf demDeutschen Juristentag in Bremen verweisen. Er ist imÜbrigen sehr viel konsequenter in die Richtung, die Sieheute bekämpfen, gegangen, als es Ihnen heute recht ist.Ich sage Ihnen: Diskussionen zur Verwaltungsgerichts-ordnung, zur StPO und zum FGG werden folgen. Bei derZPO freue ich mich auf die Auseinandersetzung, auch amnächsten Mittwoch bei der Anhörung im Rechtsaus-schuss.
Lassen Sie mich noch einmal betonen: Wir machen alldas in größter denkbarer Transparenz. Sie waren früher,zu Ihrer Regierungszeit, nicht bereit, die Referenten- undDiskussionsentwürfe allen zur Verfügung zu stellen, diesich dafür interessieren. Wir tun das. Sie finden sie immerim Internet.
– Das kann ja sein – für einige Privilegierte.
Wir hingegen legen großen Wert darauf, dass sich alle in-teressierten Bürgerinnen und Bürger via Internet überdiese Vorhaben informieren und ihren Sachverstand oderihre Meinungen einbringen können.
Ich finde es gut, dass jetzt wieder über Rechtspolitikgeredet wird. Ich finde es auch unvermeidlich, dass wiruns darüber auseinander setzen. Lassen Sie michnochmals sagen: Ich lade Sie herzlich dazu ein.Ich möchte diese Ausführungen gerne damit schließen,dass ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bun-desministeriums der Justiz und aller nachgeordneten Be-reiche ganz herzlich danke. Ich weiß, wie viel Motivation,Engagement und Arbeitskraft sie jeweils in die Moderni-sierung unseres Rechtssystems und der Justiz stecken. Ichfreue mich über alle aus diesem Hause, die ihnen auch ge-dankt haben.Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-sprache.Wir kommen zu den Abstimmungen. Wir stimmenzunächst über den Einzelplan 07 des Bundesministeriumsder Justiz in der Ausschussfassung ab. Wer stimmt dafür?– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Einzel-plan 07 ist angenommen.Wir kommen zum Einzelplan 19 des Bundesverfas-sungsgerichts in der Ausschussfassung. Wer stimmtdafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – DerEinzelplan 19 ist mit den Stimmen des gesamten Hausesangenommen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin13133
Ich rufe auf:III. 11 hier: Einzelplan 06Bundesministerium des Innern– Drucksachen 14/4506, 14/4521 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Werner HoyerGunter WeißgerberLothar MarkCarl-Detlev Freiherr von HammersteinHerbert FrankenhauserOswald MetzgerDr. Christa LuftIII. 12 hier: Einzelplan 33Versorgung– Drucksachen 14/4000, 14/4302 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Günter RexrodtEwald SchurerJosef HollerithOswald MetzgerHeidemarie EhlertZum Einzelplan 06 liegen zwei Änderungsanträge derFraktion der CDU/CSU und neun Änderungsanträge derFraktion der PDS vor. Über einen Änderungsantrag derFraktion der PDS werden wir später namentlich abstim-men.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dieAussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die Frak-tion der CDU/CSU ist der Kollege Detlev vonHammerstein.
ehrten Kolleginnen und Kollegen! Im Einzelplan 06 gibtes zumindest in Teilbereichen einen Konsens; das ist inparlamentarischen Beratungen manchmal ganz schön.Aber es gibt auch andere Bereiche, die nicht in dem Maßekonsensfähig sind, wie wir als CDU/CSU-Fraktion es unsvorstellen.
Ich nenne als Beispiel die Behandlung der Russlanddeut-schen sowie andere Themen, zu denen sicherlich meinFreund Erwin Marschewski später einige politische Aus-sagen machen wird.Ein wichtiges Problemfeld – ich denke, darin sind wiruns parteiübergreifend einig – sind Personalfragen. Indiesem Zusammenhang bin ich sehr glücklich darüber,dass wir auf einzelnen Sektoren – zum Beispiel Bundes-kriminalamt, Bundesgrenzschutz und THW– in der Fragevon Stellenanhebungen ein ganzes Stück weitergekom-men sind und zum Teil eine Stellenaufstockung erreichenkonnten.Allerdings, Herr Minister, gehört zu einem guten undschlanken Staat auch Personal, das mit Begeisterung anseine Arbeit geht. Ich habe in den letzten Wochen ver-hältnismäßig viele Beschwerdebriefe von Mitarbeiterndes Bundeskriminalamts und des Bundesgrenzschutzesbekommen, die sich darüber beklagt haben, trotz ihrer ho-hen Qualifizierung nicht originär polizeiliche Aufgabenwahrnehmen zu müssen, sozusagen im Büro statt an derGrenze. Ich habe deshalb an Sie die Bitte, sich in IhremHause um diese Bereiche zu kümmern und sich gegen-über dem Parlament auch klar zu äußern. Denn die Si-cherheit der Bundesrepublik, die im internationalem Ver-gleich Gott sei Dank sehr hoch ist, lässt sich nurgewährleisten – ich habe das bei früherer Gelegenheitschon erwähnt –, wenn sie auf gute Beamte mit fundier-ten Kenntnissen und Fähigkeiten zurückgreifen kann.Nun lassen Sie mich zu einzelnen Punkten kommen:Herr Minister, Sie wissen, dass es einige Felder gibt, aufdenen ich erhebliche Schwierigkeiten habe, die Haus-haltsansätze nachzuvollziehen. Ich will mit dem Bundes-grenzschutz anfangen; man kennt mich dort und weiß,dass ich eine andere Auffassung als die Regierung ver-trete. Ich habe vorhin ein Gespräch mit dem Vorstands-vorsitzenden der Deutschen Bahn, Herrn Mehdorn, ge-habt. Auch zu diesem Zeitpunkt, Herr Minister, steht trotzder entsprechenden Behauptungen von Ihnen und derHaushaltsgruppe der SPD noch nicht fest, ob die 125 Mil-lionen DM, die jetzt im Haushalt 06 gekürzt werden, vomBundesgrenzschutz zu zahlen sind.Meine Auffassung ist, dass der Bundesgrenzschutz dieAufgabe der Sicherung des Schienennetzes und derBahnhöfe hat.Deswegen ist es meines Erachtens sehr wichtig, dasswir uns zu dieser Thematik klar äußern. Ich bitte Sie,nachher zu erläutern, ob es hier zu einem Konsens kom-men kann. Wer heute die Zeitungen aufgeschlagen hat,konnte feststellen, dass Herr Mehdorn in Anbetracht vonKonflikten mit dem Aufsichtsrat der Deutschen Bahn sehrstark angegriffen wird. Ich glaube aber, er ist ein guter Un-ternehmer und kümmert sich zunächst einmal darum, fest-zustellen, welche möglichen Ausgaben der Bahn für dieZukunft noch nicht klar und deutlich feststehen.
– Nein, lieber Kollege, wir sind jetzt beim Haushalt 2001.Deswegen sprechen wir dazu. Auch wir haben, rück-blickend besehen, vielleicht hier und dort einmal einenFehler gemacht.
Trotzdem berichte ich jetzt über den Haushaltsplan 2001.Über ihn reden wir und über ihn diskutieren wir. Über ihnmüssen wir uns jetzt Gedanken machen und überlegen,was wir wollen.Es kann nicht angehen – das muss ich Ihnen sagen; dabrauche ich gar nicht den Minister anzuschauen –, dass
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Vizepräsidentin Petra Bläss13134
wir zum Beispiel die Bahn, die Sie als Grüne ja favorisie-ren – –
– Sie kämpfen für sie, aber Sie befreien sie nicht von den– so die letzten Daten – 700Millionen DM Ökosteuer. Esgibt keine Bahn, die in Europa im Wettbewerb und inKonkurrenz zur Bundesbahn steht, die diese Ökosteuer zuzahlen hat.
Wenn Sie sich wirklich definitiv für die Deutsche Bahneinsetzen, die in ganz großen Schwierigkeiten steckt – –
– Wir kommen zu den zwei Milliarden DM. Ich sprachvon den 125 Millionen DM. Ich komme gleich zu einemzweiten Fall, dem Flugsicherheitsdienst. Natürlich kannman immer sagen: Wir sparen Steuern und wir sind bereit,zusätzliche Gelder auszugeben. Wenn aber zur gleichenZeit mehrere hundert Millionen DM zusätzliche Abgabengeleistet werden müssen, so können wir das nicht mittra-gen – das muss man verstehen – und der Vorstandsvorsit-zende der Deutschen Bahn auch nicht. Wenn Sie für dieDeutsche Bahn kämpfen, dann ist es auch Ihre Aufgabe,sich darum zu kümmern, dass zumindest sie diese Öko-steuer nicht zu zahlen hat. Sie hat noch viele andere Dingezu bezahlen, die Mehrwertsteuer zum Beispiel, und stehtin Konkurrenz mit anderen. Wenn Sie sich darum küm-merten, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Ich hoffe, dass wirin Zukunft zu klaren Finanzdaten kommen. Ich gehe auchdavon aus, dass sich der Minister hierzu äußern wird.Ich will zwei weitere Beispiele aus dem investiven Be-reich nennen, die mich ein wenig irritieren, weil dort er-hebliche Kürzungen vorgenommen werden. Ich meine denBundesgrenzschutz und das Bundeskriminalamt. – Ichwill nicht auf alle Bereiche eingehen, weil meine Redezeithierfür zu kurz ist. – Auch hier hoffe ich, Herr Minister,dass wir zu Regelungen kommen, was Geräte, Ausrüstung,Waffen, Fahrzeuge und andere Dinge mehr angeht, auchwenn der Einzelplan 06 nicht so viele Gelder im investi-ven Bereich ausweist.Einen weiteren Bereich hatte ich schon angesprochen.Das ist die Flugsicherheit. Hier werden wir auch nichtzustimmen. Es mag ja sein, dass wir an den Flughäfen inZukunft etwas mehr Geld für die Sicherheit ausgeben sol-len. Diese spielt eine große Rolle. Wenn Sie aber so etwastun, so ist es wichtig, dass wir es dem Bürger öffentlichund klar sagen, dass wir also nicht auf der einen Seite sa-gen, wir sparen Steuern, und auf der anderen Seite unun-terbrochen neue Gebühren erheben und neue Verordnun-gen erlassen. Ich gehe davon aus, dass hierüber eineeinhellige Meinung im Deutschen Bundestag zu erzielenist.Nun zu einem dritten Bereich, Herr Minister, nämlichdem Sport. Hier besteht nun in vielen Dingen Gott seiDank Einigkeit. Meines Erachtens ist es eine Aufgabealler Politiker und aller Bürger dieser BundesrepublikDeutschland, sich für den Sport einzusetzen. Ich bin auchein wenig stolz darauf, dass die CDU/CSU-Haushältermit den anderen zusammen – das muss ich klar und deut-lich sagen – in vielen Punkten Dinge erreicht haben, dieSie zunächst nicht wollten, aus welchen Gründen auchimmer, meistens aus finanziellen. Zwar wollten Sie Milli-arden, aber Ihr Nachbar, der Herr Eichel, der leider nichtda ist, wollte immer weiter kürzen.
– Nein, nein, lieber Günter. Warum er immer noch alsSparminister bezeichnet wird, weiß ich allerdings nicht.Darüber wollen wir uns nicht mehr äußern.
Herr Minister, es gibt also Teilbereiche – ich denke anden Goldenen Plan –, in denen es Komplikationen gab.Ich bin sehr stolz darauf, dass es uns als CDU/CSU-Gruppe gelungen ist, hier etwas zu erreichen. Ich bin auchdamit zufrieden, dass im Spitzensport etwas passiert ist.Bei den Hochleistungszentren hatten Sie gekürzt. Wir ha-ben eine Aufstockung um 28 Millionen DM vorgeschla-gen, die SPD-Fraktion will 14 Millionen DM zusätzlicheMittel zur Verfügung stellen. Ich halte das für richtig,auch für die Olympia-Leistungszentren. Obwohl wir indiesem Jahr nicht mit allen Olympioniken zufrieden ge-wesen sind, ist es Aufgabe des Staates, sich auch in Zu-kunft um diese Menschen zu kümmern. Ich bin ganz po-sitiv gestimmt und erwarte, dass da in Zukunft wiedermehr passiert.Ein Bereich, Herr Minister, den ich gerne ansprecheund der natürlich auch sehr schön ist, betrifft die beidenStadien in Leipzig und Berlin, die jetzt für die Fußball-weltmeisterschaft 2006 in Deutschland umgebaut werden.Das alles ist zwar schön und gut. Aber ich lehne es striktab – das sage ich klar und deutlich –, wenn man sich imBerliner Senat einkaufen muss, indem man den Umbaudes Olympiastadions mit 386 Millionen DM zusätzlich fi-nanziert – ich weiß noch nicht, in welchem Haushalt dieseSumme eingestellt wird; aber vielleicht lässt sich das he-rausfinden, und zwar möglichst bald, damit der Bürgerauch mit Sicherheit davon ausgehen kann, dass das bezahltwird; das ist meines Erachtens entscheidend –, um so eineMehrheit für die Steuerreform zu bekommen.Wenn wir den Umbau der Stadien in Berlin und Leip-zig mitfinanzieren, dann müssen wir uns in gleichemMaße – Gunter Weißgerber nickt sporadisch – auch für dieStädte einsetzen, die sich mit ihren Stadien ebenfalls alsAustragungsorte für die Fußballweltmeisterschaft 2006beworben haben. Deswegen fordern wir, dafür weitere222 Millionen DM einzustellen.
Darüber kann der Minister ruhig lachen. Er kann sich dazunachher noch äußern, wenn er möchte. Herr Schily, Siesollten nur bedenken: Wenn Sie mit den Bürgern in Mün-chen oder in anderen Städten zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen sprechen, dann werden Sie feststellen, dass dieLeute die gleiche Auffassung haben wie die Menschen inBerlin und Leipzig.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein13135
Zum Schluss meiner Rede möchte ich – auch wenn derStaatssekretär dazwischenredet – den Minister direkt an-sprechen und ihm sagen: Ich bin sehr zufrieden, dass wirüber alle Parteigrenzen hinweg die finanziellen Regelun-gen für die Stiftungen hinbekommen haben. Aber ichglaube, dass im Augenblick die Mitglieder des Präsidiumsund die Fraktionsvorsitzenden sehr intensiv über die fi-nanzielle Ausstattung der Stiftungen und der Botschaftendiskutieren. Ich gebe zu bedenken, Herr Minister: Es istein Fehler, wenn ein so großer und international bedeutsa-mer Staat mit großen Exportchancen wie die Bundesrepu-blik Deutschland nicht bereit ist, seine Außenstellen wieStiftungen, Botschaften und andere Auslandsvertretungenfinanziell und personell so auszustatten, dass sie auch inZukunft gut arbeiten können. Deswegen bitte ich Sie – derjetzige Haushalt steht schon fest –, sich im laufenden JahrGedanken über eine Verbesserung der Situation zu ma-chen, weil dies meines Erachtens ein sehr wichtiger Be-reich ist.Als Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion möchteich mich bei allen Kollegen aus dem Haushaltsausschuss,die für die Erarbeitung des Einzelplans 06 zuständig wa-ren, herzlich bedanken. Wir haben trotz einiger unter-schiedlicher Auffassungen ein gutes, harmonisches undfreundschaftliches Verhältnis untereinander. HerzlichenDank!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
für die SPD-Fraktion der Kollege Lothar Mark.
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-ginnen! Liebe Kollegen! Mir fällt die Aufgabe zu, einigesüber den Sporthaushalt zu sagen. Auch mir steht, lieberKollege Hammerstein, sehr wenig Zeit zur Verfügung.Auch ich möchte betonen, dass wir im Haushaltsaus-schuss immer wieder ein weitestgehendes Einvernehmenin Fragen des Sports erzielt haben und dass ein gutesKlima in den Berichterstattergesprächen über diesen The-menbereich herrschte.Der Sporthaushalt ist in diesem Jahr deutlich erhöhtworden. Dies ist eine Reverenz an den gesamten Sport.Ich betone bewusst, dass in diesem Jahr auch der Breiten-sport im Rahmen des Goldenen Planes Ost davon profi-tiert, genauso der Behindertensport und der Hochleis-tungssport.Der Sport erfüllt in Deutschland nicht nur eine Ge-sundheitsfunktion, sondern auch eine große sozialeFunktion. Immerhin sind 27 Millionen Mitglieder in87 000 Sportvereinen organisiert. Im Zusammenhang mitdem Problem der Fremdenfeindlichkeit fällt dem Sporteine besondere Bedeutung zu; denn wir wissen, dass inden Sportvereinen Integration betrieben wird und Frem-denfeindlichkeit und Fremdenhass dort Fremdwörtersind. Deswegen legen wir großen Wert darauf, dass dieVereine gestärkt werden und der Sport seinen gegenwär-tigen Stellenwert behält bzw. weiter gefördert wird.
Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass gerade beimProfisport, der ja in unserem Haushalt nichts zu suchenhat, sehr viele Sportkoryphäen Ausländer sind. Es gibtauch Beispiele, wo dies besonders aufgezeigt und gesagtwird: Wenn sie nicht mehr da wären, könnte diese Mann-schaft überhaupt nicht mehr spielen. – Das ist sowohlbeim Fußball, beim Eishockey, beim Basketball als auchbei vielen anderen Sportarten so.Der Kollege von Hammerstein hat auf den „GoldenenPlan Ost“ hingewiesen. Sie wissen alle, dass dies von dersozialliberalen – wollte ich gerade sagen –,
von der Regierungskoalition eingeführt wurde und dassder Mittelansatz für den „Goldenen Plan Ost“ nun erst-mals erhöht wurde, und zwar auf 29 Millionen DM, waszusätzliche Investitionen in den jeweiligen Bundeslän-dern ermöglicht.Zum anderen ist es uns gelungen, die Mittel für denHochleistungssport im investiven Sektor von 40 auf54 Millionen DM zu erhöhen,
obwohl die Sportverbände eigentlich schon akzeptierthatten, mit diesen 40 Millionen DM auskommen zu müs-sen. Aber wir wollten dem vorbeugen, dass gesagt würde:Weil die Bundesrepublik bei der Olympiade nicht so son-derlich gut abschnitt, kürzen wir. – Das kann nicht sein.Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei dieser Gelegen-heit möchte ich allen Olympioniken in Sydney Dank sa-gen. Ob es nun die Olympischen Spiele selbst waren oderdie Paralympics, spielt dabei keine Rolle. Wir dürfennicht immer nur denjenigen Dank sagen, die Medaillengewinnen, sondern auch denjenigen, die sonst hervorra-gende Leistungen erbringen.
Wenn man zum Beispiel in einer Sportart den achten Platzweltweit einnimmt, dann ist dies eine absolut erwähnens-werte Leistung.Ich möchte zu den Stadien in Berlin und Leipzig sa-gen, dass hier von der CDU/CSU ein falsches Spiel ge-trieben wird.
Ursprünglich wurde für die beiden Stadien in Berlin undLeipzig die Zusage erteilt: Wenn die Weltmeisterschaftnach Deutschland kommt, dann wird der Ausbau dieserStadien finanziert. Das haben wir eingehalten. Dies istquasi eine Infrastrukturfinanzierung für den Osten, weilsonst kein Stadion in Ostdeutschland in der Lage wäre,
Wettkämpfe im Rahmen der Fußballweltmeisterschaftdurchzuführen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein13136
Hinzu kommt – und deswegen sage ich auch einigeszum Antrag der CDU/CSU –: Wenn nun der Antragkommt, dass alle anderen Stadien mitfinanziert werdensollten, in denen Spiele der Weltmeisterschaften ausgetra-gen werden, dann geht das an der Thematik vorbei.
Die meisten Fußballvereine, die über Stadien verfügen,wären in der Lage, diese selbst umzubauen. Dazu kommtnoch, dass sie sich auf einem sehr hohen Niveau befinden.Ich will als Beispiel erwähnen – weil immer von BayernMünchen gesprochen wird –: Wenn ein Bundesligavereineinen 250-Millionen-DM-Etat für die Mannschaft auf-bringen kann, dann kann er auch gemeinsam mit der Lan-deshauptstadt und dem betreffenden Bundesland das Sta-dion sanieren, noch dazu, wenn andere Bundesligavereinein der gleichen Liga – ebenfalls in der ersten – mit weni-ger als einem Fünftel des Etats auskommen.
Wir dürfen in diesem Sektor keinen Steinbruch eröff-nen, weil die Sportpolitik sonst nicht mehr überschaubarund finanzierbar sein wird.
Ich möchte als Nächstes die Olympiastützpunkte er-wähnen. Der Deutsche Sportbund hat bereits mitgeteilt,dass ihre Anzahl reduziert wird. Ich möchte meine Stel-lungnahme offen lassen. Das Bundesinnenministeriumwird diese Frage diskutieren und hoffentlich mit uns – da-von gehe ich einmal aus – eine Entscheidung her-beiführen.Ich möchte ferner darauf hinweisen, dass wir, was dieAusgaben für die Olympiastützpunkte angeht, eine Er-höhung vorgenommen haben. Dies beweist, dass wir zu-mindest in diesem Jahr keine Unruhe hinsichtlich derOlympiastützpunkte bekommen wollen. Wir werden dieAufwendungen für die Lehrgänge und die Wettkampf-maßnahmen der Verbände um 2,6 Millionen DM und dieAusgaben für den Behindertensport erhöhen.Herr Bundesinnenminister, ich habe den Wunsch, dasswir uns für die Zeit ab dem Jahr 2002 auch einmal – dasist perspektivisch gedacht – die Budgetierung bei denOlympiastützpunkten und bei den Sporteinrichtungen ins-gesamt zum Ziel setzen.
Zum anderen möchte ich noch darauf hinweisen, dasswir die Überlegungen beim Bundesinstitut für Sportwis-senschaft sehr ernst nehmen. Wir sollten über diese Über-legungen hier noch einmal diskutieren, bevor weitere Ent-scheidungen gefällt werden.Der Sportetat 2001 macht deutlich, dass die Regie-rungskoalition dem Sport einen hohen Stellenwert bei-misst und dass wir dieses Thema nachhaltig investiv an-gehen, um auch in der Zukunft Spitzensportangebote,Breitensportangebote und Behindertensportangebote aufhohem Niveau gewährleisten zu können.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die F.D.P.-Frak-
tion spricht jetzt der Kollege Dr. Werner Hoyer.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Mark, ichdanke Ihnen zunächst einmal für die deutlichen Wortezum Sport und insbesondere zum Bundesinstitut fürSportwissenschaft. Ich hoffe, dass im BMI genau gehörtwird, welch großen Konsens wir aufseiten der Berichter-statter in dieser Frage hatten. Das wird sich hoffentlich inden konkreten Entscheidungen niederschlagen.
Der Einzelplan des Bundesinnenministeriums spiegeltdie ungeheure Aufgabenvielfalt dieses Ressorts wider.Folglich verlaufen die Haushaltsberatungen sehr kompli-ziert, sehr extensiv und sehr intensiv; denn dieser Etatdeckt nicht nur das BMI ab, sondern eine ungeheure Füllevon nachgeordneten Behörden. Sie reicht von überschau-baren Einrichtungen wie dem Bundesamt für Kartogra-phie und Geodäsie bis hin zu großen Personalkörpern wiedem BGS und so sensiblen Institutionen wie dem Bun-deskriminalamt oder der Gauck-Behörde. Die Haushalts-beratungen verlaufen dementsprechend anstrengend.Ich möchte die Gelegenheit nicht versäumen, mich alsHauptberichterstatter bei den Mitberichterstattern für dasgute Klima und für das gute Miteinander ganz herzlich zubedanken. Ich möchte mich bei den Mitarbeiterinnen undMitarbeitern des Hauses, insbesondere des Haushaltsrefe-rats bedanken. Herr Schmidt, geben Sie bitte meinenDank für die hervorragende Zuarbeit während des ganzenJahres und insbesondere in den letzten drei Monaten wei-ter.
Dass wir im Geschäftsbereich des BMI auf vielen Ge-bieten eine große Gemeinsamkeit haben und die Positiondes Bundesinnenministers durchaus stützen können, hatmein Kollege Guido Westerwelle in der ersten Lesungschon gesagt. Deswegen konzentriere ich mich im Fol-genden auf ein paar Punkte, in denen wir nicht einer Mei-nung sind.Das beherrschende Thema der zweiten Jahreshälfte2000 war leider der Rechtsextremismus und die Not-wendigkeit seiner Bekämpfung. Natürlich muss sich diesauch im Haushalt niederschlagen. Wir alle wissen, dasswir diesem Thema nicht einfach mit Geld beikommenkönnen. Wir wissen aber auch, dass manche gute, sinn-volle und wichtige Initiative ausbleiben muss, wenn dasnotwendige Geld nicht etatisiert wird.Im Bundeshaushalt finden sich nunmehr in fast allenEinzelplänen, damit natürlich auch im Haushalt des BMI,an vielen Stellen Einzelansätze, aus denen Initiativen zurBekämpfung des Rechtsextremismus und rechtsextremis-tisch motivierter Gewalt finanziert werden können. Dasist im Prinzip gut so. Nur, wir Liberalen hätten es schonbevorzugt, wenn man sich nicht in zig verschiedenen ein-zelnen Titeln verzettelt hätte, sondern im Einzelplan 60 ei-nen Globalansatz von nach unserer Auffassung nicht we-niger als 250 Millionen DM ausgebracht hätte,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Lothar Mark13137
aus dem gezielt sinnvolle Initiativen – von der kommuna-len Jugendarbeit bis hin zu Sport-, Gewerkschafts- undkirchlichen Aktivitäten – hätten finanziert werden kön-nen. Man muss jetzt schon sehr genau darauf achten, dassnicht die organisationalen Eigeninteressen der Träger sol-cher Maßnahmen im Vordergrund stehen, sondern dassstrikt nach der Devise verfahren wird: Erst die Idee bzw.das Projekt, dann das Geld.
Bei einer der Etatentscheidungen, die in diesem Zu-sammenhang im Haushaltsausschuss getroffen wordensind – das ist vorhin schon angesprochen worden –, habeich große Bedenken und die Begründungen, die die Jus-tizministerin vorhin vorgetragen hat, haben mich nichtüberzeugt.
Es sieht zwar auf den ersten Blick sehr gut aus, wenn maneinen besonderen Titel zugunsten der Opfer rechtsextre-mistischer Gewalt ausbringt. Auch gehöre ich nicht zudenjenigen, bei denen sofort der Reflex ausgelöst wird, zufragen, was man eigentlich gegen den Linksextremismustut. Das würde der Sache nicht gerecht. Wir haben hier einbesonderes Problem und brauchen besondere Maßnah-men; völlig d’accord.Aber diese Fokussierung auf den Rechtsextremismussollte nach meiner Auffassung für die Ursachen und fürdie Täter gelten. Bei den Opfern zu differenzieren halteich für außerordentlich problematisch.
Es ist den Eltern eines Kindes, das in unserer nun einmalsehr der Gewalt zugeneigten Zeit abends in der U-Bahnvon völlig unpolitischen Gewalttätern drangsaliert undmalträtiert wird, nicht zu erklären, warum der Staat mitden Leiden ihres Kindes anders als mit denen eines Op-fers rechtsextremistischer Gewalt umgeht.
Es ist blanker Zynismus, so zu tun, als wären die Schmer-zen eines Polizeibeamten, der bei einer Demonstration ge-gen die NPD von Anhängern der autonomen Szene eineEisenstange auf den Kopf geschlagen oder in den Bauchgerammt bekommt, weniger groß, als es der Fall wäre,wenn er von einem glatzköpfigen Neonazi in Springer-stiefeln angegriffen worden wäre.
Damit bin ich beim Thema Polizei, dem ich mich ne-ben den Themen Einwanderung und Asyl zuwendenmöchte. Es gibt im Haushalt 2001 ein paar Verbesserun-gen, über die ich mich freue, insbesondere bei der Perso-nalstruktur im mittleren Dienst des BGS. Aber ich möchteauch meiner großen Enttäuschung Ausdruck verleihen,was das Thema BGS und BKA insgesamt angeht. Zumdritten Mal hintereinander hat die Koalition am Schlussder Beratungen unseren Antrag abgelehnt, auch die nichtuniformierten Mitarbeiter des BGS und die die Polizei-vollzugsbeamten unmittelbar fachlich unterstützendenZivilbeschäftigten des BKA von den pauschalen Stel-lenkürzungen auszunehmen. Ich hatte den Eindruck, wirwären hier gemeinsam schon weiter gewesen,
so wie wir es geschafft haben, gemeinsam einen Fort-schritt für die Mitarbeiter der Rechts- und Konsularabtei-lungen der Auslandsvertretungen, die gewissermaßenvorgeschobene Außenposten innerer Sicherheit darstel-len, zu erzielen. Im Haushalt des BMI ist das leider nichtgelungen. Dass die Haushälter der Grünen dort mit denKollegen der Sozialdemokraten, mit denen ich mich in derSache eigentlich immer einig wähnte, so Schlitten fahrenkonnten, ist bemerkenswert.Warum ist denn diese Frage so wichtig? Wir beklagenin allen politischen Lagern und in allen Sonntagsreden,dass zu viele Polizeibeamte auf den Revieren und in Stä-ben sitzen, anstatt auf der Straße oder in der unmittelba-ren Ermittlungstätigkeit erkennbar Sicherheit zu produ-zieren. Wie oft höre ich, dass Politiker aller Parteien nachBesuchen von Polizeiinspektionen beklagen, dass dort inBüros, deren Ausstattung eher an ein Schreibmaschinen-museum als an eine moderne Polizeibehörde erinnert,hoch qualifizierte Polizeivollzugsbeamte Verwaltungs-tätigkeiten leisten, die billiger und besser von entspre-chendem Verwaltungspersonal erledigt werden könnten.
Gerade dem steht aber entgegen, dass im Gegensatz zuden Polizeivollzugsbeamten die zivile Infrastruktur unddie Stellen der Zivilbeschäftigten regelmäßig pauschalgekürzt werden, obwohl dort das Ende der Fahnenstangelängst erreicht ist. Dann werden in der Not Polizeivoll-zugsbeamte mit der Bearbeitung von Dienstreiseanträgenbefasst, was sonst noch länger dauern würde, als es oh-nehin schon der Fall ist. Die Devise müsste eigentlich„moderne Technik und effizienter Personaleinsatz“ lau-ten, aber das Gegenteil passiert: Der Missbrauch von Po-lizeivollzugsbeamten für nicht vollzugsrelevante Aufga-ben wird immer schlimmer. Da steckt in ihrem Haushaltein grundlegender Webfehler, Herr Minister, und die Ko-alition hat es wieder nicht gepackt, daran etwas zu verän-dern.
Im BKA stellen sich die Dinge noch etwas anders dar.Die hohe Qualität der deutschen Kriminalistik im BKAistnur mit Spitzenkräften aus Wissenschaft und Technik auf-rechtzuerhalten, die mit ihrer Expertise die eigentlichenKriminalbeamten nachhaltig unterstützen.
Wenn ausgerechnet diese Stellen weiter abgebaut werden,müssen auch in diesen Bereichen von Daktyloskopie bisInformatik zunehmend Polizeivollzugsbeamte eingesetztwerden, die für diese Aufgaben eigentlich nicht optimalvorbereitet sind und an anderer Stelle schmerzlich fehlen.Zu den Fortschritten dieser Legislaturperiode zählt dasStaatsangehörigkeitsrecht. Ich bin davon überzeugt, dasswie hier auch bei zwei anderen großen Reformwerken amEnde der Vorschlag der F.D.P. den Weg weisen und auch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dr. Werner Hoyer13138
den Weg in das Bundesgesetzblatt finden wird, nämlichbei der Einwanderungspolitik und bei der rechtlichen Ab-sicherung nicht ehelicher Lebensgemeinschaften.
