Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich zunächst auf der Ehrentribüne den Vorsitzenden der Volksversammlung der Republik Bulgarien, Herrn Jordan Sokolov, ganz herzlich begrüßen, der zu einem Arbeitsbesuch nach Bonn gekommen ist.
Ich freue mich, daß Sie in so kurzen Abständen hier sind. Sie können davon ausgehen, daß wir angesichts des Engagements der Parlamentarier in den letzten Jahren auch in Zukunft die großen Anstrengungen, die insbesondere im Jahre 1997 nach den Wahlen unternommen worden sind, um das Land aus der Krise zu führen, nicht nur begleiten, sondern auch tatkräftig unterstützen werden. Alles Gute für Ihr Land und Ihr Engagement!
Ich möchte dann dem Kollegen Reinhard Freiherr von Schorlemer ganz herzlich gratulieren, der am 27. April seinen 60. Geburtstag gefeiert hat. Ganz herzlichen Glückwunsch von dieser Stelle aus und alles Gute!
Ferner teile ich mit: Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die Ihnen mit einer Zusatzpunktliste vorgelegten Punkte zu erweitern:
1. Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Joachim Hacker, Rolf Schwanitz, Siegfried Scheffler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Hemmnisse und Rechtsunsicherheiten im Immobilienrecht und beim Nutzerschutz beseitigen - Drucksache 13/10329 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dietmar Kansy, Peter Götz, Werner Dörflinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Hildebrecht Braun, Dr. Klaus Röhl und der Fraktion der F.D.P.: Politik zur Erhaltung und Stärkung der Innenstädte - Drucksache 13/10536-
2. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU: Haltung der Bundesregierung zum Treffen des Bundesratspräsidenten Schröder mit dem weißrussischen Präsidenten Lukaschenko
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Weiterhin ist vereinbart worden, die Beratung des Waldzustandsberichts erst nach der Aktuellen Stunde aufzurufen. Darüber hinaus soll der Tagesordnungspunkt 11 - Kraftfahrzeugsteueränderungs-
und -ergänzungsgesetz - sowie der Tagesordnungspunkt 12d - Anerkennung für alle Lebensformen - und der Tagesordnungspunkt 13 - Altenpflegegesetz - abgesetzt werden.
Außerdem mache ich auf nachträgliche Ausschußüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 219. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll dem Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union zur Mitberatung überwiesen werden.
Antrag der Abgeordneten Thomas Krüger, Otto Schily, Edelgard Bulmahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Kulturförderung des Bundes
- Drucksache 13/9806-überwiesen:
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuß
Die in der 230. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesenen nachfolgenden Gesetzentwürfe sollen zusätzlich dem Finanzausschuß zur Mitberatung überwiesen werden.
Gesetzentwurf von der Bundesregierung zu dem Protokoll vom 27. September 1996 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften
- Drucksache 13/10424-überwiesen:
Rechtsausschuß
Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Gesetzentwurf von der Bundesregierung zu dem Übereinkommen vom 27. September 1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union
- Drucksache 13/10427-überwiesen:
Rechtsausschuß
Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Gesetzentwurf von der Bundesregierung zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember 1997 über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr
- Drucksache 13/10428-überwiesen:
Rechtsausschuß
Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen und andere Formen der Vermögensbildung der Arbeitnehmer
-Drucksache 13/10012-
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
- Drucksache 13/10527 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Hans-Eberhard Urbaniak
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/10528 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller
Oswald Metzger
Peter Jacoby
Dr. Wolfgang Weng
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Ottmar Schreiner, Hans-Eberhard Urbaniak, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Offensive zur Förderung der Arbeitnehmerbeteiligung am Produktivvermögen
- Drucksachen 13/4373, 13/10527 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Hans-Eberhard Urbaniak
Zum Gesetzentwurf liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege Wolfgang Vogt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute abschließend über das Dritte Vermögensbeteiligungsgesetz. Es kann, sofern der Bundesrat es nicht blockiert, wozu es, bei Licht besehen, auch keinen triftigen Grund gibt, termingerecht am 1. Januar 1999 in Kraft treten.
Dieses Gesetz eröffnet die Chance, daß sich eine Vision erfüllt, nämlich die Vision von einer Gesellschaft von Teilhabern. Ich sage bewußt: „Chance". Es liegt nämlich künftig noch mehr als bisher in der Hand der Betriebs- wie der Tarifpartner, ob diese Vision Wirklichkeit wird; denn nur die Betriebspartner haben das Recht, Mitarbeiterbeteiligungen zu vereinbaren. Niemand kann sie zwingen. Nur den Tarifpartnern steht es zu, über vermögenswirksame Leistungen zum Erwerb von Wohneigentum und über Investivlöhne zur Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital zu verhandeln - niemandem sonst. Der Staat kann zwar Kindergeld gewähren, nicht jedoch Kapitalbeteiligung. Der Staat kann den Tarifpartnern den Weg ebnen; den Weg gehen müssen sie selbst.
Was bringt dieses Gesetz?
Erstens. Wir heben die für die Sparzulage maßgeblichen Einkommensgrenzen deutlich an. Mehr als zwei Drittel der Arbeitnehmer werden künftig von der Förderung erfaßt. Wir konzentrieren die Förderung auf die schwächeren und mittleren Einkommen. Das ist fiskalisch vernünftig, und das ist sozial.
Zweitens. Zusätzlich zum Förderbetrag in Höhe von 936 DM, der künftig für das Bausparen reserviert wird, wird ein zweiter Förderkorb in Höhe von 800 DM - bzw. für die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern in Höhe von 1 000 DM - ausschließlich für die Beteiligung am Produktivvermögen eingerichtet.
Das heißt, der Förderbetrag steigt von 936 DM auf 1 736 DM bzw. auf 1936 DM. Das ist ein ausgreifender Schritt nach vorn.
Das Konzept der zwei Förderkörbe macht deutlich: Wir wollen beides, nämlich Wohneigentum über Bausparen und Kapitalbeteiligung für alle.
Drittens. Wir erhöhen für innerbetriebliche wie außerbetriebliche Beteiligungen die Sparzulage auf 20 Prozent. Die Sparzulage wächst also, wenn der Förderhöchstbetrag ausgeschöpft wird, von derzeit
Wolfgang Vogt
94 DM um 160 DM auf 254 DM bzw. von 94 DM um 200 DM auf 294 DM. Mit diesem Gesetz stellen wir 1,1 Milliarden DM zusätzlich zur Verfügung - zusätzlich zu den 700 Millionen DM, mit denen nach geltendem Recht vermögenswirksame Leistungen gefördert werden. Wer dies, wie Bündnis 90/Die Grünen, als Placebo diffamiert - ich habe als simpler Sozialpolitiker erst einmal nachgucken müssen, was das heißt, und übersetze es einmal frei mit
„Das sei nichts" -, der lebt im Wolkenkuckucksheim, der hat abgehoben von der Wirklichkeit. Das ist wirklich eine abwegige Behauptung.
Viertens. Vermögenswirksame Leistungen werden künftig auch dann staatlich gefördert, wenn die Tarifpartner die Wahlfreiheit auf das Bausparen und alle Beteiligungsformen beschränken. Wir stärken damit die Kompetenz der Tarifpartner im Bereich des Bausparens und des Investivlohns. Mehr Kompetenz heißt jedoch auch stets: mehr Verantwortung.
Fazit: Das Gesetz ist ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung. Die öffentliche Anhörung am 1. April diesen Jahres hat uns darin bestätigt. Das Gesetz ist ein Erfolg für die christlichen Sozialverbände, also für die KAB und die Kolpingfamilie. Sie hatten Hand in Hand mit der CDA und christlichen Gewerkschaftern das Jahr 1997 unter das Leitwort „Investivlohn - jetzt" gestellt. Im Namen der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion danke ich diesen Verbänden für ihr tatkräftiges Engagement für eine gemeinsame Sache.
Mit dem Dritten Vermögensbeteiligungsgesetz knüpfen wir konsequent an unsere Politik, die wir seit 1982 betrieben haben, an. Denn sofort nach Übernahme der Regierungsverantwortung hat die Regierung von Helmut Kohl an die große vermögenspolitische Tradition der Union angeknüpft, die mit den Namen bedeutender Christdemokraten wie Karl Arnold, Paul Lücke, Theodor Blank, Hans Katzer, Fritz Burgbacher und Erwin Häussler verbunden ist. Sie hat 1983 ihre vermögenspolitische Visitenkarte abgegeben. In der Vermögensbildungspolitik wurden die Weichen neu gestellt, um die Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer voranzubringen.
1982, also am Ende der Regierungszeit der SPD, wurden 2 Prozent der vermögenswirksamen Leistungen in Kapitalbeteiligungen angelegt. 1993 waren es 10 Prozent. Zehn sind mehr als zwei.
1983 gab es 8 600 Verträge über die Anlage vermögenswirksamer Leistungen in Aktienfondsanteilen. 1992 waren es schon 1,8 Millionen Verträge.
1,8 Millionen sind mehr als 8 600.
Die SPD hat in ihrer Regierungszeit hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital nichts zustande gebracht. Philipp Rosenthal personifiziert das Scheitern ihrer Politik.
Wir brauchen unser Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Aber das Erreichte genügt uns nicht. Darum wollen wir neben dem Bausparen der Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer über Investivlöhne neue Dynamik verleihen, eine Dynamik, die von den Tarifparteien aufgegriffen und mitgetragen werden muß, soll sie nicht verpuffen. Weil dem so ist, plädiere ich heute auch für eine Renaissance der Idee der Partnerschaft.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben unterschiedliche Interessen; das ist wahr. Zugleich besteht zwischen ihnen aber ein zwingender Interessenverbund. Keiner kann sich nämlich voll durchsetzen, ohne selbst Schaden zu nehmen. Auf dieses Beziehungsgeflecht antwortet soziale Marktwirtschaft mit Partnerschaft. Diese beruht auf Gleichberechtigung und auf wohlverstandenem Eigeninteresse. Ihr Ethos ist nicht das selbstloser Uneigennützigkeit, sondern vielmehr das der Fairneß und des gegenseitigen Respekts. Wer Partnerschaft als „Konsenssauce" abqualifiziert, hat noch nicht einmal das kleine Einmaleins der sozialen Marktwirtschaft verstanden.
Weil es ohne die Tarifpartner nicht geht, haben wir offen und ohne Vorbehalte - ich persönlich höchst skeptisch - die Frage geprüft, ob die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien rechtlich ausreichend geklärt ist. Das ist der Fall.
Tariflich vereinbarten Investivlöhnen steht nichts im Wege. Die Bundesregierung hat dies im übrigen mehrfach klargestellt.
Die Tarifpartner können außerbetriebliche Kapitalbeteiligungen der Arbeitnehmer vereinbaren oder - das hebe ich ausdrücklich hervor - durch tarifvertragliche Öffnungsklauseln für Betriebsvereinbarungen der Mitarbeiterbeteiligung den Weg ebnen. Das erlaubt es, Rahmenvereinbarungen maßgeschneidert und betriebsspezifisch umzusetzen.
Im übrigen ergibt sich aus dem Tarifvertragsrecht die Möglichkeit, daß die Partner gemeinsame Einrichtungen gründen. Solche gemeinsamen Einrichtungen gibt es in der Bauwirtschaft. Sie sind nie beanstandet worden. Die juristischen Sachverständigen haben dies in der Anhörung bestätigt.
Bemerkenswert aber war, daß der Vertreter des DGB in der öffentlichen Anhörung zu Protokoll gegeben hat, daß in seiner Organisation der Meinungsbildungsprozeß über - wie es heißt - Tariffonds noch nicht abgeschlossen sei. Diese Fonds sind deshalb nur ein Etikett. Die Flasche, der Karton oder die Kiste zu diesem Etikett fehlen noch. Das hindert die SPD aber nicht daran, dieses virtuelle Gebilde mit einem Privileg auszustatten. Das ist ziemlich abwegig, meine Damen und Herren.
Wolfgang Vogt
Deutlich sagen wir aber, was wir nicht wollen und was mit uns nicht geht: Rechtlich unzulässig ist die Forderung der SPD, daß Tariffonds, was immer das heißen mag, auch dann uneingeschränkt gefördert werden sollen, wenn die Tarifvertragsparteien die obligatorische Anlage der vermögenswirksamen Leistungen in solchen Fonds verbindlich festlegen. Dies ist rechtlich unzulässig. Aber selbst wenn es rechtlich zulässig wäre: Wir wollen eine derartige Einschränkung der Wahlfreiheit der Arbeitnehmer nicht. Sie stünde im Widerspruch zu unserem Verständnis von privatem Eigentum. Deshalb kommt das für uns nicht in Frage.
Die Verteilung der Vermögen, nicht zuletzt des Produktivkapitals, ist unbefriedigend; das ist wahr. Es ist jedoch höchst ärgerlich, daß vor allem diejenigen lauthals anklagen und klagen, die bisher am wenigsten für eine gerechte Verteilung getan haben. Diese Klagen sind, mit Verlaub, scheinheilig.
Ich will nicht alte Wunden aufreißen. Aber was wahr ist, bleibt halt wahr. Wahr ist, daß in den 50er Jahren die Investivlohnidee, so wie sie Karl Arnold vertreten hat, durch den damaligen Chefideologen des DGB, Viktor Agartz, mit seiner These von der expansiven Lohnpolitik konterkariert wurde.
Wahr ist, daß die IG Metall in den 60er Jahren ihre Parole „Barlohn statt Sparlohn" gegen den damaligen Chef der IG Bau, Georg Leber, gesetzt hat.
Wahr ist, daß die IG Metall in den 70er und 80er Jahren „Mitbestimmung statt Umverteilung" predigte und danach „Reformen statt Vermögensumverteilung" forderte.
Wer so ständig gemauert hat und sich dessen noch rühmt, wer auf den DGB und auf die SPD einen so miserablen Einfluß ausgeübt hat, wer verhindert hat, daß die Arbeitnehmer verstärkt am Vermögen teilhaben oder daraus Einkommen beziehen, dem fehlt jede moralische Berechtigung, die unbefriedigende Vermögensverteilung anzuklagen.
Schließlich ist wahr, daß es noch immer Zeitgenossen gibt, die glauben und behaupten, an der Größe „Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit" könne abgelesen werden, ob es in dieser Gesellschaft gerecht zugeht oder nicht - was ja, konsequent zu Ende gedacht, hieße, eine Gesellschaft wäre um so gerechter, je höher der Anteil von Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit am Volkseinkommen ist. Das aber ist schlicht falsch. Je mehr nämlich die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen zu einer Restgröße zusammengepreßt werden, um so weniger wird in den Erhalt und in die Schaffung neuer Arbeitsplätze investiert. Das geht zu Lasten der Arbeitnehmer und zu Lasten dieses Landes.
Es kann nicht darum gehen, durch expansive Lohnpolitik oder durch das „Ende der Bescheidenheit", wie das IG-Metall-Chef Klaus Zwickel noch vorgestern versprochen hat, den Anteil der Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit am Volkseinkommen auf Teufel komm raus zu steigern. Es geht vielmehr darum, die Arbeitnehmer - weit mehr als bisher - am Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen zu beteiligen. Deshalb wollen wir Vermögen für alle, nicht zuletzt Kapitalbeteiligung für alle.
Im übrigen - das sage ich auch an die Adresse der Arbeitgeber -: Wer fordert und erwartet, daß die Tarifabschlüsse auch längerfristig den Produktivitätszuwachs - im Interesse von Wachstum und Beschäftigung - nicht übersteigen, der muß mit von der Partie sein, wenn es gilt, daß die Arbeitnehmer Vermögen bilden und daraus zusätzliches Einkommen beziehen können.
Seit der Ermordung des BDA-Präsidenten Hanns Martin Schleyer ist von den Verbänden der Wirtschaft - ich bedauere das - nichts Konstruktives mehr zu diesem Thema vermeldet worden.
Demgegenüber erkenne ich ganz ausdrücklich das sozial verantwortliche Verhalten der Arbeitgeber an, die vor allem unter Nutzung des § 19a des Einkommensteuergesetzes, den wir, CDU/CSU und F.D.P., 1983 ausgestaltet haben, ihren Mitarbeitern Beteiligungen angeboten und mit dem Betriebsrat darüber Betriebsvereinbarungen abgeschlossen haben.
Dieser Paragraph wird jetzt nicht geändert. Ich befürchte jedoch, daß er aus einer Reihe von Gründen die Reform des Einkommensteuerrechts nicht überleben wird. Die Reform des Einkommensteuerrechts steht in der nächsten Wahlperiode ja ganz dringlich an. § 19 a darf nicht ersatzlos wegfallen; er muß durch ein Zulagensystem ersetzt werden, wie wir das im Rahmen unserer steuerpolitischen Beschlüsse vereinbart haben.
Nun hat die SPD gefordert, den begünstigten Betrag nach dieser Regelung des Einkommensteuerrechts von 300 DM auf 1000 DM zu erhöhen. Ich traute wirklich meinen Augen nicht, als ich sah, daß sich die SPD bei dieser Forderung sogar selbst anerkennend auf die Schulter geschlagen hat. Denn diese Forderung ist ein Schlag ins eigene Kontor.
Erstens gibt es gute Gründe, steuerliche Vergünstigungen künftig durch Zulagen zu ersetzen. Das ist einsichtiger, das ist durchsichtiger, das ist fiskalisch vernünftiger, und es ist gerechter. Die Eigenheimzulage, die an die Stelle steuerlicher Vergünstigungen getreten ist, ist der schlagende Beweis für die Richtigkeit dieses Konzepts.
Zweitens: Von diesem Pult aus hat die SPD verschiedentlich lautstark und - verzeihen Sie - manchmal auch mit etwas Schaum vor dem Mund die angeblich ungerechte und unsoziale Wirkung der steuerlichen Kinderfreibeträge gegeißelt. Jetzt fordern Sie den Ausbau eines steuerlichen Privilegs mit der gleichen Wirkung. Das ist schon abenteuerlich. Zu
Wolfgang Vogt
Recht haben die Sachverständigen diese Idee gnadenlos durchfallen lassen.
Dabei verkennen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, zusätzlich den feinen, aber doch schwerwiegenden Unterschied zwischen § 19 a des Einkommensteuergesetzes und den Kinderfreibeträgen. Das Existenzminimum für Kinder steuerlich freizustellen ist Verfassungsgebot. Die Verfassung gebietet aber nicht, bei der Förderung der Vermögensbildung die hohen und höheren Arbeitnehmereinkommen zu begünstigen.
Diese Politik der neuen Mitte der SPD ist eine Absage an den kleinen Mann. Wir fördern die Bezieher niedriger und mittlerer Arbeitnehmereinkommen. Die SPD will die Bezieher höherer und höchster Arbeitnehmereinkommen begünstigen. Das unterscheidet uns.
Es gibt also keine Alternative und keinen Grund, unserem Dritten Vermögensbeteiligungsgesetz nicht zuzustimmen. Ich bitte das Haus um Zustimmung.
Nun haben die Grünen zu diesem Gesetzentwurf einen Entschließungsantrag vorgelegt, den ich gestern mit Interesse zur Kenntnis genommen habe. Ich war auf diesen Entschließungsantrag sehr gespannt, nachdem die Kollegin Margareta Wolf am 4. März dieses Jahres in der Debatte erklärt hatte, sie sei mit Oswald von Nell-Breuning aufgewachsen.
Ich habe schnell im „Kürschner" nachgeschlagen und gesehen: Geboren 1957. Richtig? - Da hatte ich das Bild vor mir: Die zehnjährige Margareta Wolf, sitzend vor den Füßen von Nell-Breuning, des Nestors der katholischen Soziallehre, der damals 77 Jahre alt war,
lauschend den Worten. Von diesem Lauschen bei Oswald von Nell-Breuning ist in dem Antrag nichts zu spüren. Wenn Sie • sagen, daß die Einrichtung von zwei Förderkörben die Rahmenbedingungen für Vermögensbildung verschlechtern würde, ist das ein Witz, und nicht ein kleiner Witz.
Wenn Sie in dem Antrag sagen, daß die Rahmenbedingungen für Vermögensbildung durch steuerliche Erleichterungen verbessert werden sollten, kann ich nur zustimmen. Nur, wieso haben Sie dann unsere Vorschläge zur Reform des Einkommensteuerrechts Hand in Hand mit der SPD abgelehnt?
Dieser Antrag, Frau Kollegin, besteht aus Versatzstücken. Er hat die gleiche Qualität wie Ihr Beschluß, den Benzinpreis auf 5 DM zu erhöhen.
Meine Damen und Herren, von Max Weber stammt die Sentenz, Politik habe etwas mit dem Bohren von dicken Brettern zu tun. Ich habe meine erste Rede in diesem Haus am 15. April 1970 gehalten. Thema war die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital.
- In der Zwischenzeit war Ihre Regierungszeit, in der Sie nichts getan haben. Sie haben vorhin gehört: Wir haben in den 16 Jahren die Weichen neu gestellt. Wir haben heute hier ein Drittes Vermögensbeteiligungsgesetz vorliegen. Es ist in der Zukunft ausbaufähig.
Ich werde zu diesem Thema nicht mehr reden, zumindest nicht mehr in diesem Hause. Deshalb gebe ich meiner Hoffnung Ausdruck, die Bretter mögen dünner, die Bohrer stärker und die Bohrenden kräftiger werden.
Vielen Dank.
Ich denke, das war noch nicht seine letzte Rede hier.
- Als nächster Redner jetzt der Kollege Ottmar Schreiner.
Frau Präsidentin, ich nehme an, daß dies die letzte Rede des Kollegen Vogt hier im Deutschen Bundestag war, und will die Gelegenheit nutzen, um zunächst einmal, lieber Kollege Vogt, meinen Respekt auszudrücken vor Ihren langjährigen Bemühungen, in Sachen Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital ein Stück weit voranzukommen. Da haben Sie sich ohne jeden Zweifel persönliche Verdienste erworben, und das sollte auch vom politischen Gegner respektiert und akzeptiert werden.
Jeder hat seine Lebensleistung, und Sie haben Ihre.
Was Ihre Polemiken gegen die SPD anbelangt, sind diese mißraten wie immer.
Sie sind einfach kein geeigneter Polemiker. Sie sind
eher ein geborener Staatsmann. Polemik formulieren,
Ottmar Schreiner
das kann der Abgeordnete Blüm ein Stück weit besser.
- Ja, mir geht das völlig ab. Das ist leider wahr.
Sie haben hier die Stunde der Wahrheit beschworen und haben immer wieder gesagt, was alles wahr sei. Herr Kollege Vogt, wahr ist auch, daß die Vermögens-, die Eigentums- und die Einkommensverhältnisse in Deutschland nie so ungerecht waren, wie sie es gegenwärtig - nach 16jähriger konservativer Regierung sind.
Wahr ist, daß die Reallöhne der deutschen Arbeitnehmerschaft 1997 niedriger waren als 1990 und daß dies zu einem guten Stück ein Ergebnis konservativer Regierungspolitik gewesen ist, weil Sie in den letzten Jahren über steigende Lohnnebenkosten Dinge finanziert haben, die mit dem Faktor Arbeit überhaupt nichts zu tun haben. Sie haben als Mehrheitsgesetzgeber hier die Bedingungen dafür geschaffen, daß die arbeitenden Menschen in Deutschland in den letzten Jahren von Jahr zu Jahr eher weniger verdient haben als mehr. Von einer Anpassung der Löhne an die Arbeitsproduktivität kann keine Rede sein. Das aber war die Kernthese von Nell-Breuning: Die Reallöhne sollen der Arbeitsproduktivität folgen. Würden die Reallöhne der Arbeitsproduktivität folgen, dann hätten wir im Schnitt einen Reallohnzuwachs von etwa 3 Prozent.
Davon kann aber überhaupt keine Rede sein, weil Sie mit Ihrer Umverteilungspolitik in den letzten Jahren und Jahrzehnten dafür gesorgt haben, daß die Reallöhne stagniert haben, daß die Lohnnebenkosten immer höher wurden, daß der Abstand zwischen Brutto- und Nettoeinkommen von Jahr zu Jahr gewachsen ist.
Ich will Sie daran erinnern: Viele deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind inzwischen im Sozialismus gelandet; sie wissen es nur nicht. Der Bundeskanzler hat 1981- damals als Oppositionsführer - von diesem Podium aus formuliert: Wenn der Staat den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mehr als die Hälfte ihres Bruttoeinkommens über Steuern und Sozialabgaben abnimmt, dann sind die Leute im Sozialismus. Das war das Sozialismusverständnis des Bundeskanzlers.
Da sind inzwischen in wachsendem Maße Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelandet, ohne es überhaupt wahrgenommen zu haben. Das ist die Lage.
Niemals war die Vermögens-, die Einkommens- und
die Eigentumsverteilung in Deutschland ungerechter als nach 16 Jahren konservativ-reaktionärer Regierung in Deutschland. Deshalb ist es allerhöchste Eisenbahn, daß diese Regierung abgelöst wird.
Im übrigen habe ich den Eindruck, Herr Kollege Vogt, daß mit dem Projekt „Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Produktivkapital" von seiten dieser Koalition ein übles Doppelspiel geboten wird
und daß es Ihnen nicht um die Sache geht. Hier wird ein übles Doppelspiel auch zu Ihren Lasten veranstaltet.
Ich respektiere, daß die Sozialverbände der CDU/ CSU, im übrigen auch die sozial orientierten Verbände der Kirchen sehr an diesem Projekt interessiert waren und sind. Aber ich habe den festen Eindruck, daß sie das Opfer von Machenschaften dieser Regierung werden, und das werde ich Ihnen jetzt belegen.
- Bevor Sie etwas lauter werden, lieber Kollege, belege ich es Ihnen.
- Maßhalten, maßhalten!
Sie wissen, daß Ihr Gesetzentwurf zustimmungspflichtig ist. Das bedeutet, daß Ihr Gesetzentwurf nur in das Bundesgesetzblatt kommt, wenn die Sozialdemokraten zustimmen, da Sie die Mehrheit des Bundesrates brauchen. Das wußten Sie von Anfang an. Sie wußten auch, daß dem Deutschen Bundestag seit 1996 ein umfänglicher Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, der mit unseren Ländern abgestimmt war, vorliegt, in dem wir versucht haben, die Eckpositionen der sozialdemokratischen Fraktion in Sachen Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Produktivkapital zu formulieren. Insoweit war völlig klar, daß Sie nicht davon ausgehen konnten, daß Ihr Gesetzentwurf in der Form, in der Sie ihn hier eingebracht haben, das Parlament auch wieder verlassen würde.
Es ging also darum, einen Kompromiß zu finden. Die Methode „Vogel, friß oder stirb " funktioniert ja nicht; das haben Sie schon an anderen Beispielen gesehen.
Jetzt komme ich zum entscheidenden Punkt: Bei der ersten Lesung Ihres Gesetzentwurfes am 4. März dieses Jahres - das ist gerade einmal knappe zwei Monate her - habe ich Ihnen angeboten, unverzüglich in Verhandlungen einzutreten, um der Sache wegen einen gemeinsamen Kompromiß zu finden.
Ottmar Schreiner
- Ja, das können Sie alles nachlesen.
Auf dieses Angebot hin, das mit dem Vorsitzenden der Bundestagsfraktion abgestimmt war, ist von seiten der Koalition auch nicht die leiseste Reaktion gekommen. Sie haben dieses Angebot völlig ignoriert.
Meine Schlußfolgerung daraus ist, daß Sie von Anfang an Ihren eigenen Gesetzentwurf als wahltaktisches Manöver mißbraucht haben, und zwar zu Lasten Ihrer eigenen Leute, die an der Sache interessiert sind. Das ist die Wahrheit, so ist es hier abgelaufen.
Meine Damen und Herren, das ist wirklich ein jämmerlicher Vorgang.
- Herr Kollege Vogt, das geht ja gar nicht gegen Sie. Ich versuche doch ständig, Sie in dieser Frage noch als einen ordentlichen Menschen herauszuheben.
Das ist übrigens ein Projekt, das nicht nur in den 50er und 60er Jahren zirkulierte. Das Thema „Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital" ist nach meiner Kenntnis inzwischen über 80 Jahre alt und wurde ebensolange diskutiert.
Wir hätten die geradezu einmalige Chance gehabt, nach der ersten Lesung am 4. März in raschen Verhandlungen herauszufinden, ob wir einen tragfähigen Kompromiß in diesem Hause finden könnten. Die Unterschiede zwischen Ihren Vorstellungen und Ihrem Gesetzentwurf und dem, was wir 1996 in dem sozialdemokratischen Antrag formuliert hatten, sind ja nicht so gravierend. Wenn Sie einmal in die Resolution der Grünen schauen, stellen Sie fest, daß auch sie nicht sehr weit davon entfernt sind. - Die Unterschiede sind nicht so gravierend, als daß man einen Kompromiß von vornherein hätte ausschließen können; davon kann keine Rede sein. Sie können sich auch nicht herausreden, indem Sie sagen: Die Position der Sozialdemokraten ist von unserer Position so weit weg, daß sich Verhandlungen nicht gelohnt hätten, das wären Scheinverhandlungen geworden.
Dies will ich Ihnen kurz an Hand der entscheidenden Dissense zwischen Ihren und unseren Vorstellungen, die dem Haus vorgelegt worden sind, belegen. Es gibt im wesentlichen zwei große Unterschiede. Es gibt eine Reihe von Unterschieden in Detailfragen, etwa über die Ausgestaltung der Prämien und die Definition der Einkommensgrenzen. Dies sind eher nebensächliche Differenzen. Die entscheidenden Differenzen bewegen sich um zwei Punkte.
Der erste Punkt ist die von uns geforderte Insolvenzsicherung. Wir haben gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund gesagt: Es ist nicht zumutbar, daß die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei einer Beteiligung am Produktivkapital ein doppeltes Risiko tragen müssen, nämlich einerseits das Risiko, im Insolvenzfall ihres Betriebes ihren Arbeitsplatz zu verlieren, und andererseits das Risiko, zusätzlich das eingeschossene Sparkapital zu verlieren.
Wir fordern also eine Insolvenzsicherung, um die Verdoppelung des Arbeitnehmerrisikos zu vermeiden. Davon ist in Ihrem Gesetzentwurf überhaupt keine Rede. Dieses Problem blenden Sie völlig aus.
Wenn ich gleichwohl der Meinung bin, daß man hier hätte zusammenkommen können, dann beruht das auf einer schriftlichen Stellungnahme des Bundes Katholischer Unternehmer. Der Bund Katholischer Unternehmer steht vermutlich Ihrer Fraktion oder Ihrer Partei etwas - ich sage: in Nuancen - näher als uns - noch. Das kann sich schnell ändern. In der Stellungnahme des Bundes Katholischer Unternehmer vom 31. März dieses Jahres, die dem Fachausschuß für Arbeit und Soziales im Vorfeld der Anhörung vorgelegt worden ist, heißt es: Falls im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eine Absicherung im Insolvenzfall als unumgänglich erachtet wird, so schlagen wir vor, diese durch Einrichtungen analog des Pensions-Sicherungs-Vereins zu gewährleisten.
Das wäre ein denkbarer Vorschlag, in diesem Fall vom Bund Katholischer Unternehmer. Ich will damit nur andeuten, daß in diesem ersten großen Dissensfall Brücken nicht unmöglich gewesen wären, wenn man sich zusammengesetzt und herauszufinden versucht hätte, wie man hier gemeinsam eine Lösung finden kann.
Der zweite große Dissens in den vorliegenden Vorschlägen bezieht sich auf die von uns und dem DGB ebenfalls geforderte rechtliche Klarstellung, daß auch tariflich vereinbarte überbetriebliche Vermögensbildungseinrichtungen, sogenannte Tariffonds, ermöglicht und gefördert werden sollen. Dazu haben Sie eben einiges - bezogen auf die mündlichen Äußerungen des Kollegen vom DGB, der jeweils vorgetragen hat - gesagt.
Ich möchte einmal aus der schriftlichen Stellungnahme des DGB zitieren, um deutlich zu machen, worum es eigentlich geht, und um deutlich zu machen, daß auch hier eine Lösung nicht unmöglich gewesen wäre. Dort heißt es: Wie die Erfahrungen mit dem Vermögensbildungsgesetz belegen, wird es ohne tarifvertragliche Regelungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern keinen Durchbruch für eine breite Produktivkapitalbeteiligung geben. Auch die Bundesregierung hatte in der Koalitionsvereinbarung von 1994 zum Ausdruck gebracht, daß Vermögenspolitik nicht ohne Tarifverträge auskomme. Eine solche Einbeziehung der Tarifparteien kann aber nur dann von Erfolg gekrönt sein, wenn Tarifverträge als Instrumente für die Produktivkapitalbeteiligung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gesetzlich anerkannt werden.
Das genau ist die Position, die wir 1996 in unserem Antrag zu formulieren versucht hatten. Als Restbedenken bleiben die von Ihnen vorgetragenen Bedenken, es sei rechtlich in hohem Maße zweifelhaft, ob eine solche Regelung tragfähig sei.
Ottmar Schreiner
Ich möchte nun aus der schriftlichen Stellungnahme von Professor Hanau zitieren. Professor Hanau ist, wenn man das so formulieren möchte, der Nestor der Arbeitsrechtler in Deutschland. Er ist Geschäftsführender Direktor des Forschungsinstituts für Sozialrecht der Universität zu Köln. Professor Hanau schreibt in seiner Stellungnahme anläßlich der Anhörung des Fachausschusses:
Nach alledem sind tarifvertragliche Regelungen zur Vermögensbildung der Arbeitnehmer durch Tarifvertrag sowohl unmittelbar im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als auch durch Kapitalsammelstellen
- Tariffonds - grundsätzlich zulässig.
Also relativieren sich auch diese Bedenken in hohem Maße.
Ich wollte Ihnen mit diesen beiden Beispielen nur deutlich machen, daß es aus meiner Sicht dann, wenn der politische Wille vorhanden gewesen wäre, sehr wohl möglich gewesen wäre, bezüglich der Beteiligung der Arbeitnehmerschaft am Produktivkapital eine breite Übereinstimmung in diesem Hause zu finden. Das wäre allerhöchste Eisenbahn.
Es macht keinen Sinn mehr, in die Vergangenheit zu gucken. Lassen Sie uns in die Zukunft gucken! Ein Durchbruch bei der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital ist absolut überfällig.
Dafür gibt es viele Gründe. Einige dieser Gründe sind von Ihnen bereits vorgetragen worden: Die Beteiligung stärkt die Investitionskraft der Unternehmen, sie stellt ein flankierendes Element zur Stärkung der Altersvorsorge dar usw. Ich will mir ersparen, weitere Gründe zu nennen.
Entscheidend scheint mir etwas anderes zu sein, wozu es hier im Hause einen Konsens gibt. In dem Entschließungsantrag der Grünen heißt es:
Eine breite Streuung des Eigentums entspricht dem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft.
Sie entspricht aber nicht nur dem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft; vielmehr ist die breite Streuung von Vermögen und Eigentum eine unabdingbare Voraussetzung der sozialen Marktwirtschaft und darüber hinaus eine unabdingbare Voraussetzung für soziale und politische Stabilität.
Das ist der entscheidende Punkt. Hier stellt sich heraus, ob wir in diesem Haus einen Konsens haben, der darauf abzielt, die Verhältnisse zu ändern, oder ob es ein Konsens bloßer Lippenbekenntnisse ist. Wie Sie in den letzten Wochen und Monaten mit diesem Problem umgegangen sind, hat gezeigt, daß Sie einen Konsens der Lippenbekenntnisse und keine Veränderung in der Sache wollen. Ansonsten wären
Sie auf unsere Verhandlungsangebote nach dem 4. März rasch und zügig eingegangen.
Zwar könnte ich hier noch seitenlang über die Entwicklung der Einkommens-, der Vermögens- und der Eigentumsverhältnisse vortragen; doch ich erspare Ihnen das alles. Die Zahlen hierzu sind bekannt; sie sind im Fachausschuß diskutiert worden.
Ich möchte zusammenfassen: Im Nachkriegsdeutschland waren die Unterschiede, was den Vermögensbesitz, den Eigentumsbesitz und die Einkommensverhältnisse angeht, niemals so ungerecht wie heute, nach 16 Jahren konservativer Regierung.
Schon aus diesen Gründen wäre eine vermögenspolitische Korrektur dringendst überfällig gewesen, auch in Gestalt einer wirksamen Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Produktivkapital.
Abschließend möchte ich zum Abstimmungsverhalten der SPD-Fraktion folgendes sagen: Obwohl wir uns - Sie wissen das - für unseren Antrag eingesetzt haben, gehen wir davon aus, daß der Antrag der SPD-Fraktion angesichts der Mehrheitsverhältnisse in diesem Hohen Hause - bedauerlicherweise - keine Mehrheit erhalten wird, während der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion diese - bedauerlicherweise - finden wird. Der Entwurf der CDU/CSU-Fraktion ist - das haben wir auch in der ersten Lesung gesagt - mehr als nichts; er ist aber von so schweren Mängeln gekennzeichnet, daß für uns eine Zustimmung nicht in Frage kommt. Deshalb werden wir uns bei der Schlußabstimmung über Ihren Antrag enthalten.
Im übrigen haben Sie noch eine letzte Chance: Sie haben die Chance, im Vermittlungsausschuß doch noch zu einem Ergebnis zu kommen. Wenn Sie sich im Vermittlungsausschuß genauso borniert verhalten, wie dies in den letzten zwei Monaten in diesem Parlament der Fall gewesen ist, dann müssen Sie sich erst recht den Vorwurf gefallen lassen, aus reiner Wahlkampftaktik ein äußerst bedeutendes Thema schamlos zu mißbrauchen. Das wird Ihnen überhaupt nichts nutzen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Margareta Wolf.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Vogt, auch ich möchte es wie der Kollege Schreiner nicht versäumen, Ihre durchaus verdienstvolle Rolle in der Debatte um die Beteiligung am Produktivkapital und die Vermögensbildung explizit hervorzuheben. Nur,
Margareta Wolf
Sie sind doch auf die Nase gefallen; Sie wollten doch viel mehr, als in Ihrem Gesetzentwurf enthalten ist.
Sie haben vorhin gesagt, Ihr Gesetzentwurf erfülle die Vision einer Gesellschaft von Teilhabern. Das ist nicht so. Das gesamte europäische Ausland lacht über uns. Wir haben noch immer nicht die steuerliche Gleichstellung.
- Wenn Sie das jetzt so sagen, dann relativieren Sie Ihre Aussage.
- Sie sollten hier einmal reden und nicht ständig dazwischenrufen; das wäre für Sie, verehrter Herr Kollege, wirklich eine Herausforderung.
Tatsächlich ist die Beteiligung am Produktivkapital bei uns steuerlich benachteiligt. Es gibt keine Verzahnung von betrieblicher und privater Altersvorsorge; es gibt keine Rahmenbedingungen zum Aufbau eines Kapitalstocks, um die umlagefinanzierte Rente abzusichern, auch wenn wir uns das gewünscht hätten. Sie wissen das, und wir wissen das auch.
Da Sie Scherze darüber gemacht haben, meine Erziehung sei von Nell-Breuning geleitet worden: Ich bin das älteste von sieben Kindern und komme aus einer katholischen Familie. Ein Prinzip in der Erziehung durch meine Eltern war tatsächlich, für eine möglichst breite Beteiligung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern am Produktivkapital einzutreten. Ich denke, darüber gibt es keine Scherze zu machen, verehrter Herr Kollege.
Ich glaube, daß der heute zur Beratung anstehende Gesetzentwurf nur aus Wahlkampfzwecken in der Kernzeit debattiert wird, verehrter Herr Kollege Vogt. Sie wissen genau, daß im Rahmen der bestehenden Vermögensbildung das Ziel der Altersvorsorge zu stark vernachlässigt wird. Sie wissen zudem, daß die steuerlichen Rahmenbedingungen nach wie vor die Anlage von Geldern in Produktivvermögen benachteiligen. Das können Sie auch nicht durch kleine Anpassungen im Rahmen des Vermögensbildungsgesetzes aufheben.
Ich möchte Ihnen noch etwas vorlesen, verehrter Herr Kollege Vogt. Im „Handelsblatt" vom 13. August 1997 lesen wir in einem Kommentar:
Nierentische und Isetta haben den Charme der Wirtschaftswunderjahre. Obwohl in der gleichen Ara geboren, fehlt dem heute als 936-DM-Gesetz bekannten Sparmodell dieser Sex-Appeal.
Diesen Sex-Appeal erreichen Sie auch nicht, indem Sie jetzt im Rahmen dieses Gesetzes ein paar Mark drauflegen.
Ihr Gesetzentwurf macht deutlich, daß Sie ein Thema, das in der Tat das gesamtgesellschaftliche Gleichgewicht betrifft, zu Wahlkampfzwecken funktionalisieren. Darin lesen wir - Zitat -:
Individuelles Eigentum ist eine wesentliche Grundlage persönlicher Freiheit und Vorsorge und damit eine tragende Säule unserer Sozialen Marktwirtschaft. Eine breite Streuung des Eigentums ... festigt unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.
Richtig, absoluter Konsens. Aber wie sieht denn die Realität in diesem Lande aus? Es stimmt doch einfach nicht, daß sich die Verteilungssituation in diesem Land verbessert hat. Im Gegenteil, Herr Vogt und Herr Louven, und das wissen auch Sie.
Schauen Sie sich die gesamtwirtschaftlichen Daten an, Vergleich 1992 und 1997. Da sehen Sie: Bei einem Anstieg des Bruttoinlandsproduktes um 16,9 Prozent erhöhten sich die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen netto um 46,8 Prozent, die Lohn- und Gehaltssumme hingegen stieg nur um 3,1 Prozent. Die Zahl der Beschäftigten - das ist bekannt - ging dramatisch zurück, und trotzdem lag das Aufkommen aus veranlagter Einkommen-, Kapitalertrag- .und Körperschaftsteuer mit einem Minus von 6,9 Prozent unter dem Niveau von 1992. Das Lohnsteueraufkommen ist um 20 Prozent gestiegen. - Da können Sie doch nicht sagen, daß wir es mit einer Verteilungsgerechtigkeit zu tun hätten oder daß wir auf dem Weg seien, diese zu erreichen! Die Sachverständigen sagten Ihnen doch auch in der Anhörung, daß 80 Prozent des Produktivvermögens in der Hand von nur 3 Prozent der Bevölkerung liegen, daß heute 32 Prozent der Gewinne aus Kapitalanlagen lediglich 3 Prozent der Bevölkerung zugehen.
Deshalb sagen wir: Dieses Gesetz ist ein Placebo, weil es nicht die Beteiligung am Produktivkapital fördern wird. Diese können Sie nur fördern, wenn Sie eine Gleichstellung aller Anlageformen vornehmen, wenn Sie die Vorsorgeaufwendungen steuerlich absetzbar machen, wenn Sie die betriebliche und die private Vorsorge gleichstellen. Sie beziehen sich doch immer gerne auf Amerika und Großbritannien. Wenn Sie das in diesem Fall einmal täten, wäre ich wirklich sehr froh.
Man bezieht sich hier immer auf die Verbände, wie das nach einer Anhörung Usus ist. Die Verbände haben Ihnen in dieser Anhörung und mir und Frau Frick auch noch vor der Tür gesagt, der Gesetzentwurf sei unbefriedigend, er greife zu kurz, die vorgesehene Schaffung der zwei Fördertöpfe - lesen Sie sich die Stellungnahmen der BDA und des DIHT durch - sei abzulehnen, weil sie zu hohen administrativen Aufwendungen führe, im Vergleich zum Ist-Zustand seien die Rahmenbedingungen für die Beteiligung am Produktivkapital in Ihrem Gesetzentwurf
Margareta Wolf
schlechter geworden, und insgesamt fehle ein schlüssiges Konzept zur Stärkung der privaten und der betrieblichen Altersvorsorge. Für mich, verehrter Herr Kollege Vogt, sind die Stellungnahmen fast ausnahmslos eine resignativ, aber freundlich formulierte Ohrfeige.
Noch ein Wort zum Osten. Selbst wenn Sie für die Menschen im Osten eine maximale Förderung pro Person und Jahr von zusätzlich 40 DM bis zum Jahr 2004 vorsehen, so können Sie doch nicht wirklich glauben, daß man so den überdeutlichen Fehlentwicklungen im Osten entgegenwirken kann. Das wirkt wie ein zweites Begrüßungsgeld. Nach dem Wahlergebnis vom letzten Wochenende sollten Sie sich Gedanken darüber machen, welche metaphorischen und symbolischen Signale Sie tatsächlich in den Osten senden. Dieses ist für meine Begriffe kein gutes Signal.
Sehr geehrter Herr Kollege Vogt, Sie haben mich gefragt, warum wir Ihre Steuerreform abgelehnt haben. Sie wissen ganz genau, daß wir Ihre Steuerreform abgelehnt haben, weil sie nicht sozial gerecht ist und nicht die Transparenz hat, die wir uns gewünscht hätten, weil sie sich nicht aus sich selbst finanziert - Sie wollen eine Nettoentlastung von 30 Milliarden DM; das ist ein ungedeckter Scheck zu Lasten der nächsten Generationen - und weil zudem in ihr die Anlageformen steuerlich nicht gleichgestellt werden. Ich weiß, daß es zwischen Ihrem Steuerreformkonzept und unserem viele Parallelen gibt. Nur, wir lügen den Leuten nichts vor und verfahren nicht nach dem Motto: Aus der einen Tasche wird ihnen genommen, in die andere Tasche wird ihnen gegeben. Diese Umverteilung haben Sie ja bei der Mehrwertsteuer schon wieder exemplarisch vorgeführt.
Wir wollen eine sozial gerechte und transparente Einkommensteuerreform. Dann steigen die Nettolöhne in Deutschland, dann wird die Gerechtigkeitslücke geschlossen, und dann haben die Menschen endlich wieder genug Geld in ihrer Tasche, um tatsächlich eine Vorsorge zu betreiben, die diesen Namen auch verdient. Es besteht in diesem Hause überhaupt kein Zweifel darüber, daß wir eine Reform der Vermögensbildung brauchen und eine Brücke zwischen Kapital und Arbeit bauen müssen. Wir haben in unserem Einkommensteuerkonzept die Grundlagen für eine wirkliche Reform der Vermögensbildung gelegt.
Wir glauben, daß sich die Vermögensbildung mitnichten für Wahlkampfzwecke eignet. Wir müssen im Rahmen der Einkommensteuer die Möglichkeiten für eine wirkliche Vermögensbildung schaffen. Diese Rahmenbedingungen haben wir in unserem Entschließungsantrag in den Vordergrund gestellt. Wir rücken bei der Reform der Vermögensbildung die Funktion in den Mittelpunkt, die der Aufbau eines Vermögens für viele Menschen hat: Ihnen dient es als sicheres Polster für die Zukunft. Sie wissen doch selber, daß das 936-DM-Gesetz dazu geführt hat, daß sich die Leute die Mittel nach der Bindungsfrist haben ausschütten lassen und in Urlaub gefahren sind. Was das mit Vermögensbildung zu tun hat, verstehe ich nicht so recht. Ich sehe auch nicht, daß sich das ändert. Neue attraktive Formen der Vermögensbildung sind vor allem angesichts der zu erwartenden Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur und den Auswirkungen auf die Alterssicherung dringend geboten.
- Diesen Gag mit den Flugreisen kann ich nicht mehr hören. Wir haben uns davon distanziert. Das ist die Einzelmeinung einer Abgeordneten gewesen. Ich kann es nicht mehr hören.
- Das ist eine gute Idee, daß Frau Albowitz bei jedem Flug mehr bezahlt.
[BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Das Doppelte!)
Wir legen einen Vorschlag vor, der tatsächlich das klare Ziel verfolgt, die Altersvorsorge zu verbessern. Wir stellen die Beiträge
- Sie können hier gerne einmal zu einem Sozialthema reden, Frau Albowitz, das wäre wirklich ganz schön -,
die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für ihre Vorsorge abführen, bis zur Beitragsbemessungsgrenze in der Sozialversicherung von der Besteuerung frei. Hierzu zählen die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung wie auch private Aufwendungen für die Vorsorge. Insgesamt können so im Monat zirka 2 500 DM für die Vorsorge aufgewendet werden. Der Arbeitgeber kann die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dabei unterstützen. Werden Erträge aus einer Kapitalanlage thesauriert, das heißt: wieder angelegt und nicht entnommen, werden sie ebenfalls von der Besteuerung freigestellt, wenn sie nicht die Beitragsbemessungsgrenze überschreiten.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Wir beziehen die Vermögensbildung nicht nur auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Durch die Verankerung im Steuerrecht stellen wir Selbständige und abhängig Beschäftigte bei der Besteuerung gleich. So entwickeln wir die Vermögensbildung - das ist eine tatsächliche Reform - weiter und ergänzen das bisherige System der Alterssicherung, wie wir glauben, sinnvoll. Das glauben auch viele Verbände; sie haben uns das vor der Tür gesagt.
Wir glauben, daß die Bevölkerung in ihrem Bemühen, Vermögen aufzubauen, unterstützt werden muß und die umlagefinanzierte Altersvorsorge sinnvoll ergänzt werden muß. Um Existenzgründungen zu er-
Margareta Wolf
mutigen, stellen wir die Selbständigen gleich. Selbst Herr Herzog sagte ja gestern abend, daß die Rahmenbedingungen für Existenzgründungen in diesem Land nicht richtig gesetzt sind. So denke ich, daß wir mit dem Prinzip, daß wir auch Selbständige bei der Altersvorsorge steuerlich entlasten, tatsächlich mehr Existenzgründungen evozieren könnten.
Sie hatten tatsächlich 15 Jahre Zeit, Rahmenbedingungen für einen Brückenbau zwischen Kapital und Arbeit zu schaffen. Sie haben es nicht getan. Hierzu möchte ich Ihnen etwas sagen. Gabor Steingart hat neulich - es war, wie ich glaube, vor zwei Monaten - einen sehr schönen und spannenden Essay im „Spiegel" geschrieben. Dort heißt es: Wenn man die Rahmenbedingungen für die Beteiligung am Produktivkapital - ich meine jetzt die steuerliche Gleichstellung - Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre gesetzt hätte und sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit nur 2 Prozent ihrer Lohnerhöhungen am Produktivkapital der Betriebe beteiligt hätten, dann wären heute 365 Milliarden DM in der Hand von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und dann hätten Sie die Brücke zwischen Kapital und Arbeit und nicht eine „Deutschland AG". Man hätte nur 2 Prozent der Lohnerhöhungen in Produktivkapital investieren müssen, und wir wären heute in einer anderen Situation und auch vor dem Hintergrund der Globalisierung besser gerüstet, als wir das im Moment sind.
Meine Damen und Herren, Ludwig Erhard hat gesagt: Eine breite Streuung des Eigentums entspricht dem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft. Sie ist die Voraussetzung und die Grundlage, Herr Kollege Schreiner, sozialer Gerechtigkeit und wesentliche Voraussetzung für Sicherheit und Wohlstand breiter Bevölkerungsteile. Vielen Menschen dient ein Vermögen als sicheres Polster für die Zukunft, vor allen Dingen als Vorsorge für das Alter. Das wissen auch Sie.
Diesem Anliegen folgt unser Entschließungsantrag. Ich würde mich freuen, wenn Sie diesem Entschließungsantrag zustimmen könnten, verehrter Herr Kollege Vogt. Ich weiß, daß Sie das gleiche Ziel verfolgen. Sie konnten sich als CDA-Vertreter in Ihrer Fraktion jedoch nicht durchsetzen. Ihr Gesetzentwurf ist und bleibt ein Placebo. Sie bleiben zwar im rechtlichen Rahmen, aber Ihr Vorschlag stellt überhaupt keine Reform der Altersvorsorge und der Vermögensbildung dar. Er ist eine Geschichte, die Sie jetzt im Rahmen des Wahlkampfes hochzoomen. Normalerweise, wenn wir nicht im Wahlkampf wären, hätten wir donnerstags abends um 21 Uhr über diese Novelle gesprochen. Gut, jetzt sind wir im Wahlkampf.
Wir setzen auf Vermögensbildung, wir setzen auf steuerliche Gleichstellung der Anlageformen. Wir setzen auf die Verzahnung von betrieblicher und privater Altersvorsorge, und wir setzen auf steuerliche
Anreize, die die private Altersvorsorge stärken, um die umlagefinanzierte Rente zu sichern. Das ist ein Angebot, das die Jugend in unserem Land von uns erwartet. Sie glaubt nämlich nicht mehr daran, daß sie, die heute die Beiträge einzahlt, später entsprechende Renten bezieht.
Lesen Sie Meinhard Miegel, der sagt: Die umlagefinanzierte Rente allein ist ein Kapitalvernichtungsprogramm. Wir wollen deshalb hin zu einer zweiten Säule, die private Altersvorsorge heißt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Es spricht jetzt die Kollegin Professor Gisela Frick.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte zunächst einmal dem Kollegen Vogt meinen Respekt für seine jahrelange Arbeit im Bereich der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen aussprechen. Wir haben heute von Ihnen gehört, daß Sie bereits 1970 Ihre erste Rede zu diesem Thema gehalten haben. Ich verstehe daher um so weniger, warum heute von seiten der Opposition der Vorwurf gemacht wird, es handele sich bei dem vorliegenden Entwurf um ein billiges wahltaktisches Manöver.
Genau das zeigt doch, daß wir uns in der Koalition schon seit langer Zeit ernsthaft um dieses Thema bemühen. Wenn Sie sich die Koalitionsvereinbarungen vom Herbst 1994 ansehen, dann sehen Sie, daß das damals schon ein wesentliches Thema war, das wir in dieser Legislaturperiode angehen wollten. Das 50Punkte-Aktionsprogramm der Bundesregierung stammt aus dem Winter 1996.
Man kann doch nicht, wie es Frau Wolf gerade getan hat, sagen: Das ist ein Thema, das nur zu Wahlkampfzwecken hochgezoomt wird. Wir haben uns die ganze Legislaturperiode darum bemüht, und wir haben jetzt zum Ende der Legislaturperiode einen Gesetzentwurf zur Vermögensbeteiligung vorgelegt, der natürlich noch nicht die Lösung aller Probleme ist.
Wir als F.D.P. - das brauche ich nicht zu betonen - setzen natürlich auf das Eigentum als Grundlage der persönlichen Freiheit und der Altersvorsorge. Wir sind mit der derzeitigen Verteilung des Vermögens und des Einkommens keineswegs zufrieden. Von daher sind wir nicht der Meinung, daß der heute vorgelegte Gesetzentwurf schon die Lösung aller Dinge ist. Er ist aber ein guter Einstieg, und das ist von allen Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung am 1. April bestätigt worden.
Natürlich könnten auch wir uns mehr vorstellen. Wir könnten uns zum Beispiel vorstellen, daß die Berechtigung nicht nur auf die Arbeitnehmer konzentriert wird, sondern auf alle Bürger unseres Staates.
Gisela Frick
Wir könnten uns einen höheren Förderbetrag als 800 DM bzw. 1000 DM in den neuen Ländern vorstellen. Wir könnten uns durchaus auch eine höhere Sparzulage vorstellen. All das ist vorstellbar. Aber es muß in der derzeitigen Haushaltssituation auch machbar sein. Wir haben eben vom Kollegen Vogt schon gehört, daß das, was wir heute vorlegen, ein Volumen von ungefähr 1,1 Milliarden DM hat. Das ist wirklich mehr als nichts. Das ist in der heutigen Situation ein deutliches Zeichen dafür, wo wir unsere Prioritäten setzen wollen.
Von daher glaube ich, daß wir sehr gut beraten sind, wenn wir dem heute vorgelegten Entwurf zustimmen. Ich möchte noch einmal ausdrücklich an die beiden Oppositionsparteien SPD und Grüne appellieren, dies als ersten Einstieg schon einmal mitzutragen und hier jetzt keineswegs Maximalforderungen zu erheben.
Zunächst möchte ich aus Sicht der F.D.P. noch einmal auf die Steuerreform eingehen, weil die eigentlich vorher hätte kommen müssen. Wir haben es auch vorher gemacht. Wir haben im Sommer letzten Jahres vor der Sommerpause hier im Bundestag die große Steuerreform auf der Basis der Petersberger Beschlüsse beschlossen. Nur an der Blockadehaltung, insbesondere der SPD-Mehrheit im Bundesrat, ist es dann leider gescheitert, daß diese Steuerreform mit einer geplanten Nettoentlastung von 30 Milliarden DM und einer Absenkung des Tarifs über den gesamten Verlauf letztendlich im Gesetzblatt stand.
Es ist nicht wahr, wenn Sie immer sagen, wir wollten nur die hohen Einkommen entlasten. Unser Tarifverlauf sah einen Eingangssteuersatz nach dem steuerfreien Existenzminimum von 15 Prozent vor. Sie haben sich nicht getraut, diesen Satz vorzulegen, meine Damen und Herren von der SPD. Es wäre eine Entlastung gerade auch für die schwachen Einkommensgruppen gewesen. Das war für uns ganz entscheidend.
