Rede von
Heidemarie
Wright
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren Minister - wollte ich jetzt eigentlich sagen. Keine Angst, das ist natürlich nur ein rhetorischer Einwurf. Ich weiß, es ist eine ungünstige Zeit. Aber ich meine, die einmal im Jahr stattfindende Walddebatte ist so wichtig, daß sie auch die Anwesenheit von Ministern erfordert.
- Sehr richtig. Das liegt an der Zeit. Ich will damit nur die Wichtigkeit des Themas unterstreichen.
Auch der Landwirtschaftsminister ist nicht da. Somit, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hinsken, werden Sie jetzt alles auf sich nehmen müssen.
Ich denke, die Wald- und Forstpolitik verlangt einen vernetzten Handlungsrahmen. Diesen vernetzten Handlungsrahmen hat der Landwirtschaftsminister, in dessen Verantwortungsbereich er fallen würde, nicht geschaffen. Da es in den vielen Jahren Ihrer Politikverantwortung gerade an dieser Vernetzung mangelte, muß ich in der letzten Walddebatte der 13. Legislaturperiode und der letzten Walddebatte Ihrer Regierungsverantwortung rundum ein schlechtes Fazit ziehen.
Wir haben heute bei der Debatte über den Waldbericht und über die Waldzustandsberichte von 1996 und 1997 auch den ersten Waldbodenbericht im Hinterkopf, der dem Haus noch nicht vorgelegt worden ist, der uns aber - Sie haben es selber erwähnt, Herr Parlamentarischer Staatssekretär - auf den Nägeln brennt und uns ins Gewissen redet. Der Waldbodenbericht besagt, daß der Waldboden als Schadstoffdeponie für Einträge aus der Luft und für den Eintrag von saurem Regen in einem sehr schlechten Zustand ist.
Wenn die vielen Berichte nicht nur ein großer bürokratischer Aufwand zur Beschäftigung der Wissenschaftler und Beamten und zur Beruhigung der Öffentlichkeit und der Politiker sein sollen, hätten Sie in Ihrer Regierungskoalition aus den berichtlichen Erkenntnissen politische Konsequenzen ziehen müssen. Der Minister ist jedoch im Berichtedschungel zum Papiertiger geworden.
Lassen Sie mich etwas zur Wald- und Forstpolitik der letzten eineinhalb Jahrzehnte ausführen. Diese Politik ist geprägt von einem Zuspätkommen, von einem Zuspätreagieren statt von einem Vorausschauend-Agieren. Zu spät wurden die Waldschäden beachtet. Wo ist die Verantwortung des Herrn Landwirtschaftsministers und seine Durchsetzungskraft in diesem wichtigen Bereich? Zu spät und insbesondere
Heidi Wright
zu halbherzig wurde Schadstoffminimierungspolitik betrieben. Wo ist die Barriere, auf die die Frau Umweltministerin zum Schutz von Luft und Wasser, zum Schutz des Klimas und der Atmosphäre gestiegen ist?
Zu spät, Herr Hinsken, wurde das große wirtschaftliche Potential des nachwachsenden Rohstoffes Nummer eins über das reine Stammholz hinaus erschlossen. Zum Beispiel beim Holzbau: Es stehen in Deutschland schmucke Holzhäuser. Aber die sind aus Skandinavien und Österreich. Auch die energetische Verwertung von Holz gibt es noch viel zuwenig. Zudem ist die Technik aus Österreich. Und es gibt zwar erste Ansätze zur modernen Zellstoffproduktion, nur haben uns auch da die Skandinavier den Rang abgelaufen - zu spät! Das würde in den Bereich des Herrn Wirtschaftsministers fallen. Hier hätte er ein breit gefächertes Betätigungsfeld für Innovationen und Arbeitsplätze gehabt.
Ich will noch den Bereich des Finanzministers ansprechen. Auch er ist längst zu spät gekommen. Mit einer ökologischen Steuerreform hätte er prima mitgeholfen, den nachwachsenden Rohstoff Nummer eins, das Holz, zu fördern,
die Umwelt zu entlasten und Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen.
Es wäre die Aufgabe von Herrn Minister Borchert gewesen, all diese Politikbereiche zusammenzufassen - jedoch: zu spät!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden weiter zu spät kommen bei der Fortentwicklung und offensiven Förderung von Anlagen zur energetischen Nutzung von Holz, zum Beispiel im Bereich der Holzpyrolyse. Die Förderung für Holzhackschnitzelheizanlagen ist so knapp bemessen, daß sich rasch ein enormer Antragsüberhang ergab. Es wurde zwar ein „Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien" aufgelegt; aber für die Jahre 1995 bis 1998, also für drei Jahre, standen ganze 100 Millionen DM zur Verfügung. Da lacht der Herr Rühe nur, weil er weiß, daß ein dreiviertel Eurofighter gar nicht fliegt. Als man erkannte, daß das zu knapp bemessene Marktanreizprogramm zu gering ausgestattet war, hat man den Förderschwerpunkt flugs auf 50 kW/h pro Holzverbrennungsanlage angehoben, so daß also der kleine Häuslebauer leer ausgeht. Nein, dies ist kein verläßliches Förderprogramm für den nachwachsenden Rohstoff Nummer eins, das Holz.