Im Zusammenhang mit letzterem Thema haben Sie mitviel Euphorie und – das unterstelle ich – viel gutem Wil-len ein schlicht verfassungswidriges Gesetz durchge-peitscht. Deswegen werden Sie noch einmal auf uns zu-kommen müssen.Bei der Einwanderungspolitik verlässt Sie der Mut,den Realitäten und Notwendigkeiten von Einwanderunggerecht zu werden, wie die halbherzige Green-Card-Lö-sung zeigt. Wir werden eines Tages noch große Werbe-kampagnen starten müssen, um die Einwanderungsquo-ten zu erzielen, die wir benötigen. Deswegen stellt dieF.D.P. übrigens den Antrag, die Mittel, die die Ausländer-beauftragte für diesen Zweck aus dem Einzelplan vonHerrn Riester zur Verfügung gestellt bekommt, entspre-chend zu erhöhen. Ich möchte einmal sehen, wie sich dieKoalition bei der Abstimmung über diesen Antrag verhält.
Wir müssen Einwanderung rational gestalten und aktivbetreiben. Nicht nur kulturell, sondern auch wirtschaftlichist rationale Einwanderungspolitik von Gewinn.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Hoyer,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Wiefelspütz?
Von Herrn Wiefelspütz
immer.
Herr Kollege Hoyer, hal-
ten Sie es als jemand, der einer Regierung angehört hat,
die 16 Jahre regiert hat, nicht auch für eine respektable
Leistung, dass die neue Regierung in den ersten zwei Jah-
ren, wie Sie zu Recht gesagt haben, einen wichtigen
Schritt mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes
gemacht hat und sich anschickt, in diesem Bereich ein
weiteres Stück Reformstau durch die Regelung der Zu-
wanderung aufzulösen? Finden Sie nicht, dass diese neue
Regierung schon in ihrer ersten Legislaturperiode auf
wichtigen und zentralen Politikfeldern, die in der Ver-
gangenheit vernachlässigt worden sind, ein beachtliches
Ergebnis vorzuweisen hat?
Wenn dabei tatsächlich sogute Regelungen herauskommen, wie wir sie jetzt beimStaatsangehörigkeitsrecht erreicht haben, bin ich sofortbereit, das auch anzuerkennen. Ich habe aber in der De-batte über die Green-Card-Regelung gemerkt, dass dieGefahr besteht, dass wir hier in die falsche Richtung ge-hen und ein Ergebnis herauskommt, das nicht den Reali-täten entspricht, denen wir uns im Zusammenhang mit derEinwanderung stellen müssen.
Nun zu meinen zwei Punkten:Erstens. Eine aktive Einwanderungspolitik sieht ebenauch in der kulturellen Bereicherung durch Einwande-rung einen Gewinn. Das ist der Grund, warum ich dieSorge habe, dass der Begriff der Leitkultur möglicher-weise in die falsche Richtung führt bzw. Beifall von derfalschen Seite bekommen könnte.
Ich nehme die Argumente, die der Kollege Merz in die-sem Zusammenhang heute vorgetragen hat, sehr ernst. Ichnehme sie ihm auch ab. Die Debatte zur Europapolitikheute Morgen hat ja gezeigt, dass wir ein einiges Europain Vielfalt wollen, kein Europa, das zu einem kulturellenSchmelztiegel wird, sondern ein Europa, das seine Kraftaus der Vielfalt seiner Nationen, Kulturen, Religionen undRegionen zieht.
Deshalb ist die Frage nach dem Umgang von Einwande-rern mit der Sprache und Kultur des Gast- bzw. Einwan-derungslandes mehr als legitim.Meine Bauchschmerzen rühren allerdings von eineranderen Überlegung her. Sie kommen daher, dass mit demBegriff des Leitens unweigerlich der Eindruck einesZwangs zur Anpassung und zumindest partiellen Iden-titätsveränderung impliziert zu sein scheint. Häufig wirddamit gewissermaßen auch der Eindruck einer Überle-genheit über andere Kulturen vermittelt.
Das ist das Letzte, was ich den Kollegen von der Unionbei diesem Punkt unterstelle.Aber ich fürchte, sie bekommen den Beifall von einerSeite, deren Auffassungen Anlass zu schlimmen Befürch-tungen geben. Ich habe so meine Ahnung, was mancherBeifallspender eigentlich unter deutscher Kultur versteht.Das ist sicherlich nicht das, was zum Kernbestand unse-rer ethischen Kultur zählt und was in unvergleichbar schö-ner Form Einzug in den Text unseres Grundgesetzes ge-funden hat:Die Würde des Menschen ist unantastbar.Zweiter Punkt. Es erfüllt mich die erneute Debatte übereine Abschaffung des Grundrechts auf Asyl mit Sorge.
Unser langjähriger Kollege Otto Graf Lambsdorff hatdoch Recht, wenn er sagt, dass es hier um eine ganz zen-trale Wertentscheidung des Grundgesetzes geht.
Der Zusammenhang zwischen der Einwanderungspolitikund der Asylpolitik darf auf diese Weise nicht hergestelltwerden,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dr. Werner Hoyer13139
sondern nur über den Zusammenhang einer aktiven Ein-wanderungspolitik mit dem aktiven Bekämpfen des Asyl-missbrauchs. Hier ist eine Chance gegeben.
Es muss sich ja wohl jeder darüber im Klaren sein, dassderjenige, der nachgewiesenermaßen vom Recht auf Asylmissbräuchlich Gebrauch gemacht hat, hinterher keinenAnspruch darauf hat, im Rahmen einer Einwanderungs-quote noch berücksichtigt zu werden.
Letztes Wort, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ichmöchte dringend dafür plädieren, bei der Änderung derallgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörig-keitsrecht voranzukommen. Hier gibt es in der Tat nochetwas nachzubessern. Es war bewusst vorgesehen wor-den, dass der Einbürgerungsanspruch für Kinder vonrechtmäßig und dauerhaft in Deutschland lebenden Elternnicht nur auf diejenigen bezogen werden soll, die nachdem In-Kraft-Treten dieses Gesetzes geboren wurden,sondern auch für diejenigen gelten soll, die noch nicht äl-ter als 10 Jahre sind. Diese Übergangsregelung läuft aus.Sie ist nicht in dem von uns gewünschten Maße in An-spruch genommen worden. Das liegt an den mit 500 DMzu hohen Gebühren und auch an den Verwaltungsprakti-ken. Aus diesem Grunde haben wir einen Gesetzentwurfeingebracht, der zum einen eine Verlängerung dieserÜbergangsfrist vorsieht und der zum anderen eine deutli-che Absenkung der Gebühren auf maximal 100 DM for-dert.
Herr Bundesminister, ich würde mich freuen, wenn esIhnen gelingt, mit den Ländern in dieser Frage bald einenKonsens zum Wohle unserer aktiven Einwanderungspoli-tik zu erzielen.Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Cem Özdemir für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
FrauPräsidentin! Meine Damen und Herren! Der Umgang mitdem Thema Rechtsradikalismus ist eine der großen He-rausforderungen der deutschen Innenpolitik geworden.Diese Bundesregierung hat gehandelt und entschlossenMaßnahmen eingeleitet.Herr Koch aus Hessen befindet sich im Übrigen in ei-ner Koalition mit der F.D.P.
Dazu sollten Sie etwas sagen, wenn Sie hier zum ThemaStaatsangehörigkeit und Verwaltungsvorschriften spre-chen; denn die Koalition in Hessen sagt das Gegenteil vondem, was die F.D.P. im Bundestag regelmäßig verkündet.Aber diese schizophrene Situation müssen Sie selbstklären.Wenn ich in diesen Tagen im „Stern“ lese, was HerrKoch von sich gibt, nämlich dass alles halb so schlimm seiund dass das Thema Rechtsradikalismus im Großen undGanzen eine Erfindung der Medien sei, dann möchte ichin Anlehnung an ein Zitat aus der deutschen Geschichtesagen: Man kann gar nicht so viel fressen, wie man sichübergeben möchte, wenn man über Herrn Koch liest.
Ich hoffe, dass wir alle gemeinsam dafür sorgen, dass die-ser Koch – im Wirkungsbereich Hessen hat er die Verant-wortung hoffentlich nicht mehr sehr lange – bundesweitkeine Verantwortung übernimmt. Das wäre wirklich einAnlass, sich zu überlegen, ob man in diesem Land nochrichtig aufgehoben ist.Meine Damen, meine Herren, wir unterstützen die kon-krete Arbeit vor Ort, indem wir 50 Millionen DM imHaushalt einstellen. Dafür möchte ich den Haushälternherzlich danken, die dieses möglich gemacht haben. Wirsenden damit trotz der angespannten Haushaltslage eineklare Botschaft im Rahmen der Haushaltsdebatte an dieInitiativen vor Ort und an die Zivilgesellschaft, dass wirnicht nur in Sonntagsreden die Bekämpfung des Rechts-radikalismus einfordern, sondern dass wir denjenigen, dieZivilcourage und Mut aufbringen und die sich inKirchengemeinden, Initiativen, Gewerkschaften, Be-triebsräten und sonstigen Organisationen vor Ort jedenTag für Menschlichkeit und Humanität einsetzen, auchzeigen: Die Bundesregierung lässt sie nicht allein. Sie istihnen dankbar für ihre Arbeit; denn sie setzen sich mitihren Initiativen gegen Rechtsradikalismus, gegen An-tisemitismus und gegen Rassismus dafür ein, dass das An-sehen unseres Landes im In- und Ausland zunimmt. Des-halb sagen wir mit aller Entschlossenheit: Wir wollen denGlatzen ihre Springerstiefel ausziehen.
Dazu gehört auch, dass man das Thema „Verbot derNPD“ mit dem gebotenen Ernst behandelt. Wir werdendarüber morgen im Innenausschuss debattieren. MeineFraktion – das gilt sicherlich auch für die anderen Frak-tionen – macht es sich nicht leicht mit der Entscheidung.Einige Gründe geben uns Anlass, kritisch mit diesemThema umzugehen. Ich will die Gründe angesichts derKürze meiner Redezeit nicht weiter vertiefen. Die Debattewurde schon hinreichend geführt; Sie kennen die Argu-mente.Wir haben uns mit dem vorliegenden Material gründ-lich auseinander gesetzt. Wir haben uns nicht, wie be-hauptet wurde, nur eine Stunde in die Geheimschutz-stelle begeben und anschließend eine Pressekonferenz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dr. Werner Hoyer13140
abgehalten, auf der wir das gesagt haben, was wir schonvorher wussten, sondern wir haben uns einem umfangrei-chen Aktenstudium unterzogen.
– Ich glaube, wir wissen alle, wer gemeint ist. Es ist derHerr, der sich gelegentlich in den Container von „Big Bro-ther“ verirrt. Das umfangreiche Aktenstudium hat auchdie Mehrzahl derjenigen unter uns, die sich mit diesemThema kritisch auseinander setzen, davon überzeugt, dasses notwendig ist, diese widerliche Vereinigung NPD zuverbieten. Deshalb wollen wir die Bundesregierung undauch den Bundesrat in den Maßnahmen bezüglich einesNPD-Verbotes unterstützen.
Ich möchte ausdrücklich begrüßen, dass die Haushäl-ter die Errichtung des neuen Bundesgrenzschutzstandor-tes Lausitz mit circa 80 Vollzugsbeamten ermöglichen.Das kostet uns 10 Millionen DM. Ich glaube aber, dassdieses Geld gut angelegt ist. Sie wissen, dass meine Frak-tion Ausgaben in diesem Bereich traditionell sehr kritischgegenübersteht. Aber dieses Geld ist gut angelegt,
weil dort Beamte des Bundesgrenzschutzes für eine sinn-volle Arbeit eingesetzt werden. Es wird eine intensive Zu-sammenarbeit mit den Länderpolizeien geben. Die Zusagedes Innenministers steht, dass Beamte des Bundesgrenz-schutzes immer dort zur Unterstützung eingesetzt werden,wo es einen Bedarf gibt. Ich bin sehr gespannt, ob das inden neuen Ländern in Anspruch genommen wird.Lassen Sie mich kurz auf einen aktuellen Fall einge-hen. Ich möchte mich nicht umfassend dazu äußern, son-dern nur einen Aspekt des schrecklichen Ereignisses inSebnitz vor drei Jahren aufgreifen. Die Ermittlungen lau-fen; Sie wissen, dass das Verfahren neu aufgerollt wordenist. Mich hat neben dem Tod des Kindes Joseph und denBegleitumständen vor allem eine Sache schockiert. AmTag nach dem Bekanntwerden dieses Falles in den Me-dien marschierten grölende alkoholisierte Jugendliche andem Haus der Familie des Jungen vorbei und obwohl mandavon ausgehen konnte, dass es dort zu Problemenkommt, dass die Familie bedroht wird, war niemand da,der die Familie geschützt hat. Es waren die Medien, diedas dokumentiert und am nächsten Tag im Fernsehen ge-zeigt haben.
Ich finde, diese Jugendlichen gehören vor ein ordentli-ches Gericht, wo sie entsprechend dem, was der Rechts-staat in einem solchen Fall vorsieht, bestraft werden müs-sen.
Das muss vor allen Dingen deshalb geschehen, damit derschreckliche Verdacht, dass unsere Sicherheitsbehördenauf dem rechten Auge Sehstörungen haben könnten, soschnell wie möglich und gründlich ausgeräumt wird.
Ich habe an die Kollegen aus Sachsen die Bitte – dieGrünen sitzen ja bedauerlicherweise nicht im Landtagvon Sachsen; in diesem Zusammenhang merkt man, wienotwendig das wäre –, dass sie, vielleicht auch in Form ei-nes Untersuchungsausschusses, dieser Sache nachgehenund sie umfangreich erforschen.
– Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen, wenn SieFragen dazu haben.Ich möchte aber auch die Gelegenheit nutzen, demBundeskriminalamt dafür zu danken, dass es sich bei sei-ner jüngsten Herbsttagung sehr kritisch und auch sehrselbstkritisch mit diesem Thema auseinander gesetzt hat.Das Thema der Tagung des Bundeskriminalamtes lautete:„Rechtsextremismus und Antisemitismus in der deut-schen Gesellschaft – Sind die Behörden auf dem rechtenAuge blind?“ Dazu wurden Kritiker eingeladen, ein Vor-gang, den man wahrscheinlich zu Ihrer Regierungszeit inder Form nicht erlebt hätte. Es waren viele Leute dabei,die sich mit Kritik an der Ermittlungsarbeit in den ver-gangenen Jahren hervorgetan haben. Ich finde es sehr be-grüßenswert, dass sich unsere Sicherheitsorgane mit denKritikern zusammensetzen, sich dieser Kritik stellen undversuchen, diese in ihre Arbeit einzubauen. Auch von die-ser Stelle aus einen herzlichen Dank an das Bundeskrimi-nalamt, dass es dieses Thema aufgegriffen hat.Wir sagen Ja zu Maßnahmen gegen rechts, aber wir sa-gen Nein zum Abbau von Bürgerrechten. Lassen Sie michdies in aller Deutlichkeit sagen. Ich meine die Debatte umdie Beschneidung des Versammlungsrechts. Das Recht,sich friedlich unter freiem Himmel zu versammeln, ist inunserer Gesellschaft ein Grundrecht und keine rechts-staatliche Gnade. Das wird es auch bleiben. Ich bitten alle,sich dafür einzusetzen. Dieses Recht ist ein Kronjuwel un-serer Verfassung. Wir sollten vorsichtig damit umgehen.Mein Appell an die Innenminister ist, hier nicht das Kindmit dem Bade auszuschütten. Die notwendigen Maßnah-men zur Bekämpfung des Rechtsradikalismus dürfennicht so weit gehen, dass wir dazu den Rechtsstaat ab-bauen. Das ist mit unserer Fraktion nicht zu machen.
Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut. Wir hal-ten nichts davon, Berlin in eine Art Flickenteppich unter-schiedlicher Demonstrationszonen zu verwandeln. Wirwollen die Glatzenparaden der NPD verhindern. Am letz-ten Wochenende konnte man sehen, wie das erfolgreichgeschehen kann. Da haben sich Bürgerinnen und Bürgerversammelt und gegen die NPD demonstriert. Man mussauch der Polizei für ihre schwierige Arbeit, die sie leistet,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Cem Özdemir13141
danken; denn sie muss das Demonstrationsrecht, auch dasder NPDler, schützen. Ich weiß von vielen Polizeibeam-ten, dass es nicht gerade eine vergnügungssteuerpflichtigeArbeit ist, wenn man diese Glatzköpfe, diese widerlichenGestalten auch noch schützen muss. Das ist ein Grund,warum das NPD-Verbot überfällig ist.Wir werden die Einführung einer Superbannmeile, wiesie Herr Werthebach, der Innensenator von Berlin,möchte, nicht unterstützen. Überlegungen einiger Innen-minister, Orte von herausgehobener nationaler Bedeutungherauszugreifen, sind nicht verfassungsfest. Wir werdenkeinem Gesetz zustimmen, das nicht verfassungsfest ist.
Wie soll man sich das denn praktisch vorstellen, wenneine Demonstration angemeldet wird? Zunächst darf nachdem normalen Versammlungsrecht am Alexanderplatzdemonstriert werden. Danach geht es vielleicht in Rich-tung Neue Wache; dafür bedarf es dann nach den Plänender Innenminister wegen der herausgehobenen nationalenSymbolik einer besonderen Genehmigung. Von wem ei-gentlich? Von den Erben von Käthe Kollwitz oder von demVerein der Auslandspresse? Nachdem die Neue Wachedann glücklich passiert wurde, geht es Unter den Lindenweiter zum Brandenburger Tor, dem nationalen SymbolNummer zwei. Hier wird wahrscheinlich der RegierendeBürgermeister persönlich die Durchgangskarten verteilen.Wenn auch das geschafft ist, landen wir schließlich in dembefriedeten Bereich des Reichstagsgebäudes. Da wird esdann dank unserer liberalen Regelung unproblematischzugehen.So wird das Versammlungsrecht garantiert nicht ausse-hen. Einen solchen Unsinn werden wir nicht mitmachen.Ich lade alle ein, sachlich mit uns zu debattieren. Wem esum den Schutz des Holocaust-Mahnmals, das noch nichtgebaut worden ist, geht, den lade ich ein, sich gemeinsammit dem Kuratorium Gedanken zu machen, wie ein sol-cher Schutz erfolgen kann. Wir müssen abwarten, was dasKuratorium dazu sagt. Dies werden wir dann sehr ernstnehmen.Meine Damen, meine Herren, ich möchte einen Be-reich ansprechen, der in der innenpolitischen Debatte ge-meinhin zu kurz kommt – ich bin froh, dass alle Vorred-ner darauf eingegangen sind, dass hier ein sehr hohes Maßan Einigung besteht –: Ich meine das Thema Sport. Esfreut mich, dass die Mittel für den Goldenen Plan Ost von15 Millionen DM auf 29 Millionen DM aufgestockt wer-den konnten. Wir alle wissen, dass die Überorganisiertheitdes Lebens in der ehemaligen DDR für viele in zahlrei-chen Lebensbereichen – dies betrifft auch die Freizeitge-staltung – eine Desorientierung mit sich gebracht hat. Einunabhängiges Vereinsleben muss erst noch aufgebautwerden. Gesellschaftliche Selbstorganisationen benöti-gen nach wie vor staatliche Unterstützung. Das gilt vor al-lem auch im sportlichen Bereich. Gerade dort, wo marodeoder gar keine Sportstätten vorhanden sind, greift der Gol-dene Plan Ost. Mit ihm werden gerade in Brennpunktennach sozialen und – das ist für uns besonders wichtig –ökologischen Kriterien Sportanlagen gefördert. Ichglaube, dieses Geld ist sehr gut angelegt. Wir alle solltena) den Haushältern danken und b) darauf achten, dass diesin den Folgejahren entsprechend weitergeführt wird.Noch einen Punkt möchte ich lobend hervorheben: Dassind die Maßnahmen, die wir nachträglich bei denKriegsheimkehrern vornehmen konnten. Sie wissen,dass diese Menschen in den neuen Ländern ein besondersdramatisches Schicksal erfahren haben; denn sie durftenüber ihr Schicksal, über das erduldete Unrecht, das sie er-lebt haben, nicht sprechen. Gleiches gilt für SED-Opfer.Wie Sie alle weiß ich, dass kein Geld dieses erlittene Un-recht, dieses Leid aufwiegen kann. Trotzdem, glaube ich,müssen wir dankbar dafür sein, dass hier jeweils 5 Milli-onen DM für Unterstützung und für die Rehabilitationvorgesehen sind. Auch dafür ein herzlicher Dank an dieHaushälter.Ein Punkt, auf den ich noch eingehen möchte – denn erkonnte bisher nicht zu unserer Befriedigung gelöst wer-den; wir brauchen dazu die Unterstützung der Opposi-tion –, ist das Thema „direkte Demokratie“. JüngsteUntersuchungen zeigen, dass 75 Prozent der Menschen inder Bundesrepublik Deutschland Volksentscheide wün-schen. Die Koalitionsmehrheit weiß sich hier an der Seiteder Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung. DieMehrheit unserer Bevölkerung möchte, dass Volksent-scheide eingeführt werden.Dafür benötigen wir eine Verfassungsänderung. Ich ap-pelliere an Sie von der Opposition, Ihre hier bestehendeBlockade aufzugeben. Kommen Sie aus dem Bremser-häuschen heraus und lassen Sie uns gemeinsam mehr Ele-mente der direkten Demokratie einführen! In diesem Zu-sammenhang kann auch gern über Ihren Vorschlag derVerlängerung der Legislaturperiode gesprochen werden;aber bitte nur in diesem Zusammenhang. Denn wir kön-nen nicht auf der einen Seite die Legislaturperioden ver-ändern, wenn wir nicht den Bürgerinnen und Bürgern aufder anderen Seite direktdemokratische Mittel an die Handgeben. Übrigens, mehr als die Hälfte der Anhänger derUnion ist für mehr direkte Demokratie. Sie sehen also, esgibt keinen Grund, hier Angst vor der Vernunft unsererWählerinnen und Wähler zu haben.Da der von mir sehr geschätzte Kollege Max Stadler indiesem Zusammenhang gerne die Gelegenheit nutzt, dieRegierung zu kritisieren, noch ein Wort an die F.D.P.: Eswar in der Gemeinsamen Verfassungskommission vor al-lem der geschätzte Kollege Otto, der damals nun wirklichjeden Vorschlag meiner Gruppe in Richtung mehr Demo-kratie verhindert hat. Von den Akteneinsichtsrechten übermehr direkte Demokratie bis hin zum Verbandsklagerechtwurde jeder Vorschlag von der F.D.P. abgelehnt. Von da-her sollte auch die F.D.P. ein wenig Aufarbeitung ihrerVergangenheit betreiben.
Zum Thema Datenschutz möchte ich ganz kurz Fol-gendes feststellen: Für uns steht ein modernes Daten-schutzrecht im Mittelpunkt einer Bürgerrechtspolitik. Da-tenschutz ist eben mehr als ein Abwehrrecht, wie wir esaus der Vergangenheit kennen. Zum modernen Daten-schutz gehört auch, dass wir moderne Mittel nutzen. Ichnenne das Stichwort „Auditierung“. Das heißt, es müssen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Cem Özdemir13142
für Unternehmen wirtschaftliche Anreize geschaffen wer-den, datenschutzfreundlich zu sein. Datenschutz undWirtschaft sind kein Gegensatz. Im Gegenteil: Dies istmittlerweile genauso ein Standortfaktor, wie es derUmweltschutz geworden ist. Ich bin froh, dass die Regie-rung in diesem Zusammenhang die entsprechende EU-Richtlinie so schnell wie möglich umsetzen wird, die Siedamals nicht umgesetzt haben, und noch in dieser Legis-laturperiode die zweite Stufe eines neuen Datenschutz-rechtes in Angriff nimmt, damit wir in Deutschland wie-der eines der modernsten Datenschutzrechte bekommen.Zum Schluss möchte ich noch auf die Migrationsde-batte eingehen. Es freut mich, dass Herr Müller von derUnion, der Ministerpräsident des Saarlandes, mittlerweileklar Position bezogen hat, indem er gesagt hat, dass eineVermischung von Asyl und Einwanderung keinen Sinnmacht. Dafür gebührt Herrn Müller Dank. Man kann hiernur sagen, dass Herr Müller offensichtlich der Galileo Ga-lilei der Union ist. Man kann der Union nur zurufen: Undsie dreht sich doch!Ähnlich wie damals bei der Green Card gilt das Ange-bot an die von der Union regierten Länder, die dazu bereitsind, zum Wohle unseres Landes mitzuarbeiten: ArbeitenSie an der Beantwortung einer der wichtigsten Zukunfts-fragen dieser Republik mit, an der Frage, wie wir die Zu-wanderung in die Bundesrepublik Deutschland in demBereich, wo das möglich ist, steuern können. Sie sindherzlich eingeladen, mit uns zusammenzuarbeiten.Die Anregung, die verschiedentlich in der Debattekam, den Etat unserer Ausländerbeauftragten über das,was wir gemacht haben, hinaus weiter aufzustocken, neh-men wir sehr gerne auf.
– Der Innenminister schreit nicht,
sondern der Innenminister unterstützt uns und macht, wiewir wissen, beim eigenständigen Aufenthaltsrecht fürFrauen und der Einsetzung der Einwanderungskommissioneine Politik, die die Mehrheit des Parlaments stützt.Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Kol-
legin Ulla Jelpke, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damenund Herren! Auch ich meine, dass die Diskussion um denKampf gegen den Rechtsextremismus in diesem Som-mer die gesamte Öffentlichkeit bewegt hat. Wenn manden Haushalt des Innenministeriums betrachtet, hat manaber den Eindruck, dass die Diskussion an diesem Haus-halt vorbeigegangen ist.Ich bin der Meinung, dass es weder einen Aktionsplannoch ein Gesamtkonzept gibt. Auch wenn man mit einbe-zieht, die Mittel auf verschiedene Einzelpläne aufgeteiltsind, wird nach meiner Meinung nicht deutlich, dass esein Konzept der Bundesregierung für den Kampf gegenRechtsextremismus gibt.Richtig ist – das ist schon erwähnt worden und das be-grüßen wir auch –, dass aufgrund des Drucks vieler Ini-tiativen und gesellschaftlicher Institutionen – meinerMeinung nach eher zu spät – endlich etwas getan wird fürden Opferschutz bzw. für die Entschädigung von Opfernvon rechterGewalt und natürlich auch für diejenigen, dieMenschen helfen wollten, die Opfer rechter Gewalt ge-worden sind.Wenn wir von Schutz reden, dann möchte ich an dieserStelle noch einmal einfordern, dass Schutz eben auchheißt, den Opfern ein Bleiberecht zu geben, und sie nichtabzuschieben, wie es leider immer noch passiert. Wenigs-tens das könnte ein erster Beitrag sein, den dasInnenministerium hierzu leistet.Zynisch wird es allerdings, wenn man die Tagung desBKA in Wiesbaden, die eben schon der Kollege Özdemirerwähnt hat, genauer betrachtet. Zweifellos hat der In-nenminister in der letzten Haushaltsdebatte angekündigt,man werde die unterschiedlichen Zahlen über Straftatenmit rechtsextremistischem und antisemitischem Hinter-grund prüfen. Er hat sich sehr kritisch und sehr offen ge-zeigt.Wenn ich aber die neuen Zahlen sehe, die bei der BKA-Tagung bekannt gegeben wurden, kommen mir großeZweifel, ob diese Überprüfung eigentlich ernsthaft vorge-nommen wurde, weil immer wieder schnell neue Zahlenin die Öffentlichkeit gebracht werden. Ein Blick in dieZeitung zeigt: Sofort ist auch wieder das Argument derVerharmlosung da, meines Erachtens zu Recht.Ich möchte das an einem Beispiel deutlich machen:Noch im Sommer hat die Bundesregierung in einer Ant-wort auf eine Anfrage für den Zeitraum von 1990 bis 1999exakt die Zahl von 26 Todesopfern durch rechte Gewaltgenannt. Ich möchte daran erinnern, dass die alteCDU/CSU-F.D.P.-Regierung schon für die Jahre 1990 bis1993 auf 30 Opfer gekommen ist. Danach hat es einebreite Initiative von Journalisten und auch von uns gege-ben, die Zahl der Todesopfer und die diesbezüglichen Ur-teile zusammenzutragen. Diese sind im „Tagesspiegel“, inder „Frankfurter Rundschau“ und in anderen Medienveröffentlicht worden. Man kann den Urteilen entneh-men, dass tatsächlich rechtsextremistische Hintergründevorlagen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Cem Özdemir13143
Trotzdem kommt der Innenminister auf der BKA-Ver-sammlung seit 1990 auf ganze 36 Opfer, die es seit 1990gegeben haben soll. Ich frage mich: Wie will man dieseBagatellisierung abwenden, wenn nicht endlich anerkanntwird, dass die Zahl der Opfer – unserer Meinung nach –inzwischen sogar weit über 100 liegt? Denn wenn wirüber Opfer, Opferschutz und Entschädigungen sprechen,muss festgestellt werden: Es sind die Opfer, die An-sprüche erheben können und die, wie auch ihre Familien,ein Recht haben, entsprechende Gelder bzw. Entschädi-gungen zu bekommen. Ich meine, dass es wirklich an derZeit ist, dass die Forderung – die nicht nur wir erhoben ha-ben –, eine unabhängige Beobachtungsstelle einzurich-ten, erfüllt wird. Über diesen Antrag werden wir heute na-mentlich abstimmen. Diese Forderung ist mehr denn jenotwendig.Ich möchte verdeutlichen, warum eine solche unab-hängige Beobachtungsstelle wichtig ist. Wir alle habenpersönlich viele Beispiele erlebt. In vielen Städten, in de-nen ich Veranstaltungen durchführe oder Asylunterkünftebesuche, bekomme ich auf meine diesbezügliche Fragedie Antwort, es gebe in dieser Stadt keine organisierterechte Szene, sondern nur vereinzelte Rechte.Auch der Innenminister hat noch im Sommer, bevor erfür das NPD-Verbot eingetreten ist, von einer dubiosenund alkoholisierten Jugendszene gesprochen. In fast allenStädten besteht das große Problem, dass man Zahlen ba-gatellisiert oder überhaupt nicht registriert. Denn manmöchte natürlich nicht zu den Gemeinden bzw. Städtenzählen, die von braunem Sumpf und brauner Gewalt ge-prägt sind.Betrachten wir beispielsweise die Debatte um den klei-nen Joseph und um Sebnitz. Ich möchte diesen Fall hiernicht aufrollen. Dazu möchte ich mich nicht äußern. Daskann ich auch gar nicht. Aber die Tatsache, wie hier rea-giert wird, und die Angst, dass diese Stadt sich damit aus-einander setzen muss, dass sie eine rechtsextremistischeSzene hat, sind wichtige Punkte. Und diese Stadt hat eineSzene. Wer sich damit beschäftigt, stellt das fest. Manbraucht nur in die Verfassungsschutzberichte zu schauen,in denen Sebnitz eindeutig auftaucht.
