Rede von
Margareta
Wolf-Mayer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Vogt, auch ich möchte es wie der Kollege Schreiner nicht versäumen, Ihre durchaus verdienstvolle Rolle in der Debatte um die Beteiligung am Produktivkapital und die Vermögensbildung explizit hervorzuheben. Nur,
Margareta Wolf
Sie sind doch auf die Nase gefallen; Sie wollten doch viel mehr, als in Ihrem Gesetzentwurf enthalten ist.
Sie haben vorhin gesagt, Ihr Gesetzentwurf erfülle die Vision einer Gesellschaft von Teilhabern. Das ist nicht so. Das gesamte europäische Ausland lacht über uns. Wir haben noch immer nicht die steuerliche Gleichstellung.
- Wenn Sie das jetzt so sagen, dann relativieren Sie Ihre Aussage.
- Sie sollten hier einmal reden und nicht ständig dazwischenrufen; das wäre für Sie, verehrter Herr Kollege, wirklich eine Herausforderung.
Tatsächlich ist die Beteiligung am Produktivkapital bei uns steuerlich benachteiligt. Es gibt keine Verzahnung von betrieblicher und privater Altersvorsorge; es gibt keine Rahmenbedingungen zum Aufbau eines Kapitalstocks, um die umlagefinanzierte Rente abzusichern, auch wenn wir uns das gewünscht hätten. Sie wissen das, und wir wissen das auch.
Da Sie Scherze darüber gemacht haben, meine Erziehung sei von Nell-Breuning geleitet worden: Ich bin das älteste von sieben Kindern und komme aus einer katholischen Familie. Ein Prinzip in der Erziehung durch meine Eltern war tatsächlich, für eine möglichst breite Beteiligung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern am Produktivkapital einzutreten. Ich denke, darüber gibt es keine Scherze zu machen, verehrter Herr Kollege.
Ich glaube, daß der heute zur Beratung anstehende Gesetzentwurf nur aus Wahlkampfzwecken in der Kernzeit debattiert wird, verehrter Herr Kollege Vogt. Sie wissen genau, daß im Rahmen der bestehenden Vermögensbildung das Ziel der Altersvorsorge zu stark vernachlässigt wird. Sie wissen zudem, daß die steuerlichen Rahmenbedingungen nach wie vor die Anlage von Geldern in Produktivvermögen benachteiligen. Das können Sie auch nicht durch kleine Anpassungen im Rahmen des Vermögensbildungsgesetzes aufheben.
Ich möchte Ihnen noch etwas vorlesen, verehrter Herr Kollege Vogt. Im „Handelsblatt" vom 13. August 1997 lesen wir in einem Kommentar:
Nierentische und Isetta haben den Charme der Wirtschaftswunderjahre. Obwohl in der gleichen Ara geboren, fehlt dem heute als 936-DM-Gesetz bekannten Sparmodell dieser Sex-Appeal.
Diesen Sex-Appeal erreichen Sie auch nicht, indem Sie jetzt im Rahmen dieses Gesetzes ein paar Mark drauflegen.
Ihr Gesetzentwurf macht deutlich, daß Sie ein Thema, das in der Tat das gesamtgesellschaftliche Gleichgewicht betrifft, zu Wahlkampfzwecken funktionalisieren. Darin lesen wir - Zitat -:
Individuelles Eigentum ist eine wesentliche Grundlage persönlicher Freiheit und Vorsorge und damit eine tragende Säule unserer Sozialen Marktwirtschaft. Eine breite Streuung des Eigentums ... festigt unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.
Richtig, absoluter Konsens. Aber wie sieht denn die Realität in diesem Lande aus? Es stimmt doch einfach nicht, daß sich die Verteilungssituation in diesem Land verbessert hat. Im Gegenteil, Herr Vogt und Herr Louven, und das wissen auch Sie.