- Sie meinen das ironisch, aber wir meinen das ganz ernst. Eine echte Entlastung durch eine große Steuerreform schafft überhaupt erst die Spielräume für Vermögensbildung. Sie ist die Voraussetzung. Deshalb hätte die Steuerreform vorher kommen müssen. Aber, wie gesagt, es war mit Ihnen nun leider nicht zu machen.
Wir müssen das ganze Projekt jetzt auf die nächste Legislaturperiode verschieben, in der wir hoffentlich wieder die Regierungsverantwortung bekommen.
Wir sind da ganz optimistisch; denn die Wahl am 27. September wird unter anderem auch eine Entscheidung des Wahlbürgers über die vorgelegten Steuerpläne sein. Wir werden sehen, wie am 27. September letztendlich entschieden wird. Das werden wir nachher besprechen.
Jedenfalls werden wir, wenn wir die Regierungsverantwortung haben, diese Steuerreform am 28. September wieder vorlegen, weil wir von der Richtigkeit dieser Reform, der Richtigkeit der Nettoentlastung und des Tarifverlaufs, gerade auch im unteren Bereich mit den geringen Eingangsteuersätzen, überzeugt sind und weil wir überzeugt sind, daß dies die Voraussetzung für eine echte Vermögensbildung bei weiten Teilen der Bevölkerung ist.
Wenn Sie die Regierungsverantwortung bekommen sollten, was ich natürlich nicht hoffe, dann wird auch Ihnen nichts anderes übrigbleiben, als eine Steuerreform in etwa dem Sinne zu machen, wie wir sie jetzt vorgelegt haben. Die Weltbedingungen erfordern eine solche Reform. Nur durch sie ist ein gewisser Selbstfinanzierungseffekt zu erreichen, der letztendlich - davon bin ich fest überzeugt und auch meine Fraktion - sehr viel mehr Geld in die öffentlichen Kassen spülen wird, obwohl die Bürger und die Unternehmen eine Nettoentlastung erhalten werden. Sie werden sich daran nicht vorbeidrücken können. Da bin ich ganz sicher. Wir hätten die Steuerreform gerne zuerst gehabt, um überhaupt Spielräume für die Vermögensbildung zu schaffen.
Der Gesetzentwurf, den wir jetzt vorliegen haben, ist, wie ich eben schon gesagt habe, ein erster Einstieg. Aber - das hat auch die öffentliche Anhörung gezeigt - es ist ein Einstieg, der durchaus Sinn macht und uns voranbringt. Ich habe eben schon das Volumen von 1,1 Milliarden DM genannt. Ich komme noch ganz kurz zum Inhalt. Leider haben wir auf Grund der finanziellen Möglichkeiten den Kreis der Berechtigten nach wie vor auf die Arbeitnehmer beschränken müssen. Wir hätten es gerne anders gemacht. Aber an den Variablen konnten wir nur im Zuge des finanziell Machbaren schrauben. Wir haben, wie wir gehört haben, einen zweiten Förderbetrag von 800 DM in den alten und 1000 DM in den neuen Ländern. Wir haben die Anlagemöglichkeiten erweitert. Das ist eine indirekte Folge des Dritten Finanzmarktförderungsgesetzes, mit dem wir neue Anlageformen in das Kapitalanlagegesellschaftengesetz aufgenommen haben. Neue, moderne Anlageformen werden jetzt mit einbezogen - Stichwort: gemischte Fonds und Dachfonds. Wir haben also auch in diesem Bereich einiges getan.
Wir haben die entsprechende Förderzulage auf 20 Prozent erhöht. Wir haben - das ist für uns Liberale besonders wichtig - das Bausparen dadurch gestärkt, daß der erste Förderkorb mit einem Förderbetrag von 936 DM ausschließlich für das Bausparen reserviert wird. Das ist neu. Insofern handelt es sich um eine Stärkung und nicht um eine Schwächung des Bausparens.
Die Beteiligung am Produktivvermögen kommt als ein sogenannter zweiter Korb hinzu. Das ist in unseren Augen ein ganz wesentlicher Aspekt. Diese Regelung wird sicherlich angenommen werden. Die Sachverständigen haben uns in der Anhörung gesagt, daß hier genug Anreize gegeben sind, um davon Gebrauch zu machen.
Gisela Frick
Weiterhin haben wir § 19 a EStG erhalten. Ich habe in einem anderen Debattenbeitrag schon darauf hingewiesen, daß § 19a EStG nicht gerade eine sehr geglückte Vorschrift ist. Auch Professor Bareis kritisiert immer wieder, daß diese Norm trotz ihres Umfangs - ich habe einmal nachzählen lassen; es waren 2397 Wörter - letztendlich nur eine steuerliche Wirkung im Gegenwert einer Schachtel Zigaretten pro Monat produziert. Insofern ist § 19a EStG sicher nicht gerade ein Ruhmesblatt für unsere Gesetzgebung.
Wir haben aber schon gesagt, daß wir diese Regelung im Rahmen einer großen Steuerreform korrigieren werden. Wir wollen diesen Paragraphen nicht ersatzlos abschaffen - darauf hat der Kollege Vogt schon hingewiesen -, sondern wir werden uns eine andere Förderung einfallen lassen. Denn es ist natürlich sinnvoll, Mitarbeiter am eigenen Unternehmen zu beteiligen, weil dadurch die Verzahnung von Kapital und Arbeit sehr viel besser erfolgen kann und das Interesse der Mitarbeiter am Erfolg ihres eigenen Unternehmens noch einmal gestärkt und unterstützt wird. Der Sinn dieser Regelung wird daher von uns nicht bestritten. Aber die Regelung selbst könnte durch einfachere und bessere Lösungen ersetzt werden. Aber das behalten wir ausdrücklich der großen Steuerreform vor. Wir haben deshalb im Zusammenhang mit dem Dritten Vermögensbeteiligungsgesetz § 19 a EStG unangetastet gelassen. Das ist ein wichtiger Punkt.
Die zwei Punkte, auf die Sie, Herr Schreiner, hingewiesen haben und bei denen es noch einen offenen Dissens gibt, sind uns sehr wichtig. Ich glaube, daß wir nicht so nahe zusammenliegen, wie Sie das vermuten.
Der erste Punkt, den Sie erwähnt haben, behandelt die Einrichtung von Tariffonds. Wir sind der Meinung, daß solche tariflichen Einrichtungen, wenn sie auch dann - wie Sie es vorschlagen - gefördert werden sollen, wenn sie in obligatorischen Tarifverträgen vereinbart werden, ein Eingriff in die Dispositionsfreiheit unserer Bürger und auch der Unternehmer sind. Das ist mit unserer Vorstellung von Wahlfreiheit und Freiwilligkeit im Bereich der Vermögensbildung nicht zu vereinbaren. Für uns ist es ganz wichtig, die Wahlfreiheit zu erhalten. Vermögensbildung kann man nicht sozusagen mit der Peitsche erzwingen, sondern sie muß freiwillig geschehen. Deshalb ist der Grundsatz der Dispositionsfreiheit, der Wahlfreiheit, zu achten.
Der zweite Punkt ist die Insolvenzsicherung. Sie haben dazu aus Gutachten im Rahmen der öffentlichen Anhörung zitiert. Sie haben aber nur einen Teil zitiert. Sehr viel mehr Sachverständige haben darauf hingewiesen - das ist auch die Meinung der Liberalen -, daß eine Beteiligung am Unternehmenskapital immer eine Beteiligung am Risikokapital ist. Das ist gerade das Wesen einer solchen Beteiligung. Man kann sich selbstverständlich Gedanken über eine Absicherung der Insolvenz machen. Das doppelte Risiko wird von uns nicht geleugnet, insbesondere wenn es sich um eine Beteiligung der Mitarbeiter am eigenen Unternehmen handelt. Aber ich gebe grundsätzlich zu bedenken: Es handelt sich um eine Beteiligung am Risikokapital. Risiko bedeutet immer auch
Chance. Das hat sich gerade in den letzten Jahren gezeigt. Wenn Sie sich die Entwicklung der Aktienkurse ansehen, dann stellen Sie fest, daß in der Beteiligung sehr viele Chancen stecken. Jeder sagt, wenn wir beispielsweise eine Altersversorgung geschaffen hätten, die auf solchen Beteiligungsmodellen fußt - wir haben heute dazu schon Zahlen gehört -, dann wäre der Wert dieser Altersbeteiligung in den letzten Jahren deutlich gewachsen. Insofern sollten wir vielleicht nicht so sehr das Risiko der Insolvenz betonen, sondern mehr die Chance, die sich aus solchen Beteiligungsmodellen ergibt.
Entscheidend war für mich auch der Hinweis, daß solche Insolvenzsicherungen - Sie haben zum Beispiel die Vorstellung, so eine Art Pensionssicherungsfonds oder ähnliches zu schaffen - natürlich Geld kosten. Das heißt, dies schmälert dann wieder die gewünschten Erträge aus diesen Beteiligungen. Man muß dies sehr, sehr sorgfältig gegeneinander abwägen. Ich bin also von der Idee der Insolvenzsicherung nicht so überzeugt. Deshalb steht sie in unserem Gesetzentwurf im Moment auch nicht drin. Es handelt sich nur um einen verhältnismäßig kleinen Teilbetrag des Lohns, der in solche Beteiligungsmodelle fließen soll. Ich meine, daß man, wenn man Chancen und Risiken gegeneinander abwägt, durchaus die Chancen in den Vordergrund stellen kann und die Risiken nicht unbedingt absichern muß.
Die F.D.P. hätte sich allerdings gewünscht, daß in dem Dritten Vermögensbeteiligungsgesetz mehr Gewicht auf die Altersvorsorge gelegt worden wäre. Das war aber leider nicht mehr zu machen. Wir haben die Vermögensbeteiligung in den Mittelpunkt dieses Gesetzentwurfs gestellt. In der Anhörung haben wir gehört, daß Beteiligung am Produktivkapital, am Produktivvermögen, gleichzeitig immer auch Sicherheit bedeutet und damit auch ein Teil Altersvorsorge sein kann. Aber es ist eben nicht genug abgesichert, auch nicht durch entsprechend lange Bindungsfristen und ähnliches. Dazu hätten wir uns mehr gewünscht. Aber nachdem wir sagen, daß der heute vorliegende Gesetzentwurf nur ein Einstieg ist, sind wir guten Mutes, daß wir das Vorhaben zu Beginn der nächsten Legislaturperiode dann weiter ausbauen werden. Dabei wird für uns die Altersvorsorge ganz eindeutig im Mittelpunkt stehen.
Wir wissen alle, daß unser gesetzliches Alterssicherungssystem an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit gekommen ist. Die betriebliche Altersversorgung, die sogenannte zweite Säule, wird auch nicht mehr in dem Maße in Anspruch genommen, wie es wünschenswert wäre. Wir wollen - das habe ich schon im Plenum vorgetragen - insbesondere noch eine Erweiterung der Altersvorsorgemöglichkeit durch die Einrichtung von Pension funds nach angelsächsischem Vorbild. Wir haben darauf hingewiesen, daß das sowohl für die Risikokapitalbeteiligung als auch für die Sicherung für das Alter eine gute Sache wäre. Es wäre aber auch eine sehr gute Einrichtung, was den Finanzplatz Deutschland angeht. Denn dann könnten wir sehr viel Kapital sammeln, das auch in risikobehaftete Unternehmen investiert wer-
Gisela Frick
den könnte und dürfte. Das ist etwas, was uns für die Schaffung von Arbeitsplätzen heute fehlt.
Insofern meine ich, daß wir in der nächsten Legislaturperiode, aufbauend auf dem heute zu beschließenden Gesetz, sehr gut in der Lage sein werden, weitere Elemente der Altersvorsorge einzubeziehen. Das ist notwendig, und das werden wir mit sehr viel Energie betreiben.
Sie von der Opposition sollten sich diesem Gesetzesvorschlag deshalb nicht verschließen. Arbeiten Sie mit, daß der Vorschlag die Hürden des Bundesrates nimmt! Stimmen Sie heute zu! Ich finde Stimmenthaltung im parlamentarischen Verfahren sowieso immer ein bißchen traurig. Es ist zwar noch nicht die ganz runde, endgültige Lösung, aber es ist ein sehr guter Einstieg. Stimmen Sie heute zu, und versuchen Sie, Ihren Einfluß auf die Bundesratsmehrheit zu nehmen, damit dieses Gesetz nicht im Bundesrat scheitert. Das wäre dann nämlich ein wahltaktisches Manöver, und das fände ich für das gesamte Projekt Vermögensbeteiligung in Arbeitnehmerhand ausgesprochen schade.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Manfred Müller.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich wage zu bezweifeln, daß der vorliegende Entwurf für ein Gesetz zur Arbeitnehmerbeteiligung am Produktivvermögen ausreichen wird, um den katastrophalen Verlust an Glaubwürdigkeit und Wählerstimmen der Regierungskoalition aufzuhalten.
Eines steht zweifelsfrei fest: Die immer ungerechter werdende Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums wird dieser Entwurf nicht aufhalten. Was Sie hier eingebracht haben, eignet sich nicht einmal zum Abbremsen der Jahr für Jahr eintretenden Verteilungsverluste. Das wäre doch das mindeste, was man von einem Gesetz zur Vermögensbildung erwarten kann. Wenn es schon keine gerechte Vermögensverteilung herstellen kann, dann sollte es doch zumindest geeignet sein, den Status quo zu erhalten.
Das alles tut der Gesetzentwurf nicht. Die seit Ihrer Regierungsübernahme jährlich eintretenden Einkommensverluste der abhängig Beschäftigten sind um ein Vielfaches größer als deren jährliche Vermögensbildung. Daran wird sich nichts ändern. So ist das Volkseinkommen im vergangenen Jahr im Schnitt zwar um 2,7 Prozent gestiegen. Aber nach Angaben des DGB mußten die abhängig Beschäftigten bei den Nettoeinkommen ein Minus von 0,4 Prozent hinnehmen. Die durchschnittliche Erhöhung des Volkseinkommens um 2,7 Prozent errechnet sich nahezu ausschließlich aus der enormen Erhöhung der Nettogewinne um 10,4 Prozent. Aus diesem Zurückbleiben der Arbeitnehmereinkommen errechnet sich für 1997 ein Verteilungsverlust von rund 66 Milliarden DM.
Was haben Sie dem entgegenzusetzen? - Eine lächerliche Förderung der jährlichen Vermögensbildung in Höhe von höchstens 1,2 Milliarden DM. Seit Ihrem Regierungsantritt verschlechtert sich die Verteilungsposition der Arbeitnehmer jährlich um einen Betrag zwischen 30 und 60 Milliarden DM. Angesichts dessen wollen Sie mit einer lächerlichen Sparförderung in Höhe von 1,2 Milliarden DM eine gerechte Verteilung des Produktivvermögens erreichen?
Wie lächerlich dieser Betrag ist, kann man schon der Tatsache entnehmen, daß Sie durch den Erlaß der Vermögensteuer den wirklich Vermögenden in diesem Land jährlich nicht 1,2 Milliarden sondern 9,3 Milliarden DM schenken.
Ich könnte mich damit noch abfinden, wenn Ihre Vorlage mit dem so anspruchsvollen Titel nichts als Wahlkampfgetöse wäre. Aber es ist viel schlimmer: Das sogenannte Vermögensbildungsgesetz ist ein bewußtes Täuschungsmanöver, mit dem Sie davon ablenken wollen, daß Sie seit 16 Jahren eine schamlose staatliche Reichtumspflege betreiben.
Sie fördern die Vermögensbildung nämlich bei den 3 Prozent der Bevölkerung, die bereits jetzt 80 Prozent des Produktivvermögens besitzen. Sie haben das Kunststück fertiggebracht, daß die Nettoeinkünfte aus Gewinnen und Vermögen inzwischen regelmäßig stärker steigen als die Bruttogewinne.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vorgestern konnte man in der „Frankfurter Rundschau" einen bemerkenswerten Satz lesen:
Der Großteil der deutschen Arbeitnehmer hatte in der jüngsten Vergangenheit wenig zum Lachen.
Bemerkenswert ist dieser Satz, weil er aus dem arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft stammt. Wenn das schon die Arbeitgeberverbände sagen, muß eine solche Feststellung aufhorchen lassen.
In der Tat kommt die bereits oben erwähnte Untersuchung des DGB zu dem Schluß, daß der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen den niedrigsten Stand seit Bestehen der Bundesrepublik erreicht hat. Sogar die reale Kaufkraft der Arbeitnehmereinkommen lag im vergangenen Jahr um 1 Prozent unter dem Niveau von 1980. Seit einigen Wochen ist es nach den Veröffentlichungen der Deutschen Bundesbank auch kein Geheimnis mehr, daß die abhängig Beschäftigten 1997 erstmals in der Bundesrepublik einen realen Einkommensverlust hinnehmen mußten und Deutschland das einzige Land in der OECD ist, in dem 1997 die Lohnstückkosten sanken.
Das alles sind Tatsachen, die man einfach zur Kenntnis nehmen muß, wenn man hier über eine gerechtere Verteilung des Produktivvermögens spricht. Denn wie sollen die abhängig Beschäftigten aus eigener Ersparnis Vermögen bilden, wenn ihre Real-
Manfred Müller
einkommen sinken? Wie soll die ungerechte Verteilung des Produktivvermögens aufgehalten werden, wenn die Arbeitseinkommen heute unter dem Niveau von 1980 liegen, aber die Nettogewinne im gleichen Zeitraum um sage und schreibe 119 Prozent gestiegen sind?
Herr Vogt, Sie haben gesagt, daß 1983 die Weichen für die Vermögensbildung neu gestellt worden sind. Da haben Sie vollkommen recht. Aber sehen Sie sich die Zahlen an, die ich eben vorgetragen habe: im Vergleich zu 1980 eine Steigerung der Nettogewinne um 119 Prozent bei gleichzeitigem Sinken der Reallöhne. Da haben Sie völlig recht. Aber die Weichen sind in die falsche Richtung gestellt worden.
Eine gerechte Verteilung des Produktivvermögens, mit dem die Antragsteller ihr Drittes Vermögensbeteiligungsgesetz begründen, ist ohne eine Umkehr bei der Primärverteilung unmöglich. Eher zieht sich der berühmte Baron von Münchhausen am eigenen Schopf selber aus dem Sumpf, ehe sich die Arbeitnehmer bei sinkenden Realeinkommen in das gleichzeitig explodierende Produktivvermögen einkaufen können. So ist die Meinung des unternehmernahen Wirtschaftsinstituts in seiner Stellungnahme.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Arbeitnehmer hatten in der Vergangenheit wirklich wenig zum Lachen; Grund zum Zorn haben sie dagegen zur Genüge. Dieser Zorn wird sich morgen, am 1. Mai, auf den DGB-Kundgebungen breiten Raum verschaffen, und es wird deutlich werden, daß der DGB mit der laufenden Kampagne „Für Arbeit und soziale Gerechtigkeit" die richtige Aussage gefunden hat.
Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, daß der Bundesregierung und den Regierungsparteien diese DGB-Kampagne nicht gerade gelegen kommt.
Aber ich habe nicht das mindeste Verständnis für Ihre unqualifizierten Angriffe gegen die Gewerkschaften, indem Sie ihnen einseitige Parteinahme für die Opposition vorwerfen.
Die Gewerkschaften werden von unserer Verfassung nicht geduldet, vielmehr haben sie einen von der Verfassung vorgegebenen Auftrag. Sie sind eine Säule des Sozialstaats und haben diesen zu verteidigen, wenn er von der herrschenden Regierung bis auf die Grundmauern geschliffen wird. Wenn diese Bundesregierung 16 Jahre lang eine schamlose Umverteilung von unten nach oben vornimmt, wenn diese Regierung einen hemmungslosen Sozialabbau
betreibt, um angeblich die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, und wenn dann das Ergebnis nicht weniger, sondern mehr Arbeitslose sind, spätestens dann ist für die Gewerkschaften der Zeitpunkt gekommen, offen für eine andere Politik in diesem Lande einzutreten.
Das, was der DGB da macht, ist keine Parteinahme für die Opposition,
sondern eine Parteinahme für die abhängig Beschäftigten, die Arbeitslosen und die Millionen Ausgegrenzten, die die herrschende Politik - Ihre Politik - bereits abgeschrieben hat. Dabei kann man ruhig ein bißchen lauter werden.
Aber - das scheint mir besonders wichtig - es ist auch eine Parteinahme für die Demokratie. Vor weniger als einer Woche haben sich in Sachsen-Anhalt fast 13 Prozent der Wählerinnen und Wähler für die fremdenfeindliche, rassistische und demokratiefeindliche DVU entschieden. Ich möchte ausdrücklich betonen, daß Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit keine Entschuldigung für den Rückfall in die Demagogie der braunen Barbarei sind.
Aber wir müssen uns wohl wieder darüber klar werden, daß die Demokratie eine soziale Basis braucht. Wo die Demokratie unfähig ist, der extremen Profitjagd soziale Grenzen zu setzen,
da darf man sich nicht wundern, wenn die extreme Rechte Morgenluft wittert.
- Wissen Sie; ich habe schon über so viele Tarifverträge über die sogenannte Vermögensbildung verhandelt und habe sie unterschrieben, daß Sie mir keine Belehrungen über soziale Marktwirtschaft erteilen müssen.
Auch ich halte das für einen richtigen Weg. Aber er muß in eine Steuerpolitik und in eine Verteilungspolitik eingebettet sein, die die Reichen nicht immer reicher und die Armen nicht immer ärmer macht.
Dann hat eine Vermögensbildung über Tarifverträge, so wie sie hier vorgeschlagen worden ist, einen Sinn. Ansonsten ist sie wie eine weiße Salbe, die die skandalöse Reichtumsverteilung zukleistern soll.
Manfred Müller
Wo die Demokratie unfähig ist, der extremen Profitjagd soziale Grenzen zu setzen, darf man sich nicht wundern, wenn die extreme Rechte Morgenluft wittert. Die Demokratie kann nur als soziale Demokratie überleben. Aber Sie haben das Wort „sozial" so sehr aus den Erfahrungen der Menschen getilgt, daß die Demokratie selbst in Gefahr geraten kann.
An dieser negativen Erfahrung von Millionen Menschen werden Sie mit Ihrem angeblichen Vermögensbeteiligungsgesetz nichts ändern, im Gegenteil: Dieser Entwurf ist angesichts der bestehenden sozialen Spaltung nicht nur unzureichend; er ist eine Provokation.
Das Wort hat jetzt der Arbeitsminister Norbert Blüm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da Parlamentsdebatte auch Dialog ist, will ich gleich mit einer Rückfrage an Ihre Rede, Herr Kollege Müller, anschließen. Wieviel Beteiligung am Produktivkapital hatten die Arbeitnehmer in der DDR?
- Ja, null. Sie waren so beteiligt, wie ich früher an der Deutschen Bundesbahn beteiligt war. Da war ich auch Miteigentümer.
- Oder beim Finanzamt. Da bin ich auch Miteigentümer.
Ich muß das Thema 1. Mai kurz aufgreifen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage als jemand, der seit 50 Jahren Mitglied der IG-Metall ist, also Beitrag zahlt: Für die 8 Millionen DM, die der DGB für den Wahlkampf einsetzt, hätte ich drei bessere Vorschläge: Erstens. Die Betriebsrente der DGB-Beschäftigten nicht abbauen.
Zweitens. Nicht 600 Arbeitsplätze abbauen und dann Einstellungen verkünden.
Drittens. Wenn dem DGB gar nichts mehr einfällt, sollte der DGB Lehrlinge einstellen.
Nun zum Thema Vermögensbildung. Meine Damen und Herren, für mich ist das Gesetz mehr als nur ein Gesetz über Geld, Zulagen und Einkommensgrenzen. Dieses Gesetz hat für mich drei wichtige Gründe. Der erste ist ein ordnungspolitischer Grund: Eine Arbeitnehmergesellschaft zur Gesellschaft der Beteiligten weiterzuentwickeln ist der Sinn der Beteiligung der Arbeitnehmer an der Vermögensbildung.
Das ist mehr, als nur Geld zu verteilen. Dahinter steht eine Idee.
Der zweite Grund ist ein verteilungspolitischer: Die Tarifverträge erhalten neue Handlungsräume und Gestaltungsmöglichkeiten.
Der dritte Grund ist ein sicherungspolitischer: Die Solidarsysteme werden durch privates Eigentum ergänzt.
Hinter allen drei Gründen verbirgt sich eine Vorstellung davon, wie die Gesellschaft der Zukunft aussehen soll. Karl Marx hat den Arbeitsvertrag als Tauschvertrag attackiert, der die Arbeit zur Ware degradiert. Nun wird niemand bestreiten, daß sich der Arbeitsvertrag inzwischen weiterentwickelt hat, daß er Sozialbezüge aufgenommen hat. Aber in seiner Grundstruktur ist er immer noch ein Tauschvertrag: Arbeit für Lohn oder Lohn für Arbeit. Eine Gesellschaft von Miteigentümern würde den Arbeitsvertrag zu einem echten Gesellschaftsvertrag weiterentwikkeln. Das ist die Überwindung dessen, was Karl Marx attackiert hat. Das ist unser Ziel.
In unserer Gesellschaft wird immer nach Visionen gefragt. Wahrscheinlich ist der Bedarf an Visionen um so größer, je härter die Sachzwänge werden.
- Langsam! Sie haben sich heute doch als Antipolemiker geoutet. Bleiben Sie doch Ihrem eigenen guten Vorsatz treu! - Ich finde, daß gerade in Zeiten großer Zwänge Phantasie gefragt ist. Die Phantasie, neue Handlungsfelder für eine freiheitliche Gesellschaft zu finden, landet oft im Nirwana der Utopie. Oder es gibt Resignation: Jeder sorgt für sich selber. Was wir hier vorschlagen, ist nicht die abstrakte Vision eines Paradieses, noch ist es die Politik „Jeder sorgt für sich selber", sondern die konkrete Utopie einer Gesellschaft der Beteiligten.
Wir müssen, Schritt für Schritt das Projekt der Beteiligtengesellschaft verwirklichen. Beteiligtengesellschaft ist auch im Zeitalter der Globalisierung ein wichtiges Ziel. Jener Standort wird die besten Voraussetzungen haben, dessen Arbeitnehmer am stärksten motiviert sind. Miteigentum ist auch eine Motivationsgrundlage.
Karl Marx hat die klassenlose Gesellschaft verkündet, Ludwig Erhard hat die klassenlose Gesellschaft zum Ziel erklärt. Sie hatten nur zwei unterschiedliche Wege. Die klassenlose Gesellschaft nach Karl Marx bedeutet: Keiner hat Eigentum. Die klassenlose Gesellschaft Ludwig Erhards bedeutet: Jeder hat Eigentum. Das ist der Unterschied.
Damit wir uns darüber nicht streiten, will ich zur Verteilungsgerechtigkeit feststellen, daß die Vermögensverteilung in der Bundesrepublik Deutschland
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
nicht befriedigend ist. Die Zahl hinsichtlich des Produktivkapitals ist genannt worden: 3 Prozent besitzen 80 Prozent des Produktivkapitals. Das kann nicht das Spiegelbild von Leistungsgerechtigkeit sein.
Ich will festhalten, daß wir nicht rückwärts marschiert sind: 1962 hatten 38 Prozent der westdeutschen Haushalte Grundvermögen; heute sind es 50 Prozent. 1962 traf dies auf 31 Prozent der Arbeitnehmer zu; heute gilt es für 52 Prozent. Die Hälfte der privaten Haushalte besitzt Wertpapiere. Das ist alles kein Grund, um zufrieden zu sein. Aber ich will, wie der Kollege Vogt, darauf aufmerksam machen: Als wir 1982 die Regierung übernahmen, waren 2 Prozent der vermögenswirksamen Leistungen im Beteiligungssparen angelegt; heute sind es 10 Prozent.
Das ist immer noch zuwenig, aber wir sind einen Schritt vorangekommen. Größere Schritte müssen folgen.
Solange die Tarifpolitik nur den konsumtiven Teil des volkswirtschaftlichen Ergebnisses ins Auge faßt, ist sie immer zweiter Sieger. Da kann sie machen, was sie will. Wenn sie den Spielraum überschreitet, kommt es entweder zu Preissteigerungen oder zu Entlassungen. Eine Tarifpolitik ohne investive Beteiligung ist ein gefesselter Riese: Er ist entweder gefesselt durch das Bestreben, Inflation zu vermeiden - was haben Arbeitnehmer von Lohnerhöhungen, die durch Preissteigerungen wieder aufgefressen werden? -, oder er ist gefesselt durch die Gefahr sinkender Beschäftigung.
Insofern ist dieser Gesetzentwurf auch ein Angebot an die Tarifpartner, neue Chancen zu nutzen. Die Tarifpolitik wird auf den alten Gleisen nicht mehr so spektakulär verlaufen. Neue Spielräume schaffen auch eine neue Akzeptanz der Tarifpolitik und zeigen, daß wirtschaftliche Notwendigkeiten und soziale Erfordernisse keine Gegensätze sind, daß dieses Gesetz den Unternehmen helfen - Verbreiterung der Kapitalbasis - und genauso Arbeitnehmern zugute kommen wird.
Ein Investivlohn könnte auch das überwinden, was Oswald von Nell-Breuning einmal den „Abfindungslohn" genannt hat. Eine investive Ertragsbeteiligung könnte auch die Lohnpolitik mit neuen Chancen versehen. Ein Festlohn, der im voraus vereinbart wird, und daneben ein ertragsabhängiger Investivlohn - das wäre ein Kombi-Lohn ganz neuer Art und würde die Ängste beider Seiten, über den Tisch gezogen zu werden, entkrampfen. Also, wer sagt, wir hätten keine Ideen? Das ist eine neue Idee. Nur brauchen wir nicht diejenigen, die Ideen besprechen, sondern diejenigen, die sie umsetzen.
Für jährlich bis zu 800 DM erhöhen wir die Förderung des Beteiligungssparens auf 20 Prozent. Hier setzen wir einen Akzent. Tarifverträge, die auf Bausparen und Beteiligungssparen abstellen, können
diese erhöhte Förderung bis zu 800 DM in Anspruch nehmen. Für die neuen Länder gilt ein höherer Höchstbetrag - eine Folge der DDR-Wirtschaft: Der Sozialismus hat in bezug auf Eigentum Arbeitnehmer mit leeren Händen hinterlassen. Das ist das Ergebnis des Sozialismus.
Ich habe als Punkte bis jetzt genannt: Ordnungspolitik - Gesellschaft der Beteiligten; Verteilungspolitik - neue Spielräume für die Tarifpartner, neue Chancen für die Gerechtigkeit. Der dritte Punkt ist: soziale Sicherheit.
Das unverzichtbare Solidarsystem kann und muß durch private Vorsorge ergänzt werden. Eigentumsbildung - Beteiligung am Produktivvermögen, Wohnungseigentum - ist eine elementare Ergänzung der Solidarsysteme. Ein Rentner mit einer eigenen Wohnung steht sich besser als ein Rentner ohne eigene Wohnung, weil er keine Miete zahlen muß, selbst wenn der ohne eigene Wohnung eine höhere Rente hat. Das ist ganz handfest!
Hinzukommen müssen eine betriebliche Altersversorgung und eine private Altersvorsorge. Wir wollen in der nächsten Legislaturperiode auch dieses Feld ordnen. Hätten wir die Steuerreform durchgebracht, hätten wir es jetzt schon machen können. Es ist nicht an uns gescheitert. Die Grundidee ist: Sparen nicht nur für den Konsum. Es sei jedem gegönnt, daß er für ein Auto spart. Nur, zur Alterssicherung trägt das Auto nicht bei.
Es muß auch für die Sicherheit im Alter gespart werden - Sicherheit, die nicht nur auf Arbeitnehmer beschränkt bleiben darf, sondern für alle Bürgerinnen und Bürger anzustreben ist.
Die Einkommensgrenzen werden erhöht, wobei ich darauf aufmerksam mache, daß sich die Einkommensgrenzen, die genannt wurden - für Verheiratete steigt die Grenze von 54 000 auf 70 000 DM -, auf das zu versteuernde Einkommen beziehen, so daß die Bruttobeträge höher sind, nämlich jetzt 41 000 DM für Alleinstehende bzw. 80 000 DM für Verheiratete.
Meine Damen und Herren, wir müssen die Diskussion von der Höhe der Philosophie wieder auf den Boden der Tatsachen bringen.
- Reizen Sie mich nicht! Sie sind doch die Partei der Ideologie. Bringen Sie den Schröder einmal auf den Boden der Tatsachen zurück! Der ist doch Tag und Nacht in Wolkenkuckucksheim daheim.
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Ich versuche hier, die hohen Absichten in handfeste Ergebnisse umzuwandeln: 800 DM Höchstbetrag mit 20 Prozent Förderung würden nach sieben Jahren 7 000 DM, nach 25 Jahren - 6 Prozent Zinseszins mit eingerechnet - 50 000 DM ergeben. Das ist ein Schritt - ich sage nicht, die Lösung aller Probleme - im Sinne von Fortschritt. Konkret ist es nicht die heiße Luft Ihrer Erklärungen, sondern handfester Fortschritt.
Kollege Schreiner, wenn Sie das Gesetz mit über einer Milliarde DM Förderung durch den Staat ablehnen, dann müssen Sie den Arbeitnehmern erklären, warum Sie auf eine Milliarde DM verzichten - nur damit der CDU/CSU-F.D.P.-Vorschlag nicht durchkommt.
Wenn Sie das machen, auf eine Milliarde DM zu Lasten der Arbeitnehmer verzichten, dann sagen Sie noch einmal, wir würden Wahlkampftaktik machen! Dann sind Sie nämlich diejenigen, die um der Konfrontation willen einen Fortschritt für die Arbeitnehmer verhindern. Das tragen wir dann aus.
Was die Steuerfreistellung anbelangt - ein großes, kompliziertes Thema -, kann ich den sozialpolitischen Sinn nicht erkennen, wenn man die Lohnsteuerpauschale auf das Beteiligungssparen ausdehnt, denn von der Lohnsteuerpauschale haben die höheren Einkommensbezieher etwas. Ich habe ja nichts dagegen. Nur, wer wie Sie und wie ich auch an diejenigen denkt, die nicht aus eigener Kraft Vorsorge schaffen, der muß doch den Akzent bei anderen setzen, bei der Verkäuferin mit 1 800 DM Monatslohn. Da hilft auch nicht die Rede von der Selbstvorsorge. Sie muß unterstützt werden, damit sie selbst auch vorsorgen kann.
So habe ich übrigens Subsidiarität immer verstanden. Das wird manchmal mit Eigenvorsorge übersetzt. Das halte ich für einen Kurzschluß.
„Hilfe zur Selbsthilfe" - Subsidiarität stammt von dem Begriff „subsidium" ab. Diejenigen zu unterstützen, die es aus eigener Kraft nicht schaffen, das ist ein Gebot der Subsidiarität. Das ist Ziel dieses Gesetzes und sicherlich auch der steuerlichen Maßnahmen, die wir hoffentlich in der nächsten Legislaturperiode - in dieser haben wir es nicht geschafft - schaffen werden.
- Sie brauchen nicht amen zu sagen, Herr Fischer, es wäre gut, wenn Sie ja sagen würden. Amen brauchen Sie nicht zu sagen, ja müssen Sie sagen!
Eine Kultur der Selbständigkeit begreife ich nicht nur arbeitsrechtlich, finanz- und steuerrechtlich. Ich begreife sie als eine Kultur des Selbstbewußtseins von jedermann, daß er oder sie Herr seiner eigenen Lage ist. Das ist nicht nur eine wirtschaftliche Kategorie. Selbständigkeit der Arbeitnehmer in Betrieben bedeutet, Mitverantwortung zu übernehmen. Selbständigkeit bedeutet auch, Miteigentümer zu werden und nicht immer auf andere angewiesen zu sein. Insofern glaube ich, daß es ein Beitrag zur Weiterentwicklung unserer Gesellschaft ist.
Der Sozialismus ist passé. Aber es wäre ein Trugschluß, jetzt vom Ende der Geschichte zu sprechen.
Es wäre auch ein Irrtum, zu glauben, unsere Gesellschaft würde nicht unter Rechtfertigungszwängen stehen - Rechtfertigungszwänge einer freien und gerechten Gesellschaft.
Ich will auch Wolfgang Vogt danken. Er hat von den „großen Bohrern" gesprochen. Ich hoffe, Wolfgang Vogt, daß wir auch in der nächsten Legislaturperiode kräftige Mitkämpfer haben, so wie du einer warst, für eine gerechte Gesellschaft, für eine Gesellschaft der Mitbeteiligten. Ich bin wie du stolz darauf, daß die Idee des Miteigentums eine ureigene Idee der christlichen Soziallehre ist: nicht im Himmel und im Jenseits, sondern hier und jetzt. Insofern ist das ein guter Tag, auch für die christlich-soziale Bewegung.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Manfred Müller.
Herr Minister! Ich sage ausdrücklich als Gewerkschafter: Lieber Kollege Blüm! Sie haben mich dafür kritisiert, daß ich mich nicht mit der Eigentumsverteilung in der früheren DDR befaßt habe. Das war heute nicht Aufgabe, sondern ich als Mitglied eines Teils der Opposition in diesem Hause habe mich mit dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung auseinandergesetzt. Aber ich würde Ihnen raten, Herr Minister, diesen Hinweis auf die Verteilung in der früheren DDR, auf den Anteil der Arbeitnehmer an ihren Betrieben, nicht so hämisch zu sehen.
Ich war vor drei Wochen auf einer Betriebsversammlung von ABB, einem der wenigen Industriebetriebe in meinem Wahlkreis. Die produzieren Turbinen für den Weltmarkt. Früher hießen sie Bergmann-Borsig, dann war es ein volkseigener Betrieb. 1990 waren noch 4 500 Menschen dort beschäftigt, und die Produkte waren auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig. Die Belegschaft gehörte zu den ersten, die gesagt haben: Wir wollen jetzt soziale Marktwirtschaft. Sie haben sich selber um einen westdeutschen oder westeuropäischen Investor bemüht. Sie fanden ihn in ABB. ABB hat allerdings mehrere Produktionsstätten - nicht nur in der übrigen Welt, sondern auch in Deutschland.
Kurz nach Weihnachten haben nun die Arbeitnehmer aus der Presse erfahren, daß zugunsten des Standorts Mannheim die Produktion in Berlin eingestellt werden soll. Wenn Sie eine derartige Äußerung, wie Sie sie hier mir gegenüber vorgebracht haben, auf dieser Betriebsversammlung gemacht hätten,
Manfred Müller
dann hätten Sie von denen gehört: Bevor wir den letzten Menschen aus der Produktion entlassen müssen, setzen wir uns lieber mit einer Verbesserung der Zustände auseinander, die wir früher in der DDR hatten. Wir hatten in der DDR Arbeit, wir hatten soziale Sicherheit, wir hatten eine Perspektive.
Wenn Sie das in Gegensatz zu den Eigentumsverhältnissen stellen, wird möglicherweise die Diskussion neu beginnen, ob diese Gesellschaftsordnung hier überhaupt noch geeignet ist, die Bedürfnisse der Menschen, die Arbeit haben und Arbeit haben wollen für sich und ihre Kinder, zu befriedigen. Dann wird diese Diskussion ein ganz anderes Ergebnis haben, als es die Menschen in der DDR 1989 für sich gefunden haben. Da wäre ich also nicht so hämisch, wie Sie es heute mir gegenüber zu sein versucht haben.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Minister.
Herr Kollege Müller, Sie stimmen mir doch zu, daß im Geheimbericht der SED im Oktober 1989 stand, daß die DDR-Wirtschaft - einschließlich der Betriebe, die Sie genannt haben - vor dem Bankrott stehe. Insofern wäre es mit der Beschäftigung in der DDR nicht so weitergegangen, weil das ganze System ruiniert war.
Weil wir eine Gesellschaft der Mitte einführen, weil wir nicht wollen, daß ein paar Aktionäre allein über Betriebe entscheiden, gerade deshalb sind wir für eine Gesellschaft der Beteiligten. Das ist der Unterschied zum alten Kapitalismus.
Als nächster in der Debatte der Kollege Hans Urbaniak.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Minister Blüm hat den Deutschen Gewerkschaftsbund angegriffen wegen seiner Aktion im Kampf um soziale Gerechtigkeit und der Aufforderung, sage ich mal - man sollte sich das Plakat genau ansehen -, den Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung die Zähne zu zeigen. Denn was sollen die denn eigentlich anderes machen!
Sehen Sie sich die Situation in unserem Lande an: die meisten Sozialhilfeempfänger, die es jemals gegeben hat, die höchste Arbeitslosigkeit, die negativste Entwicklung bei den Nettolöhnen, ein Pleitenrekord, den - leider, sage ich - die Sachverständigen für 1998 voraussagen, Zunahme der Armut, das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit wird nicht gelöst, Hoffnungslosigkeit breitet sich aus, Jugendarbeitslosigkeit als drängendes Problem, Ausbildungsplatzdefizit und eine Steuerreform, die auch noch die Belastung von Nacht- und Sonntagsarbeit bei den Arbeitnehmern vorsieht. Da muß doch eine Gewerkschaft protestieren und sagen, daß es so nicht weiter-
gehen könne, weil der Konsens in dieser Gesellschaft zerstört wird, meine Damen und Herren.
Hier liegen für mich die größten Probleme überhaupt, wenn wir über Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand reden.
Des weiteren hat Norbert Blüm auf Gerhard Schröder verwiesen, und er wurde durch sechs Worte von ihm völlig durcheinandergebracht. Erst sagte Schröder: „Wir sind bereit!" Da waren Sie schon ganz erschrocken. Dann hat er noch etwas aus Ihrer Sicht ganz Schlimmes gesagt: „die neue Mitte". Da sind Norbert Blüm und die F.D.P. fast verrückt geworden.
Ich erwähne diese sechs Worte nur, weil sie zeigen, wohin die Sozialdemokraten wollen und was sie auch auf dem Felde der Vermögensbildung gestalten wollen. Das alles sind praktische Vorschläge, die mit Ideologie überhaupt nichts zu tun haben.
Nehmen wir die Ausgangslage, wie sie uns gegenwärtig berichtet wird: In einer Pressemitteilung heißt es:
Der große Teil der deutschen Arbeitnehmer hat in der jüngsten Vergangenheit wenig Anlaß zum Lachen.
Dieser Satz stammt nicht etwa von den Gewerkschaften, sondern vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft. Dann wird festgestellt: Tatsächlich sorgt die staatliche Umverteilungspolitik dafür, daß bei den Arbeitnehmern zuletzt aus einem kleinen Plus von 0,9 Prozent beim Bruttolohn netto ein Minus von 0,4 Prozent wurde. Dagegen stiegen die Gewinne der Unternehmen laut Deutschem Gewerkschaftsbund um fast 11 Prozent.
Diese Tatbestände müssen Sie als Ergebnis Ihrer Politik zur Kenntnis nehmen. Gegen diese Politik muß man doch ankämpfen; denn Sie treffen damit die breiten Schichten der Bevölkerung und insbesondere die Arbeitnehmer, die ja zusammen mit ihren Gewerkschaften bereit waren, das „Bündnis für Arbeit" mit Ihnen einzugehen, das Sie so schmählich zerstört haben. Wer ein solches Bündnis in Frage stellt, kann nicht erwarten, daß er von den Gewerkschaften bejubelt wird. Das Gegenteil ist der Fall.
Es ist auch richtig, daß sich die Leute wehren, damit der staatliche Abbau von Sozialleistungen und die ungerechte Verteilung von Produktivvermögen nicht mehr so weitergehen können. Dafür werden wir als Sozialdemokraten in der kommenden Legislaturperiode sorgen.
In der 12. Legislaturperiode haben wir bereits einen Entwurf für eine Vermögensbildungsstrategie vorgelegt; er war insbesondere auf die neuen Länder bezogen, weil dort der Neuaufbau der Wirtschaft zu-
Hans-Eberhard Urbaniak
nächst mit einer überfälligen Demontage beginnen mußte. Hier wäre es sinnvoll gewesen, an dem zur Verfügung gestellten Kapital auch die Arbeitnehmer zu beteiligen. Sie von der Regierungskoalition haben in der 12. Legislaturperiode diesen Entwurf nicht aufgegriffen und das Gespräch mit uns überhaupt nicht gesucht.
Wir haben am 13. März 1996 weitere Vorschläge eingebracht. Erst danach haben Sie im Jahr 1997 -recht spät - Ihren Vorschlag dem Bundestag vorgelegt. Wir waren sofort bereit, mit den Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung zu debattieren, damit wir auf einer vernünftigen Grundlage in der Frage der Verteilung des Produktivvermögens vorankommen.
Aber alle Anregungen, die wir auch bei den Ausschußberatungen gegeben und gerade in der letzten Woche noch einmal besonders betont haben, haben Sie ignoriert. Sie haben eine große Chance vertan, um dieses drängende Problem bezüglich des Produktivvermögens in Arbeitnehmerhand so anzupacken, daß es in den kommenden Jahren gelöst werden könnte. Die Verantwortung hierfür liegt bei den Koalitionsfraktionen.
Wir haben - das wissen Sie ganz genau - zwei wichtige Punkte in die Debatte eingebracht. Der erste Punkt sind die Tariffonds. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat diese Tariffonds gefordert. Auch von einigen Sachverständigen sind die Tariffonds begrüßt worden. Wenn man Tarifverträge entsprechend gestaltet, bekommt man eine breite Streuung und kann aus diesen Fonds Kapital für Investitionen zur Verfügung stellen.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat diesen Punkt auf der Fachkonferenz am 24. September 1997 besonders herausgestellt. Sie haben die Einrichtung der Tariffonds leider verwehrt, obwohl uns gesagt worden ist, daß Sie bei der Beratung mit den Gewerkschaften über Elemente einer Steuerreform gesagt haben: Wir sind bereit, in dieser Frage auf Sie zuzukommen. Also muß es in den Koalitionsfraktionen einen Schuldigen geben, der dies sabotiert hat. Das kann nur die F.D.P. sein. Dies ist klar. Dies werden Sie auch nicht bestreiten. Ich habe heute morgen gehört, wie man in diesem Punkt einlenken möchte. Dies sind schon andere Töne, als wir sie bei Ihnen seinerzeit gehört haben.
Der zweite Punkt: Wir haben die Insolvenzsicherung verlangt. Viele von uns können sich daran erinnern, wie es beim Betriebsrentengesetz war. Es mußte neu gestaltet werden. Erstens war es notwendig, die goldene Kette abzuschlagen. Das ist erreicht worden. Herr Kollege Vogt, Sie wissen, wie wir seinerzeit darum gekämpft haben. Zweitens stellte sich die Frage: Wie sichern wir im Falle des Konkurses eines Unternehmens die Ansprüche der Arbeitnehmer, eine Betriebsrente zu beziehen?
Für einen solchen Zusammenbruch gibt es ein ganz gravierendes Beispiel, das der AEG. Die damalige Bundesregierung hat das Unternehmen durch
eine Bürgschaft von 1 Milliarde DM gestützt. Dazu war sie nicht verpflichtet - Lahnstein war damals Finanzminister -, aber es ist gemacht worden.
Hätten wir zu dem Zeitpunkt keine Insolvenzregelung gehabt, wäre es knüppeldick gekommen. Die Parteien und Fraktionen waren sich klar darüber, daß es dann, wenn die Unternehmer dies nicht selber über ihren Pensionsverein machen, gesetzlich geregelt werden muß. Dann wurde es vernünftigerweise gemacht, und es funktioniert. Das würde selbstverständlich auch hier bei der Regelung der Vermögensbildung funktionieren. Darum sage ich: Diese Elemente sind für uns ganz wichtige Voraussetzungen. Das ist die Grundlage dafür, um auf diesem Gebiet entscheidend voranzukommen.
Ich möchte an dieser Stelle auch Philip Rosenthal für seine vielen Aktivitäten danken,
der die beiden Punkte unter „Haben" und „Sagen" dargestellt hat:
„Haben" in der Form der Vermögensbildung und „Sagen" in der Form der Mitbestimmung. Diese paritätische Mitbestimmung verfolgen wir weiter. Sie ist auch notwendig, um der Machtkonzentration im Bankwesen, in der Industrie und im Versicherungswesen entgegenzutreten. Auch in diesem Punkt muß in den Aufsichtsräten geteilt und das Element der Arbeitnehmerbeteiligung ganz entscheidend mit eingeführt werden.
Ich weise noch einmal auf Philip Rosenthal hin, der diese beiden Punkte besonders herausgestellt hat.
Ich danke aber auch der IG Chemie, die so beispielhafte Arbeit geleistet hat, um auf diesem Gebiete voranzukommen.
Schließlich danke ich Schorsch Leber, der durch die ersten Tarifverträge die Voraussetzungen erst einmal geschaffen hat, diese Dinge zu entwickeln.
Herr Kollege Vogt, Sie sprachen von der Partnerschaft. Das ist ganz selbstverständlich. Die Tarifparteien gehen immer in Gegnerschaft aufeinander zu, wenn sie verhandeln müssen. Am Ende steht der Tarifvertrag, der aus der Partnerschaft heraus gestaltet worden ist. Genau diese Partnerschaft ist Grundlage unserer Gesellschaftsordnung; denn wenn die Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlichen Lagern ohne Kompromißbereitschaft geführt würde,
Hans-Eberhard Urbaniak
wenn es Spitz auf Knopf steht, dann wäre das eine schlimme Sache.
Ich hoffe auch, daß wir auf dem Felde des Investivlohnes vorankommen. Hier liegt eines der allergrößten Probleme. Denn wenn für die Gewerkschaften Tariffonds gesetzlich geregelt werden - für die Arbeitgeber übrigens auch - und die Pleitenregelung durch die Einrichtung, die wir wünschen, ebenfalls vernünftig geregelt werden kann, dann müssen die Gewerkschaften mit ihren Mitgliedern selber übereinkommen, daß ein Teil des Lohnes in die Fonds eingezahlt wird.
Das ist kein einfacher Prozeß. Darüber sind wir uns im klaren. Aus diesem Grunde können wir nur Vorschläge für die Gestaltung von Rahmenbedingungen machen. Leider haben Sie unsere Vorschläge nicht aufgegriffen. Der Boden für die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand ist nicht fruchtbar, weil Arbeitslosigkeit und Armut sich leider ausweiten. Das sind keine guten Grundlagen, um auf diesem Felde weiterzukommen. Wir gehen aber davon aus, daß die Impulse und die Dynamik nach dem 27. September dieses Jahres kräftig zunehmen werden und diese Ungerechtigkeiten ein Ende haben werden.
Jetzt hören wir den Kollegen Peter Keller.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich trotz mancher Polemik mit einer ganz persönlichen Bemerkung beginnen. Ich beschäftige mich seit mehr als 30 Jahren politisch mit der Vermögensbildung, besonders mit dem Investivlohn. Deshalb - das möchte ich öffentlich feststellen - freue ich mich, daß wir heute mit dem Dritten Vermögensbeteiligungsgesetz ein weiteres Stück deutscher Sozialgeschichte schreiben.
Ich möchte an eine der geschichtlichen Wurzeln der Vermögensbildung erinnern. Der Gedanke der Eigentumsbildung in Arbeitnehmerhand ist eine uralte Idee der christlichen Soziallehre. Schon der Arbeiterbischof Ketteler hatte der entstehenden christlichen Arbeiterbewegung in der Mitte des letzten Jahrhunderts diese Idee mit auf den Weg gegeben. Er stellte einen Zusammenhang zwischen der Beteiligungsidee, Fragen der Lohnpolitik und der sozialen Gerechtigkeit her. Ketteler sagte, es sei „unbillig", wenn das Ergebnis des Zusammenwirkens von Kapital und Arbeit „ausschließlich dem toten Kapitale und nicht auch dem verwendeten Fleisch und Blute "- ich bitte das als Ausdrucksweise der damaligen Sprache zu verstehen -, das heißt dem Arbeiter zufalle, denn er „verarbeitet täglich gleichsam ein Stück seines Lebens", meinte der Bischof im Jahre 1864.
Auch der Vater der sozialen Marktwirtschaft, Ludwig Erhard, bündelte seine Zielvorstellung in der
Kurzformel: Eigentum für jeden mit dem Ziel einer Gesellschaft von Teilhabern.
Wir haben aber alle erfahren, daß die Vermögensbildung seit der Wiedervereinigung in nahezu dramatischer Weise an Aktualität gewonnen hat. Die Konzentration des Produktivkapitals in den Händen weniger hat sich leider weiter verstärkt.
: Wer hat denn dafür
gesorgt?)
Das vorliegende Gesetz ist für mich auch ein Beweis dafür, daß es sich lohnt, nicht nur aktuelle Tagespolitik zu machen. Ich meine, für die Fortentwicklung unserer sozialen Marktwirtschaft als Gesellschaftsordnung sind auch langfristige Visionen möglich, und heute wird eine solche Vision Wirklichkeit.
In aller Bescheidenheit möchte ich auch auf die Kampagne 1997 „Investivlohn jetzt" der Aktionsgemeinschaft christlich-sozialer Verbände eingehen. Ich danke ihnen, Kolping, KAB, den christlich-sozialen Gewerkschaften und unseren eigenen Organisationen, CDA und CSA, daß sie damit einen wichtigen Beitrag zur Bildung eines öffentlichen Bewußtseins für diese Maßnahme geleistet haben.
Das vorliegende Gesetz ist ein Meilenstein in der Fortentwicklung der sozialen Partnerschaft,
von der heute viel die Rede war, zu einer Kapitalpartnerschaft. Ich halte diese Frage für ungemein wichtig. Denn nach einer Umfrage des Allensbach-Instituts meinten 1997 gegenüber 1980 - der Wandel ist also innerhalb von 17 Jahren eingetreten - mehr als doppelt so viele der Befragten, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Grunde völlig unvereinbare Interessen hätten und daß es daher richtig sei, von Klassenkampf zu sprechen. Diese Umfrage, die gezeigt hat, daß heute das Verhältnis von Arbeitnehmern zu Arbeitgebern mehrheitlich nicht mehr partnerschaftlich, sondern klassenkämpferisch gesehen wird, hat mich nachdenklich gemacht. Diese Einschätzung spiegelt eine gefährliche Polarisierung wider, die sozialen Sprengstoff in sich birgt.
Wir müssen daher alles daransetzen, dieses „böse Bild" des Kapitalismus zu durchbrechen. Wir müssen bewußtmachen, daß in der sozialen Marktwirtschaft zwischen Unternehmer und Arbeitnehmer durchaus eine umfassende und ausbaufähige Interessenverbundenheit besteht. Deshalb meine ich, daß gerade eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen ein geeignetes Mittel ist, diesem Trend entgegenzuwirken.
Denn wer am Unternehmenserfolg beteiligt ist, zum
Beispiel durch Aktien, hat ähnliche Interessen wie
Peter Keller
der Arbeitgeber. Diese Erfahrung - die mir genauso wichtig ist, wie dicke Bücher zu lesen - habe ich als Arbeitnehmer vor über 30 Jahren in einem großen Betrieb selbst machen können.
- Das ist ja fast eine Beleidigung.
Der Durchbruch in der Vermögensbildung entspricht auch dem heutigen Selbstverständnis der Arbeitnehmer. Wer als Arbeitgeber die Identifikation der Arbeitnehmer will, muß neue Formen der Zusammenarbeit, der Mitwirkung und vor allem auch der Beteiligung am Unternehmenserfolg schaffen.
Es ließen sich weitere große Vorteile nennen. Ich nenne bloß ein paar Schlagworte: Die Verteilungskonflikte werden entschärft; das ist ein Beitrag zum sozialen Frieden. Das tarifpolitische Spektrum wird qualitativ erweitert, und die Flexibilisierungsspielräume für den Flächentarifvertrag werden vergrößert.
Reinhard Mohn, der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann-Stiftung, hat dieser Tage in einem Artikel die These vertreten - so wörtlich -,
daß die Leistungsverbesserung eines Betriebes durch Mitarbeiterbeteiligung im Rahmen der Unternehmenskultur zu finanziellen Vorteilen führen wird, welche den entstehenden Aufwand um ein Vielfaches übertreffen.
Anders ausgedrückt: Mitarbeiterbeteiligung lohnt sich, auch für den Gewinn des Unternehmers. Beide haben etwas davon.
Ich stelle dazu fest: Nicht nur die Vertreter der Arbeitnehmerinteressen sehen in der Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer Vorteile. Es kommt nicht immer vor, aber in diesem Fall ist es so: Wenn beide Seiten einen Vorteil haben, dann ist es um so besser.
Ich möchte von den gesetzlichen Rahmenbedingungen, die schon genannt worden sind, nur einen einzigen Punkt noch einmal gesondert hervorheben: Obgleich es im Gesetzentwurf nicht ausdrücklich erwähnt ist, ist die tarifvertragliche Vereinbarung investiver Lohnbestandteile grundsätzlich möglich; sie ist von uns auch politisch gewollt. Dies haben uns die Experten in der öffentlichen Anhörung, gerade die Arbeitsrechtler, eindeutig bestätigt. Das ist auch ein neuer Qualitätssprung für die Tarifvereinbarungen.