Anstatt sich damit auseinander zu setzen, werdenSchlachten geführt, um das Bild einer sauberen Stadt zuerhalten. Das halte ich für unerträglich. Genau dies solleine Beobachtungsstelle recherchieren.Ich denke auch an die Angstzonen. Das haben wir inden Anhörungen erfahren. Auch hier gibt es häufig Baga-tellisierungen und das Herunterspielen von entsprechen-den Straftaten und von tatsächlichen gesellschaftlichenVerhältnissen. Wer den Kampf gegen den Rechtsextre-mismus wirklich ernst nimmt, muss die Untersuchung,vor allen Dingen der Straftaten, unabhängigen Beobach-tungsstellen übergeben. Darum werden wir diesen Antragheute zur Abstimmung stellen.Der nächste Punkt. Wir haben herausgefunden, dassjetzt etwa 50 Millionen DM mehr ausgegeben werden.Natürlich tauchen sie nicht im Haushalt des Innenminis-teriums auf. 30 Millionen DM werden im Bereich Jugendund Familie angesiedelt sein. Wir wissen nicht genau, wasmit diesen 30 Millionen DM tatsächlich gemacht wirdund welche Formen der Aufklärungsarbeit es gebenwird. Ich bin der Meinung, dass diese 50 Millionen DMein Tropfen auf den heißen Stein sind und dass man über-haupt nicht erkennen kann, was tatsächlich mit diesemGeld bekämpft werden soll bzw. wie die Aufklärungsar-beit dieser Bundesregierung in Zukunft aussehen wird.Das Innenministerium selbst hat eine halbeMillion DM mehr für Aufklärungsarbeit veranschlagt. ImVergleich zu dem Betrag von 2 Millionen DM, der zuvorzur Verfügung stand, ist diese Erhöhung fast eine Lach-nummer; insbesondere, wenn man berücksichtigt, dassdas „Bündnis für Toleranz“ immer noch eine Luftnummerist und dass wir kaum Aktivitäten dieses Bündnisseswahrnehmen, geschweige denn Taten.Wir werden heute auch einen Antrag zur Abstimmungstellen, der Initiativen unterstützen will, die antirassisti-sche Arbeit bzw. Arbeit gegen Antisemitismus leisten unddie seit vielen Jahren vor Ort – in Schulen, in Institutio-nen – sehr viel Kleinarbeit geleistet haben, um tatsächlichüber die Situation aufzuklären bzw. um Menschen aus-ländischer Herkunft Hilfestellung zu geben und ihnen Be-ratung anzubieten.Ich möchte daran erinnern, dass das LandNordrhein-Westfalen – das ist zwar nicht viel, aber im-merhin – pro Bürger 1 DM zur Verfügung stellt, also fast20 Millionen DM, die für solche Initiativen ausgegebenwerden sollen. Über diese Gelder entscheiden die rundenTische gegen rechts, die Ausländerbeiräte und antifaschis-tische Initiativen.Wenn man diesem Beispiel folgen würde und aufBundesebene ebenfalls 1 DM pro Bürger bereitstellte,hätte man immerhin 80 Millionen DM für solche Initiati-ven und könnte solche Initiativen auch materiell fördern.Denn Sie wissen alle: Öffentlichkeitsarbeit, egal ob inForm von Publikationen, von Hilfestellung oder von Be-ratung, kostet Geld.Solche Bemühungen sind in diesem Haushalt über-haupt nicht erkennbar. Deswegen möchte ich darum bit-ten, unserem Antrag zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Jelpke,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Zum Schluss möchte ich Sie nocheinmal darauf aufmerksam machen: Solange man über einformales NPD-Verbot redet, aber nicht über ein Gesamt-konzept zur Bekämpfung des Rechtsextremismus, so-lange man nicht eine andere Flüchtlingspolitik betreibtund nicht endlich aufhört, Menschen in Länder wie bei-spielsweise die Türkei abzuschieben – nach der Antwortauf eine Anfrage von mir sind das seit 1998 allein 16 000Kurden, die auch in der Westtürkei Verfolgung und Folterausgesetzt sind –, muss ich Sie auffordern endlich eine an-dere Ausländerpolitik zu betreiben. Denn auch das wäreein wichtiger Beitrag gegen den Rechtsextremismus.Danke.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Ulla Jelpke13144
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Günter Graf.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, der bisherigeDebattenverlauf hat eines deutlich gezeigt: Die rot-grüneBundesregierung setzt ihren erfolgreichen Weg der Haus-haltskonsolidierung fort.
Die Nettokreditaufnahme wird in diesem Haushaltweiter zurückgeführt. Damit kommen wir dem sicherlichsehr ehrgeizigen Ziel, die Nettoneuverschuldung bis zumJahr 2006 auf null zu bringen, ein großes Stück näher. Dasist zwingend notwendig, damit wir Handlungsspielräumezur Politikgestaltung zurückgewinnen.Wenn ich unhöflich wäre, würde ich jetzt an dieAdresse der ehemaligen Koalitionsregierung sagen: Siehaben uns ein Finanzchaos hinterlassen. Ich will das nichttun; ich sage: Sie haben uns einen Schuldenberg hinter-lassen und den wollen wir jetzt abtragen.
Aber das ist nicht mein wesentlicher Punkt, sondern dasist meine Vorbemerkung.Ich möchte mich in einigen Punkten mit dem Einzel-plan 06, dem Einzelplan des Ministeriums des Innern, be-fassen, vor allen Dingen vor dem Hintergrund der inne-ren Sicherheit in unserem Lande.Dabei möchte ich zunächst einmal grundsätzlich fest-stellen, dass gerade der für unser Land so wichtige Be-reich der inneren Sicherheit durch die Einsparungen beimBundesgrenzschutz und beim Bundeskriminalamt nichtberührt wird, im Gegenteil: Vergleicht man die Haushalteder Jahre bis 1998 mit dem Haushaltsplanentwurf für dasJahr 2001, stellt man fest, dass es beim Bundesgrenz-schutz und beim Bundeskriminalamt deutliche Erhöhun-gen gegeben hat. Dies war notwendig und richtig, um derKriminalitätsfurcht der Bevölkerung wirksam zu begeg-nen.
Lassen Sie mich zunächst in aller Deutlichkeit daraufhinweisen, dass die Kriminalität in unserem Land seit1993 ständig zurückgegangen ist. Die Aufklärungsquotehat den höchsten Stand seit 1966 erreicht und beträgt nun-mehr 52,8 Prozent. Sicherlich ist das nicht allein das Er-gebnis der Politik. Aber es ist ein besonderes Verdienst derSicherheitsbehörden von Bund und Ländern. Deswegenmöchte ich an dieser Stelle in besonderer Weise den Poli-zeibeamten in Bund und Ländern für das großartige En-gagement danken. Ohne die hoch motivierte Arbeit derPolizei wäre ein solches Ergebnis nicht zu erreichen ge-wesen.
Auch bei der Prävention hat sich eine Menge getan.Wenn ich dies sage, will ich nichts schönreden. Es gibtimmer noch über 6 Millionen polizeilich registrierteStraftaten. Mit besonderer Sorge erfüllt uns alle der hoheAnstieg von Gewalt, Rauschgift- und Wirtschaftskrimi-nalität. Deshalb wird die SPD-Bundestagsfraktion dieBemühungen des Bundesinnenministers nachhaltig unter-stützen, die Kriminalitätsbekämpfung und eine noch bes-sere Kriminalprävention weiter zu verstärken.Was die Sicherheitsbehörden des Bundes angeht, las-sen Sie mich einige wenige Bemerkungen zum Bundes-grenzschutzmachen. Auch hier werden die Ausgaben aufeinem zwingend erforderlichen Niveau gehalten. Mitrund 3,3 Milliarden DM stehen dem Bundesgrenzschutzgegenüber den Ausgaben von 1999 rund 264 Milli-onen DM mehr zur Verfügung. Diese Ausgaben sind not-wendig, da insbesondere die Grenzsicherung auch im Jahr2001 eine der wesentlichen Aufgaben des Bundesgrenz-schutzes bleibt.Ich darf Sie darauf hinweisen, dass sich die am 1. Sep-tember 1998 in Kraft getretene Befugniserweiterung desBundesgrenzschutzes zur Verhinderung und Unterbin-dung unerlaubter Einreisen bewährt hat. Allein bei diesenKontrollen wurden fast 20 Prozent aller unerlaubten Ein-reisen in die Bundesrepublik Deutschland festgestellt.Hierzu beigetragen hat ganz sicher auch die verbesserteAusstattung des Bundesgrenzschutzes. Ich darf nur an diegeländegängigen Fahrzeuge, die Infrarot-Nachtsicht-geräte und Ähnliches erinnern. Wir haben gerade vor ei-nigen Wochen, als wir über den Schutz der deutsch-tsche-chischen Grenze gesprochen haben, diese Dinge in allerDeutlichkeit dargestellt.Was die illegale Einreise in die BundesrepublikDeutschland angeht, so muss man auch darauf hinweisen,dass sich die Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten inden letzten Jahren massiv verbessert hat. Dazu beigetra-gen hat ganz sicherlich, dass wir die Finanzmittel zur Un-terstützung der Grenzschutzbehörden der mittel- und ost-europäischen Staaten gegenüber dem Haushaltsansatz aufnunmehr 6 Millionen DM verdoppelt haben. Diese Mittelwerden unter anderem zur polizeilichen Ausbildung undzur Ausstattungshilfe in den mittel- und osteuropäischenStaaten verwandt. Dies scheint mir eine zwingende Not-wendigkeit zu sein, um der illegalen Einreise noch wirk-samer begegnen zu können.Da ich bereits den Dank an die Polizei und den Bun-desgrenzschutz gerichtet habe, will ich an dieser Stelle da-rauf hinweisen, dass ich immer deutlich gemacht habe:Nur Danke zu sagen kann es nicht sein. Dem müssen Ta-ten folgen. Umso erfreuter bin ich darüber, dass derBundesinnenminister gemeinsam mit der SPD-Fraktionund natürlich mit der vollen Unterstützung des Haus-haltsausschusses und unserer Vertreter dafür gesorgt hat,den Planstellenkegel für den Bundesgrenzschutz für dasJahr 2001 erheblich zu vergrößern.
Mit diesem Haushalt sind alleine 1 361 Planstellenhebun-gen beabsichtigt. Dies bedeutet, dass zusätzlich rund3 500 Beförderungen im Bundesgrenzschutz im kom-menden Jahr möglich sein werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000 13145
Eine weitere Behörde des Bundes, die für die innere Si-cherheit von großer Bedeutung ist, ist das Bundeskrimi-nalamt. Gestatten Sie mir dazu einige Bemerkungen.Auch das Bundeskriminalamt erhält aus dem Haushalt2001 gegenüber dem Jahr 1999 rund 26 Millionen DMmehr. Das entspricht einer Steigerung von 5 Prozent; essind nunmehr insgesamt 562 Millionen DM. Mit dieserBereitstellung wird es dem Bundeskriminalamt möglichsein, die neuen Aufgabenfelder, die ihm zugewiesen wor-den sind, mit Leben zu erfüllen:Erstens. Es wird ein neues kriminalpolizeiliches Aus-wertungsverfahren eingeführt.Zweitens. Es werden neue Technologien eingeführt,um die Kriminalitätsforschung und die Ermittlungsarbeitmit diesen neuen Technologien zu unterstützen.Drittens. Ich darf auf die Zentralstelle für anlassunab-hängige Recherchen im Datennetz verweisen.Hierbei kommt dem internationalen Bereich eine be-sondere Bedeutung zu. So darf ich daran erinnern, dassdie erforderlichen Ausgaben für Europol auch in diesemJahr steigen werden. Nach Jahren der Stagnation ist esendlich gelungen, in einem für die Sicherheit wichtigenBereich in Fahrt zu kommen. Allein 4 Prozent der Mitteldes Bundeskriminalamtes werden für Leistungen an in-ternationale Organisationen verausgabt.
Im Übrigen darf ich daran erinnern, dass es zwi-schenzeitlich 51 Rauschgift-Verbindungsbeamte des Bun-deskriminalamtes gibt, die in 41 Ländern dieser Welt ihreArbeit verrichten, und das oft unter sehr schwierigen Be-dingungen. Sie sind aber in unserem System unverzichtbargeworden. Deswegen möchte ich von dieser Stelle den vie-len Mitarbeitern unseren herzlichen Dank – zumindest denDank unserer Fraktion – aussprechen.
Die vom Bundesinnenminister ins Leben gerufeneStiftung „Deutsches Forum für Kriminalprävention“ istnunmehr im Haushalt 2001 abgesichert. Die Einlage desBundes in das Stiftungsvermögen beträgt 2,5 Milli-onen DM bei einem Kapitalgrundstock in Höhe von10Millionen DM. Das Ziel dieses „Deutschen Forums fürKriminalprävention“ liegt darin, die Entwicklung vonStrategien gegen die Kriminalitätsursachen sowie die In-tensivierung der Zusammenarbeit öffentlicher und priva-ter Stellen sowie internationaler Einrichtungen zu leisten.Ein Wort noch zu dem Titel über die Mittel für die Be-reitschaftspolizeien der Länder. Wir haben es letztlichgeschafft, 20 Millionen DM bereitzustellen, damit dieFührungs- und Einsatzmittel für die Bereitschaftspoli-zeien der Länder auf den neusten Stand gebracht werden.Es könnte sicherlich mehr sein, aber es ist schon einigesund wir sind auf einem guten Weg. Wir haben das am An-fang nicht erwarten können. Das ist wichtig, damit die ge-schlossenen Einheiten der Polizei in Bund und Ländernauch künftig in der Lage sein werden, polizeiliche Großla-gen in diesem Lande zu bewältigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Graf, ich
muss auch Sie an Ihre Redezeit erinnern. Das Problem ha-
ben heute aber merkwürdigerweise alle.
Es geht ganz schnell.
Ich möchte dem Inspekteur der Bereitschaftspolizeien,
Herrn Manthey, ganz herzlich für seinen engagierten Ein-
satz danken. Das kann man nicht immer unbedingt erwar-
ten, deshalb möchte ich es hier in besonderer Weise er-
wähnen.
Es gibt noch eine Menge zu sagen, aber wir haben noch
einige Redner. Ich muss an dieser Stelle leider Schluss
machen. Ich hätte gerne noch etwas zu der hervorragen-
den Arbeit des Aussiedlerbeauftragten der Bundesregie-
rung, des Kollegen Jochen Welt, gesagt, was die Integra-
tion von Spätaussiedlern in diesem Lande angeht. Aber
vielleicht komme ich noch an anderer Stelle zu Wort.
Ich bedanke mich für Ihre Geduld, Frau Präsidentin.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Kol-
lege Erwin Marschewski für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehr-ter Herr Minister, ich räume ein: Sie haben wenig Fehlergemacht. Aber ich muss auch gestehen, dass dies nur diehalbe Wahrheit ist. Die andere Hälfte lautet: Wer kaum et-was verändert, wer kaum etwas verbessert, wer wenig tut,macht wenig Fehler.
Sie haben beim Amtsantritt nicht nur versprochen, we-nige Fehler zu machen, sondern auch, vieles besser zu ma-chen. Stattdessen sind Sie nach der verfehlten Doppelpass-entscheidung weiteren Fehlerquellen konsequent aus demWeg gegangen. Anstatt zu handeln, haben Sie es häufigdabei belassen, für die Koalition, aber auch für Ihre Um-gebung überraschende Feststellungen zum Asylrecht undzur Zuwanderungsbegrenzung zu treffen.Ihr Verfassungsauftrag ist aber ein anderer: Sie müssennicht nur reden, Herr Minister, Sie müssen nicht nur Pro-bleme erkennen, Sie müssen handeln!
Die Themen liegen auf der Straße: Wo bleibt die Rege-lung zum Asylrecht? Wann kommt endlich das Zuwande-rungsbegrenzungsgesetz, das Sie vor der Wahl verspro-chen haben? Warum haben Sie zugestimmt, dieBannmeile so einzuschränken, dass es den Nazis möglichwurde, unter dem Brandenburger Tor zu demonstrieren,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Günter Graf
13146
Herr Minister? Das Gesetz über befriedete Bezirke warkein gutes Gesetz.
GRÜNEN]: Ein hervorragendes Gesetz! EinBeispiel! – Zuruf von der SPD: Doch!)Ich hoffe, Herr Bundesinnenminister, dass nicht nurunsere Innenminister zustimmen, wenn es um ein neuesGesetz geht. Sie haben vorhin gehört, dass die Grünen da-gegen sind, eine Bannmeilenregelung zu schaffen.
Sie haben auch gehört, dass die SPD nicht sehr viel davonhält. Die einzige Unterstützung, die Sie bekommen, ist of-fensichtlich die der Christlich-Demokratischen Union.Wir haben einen Gesetzentwurf vorbereitet, da wir keineAufzüge der Nazis am Brandenburger Tor oder an ande-ren Orten nationaler bzw. historischer Bedeutung wollen.
Wir wollen keinen grundgesetzlichen Schutz für Verfas-sungsfeinde.Ein anderes Gebiet: Bekämpfung der organisiertenKriminalität. Sie wissen, dass wir eine Reihe von Geset-zen beschlossen haben wie zum Beispiel das Geldwä-schegesetz, das Gesetz bezüglich des genetischen Finger-abdrucks oder zur Bekämpfung der Korruption.
Wir sind die politische Kraft, die sich gegen das Verbre-chen entschlossen zur Wehr setzt.
Bei Ihnen dagegen herrscht tatenlose Ratlosigkeit. Sie ha-ben kein einziges wirksames Gesetz zur Bekämpfung derorganisierten Kriminalität beschlossen.
Das ist eine Schande.
Wenn ich Ihren Haushalt lese, fallen mir nur unbe-gründete Einschnitte auf: Herr Bundesinnenminister, Siekürzen bei der Integration von Aussiedlern und Vertriebe-nen.
Sie schließen Behörden oder bringen diese ideologischbzw. personell auf Linie. Sie streichen investive Ausga-ben zusammen und kassieren für die Verpflichtung desStaates, den Bahnkunden und Fluggästen Sicherheit zugewähren, ab. Das ist nicht in Ordnung, das ist weder ein-fallsreich noch zukunftsträchtig, aber leider das Spiegel-bild, in dem sich Ihre Politik darstellt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Marschewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Graf?
Bitte schön, Herr Kollege Graf.
Herr Kollege
Marschewski, haben Sie eben gesagt – ich weiß nicht,
vielleicht habe ich mich auch verhört –, dass die Bundes-
regierung die Mittel für die Integration von Spätaussied-
lern gekürzt hat? War das ein Hörfehler meinerseits?
Das war kein Hörfehler, Sie haben im Haushalt zumNachteil dieser Menschen umgeschichtet; die Haus-hälter unserer Fraktion, zum Beispiel Herr Dr. vonHammerstein, können Ihnen das bestätigen. Das ist, wasich kritisiere.Nehmen wir als ein anderes Beispiel die Zuwande-rung: Herr Bundesinnenminister, Sie haben zu Recht ge-sagt, die Grenzen der Belastbarkeit seien überschritten. Eshat zu lange gedauert, bis Sie die Zuwanderungskommis-sion gegründet haben und ich erwarte von dieser Kom-mission Ergebnisse.
Sie haben einen interessanten Vorschlag der F.D.P. aufdem Tisch und auch wir haben Resolutionen und Be-schlüsse gefasst. Auf uns, Herr Minister, können Sie rech-nen! Sie müssen einen entsprechenden Gesetzentwurfsehr schnell vorlegen. Wir legen keinen Wert darauf, dieseProblematik im Wahlkampf zu diskutieren. Wir müssendas Problem – ebenso wie damals beim Asylrecht; ichspreche hier über Bereiche, die ich kenne – vor der Bun-destagswahl lösen, damit es kein Wahlkampfthema wird.
Dazu passt aber eines nicht: Sie können nicht durch dieHintertür die Zuwanderungsmöglichkeiten, so wie esSPD und Grüne machen, ständig erweitern. Ich denke da-bei an die so genannte Familienzusammenführungsricht-linie des Europäischen Parlaments; SPD und Grüne habenihr zugestimmt. Wenn das Realität wird, kommen jährlichHunderttausende zu uns. Sie verringern die notwendigenAufenthaltszeiten für den Familiennachzug, erstreckenihn auf homosexuelle und unverheiratete Paare und deh-nen ihn auf Eltern und Großeltern aus.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Erwin Marschewski
13147
Wer kann da noch Grenzen ziehen?
Sie tun das alles, ohne diesen Menschen eine Integrati-onsbereitschaft abzuverlangen oder entsprechende Sprach-kenntnisse zu fordern.
– Herr Kollege Schmidt, ich begrüße, dass auch nicht-deutsche Angehörige der Spätaussiedler deutsche Sprach-kenntnisse nachweisen müssen; das ist gut so. Ich meineaber, das sollte auch für alle Ausländer gelten, die aufDauer in Deutschland bleiben wollen. Diese sollten nach-weisen müssen, dass sie deutsch können. Entsprechendeswird auch von anderen Staaten, zum Beispiel den Verei-nigten Staaten von Amerika und Australien, praktiziert.Das gilt zum Beispiel auch für das türkische Mädchen,das nach Deutschland kommt, hier heiratet und auf Dauerhier bleibt.
– Jawohl, meine Damen und Herren, Integration aufDauer ist nur dann möglich, wenn man die Sprache kann.Erst das eröffnet die Chance, in diesem Land gleichbe-rechtigt, unabhängig und erfolgreich zu sein.
Ich habe das Thema Kriminalitätsbekämpfung schonangesprochen und wiederhole das, was Kollege vonHammerstein vorhin gesagt hat: Es ist nicht in Ordnung,dass die Bundesbahn 125 Millionen DM für den Einsatzdes Bundesgrenzschutzes zahlen muss. Das ist nicht nur –ein finanzieller Verschiebebahnhof, meine Damen undHerren der SPD. Damit strangulieren Sie auch dieumweltfreundliche Eisenbahn. Und die Grünen habendem sogar zugestimmt, was mich wirklich wundert. Aberlangsam wundert mich gar nichts mehr. Was, verehrteDamen und Herren der Grünen, bleibt von Ihren Grund-sätzen noch übrig? Sie strangulieren die Bundesbahn, deres ohnehin nicht gut geht.Es wäre besser gewesen, Sie hätten Maßnahmen zurBekämpfung der organisierten Kriminalität zugestimmt.Da gibt es doch Bedarf, Herr Bundesinnenminister. Ichhabe es vor einer Woche von diesem Pult aus gesagt:Warum sprechen wir nicht gemeinsam über die akustischeWohnraumüberwachung in Gangsterwohnungen?
In der Kommission gab es doch auch andere Meinun-gen dazu: Diese vielen Ausnahmen führen letzten Endesdazu, dass Gangster in ihren Wohnungen konspirativ neueVerbrechen planen. Das darf nicht sein. Deshalb brauchenwir auch die Möglichkeit einer optischen Überwachung indiesen Gangsterwohnungen.Oder nehmen wir das Thema Kreditkartenkriminali-tät: Im letzten Jahr hatten wir in diesem Bereich eineSteigerung von 40 Prozent zu verzeichnen, jetzt von60 Prozent. Dabei ginge das ganz einfach: Wir führenfälschungssichere Chips ein, wir führen Fotos auf denKreditkarten ein, und das Problem ist zumindesteingeschränkt. Jetzt habe ich im Innenausschuss gehört,die Wirtschaft brauche fünf Jahre, um das, was ichgefordert habe – Lichtbilder, fälschungssichere Chips –umzusetzen. Wenn das so lange dauert, Herr Bundesin-nenminister, müssen wir dieses Problem durch Gesetzelösen. Und das eilt, meine Damen und Herren!
Herr Innenminister, wir sind einer Meinung: InnereSicherheit ist nicht zum Nulltarif zu haben. Sie wirdgarantiert durch den Bundesgrenzschutz, durch Polizei-beamte, durch Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst. Da-her ist es falsch, wenn Beamte in diesem Jahr auf dielineare Gehaltserhöhung verzichten müssen. LassenSie mich das einmal so flapsig sagen: Der öffentlicheDienst besteht nicht nur aus Staatssekretären und Minis-terialdirektoren, die Sie umgeben. Die meisten Leute imöffentlichen Dienst – ich komme ja daher; ich war Bun-desbahnarbeiter und kleiner Bundesbahnbeamter – ver-dienen 2 000 DM bis 3 000 DM. Sie warten natürlich aufeine lineare Gehaltserhöhung. Darauf sind sie an-gewiesen.
Sie kennen § 14 des Bundesbesoldungsgesetzes, derdavon spricht, dass die Besoldung im öffentlichen Dienstden allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Ver-hältnissen entsprechen muss. Was Sie machen, ist einGesetzesverstoß, Herr Bundesinnenminister, und eineMissachtung der Fürsorgepflicht. Denn dies fördert nichtgerade das, was wir gefordert haben: mehr Mobilität,mehr Initiative und mehr Leistungsbereitschaft im öf-fentlichen Dienst.Herr Bundesinnenminister, ich fordere Sie auf, das zutun, was Sie bei dem Entwurf, den mein Freund MeinradBelle eingebracht hat, getan haben, wo es darum geht, diekinderreichen Beamtenfamilien – insbesondere jene derunteren Besoldungsgruppen – finanziell zu unterstützen.Nach langem Zaudern haben Sie unsere Vorstellungenakzeptiert. Tun Sie dies auch bei dem Entwurf der Unionzum Besoldungsrecht! Denn die lineare Erhöhung stehtden Polizeibeamten und den anderen Beamten genausozu wie den Arbeitern und Angestellten im öffentlichenDienst.Das Fazit, Herr Bundesinnenminister: Er ist kein Meis-terstück, Ihr Bundeshaushalt. Wir hören große Worte, wasjedoch fehlt, sind Taten. Ich wiederhole: Erstens. DasZuwanderungsbegrenzungsgesetz lässt auf sich warten.Zweitens. Sie haben kein einziges Gesetz zur Bekämp-fung der organisierten Kriminalität eingebracht. Drittens.Kleine und mittlere Beamte sind offensichtlich nicht Ihrebesten Freunde.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Erwin Marschewski
13148
Wir müssen daher den Bundeshaushalt ablehnen. Er istkein Signum für eine erfolgreiche deutsche Innenpolitik.Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Gunter Weißgerber, SPD-Fraktion.
Herr Marschewski, daswar ja ein mächtiger Theaterdonner. Aber das Stück, indem wir spielen, heißt, glaube ich, anders.Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen undKollegen! Konsolidieren mit Augenmaß, Verbesserungder inneren Sicherheit, Prävention und Bekämpfung ex-tremistischer Ideologien und Gewalttaten sind wichtigeMarkenzeichen der vorliegenden Beschlussfassung zumEinzelplan 06. Sah der Regierungsentwurf im Vergleichzum Haushalt 2000 bereits eine Ausgabensteigerung um1,5 Prozent auf 6,786 Milliarden DM vor, so brachten dieBeratungen im Ausschuss eine nochmalige Steigerung umrund 194Millionen DM. Dies ist beachtlich, gerade in An-betracht unserer fortdauernden Pflicht zur Haushalts-konsolidierung.Seit 1990 bin ich mit bundesdeutscher Politik befasst.Seitdem erlebe ich hautnah die Diskussion über Zuwan-derung, Spätaussiedler und Asyl. Zwischenzeitlich hatteich sogar den Eindruck gewonnen, dass sich die Diskus-sion versachlicht. Seit der anmaßenden Nonsensdiskus-sion über Leitkultur ist dieser Eindruck allerdings dahin.In Deutschland wird die Diskussion über das ThemaZuwanderung zulasten Wehrloser und zur Freude vonRechtsextremisten wieder stärker missbraucht. Bleibt zuhoffen – davon gehen wir selbstverständlich aus –, dassdie vom Innenminister einberufene Kommission „Zu-wanderung“ Lösungswege aufzeigen wird, die in derBevölkerung und im Parlament einen breiten Konsensfinden werden. Wir brauchen eine geregelte Zuwan-derung. Wir wollen weiterhin politisches Asyl gewährenund wir müssen Missbrauch verhindern. Vor der Lösungdieser Aufgaben stehen wir.
Die unabhängige Kommission und ihre Vorsitzendehaben eine gewaltige Aufgabe übernommen, eine Auf-gabe mit Langzeitwirkung. Im Haushaltsausschuss habenwir deshalb für 2001 3,5 Millionen DM für die Arbeit derKommission veranschlagt, gut angelegtes Geld, wie ichmeine.Der Bundesinnenminister und wir wollen, dassDeutschland sicherer wird, dass sich die Bevölkerungsicherer fühlt.
Der Anstieg der Ausgaben für die innere Sicherheit seit1998 stellt dies nachdrücklich unter Beweis. Hervorra-gend passt in diesen Zusammenhang die Vereinbarungvom Juni 1999 zwischen dem Bundesinnenminister unddem brandenburgischen Innenminister über die Zusam-menarbeit ihrer Polizeien. Ich zitiere:… die Minister bekräftigen ihren Willen, vor allemgrenzüberschreitender und internationaler Krimina-lität gemeinsam entgegenzuwirken und die Krimina-litätsbekämpfung insgesamt durch koordiniertesVorgehen zu verbessern, gemeinsam mit der Repu-blik Polen die polizeilich-nachbarschaftliche Zusam-menarbeit weiterzuentwickeln, auf den Gebieten derGefahrenabwehr und der Strafverfolgung unter Bün-delung der Kräfte einen effektiven Sicherheitsver-bund im Land Brandenburg anzustreben.Für die Umsetzung dieser Vereinbarung stellen wir demBundesgrenzschutz zusätzlich 9,1 Millionen DM zur Ver-fügung.Ebenso gut angelegt ist der Zuschuss in Höhe von2,6 Millionen DM an das Deutsche Forum für Kriminal-prävention als zentrale Informations- und Servicestelleder Kriminalprävention. Leider sehen sich Baden-Würt-temberg, Bayern und Berlin finanziell noch nicht in derLage, sich zu beteiligen, was gerade angesichts der fi-nanziellen Situation dieser Länder Verwunderung auslö-sen sollte.Stichwort Integration der Spätaussiedler und Ver-triebenen: Auch hier setzen wir unsere Politik der letztenJahre fort, also weg von dem populistischen Vorgehen, dieMenschen aus ihren jetzigen Heimatländern anzuwerben,hin zur Integration der hier Angekommenen.
2,65 Millionen DM stellen wir hier zusätzlich bereit. Da-mit steigt der entsprechende Titel auf 52,625 Milli-onen DM.Beständig halten wir an der Verbesserung der Situa-tion der SED-Opfer fest. Wir müssen uns hier nicht wieandere verbiegen. Anders als die vorherige CDU/CSU-Regierung können wir den SED-Opfern in die Augenschauen. Wir haben 1999 die Entschädigung auf die vonuns versprochenen 600 DM für alle Häftlinge erhöht – an-ders als die CDU/CSU-Regierung, die bis 1998 dieEntschädigungen bei 350 DM deckelte und jetzt perfidepolitpopulistisch 1 400 DM pro Haftmonat fordert.
Stammtische haben für so etwas extrem deftige Aus-drücke. Ich nenne es Rosstäuscherei. Wir stocken den ent-sprechenden Titel um weitere 5 Millionen DM auf. Glei-ches tun wir bei dem Titel für die Heimkehrer.
Die Mittel für die Ostseeakademie Lüneburgmussten wir in Höhe von 700 000 DM qualifiziert sper-ren.
Das Durcheinander von persönlichen Vorwürfen, angeb-lichen finanztechnischen Fehlleistungen und möglicherpolitischer Schwerpunktverlagerung ins Völkische war
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Erwin Marschewski
13149
für uns im Haushaltsausschuss nicht klärbar. Deshalbdiese Sperre.
Sollte diese Situation politisch schwierig bleiben, dann er-warten wir vom BMI grundsätzliche Vorschläge zur Trä-gerschaft der Akademie.
Einigen konnten wir uns im Kreise der Berichterstattermit dem BMI über die fortlaufende Finanzierung derpolitischen Stiftungen. In dieser Legislatur wird derAnsatz im Einzelplan 06 bei 167 Millionen DM bleiben.Ich kann an dieser Stelle nur raten, diesen Ansatz auchüber 2002 hinaus mindestens beizubehalten. Gerade vordem Hintergrund des ausufernden Rechtsextremismusmüssen wir uns auch an dieser Stelle zur Bedeutung derpolitischen Bildung bekennen.