Schauen Sie sich die gesamtwirtschaftlichen Daten an, Vergleich 1992 und 1997. Da sehen Sie: Bei einem Anstieg des Bruttoinlandsproduktes um 16,9 Prozent erhöhten sich die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen netto um 46,8 Prozent, die Lohn- und Gehaltssumme hingegen stieg nur um 3,1 Prozent. Die Zahl der Beschäftigten - das ist bekannt - ging dramatisch zurück, und trotzdem lag das Aufkommen aus veranlagter Einkommen-, Kapitalertrag- .und Körperschaftsteuer mit einem Minus von 6,9 Prozent unter dem Niveau von 1992. Das Lohnsteueraufkommen ist um 20 Prozent gestiegen. - Da können Sie doch nicht sagen, daß wir es mit einer Verteilungsgerechtigkeit zu tun hätten oder daß wir auf dem Weg seien, diese zu erreichen! Die Sachverständigen sagten Ihnen doch auch in der Anhörung, daß 80 Prozent des Produktivvermögens in der Hand von nur 3 Prozent der Bevölkerung liegen, daß heute 32 Prozent der Gewinne aus Kapitalanlagen lediglich 3 Prozent der Bevölkerung zugehen.
Deshalb sagen wir: Dieses Gesetz ist ein Placebo, weil es nicht die Beteiligung am Produktivkapital fördern wird. Diese können Sie nur fördern, wenn Sie eine Gleichstellung aller Anlageformen vornehmen, wenn Sie die Vorsorgeaufwendungen steuerlich absetzbar machen, wenn Sie die betriebliche und die private Vorsorge gleichstellen. Sie beziehen sich doch immer gerne auf Amerika und Großbritannien. Wenn Sie das in diesem Fall einmal täten, wäre ich wirklich sehr froh.
Man bezieht sich hier immer auf die Verbände, wie das nach einer Anhörung Usus ist. Die Verbände haben Ihnen in dieser Anhörung und mir und Frau Frick auch noch vor der Tür gesagt, der Gesetzentwurf sei unbefriedigend, er greife zu kurz, die vorgesehene Schaffung der zwei Fördertöpfe - lesen Sie sich die Stellungnahmen der BDA und des DIHT durch - sei abzulehnen, weil sie zu hohen administrativen Aufwendungen führe, im Vergleich zum Ist-Zustand seien die Rahmenbedingungen für die Beteiligung am Produktivkapital in Ihrem Gesetzentwurf
Margareta Wolf
schlechter geworden, und insgesamt fehle ein schlüssiges Konzept zur Stärkung der privaten und der betrieblichen Altersvorsorge. Für mich, verehrter Herr Kollege Vogt, sind die Stellungnahmen fast ausnahmslos eine resignativ, aber freundlich formulierte Ohrfeige.
Noch ein Wort zum Osten. Selbst wenn Sie für die Menschen im Osten eine maximale Förderung pro Person und Jahr von zusätzlich 40 DM bis zum Jahr 2004 vorsehen, so können Sie doch nicht wirklich glauben, daß man so den überdeutlichen Fehlentwicklungen im Osten entgegenwirken kann. Das wirkt wie ein zweites Begrüßungsgeld. Nach dem Wahlergebnis vom letzten Wochenende sollten Sie sich Gedanken darüber machen, welche metaphorischen und symbolischen Signale Sie tatsächlich in den Osten senden. Dieses ist für meine Begriffe kein gutes Signal.
Sehr geehrter Herr Kollege Vogt, Sie haben mich gefragt, warum wir Ihre Steuerreform abgelehnt haben. Sie wissen ganz genau, daß wir Ihre Steuerreform abgelehnt haben, weil sie nicht sozial gerecht ist und nicht die Transparenz hat, die wir uns gewünscht hätten, weil sie sich nicht aus sich selbst finanziert - Sie wollen eine Nettoentlastung von 30 Milliarden DM; das ist ein ungedeckter Scheck zu Lasten der nächsten Generationen - und weil zudem in ihr die Anlageformen steuerlich nicht gleichgestellt werden. Ich weiß, daß es zwischen Ihrem Steuerreformkonzept und unserem viele Parallelen gibt. Nur, wir lügen den Leuten nichts vor und verfahren nicht nach dem Motto: Aus der einen Tasche wird ihnen genommen, in die andere Tasche wird ihnen gegeben. Diese Umverteilung haben Sie ja bei der Mehrwertsteuer schon wieder exemplarisch vorgeführt.