Wir werden weiter zu spät kommen, zum Beispiel bei der Erhaltung der Arbeitsplätze im Forstbereich. In diesem Bereich wird ohne Rücksicht auf Fach- und Sachkenntnis auf Teufel komm raus eingespart, und Personalstrukturen werden zerschlagen. Ob in der Bundesforstverwaltung oder über die Länderschiene - ich bin aktuell von der bayerischen Forstreform geschädigt -, Arbeitskraft ist nicht mehr Sach- und Fachkompetenz, sondern nur noch Kostenfaktor.
Bei alledem wundert es nicht, daß das Landwirtschaftsministerium den Anschluß an ein internationales Zertifizierungssystem, das unter anderem auch den Arbeitsplatzfaktor berücksichtigt, nicht befürwortet. Wie gesagt, wir werden auch hier wieder zu spät kommen, werden wieder später sein als die Skandinavier und die Kanadier, Holzländer mithin, die uns mit der Zertifizierungsoffensive den Rang ablaufen werden. Notwendig wäre eine Zertifizierung, die über die nationale Angabe „gewachsen in Deutschlands Wäldern" - die ich für richtig halte - hinaus die ökologische Wirtschaftsweise beachtet und neben wirtschaftlichen Kriterien gerade auch die sozialen Kriterien der Arbeitsplätze im Blick hat.
Ich gebe die Hoffnung noch nicht auf, daß mit dem erweiterten Holzabsatzfonds, der von der groben Zielsetzung her sehr wohl unsere Zustimmung - auch die meine - findet, aber in der Ausdifferenzierung Mängel aufweist, doch noch Schritte zum Anschluß an das internationale Zertifizierungssystem unternommen werden. Wenn das vom Deutschen Forstwirtschaftsrat entwickelte Kennzeichen in dem neuen Forstabsatzfonds nun in seiner Weiterentwicklung zu einem „Nachhaltigkeitskennzeichen" werden soll, bricht sich hier eine sinnvolle Entwicklung Bahn. Jedoch: Statt sich offensiv anzuschließen, wurde hier zu lange gezaudert. Aber so ist sie nun einmal, unsere deutsche Wald- und Forstpolitik der letzten eineinhalb Jahrzehnte: zu schwach, zu spät, zu wenig koordiniert, zu träge und zu bieder.
- Zu bieder, Herr Heinrich, ich wiederhole es.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, darauf, daß die Schutzfunktion des Waldes für Wasser und Luft und den Lebensraum nicht mehr gegeben ist, wird eine meiner Fraktionskolleginnen noch zu sprechen kommen. Zu den internationalen Vereinbarungen von mir nur so viel: Es müßten Ihnen in der Regierungskoalition ja ständig die Ohren klingen, ja, Sie müßten schon Ohrensausen haben, wenn Sie allerorten - ob in Rio oder New York, ob in Kyoto und letzte Woche in Chester - diese Beschwörungen zum Klimaschutz hören. Es müßte doch inzwischen jedem klar sein: Klimaschutz kann ohne Schutz der Wälder, ohne Schutz der Waldböden nicht funktionieren.
Wenn dann immer wieder versucht wird, die Schadensentwicklung der Wälder schönzureden, ist das an langen Linien und in der Schau der verschiedenen Baumarten leider nicht nachzuvollziehen. Wir sind jetzt auf dem Schadensniveau von 1986, allerdings nur bei den Nadelbäumen. Bei den Laubbäumen haben wir steigende und alarmierende schlimme Tendenzen.
Und die Analyse des Waldbodenberichtes zeigt mit erhobenem Zeigefinger auf künftige Entwicklungen: Einer überreichlichen Stickstoffversorgung stehen eine Phosphorunterversorgung und eine Versauerung der Böden gegenüber. Das ist alarmierend für den Bodenzustand und für den Wald insgesamt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluß: Längst ist klar: Baum ab - das ist keine Waldschutz-
Heidi Wright
politik. Der jährliche Zuwachs in den deutschen Wäldern - Herr Hinsken hat darauf hingewiesen - wird jedoch nicht ausreichend genutzt, und die forstwirtschaftliche Ertragslage ist nach Angaben des BML schlecht.
Neue Marktchancen sind nur unzureichend genutzt worden, was dazu führt, daß zum Beispiel im Bereich des Schwachholzes lediglich eine Ausschöpfung von 52 Prozent vorliegt, während beim Stammholz eine Ausschöpfung von 83 Prozent erreicht wird. In den neuen Bundesländern, zum Beispiel in Thüringen, liegt die Ausnutzung von Holz insgesamt nur bei 37 Prozent. Kein Wunder, daß man dort auf keinen grünen Zweig kommt. Hier wird der Satz wahr, der da heißt: Mangelnde Ökonomie schadet auch der Ökologie des Waldes. Mit einer gesunden Ökonomie für das große Potential unserer Wälder könnten wir auch die ökologischen Notwendigkeiten stärker zur Anwendung bringen - weil besser finanzieren. Mein letzter Satz: Allein, es bräuchte auch hier den entsprechenden politischen Willen und somit die dringend notwendige politische Erneuerung.
Vielen Dank.