In diesem Zusammenhang stelle ich für mich klar:Sowohl Rechts- als auch Linksradikalismus gehören inDeutschland beobachtet, selbstverständlich auch extre-mistisch motivierte Straftaten ausländischer Organisatio-nen. Doch ist die Situation im Moment in Deutschlandanders, als vielfach von der rechten Seite hier im Hausebeschrieben. Die größten Probleme bereitet uns derzeitder Rechtsextremismus; deshalb liegt die Betonung da-rauf, deshalb auch die Notwendigkeit des NPD-Verbots.Sehr fahrlässig in dieser Diskussion, meine ich, argu-mentiert die F.D.P. Angeblich reichen über 600 SeitenMaterial zur NPD beim Innenminister nicht aus. So oderähnlich leichtfertig wurde in den 20er-Jahren Hitlers„Mein Kampf“ abgetan. Dessen kriminelles Konvolutnahm damals auch fast niemand ernst und doch führte erdann seine Politik wie in seinem Buch beschrieben durch.Wir haben angesichts dieser Erfahrungen keinen Grund,anzunehmen, dass Nazis das, was sie heute sagen, nichternst meinen.
Hüten wir uns vor solcher Leichtfertigkeit!
Der Bundesinnenminister hat Recht. Die NPD muss ver-boten werden. Dieses Zeichen müssen wir setzen.Insgesamt bleibt festzustellen: Der Bundeshaushalt2001 bildet ein solides Fundament für eine rot-grüne In-nenpolitik, die uns Sicherheit gibt. Herr Minister, viel Er-folg! Unsere Unterstützung haben Sie.
Abschließend möchte ich mich bei meinen Berichter-statterkollegen für die fairen und konstruktiven Beratun-gen bedanken. Besonderen Anteil an diesem Klima hatteder Hauptberichterstatter Dr. Werner Hoyer; dies soll hiernicht unerwähnt bleiben.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es spricht jetzt Kol-
lege Hartmut Koschyk für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Kollege Özdemirhat gesagt, jetzt könne man die Regierung einmal loben.Also, lieber Herr Özdemir, bei dem vielen Lob, das Sievon den Koalitionsfraktionen über der Regierung ausge-schüttet haben, müssen wir, damit das Verhältnis heuteAbend noch irgendwie stimmt, einige kritische An-merkungen bringen. Ich möchte mich, bevor der HerrMinister zum Schluss der Debatte das Wort nimmt, zu dreiBereichen äußern.Ein Bereich ist schon von fast allen Rednern ange-sprochen worden – das zeigt auch die Bedeutung, diedieses Thema im Hinblick auf die innere Sicherheit füruns alle hat –: der Bundesgrenzschutz. Wir haben unsimmer fraktions- und parteiübergreifend bemüht, lieberKollege Graf, Anstrengungen zu unternehmen, um denBundesgrenzschutz für die Aufgaben, die er imSicherheitsverbund unseres Landes hat, fit zu machen.Wir haben damals – noch unter unionsgeführter Bun-desregierung – eine Reform in die Wege geleitet, die derHerr Bundesinnenminister im Wesentlichen fortgesetzthat.Wenn ich mich bei Einsatzabteilungen des Bundes-grenzschutzes in Bayern umhöre, erfahre ich, dass sie na-hezu dieselbe Abordnungsquote in den Einzeldiensthaben, wie es vor der Reform der Fall war, obwohl dies jagerade abgestellt werden sollte. Wenn wir uns einmalüberlegen, welche Großlagen für den Bundesgrenzschutzim nächsten Jahr anstehen – ich denke zum Beispiel an diedann wieder stattfindenden Castor-Transporte oder dieGeldtransporte, die der Bundesgrenzschutz am Ende desJahres 2001 im Zusammenhang mit der Einführung desEuro mit zu bewachen haben wird –, dann müssen wirschon fragen, ob diese hohe Abordnungsquote den Ein-satzwert der Einsatzabteilungen des BGS so erhält, dasser nach wie vor in der Lage ist, auch bei Großlagenentsprechend zu agieren.Es gibt weitere Herausforderungen für den BGS imnächsten Jahr, zum Beispiel den Beitritt der NordischenPassunion zum Schengener Übereinkommen. Wirmüssen fragen, ob vor allem im Norden DeutschlandsVorkehrungen getroffen sind, damit wir dort nicht ebensoüberrascht werden, wie seinerzeit, als an den Grenzen zuden Beneluxstaaten nach Wegfall der Passkontrollen dieEinführung eines Sicherheitsschleiers notwendig war.Herr Bundesinnenminister, uns ist zu Ohren gekom-men, dass es im Hinblick auf die Einführung des neuen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
GunterWeißgerber13150
Fahndungssystems Inpol-neu – sie steht im nächsten Jahran; bezüglich einer Softwarelösung ist ein Vertrag mitdem Freistaat Sachsen über die Anwendung von PAVOSabgeschlossen worden – doch fraglich sein soll, ob dieseSoftwarelösung auf den Bundesgrenzschutz uneinge-schränkt übertragen werden kann. Man sieht die Gefahr,dass im Falle dieser Einführung auf bestimmteDatenbestände nicht mehr zurückgegriffen werden kann.Das sagen uns Fachleute. Man muss der Sache nachge-hen, damit die Einführung von Inpol-neu nicht zu einemFlop wird.Lassen Sie mich auf ein Thema kommen, das heutebereits angesprochen worden ist, nämlich die Einglie-derung von Spätaussiedlern, aber auch die Unter-stützung deutscher Minderheiten in den Staaten Mittel-und Osteuropas. Wir erkennen an – das darf ich hiersagen –, dass Sie die Mittel für den Integrationsfonds, dervor allem der Eingliederung junger Spätaussiedler dient,erhöht haben. Lieber Kollege Welt, Sie wissen, dass wiruns in dieser Diskussion immer um einen Konsens be-mühen. Sie sollten nicht im Lande herumreisen und sotun, als hätte die neue Bundesregierung diesen Integra-tionsfonds erfunden. Er bestand bereits 1998. HorstWaffenschmidt hat ihn eingeführt. Dieser Fonds wardamals, 1998, mit 38Millionen DM bestückt. Sie erhöhenseine Mittel jetzt auf 50Millionen DM. Wir begrüßen das.Allerdings: Der Preis, zu dem Sie diese Erhöhungerkaufen, ist sehr hoch.
Denn Sie sparen bei den Rückführungskosten ganz mas-siv, also bei den Kosten für diejenigen Aussiedler, die zuuns kommen.Wir hatten heute Mittag – Herr Graf, ich habe gehört,dass auch Sie ein Gespräch gehabt haben – ein Treffen mitVertretern des Katholischen Flüchtlingsrats in Deutsch-land. Wir haben dabei erschütternde Berichte darübergehört, unter welch unwürdigen Verhältnissen Großfami-lien mit alten Menschen 14 Tage lang mit der Bahn undmit Bussen unterwegs sind, um in die BundesrepublikDeutschland zu kommen. Sie sollten noch einmal darübernachdenken, ob man diese Maßnahme, dass Sie bei denRückführungskosten so massiv sparen, nicht revidierenkann.Ich möchte einen zweiten Bereich nennen, in dem dieEinsparungen wirklich eklatant sind. Es geht um die Un-terstützungsleistungen für deutsche Minderheiten inden Staaten Mittel- und Osteuropas. Im Jahr 1998 be-trug der entsprechende Ansatz im Haushalt des Bundesin-nenministeriums nahezu 140 Millionen DM. DieserAnsatz wird im Haushalt 2001 auf 64 Millionen DMgekürzt.Herr Welt, wir stimmen mit Ihnen darin überein, dasses richtig war, bestimmte Großprojekte, vor allem solchein der ehemaligen Sowjetunion, zu überdenken. Vor demHintergrund der Weite und der Größe dieses Landes undder schwierigen Verhältnisse dort ist es sicherlich besser,statt in Großprojekte, die in der Vergangenheit viel Geldverschlungen und die teilweise auch zu Misserfolgengeführt haben, in kleine Projekte zu investieren.Aber Sie kürzen nicht nur bei Großprojekten, sondernauch ganz empfindlich bei anderen Projekten. Ich war vorkurzem in Polen und habe mir dort angesehen, welcheAuswirkungen die Rückführung der Projekte hat. Sie wis-sen, dass dort ein sehr starkes Verlangen nach einerDiskussion mit Ihnen, mit der Bundesregierung besteht.Inzwischen haben schon polnische Gesprächspartner dieSorge, dass Infrastrukturmaßnahmen, die dank derdeutschen Projekte eingeleitet worden sind, in Zukunftaufgrund der Kürzungen in diesem Bereich notleidendwerden. Ich halte das für sehr bedenklich.Insgesamt müssen wir schon darauf achten, Herr Weltund Herr Bundesinnenminister, kein falsches Signal zusetzen, damit Deutsche in Staaten Mittel- und Osteuropasnicht das Gefühl haben, dass wir nicht mehr die nötigenHaushaltsmittel aufbringen, um ihnen für ein Verbleibenin ihren Herkunftsländern die notwendige Unterstützungzukommen zu lassen.
Lassen Sie mich ein letztes Thema ansprechen, bei demzwar die Initiative bei den Koalitionsfraktionen liegt, aberbei dem auch Sie, Herr Innenminister, eine gewisse Ver-antwortung tragen: die Vorschläge, die die Koalitions-fraktionen jetzt im Hinblick auf Veränderungen bei derEinteilung der Bundestagswahlkreise vorgelegt haben.Dass von den Vorschlägen der Wahlkreiskommission somassiv abgewichen wird, wie Sie es jetzt tun, hat es in derVergangenheit noch nicht gegeben.Für den Freistaat Sachsen wollen Sie bei 17Wahlkreisen14 gravierende Abweichungen vornehmen, die völlig andem vorbeigehen, was die Wahlkreiskommission emp-fohlen hat. Herr Minister, ich verweise auch auf Bayern.1997 haben wir darüber diskutiert, ob der im Freistaat Bay-ern einzusparende Wahlkreis in Oberbayern, in der Lan-deshauptstadt München oder in Oberfranken wegfallensoll. Dass Sie jetzt nicht mehr berücksichtigen, dass sichvon 1997 bis 2000 Veränderungen der Einwohnerzahlenergeben haben, ist ein Problem, auf das Sie auch IhreParteifreunde in München und Oberbayern ansprechen.Ferner werden Veränderungen, die Sie in drei Wahlkreisenin Oberfranken vornehmen wollen, von Ihren eigenenParteifreunden in der SPD als manipulativ bezeichnet.Ich möchte Sie daher noch einmal herzlich bitten – wirhatten uns in der Vergangenheit auch darum bemüht –, dieVeränderungen, die angesichts der Vorschläge derWahlkreiskommission bei der Neuzuschneidung vonWahlkreisen vorgenommen werden müssen, einiger-maßen im Konsens herbeizuführen, statt sie par ordre demufti durchzusetzen, sogar ohne die kommunalen Kör-perschaften zu hören. Mir hat in den letzten Tagen einbayerischer Landrat gesagt, dass er zwar ständig höre,dass sein Landkreis „zerlegt“ werden solle, dass aberbisher noch niemand mit ihm gesprochen habe. Kein Kol-lege der SPD aus dieser Region hat mit diesem Landrat– trotz schwer wiegender Veränderungen durch dieNeueinteilung der Wahlkreise – darüber gesprochen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Hartmut Koschyk13151
Herr Innenminister, mein Appell ist, dass Sie noch ein-mal mit Ihren Kolleginnen und Kollegen aus den Koali-tionsfraktionen sprechen, damit die Neueinteilung derWahlkreise klug und maßvoll vorgenommen wird und dieMenschen nicht am Ende das Gefühl haben, hier werdepolitisch manipuliert. Die Menschen würden es uns näm-lich bei der Bundestagswahl 2002 mit Wahlverweigerungund Wahlenthaltung quittieren, wenn sie das Gefühl hät-ten, die da oben teilten die Wahlkreise an den Köpfen derMenschen vorbei willkürlich neu ein. Deshalb unser Ap-pell, dass Sie sich dieser Sache annehmen.Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Bundesinnenminister Otto Schily.
Frau Präsi-dentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte michzunächst für eine doch weitgehend faire Debatte bedan-ken. Selbst der Kollege Marschewski hat eine für seineVerhältnisse fast sachliche Rede gehalten.
Insofern glaube ich schon, dass man diesen Dank rück-haltlos aussprechen kann. Mein Dank richtet sich aber vorallen Dingen an die Kolleginnen und Kollegen des Haus-haltsausschusses und natürlich in erster Linie an die derKoalitionsfraktionen, die ja die Mehrheit haben.Der Haushalt meines Hauses ist eine gute Grundlagefür eine weitere verlässliche, kompetente und erfolgreicheArbeit der Sicherheitsinstitutionen im Interesse unsererBürgerinnen und Bürger und für die kompetente undzukunftsorientierte Politik der Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, auch der Innenminister hatin der Parlamentsdebatte eine begrenzte Redezeit. Des-halb wird es mir nicht möglich sein, auf alles einzugehen,was hier in der Debatte zuvor gesagt worden ist. In eini-gen Bereichen lohnen die Stichworte, die dort ange-sprochen worden sind, eine eigenständige Debatte.Aber auf eines möchte ich die Damen und Herren vonder Opposition schon hinweisen: Sie verwirbeln sich einwenig in Ihren Widersprüchen. Ich war heute den ganzenTag in dieser Parlamentsdebatte zugegen – vielleicht imGegensatz zu anderen.
Deshalb habe ich Herrn Austermann noch im Ohr, dervorhin behauptet hat, wir würden zwar im Interesse derHaushaltskonsolidierung handeln, aber keine Ausgaben-beschränkungen vornehmen, keine Ausgabendisziplinüben. Sie allerdings haben heute eigentlich immer nurAusgabenerhöhungen gefordert. Das passt nicht zusam-men.
Verehrter Herr Hoyer, auch Ihnen danke ich für Ihrensehr sachlichen Beitrag. Ich weiß – ich nehme das auchernst –, dass Sie sich sehr engagiert für die Sicherheitsin-stitutionen, für den Bundesgrenzschutz und für dasBundeskriminalamt, einsetzen. Ich bedanke mich dafür.Auf der anderen Seite muss ich sagen: Das, was wir indem Bereich, ungeachtet der Haushaltskonsolidierungen,geleistet haben – Herr Kollege Graf hat die Stellenan-hebungen beim Bundesgrenzschutz erwähnt –, hält denVergleich mit Ihrer Regierungszeit wahrlich aus.
Wir haben die Zahl der Stellenanhebungen verdoppelt.Sie wissen genau, dass die Stellenstruktur beim Bundes-grenzschutz weit schlechter ist – das lag 16 Jahre lang inIhrer Regierungsverantwortung – als bei den Länderpoli-zeien. Deshalb kommen die Einsichten, so sehr ich sie be-grüße, relativ spät.
Aber auch wer spät mit solchen Einsichten kommt, istwillkommen. Deshalb bleibt Ihnen der Dank erhalten.Herr von Hammerstein hat dankenswerterweise dieSportpolitik angesprochen. Mir fehlt hier die Zeit, dasausführlich vor Ihnen darzustellen. Sie wissen, ich bin einengagierter Sportminister.
Deshalb ist es auch gut, dass wir die notwendigen Mittelfür eine gute Sportpolitik von den Haushältern zugestan-den bekommen haben. Ich bedanke mich insoweit auchausdrücklich bei der Opposition, dass sie das mitgemachthat. Dass Sie nun das Urheberrecht für den Goldenen PlanOst beanspruchen, finde ich allerdings ein wenig über-trieben; denn in Ihrer Regierungszeit hat es einen Golde-nen Plan Ost nicht gegeben.
Deshalb müssen Sie verstehen, dass der Dank in erster Li-nie an die Koalition geht. Sie sind ein Begleiter diesesProjektes und haben daher einen Teil des Dankes verdient.Herr von Hammerstein, Sie haben eine – das will ichgar nicht bestreiten – schwierige Frage angesprochen. Esist die Frage, wie wir mit der Tätigkeit des Bundesgrenz-schutzes im Bereich derBahn umgehen und wie wir dortdie Kosten ordnen. Das ist eine offene Frage, die zwi-schen den Häusern – Bundesfinanzministerium, Bun-desverkehrsministerium und Innenministerium – ent-schieden wird. Wir sind der Meinung, dass derKostenfaktor der Bahn berücksichtigt werden muss. Aberdie Gespräche sind ja noch im Gang. Ich hoffe, sie kom-men zu einem guten Ergebnis. Wie Sie wissen, schätze ichHerrn Mehdorn sehr. Ich kenne ihn aus früherer Verant-wortung in meinem Wahlkreis München-Land: Da war ernoch bei der DASA; später ging er zur HeidelbergerDruck. Er ist eine hervorragende Wahl für diesen wichti-gen und schwierigen Posten. Ich sage jedenfalls für mein
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Hartmut Koschyk13152
Haus: Ich komme mit Herrn Mehdorn hervorragend aus.Wir haben vor gerade erst 24 Stunden – die Tinte ist nochnicht ganz trocken – eine Ordnungspartnerschaft unter-schrieben. Das zeigt auch, wie effizient die Sicherheits-politik der Bundesregierung ist. Wir sorgen nämlichdafür, dass ein privater Sicherheitsdienst der Bundesbahngut und effizient mit dem Bundesgrenzschutz zusammen-arbeitet. Das werden wir auch in Zukunft so handhaben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Hoyer?
Bitte schön.
Herr Minister, wenn Sie
jetzt sagen, dass diese Frage noch offen ist und dass da
noch Bewegung drin ist, müssen wir dann nicht die Be-
fürchtung haben, dass der Einnahmeposten von 125 Mil-
lionen DM an diesem Punkt eine Luftbuchung ist?
Nein, das istkeine Luftbuchung. Wir werden für eine vernünftigeRegelung sorgen. Ich sage Ihnen, die Regelung ist aufgutem Wege. Machen Sie sich deshalb an der Stelle keineSorgen: Die 125 Millionen DM werden im Haushalt sein.Herr von Hammerstein und auch Herr Hoyer haben dieFrage der Tarifbeschäftigten beim BKA und beim BGSangesprochen. Ich will Ihnen sagen, dass ich zum Beispielbeim BGS-Präsidium West dafür gesorgt habe, dassMöglichkeiten zu mehr Tarifbeschäftigung geschaffen wer-den. Sie wissen, die Versetzung von Tarifbeschäftigten istnicht immer ganz einfach.Beim BKA besteht in der Tat die Schwierigkeit – wirhaben sie von Ihnen geerbt –, dass es keine Ausnahmenbei den linearen Stellenkürzungen gibt. Aber, Herr Hoyer,wir haben immerhin eine Flexibilisierung erreicht. Das istfür diesen Bereich wichtig.Herr Marschewski, Sie haben eine sehr eingeschränkteWahrnehmung von Innenpolitik.
Der größte Vorwurf, den Sie mir machen, ist, dass ich keinGesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalitätauf den Weg gebracht habe. Wer Innen- und Sicher-heitspolitik mit der Produktion von Gesetzen gleichsetzt,der hat von Innenpolitik keine Ahnung.
Im Übrigen will ich Sie daran erinnern – das haben wirdoch gemeinsam zustande gebracht –, dass wir vor eini-gen Jahren – es ist also noch nicht allzu lange her – sehrvernünftige Gesetze zur Bekämpfung der organisiertenKriminalität auf den Weg gebracht haben,
auch Gesetze zur erweiterten Zuständigkeit des Bundes-grenzschutzes. Nun kommt es darauf an, diese Gesetze or-dentlich zu vollziehen. Das ist der entscheidende Punkt:Es kommt nicht nur auf das Gesetz, sondern auch auf denGesetzesvollzug an.
Das müssen Sie endlich lernen. Wenn Herr Marschewskies bis jetzt noch nicht gelernt hat, dann muss er es ebenheute lernen.Herr Marschewski, versuchen Sie doch einmal, sich ei-nen Einblick zu verschaffen. Wir haben die Sicherheits-strukturen auf nationaler und internationaler Ebene deut-lich verbessert. Wir haben mit einer Reihe von Ländern– mit Brandenburg, Sachsen, Schleswig-Holstein und an-deren – Sicherheitspartnerschaften abgeschlossen. Wirhaben ein vorbildliches Abkommen mit der Schweiz zu-stande gebracht. Das ist das beste Abkommen zur Be-kämpfung der organisierten Kriminalität, das es im inter-nationalen Bereich gibt.
Ich habe gerade ein Abkommen zur Bekämpfung der or-ganisierten Kriminalität mit der Volksrepublik China ab-geschlossen. Es gibt ein entsprechendes Abkommen mitTschechien. Von diesen Erfolgen konnten Sie während Ih-rer Regierung nur träumen. Deswegen sage ich: Die Si-cherheit unseres Landes ist bei der Bundesregierung inguten Händen.
Herr Koschyk, über das Thema Inpol-neu haben wirgerade auf der Innenministerkonferenz gesprochen. Be-vor Sie dieses Thema in einem kurzen Debattenbeitrag zurSprache gebracht haben, hätten Sie sich im Land Hessenbei meinem Kollegen Bouffier informieren können, wel-che Schwierigkeiten das Land Hessen hat, den Termin fürdie Einführung von Inpol-neu einzuhalten. Das würde Ih-nen vielleicht mehr Sorge bereiten, als Sie sie in Bezugauf einen anderen Bereich geäußert haben.Lassen wir das Thema an dieser Stelle ruhen. Ich steheIhnen gerne später zu einem Zwiegespräch zur Verfü-gung. Dann werde ich Sie über den Sachstand informie-ren, den ich jetzt nicht im Detail erörtern kann; es ist einschwieriges Thema. Ich bin mit Ihnen einer Meinung,dass dieses System für die Kriminalitätsbekämpfungwichtig ist. Wir müssen dafür sorgen, dass es zum frühest-möglichen Zeitpunkt eingesetzt wird.Sie haben ferner die Einteilung der Wahlkreise ange-sprochen. Ich bin ja ein Innenminister, der besonderenRespekt vor dem Parlament hat.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundesminister Otto Schily13153
Deshalb bin ich der Meinung, dass die Wahlkreiseintei-lung in erster Linie eine Sache des Parlaments ist. Wir ge-ben in dieser Frage gerne eine Hilfestellung – mein Staats-sekretär Körper ist in diesem Punkt sehr engagiert –, aberwir werden hier nicht, wie Sie behauptet haben, irgendet-was par ordre du mufti verfügen. Das können wir nämlichgar nicht. Das Parlament muss sich damit beschäftigen.Ich stimme Ihnen zu, dass wir einen Konsens suchen müs-sen. Mit dem Bemühen um einen Konsens war es in IhrerRegierungszeit nicht sehr weit her.
– Ich habe es selber bei meinem eigenen Wahlkreis erfah-ren, bei dem Sie eine künstliche Einteilung vorgenommenhaben, indem ein anderer Bereich aus wahltaktischenGründen zugeschlagen wurde.So viel zu Ihren Einzelbemerkungen. Ich könnte zueinzelnen Fragen natürlich noch sehr viel mehr sagen.Ich lege großen Wert darauf, dass erkannt wird, dassein Schwerpunkt der innenpolitischen Arbeit auf der Ge-währleistung der inneren Sicherheit liegt. Herr KollegeGraf hat das schon sehr deutlich anhand von Zahlen dar-gelegt. Wir leisten mit diesem Haushalt mehrere Dinge:Die Innenpolitik leistet ihren solidarischen Beitrag zurHaushaltskonsolidierung. Das ist wichtig. Dieses Vor-haben ist in meinem Haushalt aber besonders schwierigumzusetzen, weshalb ich auf diese Leistung sehr stolz bin.
Gleichzeitig verstärken wir die Mittel für den Einsatzfür die innere Sicherheit. Es gibt einen Aufwuchs beimBundesgrenzschutz, beim Bundeskriminalamt und auchbeim Bundesamt für Verfassungsschutz. Ähnliches giltfür das Bundesamt für Sicherheit in der Informations-technik. Darüber hinaus haben wir es vermocht – dafürbedanke ich mich besonders –, die Mittel für die Bereit-schaftspolizei von 6 Millionen DM auf 26 Millionen DMzu erhöhen. Das ist ein gutes Zeichen für eine ordentlicheund solide Sicherheitspolitik.
Deshalb können wir uns neuen Aufgabenfeldern zu-wenden. Wir brauchen neue kriminalpolizeiliche Aus-wertungsverfahren, wir müssen das Sachgebiet neueTechnologien ordentlich angehen, wir brauchen eine Zen-tralstelle für anlassunabhängige Recherchen im Daten-netz und Ähnliches.Natürlich gilt das auch für den internationalen Bereich.Wenn Sie sich bei den Innenministerkollegen in Europaerkundigen – ich bin inzwischen einer der dienstältestenInnenminister in Europa –, stellen Sie fest, dass die In-nenpolitik gerade unter dieser neuen Bundesregierung inEuropa erheblich an Ansehen gewonnen hat. Das kann ichIhnen versichern.
Dazu gehören natürlich die Ansätze, die wir gewählthaben. Wir haben etwa, um nur ein Beispiel zu nennen,das „Deutsche Forum für Kriminalprävention“ ge-schaffen. Damit tun wir etwas sehr Vernünftiges, das auchim Sinne der Modernisierung unserer Verwaltung liegt. –Ich bräuchte mindestens eine halbe Stunde Zeit, um überdie Modernisierung der Bundesverwaltung zu sprechen,die wir in Gang gebracht haben. – Aber gerade durch das„Deutsche Forum für Kriminalprävention“ suchen wirden Dialog mit der Wirtschaft und mit der Gesellschaft.Wir beziehen in die Kriminalprävention eben nicht nur diePolizei ein, die ein wichtiger Faktor in diesem Bereich ist,sondern auch gesellschaftliche Institutionen einschließ-lich der Wirtschaft.Ich habe kürzlich mit Vertretern der Wirtschaft zu-sammengesessen. Dabei war auch der Punkt Kreditkar-tenmissbrauch ein Thema. Wir haben die Vertreter derBanken und der Kreditinstitute eingeladen und einenWorkshop veranstaltet, um mit der Wirtschaft über dieseDinge zu sprechen und Lösungen zu finden. Das ist derrichtige Weg.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich bitte, den Geräuschpegel ein wenig zu
verringern, damit wir dem Bundesinnenminister bis zum
Schluss seiner Rede angemessen folgen können.
Die Bundes-regierung ist ein Garant für die innere Sicherheit.
Sie ist ein Garant für die entschlossene Bekämpfung vonExtremismus, insbesondere des Rechtsextremismus. Sieist ein Garant für die entschlossene Bekämpfung der Kri-minalität, insbesondere der organisierten Kriminalität,und zwar unter strikter Einhaltung rechtsstaatlicher Prin-zipien. Das muss immer dazugesagt werden.
Außerdem ist sie ein Garant für die resolute und rascheModernisierung der Verwaltung. Nicht zuletzt ist sie einGarant für grundlegende Reformen.Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei Dinge an-sprechen. Das Erste ist das Staatsangehörigkeitsrecht.Herr Hoyer, wenn ich noch einen Moment Ihre Aufmerk-samkeit in Anspruch nehmen darf,
möchte ich Ihnen sagen, dass Sie zu Recht darauf hinge-wiesen haben, dass es in der Verfassungs- und Staatsge-schichte unseres Landes eine historische Zäsur ist, dasswir das Staatsangehörigkeitsrecht von einer ethnischenFixierung losgelöst und auf ein europäisches Niveau ge-bracht haben.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundesminister Otto Schily13154
Die Leute innerhalb der CDU/CSU, die das noch immernicht wahrhaben wollen und sich jetzt in dem unseligenBegriff der Leitkultur verheddern, wollen wieder hinterdieses Niveau zurückfallen.
Die zweite Reform auf diesem Wege – sie beweist einesehr konsequente Politik – wird die Reform des Zuwan-derungsrechtes sein. Da wählen wir den Weg über eineunabhängige Sachverständigenkommission. Ich freuemich, dass sich sehr viele Menschen für diese Kommis-sion zur Verfügung gestellt haben, insbesondere derenVorsitzende, Frau Kollegin Professor Süssmuth. Ichmöchte mich ausdrücklich bei ihr bedanken, dass sie denMut gefunden hat, diesen Kommissionsvorsitz zu über-nehmen.
Alle Vorschläge sind willkommen. Wenn der Minister-präsident des Saarlandes, Herr Müller, Vorschläge hat, diedurchaus vernünftig sein mögen, sind sie willkommen.Andere Vorschläge, etwa vom Kollegen Beckstein, sindebenfalls willkommen. Wir werden sie vorurteilsfrei prü-fen.Ich bin auch der Meinung, dass es bei einem solchenVorhaben, das weit über eine Legislaturperiode hinaus-geht, das etwas für das Schicksal kommender Generatio-nen bedeutet, verantwortungslos wäre, wenn wir uns nichtalle sorgfältig und engagiert um einen großen Konsensbemühten. Das ist die Sache wirklich wert.
Herr Marschewski, da Sie hier nun Eile anmahnen,frage ich Sie: Wie lange haben Sie denn gebraucht, umüberhaupt festzustellen, dass es in Deutschland Einwan-derung gibt? Das haben Sie doch gerade einmal in diesemJahr entdeckt. Sprechen Sie doch nicht von Eile!
Sorgen Sie dafür, dass in unserem Land nicht die Stim-mung entsteht – es ist für viele Menschen ja nicht ganzeinfach, zu begreifen, welche Probleme damit verbundensind –, dass Zuwanderung als eine Bedrohung empfundenwird. Ich unterstelle Herrn Merz nicht, dass er mit demWort „Leitkultur“ irgendwelche ausländerfeindlichenÜberlegungen verbunden hat. Er hat es vielleicht gut ge-meint, aber schlecht gemacht.
Kürzlich waren bei mir Vertreter der dänischen Min-derheit – das will ich Ihnen zum Abschluss sagen; HerrKoppelin weiß das –, die gesagt haben: Wir sind gutedeutsche Staatsbürger; aber wir wollen unsere dänischekulturelle Herkunft nicht verleugnen und wollen dänischsprechen.
– Herr Marschewski, zum eigentlichen Problem kommeich doch erst. Hören Sie doch einmal einen Moment zu! –Ich wurde von diesen Vertretern der dänischen Minderheitgefragt: Ist unsere Kultur weniger wert als die deutscheKultur? – Sie empfinden den Begriff „Leitkultur“ als Be-drohung.
Nehmen Sie das ernst! Dieser Begriff ist Unsinn. Verren-nen Sie sich nicht in diese Debatte! Hören Sie damit auf!Dann ziehen wir einen Strich unter diese Debatte unddann können wir uns wieder zusammensetzen.
Ich bin nun ein wahrlich überzeugter und leidenschaft-licher Europäer. Auch Herr Fischer hat es heute Morgenschon angesprochen: Kein Franzose, kein Italiener undübrigens auch kein Schweizer käme auf den Gedanken,von einer französischen, einer italienischen und einerSchweizer Leitkultur zu sprechen. Man spricht zum Bei-spiel von französischer Kultur und ist sich sicher, dass sieeine der wunderbarsten Kulturen ist, die es gibt. Warumsprechen wir nicht schlicht von deutscher Kultur? Sie isteine der wunderbarsten Kulturen, die es gibt.