Wir wollen eine sozial gerechte und transparente Einkommensteuerreform. Dann steigen die Nettolöhne in Deutschland, dann wird die Gerechtigkeitslücke geschlossen, und dann haben die Menschen endlich wieder genug Geld in ihrer Tasche, um tatsächlich eine Vorsorge zu betreiben, die diesen Namen auch verdient. Es besteht in diesem Hause überhaupt kein Zweifel darüber, daß wir eine Reform der Vermögensbildung brauchen und eine Brücke zwischen Kapital und Arbeit bauen müssen. Wir haben in unserem Einkommensteuerkonzept die Grundlagen für eine wirkliche Reform der Vermögensbildung gelegt.
Wir glauben, daß sich die Vermögensbildung mitnichten für Wahlkampfzwecke eignet. Wir müssen im Rahmen der Einkommensteuer die Möglichkeiten für eine wirkliche Vermögensbildung schaffen. Diese Rahmenbedingungen haben wir in unserem Entschließungsantrag in den Vordergrund gestellt. Wir rücken bei der Reform der Vermögensbildung die Funktion in den Mittelpunkt, die der Aufbau eines Vermögens für viele Menschen hat: Ihnen dient es als sicheres Polster für die Zukunft. Sie wissen doch selber, daß das 936-DM-Gesetz dazu geführt hat, daß sich die Leute die Mittel nach der Bindungsfrist haben ausschütten lassen und in Urlaub gefahren sind. Was das mit Vermögensbildung zu tun hat, verstehe ich nicht so recht. Ich sehe auch nicht, daß sich das ändert. Neue attraktive Formen der Vermögensbildung sind vor allem angesichts der zu erwartenden Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur und den Auswirkungen auf die Alterssicherung dringend geboten.
- Diesen Gag mit den Flugreisen kann ich nicht mehr hören. Wir haben uns davon distanziert. Das ist die Einzelmeinung einer Abgeordneten gewesen. Ich kann es nicht mehr hören.
- Das ist eine gute Idee, daß Frau Albowitz bei jedem Flug mehr bezahlt.
[BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Das Doppelte!)
Wir legen einen Vorschlag vor, der tatsächlich das klare Ziel verfolgt, die Altersvorsorge zu verbessern. Wir stellen die Beiträge
- Sie können hier gerne einmal zu einem Sozialthema reden, Frau Albowitz, das wäre wirklich ganz schön -,
die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für ihre Vorsorge abführen, bis zur Beitragsbemessungsgrenze in der Sozialversicherung von der Besteuerung frei. Hierzu zählen die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung wie auch private Aufwendungen für die Vorsorge. Insgesamt können so im Monat zirka 2 500 DM für die Vorsorge aufgewendet werden. Der Arbeitgeber kann die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dabei unterstützen. Werden Erträge aus einer Kapitalanlage thesauriert, das heißt: wieder angelegt und nicht entnommen, werden sie ebenfalls von der Besteuerung freigestellt, wenn sie nicht die Beitragsbemessungsgrenze überschreiten.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Wir beziehen die Vermögensbildung nicht nur auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Durch die Verankerung im Steuerrecht stellen wir Selbständige und abhängig Beschäftigte bei der Besteuerung gleich. So entwickeln wir die Vermögensbildung - das ist eine tatsächliche Reform - weiter und ergänzen das bisherige System der Alterssicherung, wie wir glauben, sinnvoll. Das glauben auch viele Verbände; sie haben uns das vor der Tür gesagt.
