Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da Parlamentsdebatte auch Dialog ist, will ich gleich mit einer Rückfrage an Ihre Rede, Herr Kollege Müller, anschließen. Wieviel Beteiligung am Produktivkapital hatten die Arbeitnehmer in der DDR?
- Ja, null. Sie waren so beteiligt, wie ich früher an der Deutschen Bundesbahn beteiligt war. Da war ich auch Miteigentümer.
- Oder beim Finanzamt. Da bin ich auch Miteigentümer.
Ich muß das Thema 1. Mai kurz aufgreifen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage als jemand, der seit 50 Jahren Mitglied der IG-Metall ist, also Beitrag zahlt: Für die 8 Millionen DM, die der DGB für den Wahlkampf einsetzt, hätte ich drei bessere Vorschläge: Erstens. Die Betriebsrente der DGB-Beschäftigten nicht abbauen.
Zweitens. Nicht 600 Arbeitsplätze abbauen und dann Einstellungen verkünden.
Drittens. Wenn dem DGB gar nichts mehr einfällt, sollte der DGB Lehrlinge einstellen.
Nun zum Thema Vermögensbildung. Meine Damen und Herren, für mich ist das Gesetz mehr als nur ein Gesetz über Geld, Zulagen und Einkommensgrenzen. Dieses Gesetz hat für mich drei wichtige Gründe. Der erste ist ein ordnungspolitischer Grund: Eine Arbeitnehmergesellschaft zur Gesellschaft der Beteiligten weiterzuentwickeln ist der Sinn der Beteiligung der Arbeitnehmer an der Vermögensbildung.
Das ist mehr, als nur Geld zu verteilen. Dahinter steht eine Idee.
Der zweite Grund ist ein verteilungspolitischer: Die Tarifverträge erhalten neue Handlungsräume und Gestaltungsmöglichkeiten.
Der dritte Grund ist ein sicherungspolitischer: Die Solidarsysteme werden durch privates Eigentum ergänzt.
Hinter allen drei Gründen verbirgt sich eine Vorstellung davon, wie die Gesellschaft der Zukunft aussehen soll. Karl Marx hat den Arbeitsvertrag als Tauschvertrag attackiert, der die Arbeit zur Ware degradiert. Nun wird niemand bestreiten, daß sich der Arbeitsvertrag inzwischen weiterentwickelt hat, daß er Sozialbezüge aufgenommen hat. Aber in seiner Grundstruktur ist er immer noch ein Tauschvertrag: Arbeit für Lohn oder Lohn für Arbeit. Eine Gesellschaft von Miteigentümern würde den Arbeitsvertrag zu einem echten Gesellschaftsvertrag weiterentwikkeln. Das ist die Überwindung dessen, was Karl Marx attackiert hat. Das ist unser Ziel.
In unserer Gesellschaft wird immer nach Visionen gefragt. Wahrscheinlich ist der Bedarf an Visionen um so größer, je härter die Sachzwänge werden.
- Langsam! Sie haben sich heute doch als Antipolemiker geoutet. Bleiben Sie doch Ihrem eigenen guten Vorsatz treu! - Ich finde, daß gerade in Zeiten großer Zwänge Phantasie gefragt ist. Die Phantasie, neue Handlungsfelder für eine freiheitliche Gesellschaft zu finden, landet oft im Nirwana der Utopie. Oder es gibt Resignation: Jeder sorgt für sich selber. Was wir hier vorschlagen, ist nicht die abstrakte Vision eines Paradieses, noch ist es die Politik „Jeder sorgt für sich selber", sondern die konkrete Utopie einer Gesellschaft der Beteiligten.
Wir müssen, Schritt für Schritt das Projekt der Beteiligtengesellschaft verwirklichen. Beteiligtengesellschaft ist auch im Zeitalter der Globalisierung ein wichtiges Ziel. Jener Standort wird die besten Voraussetzungen haben, dessen Arbeitnehmer am stärksten motiviert sind. Miteigentum ist auch eine Motivationsgrundlage.
Karl Marx hat die klassenlose Gesellschaft verkündet, Ludwig Erhard hat die klassenlose Gesellschaft zum Ziel erklärt. Sie hatten nur zwei unterschiedliche Wege. Die klassenlose Gesellschaft nach Karl Marx bedeutet: Keiner hat Eigentum. Die klassenlose Gesellschaft Ludwig Erhards bedeutet: Jeder hat Eigentum. Das ist der Unterschied.
Damit wir uns darüber nicht streiten, will ich zur Verteilungsgerechtigkeit feststellen, daß die Vermögensverteilung in der Bundesrepublik Deutschland
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
nicht befriedigend ist. Die Zahl hinsichtlich des Produktivkapitals ist genannt worden: 3 Prozent besitzen 80 Prozent des Produktivkapitals. Das kann nicht das Spiegelbild von Leistungsgerechtigkeit sein.