Nun, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, in bezug auf die Haltung der Opposition zu diesem Gesetzentwurf ist festzustellen, daß es an sich keine eindeutigen Antworten gibt. Unsere Kolleginnen und Kollegen von der SPD in den Ausschüssen für Arbeit und Sozialordnung und für das Bauwesen haben sich enthalten. Tatsächlich haben sie sich also nicht für diese Verbesserungen zugunsten der Arbeitnehmer ausgesprochen. Die Kollegen in den Ausschüssen für
Wirtschaft, Finanzen und Haushalt stemmten sich sogar ausdrücklich dagegen, angeblich, weil es zu teuer sei, obwohl der eigene SPD-Antrag mehr gekostet hätte als der unsrige.
- So habe ich es gelesen.
Ich frage mich daher: Wird der Bundesrat - das ist die spannende Frage - das Gesetz gegen die Wand fahren? Heißt das, daß die Arbeitnehmer von der SPD in Sachen Vermögensbeteiligung keine Unterstützung zu erwarten haben? Oder, so frage ich weiter, geht es wieder einmal nur um Wahlkampf, lieber Kollege Schreiner?
Ich möchte die SPD vor einer durchsichtigen Blockadetaktik nur warnen. Dies wäre gerade vor dem 1. Mai ein Verrat an den Interessen der Arbeitnehmer und auch der Arbeitslosen.
Das Gesetz sollte und muß jetzt umgehend verabschiedet werden, damit es bereits für die 99er Tarifrunden genutzt werden kann. Es öffnet neue Wege und Türen in der Tarifpolitik, die dringend notwendig sind. Wir setzen jedenfalls alles daran, daß dieses Gesetz schnell Wirklichkeit werden kann.
Was die SPD bezweckt, wisen wir nicht, das weiß nur sie allein. Was wir wollen,
ist, daß die Arbeitnehmer endlich mehr am Produktivkapital beteiligt werden. Dazu leisten wir hier und jetzt einen ganz konkreten Beitrag. Deshalb bitten wir um Ihre Unterstützung.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Michael Meister, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal hat mir diese Debatte gezeigt, daß die Koalition handlungsfähig ist und ihr Programm so, wie es in der Koalitionsvereinbarung steht, Punkt für Punkt umsetzt.
Mit dem heutigen Gesetzentwurf führen wir die Menschen in Deutschland zusammen und bauen Brücken in dieser Gesellschaft. Die Rede des Kollegen Schreiner, die wir eingangs gehört haben, hat für
Dr. Michael Meister
mich über weite Passagen so geklungen wie ein Teil der Neidkampagne, die dazu beiträgt, daß unsere Gesellschaft gespalten wird. Ich möchte Sie dringend auffordern, Ihre Haltung in den kommenden Wochen zu überdenken und mit dazu beizutragen, daß in diesem Land, in der Bundesrepublik Deutschland, tatsächlich etwas für die Arbeitnehmerinteressen getan werden kann.
Ich hätte mir auch gewünscht, daß die Damen und Herren aus dem Bundesrat diese Debatte am heutigen Morgen, in der es um die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital geht, ernster genommen hätten und wir hier nicht auf leere Bänke hätten blicken müssen. Ich glaube, das Thema ist so ernst, daß es auch der Bundesrat entsprechend würdigen sollte.
In Deutschland ist die Vermögensbeteiligung - wir haben es heute morgen gehört - in den letzten Jahren gestärkt worden. Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg, was die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen betrifft. Wolfgang Vogt hat heute morgen in überzeugender Weise deutlich gemacht, wie weit wir nun auch im Bereich der Vermögensbeteiligung vorangekommen sind.
Ich glaube aber, wir können gar nicht so viel für die Vermögensbildung tun, wie es nötig wäre, nachdem zu Zeiten Ihrer Regierungsverantwortung jedes Jahr 5 Prozent des Volksvermögens durch Inflation vernichtet worden ist. Erforderlich sind eine Konsolidierungspolitik und eine Antiinflationspolitik, damit die Vermögen, die gebildet worden sind, als Vermögen erhalten bleiben und nicht durch Geldentwertung aufgefressen werden.
Ziele unseres Gesetzes sind eine breitere Streuung des Eigentums, die Verbesserung der persönlichen Altersvorsorge und eine Stärkung der Eigenkapitalbasis der Unternehmen, insbesondere der mittelständischen Unternehmen.
Ich glaube, wir haben vor zwei Jahren, als wir das Eigenheimzulagengesetz verabschiedet haben, bewiesen, daß wir in diesem Punkt bereits einen Riesenerfolg erreicht haben.
Schauen Sie sich einmal an, wie das Eigenheimzulagengesetz und die damit verbundene Förderung des Bausparens in den letzten zwei Jahren gewirkt hat. Der Wohneigentumserwerb ist um über 30 Prozent gestiegen. Die Kosten im Wohnungsbau sind um '7 Prozent gesunken. Die Reform des Bausparens hat einen Boom in diesem Sektor ausgelöst, und es sind
noch nie so viele Bausparverträge wie in den letzten zwei Jahren abgeschlossen worden.
Gerade dann, wenn wir über die Baukonjunktur reden, sollten wir auch erwähnen, daß die deutschen Bausparkassen im vergangenen Jahr 48 Milliarden DM ausgezahlt und damit mit dazu beigetragen haben, daß die notleidende Baukonjunktur gestützt wurde. Frau Kollegin Wolf, ich habe Ihre Rede gehört, höre aber auch immer die Kollegin Eichstädt-Bohlig, die bei keiner Gelegenheit versäumt, gegen das Eigenheimzulagengesetz zu polemisieren, ihm die Mittel entziehen will und dafür sorgen will, daß wir weniger für die Wohneigentumsförderung in Deutschland tun. Deshalb halte ich das, was Sie heute morgen vorgetragen haben, für nicht besonders glaubhaft.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir eröffnen mit diesem Gesetz neue Chancen. Sinn und Zweck der Übung ist es, daß wir bestehende Förderinstrumente erhalten, insbesondere diejenigen, die sich bewährt haben, daß wir aber, ohne Bestehendes zu zerstören, wie Sie es in Ihren Vorlagen vorhatten, neue Gebiete wie etwa die Beteiligung am Produktivkapital weiterentwickeln. Deshalb sieht unser Gesetzentwurf eine Beschränkung der Wahlfreiheit zwischen Beteiligung am Produktivkapital und Förderung des Bausparens ausdrücklich nicht vor.
Dieser Punkt liegt mir als Politiker sehr am Herzen. Wir wollen nämlich über das Geld, das angespart wird, keine verdeckte Finanzierung der Gewerkschaften ermöglichen,
sondern wir wollen wirklich den einzelnen Arbeitnehmer in seiner Vermögensbildung stärken.
Wir brauchen auch keinen Vormund für die Arbeitnehmer in Deutschland, der sie an die Hand nehmen und ihnen sagen will, wie ihr Vermögen richtig verwaltet wird. Wir brauchen die Eigenverantwortung und die individuelle Entscheidung darüber, wer in welcher Form Vermögen bilden will. Wir sollten als Staat, als Politiker und als Tarifparteien dazu beitragen, daß die Menschen dabei Hilfestellungen erhalten, wir sollten ihnen aber keinen Vormund an die Hand geben.
Ich möchte auch ein kritisches Wort zu dem Gesetzentwurf sagen. Richtigerweise ist von den Kollegen aus der Koalition betont worden, daß es ein erster Schritt, ein Einstieg, ist. Wir würden sehr gern weitergehen, das möchte ich ganz deutlich sagen. Wir dürfen dabei aber nicht nur - das ist heute morgen bereits mehrfach angesprochen worden - die Frage der finanziellen Möglichkeiten in staatlicher Hand sehen. Wir müssen auch die finanziellen Möglichkeiten derjenigen sehen, die wir fördern wollen;
Dr. Michael Meister
auch diese Menschen wollen wir nicht überfordern. Auch im Tarifbereich muß das Gesetz erst einmal umgesetzt werden; das hat der Kollege Vogt schon richtigerweise angesprochen. Begleitend dazu sind wir aufgefordert, die weiteren Schritte im gesetzgeberischen Bereich zu tun.
Ich möchte ein Zweites kritisch anmerken, und zwar zum Thema kommunale Spitzenverbände. Von denen ist richtig gesagt worden, daß wir besser einen durch zwölf teilbaren Betrag genommen hätten. Ich persönlich hätte mir gewünscht, daß wir die 800 DM auf 804 DM angehoben hätten, um diesem Verlangen nachkommen zu können. Das ist leider nicht der Fall, aber ich glaube, wir können das in Zukunft nachbessern.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie eindringlich auffordern: Stimmen Sie dieser Gesetzesvorlage nicht nur im Deutschen Bundestag zu, son-dem geben Sie auch grünes Licht im Bundesrat, damit wir tatsächlich den ersten Schritt in Richtung Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital machen können. Dann würden Sie mit Ihrer Politik tatsächlich einen Beitrag für die Menschen in Deutschland leisten. Wir alle sind gewählt worden, um dies voranzubringen, und nicht, um uns gegenseitig zu blockieren.
Herzlichen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen und anderer Formen der Vermögensbildung der Arbeitnehmer, Drucksache 13/10012. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 13/10527 unter Buchstabe a, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10555. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Fraktion der SPD und gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einer Offensive zur Förderung der Arbeitnehmerbeteiligung am Produktivvermögen,
Drucksache 13/10527 Buchstabe b. Der Ausschuß
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4373 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 e auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit
- Drucksache 13/8942 -
- Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit
- Drucksache 13/6549 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
- Drucksache 13/10269-
Berichterstattung: Abgeordneter Peter Dreßen
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Annelle Buntenbach, Marieluise Beck (Bremen), Andrea Fischer (Berlin), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Arbeits- und sozialrechtlicher Schutz für abhängige Selbständige
- Drucksachen 13/7421, 13/10269 -
Berichterstattung: Abgeordneter Peter Dreßen
Vizepräsidentin Michaela Geiger
c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ottmar Schreiner, Rudolf Dreßler, Christel Hanewinckel, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Beseitigung des Mißbrauchs der Geringfügigkeitsgrenze in der Sozialversicherung
- Drucksache 13/3301 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
- Drucksache 13/10180Berichterstattung: Abgeordnete Leyla Onur
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/10447 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel Kristin Heyne
Ina Albowitz
Dr. Konstanze Wegner
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
- zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Dauerhafte Beschäftigungen sozialversichern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Bläss, Dr. Heidi Knake-Werner und der Gruppe der PDS
Sozialversicherungspflicht für jede bezahlte Arbeitsstunde
- Drucksachen 13/4969, 13/6090, 13/10180 -
Berichterstattung: Abgeordnete Leyla Onur
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Illegale Beschäftigung durch konsequentes gemeinsames Handeln von Bund und Ländern unterbinden
- Drucksachen 13/7802, 13/9458 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Meckelburg
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Rudolf Scharping.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben uns hier im Deutschen Bundestag schon mehrfach über Fragen unterhalten, die um das Thema von Recht und Ordnung auf den Arbeitsmärkten kreisen.
Kürzlich hat mir ein Betriebsrat in Kiel gemeinsam mit seinem Bauunternehmer den Tätigkeitsbericht des Winterbauausschusses des Landesarbeitsamtes Nord vorgelegt. In diesem Bericht vom 10. September 1997 wird aufgelistet, was sich aus den Feststellungen der Arbeitsverwaltung im Zusammenhang mit dem Arbeitnehmerentsendegesetz ergeben hat.
In diesem Bericht steht beispielsweise, daß in 740 Fällen im Bezirk des Landesarbeitsamtes Nord gegen die Mindestlohnregelungen verstoßen wurde und daß sich insbesondere bei Firmen aus Großbritannien der Verdacht auf Scheinselbständigkeit ergeben habe. Darauf komme ich gleich noch einmal zurück. In diesem Bericht wird dargetan, daß sich das Landesarbeitsamt mit seinen Möglichkeiten insbesondere auf die Frage konzentriert habe, ob die Mindestlohnregelungen nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz eingehalten worden seien. Dann wird berichtet, daß bei einzelnen Firmen, und zwar mit Herkunft aus der Europäischen Union und aus Polen, Stundenlöhne von 4,47 DM bis 2,24 DM festgestellt worden sind.
Ich erwähne dies hier am Anfang, weil die Fragen der illegalen Beschäftigung, der Scheinselbständigkeit und der Verstöße gegen Mindestlohnvorschriften und Bestimmungen des Arbeitnehmerentsendegesetzes in einem Zusammenhang gesehen werden müssen. Wenn es nicht gelingt, diese Mißstände zu beseitigen, konsequent dagegen vorzugehen und Wettbewerbsgleichheit zwischen Firmen herzustellen, dann kann es nicht gelingen, Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt herzustellen und einen Schritt zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu tun.
Ich habe hier im Deutschen Bundestag zu diesen Fragen mehrfach Stellung genommen. Ich muß Ihnen sagen, daß ich angesichts solcher und anderer Berichte, die ich Ihnen schon aus Zeitgründen jetzt nicht vortragen will, über die Ignoranz erschüttert bin, mit der die Mehrheit des Deutschen Bundestages diese Themen behandelt.
Ein Aspekt ist noch zu ergänzen: Es geht ja nicht nur um die Einhaltung von Regeln im Sozialbereich und um den Schutz von Arbeitnehmern. Das ist wichtig. Es geht auch um die Wettbewerbsgleichheit zwischen Firmen und um das Rechtsbewußtsein der Bürgerinnen und Bürger. Nicht zuletzt geht es darum, den Nährboden für rechtsradikalen Protest auszutrocknen.
Wer sich solche Berichte anschaut und darüber mit betroffenen Menschen, Betriebsräten und Arbeitnehmern redet, dem wird sehr schnell deutlich, daß diese Berichte eine außerordentlich hohe Brisanz besitzen.
Rudolf Scharping
Wenn zum Beispiel im Baubereich - und nicht nur dort - der Mißbrauch und Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften, Tariftreue und andere Bestimmungen gang und gäbe werden, dann entsteht ein Prozeß, in dem Arbeitnehmer den Staat nicht mehr als das empfinden, was er sein muß, nämlich Schutzmacht gegen Mißbrauch und gegen Rechtsverstöße, sondern als ignorant empfinden.
Was sich die Mehrheit des Deutschen Bundestages und die Bundesregierung auf diesem Felde leisten, ist gänzlich unverantwortlich. Der Antrag der SPD-Fraktion zur Bekämpfung illegaler Arbeit stammt vom 4. Juni 1997. Die Mißstände sind offenkundig. Ein Jahr später reden wir über diese Frage, wobei nach dem Willen der Mehrheit negativ entschieden werden soll.
Der Gesetzentwurf der SPD gegen den Mißbrauch der 620-Mark-Verträge stammt vom 11. Dezember 1995.
Erst jetzt - und dann auch noch negativ - soll darüber entschieden werden, obwohl sich der Mißbrauch dieser sozialversicherungsfreien Beschäftigung immer weiter, mittlerweile millionenfach, ausgedehnt hat.
Der Gesetzentwurf der SPD gegen die Scheinselbständigkeit ist im Dezember 1996 eingereicht worden. Er mußte erneut im Dezember 1997 eingereicht werden, um Sie überhaupt zur Beratung zu zwingen. Es ist eine unverantwortliche Ignoranz, daß die Koalitionsmehrheit die groben Mißstände auf dem Arbeitsmarkt nicht zur Kenntnis nimmt und nichts dagegen tun will.
Schlimmer noch: In der letzten Sitzungswoche wurde hier ein sogenanntes Vergabegesetz verabschiedet. Möglichkeiten, Betriebe über die Vergabe öffentlicher Aufträge zu verpflichten, auszubilden, die Geschlechter gleichberechtigt zu behandeln und Arbeitnehmer tariftreu zu bezahlen, sind von Ihnen mittlerweile gesetzlich eliminiert worden. Sie haben damit eines von vielen wichtigen Instrumenten aus der Hand gegeben - eine Mischung aus Regeln und Gesetzen, um auf der einen Seite die Einhaltung dieser Verpflichtungen zu überwachen und die Verstöße zu ahnden und auf der anderen Seite wirtschaftliche Anreize zu schaffen -, wirksam etwas gegen die Tatsache zu tun, daß ein Arbeitnehmer mit Wohn- oder Geburtsort in Berlin, in Brandenburg, in Mecklenburg-Vorpommern oder anderenorts in Deutschland ja keine Chance hat, zu den normalen Tarifen beschäftigt zu werden und damit seine Arbeitslosigkeit zu überwinden, solange es Firmen gibt, die nur mit Bußgeldern wegen einer scheinbaren Ordnungswidrigkeit belegt werden und die Arbeitnehmer für 2,24 DM oder wenig mehr in der Stunde beschäftigen. Das ist ein unverantwortlicher Zustand! Unverantwortlich ist auch die Ignoranz der Koalition hinsichtlich dieses Problems.
Man kann - viele von uns tun das voller Überzeugung - gegen orientierungslosen, wütenden und politisch gefährlichen Protest anreden. Genauso wichtig ist, etwas gegen seine Ursachen zu tun. Deswegen sage ich in aller Deutlichkeit: Wir werden uns nicht nur zu überlegen haben, daß wir uns die illegale Beschäftigung mit Kontrollen schärfer vornehmen. Wir werden uns nicht nur zu überlegen haben, daß wir den Mißbrauch, der von manchen Firmen betrieben wird, konsequent bekämpfen. Dazu wird im Zweifel auch gehören, sich die Frage zu stellen, ob solche Zustände tatsächlich nur nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht und in Zukunft nicht auch nach dem Strafrecht behandelt werden müssen.
Ich sage das mit Blick auf ein in Bonn leider nicht so sehr gewürdigtes Urteil aus Regensburg, wo ein Landgericht, wenn ich es richtig im Kopfe habe, einen Unternehmer verurteilt hat, weil der ähnliche Praktiken gepflegt hatte.
Meine Damen und Herren, die illegale Beschäftigung ist ein Element besonderer Schwierigkeiten des Arbeitsmarktes bei ganz bestimmten Berufsgruppen. Wenn Schätzungen der Arbeitsverwaltung oder anderer Sachverständiger davon sprechen, daß in Deutschland mehrere hunderttausend Menschen illegal beschäftigt sind, dann besteht für uns eigentlich die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, alle Instrumente, auch das öffentliche Bewußtsein, zu schärfen, um gegen solche Mißstände vorzugehen.
Sie empfehlen Ablehnung. Sie empfehlen Ignoranz. Sie empfehlen, die Augen zuzumachen.
Die Augen vor den Realitäten zu verschließen ist aber keine sinnvolle Möglichkeit, um Realitäten zum Besseren zu verändern.
Das gilt übrigens auch für die 620-DM-Verträge. Eine Zeitlang hatten wir 'die Hoffnung, auf diesem Gebiet könne sich etwas bewegen. 1995 haben wir den erwähnten Antrag eingebracht. Dann gab es eine kontinuierliche Debatte bei Aussprachen über Regierungserklärungen, Haushalte und anderes. Im Herbst 1997 kam plötzlich eine Scheinbewegung in die Diskussion. In der „Leipziger Volkszeitung" vom 13. Oktober 1997 stand zu lesen: Dieses Nein von Herrn Westerwelle - ich füge hinzu: zur Einschränkung der versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse - ist nicht einmal das Papier wert, auf dem es steht. Wenn wir eine vernünftige Lösung haben, wird sie kommen, mit oder ohne Westerwelle. Solche Pro-
Rudolf Scharping
bleme erzwingen ihre Lösung. Das ist wie mit der Steuer- oder Rentenreform. - Wolfgang Schäuble!
Aus diesem Zitat kann ich nur den Schluß ziehen: Sie kennen vielleicht das Problem, aber Sie haben keine Lösung.
Der sich einflußreich und machtvoll fühlende Vorsitzende der CSU-Landesgruppe sagte in der „Stuttgarter Zeitung": Die Arbeitsverhältnisse auf der Basis der 620-DM-Jobs sind in dieser Masse nicht erträglich.
Herr Schäuble fügte im Oktober 1997 hinzu: Es kann doch nicht sein, daß ein immer größerer Teil der Beschäftigung nicht versicherungspflichtig ist. Da bricht die Grundlage unseres Sozialsystems weg. - So im „Stern" zitiert.
Herr Geißler fügte hinzu - gewisse strategische Fähigkeiten kann man ihm nicht absprechen -, die F.D.P. habe in der Koalition - Zitat - jetzt ihr Konto ausgeglichen; ich will sogar sagen: Sie haben es überzogen.
Meine Damen und Herren, wenn Sie doch selber diese Einsicht haben, wenn Ihr Fraktionsvorsitzender, der CSU-Landesgruppenvorsitzende, der frühere Generalsekretär und heutige stellvertretende Fraktionsvorsitzende und auch der Generalsekretär Ihrer Partei
zu demselben Ergebnis kommen, warum können Sie dann nicht Ihrer Einsicht folgen und hier ohne Koalitionszwänge etwas beschließen, was nach Ihrer eigenen Überzeugung beschlossen werden muß, um den Mißbrauch einzudämmen?
Diese Tätigkeiten waren einmal für Aushilfen in der Landwirtschaft, in den Gastwirtschaften oder anderenorts gedacht. Sie waren einmal für Studierende gedacht, damit sie sich in den Semesterferien ein versicherungsfreies Zubrot erwerben können. Sie waren aber nicht für Handelsketten gedacht, die mehr als die Hälfte ihrer Belegschaften außerhalb der Sozialversicherung beschäftigen.
Eine Untersuchung des Bundesarbeitsministeriums, durchgeführt vom Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik, beziffert die Zahl der Minijobs auf rund 5,6 Millionen und nennt einen Anstieg
von 1,2 Millionen innerhalb von nur fünf Jahren. Das sozioökonomische Panel, also eine Erhebung bei privaten Haushalten, die vom DIW durchgeführt wird, nennt hochgerechnet 5,4 Millionen und beziffert die Zahl einschließlich der Dunkelziffer auf bis zu 6,3 Millionen.
Meine Damen und Herren, wenn man solche Zahlen und die Trends, die sich übrigens auch aus dem Mikrozensus ergeben, sieht, bleibt eine einzige Frage: Wieviel Ignoranz braucht man, wie lange muß man die Augen zudrücken, wie lange muß man die Ohren verschließen, um nicht zu sehen, daß hier eine Grundlage des Sozialversicherungssystemes wegbricht, daß es unsolidarisch ist, ganze Belegschaften außerhalb der Sozialversicherung zu beschäftigen, und daß es auch frauenfeindlich ist, was hier getan wird? Gebt den Frauen ordentliche Teilzeitarbeitsplätze! Das ist vernünftiger.
Man kann sich nicht wie der Bundeskanzler - mehrfach hat er das getan - hier im Deutschen Bundestag hinstellen und die Verhältnisse in den Niederlanden, nämlich die Schaffung von Teilzeitarbeitsplätzen, also die dortige hohe Teilzeitquote, als Vorbild preisen, ohne die Bedingungen zu nennen. Der niederländische Ministerpräsident Wim Kok hat das einmal auf eine sehr feine und zurückhaltende, aber auch sehr deutliche Weise klargemacht: Wer die niederländische Situation niedrigerer Arbeitslosigkeit, einer höheren Zahl von Teilzeitarbeitsplätzen und einer besseren Beschäftigungsmöglichkeit gerade für Frauen preist, muß hinzufügen, daß in den Niederlanden jede regelmäßige Arbeitsstunde - ab der ersten Stunde - sozialversichert ist.
Wenn Sie aber glauben, daß es zur Wettbewerbsgleichheit in Handwerk und Mittelstand gehört, daß sich eine Minderheit aus der Ausbildung verabschiedet, die große Mehrheit aber dabeibleibt und daß sich eine Minderheit aus der regelmäßigen sozialversicherten Beschäftigung verabschiedet, die große Mehrheit aber versucht, dabeizubleiben, dann kann ich nur feststellen: Sie haben null Ahnung.
Deswegen appelliere ich an Sie, der Einsicht von Herrn Schäuble, Herrn Glos, Herrn Geißler und, wenn Sie wollen, auch der von Herrn Hintze zu folgen. Dann könnten wir heute im Deutschen Bundestag einen ersten großen Schritt tun, um aus der sozialversicherungsfreien Beschäftigung und ihrem Mißbrauch ordentliche Teilzeitarbeitsplätze zu machen.
Dasselbe gilt für die Scheinselbständigkeit. Nach meiner Meinung wird im Deutschen Bundestag manchmal zuwenig über das Praktische gesprochen. Kann mir jemand erklären, was es mit Selbständig-
Rudolf Scharping
keit zu tun hat, wenn sich ein britischer Bauarbeiter auf einer Baustelle in Deutschland verdingt und von der Baufirma wie ein Selbständiger behandelt wird? Kann mir jemand erklären, was es mit Selbständigkeit zu tun hat, wenn ein Kellner in einem durchaus feinen Restaurant - solche Restaurants gibt es viele und Kellner noch mehr -
mit Umsatzbeteiligung drei Tische bedient und dann behauptet wird, er sei selbständig? Kann mir jemand erklären, was es mit Selbständigkeit zu tun hat, wenn ein Lkw-Fahrer gegen Zahlung einer Pacht, nachdem er den Lkw vorher finanziert hat, von einer Firma beschäftigt wird, die ihm die Routen, die Margen, die Güter und alles andere vorschreibt?
Das alles hat mit Selbständigkeit überhaupt nichts zu tun. Es hat mit einem einzigen Umstand zu tun, daß es nämlich leider eine wachsende Zahl von Arbeitgebern gibt, die aus der Sozialversicherung fliehen und versuchen, Leistungen, die für die Allgemeinheit zu zahlen sind, auf diese Weise zu vermeiden bzw. mindestens zu vermindern. Auch halte ich es für unverantwortlich, daß Sie der großen Zahl an Recht, Ordnung und fairen Verhältnissen interessierten und ehrlichen Handwerkern sowie selbständigen Mittelständlern sagen: Im Zweifel müßt auch ihr das so tun. Wir wollen, daß im Interesse der ehrlichen selbständigen Handwerker ein Damm gegen Scheinselbständigkeit gebaut wird. War es nicht der Bundesarbeitsminister, der diesen Damm ebenfalls gefordert hat?
Ich möchte eines deutlich machen - Herr Schäuble, Herr Glos und Herr Hintze sind nicht anwesend -:
Wir sprechen über eines der zentralen Probleme auf dem Arbeitsmarkt, über eines der zentralen Probleme für das Rechtsbewußtsein und das Vertrauen in den Staat und seine Fähigkeit, Schutz zu bewirken und die Einhaltung von Vorschriften und Gesetzen zu erreichen. Es ist außerordentlich billig, sich in allerlei Interviews dahin gehend zu äußern, jawohl, da muß etwas geschehen, da muß man etwas tun, da muß etwas entschieden werden,
und dann bei solchen Debatten im Deutschen Bundestag weder anwesend zu sein noch sich mit Wortmeldungen zu beteiligen und möglicherweise auch nicht an Abstimmungen teilzunehmen. Das macht deutlich: Es ist unglaubwürdig, was da einige treiben.
Verehrte Frau Kollegin Babel, da Sie ja auf diesem Thema immer - -
- Nein, ich will nicht sagen, daß Sie besonders darauf „rumreiten". Sie haben nur gesagt, es sei eine „Hexenjagd".
Das haben Sie ausweislich des „Fernseh- und Hörfunkspiegels Inland" des Bundespresseamtes am 20. Oktober 1997 gesagt. Wer mit solchen Äußerungen an dieses ernste Thema herangeht, der hat etwas übersehen, nämlich daß in Deutschland vermutlich 5 Millionen Frauen außerhalb der Sozialversicherung von Handelsketten usw. beschäftigt werden. Das ist ein Schaden für die betroffenen Frauen, und es ist ein Schaden für die anderen Firmen, die mit diesen Handelsketten konkurrieren müssen.
Deswegen zeigt sich auch hier leider mehreres: In der Koalition gibt es einige, die die richtige Einsicht haben, sie sind aber unfähig, die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen und sie umzusetzen. Wenn man überhaupt in Deutschland von Blockade reden kann: Da ist sie.
Sie sind unfähig, etwas durchzusetzen.
Das zweite ist: Diejenigen, die sich hier immer als besonders mittelstands-, selbständigen- und handwerksfreundlich gerieren - was sind sie tatsächlich? Sie sind entweder aus Ignoranz oder aus anderen Gründen - wie auch immer - ganz konkret und praktisch Gegner von Wettbewerbsgleichheit und Wettbewerbsfähigkeit.
Ich will damit auch sagen: Wir reden hier über den Arbeitsmarkt, die soziale Sicherheit und über ein Thema, das mit der Wettbewerbsfähigkeit und mit den Wettbewerbsbedingungen des Handwerks und Mittelstandes zu tun hat. Auf allen drei Gebieten haben Sie bisher versagt.
Wenn Sie das heute erneut ablehnen, auch diejenigen, die sich öffentlich ganz anders geäußert haben: Nun, was wird dann passieren? Es wird eine Pause von sechs Monaten eintreten. Dann passiert es.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Julius Louven, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Scharping, ich finde es schon eigenartig. Wir führen heute eine sozialpolitische Debatte; die verantwortlichen Sozialpolitiker der Koalition sind hier.
Zufällig reden Sie als Nicht-Sozialpolitiker einmal in einer sozialpolitischen Debatte. Sie nehmen sich heraus, Klage darüber zu führen, daß unser Fraktionsvorsitzender, der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe und der Generalsekretär der CDU nicht im Saal sind.
Herr Scharping, dies war schlechter Stil. Dies sehen Sie wahrscheinlich auch ein.
Ich will Ihnen, Herr Scharping, zwei weitere Dinge sagen. Sie haben Wim Kok angesprochen. Würden Sie doch bereit sein, von Wim Kok mehr zu lernen,
dann kämen wir in der Sozialpolitik viel besser voran. Er hat es Ihnen ja auf Ihrem Parteitag sehr deutlich ins Stammbuch geschrieben, aber Sie haben daraus nicht die erforderlichen Lehren gezogen.
Noch etwas: Sie haben gesagt, Herr Scharping, unser Nichtstun werde dazu führen, daß sich rechtsradikaler Protest erhebe. Versuchen Sie nicht, hier eine Schuldzuweisung bezüglich des Abschneidens der DVU in Sachsen-Anhalt vorzunehmen. Ich kann Ihnen, Herr Scharping, nur sagen: Wer Linksaußen hätschelt, erntet Rechts. Dies ist eine alte Erfahrung; darüber sollten Sie nachdenken.
Nun will ich etwas versöhnlicher werden, Herr Scharping, und Ihnen ausdrücklich zugestehen, daß hinsichtlich der geringfügig Beschäftigten und hinsichtlich der Scheinselbständigkeit absoluter Handlungsbedarf besteht.
- Frau Fuchs, warten Sie doch einmal ab. - Dies hat unser Fraktionsvorsitzender deutlich gemacht. Dies hat der Bundeskanzler erklärt. Dies haben wir auch Ende letzten Jahres hier im Deutschen Bundestag in
einer Entschließung ausdrücklich zum Ausdruck gebracht.
- Ich rede erst zwei Minuten, Herr Büttner. Ich will Ihnen einiges dazu sagen. Vielleicht warten Sie einmal ab.
Wir haben also absoluten Handlungsbedarf. Nur, es ist viel schwieriger, zu einer Problemlösung zu kommen, als Sie es dargestellt haben. Ihre beiden Gesetzentwürfe zur geringfügigen Beschäftigung und zur Scheinselbständigkeit sind absolut ungeeignet. Dies haben Kollegen und Kolleginnen Ihrer Fraktion auch anerkannt. Ihre Gesetzentwürfe sind zu kompliziert. Sie sind nicht handhabbar.
Sie berücksichtigen nicht die karitativen Einrichtungen. Sie berücksichtigen nicht die Interessen der Sport- und der Gesangvereine.
Und sie berücksichtigen auch nicht die Interessen der Gastronomie und der Landwirtschaft sowie des Einzelhandels. Denn wir müssen Regelungen präsentieren, die eine flexible Abrufbarkeit von Arbeit garantieren. Dies würden Sie mit Ihren Gesetzentwürfen unmöglich machen.
Wir haben in der Tat Handlungsbedarf. Dies habe ich anerkannt. Wir diskutieren diese Frage seit langem, haben es neuerdings aber mit dem Phänomen zu tun, daß sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse in sozialversicherungsfreie umgewandelt werden,
und dies in großem Umfang. Grund dafür - darüber sollten wir auch gemeinsam nachdenken - ist der Kostendruck, dem die Unternehmen unterliegen. Das sind die hohen Lohnzusatzkosten. Wenn wir an Einsparungen herangehen, jaulen Sie auf. Im übrigen wollen Sie ja das, was wir an Einsparungen beschlossen haben, rückgängig machen.
Damit würden Sie die Situation noch zusätzlich verschärfen.
Diese Umwandlung von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen führt zu Wettbewerbsverzerrungen. Das sehen wir. Diese Wettbewerbsverzerrungen bringen es dann mit sich, daß diejenigen, die sich bisher ordentlich verhalten, eines Tages möglicherweise das gleiche tun. Das zwingt uns zum Handeln; denn die Folge dieser Umwand-
Julius Louven
lung besteht darin, daß zunächst die Beiträge in der Krankenversicherung steigen müssen - und zwar dadurch, daß die Anzahl von Leistungsbeziehern gleichbleibt, die Anzahl von Beitragszahlern aber geringer wird - und daß die Beiträge in anderen Sozialversicherungssystemen dann auch steigen müssen.
Ich habe zu diesem Problembereich einen Vorschlag gemacht. Herr Scharping, viele Kollegen Ihrer Fraktion, gestandene Sozialpolitiker, haben diesen Vorschlag begrüßt.
Dieser Vorschlag garantiert, daß Arbeit weiterhin flexibel abgerufen werden kann, wenn die Tarifvertragsparteien mit einem solchen Instrument verantwortlich umgehen.
Jetzt will ich Ihnen sagen, warum es noch keinen Gesetzentwurf gibt. Sie wissen doch aus Koalitionsregierungen, die auch Sie hatten oder die Sie noch haben, daß Sie nur im Einvernehmen mit dem Koalitionspartner etwas vorlegen können.
Bisher ist es eben nicht gelungen, mit unserem Koalitionspartner in dieser Frage zu einer einvernehmlichen Regelung zu kommen. Daran arbeiten wir. Ich denke, auch unser Koalitionspartner kann nicht die Augen vor dem Wandel verschließen, der sich zur Zeit in Deutschland vollzieht.
Ich will das hier ganz offen sagen: Herr Friedhoff, ich war schon ein wenig enttäuscht, daß Sie meinen Vorschlag, den Sie gar nicht in Gänze, sondern nur aus der Presse kennen konnten, abgelehnt haben und dann auch noch behauptet haben, bei meinem Vorschlag würde Arbeit teurer.
Vielleicht rechnen Sie mir dies einmal vor. Ich kann Ihnen nachweisen, daß die Arbeit auf Grund meines Vorschlags nicht teurer wird. Im übrigen sollte auch die F.D.P. einmal darüber nachdenken, daß die Deutsche Angestelltengewerkschaft und andere Einrichtungen diesen Vorschlag gut finden, und zwar auch die Regelungen, die ich für die Sozialversicherung vorgeschlagen habe.
Ich habe ausgeführt, daß die Lösung schwierig ist. Das entbindet uns nicht davon, daran zu arbeiten. Wir haben in der Fraktion eine Kommission eingesetzt. Wir werden Lösungsvorschläge präsentieren, allerdings - davon gehe ich aus - nicht mehr in dieser Legislaturperiode.
Insofern haben Sie, Herr Scharping, recht: Es wird sechs Monate später werden. Aber das ist wie bei der Steuerreform. Wir hätten die Steuerreform, die wir im Juni letzten Jahres hier beschlossen haben, verabschieden können. Sie haben sie blockiert.
Wenn wir die Wahl gewinnen - wovon ich ausgehe -, wird es zur Steuerreform kommen, aber mit einem Jahr Verzögerung, mit all den verheerenden Auswirkungen auf die Arbeitsplätze.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, wir sollten die Lösung dieses Problems weiterhin sorgfältig beraten. Ich sage abschließend noch einmal: Ihre Gesetzentwürfe sind absolut ungeeignet, die Problematik zu lösen.
Zum Thema Scheinselbständigkeit nur soviel: Auch hier ist der Handlungsbedarf anerkannt. Wir müssen aber, wenn wir an eine Neuregelung herangehen, daran denken, daß wir den Schritt in die Selbständigkeit nicht erschweren.
Dies kann nicht in unserem Interesse sein. Deshalb arbeiten wir an Lösungen, die ähnlich der Regelung der Handwerkerversicherung ist. Für selbständige Handwerker ist ja eine gesetzliche Rentenversicherung vorgeschrieben. Ich könnte mir vorstellen, daß dies ein Weg ist, den wir gemeinsam verabreden können. Dieser Weg wäre sicherlich viel unkomplizierter als Ihr umfangreicher Gesetzesvorschlag, dessen Umsetzung wirklich nicht zu praktizieren ist.
Das Wort hat die Abgeordnete Annelie Buntenbach, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Morgen ist, wie wir alle wissen, der 1. Mai. Ich hoffe sehr, daß viele Menschen an den Kundgebungen und Veranstaltungen des DGB teilnehmen werden. Denn die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit braucht dringend Unterstützung und Nachdruck.
Die Arbeitslosigkeit hat während der Regierung Kohl unerträgliche Ausmaße erreicht. Die Sozialkassen stehen in einer sehr schweren Belastungsprobe. Die Schere zwischen Arm und Reich ist inzwischen so weit auseinandergegangen, daß das nicht nur den DGB als Interessenvertretung auf den Plan ruft. Auch die Kirchen kritisieren die unerträgliche soziale Schieflage.
Was hat die Bundesregierung nicht alles versprochen! Und welche Versprechen hat sie eigentlich nicht gebrochen? Der Kanzler wollte bis zum Jahr 2000 die Arbeitslosigkeit halbieren. Statt es aber überhaupt ernsthaft zu versuchen - und zwar in ei-
Annelle Buntenbach
nem Bündnis für Arbeit -, hat er die ausgestreckte Hand der Gewerkschaften ausgeschlagen. Die Regierung hat, genau wie die Arbeitgeber, ihren Beitrag zur Umwandlung von Überstunden in Neueinstellungen schlicht verweigert und damit zugelassen, daß 1996 und auch 1997 fast 1,8 Milliarden Überstunden geleistet wurden.
Die Beschäftigungsinitiative für Ostdeutschland mit dem Versprechen von jährlich 100 000 neuen Arbeitsplätzen ist gescheitert. Der Kündigungsschutz ist aufgeweicht worden. Sie haben mit großem Trara die Ladenöffnungszeiten verlängert. Aber wo sind denn die neuen Jobs, die Sie den Menschen dafür versprochen haben? Statt dessen haben Sie noch einmal einen regelrechten Schub in Richtung ungeschützter Beschäftigungsverhältnisse in Gang gesetzt.
In Amerika kursiert ein schlechter Witz: Sitzen zwei Geschäftsleute in einem Restaurant und reden über die wirtschaftliche Entwicklung. Sagt der eine zum anderen: Inzwischen sind wir doch wirklich vorangekommen - so viele neue Arbeitsplätze haben wir geschaffen. Da dreht sich der Kellner um und sagt: Ja, zwei davon habe ich.
- Zwei.
Ich frage Sie von den Regierungsfraktionen: Wollen Sie diese Entwicklung hier wirklich noch weiter vorantreiben? Wollen Sie, daß man zwei oder drei Jobs braucht, weil man von einem nicht mehr leben kann? Mit Ihrer Ausweitung des Billiglohnbereichs, der Zerlegung regulärer Jobs in Minijobs unterhalb der Sozialversicherungspflicht drängen Sie die Menschen aus den sozialen Sicherungen heraus und setzen die Gesellschaft einer Zerreißprobe aus.
Ihre Politik führt statt zu einer Verringerung der Arbeitslosigkeit nur zur Verschärfung sozialer Ungerechtigkeit. Die Halbwertzeit Ihrer Versprechen wird inzwischen immer kürzer, und Sie versuchen jetzt, sich mit Wahlkampfbonbons und geschönten Statistiken über den Wahltag zu retten. Was Sie hier abliefern, ist ein echter Beitrag zur Politikverdrossenheit.
Wir brauchen aber dringend eine glaubwürdige Politik, die der Arbeitslosigkeit zu Leibe rückt: mit ökologischem Umbau, Arbeitszeitverkürzung, fundierter Arbeitsmarktpolitik, öffentlicher Förderung von Beschäftigung im ökologisch-sozial-kulturellen Bereich. Und wir brauchen die Sozialversicherungspflicht für jede dauerhafte Beschäftigung.
Eine solche Politik setzt auf gesellschaftliche Integration statt auf Ausgrenzung. Keine Gesellschaft kann es sich ohne Gefahr für die Demokratie leisten, ihr unteres Drittel einfach abzuhängen. Keine Gesellschaft kann es sich leisten, ganze Gruppen von ihrem Anspruch auf Teilhabe an der Erwerbsarbeit auszuschließen, wie es diese Regierung tut, die auf Sündenböcke und Schuldzuweisungen setzt.
Lassen Sie mich hier einen Punkt ansprechen, der mir nach dem erschreckenden Wahlerfolg der DVU in Sachsen-Anhalt sehr am Herzen liegt - wir alle haben heute diesen Punkt schon angesprochen -: Jenseits aller Polemik - derer bedienen wir uns ja in Wahlkampfzeiten alle gerne - möchte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stelle ernsthaft und nachdrücklich auffordern und an Sie appellieren: Lassen Sie uns bitte keinen Wahlkampf auf dem Rücken von Migrantinnen und Migranten führen!
Wir können uns gerne weiter gegenseitig beschimpfen, aber lassen Sie uns darauf verzichten, mit der DVU um eine möglichst autoritäre oder restriktive Innen- und Sozialpolitik zu wetteifern.
Gegenstand der Anträge, über die wir heute zu befinden haben, ist ein Systemwandel, eine tiefgehende Veränderung der Arbeits- und Lebenssituation vieler Menschen, die insbesondere ihre soziale Absicherung im Kern betrifft. Das hat der Kollege Scharping sehr anschaulich ausgeführt. Scheinselbständigkeit oder Beschäftigung unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze sind nicht etwa ein Phänomen am Rande der Gesellschaft, sondern finden massenhaft in der Mitte statt.
Im Baubereich haben Sie eine ganze Branche mit Ihrem halbherzigen Entsendegesetz und seinen mangelhaften Kontrollmechanismen zu einem Versuchsfeld für Lohn- und Sozialdumping und illegale Beschäftigung gemacht, mit katastrophalen Folgen für die dort noch Beschäftigten.
Scheinselbständig sind mehr als eine Million Menschen. Die Zahl geringfügiger Beschäftigungen ist nach den neuesten Untersuchungen rasant auf mehr als 5,5 Millionen angewachsen, und die meisten davon sind Frauen. Während diese Minijobs seit 1992 um 25 Prozent zugenommen haben, hat gleichzeitig die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse um 2 Millionen abgenommen. Auch das ist eine Ursache für Arbeitslosigkeit. Das müssen wir uns an dieser Stelle klarmachen.
Folgen dieses Abbaus von regulärer Beschäftigung und dieser Erosion der Sozialversicherung sind Ausfälle bei der Sozialversicherung, die der DGB auf zwischen 15 und 20 Milliarden DM im Jahr schätzt. Darüber jammern Sie aus den Regierungsfraktionen zwar schon lange, aber Sie tun nichts. Alle Vorschläge, die heute zur Entscheidung auf dem Tisch liegen, kommen aus den Reihen der Opposition.
Daß Sie, meine Damen und Herren aus der CDU/ CSU-Fraktion, in den letzten Monaten alle möglichen Vorschläge in der Presse unterbreitet haben, die jetzt im Parlament eben nicht auf dem Tisch lie-
Annette Buntenbach
gen, macht die Sache nur noch peinlicher. Sie sind als Regierung schlicht handlungsunfähig.
Sie beschleunigen mit Ihrer Politik der Deregulierung den Prozeß, bei dem Sie sich anschließend weigern, dafür die Verantwortung zu übernehmen und wenigstens vernünftige Rahmenbedingungen zu setzen, mit denen der Veränderungsprozeß sozial abgesichert würde. Das ist in Anbetracht der Größe des Problems schlicht verantwortungslos.
Ich will versuchen, das Problem einmal greifbar zu machen. Ich will es mit Hilfe eines Beispiels tun: Wenn ein Arbeitgeber seinem Transportfahrer einen Bully verkauft und ihn verpflichtet, zukünftig die Vertretung für Urlaub und Krankheit selbst zu organisieren und zu bezahlen, ihn dann als Arbeitnehmer entläßt und als Unternehmer unter Vertrag nimmt, ist er die Kosten für die Sozialversicherung los. Er entzieht sich seiner sozialen Mitverantwortung und bürdet die Risiken von Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alter allein dem Arbeitnehmer auf.
So lange der „worst case" nicht eintritt, der Mensch jung und fit ist, gibt es nicht sofort ein Problem. Aber da beim Paketdienst niemand so gut bezahlt wird wie im Profifußball, ist der gemütliche Lebensabend mit der individuellen Vorsorge leider unwahrscheinlich.
Noch unwahrscheinlicher ist es für die Frau, die jahrelang in einem 620- bzw. 520-Mark-Job arbeitet und keine Chance hat, eine eigenständige soziale Absicherung aufzubauen. Von der Sozialhilfe ist sie dann später nur einen Gatten entfernt.
Gemeinsam haben all diese prekären Jobs: Das Leben und Arbeiten bleibt unsicher, die Menschen erpreßbar, fast jeder Anforderung durch den Arbeitgeber ausgeliefert. Das ist der ungebremste Zugriff des Chefs auf die Lebensstruktur der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer statt Wahlmöglichkeiten ihrerseits, zum Beispiel demokratische Mitbestimmung über die Lage und Dauer der Arbeitszeiten. Hier kann dann - und das wissen wir alle - oft auch der Betriebsrat nicht mehr helfen, zumal dieser ja im Zuge der Ausgründung als erstes verlorengeht.
Kaum einer dieser Jobs ist sozialversichert. Um die Abgaben zu sparen, wird die Sozialversicherungspflicht schlicht umgangen. Und nach Möglichkeiten dazu muß kein Arbeitgeber lange suchen; die Bundesregierung hat hierzu ja reichlich Wege frei gemacht.
Der Transportfahrer beim Paketdienst ist nur ein Beispiel für die immer größer werdende Gruppe der Scheinselbständigen. Andere sind Fahrradkuriere, Versicherungskaufleute, Kellnerinnen, Ein-MannSubunternehmen im Baugewerbe oder - auch das gibt es ja inzwischen - die selbständige Regalauffüllerin im Handel. Diese Art der Selbständigkeit hat für die Betroffenen überhaupt nichts mehr gemein mit einem größeren, unabhängigen, also selbständigen
Entscheidungsspielraum. Im Gegenteil: Sie haben nichts dazugewonnen, sondern etwas Wesentliches verloren, nämlich ihre soziale Absicherung. Und wenn sie jetzt abstürzen, dann tun sie das ohne Netz, direkt in die Sozialhilfe. Der Arbeitgeber entledigt sich der Kosten für die Sozialversicherung, zahlen muß letztlich die Allgemeinheit.
Da möchte ich Sie doch fragen: Ist denn das die neue Kultur der Selbständigkeit, die der Kanzler einklagt? Ich halte das eher für einen Schritt zurück in die sozialen Verhältnisse des 19. Jahrhunderts, in den Frühkapitalismus.
Herr Schäuble hat einmal von den „immer teurer werdenden Zwangseinrichtungen" unserer sozialen Sicherungssysteme gesprochen, als sei der Anspruch auf Beteiligung, auf solidarische Versicherung illegitim, als sei es etwas Heroisches, sich dagegen aufzulehnen oder sich zumindest zu entziehen. Zwang wird die Pflichtversicherung für diejenigen, die nicht den Schutz und die Solidarität im Vordergrund sehen, weil sie meinen, sie seien nicht darauf angewiesen. Für die anderen bedeutet die Existenz und die Funktionsfähigkeit der Solidarversicherung ein Stück Freiheit, nämlich Freiheit von existentiellen Ängsten vor Risiken, die die Leute allein nicht abfangen können, wie Krankheit, Arbeitslosigkeit, Alter, Pflege. Von dieser Freiheit hat Herr Schäuble nicht gesprochen, sondern die Freiheit, die er meint, ist die des Stärkeren. Ausgerechnet er, der sonst so gern auf Nation und Staatsräson verweist, hat damit indirekt dazu aufgerufen, sich gesellschaftlicher Verantwortung zu entziehen.
Die Vorschläge der Opposition, wie wir das immense Problem der immer unsichereren Arbeitsverhältnisse angehen können, liegen ja auf dem Tisch. Die Regierung hat dazu praktisch, Herr Louven, außer Bedenken eben nichts zu bieten. Sie ist offensichtlich nicht handlungsfähig, wenn es um die zeitgemäße Verbesserung sozialer Absicherung geht und eben nicht um deren Durchlöcherung oder um Steuergeschenke für Reiche.
Wir haben bei jeder Gelegenheit - und das gilt für alle Oppositionsfraktionen hier - jeden noch vertretbaren Kompromiß angeboten, weil wir alle wissen, wie die Zeit drängt und daß uns das Problem über den Kopf zu wachsen droht.
Monatelang haben wir alle möglichen Vorschläge aus den Reihen der CDU der Presse entnommen; jede zweite Meinung ist mit Veröffentlichung geadelt worden. Daß trotzdem hier heute kein Antrag der Regierungsfraktionen vorliegt, ist zwar der Blockade der F.D.P. geschuldet, aber es ist schlicht ein Armutszeugnis für die gesamte Regierung.
Annelle Buntenbach
Deshalb haben wir noch einmal eine Teillösung des Problems als Entschließungsantrag eingebracht. Diese Teillösung sieht eine Kombination aus dem österreichischen Modell und der Absenkung der Geringfügigkeitsgrenze vor; das liegt Ihnen schriftlich vor. Wir haben damit einen Vorschlag aus den Reihen der CDA aufgegriffen.
- Ja, dann stimmen Sie bitte zu!
Wir haben unseren Antrag vorgelegt, in dem wir unsere Vorstellungen, wie das Problem gelöst werden könnte, formuliert haben. Ich bin aber gern bereit - und das haben wir in der ganzen Debatte deutlich gemacht -, mich auch auf Teillösungen einzulassen, weil ich weiß, daß ansonsten die Sozialversicherungen weiter ausbluten, daß die Wettbewerbsverzerrungen weitergehen, daß die eigenständige Absicherung von Frauen leidet und jeder weitere Aufschub eben besonders zu Lasten von Frauen geht. Deshalb haben wir noch einmal eine Teillösung vorgelegt, von der wir hoffen, daß Sie ihr auch zustimmen können.
Ich denke, wenn wir wenigstens diesen Schritt gemeinsam gehen, dann haben wir eben nicht einen Aufschub um ein weiteres halbes Jahr. Aber wenn Sie sich heute auch diesem Vorschlag verweigern, dann - das kann ich Ihnen jetzt ankündigen - wird die Neuregelung, der Einbezug jeder dauerhaften Beschäftigung in die Sozialversicherung, eines der ersten Dinge sein, die eine rotgrüne Regierung nach dem 27. September zügig anpackt.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Dr. Gisela Babel, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt Selbständige, und es gibt abhängig Beschäftigte. Grundsätzlich sind Selbständige nicht pflichtversichert,
und grundsätzlich müssen sich Beschäftigte versichern.
Von diesen Grundsätzen gibt es - wie immer im deutschen Recht - Ausnahmen. Selbständige, die wie Architekten und Rechtsanwälte in verkammerten Berufen tätig sind, müssen auch eine Pflichtversicherung haben; Handwerker sind für einen begrenzten Zeitraum versichert. Bei den Beschäftigten gibt es Ausnahmen, wenn ihr Verdienst oberhalb der Versicherungsgrenze angesiedelt ist oder wenn sie unterhalb der Grenze auf der Basis von 620-DM-Verträgen beschäftigt sind. Das ist die Ordnung, die wir haben.
Wer nun 620-DM-Verträge versicherungspflichtig machen möchte und wer vielleicht auch noch die Versicherungspflichtgrenze nach oben anheben möchte, wer Selbständige mit der Begründung, sie seien Scheinselbständige, in die Pflichtversicherung zwingen möchte, der will vor allem nur eins: mehr Beiträge in die Sozialkassen lenken.
Das ist vielleicht ein gutes Vorhaben, wenn man nur die Finanznöte in den Sozialkassen bedenkt; aber es ist ein schlechtes Vorhaben, wenn man die übrigen ökonomischen Wirkungen bedenkt: das Anziehen der Daumenschrauben, um dem Bürger noch mehr Geld aus den Taschen zu ziehen.
Beide Themen, Scheinselbständigkeit und geringfügige Beschäftigung, gehören insofern zusammen, als beide in die gleiche Richtung zielen und beide den gleichen Bedenken begegnen. Beginnen wir mit den Scheinselbständigen.
Scheinselbständige sollen für die Rentenversicherung eingefangen werden. Was ist scheinselbständig?
„Meide jeden bösen Schein", heißt es. Wie bekommt man diesen bösen Schein als Selbständiger?
Herr Scharping, Ihre Sozialpolitiker haben Sie ein bißchen schlecht beraten. Man hätte Ihnen doch noch einiges in Ihre Papiere hineinschreiben müssen,
zum Beispiel die Urteile: Lastwagenfahrer sind sozialversicherungspflichtig, wenn sie nur für einen Betrieb arbeiten dürfen - BVG 1996. Mutterschutz einer selbständigen Handelsvertreterin wird nicht ausgehebelt, wenn die Erwerbstätige nur für einen Auftraggeber tätig sein darf, außerdem umfangreichen Weisungen unterliegt - Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein.
Beschäftigt ein Bauunternehmer einen Arbeiter einer anderen Baufirma vorübergehend, so handelt es sich nicht um einen Subunternehmer, sondern um einen Arbeitnehmer - versicherungspflichtig.
Gibt eine Deutschlehrerin im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeit Unterricht mit vorgegebenem Lehrbuch und vorgegebenen Unterrichtszeiten, so ist sie sozialversicherungspflichtig. Ein Schlachter, der wei-
Dr. Gisela Babel
sungsgebunden beschäftigt ist, ist sozialversicherungspflichtig, auch wenn er ein Gewerbe angemeldet hat.
Meine Damen und Herren, die schockierenden Fälle, die wir in der Anhörung erfahren haben, beziehen sich nach geltendem Recht allesamt auf Menschen, die nicht scheinselbständig, sondern abhängig beschäftigt sind. Hier muß das geltende Recht durchgesetzt werden.
Nun stelle man sich einmal folgendes vor: Es wagt ein junger Mensch den Sprung in die Selbständigkeit, vielleicht aus der Arbeitslosigkeit, der Ausbildung oder aus einem Beschäftigungsverhältnis heraus. Einen Mitarbeiter kann er sich zu Beginn noch nicht leisten. Er fängt klein an, und vielleicht hat er am Anfang auch nur einen einzigen Kunden. Schließlich ist er neu am Markt; das Geschäft soll sich erst entwickeln. Die SPD nennt das in ihrem Wahlprogramm einen „mutigen Existenzgründer". Sie verlangt in ihrem Wahlprogramm „wirksame Hilfen" für unseren jungen Existenzgründer. Außerdem will sie ihn laut Wahlprogramm unter anderem durch eine Senkung der Lohnnebenkosten fördern. Aber vorher holt die SPD erst einmal zu einem Schlag gegen diesen jungen Selbständigen aus: Er soll, bevor er überhaupt seine Existenz neu begründen darf, Sozialabgaben für sich selbst abliefern.
Das ist nun einmal nicht das, was wir uns unter Förderung von Existenzgründungen vorstellen.
Wer den Schritt in die Selbständigkeit wagt, hat es ohnehin schwer genug. Ämter, Behörden, Genehmigungsverfahren, amtliche Bescheinigungen machen die Existenzgründung bei uns zu einem Hindernislauf. Das letzte, was wir brauchen, sind neue finanzielle Belastungen für unsere jungen Selbständigen.
Wir sind dafür, daß sich Selbständige für das Alter absichern. Wir haben verschiedene Möglichkeiten, das zu erreichen. Es soll nicht so sein, daß sie unbedingt auf Fürsorgeleistungen angewiesen sind. Wir denken nicht reflexartig an die Eingliederung in kollektive Sicherungssysteme.
Gerade bei den Selbständigen bietet sich eine private Altersabsicherung an.
Das wäre auch ein Beitrag zur Entlastung der Rentenkassen, deren Situation in 20, 30 Jahren schwierig genug sein wird.