Wir glauben, daß die Bevölkerung in ihrem Bemühen, Vermögen aufzubauen, unterstützt werden muß und die umlagefinanzierte Altersvorsorge sinnvoll ergänzt werden muß. Um Existenzgründungen zu er-
Margareta Wolf
mutigen, stellen wir die Selbständigen gleich. Selbst Herr Herzog sagte ja gestern abend, daß die Rahmenbedingungen für Existenzgründungen in diesem Land nicht richtig gesetzt sind. So denke ich, daß wir mit dem Prinzip, daß wir auch Selbständige bei der Altersvorsorge steuerlich entlasten, tatsächlich mehr Existenzgründungen evozieren könnten.
Sie hatten tatsächlich 15 Jahre Zeit, Rahmenbedingungen für einen Brückenbau zwischen Kapital und Arbeit zu schaffen. Sie haben es nicht getan. Hierzu möchte ich Ihnen etwas sagen. Gabor Steingart hat neulich - es war, wie ich glaube, vor zwei Monaten - einen sehr schönen und spannenden Essay im „Spiegel" geschrieben. Dort heißt es: Wenn man die Rahmenbedingungen für die Beteiligung am Produktivkapital - ich meine jetzt die steuerliche Gleichstellung - Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre gesetzt hätte und sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit nur 2 Prozent ihrer Lohnerhöhungen am Produktivkapital der Betriebe beteiligt hätten, dann wären heute 365 Milliarden DM in der Hand von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und dann hätten Sie die Brücke zwischen Kapital und Arbeit und nicht eine „Deutschland AG". Man hätte nur 2 Prozent der Lohnerhöhungen in Produktivkapital investieren müssen, und wir wären heute in einer anderen Situation und auch vor dem Hintergrund der Globalisierung besser gerüstet, als wir das im Moment sind.
Meine Damen und Herren, Ludwig Erhard hat gesagt: Eine breite Streuung des Eigentums entspricht dem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft. Sie ist die Voraussetzung und die Grundlage, Herr Kollege Schreiner, sozialer Gerechtigkeit und wesentliche Voraussetzung für Sicherheit und Wohlstand breiter Bevölkerungsteile. Vielen Menschen dient ein Vermögen als sicheres Polster für die Zukunft, vor allen Dingen als Vorsorge für das Alter. Das wissen auch Sie.
Diesem Anliegen folgt unser Entschließungsantrag. Ich würde mich freuen, wenn Sie diesem Entschließungsantrag zustimmen könnten, verehrter Herr Kollege Vogt. Ich weiß, daß Sie das gleiche Ziel verfolgen. Sie konnten sich als CDA-Vertreter in Ihrer Fraktion jedoch nicht durchsetzen. Ihr Gesetzentwurf ist und bleibt ein Placebo. Sie bleiben zwar im rechtlichen Rahmen, aber Ihr Vorschlag stellt überhaupt keine Reform der Altersvorsorge und der Vermögensbildung dar. Er ist eine Geschichte, die Sie jetzt im Rahmen des Wahlkampfes hochzoomen. Normalerweise, wenn wir nicht im Wahlkampf wären, hätten wir donnerstags abends um 21 Uhr über diese Novelle gesprochen. Gut, jetzt sind wir im Wahlkampf.
Wir setzen auf Vermögensbildung, wir setzen auf steuerliche Gleichstellung der Anlageformen. Wir setzen auf die Verzahnung von betrieblicher und privater Altersvorsorge, und wir setzen auf steuerliche
Anreize, die die private Altersvorsorge stärken, um die umlagefinanzierte Rente zu sichern. Das ist ein Angebot, das die Jugend in unserem Land von uns erwartet. Sie glaubt nämlich nicht mehr daran, daß sie, die heute die Beiträge einzahlt, später entsprechende Renten bezieht.
Lesen Sie Meinhard Miegel, der sagt: Die umlagefinanzierte Rente allein ist ein Kapitalvernichtungsprogramm. Wir wollen deshalb hin zu einer zweiten Säule, die private Altersvorsorge heißt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.