Ich will festhalten, daß wir nicht rückwärts marschiert sind: 1962 hatten 38 Prozent der westdeutschen Haushalte Grundvermögen; heute sind es 50 Prozent. 1962 traf dies auf 31 Prozent der Arbeitnehmer zu; heute gilt es für 52 Prozent. Die Hälfte der privaten Haushalte besitzt Wertpapiere. Das ist alles kein Grund, um zufrieden zu sein. Aber ich will, wie der Kollege Vogt, darauf aufmerksam machen: Als wir 1982 die Regierung übernahmen, waren 2 Prozent der vermögenswirksamen Leistungen im Beteiligungssparen angelegt; heute sind es 10 Prozent.
Das ist immer noch zuwenig, aber wir sind einen Schritt vorangekommen. Größere Schritte müssen folgen.
Solange die Tarifpolitik nur den konsumtiven Teil des volkswirtschaftlichen Ergebnisses ins Auge faßt, ist sie immer zweiter Sieger. Da kann sie machen, was sie will. Wenn sie den Spielraum überschreitet, kommt es entweder zu Preissteigerungen oder zu Entlassungen. Eine Tarifpolitik ohne investive Beteiligung ist ein gefesselter Riese: Er ist entweder gefesselt durch das Bestreben, Inflation zu vermeiden - was haben Arbeitnehmer von Lohnerhöhungen, die durch Preissteigerungen wieder aufgefressen werden? -, oder er ist gefesselt durch die Gefahr sinkender Beschäftigung.
Insofern ist dieser Gesetzentwurf auch ein Angebot an die Tarifpartner, neue Chancen zu nutzen. Die Tarifpolitik wird auf den alten Gleisen nicht mehr so spektakulär verlaufen. Neue Spielräume schaffen auch eine neue Akzeptanz der Tarifpolitik und zeigen, daß wirtschaftliche Notwendigkeiten und soziale Erfordernisse keine Gegensätze sind, daß dieses Gesetz den Unternehmen helfen - Verbreiterung der Kapitalbasis - und genauso Arbeitnehmern zugute kommen wird.
Ein Investivlohn könnte auch das überwinden, was Oswald von Nell-Breuning einmal den „Abfindungslohn" genannt hat. Eine investive Ertragsbeteiligung könnte auch die Lohnpolitik mit neuen Chancen versehen. Ein Festlohn, der im voraus vereinbart wird, und daneben ein ertragsabhängiger Investivlohn - das wäre ein Kombi-Lohn ganz neuer Art und würde die Ängste beider Seiten, über den Tisch gezogen zu werden, entkrampfen. Also, wer sagt, wir hätten keine Ideen? Das ist eine neue Idee. Nur brauchen wir nicht diejenigen, die Ideen besprechen, sondern diejenigen, die sie umsetzen.
Für jährlich bis zu 800 DM erhöhen wir die Förderung des Beteiligungssparens auf 20 Prozent. Hier setzen wir einen Akzent. Tarifverträge, die auf Bausparen und Beteiligungssparen abstellen, können
diese erhöhte Förderung bis zu 800 DM in Anspruch nehmen. Für die neuen Länder gilt ein höherer Höchstbetrag - eine Folge der DDR-Wirtschaft: Der Sozialismus hat in bezug auf Eigentum Arbeitnehmer mit leeren Händen hinterlassen. Das ist das Ergebnis des Sozialismus.
Ich habe als Punkte bis jetzt genannt: Ordnungspolitik - Gesellschaft der Beteiligten; Verteilungspolitik - neue Spielräume für die Tarifpartner, neue Chancen für die Gerechtigkeit. Der dritte Punkt ist: soziale Sicherheit.
Das unverzichtbare Solidarsystem kann und muß durch private Vorsorge ergänzt werden. Eigentumsbildung - Beteiligung am Produktivvermögen, Wohnungseigentum - ist eine elementare Ergänzung der Solidarsysteme. Ein Rentner mit einer eigenen Wohnung steht sich besser als ein Rentner ohne eigene Wohnung, weil er keine Miete zahlen muß, selbst wenn der ohne eigene Wohnung eine höhere Rente hat. Das ist ganz handfest!
Hinzukommen müssen eine betriebliche Altersversorgung und eine private Altersvorsorge. Wir wollen in der nächsten Legislaturperiode auch dieses Feld ordnen. Hätten wir die Steuerreform durchgebracht, hätten wir es jetzt schon machen können. Es ist nicht an uns gescheitert. Die Grundidee ist: Sparen nicht nur für den Konsum. Es sei jedem gegönnt, daß er für ein Auto spart. Nur, zur Alterssicherung trägt das Auto nicht bei.
Es muß auch für die Sicherheit im Alter gespart werden - Sicherheit, die nicht nur auf Arbeitnehmer beschränkt bleiben darf, sondern für alle Bürgerinnen und Bürger anzustreben ist.
Die Einkommensgrenzen werden erhöht, wobei ich darauf aufmerksam mache, daß sich die Einkommensgrenzen, die genannt wurden - für Verheiratete steigt die Grenze von 54 000 auf 70 000 DM -, auf das zu versteuernde Einkommen beziehen, so daß die Bruttobeträge höher sind, nämlich jetzt 41 000 DM für Alleinstehende bzw. 80 000 DM für Verheiratete.