Nun noch einmal zu den geringfügig Beschäftigten: Niemand, nicht einmal ein Arbeitsloser, nicht
einmal ein Eckrentner, ist so oft durch die Plenardebatten „gescheucht" worden wie der geringfügig Beschäftigte. Dabei ist er gar nicht zu bedauern. In ganz überwiegender Zahl ist er mit seinem Los, mit seiner Beschäftigung und seiner Entlohnung völlig zufrieden, und zwar auch die Frauen. Zufrieden sind auch die vielen Arbeitgeber. Denken Sie doch nicht nur an die Kettenläden! Ich habe selbst oft genug an dieser Stelle gesagt, daß die Zustände in den Kettenläden auch unsere Zustimmung nicht finden. Aber bitte sehen Sie sich doch einmal andere Arbeitgeber an: Caritas, Diakonie, Arbeiterwohlfahrt. Denken Sie an die Parteien,
denken Sie an die Vereine. Denken Sie vor allem auch an Universitäten, von denen gerade Studenten Beschäftigung als studentische Hilfskräfte erhalten. Sie glauben doch wohl selber nicht, daß die Universitäten dann, wenn die Versicherungspflicht kommt und diese Verträge verteuert werden, den Studenten noch in demselben Ausmaß Beschäftigung anbieten können.
Alle diese Verträge wollen Sie mit der Verteuerung treffen. Mir ist unbegreiflich, warum es hier nicht einen viel heftigeren Widerstand gibt. Ich glaube, daß die Öffentlichkeit hierüber nur hinlänglich informiert ist.
Den Beschäftigten nutzt der Versicherungsschutz nichts; das haben wir hier schon öfter ausgeführt. Auch den Sozialkassen bringt dies langfristig keine Entlastung. Selbst Professor Ruland hat gesagt, daß man bei Einführung der generellen Versicherungspflicht dafür sorgen muß, daß ihnen dann nicht sofort andere Leistungen aus den Sozialkassen zur Verfügung stehen. Sie sehen schon die Schwierigkeiten.
Arbeitslosigkeit kann man nicht mit der Verteuerung bekämpfen. Man schafft Flexibilität ab, und man trifft auch oft die Familien, in denen ein oder zwei Mitglieder zu einem zusätzlichen Familieneinkommen beitragen.
Die F.D.P. ist für eine Politik, die hierbei nur auf das Heute und nicht auf das Morgen setzt, in der Tat nicht zu haben. Wir sind für die Sanierung der sozialen Sicherungssysteme, aber nicht durch das Erschließen immer neuer Personenkreise.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir zum Schluß noch eine Bemerkung: Wir sind am Vorabend des 1. Mai mit seinen Kundgebungen. Daß der DGB glaubt - und dagegen polemisiert -, der Sozialstaat werde zu Grabe getragen, muß niemanden verwundern. Daß aber die evangelische Kirche es zuläßt, daß Totenmessen auf den Sozialstaat gelesen wer-
Dr. Gisela Babel
den, finde ich unglaublich und unglaublich abstoßend.
Die Bürger unseres Landes, die Gläubigen der Kirche haben es nicht verdient, daß sich die Kirche so schrill, so unwahr, so anmaßend und so unchristlich gebärdet.
Ich rufe die evangelische Kirche auf: Machen Sie diesem Hexenspuk ein Ende! Die Sozialordnung in Deutschland ist und bleibt gesichert.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Dr. Heidi Knake-Werner, PDS.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Babel, daß hier die Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen beschimpft wurden, haben wir schon öfter erlebt, aber daß Sie jetzt auch noch zu einem solchen Rundumschlag gegen die Kirchen ausholen, finde ich einigermaßen überraschend.
Wir diskutieren heute - das ist schon gesagt worden - nicht zum erstenmal über Scheinselbständigkeit, über illegale Beschäftigung und über geringfügig Beschäftigte. In den zurückliegenden Beratungen ist bis in die Reihen der Koalition Handlungsbedarf anerkannt worden. Auch Herr Louven hat das hier bestätigt. Die Bundesregierung bleibt aber untätig, und - was noch viel schlimmer ist - sie blockiert die Initiativen der Opposition. Das ist einfach unverantwortlich.
An dieser Stelle hätten Sie Gelegenheit, endlich Mißbrauch in Milliardenhöhe durch Unternehmer zu bekämpfen. Das wäre glaubwürdige Politik. Statt dessen lassen Sie zu, daß Scheinselbständigkeit im rechtsfreien Raum schlimmste Blüten treibt. Frau Babel, ich habe gedacht, daß wenigstens die Anhörung Ihnen das Problem der Scheinselbständigkeit ein wenig näher gebracht hätte. Sie machen es sich mit dem Verweis auf geltendes Recht wirklich sehr einfach.
Sie schließen die Augen vor illegaler Beschäftigung, obwohl allein am Bau 400 000 Menschen unter unwürdigen Bedingungen arbeiten. Es kümmert Sie offenbar wenig, daß für die meisten der so beschäftigten Menschen der Lohn weder zum Leben reicht noch die geltenden sozialen Schutzstandards Anwendung finden.
Nach Angaben der „Sozialpolitischen Umschau" vom April arbeiten allein 5,6 Millionen Menschen in sogenannter geringfügiger Beschäftigung, das heißt
- das wissen Sie alle -, sie verdienen in Westdeutschland 620 DM bzw. in Ostdeutschland nur 520 DM. Für zwei Drittel von ihnen ist dieses Minieinkommen die einzige Einnahmequelle. Daß dieser Tatbestand überwiegend Frauen betrifft, die damit kaum ein menschenwürdiges, selbstbestimmtes Leben bestreiten können und die zudem im Alter von bitterer Armut bedroht sind, wissen all diejenigen, die seit Jahren für die Versicherungspflicht von 620-DM-Jobs und 520-DM-Jobs kämpfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, es muß Ihnen erneut entgangen sein, daß dies hier im Hause auch durch die PDS geschieht. Da wir aber nicht kleinlich sind, werden wir uns nicht aus diesem Grund bei der Abstimmung über Ihren Gesetzentwurf enthalten. Wir tun dies vielmehr, weil wir gegen Ihre Bagatellgrenze sind; denn wir setzen uns - wie Sie wissen - in unserem Antrag dafür ein, für jede bezahlte Arbeitsstunde die Versicherungspflicht einzuführen.
Natürlich kennt auch die Regierungskoalition die Gefahren jahrelanger prekärer Beschäftigung. Daß Sie von der Regierungskoalition dennoch nichts tun, ist nicht nur frauenfeindlich; vielmehr ist der eigentliche Skandal politischer Natur. Nicht drohende Armut und Unterversorgung der so Arbeitenden regen Sie auf, sondern höchstens die Steuerausfälle und Beitragsverluste bei den Sozialkassen, die in der Tat dramatisch sind.
Aber ist das Problem von Armut trotz Vollzeitarbeit nicht wirklich eines, um das sich verantwortungsvolle Politik kümmern müßte? Viele, die als Scheinselbständige in Paketdiensten, als Teleheimarbeiterinnen oder als Fensterputzer und Verkäuferin geringfügig beschäftigt sind - von illegaler Beschäftigung will ich jetzt gar nicht reden -, gehören zu der Gruppe der „working poor", die auch in der Bundesrepublik leider immer größer wird. Die jüngste Studie des Instituts für Sozialberichterstattung und Lebenslagenforschung in Frankfurt beweist nachdrücklich, daß in diesem Land mehr als 2 Millionen Vollzeitbeschäftigte unterhalb des Existenzminimums leben. In Ostdeutschland nimmt das Problem der verdeckten Armut dramatische Ausmaße an.
Die wildwuchsartige Ablösung des Normalarbeitsverhältnisses durch Scheinselbständigkeit, durch illegale Beschäftigung und durch versicherungsfreie Minijobs vernichtet Schutzstandards und entläßt die Arbeitgeber endgültig aus ihrer sozialen Verantwortung.
Diese Erscheinung ist nicht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis einer Politik, wie diese Bundesregierung sie seit 16 Jahren mit Lohn- und Sozialdumping betreibt.
Herr Louven, wenn Sie hier heute wieder vom Kostendruck der Unternehmen gesprochen haben, dann erinnere ich Sie an die Aussagen von Herrn Müller in der vorhergehenden Debatte, wonach die Lohnstückkosten der Bundesrepublik in den letzten
Dr. Heidi Knake-Werner
Jahren gesunken sind. Erklären Sie mir einmal, wie die enormen Gewinne der Unternehmen in den letzten Jahren zustande gekommen sind, wenn es tatsächlich einen solchen - von Ihnen angenommenen - Kostendruck auf die Unternehmer gibt. Dies ist doch absolut unglaubwürdig!
- Das weiß ich auch. Allerdings ist das ein Ergebnis Ihrer Politik, weil Sie für die klein- und mittelständischen Unternehmen genausowenig tun wie für die Arbeitslosen und die arbeitenden Armen.
Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist zu Ende.
• Dr. Heidi Knake-Werner : Ich komme gleich zum Ende.
Es ist angeblich im Interesse der Schaffung neuer Arbeitsplätze - das hat diese Bundesregierung immer wieder gesagt -, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes voranzutreiben. Diese Bundesregierung hat dem Einzelhandel neue Ladenöffnungszeiten aufgedrängt. Sie ist deshalb dafür verantwortlich, daß Zig-tausende Vollzeitarbeitsplätze in versicherungsfreie 620-DM-Jobs bzw. 520-DM-Jobs und andere Formen prekärer Beschäftigung umgewandelt worden sind - befristet und ohne arbeitsrechtlichen und tarifvertraglichen Schutz.
Frau Kollegin, ich habe gesagt, ihre Redezeit ist zu Ende. Sie reden jetzt auf Kosten Ihres Kollegen Gysi.
Wenn er mir noch eine Minute gestattet, dann würde ich gerne diesen Absatz noch zu Ende führen.
Die Bundesregierung propagiert eine neue Kultur der Selbständigkeit, beschwört Gründer- und Pioniergeist, und was kommt dabei heraus? Heraus kommt, daß immer mehr Unternehmer weniger gewinnträchtige Bereiche und nicht so lukrative Betriebsteile abstoßen und in höchst fragwürdige Formen von Selbständigkeit vergeben. Die Expansion des Franchise-Systems ist dafür ein beredtes Beispiel. Das ist ein Verschiebebahnhof, der nur dazu beiträgt, das Tarifvertragssystem auszuhebeln, die betriebliche Interessenvertretung zu schwächen und die sozialen Standards zu schleifen.
Diese Koalition hat mit ihrer Deregulierungspolitik den beschäftigungsfeindlichen Wildwuchs in unserem Arbeits- und Wirtschaftssystem gefördert und damit einem Prozeß, der ohnehin in Gang ist, die sozialstaatliche Absicherung entzogen, und zwar mit dramatischen Folgen für Arbeitende und Arbeitslose. Daß trotzdem viele Menschen bereit sind, sich auf solche Beschäftigungsverhältnisse einzulassen, ist dem enormen Druck der millionenfachen Arbeitslosigkeit geschuldet und einer Politik, die nicht vorrangig die Arbeitslosigkeit, sondern die Arbeitslosen bekämpft. Daß die „taz" Ihren erneuten Versuch, Arbeitslose zum Spargelstechen zu zwingen, titelt: „Bücken lernen", trifft mehr als nur diesen konkreten Vorgang.
Nein, Sie haben die Menschen aus dem Blick verloren, Sie nehmen ihre Sorgen nicht ernst, Sie haben keine Ahnung mehr von der Perspektivlosigkeit und von der Zukunftsangst, die sich gerade bei jungen Menschen ausbreitet. Dann wundern Sie sich, wenn sie politischen Rattenfängern auf den Leim gehen. Mit Ihrer undifferenzierten Mißbrauchsdebatte, mit Ihrem Kampf gegen die sozial Schwächsten, mit Ihrer Ausländerfeindlichkeit sind Sie dafür die Stichwortgeber.
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Horst Günther.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Scharping kann leider nicht mehr hier sein.
- Lassen Sie mich doch einmal ausreden. Ich wollte gerade sagen, Frau Fuchs, daß ich dafür Verständnis habe; das passiert auch uns schon mal. Aber es ist eigentlich schade, daß er nicht hört, was ich jetzt sage, weil er von seinen Kollegen aus der Sozialpolitik offensichtlich falsch informiert worden ist.
- Den Quatsch, Kollege Andres, können Sie sich jetzt anhören.
Erster Punkt: Seine Rede war aufgebaut mit Vorwürfen gegen die Bundesregierung, was sie alles falsch macht und was im Ausland besser läuft. Er führte unter anderem an, daß es in den Niederlanden von der ersten Mark an Versicherungspflicht gibt. Das ist falsch. In den Niederlanden gibt es eine andere Berechnungsgrundlage. Es gibt keine Geringfügigkeitsgrenze, aber da die Beiträge in den Niederlanden nach steuerlichen Grundsätzen erhoben werden, gibt es dort einen Freibetrag für Versicherungsfreiheit von 520 DM.
Wenn man so etwas nicht weiß, sollte man besser den Mund halten.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Kollege Scharping weiß offensichtlich nicht, daß es auch für die Mißbrauchsbekämpfung Strafvorschriften gibt, daß es jede Menge Anzeigen durch die Bundesanstalt für Arbeit gibt und daß es bereits auch Urteile gibt.
- Warum regen Sie sich über Fakten auf, die ich hier richtig darstelle und die Ihr Fraktionsvorsitzender falsch dargestellt hat? - Es gibt also genügend Strafvorschriften. Woran es aber noch mangelt, sind die Urteile.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Buntenbach?
Nein, jetzt nicht, ich muß erst die Dinge richtigstellen, die hier falsch gesagt worden sind. Ich bitte um Verständnis.
Es liegt nicht an der Bundesregierung - höchstens an Landesregierungen, Kollege Büttner -, wenn die Justiz nicht mitkommt, die ganzen Strafanzeigen, die vorliegen, abzuarbeiten. Das ist Fakt in diesem Sachzusammenhang und nichts anderes.
Das wollte ich erst einmal geradegestellt haben.
Ich will auch noch hinzufügen, daß uns sehr wohl bekannt ist, daß es Beschäftigungsverhältnisse gibt, in denen ein Stundenlohn von 2 oder 4 DM gezahlt wird. Diese verurteilen wir genauso. Deshalb haben wir schon vor Jahren 1000 Mitarbeiter bei der Bundesanstalt für Arbeit eingestellt, die insbesondere Baustellen mit Akribie prüfen. Was Herr Scharping dazu gesagt hat, ist ein Schlag ins Gesicht der fleißigen Mitarbeiter der Bundesanstalt für Arbeit, die - leider - großartige Erfolge auf diesem Gebiet erzielen.
Meine Damen und Herren, wir haben ja schon des öfteren in diesem Hause über die anstehenden Themen beraten. Die Bundesregierung nimmt das Problem der Scheinselbständigkeit sehr ernst. Wir fördern Existenzgründungen, denn wir brauchen einen neuen Aufbruch hin zu mehr Selbständigkeit. Es kann nicht angehen, daß für immer mehr Arbeitnehmer Selbständigkeit konstruiert wird, um die Sozialbeiträge zu sparen, und diese sich damit aus der Solidargemeinschaft verabschieden. In diesem Punkt sind wir uns sicherlich einig. Der soziale Schutz der Betroffenen geht dabei verloren; gleichzeitig führt dieses zu einer Erosion in der Sozialversicherung.
Nach den Ergebnissen einer IAB-Untersuchung waren 1995 - je nach Abgrenzung - zwischen 180 000 und 430 000 Personen Scheinselbständige. Bezogen auf die Zahl aller Erwerbstätigen sind damit zwischen 0,5 und 1,2 Prozent als scheinselbständig einzustufen. Je nach Abgrenzung dürften 330 000 bis zu 1 Million Personen eine scheinselbständige - das heißt: tatsächlich abhängige - Nebentätigkeit ausüben. Von 1995 bis heute hat sich diese Situation eher verschärft. Hierüber müssen wir natürlich reden.
Allerdings lösen die Vorschläge von seiten des Bundesrats und der SPD-Fraktion dieses Problem überhaupt nicht, der Kollege Louven hat sich damit schon beschäftigt. Ihre Gesetzentwürfe gehen an der Realität vorbei. Denn die Frage, ob eine Tätigkeit selbständig oder abhängig ausgeübt wird, kann nur für den konkreten Einzelfall beantwortet werden. Die meisten Tätigkeiten können - rechtlich zulässig - sowohl in Selbständigkeit als auch in abhängiger Beschäftigung ausgeübt werden. Anknüpfungspunkt für das Sozialversicherungsrecht ist grundsätzlich das Beschäftigungsverhältnis. Beschäftigung im Sinne der Sozialversicherung wird durch nichtselbständige Arbeit geprägt. Soweit durch eine vertraglich vereinbarte Selbständigkeit die Sozialversicherungspflicht umgangen werden soll, stimmt die vertragliche Gestaltung häufig nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten überein. Im Sozialversicherungsrecht kommt es aber nicht auf einen noch so scharfsinnig formulierten Vertrag, sondern auf die tatsächlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten an. Das ist das Entscheidende.
Die Frage, ob ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, wird von der Einzugsstelle - der zuständigen Krankenkasse - und im Streitfall von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit entschieden. Die Krankenkassen als Beitragseinzugsstellen sind zusammen mit der Bundesanstalt für Arbeit und den Rentenversicherungsträgern bemüht, Umgehungstendenzen im Zusammenhang mit der Scheinselbständigkeit entgegenzuwirken. Dabei ziehen sie die Kriterien heran, die die Rechtsprechung für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung entwickelt hat.
Eine Schwachstelle bei der Bekämpfung von Scheinselbständigkeit ist allerdings, daß die Einzugstellen häufig erst nach Betriebsprüfungen erfahren, ob Anhaltspunkte für eine solche Scheinselbständigkeit vorliegen. Denn ein Unternehmen, das von der Selbständigkeit einer Tätigkeit ausgeht, meldet den nach seiner Ansicht Selbständigen natürlich nicht bei der Krankenkasse an und führt für ihn auch keine Beiträge ab. Diese Schwachstelle gilt es zu beseitigen. Die vorliegenden Gesetzentwürfe halten aber lediglich Merkmale fest, die von der Praxis und Rechtsprechung seit langem entwickelt worden sind. Das reicht nicht, den Sozialversicherungsträgern das Aufdecken von Scheinselbständigkeit zu erleichtern.
Wenn der Kollege Scharping einen scheinselbständigen Kellner entdeckt hat, soll er ihn doch der Krankenkasse melden und den Betrieb einmal prüfen lassen. Dann kann festgestellt werden, ob er scheinselbständig ist oder nicht. Das ist besser, als hier im Bundestag der Bundesregierung Vorwürfe zu machen. Damit haben wir nun wirklich nichts zu tun.
Parl. Staatssekretär Horst Günther
Schon heute müssen Einzugsstellen und Prüfdienste die im Gesetzentwurf genannten Kriterien in jedem Einzelfall prüfen und würdigen. Die vorgeschlagene gesetzliche Normierung dieser Kriterien und die in diesem Zusammenhang vorgesehene Vermutung machen diese Prüfung nicht entbehrlich.
Statt dessen entsteht die Gefahr, daß sich die Beteiligten mit entsprechend gestalteten Verträgen schnell auf die neue Rechtslage einstellen. Damit wird das Gegenteil von dem erreicht, was eigentlich gewollt ist.
Ich erinnere an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1996, in der das geltende Recht zum Begriff des Beschäftigungsverhältnisses begrüßt wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat seinerzeit festgestellt, daß dieser offene Ansatz über Jahrzehnte hinweg auch den sich ändernden Sozialstrukturen gerecht werden konnte. Er ist besser geeignet, Umgehungen im Versicherungs- und Beitragsrecht zum Nachteil abhängig Beschäftigter zu vermeiden, als eine Normierung bestimmter Kriterien, die immer nur den Charakter einer Momentaufnahme haben kann. - Ich habe bereits beim letzten Mal gesagt: Es gibt viele, die wissen, daß sie scheinselbständig tätig sind, die sich aber aus Angst, sonst überhaupt keinen Job zu haben, nicht melden. Wenn das geschehen würde, könnte man der Sache besser nachgehen. - Ich stimme der Wertung des Bundesverfassungsgerichts ohne jede Einschränkung zu. Nur eine offene Definition ermöglicht der Praxis, flexibel auf neue Erscheinungsformen der Arbeitswelt zu reagieren. Andere Wege sind - wie jeder Aktionismus - Holzwege.
Es geht also darum, Scheinselbständigkeit besser zu erfassen und aufzudecken. Hier hat die Bundesregierung bereits gehandelt: So sind seit 1995 Übermittlungen von Gewerbeanzeigen an die Einzugsstellen vorgesehen. Seit Mitte 1996 sind die Prüfbefugnisse nach der Beitragsüberwachungsverordnung erweitert worden. Mittlerweile können die Betriebsprüfer auch ohne besondere Begründung über den Bereich der Lohn- und Gehaltsabrechnung hinaus die Finanzbuchhaltung einsehen, also auch die Verträge mit den freien Mitarbeitern. Jetzt kommt es darauf an, daß die Sozialversicherungsträger diese Möglichkeiten auch tatkräftig nutzen. Die Bundesregierung beobachtet die Entwicklung in diesem Bereich weiterhin mit großer Aufmerksamkeit. Wir werden ergänzende Maßnahmen treffen, wenn dies notwendig ist.
In diesem Zusammenhang bedarf es einer eingehenden Überprüfung der Frage, inwieweit arbeitnehmerähnliche selbständig Erwerbstätige eines Versicherungsschutzes gegen die Risiken der Invalidität und des Alters bedürfen, um Not und Fürsorge zu vermeiden. - Der Kollege Louven hat bereits davon gesprochen, daß solche Dinge im Augenblick beraten werden. - Die von der SPD vorgeschlagenen Neuregelungen werden diesem Anspruch leider nicht gerecht und deshalb von uns abgelehnt.
Meine Damen und Herren, damit komme ich zu den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, den sogenannten 620-DM-Verträgen. Vorweg stelle ich klar: Auch mir paßt es nicht, wenn Arbeitgeber versicherungspflichtige Arbeitsplätze in mehrere sozialversicherungsfreie geringfügige Beschäftigungsverhältnisse aufspalten.
Das ist, Kollege Dreßen, eine Kampfansage an unseren Sozialstaat. Das darf man wohl so formulieren.
Früher waren geringfügige Beschäftigungsverhältnisse die Ausnahme. So war auch die Intention des Gesetzes. Ich habe allerdings zu denen gehört, die gesagt haben: Seid nicht so perfekt, Leute; wenn einer ein paar Mark nebenbei verdient, dann muß nicht sofort der Sozialstaat zulangen. Aber die Verhältnisse haben sich gründlich geändert. Zwischen 1992 und 1997 ist die Zahl der versicherungsfreien Arbeitsverhältnisse um rund 25 Prozent, von 4,5 Millionen auf 5,6 Millionen, angestiegen, und eine weitere Zunahme ist wahrscheinlich. Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung dürfen nicht weiter die Verlierer sein, während die Unternehmen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze aufsplitten und in 620-DM-Jobs zerstückeln.
Die Dummen sind bei einer solchen Entwicklung die treuen und ehrlichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer; sie müssen um so höhere Beiträge zahlen. Hier sind die Arbeitgeber aufgefordert, Solidarität und Verantwortung gegenüber den Arbeitnehmern und der Sozialversicherung zu zeigen.
Ich hätte mich gefreut, wenn der Kollege Scharping einen Appell an die Arbeitgeber gerichtet hätte, sich darüber einig zu werden, die Zerstückelung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze zu unterlassen. Statt dessen hat er der Bundesregierung vorgeworfen, daß sie in dieser Richtung nicht genügend tut.
- Frau Fuchs, Sie lachen in Ihrer bekannten Weise, weil Sie wissen, daß alles, was der Kollege Scharping vorgeführt hat, nur Wahlkampfgetöse ist. Sonst hätte er zu diesem Thema überhaupt nicht gesprochen. So und nicht anders ist es doch.
Es ist vor allem die hohe Belastung mit Steuern und Abgaben, die die Arbeitnehmer oft veranlaßt, auf versicherungsfreie Beschäftigungsformen auszuweichen oder sie anzunehmen, weil sie sonst nichts anderes bekommen. Ein Ja zur Steuerreform wäre sicherlich der bessere Beitrag gewesen, um dieser Problematik beizukommen.
Parl. Staatssekretär Horst Günther
Die Verweigerung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, wenn es darum geht, den Bürgern Milliarden an Steuern zurückzugeben, wirkt sich auf die Binnennachfrage und auf den Arbeitsmarkt verheerend aus.
Wenn dadurch die Realeinkommen sinken, trägt dafür ebenfalls die SPD die Verantwortung und nicht die Tarifpartner. Sie wollen auch gar nicht, wie es der Titel Ihres Gesetzentwurfs vermuten läßt, den Mißbrauch der Geringfügigkeitsgrenze bekämpfen. Sie wollen sie doch im Grunde abschaffen. Dies lehne allerdings auch ich ab. Wir wollen den Mißbrauch bekämpfen, aber die Geringfügigkeitsgrenze nicht generell abschaffen.
Anders als die Opposition setzt die Bundesregierung nicht auf die Fata Morgana, mit einer Herabsetzung der Geringfügigkeitsgrenze bis hin zu ihrer faktischen Abschaffung könnte man das Problem lösen. Eine politische Lösung, meine ich, bedarf der Akzeptanz von seiten aller Beteiligten; sonst werden wieder neue Schlupflöcher erfunden. Wir wissen, daß die Arbeitgeber die hier vorgeschlagene Radikallösung ablehnen. Ihnen würde zum Beispiel die Möglichkeit genommen, auf Auftragsspitzen flexibel zu reagieren. Auch wissen wir, daß eine generelle Versicherungspflicht bei den geringfügig Beschäftigten überwiegend auf Ablehnung stößt.
Bei dieser Interessenlage eine konsensfähige Lösung zu finden ist zugegebenermaßen sehr schwierig. Mit einem Rundumschlag, wie hier vorgeschlagen, ist es jedoch nicht getan.
Wir werden uns weiter bemühen, sachgerechte Lösungen zu finden, wenn es sein muß, auch in mehreren Schritten; denn in diesem sensiblen Bereich verspricht ein behutsames Vorgehen eher Erfolg als die große Dampfwalze.
Zu dem Gesetzentwurf der SPD hat eine ausführliche Anhörung stattgefunden. Er wurde im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ausgiebig beraten. Ohne daß neue Erkenntnisse vorliegen, legt Frau Ministerin Stolterfoht aus Hessen einen Gesetzentwurf vor, der noch nicht einmal einen anderen Namen trägt. Dabei hat das Land Hessen in der vorigen Woche - man höre und staune - in den zuständigen Ausschüssen des Bundesrates beantragt, die Behandlung dieses Antrags, der mit dem heute hier zur Entscheidung stehenden identisch ist, zu vertagen, und dies mit der lächerlichen Begründung, daß die Prüfung des Gesetzesantrages noch nicht abgeschlossen sei. Ein Schelm, der dabei an die bevorstehende Bundestagswahl denkt! Der Kandidat aus Niedersachsen muß in seinem Bauchladen eben für jeden etwas dabeihaben.
Allerdings steht dann im Wahlprogramm der SPD sehr abgeschwächt und unkonkret zu diesem
Thema -:
Den Mißbrauch bei den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen wollen wir beseitigen.
- Das werden Sie noch lesen. - Aber die Bürger lassen sich nicht für dumm verkaufen:
hier Maximalforderungen stellen und dort eine pflaumenweiche Forderung im Wahlprogramm, natürlich unter dem Finanzierungsvorbehalt so wie dort alles. Meine Damen und Herren, mit solchen faulen Eiern werden Sie niemanden überzeugen können.
Vielen Dank.
Ich erteile der Abgeordneten Annelie Buntenbach das Wort zu einer Kurzintervention. Bitte schön.
Lieber Kollege Günther! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein interessantes Phänomen: Wenn man mit dem Rücken an der Wand steht, dann versucht man die Flucht nach vorn, und die funktioniert mit drei Mechanismen: Einmal funktioniert sie so, daß man den Überbringer der schlechten Nachricht schlechtmacht, statt sich die Nachricht anzuhören. Dann funktioniert sie darüber, daß man das Problem selbst herunterspielt, und darüber, daß man dann gegenüber den vorliegenden Vorschlägen Bedenken, Bedenken und noch mal Bedenken äußert, statt selbst etwas vorzulegen. Damit, meint man dann, kann man das Problem erledigen. Genau das funktioniert aber so nicht.
Ich will jetzt einen Punkt, den ich als ein Herunterspielen des Problems bezeichnet habe, einmal ausführen. Sie haben sich auf die IAB-Studie bezogen und haben erklärt: Darin wird deutlich, daß die rechtliche Grundlage jetzt und heute ausreicht. Dann haben Sie fortgeführt: Der Kollege Scharping soll doch den Kellner melden; dann wird man schon überprüfen, was er für einen Status hat. Genau so funktioniert es nicht.
Die IAB-Studie ergibt, daß es ein breites Feld von über einer Million Menschen gibt, deren Status ungeklärt ist. Diese können natürlich versuchen, für sich selbst ihren Status zu klären. Nur wissen auch Sie, was das bedeutet, nämlich daß der Mensch nachher in der Regel seinen Job los ist. Er hat dann zwar seinen Status geklärt. Aber da er keinen vernünftigen rechtlichen Schutz hat, ist er danach den Job und damit die soziale Absicherung los, für die er geklagt hat. Das kann der Kollege Scharping für den Kellner gar nicht erledigen, weil wir - das gilt so-
Annette Buntenbach
wieso für die SPD, aber eben auch für die Gewerkschaft - kein Verbandsklagerecht haben. Auch an dieser Stelle haben wir also ein Loch.
Der Kollege Scharping wollte - das kann ich nur voll unterstreichen - die Botschaft übermitteln, daß die Wirtschaft nicht kaputtgeht, wenn die Geringfügigkeitsgrenze abgeschafft und jede dauerhafte Beschäftigung in die Sozialversicherung einbezogen wird. In diesem Zusammenhang hatte er sich auf ein Beispiel aus den Niederlanden bezogen. Sie haben behauptet, er habe falsche Fakten genannt. Ich sage: Sie haben falsche Fakten genannt.
In den Niederlanden gibt es nämlich keine Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung. Die Versicherungspflicht gilt ab der ersten Arbeitsstunde. Sie haben zwar recht - der Kollege Scharping hat das vorhin im einzelnen nicht auseinandergewuselt -, daß dort für andere Versicherungszweige ein späterer Einstieg in die Sozialversicherung gilt. Aber für die Rentenversicherung - über die reden wir derzeit hier im wesentlichen - gilt, daß es keine Ausnahme für geringfügige Beschäftigung gibt und daß daher die Rentenversicherungspflicht ab der ersten Stunde und ab dem ersten Gulden besteht.
Das gleiche gilt übrigens auch für Frankreich, wo es überhaupt keine Sonderregelungen für geringfügige Beschäftigung gibt. Auch in anderen Ländern wird die Versicherungspflicht restriktiver gehandhabt als in der Bundesrepublik. Wir haben hier die höchste Geringfügigkeitsgrenze, die es überhaupt gibt. Damit lassen wir einen breiten Raum für Wildwuchs zu, was gesellschaftlich, so finde ich, absolut unverantwortlich ist.
Ich behaupte: Der Blick nach Europa, der auch anderen Fraktionen nützen würde, zeigt, daß die Wirtschaft nicht kaputtgeht, wenn die Geringfügigkeitsgrenze abgeschafft wird.
Herr Staatssekretär, Sie können antworten.
Frau Kollegin Buntenbach, es ist ja schön, daß Sie den Kollegen Scharping verteidigen.
Dennoch ist das, was er hier gesagt hat, und das, was Sie hier gesagt haben, falsch. In den Niederlanden werden Freibeträge bei allen Sozialversicherungen im 520-DM-Bereich gewährt. Da beißt keine Maus den Faden ab. Ich habe eben schon erklärt: Es gibt
zwar keine Geringfügigkeitsgrenze; aber durch die Freibeträge wird das kompensiert.
- Sie müssen sich einmal richtig informieren!
Wenn Sie meinen, wir stünden mit dem Rücken zur Wand, dann kann ich Ihnen nur sagen: Wenn man an der Wand steht, steht man sicher. Ich kann auf diese Weise ganz gut stehen. Das ist also nicht das Problem.
Zu dem, was Sie sonst noch ausgeführt haben: Frankreich habe ich nicht erwähnt, weil es mit diesem Thema überhaupt nichts zu tun hat. Mir liegt die Aufstellung für alle europäischen Staaten selbstverständlich vor.
Aber weil Sie mich gerade angesprochen haben und weil ich noch Zeit habe, will ich Ihnen sagen, daß auch Sie in Ihrer Rede nichts Falsches in die Welt setzen sollten. Das habe ich eben vergessen. Sie haben nämlich dem Bundeskanzler wieder vorgeworfen, er habe behauptet, die Arbeitslosigkeit werde bis zum Jahr 2000 halbiert. Seien Sie doch einmal so freundlich und nehmen Sie zur Kenntnis, daß dieses in einem gemeinsamen Papier mit den Sozialpartnern steht. Das war damals die Geschäftsgrundlage. Auf dieser Basis wurde die Aussage getroffen.
- Ich kann Ihnen das Papier gerne zur Verfügung stellen. - Diese Geschäftsgrundlage ist nicht mehr gegeben, und deshalb ist es nicht statthaft, eine solche Unterstellung dem Bundeskanzler gegenüber im Parlament auszusprechen.
Das Wort hat die Abgeordnete Leyla Onur, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Bundesrepublik gilt bekanntlich das Prinzip: Personen, die gegen Entgelt beschäftigt werden, sind grundsätzlich in der gesetzlichen Sozialversicherung gegen Arbeitslosigkeit, Pflegebedürftigkeit, Krankheit sowie Berufs- und Erwerbsunfähigkeit versichert. Zudem erwerben sie durch ihre Beiträge in die Rentenversicherung einen Rentenanspruch.
Eine Ausnahme - ich wiederhole: eine Ausnahme
- sollten nach dem ursprünglichen Willen des Gesetzgebers die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse sein, also die sogenannten 620-DM-Jobs. Um
Leyla Onur
saisonale Schwankungen und Auftragsspitzen abfangen zu können, sollten Betriebe vorübergehend oder für wenige Stunden Arbeitskräfte einstellen können, ohne Beiträge in die Sozialversicherung zahlen zu müssen.
Ich frage Sie: Kann man bei fast 6 Millionen geringfügig Beschäftigten noch ernsthaft von einer Ausnahme reden?
Die Zahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse hat sich nach der jüngsten Studie des Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik in den vergangenen zehn Jahren von 2,8 Millionen auf 5,6 Millionen verdoppelt. Die Zahl steigt von Tag zu Tag weiter.
Tatsache ist, daß das, was einmal als Ausnahme gedacht war, mehr und mehr zur Regel verkommt. Ein Blick in die Lokalzeitung genügt, Unter der Rubrik „Stellenangebote" finden Sie seitenweise Jobs auf 620-DM-Basis. Besonders Frauen sind zunehmend gezwungen, diese 620-DM-Jobs anzunehmen, weil immer weniger sozialversicherungspflichtige Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse angeboten werden. Wie der Kollege Keller von der CSU am 1. Oktober 1997 sehr richtig festgestellt hat, findet
eine massenweise Umschichtung von versicherungspflichtigen Beschäftigungen hin zu den berühmten 610 DM Jobs
statt. Das heißt, versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse werden in 620-DM-Jobs zerstückelt. Die Krönung ist, daß mittlerweile ganze Betriebe nur noch mit 620-DM-Kräften arbeiten. Die Landesversicherungsanstalt Baden hat im April 1998 ermittelt, daß von 85 000 geprüften Betrieben 20 000, das heißt, fast ein Viertel, ausschließlich mit geringfügig Beschäftigten arbeiten.
Das, meine Damen und Herren, hat der Gesetzgeber mit seiner Ausnahmeregelung nicht beabsichtigt.
Die Ausnahmeregelung wird eindeutig mißbraucht, und zwar mit verheerenden Folgen. Geringfügige Beschäftigung verzerrt den Wettbewerb. Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die treu und brav Sozialversicherungsbeiträge abführen, werden mit immer höheren Beiträgen belastet, weil sie für diejenigen mitzahlen müssen, die sich aus der Sozialversicherungspflicht verabschiedet haben. Die Sozialversicherungen erleiden entsprechende Einnahmeverluste in einer Größenordnung von mehr als 16 Milliarden DM. Und das Schlimmste ist, daß immer mehr
Menschen, insbesondere Frauen, ohne soziale Absicherung arbeiten müssen.
Wer vor diesen Tatsachen die Augen verschließt und so tut, als gäbe es keinen Handlungsbedarf, verhält sich wie ein Feuerwehrmann, der vor brennenden Häusern steht und sich weigert zu löschen.
Meine Damen und Herren, die SPD-Bundestagsfraktion will löschen, bevor ein Flächenbrand entsteht.
Deshalb haben wir 1994 einen Gesetzentwurf zur Beseitigung des Mißbrauchs der Geringfügigkeitsgrenze in der Sozialversicherung eingebracht, der von der Koalitionsmehrheit abgelehnt wurde, weil es angeblich keinen Handlungsbedarf gab. In dieser Legislaturperiode haben wir deshalb unseren Gesetzentwurf erneut eingebracht. Unser Vorschlag läßt durchaus den zeitlich flexiblen Personaleinsatz zu, soweit er betriebswirtschaftlich notwendig ist bzw. den Interessen der Beschäftigten entspricht. Er beseitigt allerdings objektiv vorhandene soziale Defizite und Mißbrauchsmöglichkeiten.
Arbeitgeber werden danach generell nach einer Bagatellgrenze - ich verweise dazu auf das Ergebnis des Vermittlungsausschusses - auch für geringfügig Beschäftigte beitragspflichtig. Dadurch wird die ungerechtfertigte Subvention der 620-DM-Jobs abgeschafft, es fließen zusätzliche Beiträge in die Sozialkassen, Lohnnebenkosten werden gesenkt, Arbeitnehmer und Arbeitgeber werden entlastet, und Beschäftigte werden differenziert nach Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung nur dann beitragspflichtig, wenn ein Schutzbedürfnis besteht oder der Grundsatz der solidarischen Finanzierung der Sozialversicherung dieses erfordert.
Meine Damen und Herren, wir haben unseren Gesetzentwurf eigentlich in der Hoffnung eingebracht, daß die Bundesregierung angesichts der dramatischen Entwicklung endlich Einsicht zeigt und handelt.
In der Aktuellen Stunde am 1. Oktober haben einige Abgeordnete der CDU/CSU durchaus den Eindruck erweckt, das Problem und den Handlungsbedarf erkannt zu haben.
Unter anderem - man höre und staune - sprach der Kollege Ramsauer - er ist leider nicht anwesend - von einem dringenden Handlungsbedarf. Nur wenige Wochen später, am 19. Dezember 1997, konnten wir im „Handelsblatt" von dem Kollegen Ramsauer lesen: „610-DM-Jobs kein Thema mehr für die CSU. "
Angenehm überrascht waren wir dann noch einmal im Januar dieses Jahres, als uns der Louven-Vor-
Leyla Onur
schlag über die sogenannten schlanken Beschäftigungsverhältnisse auf die Schreibtische flatterte.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat den Louven-Vorschlag ausdrücklich begrüßt, in wesentlichen Punkten Übereinstimmung festgestellt
und angeboten - ich zitiere den Kollegen Andres -, sofort Gespräche über den Vorschlag von Julius Louven aufzunehmen und auf seiner Basis eine parlamentarische Mehrheit für die längst überfällige Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse sicherzustellen. Mehr kann man nicht tun, wenn man ein Problem ernsthaft lösen will.
Schon in der folgenden Sitzung des Ausschusses erklärte der Kollege Louven dann, es werde mit Ihnen in dieser Legislaturperiode keine wie immer geartete Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse geben, weil die F.D.P. dagegen sei. Das kennen wir schon. Entsprechend ist am 4. März dieses Jahres die Abstimmung im Ausschuß ausgegangen.
Es bedarf keiner prophetischen Gaben meinerseits, um schon jetzt zu wissen, wie die Abstimmung heute ausgehen wird. Sie werden, ohne einen eigenen Vorschlag eingebracht zu haben, unseren Vorschlag ablehnen. Übrigens ist das der einzige Gesetzentwurf, der auf dem Tisch liegt. Das möchte ich hier noch einmal feststellen.
Keine andere Gruppe, keine andere Fraktion hat einen Gesetzentwurf eingebracht. Es gibt zugegebenermaßen Anträge. So sieht die traurige Wahrheit aus.
Es bleibt nur die Feststellung: Drängende Probleme sind mit dieser Bundesregierung nicht lösbar. Deshalb muß sie abgelöst werden.
Nach dem 27. September diesen Jahres wird eine SPD-geführte Bundesregierung für die notwendige Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse sorgen. Das verspreche ich Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Johannes Singhammer, CDU/ CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ursachen für das Wuchern von 620-DM-Jobs und von Scheinselbständigkeit sind die hohen Arbeitskosten und der geringe Ertrag dessen, was in der Hand bleibt.
Brutto und Netto klaffen immer weiter auseinander. Wer ernsthaft dagegensteuern will, darf eine gerechte Steuerreform nicht verhindern. Das ist der politische Lackmustest.
Wer die Auswüchse und Symptome beklagt, ohne die Ursachen konsequent zu verändern, handelt wie jemand, der beim Zahnarzt eine Amalgamfüllung verlangt, während eine Wurzelbehandlung nötig ist. Die Wurzelbehandlung aber heißt Steuerreform.
Wer hier von Ihrer Seite den Vorwurf der Handlungsunfähigkeit macht, der sollte sich zunächst an die eigene Nase fassen und überlegen, ob er die Strategie der Blockade im Bundesrat nicht zuallererst beenden und die Möglichkeiten für eine Steuerreform eröffnen müßte.
Mehrere Millionen 620-DM-Jobs, Scheinselbständigkeit als Wachstumsprogramm und Schwarzarbeit mit einem wachsenden Anteil am Bruttosozialprodukt sind doch die gleiche Seite einer Medaille: ein viel zu hoher Bruttoaufwand pro Arbeitsstunde. Dazu ein Beispiel: Von einem Bruttoaufwand von 90 DM in einer Kfz-Werkstatt verbleiben nach Abzug von Steuern und Sozialversicherungsabgaben einem Junggesellen vielleicht 16 DM und einem Verheirateten 20 DM netto. Dies inspiriert natürlich, die Sozialversicherungs- oder Steuerpflicht mit ständig neuen Modellen zu umgehen.
Der Schlüssel zur Problemlösung - eine gerechte Steuerpolitik - darf deshalb in dieser Debatte nicht aus den Augen verloren werden.
Unser Ziel ist es, mit einer gerechten Steuerreform
möglichst viele reguläre Arbeitsverhältnisse neu zu
schaffen, und zwar Arbeitsverhältnisse, für die So-
Johannes Singhammer
zialversicherungsbeiträge gezahlt und als erträglich empfundene Steuern entrichtet werden.
Sie dagegen gehen mit Ihrem Wahlprogramm einen anderen Weg. Sie stellen viele ungedeckte Schecks aus, was dazu führen wird, daß die Steuerquote steigt und die Abgabenquote nicht sinkt.
Nun zum Vorschlag der SPD. Mit Ihrem Gesetzentwurf wollen Sie, wie in der Begründung nachzulesen ist, die heute geltende Geringfügigkeitsgrenze entfallen lassen. Diese Beschäftigten sollen nach Ihren Plänen künftig, wie alle anderen Arbeitnehmer auch, hälftig einen Arbeitnehmerbeitrag zur Sozialversicherung entrichten. Damit schaffen Sie im wesentlichen die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse ab. Eine Lösung mit der Abrißbirne wird aber dem komplizierten Sachverhalt nicht gerecht.
Augenmaß ist angesagt.
Wir stimmen mit Ihnen darin überein: Wir wollen die massenhafte Flucht aus den Sozialversicherungssystemen stoppen.
Aber dazu gehört mehr als eine Abrißbirne. Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse sind eben auf der einen Seite ein stetig wachsendes Ärgernis durch zunehmende Einnahmeausfälle bei den Sozialversicherungssystemen; auf der anderen Seite - das wissen Sie auch - sehen viele Beschäftigte in diesen Arbeitsverhältnissen eine dringend nötige Verdienstmöglichkeit, auf die sie nicht verzichten wollen. Was in dem einen Fall zu Recht als ungerechtfertigter Vorteil angesehen und als Entsolidarisierung verurteilt wird, kann in dem anderen Fall auf Grund der persönlichen Situation nicht vorschnell verdammt werden. In dem einen Fall betreibt eine Reihe von Unternehmen die massenhafte Umwandlung von Arbeitsplätzen in 620-DM-Jobs, wobei dies als Ausnutzen wirtschaftlicher Macht angeprangert wird. Im anderen Fall kann aber die Beschäftigung von 620-DMArbeitskräften einem kleinen oder Kleinstunternehmen das Überleben im beinharten Konkurrenzkampf ermöglichen.
Wer eine pauschale Abschaffung aller 620-DM-Jobs anstrebt - das tun Sie -, riskiert oder nimmt billigend in Kauf, daß in diesen Fällen schlußendlich überhaupt keine Arbeitsplätze mehr vorhanden sind. Ich erinnere an die eindringliche Stellungnahme des
Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger bei der Anhörung
- wir sagen schon, was wir wollen -, in der dieser darauf hingewiesen hat, daß nach Einführung der Sozialversicherungspflicht die Tätigkeit für die überwiegend geringfügig beschäftigten Zusteller nur dann attraktiv sei, wenn der Arbeitgeber auch den Arbeitnehmeranteil übernehme. Dies führe zu einer Erhöhung des monatlichen Aufwands für den Zusteller auf 1200 bis 1 500 DM. Diese Verteuerung könne nicht verkraftet werden. Andere Beispiele sind bei der Anhörung aufgeführt worden.
Wir haben in der Union intensiv darüber beraten, wie das Fundament der Sozialversicherungssysteme gestärkt werden kann.
Eine Einigung innerhalb der Koalition ist bis jetzt nicht zustande gekommen.
- Das ist nichts Neues; das wissen Sie bereits.
Ihre Vorschläge sind allerdings völlig ungeeignet. Das gilt genauso für die Maßnahmen gegen die Scheinselbständigkeit. Sie gehen mit einem gesetzlichen Holzhammer vor, der jedenfalls die Entstehung neuer gewünschter Formen von Existenzgründungen im Keim ersticken würde.
Die SPD greift Kriterien des Arbeitnehmerbegriffs auf, die in der Praxis und in der Rechtsprechung entwickelt worden sind, und verkauft das Ganze als Lösung des Problems.
Dabei besteht die Gefahr, daß sich die Praxis durch entsprechende Vertragsgestaltungen schnell auf die neue Rechtslage einstellt. Damit würden Sie das Gegenteil von dem erreichen, was beabsichtigt ist.
Nur eine weite Definition des Arbeitnehmerbegriffs ermöglicht es, flexibel auf die Arbeitswelt zu reagieren. Dies zeigen vor allem auch die neueren Urteile im Bereich des Transportgewerbes, des Verkaufs und der Versicherung.
Der Vorschlag der SPD ist ein typischer Oppositionsvorschlag: handwerklich schlecht, nicht zu Ende
Johannes Singhammer
gedacht, in dem sicheren Bewußtsein, daß man ihn nie verwirklichen muß. Deshalb lehnen wir ihn ab.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Paul Friedhoff, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Singhammer, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar dafür, daß Sie hier noch einmal die Differenzen deutlich gemacht haben, die zwischen dem, womit Sie die 620-DM-Jobs und die Scheinselbständigkeit bekämpfen wollen, und dem, was die Opposition machen will, bestehen. Ansonsten wird ja hier gelegentlich versucht,
einen Keil in die Koalition hineinzutreiben, mit dem Ziel, Verunsicherung herbeizuführen.
Meine Damen und Herren, die heutige Debatte zeigt einmal mehr, welch beschäftigungspolitischer Amoklauf in unserem Lande eintreten würde, wenn Rotgrün wirklich die Regierung übernähme.
Wenn wir mehr Arbeitsplätze nach Deutschland holen wollen, dann müssen wir den Arbeitsmarkt flexibler machen und die Arbeitskosten senken. Das ist das Gebot der Stunde.
SPD und Bündnis 90/Die Grünen wollen das Gegenteil. Sie wollen den Arbeitsmarkt zu Tode strangulieren. Die Folgen für die Arbeitsplätze wären verheerend. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie setzen Ihre Kampagne gegen alle Beschäftigungschancen fort, die nicht Ihren antiquierten Vorstellungen entsprechen.
Worum geht es eigentlich bei der sogenannten Scheinselbständigkeit? Die Arbeitsteilung in der Wirtschaft schreitet voran. Häufig werden Tätigkeiten nicht mehr durch Angestellte des Unternehmens selbst erledigt, sondern als Aufträge an Selbständige vergeben. Diese Art der Spezialisierung ist im Grunde eine völlig normale Entwicklung. Es gibt sie seit langem, und sie ist weltweit zu erkennen. In allen Ländern wird dies so gemacht. Das hat etwas mit Arbeitsteilung zu tun, die Sie nicht verstanden haben.
Die SPD will nun alle Selbständigen, die zum Beispiel nur einen einzigen Auftraggeber haben und keinen Mitarbeiter beschäftigen, zwangsweise in die Sozialversicherung eingliedern. Sie nennt sie damit Scheinselbständige. Ich glaube, daß dieser Weg völlig in die Irre geht.
Wenn man den Kriterienkatalog des Gesetzentwurfes wirklich ernsthaft anwendet, wird eine Reihe
klassischer Berufsfelder, die bislang von Selbständigkeit geprägt waren, zerstört. Ich nenne nur die Handels- und Versicherungsvertreter und auch viele Franchise-Nehmer.
Bei vielen neuen Selbständigen-Berufsfeldern, etwa im Bereich der Informations- und Kommunikationsdienste, ist die Projektarbeit mit einer längerfristigen Anbindung an einen Auftraggeber eine typische Erscheinungsform. Es gibt viele, die selbständig sind und bei denen möglicherweise die Ehefrau die Buchhaltung macht. Diese würden demnächst alle nicht mehr als Selbständige geführt. Niemand kann hier aber ernsthaft von Scheinselbständigkeit reden. Dies sind Selbständige.
Im übrigen ist dies ja - darauf ist vorhin bereits hingewiesen worden - am Anfang einer Selbständigkeit grundsätzlich so.
Wer hier, wie die Initiatoren der vorliegenden Gesetzentwürfe, gleich wieder den Staat aufmarschieren läßt, der würgt neue und häufig boomende Tätigkeiten ab. So wird man verhindern, daß aus der Selbständigkeit des einzelnen zu Beginn seiner Existenzgründung im Laufe der Zeit zahlreiche neue Arbeitsplätze entstehen können. Das Gegenteil aber brauchen wir.
Der Verdacht liegt nahe, daß der Feldzug der SPD gegen die sogenannte Scheinselbständigkeit nur ein Alibi ist, um die notwendige Reform der Sozialversicherung zu verweigern.
Die Rede von Herrn Scharping hat gezeigt - Frau Babel hat darauf hingewiesen -, daß hier ein Pappkamerad aufgebaut wird. Hier werden Leute benannt, die eindeutig nicht selbständig sind, die abhängig Beschäftigte sind, um dann dem deutschen Volk klarzumachen, daß man laut Gesetzeslage dagegen vorgehen müsse. Damit dreht man sich dann nur weiter und wieder einen Schritt schneller in diesem Teufelskreis der Verteuerung der Arbeit. Dies wird mit uns nicht zu machen sein.
Meine Damen und Herren, die SPD setzt sich in ihrem Wahlprogramm dafür ein, Existenzgründer zu stärken. Die Sozialdemokratie will sogar eine Gründungswelle auslösen. Ich glaube, daß mit solchen Gesetzen genau das Gegenteil geschehen wird.
Auch ist in der heutigen Debatte immer wieder vom Mißbrauch der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse die Rede. Dabei profitieren natürlich Millionen unserer Mitbürger von den Chancen, die dieses Instrumentarium auch bietet. In vielen Familien wird die Möglichkeit, jeden Monat eine ordentliche Summe zum Einkommen beizutragen, sehr gerne wahrgenommen. Durch die 620-DM-Jobs muß man nicht in die Schwarzarbeit ausweichen, was sonst automatisch geschehen würde.
Paul K. Friedhoff
Viele Frauen können zum Beispiel neben der Kindererziehung gar nicht mehr Zeit für eine Arbeit aufwenden. Diese nehmen das gerne in Anspruch.
Soll man ihnen diese Arbeitsmöglichkeit wirklich nehmen? Wir sagen dazu mit allem Nachdruck: Mit der F.D.P. war das in der Vergangenheit nicht zu machen, und das wird mit ihr auch in der Zukunft nicht zu machen sein.
Nach den Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung sind 40 Prozent der 620-DMKräfte verheiratete Frauen, knapp 20 Prozent sind Rentner, 25 Prozent sind Schüler und Studenten. Wer deren Beschäftigungschancen einschränkt, handelt familienfeindlich und auch zutiefst unsozial.
Deshalb kann es auch nicht überraschen, daß sich eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger in Umfragen immer wieder dafür ausspricht, die 620-DM-Jobs nicht zu verändern.
Die Menschen wollen die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse; die Wirtschaft braucht sie. Die 620-Mark-Jobs gibt es vor allem in Bereichen, in denen sonst keine Arbeitsplätze entstehen würden. Das gilt besonders für den Dienstleistungsbereich und private Haushalte. Die Dienstleistungsbranche ist der Wachstumsmarkt der Zukunft. Dieser Markt - mit im übrigen vielen Vollzeitbeschäftigungsverhältnissen - ist in hohem Maße auf die Flexibilität der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse angewiesen. Wer dies ignoriert, zerstört Beschäftigungschancen. Dann darf man sich im übrigen auch nicht wundern, daß Deutschland international immer noch als Dienstleistungswüste gilt. Hier verspielen wir sehr viele Beschäftigungsmöglichkeiten.
Herr Louven - Sie haben mich vorhin angesprochen -, wir können uns sicher auf einen ganz einfachen Nenner einigen. Ich lese Ihnen dazu aus dem Wirtschaftsprogramm der CDU, das ja Herr Wissmann vorgestellt hat, vor.
- Ob das vorläufig ist, weiß ich nicht. Er hat gesagt, das sei mit den Sozialpolitikern abgestimmt.
Es heißt darin:
Wir brauchen eine neue Dynamik im Bereich von Niedriglohn- und Teilzeitarbeit.
Das unterstreichen wir.
Daher muß bei dem Instrument der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse der Mißbrauch bekämpft werden.
Auch dazu stehen wir. Allerdings muß, wie Herr Singhammer eben richtig gesagt hat, ein wesentlicher Teil der Bekämpfung darin bestehen - darin stimmen wir sicher völlig überein -, den Unterschied zwischen Netto- und Bruttoeinkommen zu verringern. Dazu gehört die Steuerreform - die ja von der linken Seite des Hauses blockiert wird -, dazu gehört eine Reform der sozialen Sicherungssysteme, damit wir die Sozialabgaben wirklich senken können.
Dies sind unverzichtbare Elemente bei dem Kampf dagegen. Vermutlich deswegen heißt es in Ihrem Programm weiter:
Grundsätzlich wollen wir dieses Instrument aber erhalten, weil es einen unverzichtbaren Beitrag zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes leistet.
Dem ist nichts hinzuzufügen. Auf dieser Basis können wir uns sehr schnell einigen. Dann haben wir eine vernünftige Grundlage, um der, wie Sie es nennen, Flucht in die 620-Mark-Jobs den Boden zu entziehen.
Nachdem wir durchgesetzt haben, daß viele der zum Beispiel an den Universitäten bestehenden Beschäftigungsverhältnisse rentenversicherungspflichtig wurden, haben die Länder - übrigens auch die sozialdemokratisch geführten Länder - darauf reagiert, indem sie die betreffenden Beschäftigungsverhältnisse der Studenten jetzt in 620-Mark-Jobs umgewandelt haben. Es ist, so meine ich, sehr scheinheilig, das, was man selber macht, an anderer Stelle anzuprangern.
Ich möchte zum Schluß kommen. Man wird die Sozialkassen - davon bin ich fest überzeugt - nicht dadurch füllen, daß man die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse eindämmt und einen Feldzug gegen die sogenannte Scheinselbständigkeit führt. Die meisten dieser Arbeitsplätze würden dann schlicht und einfach entfallen oder in die Schwarzarbeit abwandern.
Das rotgrüne Modell würde Arbeitsplätze in Deutschland vernichten und die Schwarzarbeit anheizen. Die F.D.P. wird einem solchen beschäftigungspolitischen Unsinn nicht die Hand reichen.
Was uns heute zur Entscheidung vorliegt, ist ein Kapitel aus dem rotgrünen Arbeitsplatzvernichtungsprogramm. Wir Freien Demokraten lehnen dies mit aller Entschiedenheit ab.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Gysi, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere, daß Sie, Herr Louven, von allen Thesen von Herrn Hintze gerade die dümmste vertreten haben, indem Sie gesagt haben: Die SPD hat dadurch, daß sie sich in Sachsen-Anhalt von der PDS hat tolerieren lassen, den Boden bereitet für das Wahlergebnis der DVU.
- Nein, das ist einfach blanker Unsinn.