Also lassen Sie das doch mit der Leitgeschichte undbleiben Sie besser bei Herrn Stoiber, der zu Recht aufBayerisch gesagt hat: D‘Leut brauch‘n a Kultur. – ImBayerischen stimmt das ja, Herr Merz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-sprache.Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen. Ich rufe denEinzelplan 06 – Bundesministerium des Innern – in derAusschussfassung auf. Es liegen Änderungsanträge vor,über die wir zuerst abstimmen.Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Än-derungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksa-che 14/4769. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungs-antrag ist abgelehnt. 1)Ich rufe die Abstimmung über den Änderungsantragder Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/4771 auf.Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-gen? – Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt. 2)Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion derPDS auf Drucksache 14/4765. Die Fraktion der PDS ver-langt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftfüh-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundesminister Otto Schily13155
1) Anlage 52) Anlage 6rerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze ein-zunehmen. Sind alle Urnen besetzt? – Ich eröffne die Ab-stimmung. –Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-kannt gegeben.Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort, und ich bittealle Kolleginnen und Kollegen, die Plätze wieder einzu-nehmen. – Ich wiederhole noch einmal meine Aufforde-rung: Bitte, nehmen Sie die Plätze ein, damit wir die Ab-stimmungen fortsetzen können. Es gibt keine weiterenamentliche Abstimmung.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ände-rungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache14/4766. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – DerÄnderungsantrag ist abgelehnt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sienochmals, die Plätze einzunehmen, da wir noch einigeAbstimmungen und letztlich auch die Endabstimmungüber den Haushalt haben.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion derPDS auf Drucksache 14/4767? – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Auch dieser Änderungsantrag ist abge-lehnt.Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion derPDS auf Drucksache 14/4768. Wer stimmt für diesen Än-derungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Der Ände-rungsantrag ist abgelehnt.Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der PDS aufDrucksache 14/4770 auf. Wer stimmt dafür? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Auch dieser Änderungsan-trag ist abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion derPDS auf Drucksache 14/4772? – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der PDS aufDrucksache 14/4773 auf. Wer stimmt dafür? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Auch dieser Änderungsan-trag ist abgelehnt.Ich rufe den Änderungsantrag der PDS auf Drucksache14/4774 auf. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion derPDS auf Drucksache 14/4775? – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Auch dieser Änderungsantrag ist abge-lehnt.Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichenAbstimmung unterbreche ich jetzt die Sitzung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Sitzung ist wiedereröffnet.Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-mung über den Änderungsantrag der Fraktion der PDSauf Drucksache 14/4765 bekannt. Abgegebene Stimmen582. Mit Ja haben gestimmt 31 Abgeordnete, mit Nein ha-ben gestimmt 551 Abgeordnete, Enthaltungen gab eskeine. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Vizepräsidentin Petra Bläss13156
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 570;davonja: 30nein: 540JaPDSDr. Dietmar BartschPetra BlässEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Heinrich FinkDr. Ruth FuchsWolfgang GehrckeDr. Gregor GysiUwe HikschDr. Barbara HöllCarsten HübnerUlla JelpkeSabine JüngerGerhard JüttemannDr. Evelyn KenzlerDr. Heidi Knake-WernerRolf KutzmutzHeidi LippmannUrsula LötzerDr. Christa LuftHeidemarie LüthPia MaierAngela MarquardtKersten NaumannRosel NeuhäuserChristine OstrowskiDr. Uwe-Jens RösselChristina SchenkGustav-Adolf SchurDr. Ilja SeifertNeinSPDBrigitte AdlerIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHermann BachmaierErnst BahrDoris BarnettDr. Hans Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Ingrid Becker-InglauWolfgang BehrendtDr. Axel BergHans-Werner BertlFriedhelm Julius BeucherPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigKlaus BrandnerWilli BraseDr. Eberhard BrechtRainer Brinkmann
Bernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannEdelgard BulmahnDr. Michael BürschHans Martin BuryHans Büttner
Marion Caspers-MerkWolf-Michael CatenhusenDr. Peter DanckertDr. Herta Däubler-GmelinChristel DeichmannKarl DillerPeter DreßenDetlef DzembritzkiDieter DzewasDr. Peter EckardtSebastian EdathyLudwig EichMarga ElserPeter EndersGernot ErlerPetra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Gabriele FograscherIris FollakNorbert FormanskiRainer FornahlHans ForsterDagmar FreitagPeter Friedrich
Lilo Friedrich
Harald FrieseAnke Fuchs
Arne FuhrmannMonika GanseforthKonrad GilgesGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacGünter Graf
Angelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnKerstin GrieseAchim GroßmannWolfgang GrotthausHans-Joachim HackerKlaus HagemannManfred HampelChristel HanewinckelAlfred HartenbachAnke HartnagelKlaus HasenfratzNina HauerHubertus HeilReinhold HemkerFrank HempelRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogMonika HeubaumReinhold Hiller
Stephan HilsbergJelena Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid HolzhüterEike HovermannChristel HummeLothar IbrüggerBarbara ImhofBrunhilde IrberGabriele IwersenRenate JägerJann-Peter JanssenIlse JanzDr. Uwe JensVolker Jung
Johannes KahrsUlrich KasparickSabine KaspereitSusanne KastnerUlrich KelberHans-Peter KemperKlaus KirschnerMarianne KlappertSiegrun KlemmerWalter KolbowFritz Rudolf KörperKarin KortmannNicolette KresslVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerHorst KubatschkaErnst KüchlerHelga Kühn-MengelUte KumpfKonrad KunickDr. Uwe KüsterWerner LabschChristine LambrechtBrigitte LangeChristian Lange
Detlev von LarcherChristine LehderDr. Elke LeonhardEckhart LeweringGötz-Peter Lohmann
Christa LörcherErika LotzDr. Christine LucygaDieter Maaß
Winfried ManteDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkUlrike MascherChristoph MatschieHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MehlUlrike MertenAngelika MertensDr. Jürgen Meyer
Ursula MoggChristoph MoosbauerSiegmar MosdorfMichael Müller
Jutta Müller
Christian Müller
Andrea NahlesVolker Neumann
Dr. Edith NiehuisDr. Rolf NieseDietmar NietanGünter OesinghausEckhard OhlLeyla OnurManfred OpelHolger OrtelAdolf OstertagKurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinJohannes PflugDr. Eckhart PickJoachim PoßKarin Rehbock-ZureichDr. Carola ReimannMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterDr. Edelbert RichterReinhold RobbeGudrun RoosRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Birgit Roth
Gerhard RübenkönigMarlene RupprechtThomas SauerDr. Hansjörg SchäferGudrun Schaich-WalchBernd ScheelenSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyDieter Schloten
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Carsten SchneiderDr. Emil SchnellWalter SchölerOlaf ScholzKarsten SchönfeldFritz SchösserGisela SchröterDr. Mathias SchubertRichard Schuhmann
Brigitte Schulte
Volkmar Schultz
Ewald SchurerDr. R. Werner SchusterDietmar Schütz
Dr. Angelica Schwall-DürenRolf SchwanitzBodo SeidenthalErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWieland SorgeWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltAntje-Marie SteenLudwig StieglerRolf StöckelRita Streb-HesseReinhold Strobl
Dr. Peter StruckJoachim StünkerJoachim TappeJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesUta Titze-StecherAdelheid TröscherHans-Eberhard UrbaniakRüdiger VeitSimone ViolkaUte Vogt
Hans Georg WagnerHedi WegenerDr. Konstanze WegnerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Gunter Weißgerber
Jochen WeltDr. Rainer WendHildegard WesterDr. Margrit WetzelDr. Norbert WieczorekJürgen Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulKlaus WiesehügelBrigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena Wohlleben
Heidemarie WrightUta ZapfPeter ZumkleyCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AltmaierDietrich AustermannNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannBrigitte BaumeisterMeinrad BelleDr. Sabine Bergmann-PohlOtto BernhardtHans-Dirk BierlingRenate BlankDr. Heribert BlensPeter BleserDr. Maria BöhmerSylvia BonitzJochen Borchert
Wolfgang BosbachKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepePaul BreuerMonika BrudlewskyGeorg BrunnhuberHartmut Büttner
Cajus CaesarManfred Carstens
Leo DautzenbergHubert DeittertAlbert DeßRenate DiemersThomas DörflingerHansjürgen DossMarie-Luise DöttMaria EichhornAnke Eymer
Ilse FalkAlbrecht FeibelUlf FinkIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Hans-Peter Friedrich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Vizepräsidentin Petra Bläss13157
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeHans-Joachim FuchtelDr. Jürgen GehbNorbert GeisDr. Heiner GeißlerGeorg GirischMichael GlosPeter GötzDr. Wolfgang GötzerKurt-Dieter GrillHermann GröheManfred GrundHorst Günther
Carl-Detlev Freiherr vonHammerstein
Norbert Hauser
Klaus-Jürgen HedrichHelmut HeiderichUrsula HeinenManfred HeiseSiegfried HeliasHans Jochen HenkeErnst HinskenPeter HintzeKlaus HofbauerMartin HohmannKlaus HoletschekJosef HollerithDr. Karl-Heinz HornhuesSiegfried HornungJoachim HörsterHubert HüppeSusanne JaffkeGeorg JanovskyDr.-Ing. Rainer JorkDr. Harald KahlBartholomäus KalbDr.-Ing. Dietmar KansyIrmgard KarwatzkiVolker KauderEckart von KlaedenUlrich KlinkertNorbert KönigshofenEva-Maria KorsHartmut KoschykThomas KossendeyRudolf KrausDr. Paul KrügerDr. Hermann Kues
Dr. Norbert LammertHelmut LampDr. Paul LaufsKarl-Josef LaumannVera LengsfeldWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Dr. Manfred Lischewski
Julius LouvenDr. Michael Luther
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelFriedrich MerzHans MichelbachMeinolf MichelsDr. Gerd MüllerBernward Müller
Elmar Müller
Bernd Neumann
Claudia NolteGünter NookeFranz ObermeierFriedhelm OstEduard OswaldNorbert Otto
Anton PfeiferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzMarlies PretzlaffDr. Bernd ProtznerThomas RachelHans RaidelDr. Peter RamsauerHelmut RauberPeter RauenChrista Reichard
Erika ReinhardtHans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberFranz Romer
Dr. Klaus RoseAdolf Roth
Norbert RöttgenDr. Christian RuckAnita SchäferHartmut SchauerteHeinz SchemkenGerhard ScheuNorbert SchindlerDietmar SchleeBernd SchmidbauerDr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt
Hans Peter Schmitz
Birgit Schnieber-JastramDr. Andreas SchockenhoffDr. Rupert ScholzReinhard Freiherr vonSchorlemerDr. Erika SchuchardtGerhard SchulzDiethard Schütze
Horst SeehoferHeinz SeiffertDr. h. c. Rudolf SeitersBernd SiebertJohannes SinghammerBärbel SothmannDr. Wolfgang Freiherr vonStettenAndreas StormDorothea Störr-RitterMax StraubingerMatthäus StreblThomas Strobl
Michael StübgenDr. Rita SüssmuthDr. Susanne TiemannEdeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzAngelika VolquartzAndrea VoßhoffPeter Weiß
Gerald Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Klaus-Peter WillschBernd WilzWilly Wimmer
Matthias WissmannWerner WittlichDagmar WöhrlPeter Kurt WürzbachBenno ZiererWolfgang ZöllerBÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NENGila Altmann
Marieluise Beck
Volker Beck
Angelika BeerMatthias BerningerGrietje BettinAnnelie BuntenbachEkin DeligözDr. Thea DückertFranziska Eichstädt-BohligDr. Uschi EidHans-Josef FellAndrea Fischer
Katrin Göring-EckardtWinfried HermannAntje HermenauMichaele HustedtMonika KnocheDr. Angelika Köster-LoßackSteffi LemkeDr. Helmut LippeltDr. Reinhard LoskeKerstin Müller
Winfried NachtweiChrista NickelsCem ÖzdemirSimone ProbstChristine ScheelWerner Schulz
Christian SimmertChristian SterzingHans-Christian StröbeleJürgen TrittinDr. Antje VollmerSylvia VoßHelmut Wilhelm
Margareta Wolf
F.D.P.Ina Albowitz
Ernst BurgbacherJörg van EssenUlrike FlachHorst Friedrich
Rainer FunkeHans-Michael GoldmannDr. Karlheinz GuttmacherKlaus HauptWalter HircheBirgit HomburgerDr. Werner HoyerUlrich IrmerDr. Klaus KinkelGudrun KoppJürgen KoppelinIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerDirk NiebelGünther Friedrich NoltingDr. Edzard Schmidt-JortzigGerhard SchüßlerDr. Irmgard SchwaetzerMarita SehnDr. Hermann Otto SolmsDr. Max StadlerDr. Dieter ThomaeJürgen TürkDr. Guido Westerwelle
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Vizepräsidentin Petra Bläss13158
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-plan 06. Wer stimmt für den Einzelplan 06 in der Aus-schussfassung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthal-tungen? – Der Einzelplan 06 ist angenommen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-plan 33, Versorgung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da-gegen? – Enthaltungen? Der Einzelplan 33 ist angenom-men.Ich rufe auf:Einzelplan 12Bundesministerium für Verkehr, Bau- undWohnungswesen– Drucksachen 14/4512, 14/4521 –Berichterstattung:Abgeordnete Bartholomäus KalbGerhard RübenkönigDietmar Schütz
Matthias BerningerDr. Günter RexrodtDr. Uwe-Jens RösselEs liegen vier Änderungsanträge der Fraktion derCDU/CSU und drei Änderungsanträge der Fraktion derPDS vor. Weiterhin liegen ein Entschließungsantrag derFraktion der CDU/CSU und ein Entschließungsantrag derFraktion der F.D.P. vor, über die am Freitag nach derSchlussabstimmung abgestimmt wird.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dieAussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktionder CDU/CSU dem Kollegen Bartholomäus Kalb dasWort.
Verehrte Frau Prä-sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! DreiMinister in zwei Jahren sind nicht gerade Ausweis fürKontinuität in der Verkehrspolitik. Das spricht nichtschon per se gegen den neuen Ressortchef; es spricht abergegen den Bundeskanzler, der diese Position zunächst miteinem reinen Parteifunktionär und dann mit einem abge-wählten Ministerpräsidenten besetzte, um Ruhe an derWestfront der SPD zu haben.
Eine klare Linie fehlt und Effizienz gibt es nicht. BereitsMüntefering hatte einen Scherbenhaufen hinterlassen
und Klimmt fehlte offenbar das Vertrauen der eigenenLeute und der eigenen Fraktion, um etwas bewegen zukönnen.
Wir müssen zu einer verlässlichen und wirkungsvollenVerkehrs- und Baupolitik zurückkehren.
Zwei Jahre Rückschritt sind genug.
Wir brauchen wieder eine langfristig angelegte Ressort-politik, die geeignet ist, die Probleme bei der Bahn zu lö-sen, die Herausforderungen im Bereich des Fernstraßen-baus zu bewältigen und das Durcheinander im Wohnungs-und Städtebau zu beenden. Der Bereich Verkehrs-, Bau-und Wohnungswesen ist viel zu wichtig und daher völligungeeignet, um als personalpolitischer Verschiebebahn-hof missbraucht zu werden.
Wie man in der Sache innerhalb der Bundesregierungmit diesem Ressort umgegangen ist, belegt der Regie-rungsentwurf. Die Investitionen wurden drastisch gekürzt,am stärksten im Bereich des Verkehrsetats. Nur noch11,4 Prozent Investitionsanteil am Gesamthaushalt warenvorgesehen. Weitere fallende Linien waren zu verzeichnen.Zudem hatte der Finanzminister mit milliardenschwerenSperr- und Deckungsvermerken bereits Folterwerkzeugebereitgelegt, um bei mangelndem Wohlverhalten des Ver-kehrsministers im Haushaltsvollzug weiter kürzen undstreichen zu können.Die Mittel aus dem jetzt vielgerühmten Zukunfts-investitionsprogramm haben Sie nicht bei den normalenInvestitionstiteln veranschlagt, sondern dafür extra An-sätze gewählt und sie gleichzeitig ausdrücklich bis zumJahr 2003 begrenzt. Damit fehlt die notwendige Flexibi-lität und Berechenbarkeit.Natürlich weiß ich, dass alle nicht gesetzlich gebunde-nen Ansätze unter dem Vorbehalt künftiger Beratungenstehen; aber schon jetzt ausdrücklich zu beschließen, dassnach 2003 die vorgenommenen Erhöhungen wiederzurückgenommen werden, ist schon ein sehr starkesStück.
Trotz dieser Sonderaktion erreichen Sie jetzt gerade einmal eine Quote der Investitionen von 12,1 Prozent des Ge-samthaushaltes und bleiben weit hinter den Investitions-quoten früherer Jahre zurück. Ein Zickzackkurs bei Inves-titionen ist aber für die Bauwirtschaft und letztlich auchfür den Auftraggeber, insbesondere die öffentliche Hand,von Übel. Im Hinblick auf die langen Planungs- und Ge-nehmigungsabläufe von Verkehrsprojekten braucht manPlanungssicherheit und längerfristige Berechenbarkeit.Deshalb fordern wir dringend eine Verstetigung der Inves-titionen.Auch die angebliche Rekordhöhe von Investitionen imFernstraßenbau ist nichts anderes als irreführend. Sie
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Vizepräsidentin Petra Bläss13159
kommen trotz der Sonderaktionen nicht über die Höhe derAnsätze früherer Jahre hinaus.
– Das stimmt doch. – Auch Ihre weiteren Straßenbau-investitionsprogramme bleiben weit hinter den Erwartun-gen zurück. Ihr vor der Wahl in Nordrhein-Westfalengroßartig angekündigtes Anti-Stau-Programm steckt imStau. Mit den Maßnahmen kann frühestens 2003 begon-nen werden. Die Einnahmen haben Sie noch gar nicht,ebenso wenig wie die rechtlichen Voraussetzungen. Auchdie Zustimmung der EU fehlt.Nach meiner Überzeugung sind auch zahlreiche Pro-jekte der so genannten ZIP-Liste in keiner Weise gesi-chert, wenn es bei der Begrenzung bis zum Jahr 2003bleibt, weil die Anschlussfinanzierung schlicht und ein-fach fehlt.Herr Minister Bodewig, Sie werden es nicht leicht ha-ben. Ihr Vorgänger hat nämlich innerhalb eines Jahres vierZukunftsprogramme aus dem Hut gezaubert. Für Sie wirdes schwierig, diesen Rekord zu brechen.
– Das ist allerdings richtig, Herr Kollege Kansy.Insbesondere die Bahn wird sich sehr schwer tun, diegewünschten und notwendigen Maßnahmen durchzu-führen, wenn Sie bei Ihren Beschlüssen bleiben. Sie wirdnicht in der Lage sein, die Kapazitäten für Planung undBauleitung so schnell aufzubauen und dann wiederzurückzuführen.
Die Bahnpolitik hat schließlich während der Haus-haltsberatungen besondere Aufmerksamkeit erlangt. Mel-dungen über eine Ergebnisabweichung bis 2005 um20 Milliarden DM haben nicht nur heftige Diskussionenausgelöst. Das bedeutet letztlich auch 20 Milliarden DMweniger für Modernisierung und damit auch weniger anWettbewerbsfähigkeit. Zugleich – das war Thema in dervorausgehenden Debatte – belasten Sie die Bahn mit Son-derlasten wie der Ökosteuer und mit Kosten für denBGS – dieses Problem ist immer noch nicht ausgeräumt –in einer beträchtlichen Größenordnung.
und wenn drittens nicht alle begreifen – Mitarbeiter undGewerkschaften ebenso wie Unternehmensvertreter aufhoher und höchster Ebene –, dass sie an einem Strang undin eine Richtung ziehen müssen.
Ich meine damit nicht nur das AufsichtsratsmitgliedAlbert Schmidt. Dennoch: Auch und gerade vom Bundentsandte Aufsichtsratsmitglieder haben ihre Pflichten be-sonders ernst zu nehmen und gewissenhaft zu erfüllen.
Das Ansehen der Bahn, Herr Schmidt, ist mit Ihren öf-fentlichen Äußerungen, solange Sie sie nicht belegen kön-nen, jedenfalls nicht gemehrt worden.
Wir wissen alle, dass die Stärke der Bahn besonders aufeiner Entfernung zwischen 400 und 500 Kilometern zumTragen kommt. Das zeigen jedenfalls internationale Er-fahrungen. Wir sind in Deutschland und in Europa aberbereits an die Nationengrenzen gestoßen. Die dringendnotwendige Harmonisierung ist bisher nicht erreicht wor-den.Es kann doch nicht sein, dass Automobilhersteller mitWerken in ganz Europa ihre Werke nicht vernetzen kön-nen, nur weil die Bahnen nicht zueinander kommen unddie Systeme nicht kompatibel sind. Wir legen zwar euro-paweit den zulässigen Krümmungsradius für Gurken festund definieren einheitlich, was Schnitt-, Stich- und Stoß-stellen sind und wie die Schleppersitze aussehen müssen.Nur bei der Bahn kommen wir keinen Schritt voran.
Vor drei Wochen wurde der neue Verkehrsberichtvorgelegt. Danach werden bis 2015 der Personenverkehrum rund 20 Prozent und der Güterverkehr gar um 64 Pro-zent steigen. Ein Großteil der Verkehrssteigerungen wirdsich aus dem Zusammenwachsen Europas und dem Bei-tritt weiterer Länder zur Europäischen Union ergeben.Wir müssen uns darauf einstellen und Vorsorge treffen,um den Herausforderungen gewachsen zu sein. Wir ver-langen deshalb ein Programm „Verkehrsprojekte Europä-ische Einigung“, um auf das zu erwartende, enorm stei-gende Verkehrsaufkommen vorbereitet zu sein.Herr Carsten Kreklau vom BDI sagt:Zum einen muss die Verkehrsinfrastruktur moderni-siert, zum anderen dem zusätzlichen Verkehrsauf-kommen infolge der EU-Osterweiterung Rechnunggetragen werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bartholomäus Kalb13160
Mit Blick auf die Beitrittsländer wird die VerkehrsachseNürnberg–Regensburg–Passau–Wien enorm an Bedeu-tung und Belastung gewinnen; auch und gerade auf derSchiene. Deshalb wäre es fatal, diese Strecke jetzt zu ver-nachlässigen und das Angebot auszudünnen.Auch für den Donauausbau ist es erforderlich, dassdie – soweit ich das beurteilen kann – sehr gründlichenund sehr sorgfältigen Untersuchungen zeitgerecht zumAbschluss kommen und dass dann eine objektive Beur-teilung vorgenommen und ohne weitere Verzögerungengemeinsam mit dem Freistaat Bayern eine klare Entschei-dung getroffen wird.
Alle Beteiligten und vor allem die betroffenen Bürger undKommunen müssen wissen, wie es weitergehen soll. Siemüssen sich mit ihren Planungen darauf einstellen kön-nen.Das deutsche Transportgewerbe scheint für diese Bun-desregierung keine Bedeutung zu haben. Man hat denEindruck, viele hier wissen nicht oder wollen nicht wis-sen, von welchen Existenzsorgen die Inhaber, insbeson-dere von kleineren und mittleren Unternehmen und derenMitarbeiter bereits erfasst sind. Versprechungen, sich beider EU dafür einzusetzen, dass es keine weiteren Geneh-migungen für Subventionen anderer Länder seitens derEU gibt, werden nicht eingehalten. Subventionen für Ita-lien wurden mit rot-grünen Stimmen genehmigt. Dasdeutsche Transportgewerbe leidet unter massiven Wettbe-werbsverzerrungen. So treiben Sie unser Transportge-werbe in den Ruin bzw. zur Ausflaggung und vernichtenHunderttausende von Arbeitsplätzen hier im Lande.
Man fragt sich langsam: Interessiert denn den Bundes-kanzler eigentlich nur noch das Großkapital? Interessie-ren ihn die kleinen und mittleren Betriebe und die dort ar-beitenden Menschen nicht mehr?
Ich darf noch einen anderen Punkt ansprechen. Wir ha-ben es immer für falsch gehalten, dass die Transrapid-strecke Hamburg–Berlin von Ihnen aufgegeben wurde.Ich möchte dazu gerne sagen: Ich begrüße es ausdrück-lich, dass man mit den beiden Projekten in München undin Nordrhein-Westfalen nun endlich wieder einen neuenStart begonnen hat. Ich denke, es ist wichtig, dass wirdiese neue, zukunftsweisende Technologie bei uns imLande zur Anwendung bringen, dass wir die Vorteile un-sere Investitionen, die wir in Forschung und Entwicklunggesteckt haben, auch selber nutzen und damit die Voraus-setzungen dafür schaffen, dass diese neue Technologie einExporterfolg werden kann.
Herr Minister Bodewig, bei aller Kritik an der Ver-kehrspolitik, die wir zu üben haben, und bei allen unter-schiedlichen Standpunkten, die wir einnehmen, möchteich es dennoch nicht versäumen, Ihnen persönlich im In-teresse der Sache für Ihr neues, soeben angetretenes Amteine sehr glückliche Hand zu wünschen.Herzlichen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Gerhard Rübenkönig von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Mit dem Einzelplan 12 Ver-kehr, Bau- und Wohnungswesen, beraten wir heute denHaushalt, der ein Signal für die Zukunft einer neuen Ver-kehrspolitik in Deutschland gibt.Zunächst möchte ich aber von dieser Stelle aus unse-ren – erstmals auf der Regierungsbank – neuen Ministerfür Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Kurt Bodewig,begrüßen. Ich wünsche Ihnen, Herr Minister, alles Gutefür die Zukunft und eine erfolgreiche Arbeit.
Als Berichterstatter für den Bereich Verkehr möchteich zunächst meinen Kollegen Berichterstattern für diegute, vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeitdanken. Bedenkt man, dass sich das Volumen des Einzel-plans 12, wie ihn die Bundesregierung eingebracht hat, ineiner Höhe von 44,8 Milliarden DM bewegte und jetzt,nach den Beratungen, in einer Höhe von 48,6 Milliar-den DM, so kann man ersehen, welch intensive Beratun-gen hierzu erforderlich waren.
Allein für Investitionen im Verkehrsbereich sind in die-sem Haushalt über 22Milliarden DM veranschlagt; das istein Anteil von über 60 Prozent und liegt damit weit überdem, was Sie, meine Damen und Herren von der Opposi-tion, uns in Ihrer Regierungszeit vorgelegt haben.
Aufgrund meiner begrenzten Redezeit möchte ich hiernur zu einigen Schwerpunkten Stellung nehmen:Erstens zum Zukunftsinvestitionsprogramm: WieSie wissen, brachte die Versteigerung der UMTS-Lizen-zen dem Bund 99,4 Milliarden DM ein und diese Gelderwerden voll zur Rückführung der Staatsschulden einge-setzt. Die in diesem Zusammenhang aufgrund der Zins-ersparnis für die Bundesschuld frei werdenden Mittel inHöhe von rund 5 Milliarden DM werden zielgerecht fürInvestitionen in die Zukunft eingesetzt. Für den Verkehrs-haushalt bedeutet das pro Jahr einen Mittelzufluss von2,9 Milliarden DM. Damit verbessern wir die Mobilität inDeutschland. Mit einer Ausweitung der Investitionen in
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bartholomäus Kalb13161
das Schienen- und Straßennetz werden somit die Grund-lagen für einen reibungslosen und energiesparenden Ver-kehrsfluss in Deutschland verbreitert. Bis zum Jahre 2003werden diese zusätzlichen Investitionen 8,7 MilliardenDM betragen und damit neue Impulse für die erfolgreicheBeschäftigungspolitik dieser Bundesregierung geben.
Zweitens zu Investitionen in das Straßennetz: Für In-vestitionen in das Straßennetz werden einschließlich derMittel für das Zukunftsinvestitionsprogramm rund 9 Mil-liarden DM bereitgestellt. Rechnet man die Zuschüsse fürdie Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Ge-meinden hinzu, so sind rund 10 Milliarden DM für Inves-titionen in den Straßenbau vorgesehen.
– Hör zu! – Gegenüber 1998 – dem letzten Jahr der Re-gierung Kohl – ist das eine erhebliche Steigerung.
Mit den zusätzlichen Mitteln aus dem Zukunftsinvesti-tionsprogramm werden über 120 lang ersehnte Ortsum-gehungen gebaut, was in Ihrer Regierungszeit nicht mög-lich war.
Mir ist auch bewusst, dass die Mittel für den Straßen-bau, gemessen an den Wünschen, noch höher sein müss-ten. Allein die Tatsachen, dass für Brückensanierungen inZukunft circa 80Milliarden DM erforderlich sind, dass anden zweispurig ausgebauten Autobahnen, auf denen sichimmer wieder Staus bilden, dringend die dritte Spur ge-baut werden muss
und das im Rahmen der europäischen und innerdeutschenVernetzungen von Fernstraßen erhebliche Maßnahmenzum Lückenschluss erforderlich sind, zeigen unter ande-rem, dass in Zukunft weitere massive Investitionen in denStraßenbau erforderlich sind. Ich denke aber, dass wirdurch unsere realistische Planung der Verkehrsinvestitio-nen, die sauber gerechnet ist, der Bevölkerung nichtsmehr vorgaukeln und dass damit die unrealistische Spa-tenstichpolitik der ehemaligen Regierung Kohl endgültigein Ende hat.
Drittens zum kombinierten Verkehr: Zur Förderungvon Umschlaganlagen des kombinierten Verkehrs habenwir die Mittel von 90 Millionen DM auf 120 MillionenDM erhöht. Dabei nimmt der kombinierte Verkehr in un-serer Politik einen großen Stellwert ein. Hierdurch errei-chen wir einen erheblichen Verlagerungseffekt von derStraße auf die umweltfreundlicheren VerkehrsträgerSchiene und Wasserstraße.Viertens zu Investitionen in die Bahn:Gerade die neu-esten Diskussionen über die Bahn AG haben viele Pro-bleme, die in diesem Bereich existieren, ans Tageslichtgebracht. Das einzig Erfreuliche an dieser Situation ist,dass hier erstmals – ich sage das ganz bewusst – nach derBahnreform intensiv über den Zustand der Bahn und ih-res Netzes diskutiert wird. Diese Regierung hat sich zumZiel gesetzt, die Investitionen in die Schienenwege denStraßenbauinvestitionen gleichzusetzen.In unserem Zukunftsinvestitionsprogramm veranschla-gen wir daher für den Erhalt des Schienennetzes circa6 Milliarden DM bis 2003 zusätzlich. Damit können un-ter anderem veraltete Signalanlagen, marode Brücken sa-niert und Langsamfahrstrecken beseitigt werden. Mit derUmstellung der Finanzierung von Bestandsnetzinvesti-tionen von zinslosen Darlehen auf Baukostenzuschüssenhelfen wir der BahnAG erheblich bei der Finanzierung ih-rer Aufgaben. Mit den jetzt vorgesehenen Investitionen indie Schiene geben wir ein deutliches Signal pro Bahn.
Die Bahn AG ist jedoch aufgefordert, endlich eine Bi-lanz vorzulegen und ein Zukunftskonzept aufzuzeigen,wie sie unter anderem erstens die Bahn attraktiver ma-chen, zweitens mehr Verkehre von der Straße auf dieSchiene bringen, drittens das vorhandene Schienennetzinstand setzen und ausbauen, viertens neue in Deutsch-land erforderliche Strecken in einem europäischen Netzausbauen und fünftens den Nahverkehr neu organisierenwill.
Durch die Investitionen in die Bahn trägt die Bundes-regierung zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplät-zen in der mittelständischen Bauindustrie, aber auch beider Bahn AG selbst bei. Ich fordere daher von dieser Stelleaus den Bahnvorstand, an der Spitze Herrn Mehdorn, auf,diese Zukunftskonzeption der Bahn schnellstens vorzule-gen und mit uns zu diskutieren.
Ich sage aber auch, dass ein Arbeitsplatzabbau alleine,so wie er zurzeit in den Medien diskutiert wird, zur Kon-solidierung der Bahnfinanzen meines Erachtens nicht bei-tragen kann.Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zumSchluss ein paar grundsätzliche Bemerkungen zu mei-nem – ich sage das ganz bewusst – LieblingsprojektTransrapid machen: Als am 5. Februar dieses Jahres dieDeutsche Bahn AG entschieden hat, aus wirtschaftlichenGründen die Strecke Hamburg–Berlin nicht zu realisie-ren, glaubte jeder – und manche, auch hier im HohenHause, wünschten sich das –, dass der Transrapid nunendgültig gestorben sei. Ich persönlich, aber auch der da-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Gerhard Rübenkönig13162
malige Verkehrsminister Reinhard Klimmt und die Bun-desregierung wollten dies nicht zulassen.
