Rede von
Dr.
Heidi
Knake-Werner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Babel, daß hier die Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen beschimpft wurden, haben wir schon öfter erlebt, aber daß Sie jetzt auch noch zu einem solchen Rundumschlag gegen die Kirchen ausholen, finde ich einigermaßen überraschend.
Wir diskutieren heute - das ist schon gesagt worden - nicht zum erstenmal über Scheinselbständigkeit, über illegale Beschäftigung und über geringfügig Beschäftigte. In den zurückliegenden Beratungen ist bis in die Reihen der Koalition Handlungsbedarf anerkannt worden. Auch Herr Louven hat das hier bestätigt. Die Bundesregierung bleibt aber untätig, und - was noch viel schlimmer ist - sie blockiert die Initiativen der Opposition. Das ist einfach unverantwortlich.
An dieser Stelle hätten Sie Gelegenheit, endlich Mißbrauch in Milliardenhöhe durch Unternehmer zu bekämpfen. Das wäre glaubwürdige Politik. Statt dessen lassen Sie zu, daß Scheinselbständigkeit im rechtsfreien Raum schlimmste Blüten treibt. Frau Babel, ich habe gedacht, daß wenigstens die Anhörung Ihnen das Problem der Scheinselbständigkeit ein wenig näher gebracht hätte. Sie machen es sich mit dem Verweis auf geltendes Recht wirklich sehr einfach.
Sie schließen die Augen vor illegaler Beschäftigung, obwohl allein am Bau 400 000 Menschen unter unwürdigen Bedingungen arbeiten. Es kümmert Sie offenbar wenig, daß für die meisten der so beschäftigten Menschen der Lohn weder zum Leben reicht noch die geltenden sozialen Schutzstandards Anwendung finden.
Nach Angaben der „Sozialpolitischen Umschau" vom April arbeiten allein 5,6 Millionen Menschen in sogenannter geringfügiger Beschäftigung, das heißt
- das wissen Sie alle -, sie verdienen in Westdeutschland 620 DM bzw. in Ostdeutschland nur 520 DM. Für zwei Drittel von ihnen ist dieses Minieinkommen die einzige Einnahmequelle. Daß dieser Tatbestand überwiegend Frauen betrifft, die damit kaum ein menschenwürdiges, selbstbestimmtes Leben bestreiten können und die zudem im Alter von bitterer Armut bedroht sind, wissen all diejenigen, die seit Jahren für die Versicherungspflicht von 620-DM-Jobs und 520-DM-Jobs kämpfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, es muß Ihnen erneut entgangen sein, daß dies hier im Hause auch durch die PDS geschieht. Da wir aber nicht kleinlich sind, werden wir uns nicht aus diesem Grund bei der Abstimmung über Ihren Gesetzentwurf enthalten. Wir tun dies vielmehr, weil wir gegen Ihre Bagatellgrenze sind; denn wir setzen uns - wie Sie wissen - in unserem Antrag dafür ein, für jede bezahlte Arbeitsstunde die Versicherungspflicht einzuführen.
Natürlich kennt auch die Regierungskoalition die Gefahren jahrelanger prekärer Beschäftigung. Daß Sie von der Regierungskoalition dennoch nichts tun, ist nicht nur frauenfeindlich; vielmehr ist der eigentliche Skandal politischer Natur. Nicht drohende Armut und Unterversorgung der so Arbeitenden regen Sie auf, sondern höchstens die Steuerausfälle und Beitragsverluste bei den Sozialkassen, die in der Tat dramatisch sind.
Aber ist das Problem von Armut trotz Vollzeitarbeit nicht wirklich eines, um das sich verantwortungsvolle Politik kümmern müßte? Viele, die als Scheinselbständige in Paketdiensten, als Teleheimarbeiterinnen oder als Fensterputzer und Verkäuferin geringfügig beschäftigt sind - von illegaler Beschäftigung will ich jetzt gar nicht reden -, gehören zu der Gruppe der „working poor", die auch in der Bundesrepublik leider immer größer wird. Die jüngste Studie des Instituts für Sozialberichterstattung und Lebenslagenforschung in Frankfurt beweist nachdrücklich, daß in diesem Land mehr als 2 Millionen Vollzeitbeschäftigte unterhalb des Existenzminimums leben. In Ostdeutschland nimmt das Problem der verdeckten Armut dramatische Ausmaße an.
Die wildwuchsartige Ablösung des Normalarbeitsverhältnisses durch Scheinselbständigkeit, durch illegale Beschäftigung und durch versicherungsfreie Minijobs vernichtet Schutzstandards und entläßt die Arbeitgeber endgültig aus ihrer sozialen Verantwortung.
Diese Erscheinung ist nicht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis einer Politik, wie diese Bundesregierung sie seit 16 Jahren mit Lohn- und Sozialdumping betreibt.
Herr Louven, wenn Sie hier heute wieder vom Kostendruck der Unternehmen gesprochen haben, dann erinnere ich Sie an die Aussagen von Herrn Müller in der vorhergehenden Debatte, wonach die Lohnstückkosten der Bundesrepublik in den letzten
Dr. Heidi Knake-Werner
Jahren gesunken sind. Erklären Sie mir einmal, wie die enormen Gewinne der Unternehmen in den letzten Jahren zustande gekommen sind, wenn es tatsächlich einen solchen - von Ihnen angenommenen - Kostendruck auf die Unternehmer gibt. Dies ist doch absolut unglaubwürdig!
- Das weiß ich auch. Allerdings ist das ein Ergebnis Ihrer Politik, weil Sie für die klein- und mittelständischen Unternehmen genausowenig tun wie für die Arbeitslosen und die arbeitenden Armen.