In erster Linie haben nicht SPD und PDS Stimmen verloren, sondern die CDU,
nämlich 12 Prozent. Und bei der DVU sind 12 Prozent gelandet.
Zudem: Sie waren im Landtag die einzige Oppositionspartei gegen das Magdeburger Modell. Das hat Ihnen keine einzige zusätzliche Stimme eingebracht, sondern den Verlust von 12 Prozent. Darüber müssen Sie doch einmal nachdenken.
Außerdem ärgere ich mich über diese Aussage, weil ich generell dagegen bin, diese Frage so platt und so polemisch zu beantworten. Der eigentliche Skandal ist, daß viele Junge so gewählt haben, weil sie keine Hoffnung mehr für die Zukunft haben.
Das hängt eben mit Ausbildungsplatzmangel, mit Arbeitsplatzmangel, mit der Schließung von Jugendeinrichtungen usw. zusammen. Einen Beitrag dazu leisten auch die 5,6 Millionen sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse, weil sie eben keine Zukunft versprechen.
Im übrigen wird hier immer von 620-Mark-Jobs gesprochen. Vergessen Sie nicht, daß Sie die ostdeutschen Frauen, die das erwischt, noch zusätzlich dadurch demütigen, daß Sie Ihnen 100 DM weniger geben, nämlich nur 520 DM. Wie man im Rahmen von Armut noch so differenzieren kann, bleibt für mich eine völlig offene Frage.
Ich will, weil meine Zeit sehr begrenzt ist,
nur noch sagen, daß ich glaube, daß ein großes Problem darin besteht, daß es zu viele Henkels in dieser Gesellschaft gibt, die sich wünschen, daß viele draußen stehen, um den Druck in den Unternehmen erhöhen zu können.
Sie reden immer von den zu hohen Arbeitskosten. Beantworten Sie doch einmal zwei Fragen: Wie kommen dann die riesigen Gewinne zustande? Wieso kann Deutschland Exportweltmeister sein, wenn die Kosten angeblich viel zu hoch sind? Wenn das so wäre, könnte man im Ausland nichts absetzen. Da
herrscht doch ein Grundwiderspruch, den Sie hier noch nie aufgeklärt haben.
Wir sind dafür, die Beschäftigungsverhältnisse versicherungspflichtig zu machen und die Lohnnebenkosten für Unternehmen abzuschaffen und dafür eine Wertschöpfungsabgabe einzuführen. Dann würde es sich für diese Unternehmen nicht mehr lohnen, Scheinselbständigkeit zu organisieren und Leute in versicherungsfreie Beschäftigungsverhältnisse zu treiben; denn es hätte auf die Wertschöpfungsabgabe keine Auswirkung. Das wäre wirklich ein Dienst für mehr Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland.
Das Wort hat der Kollege Peter Dreßen, SPD.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben vor eineinhalb Jahren unseren Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit eingebracht, weil wir alle erkannt haben, daß hier ein Problem vorliegt. Auch Teile der CDU haben anerkannt, daß es hier ein Problem gibt. So weit, so gut.
Wenn ein Problem vorliegt, ist es meiner Meinung nach Aufgabe des Parlaments, eine Lösung zu finden. Wir haben im Ausschuß Beratungen durchgeführt, wir haben Anhörungen gemacht. Der Herr Bundesarbeitsminister hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung beauftragt, eine Studie durchzuführen. Der Bundesrat hat die Vorlagen parallel beraten und das Ergebnis diesem Haus vorgelegt. Alle Beteiligten waren sich einig, daß es so nicht weitergehen kann - mit zwei Ausnahmen: nämlich der F.D.P. und der Arbeitgeberverbände.
In der Anhörung hat die Arbeitgeberseite erklärt, daß es keinen Handlungsbedarf gebe. Die anwesenden Arbeitsrichter haben diese Auffassung in der Luft zerrissen. Wir können nicht rund 1 Million Zweifelsfälle im Detail vor Gericht prüfen, lautete ihr Argument in der Anhörung. Schließlich hat sich auch die Rentenkommission beim Arbeitsminister dafür ausgesprochen, Scheinselbständige zumindest in der Rentenversicherung einzubeziehen. Das ist nicht der Weisheit letzter Schluß; aber immerhin war es ein Fortschritt. - Der Handlungsbedarf ist also selbst für die Bundesregierung offensichtlich. Demnach waren die Voraussetzungen gegeben, damit der Gesetzgeber diesen Mißstand endlich beseitigt.
Und was ist passiert? Im anschließenden Rentenreformgesetz der Koalition fehlte die angekündigte Regelung. Bei der Schlußabstimmung darüber erklärte dann Herr Kauder in aller Offenheit, die CDU hätte ja gerne eine Regelung vorgenommen; aber das sei halt mit der F.D.P. nicht zu machen. Wir haben hier dieselbe Situation wie bei den 620-Mark-Jobs.
Herr Louven, wenn ich die „Bild"-Zeitung vom 27. April richtig gelesen habe, haben Sie dort wieder erklärt, daß Sie Vorschläge machen werden, um die Scheinselbständigkeit abzuschaffen. Sie von der
Peter Dreßen
CDU kommen mir langsam wie Männer vor, die die Backen aufblasen und, wenn es darauf ankommt, das Pfeifen vergessen. Das nennt man im Badischen „Maulhelden" . Ich will Ihnen das einmal so offen sagen.
In diesem Haus gibt es eine breite Übereinstimmung. Nur die F.D.P. mauert und blockiert. Wenn der Vorwurf ewiger Blockade auf etwas zutrifft, dann auf diese Situation.
Der Fall aus der Anhörung, daß ein sogenannter Selbständiger im Monat bei 200 Arbeitsstunden effektiv 47,50 DM verdient, zeigt doch, wie dringend eine Lösung notwendig ist; da können Sie noch so viel reden. Das ist eines der konkreten Beispiele, die wir in der Anhörung mitbekommen haben.
Die F.D.P. hat uns bei der ersten Lesung des Entwurfs vorgeworfen, wir wollten nur eine neue Regulierung und damit neue Formen der Selbständigkeit im Keim ersticken. Ähnliches haben wir eben von Herrn Singhammer gehört.
Meine Damen und Herren von der F.D.P. und Herr Singhammer, nichts ist unredlicher als dieser Vorwurf. Meine Fraktion hat hier eine Vielzahl von Anträgen vorgelegt, mit denen neue Möglichkeiten im Bereich der Dienstleistungen, der Existenzgründungen und des Mittelstands gefördert werden sollen. Wir haben die Novelle der Handwerksordnung mitgetragen. Nichts liegt uns also ferner, als neue Felder der Beschäftigung zu verhindern. Es ist einfach un- wahr, was Sie hier sagen.
Das kann aber doch nicht heißen, daß wir jede Form von Sozialdumping mitmachen. Scheinselbständigkeit ist eine Form von Sozialdumping.
Vor allem aber ist es ein Rechtsverstoß. Hier wird geltendes Recht umgangen. Nichts anderes wollen wir mit unserem Gesetzentwurf als eine Konkretisierung, weil es bei den Arbeitsgerichten immer Probleme gibt, das zu definieren. Diese Konkretisierung der Begriffe soll also nur die Prüfung der Einzelfälle erleichtern und zugleich eine Grauzone beseitigen, durch die Scheinselbständigkeit erst entstehen kann.
In unserem Gesetzentwurf werden nur die wichtigsten Kriterien benannt, die bei jeder Einzelprüfung angewandt werden. Wo liegt denn da, Herr Friedhoff, eine Regulierung, wie Sie uns das immer vorwerfen? Der Entwurf bleibt gleichzeitig für Nachweise offen, daß trotz allem Selbständigkeit im Sinne des Wortes vorliegt. Wo ist denn da die Begrenzung für die berühmten neuen Selbständigen? Das frage ich mich.
- Ja, lesen. Sie sie mal durch!
Wir haben dann zusammen mit dem Bundesrat vorgeschlagen, die Kriterien des Gesetzentwurfs im ersten Jahr einer Selbständigkeit nicht anzuwenden,
damit Existenzgründer genügend Zeit haben, sich in diesem einen Jahr einen Stamm von mehr als einem Kunden zu schaffen. Wir haben uns hier also kompromißbereit gezeigt. Ja, auch Sie sollten sich einmal ein bißchen bewegen.
Insgesamt wollen wir also nichts weiter als geltendes Recht durchsetzen.
Es ist mir völlig schleierhaft, wie man dagegen opponieren kann. Hier zeigt sich wieder: Die F.D.P. hat ihre rechtsstaatlichen Grundsätze inzwischen vollständig einem falsch verstandenen Wirtschaftsliberalismus geopfert. In dieser Hinsicht ist die F.D.P. ja noch konsequent.
Bisher habe ich die Union als grundsätzlich einsichtsfähig beschrieben. Wenn man aber etwas genauer hinschaut, sieht es bei der CDU/CSU anders aus; denn mit ihrer Kürzungspolitik hat sie sogar noch zur Konjunktur des Sozialdumpings beigetragen.
In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit sind gerade funktionierende Regelungen im Bereich der sozialen Sicherung wichtig. Es geschieht aber genau das Gegenteil. Sie haben Schutzfunktionen der sozialen Sicherungssysteme immer weiter ausgehöhlt. Verschlechterungen beim Kündigungsschutz und bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Kürzungen beim Arbeitslosengeld, Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe, Verschärfungen bei der Sozialhilfe sind nur die jüngsten Beispiele. Dazu kommt die Berg-und-Talfahrt bei aktiver Arbeitsmarktpolitik, die sich nicht zuletzt immer in steigender Langzeitarbeitslosigkeit niederschlägt.
Offenbar muß man Sie immer wieder an eines erinnern: Die Arbeitslosenversicherung ist eingeführt worden, um eine ruinöse Konkurrenz der Arbeitslosen zu verhindern. Die immer neuen Verschärfungen im Arbeitsförderungsrecht bewirken aber, Herr Louven, genau das Gegenteil. Und Ihre erfolglose Beschäftigungspolitik kommt noch hinzu. Sie ist mitverantwortlich für immer mehr Scheinselbständige, Outsourcing und die ungehemmte Konjunktur der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse.
Wenn ich als Arbeitsuchender in dieser Situation eine Anzeige lese
- die von Herrn Dr. Schröder lese ich auch sehr gerne -,
in der mir eine Tätigkeit als Tankstellenpächter oder Speditionsfahrer, Ober, Baggerführer oder was auch immer angeboten wird, und sich bei der Bewerbung herausstellt, daß man mich formal als Selbständigen behandeln will, was soll ich denn dann tun, wenn ich zwei Kinder habe, vielleicht Ratenverträge abzuzah-
Peter Dreßen
len habe, ein Haus abzahlen muß oder sonstige Ausgaben habe? Was bleibt mir anderes übrig, wenn die Alternative die Arbeitslosigkeit ist? Wer wird sich dann gegen die Umwidmung seines Arbeitsvertrages wehren können? Das gilt um so mehr, als vielen Betroffenen auch noch die kaufmännischen Grundkenntnisse fehlen, um überhaupt durchzublicken, auf was sie sich da einlassen, und dann viel zu spät merken, wo sie landen.
Scheinselbständigkeit hat auch deswegen Konjunktur, weil die Auftraggeber die prekäre Lage auf dem Arbeitsmarkt ausnutzen und die Betroffenen quasi zum Mitspielen zwingen. Das sind inzwischen nicht mehr nur ein paar schwarze Schafe bei den Unternehmen, das hat System. Oder was halten Sie davon, wenn ein Arzt eine Sprechstundenhilfe zu einer Selbständigen macht?
Meine Damen und Herren, ich will mit einer Feststellung in Form eines Appells schließen. Dazu wende ich mich jetzt wirklich an die besonnenen Kräfte in der CDU oder auch in der CDA: Springen Sie über Ihren eigenen Schatten! Stimmen Sie dem Gesetzentwurf zu! Frau Buntenbach hat in ihrer Kurzintervention deutlich gemacht: Wir wären bereit, einem solchen Antrag in jedweder Form zuzustimmen. Wichtig wäre einfach, daß wir in dieser Richtung einen Schritt weiterkommen.
Stimmen Sie also diesem Gesetzentwurf zu! Wenn Sie sich nicht dazu durchringen können, dann verspreche ich Ihnen eines: Nach dem Herbst wird sich der nächste Bundestag erneut mit dieser Vorlage beschäftigen. Ich bin mir sicher, daß es dann klappen wird.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Maria Böhmer, CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dreßen hat natürlich in einem Satz recht: In der nächsten Legislaturperiode werden wir uns weiter mit dem Thema Geringfügigkeit beschäftigen. Aber wir werden dann hier unsere Vorschläge vorlegen, und dann wird über unsere Vorschläge positiv abgestimmt werden.
Wir haben uns in dieser Legislaturperiode im Bundestag außerordentlich intensiv mit der Problematik
geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse und der Scheinselbständigkeit beschäftigt, sowohl in Plenardebatten als auch in den Ausschüssen und in Anhörungen, zuletzt im Dezember. Wir haben das auch im Zusammenhang mit der Rentenreform getan. Wir haben uns dieser Problematik in der Fraktion sowie in der CDU in mehreren Arbeitsgruppen gewidmet und Lösungen vorgelegt, die heute auch noch einmal zur Sprache gekommen sind. Dabei ist immer wieder deutlich geworden, daß eine isolierte Betrachtung der geringfügigen Beschäftigung und der Scheinselbständigkeit zu kurz greift. Es handelt sich um eine mehr als schwierige und komplexe Problematik. Wer hier nach der Rasenmähermethode verfährt und alles über einen Kamm schert, wie es leider oft bei der SPD geschieht, kann nicht zu konkreten Lösungen beitragen.
Frau Buntenbach, Sie haben heute mit einem neuen Entschließungsantrag durchaus interessante Ansätze gezeigt. Sie haben die Diskussion, die wir geführt haben, aufgegriffen und versucht, dieser schwierigen Situation stärker als in früheren Anträgen gerecht zu werden. Hier registriere ich bei Ihnen eine positive Entwicklung.
Wir müssen mit der Frage der geringfügigen Beschäftigung und der Scheinselbständigkeit auch die Grundsatzfrage verbinden, wie wir in Zukunft arbeiten wollen, wie die Arbeitswelt von morgen aussieht und wie es um die sozialen Sicherungssysteme und um das Steuersystem bestellt ist, welche Auswirkungen die neuen Technologien haben und wie sich nicht nur der Export von Arbeit, sondern auch der Import von Dienstleistungen via Datennetz auf unsere Arbeitswelt und auf das Entstehen solcher Beschäftigungsverhältnisse auswirkt. Wer glaubt, bei den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen die Tür einfach zuschlagen und damit das Problem lösen zu können, der verschließt die Augen vor dem dringenden Reformbedarf bei Steuern und Sozialversicherungen. Nur wenn es uns gelingt, die Steuer- und Abgabenlast für jeden einzelnen Arbeitnehmer und für die Unternehmen zu reduzieren, werden auch Vorschläge zur Eindämmung der geringfügigen Beschäftigung und der Scheinselbständigkeit eine realistische Chance haben und wirklich greifen.
Frau Dr. Böhmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dreßen?
Ja, bitte.
Frau Dr. Böhmer, ich habe von einigen Ihrer Redner immer wieder gehört, daß es Änderungen geben müsse. Uns werfen Sie vor, wir hätten radikale Lösungen. Können Sie denn endlich einmal sagen, wann Sie uns konkrete Vorschläge
Peter Dreßen
vorlegen, damit wir darüber beraten können, und wie sie aussehen?
Uns würde einmal brennend interessieren, wie Sie dieses Problem lösen wollen, weil Sie ja immer sagen, bei der Scheinselbständigkeit und bei den 620-DM-Verträgen handele es sich um ein Problem. Können Sie uns einmal sagen, wann Sie endlich dem Hohen Hause etwas vorlegen? Vielleicht könnte es einmal so gehen, daß wir es nicht aus den Zeitungen, sondern, wie es parlamentarisch notwendig ist, in den Gremien erfahren.
Herr Kollege Dreßen, wir haben heute beispielsweise über den Vorschlag des Kollegen Louven gesprochen.
Ich habe den Eindruck, daß das ein Vorschlag ist, der durchaus weiter trägt und der die Richtung der weiteren Beratung deutlich machen kann.
Zu Ihrem Antrag: Sie haben gesagt, er sei anderthalb Jahre alt. Genaugenommen ist er drei Jahre alt. Das sollten Sie als Antragsteller eigentlich wissen.
Schauen Sie einmal auf das Datum; er stammt aus dem Jahre 1995. Sie haben es noch nicht einmal für notwendig gehalten - ich wiederhole das, was ich schon im Ausschuß gesagt habe -, den Gesetzentwurf zu aktualisieren, nachdem die Bundesregierung in bestimmten Bereichen Verbesserungen vorgenommen hat. Wer so schlampig mit seinem eigenen Antrag umgeht, darf sich nicht wundern, wenn dieser abgelehnt wird.
Frau Kollegin, gestatten Sie auch dem Kollegen Andres eine Zwischenfrage?
Wir können jetzt natürlich ein Frage-Antwort-Spiel machen. Aber, Herr Kollege Andres, ich würde gerne zu Ende kommen. In der Debatte sind die wesentlichen Punkte gesagt. Ich würde aber gerne noch das eine oder andere hinzufügen. Deshalb möchte ich jetzt fortfahren.
Ich will noch einmal auf den Gedanken eingehen, daß die Veränderungen in der Arbeitswelt einen Flexibilisierungsprozeß darstellen und daß wir ein größeres Angebot an Teilzeitbeschäftigung haben, das vielen Männern und Frauen entgegenkommt, wenn es um die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht, wenn es darum geht, sich weiterzuqualifizieren oder ehrenamtlich tätig zu sein. Diesen Flexibilisierungsprozeß wollen wir nachhaltig unterstützen.
Aber dort, wo die Veränderung von Normalarbeitsverhältnissen in prekärer Beschäftigung mündet, sind Grenzen gesetzt. Dort müssen wir die Weichen anders stellen; denn die als Ausnahme gedachte geringfügige Beschäftigung hat sich - das ist heute schon mehrfach gesagt worden - zu einem Massenphänomen entwickelt. Besonders belastend stellt sich die Umwandlung von regulärer Teilzeit- und regulärer Vollzeitbeschäftigung in geringfügige Beschäftigung dar.
In der Anhörung, die im wesentlichen nichts Neues gebracht hat - es wurden die alten Argumente vorgetragen -, haben wir konkreten Zahlen über die Umwandlung nachgespürt. Das war außerordentlich schwierig. Die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen rechnete den Anwesenden vor, daß im Jahre 1996 im Einzelhandel die Anzahl der Vollzeitbeschäftigten um rund 30 000 zurückgegangen ist und die Anzahl der geringfügig Beschäftigten mittlerweile 600 000 Personen beträgt. Man kann dies als Tendenz hinstellen. Es gibt noch andere Zahlen, die diese Tendenz stützen.
Von daher unterstreiche ich voll, was Julius Louven hier gesagt hat, daß wir gerade auf diese Veränderung, auf die Umwandlung der Beschäftigungsverhältnisse hin zu geringfügiger Beschäftigung, reagieren müssen und diese Umwandlung gestoppt werden muß.
- Herr Dreßen, zu der Scheinlösung, die die SPD vorlegt, und zu den Vorwürfen, die der Fraktionsvorsitzende vorhin gemacht hat, wir würden Lösungen, die wir favorisieren, in der Koalition nicht durchbringen, kann ich nur sagen: Wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Steinen werfen. In Rheinland-Pfalz - dort gibt es eine SPD/F.D.P.-Koalition - hat die Frauenministerin Götte immer wieder den Anlauf gemacht, einen Gesetzentwurf zur Abschaffung geringfügiger Beschäftigung auszuarbeiten. Sie hat es gerade einmal so weit gebracht, eine Öffentlichkeitskampagne machen zu dürfen. Der Ministerpräsident hat sie nämlich aus dem Grund „Koalition" gestoppt. Deswegen sage ich: Mehr Ehrlichkeit von seiten der SPD an dieser Stelle!
Mit Recht muß man sagen - darauf hat auch Herr Staatssekretär Günther hingewiesen -, daß es doch sehr merkwürdig anmutet, wenn die Behandlung des Gesetzentwurfes vom 18. März, den das Land Hessen dem Bundesrat vorgelegt hat - die Farbe ist noch nicht einmal trocken -, im Bundesrat vertagt wird. Was ist denn eigentlich Ernsthaftigkeit, was ist denn Eilbedürftigkeit bei der SPD, wenn man so handelt und die eigenen Gesetzentwürfe auf Eis legt, und zwar offensichtlich deshalb, weil der Kanzlerkandidat dazu eine andere Auffassung hat?
Dr. Maria Böhmer
Ich will noch einmal kurz fünf Punkte nennen, die für uns wesentlich sind, wenn es um Lösungen hinsichtlich der geringfügigen Beschäftigung geht:
Erstens. Die Umwandlung von regulärer Beschäftigung in geringfügige Beschäftigung muß gestoppt werden.
Zweitens. Jede Lösung, die gefunden wird, muß dazu führen, daß Frauen eine bessere Chance haben, zu einer eigenständigen sozialen Sicherung zu kommen. Diese Lösungen werden nur dann tragfähig sein, wenn wir insgesamt von Minijobs weg- und zu attraktiveren und sozial gesicherten Teilzeitarbeitsplätzen hinkommen, die an die Stelle von 620-DMArbeitsplätzen bzw. 520-DM-Arbeitsplätzen treten müssen. Das heißt, wir müssen die Entwicklung umkehren: Was wir brauchen, ist nicht eine Umwandlung hin zur Geringfügigkeit, sondern ein Aufbau von regulärer Beschäftigung. Nur das wird wirklich zu einer Verbesserung der Alterssicherung von Frauen in diesem Bereich führen.
Drittens. Ich halte es für unabdingbar, daß wir die Anreize für die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Privathaushalt weiter ausbauen. Ich lege großen Wert darauf, daß wir die bereits vorhandenen Linien fortführen, und den Sonderausgabenabzug, der von Ihnen so heftig bekämpft wird, auch auf Haushaltskräfte, die über ein Dienstleistungszentrum im Privathaushalt beschäftigt sind, erweitern, so daß wir die Chance haben, mehr reguläre Beschäftigung im Privathaushalt zu schaffen. Es geht immerhin um 24 Prozent aller geringfügig Beschäftigten; das sind 1,3 Millionen Menschen, denen wir damit helfen könnten.
Viertens. Hauptbeschäftigung und Nebenbeschäftigung müssen zusammengezählt werden; denn es geht um die Beseitigung der Gerechtigkeitslücke, die hier besteht. Wir haben das immer wieder deutlich gemacht, und an diesem Punkt werden wir weiter arbeiten.
Fünftens. Wer in puncto Veränderung bei der geringfügigen Beschäftigung eine wirksame Regelung erreichen will, der darf die steuerliche Seite nicht außen vor lassen. Denn wenn - was ich für sinnvoll halte - die Pauschalversteuerung durch Sozialversicherungsbeiträge abgelöst wird und an ihre Stelle die Individualbesteuerung tritt, dann müssen wir im Auge haben, daß sich viele Frauen - wenn die Steuerklasse V in dieser Form fortbesteht - dafür entscheiden werden, lieber in die Schwarzarbeit abzutauchen, als in dieser neuen Beschäftigung zu bleiben, die für sie große steuerliche Abzüge bedeutet. Deshalb müssen wir an dieser Stelle bei der Reform des Steuersystems auch das Problem der Steuerklasse V diskutieren und lösen.
Zum Schluß möchte ich daran erinnern: Wir haben gemeinsam mit der F.D.P. im Dezember vergangenen Jahres eine Entschließung verabschiedet, daß wir eine Überprüfung der gesetzlichen Vorschriften für die sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse mit dem Ziel der Erarbeitung einer ausgewogenen Gesamtlösung anstreben. Ich kann Ihnen sagen: Wir werden an dieser Stelle am Ball bleiben. Wir arbeiten weiter an einer grundsätzlichen Reform der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse; denn wir wollen für mehr Dynamik im Bereich der Teilzeitarbeit sorgen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Andres.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Dr. Böhmer hat eben in ihrem Redebeitrag der SPD schlampige Arbeit vorgeworfen. Dazu will ich sagen, daß unser Gesetzentwurf im Jahre 1995 vorgelegt worden ist. Wer allen Reden, auch der letzten von Frau Dr. Böhmer, gelauscht hat, der wird feststellen, daß jetzt die vier Jahre der Legislaturperiode zu Ende gehen, in denen es außer Ankündigungen keinen einzigen konkreten, praktikablen Vorschlag der Koalition gegeben hat.
Alle Aufforderungen, doch einmal konkrete Positionen zu beziehen, sind in all den Debatten fruchtlos geblieben.
Ich habe mich aus folgendendem Grund zu Wort gemeldet, Frau Dr. Böhmer: Sie haben uns in den Ausschußsitzungen, in denen wir intensiv diskutiert haben, mitgeteilt, die SPD könne machen, was sie wolle, es werde keine Zustimmung geben. Daraufhin haben wir gesagt, wir müßten einen Änderungsantrag zu den vollzogenen Veränderungen des Sozialgesetzbuches III erarbeiten - das ist schon klar; das liegt am Gesetzentwurf des Jahres 1995. Daß Sie sich vor diesem Hintergrund hier hinstellen und uns schlampige Arbeit vorwerfen, halte ich für absolut unredlich.
Ich habe eine zweite Bitte an Sie. Den Entschließungsantrag, den die Grünen vorgelegt haben, haben Sie eben angesprochen. Die Kollegin Buntenbach wird dazu gleich etwas sagen. Dieser Entschließungsantrag enthält - wenn er zur Abstimmung gestellt wird - exakt den Vorschlag des Kollegen Louven.
Es ist auch unredlich, nach draußen bestimmte Positionen zu vertreten und gleichzeitig hier Debatten zu führen, die keinen anderen Sinn haben, als Nebelkerzen zu werfen, um den Leuten draußen den Blick dafür zu verstellen, worum es eigentlich geht. Wenn diese Vorschläge gemacht wurden, dann steht es Ihnen gleich in der Abstimmung frei, dem Entschlie-
Gerd Andres
ßungsantrag der Grünen zuzustimmen. Dann würde hier exakt das beschlossen, was Sie öffentlich vorgetragen haben.
Frau Dr. Böhmer, wollen Sie erwidern?
Ich will auf das reagieren, was hier gesagt worden ist. Es ist doch in der Tat so: Der Gesetzentwurf ist bei Ihnen unverändert geblieben. Darüber haben wir auch - ich denke, sehr offen - in der Ausschußsitzung miteinander gesprochen. Daß ich das hier noch einmal sage, hat seine Berechtigung, denn es ist ein Unterschied, ob man das im Ausschuß sagt oder im Plenum.
Auch das zweite, was ich eben in meiner Rede sagte, will ich noch einmal betonen: Auf den Vorwurf, wir würden hier Handlungsbedarf aufzeigen, aber nicht reagieren - es ist auf die Koalition verwiesen worden -, habe ich Ihnen entgegnet, daß sich die SPD in Rheinland-Pfalz in der gleichen Situation genauso verhalten hat. Man muß sehen: Wo Koalitionen bestehen, sind bestimmte Entscheidungen manches Mal nicht anders möglich. Wir sollten entsprechend miteinander umgehen und dies in aller Ruhe so feststellen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans Büttner, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte zum Schluß dieser Debatte noch auf den Antrag zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung durch neue Kontrollmaßnahmen eingehen, weil all die Themen, über die wir vorher gesprochen haben, genau das belegen, was unseren Arbeitsmarkt im Moment immer schwerer belastet, nämlich zunehmende Illegalität, zunehmende Unordnung auf dem Arbeitsmarkt.
Nun hat der Staatssekretär - auch im Ausschuß wurde das so gesagt - gesagt, es sei alles erledigt, weil man das schon durch statistische Abgleichungen auf der Grundlage des SGB III berücksichtigt hätte. Ich sage Ihnen: Das zeigt erneut, wie wenig Sie eigentlich von dem Arbeitsmarkt in der Bauwirtschaft wahrnehmen und verstehen. Denn genau zu dem Zeitpunkt, zu dem Sie das sagen, bauen Sie weitere Kontrollinstanzen auf, sogar in der Form, daß Sie diese unter dem Titel „Neue Maßnahmen zur Beschäftigung" finanzieren lassen. Zeitlich befristet eingesetzte arbeitslose Bauarbeiter, die Sie vorher durch Ihre Politik arbeitslos gemacht haben, kontrollieren hier.
Das muß man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Da erkauft sich die Bundesregierung die Zustimmung Polens zur Rücknahme abgelehnter polnischer Asylbewerber durch ein Werkvertragsabkommen, das zunächst die Ordnung auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland empfindlich gestört hat und zu einem Einfallstor illegaler Beschäftigung geworden ist, ein Abkommen, das zudem inzwischen - wie Ihnen von mir hier im Hause und im Ausschuß mehrmals vorausgesagt - gegen den Assoziierungsvertrag der EU mit Polen verstößt, weshalb die Bundesregierung bereits vor einem Jahr von der Kommission aufgefordert worden ist, diesen Vertrag zu ändern.
Dann beschließt die Koalition ein nationales Entsendegesetz, das die Ordnung auf dem Arbeitsmarkt noch weiter stört und zusammen mit dem Werkvertragsabkommen dazu beigetragen hat, daß Illegalität auf den Baustellen gefördert, die Arbeitslosigkeit deutscher Bauarbeiter drastisch erhöht und die Einkommen der Beschäftigten gesenkt worden sind, ohne daß - das können Sie in Berichten der Bundesbank nachlesen - die Baupreise zurückgegangen wären.
Schließlich ist die Bundesbauverwaltung nicht in der Lage, auf ihren eigenen Baustellen illegale Beschäftigung zu verhindern, weil sich die Regierung weigert, in unbürokratischer Weise - wie mit unserem hier vorliegenden Antrag - Kontrollmöglichkeiten zu erleichtern.
Unfähig hat sich die Bundesregierung auch erwiesen, mit den Vertragsstaaten und den EU-Entsendestaaten für die Kontrollinstanzen handhabbare Vereinbarungen über die Kontrolle der Zahlungen von Löhnen, Steuern und Sozialabgaben zu schließen. Statt dessen werden, wie gesagt, unter dem Titel „Neue Maßnahmen zur Beschäftigung" nun Arbeitslose befristet eingesetzt, um das handwerkliche Versagen der Regierung durch zusätzlich notwendige Kontrollen zu kaschieren. Das zeigt: Entweder nimmt die Bundesregierung die Unordnung und die Illegalität auf dem Arbeitsmarkt hin und fördert sie sogar noch, oder sie ist einfach überfordert, ihre Aufgaben wahrzunehmen.
Kontrollen auf den Baustellen sind notwendig und erforderlich, aber sie müssen in einer Arbeitswelt stattfinden, in der wieder eine kontrollierbare Ordnung herrscht.
Das bisherige Verhalten der Koalition hat das Gegenteil bewirkt. Man hat die Ordnung zerstört, Massenarbeitslosigkeit herbeigeführt und beschäftigt nun einen minimalen Teil der Arbeitslosen, um die Öffentlichkeit von den wahren Ursachen abzulenken.
Die Debatte heute hat gezeigt, daß wir uns wahrscheinlich keine Hoffnung machen können, daß die Koalition von dieser Politik abläßt, aber ich bin zuversichtlich, daß die Wähler am 27. September in ihrer Mehrheit für eine andere Politik stimmen werden. Die Gewerkschaften tun gut daran, auch dafür zu sorgen. Sie wurden auch von Ihrem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, Heiner Geißler, dankenswer-
Hans Büttner
terweise dazu ermutigt, dies zu tun. Er hat nämlich geschrieben:
Es ist nicht Aufgabe der Gewerkschaften, eine Regierung im Amt zu halten, die
- Herr Louven, ich danke Ihnen, daß Sie das in aller Offenheit und Klarheit hier angesprochen haben -
die Arbeitnehmerinteressen längst der politischen Taktik geopfert hat.
So sagte es Heiner Geißler 1982 in der „Welt der Arbeit".
- Sie haben gesagt, daß Sie sich aus taktischen Gründen nicht mit der F.D.P. haben einigen können. Ist das nicht so?
Ein letztes: Wir werden mit unserer Politik auf dem Arbeitsmarkt wieder für Ordnung sorgen. Die von Ihnen jetzt abgelehnten Anträge werden uns erlauben, dies schnell umsetzen zu können:
Wir werden das Entsendegesetz europakonform anpassen und sozialverträglich gestalten. Wir werden mit den Staaten Ost- und Mitteleuropas die Werkvertragsabkommen so modifizieren, daß sie sowohl dem EU-Recht, als auch den Bedürfnissen unseres Arbeitsmarktes und den Anliegen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Staaten entsprechen, mit denen bald Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden. Wir werden durch Verhandlungen mit den EU-Entsendestaaten handwerklich brauchbare und einheitliche Nachweispapiere über die Einhaltung der Löhne, Arbeitsbedingungen und Sozialabgaben konzentriert aushandeln. Wir werden durch eine Änderung der Vergabeordnung für die Einhaltung tarifvertraglicher und gesetzlicher Bedingungen bei öffentlichen Aufträgen sorgen, und wir werden, wie in diesem Antrag vorgesehen, auf dem Verordnungswege unbürokratische Verbesserungen für nötige wirkungsvolle Kontrollen durchführen.
Wettbewerb ist ein wesentlicher Impuls für Innovation. Aber - das müßten gerade die Ordnungspolitiker in Ihren Reihen wissen - er ist in zivilisierter Form nur dann möglich, wenn er innerhalb eines zivilisierten Ordnungsrahmens stattfindet. Wildwestverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt führen letztlich zu rechtlosen Gesellschaften und sind eine wesentliche Ursache für die Zerstörung unserer Demokratie.
Wir Sozialdemokraten wollen ab Herbst wieder für Wettbewerb und Ordnung, für Innovation und Freiheit durch eine Politik sorgen, die durch aktive Beschäftigungs- und Arbeitsmarktinitiativen den Menschen die Teilhabe an der Erarbeitung unseres gemeinsamen Wohlstands erlaubt und damit wieder Würde gibt.
Eine Schlußbemerkung gestatten Sie mir noch zu der Einlassung von Frau Dr. Babel. Sie haben vorhin die evangelische Kirche in einer Weise angegriffen, die nicht nur falsch war, sondern auch Ihre Unkenntnis über die evangelische Kirche zeigt.
Das ist deswegen so, weil in der evangelischen Kirche nirgends - ich habe mich vorhin telefonisch noch einmal bei ranghohen Theologen erkundigt - Totenmessen gelesen werden; die gibt es dort nicht. Sie gibt es in der katholischen Kirche und nicht anderswo.
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Meckelburg, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach zweistündiger Debatte jetzt hier noch den Aufschwung am eigentlich durchgehangenen Reck zu vollziehen ist ein wenig schwierig, ich will aber trotzdem den Versuch starten, am Ende der Debatte noch einmal einige Punkte zu benennen.
Zwischenzeitlich hat die Teilnehmerzahl an dieser zweistündigen Debatte insbesondere bei Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, den Umfang einer geringfügigen Beschäftigung angenommen.
Herr Büttner, wenn Sie hier von zivilisiertem Ordnungsrahmen sprechen, hege ich immer die Befürchtung, daß Sie dasselbe wie immer damit meinen, nämlich mehr Regelungen und mehr Kontrolle bis in Details und ins Spezifische. Genau das brauchen wir nicht. Wir brauchen Flexibilisierung in vielen Bereichen. Das, was Sie vorgeschlagen haben, dürfen Sie nicht in voller Länge Ihrem Kanzlerkandidaten vorlegen; denn der ist gerade dabei, alles mögliche, was an Störungen vorhanden ist, glattzubügeln. Deswegen ist es wichtig, hier noch einmal ein paar Dinge zusammenzufassen.
Herr Gysi ist bereits gegangen. Ich hätte ihm gern gesagt, daß ich es komisch finde, wenn er hier zu den 620-DM-Jobs spricht. Herr Gysi ist schließlich jemand, der in der Nachfolge der SED steht und eine Zeit mit zu vertreten hat, in der man für 620 Mark Vollzeit gearbeitet hat und froh gewesen wäre, wenn man mehr Geld gehabt hätte.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die drei Bereiche noch einmal ansprechen. Der erste ist die Bekämpfung der illegalen Beschäftigung. Es gibt nichts daran zu deuteln, daß die Bekämpfung der illegalen Beschäftigung weiterhin mit allem Nachdruck betrieben werden muß. Dabei hilft das - ich
Wolfgang Meckelburg
sage das noch einmal -, was wir von der Union inzwischen auf den Weg gebracht haben:
Erweiterung der Frage- und Prüfrechte - Sie müssen das über einen längeren Zeitraum vergleichen -, verbesserte Zusammenarbeit der beteiligten Behörden - das sind Probleme, die Sie sicher vor Ort schon einmal gehört haben - und radikale Aufstockung des Kontrollpersonals von 50 Personen im Jahre 1982 auf heute 2450 Bedienstete. Außerdem sind zusätzlich 1070 Bedienstete der Hauptzollämter eingesetzt. Dazu kommen verstärkte Kontrollen - allein im Jahre 1996 wurden 150 000 Außenprüfungen vorgenommen - und die Erhöhung des Bußgeldrahmens. Wir haben Verschärfungen im SGB III vorgenommen; früher reichte der Bußgeldrahmen bis 100 000 DM, jetzt geht er bis zu einer halben Million DM.
Wer hier sagt, auf diesem Feld sei nichts passiert, der hat die Realität nicht wahrgenommen. Meine Damen und Herren von der SPD, ich sage noch eines dazu: Wer die totale Kontrolle will - ich habe das schon einmal gesagt, ich sage es aber noch einmal in aller Deutlichkeit -, der muß letztlich nicht nur neben jeden vermutlich illegal Beschäftigten, sondern neben jeden Beschäftigten einen Kontrolleur stellen. Einen solchen Kontrolleurstaat wollen wir nicht, er ist nicht sinnvoll. Wir müssen andere Maßnahmen ergreifen.
Wenn Sie, Herr Büttner, beklagen, daß auf den Baustellen des Bundes in Berlin Dinge passieren, die Sie nicht wollen, dann verstehe ich den Krach nicht, den Sie gestern im Ausschuß gemacht haben, als wir im Zusammenhang mit neuen Projekten, die im Rahmen eines 80-Millionen-DM-Programms gemacht worden sind, die Bekämpfung der illegalen Beschäftigung auf Baustellen des Bundes in Berlin festgeschrieben haben und die Einstellung von zusätzlichen 150 Personen zu den bereits vorhandenen 37 besprochen haben. Das paßt einfach nicht zusammen. Ich bin froh, daß diese Maßnahme kommt; denn sie wird helfen.
Herr Kollege Meckelburg, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bulling-Schröter?
Nein. Ich finde, wir sollten nach zwei Stunden Debatte jetzt wirklich keine Zeit mehr mit Einzelheiten verlieren.
Der zweite Bereich, auf den ich noch einmal eingehen möchte, sind die 620-DM-Jobs. Auch hier sollte nicht herumgedeutelt werden. Der Mißbrauch bei den 620-DM-Jobs muß bekämpft werden. Ich sage dazu: Niemand von uns will alle geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse abschaffen.
Niemand von uns will die Möglichkeit einer flexiblen Antwort der Wirtschaft auf Auftragsspitzen durch geringfügige Beschäftigung behindern.
Eines ist aber klar, Herr Friedhoff: Wir dürfen als Gesetzgeber nicht das Signal zulassen, daß der Trend der Zunahme bei den 620-DM-Jobs das ist, was wir wollen; denn das hieße, wir wollten den Umstieg von normaler Arbeit mit Sozialversicherungspflicht und Steuerabgaben in immer mehr Billigjobs. Das kann nicht der Trend sein, den wir wollen.
Deswegen dürfen wir als Gesetzgeber nicht das falsche Signal setzen, daß die 620-DM-Jobs möglicherweise die Form der Arbeit sind, die wir als Normalfall ansehen.
Hier besteht Handlungsbedarf. Wir dürfen die Flucht aus den Sozialversicherungsbeiträgen nicht zulassen. Dort, wo diese Flucht stattfindet, wo gar die Umwandlung, ob tendenziell schleichend oder systematisch gewollt, in abgabenfreie Jobs organisiert wird, müssen wir deutlich sagen: Das wollen wir nicht. Wir müssen auch den Aspekt der Gerechtigkeit sehen. Ich glaube, wir müssen darüber reden. Jemand, der im ersten Job 3000 DM und 620 DM im Nebenjob verdient, wird bei den Abgaben und Steuern anders als jemand behandelt, der 3620 DM in einem Job verdient.
Dort besteht ein Regelungsbedarf. Da kommen wir nicht dran vorbei.
- Doch, dort besteht ein Regelungsbedarf.
Wir haben es bisher nicht abgeschafft. Aber ich sage auch in Richtung SPD ganz deutlich: Was wir nicht wollen, ist eine einfache Lösung, um draußen so dazustehen, als ob wir eine Lösung hätten. Sie sind zur Zeit ohnehin eher dabei, alles zu verkleistern. Sie wissen, wo ich in dieser Frage politisch stehe. Ich sehe wie auch viele andere Kollegen die Handlungsnotwendigkeiten. Dies ist weiter verbreitet, als man glaubt. Ich glaube schon, daß wir eine Lösung finden können; um so eher, je mehr wir im Bereich einer Steuerreform weitergekommen sind.
Bei einer Steuerreform mit niedrigen Tarifen für die Arbeitnehmer bedeutet dies, daß sie nicht so sehr auf 620-DM-Jobs angewiesen sind. Der Kostendruck in den Unternehmen ist nicht mehr so hoch. Man wird in diesem Klima dann sicherlich eine Regelung finden können, die zu gewissen Eindämpfungen führt.
Ich finde es wichtig, daß wir sagen: Die Steuerreform ist ein Schritt. In diesem Zusammenhang müssen wir darüber reden. Das werden wir auch tun. Ich bin sicher, daß dies in der Koalition geschehen wird;
Wolfgang Meckelburg
auch wenn dies erst nach dem 27. September der Fall sein wird. Ich bin sicher, daß wir diejenigen sein werden, die es nach dem 27. September regeln werden.
Meine Damen und Herren, Sie wissen, wo ich in dieser Diskussion politisch stehe.
- Die Kollegen aus dem Ausschuß können Ihnen das sagen. Ich will dafür nicht meine Redezeit nehmen.
Ich sehe Handlungsbedarf und die Notwendigkeit, bei den 620-DM-Jobs und im Bereich der Scheinselbständigkeit etwas zu tun. Das habe ich ausgelassen. Ich habe schon bei der Einbringung Ihres Antrags gesagt, daß er nicht praktikabel ist. Ihm kann man einfach nicht zustimmen. Das beweist übrigens die IAB-Studie.
Auch ich weiß - das unterscheidet mich von Ihnen in der SPD -, daß die Lösung nicht ganz einfach ist und daß sie differenziert sein muß. Es ist auch ein Stück Ehrlichkeit, wenn man das hier so sagt. Der Keil, der heute mit der aus meiner Sicht überlangen Debatte versucht worden ist in die Koalition zu treiben, wird nicht fruchten. Das, was Sie hier wirklich angeboten haben, ist das alte einfache Modell: mehr Kontrolle, mehr Regulierung bis ins Detail. Das ist das alte sozialistische Modell. Trotzdem reden Sie draußen von der „Kraft des Neuen".
Das wundert mich; denn Sie sind doch inzwischen wirklich zur Partei der Kreidefresser verkommen. Alles Trennende in der SPD-Fraktion wird zugekleistert; Sie fressen Kreide und sagen nichts; alles Strittige in Ihrer Partei wird nicht ausgetragen. Wir sagen hier: Wir haben es nicht geschafft, in dieser Frage zu einer Lösung zu kommen. Aber wir wollen eine solche Lösung finden. Ich sage noch einmal: Bei insgesamt verminderter Steuerbelastung ist dann sicherlich nach oder im Zuge einer Steuerreform ein verbessertes Klima vorhanden, das eine sachgerechte Lösung möglich macht. Wir müssen den Weg der Reformen gehen.
Auch das muß man sagen: Arbeitsplätze entstehen nicht dadurch, daß wir die drei Dinge, die wir heute diskutiert haben, beackern, sondern Arbeitsplätze entstehen dadurch, daß wir Lohnnebenkosten senken und flexibler werden. Das ist der Weg, den wir in den letzten Jahren gegangen sind. Die Früchte werden erkennbar. Der Trend auf dem Arbeitsmarkt West ist erkennbar. Wir haben dicke Bretter gebohrt, aber es hat sich gelohnt.
Weil das so ist, bin ich ganz sicher: Was wir brauchen, sind Reformen, Zug um Zug und Stück für Stück. Das ist der Weg der Zukunft. Wir werden ihn auch nach dem 27. September weiter fortsetzen.
Schönen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, möchte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - ich nehme an, Sie, Frau Buntenbach, machen das -, eine Erklärung zur Abstimmung Ihres Antrags abgeben. Das ist der auf Drucksache 13/10558. Bitte.
Herr Präsident, wir möchten den Punkt 3 aus diesem Antrag herausnehmen und ihn ohne diesen Punkt 3 zur Abstimmung stellen.
Wir halten zwar nach wie vor die Kombination zwischen Absenkung der Quote der Geringsfügigkeitsgrenze, die in den anderen Punkten enthalten ist, und einer Anlehnung an das österreichische Modell für sinnvoll. Aber wir sind jetzt sehr weit gegangen, um Teillösungen zu finden, mit denen wir das Problem praktisch angehen können. Wir gehen da jetzt noch einen Schritt weiter, weil ich glaube, daß jeder Schritt, den wir in die richtige Richtung tun, jede Lösung oder Teillösung, die wir heute finden können, auf jeden Fall eine echte Hilfe wäre. Wir stehen wirklich unter Zeitdruck. Ich möchte deswegen dringend um Zustimmung für diesen so veränderten Antrag bitten.
Ich möchte gleichzeitig sagen: Wir wollen heute eine Entscheidung erreichen, weil wir glauben, daß die Zeit drängt. Eine Überweisung des Antrages an den Ausschuß, die dazu führen würde, daß wir in dieser Legislaturperiode doch nicht mehr entscheiden könnten, kommt für uns nicht in Frage. Deswegen möchte ich um Zustimmung für unseren Antrag bitten.
Wir kommen zu den Abstimmungen.Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit auf Drucksache 13/8942. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 13/10269 unter Buchstabe a, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/8942 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit auf Drucksache 13/6549. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 13/10269 unter Buchstabe a, auch diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 13/6549 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21375
Vizepräsident Hans-Ulrich KloseGegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung wiederum die weitere Beratung.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum arbeits- und sozialrechtlichen Schutz für abhängige Selbständige auf Drucksache 13/10269 unter Buchstabe c. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7421 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Beseitigung des Mißbrauchs der Geringfügigkeitsgrenze in der Sozialversicherung auf Drucksache 13/3301. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 13/10180 unter Buchstabe a, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 13/3301 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen und PDS abgelehnt. Damit entfällt nach der Geschäftsordnung die weitere Beratung.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10558 mit der eben vorgetragenen Änderung. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Sozialversicherungspflicht dauerhafter Beschäftigungen auf Drucksache 13/10180 unter Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4969 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion angenommen.Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Sozialversicherungspflicht für jede bezahlte Arbeitsstunde. Das ist die Drucksache 13/10180 Buchstabe c. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6090 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Gruppe der PDS beiStimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Unterbindung illegaler Beschäftigung durch konsequentes gemeinsames Handeln von Bund und Ländern. Das ist die Drucksache 13/9458. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7802 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 14a bis 1 sowie die Zusatzpunkte 1 a und b auf:14. Überweisungen im vereinfachten Verfahrena) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. November 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kasachstan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen- Drucksache 13/10401 —Überweisungsvorschlag: Finanzausschußb) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Änderungsvereinbarung vom 8 Mai 1997 zum Abkommen vom 5. Mai 1995 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Hongkong über den Fluglinienverkehr- Drucksache 13/10432 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr Finanzausschußc) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 24. November 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kroatien über Soziale Sicherheit- Drucksache 13/10433 —Überweisungsvorschlg:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Gesundheitd) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. Dezember 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bulgarien über Soziale Sicherheit- Drucksache 13/10434 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Gesundheit
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21376 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998
Vizepräsident Hans-Ulrich Klosee) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Äderung des Gesetzes über die Statistik im Produzierenden Gewerbe- Drucksache 13/10342 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaftf) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umwandlung der Deutschen Genossenschaftsbank
- Drucksache 13/10366 —Überweisungsvorschlag:Finanzausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugendg) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Vorschriften über die repräsentative Wahlstatistik bei der Wahl zum Deutschen Bundestag und bei der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksache 13/10533 —Überweisungsvorschlag: Innenausschußh) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung von Erwerbsbeschränkungen für ausländische Investoren und Staaten- Drucksache 13/10534 —Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebaui) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der FinanzenEntlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1997 - Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes -- Drucksache 13/10378 —Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschußj) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Mehl, Michael Müller , Wolfgang Behrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDLangfristige Sicherung des Naturschutzes bei der Privatisierung von Flächen in Nationalparken und Biosphärenreservaten- Drucksache 13/10211 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenAusschuß für Fremdenverkehr und Tourismusk) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDSBau- und Betriebsordnung für Regionale Eisenbahnstrecken- Drucksache 13/10340 —Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr1) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick, Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDSBegrenzung der Erhöhung der Nutzungsentgelte für Erholungsgrundstücke in Ostdeutschland auf die derzeit übliche Bodenrendite- Drucksache 13/10466 —Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau FinanzausschußZP1 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Joachim Hacker, Rolf Schwanitz, Siegfried Scheffler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDHemmnisse und Rechtsunsicherheiten im Immobilienrecht und beim Nutzerschutz beseitigen- Drucksache 13/10329 —Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismusb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dietmar Kansy, Peter Götz, Werner Dörflinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Hildebrecht Braun, Dr. Klaus Röhl und der Fraktion der F.D.P.Politik zur Erhaltung und Stärkung der Innenstädte- Drucksache 13/10536 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
InnenausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für VerkehrEs handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zu der Änderungsvereinbarung zu dem Abkommen mit der Regierung von Hongkong über den FluglinienverkehrVizepräsident Hans-Ulrich Kloseauf Drucksache 13/10432 - das ist der Tagesordnungspunkt 14 b - soll zur Mitberatung zusätzlich dem Finanzausschuß überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 15 auf. Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist:Tagesordnungspunkt 15 a:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes- Drucksache 13/9513 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht desAusschusses für Verkehr
- Drucksache 13/10530 -Berichterstattung: Abgeordneter Lothar Ibrüggerbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung- Drucksache 13/10556 -Berichterstaatung:Abgeordnete Hans Georg Wagner Bartholomäus KalbKristin HeyneJürgen KoppelinIch bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.Dritte Beratungund Schlußabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit angenommen, Mehrheitsverhältnisse wie vor.Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/ 10530 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Stimmenthaltung der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.Tagesordnungspunkt 15 b:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPDFortsetzung des Friedensprozesses in Bosnien-Herzegowina- Drucksachen 13/6488, 13/10456 - Berichterstattung:Abgeordnete Christian Schmidt
Freimut Duve Gerd Poppe Ulrich IrmerDer Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6488 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 15 c:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der BundesregierungAufhebbare Vierzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung- Drucksachen 13/9582, 13/9669 Nr. 2.2, 13/ 10380 -Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. FritzWer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 15 d:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der BundesregierungAufhebbare Einhundertsechsundreißigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste- Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz -- Drucksachen 13/9583, 13/9669 Nr. 2.3, 13/ 10382 -Berichterstattung: Abgeordneter Sigmar MosdorfWer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 15 e:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu der Unterrichtung durch das Europäische ParlamentEntschließung des Europäischen Parlaments zum Jahresbericht der Kommission über Chancengleichheit für Frauen und Männer in der Europäischen Union 1996- Drucksachen 13/9086 Nr. 1.7, 13/10351 -Berichterstattung:Abgeordnete Rita Grießhaber Heidemarie LüthOrtrun SchätzleHanna Wolf
Vizepräsident Hans-Ulrich KloseWer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthalungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.Tagesordnungspunkt 15 f:Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses
Übersicht 9über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht- Drucksache 13/10377 -Berichterstattung: Abgeordneter Horst EylmannWer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.Tagesordnungspunkt 15 g:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft
- zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 3094/95 des Rates und damit zur weiteren Verlängerung der Anwendung von Regelungen der Siebten Richtlinie des Rates über Beihilfen für den SchiffbauVorschlag für eine Verordnung des Rates über eine Neuregelung der Beihilfen für den Schiffbau- zu der Unterrichtung durch die BundesregierungMitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuß und den Ausschuß der RegionenFür eine neue Schiffbaupolitik- Drucksachen 13/9086 Nr. 2.53 und 2.52, 13/ 10448 -Berichterstattung:Abgeordneter Wolfgang Börsen
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 15 h:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 334 zu Petitionen- Drucksache 13/10467 -Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 334 ist bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.Tagesordnungspunkt 15 i:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 335 zu Petitionen- Drucksache 13/10468 -Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht .335 ist bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.Tagesordnungspunkt 15j:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 336 zu Petitionen - Drucksache 13/10469 -Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 336 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der PDS angenommen.Tagesordnungspunkt 15 k:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 337 zu Petitionen- Drucksache 13/10470 -Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 337 ist gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 2 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion der CDU/CSUHaltung der Bundesregierung zum Treffen des Bundesratspräsidenten Schröder mit dem weißrussischen Präsidenten LukaschenkoIch eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Friedbert Pflüger, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gerhard Schröder hat sich mit dem weißrussischen Diktator Lukaschenko, dem letzten Erben Stalins, im Gästehaus der niedersächsischen Landesregierung getroffen. Er verstößt damit gegen die mühsam vereinbarte Politik der EU,
Dr. Friedbert Pflüger
der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages. Dieses Treffen war ein Fehltritt.
Es ist wünschenswert, wenn sich ein führendes deutsches Unternehmen wie Conti in Weißrußland neue Märkte erschließt und Konkurrenten aussticht. Es ist gut und allgemein üblich, wenn Ministerpräsidenten einzelne Unternehmungen ihrer Bundesländer unterstützen. Aber diese Hilfsbereitschaft hat dort ihre Grenzen, wo übergeordnete politische Interessen und Vereinbarungen unterlaufen werden. Die verständliche Anfrage von Conti-Chef von Grünberg hätte Gerhard Schröder freundlich, aber entschieden ablehnen müssen.
Es kann im deutschen Interesse sein und langfristig auch Menschenrechte befördern, mit Ländern wirtschaftlich zusammenzuarbeiten, die keine freiheitliche politische Verfassung haben. In diesem Fall aber wird ein schwacher Diktator ohne jede Not salonfähig gemacht. Die wachsende demokratische Opposition in Minsk wird entmutigt.
So wie die Sozialdemokraten in den 30er und 80er Jahren die Solidarnosc in Polen und die Charta 77 in der Tschechoslowakei links liegen ließen,
so mißachtet Herr Schröder nun die Charta 97, die Menschenrechtsbewegung in Weißrußland.
Herr Lukaschenko hat laut Deutschlandradio am 22. April folgendes gesagt: Hitler schuf den deutschen Staat durch eine starke Präsidialmacht; das ist genau unsere Auffassung von der Rolle eines Präsidenten.
Ich finde, er ist ein Gesprächspartner für Herrn Frey und Herrn Schirinowskij, aber nicht für Herrn Schröder.
Dann höre ich, es gehe doch um Arbeitsplätze. Wenn das so ist, dann frage ich mich allerdings, warum denn Herr Schröder 1990 um ein Haar - wenn wir nicht aufgepaßt hätten - die Conti-Werke an Pirelli verscherbelt hätte. Wenn es Herrn Schröder um Arbeitsplätze geht: Warum hat er im Bundesrat die Steuerreform nicht durchgehen lassen? Dann hätte er Arbeitsplätze geschaffen, und zwar bei uns und nicht in Weißrußland.
Er ist nicht mehr nur Ministerpräsident, sondern er ist Kanzlerkandidat; er wird weltweit beobachtet. Um so verantwortlicher und sensibler muß er sich verhalten. Ich finde, daß der SPD-Experte für Weißrußland, Herr Professor Weisskirchen, recht hat: Es wäre besser gewesen, wenn Herr Schröder als ersten Staatsmann aus den mittel- und osteuropäischen Ländern einen Demokraten wie Havel und nicht einen Stalinisten wie Lukaschenko getroffen hätte.
Herr Schröder versucht, seine außenpolitische Unerfahrenheit durch eine populistische Abwertung der Außenpolitik aufzufangen. Es gehe hier nicht um Außenpolitik, es gehe um Arbeitsplätze. Aber Außenpolitik in Deutschland ist immer mit Arbeitsplätzen verbunden. Denn wenn wir nicht Frieden, Berechenbarkeit, Stabilität und Partnerschaft mit den Ländern um uns herum hätten, dann hätten wir auch keinen Wohlstand und keine Arbeitsplätze in unserem Land. Für Berechenbarkeit und Verläßlichkeit steht Helmut Kohl, steht Wolfgang Schäuble, steht unsere Fraktion - und nicht Gerhard Schröder und seine Politik.
