Rede von
Gert
Weisskirchen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fände es ganz gut, wenn wir an den Gedanken anknüpfen könnten, den wir trotz des Streites durchgängig als den richtigen Gedanken erkannt haben, nämlich: Wie kann es uns gelingen, Weißrußland zurück in die Familie der europäischen Demokratien zu führen? Das ist, glaube ich, der zentrale Punkt.
Wir haben ja Erfahrungen mit gemeinsamer Entspannungspolitik, auch mit der Politik von Helmut Kohl ab 1982, bei der er, was das Zusammenspiel von staatlichem und gesellschaftlichem Handeln anbetrifft, in gewisser Weise durchaus die Kontinuität gewahrt hat.
Der zentrale Punkt der Auseinandersetzung sollte meiner Ansicht nach der sein: Ist es richtig, daß Menschenrechte gegen Arbeitsplätze oder - umgekehrt - Arbeitsplätze gegen Menschenrechte ausgespielt werden können? Wenn ich zu entscheiden hätte, dann würde ich sagen: Da kann es kein Ausspielen geben. Im Zweifel müssen meiner Meinung nach Menschenrechte Priorität haben.
Dennoch müssen wir wissen - das wissen wir doch auch -, daß dann, wenn private Investoren - nehmen wir das Beispiel Weißrußland - in Weißrußland wirtschaftlich kooperieren, wenn dort Arbeitsplätze geschaffen werden - auch in Weißrußland ist Arbeitslosigkeit wie bei uns ein Problem -, nicht nur die Freiheit derer, die als Investoren agieren, die Freiheit der Unternehmer und die Freiheit des ökonomischen Handelns betrachtet werden kann. Vielmehr müssen wir bedenken, daß die Freiheit, die die Investoren in bezug auf die Wirtschaft nutzen, schließlich dazu führen wird, daß dieses Projekt in politische Freiheit überführt werden kann, weil nämlich Freiheit nicht geteilt werden kann.
Ich will damit nur sagen: Wenn wir uns auf diese schwierige Diskussion einlassen, dann kann man auch - unabhängig davon, wer agiert, ob es Ministerpräsident Schröder oder Ministerpräsident Stoiber ist - zu der Auffassung kommen, daß dies zu einem erwünschten Ergebnis führt, wenn - das ist der entscheidende Punkt für mich; das sage ich Ihnen ganz offen - dazu eine Praxis kommt, die so aussieht, daß zugleich auch die kritischen Gruppen innerhalb des Landes - die Demokratiebewegung, diejenigen, die Initiativen von unten entwickeln, die Nicht-Regierungsorganisationen - gestärkt werden. Das ist für mich das zentrale Kriterium.
Das habe ich so gehalten. Dafür bin ich von manchen früher ab und an mal kritisiert worden. Das halte ich auch heute so, Gerd Poppe. Das ist ein Zusammenspiel. Das ist ein schwieriger dialektischer Prozeß, bei dem es - das weiß ich sehr wohl - auch zu Mißverständnissen kommen kann. Daran besteht kein Zweifel. Natürlich kann es dabei auch zu Mißverständnissen kommen. Natürlich kann auch Herr Lukaschenko versuchen, dies zu mißbrauchen. Aber das gilt in jedem Falle, wenn so etwas gemacht wird.
Die entscheidende Frage ist: Wo hat das Land Niedersachsen zur Unterstützung der Demokratiebewegungen in Belarus beigetragen?
- Ja, das ist die entscheidende Frage. Herr Kollege Lamers, ich will Ihnen drei Beispiele nennen.
Erstes Beispiel. Nikolai Statchewitsch hat auf unserem Parteitag gesprochen. Auf welchem Parteitag der CDU hat ein Vertreter der demokratischen Opposition Weißrußlands gesprochen?
Zweites Beispiel. Es gibt eine Niederlassung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Minsk. Gibt es in Minsk Niederlassungen der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Friedrich-Naumann-Stiftung?
Drittes Beispiel. Lieber Herr Kollege Irmer, wenn Sie diesen Vorgang schon so kritisch aufspießen - das gehört zum Wahlkampf -, dann möchte ich Sie fragen: Wo, bitte schön, war Ihre Kooperation mit dem Ex-Nationalbankchef von Belarus, der kürzlich in Deutschland war? Der F.D.P. ist angeboten worden, mit ihm persönlich zu reden. Er gehört zu Ihrer Schwesterpartei, der Vereinigten Bürgerpartei. Leider - ich habe es jedenfalls nicht vernommen - gab es keinen Kontakt und keine Zusammenarbeit zwischen der F.D.P. und dem Ex-Nationalbankchef, als er in Deutschland war. Also bitte schön, wenn Sie schon kritisieren: Ich fände es ganz gut, wenn es die selbstkritischen Töne bei uns allen geben würde.
Was mich anbetrifft, sage ich noch einmal: Wenn man entscheiden muß, haben meiner Meinung nach Menschenrechte auf jeden Fall den Vorrang. Dennoch muß man wissen: Es gibt ein Zusammenspiel zwischen beiden Faktoren. Wenn dieses Zusammenspiel von uns gemeinsam genutzt wird - da muß jeder seine Rolle spielen -, dann können wir die Frage beantworten, die Sie, Herr Staatsminister, richtigerweise gestellt haben: Wie kann es uns gelingen, daß Belarus zur Familie der Demokratien in Europa zurückkehrt? Wenn uns das trotz verschiedener politischer Ansätze gelingt, dann haben beide, Opposition und Regierung - unabhängig davon, welche Parteien in den entsprechenden Funktionen sind -, das Spiel
Gert Weisskirchen
gewonnen und die Demokratie in Weißrußland gestärkt.