– Sie können ruhig sagen: „Ach du meine Güte!“ Aber esist so. – Somit wurden in Abstimmung mit den Ländernzwei Strecken in Deutschland für eine weitere Planungund Realisierung festgelegt.
In diesem Haushalt werden hierfür 6,1 Milliarden DM ab-züglich der bereits verausgabten Mittel festgeschrieben.Ich bin daher zuversichtlich, dass bis zur Fußballwelt-meisterschaft 2006 der Transrapid von München Cityzum Flughafen und ein so genannter Metrorapid in Nord-rhein-Westfalen schweben werden.
Mit der Unterzeichnung des Memorandums zur Zusam-menarbeit der Bundesregierungen der USA und der Bun-desrepublik Deutschland bezüglich der – –
– Wenn es Ihnen in dieser Sache Ernst wäre
– das haben Sie früher immer gesagt –, dann würden Siejetzt zuhören und erkennen, wie wichtig es für Deutsch-land ist, dieses Zukunftsprojekt nach vorne zu bringen.
Deshalb lassen Sie mich in Ruhe noch ein paar Aus-führungen machen.Mit der Unterzeichnung des Memorandums zur Zu-sammenarbeit der Bundesregierungen der USA und derBundesrepublik Deutschland bezüglich der Entwicklungder Transrapidtechnik ist ein großer Schritt dahin getan,dass auch in den USA eine Strecke gebaut wird. Die ame-rikanische Regierung hat hierfür bereits 2,3 Milliar-den DM bereitgestellt.
– Nein, die Deutschen haben 6,1 Milliarden DM bereit-gestellt. Es ist möglich, dass Sie das so einschätzen.Kolleginnen und Kollegen, wie Sie aus den Medienvernommen haben, steht eine Verwirklichung des Projek-tes von Schanghai zum Flughafen Pudong kurz vor demAbschluss. Ich gehe davon aus, dass entsprechende Ver-träge noch in diesem Jahr unterzeichnet werden und dassmit dem Bau im Januar 2001 begonnen werden wird.Mit der Realisierung dieses Projektes wird der Trans-rapid im Jahr 2003 erstmalig auf einer Anwendungs-strecke schweben. Ich hoffe, dass die Bundesregierungdie zugesagte finanzielle Unterstützung in den nächstenTagen konkretisieren wird und uns entsprechende Vor-schläge gemacht werden. Ich persönlich bin zutiefst da-von überzeugt, dass nach Realisierung der Projekte inChina, den USAund in Deutschland ein neues Zeitalter inder Personenbeförderung eingeläutet wird.Lassen Sie mich zum Schluss Folgendes feststellen:Der uns vorliegende Verkehrshaushalt ist ein Schritt
in eine zukunftsorientierte Verkehrspolitik. Mit den ein-gestellten Investitionen gibt er ein Signal für eine bessereMobilität in unserer Gesellschaft. Er ist die Grundlage fürmehr Wachstum und mehr Beschäftigung. Deshalb bitteich Sie um Ihre Zustimmung zu diesem Haushalt und be-danke mich gleichzeitig für Ihre Aufmerksamkeit.Schönen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Horst Friedrich von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Ministerium fürVerkehr, Bau- und Wohnungswesen ist ja richtig was los:In knapp zwei Jahren drei Minister und immerhin zehnStaatssekretäre! Absoluter Weltrekord!
Aber ob das die richtige Antwort auf die die Mobilität be-treffenden Probleme in der jetzigen Zeit ist, muss man miteinem Fragezeichen versehen. Wo bleiben denn die Ant-worten auf die wesentlichen Fragen des Lebens, die überdie dauernde Umbesetzung der Posten hinausgehen?Wenn wir angesichts der Globalisierung in einer arbeits-teiligen Welt mit der Stärkung des WirtschaftsstandortesDeutschland tatsächlich Ernst machen wollen, dann brau-chen wir mittlerweile eine Mobilitätsgarantie für alle Ver-kehrsträger, damit derjenige, der in den PKW, in den Zugoder in das Flugzeug steigt, wenigstens einigermaßen zu-verlässig weiß, wann er abfährt und – vor allen Dingen –wann er ankommt.
Das ist mittlerweile nicht nur eine Frage der verkehrs-politischen Situation, sondern im Wesentlichen auch desvolkswirtschaftlichen Schadens. BMW hat errechnen las-sen, dass allein durch die Staus auf den Autobahnen jähr-lich 200 Milliarden DM an Volksvermögen schlicht undergreifend verschleudert werden.
Vor dem Hintergrund muss man sich fragen, ob dieInvestitionsprogramme, die Anti-Stau-Programme, die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Gerhard Rübenkönig13163
Zukunftsinvestitionsprogramme – und wie sie alle sonstnoch heißen – tatsächlich ausreichende Antworten auf diedrängenden Fragen geben. Daran habe ich, meine Damenund Herren von Rot-Grün, meine Zweifel. Vorschlägegibt es ja genug.Sie selbst haben eine hochrangige Kommission unterLeitung von Herrn Pällmann eingesetzt. Er war immerhinVorstandsmitglied der Deutschen Bahn AG und ist inso-fern unverdächtig hinsichtlich seiner Vorschläge zumStraßenverkehr. Er hat Ihnen wesentliche Wahrheiten insStammbuch geschrieben, die Sie aber offensichtlich nichtakzeptieren wollen:Erstens. Wir müssen, wenn wir es tatsächlich schaffenwollen, bedarfsgerecht zu finanzieren, auf eine realisti-sche Nutzerfinanzierung umstellen. Das hat diePällmann-Kommission ganz klar in ihrem Bericht fest-gestellt.Zweitens. Die Umstellung – das ist der entscheidendePunkt – der zeitbezogenen LKW-Gebühr auf einestreckenbezogene bringt keine zusätzlichen Güter auf dieSchiene. Auch das ist im Pällmann-Bericht definitiv fest-gestellt worden. Das Einzige, was Sie umzusetzen versu-chen – ob das zum 1. Januar 2003 gelingen wird, ist nochmit einem Fragezeichen zu versehen –, ist eine Erhöhungder LKW-Gebühr. Die Vorschläge reichen mittlerweilevon 25 Pfennig – das hat die SPD vorgeschlagen – bis hinzu 40 Pfennig, die der Kollege Schmidt in die Diskussioneingebracht hat. Dazwischen bewegen sich alle anderenVorschläge. Jeder kann sich auf der Spielwiese tummeln.Die Tendenz – auch das ist schon deutlich worden – gehteher dahin, so hohe Gebühren wie in der Schweiz zu er-heben,
und das alles, ohne dem deutschen Transportgüterge-werbe zu signalisieren, dass ein Ausgleich gewährtwerden wird, und in einer Zeit, in der alle europäischenLänder um uns herum ihre Straßenverkehrsgütergewerbe-treibenden auf nationaler Ebene kräftig unterstützen.
Mir liegt die offizielle Antwort der Bundesregierungauf unsere Kleine Anfrage vom Oktober dieses Jahres vor.Dass die Niederländer – Herr Müntefering bzw. HerrKlimmt hat es mir sogar noch schriftlich bestätigt; das istbeim Bundesverkehrsministerium noch gar nicht ange-kommen – dieses Gewerbe subventionieren, habe ichschriftlich vorliegen. Mittlerweile steht es in den Unterla-gen: Es gibt eine Rückvergütung von bis zu 17 Pfennigpro Liter Sprit.
weil es bei der Bewältigung der jetzigen Probleme nichthilft. Das nächste Problem ist Ihr immer wiederkehrenderGlaube, die Bahn würde es schon richten.Herr Kollege Rübenkönig, Sie haben soeben festge-stellt, dass Sie aus den Windfall Profits der UMTS-Lizen-zen zusätzliche Gelder bekommen haben, die Sie uns zuverdanken haben. Die Grundlage für das Erzielen der Er-löse ist ja nicht von Ihnen geschaffen worden. Nun sindSie froh und hoffen, dass die 6 Milliarden DM in dennächsten drei Jahren der Bahn helfen.Sie haben hier – ich habe es zumindest nicht festge-stellt – keine Antwort darauf gegeben, was denn mit derKostenüberschreitung der Bahn bei ihren drei großen Pro-jekten geschehen wird, die sich mittlerweile – von derBahn selbst zugegeben – mindestens in derselben Höhesummiert.
Es gibt mittlerweile sogar Aussagen, dass auf der StreckeKöln–Rhein/Main die von der Bahn unterschriebenenKostenansätze um 4 Milliarden DM überschritten wer-den.
Auf all diese Fragen haben Sie im Haushalt – wenn Siees wirklich ernst meinten, müssten Sie dies tun – keineAntworten gegeben und vor allen Dingen keine Rück-fahrposition eingenommen.
Nun höre ich mit großem Wohlwollen, dass die Grünenals mittlerweile letzte Fraktion außer der SPD gestern– endlich! – öffentlich erklärt haben, die Herauslösungdes Netzes aus der Bahn AG wäre sinnvoll. Ich kann Sienur auffordern,
dem seit 22. Februar dieses Jahres vorliegenden Antragder F.D.P. zur Trennung von Netz und Betrieb im Deut-schen Bundestag zuzustimmen. Wir haben mittlerweileeine parlamentarische Mehrheit. F.D.P., CDU/CSU,Grüne und PDS sind für die Trennung von Netz und Be-trieb.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Horst Friedrich
13164
Alle Sachverständigen im Deutschen Bundestag sindfür die Trennung von Netz und Betrieb.
Die einzigen, die sich immer noch verweigern, weil janicht sein kann, was nicht sein darf, gehören der SPD an.Aber auch die werden noch schlauer. Es dauert ein biss-chen länger, aber es wird schon noch kommen.
Der letzte Punkt betrifft die Kapazität auf der Schieneüberhaupt. Originalton Mehdorn im Verkehrsausschussdes Deutschen Bundestages vor wenigen Tagen: Ziel derBahn ist, den Anteil des Verkehrs auf der Schiene bis zumJahre 2015 um 50 Prozent zu erhöhen. 50 Prozent Erhö-hung des Güteranteils zum jetzigen Zeitpunkt bedeutenaber nur ungefähr 5 Prozent dessen, was derzeit auf derStraße herumfährt.
– Das ist noch nicht einmal der Zuwachs eines Jahres!Und das alles geschieht vor dem Hintergrund einer EU-Osterweiterung, die uns nach Auffassung der EU-Kom-mission eine Steigerung des Verkehrsaufkommens von60 Prozent – und davon wahrscheinlich 80 Prozent auf derStraße – bringt. Auf diese Problematik geben Sie mit IhrenHaushalten im Übrigen auch keine Antworten;
denn zu dem Thema „Grenzüberschreitende Verkehrs-infrastruktur kurzfristig signalisieren“ ist nichts zu sehen.
Wir haben den Antrag vorgelegt, dieses Thema neu zudiskutieren, zum Beispiel bezüglich der planungsrechtli-chen Möglichkeiten der Verkehrsprojekte Deutsche Ein-heit; denn darauf müssen wir eine Antwort geben. Es kannja wohl nicht sein, dass die Verkehrswege aus derTschechei, aus Polen, aus anderen Ländern – wie schonjetzt – an unsere Grenzen heranwachsen und dann nahtlosin einen zweistreifigen Feldweg übergehen.
Wenn wir uns das leisten können, dann haben wir dasThema eigentlich nicht ernst genommen. Sie bleiben inIhrem Haushaltsentwurf die Antworten auf all diese Fra-gen schuldig.Das nächste Thema ist die Luftfahrt.Es gibt ein wunderschönes Luftfahrtkonzept der Bundes-regierung. Auch darin stehen wesentliche Dinge des Le-bens. Einer der markantesten Sätze ist: Die Umlagerungder möglichen Passagiere im Nahbereich auf die Schienelöst kein einziges Problem der Luftfahrt.
Wir brauchen einen konsequenten Ausbau in Deutsch-land, was Flughafenkapazitäten angeht. Es gibt mittler-weile seriöse Gutachten, die von vier zusätzlichen Start-und Landebahnen in Deutschland sprechen, um denNachfrageüberhang, um das Zuwachspotenzial von jähr-lich schätzungsweise 6 Prozent tatsächlich unterzubrin-gen. Auf alle entscheidenden Fragen bleibt das Flugha-fenkonzept der Bundesregierung die Antwort eigentlichschuldig.
Das, was Sie tatsächlich noch goutieren können – ichmeine das ausschließlich im positiven Sinne –, ist das,was wir eingeleitet haben, nämlich eine organisations-und leistungsfähige Flugsicherung in Deutschland undeine privatisierte Lufthansa, die bewiesen hat, dass sie,losgelöst von den Fesseln des Staates, in der Lage ist, je-des Jahr ein Rekordergebnis vorzulegen.Warum, so frage ich mich, liebe Kollegen von der SPD,weigern Sie sich eigentlich, der Bahn ebenfalls die Wett-bewerbssituation zu verschaffen? Warum weigern Siesich, Wettbewerb auf der Schiene zuzulassen? Warumsignalisieren Sie nicht endlich weiteren Wettbewerbern,dass nicht Herr Mehdorn von der Bahn, sondern eine un-abhängige Institution darüber entscheidet, wer dieSchiene zu welchen Zeiten und zu welchen Bedingungennutzen darf? Dann würde in diesem Bereich investiert unddie Bahn würde endlich in den Wettbewerb gezwungenwerden. Es müssten dann keine Krokodilstränen mehr da-rüber geweint werden, dass es in Deutschland schon soviel Wettbewerb gibt.Eine hohe Zahl von Unternehmen ist dem Wettbewerbausgesetzt. Nur, der Anteil von Verkehr auf der Schieneliegt bei knapp 5 Prozent aller Wettbewerber außerhalbder Bahn. Die Bahn ist also nach wie vor Monopolist. Wassich im Bereich des Güterverkehrs anbietet, ist nicht un-bedingt das Gelbe vom Ei.
Ich möchte noch etwas zum Transrapid sagen: Es istschon bezeichnend, dass wahrscheinlich ausgerechnetChina die Vorteile dieses Systems erkannt hat
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Horst Friedrich
13165
und unter Umständen eher als die so technikfreundlicheSPD in der Lage ist, dieses System umzusetzen.
Ob das mit den im Haushalt ausgewiesenen Ansätzen zumachen ist – die Chinesen rechnen vielleicht damit, umdas System umzusetzen –, bleibt dahingestellt.
Sehr verehrter Herr Verkehrsminister, wir werden IhreArbeit kritisch verfolgen. Wir werden Ihnen zu gegebenerZeit auch unbequeme Fragen stellen. Diesen Haushaltkönnen wir allerdings nicht mittragen, weil er zu den vonuns gestellten richtigen Fragen die falschen Antwortengibt. In diesem Sinne!
Alsnächste Rednerin hat die Kollegin FranziskaEichstädt-Bohlig das Wort.
legen! Als Erstes möchte auch ich für unsere Fraktion un-seren neuen Minister, Herrn Bodewig, ganz herzlich be-grüßen. Das Gleiche gilt für unsere neue ParlamentarischeStaatssekretärin, Angelika Mertens, und unseren neuenParlamentarischen Staatssekretär, Stephan Hilsberg. Dassihr jetzt auf dieser Bank sitzt, das finde ich spannend. Ichfreue mich auf eine gute Zusammenarbeit.
– Danke schön, Herr Kollege Oswald, das ist völlig rich-tig: Ein Dank an die Ausgeschiedenen!
– Ja, an Elke Ferner, aber auch an den Kollegen Scheffler.Das ist schon richtig.Zum Einzelplan 12. Trotz der Miesmache des KollegenKalb und des Kollegen Friedrich:
Ehrlich gesagt, mir macht die Rede zum Einzelplan 12heute richtig Spaß. Ich lasse mir diese Laune auch nichtverderben; denn wir können heute in gewissem Sinne ei-nen ganz großen Erfolg feiern.
Am allermeisten möchte ich mich bei den roten und beiden jetzt nicht anwesenden grünen Haushältern dafür be-danken,
dass sie für den Haushalt des Bundesministeriums fürVerkehr, Bau- und Wohnungswesen so aktiv gestritten ha-ben. Wir sind in ganz besonderer Weise, Herr KollegeFriedrich, die Nutznießer der UMTS-Profite in dem Zu-kunftsprogramm geworden. Das kommt nicht nur uns,sondern vor allen Dingen der Bauwirtschaft zugute, die esauch wirklich bitter nötig hat.
Von daher ist das, was uns in den letzten Wochen gelun-gen ist, gar nicht hoch genug zu bewerten.Ich werde jetzt nichts zur Bahn und zum Straßenbau sa-gen; das macht nachher noch mein Kollege Ali Schmidt.Vielmehr möchte ich etwas ansprechen, was bisher nochnicht zur Sprache gekommen ist. Wir haben auch imBauressort enorme Erfolge zu verzeichnen. Ich bitte da-her die Kollegen, die sich sonst ausschließlich mit demVerkehrsbereich befassen, auch einmal zuzuhören.
– Das kann sich nämlich auch sehen lassen, nicht wahr,Herr Kollege Kansy?Es ist uns gelungen, für die Altbausanierung, für diedie alte Regierung ein ganz bescheidenes CO2-Minde-rungsprogramm mit einem Budget von 16 bis 20 Milli-onen DM hatte, ein echtes Förderungsvolumen in Höhevon jährlich 400 Millionen DM für fünf Jahre zu realisie-ren. Ich finde das sensationell.
Damit werden wir es schaffen, ein Kreditvolumen vonjährlich 2 Milliarden DM für die Altbausanierung, fürCO2-Minderung und damit für den Klimaschutz im Bau-bereich auf den Weg zu bringen. Das sind 10 Milliar-den DM. Selbstverständlich werden wir uns darumbemühen, dass dieses Programm nach 2005 fortgesetztwerden wird. Das ist ein enormer Beitrag für Umwelt undArbeit. An dieser Stelle bedanke ich mich nicht nur bei al-len hier im Hause, sondern auch beim Bündnis für Arbeit,in dem sich die Untergruppe für Umwelt und Arbeit in be-sonderer Weise für dieses Programm engagiert hat. Mitihm leisten wir sowohl etwas für die Umwelt als auch fürdie Beschäftigung in der Bauwirtschaft.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Horst Friedrich
13166
Als Zweites ist es gelungen, den Verpflichtungsrahmenfür die Städtebauförderung West, über die immer wie-der gesagt wird, wir schafften hier nichts, noch einmal um100Millionen DM aufzustocken. Auch das zeigt, dass wiruns nicht von der Neubautätigkeit abhängig machen. Wirwissen genau, dass wir inzwischen in BallungsräumenWohnungsüberangebote haben, sodass wir nicht ständigden Wohnungsbestand ausweiten müssen, sondern Schrittfür Schritt die Bestandsorientierung und Bestanderneue-rung verstärken können. Das ist uns sehr wichtig. Dazudienen beide Bausteine, die ich eben genannt habe, unddazu dient indirekt auch das Programm „Soziale Stadt“.Auch hier ist es uns gelungen, noch einmal50 Millionen DM auf den Verpflichtungsrahmen aufzu-satteln. Auch das ist sehr wichtig, denn es hat sich ja ge-zeigt, dass gerade dieses Programm in unseren Städtenenorm nachgefragt wird.
Ein Drittes: Vor einem Jahr war es noch nicht möglich,das Wort „Leerstand Ost“ öffentlich in den Mund zunehmen; da galt dies noch als unschicklich. Seither habenwir, Rot und Grün, erst einmal intensiv daran gearbeitet,dass das Problem überhaupt wahrgenommen wurde, unddann dafür gesorgt, dass der Bund seinen Beitrag zur Lö-sung des Problems in diesem Jahr sehr engagiert voran-getrieben hat. Wir stellen jetzt einen Verpflichtungsrah-men in Höhe von 700 Millionen DM in den Einzelplan 12ein. Aus diesen Mitteln wird in Härtefällen Hilfe für Woh-nungsunternehmen geleistet, die ihre Altschulden wegenzu großen Wohnungsleerstands nicht finanzieren können.Parallel dazu hat das Ministerium die entsprechende Ver-ordnung auf den Weg gebracht. Wir haben dazu im Früh-sommer die Verordnungsermächtigung beschlossen. Vondaher haben wir jetzt die Tür für die schwierige Aufgabedes Stadtumbaus Ost geöffnet. Wir werden weiterhin da-rauf achten, dass dieses schwierige Thema auch wirklichSchritt für Schritt einer Lösung zugeführt wird. Auchdafür bedanke ich mich bei den Haushältern.
Lassen Sie mich noch einen vierten Punkt ansprechen.Wir haben es schon im letzten Haushalt, dem harten Spar-haushalt, geschafft, dass ab dem 1. Januar 2001 die Wohn-geldnovelle greifen wird. Auch das ist eine großartigeLeistung. Gerade in diesem Winter, in dem ja die Heiz-ölpreise gestiegen sind – die Opposition weiß allerdingsnicht, dass die Heizölpreise ohne Ökosteuer gestiegensind; aber das lernt sie eben erst allmählich – bringt dieseWohngeldnovelle eine wirkliche Entlastung. Mit dem be-sonderen Heizkostenzuschuss, den wir überwiegend ausdem diesjährigen Haushalt, punktuell aber auch aus demHaushalt 2001 finanzieren, satteln wir noch einmal drauf.
Wer sich immer beschwert, wir würden nicht arbeitenund die Dinge kräftig vorantreiben, muss sich einmal ge-nau anschauen, was in dieser Koalition passiert. VieleBausteine kommen zusammen. Inzwischen haben wirschon ein ganz solides Haus gebaut.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Christine Ostrowski
von der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Ich muss Ihren Spaß natürlich etwasdämpfen, Frau Eichstädt-Bohlig; Sie werden das ja auchnicht anders erwarten.
Manfred Rommel war ein kluger Mann. In seinem politi-schen Lexikon steht folgender Satz:Noch nie hat einer die Wirklichkeit dadurch verbes-sert, dass er sie geleugnet hat.Ich muss sagen, das ist ein treffendes Motto; denn derBauhaushalt und die Realität gehen nicht immer zusam-men. Im Gegenteil: Sie klaffen in manchen Positionenganz schön auseinander.
Erstes Beispiel: Wohngeld. Ab nächstem Jahr steigendie Wohngeldleistungen für die bisher Berechtigten umungefähr 50 Prozent. Außerdem vergrößert sich der An-spruchskreis durch die Erhöhung der Einkommens-grenzen, das heißt, neue Haushalte kommen hinzu und an-dere, die in den letzten Jahren herausgefallen waren, habenwieder einen Anspruch. Es ist also mit einem Anstieg derMittel zu rechnen. Das DIW schätzt – ganz aktuell, Siekönnen das im letzten Wochenbericht nachlesen –, dassmittelfristig Mehraufwendungen von bis zu 1,5MilliardenDM benötigt werden. Das entspricht im Übrigen auchIhren Rechnungen; als Sie die Wohngeldnovelle einge-bracht haben, haben Sie die gleichen Zahlen genannt. Fürdas nächste Jahr rechnet das DIW– das entspricht auch un-seren Überlegungen – mit 9 Milliarden DM insgesamt.Das würde für den Bund 4,5 Milliarden DM bedeuten. Siesetzen nunmehr nur 3,9Milliarden DM an. Man fragt sich:Warum dieser unrealistische Ansatz? Ich sehe dafür dreiGründe.Erster Grund: Es besteht ein Rechtsanspruch aufWohngeld. Daher ist es fast schon egal, welche SummeSie in den Haushalt schreiben. Zahlen müssen Sie amEnde auf jeden Fall. Weil das so ist, eignet sich die Posi-tion Wohngeld wunderbar zum Zurechtrechnen des Haus-haltes: Denn über eine überplanmäßige Ausgabe am Jah-resende regt sich niemand auf, die kriegt keiner mehr mit.Zweiter Grund: Sie kalkulieren niedrigere Zahlungenbei den Sozialhilfeempfängern. Sozialhilfeempfängerwerden bekanntlich nicht mehr nach ihren Unterkunfts-kosten bezuschusst, sondern nach Mietobergrenzen.Zwei-Personen-Sozialhilfehaushalte überschreiten bei
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Franziska Eichstädt-Bohlig13167
der Mietstufe III zu 26 Prozent, bei der Mietstufe V zu38 Prozent und bei der Mietstufe VI zu 60 Prozent dieneuen Mietobergrenzen. Für diese Überschreitungenmüssen jetzt die Gemeinden aufkommen. Dass Sie aufKosten der Schwächsten sparen, geben Sie in der Be-gründung zu Ihrem Gesetzentwurf sogar klipp und klarzu. Dort reden Sie Klartext und sagen: Es wird eine Leis-tungsminderung geben. Sie zahlen weniger Wohngeldund verlangen von den Kommunen, dass die Unter-kunftskosten per Sozialhilfe aufgebracht werden.
Diesem finanziellen Druck werden die Gemeinden ein-fach dadurch ausweichen, dass Sozialhilfeempfänger inbilligere Wohnungen kommen.Dritter Grund: Sie hoffen, dass durch sinkende Ar-beitslosenzahlen auch die Zahl der Wohngeldberechtig-ten sinkt.
Mag sein – Prinzip Hoffnung. Ich nenne nur drei Stich-worte: weit über 3 Millionen ausschließlich geringfügigBeschäftigte, Lohnzurückhaltung, Ausweitung der Teil-zeitbeschäftigung.Fazit eins: Ihr Wohngeldansatz geht unseres Erachtensan der Realität vorbei.
– Darüber habe ich geredet, haben Sie mir nicht zugehört?
Punkt zwei: der ostdeutsche Wohnungsmarkt.Schaut man in die Ost-Haushaltspositionen des Planes12 25, dann kommt man sich vor wie im falschen Film.Ungeachtet der konkreten Realität, unbeeinflusst von derWohnungsmarktkrise, vom Leerstand und vom Konkursvon Wohnungsunternehmen setzen Sie wie eh und je dasüberholte und tradierte Schema an: Hier das Programmfür dieses, da jenes Programm für jenes; hier Städtebau-förderung – und gnade Gott, auch nur eine Mark soll fürAbriss verwendet werden –, da sozialer Wohnungsbau –und gnade Gott, man will mit nur einer Mark einen Spiel-platz mitfinanzieren. Wir hatten beantragt, die getrenntenProgramme zu einem einzigen Fonds zusammenzufassen,aus dem je nach Lage vor Ort Sanierung, Stadtentwick-lung, Abriss, Wohnumfeld usw. finanziert werden kann.Das war ein intelligenter Vorschlag.
Er kostet Sie keine Mark mehr, aber er hätte der ostdeut-schen Wirklichkeit hundertmal besser entsprochen alsIhre überholte, starre Struktur. Aber Sie konnten sich janicht einmal dazu durchringen, diesen Vorschlag zuakzeptieren.Ihr einzig konkretes finanzielles Zugeständnis – dasmuss einmal festgehalten werden – sind die 60 Milli-onen DM, die im nächsten Jahr für existenzbedrohteWohnungsunternehmen für die Entlastung beim Woh-nungsabriss vorgesehen sind. Das betrifft ungefähr 7 000Wohnungen. Es gibt aber 1 Million Leerwohnungen.Auch der Verpflichtungsrahmen von 700 Millionen DMreicht nicht aus – er reicht nur für die Härtefälle –, die ge-nerelle Situation in Ostdeutschland zu entkrampfen.Wir haben beantragt – und zwar rechtzeitig, bevor Siedie UMTS-Geschenke aufgeteilt haben –, 3 Milliar-den DM davon zur Streichung der Altschulden einzuset-zen. Auch dieser Antrag wird den Weg alles Irdischen ge-hen; das ist uns bewusst. Dieser Punkt ist heute schonmehrfach strapaziert worden: Wer in letzter Minute10 Milliarden DM für einen Großraumtransporter derBundeswehr zusammenbringt, aber auf der anderen Seitenicht bereit ist, 3 Milliarden DM für die Streichung derAltschulden im Osten auszugeben, der interessiert sichnicht wirklich für den Osten.
Fazit zwei: Haushalt und Ostrealität sind wie Feuer undWasser.Punkt drei: Investitionen. Die Investitionen im Woh-nungswesen sinken, wie ein Diagramm über die Bundes-ausgaben im Wohnungswesen zeigt.
– Darüber können Sie ja reden. – Ihre Investitionen gehenalso nach unten.
Die Ausgaben für den Wohnungsbau sind bereits unter dieGrenze für den Ersatzbedarf gesunken.
– Sie verstehen vielleicht etwas vom Einmaleins, abervom Bauwesen haben Sie keine Ahnung.
Seien Sie also bitte ruhig oder stellen Sie mir eine Zwi-schenfrage. Dann habe ich mehr Redezeit, Ihnen das zuerklären.Man kann sich darüber streiten, ob man jährlich 400 000oder 500 000 Wohnungen braucht. Worüber man sich nichtstreiten kann: Wenn man die Lebensdauer einer Wohnungmit 100 Jahren ansetzt, dann kommt man um 380 000 neueWohnungen jährlich nicht herum. Da beißt die Maus kei-nen Faden ab. Darunter zu bleiben hieße schleichenderSubstanzverzehr, neue Wohnungsknappheit, steigendeMieten und schließlich – gezwungenermaßen – erneut hoheSubventionen, um das Gleichgewicht wieder herzustellen.Besonders schwer wiegt in diesem Zusammenhang IhrRückzug aus dem sozialen Wohnungsbau, auf dessen Re-form wir nach wie vor warten. Folgende Bemerkung passt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Christine Ostrowski13168
gut an diese Stelle: Der perfide Umgang mit den Ei-senbahnerwohnungen ist wohl das Letzte.
Sie haben Wahlversprechen gebrochen. Für eine einma-lige Einnahme verkaufen Sie 114 000 Wohnungen. Ichhalte das für einen ungeheuerlichen Vorgang.Fazit drei: Auch bei Investitionen hat der Haushalt mitder Realität herzlich wenig zu tun.Punkt vier: CO2-Minderungsprogramm. Ich ver-stehe Frau Eichstädt-Bohlig, dass sie sich sehr darüberfreut. Vielleicht tritt ja auch der gewünschte Effekt ein.Aber ich bitte Sie, auf den Boden der Realität zurückzu-kommen. Es ist ja nicht so, dass in diesem Bereich nochnichts unternommen wurde. Die Bundesregierung hat eininteressantes Diagramm veröffentlicht, das den CO2-Aus-stoß für die Jahre 1990 bis 1998 zeigt.
Dieses Diagramm zeigt, dass der CO2-Ausstoß der pri-vaten Haushalte trotz der Mitte der 90er-Jahre in Kraft ge-setzten Wärmeschutz- und Heizungsanlagenverordnung,trotz des bereits vorhandenen CO2-Minderungspro-gramms und der Ökozulage vom Jahr 1990 bis zum Jahr1998 gestiegen ist. Die entsprechende Kurve ist zwar eineZickzackkurve, aber der Trend zeigt nach oben.
Ich muss Sie in diesem Zusammenhang fragen, ob Sieeinmal analysiert haben, woran das liegt. Ehe man neueSteuergelder für einen gut gemeinten Zweck ausgibt,möchte man doch bitte schön wissen, warum alle Maß-nahmen der vergangenen Jahre das gewünschte Ziel nichterreicht haben. Ansonsten geht man unwirtschaftlich andas Problem heran. Das hat mit der Realität nichts zu tun.
Frau
Ostrowski, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum
Schluss.