Ein weiteres Beispiel für diese Unberechenbarkeit, die wir feststellen müssen: Bisher war es für einen deutschen Kanzlerkandidaten üblich, vor der Bundestagswahl nach Washington zu fahren.
Der amerikanische Präsident gewährte stets einen Termin im Weißen Haus - ein symbolischer Akt für die Bedeutung Deutschlands. Schröder wird, glaubt man der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" vom 22. April, nicht in die USA reisen.
Wir lassen Bill kommen, heißt es in Hannover. Eine Dreitagereise für ein Foto aus dem Weißen Haus sei ein bißchen viel. Das ist eine unglaubliche Arroganz gegenüber unserem wichtigsten Bündnispartner.
Vielleicht hat er das inzwischen auf Grund der Kritik korrigiert. Aber aus solchen Äußerungen aus der Staatskanzlei, zitiert in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung", spricht Unkenntnis, Unerfahrenheit. Denn es geht nicht um einen Fototermin im Weißen Haus, sondern es geht um mehr als eine symboli-
Dr. Friedbert Pflüger
sche Geste im Rahmen des deutsch-amerikanischen Verhältnisses.
Wir wären schlecht dran, wenn der Eindruck entstünde: Da kommt ein Kanzlerkandidat, der sich in Havanna besser auskennt als in Washington und nach Minsk bessere Drähte hat als nach Warschau. Das darf in Deutschland nicht passieren. Die Deutschen wollen, daß Helmut Kohl Kanzler bleibt, weil das die Berechenbarkeit der deutschen Außenpolitik gegen einen solchen Schlingerkurs garantiert.
Das Wort hat der Kollege Günter Verheugen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin deshalb in einer etwas unangenehmen Lage, weil ich laut Thema der Aktuellen Stunde etwas zur „Haltung der Bundesregierung" zu einem Vorgang sagen soll.
Wie ernst Sie Ihre eigene Aktuelle Stunde nehmen, sehen Sie daran, daß Sie der Bundesregierung gar nicht die Gelegenheit gegeben haben, zunächst einmal ihre Meinung zu sagen. Deshalb kann ich das nicht kommentieren.
Aber mit dem Thema der Aktuellen Stunde segeln Sie auch in einem anderen Zusammenhang unter falscher Flagge. Es geht hier nicht um ein Gespräch, das der Bundesratspräsident geführt hat. Sagen Sie doch, um was es geht! Es geht um ein Gespräch, das der Kanzlerkandidat der SPD geführt hat. Nur deshalb, weil Gerhard Schröder Kanzlerkandidat der SPD ist, reden wir heute im Bundestag darüber. Das ist auch gut so; das ist richtig so. Denn es gibt Ihnen die Gelegenheit, sich schon einmal etwas in die Oppositionsrolle einzuüben.
Ich möchte zu der Sache selber folgendes sagen: Erstens ist das Gespräch zwischen dem niedersächsischen Ministerpräsidenten und Herrn Lukaschenko, den ich genauso qualifizieren möchte, wie das hier schon geschehen ist,
nach sorgfältiger Abwägung der Chancen und der Risiken einer solchen Begegnung zustande gekommen.
„Sorgfältige Abwägung" heißt: Was läßt sich durch Gesprächsverweigerung, und was läßt sich durch Gespräche erreichen? Es war nie die Politik meiner Partei und meiner Fraktion, Gespräche zu verweigern. Wir haben auch die Bundesregierung nie kritisiert, weil sie Gespräche geführt hat.
Die Gespräche des Bundeskanzlers in China und in Indonesien beispielsweise sind nicht kritisiert worden, weil er dort war, sondern wegen des in diesen Gesprächen Ausgeblendeten, weil in China eben nicht über die Menschenrechte gesprochen, sondern vor der Volksbefreiungsarmee Kotau gemacht worden ist.
Herr Pflüger, Sie haben gar nicht gefragt, worüber Herr Schröder eigentlich mit Herrn Lukaschenko gesprochen hat. Das interessiert Sie auch gar nicht, weil Sie hier nur ein bißchen Wahlkampf machen wollen. Deshalb will ich Ihnen auf die Sprünge helfen: Gegenstand des Gespräches waren die politischen Rahmenbedingungen für eine engere wirtschaftliche Kooperation. Herrn Lukaschenko ist bei diesem Gespräch gesagt worden, daß er demokratische, rechtsstaatliche und marktwirtschaftliche Reformen in Gang setzen muß, wenn er will, daß es zu einer engeren Kooperation mit deutschen Unternehmen kommt.
Das entspricht genau dem, was die Europäische Union beschlossen hat. Ich darf aus dem Beschluß zitieren. In diesem Beschluß heißt es, der Rat appelliere an alle Mitgliedsstaaten der OSZE - das sind ja wohl wir - und des Europarates - das sind wir auch -, insbesondere an die Nachbarstaaten von Belarus, dessen Regierung zu überzeugen, einen Rechtsrahmen zu schaffen, der mit den grundlegenden demokratischen Prinzipien und der Einhaltung der Menschenrechte in Einklang stehe.
Genau das hat der niedersächsische Ministerpräsident in dem Gespräch getan. Es war richtig, das zu tun. So, wie es richtig war, daß sich Willy Brandt vor etwas mehr als zehn Jahren mit dem südafrikanischen Präsidenten Botha getroffen und ihm gesagt hat, was die Welt von ihm erwartet, so war es auch richtig, sich mit Herrn Lukaschenko zu treffen.
Isolierung, meine Damen und Herren, ist nicht die Politik, die den Menschen in Belarus hilft. Dies ist auch nicht die Beschlußlage der Europäischen Union.
Günter Verheugen
Ich habe die Beschlüsse hier. Weder der Ministerrat noch das Europäische Parlament reden an irgendeiner Stelle davon, daß hochrangige politische Kontakte nicht stattfinden sollten. Auch der Deutsche Bundestag hat das nicht beschlossen. Schauen Sie doch nach! Kein Wort davon steht in diesem Beschluß.
Dies würde ja unserer Politik auch widersprechen. Es ist niemals die Politik dieses Parlamentes gewesen, das Gespräch zu verweigern und die Möglichkeit der Einflußnahme aufzugeben.
Es war richtig, dieses Gespräch zu führen. Denn wie soll der Mann sonst hören, was eigentlich von ihm erwartet wird? Es war auch richtig, darauf hinzuweisen, daß wir an der Öffnung von Belarus - auch durch wirtschaftliche Kontakte - ein Interesse haben.
Diese Politik, die seit vielen Jahren in unserem Lande betrieben wird, hat sich doch bewährt. Es wurde immer gesagt: Wirtschaftskontakte können und sollen auch dazu dienen, die sozialen und politischen Rahmenbedingungen zu verbessern. Ich kann nichts Kritikwürdiges daran finden, wenn sich ein deutscher Ministerpräsident - auch im Interesse der Arbeitsplätze der Menschen in seinem Lande - darum bemüht, die politischen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Wenn Sie sich darüber erregen möchten, daß für den Ministerpräsidenten von Niedersachsen die Sicherung und die Schaffung von Arbeitsplätzen Chefsache ist, dann sage ich Ihnen: Wir sind stolz darauf, daß das so ist. Es wäre besser, wenn der Bundeskanzler die Arbeitsplatzsicherung in Deutschland auch zur Chefsache gemacht hätte und wenn etwas dabei herausgekommen wäre.
Meine Damen und Herren, um das ganz klar zu sagen: Ihre Kritik ist nicht begründet. Es liegt kein Verstoß gegen Beschlüsse der Europäischen Union vor. Es gibt keine Kontaktsperre. Die Union hat lediglich beschlossen, daß ministerielle Kontakte koordiniert werden sollen. Damit sind aber eindeutig die Kontakte der Regierungen der Mitgliedstaaten gemeint und ganz gewiß nicht die föderale Ebene der Bundesrepublik Deutschland.
Die Europäische Union betreibt eine Politik, mit der wir dazu aufgefordert werden, Einfluß auf dieses Land zu nehmen. Das haben wir getan, indem der Ministerpräsident von Niedersachsen Herrn Lukaschenko das gesagt hat, was zu sagen war.
Achten Sie bitte auf die Zeit.
Ich bin sofort fertig. - Wir tun es außerdem - da brauchen wir keinerlei Belehrungen von Ihnen - durch enge, intensive und
ständige Kontakte und durch die Zusammenarbeit mit der demokratischen Opposition in diesem Land.
Das Wort hat der Kollege Gerd Poppe, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Verheugen, Ihr ausdrückliches Bekenntnis zu einer außenpolitischen Geschmacklosigkeit dieser Art macht den zur Debatte stehenden Vorgang noch fataler, als er ohnehin schon ist.
Eine selbstkritische Anmerkung, wie sie gestern der Kollege Voigt im Auswärtigen Ausschuß für die SPD gefunden hat, wäre angemessener und glaubwürdiger gewesen.
- Wir werden es nachher hören.
Die Klassifizierung des Gespräches zwischen dem niedersächsischen Ministerpräsidenten - immerhin zugleich auch Bundesratspräsident - und dem Präsidenten der Republik Belarus als „informell" und „privat", wie es Herr Schröder verbreiten ließ, ist eine geradezu lächerliche Verharmlosung. Im übrigen hat Lukaschenko dieser abwertenden Charakterisierung des Gesprächs ausdrücklich widersprochen. Ohne Zweifel gehört ein solches Treffen zu den hochrangigen Kontakten, auf deren Vermeidung sich die EU-Staaten verständigt haben.
Die offenkundige Geringschätzung eines in Menschenrechtsfragen ohnehin reichlich seltenen Konsenses innerhalb der EU durch den Kanzlerkandidaten erweckt nicht gerade Hoffnung auf eine zukünftige gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.
Um Mißverständnissen vorzubeugen: Es geht nicht um die Verhinderung von Wirtschaftskontakten und von deutschen Investitionen in Belarus. Es geht schon gar nicht um Kritik an Begegnungen mit den unterdrückten Demokraten, mit den ehemaligen Parlamentariern des von Lukaschenko aufgelösten Parlamentes oder die Unterstützung von Tschernobyl-Initiativen. Das alles ist notwendig und hilfreich. Es geht ausschließlich um die politische Aufwertung des Diktators durch offizielle Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland.
Gerd Poppe
Mich erinnert dieser Vorgang an die vielen Nettigkeiten, die bundesdeutsche Politiker mit Honecker, Krenz und anderen ausgetauscht haben, ohne sich auch nur die Frage zu stellen, was das für die demokratische Opposition bedeutete.
Pikanterweise hat der von Herrn Schröder gestern in den Auswärtigen Ausschuß entsandte Staatssekretär von sich aus die aktuelle Hannover-Messe mit der Leipziger Messe zu DDR-Zeiten gedanklich verknüpft. Schließlich ist für mich nicht erkennbar, daß mit diesem Gespräch etwas hätte ermöglicht werden müssen, was auf andere Weise nicht zustande gekommen wäre.
Nun möchte ich mich an die andere Seite des Hauses wenden und Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, sagen, daß nicht mit Steinen werfen sollte, wer im Glashaus sitzt.
Sie, die Sie sich heute empören, sollten sich vergegenwärtigen, daß gerade die Bundesregierung im Umgang mit gemeinsamen Positionen der EU zu Menschenrechtsfragen nicht eben immer eine glückliche Hand hatte. Zu erinnern ist zum Beispiel an das traurige Schicksal der EU-Entwürfe für die China-Resolution der Genfer Menschenrechtskommission. Hier hat die Bundesregierung eine unrühmliche Rolle gespielt, indem sie den mit den meisten EU-Staaten ausgehandelten Konsens verließ. Und es war nicht der Kanzlerkandidat Schröder, sondern Bundeskanzler Kohl, der die Parade der chinesischen Armee, die das Massaker auf dem Tienanmen-Platz verübte, abgenommen hat.
Etliche weitere Beispiele ließen sich nennen, deren Resümee lautet: Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien sollten sich zurückhalten mit Kritik am Umgang anderer mit Diktatoren und Antidemokraten.
Solange Sie selbst kurzfristige Wirtschaftsinteressen immer wieder über die Ächtung von Menschenrechtsverletzungen stellen, fällt solche Kritik auf Sie selbst zurück.
Der Bundestag hat seine Position zu Belarus im Oktober 1997 einvernehmlich beschlossen. Diese bleibt aktuell.
Lukaschenko hat seitdem keinerlei Anlaß für eine Änderung unserer Einschätzung gegeben. Es gibt nach wie vor weder Gewaltenteilung noch Pressefreiheit. Die Rechte von gewählten Parlamentariern und von Nichtregierungsorganisationen werden
massiv verletzt. Diese Menschen bedürfen unserer Unterstützung und Solidarität.
Kontakte zu ihnen sind dringend erforderlich, ebenso wie die Hilfe für den Transformationsprozeß in Belarus. Behindert werden diese Beziehungen nicht durch Beschlüsse von EU oder Bundestag, sondern durch einen autoritären Präsidenten. Angesichts des dadurch entstandenen geringen Handlungsspielraums sind demonstrative Aufwertungen eben jenes Präsidenten um so schädlicher.
Meine Damen und Herren, ich kritisiere den Vorgang, der zur heutigen Debatte führte. Ich finde es aber andererseits nicht angemessen und wenig überzeugend, ihn als Wahlkampfmunition zu benutzen.
Wichtiger und hilfreicher für uns für eine erfolgreiche deutsche und europäische Außenpolitik, vor allem aber auch für die Menschen in Belarus, wäre es, wenn wir gemeinsame Positionen in Menschenrechtsfragen entwickeln und konsequent umsetzen würden - sei es als Regierung oder als Opposition oder sei es als zukünftige Regierung oder zukünftige Opposition.
Das Wort hat der Kollege Ulrich Irmer, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich Herrn Verheugen gelauscht habe, sind mir fast die Tränen gekommen. Man hatte den Eindruck, daß der Bundesratspräsident und niedersächsische Ministerpräsident Schröder den Herrn Lukaschenko nur deshalb empfangen hat, um ihn nachdrücklich auf die Menschenrechte hinzuweisen.
Ich entnehme der Tageszeitung „taz" vom 23. April 1998 folgendes: Schröders Regierungssprecher
betonte, bei dem Essen habe kein politischer Meinungsaustausch mit Lukaschenko stattgefunden,
- ich zitiere weiter -
man habe vielmehr über Investitionen von Conti und MAN in Weißrußland gesprochen.
Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren. Der Pressesprecher von Herrn Schröder wird es ja besser wissen als Sie, Herr Verheugen.
Kollege Poppe hat ja recht. Der eigentliche Skandal ist gar nicht das Treffen als solches. - Ich sage Ih-
Ulrich Irmer
nen im Vertrauen: Ich habe Herrn Schröder noch nie außenpolitisches Fingerspitzengefühl zugetraut. Insofern hat mich dieser Vorgang nicht überrascht, obgleich empört. - Der eigentliche Skandal bei der Geschichte ist vielmehr der, daß die SPD wieder einmal eine Doppelzüngigkeit, eine Bigotterie hier demonstriert, wie sie ihresgleichen sucht.
Als damals der bayerische Ministerpräsident, Franz-Josef Strauß, nach Bophuthatswana gereist ist und freundschaftlichste Kontakte mit dem Regime in Südafrika gepflegt hat, da haben Sie das, ich sage: mit Recht vehement kritisiert. Wir haben es auch kritisiert. Heute tun Sie so, als ob es die bare Selbstverständlichkeit wäre und als ob nichts Kritikwürdiges daran wäre, wenn ein Ministerpräsident eines Landes Dinge tut, von denen die Europäische Union ausdrücklich gesagt hat, sie sollten nicht stattfinden.
- Doch, es ist gesagt worden, es sollten keine Begegnungen auf hoher Ebene stattfinden. Daran haben sich alle gehalten, nur Herr Schröder nicht. Herr Lukaschenko ist dadurch international aufgewertet worden - ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht.
Dies haben wir nach Möglichkeit zu unterlassen. Beantworten Sie mir doch einmal die Frage, weshalb, wenn es um Arbeitsplätze gegangen wäre, Herr Schröder nicht den Staatssekretär aus seinem Wirtschaftsministerium dort hingeschickt hat. Das wäre ohne weiteres möglich gewesen. Auf der unteren Ebene hätte man alle Fachfragen erörtern können.
Ich will Ihnen noch eines sagen: Weißrußland muß sich, was Menschenrechts- und Demokratiefragen angeht, anders behandeln lassen als manches andere Land; denn es hat einen Gaststatus im Europarat.
Durch den Antrag auf Gaststatus im Europarat hat es sich selbst zu den Prinzipien und Grundsätzen des Europarates, das heißt zu Menschenrechten und demokratischen Strukturen, bekannt. Wenn ein solches Land dagegen verstößt, ist das um so gravierender. Ich erwarte dies doch von irgendwelchen anderen Ländern, wie beispielsweise Nigeria, gar nicht in dem Maße, obwohl wir auch da die Menschenrechtsverletzungen vehement kritisieren. Aber ein Land, das sich selbst diesen Maßstäben unterworfen hat, muß sich eben anders behandeln lassen.
Noch ein Wort zu den Arbeitsplätzen, meine Damen und Herren von der SPD: Weshalb will denn Conti ausgerechnet in Weißrußland investieren? Da geht es doch nur darum, daß es sich dort um ein Billigstlohnland handelt, mit dem verglichen die Löhne selbst in der Tschechischen Republik, in Ungarn und Polen sich geradezu auf einem luxuriösen Niveau bewegen. Der Grund dafür, daß die Firmen dort investieren, liegt doch darin, daß sie Lohndumping betreiben wollen. Das vertreten Sie jetzt hier als einen Einsatz für Arbeitsplätze in Deutschland. Wo wird
denn in Deutschland ein einziger Arbeitsplatz geschaffen?
Meine Damen und Herren! Der Verdacht liegt nicht fern, daß sich Herr Schröder gerade für seinen Wahlkampf den Zuspruch von Herrn Lukaschenko sichern wollte.
- Ich werde Ihnen das beweisen. Das hat nämlich eine Vorgeschichte.
Ich habe hier einen Brief vor mir liegen: Hannover, 31. Januar 1986. Der damalige Bundestagsabgeordnete Gerhard Schröder schreibt:
Lieber Egon Krenz!
Die Gespräche in der DDR waren offen und informativ. Besonders war ich von Erich Honecker beeindruckt.
Er schreibt weiter:
Durchstehvermögen, das Du mir wünschst, brauche ich in diesem arbeitsreichen Wahlkampf ja ganz bestimmt. Aber auch Du wirst für Euren Parteitag und die Volkskammerwahlen sicher viel Kraft und vor allen Dingen Gesundheit benötigen. Beides wünsche ich Dir von ganzem Herzen.
Meine Damen und Herren, wer schreibt Herrn Schröder jetzt den Brief, der ihm Durchstehvermögen im Wahlkampf wünscht? Ich vermute, Herr Lukaschenko. Ich bitte Sie um die Zurverfügungstellung einer Durchschrift dieses Schreibens, das demnächst in der niedersächsischen Staatskanzlei eingehen wird.
Ich bedanke mich bei Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Steffen Tippach, PDS.
Sie werden sich wundern, was wir so alles haben!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über die Situation der Menschenrechte und der mangelnden Demokratie in Belorußland besteht, denke ich, hier im Hause weitgehend Einigkeit. Nur, darum geht es in dieser Debatte nicht.
Steffen Tippach
Vielmehr geht es um ein Gespräch zwischen Gerd Schröder und dem Präsidenten Lukaschenko, ein Gespräch, das ich für ausgesprochen unglücklich halte, vor allem auch deswegen, weil ich der Meinung bin, daß man die Beschlüsse internationaler Organisationen und Institutionen wirklich ernst nehmen sollte, aber nicht an irgendeiner Stelle sagen sollte: Na ja, ganz so steht es in dem Satz ja nicht, und man könnte ja hineininterpretieren, daß das noch zulässig ist. Ich denke, gerade was Demokratie und Menschenrechte betrifft, sollte man in der Auslegung entsprechend strikt sein. Aber auch das ist nicht der Punkt.
Was hier heute vorgeht, ist aus meiner Sicht eine Wahlveranstaltung, eine Show billigsten Kalibers. Ich finde, die Kolleginnen und Kollegen der Koalition sollten sich schämen, die Zeit dieses Parlaments gerade in solch schwierigen Zeiten in diesem Land für diese Debatte zu mißbrauchen.
Denn gerade Sie - es ist mehrfach angesprochen worden - können sich eine unendliche Reihe von Kontakten mit Menschenschlächtern, Diktatoren und Folterern auf dieser Welt aus jüngster und vergangener Zeit weiß Gott an die Fahne heften. Dann aber verstehe ich es in keiner Sekunde, wieso Sie ausgerechnet an diesem Punkt hier plötzlich eine solche Show abziehen wollen. Diese Zeitverschwendung - das muß ich sagen - finde ich beschämend.
Auch das muß ich an alle Fraktionen dieses Hauses richten: Der Antrag zu Belorußland - Sie kennen ihn alle - ist vor kurzem in diesem Haus verabschiedet worden. Die PDS hat sich als einzige Fraktion enthalten, und das hat ihr diese üblichen absurden Vorwürfe wie „Diktaturfreunde" eingebracht. Der Ansatz für uns war, daß in diesem Antrag steht - jetzt muß ich ihn noch mal zitieren -, daß es in Zukunft keine wirtschaftliche, finanzielle, personelle deutsche und europäische Unterstützung für Belorußland geben soll. Alle Redner, die in dieser Debatte gesprochen haben, haben gesagt, daß es wichtig ist, weiterhin wirtschaftliche Unterstützung zu geben.
- Das haben alle gesagt. Natürlich, wirtschaftliche Kontakte sind wichtig. Es redet niemand davon, wirtschaftliche Unterstützung abzulehnen.
- Ich kann Ihnen die Zitate nennen. Gucken Sie ins Protokoll, dann werden Sie das sehen.
Das ist genau der Punkt. Es geht darum, die Person Lukaschenko zu isolieren, nicht aber die Bevölkerung. Mit dem Beschluß, den Sie gefaßt haben, erreichen Sie das Gegenteil. Und mit dem, was Sie hier gesagt haben, korrigieren Sie vernünftigerweise das, was Sie selber geschrieben haben, und zeigen damit, daß es das Papier nicht wert ist, auf dem es steht.
Wir werden in unserer vernünftigen und realistischen Außenpolitik auch gegenüber Belorußland fortfahren, und ich würde Sie einfach bitten, nicht zwischen Wort und Tat und zwischen Schrift und Realität solche Widersprüche klaffen zu lassen. Das gilt für die SPD wie für die CDU.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Staatsminister Dr. Hoyer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung fühlt sich den Beschlüssen des Allgemeinen Rates vom 15. September 1997, die maßgeblich von mir selbst mit formuliert wurden, verpflichtet, und sie achtet sorgfältig darauf, daß diese Beschlüsse von allen betroffenen Stellen der Bundesrepublik Deutschland eingehalten werden. Wenn Europa - man muß ja sagen: endlich - in der Außenpolitik handlungsfähig wird, dann dürfen wir die Union und die Wirksamkeit ihrer Außenpolitik nicht durch Alleingänge schwächen.
Es ist der Sinn immer wieder gemachter Überzeugungsversuche, daß wir uns alle an die Beschlüsse des Rates der Europäischen Union halten sollten.
Zur Lage in Belarus hat die Bundesregierung im August 1997 ausführlich Stellung genommen und damals ihre Besorgnis über die generelle Entwicklung des Landes, über Einschränkungen der Pressefreiheit und über die Behinderung der Nichtregierungsorganisationen zum Ausdruck gebracht. Auf die Frage, welche Möglichkeiten die Bundesregierung für die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland sieht, zur Demokratisierung für Belarus beizutragen, haben wir damals gesagt:
Die innerhalb der EU vereinbarte politische Linie, die Beziehungen zu Weißrußland einzuschränken, solange die Regierung nicht konkrete Schritte zur Wiederherstellung von parlamentarischer Demokratie, Gewaltenteilung und Medienfreiheit unternimmt, und das gleichzeitige Angebot seitens der Europäischen Union zur aktiven Unterstützung dieser Schritte stellt aus Sicht der Bundesregierung den am ehesten erfolgversprechenden Weg dar, zur Demokratisierung in Weißrußland beizutragen ...
Die Lage in Belarus gibt unverändert zu großer Besorgnis Anlaß. Die seit 1996 eingeleiteten Maßnahmen des Präsidenten, die dem Ziel der Bündelung der Macht in seiner Hand dienen, haben im staatlichen und gesellschaftlichen Bereich zu einem tiefgreifenden Umbau des Landes geführt. Die sogenannte Repräsentantenkammer und das Verfassungsgericht erweisen sich als dem Präsidenten willfährige Organe; die Opposition wird in jüngster Zeit, nach Hoffnungszeichen noch im Herbst, wieder verstärkt unter Druck gesetzt und ist vollständig in den außerparlamentarischen Bereich abgedrängt wor-
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister
den. Private Universitäten, Studenten, Oppositionelle und Vertreter unabhängiger Medien werden zunehmend unter Druck gesetzt. Verhaftungen und Verurteilungen von Demonstranten nehmen zu. Belarus ist kein demokratisch verfaßtes Land und kein Rechtsstaat mehr.
Dem deprimierenden Bild der politischen Lage entspricht die wirtschaftliche Situation des Landes: Sie hat sich dramatisch verschlechtert. Von einem Prozeß der Reformen in Richtung Marktwirtschaft kann nicht einmal ansatzweise die Rede sein, im Gegenteil. Private humanitäre Hilfsorganisationen haben übrigens wieder verstärkt unter Beeinträchtigungen ihrer Arbeit zu leiden, obwohl die Hilfe von außen bei zunehmender Not der Bevölkerung immer wichtiger wird.
Es hat in jüngster Zeit auch einen schwachen Hoffnungsschimmer gegeben. Nachdem die belarussische Seite Ende letzten Jahres endlich ihre Blockade gegenüber den Mandatsbedingungen aufgegeben und das weit gefaßte Mandat „Demokratieförderung" akzeptiert hatte, konnte die OSZE-Beratungs-
und Beobachtungsgruppe unter Leitung von Botschafter a.D. Wieck im Februar 1998 ihre Arbeit in Minsk beginnen. Die belarussische Seite ist mit der OSZE-Beratungsgruppe unter anderem übereingekommen, eine Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung eines neuen Wahlgesetzes einzurichten. Sollten die Arbeiten zu konkreten Ergebnissen führen, könnte dies einen Fortschritt bedeuten. Ob das genügt, wird die Zukunft zeigen.
In der Europäischen Union herrscht jedenfalls Einigkeit darüber, daß der Beschluß des Allgemeinen Rates vom 15. September 1997 in vollem Umfang wirksam bleibt, bis konkrete Fortschritte erkennbar sind. Der Beschluß ist ja durch fraktionsübergreifende Entscheidungen des Deutschen Bundestages am 14. November 1997 ausdrücklich indossiert worden. Folglich fühlen wir uns den Beschlüssen des Allgemeinen Rats nach wie vor verpflichtet.
In diesem Sinne hat Staatssekretär Hartmann am 21. Januar dieses Jahres die Chefs der Staatskanzleien der Bundesländer „um eine möglichst enge Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt bei allen weißrußland-politischen Fragen" gebeten.
Er bat außerdem darum, von hochrangigen politischen Gesprächen mit dem Präsidenten, die im Widerspruch zu den auch für uns maßgeblichen EU-Beschlüssen stünden, Abstand zu nehmen.
Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung wiederholt der Landesregierung von Niedersachsen nahegelegt, auf die beabsichtigte Begegnung mit Präsident Lukaschenko zu verzichten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich wirft der Umgang mit Repräsentanten eines Regimes wie dem in Weißrußland immer wieder schwierige Fragen auf. Für die Bundesregierung kann es aber keinen Zweifel daran geben, daß der Beschluß der Europäischen Union vom 15. September ein wichtiges Druckmittel bleiben muß, um der Regierung in Minsk und nicht zuletzt Präsident Lukaschenko selber immer wieder deutlich zu machen, daß wir nicht bereit sind, irgendwann zur Tagesordnung überzugehen. Wir müssen weiter darauf drängen, daß Weißrußland, ein wichtiges Nachbarland in Europa - es ist gar nicht so weit von uns entfernt, wie man manchmal glauben könnte, wenn man diese Debatten verfolgt -, zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zurückkehrt.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Christian Schmidt, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte - der Bitte des Kollegen Verheugen entsprechend - der Bundesregierung, die erschöpfend zur Vorgeschichte Stellung genommen hat, zur Seite treten und aus dem Beschluß des Europäischen Rates vom 15. September 1997, Ziffer 5, 4. Spiegelstrich, zitieren:
Bilaterale ministerielle Kontakte zwischen der Europäischen Union und Belarus werden grundsätzlich nur über den Vorsitz oder die Troika geknüpft.
Herr Verheugen, hier haben Sie Ihr Zitat.
Das ist hier nun gerade nicht passiert, es sei denn, Sie sagen: Er ist Ministerpräsident und kein Minister, deswegen gilt es für ihn nicht. Na gut, ich würde sagen: Ostern war bei der SPD so, daß Herr Schröder die faulen Eier gelegt hat, auf denen die SPD-Fraktion jetzt tanzen muß.
Aber auch Ihr Parforceritt, Herr Verheugen, wird nicht davon ablenken können, daß dieses Treffen schädlich war, das vom Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda in Minsk natürlich ausgeschlachtet worden ist. Ich habe am Samstag anläßlich eines Zusammentreffens in Österreich mit den Vertretern der Opposition gesprochen. Die haben sich bitter über die Propaganda beklagt, die dieser Besuch ausgelöst hat, und haben sich ausdrücklich beim Bundestag für die Beschlußlage bedankt, die wir herbeigeführt haben. Sie haben an die EU appelliert, das aufrechtzuerhalten, was gerade von der
Christian Schmidt
Bundesregierung sehr deutlich und klar dargestellt worden ist.
Nun komme ich zu der Frage: Wenn das an alle Staatskanzleien ging - so habe ich den Herrn Staatsminister verstanden -, also an die Posteingangsstellen aller 16 deutschen Bundesländer, muß man fragen, wie es denn die anderen damit gehalten haben. Ist Herr Schröder etwa von der Ministerpräsidentenkonferenz beauftragt worden? Nein, ich kann Ihnen eine interessante Mitteilung machen: Es gab natürlich auch andere Staatskanzleien, bei denen angefragt worden ist. Es gibt einen Ministerpräsidenten, der besonders dafür bekannt ist, daß er sich nachhaltig für wirtschaftliche Entwicklungen in seinem Bundesland einsetzt, der übrigens auch sehr viel bessere Wirtschaftsdaten aufweisen kann als das Bundesland Niedersachsen, der im Verhältnis zu der miesen Bilanz, die Herr Schröder in Niedersachsen aufbieten kann, sowohl bei den Arbeitslosenzahlen als auch beim Wirtschaftswachstum weitaus besser - golden, glänzend - dasteht; das ist der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber.
Edmund Stoiber hat auch eine Anfrage erhalten, ob er sich mit Herrn Lukaschenko treffen möge.
- Hören Sie es sich an. Es kann gut sein, daß Sie sich einige Dinge sowohl heute als auch in den nächsten Auseinandersetzungen noch einmal anhören müssen.
Nach Beratung hat sich der bayerische Ministerpräsident entschieden, den Kontakt mit Herrn Lukaschenko nicht zu suchen.
Er hat sich entschieden, Herrn Lukaschenko einen Korb zu geben, weil er sich in seiner staatspolitischen Verantwortung an die Beschlußlage der Europäischen Union und an die Ratschläge der Bundesregierung gebunden gesehen hat. Genau dies vermissen wir bei Herrn Schröder und haben wir vermißt.
Der Kollege von der wackelnden Magdeburger Front hat gesagt, es wäre Zeitverschwendung, sich heute mit diesem Thema auseinanderzusetzen, weil es Wahlkampf wäre. Lieber Kollege von der PDS, hier haben Sie etwas verwechselt: Die Wahlveranstaltung fand in Niedersachsen statt. Die Wahlveranstaltung fand im Gästehaus der niedersächsischen Regierung statt. Ich kann mir schon die Gedankengänge vorstellen. Da sagt ein Hemdsärmeliger: „Was soll es denn? Ich zeige es mal, ich bin der große Macher. Weg mit solchen Bedenken! Wir machen das einfach und zeigen, welch große Maxe wir sind."
Wer aber die Nase so hoch trägt und für Informationen und grundlegende Kenntnisse in der Außenpolitik sowie für notwendige gemeinsame Verhaltens-
weisen nicht zugänglich ist, dem kann es passieren, daß er stolpert. Gerade das ist passiert.
Wenn es ein Einzelfall wäre, wenn es eigentlich ein prinzipienfester Mann wäre, der nicht wankt und seinen Weg gerade geht, gut, dann müßte man in der Tat vielleicht nicht so ausführlich darüber reden. Aber nachdem sich zwischenzeitlich auch seine Ehefrau, Frau Schröder-Köpf, in die Außenpolitik eingeschaltet hat und sich bemüßigt fühlt, sich über die Türkeipolitik zu äußern, über einen Sachverhalt,
zu dem ich angesichts der gegenwärtig sehr aufgeheizten emotionalen Argumentation und der Beschimpfungen, die von türkischer Seite kommen, jedem empfehlen würde, die Ruhe zu bewahren, aber auch deutlich zu machen, daß es auch hier um die Vertretung und Wahrung einer gemeinsamen deutschen Position geht, muß darüber gesprochen werden.
Zwischenzeitlich gibt es wohl noch eine Reihe weiterer solcher Überlegungen in bezug auf Wahlkampfreisen, die von Herrn Schröder geplant sind. Auch das, was in Paris an Äußerungen gefallen ist, ist nach unserer Meinung auch nicht gerade besonders klug gewesen. Wir können nur eines feststellen: Hier ist einer auf ein hohes niedersächsisches Roß gestiegen, und von diesem ist er heruntergefallen. Das ist alles andere als ein Ausweis verantwortungsvoller Politik. Dieser Mann ist in seinen außenpolitischen Eskapaden ein Risiko.
Das Wort hat der Kollege Karsten Voigt, SPD.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn es den Koalitionsfraktionen vor allen Dingen um Menschenrechte ginge,
dann hätten sie den Debattenstil anders angelegt.
Tatsächlich geht es um Wahlkampf.
Legitim ist, daß der Wahlkampf zum Teil mit kabarettistischen Einlagen geführt wird. Der Kollege Irmer hat das vorgemacht. Ich habe dafür Verständnis; ich bin selber Ehrensenator in meinem Karnevalsverein. Deshalb lassen Sie mich zu Beginn meines Redebeitrags zu Ihren Bemerkungen - auch ironisch - nur sagen: Gerhard Schröder war Anfang der 80er Jahre von Erich Honecker beeindruckt. Er hat dies mit Helmut Kohl gemeinsam, der Ende der 80er Jahre von
Karsten D. Voigt
Erich Honecker beeindruckt war. Insofern würde ihn dieser Irrtum zur Kanzlerschaft geradezu prädestinieren.
Zum Thema der Menschenrechte selber: In der Sache ist Gerhard Schröder mit allen Abgeordneten des Deutschen Bundestages, was die Einschätzung der Lage in Belarus angeht, einer Meinung.
Das zeigt sich nicht nur daran, daß er mit Lukaschenko über Menschenrechte gesprochen hat und sich mit ihm öffentlich nicht hat fotografieren lassen, sondern auch darin, daß Gerhard Schröder auf unserem Parteitag in Hannover mit dem Vorsitzenden der belarussischen Sozialdemokratie, Nikolai Statkewitsch, einem der führenden Vertreter der dortigen demokratischen Opposition, geredet hat. Das zeigt sich darüber hinaus daran, daß sich neben anderen Bundesländern ein Bundesland ganz besonders für die demokratischen Kräfte in Belarus engagiert; so hilft zum Beispiel das Land Niedersachsen unter der Führung von Gerhard Schröder besonders den Kindern von Tschernobyl.
- Das macht auch Gerhard Schröder. Kommen Sie doch etwas von dem Kleinklein weg. - In Wirklichkeit geht es hier nicht um die Differenz in bezug auf Menschenrechte.
Die Frage der Menschenrechte wird hier von allen in gleicher Weise gesehen, Gerhard Schröder inbegriffen. Wenn man nicht nur den Wahlkampf im Kopf hat, sondern legitime Abwägungsgründe diskutieren möchte, dann erkennt man, daß es um die Frage des Verhältnisses von Menschenrechten, Wirtschaftsinteressen und Kontaktpflege geht. Gerhard Schröder hat in dieser Diskussion - darüber kann man auch meiner Meinung nach unterschiedlicher Auffassung sein - legitimerweise gesagt: Ich engagiere mich für die Menschenrechte in Belarus; aber ich lasse darunter die Wirtschaftsbeziehungen von Niedersachsen nicht leiden.
Daß man unterschiedlicher Meinung darüber sein kann, ob Kontakte fortgesetzt werden sollen oder nicht, steht außer Frage. Ich selbst bin eher für die Fortsetzung der Kontakte. Diese Ansicht vertritt auch die Kollegin Fischer, Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, also derjenigen Organisation, die für Menschenrechte zuständig ist. Sie hat sich vor kurzem mit dem Vizepräsidenten von Belarus getroffen und hat darin keine Verletzung irgendwelcher Prinzipien von Menschenrechten gesehen. Daß eine Fortsetzung der Kontakte sinnvoll ist, zeigt sich auch daran, daß eine OSZE-Delegation in
Belarus gewesen ist und mit Lukaschenko geredet hat.
Ich persönlich glaube, daß man die Isolierungsstrategie gegenüber Lukaschenko - selbst wenn sie in dieser Form beschlossen sein sollte; aber sie ist in dieser Form gar nicht beschlossen worden
- da steht nur: Ministeriumskontakte auf EU-Ebene - nicht durchhalten kann und daß sie von der Sache her auch falsch ist.
Herr Kollege Voigt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Scholz?
Das ist bei Aktuellen Stunden normalerweise nicht üblich, aber wenn der Präsident das zuläßt und das von meiner Zeit nicht abgezogen wird, gerne.
Nein, richtig, das geht ja nicht.
Ich möchte zum Abschluß nur sagen: Wir haben Helmut Kohl, als er nach China fuhr, nicht kritisiert, weil er mit der dortigen politischen Führung gesprochen hat, sondern wir haben ihn kritisiert, weil er bei der Nationalen Volksarmee symbolisch Hände geschüttelt hat. Wir haben den kritischen Dialog - wie immer man den Titel nennt - mit dem Iran nicht pauschal in Grund und Boden verdammt. Wir haben aber sehr wohl gesagt, daß es ein Fehler war, daß Staatsminister Schmidbauer Fallahian im Bundeskanzleramt empfangen hat.
Bei all dem Streit darüber, ob Gerhard Schröder jetzt richtig oder falsch gehandelt hat: Ich glaube, daß Gerhard Schröder sehr schnell in seine neue Rolle als Bundeskanzler hineinwachsen wird - Sie üben ja auch schon Ihre neue Rolle als Oppositionsparteien - und daß er als Bundeskanzler vor allen Dingen nicht den Fehler machen wird, den Helmut Kohl als Bundeskanzler gemacht hat, indem er zum Beispiel Gorbatschow als Goebbels bezeichnet hat, was nicht die größte außenpolitische Glanzleistung eines Bundeskanzlers war. Demgegenüber, wie immer man das unter kritischen Aspekten beurteilen mag, ist das, was Gerhard Schröder dort gemacht hat - kritische Auseinandersetzung mit Lukaschenko, kein Pressetermin, aber Engagement in Wirtschaftsfragen -, geradezu lobenswert.
Das Wort hat der Kollege Klaus Francke, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Voigt,
Klaus Francke
es geht nicht um die Frage Menschenrechte einerseits und Wirtschaftsfragen andererseits - über Menschenrechte hat der Ministerpräsident gar nicht geredet, wie wir gehört haben -,
sondern es geht um die Frage, welchen außenpolitischen Schaden der amtierende Bundesratspräsident durch sein Verhalten angerichtet hat. Das ist der zentrale Punkt, über den geredet werden muß.
Das Treffen dieser beiden Herren beweist aus meiner Sicht eine seltene politische Unreife, die sich aus einer gefährlichen Mischung von Borniertheit und persönlicher Eitelkeit zusammensetzt.
Im November 1997 hat an dieser Stelle der Kollege Weisskirchen unter Zustimmung des ganzen Hauses erklärt - ich zitiere ihn -:
Wir ermutigen alle Demokraten in Weißrußland und warnen Präsident Lukaschenko. Die Familie der europäischen Demokratien wird es nicht länger hinnehmen, wenn ein Mitglied der gemeinsamen Familie unterdrückt wird.
Die Beurteilung der Lage in Weißrußland, der Unterdrückung und Drangsalierung der Menschen, ist einhellig in Europa und im Bundestag. Deswegen haben wir im vergangenen Jahr den interfraktionellen Antrag beschlossen.
Äußerungen nun aus Niedersachsen, Herr Schröder beurteile die Lage in Weißrußland genauso wie der Bundestag, aber wenn man früher Herrn Honecker empfangen habe, wieso jetzt nicht Herrn Lukaschenko, sind nur als bodenlos dumm zu bezeichnen.
Klarer kann nicht dargelegt werden, was landauf, landab immer mehr ins Bewußtsein dringt: Herr Schröder redet nach Beliebigkeit, aber nicht auf Grund gefestigter Überzeugungen.
Ihm fehlt das Gespür für eine seriöse Politik. Er verkauft seine Anbiederung dreist dann auch noch als Anbahnung von Wirtschaftskontakten, die dem Bürger zugute kommen sollen. Aber auch hier wäre das Nachdenken über den Zentimeter vor der Nasenspitze hinaus sinnvoll gewesen. Es gibt nämlich keinerlei Notwendigkeit dafür, Wirtschaftskontakte auf dieser Ebene zu pflegen.
Auch die Naivität, das Treffen als inoffiziell zu bezeichnen, kann nur als erschreckend bezeichnet werden. Ein amtierender Bundesratspräsident wird außenpolitisch nicht als Privatmann gesehen. Ich wiederhole: Der Bundesratspräsident hat in seiner Funktion im wesentlichen die Bundespolitik auch nach außen zu vertreten. Hier geht es nicht primär um den Ministerpräsidenten, sondern um den Bundesratspräsidenten.
Es war auch völlig klar, daß sich die weißrussische Seite keine Gelegenheit entgehen lassen würde, das Gespräch auf das Niveau einer Begegnung zwischen zwei Staatsmännern hochzustilisieren.
Dieses Treffen hat den weißrussischen Präsidenten in seinem Lande in gefährlicher Weise aufgewertet und in seiner Position bestätigt.
Bei der weißrussischen Opposition und gerade - wie wir gestern von den Sozialdemokraten noch einmal deutlich gehört haben, Herr Kollege Voigt - bei den stark unterdrückten Sozialdemokraten, die sonst Demonstrationen zur Unterstützung aus dem Westen erfahren, ist angesichts der Nachricht von diesem Treffen blankes Entsetzen ausgebrochen.
Schröder hat es geschafft, mit einer einzigen Aktion den Deutschen Bundestag zu brüskieren, die europäischen Partner vor den Kopf zu stoßen und der weißrussischen Opposition einen deutlichen Tiefschlag zu versetzen.
Er hat, was grundsätzlicher wiegt, die gewohnte Verläßlichkeit der deutschen Außenpolitik in den Augen unserer Partner gefährdet und uns von unserem Ziel, Weißrußland auf den Weg von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zurückzuführen, ein Stück weiter entfernt. Das, meine Damen und Herren, zeigt keine Kanzlerreife, sondern daß Herr Schröder ein außenpolitischer Spieler ist.
Das Wort hat die Abgeordnete Uta Zapf.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe das Gefühl, hier allmählich ganz feuchte Füße von den vielen Krokodilstränen zu bekommen, die hier vergossen werden.
Ich würde ganz gerne zunächst einmal zu Herrn Irmer - Herr Francke hat es jetzt ja auch wiederholt - sagen, daß es sich lohnt, die richtige Zeitung zu lesen. Ich wundere mich, daß Sie hier die „taz" zitieren und dabei vergessen, daß auch die „FAZ" etwas zu
Uta Zapf
dieser Sache gesagt hat. Mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, würde ich das hier jetzt gerne zitieren. Da steht zu demselben Tatbestand, den Sie angesprochen haben: Regierungssprecher Jürdens bestätigte,
Schröder sei die Schwierigkeit dieses Treffens bewußt gewesen.
Er habe daher auf einem informellen Treffen außerhalb des Protokolls bestanden, einen gemeinsamen Fototermin mit Lukaschenko abgelehnt und auch zu Beginn des Essens darauf hingewiesen, daß man in der Beurteilung der innenpolitischen Situation Weißrußlands nicht übereinstimme.
Man sollte also, wenn man schon zitiert, seriös zitieren.
Zweites Problem, meine Damen und Herren: Es ist richtig, daß wir Herrn Lukaschenko, der genauso regiert, wie es hier auch von der Koalition beschrieben worden ist, nicht hoffähig machen wollen. Er ist aber immerhin ein regulär gewählter Präsident und wurde damals noch nach durchaus demokratischen Spielregeln gewählt. Wir haben die Möglichkeit, ihm einerseits offizielle strahlende Gelegenheiten zu verwehren, aber auf der anderen Seite müssen wir berücksichtigen, daß er immerhin der Präsident ist.
Ich würde Sie gerne einmal fragen, was Sie machen würden, wenn Sie mit der deutsch-belarussischen Parlamentariergruppe nach Belarus fahren und dort mit den Regierenden und mit der Administration Kontakte pflegen wollen. Was machen Sie? Reden Sie mit Herrn Lukaschenko? Ja oder nein?
Ich finde es lächerlich, wie Sie das behandeln. Wir haben uns in der deutsch-belarussischen Parlamentariergruppe stundenlang mit diesem Thema beschäftigt. Die Kehrseite der Medaille ist doch, daß wir dann, wenn wir der von Ihnen behaupteten Kontaktsperre entsprechen würden - dabei ist diese nicht ausgesprochen worden -, in ein Dilemma hineinkämen, über das es sich nicht nur am Beispiel von Belarus, sondern auch am Beispiel anderer Länder nachzudenken lohnt. Herr Antretter hat das gestern im Auswärtigen Ausschuß mit der Formel umschrieben: Was nützt denn den Menschen, wenn wir in einem Lande Demokratisierung fördern wollen? Nützt die Isolierung oder nützt zum Beispiel eine wohldosierte Art bei der Kontaktpflege?
Nützt es, die Wirtschaft zu fördern - ich erinnere an das berühmte Wort vom Wandel durch Handel -, oder nützt es, Sanktionen auszusprechen?
Ich möchte hier nur einen Beispielsfall ansprechen, mit dem wir umzugehen lernen müssen. Es geht darum, daß die Bundesregierung die Gelder für die MW im Rahmen des Transformprogrammes drastisch gekürzt hat, und zwar auf Grund des hier gefaßten Beschlusses, Hilfsprogramme nicht mehr zu fördern. Die KfW hatte sich schon weitgehend auf die Unterstützung von NGOs konzentriert. Die NGOs sind in der Tat in Weißrußland diejenige Gruppe, die in der Lage ist, Demokratisierung am besten voranzutreiben.
Nun fallen die Gelder für diese nichtstaatlichen Organisationen weitgehend weg. Die kleinen und mittleren Privatbetriebe, die die KfW unterstützt hat, können nicht mehr gefördert werden, und auch der ganz wichtige Bereich Aus- und Weiterbildung wird eingeschränkt, so beispielsweise die Förderung nichtstaatlicher Organisationen wie des IBB und anderer, die die Demokratisierungsaspekte in ihre Programme einflechten. Ich denke, das ist ein Dilemma, vor dem wir alle stehen.
Wenn wir uns nicht in einer Wahlkampfdiskussion befänden, wäre es wirklich lohnend, über die Sache nachzudenken. Das, was hier passiert, kann ich gut verstehen. Sie haben eine wunderbare Gelegenheit genutzt, dem Strahlemann Schröder eins auszuwischen und ihm im außenpolitischen Bereich etwas Dämpfendes aufzusetzen. Das hätte ich an Ihrer Stelle ganz genauso gemacht. Das ist doch klar.
Dafür haben wir doch alle Verständnis. Wir sind im Wahlkampf.
Aber das, was hier passiert, ist doch nicht seriös.
Ich denke, es trifft das, was Herr Francke in der letzten Diskussion zu Protokoll gegeben hat. Herr Francke, mit der Genehmigung der Frau Präsidentin würde ich Sie gerne zitieren. Sie haben in der Debatte über den Antrag, den wir gemeinsam beschlossen haben, Ihre Rede zu Protokoll gegeben. Dazu möchte ich einen kleinen Einschub machen: Die Frage der Demokratisierung in Belarus hat dieses Haus offenbar so gebeutelt, daß die Debatte nur zu Protokoll gegeben worden ist.
Ich zitiere Herrn Francke:
Trotzdem kann es nicht unser Ziel sein, Belarus dauerhaft zu isolieren. Nur im Dialog mit dem Land
werden wir zu einem innenpolitischen Umdenken und damit langfristig zu einer politischen Sta-
Uta Zapf
bilität beitragen können, die auch in die Region ausstrahlt. Nicht umsonst sprechen sich insbesondere die direkten Nachbarn Belarus' dagegen aus, das Land dauerhaft zu isolieren.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Sie dürfen nicht mehr so lange zitieren.
Letzter Satz, wenn Sie gestatten:
Wir dürfen auch nicht vergessen, daß mit der Öffnung der Europäischen Union und der NATO Belarus zu einem unmittelbaren Nachbarn beider Organisationen werden wird und uns damit näherrückt. Damit ist die politische Stabilität von Belarus ein wichtiges Anliegen unserer Politik, auch im Interesse unserer Partner in Mittel- und Osteuropa.
Ich denke, es würde sich mehr Gehirnschmalz lohnen, als hier von Ihnen in diese Wahlkampfdebatte investiert worden ist.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Andreas Krautscheid.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn man bedenkt, wieviel Mühe, Zeit und Engagement Kollegen aus allen Fraktionen in den letzten Monaten und Jahren darauf verwendet haben, in Fragen schwerster Menschenrechtsverletzungen zu einer gemeinsamen Position der Demokraten zu kommen, dann kann man sagen: Herr Schröder hat diesen Bemühungen mit seiner Aktion einen Bärendienst erwiesen.
Mir ist ganz klar, warum jetzt zum Beispiel kein einziges ordentliches SPD-Mitglied aus dem Unterausschuß Menschenrechte anwesend ist. Sie sind nicht deshalb abwesend, weil sie sich nicht dafür interessieren, nein, sie schämen sich für diese Aktion ihres eigenen Kanzlerkandidaten.
Wir haben oft Fälle gehabt, bei denen man darüber streiten konnte, wie man mit einem Regime umzugehen hatte. Wir waren oft unterschiedlicher Auffassung. Aber wer ist eigentlich Herr Lukaschenko, und wie sieht es in Weißrußland aus? Was hat er in den letzten Monaten getan?
Es gab die Aufhebung der Gewaltenteilung, die Entlassung von Verfassungsrichtern, die Auflösung des frei gewählten Parlaments, physische und psychische Gewalt gegenüber Parlamentariern, die Aufhebung der Versammlungsfreiheit und allein im
Jahre 1997 55 Todesurteile, die meisten davon ohne jeden Prozeß.
Meine Damen und Herren, nach dem, was ich von Ihnen gerade gehört habe, kann man diese Ranschmeiße Ihres Kanzlerkandidaten nicht mehr als Tolpatschigkeit bezeichnen. Das ist auch kein Tritt ins Fettnäpfchen mehr, nein, es ist zynisch gegenüber den Menschen in Weißrußland.
Es ist bereits gesagt worden: Das ist kein Einzelfall. Je mehr dieser Mensch vom Allgemeinen zum Konkreten kommt, um so öfter wird es peinlich. Offenbar ist das - die Türkeiäußerungen sind bereits angesprochen worden - auch ein familiäres Problem.
Ich habe einer von Ihnen sicherlich als seriös eingeschätzen Montagszeitung entnommen, daß Ihr eigener Wahlkampfmanager das, was Frau Köpf von sich gegeben hat, als Sicherheitsrisiko eingeordnet hat und daß man diese Dame von weiteren Äußerungen abhalten möchte.
Meine Damen und Herren, wir haben hier ein gemeinsames Interesse. Bevor die beiden in nächster Zeit öfter Bill und Hillary spielen und solange noch sachkundige Kollegen - wie der Kollege Voigt - in Ihrer Arbeitsgruppe sind, sollten Sie die beiden einmal zu einem Grundkurs in Außenpolitik einladen,
damit durch persönliche Eitelkeit entstehender Schaden in der Außenpolitik von unserem Land abgehalten wird. Bringen Sie ihm die einfachsten Dinge bei!
- Vielleicht ist er lernfähig.
Eines aber finde ich wichtig: Wir selber haben in unseren Reihen immer wieder gemerkt, wie schwierig es ist, solche einvernehmlichen Positionen durchzuhalten, aber auch wie wichtig es ist, in schwerwiegenden, ganz offensichtlichen Fällen so zu verfahren. Ich empfinde es genauso wie die Nichtregierungsorganisationen im Menschenrechtsbereich als einen Tritt in die Kniekehle, wenn wir bei den Bemühungen, uns darauf zu einigen, wieder von vorne anfangen müssen, bloß weil Ihr Kanzlerkandidat einen solchen Fauxpas begeht. Das ist für unsere zukünftige Arbeit eine schwere Hypothek.
Wenn es für die Sache besser ist, dann halten Sie ihn von vornherein von solchen außenpolitischen Äußerungen ab. Die Schuhe, in die er geschlüpft ist,
Andreas Krautscheid
sind ihm zu groß. Sie wissen genau: Er wird auch nicht hineinwachsen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gert Weisskirchen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fände es ganz gut, wenn wir an den Gedanken anknüpfen könnten, den wir trotz des Streites durchgängig als den richtigen Gedanken erkannt haben, nämlich: Wie kann es uns gelingen, Weißrußland zurück in die Familie der europäischen Demokratien zu führen? Das ist, glaube ich, der zentrale Punkt.
Wir haben ja Erfahrungen mit gemeinsamer Entspannungspolitik, auch mit der Politik von Helmut Kohl ab 1982, bei der er, was das Zusammenspiel von staatlichem und gesellschaftlichem Handeln anbetrifft, in gewisser Weise durchaus die Kontinuität gewahrt hat.
Der zentrale Punkt der Auseinandersetzung sollte meiner Ansicht nach der sein: Ist es richtig, daß Menschenrechte gegen Arbeitsplätze oder - umgekehrt - Arbeitsplätze gegen Menschenrechte ausgespielt werden können? Wenn ich zu entscheiden hätte, dann würde ich sagen: Da kann es kein Ausspielen geben. Im Zweifel müssen meiner Meinung nach Menschenrechte Priorität haben.
Dennoch müssen wir wissen - das wissen wir doch auch -, daß dann, wenn private Investoren - nehmen wir das Beispiel Weißrußland - in Weißrußland wirtschaftlich kooperieren, wenn dort Arbeitsplätze geschaffen werden - auch in Weißrußland ist Arbeitslosigkeit wie bei uns ein Problem -, nicht nur die Freiheit derer, die als Investoren agieren, die Freiheit der Unternehmer und die Freiheit des ökonomischen Handelns betrachtet werden kann. Vielmehr müssen wir bedenken, daß die Freiheit, die die Investoren in bezug auf die Wirtschaft nutzen, schließlich dazu führen wird, daß dieses Projekt in politische Freiheit überführt werden kann, weil nämlich Freiheit nicht geteilt werden kann.
Ich will damit nur sagen: Wenn wir uns auf diese schwierige Diskussion einlassen, dann kann man auch - unabhängig davon, wer agiert, ob es Ministerpräsident Schröder oder Ministerpräsident Stoiber ist - zu der Auffassung kommen, daß dies zu einem erwünschten Ergebnis führt, wenn - das ist der entscheidende Punkt für mich; das sage ich Ihnen ganz offen - dazu eine Praxis kommt, die so aussieht, daß zugleich auch die kritischen Gruppen innerhalb des Landes - die Demokratiebewegung, diejenigen, die Initiativen von unten entwickeln, die Nicht-Regierungsorganisationen - gestärkt werden. Das ist für mich das zentrale Kriterium.
Das habe ich so gehalten. Dafür bin ich von manchen früher ab und an mal kritisiert worden. Das halte ich auch heute so, Gerd Poppe. Das ist ein Zusammenspiel. Das ist ein schwieriger dialektischer Prozeß, bei dem es - das weiß ich sehr wohl - auch zu Mißverständnissen kommen kann. Daran besteht kein Zweifel. Natürlich kann es dabei auch zu Mißverständnissen kommen. Natürlich kann auch Herr Lukaschenko versuchen, dies zu mißbrauchen. Aber das gilt in jedem Falle, wenn so etwas gemacht wird.
