Rede von
Dr.
Maria
Böhmer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Wir können jetzt natürlich ein Frage-Antwort-Spiel machen. Aber, Herr Kollege Andres, ich würde gerne zu Ende kommen. In der Debatte sind die wesentlichen Punkte gesagt. Ich würde aber gerne noch das eine oder andere hinzufügen. Deshalb möchte ich jetzt fortfahren.
Ich will noch einmal auf den Gedanken eingehen, daß die Veränderungen in der Arbeitswelt einen Flexibilisierungsprozeß darstellen und daß wir ein größeres Angebot an Teilzeitbeschäftigung haben, das vielen Männern und Frauen entgegenkommt, wenn es um die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht, wenn es darum geht, sich weiterzuqualifizieren oder ehrenamtlich tätig zu sein. Diesen Flexibilisierungsprozeß wollen wir nachhaltig unterstützen.
Aber dort, wo die Veränderung von Normalarbeitsverhältnissen in prekärer Beschäftigung mündet, sind Grenzen gesetzt. Dort müssen wir die Weichen anders stellen; denn die als Ausnahme gedachte geringfügige Beschäftigung hat sich - das ist heute schon mehrfach gesagt worden - zu einem Massenphänomen entwickelt. Besonders belastend stellt sich die Umwandlung von regulärer Teilzeit- und regulärer Vollzeitbeschäftigung in geringfügige Beschäftigung dar.
In der Anhörung, die im wesentlichen nichts Neues gebracht hat - es wurden die alten Argumente vorgetragen -, haben wir konkreten Zahlen über die Umwandlung nachgespürt. Das war außerordentlich schwierig. Die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen rechnete den Anwesenden vor, daß im Jahre 1996 im Einzelhandel die Anzahl der Vollzeitbeschäftigten um rund 30 000 zurückgegangen ist und die Anzahl der geringfügig Beschäftigten mittlerweile 600 000 Personen beträgt. Man kann dies als Tendenz hinstellen. Es gibt noch andere Zahlen, die diese Tendenz stützen.
Von daher unterstreiche ich voll, was Julius Louven hier gesagt hat, daß wir gerade auf diese Veränderung, auf die Umwandlung der Beschäftigungsverhältnisse hin zu geringfügiger Beschäftigung, reagieren müssen und diese Umwandlung gestoppt werden muß.
- Herr Dreßen, zu der Scheinlösung, die die SPD vorlegt, und zu den Vorwürfen, die der Fraktionsvorsitzende vorhin gemacht hat, wir würden Lösungen, die wir favorisieren, in der Koalition nicht durchbringen, kann ich nur sagen: Wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Steinen werfen. In Rheinland-Pfalz - dort gibt es eine SPD/F.D.P.-Koalition - hat die Frauenministerin Götte immer wieder den Anlauf gemacht, einen Gesetzentwurf zur Abschaffung geringfügiger Beschäftigung auszuarbeiten. Sie hat es gerade einmal so weit gebracht, eine Öffentlichkeitskampagne machen zu dürfen. Der Ministerpräsident hat sie nämlich aus dem Grund „Koalition" gestoppt. Deswegen sage ich: Mehr Ehrlichkeit von seiten der SPD an dieser Stelle!
Mit Recht muß man sagen - darauf hat auch Herr Staatssekretär Günther hingewiesen -, daß es doch sehr merkwürdig anmutet, wenn die Behandlung des Gesetzentwurfes vom 18. März, den das Land Hessen dem Bundesrat vorgelegt hat - die Farbe ist noch nicht einmal trocken -, im Bundesrat vertagt wird. Was ist denn eigentlich Ernsthaftigkeit, was ist denn Eilbedürftigkeit bei der SPD, wenn man so handelt und die eigenen Gesetzentwürfe auf Eis legt, und zwar offensichtlich deshalb, weil der Kanzlerkandidat dazu eine andere Auffassung hat?
Dr. Maria Böhmer
Ich will noch einmal kurz fünf Punkte nennen, die für uns wesentlich sind, wenn es um Lösungen hinsichtlich der geringfügigen Beschäftigung geht:
Erstens. Die Umwandlung von regulärer Beschäftigung in geringfügige Beschäftigung muß gestoppt werden.
Zweitens. Jede Lösung, die gefunden wird, muß dazu führen, daß Frauen eine bessere Chance haben, zu einer eigenständigen sozialen Sicherung zu kommen. Diese Lösungen werden nur dann tragfähig sein, wenn wir insgesamt von Minijobs weg- und zu attraktiveren und sozial gesicherten Teilzeitarbeitsplätzen hinkommen, die an die Stelle von 620-DMArbeitsplätzen bzw. 520-DM-Arbeitsplätzen treten müssen. Das heißt, wir müssen die Entwicklung umkehren: Was wir brauchen, ist nicht eine Umwandlung hin zur Geringfügigkeit, sondern ein Aufbau von regulärer Beschäftigung. Nur das wird wirklich zu einer Verbesserung der Alterssicherung von Frauen in diesem Bereich führen.
Drittens. Ich halte es für unabdingbar, daß wir die Anreize für die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Privathaushalt weiter ausbauen. Ich lege großen Wert darauf, daß wir die bereits vorhandenen Linien fortführen, und den Sonderausgabenabzug, der von Ihnen so heftig bekämpft wird, auch auf Haushaltskräfte, die über ein Dienstleistungszentrum im Privathaushalt beschäftigt sind, erweitern, so daß wir die Chance haben, mehr reguläre Beschäftigung im Privathaushalt zu schaffen. Es geht immerhin um 24 Prozent aller geringfügig Beschäftigten; das sind 1,3 Millionen Menschen, denen wir damit helfen könnten.
Viertens. Hauptbeschäftigung und Nebenbeschäftigung müssen zusammengezählt werden; denn es geht um die Beseitigung der Gerechtigkeitslücke, die hier besteht. Wir haben das immer wieder deutlich gemacht, und an diesem Punkt werden wir weiter arbeiten.
Fünftens. Wer in puncto Veränderung bei der geringfügigen Beschäftigung eine wirksame Regelung erreichen will, der darf die steuerliche Seite nicht außen vor lassen. Denn wenn - was ich für sinnvoll halte - die Pauschalversteuerung durch Sozialversicherungsbeiträge abgelöst wird und an ihre Stelle die Individualbesteuerung tritt, dann müssen wir im Auge haben, daß sich viele Frauen - wenn die Steuerklasse V in dieser Form fortbesteht - dafür entscheiden werden, lieber in die Schwarzarbeit abzutauchen, als in dieser neuen Beschäftigung zu bleiben, die für sie große steuerliche Abzüge bedeutet. Deshalb müssen wir an dieser Stelle bei der Reform des Steuersystems auch das Problem der Steuerklasse V diskutieren und lösen.
Zum Schluß möchte ich daran erinnern: Wir haben gemeinsam mit der F.D.P. im Dezember vergangenen Jahres eine Entschließung verabschiedet, daß wir eine Überprüfung der gesetzlichen Vorschriften für die sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse mit dem Ziel der Erarbeitung einer ausgewogenen Gesamtlösung anstreben. Ich kann Ihnen sagen: Wir werden an dieser Stelle am Ball bleiben. Wir arbeiten weiter an einer grundsätzlichen Reform der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse; denn wir wollen für mehr Dynamik im Bereich der Teilzeitarbeit sorgen.
Ich danke Ihnen.