Meine Damen und Herren, wir müssen die Diskussion von der Höhe der Philosophie wieder auf den Boden der Tatsachen bringen.
- Reizen Sie mich nicht! Sie sind doch die Partei der Ideologie. Bringen Sie den Schröder einmal auf den Boden der Tatsachen zurück! Der ist doch Tag und Nacht in Wolkenkuckucksheim daheim.
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Ich versuche hier, die hohen Absichten in handfeste Ergebnisse umzuwandeln: 800 DM Höchstbetrag mit 20 Prozent Förderung würden nach sieben Jahren 7 000 DM, nach 25 Jahren - 6 Prozent Zinseszins mit eingerechnet - 50 000 DM ergeben. Das ist ein Schritt - ich sage nicht, die Lösung aller Probleme - im Sinne von Fortschritt. Konkret ist es nicht die heiße Luft Ihrer Erklärungen, sondern handfester Fortschritt.
Kollege Schreiner, wenn Sie das Gesetz mit über einer Milliarde DM Förderung durch den Staat ablehnen, dann müssen Sie den Arbeitnehmern erklären, warum Sie auf eine Milliarde DM verzichten - nur damit der CDU/CSU-F.D.P.-Vorschlag nicht durchkommt.
Wenn Sie das machen, auf eine Milliarde DM zu Lasten der Arbeitnehmer verzichten, dann sagen Sie noch einmal, wir würden Wahlkampftaktik machen! Dann sind Sie nämlich diejenigen, die um der Konfrontation willen einen Fortschritt für die Arbeitnehmer verhindern. Das tragen wir dann aus.
Was die Steuerfreistellung anbelangt - ein großes, kompliziertes Thema -, kann ich den sozialpolitischen Sinn nicht erkennen, wenn man die Lohnsteuerpauschale auf das Beteiligungssparen ausdehnt, denn von der Lohnsteuerpauschale haben die höheren Einkommensbezieher etwas. Ich habe ja nichts dagegen. Nur, wer wie Sie und wie ich auch an diejenigen denkt, die nicht aus eigener Kraft Vorsorge schaffen, der muß doch den Akzent bei anderen setzen, bei der Verkäuferin mit 1 800 DM Monatslohn. Da hilft auch nicht die Rede von der Selbstvorsorge. Sie muß unterstützt werden, damit sie selbst auch vorsorgen kann.
So habe ich übrigens Subsidiarität immer verstanden. Das wird manchmal mit Eigenvorsorge übersetzt. Das halte ich für einen Kurzschluß.
„Hilfe zur Selbsthilfe" - Subsidiarität stammt von dem Begriff „subsidium" ab. Diejenigen zu unterstützen, die es aus eigener Kraft nicht schaffen, das ist ein Gebot der Subsidiarität. Das ist Ziel dieses Gesetzes und sicherlich auch der steuerlichen Maßnahmen, die wir hoffentlich in der nächsten Legislaturperiode - in dieser haben wir es nicht geschafft - schaffen werden.
- Sie brauchen nicht amen zu sagen, Herr Fischer, es wäre gut, wenn Sie ja sagen würden. Amen brauchen Sie nicht zu sagen, ja müssen Sie sagen!
Eine Kultur der Selbständigkeit begreife ich nicht nur arbeitsrechtlich, finanz- und steuerrechtlich. Ich begreife sie als eine Kultur des Selbstbewußtseins von jedermann, daß er oder sie Herr seiner eigenen Lage ist. Das ist nicht nur eine wirtschaftliche Kategorie. Selbständigkeit der Arbeitnehmer in Betrieben bedeutet, Mitverantwortung zu übernehmen. Selbständigkeit bedeutet auch, Miteigentümer zu werden und nicht immer auf andere angewiesen zu sein. Insofern glaube ich, daß es ein Beitrag zur Weiterentwicklung unserer Gesellschaft ist.
Der Sozialismus ist passé. Aber es wäre ein Trugschluß, jetzt vom Ende der Geschichte zu sprechen.
Es wäre auch ein Irrtum, zu glauben, unsere Gesellschaft würde nicht unter Rechtfertigungszwängen stehen - Rechtfertigungszwänge einer freien und gerechten Gesellschaft.
Ich will auch Wolfgang Vogt danken. Er hat von den „großen Bohrern" gesprochen. Ich hoffe, Wolfgang Vogt, daß wir auch in der nächsten Legislaturperiode kräftige Mitkämpfer haben, so wie du einer warst, für eine gerechte Gesellschaft, für eine Gesellschaft der Mitbeteiligten. Ich bin wie du stolz darauf, daß die Idee des Miteigentums eine ureigene Idee der christlichen Soziallehre ist: nicht im Himmel und im Jenseits, sondern hier und jetzt. Insofern ist das ein guter Tag, auch für die christlich-soziale Bewegung.