Die entscheidende Frage ist: Wo hat das Land Niedersachsen zur Unterstützung der Demokratiebewegungen in Belarus beigetragen?
- Ja, das ist die entscheidende Frage. Herr Kollege Lamers, ich will Ihnen drei Beispiele nennen.
Erstes Beispiel. Nikolai Statchewitsch hat auf unserem Parteitag gesprochen. Auf welchem Parteitag der CDU hat ein Vertreter der demokratischen Opposition Weißrußlands gesprochen?
Zweites Beispiel. Es gibt eine Niederlassung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Minsk. Gibt es in Minsk Niederlassungen der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Friedrich-Naumann-Stiftung?
Drittes Beispiel. Lieber Herr Kollege Irmer, wenn Sie diesen Vorgang schon so kritisch aufspießen - das gehört zum Wahlkampf -, dann möchte ich Sie fragen: Wo, bitte schön, war Ihre Kooperation mit dem Ex-Nationalbankchef von Belarus, der kürzlich in Deutschland war? Der F.D.P. ist angeboten worden, mit ihm persönlich zu reden. Er gehört zu Ihrer Schwesterpartei, der Vereinigten Bürgerpartei. Leider - ich habe es jedenfalls nicht vernommen - gab es keinen Kontakt und keine Zusammenarbeit zwischen der F.D.P. und dem Ex-Nationalbankchef, als er in Deutschland war. Also bitte schön, wenn Sie schon kritisieren: Ich fände es ganz gut, wenn es die selbstkritischen Töne bei uns allen geben würde.
Was mich anbetrifft, sage ich noch einmal: Wenn man entscheiden muß, haben meiner Meinung nach Menschenrechte auf jeden Fall den Vorrang. Dennoch muß man wissen: Es gibt ein Zusammenspiel zwischen beiden Faktoren. Wenn dieses Zusammenspiel von uns gemeinsam genutzt wird - da muß jeder seine Rolle spielen -, dann können wir die Frage beantworten, die Sie, Herr Staatsminister, richtigerweise gestellt haben: Wie kann es uns gelingen, daß Belarus zur Familie der Demokratien in Europa zurückkehrt? Wenn uns das trotz verschiedener politischer Ansätze gelingt, dann haben beide, Opposition und Regierung - unabhängig davon, welche Parteien in den entsprechenden Funktionen sind -, das Spiel
Gert Weisskirchen
gewonnen und die Demokratie in Weißrußland gestärkt.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Bötsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Ich möchte wieder zum Thema zurückkommen
und die Frage anschneiden, wie die Bundesregierung das Verhalten des Herrn Ministerpräsidenten Schröder bei seinem Treffen mit dem weißrussischen Diktator beurteilt.
Ich möchte mich zunächst bei Herrn Staatsminister Hoyer für die klare Aussage bedanken, daß die Bundesregierung, das Auswärtige Amt, Herrn Schröder von diesem Treffen abgeraten hat. Ich glaube, diese deutliche Klarstellung war notwendig, weil in den letzten Tagen Gerüchte durch die Gegend geschwirrt sind, als sei diese Haltung nicht so klar gewesen. Herr Staatsminister, ich darf mich für diese Klarstellung bei Ihnen herzlich bedanken.
Entgegen dem, was Sie ausgeführt haben, Herr Kollege Verheugen, ist Herr Schröder natürlich nicht nur als Ministerpräsident, sondern auch als Kanzlerkandidat nach der alten Methode „to wear several hats" in Erscheinung getreten.
Herr Schröder selbst stellt eine Verbindung zwischen diesen Funktionen her. Er ist von Ihnen sozusagen nach vorne auf die Rampe geschoben worden. Er nutzt all das für sein Vorhaben, Kanzler zu werden, was ihm aber nicht gelingen wird. Nach Israel ist er zwar als Bundesratspräsident gereist, aber er hat dort die Grünen in seiner Funktion als Kanzlerkandidat beschimpft.
Sie, meine sehr verehrten Damen und Herrn Kollegen von der SPD, sollten bedenken, daß Sie - das müssen Sie doch gemerkt haben - in dieser Frage stark isoliert sind.
Wenn ich die Reden richtig verfolgt habe, dann kann ich feststellen, daß Sie die einzigen hier im Hause sind, die das Verhalten von Herrn Schröder gebilligt haben. Alle anderen - zu meiner Überraschung auch die PDS - haben Kritik geübt, wobei ich aber in einem Punkt anderer Auffassung bin als die PDS: Diese Aktuelle Stunde ist sehr wohl notwendig. Um uns in Fragen des Parlamentarismus Nachhilfe geben zu können, müßten Sie noch etwas länger - das hoffe ich zwar nicht - dem Parlament angehören.
Meine Damen und Herren, eines steht fest: Schröder betreibt seine politische Show ohne Rücksicht auf Verluste deutscher und europäischer Glaubwürdigkeit.
Das ist im Grunde genommen das, was wir zu dem Thema zusammenfassen können.
Rabulistik, Herr Kollege Verheugen, hinsichtlich dessen, was die Europäische Union zu dem Thema gesagt hat, führt tatsächlich nicht weiter. Denn ich muß den Satz schon noch einmal zitieren: „Bilaterale ministerielle Kontakte zwischen der Europäischen Union und Belarus werden grundsätzlich nur über den Vorsitz oder die Troika geknüpft." Nun können Sie rabulistisch sagen, Schröder ist nicht Mitglied der Bundesregierung, er ist ja lediglich ein Ministerpräsident. Damit minimieren Sie aber seine eigene Rolle. Schröder will jedoch Kanzler werden.
Herr Kollege Voigt, Sie haben gesagt: Herr Schröder wird schon in seine Aufgabe hineinwachsen. - Der Bundestag als teuerste Volkshochschule der Welt, das wollen wir doch nicht.
Ich bin der Meinung, wer Kanzler werden will, der sollte eigentlich die Voraussetzungen für außenpolitische Fragen schon mitbringen und hier nicht erst lernen müssen.
Nachdem die „taz" und die „FAZ" zitiert wurden, will ich die „Süddeutsche Zeitung" von heute zitieren, die schreibt:
„Ich bin weder Außenminister, noch will ich es werden", hat Gerhard Schröder bei seinem Israel-Besuch vor einiger Zeit zu diesem Thema gesagt. Richtig ist,
- so schreibt die „Süddeutsche Zeitung" -
daß er sich für Außenpolitik im diplomatischen Sinne noch nie interessiert hat. Für ihn, der als Vorstandsvorsitzender der „Deutschland AG " zu handeln gedenkt, besteht die Welt jenseits nationaler oder europäischer Grenzen vor allem aus Absatzmärkten oder konkurrierenden Standorten. Deshalb trifft er sich auch gegen alle Bedenken mit einem diktatorisch regierenden Präsidenten; er nimmt eben im Zweifel die Bitten einer Reifenfirma und eines Lastwagenherstellers interessierter zur Kenntnis als eine LukaschenkoBannbulle des Auswärtigen Amtes an alle bundesdeutschen Staatskanzleien.
So versteht Gerhard Schröder Außenpolitik. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Vielen Dank.
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21393
Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerIch rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 d auf:a) Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungWaldzustandsbericht der Bundesregierung 1997- Ergebnisse der Waldschadenserhebung -- Drucksache 13/9442 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für VerkehrAusschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzungb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung duch die BundesregierungWaldbericht der Bundesregierung- Drucksachen 13/8493, 13/10374 -Berichterstattung: Abgeordnete Heidi Wrightc) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung- zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung- zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Ulrike Höfken, Gila Altmann , weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die BundesregierungWaldzustandsbericht der Bundesregierung 1996- Ergebnisse der Waldschadenserhebung -- Drucksachen 13/6300, 13/6961, 13/6974, 13/ 6975 13/9925 -Berichterstattung: Abgeordneter Ernst Bahrd) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Forstabsatzfondsgesetzes- Drucksache 13/10285-
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Drucksache 13/10542 -Berichterstattung: Abgeordnete Heidi WrightEs liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P., der Fraktion der SPD sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.Das Wort hat zunächst der Parlamentarische Staatssekretär Ernst Hinsken.
Werte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Seit 1960 hat sich das Waldgebiet in der Bundesrepublik um 500 000 Hektar vermehrt. Das möchte ich gleich vorweg ausführen und besonders unterstreichen.
Mit der Vorlage dieses Waldberichts ist die Bundesregierung einem Wunsch des Deutschen Bundestages nachgekommen. Mit diesem Bericht gibt sie einen allgemeinen Überblick über die Situation des Waldes sowie über die der Forst- und Holzwirtschaft. Wir wollen damit die vielfältigen Funktionen des Waldes in seiner ganzen Bandbreite würdigen.
Es gehört zur gewachsenen forstlichen Tradition unseres Landes, den Wald zu erhalten, zu mehren und nachhaltig zu bewirtschaften. In verantwortungsvollem Zusammenwirken von Forstpolitik, Forstverwaltung und Waldeigentümern wird dies auch erfolgreich verwirklicht. Waldfläche, Holzvorräte, Laub- und Mischbestände nehmen seit Jahrzehnten zu. Das ist gut so, denn der Wald erfüllt wichtige Funktionen für Natur und Umwelt. Er sorgt für einen Ausgleich im Wasserhaushalt, schützt den Boden vor Erosion, säubert Luft und Wasser und ist Lebensraum für viele Pflanzen und Tiere.
Nicht zu vergessen: Für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger ist der Wald ein gutes Stück Natur mit hohem Erholungs- und Freizeitwert. Ich möchte hinzufügen, daß es mir natürlich schon am Herzen liegt, zu sagen, daß es im Interesse der Bürger liegen sollte, den Wald, soweit irgend möglich, von Abfallstoffen frei zu halten und ihn nicht als Müllkippe zu nutzen, wie das zuweilen der Fall ist.
Der Wald hat wichtige ökologische Funktionen. Er ist darüber hinaus ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor.
Für rund 450 000 Betriebe stellt der Wald nach wie vor Vermögen und Einkommensquelle dar. Unser Wald ist eine umweltfreundliche Rohstoffquelle. Er sichert in den Forstbetrieben und der holzverarbeitenden Industrie wichtige Arbeitsplätze gerade im ländlichen Raum.
Damit der Wald seine unverzichtbaren Funktionen auf Dauer erfüllen kann, braucht Deutschland auch in Zukunft eine leistungsfähige Forst- und Holzwirtschaft. Es ist daher das Ziel des forstpolitischen Konzepts der Bundesregierung, die Leistungsfähigkeit
Parl. Staatssekretär Ernst Hinsken
der Forstbetriebe zu stärken, die Wettbewerbsfähigkeit des Rohstoffes Holz zu verbessern und die Stabilität des Waldes zu erhöhen. Die Bundesregierung fördert die Forstbetriebe mit den Mitteln der Wirtschafts-, Agrar- und Steuerpolitik, damit der Wald unter wirtschaftlich angemessenen Bedingungen genutzt und auch erhalten werden kann.
Durch eine konsequente Weiterführung der Luftreinhaltepolitik und durch einen möglichst naturnahen Waldbau soll der Gesundheitszustand des Waldes weiter verbessert, seine Vitalität gesteigert und seine Funktionsvielfalt gewährleistet werden.
In Deutschland nimmt der Kleinprivatwald einen relativ hohen Anteil ein. Ein privater Forstbetrieb besitzt im Durchschnitt etwa 8 Hektar Wald. Ich bin deshalb froh darüber, daß der Deutsche Bundestag in der Zwischenzeit das Agrarstatistikgesetz beschlossen hat, das unter anderem beinhaltet, daß alle forstwirtschaftlichen Betriebe in der Größenordnung bis zu 10 Hektar von Abgabeerhebungen und dem Ausfüllen von Formularen befreit sind.
Auch das ist ein Stück Entbürokratisierung. Es kommt den meisten Forstwirten in der Bundesrepublik zugute.
- Herr Kollege Hornung, ich bedanke mich. Die wollen lieber im Wald arbeiten als Formulare ausfüllen, was nur Zeit kostet und kein Geld bringt.
Ich darf darauf verweisen, daß in den neuen Bundesländern bezüglich des Waldes eine besonders ausgeprägte Parzellierung besteht. Der überbetrieblichen Zusammenarbeit der Waldbesitzer kommt also eine besondere Bedeutung zu. Wir wollen daher forstwirtschaftliche Zusammenschlüsse weiterentwickeln und die Förderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe beibehalten.
Die Leistungsfähigkeit unserer Forstwirtschaft auf der einen Seite zu fördern heißt, daß sie auf der anderen Seite nicht durch zusätzliche gesellschaftliche Anforderungen strapaziert werden darf. Wir treten deshalb dafür ein, daß die finanziellen Belastungen der forst- und landwirtschaftlichen Betriebe durch Naturschutzauflagen, Frau Kollegin Wright, die über die Anforderungen der guten fachlichen Praxis hinausgehen, ausgeglichen werden. Die Koalitionsfraktionen haben aus diesem Grund eine dritte Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz eingebracht, die eine gerechte Ausgleichsregelung vorsieht, die aber nicht mehr der Zustimmung des Bundesrates bedarf.
Ich möchte mich bei den Kollegen der Koalitionsfraktionen herzlich dafür bedanken, daß der Weg eingeschlagen wurde, daß vor allen Dingen der Forstbesitzer, wenn er schon Einschränkungen auf sich zu nehmen hat, dafür staatlicherseits, insbesondere von den Ländern, die notwendigen Entschädigungen bekommt.
Ich muß in diesem Zusammenhang schon darauf verweisen, daß eine solche Ausgleichsregelung bisher an der Blockadehaltung des SPD-dominierten Bundesrates gescheitert ist. Vielleicht geben Sie sich jetzt einen Ruck und stimmen mit uns, wenn es darum geht, solche Maßnahmen zu ergreifen.
Für die Forstbetriebe ist ein florierender Holzabsatz wichtig. Für die Umwelt ist ein verstärkter Einsatz des nachwachsenden Rohstoffes Holz richtig. Wir haben hier ein hohes Nutzungspotential zur Verfügung. Der Holzeinschlag könnte nach einer Studie der Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft um etwa 40 Prozent gesteigert werden, ohne die Nachhaltigkeit in irgendeiner Weise zu gefährden.
Die Bundesregierung hat vielfältige Aktivitäten zur Steigerung der Holzverwendung ergriffen, von denen ich hier nur zwei erwähnen möchte: die Zellstoffproduktion und die energetische Holznutzung. Wir unterstützen den Aufbau einer Zellstoffproduktion in Deutschland und damit die Öffnung eines neuen Absatzmarktes für heimisches Holz. So ist im Dezember 1997, vor wenigen Monaten, dank eines besseren Investitionsklimas der erste Spatenstich für ein neues Zellstoffwerk erfolgt,
das sich in den neuen Bundesländern befindet.
Wir sind auch mit dem Stromeinspeisungsgesetz auf dem richtigen Weg;
denn es hat bereits eine Reihe von Investitionen zur Stromerzeugung auf Holzbasis ausgelöst.
Im Rahmen einer Neuregelung dieses Gesetzes wird der Einsatz von Biomasse umfassend begünstigt. Dadurch ergeben sich auch bessere Möglichkeiten für die energetische Holznutzung im Brennstoffmix. Die Bundesregierung fördert mit beträchtlichen Mitteln mehrere größere Demonstrationsanlagen, bei denen auch Holz als Energieträger eingesetzt wird.
Wir befinden uns auch beim Marketing von Holz auf einem erfolgreichen Weg. Die Imagekampagne des Forstabsatzfonds war ein gelungener Einstieg in ein aktives Marketing. Der Forstabsatzfonds soll - das ist unsere Meinung; ich möchte die größere Fraktion dabei besonders herausheben, die ja gestern zunächst meinte, sich in unserem Sinne einlassen zu müssen, die aber dann doch zu guter Letzt das Ganze nicht positiv begleitet hat, sondern sich der Stimme enthalten hat; das ist weder Fisch noch Fleisch; wenn, dann hätte man gleich dagegen sein können; aber ich hätte mir gewünscht, wenn man das Ganze mitgetragen hätte - zum einen durch eine Verbreiterung der Finanzbasis, die wir auf diesem Gebiet haben, und zum anderen durch eine Verbesserung der Organisation noch effizienter gestaltet werden. Die entsprechende Gesetzesnovelle ist als Fraktionsinitiative heute zur Entscheidung in den Bundestag
Parl. Staatssekretär Ernst Hinsken
eingebracht worden. Mit Inkrafttreten der Novelle zum Forstabsatzfondsgesetz - angestrebt wird der 1. Januar 1999 - wird sich das Mittelaufkommen um rund 50 Prozent erhöhen. Dies ist seitens der betroffenen Wirtschaft ausdrücklich gewünscht worden, um noch wirkungsvoller für den umweltfreundlichen, nachwachsenden Rohstoff Holz werben zu können. Dieser Wunsch wird nun erfüllt.
Vor einigen Jahren hat das Thema Waldsterben viele Leute bewegt.
Hier gibt es Lichtblicke. Der Anteil der deutlichen Schäden ist in den Jahren 1992 bis 1997 von 27 auf 20 Prozent gesunken.
Die pessimistischen Prognosen vom großflächigen Sterben unserer Wälder sind Gott sei Dank nicht eingetreten.
Ich möchte aber selbstkritisch feststellen: Es gibt noch keinen Grund zur Entwarnung. Die Belastung der Waldböden bleibt kritisch. Die Bundesregierung hält deshalb an ihrer konsequenten Luftreinhaltepolitik fest.
In diesem Bereich haben wir in den vergangenen Jahren beachtliche Erfolge erzielt; das müssen Sie sich anhören. In den Jahren 1983 bis 1994 sind die Schwefeldioxidemissionen aus Großfeuerungsanlagen um 89 Prozent, die Stickoxidemissionen um 77 Prozent zurückgegangen. Die im letzten Jahr eingeführte emissionsorientierte Kfz-Steuer ist ein weiterer wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Eine naturnahe Waldbewirtschaftung hat für die Erhaltung der biologischen Vielfalt und für andere Ziele des Natur- und Artenschutzes besonderes Gewicht. Ich möchte ausdrücklich anerkennen, daß diese Bewirtschaftungsform heute bereits von vielen Waldbesitzern und Forstbetrieben praktiziert wird. Wir unterstützen die Waldeigentümer bei der Verwirklichung des naturnahen Waldbaus. Bund und Länder fördern im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Maßnahmen wie etwa die Überführung von Reinbeständen in Mischwälder mit 28 Millionen DM jährlich.
Zusammenfassend stelle ich fest, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß die Bundesregierung in der Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der forstgenetischen Ressourcen als Produktionsgrundlage der Forstwirtschaft und Teil der biologischen Vielfalt eine wichtige Zukunftsaufgabe sieht, eine Aufgabe, die wir auch durch Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit auf diesem wichtigen Gebiet erfüllen wollen.
All diese Aktivitäten zeigen: Das Thema Wald ist für die Bundesregierung ein wichtiger Politikbereich. Wir werden deshalb auch in Zukunft für unsere Wald- und Forstwirtschaft und für einen Ausgleich zwischen den Interessen der Waldeigentümer und den Interessen der Öffentlichkeit eintreten.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Heidi Wright.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren Minister - wollte ich jetzt eigentlich sagen. Keine Angst, das ist natürlich nur ein rhetorischer Einwurf. Ich weiß, es ist eine ungünstige Zeit. Aber ich meine, die einmal im Jahr stattfindende Walddebatte ist so wichtig, daß sie auch die Anwesenheit von Ministern erfordert.
- Sehr richtig. Das liegt an der Zeit. Ich will damit nur die Wichtigkeit des Themas unterstreichen.
Auch der Landwirtschaftsminister ist nicht da. Somit, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hinsken, werden Sie jetzt alles auf sich nehmen müssen.
Ich denke, die Wald- und Forstpolitik verlangt einen vernetzten Handlungsrahmen. Diesen vernetzten Handlungsrahmen hat der Landwirtschaftsminister, in dessen Verantwortungsbereich er fallen würde, nicht geschaffen. Da es in den vielen Jahren Ihrer Politikverantwortung gerade an dieser Vernetzung mangelte, muß ich in der letzten Walddebatte der 13. Legislaturperiode und der letzten Walddebatte Ihrer Regierungsverantwortung rundum ein schlechtes Fazit ziehen.
Wir haben heute bei der Debatte über den Waldbericht und über die Waldzustandsberichte von 1996 und 1997 auch den ersten Waldbodenbericht im Hinterkopf, der dem Haus noch nicht vorgelegt worden ist, der uns aber - Sie haben es selber erwähnt, Herr Parlamentarischer Staatssekretär - auf den Nägeln brennt und uns ins Gewissen redet. Der Waldbodenbericht besagt, daß der Waldboden als Schadstoffdeponie für Einträge aus der Luft und für den Eintrag von saurem Regen in einem sehr schlechten Zustand ist.
Wenn die vielen Berichte nicht nur ein großer bürokratischer Aufwand zur Beschäftigung der Wissenschaftler und Beamten und zur Beruhigung der Öffentlichkeit und der Politiker sein sollen, hätten Sie in Ihrer Regierungskoalition aus den berichtlichen Erkenntnissen politische Konsequenzen ziehen müssen. Der Minister ist jedoch im Berichtedschungel zum Papiertiger geworden.
Lassen Sie mich etwas zur Wald- und Forstpolitik der letzten eineinhalb Jahrzehnte ausführen. Diese Politik ist geprägt von einem Zuspätkommen, von einem Zuspätreagieren statt von einem Vorausschauend-Agieren. Zu spät wurden die Waldschäden beachtet. Wo ist die Verantwortung des Herrn Landwirtschaftsministers und seine Durchsetzungskraft in diesem wichtigen Bereich? Zu spät und insbesondere
Heidi Wright
zu halbherzig wurde Schadstoffminimierungspolitik betrieben. Wo ist die Barriere, auf die die Frau Umweltministerin zum Schutz von Luft und Wasser, zum Schutz des Klimas und der Atmosphäre gestiegen ist?
Zu spät, Herr Hinsken, wurde das große wirtschaftliche Potential des nachwachsenden Rohstoffes Nummer eins über das reine Stammholz hinaus erschlossen. Zum Beispiel beim Holzbau: Es stehen in Deutschland schmucke Holzhäuser. Aber die sind aus Skandinavien und Österreich. Auch die energetische Verwertung von Holz gibt es noch viel zuwenig. Zudem ist die Technik aus Österreich. Und es gibt zwar erste Ansätze zur modernen Zellstoffproduktion, nur haben uns auch da die Skandinavier den Rang abgelaufen - zu spät! Das würde in den Bereich des Herrn Wirtschaftsministers fallen. Hier hätte er ein breit gefächertes Betätigungsfeld für Innovationen und Arbeitsplätze gehabt.
Ich will noch den Bereich des Finanzministers ansprechen. Auch er ist längst zu spät gekommen. Mit einer ökologischen Steuerreform hätte er prima mitgeholfen, den nachwachsenden Rohstoff Nummer eins, das Holz, zu fördern,
die Umwelt zu entlasten und Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen.
Es wäre die Aufgabe von Herrn Minister Borchert gewesen, all diese Politikbereiche zusammenzufassen - jedoch: zu spät!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden weiter zu spät kommen bei der Fortentwicklung und offensiven Förderung von Anlagen zur energetischen Nutzung von Holz, zum Beispiel im Bereich der Holzpyrolyse. Die Förderung für Holzhackschnitzelheizanlagen ist so knapp bemessen, daß sich rasch ein enormer Antragsüberhang ergab. Es wurde zwar ein „Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien" aufgelegt; aber für die Jahre 1995 bis 1998, also für drei Jahre, standen ganze 100 Millionen DM zur Verfügung. Da lacht der Herr Rühe nur, weil er weiß, daß ein dreiviertel Eurofighter gar nicht fliegt. Als man erkannte, daß das zu knapp bemessene Marktanreizprogramm zu gering ausgestattet war, hat man den Förderschwerpunkt flugs auf 50 kW/h pro Holzverbrennungsanlage angehoben, so daß also der kleine Häuslebauer leer ausgeht. Nein, dies ist kein verläßliches Förderprogramm für den nachwachsenden Rohstoff Nummer eins, das Holz.
Wir werden weiter zu spät kommen, zum Beispiel bei der Erhaltung der Arbeitsplätze im Forstbereich. In diesem Bereich wird ohne Rücksicht auf Fach- und Sachkenntnis auf Teufel komm raus eingespart, und Personalstrukturen werden zerschlagen. Ob in der Bundesforstverwaltung oder über die Länderschiene - ich bin aktuell von der bayerischen Forstreform geschädigt -, Arbeitskraft ist nicht mehr Sach- und Fachkompetenz, sondern nur noch Kostenfaktor.
Bei alledem wundert es nicht, daß das Landwirtschaftsministerium den Anschluß an ein internationales Zertifizierungssystem, das unter anderem auch den Arbeitsplatzfaktor berücksichtigt, nicht befürwortet. Wie gesagt, wir werden auch hier wieder zu spät kommen, werden wieder später sein als die Skandinavier und die Kanadier, Holzländer mithin, die uns mit der Zertifizierungsoffensive den Rang ablaufen werden. Notwendig wäre eine Zertifizierung, die über die nationale Angabe „gewachsen in Deutschlands Wäldern" - die ich für richtig halte - hinaus die ökologische Wirtschaftsweise beachtet und neben wirtschaftlichen Kriterien gerade auch die sozialen Kriterien der Arbeitsplätze im Blick hat.
Ich gebe die Hoffnung noch nicht auf, daß mit dem erweiterten Holzabsatzfonds, der von der groben Zielsetzung her sehr wohl unsere Zustimmung - auch die meine - findet, aber in der Ausdifferenzierung Mängel aufweist, doch noch Schritte zum Anschluß an das internationale Zertifizierungssystem unternommen werden. Wenn das vom Deutschen Forstwirtschaftsrat entwickelte Kennzeichen in dem neuen Forstabsatzfonds nun in seiner Weiterentwicklung zu einem „Nachhaltigkeitskennzeichen" werden soll, bricht sich hier eine sinnvolle Entwicklung Bahn. Jedoch: Statt sich offensiv anzuschließen, wurde hier zu lange gezaudert. Aber so ist sie nun einmal, unsere deutsche Wald- und Forstpolitik der letzten eineinhalb Jahrzehnte: zu schwach, zu spät, zu wenig koordiniert, zu träge und zu bieder.
- Zu bieder, Herr Heinrich, ich wiederhole es.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, darauf, daß die Schutzfunktion des Waldes für Wasser und Luft und den Lebensraum nicht mehr gegeben ist, wird eine meiner Fraktionskolleginnen noch zu sprechen kommen. Zu den internationalen Vereinbarungen von mir nur so viel: Es müßten Ihnen in der Regierungskoalition ja ständig die Ohren klingen, ja, Sie müßten schon Ohrensausen haben, wenn Sie allerorten - ob in Rio oder New York, ob in Kyoto und letzte Woche in Chester - diese Beschwörungen zum Klimaschutz hören. Es müßte doch inzwischen jedem klar sein: Klimaschutz kann ohne Schutz der Wälder, ohne Schutz der Waldböden nicht funktionieren.
Wenn dann immer wieder versucht wird, die Schadensentwicklung der Wälder schönzureden, ist das an langen Linien und in der Schau der verschiedenen Baumarten leider nicht nachzuvollziehen. Wir sind jetzt auf dem Schadensniveau von 1986, allerdings nur bei den Nadelbäumen. Bei den Laubbäumen haben wir steigende und alarmierende schlimme Tendenzen.
Und die Analyse des Waldbodenberichtes zeigt mit erhobenem Zeigefinger auf künftige Entwicklungen: Einer überreichlichen Stickstoffversorgung stehen eine Phosphorunterversorgung und eine Versauerung der Böden gegenüber. Das ist alarmierend für den Bodenzustand und für den Wald insgesamt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluß: Längst ist klar: Baum ab - das ist keine Waldschutz-
Heidi Wright
politik. Der jährliche Zuwachs in den deutschen Wäldern - Herr Hinsken hat darauf hingewiesen - wird jedoch nicht ausreichend genutzt, und die forstwirtschaftliche Ertragslage ist nach Angaben des BML schlecht.
Neue Marktchancen sind nur unzureichend genutzt worden, was dazu führt, daß zum Beispiel im Bereich des Schwachholzes lediglich eine Ausschöpfung von 52 Prozent vorliegt, während beim Stammholz eine Ausschöpfung von 83 Prozent erreicht wird. In den neuen Bundesländern, zum Beispiel in Thüringen, liegt die Ausnutzung von Holz insgesamt nur bei 37 Prozent. Kein Wunder, daß man dort auf keinen grünen Zweig kommt. Hier wird der Satz wahr, der da heißt: Mangelnde Ökonomie schadet auch der Ökologie des Waldes. Mit einer gesunden Ökonomie für das große Potential unserer Wälder könnten wir auch die ökologischen Notwendigkeiten stärker zur Anwendung bringen - weil besser finanzieren. Mein letzter Satz: Allein, es bräuchte auch hier den entsprechenden politischen Willen und somit die dringend notwendige politische Erneuerung.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Max Straubinger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zuerst dem Parlamentarischen Staatssekretär, Ernst Hinsken, für die Darstellung der Forstpolitik der Bundesregierung danken und ihren Einsatz hervorheben.
Ich verstehe, verehrte Frau Kollegin Wright, Ihre Kritik, daß der Bundesminister heute nicht da ist, nicht. Ich glaube, der Herr Staatssekretär hat die Situation eindrucksvoll dargelegt. Im übrigen ist es um die Vollständigkeit der SPD-Fraktion nicht sonderlich gut bestellt; sie ist offensichtlich im Abreisen begriffen.
Meine Damen und Herren, entgegen allen Bekundungen von SPD und Grünen hat sich die Situation des Waldes verbessert - und dies sehr eindrucksvoll. Dies ist auch auf Grund der Beschlüsse und vor allen Dingen der Taten nachzuvollziehen, die die Regierung vollbracht hat. Nachdem diese Bundesregierung 1983 die Verantwortung übernommen hat, Frau Wright, wurde das Aktionsprogramm „Rettet den Wald" in Gang gesetzt. Die Großfeuerungsanlagenverordnung wurde novelliert, ebenfalls 1986 die TA Luft. Auch möchte ich an die Kleinfeuerungsanlagenverordnung von 1988 und die Novelle des Bundes-Immissionsschutzgesetzes 1993 erinnern. Dies zeigt sehr deutlich, daß alle diese Beschlüsse dazu beigetragen haben, daß insgesamt große Erfolge in der Verbesserung der Luftreinhaltung eingetreten sind.
Gerade auch die Beschlüsse zur Einführung des Dreiwegekatalysators und die jüngsten Beschlüsse zu einer emissionsbezogenen Kfz-Steuer sind ein Beitrag dazu, daß Schadstoffe minimiert werden. Herr Staatssekretär Hinsken hat hier schon die prozentualen Verbesserungen dargestellt; ich möchte dies auch in absoluten Zahlen ausdrücken: Der Schwefeldioxidausstoß ist um 1,7 Millionen Tonnen je Jahr zurückgegangen, der Stickoxidausstoß um 0,7 Millionen Tonnen je Jahr.
Das sind sehr eindrucksvolle Ergebnisse, die wir auf Grund der politischen Vorgaben erbracht haben. Darüber hinaus ist es auch wert, hier dargestellt zu werden, daß von den Kraftwerksbetreibern 22 Milliarden DM für Entschwefelungs- und Entstickungsanlagen ausgegeben wurden. Auch das zeigt sehr deutlich, daß man der umweltpolitischen Verantwortung gegenüber dem Wald Rechnung getragen hat.
Ich möchte aber auch darauf hinweisen, daß die Beschlüsse von SPD und Grünen für den deutschen Wald sehr gefährlich sind. Sollten Sie Regierungsverantwortung haben, dann wollen Sie, wie Sie sagen, aus der Kernenergie aussteigen.
Wenn die Stromerzeugung mittels Kraftwerken, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, erfolgt, dann wird natürlich ein vermehrter Ausstoß von Schadstoffen eintreten, und damit werden natürlich auch Beeinträchtigungen für den deutschen Wald verbunden sein. Deshalb ist es schon im Interesse des deutschen Waldes, daß Sie nicht die Regierungsverantwortung übernehmen.
Übrigens: Die Gesamtfläche des bundesdeutschen Waldes hat eine Ausdehnung erfahren, in Bayern um 35 000 Hektar.
Ich möchte noch einige Punkte darstellen, die zusätzlich zu den Beschlüssen der Bundesregierung die Bayerische Staatsregierung für die Forstbetriebe erbringt. Ich glaube, das wäre auch für andere Bundesländer vorbildlich. 2 Millionen DM je Jahr gibt die Bayerische Staatsregierung aus Forstbetriebsmitteln zu Werbungs- und Imagekampagnen für das Holz aus. Kein anderes Bundesland erbringt eine solche Leistung. Mittlerweile sind dies 8 Millionen DM. Das schlägt sich auch im Ergebnis nieder. Man kann feststellen, daß insbesondere die Zahl der Genehmigungen zum Bau von Holzhäusern von 1 Prozent auf mittlerweile 4 Prozent der Baugenehmigungen zugenommen hat.
- Das sind nicht nur skandinavische oder sonstwoher importierte Hölzer, sondern es sind natürlich auch bayerische Hölzer. Das ist ganz klar. Und wir exportieren auch Holz, zum Beispiel nach Österreich, Frau
Max Straubinger
Wright. Das heißt, hier gibt es durchaus einen Austausch.
Ich glaube, es ist auch wichtig, darauf hinzuweisen, daß die Bayerische Staatsregierung in einem Modellvorhaben Holzbausysteme zusätzlich dargestellt hat und daß Sozialwohnungen mit Erstellungskosten von 1800 DM je Quadratmeter Wohnfläche gebaut wurden. Dies verdeutlicht, daß Holz auch ein kostengünstiger Baustoff ist, der somit natürlich auch in die ganze Bauwirtschaft stärker Einzug hält.
Auch die Förderung durch das Projekt CARMEN der Bayerischen Staatsregierung trägt zusätzlich zur bioenergetischen und der Biomasseverwertung des Holzes bei. Die Bayerische Staatsregierung unterstützt damit natürlich auch Hackschnitzelheizungsanlagen und andere Feuerungsanlagen. Ich glaube, das ist vorbildlich.
Sie haben vorhin kritisiert, das Bundesprogramm, das auch das Ziel hatte, verstärkt Hackschnitzelheizungen zum Einsatz zu bringen, sei finanziell zu gering ausgestattet. Aber es zeigt sich sehr deutlich: Auf Grund dieses Markteinführungsprogrammes sind vermehrt Hackschnitzelheizungen in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt worden, sie werden auf Grund dessen auch ohne staatliche Förderung verstärkt zum Einsatz kommen. Dies aber ist mit das Entscheidende, Frau Wright.
Verehrte Damen und Herren, hier ist festzustellen, daß die Bundesregierung und auch die Bayerische Staatsregierung eine gute und erfolgreiche Politik in der Vergangenheit betrieben haben und dies auch in Zukunft tun werden. Hier ist insbesondere darauf hinzuwirken, daß die Funktionen des Waldes erhalten bzw. noch verbessert werden. Der Wald bietet dem Boden Schutz vor Erosionen, die Säuberung von Luft und Wasser sowie den Lebensraum für viele Pflanzen und Tiere. Natürlich möchte ich hier auch den Erholungswert für uns Menschen ansprechen. Der Wald sichert darüber hinaus Arbeitsplätze, und der Rohstoff Holz ist umweltfreundlich und gerade in Wohnungen sehr vorteilhaft einzusetzen. Die CDU/ CSU-Fraktion wird deshalb auch weiterhin für die Waldbauern und für die Forstwirtschaft das Bestmögliche tun. Vor allem muß eine Forstpolitik betrieben werden, die im Einklang mit Natur- und Umweltschutz steht.
Staatssekretär Hinsken hat schon darauf hingewiesen - ich möchte das aber für die CDU/CSU noch einmal im besonderen zum Ausdruck bringen -: Es ist für die Forstbetriebe wichtig, daß, wenn zusätzliche Auflagen naturschützerischer Art gemacht werden, diese für die Forstbetriebe und für die Landwirtschaft auch ausgeglichen werden. Die CDU/CSU, die F.D.P. und die Bundesregierung tragen dem Rechnung. Mit der 3. Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes ist dem ebenfalls Rechnung getragen worden. Dies ist auch im Interesse der Waldwirtschaft sehr wichtig.
Verehrte Damen und Herren, ich möchte zum Schluß feststellen, daß sich die Situation des Waldes verbessert hat. Sie ist aber noch verbesserungsfähig und verbesserungswürdig. Wir werden alles daran setzen, daß dies mit geeigneten Maßnahmen auf den Weg gebracht wird.
Der Änderung des Forstabsatzfondsgesetzes stimmen wir aus diesem Grund ausdrücklich zu, zumal damit auch ein Weg für eine zukünftig gute Waldpolitik beschritten wird.
Besten Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Steffi Lemke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1997 war das Jahr der Waldberichte. Wir haben im Laufe dieses Jahres vier Berichte vorgelegt bekommen, die im einzelnen sicherlich alle ihre Berechtigung haben, deren Aussagen man aber kritisch hinterfragen muß.
Der Waldzustandsbericht 1997 verzeichnet eigentlich eine Stabilisierung des Waldzustandes. Eingeschränkt wird diese positive Beurteilung jedoch durch erhebliche Unterschiede in den Regionen und bei den Baumarten. Während in den nordwestdeutschen und den ostdeutschen Ländern vorwiegend Verbesserungen des Waldzustandes zu verzeichnen sind, verharren die süddeutschen Länder auf einem fast unverändert hohen Schadensniveau. Kiefer, Fichte und Buche zeigen leichte Zustandsverbesserungen, während die Eiche auch 1997 wieder extrem starke Schäden aufweist und in einzelnen Regionen sogar in ihrem Bestand gefährdet ist.
Auch der Vergleich zwischen den Ergebnissen der Kronenzustandserhebung und der Waldbodenuntersuchungen rückt den Waldzustand in ein anderes Licht. Die leichte Verbesserung des Kronenzustandes steht in einem krassen Gegensatz zu den Aussagen im Waldbodenbericht. Die Ergebnisse der bundesweiten Erhebung zum Zustand des Bodens im Wald dokumentieren eine schnell fortschreitende Versauerung und Degradation der Waldböden. In einzelnen Regionen ist die Versauerung bereits derart hoch, daß nicht nur Gefahr für den Fortbestand des Waldes, sondern auch für die Sicherung der Trinkwasserversorgung besteht. Laut Waldbodenbericht sind „Risiken für das Quell- und Grundwasser bei entsprechenden hydrogeologischen Verhältnissen im Untergrund nicht mehr ausgeschlossen".
Der Waldbodenbericht wurde dem Parlament bis heute nicht zugeleitet. Über die Ursachen können wir nur spekulieren; ich vermute, daß der Bundesregierung die Fakten einfach zu brisant sind. So heißt es im Waldbodenbericht beispielsweise:
Auffallend stark versauert bis in den Unterboden stellen sich Böden auf Sand, Sandstein und Metamorphiten dar.
Steffi Lemke
Es besteht eine durch Tiefenversauerung induzierte Gefahr der Aluminiumauswaschung und potentiellen Grundwasserkontamination. Es sind gewässerschädliche Auswirkungen infolge fortschreitender Bodenversauerung auch in Deutschland regional bereits deutlich erkennbar.
Wir fordern auf Grund der Brisanz dieser Aussagen die Bundesregierung auf, den Waldbodenbericht dem Parlament zuzuleiten, damit wir ihn auch im Ausschuß diskutieren können - und dies am besten in Verbindung mit dem nächsten Waldzustandsbericht.
Eine Aufweichung der Waldschadenserhebung, wie sie das Ministerium von Herrn Rüttgers im vergangenen Jahr angestoßen hat, halte ich vor diesem Hintergrund für völlig verfehlt. Mit einem Abqualifizieren der Waldschadenserhebung als wissenschaftlich nicht haltbar ist für den Wald nichts gewonnen. Vielmehr begrüßt meine Fraktion ausdrücklich die Vorschläge der Expertengruppe des BML zur Fortführung und Intensivierung der Waldschadenserhebung. Es wäre allerdings nicht das erste Mal, daß die Bundesregierung Empfehlungen ihrer eigenen Experten in den Wind schlägt. Wir fordern die Bundesregierung auf, das vorgeschlagene modifizierte Verfahren der Waldschadenserhebung, beginnend mit der Waldschadenserhebung, 1999, praktisch umzusetzen.
Ein realistisches Bild des Waldzustandes ist nur durch eine Verknüpfung aller standortrelevanten Daten möglich, also des Zustands der Baumkronen, des Waldbodens sowie der Nährstoffversorgung. Diese komplexe Betrachtung der Waldsituation hatte ich eigentlich vom 1997 erstmals vorgelegten Waldbericht erwartet. Das vorliegende Ergebnis erscheint mir jedoch eher als eine Pflichtübung von Herrn Borchert.
Herr Hinsken, Sie haben vorhin - ein wenig wie im Heimatkundeunterricht - Daten aus dem Waldbericht vorgetragen. Das kann man sicher machen. Aber ich denke, daß eine Bundesregierung eine andere Verantwortung hat und in einem solchen Waldbericht die Probleme des Waldes zusammenhängend darstellen und vor allem Lösungsansätze anbieten muß. Dieses vermisse ich im Waldbericht.
Im Zentrum seiner Ausführungen steht die wirtschaftliche Frage, das heißt, wie eine Stärkung der Leistungsfähigkeit der Forstbetriebe erreicht werden kann. Aber auch hier bietet der Waldbericht nichts Neues, sondern stellt lediglich ausführlicher dar, was auch im Forstteil des jährlichen Agrarberichtes zum Thema Wald steht.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich halte die Frage, wie die Forstbetriebe wirtschaftlich gestärkt werden können, für wesentlich. Aber die Basis für wirtschaftlichen Erfolg ist gerade beim Wald dessen ökologische Stabilität. Nirgendwo sonst ist die Verzahnung von Ökologie und Ökonomie so eng wie im Wald. Holz kann nicht aktiv „produziert" werden, sondern ist auf den Erhalt und die Bewahrung der natürlichen Ressourcen angewiesen.
Die Verknüpfung des Waldbodenzustandes mit dem Baumkronenzustand sowie daraus resultierende Maßnahmen bleibt der Waldbericht schuldig. Fakt ist, daß trotz aller Anstrengungen und nachweislichen Erfolge bei der Luftreinhaltung in den letzten Jahren die Belastung der Waldökosysteme durch Säureeinträge nach wie vor wesentlich zu hoch ist.
Insbesondere bei den Stickoxidemissionen des Straßenverkehrs und den Ammoniakemissionen der Landwirtschaft ist bisher keine Trendwende zu verzeichnen. Die technischen Maßnahmen zur Emissionsminderung, Stichwort: Katalysator - das erzählen Sie jetzt seit 15 Jahren -, Stichwort: Injektionstechnik bei der Gülleausbringung, haben bisher zu keiner Besserung des Waldzustandes geführt.
Die Bundesregierung hat es versäumt, im Rahmen der Düngeverordnung praktisch umsetzbare Vorgaben für eine umweltentlastende massive Reduktion der Stickstoffdüngung und damit der Ammoniakemissionen zu definieren. Ebenso sind die Regelungen der Sommersmogverordnung völlig ungenügend, um das Auftreten des stark waldschädigenden bodennahen Ozons im Sommer zu unterbinden.
Das Umweltbundesamt hat im Rahmen der UN-Konvention über weiträumige, grenzüberschreitende Luftverunreinigungen die „critical loads" von Stickstoff und säurebildenden Substanzen für Deutschland berechnet.' Diese übersteigen auf fast 90 Prozent der Fläche die Toleranzgrenzen und sind teilweise dreimal höher, als das Ökosystem verkraften kann.
Gegen dieses Übermaß an Schadstoff-Frachten wirkt die von der Bundesregierung verschriebene Kalkung der Waldböden nur wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Das, was dort bisher an Kalk verrieselte, hat überhaupt nur ein Fünftel der Waldfläche erreicht. Die Kosten der Trinkwasseraufbereitung, die uns bei einer weiteren Versauerung der Waldböden ins Haus stehen, werden um ein Vielfaches höher liegen als die 260 Millionen DM, die bisher für die Waldkalkung ausgegeben worden sind. Daher ist es dringend geboten, an Stelle einer End-of-pipeStrategie, die lediglich Symptome bekämpft, endlich bei den Ursachen von Luftverschmutzung und Bodenversauerung anzusetzen.
Meine Fraktion hat in den vergangenen drei Jahren dazu eine Reihe von Vorschlägen entwickelt. Die Konzepte müssen jetzt endlich umgesetzt werden. Nachhaltige Forstwirtschaft, auf die man in Deutschland stets stolz verweist, kann langfristig nur funktionieren, wenn auch die übrige Wirtschaft nachhaltig gestaltet wird.
Danke.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ulrich Heinrich.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich habe ich erwartet, daß wir jetzt etwas über die 5 DM pro
Ulrich Heinrich
Liter Benzin hören, die als wirksames Mittel gegen zu hohen Energieverbrauch eingeführt werden sollen.
Schön wäre es auch, wenn man bei diesem herrlichen Wetter den Maiwald genießen könnte. Nichtsdestotrotz werden wir heute den Waldbericht der Bundesregierung diskutieren. Die Inhalte des Waldzustandsberichts 1997 und des ersten Waldberichts sowie die Novellierung des Forstabsatzfondsgesetzes sind für die Forst- und Holzwirtschaft und den Umweltschutz ganz zentrale Anliegen. Der heimische Wald erfüllt unverzichtbare Funktionen für Wirtschaft, Natur und Gesellschaft. Unser Wald ist Erwerbs- und Einkommensquelle für viele Menschen im ländlichen Raum; er liefert den umweltfreundlichen und nachwachsenden Rohstoff Holz, speichert Kohlendioxid, reguliert den Wasserhaushalt und trägt wesentlich zur Grundwasserneubildung bei, schützt den Boden vor Erosion, ist Lebensraum für Pflanzen und Tiere, ist damit ein wichtiger Faktor beim Erhalt der biologischen Vielfalt und bietet den Menschen vielfältige Möglichkeiten für Entspannung und Erholung.
Die große und immens positive Bedeutung des Waldes für die Umwelt unterstreichen zusätzlich folgende Fakten: Rund 30 Prozent der Fläche in Deutschland besteht aus Wald. Seit 1960 hat die Waldfläche bei uns um zirka 500 000 Hektar auf 10,7 Millionen Hektar zugenommen. Die deutschen Wälder speichern insgesamt 7 Milliarden Tonnen CO2. Jedes Jahr werden 16 Millionen Tonnen CO2 durch Holzzuwachs gebunden. Der jährliche Holzzuwachs beträgt 6 Kubikmeter je Hektar, während der Holzeinschlag nur bei 4 Kubikmeter liegt; das heißt, wir haben keine Über-, sondern eine Unternutzung unserer Wälder. Es heißt nicht „Baum ab - nein danke"; vielmehr heißt es „Baum ab - ja bitte".
F.D.P., Bundesregierung und die Waldbesitzerverbände halten eine Zertifizierung für überflüssig. Auf Grund des hohen Standards der Waldbewirtschaftung und der forstgesetzlichen Vorgaben in Deutschland ist eine Zertifizierung der heimischen Forstwirtschaft zur Durchsetzung einer nachhaltigen Bewirtschaftung nicht erforderlich. Daß Herkunftszeichen der deutschen Forstwirtschaft „Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft - gewachsen in Deutschlands Wäldern" stützt sich auf das Bundeswaldgesetz und außerdem auf die sogenannten Helsinki-Kriterien. Es geht damit weit über quantitative Aspekte der Nachhaltigkeit hinaus. Es schließt die Schutz-, Nutz- und Erholungsfunktion unserer Wälder ein. Es ist deshalb als Herkunftszeichen ausgesprochen geeignet.
Vor uns liegen allerdings noch große Aufgaben. Das technisch nutzbare Energieholzpotential - Holz aus Waldpflege, Be- und Verarbeitung und Landschaftspflege - wird gegenwärtig - leider Gottes - nur zur Hälfte genutzt. Dabei würde die Substitution fossiler Brennstoffe durch dieses Holz zu einem Nettoeinspareffekt bei den CO2-Emissionen von 16 Millionen Tonnen im Jahr führen, wenn wir auch noch die andere Hälfte entsprechend nutzen könnten.
Die Bodenversauerung schreitet fort. Durch die Verknüpfung der Ergebnisse der Waldschadenserhebung 1997 mit denen der Bodenzustandserhebung wurde ein erster wichtiger Schritt getan. Ich meine, daß das allerdings ein bißchen zu spät geschehen ist.
Diese „tickende Zeitbombe" muß entschärft werden. Auch wenn die dafür notwendigen Bodenkalkungen nicht das Allheilmittel sein können, so wirken sie doch in die richtige Richtung. Wirkliche Verbesserungen erzielen wir aber nur, indem wir die wahren Ursachen bekämpfen. Dazu gehört die Schadstoffquelle Nummer eins, die Emissionen des Straßenverkehrs. Hier muß endlich eine deutliche Reduktion erfolgen. Streitig ist in diesem Bereich vor allem der Weg. Die Verteufelung der Autofahrer und ein hemmungsloses Abkassieren, wie es die Grünen mit ihren 5 DM für den Liter Benzin wollen, kann für uns nicht der richtige Weg sein. Mit diesem Vorschlag haben die Öko-Utopisten viel Porzellan zum Schaden der Umweltpolitik zerschlagen.
Eine derartige Schocktherapie macht die F.D.P. nicht mit. Wir wollen einen schonenden und sparsamen Umgang mit der Energie im allgemeinen und treten deshalb europaweit für einen dritten Mehrwertsteuersatz ein.
Zum zweiten ist hier der Forstabsatzfonds zu nennen. Mit der Gesetzesnovelle soll vor allem die finanzielle Basis des Forstabsatzfonds gestärkt und dessen Organisationsstruktur verbessert werden. Um dies zu ermöglichen, werden in Zukunft auch die stammholzbearbeitenden Betriebe - Säge-, Furnier- und Sperrholzwerke - mit einem Abgabesatz von 3 Prozent auf das eingekaufte Stammholz erfaßt. In Zukunft soll der Fonds entsprechend der erweiterten Aufgabenstellung und der Einbeziehung der Holzwirtschaft „Holzabsatzfonds" heißen. Auch das ist sinnvoll.
Obwohl die Wirtschaftspolitiker vor allem ordnungspolitische Bedenken hatten - das muß man bei einer in Deutschland ohnehin viel zu hohen Steuer- und Abgabenbelastung wohl auch unterstreichen -, hat sich die F.D.P. für diese Novellierung entschieden, weil die betroffenen Unternehmen selbst die zusätzliche Abgabe wollen. Sie versprechen sich von einer effizienteren Organisation und neuen Vermarktungswegen bessere Marktchancen für den nachwachsenden Rohstoff Holz.
Für die vorgelegte Novellierung sprechen folgende Argumente:
Zentrale Aufgabe muß sein, den Roh- und Werkstoff Holz im Wettbewerb zu stärken.
Die wirtschaftliche Situation der kleinbetrieblich und mittelständisch strukturierten forst- und holzwirtschaftlichen Betriebe ist zu verbessern.
Die marktwirtschaftliche Ausrichtung der Absatzförderung ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig. Der Forstabsatzfonds kann zukünftig das günstigste und erfolgversprechendste Angebot aus der Wirt-
Ulrich Heinrich
schaft einholen und verwirklichen. Dieser Schritt wird sich für die Unternehmen positiv auszahlen.
Vor dem Hintergrund der hohen Werbeaufwendungen für alternative Konkurrenzbranchen müssen die Anstrengungen für Werbung, Öffentlichkeitsarbeit und Verkaufsförderung im Bereich Holz deutlich verstärkt werden. Die Bereitschaft aller Sägebetriebe zur Leistung freiwilliger Werbebeiträge wäre nur äußerst schwierig zu realisieren und deshalb im Erfolg wahrscheinlich nicht durchschlagend.
Die Abgabepflicht in europäischen Wettbewerbsländern im Holzbereich muß beachtet werden.
Die deutsche Forst- und Holzwirtschaft muß ihre Chance entschlossen nutzen, auf der Expo 2000 in Hannover für den nachwachsenden Rohstoff Holz nachhaltig zu werben. Damit kann das breite Leistungsspektrum der Branche in einer spektakulären und ästhetisch anspruchsvollen Art und Weise präsentiert werden. Hunderttausende werden sich im Jahr der Expo unter dem Dach aufhalten und seine Bekanntheit steigern. Auch nach Beendigung der Weltausstellung wird es ein markantes Wahrzeichen der Messe von Hannover sein.
Zum Schluß, Frau Präsidentin, einen ganz kurzen Satz, und zwar ein Appell an die Länder: daß sie in der anstehenden Beratung im Bundesrat dafür stimmen, die Vorsteuerpauschale für die Forstwirtschaft von 5 auf 6 Prozent anzuheben.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rolf Köhne.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Waldschäden haben gegenüber dem Vorjahr um 2 Prozent zugenommen. Waren im Vorjahr noch 57 Prozent der Bäume in Deutschland krank, so sind es nun 59 Prozent. Dramatisch ist die Situation insbesondere bei der Eiche, die lange Zeit als besonders widerstandsfähig gegen Luftschadstoffe galt. 46 Prozent der Eichen gelten als geschädigt. Nur noch eine von zehn Eichen über 60 Jahre ist gesund.
Die Hauptursache für das Waldsterben und für Waldschäden ist die Versauerung der Böden, die aus Emissionen resultiert. Die Emissionen entstehen überwiegend im Verkehrssektor. Die Erfolge, die es im Bereich der Energieumwandlung, zum Beispiel bei Entschwefelungsanlagen, sicherlich gibt, sind durch zunehmenden Straßenverkehr wieder aufgefressen worden. Das muß man an dieser Stelle einmal ganz deutlich unterstreichen.
In diesem Zusammenhang erlaube ich mir noch eine Bemerkung: Wer meint, die Expo könne in irgendeiner Weise zu einer positiven Werbung für den Wald beitragen, der sollte sich zunächst einmal vor Augen halten, daß mit der Expo ein Verkehr produziert wird, der die weitere Versauerung der Böden befördern wird, und - das ist eigentlich ein Skandal - daß für den Ausbau der Straßen in Hannover gerade für die Expo im Bereich Eilenriede wieder etliche Bäume abgeholzt wurden.
- Das ist nicht am Thema vorbei; das bezieht sich auf meinen Vorredner.
Die Kalkdüngung aus der Luft, mit der man jahrzehntelang versucht hat, etwas gegen diese Versauerung zu unternehmen, hat nichts genutzt.
Sie hat vielleicht einige Flugunternehmen reich gemacht; aber den Waldboden hat sie im wesentlichen nicht gesünder gemacht. Der oberflächliche Auftrag von Kalk ist lediglich eine kosmetische Maßnahme, mit der die Öffentlichkeit beruhigt werden soll, um in der Verkehrs-, Energie- und Landwirtschaftspolitik so weitermachen zu können wie bisher. Für Fachleute ist längst klar: Theoretisch müßte der Waldboden bis zu einer Tiefe von einem halben Meter umgegraben und dabei gekalkt werden. Das ist praktisch unmöglich.
Während die Politik damit beschäftigt ist, die Waldschäden auf-, gegen- und schließlich gesundzurechnen, schreitet vielerorts die Versauerung voran. Nährstoffe können so kaum noch gespeichert werden, während sich Schwermetalle lösen, die das Grundwasser akut gefährden und auf die Bäume wiederum toxisch wirken. Notwendig ist also vor allem ein tatsächliches Umsteuern im Verkehrssektor. Neben der sicherlich ebenfalls erforderlichen Verteuerung des Autoverkehrs müssen Verkehrsvermeidung, Tempolimits, der Stopp der Pro-Lkw-Politik der Bundesregierung und ein Stopp der sinnlosen, teuren und umweltzerstörenden Verkehrsgroßprojekte wie Transrapid und Stuttgart 21 im Mittelpunkt einer neuen Verkehrspolitik stehen.
Die Verkehrspolitik muß sich einer Investitionsoffensive für einen ökologisch und sozial zukunftsfähigen öffentlichen Verkehr verschreiben: Erhalt und Ausbau der Bahn als Gesamtverkehrsmittel und Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Nur so werden wir den Autoverkehr zurückdrängen und eine der wesentlichen Ursachen für die Versauerung von Böden bekämpfen können. Die Verlagerung der Fracht von der Straße und von der Luft auf die Bahn sowie die Förderung des Fahrradverkehrs gehören natürlich auch dazu.
Rolf Köhne
Nur so können die verkehrsbedingten Schadstoffeinträge über den Luftpfad drastisch reduziert werden. Doch anstelle einer solchen Orientierung liest man von unserem Bundeskanzler ein Grußwort an ein Rüsselsheimer Unternehmen mit der Überschrift: „Klares Ja zum Auto!"