Ihr Haushalt liegt fern der Wirklichkeit. Vielleicht liegt
das daran, dass es schon den dritten Minister für dieses
Ressort gibt. Alle Minister waren nur Verkehrsminister.
Keiner hat nämlich auf mich den Eindruck gemacht
– auch Sie nicht, Herr Bodewig, bei Ihrem Amtsantritt –,
dass er ein Herz für das Wohnungswesen hat. Sie haben
sich ausschließlich zum Verkehrswesen geäußert. Sie wa-
ren alle nur Verkehrsminister.
Ich möchte aber endlich einen Bauminister haben,
dessen Herz auch für das Bau- und Wohnungswesen
schlägt; denn Wohnungsunternehmen, Genossenschaften,
private Vermieter, Kommunen und vor allem die Mieter
verdienen einen anderen Haushalt. Sie finanzieren ihn
nämlich zu einem großen Teil mit. Vergessen Sie das nie!
Wir kom-
men zur zweiten Runde. Ich darf darauf hinweisen, dass
die geplanten Redezeiten nicht unbedingt eingehalten
werden müssen. Sie können unterschritten werden.
– Sie dürfen nicht überschritten werden, aber sie können
unterschritten werden.
Der nächste Redner ist der Kollege Dietmar Schütz von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Der städtebau- und woh-nungspolitische Teil des Einzelplans 12 hat, Herr Kalb,durch unsere Bemühungen einen sehr deutlichen Auf-wuchs hin zu mehr Investitionen erfahren. Der Investiti-onsanteil des gesamten Haushaltsplanes beträgt jetztetwa 56 Prozent und gehört damit immer noch zu den in-vestitionsfreundlichsten und am meisten mittelstandsori-entierten Haushalten insgesamt.Ich will einige Investitionsbereiche nennen.Zu unseren ambitioniertesten Vorhaben – darauf istvorhin schon von meiner Vorrednerin von den Grünenhingewiesen worden – gehören die Maßnahmen zum Alt-bausanierungsprogramm bzw. CO2-Minderungspro-gramm. Dafür haben wir in diesem Jahr 400 Milli-onen DM sowie für die Jahre 2002 bis 2005 viermal400 Millionen DM eingestellt. Durch die Bereitstellungder Zinsen werden etwas mehr als 200 000 Wohnungensanierungsfähig. Durch dieses Kreditprogramm habenwir mehr als 10 Milliarden DM aktiviert.Endlich, Frau Ostrowski, wird mit diesem Programmder Erkenntnis der ersten Enquete-Kommission KlimaRechnung getragen, dass die gesamte CO2-Belastung umetwa 40 Prozent im Wohnungsbau reduziert werden kann.
Rot-Grün handelt an dieser Stelle. Sie haben gesagt, dassei Unsinn.
Die klare Positionierung dieser Energiepolitik müssenSie natürlich auch im Zusammenhang mit den anderenHaushaltstiteln sehen. Man darf nicht immer nur seineneigenen Haushalt anschauen, sondern kann sich zum Bei-spiel auch den Wirtschaftshaushalt seines Kollegen anse-hen, mit dem die Forschung finanziert wird. Auch das100 000-Dächer-Programm zur Förderung der Solar-energie und das Erneuerbare-Energien-Gesetz sind sol-che Beispiele.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Christine Ostrowski13169
Wenn wir all das zusammennehmen, kann man feststel-len, dass wir wirklich etwas in die Hand genommen ha-ben. Ich bin stolz, dass wir das gemeinsam getan haben.
Es gibt ein vorzeigbares Gesamtprogramm dieser Re-gierung, das den Betonköpfen der Global Climate Coali-tion auf der Weltklimakonferenz in der vorigen Woche dieSchamröte hätte ins Gesicht treiben können.
Wir tun etwas; Sie haben das nicht getan. Das ist der Un-terschied zwischen uns.Kollege Kalb, dieses Altbausanierungsprogramm istein Mittelstandsförderungsprogramm erster Güte fürKlempner, Dachdecker, Zimmerleute, Installateure unddie gesamte Bauindustrie. Auch in anderen Bereichen gibtes Mittelstandsförderungsprogramme, zum Beispiel imAnlagenbau. Das ist keine Sache der Großindustrie, son-dern Mittelstandsförderungspolitik, auf die wir stolz sind.
Ich freue mich, dass wir Haushälter das mit durchge-setzt haben. Da haben wir mit unseren Kollegen gut zu-sammengearbeitet.Der zweite Bereich. Wir haben vor einem Jahr hier inder Haushaltsdebatte auf unsere Verpflichtungen hinge-wiesen, die sich aus den veränderten Bedingungen aufdem Wohnungsmarkt mit Auswirkung auf das Wohngeldergeben. Die Wohngeldnovelle, Frau Ostrowski, tritt am1. Januar 2001 in Kraft. Wir haben unsere Hausarbeitenjetzt zum größten Teil erledigt, teilweise ohne die Länder.Wir lösen mit der Finanzierung der Wohngeldnovelle un-ser wichtigstes wohnungs- und sozialpolitisches Verspre-chen ein. Der Reformstau der Vorgängerregierung wirdbeseitigt, die Gerechtigkeitslücke wird geschlossen.
Wir mussten zur Kenntnis nehmen, dass die Mietbelas-tung der Privathaushalte in den alten Ländern nach Wohn-geld von 23 Prozent im Jahr 1990 auf 31 Prozent im Jahr1998 gestiegen war, also von knapp einem Viertel aufknapp ein Drittel des gesamten Haushaltseinkommens.Viele Haushalte mit Einkommen nur knapp oberhalb derSozialhilfegrenze hatten ihren Wohngeldanspruch völligverloren. Das ändern wir jetzt mit der Wohngeldnovelle.Ich denke, dafür gebührt uns Dank.
Zusätzlich zu den 2,8MillionenHaushalten, die derzeitWohngeld bekommen, werden 400 000 Haushalte wiederoder erstmalig Wohngeld erhalten. Diese Haushalte liegeninsbesondere in den neuen Ländern.Dieser Titel, Frau Ostrowski, ist nach unseren Vorstel-lungen auch völlig ausreichend finanziert. Es besteht dochein Rechtsanspruch. Deswegen habe ich Sie vorhin über-haupt nicht verstanden, als Sie gesagt haben, dass dasGanze nicht finanziert sei. Es ist ein Schätztitel und es be-steht ein Rechtsanspruch. Deswegen ist das, was Sie ge-sagt haben, für einen, der ein bisschen Ahnung davon hat,völlig unverständlich.
Wir haben hier vernünftig gehandelt und etwas Richtigesgemacht.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,zum dritten Punkt: Wir haben im vorigen Jahr interfrak-tionell über die Mittelausstattung des Programms „So-ziale Stadt“ gestritten. Denn ein Kollege, der jetztOberbürgermeister in Krefeld geworden ist,
hatte behauptet, wir wollten damit nur Sozialprogrammefinanzieren. Wir haben jetzt durch die in diesem Zusam-menhang sehr erfolgreich angelaufenen Programme be-wiesen – davon sind Sie mittlerweile überzeugt –, dassdiese Programme vernünftig sind, wir die Programmerichtig angepasst haben und dass wir keine Marterinstru-mente in Form von qualifizierten Sperrungen usw. benöti-gen.
Wir alle sind überzeugt, dass die Erhöhung der Inte-grationskraft unserer Städte und deren Wohnquartiere ge-rade auch vor dem Hintergrund der jüngsten Diskussionüber desorientierte Jugendliche, Rechtsradikale und Skin-heads in bestimmten Wohnquartieren unbedingt erforder-lich ist. Wir können doch nicht immer nur Demonstratio-nen organisieren, sondern müssen auch die Bedingungenändern, zum Beispiel durch solche Programme wie dasder „Sozialen Stadt“,
mit dem wir das Wohnumfeld sowie die Lebensumständeverändern und mit dem wir etwas für Bürger in sozialenBrennpunkten tun. Das haben wir durch die Verbesserungder Wohnquartiere getan. Wir haben den Ansatz von100 Millionen DM um 50 auf 150 Millionen DM erhöht.Ich glaube, das wird seine Folgen haben. Sie werden dasnächste Mal vielleicht fordern, noch einmal draufzusat-teln, weil Sie dann wahrscheinlich der Meinung sein wer-den, dass dieses Programm sehr gut und erfolgreich ist.
Ein letzter Punkt im Rahmen des Investitionspro-gramms: Wir haben den für die Städtebauförderung vor-gesehenen Ansatz erhöht und diesen insbesondere auf denStädtebau Westdeutschlands fokussiert. Das zuständigeFachressort hatte den für das Jahr 2000 für die Städte-bauförderung Ostdeutschlands festgelegten Ansatz in
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dietmar Schütz
13170
Höhe von 520 Millionen DM für das Jahr 2001 bei-behalten, weil die Hausarbeiten in der Städtebausanierungin Ostdeutschland natürlich noch lange nicht abgeschlos-sen sind. Trotz der eklatanten Fehler in der städtebauli-chen Entwicklung finde ich, dass dieser richtigerweisehohe Ansatz der Stadtsanierungsmittel für Ostdeutschlanderhalten bleiben muss und dass diese Mittel weiterfließenmüssen.Gleichwohl bleibt aber auch in Westdeutschland dieAufgabe, die Städtebauförderung erhalten. Die nicht zuüppige Erhöhung des Gesamtansatzes um 100 Millio-nen DM auf 180 Millionen DM halten wir deshalb für un-abdingbar erforderlich. Wir müssen unsere Förderung zu-nehmend in den Bestand lenken, darauf unser Augenmerkkonzentrieren und sehen, dass dort noch vieles verbesse-rungswürdig ist.Ich will an dieser Stelle keine Diskussion über die För-derung im Bereich des Bestandes und im Neubaubereichbeginnen; denn das würde sehr weit führen.
Aber als Haushälter haben wir die richtigen Maßnahmenergriffen und für die Städtebauförderung im Westen nocheinmal 100 Millionen DM draufgelegt.
Meine Damen und Herren, auch wenn der Haushaltsti-tel des Modellprogramms zur Weiterentwicklung desWohnungs- und Städtebaus, kurz ExWoSt, also experi-menteller Wohnungs- und Städtebau, genannt, verhält-nismäßig gering ist, möchte ich trotzdem auf ihn eingehen.Im ExWoSt-Programm werden städtebauliche und woh-nungspolitische Instrumente entwickelt, getestet, weiter-entwickelt und erprobt, zugespitzt und bei Bedarf auchwieder fallen gelassen. Dieser experimentelle Wohnungs-und Städtebau ist quasi das Frühbeet und das Experimen-tierfeld für größere Vorhaben in Richtung nachhaltige Ent-wicklung in unseren Städten.Wir sind gut beraten, diese Instrumente weiter zu er-proben und für die großen Programme der Städtebauför-derung, des Wohnungsbaus, der Eigenheimförderung undder „Sozialen Stadt“ richtige und kostenschonendere Rah-menbedingungen zu formulieren. Hierfür haben wir5Millionen DM mehr in die Hand genommen. Ich glaube,die sind richtig und gut angewendet. Sie sollten das durchIhren Beifall unterstützen. Zumindest wir haben gehan-delt.
Eines der zentralen Probleme der ostdeutschen Woh-nungswirtschaft ist – darüber haben schon einige Vorred-ner gesprochen – der Leerstand insbesondere in den Plat-tenbaugebieten.
Wir haben die Leerstandsproblematik, die dann auch zurSchuldenproblematik wird – diese Leerstände müssen jaauch finanziert werden –, mit einem Baransatz von60 Millionen DM und einem Gesamtansatz von 700 Mil-lionen DM im Rahmen des Altschuldenhilfe-Gesetzes er-gänzt und durchfinanziert. Nach unseren Berechnungen,Frau Ostrowski, ist das ausreichend, um die Altschulden-problematik in den Griff zu bekommen. Wir können da-rüber noch im Einzelnen diskutieren. Leider wird mir ge-rade signalisiert, dass meine Redezeit abgelaufen ist;deshalb kann ich darauf nicht weiter eingehen.Zusammenfassend möchte ich feststellen: Der Inves-titionsanteil in diesem Einzelplan, den wir durch Haus-haltsansätze im Rahmen der Altbausanierung um etwa2 Milliarden DM, im Rahmen des Altschuldenhilfe-Ge-setzes um 700 Millionen DM, durch Haushaltsansätzezur Städtebauförderung West um 100 Millionen DM undzum Programm „Soziale Stadt“ um 50 Millionen DM er-höht haben, hat ein Volumen von fast 3 Milliarden DM.Wir haben also noch einmal draufgesattelt. Nehmen Sie,Kollege Kalb, das einmal zur Kenntnis. Dann müssten Siesich in Bezug auf den Angriff in Ihrer Rede, wir hättenkeine Investitionsbereitschaft gezeigt, keines Besserenbelehren lassen. Wir sind stolz und froh, dass wir für denWohnungs- und Städtebau richtig viel getan haben.
Ich glaube, wenn Sie richtig nachdenken, werden Sie dasauch unterstreichen können.Ich danke Ihnen.
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Dirk Fischer
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsi-dent! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Alle Jahre wie-der kommt ein neuer Verkehrsminister und macht neueVersprechungen, die gebrochen werden, insgesamt bleibtes aber doch bei drastischen Kürzungen im Verkehrs-haushalt.
Aus dem Ministerium ist schon zu hören, in dieser Le-gislaturperiode sei keine ergebnisorientierte Sacharbeitmehr möglich, allein schon aufgrund der ständigen Minis-terwechsel, von der völlig missratenen Zwangsfusion vonVerkehrs- und Bauministerium ganz abgesehen. Stark istdiese rot-grüne Bundesregierung eigentlich nur im Trick-sen, Tarnen und Täuschen.
Ihr Investitionsprogramm 1999 bis 2002 und dasAnti-Stau-Programm sollen – so sagen Sie – Klarheit undWahrheit für die Verkehrsinfrastrukturinvestitionen brin-gen. Das krasse Gegenteil ist der Fall. Das Investitions-programm ist in Wahrheit ein Investitionskürzungs- und
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dietmar Schütz
13171
Täuschungsprogramm. Kürzungsprogramm deshalb, weilStraßenbaumittel für den Zeitraum 1999 bis 2002 nur inHöhe von rund 18 Milliarden DM vorgesehen sind,
also eine Kürzung gegenüber der mittelfristigen Finanz-planung von Verkehrsminister Wissmann um rund 5 Mil-liarden DM.
Täuschungsprogramm, weil es in Wahrheit nicht 2002,sondern allerfrühestens 2010 abgearbeitet sein wird. Dergrößere Teil der Straßenbauinvestitionen liegt nämlichaußerhalb dieses Zeitraums. 22 Milliarden DM sind erstfür die Zeit ab 2003 vorgesehen. Jeder kann sich ungefährvorstellen, welche Bedeutung ein IP 1999 bis 2002 hat,wenn der große Finanzkuchen erst hinterher zur Verfü-gung steht. Bei Schiene und Binnenwasserstraße ist dieSituation noch viel krasser. Drei Viertel der investivenMittel hierfür sind erst für die Zeit nach 2002 vorgesehen.Ein Anti-Stau-Programm ist bei der gegenwärtigenLage auf Deutschlands Straßen besonders dringlich. Dasgilt aber nicht, wenn der Name eine trügerische Fassadefür Straßenbauverzögerungsprogramme ist. Es wird einebeschleunigte Engpassbeseitigung suggeriert; in Wahrheitwerden aber dringliche Maßnahmen auf die Zeit nach2003 vertagt und jetzt gar nicht angepackt.
Dass ein Anti-Stau-Programm aus einer LKW-Mautfinanziert werden soll, ist in Ordnung: dass aber von dengeplanten Einnahmen von 20 Milliarden DM im Zeit-raum 2003 bis 2007 nur 3,7 Milliarden DM wieder in denStraßenbau zurückfließen, beweist erneut, dass der Stra-ßengüterverkehr mittels unzumutbarer Gebührensteige-rungen nur als Schröpfkuh missbraucht wird.
Um es deutlich zu sagen: Die Straßenbenutzungsge-bühr für LKWs wird um 500 Prozent erhöht – für vieleUnternehmen ist das absolut ruinös – und weniger als20 Prozent der Einnahmen werden für den Straßenbauverwendet. Das ist völlig unzumutbar.Nicht nur bei uns, sondern auch in der Öffentlichkeitund bei Verbänden mehren sich die Zweifel, ob die nut-zungsabhängige elektronische LKW-Maut überhaupt2003 eingeführt wird. Es könnte noch ziemlich spannendwerden, wie der Minister das versprochene Anti-Stau-Programm dann finanzieren wird. Deswegen hat er das In-Kraft-Treten dieses Programms vorsichtshalber schoneinmal hinter die nächste Bundestagswahl verschoben.Vieles wird wohlklingend in so genannte Zukunftspro-gramme verpackt. Diese Programme sind aber nichts alsLeimruten, die ausgelegt werden, damit Bürger und Wirt-schaft dieser Regierung auf den sprichwörtlichen Leimgehen. Nur einmal vorhandene Mittel werden in ver-schiedene Programme eingestellt und tauchen in Teil-mengen immer wieder auf.
Auf diese Art und Weise werden sie in der Öffentlichkeitmehrfach verkauft und es wird der Eindruck erzeugt, alsgebe es immer mehr Geld; in Wahrheit ist es immer dasgleiche Geld.
Noch nicht vorhandene Mittel aus erhofften zukünftigenEinnahmen werden bereits großzügig verplant und ver-teilt, als wären sie schon in der Kasse;
Milchmädchenrechnungen sollen vertuschen,
dass im größten Investitionshaushalt des Bundes massivder Rotstift angesetzt wurde.Im Rahmen des Haushaltes 2000 wurde das so ge-nannte erste Zukunftsprogramm beschlossen. Es be-stand nicht aus Projekten, sondern ausschließlich aus Kür-zungen. Im Einzelplan 12 wurden überwiegend imVerkehrsbereich – im Zeitraum von 2000 bis 2003 Kür-zungen in Höhe von 20,8 Milliarden DM vorgenommen.Im zweiten Zukunftsprogramm versprach Ex-MinisterKlimmt der DB AG in einer gemeinsamen Presseerklärungmit Herrn Mehdorn 25 bis 30MilliardenDM für die nächs-ten zehn bis 15 Jahre. Lediglich 6 Milliarden DM davonhat Herr Eichel für die nächsten drei Jahre übrig gelassen.Die versprochene Zukunftsperspektive für die DB-AG– so stand es in der Erklärung geschrieben – war eine schil-lernde Seifenblase, die ganz schnell zerplatzte.
– Herr Kollege Schmidt, damit ist der Bahn die längerfris-tige Planungsmöglichkeit verweigert worden.
Diese hat Herr Ludewig gerade in seinen letzten Tagen imAmt immer wieder eingefordert.
Die Bahn kann gar nicht über einen längeren Zeitraumplanen, wenn sie diese Perspektive nicht hat.Herr Kollege Schmidt, Ihr politisches Vorgehen ist auf-grund der aktuellen Lage des Unternehmens ein schwer-wiegender Vorgang.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dirk Fischer
13172
Noch schwerwiegender ist allerdings, dass die von HerrnMehdorn im Haushaltsausschuss, im Ausschuss für Ver-kehr, Bau- und Wohnungswesen und gemeinsam mitHerrn Klimmt in der Bundespressekonferenz genanntenHorrorzahlen offenbar im Unternehmen umstritten sindsowie durch die mit der Prüfung beauftragten FirmaMcKinsey nicht bestätigt werden.
Dort wird erst im März 2001 mit Ergebnissen gerechnet.Der Aufsichtsrat hat gerade jetzt seine für den 6. De-zember dieses Jahres geplanten Beratungen über die mit-telfristige Unternehmensplanung bis 2005 und über dasBudget 2001 auf März 2001 verschoben.
„Verschoben“ durch Herrn Mehdorn müssen sich auch dieAbgeordneten und die Öffentlichkeit fühlen.
Denn er hat nicht gesagt, dass er uns ungesicherte, bahn-interne Schätzzahlen vorträgt.Aus der „Berliner Zeitung“ von heute darf ich eine Pas-sage zitieren,
in der es heißt:Friedhelm Sack, Finanzvorstand der Bahn, wolltesich diese Zahlen, die seit Wochen unter Bezug-nahme auf McKinsey gezielt auch in der Öffentlich-keit gestreut wurden, partout nicht zu Eigen machen.
Sie hätten, so Sack intern, mit den bei der Bahn vor-liegenden Daten wenig gemein.Ich kann nur eines sagen: So kann man das Parlamentund die Öffentlichkeit wirklich nicht behandeln.
hen!)Für wie dumm halten Sie die Öffentlichkeit eigentlich? Esist nach unserer Auffassung an Dreistigkeit kaum noch zuüberbieten, dass Sie die spärlichen 6 Milliarden DM, dieübrig geblieben sind, nach diesem ersten Desaster jetztnoch einmal als ein „ZukunftsinvestitionsprogrammSchiene“ verkaufen. Sind Ihre Mitarbeiter im Ministe-rium etwa nur noch damit beschäftigt, sich schön klin-gende Titel auszudenken? Herr Minister, fehlende Kon-zepte und Taten – in der Verkehrspolitik kann diese Artvon Semantik und Propaganda – Öffentlichkeitsarbeit un-ter gar keinen Umständen ersetzten.Das Wort Zukunft soll dynamisches Handeln propa-gieren. Aber im Haushaltsentwurf 2001 taten Sie das Ge-genteil. Sie haben die Schieneninvestitionen auf ein Re-kordtief von nur noch 6,7 Milliarden DM abgesenkt.
Dann kamen die Windfall Profits, die jetzt wieder eineSteigerung ermöglichen. Aber im Sommer dieses Jahreswurde vom Kabinett unter Leitung von Herrn Schröderdie Entscheidung getroffen, für Schieneninvestitionen nurnoch 6,7 Milliarden DM vorzusehen. Daran können Sienicht vorbei. Das war Ihre politische Entscheidung.
Mit dem auf drei Jahre angelegten 2,7-Milliarden-DM-Programm für die Straße ist es nicht anders. Auch hierwird der wahre Sachverhalt verschleiert. Die angeblichzur Verfügung gestellten zusätzlichen 2,7 Milliarden DMfür die Bundesfernstraßen gleichen die vorherigen Kür-zungen in Höhe von rund 5 Milliarden DM überhauptnicht aus. Besonders dreist ist, dass die 2,7Milliarden DMauch noch für Ihre Wahlkampftaktik im Jahre 2002 miss-braucht werden, um dann im Wahlkampf von einer Re-kordhöhe bei dem Straßenbauinvestitionen sprechen zukönnen. Die Verteilung sieht folgendermaßen aus:900 Millionen DM im Jahre 2001, 1,2 Milliarden DM imJahre 2002 – Wahlkampfboom – und als Nachwahlflopnur noch 500 Millionen DM im Jahr 2003.
So machen Sie Politik. So täuscht man die Bürger.Unsere Forderung sieht eine Erhöhung der Mittel fürden Straßenbau um 2 Milliarden DM im Haushalt 2001
und eine Verstetigung dieses Ansatzes statt kurzfristigerStrohfeuerprogramme vor. Das ist angesichts eines inzwi-schen entstandenen Investitionsstaus bei baureifen Pro-jekten im Umfang von 35,5 Milliarden DM angemessen.Das sind keine Zahlen der Opposition, das sind Zahlen Ih-rer Pällmann-Kommission.
Ich sage es hier einmal ganz deutlich: Viele teuer erwor-benen Baurechte sind vom Verfall bedroht; deswegenmüssen wir uns mit dem Antrag aus dem Bundesrat be-schäftigen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dirk Fischer
13173
Wann hört diese Regierung endlich mit ihren immerneuen Propagandaprogrammen auf? UnverantwortlicheInvestitionskürzungen sollen verschleiert werden, die Fi-nanzierung ist unklar, die Realisierung von Verkehrspro-jekten wird in unverantwortlicher Art und Weise verzö-gert.
Wir müssen vielmehr die Finanzmittel dem tatsächlichenBedarf anpassen. Wir brauchen eine spürbare Erhöhungder Mittel für Straße, Schiene und Wasserstraße.
Eine streckenbezogene, nutzungsabhängige Straßenbe-nutzungsgebühr für LKWs in wettbewerbsverträglicherHöhe ist unumgänglich. Die Einnahmen müssen aber demUnterhalt, der Erneuerung und dem Ausbau der Straßen-infrastruktur zugute kommen.
Meine Damen und Herren, Ziel meiner Fraktion ist es,die hohe Qualität und Leistungsfähigkeit unseres Ver-kehrssystems zu erhalten und weiter voranzutreiben.
Das geht aber nur, wenn endlich mit Taschenspielertricksund neuen Luftbuchungen Schluss gemacht wird.
Ich sage zum Abschluss, Herr Minister: Wie die Ver-kehrspolitik dieser Bundesregierung selbst bei den wohl-meinenden Freunden des DGB eingeschätzt wird, ha-ben Sie doch gerade bei der Eisenbahnergewerkschafterfahren müssen. Als Sie behaupteten, die Bundesregie-rung habe ein klares verkehrspolitisches Konzept,
wurden Sie von den Freunden des DGB ausgelacht. Dassagt wohl alles.
Alsnächster Redner hat der Kollege Albert Schmidt vonBündnis 90/Die Grünen das Wort.Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Das Einzige, was mich an Ihnen immer wiederwirklich verblüfft, Kollege Fischer, ist: Sie scheinen denganzen Unsinn, den Sie erzählen, wirklich zu glauben.
Das finde ich wirklich beachtlich.
Die Kollegin Karin Rehbock-Zureich und ich warenheute Nachmittag auf dem Gewerkschaftstag in Magde-burg. Sie von der CDU/CSU sind gar nicht erst hinge-fahren – Fehlanzeige! Sie haben überhaupt kein Recht,sich darüber zu beklagen, wie die Gewerkschaft mit unsumgeht, weil Sie selbst gar nicht erst hingehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Haushalt leis-tet Folgendes: Erstens. Wir bauen die Staatsschulden ab.Sie haben sie erhöht.
Zweitens. Wir führen die Neuverschuldung zurück. Siehaben sie auf Rekordhöhen getrieben. Drittens. Wir er-höhen dabei die Investitionen, die Sie über Jahre drama-tisch zusammengestrichen haben.
Das werde ich Ihnen sehr präzise vorrechnen. Es ist vieleinfacher, als Sie es hier mit Ihren 100 000 Zahlen darzu-stellen versucht haben.
Die Finanzkrise der Deutschen Bahn ist im Wesent-lichen eine Krise des Netzes. Warum ist das so? – Es sindgravierende Fehler gemacht worden, die sich jetzt addie-ren und kumulieren und einander verstärken.Das Bestandsnetz wurde über Jahre sträflich vernach-lässigt; es waren Waigel und Wissmann, die in den erstenJahren der Bahnreform die Investitionen von Jahr zu Jahrbrutal zusammengestrichen haben, bis zuletzt – 1998, alswir übernommen haben – überhaupt nur noch 5,8 Milliar-den DM in die Bahn geflossen sind, im Vergleich zu einst-mals 9 bis 10 Milliarden DM, was wir alle gemeinsam fürnotwendig befunden haben.
Das war Ihre Politik.
Ich kann es Ihnen anhand einer Entwicklungskurvenachweisen. Die Investitionen erreichten einmal 9 Milli-arden DM, im Jahr 1995, und dann rutschten sie ab in denKeller. Sie aber besitzen die Frechheit, sich hier hinzu-stellen und mehr Investitionen zu verlangen, obwohl Siesie jedes Jahr gekürzt haben.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dirk Fischer
13174
Ich sage Ihnen noch, was wir gemacht haben. In denersten beiden Jahren bereits – 1999 und 2000 – haben wirdie Investitionen für die Bahn um über 1 Milliarde DMgesteigert – auf 6,8 Milliarden DM, nicht gekürzt. Wir ha-ben sogar überplanmäßig 300 Millionen DM zusätzlichausgegeben, die gar nicht im Plan enthalten waren.
Herr Kol-lege Schmidt, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol-legen Dirk Fischer?Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): In Anbetracht der schon fortgeschrittenenZeit möchte ich jetzt zu Ende reden.
Sie hatten ausreichend Zeit, Ihre obskuren Berechnungenvorzuführen.
Es wird nicht dadurch besser, dass Sie jetzt eine Zwi-schenfrage stellen.Wir haben im ersten Jahr über 1 Milliarde DM drauf-gesattelt. Wir satteln ab dem nächsten Jahr noch einmal2 Milliarden DM drauf. Das heißt, innerhalb von drei Jah-ren steigern wir die Bahninvestitionen von knapp 6 Milli-arden auf über 9 Milliarden DM. Das ist innerhalb vondrei Jahren bei den Investitionen eine Steigerung von50 Prozent. Wenn Sie das nur in einem einzigen Jahr ge-schafft hätten, dann hätten wir jetzt nicht die Löcher imNetz, die wir haben.
So viel zum Thema Investitionshöhe.Es kommt aber noch etwas anderes hinzu, nämlich dieArt und Weise, wie investiert wird. Das ist ein entschei-dender Punkt. Der Kollege Rübenkönig hat es bereits an-gesprochen. Die Bestandsnetzinvestitionen fließen jetzterstmals als Baukostenzuschuss und nicht mehr als zins-loses Darlehen.
Wissen Sie, was das heißt, Sie Weltmeister der Re-chenkünste, Herr Fischer? Das bedeutet, dass die Bahndieses Geld nicht mehr zurückbezahlen muss und bei be-stimmten Projekten keine Abschreibungen bilanzierenmuss. Das allein wird die Bilanz des Unternehmens in dennächsten zehn Jahren um 4,5 Milliarden DM entlasten.
Das ist der Beschluss des Haushaltsausschusses. Ich be-danke mich ausdrücklich bei Ihnen, Herr KollegeRübenkönig, bei Matthias Berninger, Oswald Metzgerund Hans Georg Wagner; denn es war nicht so einfach,diesen Beschluss zu erreichen. Es besteht ein Unterschiedzwischen dummem Gerede und dem tatsächlichen Han-deln.Nun komme ich zu den Schwerpunkten der Investitio-nen. Es geht nicht nur um die Höhe des Geldbetrages. Esgeht auch darum, wofür er ausgegeben wird. Diese zu-sätzlichen dreimal 2 Milliarden DM für das Bestandsnetzwerden – das ist heute mehrmals angesprochen worden –eben dieses Mal nicht in überteuerte Großprojekte ge-steckt, sondern gehen Mark für Mark in die Erneuerungdes bestehenden Netzes.Was heißt das für die Fahrgäste? Das heißt Beseitigungvon Langsamfahrstellen, verbesserte Pünktlichkeit, An-schlusssicherheit und moderne Leit- und Sicherungstech-nik. Das schafft mehr Sicherheit im System Bahn. Da-rüber hinaus werden elektronische Stellwerke gebaut. Daserhöht die Kapazität von Strecken und schafft modernenStandard im Gleisnetz. Das sind unsere Schwerpunkte,die dieses Mal richtig gesetzt sind.Jetzt will ich Ihnen noch etwas sagen: Herr KollegeKalb, ich will Ihnen keine Antwort schuldig bleiben. Siehaben mir vorgeworfen, ich hätte mich negativ über dasUnternehmen geäußert und ihm Bilanzmanipulationenvorgeworfen. Ich habe das noch am selben Tage demen-tiert.
Darauf lege ich großen Wert. Nicht alles, was in der„Bild“-Zeitung steht, ist richtig.
Was ich gesagt habe – dazu stehe ich und wiederhole es –,ist, dass von der früheren Bundesregierung politisch ge-wollte Großprojekte wie Frankfurt–Köln, Nürnberg–In-golstadt und der Knoten Berlin mit Phantasiepreisenschöngerechnet wurden. Das fliegt jetzt auf. Im Vollzugwird jetzt alles viel teurer.