Das Waldsterben ist nur ein Problem der Waldpolitik. Ein zweites ist das Fehlen einer Konzeption zur nachhaltigen naturnahen Waldbewirtschaftung. Bisher wird nur etwa 1 Prozent der Waldfläche von knapp 11 Millionen Hektar naturnah bewirtschaftet. Die in den Bundesländern existierenden Programme für eine naturnahe Waldentwicklung sind oft verwaschen und unverbindlich. Am Ende orientiert sich die heutige Waldwirtschaft leider immer noch an den gepflanzten Kunstforsten der letzten 200 Jahre. 90 Prozent der Waldfläche bestehen aus lediglich fünf Baumarten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Redezeit ist leider zu Ende. Lassen Sie mich abschließend zum Waldzustandsbericht nur noch die Bemerkung machen: außer Spesen nichts gewesen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile jetzt das Wort dem Abgeordneten Freiherr von Schorlemer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Einstieg sagen - das sollten wir bei einer Diskukssion über den Wald immer berücksichtigen -, daß 30 Prozent der Gesamtfläche unseres Landes mit Wald bewachsen ist. Der Wald in Deutschland gehört zu 34 Prozent dem Staat - vorwiegend den Ländern - und zu 20 Prozent den Kommunen und Körperschaften. 46 Prozent der Waldfläche sind Privatwald.
Ich nenne diese Zahl auch deshalb, weil sich gerade bei dieser Eigentumsverteilung jeder, der forstpolitische Forderungen und Bemerkungen aufstellt, immer bewußt sein sollte, daß der größte Anteil derer, die im und für den Wald tätig sind, jene 1,2 Millionen Privatwaldbesitzer sind. Das sind keine großen Betriebe; die durchschnittliche Betriebsgröße liegt vielmehr bei acht Hektar.
Ich glaube, daß man in diesem Zusammenhang erwähnen muß, daß sich die forstpolitischen Forderungen und Bemerkungen an dieser Eigentumsverteilung orientieren müssen und daß sich zusätzliche Belastungen auf die staatlichen Haushalte negativ auswirken.
Ich möchte drei Bereiche ansprechen: erstens die Novellierung des Forstabsatzfondsgesetzes. Hierbei geht es zunächst um die Stärkung der finanziellen Basis durch Einbeziehung der stammholzbearbeitenden Industrie und die Verbesserung der Organisationsstruktur; denn der Rohstoff Holz steht im Wettbewerb mit Stahl und Beton.
Auch im Hinblick auf den hohen Mitteleinsatz dieser konkurrierenden Branchen muß die Einnahmebasis des umweltschonenden Rohstoffes Holz verbessert werden. Für diese Novellierung war das gemeinsame Vorgehen von Forst- und Holzwirtschaft wichtig. Ich möchte allen, auch der Forstabteilung des Bundesministeriums, ein herzliches Dankeschön sagen.
Dieses Gesetz eröffnet intensive Kooperationsmöglichkeiten zwischen Forstwirtschaft und Holzwirtschaft, von der wichtige Impulse für die Förderung des Absatzes von Holz und Holzerzeugnissen erwartet werden.
Diese Bewertung schreiben der Präsident des Deutschen Forstwirtschaftsrates, Hermann Ilaender, und der Sprecher des Deutschen Holzwirtschaftsrates, Albert Lüghausen.
Zweitens. In Deutschland wird seit Generationen nachhaltig Forstwirtschaft betrieben.
Das Bundeswaldgesetz und die Gesetze der Bundesländer formulieren und kontrollieren das. Deshalb war es für die Forst- und Holzwirtschaft einfach, das Herkunftszeichen zu entwickeln. Dieses Zeichen muß zu einem europäischen Nachhaltigkeitszeichen weiterentwickelt werden.
Die verschiedenen Gruppen europäischer Waldbesitzer arbeiten daran. Sie lehnen in großen Teilen eine Zertifizierung durch FSC ab, und zwar schon wegen der Fremdbestimmung und einer undurchführbaren Einzelzertifizierung.
Lassen Sie mich vier kurze Zitate von Landespolitikern anführen. Der baden-württembergische Ministerpräsident Teufel sagt:
Wir brauchen in Deutschland und erst recht in Baden-Württemberg keine einzelbetriebliche Zertifizierung. Es liegt auf der Hand, daß diese Zertifizierung zu zusätzlichen Kosten, zu mehr Bürokratie und zur Fremdbestimmung in der Waldbewirtschaftung führen wird.
Die sozialdemokratische Landesministerin Martini schreibt:
Für den Verbraucher muß deutlich sein, daß Holz aus einer nachhaltigen Bewirtschaftung stammt. Deshalb stehe ich hinter der Initiative der deutschen Forstwirtschaft >Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft. Gewachsen in Deutschlands Wäldern.< Dies ist ausreichend.
Ähnlich äußert sich der bayerische Staatsminister Bocklet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Land Niedersachsen wird daher die FSC-Zertifizierung nicht anstreben, es steht weiterhin zum Herkunftszeichen Holz.
Reinhard Freiherr von Schorlemer
Drittens. Wir haben keine gemeinsame Forstpolitik in Europa, und wir wollen diese auch nicht. Es gibt aber zahlreiche Richtlinien und Verordnungen in der EU, zum Beispiel im Landwirtschafts-, Wirtschafts- und Umweltbereich, die unmittelbar in die Forstwirtschaft hineinwirken und diese beeinflussen können. Hierzu, Herr Staatssekretär meine herzliche Bitte an die Bundesregierung um ein aufmerksames Mitwirken, damit interpretierbare Begriffe, die bei der Umsetzung zur Verwirrung führen, die Irritation und Arger nach sich ziehen, von vornherein im Keim erstickt werden; denn ungenaue Begriffe bringen Unsicherheit. Durch solche Leitlinien dürfen unser Bundesforstgesetz und unsere Landesforstgesetze - und dies auch noch an den Parlamenten vorbei - nicht unterlaufen werden.
Lassen Sie mich abschließend folgendes sagen: Erstens. Der durch die Bundesregierung vorgelegte Waldbericht gab uns die Möglichkeit zu dieser Debatte.
Zweitens. Das forstpolitische Konzept, das Bundesminister Borchert 1995 vorlegte, macht das Engagement der Bundesregierung für den Wald deutlich.
Drittens. Die Novellierung des Forstabsatzfondsgesetzes gibt dem umweltfreundlichen und nachwachsenden Rohstoff Holz mehr Möglichkeiten, im Wettbewerb mit anderen Rohstoffen zu bestehen. Daher bitte ich um Zustimmung zu diesem Gesetz.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Liesel Hartenstein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich spreche zum Waldschadensbericht. Es besteht leider die Gefahr, daß dieser wichtige Bericht und die parlamentarische Debatte darüber in diesem Hause zu einem ungeliebten Ritual werden. Das dürfte nicht passieren; denn die Realität schreit - entgegen manchen Aussagen, die hier getroffen worden sind - nach Abhilfe.
So schlimm wie in diesem Jahr war es noch nie. Große Teile der Kronen werden nicht mehr ausschlagen.
Das ist nicht, wie Sie vielleicht glauben, eine Feststellung von aufgeregten Umweltschützern, sondern das sagte mir ein Forstamtsleiter im Nordschwarzwald bei einem Waldbegang im Dezember 1997, ein Mann, der sein Revier genau kennt, und die begleitenden Kollegen aus den Nachbarbezirken pflichteten ihm bei. Einer fügte hinzu, man habe bei der Standortkartierung vor kurzem einen pH-Wert von 3,42 ermittelt. „Der Waldboden ist saurer als Essig", war sein bitterer Kommentar.
So sieht es aus. Alle Beruhigungspillen nützen nichts. Auch das Feilschen um Prozentpunkte führt nicht weiter. 2 Prozent Verbesserung bei Fichten und Kiefern, 3 bis 4 oder 5 Prozent Verschlechterung bei Laubbäumen - das sind papierne Spielchen. Faktum
ist leider: Jede zweite Eiche ist schwer krank; fast jede zweite Tanne und jede dritte Buche ebenfalls. Das ist wahrlich kein Grund zum Jubeln.
Noch erschreckender sind meines Erachtens die Ergebnisse des Waldbodenberichts; denn nahezu 80 Prozent der Waldböden sind durch den Eintrag von Luftschadstoffen versauert. In den Humusauflagen befinden sich hohe Schwermetallkonzentrationen, zum Beispiel von Blei und Kupfer.
Noch einmal unser Forstmann:
Der Boden ist unser Kapital. Wenn er das Regenwasser nicht mehr filtern kann, dann schlägt die Säure auch ins Trinkwasser durch.
In diesem Boden tickt eine Zeitbombe.
Es ist also Faktum: In unseren Wäldern vollzieht sich eine schleichende Tragödie, die auch nicht dadurch gemildert wird, daß man kaum mehr davon spricht. Der Countdown läuft.
Vor mehr als 15 Jahren war das Waldsterben das erste deutliche, Alarmsignal dafür, daß ein ganzes Ökosystem außer Kontrolle geraten kann, ins Wanken geraten kann. Dies hat damals einen Aufweckeffekt, aber leider noch keinen Umkehreffekt erzeugt. Wir verschmutzen weiterhin das Wasser, den Boden, die Luft, rotten gnadenlos 70 Tier- und Pflanzenarten pro Tag aus und überlasten den Naturhaushalt derart, daß das gesamte System nicht mehr funktionsfähig ist.
Waldschäden sind Systemschäden. Man kann das nicht oft genug betonen.
Sie sind ein untrügliches Symptom für ein falsches, nicht nachhaltiges, unverantwortliches Wirtschaften und Konsumieren. Wälder sind eben nicht nur Holzläger. Wir brauchen das Holz; darüber ist viel gesagt worden. Sie sind aber zugleich Vorratskammern für die Artenvielfalt. Sie regulieren den Wasserhaushalt. Sie schützen gegen Bodenerosion, und sie sind nach den Ozeanen die größten Kohlenstoffspeicher der Erde. Ohne Waldschutz wird Klimaschutz keinen Erfolg haben - das müssen wir uns klarmachen -, denn die Kohlenstoffsenke Wald ist unverzichtbar.
Zum Klimaschutz tragen nicht nur die tropischen Regenwälder bei, sondern auch die Wälder in den gemäßigten und in den nördlichen Breiten. Es ist daher nicht erlaubt, mit dem Finger ständig auf die Tropenländer zu zeigen, wenn es um die Walderhaltung geht. Auch die nördlichen Industrieländer sind verpflichtet, zuerst zu Hause das Nötige zur Erhaltung ihrer Wälder zu tun. Das gilt auch für uns.
Natürlich bleibt unbestritten, daß seit Beginn des Waldsterbens eine Menge geschehen ist. Das ist uns allen bekannt; das wird keiner leugnen. An dieser Stelle mögen Stichworte genügen: Großfeuerungsanlagen-Verordnung, Einführung des Katalysators, TA Luft usw. Allerdings muß ich Sie, Herr Staatssekretär Hinsken, daran erinnern, daß die Großfeuerungsanlagen-Verordnung noch von der
Dr. Liesel Hartenstein
Bundesregierung unter Helmut Schmidt beschlossen worden ist.
Das wird von Ihnen gerne unterschlagen.
Die Erfolge sind nicht ausgeblieben, zum Beispiel bei der deutlichen Reduzierung des Schwefeldioxids und damit bei der Reduzierung des sauren Regens. Dennoch gibt es keinerlei Anlaß, die Hände in den Schoß zu legen. Die Verluste durch Waldschäden gehen mittlerweile in die Milliarden. Für den Schwarzwald ist von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Freiburg ein Schaden von 131 DM pro Hektar und Jahr errechnet worden.
Ich muß daran erinnern: Schon vor zehn Jahren gab es ein höchstrichterliches Urteil, das den Waldbesitzern, und zwar den kommunalen und den privaten - Herr von Schorlemer, in diesem Punkt gibt es zwischen uns keinen Streit -, ein Entschädigungsrecht zugesprochen hat. Die Gemeinden drängen sehr stark darauf, eine Regelung zu finden. Aber bis heute hat die Bundesregierung keinen Finger gerührt. Ich finde das nicht in Ordnung.
Abwehrerfolge zur Schadensminderung sind das eine, Vorsorge zur Schadensvermeidung wäre das andere. Aber hier herrscht bei der Bundesregierung Fehlanzeige. Im Grundsatz hat sich die Industriegesellschaft überhaupt nicht verändert. Sie ist weiterhin eine Verschwendungs- und Wegwerfgesellschaft geblieben - zu Lasten der Natur, zu Lasten unserer natürlichen Lebensgrundlagen und auch zu Lasten des Waldes. Ich will dies an zwei Beispielen illustrieren.
Erstes Beispiel. Heute wird jeder Hektar Wald mit 30 bis 40 kg Stickstoff überfrachtet. Das ist das Zwei- bis Fünffache dessen, was die Bäume für ihr Wachstum tatsächlich benötigen und was die Waldböden verkraften können. Die Folge ist, wie wir schon gehört haben, eine galoppierende Versauerung.
Mehr als die Hälfte der Stickoxide stammt aus den Auspufftöpfen unserer Pkw und Lkw. Aus diesem Abgasgemisch entsteht übrigens auch das waldschädigende Ozon. Wenn Sie Ihre Zahlen bezüglich der Reduzierung der NOx-Emissionen vorlegen, Herr Hinsken, dann dürfen Sie nicht nur von den Industriefeuerungen sprechen. Hier ist infolge der Großfeuerungsanlagen-Verordnung tatsächlich eine Reduzierung eingetreten, nicht aber beim Verkehr. Wir wissen, daß der motorisierte Straßenverkehr der Waldzerstörer Nummer eins ist. Hier fehlt eine nationale und erst recht eine handfeste europäische Strategie zum Umsteigen auf umweltfreundlichere Verkehrssysteme.
In diesem Bereich hat die Bundesregierung keine Konzepte. Sonntagsreden helfen da nicht weiter.
Wir brauchen ein europäisches Schnellbahnnetz; wir brauchen den rascheren Ausbau der ÖPNV-Systeme; wir brauchen die Verlagerung des Schwerlastverkehrs auf die Schiene. Alles schon lange gefordert
- ich weiß -, aber alles nicht realisiert. Dafür tragen Sie die Verantwortung.
- Sie haben es gar nicht erst probiert, Herr Hornung. Sie sollten nicht immer mit dem Finger auf die Grünen zeigen.
Zweites Beispiel: Nicht nur der Straßenverkehr explodiert - ich will noch ein anderes Beispiel bringen -, sondern auch die Papier- und Zellstoffverschwendung. Daran möchte ich ebenfalls erinnern: Die Industrieländer insgesamt sind Weltmeister bei der Verschwendung von Papier und Zellstoff. Seit den 50er Jahren ist der Verbrauch in der Bundesrepublik in bezug auf Zeitungen, Zeitschriften, Werbebroschüren, Kataloge, Büropapiere und Hygienepapier um das Siebenfache gestiegen. Hinzu kommt die Zunahme des Verpackungsluxus.
Auf den bundesdeutschen Markt kommen allein jährlich 10 Milliarden Verpackungseinheiten auf Papierbasis. Darunter befinden sich 200 000 Tonnen Getränkekartons für Milch, Säfte usw. Der größte Teil davon landet nach einmaligem Gebrauch im Abfall. Dabei ließe sich der Einsatz von frischem Zellstoff schon heute durch moderne technische Methoden und durch die Steigerung des Einsatzes von Altpapier um die Hälfte vermindern, wenn man nur darangehen würde.
Sie fragen wahrscheinlich: Was hat dieser Papierhunger mit den Entwicklungsländern zu tun? Der Teufelskreis ist offensichtlich. - Wenn Sie ein bißchen Geduld haben - meine Redezeit ist nämlich gleich zu Ende -, dann sage ich das noch.
Je mehr Zellstoff nachgefragt wird, desto stärker wird der Anreiz, diesen möglichst rasch und zu einem möglichst niedrigen Preis bereitzustellen. Dafür werden nicht nur die letzten Urwaldriesen zermahlen, sondern auch immer mehr Primärwaldflächen abgebrannt und in Plantagen mit schnellwüchsigen Bäumen umgewandelt. Denn das verspricht raschen Gewinn. Bei uns dagegen - darin gebe ich Ihnen recht - bleibt das Schwachholz, das sich zur Papierherstellung eignen würde, aus Kostengründen liegen.
Meine Damen und Herren, Verschwendung bei uns und Raubbau in den armen Ländern hängen eng zusammen. Insofern haben auch die schrecklichen Waldbrände in Indonesien und Malaysia, soweit sie von profitgierigen Holzkonzernen gelegt worden sind, mit dieser exzessiven Wegwerf- und Verschwendungsmentalität zu tun.
Ein Planet ohne Wälder ist nicht lebensfähig. Die Wälder können nur erhalten werden, wenn wir endlich den Imperativ von Rio ernst nehmen, das heißt, die Nachhaltigkeit unserer Wirtschafts- und Konsum-
Dr. Liesel Hartenstein
weise als oberstes Gebot nehmen und es tatsächlich realisieren.
„Wir werden uns alle für das zu verantworten haben, was wir in Rio versäumen", hat die damalige norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland gesagt. Daß in Rio keine internationale Waldkonvention zustande kam, war das größte Versäumnis dieser Mammutkonferenz. Deshalb muß das schleunigst nachgeholt werden.
Die Bewahrung unserer Wälder wird zum Testfall für eine Überlebenspartnerschaft zwischen Nord und Süd und sogar zwischen Mensch und Natur werden. Wir haben den Schlüssel dafür in der Hand. Es bedarf nur des ernsthaften politischen Willens, und diesen vermisse ich bei Ihnen.
Danke schön.
Danke schön. - Ich schließe damit die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung des Waldzustandsberichts 1997 auf Drucksache 13/9442 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/10539 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden.Der Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 13/10535 soll zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie zur Mitberatung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen werden.Der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10554 soll zur federführenden Beratung dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und zur Mitberatung dem Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie dem Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung überwiesen werden.Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Wir kommen nun zu den Abstimmungen.Wir stimmen zunächst über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Waldbericht der Bundesregierung - das sind die Drucksachen 13/8493 und 13/10374, Nr. 1- ab. Der Ausschuß empfiehlt Kenntnisnahme. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei einer Enthaltung aus der PDS einstimmig angenommen.Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/10374 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Waldzustandsbericht der Bundesregierung 1996 - das ist Drucksache 13/9925, Nr. 1 -: Der Ausschuß empfiehlt, den Bericht auf Drucksache 13/6300 zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung „Kenntnisnahme"? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch diese Beschlußempfehlung ist bei einer Enthaltung aus der PDS einstimmig angenommen.Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zum Waldzustandsbericht der Bundesregierung 1996, Drucksache 13/9925, Nr. 2: Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/6961 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden.Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zum Waldzustandsbericht 1996, Drucksache 13/9925, Nr. 3: Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/6974 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Auch diese Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden.Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Waldzustandsbericht 1996, Drucksache 13/9925, Nr. 4: Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/6975 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen worden; die SPD hat sich enthalten.Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Forstabsatzfondsgesetzes, Drucksachen 13/10285 und 13/10542. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
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21406 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmerder Koalitionsfraktionen angenommen worden; Bündnis 90/Die Grünen und SPD haben sich enthalten. Und die PDS?
- Wollen Sie nun zustimmen? - In Ordnung, bei Zustimmung der PDS.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der gesamten Opposition angenommen worden.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a bis 12 c auf:a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck , Cem Özdemir, Andrea Fischer (Berlin), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz vor Diskriminierung und zur Stärkung von Minderheitenrechten (Antidiskriminierungs-und Minderheitenrechtsgesetz)- Drucksache 13/9706 —Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß
InnenausschußAusschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugendb) Erste Beratung des von dem Abgeordneten Volker Beck und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Eintritt des hinterbliebenen Haushaltsangehörigen in den Mietvertrag- Drucksache 13/9961 —Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebauc) Erste Beratung des von den Abgeordneten Margot von Renesse, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Gerd Andres, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgebotes des Artikels 3 Grundgesetz
- Drucksache 13/10081 —Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß
InnenausschußAusschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Familie, Senioren, Frauen und JugendNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Volker Beck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Minderheiten müssen in Deutschland wieder Angst haben. Rechtsextremisten propagieren eine Ideologie der Ungleichheit. Sie predigen Haß auf alles, was ihnen als undeutsch und minderwertig gilt. Ausländer, Schwule und Behinderte, aber auch Obdachlose und Punks werden zu Objekten von Haß und Gewalt. Die Rechtsextremisten haben damit immer wieder wahlpolitischen Erfolg: letzten Sonntag in Sachsen-Anhalt und vor einiger Zeit in Baden-Württemberg. Dies ist also kein Thema des Ostens, sondern ein Thema unserer Gesellschaft.
Alle Demokraten sind aufgerufen, dem Haß der Rechtsextremen eine Perspektive der Gleichheit aller Menschen an Würde und Rechten entgegenzusetzen.
Wir müssen integrieren statt ausgrenzen. Wir dürfen nicht den Rechtsextremen ideologisch hinterherlaufen und ihre Parolen nachplappern, sondern wir müssen um die Köpfe ihrer Anhänger kämpfen. Wir wollen sie für ein demokratisches Miteinander gewinnen.
Wir brauchen eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechtes und ein Antidiskriminierungsgesetz für Minderheiten. Wir müssen klarstellen: Wer Angehörige von Minderheiten zum Opfer von Diskriminierung und Gewalt macht, begibt sich außerhalb unseres gesellschaftlichen Konsenses. Dieses Signal wollen wir mit unserer Initiative setzen.
Diskriminierung gehört zum Alltag für Minderheiten in Deutschland. Am Arbeitsplatz oder auf dem Wohnungsmarkt erleben Angehörige von Minderheiten immer wieder Benachteiligungen. Aber auch im alltäglichen privaten Rechtsverkehr sind Diskriminierungen keine Seltenheit: Ein Behinderter wird in einem Café meines Wahlkreises nicht bedient, weil der Wirt den anderen Gästen den Anblick ersparen will. Der Lebensversicherer Debeka versichert keine homosexuellen Männer, weil sie seiner Ansicht nach schneller sterben, selbst wenn sie HIV-negativ sind. Ausländer oder Deutsche mit ausländisch klingenden Namen werden häufig von Kfz-Versicherern abgelehnt. Letzte Woche meldete dpa: In einer Regensburger Diskothek muß man als Dunkelhaariger oder Dunkelhäutiger seinen Paß hinterlegen, „weil Ausländer ja generell Schlägereien in Diskotheken anfangen" , so die Ansicht des Diskothekenbesitzers.
All diese Diskriminierungen wollen wir abstellen; hier soll nach unserer Auffassung der Gesetzgeber größere Klarheit schaffen und den Minderheiten In-
Volker Beck
strumente an die Hand geben, mit denen sie sich wirksam gegen Diskriminierungen im Alltag wehren können.
Mit Anspruch auf Schadenersatz, Unterlassungsanspruch und Verbandsklage geben wir Schwulen und Lesben, Ausländern und Behinderten geeignete rechtliche Instrumentarien zum Kampf gegen Diskriminierung an die Hand. Diskriminierung ist keine Bagatelle; sie ist ein gesellschaftliches Übel, vor dem der Gesetzgeber nicht die Augen verschließen darf. Unsere europäischen Nachbarstaaten haben eine umfangreiche Antidiskriminierungsgesetzgebung erlassen. Deutschland hinkt hier gewaltig hinterher.
Der Wahlsieg der DVU in Sachsen-Anhalt sollte uns gemeinsam ein Ansporn sein, für den Gedanken der Gleichberechtigung, der Gleichheit vor dem Gesetz, für Art. 3 Grundgesetz zu werben und ihm rechtlich mehr Ausstrahlungskraft im Alltag zu verleihen. Wie kaum ein anderer ist dieser Artikel als Antwort auf den Rassismus der Nazis formuliert worden. Er ist gleichsam ein verfassungsrechtliches „Nie wieder!"
Ich freue mich, daß die sozialdemokratische Fraktion mit einem ähnlichen Entwurf für ein Gleichbehandlungsgesetz nachgezogen hat und daß sich trotz einiger Differenzen im Detail hier ein gemeinsames Projekt für Rotgrün abzeichnet. Ich freue mich darauf, dies in der nächsten Legislaturperiode ausarbeiten und zu einem gemeinsamen gesellschaftlichen Projekt führen zu können. Das wäre, so glaube ich, die richtige Antwort auf den Rechtsextremismus, aber auch auf Minderheitenfeindlichkeit aus der Mitte unserer Gesellschaft. Wir dürfen es hier an Klarheit nicht fehlen lassen.
Wir haben einen weiteren Gesetzentwurf eingebracht, um Herrn Westerwelle und der F.D.P. etwas auf die Sprünge zu helfen. Herr Westerwelle und die F.D.P. - Herr Braun und Herr van Essen im Plenum - haben immer wieder versprochen, daß es in dieser Wahlperiode eine Reform für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften geben soll, nämlich bei der Sonderrechtsnachfolge im Mietrecht. Da sollen schwule und lesbische Paare wenigstens nicht mehr schlechtergestellt werden als heterosexuelle unverheiratete Paare.
Der Bundesjustizminister hat eine Formulierungshilfe für die Berichterstatter erarbeitet. Leider hat sie immer noch keinen Eingang in die parlamentarischen Beratungen gefunden. Wir haben Ihren Vorschlag, Herr Minister, heute auf den Tisch des Hauses gelegt. Jetzt ist es an der F.D.P., hier im Bundestag noch bis zum Juni mit der Opposition gemeinsam eine Mehrheit für diesen kleinsten Schritt, den man für die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften tun kann, zu bilden. Wir bieten Ihnen an, das gemeinsam mit uns auf den Weg zu bringen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dietrich Mahlo.
Frau Präsidentin! Meine lieben Freunde! Die vorgelegten Entwürfe zu einem Antidiskriminierungs- bzw. Gleichbehandlungsgesetz sind keine völlig neuen Initiativen, sondern greifen auf Bemühungen aus den frühen 80er Jahren und meiner Ansicht nach unausgesprochen auch auf Ergebnisse einer Regierungsanhörung vom Januar 1982 zurück. Damals wie heute ist zu fragen, ob wir mit Antidiskriminierungsgesetzen Segen stiften oder einen Irrweg betreten. Die Antwort ist nicht einfach. Ich beschränke mich in der ersten Lesung auf einige Anmerkungen.
Erstens. Es ist nicht daran zu zweifeln, daß in weiten Bereichen unseres Volkes dümmliche und schwer erträgliche Vorurteile gegen bestimmte andere Menschen und Menschengruppen existieren und daß dies nicht nur in seltenen Einzelfällen zu ungerechtfertigten Benachteiligungen, ja zu Leid bei den Betroffenen führt. Insgesamt behindert dieser Tatbestand sinnlos das gleichberechtigte und freie Zusammenleben von Menschen in unserem Lande und muß als eine erhebliche Belastung des öffentlichen Wohles angesehen werden. - Ich denke, daß über diesen Sachverhalt und seine Bewertung weitgehend Einigkeit bestehen dürfte.
Zweitens. Zu fragen ist allerdings, ob man ein Phänomen, das seine Ursache in sozialen Ängsten, in Unbildung, in mangelnder Reife, in fehlender Aufklärung, in materieller Bedürftigkeit, kurz: im Gesellschaftlichen hat, par ordre du mufti abschaffen kann.
Kann man Toleranz, Mitmenschlichkeit, gesellschaftliches Augenmaß auf dem Gesetzgebungswege herstellen?
Oder wird durch die Verrechtlichung nur eine Fassade des Wohlverhaltens geschaffen, hinter der die eigentlichen Mißstände dann um so eher weiterwuchern?
Drittens. Diejenigen, denen wir den Anstand mit sanktionsbewehrten Gesetzen, Schadenersatzansprüchen bis hin zum Ausgleich von Nicht-Vermögensschäden, Eingriffen in die freie Beweiswürdigung, mit Verordnung sogenannter emanzipatorischer Diskriminierungen und dem Einsetzen privater
Dr. Dietrich Mahlo
Verbände als Aufpasser oder Hilfspolizei mit eigenem Klagerecht austreiben wollen - das alles ist ja von Ihnen vorgesehen, Herr Kollege -, ohne aber Bewußtsein und innere Einstellung ändern zu können, werden natürlich überzeugt sein, daß es sich um eine Art Gesinnungsrecht handelt und daß in Deutschland, wie so oft in diesem Jahrhundert, wieder Leute unterwegs sind, die den anderen beibringen wollen, wie sie zu leben und was sie zu denken haben.
Die Freiheit des Grundgesetzes umfaßt das Recht, nach Merkmalen des Art. 3 Abs. 2, das heißt nach Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Religion usw. zu differenzieren. Von dieser Freiheit darf auch in einer Weise Gebrauch gemacht werden, die den Prinzipien der „political correctness" glatt ins Gesicht schlägt, auch wenn uns allen das nicht gefallen sollte. Das Grundrecht auf Gleichbehandlung ist kein Superrecht, und es erlaubt schon gar nicht dem einfachen Gesetzgeber, das differenzierte System der Freiheitsrechte, also die Freiheit, Verträge abzuschließen, seine Kinder zu erziehen, Vereine zu gründen, seine Intimsphäre zu bestimmen und seine Meinung kundzutun, durch Antidiskriminierungsgesetze zu nivellieren.
Gerade diejenigen in diesem Hause, die unter Berufung auf ihre Meinungsfreiheit darauf bestehen, die Soldaten der Bundeswehr, denen unser Land ein halbes Jahrhundert Frieden mit zu danken hat, als Mörder bezeichnen zu dürfen, müssen gelegentlich an die Meinungsfreiheit anderer erinnert werden.
Es kommt hinzu, Herr Beck, daß das Phänomen des Vorurteils, der Diskriminierung, des Schikanierens, der verletzenden Ausgrenzung, der privaten Herabwürdigung und des Mobbing am Arbeitsplatz auch sonst im zwischenmenschlichen Bereich verbreitet anzutreffen ist und dabei vielfach an Kriterien anknüpft, die sich rechtlichen Erfassungsversuchen weitgehend entziehen, so etwa an Unbildung, Intelligenzmangel, Häßlichkeit, mangelnden Umgangsformen usw. Ich stelle daher die Frage, ob die Sollbruchstelle, die in den Gesetzentwürfen von Ihnen angenommen wird - nämlich Behinderung, ethnische und sexuelle Identität -, wirklich die Bedeutung hat, von der Sie ausgehen.
Insgesamt bekenne ich mich zu einer gewissen Skepsis gegenüber den vorgeschlagenen Gesetzen. Rechtliche Maßnahmen und Sanktionen sollten jedenfalls den Fällen vorbehalten bleiben, wo privates Verhalten in besonders grober Weise den „ordre publique" unserer Gesellschaft verletzt und damit das allgemeine Wohl tangiert wird. Generell denke ich, daß sich gesellschaftliche Mißstände auch nur gesellschaftlich überwinden lassen, das heißt durch Überzeugungsarbeit, durch Beispiel, durch Einüben in Toleranz, nicht aber durch das Bekämpfen von Symptomen.
Wenn Menschen sehen, daß in ihrer Umgebung deutsch-türkische Ehen ganz normal funktionieren, wenn ein großer Tennisstar eine Frau mit dunklerem
Teint als hierzulande üblich heiratet, wenn nigerianische Fußballspieler in Spitzenklubs der Bundesliga spielentscheidende Tore schießen, hat das für ein gleichberechtigtes Zusammenleben und mitmenschliche Toleranz eine größere und segensreichere Wirkung als alle Antidiskriminierungsgesetze, die wir uns hier ausdenken können.
Ich danke Ihnen für das Zuhören.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Margot von Renesse.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach der Wahl in Sachsen-Anhalt den Entwurf eines Gleichbehandlungsgesetzes vorzustellen, ist eine wahrhaft besondere Herausforderung. Auf das Stimmergebnis der DVU dort können demokratische Parteien auf dreierlei Weise reagieren - und für alles haben wir schon Beispiele -:
Sie können sich - erstens - darauf beschränken, sich wechselseitig die Schuld daran zuzuweisen. Nur, das ist ein Schauspiel, das jedem der Protestwähler - die ja nicht unbedingt rechtsradikal zu sein brauchen - nur seinen Verdruß an den demokratischen Parteien bestätigt, fürchte ich.
Zweitens kann man sich - auch dafür gibt es Beispiele - in einen Wettbewerb mit den Rechtsradikalen um die vorgeblich nationalste Gesinnung und ihre Demonstration einlassen und damit seine verf assungsrechtliche Seele verkaufen, ohne daß man auf diesem Felde auch nur annähernd die gleichen Erfolge erzielen kann wie die Braunen.
Drittens aber kann man auch versuchen, die Ursachen des Unheils nüchtern zu ermitteln und sie zielgerichtet mit politischer Handlung anzugehen. Darum geht es heute. Hinsichtlich der Ursachen wissen wir: Da ist das Krisenbewußtsein und der Eindruck von Perspektivlosigkeit, insbesondere bei jungen Leuten, der sich wie Mehltau über unser Land gelegt hat. Das macht deutlich, warum viele von uns vehement für die Erneuerung der politischen Handlungsfähigkeit eintreten: um auch dieser Ursache entgegenzutreten.
Aber Krisenbewußtsein allein reicht als Erklärung für die Zutaten der braunen Soße nicht aus. Denn weder ist ein Arbeitsloser naturnotwendig ein Rechtsradikaler, noch ist ein Arbeitsplatzbesitzer stets davor gefeit,
auch kein Gebildeter. Das alleine reicht nicht. Es gibt
wohl in allen Menschen eine tiefsitzende Bereit-
Margot von Renesse
1 schaft, der Versuchung nachzugeben, für eigene Schwierigkeiten und Probleme Sündenböcke ausfindig zu machen - um dann auf sie einzuprügeln. Der kollektive Haß auf diese Sündenböcke entlastet dann von der Selbstverantwortung und vor allem der Mühsal der Problemlösung. Darum brauchen rechtsradikale Parteien offensichtlich kein politisches Programm. Die Bekundung von Haß auf „die anderen" steht ihnen dafür.
Als diese „anderen" bieten sich - man muß schon sagen: traditionell - vor allem drei Gruppen von Menschen an: die Fremden, die Behinderten und die Homosexuellen. Sie sind die prädestinierten Außenseiter, an denen die aus der Ordnung geratenen Gruppierungen ihr Mütchen zu kühlen neigen. Sie sind in allen Gesellschaften dort, wo Rechtskultur aus den Fugen gerät, die ersten Haßopfer. Sie füllten auch die Konzentrationslager der Nazis. Darum hat Herr Beck Recht, wenn er sagt: Art. 3 Abs. 3 ist eine zentrale Norm des „Nie-wieder! " Denn die Damen und Herren saßen in Herrenchiemsee zusammen und wollten einen erneuten Hitler verhindern. Aus Erfahrung haben sie auf diese Gruppen besonders ihr Augenmerk gerichtet.
Um unsere Zivilgesellschaft vor der „Bestie" zu schützen, richtet die Verfassung in Art. 3 Abs. 3 unser Augenmerk auf diese drei besonders gefährdeten Gruppen, obgleich wir wissen, daß es Diskriminierung auch woanders gibt. Aber hier haben wir auch einen rechtlichen Anhaltspunkt.
Der Grundsatz des Art. 3 ist eine der stolzesten und nobelsten Vorschriften der Verfassung, aber er bewahrt unseren inneren Frieden, der jedem von uns die Achtung seiner Menschenwürde garantiert. Die Menschen sind nicht gleich. Art. 3 erkennt das an und setzt gerade darum die Gleichheit vor dem Gesetz als eine Norm. Denn jedes Merkmal, das den einen vom anderen unterscheidet, kann zur Ausgrenzung verwendet werden. Ein jeder von uns kann plötzlich zu einer verfemten Minderheit gehören, die an allem schuld ist: die Arbeitslosen, die Sozialhilfeempfänger, die Obdachlosen - Herr Beck erwähnte sie -, die Asozialen, aber auch die Linken, die Intellektuellen und andere mehr.
Die drei Gruppen des Art. 3 werden uns deshalb besonders ans Herz gelegt, weil sie in der Regel die ersten sind, die Ausgrenzung erfahren und damit Seismographen dafür sind, daß sich die „Bestie" wieder rührt. Darum ist ein Gleichbehandlungsgesetz nach Sachsen-Anhalt besonders dringlich.
Unser Entwurf zielt darauf ab, den Fremden, den Behinderten und den Homosexuellen mit effektiven rechtlichen Instrumenten die rechtliche Gleichbehandlung zu sichern - nicht Sympathie und schon gar nicht eine von Herzen kommende Toleranz -, die rechtliche Gleichbehandlung im Privatrecht, in der staatlichen Verwaltung und in der Gesetzgebung. Immer dann, wenn rechtliche Unterschiede in diesen Bereichen gemacht werden, schlägt die Alarmglocke des Art. 3 an und fragt nach einer rationalen Begründung für Unterscheidung.
Herr Mahlo, wir wissen, Art. 3 beinhaltet auch das Willkürverbot. Striktes Rationalitätsgebot und Willkürverbot im Recht sind die zwei Seiten einer Medaille. Beides gilt für den Staat wie für den Bürger, wenn es um die Gestaltung von Rechtsverhältnissen geht.
Ich sage Ihnen: Die Verletzung von Art. 3 ist ohne Verletzung der Menschenwürde, gerade bei diesen drei Gruppen, nicht zu haben. Damit handelt es sich um schwerwiegende Verletzungen der „ordre publique".
Unser Entwurf enthält eine Konzeption. Es gibt darin nur Instrumente, die sich im deutschen Recht bereits bewährt haben und für deren Verwendung es keiner verfassungsändernden Mehrheit bedarf.
Dazu gehört. das - ich richte mich einmal an die F.D.P.-Vertreter - aus dem Wirtschaftsrecht entlehnte Abmahnverfahren, das uns Gelegenheit gibt, kompetente NGOs einzubeziehen, wie das - Rechtsvergleiche zeigen dies - in anderen Ländern üblich ist, damit nicht alles Gute von oben kommen muß. Das Abmahnverfahren, das wir aus dem Wirtschaftsrecht kennen, macht es möglich, daß eine Industrie- und Handelskammer wegen eines falsch ausgezeichneten Preisschildes vorgeht. Sollte das, was für einen fehlgeleiteten Ausverkauf und für ein falsches Preisschild möglich ist, nicht bei Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes möglich sein?
Dazu gehört die Streichung des Deutschen-Vorbehalts im Beamtenrecht. Er stellt - das ist verblüffend zu sehen - eine Rechtslage wieder her, wie sie vor dem NS-Regime bei uns bestand und die für uns deshalb besonderen Sinn macht, weil wir nur mit Hilfe rechtstreuer Migranten Recht und Gesetz in deren Gruppen durchsetzen können. Sonst müssen wir uns auf V-Leute und auf Dolmetscher verlassen. Wir brauchen Leute der Corporate identity innerhalb der Beamtenkörper, um Recht und Gesetz durchzusetzen. Ich rede fast schon wie Herr Kanther.
Den gleichgeschlechtlichen Paaren ein familienrechtliches Institut zu öffnen, das die menschliche Substanz auch ihrer Beziehung akzeptiert und das ihnen bei Übernahme gleicher Pflichten auch den Genuß gleicher Rechte wie Eheleuten gewährt, ist eine mitmenschliche Notwendigkeit und kommt der Familienpolitik sogar zugute, weil sie nämlich den Gesetzgeber dazu zwingt - hoffentlich bald -, familienbezogene Vergünstigungen nicht fehlzuleiten, sondern sie den Familien mit Kindern - ob mit oder ohne Ehe - zuzuwenden.
Zu der Konzeption gehört, daß wir sie in der Form eines Gesetzentwurfs vorlegen, weil es in der Diskussion um das Antidiskriminierungsgesetz - ein Wort, das ich nicht liebe - oft umstritten war, ob eine gesetzliche Regelung überhaupt möglich ist. Technische Mängel, die ich ohne weiteres einräume und zu deren Ausmerzung ministerielles Spezialwissen ge-
Margot von Renesse
hört, wird es dann nicht mehr geben, wenn wir den Entwurf in der nächsten Legislaturperiode überarbeitet erneut vorlegen, weil wir dann im Besitz dieses ministeriellen Spezialwissens sind.
Auf Grund ihrer langen Erfahrung über mehr als hundert Jahre ist die SPD eine Liebhaberin der Verfassung, insbesondere auch des Art. 3. Ich sage es erneut mit einem - leicht abgewandelten - Zitat von Theodor Adorno: Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der jeder ohne Angst anders sein kann.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hildebrecht Braun.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die erste Beratung der Anträge von SPD und Grünen verlangt noch keine ins Detail gehende Auseinandersetzung mit einzelnen Vorschlägen, aber doch eine Gesamtbewertung.
Ich will für die F.D.P. deutlich machen, daß die Initiativen der Oppositionsparteien in diesem Bereich richtig und notwendig sind.
Ich möchte auch deutlich machen, daß wir Liberalen längst selbst initiativ geworden wären, wenn nicht unser Koalitionspartner erhebliche Probleme im Umgang mit den zur Diskussion stehenden Fragen hätte.
Ich habe aber Verständnis dafür, daß eine große Fraktion, die für den konservativen Teil der Bevölkerung primärer Ansprechpartner ist, bei Themen Zurückhaltung übt, die für einen großen Teil der Bevölkerung schwer bekömmlich sind. Insbesondere fehlt es an der Unterstützung durch die Kirchen. Sie äußern sich zwar zu vielen Dingen, wo sie besser schweigen würden - gerade in diesen Tagen -, halten sich aber schlimm zurück gerade bei Fragen der Menschenwürde, um die es hier ganz besonders geht.
Die Menschenwürde ist sicherlich für uns Liberale das zentrale Thema, aber eigentlich doch auch für die Kirchen. Wir müssen beobachten, daß bis zum heutigen Tag die evangelische Kirche nur sehr zaghaft und die katholische Kirche überhaupt nicht Stellung nimmt zu den Fragen der Menschenwürde derer, deren sexuelle Orientierung anders ist als die der Mehrheit in der Bevölkerung. Das ist ein Punkt, den wir hier deutlich ansprechen müssen. Wann werden die Kirchen endlich erkennen, daß die göttliche Schöpfung Linkshänder und Rechtshänder enthält - und eben nicht nur Rechtshänder? Wann werden die Kirchen endlich erkennen, daß es an der Zeit ist, anzuerkennen: Die Schöpfung hat Vielfalt gebracht, und diese Vielfalt äußert sich auch darin, daß wir Homosexuelle und Heterosexuelle haben. Diese Vielfalt unterscheidet sich wohltuend von der Einfalt vieler religiöser Eiferer.
Würden die Kirchen ihrem neutestamentlichen Auftrag bei der Bekämpfung der Diskriminierung gerecht werden, so würde es auch für die Konservativen in diesem Parlament sehr viel leichter sein, uns zu einer großen Mehrheit im Parlament bei dem Bemühen zu verhelfen, endlich für Gleichberechtigung aller in diesem Land zu sorgen.
Eines der letzten Relikte schlimmer deutscher Zeiten ist, daß homosexuelle Lebenspartner im Falle des Versterbens des Freundes, der Mieter war, die Wohnung nicht übernehmen dürfen, während Ehepartner und gar verschiedengeschlechtliche Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dies längst tun dürfen. Warum in Gottes Namen soll hier unterschieden werden, gar zu Lasten der homosexuellen Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft von heterosexuellen Partnern? Das versteht doch überhaupt niemand mehr.
Ich muß deutlich sagen: Als Liberaler kann ich es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, Menschen deswegen zu diskriminieren, weil sie so sind, wie sie sind. Wann endlich lösen sich die Gegner dieser nötigen Reformen von der Vorstellung, daß Homosexualität nicht eine Frage des individuellen Schicksals, sondern der persönlichen Wahlfreiheit sei? Wann sind diese konservativen Politiker endlich bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Homosexualität nicht erlernt wird, sondern vorhanden oder eben nicht vorhanden ist? Wann können sich diese Kolleginnen und Kollegen endlich von der Vorstellung lösen, daß Homosexualität gar etwas mit Schuld zu tun habe?
Nicht die Menschen müssen sich ändern, um den Gesetzen zu entsprechen, sondern die Gesetze müssen geändert werden, damit sie den Menschen gerecht werden.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christina Schenk.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die PDS hat sich insbesondere auch im Bundestag immer dafür eingesetzt, daß Menschen mit Behinderungen, Angehörige ethnischer Minderheiten sowie auch Lesben und Schwule vor Diskriminierung geschützt werden und die Gleichbehandlung entschieden stärker als bisher rechtlich verankert wird. Allerdings meinen wir, daß es nicht ausreicht, die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen nur durch eine juristische Gleichstellung beheben zu wollen. Wir meinen, daß
Christina Schenk
gleiche Teilhabechancen erst dann gesichert sind, wenn es auch einen materiellen Nachteilsausgleich gibt.
In diesem Sinne ist auch unser in den Bundestag eingebrachter Antrag auf ein Leistungsgesetz zu verstehen.
Wir finden es natürlich auch ärgerlich - das wird für Sie vielleicht nachvollziehbar sein -, daß das Antirassismusgesetz der PDS vor drei Jahren hier im Hause abgelehnt worden ist.
Wir meinen, daß damals die Chance verpaßt worden ist, einen wirksamen Schutz vor rassistischer Diskriminierung zu verabschieden.
Die von der SPD und den Bündnisgrünen vorgelegten Antidiskriminierungs- bzw. Gleichbehandlungsgesetze greifen - das muß man zugestehen - viele Forderungen der Lesben- und Schwulenbewegung auf. Ich nenne nur das Benachteiligungsverbot, die arbeitsrechtliche Gleichstellung, Beweislasterleichterungen, das Verbandsklagerecht und insbesondere auch die Feststellung, daß die Förderung sozial benachteiligter Gruppen keine Diskriminierung gegenüber anderen darstellt. Es ist durchaus sehr wichtig, das hier darzustellen.
Im SPD-Entwurf ist - dazu will ich noch kurz etwas sagen - ein Gesetz über die Eingehung einer Lebenspartnerschaft enthalten. Angepriesen wird die rechtliche Gleichstellung, bzw. es wird so getan, als ob eine rechtliche Gleichstellung der homosexuellen Lebensgemeinschaft mit der Ehe präjudiziert sei. Aber das Recht auf Adoption und das Recht auf die Ausübung des gemeinsamen Sorgerechts sind explizit ausgeschlossen. Ich meine, das ist zumindest dahin gehend interpretierbar, daß Sie der Auffassung sind, daß Lesben und Schwule per se nicht in der Lage sind, Kinder zu betreuen oder zu erziehen. Ich meine, daß damit ein ganz zentrales Diskriminierungsmuster fortgesetzt wird, was wir so nicht akzeptieren können.
Der nunmehr zweite Versuch der Bündnisgrünen, das Mietrecht zu verändern, soll nun auch die auf Dauer angelegten Haushaltsgemeinschaften rechtlich absichern. Daß wir diese Initiative begrüßen, ist bekannt. Das ist gar nicht die Frage. Das Problem ist für uns nur, daß Sie, Herr Beck, implizit behaupten, daß nur, wie es heißt, auf Dauer angelegte gemeinsame Haushalte förderungswürdig seien.
Wir fragen, warum nicht alle Wohngemeinschaften mietrechtlich schützenswert sind. Wir meinen, daß die Unterscheidung zwischen auf Dauer angelegten Haushalten, wie es dort heißt, und einer Wohngemeinschaft artifiziell und eben nicht präzise bestimmbar ist.
Insgesamt stellen wir fest, daß die Gesetzesinitiativen zur Regelung von Lebensformen Flickwerk sind. Man versucht damit, einzelne Mißstände zu beheben - das ist natürlich zu begrüßen -, aber eben ohne zum Kern des Ganzen vorzustoßen. Dieser Kern - das habe ich an dieser Stelle auch oft genug gesagt - besteht darin, die ungerechtfertigten Sonderregelungen für Verheiratete anzugehen, was Sie eben nicht tun. Wir meinen - das sage ich hier zum wiederholten Male -, daß erst mit der konsequenten Abschaffung der ehelichen Privilegien eine wirkliche Gleichstellung aller Lebensweisen möglich sein wird.
Erst dann gibt es auch tatsächlich die Chance zur Freiheit der Wahl und zur gleichberechtigten Anerkennung aller Lebensformen.
Danke schön
Als letztem in der Debatte gebe ich dem Herrn Minister SchmidtJortzig das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich will nur erste und grundsätzliche Überlegungen vortragen; ohnehin kann man in fünf Minuten nicht mehr tun. Wir sind auch erst in der ersten Beratung.
Gesetze und Anträge wie die, über die wir heute sprechen, die die Diskriminierung bekämpfen sollen, sind mit Sicherheit richtig. Diskriminierung zu bekämpfen ist ein wichtiges, ein gutes, ein dringendes und ein lohnendes Ziel. Zwei Dinge allerdings müßten, wenn wir uns über gesetzliche Schritte auf diesem Feld unterhalten, schon bedacht werden.
Erstens. Man müßte das, was gut und schön ist, immer darauf prüfen, ob es in Form eines Gesetzes wirklich richtig auf den Weg gebracht ist. Es läßt sich natürlich nicht regeln, was man eigentlich im gesellschaftlichen Umfeld tun müßte. Mit einem schlichten Strich des Gesetzgebers die Lebenswirklichkeit zu verändern ist nicht möglich, jedenfalls nicht so einfach möglich, wie man es sich in meinen Augen unter anderem beim Gesetzentwurf der Grünen macht.
Zweitens. Wir sollten auch deutlich sehen, daß man Ungleiches nicht einfach nivellieren kann und dies auch gar nicht versuchen sollte. Dadurch werden nur neue Ungerechtigkeiten geschaffen. Montesquieu hat treffend gesagt:
Der Geist der Gleichheit ist vom Geist der übertriebenen Gleichheit so weit entfernt wie der Himmel von der Erde.
Dies vorausgeschickt, will ich beim SPD-Entwurf eines Gleichbehandlungsgesetzes nur etwas zu Ihrem Art. 8 sagen. Manches, was davorsteht, ist so
Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
finde ich, durchaus diskussionsfähig und -bedürftig. Anderes scheint mir auch nur eine in andere Worte gekleidete Kommentierung von Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes zu sein. Aber immerhin.
Ich finde Art. 8 Ihres Entwurfs interessant. Der Grundgedanke, Verantwortungsgemeinschaften jenseits der Ehe einen gewissen rechtlichen Rahmen zu geben, ist wirklich unterstreichens- und bedenkenswert. Aus verfassungsrechtlicher Sicht kommt aber sicher eine pauschale Gleichstellung der Ehe mit der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft vor dem Hintergrund von Art. 6 des Grundgesetzes nicht in Frage, der für die Ehe einen besonderen Schutz der staatlichen Ordnung fordert. Statt dessen sollte man erst einmal pragmatisch versuchen, für die einzelnen diskriminierenden Konstellationen unserer Rechtsordnung sachgerechte und punktgenaue Lösungen zu finden.
Im übrigen dürfen gewiß umfassendere Ansätze - ich sage das in aller Vorsicht - nicht mit einem Denkverbot belegt werden. Ich verrate auch kein Geheimnis, wenn ich sage, daß in der F.D.P. intensiv darüber nachgedacht wird, wie man im Rahmen der Verfassung die in der Tat vorhandenen Defizite mit einer Diskriminierungsvermeidungsstrategie angehen kann.
Ich halte deshalb den Vorschlag, nicht nur dem Ehepartner, sondern jedem hinterbliebenen Haushaltsangehörigen den Eintritt in den Mietvertrag zu ermöglichen, für höchst sinnvoll. Allerdings - auch das muß man nachdrücklich bedenken - müssen dann, wenn der Kreis der Personen erweitert wird, die in den Mietvertrag eintreten können, wahrscheinlich auch dem Vermieter erweiterte Kündigungsmöglichkeiten zugestanden werden, um eine ausgewogene, faire Regelung zu schaffen.
Letzter Aspekt: Der Anspruch auf Gleichbehandlung im Rechtsverkehr im Antidiskriminierungsgesetz vom Bündnis 90/Die Grünen schießt in meinen Augen weit über das in allen Absätzen des Art. 3 des Grundgesetzes verankerte Gleichbehandlungsgebot bzw. Nichtdiskriminierungsgebot bzw. Diskriminierungsverbot hinaus. Denn dieses verbietet dem Bürger Differenzierungen nicht. Das, was die Grünen veranstalten, ist typische Regelungseuphorie und Bevormundungslinie. So wird man jedenfalls nicht zur Rechtsstaatspartei.
Durch die komplizierte, pardon, durch die konzipierte -, wenn sie kompliziert wäre, wäre sie noch viel diskussionswürdiger, sie ist nicht einmal kompliziert, sondern sehr durchsichtig - Beweislastumkehr wird sogar praktisch die Vertragsfreiheit aufgehoben und ein strafbewehrter Kontrahierungszwang eingeführt.
- Herr Beck, lesen Sie Ihren Gesetzentwurf einmal wirklich kritisch durch!
Weil letztlich die bloße Behauptung einer Benachteiligung reicht, ist eine Nichtbenachteiligung kaum beweisbar. Wenn mehrere Personen mit verschiedenen Minderheitenmerkmalen konkurrieren - zum Beispiel um eine einzige Wohnung - entsteht für den Anbieter ein Pflichtenkonflikt: Die Zusage an eine Partei diskriminiert durch die Gefahr von Schadenersatzansprüchen automatisch die andere. Und schließlich: Konkurrieren Personen mit Minderheitenmerkmalen mit Personen ohne Minderheitenmerkmale, dann haben letztere immer das Nachsehen. Die berühmte Konstellation „Mensch männlichen Geschlechts, deutscher Staats- und Volkszugehörigkeit, in mittleren Jahren und gesund" wird durch Ihren Gesetzentwurf diskriminiert.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Beck?
Gerne.
Herr Minister, kommt Ihnen die Formulierung zur Beweislasterleichterung in unserem Gesetzentwurf nicht bekannt vor? Wir haben sie im Verhältnis 1:1 aus dem Arbeitsrecht § 611 a BGB, übertragen. Würden Sie mir zustimmen - Sie haben eben ein Beispiel aus dem Mietrecht angeführt; im § 611 a BGB geht es um Frauen -, daß das jetzige Arbeitsrecht nicht dazu führt, daß eine Frau, die sich auf eine Stelle bewirbt und ansonsten nur männliche Konkurrenten hat, automatisch eingestellt werden müßte? Vielmehr haben wir in der Tat noch große Probleme bei der Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Arbeitswelt, obwohl wir diese Beweislasterleichterung in diesem Bereich geschaffen haben. Würden Sie mir zustimmen, daß Ihr Beispiel in der Weise, wie Sie es interpretiert haben - wir werden das im Aussschuß en détail diskutieren können -, auf diese Rechtsfrage vielleicht gar nicht anwendbar ist? Ist es nicht vielmehr so, daß es erst dann zur Anwendung kommen kann, wenn die Glaubhaftmachung entsprechend materieller gestaltet ist, als Sie es hier angedeutet haben, und daß diese Beweislasterleichterung nicht auf jeden Bereich, auf den das Gesetz generell anwendbar ist, passen wird?
Sie dürfen nicht nur eine Frage stellen; vielmehr müssen Sie auch stehen bleiben, Herr Kollege Beck.
Es tut mir leid.
Herr Minister.
Ich würde Ihnen gerne so entgegenkommen, wie Sie erheischen, wenn Ihr Text tatsächlich so wäre, wie Sie es jetzt vorgeben. Er ist aber eben nicht so differenziert, er ist nicht abgewogen, je nach Ma-
Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
terie unterschiedlich, nämlich angemessen, vielmehr wird in ihm pauschal vorgegangen. Sie versuchen mit ihm Dinge zu dekretieren, die in ihrer Allgemeinheit für alle Lebensbereiche nicht akzeptabel sind. Sie versuchen genau das zu lancieren, was ich zuvor aufgezählt habe. Im Rechtaussschuß wird man darüber natürlich noch im einzelnen sprechen müssen. Ich sage Ihnen deutlich: So geht es nicht.
Die Quintessenz aus allem ist jedenfalls, daß diskriminierendem Fehlverhalten im Alltag nicht mit Freiheitsbeschränkungen oder umgekehrter Diskriminierung begegnet werden kann. Dies richtet sich wirklich gegen den Gesetzentwurf der Grünen für ein Antidiskriminierungsgesetz.
Der Glaube an die gesellschaftsverändernde Kraft einfacher gesetzlicher Federstriche sollte endlich zu Grabe getragen werden. Es kann nur richtig sein, wenn wir die intensive gesellschaftliche Anstrengung mit rechtlichen Dingen unterfangen. Wir sollten uns weniger als Gesetzgeber denn als Politiker und Mitbürger gefordert fühlen, Verständnis zu wekken sowie Toleranz zu fördern und vor allem selbst zu üben. Ich glaube, daß der Anstoß, den wir durch die Anträge erfahren haben, gut und diskutierenswert ist; dabei sollten wir uns aber immer um Rationalität und Augenmaß bemühen.
Besten Dank.
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/9706, 13/9961 und 13/10081 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 6. Mai 1998, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.