Ich weiß noch, wie der Kollege Wissmann hier mitleuchtenden Äuglein wie ein Erstkommunikant stand.Plötzlich, über Nacht, kostete eine Neubaustrecke Frank-furt–Köln – freuet euch, ihr Kindlein – nur noch 7,8 Mil-liarden DM. Alle wussten, dass das nicht stimmt.
Jetzt kommen die realen Preise zum Vorschein. Das sinddie Folgen Ihrer Lügen und Betrügereien von damals. Wirdecken sie jetzt auf und müssen sie in Ordnung bringen.
Ich will noch ein Wort zu der angeblichen Miss-erfolgsbilanz sagen. Im Oktober dieses Jahres habenwir im Personenverkehr auf der Schiene 11 Prozentmehr Fahrgäste im Vergleich zum Vorjahresmonat und
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Albert Schmidt
13175
16 Prozent mehr Güterverkehr gehabt. So viel, HerrKollege Friedrich, zu Ihrem dummen Gerede, man könneauf der Schiene gar nicht mehr Güterverkehr un-terbringen.
In einem Jahr wurde ein Plus von 16 Prozent im Güter-verkehr auf der Schiene erreicht. Das ist noch nicht dieLösung der Probleme, aber es ist ein enormer erster Er-folg. Darauf sollten wir stolz sein.
Ich will auf die Fragen nach Wettbewerb und Umgangmit dem Netz die Antworten nicht schuldig bleiben, HerrKollege Friedrich. Sie wissen sehr genau: Es war niemandanders als die bündnisgrüne Fraktion, die schon 1996, alsSie noch gläubig den Worten von Herrn Wissmann ge-lauscht haben, gesagt hat: Die Lösung, die man bei derBahnreform gefunden hat, ist nicht optimal.
– Wenn wir als Grüne 1996 einen Parlamentsantrag ge-stellt hätten – das können Sie sich vorstellen –, dann wäredie Republik erzittert.
Wir haben gestern einen Vorschlag gemacht, der ernst-haft diskutiert und geprüft werden sollte. Es geht uns nichtum ein Hauruck-Verfahren, sondern darum, die Poten-ziale, die im Wettbewerb stecken, zu mobilisieren. Wirdürfen nicht länger ausgerechnet das Eisenbahnnetz demDiktat der Eigenwirtschaftlichkeit unterwerfen, indemwir es weiter als Aktiengesellschaft führen, bei der jedeStrecke immer wieder neu ihre Kosten erwirtschaftenmuss.
Herr
Schmidt, kommen Sie bitte zum Schluss.
Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. –
Dass wir in diesem Bereich mehr Wettbewerb brauchen,
ist, glaube ich, einheilige Meinung. Aber es geht darum,
dieses auch verantwortlich umzusetzen. Das ist ein Pro-
zess, der seine Zeit brauchen wird.
Mehr Investitionen, verbesserte Rahmenbedingungen
für den Verkehr und ein neuer Minister, der mit Tatkraft
und Engagement zur Sache geht – was gibt es Schöneres?
So wollen wir weitermachen.
Das Wort
hat jetzt Kollege Dietmar Kansy von der CDU/CSU-Frak-
tion.
Herr Präsi-dent! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meinefünf Damen und Herren Zuschauer, auch Sie darf ich be-grüßen.
In diesen Tagen, in denen wir unseren Bundeshaushalt2001 beraten, bekommt Deutschland – das ist ja zwi-schenzeitlich ausreichend gewürdigt worden – den drittenBundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen indieser Legislaturperiode. Ich erspare mir jetzt einmal, al-les zu kommentieren, was über Müntefering und Klimmtgesagt wurde. Aber eins möchte ich mit aller Ernsthaftig-keit sagen: Vielleicht ist der Neuanfang für Sie, HerrMinister, eine neue Chance. Ich bezweifle, dass es bisherüberhaupt eine Chance gegeben hat, durch die Zusam-menlegung der beiden Ministerien Synergieeffekte fürbeide Bereiche zu erreichen; dieses war bisher aber schonallein aufgrund des Bäumchen-wechsel-dich-Spiels derletzten zwei Jahre nicht möglich.Schauen wir einmal, was in den nächsten Jahren pas-siert.
Ich gratuliere Ihnen, Herr Minister, auch im Namen ins-besondere der Baupolitiker dieser Fraktion herzlich undwünsche Ihnen auch ausdrücklich Gottes Segen und eineglückliche Hand. Ich bitte Sie aber dringend, nicht nur alsVerkehrsminister zu agieren, sondern auch wieder alsBauminister dieses Landes; denn einen solchen brauchenwir im Bund.
Die von der Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbe-richt prognostizierte Trendwende ist trotz aller schönenWorte im Baubereich natürlich nicht eingetreten. Statt ei-ner Zunahme der Bauinvestitionen um 1,5 Prozent – wienoch vor Jahr und Tag erwartet – erwarten die For-schungsinstitute jetzt einen Rückgang um 2,5 Prozent. InArbeitsplätze umgerechnet bedeutet das ganz einfach eineAbnahme der Beschäftigung um rund 100 000. Das ist– bei aller Notwendigkeit zur Haushaltskonsolidierung –mehr als ein Warnzeichen. Das Hauptwarnzeichen für un-sere Fraktion ist dabei der Wohnungs- und Städtebau.Wir haben es in den Ausschüssen schon so oft thema-tisiert und versucht, Sie zu bewegen, Ihre Politik zu än-dern, statt sich leichtfertig auf der nicht von Ihnen, son-dern von der Vorgängerregierung geschaffenen gutenAusgangsposition am Wohnungsmarkt auszuruhen.
– Ich weiß nicht, warum Sie lachen. Ich gebe Ihnen gerneein Privatissimum, wenn es erforderlich ist. Nie hat in die-sem Land ein so ausgeglichener Wohnungsmarkt ge-herrscht. Nie hat es eine so niedrige Mietpreissteigerung
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Albert Schmidt
13176
in Höhe von 1,1 Prozent gegeben.
Schon allein dieses Lachen zeigt, wie ernst dieses Themavon einigen Leuten genommen wird.
Der Fehlschluss, wir bräuchten keine Wohnungspoli-tik mehr – anders war das Handeln dieser Bundesregie-rung ja nicht zu deuten –, wird in den nächsten Jahrennoch zu schweren Problemen in diesem Lande führen.Denn wie kann man es sich sonst erklären, dass der Etatfür den sozialenWohnungsbau gleichzeitig mit dem Re-gierungswechsel von 1,3 Milliarden DM auf heute0,45 Milliarden DM runtergefahren wurde und die Rah-menbedingungen für den frei finanzierten Wohnungsbaudurch unkoordinierte Eingriffe – ich unterstreiche dasWort „unkoordiniert“ – ins Steuer- und Mietrecht sichtbarverschlechtert werden? Gleichzeitig wurde und wird wei-ter so lange an der Eigenheimzulage gebastelt, bis auchdieses bisherige Flaggschiff der Baukonjunktur, das dieWünsche der Bürger am ehesten erreicht und das übrigensauch die beste Alterssicherung ist – wir diskutieren ja im-mer wieder über die Neuorientierung der Renten –, aufGrund gesetzt wird.Dieses Nichtstun oder Wenigtun wird teilweise – wirhaben es vorhin wieder gehört – mit angeblich hohenLeerständen in den neuen Ländern begründet. DieseLeerstände gibt es und sie sind eine Riesenherausforde-rung für uns alle, und zwar für Bund, Länder und Ge-meinden. Diese Leerstände dürfen aber nicht als Alibidafür dienen, nicht mehr wohnungspolitisch zu handeln.Wir haben zwar – das sagen alle Institute – rückläufigeGeburtenzahlen und Leerstand in den neuen Ländern,trotzdem wird die Nachfrage nach Wohnraum in Deutsch-land weiter steigen, da es Wanderungsbewegungen gibt,die Haushaltsgrößen kleiner werden und pro Kopf mehrWohnfläche beansprucht wird. Diese Steigerung wird inerheblichem Umfang eintreten, und zwar nicht nur kurz-fristig, sondern über Jahre hinaus.Deswegen fordert die CDU/CSU-BundestagsfraktionSie nochmals auf, jetzt baldmöglichst eine aktuelle Fort-schreibung der vom damaligen Bauminister Töpfer vor-gelegten Raumordnungsprognose mit der erwartetenHaushalts-, Wohnungs- und Wohnbauentwicklung vorzu-nehmen, um einen neuen so genannten Schweinezyklusim Wohnungsbau zu vermeiden.
Wir bedauern, dass wir bereits im Fachausschuss beiSPD und Bündnis 90/Die Grünen mit unserer Forderungnach einer nur bescheidenen Anhebung der Mittel für densozialen Wohnungsbau gescheitert sind. Umso dringenderist es jetzt, in einer intelligenten Verknüpfung von Städ-tebauförderung und dem Programm „Soziale Stadt“einen neuen Schwerpunkt zu setzen. Wir hatten im Fach-ausschuss Anträge gestellt – ebenso abgelehnt von Rot-Grün –, die Mittel für die Städtebauförderung West, dieStädtebauförderung Ost und das Programm „SozialeStadt“ um insgesamt 400 Millionen DM zu erhöhen, wo-bei 100 Millionen DM auf das Programm „Soziale Stadt“entfallen wären.
Wir sind nämlich der Auffassung, dass in diesen Berei-chen nicht gekleckert werden darf, sondern geklotzt wer-den muss.
Sie haben nun – ich sage das als jemand, der 16 Jahrelang Sprecher einer Fraktion war, die die Regierung stellteund das Ringen zwischen Fachministern und Finanzmi-nistern, nicht zuletzt auch mit den Staatssekretären, dieauch bei Regierungswechseln im Amt bleiben, miterlebthat – 100Millionen DM mehr für Städtebauförderung und50Millionen DM mehr für das Programm „Soziale Stadt“angesetzt. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.
– Ja, Herr Kollege Schütz, das ist ein Schritt in die rich-tige Richtung. Nicht nur Ihr Zuruf war sympathisch, auchIhr Vorname ist mir außerordentlich sympathisch.Aber das ist zu wenig um eine wirkliche Initialzündungzu erreichen. Es ist eine alte Tatsache, die sich vielfach be-stätigt hat: Eine Mark des Bundes mehr in der Städte-bauförderung setzt 8 DM an tatsächlichen Ausgaben imBaubereich frei. Das gilt gerade für das von Ihnen ange-sprochene Handwerk, in dem kleinteilig gearbeitet wird.Sie haben Philipp Holzmann nicht erwähnt, aber das seiIhnen heute verziehen. Basta!Wir sehen in der Städtebauförderung den einzig zen-tralen Ansatz. Wenn Sie sagen, Sie wollten den sozialenWohnungsbau nicht finanzieren, hätten wir auch in ande-rer Zusammensetzung über das Programm „SozialeStadt“ und Städtebauförderung reden können. Die ange-setzte Summe ist uns aber insgesamt zu niedrig. Wir wer-den deshalb unseren Antrag etwas modifizieren und dieSumme von 400Millionen DM mit dem Schwerpunkt aufStädteförderung etwas anders aufteilen. Ich hoffe aber,dass die Erhöhung der Mittel für das Programm „SozialeStadt“ in Verbindung mit den Mitteln für die Städte-bauförderung in Höhe von 100 Millionen DM einen Neu-anfang ermöglicht und damit Prioritäten gesetzt werden,die auch unseren Auffassungen entsprechen.Das Programm „Soziale Stadt“ ist keine Erfindung derrot-grünen Koalition.
Die entsprechende Kommission ist von BauministerTöpfer eingesetzt und von seinem Nachfolger Oswaldweitergeführt worden.
Sie haben auf Ergebnissen aufgebaut, die von dieserKommission erarbeitet worden sind.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dr.-Ing. Dietmar Kansy13177
Ich möchte Ihnen zum Schluss noch sagen: Natürlichbegrüßen wir die Erhöhung der Haushaltsmittel für dieMinderung des CO2-Ausstoßes. Soweit ich informiertbin, ist die Abstimmung darüber im Haushaltsausschusseinstimmig erfolgt. Wir tragen auch den Wohngeldkom-promiss mit. Sie sollten aber nie vergessen, dass nach demursprünglichen Plan der Regierung Kosten in Höhe von2,5 Milliarden DM auf Länder und Gemeinden abgewälztwerden sollten. Das haben wir zu dessen Gunsten verhin-dert.
Kommen
Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege Kansy.
Jawohl, Herr
Präsident.
Der Schluss soll sein: Herr Minister, nehmen Sie etwas
stärker als Ihre beiden Vorgänger auch das Bauwesen in-
nerhalb Ihres neuen Amtsbereichs wahr und Sie werden
sehen, Sie finden ein interessiertes Parlament, das auf die-
sem Sektor mit Ihnen zusammenarbeitet.
Vielen Dank.
Das Worthat jetzt der Bundesminister Kurt Bodewig.Kurt Bodewig, Bundesminister für Verkehr, Bau- undWohnungswesen: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Heute ist für mich ein besonderer Tag, nicht nurwegen des Beginns dieses Plenartages. Ich finde es auchausgesprochen schön, dass ich jetzt am Abend die Erfolgedieser Regierung verkünden kann.Ich glaube, dass wir einen Haushalt vorlegen, den Siegerne gehabt hätten; Sie hätten sich nach der Deckestrecken müssen, um das zu erreichen. Wir haben – auchdank der Berichterstatter im Haushaltsausschuss – vieleErfolge erzielen können.
Das freut mich in ganz besonderem Maße – ich sage es un-umwunden –, weil dies eine gute Vorgabe ist, auf der manaufbauen, mit der man etwas machen kann.Herr Kollege Fischer, ich kenne Ihre Zahlen, Ihre Be-rechnungsmethoden. Ich kann Ihnen nur sagen: Die20 Milliarden DM, die Sie für eine entfernungsabhängigeLKW-Maut in Rechnung stellen, hätte ich gerne. Ich hättenichts dagegen, wenn ich sie bekäme. Aber man darf sichdie Zahlen nicht backen, sondern man muss die Zahlenfundiert ermitteln.Deshalb sage ich auch dem Kollegen Kalb ganz aus-drücklich: Ich habe eine klare Linie. Die Linie heißt: not-wendige Investitionen. Damit kommen wir, denke ich,voran, im Sinne des gesamten Parlaments und im Sinnealler Menschen, die hier leben. Diese klare Linie habenwir bislang schon verfolgt. Wir haben Schulden abgebaut,wir haben neue Handlungsspielräume entwickelt und wirkönnen froh sein, dass uns dies gelungen ist. Allen mussdies am Herzen liegen.Hierzu will ich noch einige Bemerkungen machen.Erstens. Im Straßenbau ist im Jahre 2001 eine neueRekordhöhe zu verzeichnen: 10,8 Milliarden DM für die-sen Haushaltsbereich. Zweitens. Erstmals haben imInvestitionsbereich Straße und Schiene gleichgezogen.Das hätten Sie auch gerne erreicht. Jetzt haben wir es rea-lisiert. Ich denke, das ist ein Riesenerfolg.
Ich sage – das macht mir noch viel mehr Vergnü-gen –: 2 Milliarden DM in ein Zukunftspaket Schiene zuinvestieren, ist sinnvoll. Das sage ich vor dem Hinter-grund, dass wir, Herr Friedrich, das marode Netz nicht zuverantworten haben. Wir haben es übernommen und wirverbessern es jetzt.
An dieser Stelle kann ich nur unterstreichen: Wir sind fünfJahre zu spät. Wir hätten Ihre Regierung schon drei Jahrevorher ablösen sollen. Dann wären wir auch bei denLangsamfahrstellen schon ein Stück weitergekommen.
Lassen Sie mich mit Blick auf Herrn Kansy den drittenPunkt auch noch ausdrücklich nennen: Ab 2001 werdenwir jährlich 400 Millionen DM für die Altbausanierungaufwenden, und zwar mit ausgesprochen positiver Wir-kung. Wir werden den Energieverbrauch senken. DieKosten für Mieter und Eigentümer werden sinken. Wirwerden die Wohnungsbestände fit machen. Ich kann Ih-nen, Herr Kansy, ausdrücklich versichern – rechnen Siedamit –: Ich verstehe mich als Infrastrukturminister. Die-ses Haus hat auch in der neuen Konstellation ungeheureChancen. Da sind Potenziale, da sind kreative Mitarbeitervorhanden. Wir haben hier etwas und wir müssen es sinn-voll zusammenfügen. Deshalb sage ich: Es wird keine iso-lierte Betrachtung des Verkehrs und keine isolierte Be-trachtung des Bauens und Wohnens geben, sondern wirsprechen von einem integrierten Gesamtkonzept.
Ich kündige einen zweiten Schritt an. Ich möchte nocheine andere Form der Integration und ich glaube, das habeich auch bewiesen. Wir werden nicht mehr die DebatteOst und die Debatte West führen, sondern wir werden einegesamtdeutsche Integrationsdebatte haben. Dies ist eineRiesenaufgabe und wir werden sie erfüllen. Auch in die-sem Sinne verstehe ich mich als Integrationsminister ineinem Infrastrukturministerium.Jetzt sage ich Ihnen etwas zu den Mitteln. Ich kann Ih-nen versichern: Das Zukunftsinvestitionsprogramm istdurchfinanziert. Das gibt mir Beruhigung, weil ich weiß,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Dr.-Ing. Dietmar Kansy13178
dass hiermit ungeheuer viele wichtige Maßnahmen inGang gesetzt werden. Ich kann Ihnen bündelweise dieSchreiben von Bürgermeistern, von Bürgern, von Bür-gerinitiativen zeigen, in denen steht: Ich bin froh, dass dieOrtsumgehung gebaut worden ist. Ich bin froh, dass dieLärmbelastung weg ist. Ich bin froh, dass sich der Verkehrnicht mehr staut.
– Es sind viele CDU-Kollegen dabei, die auch gesagt ha-ben, es sei prima, dass wir das endlich anpacken. Sie hät-ten es schon früher machen können. Wir machen es. Ichdenke, das ist ein guter Grund, stolz zu sein.
Politik für den Bürger zu machen macht Spaß. Wir ha-ben hinsichtlich des Investitionsprogramms endlich füreine klare Haushaltslinie gesorgt. Wir haben für kalku-lierbare Haushaltsansätze gesorgt. Bei uns gibt es denWunsch- und Wundertitel „100 Milliarden DM für denunterfinanzierten Bundesverkehrswegeplan“ nicht mehr.Wir stellen zusätzlich zu unserem Investitionsprogramm,das ein Gesamtvolumen von 67,4 Milliarden DM umfasst,über drei Jahre hinweg zusätzlich 8,7 Milliarden DM fürSchiene und Straße zur Verfügung. Das ist ein riesigerSchritt nach vorne. Damit können wir wunderbar leben.Wir werden das Anti-Stau-Programm realisieren. Ab2003 werden wir zusätzlich 7,4 Milliarden DM zur Be-seitigung von Engpässen zur Verfügung stellen. Ich freuemich, dass es im Sommer gelungen ist, die globale Min-derausgabe vom Tisch zu wischen. Auch das fand ich gut;denn auch das ist ein Riesenschritt nach vorne. Alles passtalso zusammen. Alle Bundesländer werden profitieren,unter anderem auch Baden-Württemberg. Ich möchtegern aus einem Kommentar der „Stuttgarter Nachrichten“vom 16. August zitieren:Die CDU-F.D.P.-Landesregierung hat sich … in ih-rer Fundamentalopposition verrannt. Dabei über-sieht sie geflissentlich, dass die … jahrelange Be-nachteiligung des Südwestens zusehends korrigiertwird. Denn die Durststrecke fiel in die Ära der CDU-Regierung unter Kanzler Kohl. Nun aber, unter Rot-Grün, wird es … langsam, aber sicher wieder etwasbesser. Vom Anti-Stau-Programm … profitiertBaden-Württemberg mit 755 Millionen DM nachNRW am stärksten. Außerdem gibt es nun schon für2001/2002 weitere 125 Millionen DM …Das Gute ist: Die Mittel aus dem Zukunftsinvestitions-programm, mit denen 15 Ortsumgehungen in Baden-Württemberg realisiert werden sollen, sind hier noch garnicht berücksichtigt, genauso wenig wie die Mittel fürHunderte Schienenprojekte. Es geht also voran. Wir ha-ben, glaube ich, da einiges auf die Schiene bzw. den Weggebracht.
Der letzte Transnet-Kongress war für mich sehr wich-tig; denn auf diesem Kongress ist deutlich geworden: Esmuss sich etwas bei der Bahn bewegen. Die Bahn in ih-rer jetzigen Form kann so nicht bleiben. Wir wollen, dasses auch noch in Zukunft eine Bahn gibt und dass der Gü-terverkehr auf die Schiene verlagert wird. Wir haben ehr-geizige Ziele.Wir werden nächste Woche über den Verkehrsbericht2000 diskutieren. Das ist ein schönes Dialogangebot anSie von der Opposition. Ich kann Ihnen nur sagen: Wirmüssen etwas verändern. Ich bin auch entschlossen,Veränderungen herbeizuführen. Dazu gehört auch, die Fi-nanzen der Bahn klar zu regeln. Die interministerielle Ar-beitsgruppe der Staatssekretäre, die ich neu eingesetzthabe und die direkt unterhalb der Ebene der Minister desBMVBW, des BMF und des BMWi angesiedelt ist, zeigt,dass wir ganz ernsthaft an die Lösung der Probleme he-rangehen und dass wir den Umgestaltungsprozess wirk-lich begleiten und überwachen werden. Das werden wirauch tun; das kann ich Ihnen versichern.
Stichwort Investitionen für die Bahn: Wir haben die In-vestitionen in das Schienennetz deutlich verstärkt. 6 Mil-liarden DM an Steuergeldern müssen jetzt sinnvoll inves-tiert werden. Ich bin mir sicher: Die Bahn schafft das.Auch diesen Prozess werden wir begleiten. Wir werden –darauf habe ich eben schon hingewiesen – die Mittel fürInvestitionen in das Netz, die bisher als zinslose Darlehengewährt wurden, künftig mit nicht rückzahlbaren Zu-schüssen finanzieren. Die Bahn ist dann nicht mehr ge-zwungen, für teures Geld Darlehen auf dem Kapitalmarktaufzunehmen und Zinsen zu zahlen. Die Zuschüsse gehenjetzt direkt in das Netz. Meine Linie heißt – hören Sie zu,Herr Fischer! –: Investieren in das Netz und keine Sub-ventionen für den Betrieb. Dies wird die Bahn voranbrin-gen.Zu den ordnungspolitischen Maßnahmen: Wir werden– das sage ich deutlich – den diskriminierungsfreien Zu-gang gewährleisten. Schluss, Punkt, aus! Das ist ein wich-tiger Schritt hin zu mehr Wettbewerb. Aber ich möchteauch noch einen Satz zur Trennung von Fahrweg und Be-trieb sagen. Ich schließe dies für die Zukunft nicht gänz-lich aus. Aber ich möchte auch, dass die Bahn endlichwieder Ruhe hat. Auf dem Transnet-Kongress wurdedeutlich: Die Eisenbahner wollen nicht, dass ihre Bahn je-den Tag in die Schlagzeilen gerät. Sie wollen vielmehrkalkulierbare Konzepte und deren Umsetzung. In dieseRichtung werden wir weitergehen.
Herr Bun-desminister, Herrn Fischer drängt es, eine Zwischenfragezu stellen. In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeitmöchte ich Sie allerdings bitten, diese Zwischenfragenicht zuzulassen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 2000
Bundesminister Kurt Bodewig13179
Kurt Bodewig, Bundesminister für Verkehr, Bau- undWohnungswesen: Ich folge Ihrer Bitte. Herr Fischer, wirwerden noch so viel Zeit haben, miteinander zu streiten.Das werden wir mit Vergnügen zu einem späteren Zeit-punkt nachholen.
Ich hätte noch so viel zur Verkehrspolitik, zur anste-henden Liberalisierung in Europa und zu den neuen Ver-kehrsträgern, insbesondere zum Transrapid, zu sagen. Ichkann Ihnen jetzt nur eines sagen: Wir werden in der kom-menden Woche und auch noch später Zeit genug haben,darüber ausführlich zu diskutieren. Darauf freue ich mich.Das sage ich mit ehrlichem Herzen.Ich möchte in den restlichen sechs Minuten meiner Re-dezeit auch noch etwas zur Wohnungs- und Städtebau-politik sagen. Ich kann Ihnen, Herr Kansy, nur eines sa-gen: Es darf nicht dazu kommen – das ist mir wichtig –,dass die Öffentlichkeit mich nur als Verkehrsministerwahrnimmt. Das wäre falsch. Ich bin der Verkehrs- undBauminister. Wir werden beides miteinander verknüpfen.Wir tun dies durch die raumordnerische Funktion im Bun-desverkehrswegeplan – das ist der erste Schritt –
und wir werden dies mit einer konsequenten Wohnungs-baupolitik, mit einer Stadtpolitik fortsetzen. Auch das istfür mich wichtig. Wir haben hier viel zu sagen.Was das Programm „Soziale Stadt“ angeht: Ich willmich nicht darüber streiten, wer der Urheber dieser Ideeist. Aber wir haben es realisiert, nicht Sie. Darum geht esdoch.
Dass wir die Mittel hierfür ordentlich erhöhen, nämlichvon 100 Millionen DM auf 150 Millionen DM, dass wirmit den Mitteln der Länder und Gemeinden 450 Milli-onen DM mobilisieren, ist der entscheidende Punkt. Esgeht nicht um den Streit der Ideen – den sollten wir krea-tiv führen –, sondern darum, wer Politik macht. Das istunser Profil: Wir sehen Probleme und lösen Probleme.Wenn wir so weitermachen, dann bin ich frohen Mutes,dass wir eine gute Politik für die Bürger in diesem Landmachen.Was die Städtebauförderung betrifft, freue ich mich,dass wir die Bundesmittel für die alten Länder von 80Mil-lionen auf 180 Millionen DM anheben konnten. 100 Mil-lionen DM sind doch kein Pappenstiel. Auch dass wir dashohe Niveau bei der Förderung für die neuen Länder mit520 Millionen DM beibehalten, freut mich. Ich sagegleichzeitig: Dass nach zehn Jahren Stillstand endlich dasWohngeld wieder angehoben wird, ist ein entscheidenderPunkt. Wir haben 1,4 Milliarden DM zusätzlich. Wir wer-den insgesamt fast 8 Milliarden DM dafür aufwenden.Dadurch werden wir viel mehr Menschen erreichen als inder Vergangenheit.
– Plus Heizkostenzulage und vieles mehr. Darauf freueich mich und ich weiß, dass sich diejenigen, die es betrifft,ebenfalls darauf freuen. Das werden wir am 1. Januar deskommenden Jahres erleben können.
Wir haben eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt.Das ist mir wichtig. Frau Ostrowski, all Ihre Zahlenrech-nereien will ich jetzt nicht kommentieren, aber eines willich Ihnen sagen: Die Eisenbahnerwohnungen haben fürdie betroffenen Mieter wie auch für die Beschäftigen derGesellschaften die besten, nämlich optimale, Schutzvor-schriften, die man sich denken kann. Ich komme aus derWohnungswirtschaft; ich weiß, wovon ich spreche. Da-rauf kann man stolz sein. Auch die Gewerkschaft Trans-net kann stolz sein, dass sie ihren Mitgliedern diese Kon-ditionen bieten kann. Das ist doch etwas! Politik heißtnicht mäkeln, Politik heißt gestalten. Das haben wir andieser Stelle getan.
Ich richte meinen Dank an die Haushälter, dass endlichdieser Unsinn mit den kommunizierenden Röhren, die nurdazu führen, dass die Investitionstätigkeit, die dringendnotwendig ist, unterbleibt, endlich beseitigt ist. Herr Kalb,herzlichen Dank! Das gilt auch für die Herren Rübenkönig,Schütz und alle anderen, die daran mitgewirkt haben; denndas ist eine große Leistung, die von allen gewollt war. Ichdanke auch dafür, dass der Haushaltsausschuss diese Liniein den vergangenen Jahren klar gehalten hat. Wir haben eslange gewollt, jetzt haben wir es geschafft; das freut mich.Das müssen Sie mir auch zubilligen.
Ich will auf noch einen Punkt eingehen, nämlich aufdie Probleme der Wohnungswirtschaft in den neuenLändern.Wir alle wissen um die Problematik von Woh-nungsunternehmen, die durch hohen Leerstand in ihrerExistenz gefährdet sind. Wenn ein Abriss unvermeidlichist, dann muss man den Abriss auch finanzieren, dannmuss man die Wohnungsunternehmen von den Altschul-den befreien. Die Bundesregierung stellt in den nächstenzehn Jahren hierfür 700 Millionen DM ein; 60 Milli-onen DM schon im nächsten Jahr. Das zeigt, dass wirdiese Problematik erkannt haben. Wir werden die Vor-schläge der Leerstandskommission prüfen. Ich denke, dasist das Beste, was wir hier machen können: ruhig undsachlich an ein Problem herangehen und gemeinsam nachden besten Lösungen suchen.Zum Bereich Bau- und Wohnungspolitik wäre nochviel zu sagen, gerade im Zusammenhang mit diesem er-freulichen Haushalt. Ich will jedoch die Redezeit nichtüberdehnen und mit einem Dank schließen: Ich dankemeinen Kollegen von den beiden Regierungsfraktionen,Dietmar Schütz, Herrn Rübenkönig, dem KollegenBerninger, sowie dem Generalberichterstatter, dem Kol-legen Kalb, weil ich weiß, dass die Haushälter hier sehr
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 28. November 200013180
verantwortlich gehandelt haben, verantwortlich im Sinnedieser Gesellschaft.
– Ihnen, Hans Georg Wagner, sei ebenfalls gedankt. DerDank richtet sich an alle Berichterstatter. Auch diejeni-gen, die für die Fraktion etwas zusammenhalten mussten,verdienen hier einen besonderen Dank. Ich spreche diesenDank wirklich ehrlichen Herzens aus, weil ich finde, wirhaben hier gemeinschaftlich – das ist immer der besteWeg – einige neue Wegmarken gesetzt. Mein Dank giltaber auch dem Ausschussvorsitzenden, Herrn Oswald.
Ich sage allen, die mitgewirkt haben – allen aus denKoalitionsfraktionen, die die Impulse gegeben haben,aber auch allen aus den Oppositionsfraktionen, die einmaldafür und einmal dagegen gestimmt haben –: Im Ergebniswerden dieses Parlament, die Koalitionsfraktionen unddie Regierung deutlich machen können, dass wir einenHaushalt haben, für den es sich zu kämpfen gelohnt hat.Ich bin froh, dass ich in Zukunft mit diesem Haushalt ar-beiten darf. In diesem Sinne: Herzlichen Dank!
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Wir stimmen
zunächst über die Änderungsanträge ab.
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/4755. Wer stimmt für diesen Änderungs-
antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen und der PDS-Fraktion bei Zustimmung der
CDU/CSU-Fraktion und bei Enthaltung der F.D.P.-Frak-
tion abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/4756. Wer stimmt für diesen Änderungs-
antrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ände-
rungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der PDS bei Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion
und bei Enthaltung der F.D.P.-Fraktion abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/4757. Wer stimmt für diesen Änderungs-
antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die-
ser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen bei Zustimmung von CDU/CSU und PDS und
bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/4758. Wer stimmt für diesen Änderungs-
antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die-
ser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen bei Zustimmung von CDU/CSU und PDS und
bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/4759. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen?
– Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und
der F.D.P. bei Zustimmung der PDS abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/4760. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen?
– Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und
der F.D.P. bei Zustimmung der PDS-Fraktion abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/4761. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen?
– Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit dem
gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-
plan 12 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzel-
plan 12 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Gegenstimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS ange-
nommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Mittwoch, den 29. November 2000,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.